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Deutsches Lesevuch
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die oberen AbtheLlungen
j ein- uni) mehrklassiger
Clementarschulen
in dee Stadi un- aut denr Lande
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Fr. Baiimgart >,nd Ed. Woyscht.
Frankfurt "/O.
Verlag der Hofbuchdruckerki von ìrowitzsch L Svhn.
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Aaß noch immer nicht das erreicht worden ist, waS
ein Lesebuch sein, WaS es leisten, wozu es dienen, wobei es
helfen soll, geht aus dem fortwährenden Erscheinen neuer
Lesebücher hervor.
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Woher kommt daS? Weil dem Lesebuche noch nicht
die rechte Stelle in der Volksschule angewiesen worden.
Herr Pred. Goltzsch in seiner Schrift: „ Einrichtungö-
und Lehrplan u. s. w. Berlin 1852" hat dies gethan,
gezeigt, wie es gebraucht werden soll, und auch in Umriffen
seine Einrichtung angegeben.
Ein solches Lesebuch, wie es in der angeführten Schrift
Pag. 103 —105. gefordert wird, hat uns seit Jahren vor-
geschwebt. Seit Jahren haben wir daran gearbeitet. Aber
erst durch die Schrift unseres verehrten Lehrers wurden wir
ermuthtgt, zur Herausgabe des vorliegenden Buches zu schreiten.
Wollte Jemand mit uns über die von andern Lesebüchern
abweichende Anordnung des Stoffes im zweiten Theile rechten,
so berufen wir uns auf die Pag. 117. in der genannten
Schrift angeführten Worte, und bemerken nur, daß die gemachte
Anordnung weder maßgebend sein kann, noch soll; da, von
andern Gesichtspunkten aus betrachtet, sich auch wohl eine oder
mehrere andere rechtfertigen lassen. Wir haben unö aber für
die vorliegende entschieden, weil sie die einfachste ist. DaS
Kind wird zuerst auf das Himmelsgewölbe in seine leuchtenden
Körper geführt, macht dann Bekanntschaft mit den geheimen
Kräften der Natur, mit der Erde im Allgemeinen und deren
wichtigen Hervorbringungen; weiterhin folgen Beschreibungen
der einzelnen Erdtheile und ihrer Bewohner u. s. w.
Alle gemachten Anforderungen erreicht und befriedigt zu
haben, dürfen wir unö in sofern nicht schmeicheln, da die
Aufgabe eben eine solche ist, die nicht auf Ein Mal, die
nur nach und nach gelöst werden kann.
In wie weit aber das Buch sich dem vom Herrn Goltzsch
aufgestellten Ideale genähert hat, überlassen wir der Entscheidung
derer, die ein Urtheil hierüber fällen können, und erbitten
uns zugleich Rath und Beihülfe zur Verbesserung deS Buches
für folgende Zeiten.
Im Mai 1853.
Inhalt.
Erster
Erster Abschnitt.
Gebete »nd Festliedrr.
Ilo. Seite.
1. Gebete allgemeinen Inhalts t.
5. Morgengebete.................. 2.
14. Abendgebete................. f>.
25. Tischgebete...........•..... »•
30. Fcstticder.................. 10.
Zweiter Abschnitt.
57. Der Dorfkirchhof........... 20.
58. Das Gebet des Herrn........ 21.
59. Gottvertrauen.............. 21.
00. Der beste Freund.......... 22.
01. Des Christen Vaterland.... 22.
02. Müssen, Können, Wollen
u. f. w.................. 22.
03. Zwei Lehren............... 23.
04. Gottes Treue.............. 24.
05. IesuS mein steter Gedanke. 24.
Dritter Abschnitt.
06. Der arme Schiffer......... 24.
07. Amhnt..................... 26.
68. Der Bauer und sein Sohn..... 27.
09. Der Tyrann Dionys und
der Reiche............... 28.
70. Der Prozeß................ 28.
71. Der Perser und seine drei
Söhne.................... 30.
72. Johann, der muntre Seifen-
sieder................... 31.
73. Der Jüngling....r......... 32.
Theil.
No. ! Seite.
74. Der Blinde und der Lahme 34.
deine Mutter ehren re.... 35.
78. Der dankbare Löwe........... 38,
79. Der Heide SokrateS......... 39.
80. Gott lebet noch!............ 41.
82. Der gerettete Jüngling..... 44.
83. Der Ritt durch den Wald,
oder: Die bekehrte Räuber-
bande.................... 45.
84. Der Almosen................. 47.
85. Gintraebt................... 47.
80. Herr Michel................... 48.
87. Lohn der Bescheidenheit.... 49.
88. Irret euch nicht, Gott läßt
sich nicht spotten...... 49.
89. Wie gar unbegreiflich sind
GottcS Gerichte rc...... 51.
90. DaS Testament............... 52.
91. WaS bin ich mehr, als ihr 53.
92. DaS Lied vom braven Manne 54.
93. Der Baschkier............... 56.
94. DaS Tischgebet.............. 69.
95. Warum?...................... 00.
90. Beten und Arbeiten........... 62.
97. Der fromme Knecht.......... 63.
98. Die fromme Magd............. 63.
99. Hein und Kilian............. 64.
100. Ein Hausmittel............. 04.
101. Jst's möglich, so viel an euch
ist, so habt mit allen
Menschen Frieden. 65.
102. Der Weinstokk.............. 66.
103. Das Reisegeld.........;... 67.
Seit«.
No. Seite.
104. Der Erzgeizhals............ 67.
105. Der Kosakk tutb der Bakker 68.
106. Das Lacheln im Tode. 69.
107. Der Monch.................. 69.
108. Bild des mcnschlichen Lebens 70.
109. Der Mensch und der Kranich 70.
110. DerBrunnen desVerderbens 71.
111. Salomón und der Saemann 72.
112. Die Freunde nach dem Tode 72.
113. Die Waisen.................. 73.
114. Die NeujahrSnacht riñes Un-
glükklichen............... 74.
115. Die Bürde................... 76.
116. Die briden Tvdtenkopfe..... 77.
117. Guter Rath.................. 78.
118. Kannitverstan............... 82.
119. Unglükk der Stadt Leyden.... 83.
120. Treue Freundschaft.......... 84.
121. Rathell..................... 86.
122. Die Zeit.................... 87.
123. Baterlehren und LebenSregeln 88.
Vierter Abschnitt.
124. Widerspruche............... 89.
125. Nutzliche Lehren........... 90.
126. Trunksucht................. 94.
127. Kartenspiel................ 96.
128. Ein Vater an seinen Sohn 97.
129. Die Bibel.................. 99.
131. Die Kirche................ 100.
132. Ueber den wahren Gottes-.
dienft.................;. 101.
133. Die vier JahreSzeitcn.... 105.
134. Der Fruhling.............. 105.
136. Sommcrlied................ 107.
137. Predigt der Garbcn........ 107.
138. Erntegesang............... 109.
139. DaS Gewitter.............. 109.
140. DaS Feuer................. 111.
141. Der Herbst................ 113.
142. DaS Samenkorn............. 114.
143. Winterlied................ 114.
144. Mitleid im Win ter....... 115.
Fünfter Abschnitt.
145. Die Jahreszeiten: ein Bild
des menschlichen Lebens... 115.
146. Der Bauersmann.......... H8.
No.
147. Der alte Landmann an seinen
148. Abendruhe................. 116.
149. Abendgeläut............... 116.
150. Lied von der Glokke...... 117.
151. Die Abenddämmerung....... 117.
152. Abendlied................. 117.
153. Der Mond.................. 118.
154. Gebet..................... 118.
155. -DaS Vaterhaus........... 118.
156. Für die sieben Tage...... 119.
157. Wächterruf................ 119.
158. Belsazar................. 120.
159. Der treue Reiter........... 121.
160. DaS Gewitter....-......... 122.
161. Ein Friedhofsbesuch...... 123.
4 no /Die Vergeltung ^ ^
102'U>te vier Pflichten)........
163. Die Einladung............. 124.
164. Das Buch ohne Buchstaben 125.
165. Der arme Greis............ 125.
166. Georg Neumark............. 127.
167. Unsere Muttersprache..... 128.
168. Deutscher Trost.......... 129.
169. Der feste Mann........... 130.
170. Die drei Worte........... 131.
171. Des Deutschen Vaterland.... 131.
172. Der Choral von Leuthen.... 132.
173. Der alte Ziethen......... 133.
174. Der Heldenbote............ 134.
175. Reiters Morgengesang...... 135.
176. Gelübde................... 135.
177. Das Vaterland............. 135.
178. Dem Könige......i........ 136.
179. Vor der Schlacht.......... 137.
180. Der Feldmarschall......... 137.
181. Der Schiffs-Kavitain...... 138.
182. Die Opfer zu Wesel........ 139.
183. Die Leipziger Schlacht.... 140.
184. Die TabakkSpfeife......... 141.
185. Fehrbellin................ 142.
186. Der reichste Fürst........ 143.
187. Kaiser Otto 1............. 144.
188. Karl der Zwölfte und der
pommersche Bauer Müse-
bank.................... 145.
189. Die Revolution............ 147.
190. Unserm Könige............. 148.
Zweiter
Theil.
Seite.
Welt künde.................... 149.
Von dem äußern Anblikk des Him-
mels und der Gestalt der Erde 150.
Der Sonnenlauf und die Welt-
gegenden....................... 151.
Der Sternenhimmel.............. 154.
Der Mond....................... 157.
Die Planeten................... 160.
Die Kometen.................... 164.
Die Luft....................... 166.
Die Luftbälle.................. 167.
Die Erscheinungen im Luftkreise 169.
Die Winde...................... 177.
Das Wetterglas............... 178.
Die Wärme...................... 181.
Das Eis........................ 181.
Der Thermometer................ 182.
Die Dampfmaschine.............¿.. 182.
Von der Elektricität........... 185.
Vom Galvanismus................ 186.
. Vom Magnetismus.............. 188.
Das Innere der Erde............ 190.
Die Gebirge................ 192.
Bildung der Erdoberfläche..... 193.
Das Meer....................... 194.
Ebbe und Fluth................. 195.
Strömung des Meeres............ 196.
Die Zonen...................... 196.
Die Einteilung der Erde nach
Graden.................... 199.
Die Erdtheile.................. 200.
Die drei öteidje der Natur.... 204.
Von den Thieren................ 205.
Seite.
Von den Sättgethieren........... 207.
Die Ziege....................... 209.
Der Hund........................ 209.
Das Hündchen und die Lawine... 211.
Der Löwe........................ 212.
DerOrang-OutangundderMensch 213.
Der Kampf des Elephanten mit
dem Nashorn................. 214.
Daö Kameel...................... 215.
Der Hamster..................... 216.
Der Wallstfch................... 216.
Der Wallfischfang............... 217.
Vögel........................... 219.
Betrachtungen über ei» Vogelnest 221.
Die Vögel unter dem Himmel.... 222.
Der Strauß...................... 223.
Der Kolibri..................... 225.
Die Kohlmeise................. 226.
Die Eidergans, und wie man sie
fängt....................... 227.
Die Eule........................ 228.
Amphibien....................... 228.
Von den Schlangen............... 230.
Die gestreifte Riesenschlange... 232.
Die Klapperschlange............. 233.
DaS Krokodil.................... 234.
Fische.......................... 236.
Hering und Heringsfang.......... 237.
Die Haifische................... 239.
Die Sägefische.................. 240.
Fliegende Fische................ 241.
Insekten........................ 242.
Die Biene........................243,
i
Sette.
Die Ameisen............;........
Der Seidenspinner...............
Die Koschenille.................
Die Würmer......................
Der Regenwurm...................
Die Weichthiere der Mollusken....
Die Auster......................
Die Pflanzenthiere..............
Die Jnfustonsthiere.............
Von den Pflanzen................
Pflanzen auf dem Meeresgrunde..
Kartoffeln......................
Die Palmen......................
DaS Zukkerrohr..................
Der Kaffeebaum..................
Die Baumwollenpflanze...........
Daè isländische MooS............
Von den Giftpflanzen............
Mineralien......................
Metalle.........................
Bergbau............-............
Das Gold........................
Da? Eisen.......................
Stein - und Braunkohle..........
Bernstein.......................
Der Diamant.....................
DaS Salz........................
Der Mensch......................
Der Mensch in Kälte und Hitze..
Der Taubstumme..................
Der Mensch, ein Kind der Barm-
herzigkeit Gottes...............
Australien......................
Aus einer Reift nach Australien
Amerika........................*
245.
246.
246.
247.
247.
248.
248.
248.
249.
249.
252.
253.
254.
255.
256.
257.
257.
258.
261.
262.
263.
264.
265.
265.
266.
267.
268.
269.
272.
273.
274.
275.
275.
277.
Seite.
Die Entdekkung von Amerika....... 278.
Die vereinigten Staaten von Nord-
Amerika..................... 282.
Die Auswanderer.................. 283.
Der Ansiedler in Kanada.......... 284.
Die Wunder der Polarwelt......... 285.
Afrika........................... 286.
Egypten.......................... 288.
Die Hottentotten................. 289.
Asien.......................... 290.
Sibirien......................... 291.
DaS Feuer von Baku................291.
Ostindien........................ 292.
Die Mongolei und die Mongolen 293.
Die Inseln bei Asien..............*.. 294.
Daö gelobte Land................ 295.
Europa.......................... 299.
Die einzelnen Länder Europas.... 300.
Deutschland....,................. 302.
Die deutschen Flüsse............. 303.
Deutschlands Gebirge............. 307.
Das alte Deutschland und seine
Bewohner.................... 310.
Die Hermannsschlacht............. 312.
Die Völkerwanderung.............. 315.
DaS fränkische Reich............. 317.
Das deutsche Reich............... 321.
Preußen.......................... 329.
Geschichte ves preußischen Staats 330.
Denkwürdigkeiten aus der Geschichte
des Reiches Gottes auf Erden :
I. Der alte Bund......... 362.
II. Der neue Bund........ 374.
Der Kalender..................... 406.
Denksprüche..................... 410,
Erster Theil.
Erster Abschnitt.
Gebete und Festlieder.
„Nahet euch zu Gott: so nahet er sich zu euch!"
(Jac. 4, 8.)
1.
„Betet ohne Unterlaß!“ (1. Thess. 6, 17.)
Zu Gott im Himmel beten ist eine süße Pflicht. Mit Dank vor ihn zu
treten, o Kind, versäume nicht! Du darfst nicht Worte wählen, wie sie die Kunst
gebeut; das Zeichen frommer Seelen ist frohe Dankbarkeit.
Vollziehe gern im Stillen die Andacht des Gebets; Gott hört, eS zu erfüllen,
dich überall und stets. Nicht ist fein Wohlgefallen bloß liebliches Getön; er
findet auch das Lallen der kleine» Kinder schön.
Denk' oft bei deinen Freuden: Wie gut dein Schöpfer ist; wie er so gern
die Leiden der Sterblichen versüßt. Bet' oft, wenn Angst dich quälet; Gott isi'S,
der Hülfe schafft: Auch dann, wenn Kraft dir fehlet; er giebt den Schwachen
Kraft.
Ja, liebe frohe Jugend, wirf dich auf deine Knie'. Entzückt dich früh' die
Tugend: Sieh, betend lernst du sie. So wirst du Kraft erhalten, dich deines
Gottes freu'«, im Guten nie erkalten, zum Himmel weife fein.
2.
„Herr, höre meine Worte, merke auf meine Rede, vernimm mein Schreien, mein König ,»>d mein
Gott!! De»» ich will vor dir beten." (Psl. 6,. 2. 8.)
Ich trete vor dein Angesicht, du Schöpfer meiner Jugend; verwirf mein
kindlich Flehen nicht um Weisheit und um Tugend. O, nimm dich meiner
Schwachheit an, und wenn sich mir Gefahren nah'n^fo stehe mir zur Seite, damit
mein Fuß nicht gleite.
Mein Herz, von Lastern zwar noch rein, noch jung und unerfahren, wird
leicht geblendet durch den Schein, und stürzt sich in Gefahren. O mache mich
mir selbst bekannt, und gieb mir Weisheit und Verstand, damit ich meine Wege
unsträflich wandeln möge. , -
2
3.
Vater, heilig möcht' ich leben, recht thun, wäre meine Lust: Aber Lüste
widerstreben dem Gesetz in meiner Brust. Ach! der Sündentrieb im Herze» ist
noch oft ein Quell der Schmerzen; mich beschwert der Sünden Joch: Was ich
nicht will, thu' ich doch.
Vater, du nur kannst mich retten, wenn niich Niemand retten kann. Beten
will ich, brünstig beten: Schau mich mit Erbarmen an! Reiß die Wurzel meiner
Schmerzen, reiß die Sünd' aus meinem Herzen! Tief im Staube bitt' ich dich:
Leite selbst zur Tugend mich!
Ja, du hörst mein kindlich Flehen, du erquikk'st mein Herz und Ruh; leben
werd' ich, nicht vergehen, meine Stärke, Gott, bist du. Neberwinden, überwinden
werd' ich durch dich alle Sünden; meine Seele fasse Muth! Endlich werd' ich
fromm und gut.
4.
Gott, du kennest mich von innen, ach erforsche uiächtig mich! Prüfe all'
mein.Thun und Sinnen, ob ich fürcht' und liebe dich! Findest du so manche
Blöße, und mich nicht getreu genug, noch nicht frei von Selbstbetrug, noch in
Wcltlust blind und böse: O dann wende mich noch heut', auf den Weg der
Seligkeit! —
3.
„Wenn ich erwache: So rede Ich von Dir!" (Psl. 63, 7.)
Gin neuer Tag, ein neues Leben geht mit der neuen Woche an. Gott will
mir heut' aufs Neue geben, was mir sonst Niemand geben kann. Denn, hätt'
ich seine Gnade u,icht, wer gäbe mir sonst Kraft und Licht?
Ich grüße diesen lieben Morgen und küsse Gottes Vaterhand, die diese Nacht
Gefahr und Sorgen in Gnaden von mir abgewandt. Ach Herr! wer bin ich
Armer doch? Du sorgst für mich, drum leb' ich noch.
Nun, das erkennet meine Seele, und giebt sich selbst zum Opfer hin. Doch
weil ich noch in dieser Höhle mit Noth und Tod umgeben bin, so weiche du,
Herr, nicht von mir, denn meine Hülfe steht bei dir.
Mein Glükk in dieser neuen Woche soll nur in deinem Namen blüh'n. Ach!
laß mich nicht am Sündenjoche mit meinem Fleisch und Blute zieh'«. Gieb
deinen Geist, der mich regier', und nur nach deinem Willen führ'.
So thue nun, mein Gott, das Deine, und laß auch mich das Meine thun;
behüte Beides, Groß und Kleine, daß sie auf deiner Huld beruhn, und daß ein
Jedes diesen Tag vergnügt in dir beschließen mag.
6.
Gelobet seift du, Gott der Macht, gelobt sei deine Treue, daß ich nach einer
sanften Nacht mich dieses Tages freue.
3
Laß deinen Segen auf mir ruh'n, mich deine Wege wallen, und lehre du
mich selber thun nach deinem Wohlgefallen.
Nimm meines Lebens gnädig wahr, auf dich hofft meine Seele, fei mir ein
Retter in Gefahr, ein Vater, wenn ich fehle.
Gieb mir ein Herz voll Zuversicht, erfüllt mit Lieb' und Ruhe, ein weises
Herz, daß feine Pflicht erkenn' und willig thue;
Daß ich, als ein getreuer Knecht, nach deinem Reiche strebe, gottselig, züchtig
und gerecht durch deine Gnade lebe;
Daß ich, dem Nächsten beizustchn, nie Fleiß noch Arbeit scheue, mich gern an
And'rer Wohlergehn, und ihrer Tugend freue;
Daß ich das Glükk der Lebenszeit in deiner Furcht genieße, und meinen Lauf
»uit Freudigkeit, wann du gebeutst, beschließe.
7.
Du, lieber Gott, hörst gern eS an, wenn Kinder Dank dir bringen; drum
will ich jetzt, so gut ich kann, dir auch mein Loblied singen.
Mich hat ein sanfter Schlaf erquikkt, ich bin gesund und fröhlich. Wie viele
sind nicht so beglükkt, sind krank, sind nicht so fröhlich.
Ja, lieber Gott, dir sag' ich Dank, du lässest jeden Morgen mit nöth'ger
Speise und mit Trank so gütig »»ich versorgen.
Für meine Eltern dank' ich dir, die mich so zärtlich lieben; auch für die
Freunde dank' ich dir, die mich im Guten üben.
O laß mir meine Eltern noch recht lange, lange leben! Thu', lieber Gott,
v thl»' es doch, laß sie noch lange leben!
8.
Gelobt sei Gott, der Tag erwacht, ihm sei ein Loblied dargebracht, der Sonne,
Mond und Sterne lenkt und freundlich an die Menschen denkt.
Er winkt, so grünet Berg und Flur, ihm dient »uit Freuden die Natur, und
er giebt Leben, Luft uud Brod vom Morgen- bis zum Abendrots).
Er ist'S, der Allen Gutes thut, bis unser Herz im Grabe ruht; wer sollte
nicht »uit Freudigkeit ihm dienen bis zur Einigkeit.
O Vater, Vater! c»vig dein soll unser Herz und Leben sein. DaS Leben
eilet schnell dahin; ach, bilde unS nach deine»» Sinn!
9.
Mit Freuden grüß' ich diesen Tag; »vaS ich »nit Gottes Kraft vermag, daö
»vill ich heute Gutes thun, und fröhlich dann am Abend ruh'».
DaS Brot, das heute mich ernährt, wird mir von Gottes Hand bescheert.
Der Trank, der heut' mein Labsal ist, ist Segen, der vom Himinel fließt.
Dem Kind' ist nie der Vater fern! »vaS ich heut' Gutes seh' und lern', das
seh' und lerne ich durch dich, du, guter Vater, leitest mich.
1*
Du machst gesund und stark und klug; dein ist daS Feld und dein der Pflug;
und jeder Faden am Gewand ist Wohlthat deiner Vaterhand.
Daß du in Allem Alles bist, und Alles, Alles Segen ist, deö freue sich, in
Freud' und Schmerz, den ganzen Tag mein ganzes Herz.
10.
Der Tag ist da, und weg die Nacht, ich bin und lebe nach. Der Gott, der
wieder Tag gemacht, wie gütig ist er doch!
Wer sorgt für uns zu aller Zeit? Wer gönnt zur Nacht uns Ruh? Wer
schenkt den Müden Munterkeit? Wer, o mein Gott, als du?
Du willst, daß wir uns wiederseh'n: du wekkest Leib und Geist; du bist'ö,
der auf und untergeh'n die Sonne täglich heißt.
Gott! alles Gute kommt von dir, du bift'S, der Alles kann. O, wie viel
Gutes hast du mir, mein Vater, schon gethan!
Du treuer Gott, durch den ich bin, der täglich mich erhält; o schenke mir
den rechten Sinn, zu thun, was dir gefällt!
An meine Arbeit will ich nun mit Lust und Freude gehn; man soll mich
immer Gutes thun, nie bös' und träge seh'n.
Du bist, mein lieber Gott, bei mir, wenn ich dich gleich nicht seh'; du siehst
und hörst mich dort und hier, ich sitze oder geh'.
Wenn ich mit freudenvollem Trieb daS Gute lern' und thu'; so bin ich Gott
und Menschen lieb und hab' im Herzen Ruh.
N.
Gott, unter deiner Vatcrhut hab' ich die Nacht so sanft geruht, daß ich
erquikkt nun in die Höh' hinauf zu deinem Himmel seh'.
Verleih, daß ich auch diesen Tag mich deiner Güte freuen mag; wend'Unglülk
ab nach deiner Huld, und, wenn es kommt, gieb mir Geduld.
12.
Gott, ich preise deine Güte für den Schutz in dieser Nacht, da mein Leib
und mein Gemüthe von dem süßen Schlaf erwacht. Durch dich steh' ich fröhlich
auf und beginne meinen Lauf.
Schenke, Herr, mir schwachem Kinde deinen Geist, der mich regier', daß mich
nicht zu Schand' und Sünde heut' mein eigen Herz verführ'! Gieb mir Lust zu
deinem Wort, und bewahre mich, mein Hort! —
13.
Der schöne Tag bricht an, die Nacht ist abgethan, die Finsterniß vergangen.
Laß uns dein Licht umfangen, du unsre Sonn' und Leben, der Welt zum Heil
gegeben.
Laß uns in deiner Hut das thun, was recht und gut, und stets als Kinder
leben, die dir sich ganz ergeben, in deinen Wegen gehen, und fest im Glauben stehen.
5
Befällt uns Kreuz und Noth, so hilf, du treuer Gott, daß wir in allen
Stükken uns drein geduldig fchikken; denn dir nicht widerstreben, ist ja das
beste Leben.
Gieb Speis' und Trank dem Leib', daß er bei Kräften bleib'; und soll die
Seele scheiden, so sei'S zu deinen Freuden, daß wir auf deinen Namen getrost
hinfahren. Amen! —
14.
>,Wenn ich mich zu Bette lege: So denke ich an dich!!« (Pf. 63. 7.)
Herr, der du mir das Leben bis diesen Tag gegeben, dich bet' ich kindlich an!
Ich bin viel zu geringe der Treue, die ich singe, und die du heut' an mir gethan.
Mit dankendem Gemüthe freu' ich mich deiner Güte; ich freue mich in
Dir. Du giebst mir Kraft und Stärke, Gedeihn zu meinem Werke, und schaffst
ein rcineö Herz in mir.
Bedckkt mit deinem Segen eil' ich der Ruh' entgegen; dein Name sei gc-
prcist! Mein Leben und mein Ende ist dein, in deine Hände beseht' ich, Vater,
meinen Geist.
IS.
Ruhig, ruhig schlaf' ich ein, Gott, mein Gott, will bei mir sei»! Gottes
Allmacht will mich drkkcn; sollte luich die Nacht erschrekken? Gott, mein Gott,
kann vor Gefahren, kann vor Unglükk mich bewahren. Seine Huld ist'S, seine
Macht, die bei Tage, die bei Nacht über seine Kinder wacht. Ohne Kummer schlaf
ich ein, Gott, mein Gott, will bei mir sein.
16.
O Jesu, treuster Heiland mein! Ich geh' in mein Schlaskämmcrlein: Ich
will mich legen in die Ruh, schleuß du die Thür selbst nach mir zu.
Verzeih' die Sünden gnädig mir, treib' alles Böse fern von hier. Breit über
mich die Flügel aus, so steh'» die Engel um das Haus.
Wenn ich nun schlaf', wach du für mich, treib' alles Unglükk hinter sich;'
laß mich zu deinem Lob' aufsteh'» und fröhlich deine Sonne frh'n.
Gott Vater, nimm mich in dein' Hut'! Gott Sohn, wasch mich mit deinem
Blut! Gott heil'ger Geist, erleuchte mich, daß in den Himmel komme ich.
Gott, dessen Güte Alles schafft, durch dich hab' ich mein Leben. Gesundheit,
Segen, Licht und Kraft hast du mir heut' gegeben. Auch diese» Tag warst du
mit niir, mit froher Seele dank' ich dir.
Du hast mich heute väterlich gcspeiset und getränket, behütet vor Gefahren
mich, zur Tugend mich gclenket; zur Arbeit gabst du Kraft und Muth: Wie bist
du doch, o Gott, so gut!
6
Du, ewig guter Vater, du wirst ferner für mich sorgen. Gieb meinem Leibe
sanfte Ruh' bis zu dem frohen Morgen; wenn ich erwache, fang' ich dann den
iteuen Tag mit danken an.
18.
O, wie viel Gutes that'st du mir auch heut', mein Gott, wie dank' ich dir?
Ich hatte Nichts zu leiden; du gönntest mir viel Freuden.
Du schenktest Speise mir und Trank, und Kleid und Wohnung. Dir sei
Dank! Denn Alles, was ich habe, ist, Vater, deine Gabe.
Nein, keine Stunde geht vorbei, daß deine Huld nicht fühlbar fei! Stets
bin ich frohen Muthes; denn stets thust du mir Gutes!
O könnt' ich nur recht dankbar fein, und immer, Gott in dir mich freu'n!
Für Alles fei gepriesen, was du mir heut erwiesen!
Schenk' mir ein Herz voll Dankbarkeit und kindliche Zufriedenheit; erwckke
mein Gemüthe zum Preise deiner Güte;
Entdekke meine Fehler mir, laß mich sie redlich, Gott, vor dir bekennen und
bereuen! Du willst und kannst verzeihen.
Ja, lieber Vater, du verzeihst durch Jesum. Schenk' mir deinen Geist! Laß
alle meine Sünden von deinem Aug' verschwinden.
Behüte, Vater, väterlich in dieser Nacht vor Unglükk mich! Vor Schrekken
und Gefahren kannst du mich leicht bewahren.
Und hast du, Vater, diese Nacht mit deiner Güte mich bewacht, so laß ge-
sund mich morgen erwachen ohne Sorgen!
Nun schlaf' ich ruhig ein, denn du, du wachst bei mir und gönnst mir Ruh!
Du schläfst nicht, ich befehle Dir, Vater, Leib und Seele.
19.
Vollendet ist des Tages Lauf, es sinkt die stille Nacht hernieder, die Sterne
gehn am Himmel auf, und sanfte Ruh stärkt uns're Glieder.
O du, der alles Gute schafft, Hab' Dank für deiner Liebe Walten ! Du gabst
zur Arbeit Licht und Kraft, hast uns beschirmet und erhalten.
Sei mit uns auch in dieser Nacht, dann schlummern wir in stillem Fncdcu.
Ob Alles schläft, dein Auge wacht, und deine Hand bedekkt den Müden.
Und wekkt am Morgen uns dein Licht, geh',, wir gestärkt zum Tagewerke,
vollbringen freudig stns're Pflicht; denn du bist uns're Hüls' und Stärke.
20.
Müde bin ich, geh' zur Ruh', schließe beide Aeuglein zu; Vater, laß die
Augen dein, über meinem Bette sein! »
Hab' ich Unrecht heut gethan, sieh' es, lieber Gott, nicht an! Deine Gnad'
und Jesu Blut macht ja allen Schaden gut.
Alle, die wir sind verwandt, Gott, laß ruh'n in deiner Hand. Alle Men-
schen, groß und klein, sollen dir befohlen sein.
7
Kranken Herzen sende Ruh', nasse Augen schließe zu; laß den Mond am
Himmel steh'«, und die stille Welt bcsehn.
Auch heut hab ich dich oft vergessen, nach deinem Heil nicht viel gefragt;
getrunken hab' ich und gegessen, nnd"vir, o Gott, nicht Dank gesagt.
Wie kommt eS doch, daß meine Seele, o einzig Gut, dich so vergißt? O
richte nicht, bis meine Seele, in dir, o Gott, befestigt ist!
Du hast die Stimme mir gegeben, daß ich dich preisen soll, mein Hort,
und Andern auch daö Herz erheben durch frommes und gottfel'gcs Wort.
Weh' mir, wenn ich zurükkezähle, was ich Unnützes heut gesagt! O richte
nicht, bis in der Seele der Wahrheit reiner Morgen tagt!
Ach nein, du darfst auch dann nicht richten! Ach nein, du mußt auch dann
verzeih». Gerechtigkeit wird mich vernichten, und Gnade wird mein Leben sein.
22.
Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell
und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille, und in der Dämmrung Hülle so traulich und so
hold, als eine stille Kammer, wo ihr des Lebens Jammer verschlafen und ver-
gessen sollt!
Seht ihr den Mond dort stehen? — Er ist nur halb zu sehen, und ist doch
rund und schön! So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil
unsre Augen sie nicht seh'n.
Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder, und wissen gar nicht
viel. Wir spinnen Luftgespinnste, und suchen viele Künste, und kommen weiter
von dem Ziel.
Gott, laß dein Heil uns schauen, auf nichts Vergänglich's bauen, nicht Ei-
telkeit uns freu'n. Laß uns einfältig werden, und vor dir hier auf Erden, wie
Kinder fromm und fröhlich sein.
Wollst endlich sonder Grämen aus dieser Welt uns nehmen durch einen
sanften Tod; und wenn du uns genommen, laß uns in Himmel kommen, du,
unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder; kalt ist der
Abendhauch. Verschon' uns, Gott, mit Strafen, und laß uns ruhig schlafen,
und unsern kranken Nachbar auch!
23.
Wenn die Sonne sinkt hernieder, und die stille Nacht kehrt ein, lege ich mich
dann zur Ruhe in dem stillen Kämmerlein.
Schließe meine müden Augen, falte dann die Hände gern, ohne Worte, oft
in Thränen, bete ich zum lieben Herrn.
8
O, wie wohl ist mir zu Muthe! Wie so fröhlich schlaf ich ein! Hast du
auch,^ mein liebes Kindlein, so ein stilles Kämmerlein? —
24.
Mein Engel, weiche nicht, wenn ich mich schlafen lege; breit' deine Flügel
aus, daß sich kein Unfall rege; wehr' auch das Böse ab, so mich im Traum an-
ficht, daß rein die Seele bleib'! Mein Engel, weiche nicht!
Mein Engel, weiche nicht, wenn ich vom Schlaf' aufstehe und nach des
Herrn Befehl an mein Geschäfte gehe, halt mich zu jeder Stund' ihm treu und
meiner Pflicht; ich folge deinem Wink. Mein Engel weiche nicht;
Mein Engel, weiche nicht, wenn ich soll Kummer tragen: Ob schwer, ob
lang er sei, laß mich doch nicht verzagen; wisch' ab mit Licbeöhand den Schweiß
vom Angesicht, und stärk' die müde Seel'! Mein Engel, weiche nicht!
Mein Engel, weiche nicht, wenn ich einmal soll scheiden von Welt und
Freund' und Lieb'; o hilf mirs thun mit Freuden; kehr' zu den Lieben dich,
woll'st deren Schutzgeist sein, nachdem du mich geführt zu HimmclSsreudcn ein. —
25.
„Aller Augen warten auf dich, und du giebst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit!"
tPsl. 145, lö.)
So giebst du uns denn abermal, was nöthig ist zum Leben; und hast's
uns schon so manchen Tag, du guter Gott, gegeben. O lehr' uns, dir recht
dankbar sein, und deiner Vaterhuld uns freun.
Verleih uns weife Mäßigung, um froh vor dir zu leben. Laß u»S, mit
neuer Kraft gestärkt, nach höher» Gütern streben, nach Weisheit, die du selbst
unS giebst, nach wahrer Tugend, die du liebst.
26.
Der du ernährest, waS lebet und webet, sich, von der sichtbaren Gabe erhe-
bet sich zum Unsichtbaren der denkende Geist, freut sich der Kräfte, die du ihm
verleih'st.
Du, deß Erbarmung wir oft schon erfuhren, schütze das Vaterland. Segne
die Fluren. Gieb bei Gesundheit ein genügsames Herz, Demuth im Wohlstand
und Hoffnung im Schmerz.
Laß uns, o du, aus dcss' Händen wir essen, nimmer der dürftigen Brüder
vergessen. Liebe reicht freundlich der Armuth ihr Brot, segnet im Leben und
tröstet im Tod.
27.
Schon wieder Hunger, aber auch schon wieder reich ich Brot! Der liebe
Gott, nach altem Brauch, hilft immer aus der Noth.
Wo nimmt er doch auch Alles her für so viel Alt und Jung? — Auf
Erden, in der Luft, im Meer, hat jeder Mund genug.
9
Wie sich rin lieber Vater freut, wenn'- seinen Kindern schmekkt, so hat auch
Gott all weit und breit den großen Tisch gedekkt.
Wer äße nun nicht herzlich froh, und tränke wakker drauf? Ach Gott! der
arme Mann auf Stroh sieht auch zu dir hinauf.
Er hungert doch nicht, lieber Gott! — Gieb doch dem armen Mann auf
Stroh auch ein klein Stükkchen Brot, du, der so Vieles kann!
28.
O Gott, von dem wir Alles haben! Die Welt ist ein sehr großes Haus;
Du aber theilest deine Gaben recht wie ein Vater drinnen aus. Dein Segen
macht uns alle reich; ach, lieber Gott, wer ist dir gleich?
Wer kann die Menschen alle zählen, die heut bei dir zu Tische gehn. Doch
muß die Nothdurft keinem fehlen, den» du weißt Allen vorzustch'n, und schaffest,
daß ein jedes Land fein Brot bekommt aus deiner Hand.
Du machst, daß man auf Hoffnung säet, und endlich auch die Frucht
genießt; der Wind, der durch die Felder wehet, die Wolke, so das Land begießt,
des Himmels Thau, der Sonne Strahl, sind deine Diener allzumal.
Und also wächst deö Menschen Speise, der Alker selbst wird ihm zu Brot.
ES grünt und blüht nach seiner Weise, zum Trost des Armen in der Noth, bis
in der Ernte Jung und Alt erlanget neuen Unterhalt.
Nun Herr, was soll man erst bedenken? Der Wunder hier sind gar zu
viel. So viel, als du, kan» Nieniand schenken, und dein Erbarmen hat kein
Ziel; dum immer wird unö mehr beschert, als wir zusammen alle werth.
Wir wollen'- auch keinmal vergessen, was uns dein Segen träget ein; ein
jeder Bissen, den wir essen, soll deines Namens Denkmal sein, und Herz und
Mund soll lebenslang für uns'rc Nahrung sagen Dank.
29.
Gesund und frohen Muthes genießen wir des Gutes, das uns der Him-
melsvater schenkt. O prcis't ihn, Brüder! preiset den Vater, der unS speiset,
und mit dcS Weines Freude tränkt.
Gr ruft herab: „Es werde!" - und Segen schwellt die Erde; der Frucht-
baum und der Alker spries't; cs lebt und webt in Triften, im Wasser und in
Lüften, und Milch und Wein und Honig fließt.
Dann sammeln alle Völker, der Pferd - und Rennthiermelker am kalten
Pol, vom Schnee umstürmt, der Schnitter edle Halme, der Wilde, welchen Palme
und Brotbaum vor der Sonn« schirmt.
Gott aber schaut vom Himmel ihr freudiges Getümmel Aufgang bis
zum Niedergang, wenn seine Kinder sammeln, und ihr vereinte tammeln tönt
ihm in tausend Sprachen Dank.
Lobsinget seinem Namen, und strebt, ihm nachzuahmen, ihm, dessen Huld
ihr nie ermess't, der alle Welten segnet, auf Gut und Böse regnet und seine
Sonne scheinen läßt.
10
Mit herzlichem Erbarmen reicht eure Hand den Armen, weß Volk und Glau-
bens sic auch sein. Wir sind nicht mehr, nicht minder, sind Alle Gottes Kin-
der, und sollen uns wie Brüder freu'».
„Dies sind -Le Feste des Herrn, die ihr heilig halten
und meineFesteheisien sollt, -a ihr zusammen kommt!"
(3 Mos. 23, 2.)
30.
„Gedenkt des Sabbachlages. daß du ihn heilig haltest! (2 Mos. 20. 8.)
„Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort da deine Ehre wohnt! (Psl.26,8.)
„Ein Tag in deinen Borhöfe» ist besser, denn sonst tausend! (Psl. 84, 11.)
GvtteSstille, Sonntagöfrühe, Ruhe, die der Herr gebot! Meine Seele wach'
und glühe mit im hellen Morgenroth. Könnt' ich in dem Zimmer bleiben, wenn
daö Volk zur Kirche wallt? Könnt' ich AlltagSwcrke treiben, wenn der Glokken
Ruf erschallt? Wo die holden Worte weilen, die der Herr auf Erden sprach,
lasset auch daS Brot mich theilen, das er seinen Jüngern brach. O, das nenn'
ich sel'gc Stunde, wo man dein, o Herr, gedenkt, wo man mit der frohen Kunde
von dem ew'gen Heil unö tränkt! Neues Leben, neue Stärke, reiner Andacht
frische Glut zu dem frommen Lebenöwcrke schöpf ich aus der Gnadenfluth. Und
von göttlichen Gedanken einen reichen Blüthcnstrauß trag ich heimwärts, Gott
zu danken in dem kleinen stillen Haus. Erde, weit und ohne Grenzen, Himmel,
d'rüber ausgespannt, reich an Sternen und an Kränzen scheint ihr mir ein hei-
lig Land. Laß die Flamme stets mir brennen, o mein Heiland, Jesus Christ!
Laß es alle Welt erkennen, daß mein Herz dein Altar ist.
31.
Auf, auf! mein Herz, und du, mein ganzer Sinn, wirf Alles heut, was
Welt ist, vor dir hin; Heut hat das Werk der Schöpfung angefangen, da dieser
Welt daö Licht ist aufgegangen. Auf, auf! mein Herz, wirf alles Jrd'fche ab!
Heut' ist erstanden Jesus aus dem Grab; heut hat er fein ErlöfungSwcrk vol-
lendet; heut hat er auch den Geist herabgesendet. Dies heil'ge Heut heißt dich
auch heilig fein; der Herr will heute bei dir ziehen ein. So ruhe du von Ar-
beit und von Sünden, daß er in dir mög eine Wohnung finden. Gott lässet
dir sechs Tage für den Leib, der siebente der Seele eigen bleib'; sie muß ja wohl
von sieben einen haben, daß sie sich mög' mit Himmelsfpeife laben. Viel Sün-
den geh'n auf einer Woche Lauf; am Sonntag blikk zu deinem Gott hinauf, such'
Christi Gnade, laß sein Wort dich lehren, wie du ihn in der Woche sollest ehren.
Sechs Tage dich Gott segnet, schützt und nährt, am Sonntag will er dankbar
sein geehrt; der erste Tag soll für die andern bitten, daß Gelt sie woll' mit
Segen überschütten. Gott wöchentlich giebt sieben Tage dir; gieb einen du,
den ersten ihm dafür. Der erste wird die andern sechse ziere», wenn du von
Christo lässest dich regieren. Am ersten du nach Gottes Reiche tracht', obschon
11
die Welt die Andacht oft verlacht. Der Schad' ist ihr, dir aber wirds gedeihe»,
Gott wird dich segnen, schirmen und erfreuen. An diesem Tag' hab' deine Lust
am Herrn, des Herzens Wunsch wird er dir geben gern; befiehl Gott heute deine
Weg' und Sachen, und hoff' auf ihn, gewiß, er wird'S wohl machen. Wirst du
ihm aber rauben seinen Tag, so machst du dir die Woche voller Plag! Wer Gott
verehrt, den ehrt er auch auf Erden; wer ihn vcracht't, soll auch verachtet werden.
32.
DaS ist der Tag des Herrn! Ich bin allein auf weiter Flur, noch eine
Morgenglokkt nur, nun stille nah' und fern!
Anbetend knie' ich hier. O süßes Grau'n! Geheimes Weh'n! Als knie'ten
Biele ungeseh'n und beteten mit mir.
Der Himmel nah' und fern, er ist so klar und feierlich, so ganz, als wollt'
er offnen sich. Das ist der Tag des Herrn! —
33.
„Gelobt fei, der da kommt i» dem Naimn de» Herrn!
„Hosianna in der Höhe! (Mtth. 21. v.)
„Herr, ich warte auf dein Heil! (l. Mos. 49, 18.)
Dein König kommt zu dir, eröffne ihm die Thür: Laß ihn nicht draußei»
stehen. — Dein Herze soll es sein, wo er will kehren ein, und nicht mehr von
dir gehen.
Kon»»', JesuS, komm', ach komm! Komm' mache mich so ftonun, wie ich
dir kann gefallen; und bleibe stets in mir, bis ich ganz werd' in dir dort in den
Himmel wallen.
34.
Jesus, komm doch selbst zu mir, und verbleibe für und für; komnl doch,
lieber Seelenfreund, Liebster, den mein Herze meint.
Keine Lust ist auf der Welt, die mein Herz zufrieden stellt; deine Liebe ist
allein meines Herzens Sonnenschein.
Nimm auch Alles von mir hin, ich veränd're nicht den Sinn; du, o Jesus,
mußt allein ewig meine Freude sein.
33.
Der König kommt, der Herr der Ehren ist nahe, seine Stimme schallt; ihr
Menschen, lasset euch bekehren, weil Gottes Herz in Liebe wallt! Denn aus un-
endlichem E>barmen versöhnet er mit sich die Welt, und sendet seinen Sohn uns
Annen, der sich zum Heil uns eingestellt. Das Himnielreich ist auf den Straßen
und Jesus stehet vor der Thür; der sich so tief herabgelassen, der kommet noch
zu mir und dir. Er kommt und sucht in unsern Seelen ein WohikhauS, einen
Ruheplatz; er will sich selbst mit nnS vermählen: Wefch' unermeßlich theurer
Schatz! Der König koinmt, der uns vom Bösen, das Sund' und Welt und Hölle
12
hegt, vollköminlich will und kann erlösen, der unser als ein Hirte pflegt. Er
kommt, uns ewiglich zu segne», er spricht: „Ich mache Alles neu!" — O lasset
uns ihm doch begegnen mit wahrer Buß' und Glaubenstreu'! Ja komm, mein
Jesus, komm und walte in meinem Herzen unumschränkt, daß mein Gehorsam
nicht erkalte; nimm du hinweg, waS dich noch krankt! Was dich betrübt, das
laß mich fliehen, ich folge dir durch Nacht und Tod, bis du mich wirst gen Him-
mel ziehen, und durch die Nacht zum Morgenroth.
- 36.
„Uni ist ei» Kind geboren, ein Sohn ist uni gegeben! <Ioh. s, s.)
„Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr! (?»c. 2. n.)
Freuet euch, ihr Menschenkinder, freut euch beide, groß und klein! freuet euch,
verlorne Sünder! Selig, selig sollt ihr sein! Der, dem sich die Himmel neigen,
dessen Wort die Welt gebar, stellt sich in der Weihnacht Schweigen niedrig als
ein Kindlrin dar. Alle Hiinmelsheere singen, und die Welt, sie hört es nicht,
sicht nicht durch das Dunkel dringen das verheißne Himmelslicht. In der tiefsten
Armuth Stille, wo die Welt Nichts sucht und sind't, wird erfüllt des Ew'gen
Wille, und die Lieb' erscheint als Kind. Euch ist dieses Kind geboren, euer
Heiland, Jesus Christ, ohne den die Welt verloren, und der Hölle Vorhof ist.
Höret cs, ihr Menschenkinder: Hier, hier ist Jmannel! Kommet her, verzagte
Sünder, glaubt und rettet eure Seel'! Jesus ist die Weihnachtsgabe, die uns
Gott vom Himmel beut; er ist Geber und ist Gabe! Wer ihn nimmt, wird
hoch erfreut. Darum greifet zu, ihr Kinder, nehmet ihn zur Weisheit an, der
allein gerecht die Sünder und sie heilig machen kann! —
37.
Frohe Zeit! Der Ehrist ist da! Ehristen singt Halleluja! Nehmt den König
jauchzend an, der euch selig machen kann.
Großer Liebe große Macht hat ihn in die Welt gebracht; o wie zärtlich ist
sein Trieb! Seele, hast du ihn auch lieb?
Sei willkommen, Trost der Welt, Schlangentreter, Sieger, Held, Sünden-
tilger, Friedcflirst, Gotteö Sohn, Herr, Jesu Christ! —
Darum sei geweiht die Nacht, die das Licht der Welt gebracht, mit der Engel
hcil'gcm Chor steig auch unser Dank empor. '
38.
Ich steh' an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme, bring'
und schenke dir, was du mir hast gegeben; ninuu hin, es ist mein Geist und
Sinn, Herz, Seel' und Leib, nimm Alles hin, und laß dirs Wohlgefallen. Da ich
noch nicht geboren war, da bist du mir geboren, und haft mich dir zu eigen gar,
eh' ich dich kannt' erkoren; eh' ich durch deine Hand gemacht, hat deine Liebe
schon bedacht, wie ich soll selig werden. Ich lag in dunkler TodeSnacht, du wur-
dest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud' und Wonne.
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O Sonne, die das werthe Licht des Glaubens in mir zngericht, wie schön sind
deine Strahlen! O, daß doch ein so lieber Stern soll in der Krippe liegen! Für
edle Kinder großer Herrn gehören goldne Wiegen. Ach! Heu und Stroh ist viel
zu schlecht; Sammt, Seide, Purpur wären recht, dies Kindlein drauf zu legen.
Doch du liebst nicht die Pracht der Welt, fragst nicht nach Leibes - Freuden; du
haft dich bei uns eingestellt, an uns'rer Statt zu leiden; suchst meiner Seele
Herrlichkeit durch dein selbst eig'neö Herzeleid, das will ich dir nicht wehren.
Eins aber, hoff' ich, wirst du mir, mein Heiland, nicht versagen, daß ich dich
möge für und für in, bei und an mir tragen; drum laß mich doch dein Kripp-
lein sein, komm, komm und kehre bei mir ein mit allen deinen Freuden. Zwar
sollt' ich denken, wie gering ich dich bewirthen werde, du bist der Schöpfer aller
Ding', ich bin nur Staub und Erde; doch bist du so ein frommer Gast, daß du
noch nie verschmähet hast den, der dich gerne stehet.
30.
„ Herr Gott, du bist unsre Zuflucht sur »nh, für! (Psl. SK). 2.)
„ Deine Jahre uehiuen kein linde! (Psl. 102, 28.)
„Unser Lebe» fähret schnell dahin, al» flöge» wir davon! (Psl. 90. Iv.)
Das alte Jahr ist nun dahin; erneu're Seele Herz lind Sinn, hilf flieh'»
die Sünde immerdar in diesem lieben neuen Jahr. Gieb Segen, neues Glükk
und Heil; hilf, daß wir alle haben Theil an dem, was uns, du höchstes Glit,
erworben hat dein theures Blut. Gedenke nicht der Missethat, damit wir, Jesll,
früh' und spat so oft gehandelt wider dich; vergicb und gieb uns gnädiglich!
Vergicb uns alle Sünd' und Schuld; gieb in der größten Noth Geduld; dein
guter Geist uns wohne bei, daß Hülff und Trost stets bei lins sei. Gleich wie
daö goldns^onnenlicht die Winterwolken neu durchbricht, so gieße deiner Gnade
Scheiil auch unö ein neues Leben ein! Laß deine Hülfe allezeit uns nah sein,
und mach' uns bereit, daß wir einmal auS dieser Zeit hingeh'n zur schönen
Ewigkeit.
40.
Ein ganzes Jahr ist nun vergangen, ein neues ist schon angefangen in
deinem Namen, Jesliö Christ! Der ewig war, und ewig ist.
An dieses Tageö Morgenstunde erheb' ich dich mit Herz und Munde; wie
gut, wie gnädig bist du doch! Ich bin, o Gott, und lebe noch!
Ich lebe heute, wie Von Neuem; ich will mich meines Gottes freu'n, und
alle Menschen lad' ich ein: Wir wollen unser'S Gottes sein!
Ihm, der das Dasein uns gegeben, nur ihm gehöret unser Leben: Sein ist
die Kraft, und sein die Zeit; nur ihm sei unser Thun geweiht! —
Auf dich soll stets mein Auge schauen, auf dich nur, Herr, mein Herz ver-
trauen! Bist du mein Freund, o Jesus Christ, so hab' ich, was mir nöthig ist.
Die Sonne gehet auf und nieder, ein Jahr vergeht, ein Jahr kommt wie-
der; nur du, der'Aller Vater ist, nur du bleibst ewig, wie du bist.
14
41.
Das alte Jahr ist nun entfloh«, wir leben in dem neuen schon. Dank ihm,
o Volk, der gnädig ist, daß du noch hier versammelt bist.
Wie mancher, der im alten Jahr noch frisch und munter um unS war, sank,
ehe wir es meinten, hin! Des Grabes Erde decket ihn.
O Schauplatz der Vergänglichkeit! O welche schnelle Flucht der Zeit! Doch
flieht die Zeit: so tröst ich mich, mein Gram, mein Elend endet sich.
Auch komm' ich durch die Flucht der Zeit dir näher, Himmel-seligkeit! Gott
Lob! der Menschen Ungemach folgt mir nicht in den Himmel nach.
Im Staube beug' ich mich vor dir; du hast dies Jahr, o Höchster, mir mit
liebevoller Vaterhand mehr, als ich werth bin, zugewandt.
Sieh' ferner, Herr, mit Freundes Blick auf mein und meines Nächsten
Glükk; du halfst bisher in aller Noth, und gabst uns unser täglich Brot.
Behüt' unS auch im neuen Jahr vor Theurung und vor Kriegsgefahr; uns
treffe keiner Seuche Wuth, kein fresscud Feuer, keine Fluth.
Entferne jeden Nnglükksfall; gieb Heil und Wohlfahrt überall; und bricht
rin Kreuz von dir herein: So laß es uns recht nützlich sein!
Ja, fegn' unS, Herr, in dieser Zeit, und führ uns dann zur Herrlichkeit!
Da sagen wir dir ew'gcn Dank, da preist dich unser Lobgesang.
42.
„Der Herr warf unser Aller Sunde auf ihn! (3cs. 63, o. 1
,, Siehe da« ist Gotte« Lamm, welche« der Welt Sünde trögt! (Ivh. I, 29.)
„Durch Jesu Wunden seid ihr heil geworden! (l Petr. 2, 2-1.)
„ Da« Blut Jesu Christi, de« Sohne« Gotte«, macht »in« rein von allen Sünden! hl Loh. l, 7.)
Wie glücklich hat die Stunden der bangen Leidensnacht mein Jesus über-
wunden ! Er ruft: Es ist vollbracht! In seines Vaters Hände befiehlt er seinen
Geist, und nun erfolgt sein Ende. Erlöser sei gepreis't! Zum Wohlgefallen
Gottes hast du dein Werk vollbracht, dein ist, trotz alles Spottes, das Reich,
dein ist die Macht. Du schaffest Gottes Frieden dem menschlichen Geschlecht, und
leitest cS hienieden mit Weisheit und mit Recht. Einst führest du die Deinen
in deines Vaters Reich, wirst herrlich dann erscheinen und machst sie Engeln
gleich. Dir, dem ich angehöre, der mich auch selig macht, Preis sei Dir, Dank
und Ehre, daß du dein Werk vollbracht.
43.
Unter Jesu Kreuze steh'« und in seine Wunde srh'n, ist ein Stand der Se-
ligkeit, dessen sich der Glaube freut. Nun heißt's bei dem Kreuzeöstamm: Siehe,
das ist Gottes Lamm! Und mein Glaube tröstet sich: Diese Wunden sind für
mich. Dies ist Gottes Sohnes Blut, und es fließt auch mir zu gut. Er bat:
Vater, ach vergieb! Und bat dies auch nur zu Lieb'. Hör' ich, wie der Schächer
sprach, o so sprech ich diesem nach: Herr, gedenke du zugleich meiner mit in
deinem Reich. Sch' ich, wie er überdies sich von Gott verlassen ließ: O, so
15
hofft mein Glaube fest, daß sein Gott mich nicht verlaßt. Hör ich, wie er rief:
Mich dürst't! rief ich auS: O LebenSfürft! Mir zun» Heil nahmst du den Trank.
Dank fei dir, ja ewig Dank. Hör ich ihn: ES ist vollbracht; nimmt mein
Glaube dies in Acht, die Versöhnung sei gcscheh'n, und ich darf zum Vater
geh'». Wie er letzt den Geist hingiebt seinem Vater, der ihn liebt, so ist mei-
nes Glaubens Bitt: Herr, nimm meinen Geist auch mit! Wenn ich sterbe, führ'
mich du unter deinem Kreuz zur Ruh'; laß vor deinem Thron mich stehn und
die Wunden herrlich sehn! —
44.
So ruhest du, o meine Ruh', in deiner Grabes Höhle, und erquikkst durch
deinen Tod meine arme Seele. Man senkt dich ein, nach vieler Pein, du meines
Lebens Leben! Dich hat jetzt ein Felsengrab, Fels des Heils, umgeben. Ach,
»vird auch bald mein Aufenthalt das stille Grab von Erde; ach, so grünt die
Hoffnung doch, daß ich leben tverde. Ja, Lebensfürst! Ich weiß, du »virst mich
»nieder auferwekken; sollte denn mein gläubig Her; vor der Gruft erschrckkcn?
Sie »vird mir sein ein Kämmerlein, da ich auf Rosen liege; »veil ich nun durch
deinen Tod — Tod und Grab besiege. Gar Nichts verdirbt, der Leib nur stirbt,
doch »vird er auferstehen und in ganz verklärter Zier aus dem Grabe gehen.
Indeß »vill ich, mein Jesus! dich in meine Seele senken, und an deinen bittern
Tod bis in den Tod gedenken.
43.
„ Was suchet Ihr den Lebendige» bei den Todten?
„Ter Herr ist wahrhaftig auferstände»! (Luc. 24, 5. 34.)
„Ter Tod ist verschlungen in de» Lieg!
„Tod, wo ist dein Stachel? Hölle wo ist dein Sieg? (I Kor. 10, 65.)
„ Ich lebe, und ihr sollt auch leben? (Joh. 14, ll>.)
Auferstanden, auferstanden ist der Herr, und in elv'gcn Lichtgelvanden der
Verklärung »vandelt er. Hocherhaben, über Sternen glänzt sein Thron, freund-
lich spendet er uns Gaben, ist der Seinen Schild und Lohn. Keiner bebe! Der
Erhoh'te ruft uns zu: Ich »var todt, und sieh', ich lebe; leben, leben sollst auch
du. O ihr Gräber, nein, vor euch erzittr' ich nicht; denn des elv'gcn Lebens
Geber ruft in euer Dunkel Licht. Auferstehen, auferstehen iverd auch ich, und
den Auferstand'nen sehen, denn er kommt, und »vekket mich.
46.
Ich sag' eö Jedem, daß er lebt und auferstanden ist; daß er in unsrer
Mitte schtvebt und e»vig bei uns ist. Ich sag' es Jedem, Jeder sagt eS seinen
Freuriden gleich, daß bald an allen Orten tagt das neue Hinnuelreich.
Der dunk'le Weg, den er betrat, geht in den Himmel aus, und »ver nur
hört auf seinen Rath, kommt auch in'S Vaters HauS. Nun »vein' auch Keiner
»nehr allhie, »venn Eins die Augen schließt; vom Wiederseh'n, spät oder früh,
wird dieser Schmerz versüßt.
16
Es kann zu jeder guten That ein Jeder frischer glüh'n; Denn herrlich wird
ihm diese Saat in schönern Fluren blüh'n. Er lebt und wird nun bei unö
sein, wenn Alles UNS verläßt! Und so soll dieser Tag uns sein ein rechtes
Freudenfest.
47.
Jesus lebt! Mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrekken?
Jesus lebt und wird auch mich von den Todten auferwekken. Er verklärt mich
in sein Licht; dies ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Ihm ist das Reich über alle Welt gegeben; mit ihm werd'
auch ich zugleich ewig herrschen, ewig leben. Gott erfüllt, was er verspricht,
dies ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Wer nun verzagt, raubt dem Mittler seine Ehre; Gnade hat
er zugesagt, daß der Sünder sich bekehre. Gott verstoßt in Christo nicht; dies ist
meine Zuversicht.
Jesus lebt! Sein Heil ist mein, sein sei auch mein ganzes Leben: reines
Herzens will ich sein, und den Lüsten widerstreben. Er verläßt die Seinen
nicht; dieö ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Ich bin's gewiß: Nichts soll mich von Jesu scheiden, keine
Macht der Finsterniß, keine Herrlichkeit, kein Leiden. Er giebt Kraft zu dieser
Pflicht; dies ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben. Welchen
Trost in Todesnvth wird er meiner Seele geben, wenn sie gläubig zu ihm
spricht: Herr, Herr, meine Zuversicht!
48.
„Ich fahre auf zu »reinem Vater und zu eurem Vater — zu meinem Gott und zu eurem
Gott! (Ioh. 20, 17.)
„Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten! (Ioh. 14, 2.)
Auf, Christen, auf, und freuet euch! Der Herr fährt auf zu seinem Reich!
Er triumphirt! Lobsinget ihm! Lobsinget ihm mit lauter Stimm: Gelobt sei
Gott! -
Sein Werk auf Erden ist vollbracht, zerstört hat er des Todes Macht. Er
hat die Welt mit Gott versöhnt, und Gott hat ihn mit Preis gekrönt. Gelobt
sei Gott!
Weit, über alle Himmel weit, geht seine Macht und Herrlichkeit. Ihn, der
so tief erniedrigt war, preij't nun der Engel große Schaar. Gelobt sei Gott!
Wir freuen uns nach dieser Zeit, bei dir zu sein in Ewigkeit. Nach treu
vollbrachtem Pilgerlauf, nimmst du unS in den Himmel auf. Gelobt seist du!
O zeuch unS immer mehr zu dir! Hilf unS mit eifrigster Begier nur
suchen daS, was droben ist, wo du, verklärter Heiland bist. Erlöser und Hirte!
Dein Hingang in die Herrlichkeit stärk' uns in unsrer Prüfungszeit; nur
dir zu leben, dir zu traun, bis wir verklärt drin Antlitz schaun. Hilf unö dahin!
17
Dann werde» wir uns ewig dein, du großer Menschenfreund, erfreun; dann
singen wir von deinem Ruhm ein neues Lied im Heiligthum. Gelobt seist du!
49.
Du fährst, mein Jesus, wolkenan und dringst durch alle Himmel, damit ich
dir nachfolgen kann ans diesem Weltgctümmel. Du bist, mein Jesu, auS dem
Leid gegangen in die höchste Freud', daß stete Freud' mich labe.
Wo Jesus ist, da komm' ich hin, bei Jesu will ich bleiben; drum steht zu
Jesu stets mein Sinn; Nichts soll mich von ihm treiben. Ob ich schon dulie
manche Noth, so werd' ich doch nach meinem Tod bei Jesu recht erquikket.
Was droben ist, laß künftighin mich unablässig suchen; was eitel heißt, das
lehr' mich flieh'n, was siindlich ist, verfluchen. Weg Welt! Dein Schatz und
Freudenschein ist viel zu elend, zu gemein für himmlische Gemüther.
O Kleinod, das im Himmel strahlt! Nach dir nur will ich laufen. O Perle,
die kein Weltkreis zahlt! Dich will ich hier noch kaufen. O, Erbtheil voll Zu-
friedenheit, o Himmel voller Seligkeit, sei mein aus Jesu Gnaden!
50.
Dir sei der Tag geweiht, der du den bittern Tod bezwangst und durch die
Nacht zum Lichte drangst, voll von Erhabenheit. Allmächt'ger Siegesheld! Der
uns das ew'ge Heil erkor, du schwangst verklärt dich hoch empor in deine best'rc
Welt. Dein Werk hast du vollbracht; du scheuchtest Nacht und Dunkelheit, und
giebst uns Trost und Freudigkeit durch deines Wortes Macht, llnd wer dies
nicht verläßt, der wird in Well' und Sturm besteh'» und nie verzweifelnd unter-
geh'n; er steht ja felsenfest. Drum sei du unser Licht, nach dem wir immer
aufwärts schau'» in frommen kindlichen Vertraun; denn du verläßt un- nicht.
Und endigt unser Lauf, so tröste dies nur unser Herz: Wir geh'», wie du, einst
himmelwärts zu dir, zu Gott hinauf.
51.
«Ich will meinen Geist an-gicßrn über alle« Fleisch! (Joel 3, 1.)
„ Der Geist Hilst unserer Schwachheit ans! (Röm. 8, 26.)
„Derscll'igc Geist giebt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gotte- Kinder sind. (Nöni. 8, IC.)
Herr, gieb mir deinen heil'gcn Geist, den dein geliebter Sohn, der treue
Zeuge, mir verheißt, vom hohen Himmelsthron. Laß mein Herz deinen Tempel
sein, den dieser Geist dir weiht; so werd' ich von der Sünde rein und von dem
Fluch befreit.
Du weißt gar wohl, waö mir gebricht; ach, schenke mir durch ihn dein
göttliches Erkenntnißlicht, das Böse gern zu flieh'n! Die Weisheit, die von oben
ist, die-flöße er mir ein, dir, höchstes Gut, in Jesu Christ recht Unterthan zu sein!
Er schaff' in mir ein reines Herz, verstcg'le deine Huld; so trag' ich Elend,
Kreuz und Schmerz mit freudiger Geduld. Dein Geist der Wahrheit leite mich
zu aller Wahrheit an; dein Geist dcö Trost'S beweise sich, wie er erquikken kann!
2
18
Fall' in mein Herz, du göttlich Licht! Du himmlisch, Feuer komm! Du
ew'ge Liebe, laß mich nicht, und mach mich redlich fromm! Mach mich zu GotteS
Heiligthum, wo man die Opfer bringt, und wo dein Name, Werk und Ruhm in
frohen Liedern klingt.
52.
Geist von oben, lenke du unsers Fußes Tritte! Führe uns der Heimath
zu, wohn' in uns'rer Mitte. Knüpfe du ein festes Band um die Bruderherzen,
daß wir gehen Hand in Hand, schmückend unsre Kerzen.
Geist von oben, du allein machest helle Augen, daß, vom Selbstbetruge rein,
sie zum sehen taugen; zündest an der Wahrheit Licht, mir mein Bild zu zeigen;
du nur kannst zur reinsten Pflicht Herz und Sinne neigen.
Geist von oben, heil'ge du alle meine Triebe! Waö ich denke, red'und thu', —
füll' das Herz mit Liebe! Treib' hinaus den falschen Schein, Eigensinn und
Tükke; wasche mich vom Stolze rein, so im Schmerz, als Glükke.
Geist von oben, starke mich, daß mein Fuß nicht gleite! Denn ein strau-
chelnd Kind bin ich, gestern, ach, wie heute! Rüste niich mit Heldenmuth, daß
der Feind nicht siege, ich vor seiner List und Wuth nie im Kampf erliege.
Geist von oben, spende Licht in der Nacht der Leide», — Schatte», wenn
die Sonne sticht, — Trost, wenn Freunde scheiden! Sei du stets mein Born,
mein Lied, das die Brust erweitert, — das, wenn Gottes Hüls' verzieht, meinen
Lauf erheitert.
Geist von oben, wenn die Welt mich allein wird lasse», Nichts mein brechend
Aug' erhellt, Wang' und Mund erblassen: Laß mich dann die Himmelöpfort'
schon von ferne schauen; bis ich werde wohnen dort auf den Friedensauen.
53.
Erbebe zum Himmel, du feiernde Menge, erhebe den Geist und den jubeln-
den Ton; Den Vater verehren der Kinder Gesänge, der Dank der Grlöseten
preiset den Sohn. Den Geist der Verheißung, den heiligen Preis't! Er sichert
die Kindschaft dem menschlichen Geist. Froh feiernd singt deine Gemeinde dir
zu: Heilig, heilig, heilig bist du!
Aus kindlichem Herzen und frommem Gemüthe steigt, ewiger Vater, dein
Loblied empor. Wir Alle lobpreisen die heilige Güte, die Macht und die Weis-
heit im christlichen Chor. Du Wesen der Wesen! Du riefst uns ins Sein, uns
deiner, denn du bist die Liebe, zu freu'n. Dir jauchzt voll Entzükken die Kiuder-
schaar zu: Heilig, heilig, heilig bist du!
Du Geist der Erkenntniß, der Wahrheit, der Liebe, du bist von der göttlichen
Kindschaft daö Pfand; du reinigst die Herzen und heiligst die Triebe, und führest
zum Himmel mit freundlicher Hand; belebst und erfreuest das glaubende Herz,
bist Trost uns im Leiden und Balsam im Schmerz. Dir singen es deine Gehei-
ligten zu: Heilig, heilig, heilig bist du! —
19
.-.E ,w«y • 84.
„ Sc»g sind die Todte», die itt dem Herrn sterben! (Offb. 14, 13.)
„Lehre uns bedenken, dnst wir sterben müssen, auf daß wir klug werde»! (Psl. 90, 12.)
Es naht der Tod mit sich'rem Schritte und spricht das trübe Scheidewort',
er führt aus unsrer Freunde Mitte, ach, Einen nach dem Andern fort! Wir
leiten sie zur Ruhestätte; der Schoos; der Erde wird ihr Bette für tiefen Schlaf
in langer Nacht! Es muß das Saatkorn hier vergehen, um herrlicher dort auf-
zustehen, wo eö zum neuen Sein erwacht.
Herr, die um ihre Todten weinen, o tröste sie durch deinen Geist! Gott,
Vater! Du verlässest Keinen, der dich auch unter Thränen preist! Es kann kein
Schmerz, Verlust, noch Leiden uns je von deiner Liebe scheiden; du führst dürch'S
Kreuz uns himmelan. Wenn wir inö Grab die Liebsten legen, kommt uns der
Glaubenstrost entgegen: „Was Gott thut, das ist wohlgethan!" —
Zwar ist dein Rath uns hier verborgen und unergründlich dein Gericht;
doch jenseits tagt ein heller Morgen, und ew'ger Wahrheit reines Licht. Führst
du uns hier auf dunklem Pfade, so leuchtet unS doch deine Gnade und führt
zum Ziele unfern Lauf. Du schlägst und heilst die tiefsten Wunden; mein Herr
und Gott, wer dich gefunden, dem geht im Tod daS Leben auf.
Wir senkten daS Gefäß der Leiden, den müden Leib in feine Gruft; wir
murrten nicht beim schweren Scheiden; wir beben nicht vor GrabeSluft. Hier,
wo jetzt heiße Thräne» fließen, wird neues Leben einst entsprießen, wen» Christi
großer Tag erscheint. Bald haben wir auch überwunden! Von allem Leid und
Schmerz entbunden, sind wir auf ewig dann vereint.
88.
Wer weiß, wie nah der Tod mir ist! Vielleicht, eh' dieses Jahr verfließt
bin ich verwelkt, wie dürres Laub, des Todes Raub, und meine Glieder werden
Staub.
Wie manches Kind, so rosenroth, so frisch alö ich, sank in den Tod; ich
sahe seine Wangen glüh'», ich sah' es bliih'n, doch schnell anch seinen Reiz'entflieh'NL
So droht auch meiner Lebenszeit beständig die Vergänglichkeit; ein klein
Versehen, — und der Scherz verläßt mein Herz, und mich ergreift des Todes
Schmerz.
Bei dieser meiner Sterblichkeit will ich die mir geschenkte Zeit zum Guten
nützen; sündenrein mich stets erfreu'», so darf ich einst den Tod nicht scheu'«.
30.
Waö ist der Tod? Der letzte Feind, der uns bedroht. Er kämpfet, fällt und
liegt im Staube, und über ihm frohlokkt der Glaube.
Was ist der Tod? Das Ende aller Angst und Noth, Entlassung ans dem
Joch der Erde, auf daß der Knecht ein Bürger werde.
2 *
Was ist der Tod? Die Dammrung vor dem Morgenroth; die Dämmrung
muß dem Lichte weichen, daS Morgenroth die Nacht verscheuchen. >
WaS ist der Tod? Erlösung von dem Zwanggebot deS Fleisches und der
Sündentriebe, ein Heimgang in das Reich der Liebe.
Was ist der Tod? Ein Engel, den der Herr entbot, daß Tod zu Leben,
Schmach zu Ehre, zum Schau'n der Glaube sich verkläre.
Zweiter Abschnitt.
' 37.
Der Dorfkirchhof.
„Der Ort. da du aufstehest, ist ein heilig Land! (2. Mos. 3, 6.)
„Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist die Pforte deS Himmels! (1. Mos. 28, 17.)
Friedlich Dorf! Nach alter Sitte
Hast du noch dein Kirchlein stehn
In deS stillen Dorfes Mitte,
Wo zur Ruh die Todten gehn.
Sonntags wallet die Gemeine
Beim Geläute da heraus;
Zwischen Kreuz' und Leichensteine
Zieht die Schaar ins Gotteshaus.
Wird sie nicht, um Gräber lenkend,
Schon zu tieferm Ernst gesti,umt,
Daß die Seel', ihr End' bedenkend,
Besser Gottes Wort vernimmt?
Will sein Kind zur Taufe tragen
Hier ein Vater Wohlgemuth,
Sieht er nicht den Hügel ragen,
Wo so manches Kindlcin ruht?
Flüstert nicht ein Hauch des Windes
Aus der kleinen Gruft herauf:
Pflege doch des zarten Kindes,
Zieh' eö früh zum Himmel auf!..?
Wann bei'«, hellen Festgeläute
Naht die munt're Hochzeitschaar,
Wandeln die geschmükkten Bräute
Zwischen Grüften zum Altar.
Vor der Jungfrau mit der Krone
Bebt am Kreuz der Flitterkranz,
Mahnt zum Ernst mit leisem Tone
Mitten durch Musik und Tanz.
Aber wankt in tiefe» Schmerzen
Eine Schaar zum Grabesrand,
Dann für die gebroch'nen Herzen
Ist der Trost auch nah zur Hand.
Gleichwie sanfter ja die Kinder
Weinen in der Mutter Schovß,
So vor Gotteö Haus gelinder
Ringen sich die Thränen loS.
Sanfter selbst die Todten ruhen
In der Kirche Hut und Acht,
Gleichwie Kinder in den Truhen,
Wo die treue Mutter wacht. —
Dörflcin! deine Kirch' umkränzet
Grün des Friedhof's ernst Geheg',
Und der Todtenakker grenzet
Hart an deinen Lebensweg.
Wenn in deine Fest' und Freuden
Oft ein Sterbgedanke bricht,
So verklärt sich auch dein Leiden
In des ew'gen Glaubens Licht.
21
Das Gebet deS Herrn.
..Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern- wie die Heiden'. (Mlth. K, 7.)
Vater unser beten wir,
Der du in dem Himmel wohnest,
Und die Deinen, wenn fie dir
Treulich folgen, gütig lohnest;
Deines Namens Herrlichkeit
Sei geheiligt allezeit!
Zu uns konime, Herr, dein Reich,
Daß dein Himmel fei auf Erden;
Daß wir, deinem Sohne gleich,
Deinem Willen folgsam werden;
Folgsam, wie der höh're Geist.
Der dich rein und heilig preist!
Gieb unS, Herr, nach deiner Huld,
Was uns nöthig ist zum Leben!
Innig reut uns unsre Schuld;
Doch du wirst sie uns vergeben,
Wenn dem Nächsten wir verzeih',,
Und der Frömmigkeit uns weih'».
In Versuchung führ' unS nicht,
Laß unS niemals unterliegen!
Gieb die Kraft, die uns gebricht.
Böse Lüste zu besiegen:
Vater, steh' unS gnädig bei,
Mach uns aller Sünden frei.
Ach, des Uebels, Gott, ist viel,
Daö uns hier auf Erden drükket;
Doch du ftekkft der Noth ein Ziel,
Schikkst den Tod, der uns entrükket
Aus dem Elend dieser Zeit
In das Reich der Herrlichkeit.
Wer mit fester Zuversicht
GlaubcuSvoll in Jesu Namen
Diese sieben Bitte» spricht,
Kann mit Freuden sagen: Amen!
Amen, ja es wird gefcheh'n,
Waö wir so von Gott ersteh',,! —
39.
Gottvertrauen.
„Aus Swtt hoffe ich, und fürchte mich nichti war können mir Menschen ihn»?! (Pst. VS. 12.)
Mein Vater, der im Himmel wohnt,
Als König aller Welten thront,
Der ist mir „ah bei Tag und Nacht,
Und giebt auf meine Schritte Acht.
Er nährt den Sperling auf dem Dach,
Und macht zur Früh' die Vogel wach;
Er fchmükkt mitBlumen Wald und Flur
Und pflegt die Zierde der Natur.
Von meinen, Haupte fällt kein Haar:
Mein Vater sieht es immerdar;
Und wo ich auch verborgen wär',
In Herz und Nieren schauet er.
Geschrieben stand in seiner Hand
Mein Name, eh' ich ihn gekannt;
An seinem Arm geh' ich einher,
Und er ist Gott! Waö will ich mehr?
O Vater mein, wie gut bist du!
Gieb, daß ich niemals BöfeS thu'!
Mach' mich den lieben Engeln gleich
In deinem großen Himmelreich! —
22
(JO.
Der beste Freund.
„Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er
Der beste Freund ist in dem Himmel,
Auf Erden sind nicht Freunde viel;
Denn bei dem falschen Weltgetüinmcl
Steht Redlichkeit oft auf dem Spiel.
Drum hab' ich'S immer so gemeint:
Mein JcsuS ist der beste Freund.
Die Welt ist gleich demNohrim Winde;
Mein Jesus stehet felsenfest;
Wenn ich mich ganz verlassen finde,
Mich seine Freundschaft doch nicht läßt.
In Freud'und Schmerz er'ö redlich meint:
Mein Jesus Ist der beste Freund.
Die Welt verkaufet ihre Liebe
Dem, der am Meisten nützen kann,
Und scheinet das dann trübe,
So steht die Freundschaft hintenan;
Doch hier ist cs nicht so gemeint:
Mein JesuS ist der beste Freund.
sein Lel'kn lässet für seine Freunde! (Zeh. 18. 13.)
Er läsit sich selber für mich todten,
Vergießt für mich sei» eignes Blut;
Er steht mir bei in allen Nöthe»,
Er sagt für meine Schulden gut.
Er hat mir niemals waö verneint:
Mein Jesus ist der beste Freund.
Mein Freund, der mir sein Herze giebct;
Mein Freund, der mein ist und ich sein;
Mein Freund, der mich beständig liebet,
Mein Freund bis in das Grab hinein.
Ach, hab' ichs nun nicht recht gemeint?
Mein Jesus ist der beste Freund.
Behalte, Welt, dir deine Freunde!
Sie sind doch gar zu wandelbar.
Und hätt' ich hunderttausend Feinde,
So krümmen sie mir nicht ein Haar.
Hier immer Freund, und nimmer Feind:
Mein Jesus ist der beste Freund.
01.
Des Christen Vaterland.
Wo ist des Christen Vaterland? Da, wo das Herz hindurch ge-
drungen, wo Sünde, Leid und Tod bezwungen, wo wahre Freiheit wird errun-
gen, am Ziel von diesem Prüfungsstand: — Da ist sei» Vaterland!
Wann kommt dies schöne Va t e r l a n d? Wann einst des Lebens
Stützen sinken, zum Eintritt Gotte- Voten winken, wenn wir de» Kelch des
Scheidens trinken, der Tod uns reicht die kalte Hand: — Dann kommt dies
Vaterland!
Wer kommt in dieses Vaterland? Wer ist in'ö Buch des Herrn
geschrieben? Wer gern für Gott sein Werk getrieben, wer fest im Glauben ist
geblieben, wer seine Prüfung wohl bestand: — Der kommt in'ö Vaterland! —
62.
Müssen, Können, Wollen,
Dürfen, Mögen, Sollen.
Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag:
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.
Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben,
Das Ziel, nach welchem ich bi» von mir selbst getrieben.
Ich muß, das ist die Schrank', in welcher mich die Welt
Von einer, die Natur von and'rer Seite hält.
23
Ich kann, das ist das Maß der mir verlieh'nen Kraft,
Der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.
Ich will, die höchste Krön' ist dieses, die mich fchmükkt,
Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrükkt.
Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel,
Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel.
Ich mag, das endlich ist, was zwischen Allen schwimmt,
Ein Unbestimmtes, das der Augenblikk bestimmt.
Rur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.
6;;.
Zwei Lehren.
Zwei Lehren, liebe Seele! Hab wohl Acht!
Heil dem, der sie gelernt und recht bedacht!
Die eine sei dir eine Führerin,
Derweil du wall'st durch'- Erdenleben hin;
Die and're aber sei für Aug' und Herz
Ein Leitstern auf der Wallfahrt himmelwärts.
Es sorgt die Welt, wo Sorge» unnütz ist;
Dieweil sie deß, der für sie sorgt, vergißt.
Kleinmüthig sorget sic für Speis' und Kleid,
Und müh't sich ab in Angst und Herzeleid.
Du sorge nicht, wo schon ein Größ'rer sorgt,
Der dir umsonst all' deine Nothdurft borgt.
Wer sorgt, gewinnt Nichts und verliert dazu.
Drum, wo die Welt sorgt, da vertraue du!
Die Welt vertraut, wo das Vertrau'» nicht frommt,
Weil zu viel Sicherheit zum Falle kommt.
Bethört vertrauet sie auf leeren Schein,
Auf eig'nc Tugend, eig'ne Kraft allein.
Doch du vertrau' nicht, wo nur Demuth ziemt.
Der ist nicht tüchtig, der sich selber rühmt.
Sorglose Ruhe ftör't die ew'ge Ruh!
D'rum, wo die Welt vertrau't, da sorge du!
Die beiden Lehren präg' in's Herz dir ein;
Sie sind mehr werth, als Gold und Edelstein.
Wegweiser sind sie auf der Lebensbahn,
Leitsterne, die dich führe» himmelan.
D'rum, wo die Welt sorgt, da vertraue du,
Und wo die Welt vertraut, da sorge du!
24
64.
Gottes Treu'.
Es steht im Meer ein Felsen; die Wellen kreisen herum:
Die Wellen brausen am Felsen; doch fällt der Fels nicht um.
(Sin Th li r in ragt über'm Berge, und schaut in'S Thal hinab;
Die Winde rasen am Berge; doch fällt kein Stein herab,
zeucht einher ein Wetter, und rasselt am starken Baum:
Zur Erde sinken wohl Blätter; doch eisern fest steht der Baum.
Des Höchsten ew'ge Treue steht fester, denn Fels und Thurm,
Und grünet und blühet auf's Nene und trotzt dem rasenden Sturm.
65.
JesnS mein steter Gedanke.
Jesus schwebt mir in Gedanken, JesuS liegt mir stets im Sinn; von ihm
will ich nimmer wanken, weil ich hier im Leben bin. Er ist meiner Augen
Weide, meines Herzens höchste Freude, meiner Seelen schönste Zier Jesum lieb1
ich für und für.
Jesuü funkelt mir im Herzen, wie ein güld'ncS Sternelein; er vertreibt
mir Angst und Schmerzen; er ist mein und ich bin sein. Drum ergreif ich ihn
mit Freuden, wenn ich soll von hinnen scheiden; er ist meines Lebens Licht;
Jesum laß ich von mir nicht.
Jesu habe ich geschworen, da ich von der Sünde rein und von Neuem
ward geboren in der heil'gen Taufe mein. Ihm will ich'ö auch treulich halten,
ihn in Allem lassen walten, es sei Leben oder Tod; JesuS hilft aus aller Noth.
Jesum will ich bei mir haben, wenn ich geh' ans oder ein; seines Geistes
Trost und Gaben ruhn in meines Herzens Schrein; ja, wenn ich zu Bette
gehe, oder wieder auferstehe, bleibt doch Jesus früh uiid spat meiner Seele Schutz
und Rath.
JesuS, meiner Jugend Leiter, führt zur Freude meinen Sinn, bleibt auch
tröstend mein Begleiter, wenn ich alt und kraftlos bin. Krümmen einst sich
meine Glieder, geht die Lebenssonnc nieder, und verdunkelt mein Gesicht: Meinen
Jesum laß ich nicht.
Jesu leben, Jesu sterben, Jesu einzig eigen sein, und mit ihm den Himmel
erben, dies ist mein Gewinn allein. Jesu will ich sein und bleiben, Nichts,
Nichts soll mich von ihm treiben: Laß ich gleich Gut, Blut und Ehr', Jesum
dennoch nimmermehr.
Dritter Abschnitt.
66. Der arme Schiffer.
Ein armer Schiffer stak in Schulden imb klagte dem Philet
sein Leid. Herr, sprach er, leiht mir hundert Gulden; allein zu
25
eurer Sicherheit hab' ich kein ander Pfand, als meine Redlichkeit.
Indessen leiht mir ans Erbarmen die hundert Gulden auf ein Jahr.
Philet, ein Netter in Gefahr, ein Vater vieler hundert Armen,
zählt ihm das Geld mit Freuden dar. Hier, spricht er, nimm eS
hin, und brauch' eS ohne Sorgen; ich freue mich, daß ich dir
dienen kann. Du bist ein ordentlicher Mann; dem muß man ohne
Handschrift borgen.
Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht; kein Schiffer läßt
sich wiedersehen. Wie? — Sollt' er auch Phileten hintergehen und
ein Betrüger sein? Vielleicht. — Doch nein! Hier kommt der
Schiffer gleich. Herr, fängt er an, erfreuet euch! Ich bin ans
allen meinen Schulden; und seht, hier sind zweihundert Gulden,
die ich durch euer Geld gewann. Ich bitt' euch herzlich, nehmt sie
an; ihr seid ein gar zu wakk'rer Mann.
O, spricht Philet, ich kann mich nicht besinnen, daß ich dir
jemals Geld gelieh'n. Hier ist mein Rechnnngöbnch, ich will'S zu
Rathe zieh'n; allein ich weiß es schon, du stehest nicht darinnen.
Der Schiffer sieht ihn an, und schweigt betroffen still, und kränkt
sich, daß Philet das Geld nicht nehmen will. Er läuft und kommt
mit voller Hand znrükk. Hier, spricht er, ist der Rest von meinem
ganzen Glükk. Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin, und laßt
mir nur daö Lob, daß ich erkenntlich bin.' Ich bin vergnügt, ich
habe keine Schlllden; dies Glükk verdank' ich euch allein; unb wollt
ihr ja recht gütig sein, so leiht mir wieder fünfzig Gulden.
Hier, spricht Philet, hier ist dein Geld! Behalte deinen ganzen
Segen; ein Mann, der Tret! und Glauben hält, verdient ihn seiner
Treue wegen. Sei du mein Freund! Das Geld ist Dein; cs sind
nicht mehr als hundert Gulden mein; die sollen Deinen Kindern
lein.
•*
Mensch, mache dich verdient um And’rcr Wohlergehen;
lenn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist, und mit
Vergnügen eilst, dem Nächsten beizustehen, der, wenn er
Jrossmuth sicht, großmüthig dankbar ist.
26
07. A M y l» t.
Amynt, der sich in großer Noth befand, und, wertn er rricht
die Hütte nreiden wollte, die hart verpfändet war, zehn Thaler
schaffen sollte, bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand,
doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschließen rmd ihm
zehn Thaler vorzuschießen.
Der Reiche ging deö Armen Bitte ein. Und gleich aufS erste
Wort? Ach nein! Er ließ ihm Zeit, erst Thränen zu vergießen;
er ließ ihn lange trostlos steh'n, und oft um Gottes Witten fleh'n,
und zweimal nach der Thüre geh'n. Er warf ihm erst rrach man-
chem harten Fluche die Armuth vor, uird schlug hierauf ihm in dem
dicken Rechnungsbuche die Menge böser Schuldner auf, und fuhr ihn
(denn dafür war er ein reicher Mann) bei jeder Post gebietrisch
schnaubend an. Dann sing er an, sich zu entschließen, dem redlicher:
Amynt, der ihm die Handschrift gab, auf sechs Procent zehn Thaler
vorzuschießen, und dies Procent zog er gleich ab.
Indem daß noch der Reiche zahlte, so trat seni Handwerksmann
herein, und bat, weil'S ihm an Gelde fehlte, er sollte doch so gütig
sein und ihm den kleinen Rest bezahlen. Ihr kriegt jetzt NichlS! fuhr
ihrr der Schrrldherr an. Allein der arme Handwerksmann bat ihn zu
wiederholten Malen, ihm die paar Thaler auszuzahlen. Der Reiche,
dem der Mann zu lange stehen blieb, fuhr endlich auf: Geht fort,
ihr Schelm, ihr Dieb! — „Ein Schelm? DaS wäre mir nicht
lieb! Ich werde geh'n und Sie verklagen. Amynt dort hat'S
gehört." — Und eilends ging der Mann.
Amynt, fing drauf der Wuchrer an, wenn sie euch vor Ge-
richte fragen, so könnt ihr ja mir zu Gefallen sagen, ihr hättet
Nichts gehört; ich will auch dankbar sein/ und euch statt zehn, gleich
zwanzig Thaler leih'n. Denn diesen Schimpf, den er von mir
erlitten, ihm auf dem RathhauS abzubitten^ dies würde mir ein
ew'ger Vorwurf sein. Kurz, wollet ihr mich nicht als Zeuge
kränken, so Willrich euch die zwanzig Thaler schenken; so kommt
ihr gleich auS aller eurer Noth.
Herr, sprach Amynt, ich habe seit zween Tage»: für meine
Kinder nicht satt.Brot; sic werden über Hunger klagen, sobald sie
mich nur wieder seh'n; es wird mir an die Seele geh'n; die
.... . _____......
27
Schuldner werden mich mtS meiner Hütte jagen; allein ich will'S
mit Gott ertragen. Streicht euer Geld, das ihr mir bietet, ein,
und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein.
1>8. Der Bauer und sein Sohn.
„Lügcn ist dem Menschen ein schändlich Ding und er kann
nimmermehr zu Ehre» kommen!" (Sir. 20, 28.)
Ein guter dummer Banerknabe, den Junker Haus einst mit
auf Reisen nahm, und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten
Gabe, recht dreist zu lügen, wiederkam, ging, kurz nach der voll-
brachten Reise, mit seinem Vater über Land. Fritz, der im Geh'n
recht Zeit znm Lügen fand, log ans die uuverschämt'ste Weise. Ja,
Vater, rief der unverschämte Knabe, ihr mögt es glauben oder nicht,
so sag' ich's euch und Jedem iu'ö Gesicht, daß ich einst einen Hund
bei — Haag gesehen habe, hart au dem Weg, wo man nach
Frankreich fahrt, der — ja ich bin nicht chreuwerth, wenn er nicht
großer war, als euer größtes Pferd.
Das, sprach der Vater, nimmt mich Wunder; wiewohl ein
jeder Ort läßt Wunderdinge seh'n. Wir. zum Grempel geh'n itzun-
der, und werden keine Stunde geh'n, so wirst dn eine Brüske seh'n;
wir müssen selbst darüber geh'n; die hat dir Manchen schon betrogen;
denn überhaupt soll'S dort nicht gar zu richtig sein; stuf dieser
Brükke liegt ein Stein; an den stößt man, wenn man denselben
Tag gelogen, und fällt und bricht sogleich das Bein.
Der Bub' erschrak, sobald er dies vernommen. Ach, sprach
er, laust doch nicht so sehr! Doch, wieder auf den Hund zu kom-
men,, wie groß sagt ich, daß er gewesen wär'? Wie euer großes
Pferd? Dazu will viel gehören. Der Hund, itzt fällt mir'S ein,
war erst ein halbes Jahr. Allein daS wollt' ich wohl beschwören,
daß er so groß, als mancher Ochse war.
Sie gingen noch ein gutes Stükke; doch Fritzen schlug das
Herz; wie konnt cS anders sein? Denn Niemand bricht doch gern
ein Bein. Jetzt sah' er die verhängnißvolle Brükke, und fühlte
schon den Beinbruch halb. Ja, Vater, fing er an, der Hund, von
dem ich red'te, war groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert
hätte, so war er doch viel größer, als ein Kalb.
jtt—-
28
Die Brükke kommt; Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen! Der
Vater geht voran; doch Fritz halt ihn geschwind. Ach, Vater!
spricht er, seid kein Kind, und glaubt, daß ich solch einen Hund
gesehen. Denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen: der Hund
war nur so groß, wie alle Hunde sind.
Der Tyrann DionyS und der Reiche.
In Syrakuö war einst ein reicher Mann, der hatte einen
Schatz vergraben. Man zeigt cS Dionysen an; sein Nachbar
mochte wohl den Filz belauert haben; und der Monarch schikkt
Hascher nach dem Platz und raubt ihm seinen ganzen Schatz.
Nicht ganz; ich irre mich. Ihm blieb zum größten Glükk, ein
Theil, der abgesondert lag, zurükk. Er M'ht nach einer andern
Stadt mit dem, was er gerettet hat, und — grabt es wieder in
die Erde? Damit anet; dieses durch Verrath ihm wieder über Nacht
gestohlen werde? — Nein! Ackker kaust er für fein Geld. Er düngt,
besäet, baut sein Feld, macht urbar, was versäumt gelegen, unb
hat in kurzer Zeit sein voriges Vermögen.
Ei, wenn nur DionyS cö dies Mal nicht erfährt! Ein Bote
kommt, daß ihn der Fürst zu sich begehrt. „Nun, dacht' ich'ö doch!
er wittert neue Beute." Erschrokken kehrt der gute Mann zursikk,
und sieht sein Geld schon für verloren an.
„Dein Reichthum freuet mich;" so redet der Tyrann, „doch
mehr noch freut mich, daß du heute durch mein Verfahren klüger
bist. Ich habe dir beweisen wollen, daß, wenn daö Glükk unS
günstig ist, wir'S nützen, nicht verscharren sollen. Besitze nun dein
Gut in Ruh'; hier ist der Schatz, den bu vergraben, und den ich
dir geraubt; nimm, diesen auch dazu. Jetzt bist du würdig, ihn zu
haben.
70. Der Prozeß.
Ja, ja, Prozesse müssen sein! Gesetzt, sie wären nicht auf
Erden, wie könnte da das Mein und Dein bestimmet und ent-
schieden werden? Das Streiten lehrt uns die Natur; drum, Bruder,
recht' und streite nur. Du siehst, man will dich übertäuben; doch
gieb nicht nach, setz' Alleö ans, und laß dem Handel seinen Lauf.
Denn Recht muß doch recht bleiben.
*
29
Waö sprecht ihr, Nachbar, dieser Rain, der sollte, meint ihr,
euer still? Nein, er gehört ju meinen Hustn.
Nicht doch, Gevatter, nicht, ihr irrt; ich will euch zwanzig
Zeugen rufen, von denen Jeder sagen wird, daß lange vor der
Schweden Zeit----------
Gevatter, ihr seid nicht gescheidt! Versteht ihr mich? Ich
will'ö euch lehren, daß Rain und Gras mir zugehören. Ich will
nicht eher sanfte ruh'n, das Recht, das soll ben Ausspruch thun.
So sagte Kunz, schlagt in die Hand, und rufst den spitzen Hut die
Quere; ja, eh' ich diesen Rain entbehre, so meid' ich lieber Gut
und Land.
Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten; er eilet nach der
nahen Stadt. Allein Herr Glimpf, sein Advokat, war klirz zuvor
in'S Amt geritten. Er läuft, und holt Herr Glimpfen ein. Wie,
sprecht ihr, soll das möglich sein? Kunz war zu Fuß und Glimpf
zu Pferde. So, glaubt ihr, daß ich lügen werde? Ich bitt' euch,
stellt das Reden ein; sonst werd' ich, diesen Schimpf zu rächen,
gleich selber mit Herr Glimpfen sprechen.
Ich sag' eS noch einmal, Kunz holt Herr Pimpfen ein, greift
in ben Zaum, und grüßt Herr Glimpfen. Herr, fängt er ganz
erbittert an, mein Nachbar, der infame Mann, der Schelm, ich
will ihn zwar nicht schimpfen, der, denkt nur! spricht: der schmale
Rain, der zwischen unsern Feldern lieget, der, spricht der Narr,
der wäre sein. Allein, ben will ich seh'n, der mich darum betrüget.
Herr, fuhr er fort, Herr, meine beste Kuh, sechs Scheffel Hafer
noch dazu — (hier wieherte das Pferd vor Frellden), o! dient mir
wider ihn, und helft die Sach' entscheiden.
Kein Mensch, versetzt Herr Glimpf, dient freudiger als ich.
Der Nachbar hat Nichts einzuwenden; ihr habt das größte Recht
in Händen; aus euren Reden zeigt es sich. Genug, verklagt den
Ungestümen. Ich will mich zwar nicht selber rühmen, — dies thut
kein ehrlicher Jurist; doch dieses könnt ihr leicht erfahren, ob ein
Prozeß seit zwanzig Jahren von mir verloren worden ist. Ich will
euch eure Sache führen; ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht
verlieren. Glimpf reitet fort. Herr! rüst ihm Kunz noch nach, ich
halte, waö ich euch versprach!
30
Wie hitzig wird der Streit getrieben! Manch Rieß Papier
wird vollgeschrieben. Das halbe Dorf muß in das Amt. Man
eilt, die Zeugen abzuhören, und fünfundzwanzig müssen schwören,
und diese schwören insgesammt, daß, wie die alte Nachricht lehrte,
der Rain ihm gar nicht zugehörte.
Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht; ich weiß zwar
wenig von dem Rechte, doch, im Vertrau'« gesagt: ich dachte, du
hattest nicht das größte Recht.
Ein widrig Urtheil kommt; doch laßt es widrig klingen! Glimpf
mmltert den Clienten auf: „Laßt dem Prozesse seinen Lauf; ich
schwör' euch, endlich durchzudringen! Doch--------------" Herr, ich hör'
es schon; ich will das Geld gleich bringen. Kunz borgt manch
Kapital. Fünf Jahre währt der Streit; allein, warum so lange
Zeit? Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen; du mußt die Rechtö--
gelehrten fragen.
Ein letztes Urtheil kommt. O seht doch, Kunz gewinnt! Er
hat zwar viel dabei gelitten; allein was thnt'ö, das Hanö und Hof
verstritten, und Hans und Hof schon angeschlagen sind? Genug,
daß er den Rain gewinnt!
Ol ruft er, lernt von mir den Streit aufö höchste treiben; ihr
seht ja, Recht muß doch Recht bleiben.
71. Der Perser und feine drei Sohne.
Bon Jahren alt, an Gütern reich, theilt' einst ein Perser sein
Vermögen drei Söhnen ans, nebst seinem Segen, und theilt eö
unter alle gleich, Noch einen Demant, sprach der Alte,' seht hier,
den ich für den behalte, der mittelst einer edlen That, darauf den
größten Anspruch hat.
Um diesen Anspruch zu erlangen, hieß er die Söhne sich zer-
streu'». Die Prüfungszeit war kaum vergangen, so stellten sie sich
wieder ein. Hört, sprach der älteste der Brüder, in Balch vertraut'
ein fremder Manir sein Gut ohn' aller: Schein mir an; ich gab eö
ihm getreulich wieder. War diese That nicht lobenswerth? — Du
hast gethan, waS sich gehört, ließ sich der Vater hier vernehmen;
wer anders thut, der muß sich schämen; denn Ehrlichkeit ist rnrs're
Pflicht. Gut ist die That, doch edel nicht.
31
Der zweite sprach: Auf einer Reise sah' ich, daß unachtsamer
Weise ein armes Kind in einen See hinunterfiel; ich ritt daneben;
schnell sprang ich nach, zog'ö in die Höh', und rettete des Kindes
Leben. Ein ganzes Dorf kann Zeugniß geben. — Du thatest,
sprach der Greis, mein Kind, was wir als Menschen schuldig sind.
Der jüngste sprach: Bei seinen Schafen fand ich an eines
Abgrunds Rand einst meinen Feind fest eingeschlafen; sein Leben
stand in meiner Hand; ich welkt' ihn auf, zog ihn zurükke. — O!
rief der Greis mit holdem Blikke, dein ist der Ring! Ein edler
Muth thut Gutes dem, der Böses thut.
72. Johann, der nmnt're Seifensieder.
Johann, der munt're Seifensieder, erlernte viele schöne Lieder,
und sang mit unbesorgtem Sinn vom Morgen bis zum Abend hin,
früh mit der Lerche um die Wette, spät, schon mit einem Fuß im
Bette, und wenn er sang, so war'S mit Lust, aus vollem Hals
und freier Brust. Man horcht, man fragt: Wer singt schon wieder?
Wer ist's? Der munt're Seifensieder.
Es wohnte diesem in der Nähe ein Sprößling eigennütz'ger
Ehe, der, reich und stolz und lächerlich, im Schmausen feinem
Fürsten wich; ein Mann, der manche schöne Nacht beim Mahl,
bei Spiel und Wein durchwacht. Kaum hatte mit den Morgen-
stunden sein erster Schlaf sich eingefunden, so ließ ihm den Genuß
der Ruh' Johann, der Sänger, nimmer zu. Zum Henker! Lärmst
du dort schou wieder, vermaledeiter Seifensieder? Ach wäre doch,
zu meinem Heil, der Schlaf hier, wie die Austern, feil! Den
Sänger, den er früh vernommen, läßt er am andern Morgen
kommen, und spricht: Mein lustiger Johann, wie geht es euch, wie
fangt ihr'S an? , Es rühmt ein Jeder eure Waare; sagt, wie viel
bringt sie euch im Jahre?
Im Jahre, Herr? Mir fällt nicht bei, wie groß im Jahr
mein Vortheil sei. So rechn' ich nicht! Ein Tag bescheret, was
der, so auf ihn folgt, verzehret. Dies folgt im Jahr, ich weiß die
Zahl, dreihuudertfünfundsechszig Mal.
Ganz recht! Doch, könnt ihr mir nicht sagen, was pflegt ein
Tag wohl einzutragen? Mein Herr, ihr forschet allzusehr; der
32
eine wenig, mancher mehr, so wie's denn fällt. Mich zwingt zur
Klage Nichts, als die vielen Feiertage; und wer sie alle roth ge-
färbt, der hatte wohl, wie ihr, geerbt; dein war die Arbeit sehr
zuwider; der war gewiß kein Seifensieder.
Dicö scheint den Neichen zu erfreu'». HanS, spricht er, du
sollst glükkltch sein. Jetzt bist du mir ein schlechter Prahler. Da
hast du baare fünfzig Thaler. Nur unterlaß mir den Gesang!
Das Geld hat einen bessern Klang.
Er dankt und schleicht mit scheuem Blikke, mit mehr als Die-
beSfurcht zurükke, hält seinen Beutel dicht umfaßt, und herzt und
wägt die schöne Last. Dann wird, so bald er heimgekommen, deS
Beutels Inhalt vorgenommen, gezählt, mit stummer Lust beschaut,
und — einem Kasten, anvertraut, den, allen Dieben Trotz zu bieten,
ein dreifach Schloß und Bänder hüten, und den der karge Thor bei
Nacht mit banger Vorsicht stets bewacht. Sobald sich nur der
Haushahn reget, sobald der Kater sich beweget, durchsucht er Alles,
weil er glaubt, daö ihn ein schlauer Dieb beraubt, bis, oft gesto-
ßen, oft geschmissen, sich endlich beide pakken müssen.
Er lernt zuletzt, daß Gut und Geld nicht für die Freuden
schadlos hält, die der Zufriedene genießet, dem Arbeit Kost und
Schlaf versüßet, der braucht, was ihm sein Fleiß beschert, und nie
vermißt, was er entbehrt.
Dem Nachbar, den er singend welkte, wenn kaum der Schlaf
sein Auge dekkte, dem stellt er bald, aus Lust zur Ruh', den vollen
Beutel wieder zu, und spricht: Herr, lehrt mich bess're Sachen, als,
statt deS SingenS, Geld bewachen. Nehmt euren Beutel wieder
hm, und laßt mir meinen frohen Sinn. Fahrt fort, mich heimlich
zu beneiden; ich tausche nicht mit euren Freuden. Der Himmel hat
mich recht geliebt, daß er Gesang mir wiedergiebt. Was ich ge-
wesen, werd' ich wieder: Johann, der munt're Seifensieder.
73. Der Jüngling.
Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört, in welcher
Segen wohnen sollte, entschloß sich, daß er da sich niederlassen
wollte. Dort, sprach er oft, sei dir dein Glükk beschert. Er nahm
die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen die Stadt auf einem
33
Berge liegen. Gott Lob! fing unser Jüngling an, daß ich die
Stadt schon sehen kann; Allein der Berg ist steil. O! wär' er
schon erstiegen!
Ein fruchtbar Thal stieß an des Berges Fuß. Die größte
Menge schöner Früchte fiel unserm Jüngling, in's Gesichte. O!
dachte er, weil ich doch sehr langsam steigen muß, so will ich,
meinen Durst zu stillen, den Neisesakk mit solchen Früchten füllen.
Er aß und fand die Frucht vortrefflich von Geschmakk, und füllte
seinen Neisesakk.
Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblikk beladen in
das Thal zurükk. O Freund! rief Einer von den Höhen: der Weg
zu und ist uicht so leicht zu gehen; der Berg ist steil und mühsam
jeder Schritt, uiib du nimmst dir noch eine Bürde mit? Vergiß
das Obst, das du zu dir genommen; sonst wirst tm nie auf diesen
Gipfel kommen. Steig' leer, und steig' beherzt, und gieb dir alle
Müh'; denn unser Glükk verdienet sie.
Er stieg und sah, und sah empor, wie weit er steigen müßte;
ach Himmel! ach! es war noch weit. Er ruht' und aß zu gleicher
Zeit von seiner Frucht, damit die Müh' er sich versüßte. Er sah
bald in daS Thal und bald den Berg hinan; hier traf er Schwie-
rigkeit, und dort Vergnügen an. Er sinnt. Ja, ja, er mag eö
überlegen. Steig', sagt ihm sein Verstand, bemüh' dich um dein
Glükk! Nein, sprach sein Herz, kehr' in das Thal zurükk! Dil
steigst sonst über dein Vermögen. Ruh' etwas aus, und iß dich
satt, und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat! Dies that
er auch. Er Pflegte sich im Thale, entschloß sich oft, zu geh'n,
und schien sich stets zu matt. Daö erste Hinderuiß galt auch die
andern Male; kurz, er vergaß sein Glükk und kau: nie in die Stadt.
*
Dem Jüngling gleichen viele Christen, sie wagen auf
der Bahn der Tugend einen Schritt, und scli’n darauf
nach ihren Lüsten, und nehmen ihre Lüste mit. Beschwert
mit diesen Hindernissen, weicht bald ihr träger Geist zurükk,
und auf ein sinnlich Glükk beflissen, vergessen sie die Müh’
um ein unendlich Glükk.
34
74. Der Blinde und der Lahme.
Von Ungefähr muß einen Blinden ein Lahmer auf der
Straße finden, und Jener hofft schon freudenvoll, daß ihn
der Andre leiten soll. „Dir," spricht der Lahme, „beizustehen?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehen; doch scheint, daß
du zu einer Last noch sehr gesunde Schultern hast. Ent-
schließe dich, mich fortzutragen, so will ich dir die Steige
sagen; so wird dein starker Fuß mein Bein, mein Helles
Auge deines sein." Der Lahme hängt mit feinen Krükken
. sich auf des Blinden breiten Rükken; vereint wirkt also dieses
Paar, was einzellt Keinem möglich war.
*
Du hast das nicht, was Andre haben, und Andern man-
geln deine Gaben; aus dieser Unvollkommenheit entspringet
die Geselligkeit. Wenn Jenem nicht die Gabe fehlte, die die
Natur für mich erwählte: so würd’ er nur für sich allein, und
nicht für mich bekümmert sein. Beschwere du Gott nicht
mit Klagen! Was er dir öfter muss versagen, und Jenem
schenken, wird gemein: wir dürfen nur gesellig sein.
75. Der Bauer unter der Eiche.
Ein Bauer wanderte, sein Essen zu genießen, dem
Schatten eines Eichbaum's zu: und gähnte schon bei jedem
Bissen recht herzlich nach der Mittagsruh'. Gewohnt von
Jugend auf zu zänkischen Gedanken, that lang' ihm schon
sein gnäd'ger Herr nicht recht; oft predigte der Pfarr' zu
schlecht: jetzt aber kam ihm ein, einmal mit Gott zu zanken.
Gelegenheit war da! Er sah die Eicheln an. Da steht nun,
— rief er auS, und überschlug die Arme, — ist das nicht
ewig zum Erbarmen! Da steht nun so ein Baum, der
Kirchen tragen kann; und hier und da ein Nüßchen dran!
Allein, mein Blut, man darf Nichts sagen; denn sagt man
was, so geht'S an ein Verklagen; da nimmt der Superdent
gar artig uns herum, und schreibt wohl gar an's Consisto-
rium. Nur schieb' ich Jedem in's Gewissen, ob sich ein
Kürbs zum Stengel schikkt. Ich seh's bei mir: die meisten
sind zerknikkt. — Das hätt' mir anders werden müssen!
35
Gerade umgekehrt! — Hier sollten Kürbse sein! Er sprach's
und gähnt und schlummert ein. Zum Unglükk stieß ein Nord-
wind an die Eiche: und eine kleine Eichel traf derb unsern
Bauer auf den Schlaf. Hilf Himmel! fuhr er auf, und
fühlte nach dem Streiche — ist das ein Schmerz! — WaS
hab' ich Thor gedacht? Wenn'ö nun ein Kürbs. gewesen
wäre? Verzeih' mir Gott! ^nd ewig sei ihm Ehre! Denn
er hat Alles wohl gemacht!
76. „Du sollst deinen Vater und deine Mutter einen, auf dass
dir8 wohl gehe!“
Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist,
dass Menschen im Alter von ihren Kindern wieder eben so
behandelt werden, wie sie einst ihre alten und kraftlosen
Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die
Kinder lernen’s von den Eltern; sie sehen’« und hören’s nicht
anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf dem natür-
lichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und ge-
schrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den
Kindern ruhe und sie nicht verfehle. —
*
Einst kam ein alter Bauer mit wankendem Schritt, auf
einen Stab gestützt, an dem Thore einer Residenz an. Der
Thorschreiber sah aus seiner niedrigen Wachtstubc heraus,
und rief ihn an: „Woher, Alter?“ — „Da drüben vom Walde
her,“ antwortete der Bauer. — „Wo geht denn euer Weg
hin?“ fragte der Thorschreiber weiter. — „Nicht weiter, als
hierher,“ war des Bauern Antwort. — „Und was habt ihr
denn hier zu schassen?“ „Ach,“ erwiderte der Alte mit
einem Seufzer, „ich wollte meinen eignen Sohn verklagen.
Seht, da habe ich vor mehreren Jahren mein Bischen Hab’
und Gut meinen sechs Söhnen abgetreten, um meine alten
Tage in Ruhe zu verleben. Der älteste bekam die Grund-
stükke, Haus und Hof, Aekker und Wiesen; er verglich sich
mit seinen Brüdern, und versprach, mich bis an meinen Tod
zu ernähren und zu verpflegen. Aber das will er jiun nicht
• 3*
36
mehr thun, und bei meinen andern Söhnen finde ich auch
keine Hülfe. Darum will ich mich mit einer Klage an die
hochfürstliche Regierung wenden.“
,,Aher sagt mir doch,“ fragte der Thorschreiber, „wie
alt seid ihr denn eigentlich?“ — „Grosser Gott,“ entgognete
der Bauer, „ich bin nun 73 Jahr alt.“ — „Nun,“ sagte der
vorwitzige Thorschreiber, „dq^ kann ich euch den Bescheid
selbst geben, und ihr braucht euch nicht erst an die Regie-
rung zu wenden. Ihr wisst ja, dass in der heiligen Schrift
steht: Unser Leben währet siebenzig Jahre. Da habt
ihr schon drei Jahr zu viel gelebt!“ — Der Alte sah den
Thorschreiber erschrokken an: „Ja, wenn’s so ist, so thue ich
wohl am besten, wenn ich umkehre. — Unser Herr Gott
wird mich ja bald zu sich nehmen!“ sagte er endlich weh-
müthig, und setzte sich auf einen Stein vor’m Thore, uiA
auszuruhen.
Den Greis hat unser Herr Gott zu sich genommen; auf
dem Steine aber vor dem Thore sitzt alle Sonntage der älteste
Sohn und bettelt.
77.
Ein Fürst traf auf einem Spazierritte einen fleissi-
gen und frohen Landmann bei seinem Akkergeschäfte
an, und liess sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach
einigen Fragen erfuhr er, dass der Akker nicht sein
Eigenthum sei, sondern dass er als Tagelöhner um
fünfzehn Groschen arbeite. Der Fürst, der für sein
schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte
und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindig-
keit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit
fünfzehn Groschen auszureichen, und noch frohen Mu-
thes dabei zu sein, und verwunderte sich darüber. Aber
der brave Mann im Zwilchvokke erwiderte ihm: „Es
wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir
muss ein Drittheil davon gnügen; mit einem Drittheile
zahle iqh meine Schulden ab, und das übrige Drittheil
37
luge ich auf Kapital an.“ Das war dem guten Fürsten
ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Landmanri fuhr
fort und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen
armen Aeltern, die nicht mejir arbeiten können, und mit
meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen ver-
gelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit er-
wiesen haben, und von diesen hoffe ich, dass sie mich
einst in meinem müden Alter nicht verlassen werden."
War das nicht artig gesagt, und noch schöner und
edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die
Rechtschaffenheit des wakkern Mannes, sorgte für seine
Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbenden Eltern
gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kin-
dern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.
*
Es bleibt also dabei, und ist eine gar köstliche Er-
mahnung, was Sirach (Cap. 3, 1 —18) sagt: „Lieben
Kinder, gehorchet eurem Vater, und lebet also, auf dass
es euch wohl gehe! Denn der Herr will den Vater von
Kindern geeint haben, und was eine Mutter den Kin-
dern heisst, will er gehalten haben. Wer seinen Vater
ehrt, dess Sünde wird Gott nicht strafen; und wer seine
Mutter ehret, dCr sammelt einen guten Schatz. Wer
seinen Vater ehret, der wird auch Freude an seinen
Kindern haben, und wenn er betet, so wird er erhöret.
Wer seinen Vater ehret, der wird desto länger leben,
und wer um des Herrn willen gehorsam ist, an dem
hat die Mutter einen Trost. Wer den Herrn fürchtet,
der ehret auch den Vater, und dienet seinen Aeltern
und hält sie für seine Herren. Ehre Vater und Mutter
mit der That, mit Worten und Geduld, auf dass ihr
Segen über dich komme! Denn des Vaters Segen bauet
den Kindern Häuser und der Mutter Fluch reisset sie
nieder. Spotte deines Vaters Gebrechen nicht; denn es
ist dir keine Ehre. Denn den Vater ehren, ist deine
eigene Ehre und deine Mutter verachten, ist deine
38
eigene Schande. Liebes Kind, pflege deines Vaters im
Alter, und betrübe ihn ja nicht, so lange er lebet, und
halte ihm zu gut, ob er kindisch würde, und verachte
ihn ja nicht darum, dass du geschikktcr bist! Denn der
Wohlthat, dem Vater erzeiget, wird nimmermehr ver-
gessen werden, und wird dir Gutes geschehen, ob du
auch wohl ein Sünder bist; und deiner wird gedacht
werden in der Noth und deine Sünden werden verge-
hen, wie das Eis von der Sonne. Wer seinen Vater
verlässt, der wird geschändet, und wer seine Mutter be-
trübt, der ist verflucht vorn Herrn.
78. Der dankbare Löwe.
Ein Sklave in dein alten Rom entfloh seinem grausamen
Gebieter und flüchtete sich in eine Einöde in Afrika. Raid
fand er eine Höhle, die ihm wenigstens Obdach gewährte;
aber wie erschrak er, als bald nach ihm ein grosser Löwe
hineintrat. Seine Furcht verminderte sich etwas, als er be-
merkte, dass der Löwe an dem einen Fusse verwundet, und
dass ein gewaltiger Splitter tief in die Klaue des Löwen ein-
gedrungen war. Bald reichte ihm der Löwe den verwundeten
Fuss, als ob er Hülfe von ihm begehrte, und zitternd ent-
schloss sieh der Sklave, den Splitter herauszuziehen. Der
Löwe bezeigte seine Freude und seine Dankbarkeit, so gut es
ein Löwe nur immer kann; die besten Stükkc, die er auf sei-
ner Jagd erbeutete, brachte er dem Manne, der ihn von dem
nagenden Schmerz befreit hatte.
Der Sklave wurde es mit der Zeit doch überdrüssig, Schlaf-
geselle und Tischgenosse eines Löwen zu sein; er begab sich
zurükk in bewohnte Gegenden, ward bald darauf ergriffen und
zu seinem Herrn zurükkgefiihrt. Nun hatte man damals in
Rom die grausame Sitte, Sklaven, die zum Tode verurtheilt
waren, mit Löwen, Leoparden und andern wilden Thieren
kämpfen zu lassen. Ein von allen Seiten her eingeschlossener
Raum war der Kampfplatz; aus engen Behältern wurden die
Thiere, und die Menschen, die mit ihnen kämpfen sollten, auf
39
den Kampfplatz geschikkt; rund umher aber waren erhöhte
Sitze für die Zuschauer, die an dem grausamen Schauspiel
ihre Augen weiden wollten.
Auch unser Sklave ward verurtheilt, mit dem Löwen zu
kämpfen, und stand schon seit einigen Minuten zitternd und
zagend auf dem entsetzlichen Kampfplatz. Da öffnet sich die
Thür des nächsten Behälters, und ein Löwe stürzt mit Gebrüll
auf den Unglükklichen los. Aber nuf einen Augenblikk währt
die Wuth des Löwen und die Angst des Sklaven; denn plötz-
lich steht der Löwe still, und schaut den Menschen mit ver-
wunderten Blikken an; dann legt er sich ruhig vor ihn nieder
und giebt die lebhafteste Freude zu erkennen.
Was ist das? riefen die Zuschauer verwundert; welcher
Zauber hat die Wildheit des Löwen bezähmt? — Es war kein
Zauber; sondern cs war die natürliche Dankbarkeit des Löwen,
die das scheinbare Wunder herbeiführte; denn der Löwe, mit
welchem der Sklave kämpfen sollte, war kein anderer, als der,
mit dem er einige Monate in so gutem Vernehmen gelebt
hatte. Als der Sklave endlich scii\ Schikksal erzählte, war
man menschlich genug, ihn zu begnadigen; man entlicss ihn
und den Löwen der Gefangenschaft. Der Sklave führte den "
Löwen viele Jahr umher, und wohin er kam, rief Jung und
Alt in freudiger Bewegung: Seht doch den dankbaren Löwen,
der seinen Letter errettet hat: seht den Menschen, der eines
Löwen Arzt und Gastfreund gewesen ist.
70. Der Heide Sokrates.
Sokrates war der Sohn eines Bildhauers zu Athen und
seines Geschäfts selber ein Bildhauer. Der dachte, wie man-
che andere Weisen seiner Zeit, darüber nach: „Worin mag
wohl des Menschen höchstes Glükk bestehen, und wann wird
er wohl schon hier auf Erden vollkommen selig sein kön-
« nen?" und meinte am Ende: „dann, wenn er pünktlich und
genau den Willen der Götter erfüllt." Von nun an bemühte
er sich ernstlich, heilig und ganz untadelhaft zu leben. Er
verkündete * seine Meinung Jedem, der sic hören wollte.
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lernbegierige Jünglinge sammelten sich als seine Jünger um ihn,
hörten ihm zu, wie ihrem Meister, und begleiteten ihn, wenn
er ausging.
Da dankte ihm nun einst ein grober Mensch nicht, den
er freundlich gegrüsst hatte. Seine Jünger wurden darüber
ärgerlich und sagten: „Du wusstest doch, dass der Mensch so
grob ist; warum grüsstest du ihn denn nur?“ Aber Sokrates
antwortete sanft: „Wollfr ihr denn, dass ich eben so grob sei,
. wie er?“
Din Anderer gab ihm im Vorbeigehen einen Stoss in
böser Absicht, und seine Jünger riethen ihm, er solle den
übermüthigen Mann verklagen. Sokrates aber sagte: „Wenn
mich ein Ochs oder ein Esel gestossen hätte, würdet ihr mir
wohl rathen, eine Klage gegen ihn anzustellen?“ *
Einmal hörte er von seinen Jüngern, dass ein Anderer
Böses von ihm rede. „Das ist kein Wunder,“ sagte Sokrates,
„Gutes reden hat dieser Mensch nicht gelernt.“
Eine besondere Geduld bewies er gegen seine Ehegattin,
Xantippe, welche sehr heftigen Gemüthes war und in ihrer
Heftigkeit oft Dinge that, die eine rechtschaffne Hausfrau sich
gegen ihren Mann nicht erlauben soll. Einmal riss sic ihm
auf öffentlicher Strasse das Oberkleid ab, und die Anwesenden
meinten, das dürfe er sich nicht gefallen lassen. „Das wäre
schön,“ sagte Sokrates, „wenn ich hier das Schauspiel eines
öffentlichen Zankes geben wollte, damit der Eine mich und
der Andere meine Frau noch mehr aufhetzte!“
Ein ander Mal hatte sie mit ihrem Manne um eine Klei-
nigkeit lange gezankt, und als der Mann, des Zankens und
Seheltens müde, zum Hause hinausging, goss sie ihm einen
Topf voll schmutzigen Wassers über den Kopf. Und siehe!
auch da noch blieb er ruhig und sagte blos zu seinen ver-
wunderten Jüngern: „Das dachte ich wohl, dass auf solch
ein Gewitter auch Kegen folgen müsse.**
Als ihn Jemand fragte, wie er doch die Ungezogenheiten
seiner Frau dulden könne, gab er zur Antwort: „Ihr glaubt
nicht, wie viel ich hierin meiner Frau verdanke; sie übt mich
41_____
zu Hause in der Geduld, und die habe ich im öffentlichen
Leben sehr von Nöthen.“’ In der That war die Frau von
Herzen eben nicht böse, sondern nur heftig, und cs ist ihr
zu viel geschehen-, wenn man sie als ein Beispiel eines recht
bösen Weibes aufführt. Aber im Zorn thut der Mensch nie,
was vor Gott recht ist!!
Man sieht also, wie eifrig sich Sokrates bemühte, unsträf-
lich einherzugehen. Und doch musste er am Ende bekennen:
„Dass in jedem Menschenherzen die Lust zu jedem Bösen
läge; — dass der Mensch in eigner Kraft, ohne Hülfe der
Götter, eben so wenig tugendhaft sein, wie die Zukunft vor-
her wissen könne; — und dass darum endlich Einer von den
Göttern herabkommen und den armen kranken Menschen
heilen müsse, wenn er genesen solle!“ Solches lehrte Sokra-
tes seinen Landsleuten; aber sie mochtcn’s nicht hören, sondern
schrien: „Sokrates verführt das Volk!“ warfen ihn in's Gc-
fängniss und vcrurtheilten ihn zum Tode. Und seine »Jünger
klagten: „Ach, wenn du nur nicht unschuldig sterben müsstest!“
Sokrates antwortete aber: „Wolltet ihr denn lieber, dass ich
schuldig stürbe!“ Und als die Jünger sagten: „Wir haben
die Wächter bestochen; entflieh aus dem Gelangniss, du un-
schuldiger Mann!“ entgegnete er: „Jch will aber nicht, son-
dern will dem Gesetze des Vaterlandes gehorchen!“ — und
trank ruhig, in Hoffnung auf ein ewiges Leben, den Schir-
lingsbecher, und starb 400 Jahr v. Chr. Geburt.
80.
^ Gott lebet noch!
Seele, Was verzagst Hu doch?
Es war eines Sonntags Morgen. Die Sonne schien Hell
und warm in die Stube; linde, erquickliche Lüste zogen durch die
offenen Fenster; im Freien unter dem blauen Himmel jnbilirten die
Vogel; und die ganze Landschaft, in Grün gekleidet und mit Blu-
men geschmükkt, stand da, wie eine Braut an ihrem Ehrentage.
Aber während nun draußen überall Freude herrschte, brütete im
Hanse, in jener Stube, nur Trübsal und Trauer. Selbst die
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Hausfrau, die sonst immer eiues heitern und guten Muthes war,
saß heute mit umwölkten» Antlitz unb mit niedergeschlagenem Blikke
da beim Morgeuimbiß, und sie erhob sich zuletzt, ohne Etwas zu
essen, vom Sitze, und eine Thräne aus dem Auge wischend, eilte
sie gegen die Thür zu.
ES schien aber auch in der That, als wenw der Fluch auf
diesem Hause lastete. ES war Theurung im Laude; das Gewerbe
ging schlecht; die Auflagen wurden immer drükkender; das Haus-
wesen verfiel von Jahr ¿u Jahr mehr, und eS war am Ende Nichts
abzusehen, als Armuth und Verachtung. Das hatte den Mann,
der sonst ein fleißiger und ordentlicher Bürger war, schon seit langer
Zeit trübsinnig gemacht, dergestalt, daß er an seinem ferneren Fort-
kommen verzweifelte, und manchmal sogar äußerte, er wolle sich
selbst ein Leid anthun und seinem elenden, trostlosen Leben ein Ende
machen. Da half denn auch kein Zureden von Seiten seiner Frau,
die sonst immer aufgeräumten Sinnes war, und alle Trostgründe
seiner Freunde, weltliche unb geistliche, verschlugen Nichts, und
machten ihn nur schweigsamer und trübseliger. — Der geneigte
Leser wird denken, da sei es kein Wunder gewesen, daß denn zuletzt
auch die Frau all' ihren Muth und Freude verloren habe. ES
hatte aber mit ihrer Traurigkeit eine ganz eigene Bewandniß, wie
wir bald Horen werden. Als der Mann sah, daß auch sein Weib
trauerte und nun forteilte, hielt er sie an und sprach: „Ich laß
Dich nicht aus der Stube, bis Du mir sagst, was Dir fehlt."
Sie schwieg noch eine Weile; dann aber that sie ihren Mund auf,
und indem sie einen tiefen Seufzer holte, sprach sie: „Ach, lieber
Mann, eS hat mir heute Nacht geträumt, unser lieber Herrgott sei
gestorben, und die lieben Engelein seien ihm zur Leiche gegangen." —
„Einfalt!" sagte der Mann, „wie kannst Du denn so etwas Alber-
nes für wahr halten oder auch nur denken? Herzlieb, bedenk' doch,
Gott kann ja nicht sterben." Da erheiterte sich plötzlich das Gesicht
der guten Frau, und indem sie deö Mannes beide Hände erfaßte
und zärtlich drükkte, sagte sie: „Also lebt er noch, der alte Gott?" —
„Ja freilich," sprach der Mann, „wer wollte denn daran zweifeln?"
Da umfing sie ihn, und sah ihn an mit ihren holdseligen Augen,
aus denen Zuversicht und Friede und Freudigkeit strahlten, und sie
43
sprach: „ Ei nun, HrrzenSmann, wenn der alte Gott noch lebt,
warum glauben und vertrauen wir denn nicht auf ihn, der auch
unsere Haare gezählt hat, und nicht zuläßt, daß eines derselben
ohne seinen Willen ausfalle; der die Lilien deö Feldes bekleidet,
und die Sperlinge ernährt, und die jungen Raben, die nach Futter
schreien?" — Bei diesen Worten geschah eS dem Manne, als sielen
ihm plötzlich Schuppen vom Auge, und als lósete sich das EiS,
das sich um sein Herz gelegt hatte. Und er lächelte zum ersten
Male wieder nach langer Zeit> und er dankte seinem frommen,
lieben Weibe für die List, die sie angewandt, um seinen todten
Glauben an Gott zu beleben, und daö Zutrauen zu ihm hervor-
zurufen. Und die Sonne schien nun noch freundlicher in die Stube
auf das Antlitz zufriedener Menschen, und die Lüste weheten erquikk-
licher um ihre verklärten Wangen, und die Vögel jubilirten noch
lauter in den Dank ihrer Herzen gegen Gott.
81.
Gott lebet noch! Seele, was verzagst du doch? Gott
ist gut, der aus Erbarmen alle Hüls' auf Erden thut, der
mit Macht und starken Armen machet Alles wohl und gut.
Gott kann besser, als wir denken, alle Noth zum Besten
lenken. Seele, so bedenke doch: Lebt doch unser Herrgott noch!
Gott lebet noch! Seele, waö verzagst du doch? Sollt'
der schlummern oder schlafen, der daö Aug' hat zugericht't?
Der die Ohren hat erschaffen, sollte dieser Horen nicht? Gott
ist Gott, der hört und siehet,' wo den Frommen Weh' ge-
schiehet. Seele, so bedenke doch: Lebt doch unser Herrgott noch!
Gott lebet noch! Seele, was verzagst du doch? Der
den Erdenkrcis verhüllet mit den Wolken weit und breit, der
die ganze Welt erfüllet, ist von uns nicht fern und weit.
Wer Gott liebt, den will er senden Hüls' und Trost an allen
Enden. Seele, so bedenke doch: Lebt doch unser Herrgott noch!
Gott lebet noch! Seele, was verzagst du doch? Will
dich alle Welt verlassen, weißt du weder aus noch ein: Gott
wird dennoch dich umfassen und im Leiden bei dir sein. Gott
ift's, der cs herzlich meinet, wo die Noth am größten scheinet.
Seele, so bedenke doch: Lebt doch unser Herrgott noch!
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82. Der gerettete Jüngling.
„Wer eine» Sünder bekehret, der hat einer Seele vom Tode geholfen, und
wird bedekkcn die Menge der Sünden!" (Zak. b, 20.)
Eine schöne Menschenseele finden, ist Gewinn; ein schönerer
Gewinn ist: sie erhalten, und der schöllst' uiib schwerste, sie, die
schoil verloren war, zu retten.
Sauet Johannes, ans dem ödei» Pathmoö wiederkehrend, war,
was er gewesen, seiner Heerden Hirt. Er ordnet' ihnen Wachter,
ans ihr Innerstes aufmerksam.
In der Menge sah er einen schönen Jüngling; fröhliche Ge-
sllndheit glanzte vom Gesicht ihm, imb aus seinen Allgen sprach
die liebevollste Feuerseele.
„Diesen Jüngling," sprach er zu dem Bischof, „nimm in
deine Hnt. Mit deiner Treue stehst du mir für ihn! — Hierüber
zeuge mir und dir vor Christo die Gemeine."
Und der Bischof nahm dell Jüngling jn sich, unterwies ihn,
sah die schönsten Früchte in ihm blüh'«, und weil er ihm vertraute,
ließ er voll seiner strengen Aufsicht.
Und die Freiheit war eilt Netz des Jünglings; angelokkt voll
süßen Schmeicheleien, ward er müßig, kostete die Wottllst, dann
den Reiz deö fröhlichen Betruges, dann der Herrschaft Reiz; er
sammelt um sich seine Spielgesellen, nnb mit ihnen zog er in dell
Wald, ein Haupt der Räuber.
Als JohailneS in die Gegend wieder kam, die erste Frag' an
ihren Bischof war: „Wo ist mein Sohn?" — „Er ist gestorben!"
sprach der Greis nnb schlug die Augen nieder. „Wann und wie?" —
„Er ist Gott gestorben, ist (mit Thränen sag' ich es) ein Räuber.
„Dieses Jünglingö Seele," sprach Johannes, „fordr' ich nicht
von Dir. Jedoch wo ist er?" — „Auf dem Berge dort!"----------------------
„Ich muß ihn sehen!"
Und Johannes, kaum dem Walde nahend, ward ergriffen;
eben dieses wollt' er. — „Führet," sprach er, „mich zu eurem
Führer."
Bor ihn trat er! Und der schöne Jüngling wandte sich; er
konnte diesel! Anblikk nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, einen Greis. Ich habe
dich gelobet meinem Herrn, und muß für dich antworten. Gern
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geb' ich, willst Du es, mein Leben für Dich hin; nur Dich fortan
verlassen kann ich nicht! — Ich habe Dir vertrauet, Dich mit
meiner Seele Gott verpfändet."
Weinend schlug der Jüngling seine Arme um den Greis, be-
deute sein Antlitz stumm und starr; dann stürzte statt der Antwort
anö den Augen ihm ein Strom von Thränen.
Auf die Knie sank Johannes nieder, küßte seine Stirn' und
seine Wange, nahm ihn nengeschenket vom Gebirge, läuterte sein
Herz mit süßer Flamme.
Jahre lebten sie jetzt unzertrennet miteinander; in den schönen
Jüngling goß sich ganz Johannes schöne Seele.
*
Lagt, was war cs, was das Herz des Jünglings also tief erkannt und
innig fest hielt? Und cs wiederfand und unbezwingbar rettete? Ein Sanct
Johannes Glaube, Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit.
8N. Der Ritt durch den Matd, oder: Die bekehrte Räuberbande.
Johannes Kant war Professor und Doktor der Theologie zu
Krakau. Er hatte einen frommen und reinen Sinn und ein gott-
erleuchteteö Gemüth, das lieber Unrecht dulden, als thun wollte.
Viele Jahre wirkte er so als Lehrer auf seinem ihm von Gott
anvertrauten Posten. Schon begann der Schnee deö Alters sein
ehrwürdiges Haupt zu bedekken, da überfiel ihn eine Sehnsucht nach
Schlesien, seinem alten Vaterlande. Er bestellte sein HauS und
unternahm die Reise. Gemächlich ritt er in seiner schwarzen Kutte
und mit langem Bart und Haar, wie Männer seines Standes sich
damals zu tragen pflegten, durch die dunklen polnischen Wälder;
doch in seiner Seele war eS helle; denn daö göttliche Wort schoß
seine Strahlen ihm in'ö Herz. So war er allein mit seinem Gott,
und merkte nicht, daß Getümmel sich immer mehr näherte. Plötzlich
aber wimmelt'- um ihn zu Roß und zu Fuß; Messer und Schwerter
blinken im Mondscheine, und schreiend und tobend dringen Räuber
auf den frommen Mann ein. Dieser weiß nicht, wie ihm geschieht.
Er steigt vom Pferde und bietet willig der wilden Schaar seine
Habe dar; den vollen Reisebentel, reichlich mit blanken Thalern
gefüllt, giebt er hin, löst vom Halse die goldene Kette, reißt die
schmucken Borten vom Barett, zieht den Ring vom Finger und
46
aus der Tasche das silberbeschlagene Meßbuch. Erst wie er alleö
Schmuckes uud Gutes ledig ist unb auch sein Pferd abgeführt war,
bittet Kant um sein Leben. „Gabst Du auch Alles?" riefen die
Räuber, deren bärtiger Aauptmann ihn an der Brust faßte und
mit derber Räuberfaust schüttelte, — „trägst Du Nichts mehr ver-
steht an Dir?" Die Todesangst schwört aus dem zitternden
Doktor: „Nein!" Da stoßen sie ihn fort in den schwarzen Wald,
und er eilt, bis er ihnen auö dem Gesichte ist. Im Weitergehen
aber fährt seine Hand wie im Traume an dem vordern Saum
seiner Kutte herab, und er fühlt eine harte Wulst, wo der unent-
dekkt gebliebene goldene Sparpfennig eingenäht war. Zuerst wollte
es dem Manne recht sanft und leicht werden; denn mit all' diesem
Gelde konnte er die Heimath wohl erreichen und mit Gottes Hülfe
von dem Schrekken sich erholen und mit lieben Verwandten und
Freunden sich gütlich thun. Doch — plötzlich stand er still, zu
hören auf die innere Stimme, die mit Donnerworten rief: „Lüge
nicht! Lüge nicht! Du hast gelogen, Kant!" Dies Wort brannte
ihm auf der Seele; alle neu erwachte Freude war dahin, die Hei-
math vergessen; nur seiner Lüge war er sich mit Schmerz bewußt,
und schneller, alö ihn der Freiheit Glükk vorwärts getrieben, trieb
ihn die Pein der Sünde zurükk. In die Mitte der Räuber, die
noch auf dem verhängnißvollen Platze lagern und die Beute ver-
theilen, tritt der Doktor mit heftigem Schritt und bekennt irr De-
muth: „Ach! wisset, daß ich ein Lügner bin; doch log nur der
Schrekken auö mir, darum v^rzeihet^," Und mit diesen Worten riß
er den Saum vom Kleide und bot ein Häuflein funkelndes Gold
den staunenden Räubern hin, und weil keiner zugreifen wollte, bat
er ganz beschämt: „Seht, daö hab' ich böslich vor euch verleugnet;
nehmet!" Den Räubern aber wird ganz wunderlich zu Muthe; sie
möchten lachen und spotten über den thörichten Mann; doch ein
geheimes Etwas, das sich in ihnen regt, läßt eö nicht zu. Manches
vertrokknete, starre Auge wird^naß, und die innere Stimme, die
lange geschwiegen, erwacht und ruft laut: „Du sollst nicht stehlen!"
Erschüttert springen sie Alle auf, werfen sich auf die Knie, und
eine tiefe, heilige Stille bezeugt: ihre verlorenen Herzen sind ge-
funden. Daß dies der Fall war, mit der That zu beweisen, war
47
Jeder emsig bemüht. Der Eine reichte unserm Doktor den Beutel,
ein Anderer die Kette dar; ein Dritter bringt daö Pferd herbei-
geführt; der Hauptmann bietet daö Meßbuch, nachdem er es vorher
geküßt; dann halfen sie ihm ehrerbietig zu Pferde. Nichts blieb
zurükk von der neugewonnenen Beute; ja, Herr Kant mußte auf
seiner Hut sein, daß sie ihm nicht auch fremdes gestohlenes Gut
schenkten. Vom Pferde herab ertheilt er der Schaar fccii Segen,
wünscht und erfleht den armen Seelen nachhaltige Reue und gründ-
liche Besserung und — scheidet. Bald lichtete und öffnete sich der
Wald; der Morgenhimmel stand in rother Glnth, unb der fromme
Wanderer, voll froher, seliger Gefühle, faltete die Hände unb
betete: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf
Erden!"
84. Der Almosen.
Als einst durch Sachsens reiche Fluren Herr Luther und
Herr Jonaö fuhren, hing sich ein lumpiger Bettelmann an
ihren geistlichen Wagen an, und keuchend folgt er dem raschen
Trabe, bittet die Herren um eine Gabe. Herr Luther stlhr
schnell in seine Taschen, und wie cr's eben möcht' erhaschen,
warf er. zwei Groschen wohlgcmuth dem armen Schelmen in
den Hut.. Herr Ionas bracht's nicht so schnell zuwege; erst
prüft er gar strenge daö Gepräge, und erst nach langem
Dreh'»: und Wenden entglitt der Dreier seinen Händen; und
weiter rollet der geistliche Wagen. „Wer weiß," hub Jonaö
an zu sagen, „wo Gott die Gabe wird vergelten, sei's hier»
nicht, doch in bessern Welten." — Da lacht der Luther frei
ihm ins Gesicht, und strafet frisch ihn von der Leber: „Herr
Doktor! Wißt ihr denn noch nicht, daß Gott nur liebt den
frohen Geber; und wer nur leihet auf Gewinn, hat wahrlich
seinen Lohn dahin." Es röthen sich Herrn Ionas Wangen;
die Sonn' ist eben untergegangen und ließ von ihrem Strah-
lenblikk die letzte Segensspur zurükk.
85. Eintracht.
Ein Vater schied von seinen Söhnen; doch eh' er schied,
sucht' er durch ein Symbol zur Eintracht ihre Herzen zu
48
gewöhnen. „Ich scheide," sprach er, „Söhne, lebet wohl! Jedoch
zuvor zerbrecht mir diese Pfeile, gebunden, wie sie sind." In
größter Eile will Jeder den Befehl vollzieh'»; jedoch umsonst
ist ihr Bemüh'n. Der Vater löst hierauf das Band, giebt
Jedem einen Pfeil besonders in die Hand: „Zerbrecht mir den,"
spricht er mit trüben Blikken, und schnell war jeder Pfeil in
Stükken. „Merkt, Söhne," rief er, „am zerbrochenen Geschoß:
die Eintracht nur macht stark und groß, die Zwietracht stürzet
Alles nieder. Lebt wohl! und liebt euch stets als Brüder!"
86. Herr Michel.
Michel ward des alten Pächters Mertens Knecht; doch
nach wenig Wochen fand er Nichts mehr recht: Kuchen mager,
Butter alt, Bette hart und Stube kalt. Wenn die Erbsen-
fchüffel auf dem Tisch erschien, tunkt' er seinen Löffel umge-
wendet drin; und dann sprach er spöttiglich: „Klebst du dran,
so ess' ich dich!" Bald des Dienens müde, sann er hoch
umher, nahm ein Weib und dachte: Ha! nun bin ich Herr.
Doch so mancher Jugcndtraum ist gar oft nur lauter Schaum.
Ach, das eigne Tischchen deckt sich nicht so leicht, wie's am
fremden Heerde manchem Michel däucht; auch der uns're fand
um's Jahr diesen Spruch nur gar zu wahr, sehnte sich mit
Schmerzen, aber ach! zu spät nach der Erbsenschüssel und dem
harten Bett'. Immer größer Ward die Noth und die Sorg'
um'S trock'ne Brot. Nun zum alten Wirthe tritt er flehend
ein, einen halben Scheffel Erbsen ihm zu leih'n. Jener schweigt
und führet ihn nach der Vorrathskammer hin. Hier am
Erbscnhaufen steh'» sie still und stumm, Merten, vor dem
Scheffel, kehrt die Schaufel um, stößt sie eilt und spricht für
sich: „Klebst du d'ran, so meff' ich dich!" Michel weint.
Der Alte sieht's unb spricht mit Ernst: „Wohl dir, wenn du
weinen und dich bessern lernst! Nimm die Erbsen zum Ge-
schenk, und sei meiner eingedenk!
Dächten alle jungen Brüder Michels doch an den Erbsen-
haufen und den Doppelspruch: Klebst du d'ran, so ess'
ich dich! Klebst du d'ran, so mess' ich dich.
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87. Lohn der Bescheidenheit.
Ein reicher Mann thät in seinem Garten mit eig'ner
Hand der Blumen warten, und wie er dort bei seinen Beeten
stand, er ein schon längst verlor'nes Goldstükk wiederfand.
Was soll es ihm? — Er ist ein Freund von Schwänken —
will's einem seiner vielen Diener schenken; doch macht er sich
ein Späschen noch dabei: wollt' seh'n doch, wer der Beste
unter ihnen sei. Darum versammelt uni sich her er Alle,
vom Kammerdiener bis zum Knecht vom Stalle. Derjenige
von ihnen soll es ha'n, der ihm die besten Dienste schon ge-
than. Das Goldstükk lokkt, — bereist sind alle Zungen, und
bald hat Jeder sich ein Loblied selbst gesungen; nur Steffen
noch allein, der alte Kutscher, schweigt, bis endlich Blikk und
Wort deö Herrn sich zu ihm neigt: „Nun, Steffen, hast denn
du mir gar Nichts vorzubringen? Kannst du zu eignem Lob
nicht auch ein Liedchen singen?" — „Nein, Herr, wie kann
ich das?" — der alte Steffen spricht, — „waö ich bis jetzt
gethan, das war auch meine Pflicht; dafür bekomme ich seit
zwanzig Jahren schon, wie es sich Wohl gebührt, von Ihnen
Brot und Lohn, mit) oft genug auch noch, bei meiner Treu
manch' schönen Thaler nebenbei." — Die Rede freut den Herr»:
gar sehr, blikkt lächelnd in dem Kreis' umher und that, daö
Goldstükk in den Händen, sich schalkhaft zu den Andern wenden:
„Die Dienste, die ihr alle mir gethan, ich mit dem einen Gold-
stükk nicht belohnen kann; zu wenig ift's; dem Steffen will
ich's geben, und euch der Müh' des Denkens überheben. Ihr
müßt nun schon so lange warten, bis ich dereinst in meinem
Garten so viel des Goldes treffe an, daß ich euch würdig
lohnen kann."
88. „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten!"
Dieser Spruch steht im Briefe Pauli an die Galater, und der
Apostel fügt noch hinzu: „Waö der Mensch säet, daö wird er
erudteu!" 'Daö bestätigt sich denn im Leben auch oft genug, und
wir sehen gar häufig, wie dem Gerechten sein Wohlthun, und dem
Sünder seine llebelthat schon auf Erden vergolten wird. Nun ist
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eS freilich ein eigen Ding, wenn der Mensch sagen will: Siehe,
Dieser oder Jener hat so oder so gesündigt, und darum ist ihm
dies oder jenes widerfahren; aber eS giebt doch Vorfälle im Leben,
wobei man sich solcher Gedanken nicht wohl erwehren kann.
Es sind etwa zehn Jahre her, da war in einer märkischen
Stadt eine böse Seuche unter dem Vieh, und wem das Gift des
gefallenen Viehes in eine Wunde kam, der starb in kurzer Zeit und
ohne Rettung.
Eines Sonnabends, nicht lange vor Sonnenuntergang, fährt
ein Bürger dieser Stadt, eine trotzige Seele, zum Thore hinaus,
um sein Heu ans der nahen Wiese zu werben. Weil von fern der
Donner sich hören läßt, hebt er die Heugabel drohend empor zum
Himmel und spricht dabei gotteslästerliche Worte, die ich nicht wie-
derholen mag.«
WaS war das? sagte er ans einmal zu seinem Dienstknechte,
der mit ihm fuhr, und wischte aus dem Gesicht eine böse Fliege,
die ihn in eben dem Augenblikke gestochen hatte. ES war wohl
Nichts, sagte er beklommenen Herzens; denn er merkte eö wohl,
das sei eine Fliege gewesen, die auf dem gefallenen Vieh gesessen
hatte, imb deren Stich ein tödtliches Gift brachte, lind daö Ge-
sicht lief ihm auf von dein Stich der Fliege; bewußtlos kehrte er
nach eitter Stunde zurükk in seine Wohnung, und am andern Mor'-
gen lag er todt, wie Einer, den die Hand des Herrn geschlagen hat.
*
Merkwürdig ist auch die Geschichte eines angesehenen Bürgers,
eines VaterS sieben wohlgewachsener Söhne, die aber sämmtlich
stumm waren. Der Kummer über das Unglükk seiner Kinder nagte
dem Vater beständig am Herzen, und er konnte cs nicht begreifen,
wie ihn Gott vor andern Vätern so schrekklich heimsuchte. Einst
führte er seine stummen Söhne auf einen benachbarten Meierhof,
wo man bei einem alten Schweizer frische Milch, Butter und Käse
aß. Der betrübte Vater warf mitleidige Blicke auf seine Söhne,
die gesund und rosenwangig um den Tisch saßen, aber sämmtlich
stumm waren. Thränen träufelten über seine Wangen und er
ächzte zum Himmel: O Gott! womit hab' ich daS verdient? — Der
alte Schweizer, der dies Alles bemerkte, nahm den Vater auf die
51
Seite und sagte: „Ich sehe sehr wohl, eö kränkt euch, daß eure
Söhne stumm sind; — aber mich wuudert'S nicht. Wißt ihr noch,
wie ihr als Knabe den Vögeln Schlingen legtet, und wenn ihr sie
finget, ihnen die Zunge ans dem Halse risset und sie mit boshafter
Freude wieder stiegen ließet? — O, die Vögel unter dem Himmel,
die nun mit ihrem Gesänge Gott nicht mehr preisen konnten, haben
euch verklagt, und ihr sollt ans dem Munde eurer Kinder nie den
süßen Vaternamen hören.
*
Nun, das sind Dinge, die wohl jeden Christenmenschen nach-
denklich machen können; aber wer wollte doch sagen zu Einem, auf
dem die Hand deS Herrn schwer zu ruhen scheint: Sieh, daö ist die
Strafe für diese oder für jene Sünde, die du gethan hast!! —
„Richtet nicht," sagt unser Herr und Heiland, „auf daß ihr uicht
gerichtet werdet!" Und dabei bleibt eS; aber auch dabei: „Irret
euch nicht; Gott läßt sich nicht spotten; denn waö der Mensch säet,
daS wird er erndten!"
8». Wie gar „»begreiflich sind Gottes Gerichte, und „»erforfchlich
feine Wege! (Röm. 11, 33.)
O Mensch! Waö strebst du doch, den Rathschluß zu ergründen,
nach welchem Gott die Welt regiert? Mit endlicher Vernunft willst
du die Absicht finden, die der Unendliche bei seiner Schikknng führt?
Dein Auge uie, bei Dingen, die geschehen, recht daö Vergangene
und auch die Folge sieht; und doch hoffst du den Grund zu sehen,
warum das, was geschah, geschieht? Die Vorsicht ist gerecht in
ihren weisen Schlüssen. Dieö siehst du freilich nicht bei allen
Fällen ein; doch wolltest du den Grund von jeder Schikknng wissen,
so müßtest du, waö Gott ist, sein. Begnüge dich, die Absicht zu
verehren, die bu zu seh'n, zu blöd' am Geiste bist. ES mag ein
Beispiel dich belehren, daß das, waö Gott verhängt, aus weisen
Gründen fließt, und, wenn dir'S grausam scheint, gerechte
Schikknng ist.
Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat und ihn. von
jenem ew'gen Rath, der unser Schicksal lenkt, um größ're Kenntniß
bat: so ward ihm der Befehl, er sollte von den Höhen, worauf er
stand, hinab in nied're Thäler sehen. Hier floß ein klarer Quell.
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Ein reisender Soldat stieg bei dem Quell von seinem Pferde und
trank. Kaum war der Reiter fort, so lief ein Knabe von der
Heerde nach einem Trunk an diesen Ort. Er fand den Geldsakk
bei der Quelle, der Jenem hier entfiel; er nahm ihn uub entwich;
worauf nach eben dieser Stelle ein Greis gebükkt an seinem Stabe
schlich. Er trank und setzte sich, um auszuruhen, nieder; sein
schweres Haupt sank zitternd irr das Gras, bis eS im Schlaf des
Alters Last vergaß. Indessen kam der Reiter wieder, bedrohte diesen
Greis mit wildem Ungestüm, und forderte sein Geld von ihm. —
Der Alte schwört, er habe Nichts gefunden ; der Alte fleht und weint;
der Reiter flucht und droht und sticht zuletzt mit vielen Wunden
den armen Alten wüthend todt.
AlS Moses dieses sahe, siel er betrübt zur Erden; doch eine
Stimme rief: „Hier kannst du inne werden, wie in der Welt sich
Alles billig fügt; denn wisst: es hat der Greis, der jetzt im Blute
liegt, des Knaben Vater einst erschlagen, der den verlornen Raub
zuvor davon getragen.
90. DaS Testament.
„Sohn!" sing der Vater an, indem er sterben wollte, „wie
ruhig schlief' ich jetzt nicht ein, wenn ich nach meinem Tod dich
glükklich wissen sollte! Du bist eS werth, und wirst eS sein. Hier
hast du meinen letzten Willen. Sobald du mich in's Grab gebracht,
so brich ihn ans, und such' ihn zu erfüllen, so ist dein Glükk gewiß
gemacht. Versprich mir dies, so will ich freudig sterben."
Der Vater starb, und kurz darauf brach auch der Sohn das
Testament schon auf, und laö: „Mein Sohn! bu wirst von mir
sehr wenig erben, als etwa ein gut Buch, und meinen Lebenslauf;
den setzt' ich dir zu deiner Nachricht auf! Mein Wunsch war meine
Pflicht. Bei tausend Hindernissen befliß ich stets mich auf ein
gut Gewissen. Verstrich ein Tag, so fing ich zu mir an: der Tag
ist hin, hast du waö Nützliches gethan? Und bist du weiser, als
am Morgen? Dies, lieber Sohn, dies war mein Sorgen. So
fand ich denn von Zeit zu Zeit zu meinem täglichen Geschäfte mehr
Eifer llnd zugleich mehr Kräfte, ititb in der Pflicht stets mehr Zu-
friedenheit. So lernt' ich mich mit Wenigem begnügen, imb stekkte
- t- - ■ ' . f
53
meinem Wunsch ein Ziel. Hast du genug, dacht' ich, so hast du
viel; und hast du nicht genug, so wird's die Vorsicht fügen. Waö
folgt dir, wenn du heute stirbst? Die Würden, die dir Menschen
gaben? Der Reichthum? Nein! Das Glükk, der Welt genützt
zu haben. Drum sei vergnügt, wenn du dir dieö erwirbst. So
dacht' ich, liebster Sohn! So sucht' ich auch zu leben, und dieses
Glükk kannst du mit Gott dir selber geben. Vergiß es nie: Daö
wahre Glükk allein ist: ein rechtschaffner Mann zu sein!
UI. Was bin ich mehr, als ihr?
ñhristns hat sei» Lebe» für uns gclossc»:
»iid wir sollen auch da» ficl'cu für die Brüder lassen! (Inh. 3, 10.)
Das Wasser rauscht, daS Wasser schwoll — nämlich daö
Wasser der Oder, die am 27. April 1785 auö ihren Ufern trat,
Damme durchbrach, Brükken abriß, Hauser umwarf tutb vielen
Menschen ihren Sitz auf bim Dächern oder auf den Bäumen
anwies, wo selbst die Vögel nicht mehr sitzen wollten. Kinder
schrieen, Mütter jammerten, Männer klagten: Alles rings umher
war voll Jammer und Noth. Edle Menschenherzen eilten von allen
Seiten herbei, um den Armen zu helfen, llnd eS muß viele Men-
scheuherzen dazll getrieben haben: denn Kahne fuhren ab sind zu
und setzten Greise uitb Weiber aufs Trokkene, und Hände von
Schwimmenden ragten aus den Fluthen empor und trugen Kinder
zu ihren Müttern an's Land, — kurz, Noth und Hülse silchten'S
einander zuvor zu thun; aber die Noth hatte lange die Uebermacht.
DaS edelste Menschenherz unter allen schltig aber dieö Mal in
einer HerzogSbrust. Diese öffnete sich zusammt Börse und Haus
für Hunderte von Unglükklicheu. Nicht genug! Bald stand der
Herzog auch an dem Ufer-, und zog her vor den Andern als retten-
der Engel. Kaum erschien er, so umringten ihn Flehende von allen
Seiten. Eine Mutter fiel vor ihm nieder und flehte jammernd um
den Befehl, ihre Kinder zu retten. Er bot Geld auö; aber Nie-
mand hatte das Herz, es zu verdienen: denn gar zu schaurig
rauschte die immer höher steigende Fluth, und eig'neS Leben stand
gegen fremdes in der Waage. Da wiederhallte in Leopold's Herzen
das mahnende Wort: „Wer da suchet, seine Seele zu erhalten, der
wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, der wird ihr ¿um
54
Leben verhelfen!" — und schon stand er selbst im Kahne und anl-
wortete denen, die ihm abriethen: „Was bin ich mehr, als ihr?
Ich bin ein Mensch, und hier gilt's Menschenleben!" und dahin
schwankte der Nachen über die rauschende Fluth. Schon nähert er
sich dem jenseitigen Damme; jetzt ist er nur noch drei Schritte
davon; schon sieht man im Geiste gerettetes Leben — ach, da schlug
plötzlich der Kahn um, und — die Wellen der Oder sangen ein
Grablied, dazu ganz Frankfurt, ja ganz Europa weinte. Er aber
hatte seines Leibes Leben verloren, aber seiner Seele zum Leben
verholfen. _________
92. Das Lied vom braven Manne.
Der Thauwind kam vom Mittagsmeer
Und schnob durch Welschland trüb’ und feucht;
Die Wolken flogen vor ihm her,
Wie wenn der Wolf die Heerde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;
Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
Am Hochgebirge schmolz der Schnee;
Der Sturz von tausend Wassern scholl;
Das Wiesenthal begrub ein See;
Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll
Hoch rollten die Wogen in ihrem Gleis’
Und wälzten gewaltige Felsen Eis.
Auf Pfeilern und auf Pogen schwer,
Auf Quaderstein von unten rauf,
Lag eine Brükkc drüber her,
Und mitten stand ein Häuschen drauf;
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind.
0 Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind!
Es dröhnt’ und dröhnte dumpf heran!
Laut heulten Sturm und Wog’ um’s Haus.
Der Zöllner sprang zum Dach hinan
Und blikket in die Fluth hinaus:
„Barmherziger Himmel, erbarme dich!
Verloren! Verloren! Wer rettet mich!"
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Die Schollen rollten Schuss auf Schuss!
Von beiden Seiten, hier und dort,
Von beiden Ufern riss der Fluss
Die Pfeiler sammt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind,
Er heulet noch lauter, als Sturm und Wind.
Die Schollen rollten Stoss auf Stoss
An beiden Enden, hier und dort;
Zerborsten und zertrümmert, schoss
Ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
Barmherziger Himmel, erbarme dich!
Hoch auf den fernen Ufern stand
Ein Schwarm von Gaffern, gross und klein;
Und Jeder schrie und rang die Hand;
Doch mochte Niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind.
Rasch galoppirt ein Graf hervor,
Auf hohem Ross ein edler Graf.
Was hielt des Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff.
„Zweihundert Pistolen sind zugesagt
Dem, welcher die Rettung der Armen wagt!“
Und immer höher schwoll die Fluth:
Und immer lauter schnob der Wind;
Und immer tiefer sank der Muth.
0 Retter, Retter! komm geschwind!
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach;
Laut krachten und stürzten die Wogen nach.
„Hailoh! Hailoh! Frisch auf, gewagt!“
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein Jeder hört’s; doch Jeder zagt;
Aus Tausenden tritt Keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und Kind
Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind.
56
s
Sich’, schlecht und recht ein Bauersmann
Am Wanderstabe schritt daher,
Mit grobem Kittel angethan,
An Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er sah’ den Grafen, vernahm sein Wort,
Und schaute das nahe Verderben dort.
Und kühn, in Gottes Namen, sprang
Er in den nächsten Fischerkahn;
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,
Kam der Erretter glükklich an.
Doch.weh! der Nachen war allzuklein,
Der Retter von Allen zugleich zu sein.
Und drei Mal zwang er seinen Kahn,
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,
Und drei Mal kam er glükklich an,
Bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die Letzten in sichern Port,
So rollte das letzte Getrümmer fort.
„Hier," rief der Graf, „mein wakkrer Freund!
Hier ist der Preis! Komm her, nimm hin!"
Sag’ an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott, der Graf trug hohen Sinn.
Doch höher und himmlischer, wahrlich, schlug
• Das Herz, das der Bauer im Kittel trug. .
„Mein Leben ist für Geld nicht feil.
Arm bin ich zwar, doch hab’ ich satt;
Dem Zöllner werde das Geld zu Theil
Der Hab’ und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biederton,
Und wandte den Rükken, und ging davon.
93. Der Baschkire. *)
Hoch klingt das Lied, daö Bürger einst sang dem bravsten der
Männer zu Ehren! Wie Orgelgetön nnd"Glokkentla»g ist es, daö
*) Die -Handlung fällt vor an dem Tage nach der Schlacht bei Bautzen 1813.
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erhab'ne, zu hören. Doch auch der Steppe verwilderter Sohn ver-
dient mit Recht den ähnlichen Lohn, gefeiert zu werden im Liede!
Was klaget uub jammert die ländliche Schaar, was eilet uub
rennet die Menge? Sie nahet, sie nah't, die geahn'te Gefahr; schon
werden die Straßen zu enge! Schon weichen die Tapfern der feind-
lichen Macht; die Donner verhallen; es endet die Schlacht. Victoria
lächelt den Corsen. Den Weichenden folget der trunkene Feind zum
freundlichen Dörfchen in Massen! Doch jene, durch Stärke des
Muthes vereint, erneuen den Kampf in den Gassen! Hub wogend,
wie das brausende Meer, erhebt sich die Schlacht und flnthet daher;
es fallen die Würfel von neuem. Und wüthend kämpften mit heißer
Begier des Corsen gezwungene Knechte; dort fallen die Sklaven; der
Freie sinkt hier; das Blei trifft Gute und Schlechte. Doch abermals
schweiget der riesige Kampf; die heiligen Streiter, geschwärzet vom
Dampf der Geschütze, verlassen das Dörfchen. Den Weichenden
leuchtet die lodernde Glnth der Alles zerstörenden Flammen; verloren,
verloren ist Hab' lind Gut; schon krachen die Häuser zusammen! An
vielen Stellen wüthet der Brand. Ach rettet, ach rettet mit eilender
Hand das Leben der Greise und Kinder! Schon senket das Auge
des Tages den Blikk und färbet mit Purpur den Himmel, doch
keiner der Flüchtigen wagt sich znrükk, gescheucht von des Kampfes
Getümmel. Noch bremlt es hier, noch brennt eö dort, und unerrett-
bar scheinet der Ort ein Raub der gierigen Flammen. Da lenket,
versprengt vom befreundeten Troß und lüstern nach löhnender Beute,
ein Sohn deö Ural sein munteres Roß dem Dorfe zu, Willens, nod)
heute zu suchen der blutigen Arbeit Sold, und sich mit Silber und
glänzendem Gold den Mantelsakk mehr noch zn füllen. Doch führt
er behutsam daö flüchtige Thier unb forschet mit listigen Blikken, ob
auch feindliche Streiter von hier das Blei ilun könnten nachschikken.
Doch furchtlos durchlügt er das dämmernde Licht; er findet, was er
befürchtete, nicht uub trabt ins brennende Dörfchen. Hub wie er
reitet die Gasse entlang durch brennende, rauchende Trümmer, da
horch! tönt menschlicher Stimme Klang; sein Ohr trifft kläglich Ge-
wimmer! Er hemmet den Zügel; da dringt, o GranS! der Schrei
des Kindes ans ärmlichem Hans, daö lekkend schon Flammen um-
spielen. Flugs springt der Steppe mongolischer Sohn im Rn anö
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dem Sattel zur Erde; fein Herz hat vernommen den kläglichen Ton;
und, tränend dem wakkeren Pferde, wirst er mit des Armes nerviger
Kraft in den Boden der Lanze gewichtigen Schaft, b’rcut' knüpfend
die Zügel des Freundes. Hub schnell durchrennt er mit kühner Ge-
walt die lodernden sengenden Flammen zum Orte, von wo die
Stimme noch schallt; da stürzet schon krachend zusammen des DacheS
verkohlte, dampfende Last; o eile, o eile, du rettender Gast; sonst bist
du wohl selber verloren! Und siehe, des Himmels allmächtiger Schutz
lenkt glnkklich des Mnthigen Tritte; er bietet den Gluthen den feind-
lichen Trutz mit festem und sicherem Schritte; erreicht des Hauses
inn'res Gemach, in dem noch blutend ein Leichnam lag, von tödt-
licher Kugel getroffen. Und ach! — in der Wiege ein Engelein
hold, so wunderlieblich zu sehen! mit rosigen Wangen und Lotten
von Gold und jammernd, mit kläglichem Flehen, strekkt hoch die
Händchen zum Himmel empor. Hub seht, der Vater, er neigte
sein Ohr und hörte daö Schreien des Kindes! Rasch greifet deö
Krieges rauher Sohn nach solch lebendigem Funde; er trägt ihn
davon als köstlichen Lohn, ihn küssend mit bärtigem Munde; er
kommt zu dem Rosse, das treulich sein harrt und freudig wiehernd
stampfet und scharrt, als wollt' es den Reiter begrüßen. Und hui!
da sitzet der Ed'le zu Roß und flieht, wie auf Flügeln deö Windes,
in der Rechten daö sichere Lanzengeschoß, in der Linken das Kleinod
des KindeS; er drükkt es so froh an die krieg'rische Brust, genießend
im Herzen die selige Lust, gerettet zu haben die Unschuld. Doch
kaum ist gewonnen im Trabe daö Feld, da horch! das Getrappe
von Hufen! Und vor sich höret bald Asiens Held das „Wer da?"
der Franken anrufen. Und siehe, ein feindliches Reitsrpaar bereitet
dem Helden von Neuem Gefahr mit seiner geretteten Bente. Hub
wie es daö Auge, daö scharfe, erblikkt, sein tapf'reö Herz ist ent-
schlossen: Die Pistolen heraus, geziclet, gedrükkt — und Einer
sinket erschossen vom Pferde herab; den Andern behend mit kräftiger
Lanze zu Boden gerennt — frei ist der kühne Nomade! Und
ungehindert auf dämmriger Bahn trabt Ali, der tapfere Krieger,
zum nächsten Dorfe die Höhe hinan, ein dreifach gekröneter Sieger.
Und abermals hemmt er daö treueste Thier an einem der Häuser
und schwinget sich hier mit seiner Bente vom Sattel. Und ruhig
59
*
tritt er mit freundlichem Sinn hinein zu den ängstlichen Leuten;
er setzet das Kindlein, das liebliche, hin, und sucht den Erschrekkten
zu deuten, wie er eS, den schmerzlichen Flammen geweiht, im Nach-
bardorfe vom Tode befreit, es ihnen zur Pflege jetzt bringe. Drob
staunen die Leute und sehen sich an, bewundernd den wilden Basch-
kieren; stumm seh'u sie ihn an, den vortrefflichen Mann, den solche
Tugend soll zieren. Doch staunet nur, staunt; bald staunet ihr
mehr; schon holt er den lastenden Mantelsakk her; will euch der
Baschkier denn berauben? O nein! O nein! Er beraubt cuci; ja
nicht! Des Edlen mehr noch im Sinne, erfüllt er vollkommen die
edelste Pflicht mit seinem metallnen Gewinne. Er öffnet — und
schauend auf's Kindlein so hold, belegt er den Tisch mit funkelndem
Gold, als Lohn für die Pflege des Kindes. Und zärtlich küßt er
das liebliche Kind mit tief bewegtem Gefühle; verläßt dann des
HauseS Bewohner geschwind und folgt dem blutigen Spiele. Sein
Rößlein trägt ihn in flüchtigen Trab zum Dorfe hinaus, die Höhe
hinab — zum Saume deö bergenden Waldes. So war sie voll-
bracht, die glänzende That, beleuchtet voin Funkeln der Sterne;
und sicher findet den richtigen Pfad das Thier, bis Ali von ferne
bald deutlich die flakkerndcn Feuer der Wacht zufriedenen Herzens
im Dunkel der Nacht als russische Feuer erspähet. —
Hoch klinget das Lied, das Bürger einst sang, dem bravsten
der Männer zu Ehren, wie Orgelgetön und Glokkenklang ist'S nun,
das erhab'ne, zu hären. Doch, auch der Steppe verwilderter Sohn
verdiente mit Recht den ähnlichen Lohn, gefeiert zu werden im Liede.
Denn über ihm feiert der himmlische Ehor ein Fest der Entzükkuug
und Wonne; durch nächtliches Dunkel steiget empor das Werk zu
dem Auge der Sonne. Man wägt mit gerechter Wage die That, —
und siehe, sie wird nach deö Ewigen Rath im Buche des Lebens
verzeichnet.
94. Das Tischgebet.
„Wcr mich Meintet tun1 de» Menschen, den will ich bekennen vor meinem
I-iinmlischen Valer!" (Matth. 10, 32.)
An der Tafel im Gasthaus zum goldenen Stern waren bei-
sammen viel reiche Herren. Bor ihnen standen aus Küch' uub
Keller gar lieblich lokkend die Flaschen und Teller. Schon saßen sie
60
da in plaudernden Gruppen; die Kellner reichten die dampfenden
Suppen, unb mehr noch begannen Gemüs' und Braten mit süßem
Wohlgeruch zu laben. Da kam zur Thüre still herein ein Fremder
mit seinem Mägdelein, und setzte sich unten am langen Tisch, um
auch zu kosten vom Wein und Fisch. Oben klirrten die Löffel und
Messer, klangen die Gläser und scherzten die Esser. Auf einmal
tönt gar hell und fein eine Stimme in den Lärm hinein, wie wenn
von fern ein Glökklein klingt, wie wenn im Wald ein Vogel singt.
Und wie auch der Strom der Rede rauscht, -still wird es rings und
Jeder lauscht: der Krieger, der von den Schlachten erzählt, der
Kaufmann, der über die Zölle geschmält, die Wand'rer, die von
Abenteuern gesprochen und von Ungeheuern, die Stutzer, die voi:
Pferd und Wagen unb Hunden und Moden so gar viel sagen.
Und wie sie schauen nach dem Orte, von woher dringen die lieb-
lichen Worte: mit gefallenen Händen ein Mägdlein steht und spricht
sein gewohntes Tischgebet. Unb, wie gedrungen von höherem Geist,
falten auch sie die Hände zumeist, lind horchen Alle recht mit Fleiße
aus des stammelnden Kindes Weise. Drauf setzt es sich nieder mit
stiller Freude, und achtet nicht aus all' die Leute. Die aber, ergriffen
int tiefsten Innern, thaten sich oft noch daran erinnern; und
Mancher hat wieder gebetet fortan, was er schon lange nicht mehr
gethan.
92. Warum?
Zn Hamburg auf einem Platze standen einmal zween Arbeiter^
und wer sie sah, dachte an des Herrn Wort: „Um die eilstc Stunde
aber ging er aus iittb fand Andere müßig stehen am Markte, und
sprach zu ihnen: „Was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig?"
Denn ob gleich der Meßner schon auf dem Wege war, die Mittags-
glokke zu ziehen, so warteten sie doch noch immer auf den, der da
kommen sollte und sagen: „Gehet mit mir; ich will euch geben, was
recht ist."
Ilnd als um 12 Uhr im Michaelis-Thurme die große Glokke
gezogen wurde, zog Karsten, der eine von den zween, den Hut ab
und betete ein Vaterunser, oder was er sonst in seinen: Herzen redete.
Denn seine Lippen regten sich; aber seine Stimme hörte man nicht.
61
Wolland aber, der andere, ließ den Hut ans dem Kopfe und sprach:
„Weiß nicht, warum ich mich bemühen soll, wenn die Alte da oben
summt und brummt. Wie leicht fällt ein Ziegel vom Dach und
schlagt mir ein Loch in den Kopf! Was gilt'S, Vetter ClauS, es
geht deiner großen Nase einmal schlecht, wenn du beim Summen
der Betglokke mit entblößtem Scheitel da oben hinaufschaust." Karsten
aber antwortete nur: „Will sehen, Vetter Ehrhardt, will sehen."
Hätte auch zu einer längern Replik nicht Zeit gehabt. Denn,
da er das gesagt, trat ein kleiner, alter Herr zu ihm und sprach:
„Gefällt's dir, so komm! Ich will dir Arbeit geben und bezahlen,
was recht ist." Karsten ging mit, und als das alte Herrlein nnter-
weges zu ihm sagte: „Aber ich kann es nicht leiden, daß, die mein
Brot essen, fragen, warum?" antwortete er: „Euer Wille geschehe.
Viel Reden und Fragen ist das ganze Jahr meine Sache nicht."
Also kamen sie, ohne ein Wort weiter zu verlieren, in die große
Zukkersiedcrei vor dem Thore. Ilnd alö Karsten hinter derselben die
großen Holzstöße sah, wurde er ganz fröhlich in seinem Herzen und
sprach bei sich selbst: „Gott sei'S gedankt! Nun wird eö mir nimmer
an Arbeit fehlen."
Da er aber ein Jahr lang oder etwas darüber Holz gesägt
wld gespalten hatte, sprach der Zukkersieder zu ihm: „Claus, du hast
alle Tage einen weiten Weg Abends hinein und Morgens wieder
heraus. Gefällt's dir, so magst du dort in mein Gartenhaus ziehen,
und mit Weib und Kindern darin wohnen umsonst." Und da Kar-
sten ein Jahrlang oder darüber im Sommerhaus gewohnte hatte,
trat sein Brotherr wiederum zn ihm und sprach: „Claus, der Haus-
meister hat lange Finger gemacht und hinter der Thür Abschied ge-
sagt. Willst du, so kannst du sein Pöstlein einnehmen." Ilnd aber-
mals über ein Jahr ließ der alte Zukkersieder mitten durch seinen
großen Garten zwischen den Trokkenböden und dem Sommerhänslein
eine hohe Mauer aufführen. Aber Niemand getraute sich zu fragen:
„Warum thust du das?" Selbst sein eigner Bruder nicht; auch sein
Weib nicht; denn er hatte keins. Und ob nun gleich der Hausmeister
Karsten fortan einen weiten Umweg machen mußte, wenn er zn den
Seinen im Gartenhause gelangen wollte, so fragte er doch nicht,
wie oder warum? Darüber starb der Zukkersieder und in seinem
62
Testament stand geschrieben: „Item, dem ClauS Karsten vermache
ich die andere Halbscheid meines Gartens jenseits der Mauer, und
will ihn mein Bruder auch fernerhin als Hausmeister behalten, so
mag er eine Thür bares; die Wand brechen lassen; wo nicht, so zahlt
er dem Manne noch weiter drei tausend Mark und läßt ihn ziehen.
Sollte aber Klaus Karsten, was ich jedoch nicht hoffe und erwarte,
fragen, warum er zu mir gekommen, so werde ihm zu wissen gethan,
wie folgt: „Zum Holzhakker wählte ich den ClauS, weil ich ihn
beten sah. Hätte damals sein Kamerad gebetet, und er den Hut
auf dem Kopfe behalten, würde ich ihn nicht gedungen haben, son-
dern seinen Letter."
9V. Beter» u»ld Arbeiten.
Zu den Brüdern auf dem Berge Sinai, unter denen
Silvanus Abt war, kam einst ein fremder Bruder. Da dieser
sahe, daß jene arbeiteten, sprach er zu ihnen: „Warum wirket
ihr doch Speise, die vergänglich ist? Maria hat das gute
Theil erwählet." Da sagte der Abt zu seinem Jünger Zacha-
rias: „Gieb dem fremden Bruder ein Buch, und führe ihn
dort in jene Zelle, daß er ungestört lesen könne." Und der
Bruder saß und las. Da aber die Mittagsstunde kam, sah
er fleißig auf den Weg hinaus, ob denn Keiner käme, ihn
zum Essen zu rufen. Und er harrte noch eine Stunde; dann
aber ging er hinaus ztl dem Abt und fragte ihn, ob denn
die Brüder noch nicht äßen? Jener antwortete: „Es ist bereits
geschehen." -Da fragte ihn der Fremde, warum er denn nicht
auch gerufen worden sei zum Essen? Silvanus antwortete:
„Ich habe geglaubt, du wärest ein geistlicher Mensch, der, wie
Maria, das beste Theil erwählt hat, und den ganzen Tag
sitzet und liefet und der vergänglichen Speise nicht bedarf.
Wir aber, als fleischliche Leute, bedürfen der vergänglichen
Speise; darum arbeiten wir auch." Da erkannte der fremde
Bruder sein Unrecht, und der Abt erguikkte ihn und sagte:
„Bedenke doch, mein Bruder! daß hier auf Erden keine Maria
sein kann ohne Martha."
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97. Der fromme Knecht.
Ein frommer Knecht zu dieser Frist ein Wunderthier auf
Erden ist. Er fürchtet Gott und glaubet frei, daß er im
Dienst des Höchsten sei, und von demselben auf der Erde auch
feinen Lohn empfangen werde. Deßhalb hat er vor Gott stets
Scheu, ist feinem lieben Herrn getreu, und lebt, so lang' er
hier muß wallen, zum Nutzen ihm und Wohlgefallen.
Er thut die Arbeit ohn' Geheiß, mit Ernst und einem
solchen Fleiß, als ob die Sachen feines Herrn in allen Punk-
ten seine wär'n. Zum Fleiße treibt an jedem Ort er auch
die andern Knechte fort, und giebt der Herrschaft gleich Bericht,
Wo Schad' und llnrecht ihr geschicht.
Er saufet sich auch niemals voll, bedenket seine Worte
wohl; man hört nie, daß er schilt und flucht; denn er hält
stets auf Ehr' und Gut. Dazu ist er auch fein verschwiegen
und mag die Herrschaft nie belügen. Er nimmt vorlieb mit
Speis' und Trank, empfängt den Lohn mit warmem Dank.
Ein solcher Knecht und frommer Held, der feine Arbeit
wohl bestellt und auf den Herrn wohl Achtung giebt, wird
allenthalben sehr geliebt. Ein Jeder ist ihm wohlgeneigt, ihm
Förd'rung, Gunst und Ehr' erzeigt mit Worten, Werken und
mit Gaben, so daß er nie darf Mattel haben.
98. Die fromme Magd.
Die fromme Magd vorn rechten Stand geht ihrer Frauen
fein zur Hand, hält Schüssel, Tisch und Teller weiß, zu ihrem
und der Frauen Preis.
Sie trägt und bringt nicht neue Mähr', geht still in
ihrer Arbeit her, ist treu und eines frohen Muth's, und thut
den Kindern alles Gut's.
Sie ist stets munter, hurtig, frisch, vollbringet ihr Ge-
schäfte risch, und hält's der Frauen wohl zu gut, wenn sie
um Schaden reden thut.
Sie hat dazu fein die Geberd', hält Alles sauber an dein
Heerd, bewahrt das Feuer und daS Licht, und fchlunnnert in
der Kirche nicht.
s
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09. Hein und Kilian.
Zwei Bauern, Hein und Kilian, die nachbarlich auf einen
Jahrmarkt stiegen, durchstrichen einen Wald. Hein ging voran.
Jetzt sah' er einen Sakk mit Geld im Grase liegen; er rafft
ihn gierig auf und stekkt ihn lächelnd ein. „Das war ein
schöner Fund, Herr Vetter Hein!" sprach Kilian, „der hilft
uns auf die Beine." — „ U n s sagt ihr? Wie versteht ihr
das? Das rechte Wort ist: euch!" — „Je nun, ich meine,
die Hälfte sei für mich." — „Ci Spaß! Der Fisch ist mein,
ich hab' ihn ja gefangen!" rief Hein. Der Vetter ließ die
Flügel hangen und schlich so stumm, als wär' er selbst ein
Fisch, dem reichen Manne nach, als schnell aus dem Gebüsch
ein Paar verweg'ne Räuber sprangen. Hein zitterte vor
Furcht: „Was fangen wir nun an? Wir sind verloren!" —
„Wir?" sprach Kilian. „Ihr irrt euch, lieber Spießgeselle!
Das rechte Wort ist: ihr!" — Husch! flog er in'ö Gehölz.
Hein konnte gar nicht von der Stelle; die Räuber fielen ihn
mit Säbeln ans den Pelz. „Geld oder Blut!" hieß cs. In
Todesangst versenket, gab er den Schatz und obenein sein
Kleid. — Wer, wenn das Glükk ihm lacht, an sich nur denket,
hat keinen Freund in Widerwärtigkeit.
100. ($tu Hausmittel.
Nimm die Geduld als Magd in's Haus; sie Hilst dir ein,
sie Hilst dir aus; doch hüt' dich, wenn sie herrschen will; sonst
steht die ganze Wirthschaft still. — Als Hausarzt nimm beu
Fleiß dir an; der ist der wahre Wundermann, der ohne Säst
wnb ohne Pillen durch seinen bloßere guten Willen aus Seel'
und Leib dir treiben kann die Dünste und die Grillen. Ich
habe gute Dienerschaft; die Knechte heißen: Selbstgeschafft
und Spätzubett und Aufbeizeit; die Mägde: Ord-
nung, Reinlichkeit; Durft, Hunger, heißen Schenk und
Koch; hab' auch zwei Edelknaben noch, genannt: Gebet und
gut Gewissen, die, bis ich schlaf', mich wiegen müssen.
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101» Ist'S möglich, so viel an ench ist, so habt mit allen Menschen
Friede»!
Das ist eine alte Lehre, die sich schon über 1800 Jahre bewährt
hat, und wer danach handelt, der wird es schon inne werden, daß
Niemand großem Vortheil davon hat, als der Friedfertige selber.
Nun sagt man freilich, und daS soll auch wahr sein, daß Niemand
länger Frieden haben kann, als cö seinem bösen Nachbar gefällt;
denn Mancher wird in Zank und Hader verwikkelt, der den Frieden
viel lieber hätte. Wenn's dir aber mit dem Frieden ein rechter Ernst
ist, so bringst dn ihn doch wohl zuwege, wenn nicht Frieden mit
deinem Nachbar, doch wenigstens Frieden in deinem eigenen Herzen
und Hanse.
Zuweilen streiten sich Menschen um das Mein und Dein, und
Jeder glaubt, dabei im Rechte zu sein.' Dangeht nun ein friedfertiger
Mann nicht sogleich zum Advokaten und prozessirt gleich vor den
Gerichten; er bespricht eö mit verständigen und friedfertigen Leuten,
und vergleicht sich am Ende mit seinem Nachbar; denn er weiß schon,
daß Friede ernährt und Unfriede verzehrt, und daß ein magerer Ver-
gleich oft besser ist, als ein fetter Prozeß. Ja, wenn daö Prozessiren
kein Geld kostete und nicht beiden Theilen die Galle inS Blut triebe,
und wenn sie die Sache so ruhig behandelten, wie die beiden schwei-
zerischen Bauern, Velten und Kaöpar. Hört!
Im Kanton Schwyz im Lande Schweiz kam eines Abends der
Bauer Velten zum Bauer Kaspar, der auf dem Felde arbeitete, uub
sagte: „Nachbar, jetzt ist die Heuernte, und du weißt, daß wir einen
Streit wegen der Wiese haben. Ich habe die Richter in Schwyz
zusammenrufen lassen, weil wir beide nicht gelehrt genug sind, um
zu wissen, wer von unö beiden Recht hat. Komm also morgen mit
mir vor Gericht." — „Du siehst, Nachbar, daß ich die Wiese ge-
mäht habe, und morgen muß ich, weil jetzt guteö Wetter ist, daö
Heu in Haufen bringen; ich kann also unmöglich mitgehen." —
„Und ich kann die Richter nicht wieder gehen lassen, da sie diesen
Tag gewählt haben; auch darf daö Heu nicht eher weggeholt werden,
bis wir wissen, wem die Wiese gehört." — Nach einigem Besinnen
sagte Kaöpar: „Weißt du, wie wir eö machen wollen? Gehe morgen
nach Schwyz, und sage den Richtern deine und mein- Gründe, so
5
brauche ich ja nicht mit dabei ju sein." — „Wenn du das Zutrauen
zu mir hast, so kannst du dich darauf verlassen, daß ich für dein
Recht reden will, wie für mein eigenes." Nach dieser Abrede ging
Velten den folgenden Tag nach Schwyz und trug seine und Kaspars
Gründe vor, so gut er konnte. Am Abend kam er zurükk und sprach
zu seinem Nachbar: „Die Wiese ist dein; die Richter haben sie dir
zugesprochen; ich wünsche dir Glükk und bin froh, daß wir nun
aufs Reine gekommen sind." —
Sclig sind, die Friede machen,
Und drauf seh'n ohn' Unterlaß,
Daß man mög' in allen Sachen
Fliehen Hader, Streit und Haß;
Die da stiften Fried' und Ruh',
Rathen allerseits dazu,
Sich des Friedens selbst befleißen,
Werden Gotteü Kinder heißen.
102. Der Weinstokk.
An meines Häuschens uied'rer Wand seit Jahren schon ein
Weinstokk stand, und wob die Ranken, wie zur Zier, um meine
kleinen Fenster mir. Doch als deS Winters Toben kam, der Blum'
und Strallch das Leben nahm, da rieselten, wie in ein Grab, des
Wcinstokks Blätter auch hinab, und/eiugelegt zur Winterruh', dekkt
sorgsam ihn der Gärtner zu. Als nun des Lenzes Ruf erscholl:
auch in dem Weinstokk Leben quoll; schon wollt' er sich mit Grün
bekleiden, da kommt der Herr, ihn zu beschneiden, und in der
Zweige dichter Mitte das Messer häuft mit scharfem Schnitte. 'Die
Blüthen auS der Knospen Nacht sind alle lustig scholl erwacht;
nuv all des Wcinstokks wllilden Stclleil sieht Thränen inan auf
Thränen quellen, und während Alles grün erscheint, der Weinstokk
einsam steht und weint; ¿ernt in her jubelnden Natur fühlt tiefer
seinen Schmerz er nur. Doch alö der rauhe Herbst erschien, sah
mail die schöllsten Traubell glüh'n an meines Weinstokks schlanken
Zweigen, die unter ihrer Last sich beilgen. Deiul nur zu seinem
wahren Frominen hat man die Zweige ihm genommen, die, wenn
allch reich all Blätterpracht, doch nimmer edle Frllcht gebracht.
Drum, weiln das Herz mir bang' und weh', ich schweigend
auf den Weinstokk seh', ulld dieses einfach schölle Bild mein Herz
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mit süßem Trost erfüllt; eö giebt die Lehrer halte still, wenn Gott
durch Schmerz dich heilen will! Und wenn des Lebens Pracht
verblüht, erheb' im Glauben dein Gemüth ju ihm, dem großen
Herrn der Welt, der ja so treu die Seinen halt, und hoffe stuf
die Erntezeit; dort wird dein Schmerz zur Freudigkeit.
103. DaS Reisegeld.
Der fromme Luther sitzt auf seinem Stuhle, in'S heil'gc
Buch mit heil'gem Sinn vertieft; da tritt ein Jüngling von
der hohen Schule herein, de» zittert und vom Regen trieft. ,
Verzeiht, wenn störend ich in eure Mitte mich wage, wie man
kommt von Wald und Feld. Ich lenke nach der Heimattz
meine Schritte; doch baar und bloß bin ich von Reisegeld.
Die Katharina sprach: „seid uns willkommen; doch eure Bitte
macht das Herz mir schwer. Es hat der Martin Geld und
Gold genommen und theilt' es ans, und so ist Alles leer.
Doch Luther schaut umher; da steht ein Becher, von Silber
schwer und auch vergoldet blank: hier ist er müßig, und ich
bin kein Zecher! - und nimmt ihn sreud'gen Blikkes ans dem
Schrank, llnb that ihn mit der Hand znsammendrükken und
reichet ihn dem Jüngling freundlich dar. Gott lasse gnädig
eure Reise glükken; das Reisegeld giebt euch der Goldschmidt baar.
10/i. Der GrzgeizhalS.
„Wer sich auf seinen Reichthum verläßt, der wird untergehen!" (Spr. 1l, 28.)
ES war einmal ein Erzgeizhals gewesen, der hat viel Geld
zusammengescharrt, einen ganzen großeil Topf voll. In seinem
Hanse hielt er eö aber llicht für sicher. Er traute seinen eigenen
Leuten nicht, und der Nachbar hatte durch die Wand riechen können,
wo es verborgen wäre. Daher trug er eö bei Nachtzeit in den
Wald, recht in das Dikkicht und Dunkel hinein. Da stand eine
große Eiche mit kräftigen Zakken. Unter dieser grub er eine Höhle,
setzte den Topf hillein und wälzte einen Stein darauf. Nlin war in
derselbigen Stadt ein armer Schlukker, der hatte daö Seine durch-
gebracht. An Blitze dachte er nicht uild an einen Gott glaubte
er nicht. Der ging etliche Tage später in den Wald. Er nahm
keinen Topf voll Gold nlit, aber einen Stritt; denn er wollte sich
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aufhängen. Er kam unter dieselbe Eiche. Ihre Zakken waren ganz
so, wie er sie suchte, aber doch ein Bischen ju hoch. Darum
wälzte er den Stein, der die Höhle schloß, näher dem Baume zu.
Beim Wegwälzeu merkte er die Höhle und untersuchte, was darin
sei. Finden und Nehmen war bei ihm Eins. Er pakkte das ganze
Gold ein und legte dafür seinen Strikt in den Topf. Den Stein
wälzte er wieder auf daö Loch. Kurz darauf kam der Bergräber
und wollte sehen, ob der Schatz noch vorhanden sei. Wie groß war
sein Schrekken, einen Strikt für seinen Schatz zu finden. Er wußte
keinen andern Rath, als den Strikt um den Eichenast zu schleifen
und sich daran zu hängen. —
Daraus kann man lernen, daß man sein Herz nicht an einen
Topf voll Gold hängen soll; denn wenn eö gestohlen wird, hängt
man sich an einen Strikt. Darum: „Fällt euch Neichthnm zu, so
hänget daö Herz nicht daran!" (Ps. 62, 11.)
105. Der Kosakk und der Bäkker.
Zn jener Zeit, als von der Beresine das Frankenheer mit
scheuer Miene und mit dem Pilgerstab in stolzer Hand entwich anS
unserm Vaterland, begab eö sich, daß ein Kosakkenschwarm nach
Krenzbnrg kam, ein Städtchen, klein und arm, drei Meilen nur von
Königsberg gelegen. Um seinen Magen auch einmal zu psiegen,
hält ein Kosakk vor einem Bäkkerladen still, und klar ist's, waö der
bärt'ge Reiter will: man sieht ihn nach den Semmeln schmunzeln;
ein heitres Lächeln glättet plötzlich alle Runzeln aus dem behaarten
braunen Angesicht, das eben nicht viel Gnt'ö dem Bäkkersmann
verspricht. ES pakket der Kosakk gar viele Semmeln ein. Die
werden, denkt der Bäkker, wohl verloren sein; doch einen fränk'schen
Thaler wirft ihm zu jetzt der Kosakk und trabt hinweg in Ruh.
Da schallt's: Kosakk! Kosakk! in seinem Rükken. Er hält sein Röß-
lein, um zurükk zu blikken. Der Bäkker bietet ihm gar höflich
dritt'halb Gulden (a 10 Sgr.): „Verzeihen Sie; ich mach' nicht
gerne Schulden. Hier ist daö Geld, das Sie zu viel gegeben, lind
damit wünsch' ich Ihnen wohl zu leben!" Im Anfang weiß der
bied're Moskowite nicht, waö er sagen soll; doch jener macht's ihm
deiltlich durch Pantomimen: „Haben Sie die Güte!" Deö Bäkkers
Ehrlichkeit erfreut den Krieger weidlich. Er weigert sich und nimmt
daö Geld nicht wieder; „denn," denkt er, „sicherlich hat Mancher
meiner Bruder gar oft schon Semmeln hier ans gut kosakk'sch
erhandelt und ist dann mir nichts dir nichts feinen Weg gewandelt;"
allein er muß sich doch bequemen, sein Eigenthum vom Bakker
anzunehmen. Still greift er nun in seine weite Tasche, wo neben
der gefüllten Flasche ein Vorrath von Franzosen-Gnte stekkt. „Nimm
Bakker," — spricht er, — „bist ein braver Mann!" und heftet
ihm ein LegionS- Kreuz an.
INO. Das Lächeln im Tode.
Ein frommer Greiö war dem Tode nahe, und seine Kinder
und Enkel standen um sein Sterbebett. Er schien jetzt zn schlafen
und lächelte drei Mal mit geschlossenen Angen. Alö er die Augen
wieder öffnete, fragte Einer seiner Söhne, warum er denn drei
Mal gelächelt habe?
Der fromme Greis sagte: „Daö erste Mal gingen alle Freu-
den meines Lebens an mir vorüber — und ich mußte lächeln, daß
die Menschen dergleichen Seifenblasen für etwas Wichtiges ansehen
können!"
„Daö zweite Mal erinnerte ich mich an alle Leiden meines
Lebens — nnd ich freute mich, daß sie mm für mich ihre Dornen
verloren haben, nnb daß die Zeit da ist, wo sie mir Rosen bringen
werden."
„Daö dritte Mal gedachte ich deö Todes — nnd ich mußte lächeln,
daß die Menschen diesen Engel Gotteö, der sie von allen Leiden
befreien, sie in die Wohnungen ewiger Freuden einführen will, so
arg fürchten nnd scheuen können."
107. Der Mönch.
In einem Kloster lebte ein Mönch, der des Abends immer eine große Mat-
tigkeit nnd Abspannung verrieth. Der Abt fragte ihn einst nach der Ursache
derselben. „Ach!" antwortete der Mönch, — „id) habe jeden Tag so Vieles ju
thun, daß meine Kräfte nicht hinreichen würden, wenn die Gnade Gottes mich
nicht stärkte. Ich habe zwei Falken zn zähmen, zwei Hasen aufzuhalten, zwei
Sperber abzurichten, einen Lindwurm zu bezwingen, einen Löwen zu bändigen
und einen Kranken zn pflegen." —• „Ei," sagte der Abt, „das sind thörichte
Klagen; solche Geschäfte werden keinem Menschen zu gleicher Zeit aufgegeben,
und in meinem Kloster habe ich nie von solchen Pflichten der Brüder gehört!" —
„Nnd doch, ehrwürdiger Herr," versetzte der Mönch, — „habe ich keine Unwahr-
heit geredet. Die zwei Falken sind meine Augen; die muß ich mit großer Sorg-
falt bewahren, damit ihnen nicht Etwas gefalle, was meiner Seligkeit schaden
könnte. Die zwei Hasen sind meine Füße; die muß ich beständig zurükkhalten,
daß sie nicht nach schädlichem Vergnügen laufen und auf dem Wege der Sünde
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wandeln. Die beide» Sperber sind meine Hände; die muß ich zur Arbeit abrich-
ten und antreiben, damit ich mich selbst und meinen nothleidenden Mitbruder
speisen und laben kann. Der Lindwurm ist meine Junge; die muß ich beständig
im Zaume halten, daß sic nichts Ungebührliches rede oder unnütze Worte spreche.
Der Löwe ist m in Herz; mit ihm muß ieb fortwährend im Kampfe liegen, damit
nicht Eitelkeit nnd Eigenliebe dasselbe erfülle, sondern Gottes Geist in ihm wohne
n»d wirke. Der Kranke ist mein eigner Leib, der, eigensinnig, bald Dieses, bald
Jenes verlangt nnd wicht fragt, ob das Verlangte auch heilsam sei für die Ge-
sundheit nnd das ewige Leben. _ Das Alles mattet mich täglich ab. 'i — Mit
Verwunderung hörte der Abt die Erklärung des Mönches und sagte zu ihm:
„Mein Bruder, du arbeitest im Weinberge deö Herrn; er wird deine Mühe be-
lohnen und deine Mattigkeit mit ewiger Mahlzeit erquikken.
108. Bild dos menschlichen LebcnS.
Im Osten erhob sich der Mond und schwamm, wie ein lichter
Nachen in dem Wiederschein deS Abeudroths. Die Kinder zeigten
ihn ihrem Vater. „Wie schön und zart ist er," sagte Alwin; „so
sieht er llicht immer auö!" — „ Er ist in seiner Kindheit," erwi-
derte der Vater. „Mit jedem Tage wird er wachsen, und sein Licht
wird zunehmen, bis er uns die ganze volle Scheibe zeigt. Vielleicht
werden ihn bisweilen Wolken bedekken, luld er wird fein Angesicht
gleichsam verhüllen. Nach einiger Zeit wird er wieder abnehmen
ilttd kleiner werden, bis er endlich galiz verschwindet, um ein voll-
kommneö Bild deö menschlichen Lebens zu werden." — „Ich verstehe
nicht, was du meinst," sagte Theodor. „O ja," siel Alwin ein;
„ich weiß, was du sagen willst: Der Mensch nimmt auch zu nnb
ab und glanzt eilte Zeit lang über der Erde; dann verschwindet er
und wird im Grabe verborgen." — „Und die Wolken, die den
Mond bisweilen umhüllen?" fragte der Vater. — „Diese weiß ich
nicht zll bellten." — „ES sind die Unsalle, die dem Menschen be-
gegnen," fuhr der Vater fort. „Kein Leben ist noch so glanzend
über die Erde hinweggezogen; jedes hat seine trüben Tage gehabt.
Aber all dem uuschuldigeu lind tugendhaften Menschen ziehen die
Wolken vorüber, nnb die Ruhe seiner Seele bleibt ungestört. Und
wenn er endlich vor unsern Angen verschwindet, so geht er llicht,;n
Grunde, sondern strahlt in einer andern Gegelld ewig und dauernd
und llnveränderlich."
100. Der Mensch und der Kranich.
In den Tagen, wo die Blätter fallen und die Blumen sterben, saß die
Familie eines wohlbetagten Lehrers vor der reinlichen Wohnung und sah der
scheidenden Sonne nach, die hinter den blaue» Zinnen des Gebirges versank. Alle
waren ernst nnd still, und der Schleier der Wehmnth, der über der Gegend hing,
schien auch die Herzen zu detken. Nur das Antlitz des alten Vaters, der umringt
saß von Kindern und Kindeskindern, war hell und heiter, wie Eines, der eine
lang genährte, theure Hoffnung der endlichen Erfüllung nahe sieht. Und als Alle
so bei einander waren, zog ein Kranichvolk über sie hin gegen Süden, und alle
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Blikke wandten sich aus die Wanderer der Lüfte. Da erhob der alte Vater seine
Stimme nnd sprach: „Wie gleichet der Mensch doch dem Kranich! So lange
die Sonne wärmt und die Erde trägt, wohnt der Kranich bei unS und baut ein
sicheres Neft für sich und die Seinen; wenn aber die Garben gebunden und die
Trauben gesammelt sind, nnd der Nord von den Bergen über die Erde rauscht,
dann vermag der Kranich nicht länger zu weilen. Er bricht auf mit den Scine»
zur Wanderung über das Meer, dahin, wo die Sonne wärmt und der Frühling
blüht. — Und auch der Mensch ist nur ein Gast im Leben, baut wohl sein HanS
und freut siä' des Frühlings nnd arbeitet in den Monden dcö Sommers und
sammelt die Garben des Fleisicö. Doch wenn es um ihn rauh wird und öde,
wenn der Baum seiner Kraft sich entlaubt und die Schneeflokken des Winters sein
Haupt bedekken, dann vernimmt er, wie der Kranich, den Ruf zur Heimath.
Dann stillt der ernste Engel deö TodeS die Sehnsucht 'dcö Menschen und nimmt
ihn auf in seine dunk'le» Fittige und trägt chen Schlummernden still über die
Wasser der Zeit in das heimathliche Land voll Paradiesbäume und Sonnen."
Der Alte schwieg. Sein Gesicht strahlte, als sähe er schon das Land der
Sehnsucht geöffnet. Die Kinder aber lächelten wehmüthig durch Thränen; denn
es war ihnen bange vor dem Abschiede des freundlichen Greises.
110. Der Brunnen dcö Verderbens.
ES giltst ein Mann im Syrerland, führt ein Kamel am Half-
terband. Das Thier mit grimmigeit Geberden urplötzlich anfing,
scheu zil werden, nild that so ganz entsetzlich schnaufen, der Führer
von ihm mußt' entlaufen. Er lief, unb einen Brunnen sah voll
ungefähr am Weg er da. Das Thier hört er im Rükken schnauben;
das mußt' ihm die Besinnung rauben. Er in den Schacht des
BrlllllienS kroch. Er stürzte nicht; er schwebte noch. — Gewachsen
war ein Brombeerstrauch and deS geborstnen Brunnens Bauch,
darall der Mensch sich fest that klammern und feinen Zustand drauf
bejammern. Er blikktc in die Höh' und sah dort daS Kamelhaupt
furchtbar nah', das ihn wollt' eben fasseit wieder. Daun Misst’ er
in den Brunnen nieder; da sah im Grund er einen Drachen auf-
gahnen mit gesperrtem Rachen, £er drunten ihn verschlingen wollte,
wenn er hinunter fallen sollte. So schwebend in der Beiden Mitte,
da sah der Arme nod) das Dritte. Wo in die Mauerspalte ging deS
StrauchleinS Wurzel, dran er hing, da sah er still ein Mausepaar;
schwarz eine, weiß die andre war. Er sah die schwarze mit der
weißen abwechselnd an der Wurzel beißen; und wie die Erde nieder-
rann, der Drach' im Grund ausblikkte dann, zu sehn', wie bald
mit seiner Bürde der Strauch entwurzelt fallen würde. Der
Mann in Angst nnb Furcht und Noth, umstellt, umlagert und
nmdroht, im Stand deö jammerhaften Schwedens, sah sich nach
Rettling um vergebens. Und da er also um sich blikkte, sah'er
ein Zweiglein, welches nikkte vom Brombeerstrauch mit reifen
Beeren; da konnt' er doch der Lust nicht wehren. Er sah nicht
/
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des Kameles Wuth und nicht den Drachen in der Fluth und nicht
der Mäuse Tücke Spiel, als ihm die Beer' iu'S Auge fiel. Er ließ
das Thier van oben rauschen und unter sich den Drachen lauschen,
und neben sich die Mäuse nagen, griff nach beit Beeren mit Be-
hagen ; sie bäuchten ihm zu essen gilt, aß Beer auf Beerlein wohl-
gemut!), und durch die Süßigkeit im Essen war alle seine Furcht
vergessen.
Du fragst: Wer ist der thöricht' Mann, der so die Furcht
vergessen kann; so miss', o Freund, der Mann bist du; vernimm
die Deutung auch dazu: Es ist der Drach' im Brunneugrund des
Todes aufgesperrter Schlund, und das Kamel, das oben droht, es
ist des Lebens' Angst unb Noth. Du bist'ö, der zwischen Tod und
Leben am grünen Strauch der Welt muß schweben. Die Beiden,
so die Wurzeln ncmen, dich sammt den Zweigen, die dich tragen,
zu liefern in des Todes Nacht, die Mäuse heißen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl verborgen vom Abend heimlich bis zum
Morgen. Es nagt vom Morgen bis zum Abend die weiße wur-
zeluntergrabend. Und zwischen diesem GrauS unb Wust lokkt dich
die Beere Sinnenlust, daß du Kamel, die Lebensnoth, daß du im
Grund den Drachen, Tod, daß du die Mause, Tag und Nacht,
vergissest und auf Nichts hast Acht, als daß du erst viel Beerlein
haschest, aus Grabesbrunueuritzen naschest. v
111. Salvmon und der Säemann.
Im Feld der König Salomon schlägt unterm Himmel
auf den Thron; da sieht er einen Sä'mann schreiten, der
Körner wirst nach allen Seiten. „Was machst bu da?"
der König spricht, „der Boden hier trägt Ernte nicht. Laß
ab vom thörichten Beginnen; du wirft die Aussaat nicht
gewinnen." Der Sä'mann, seinen Arm gesenkt, unschlüssig
steht er still und denkt; dann fährt er fort, ihn rüstig hebend,
dem weisen König Antwort gebend: „Ich habe Nichts, als
dieses Feld; geakkert hab' ich's und bestellt. Was soll ich
weiter Rechnung pflegen? Das Korn von mir, von Gott
den Segen."
112. Die Frennde nach dem Tode.
Gin koniglichcr Dioici- hatte auf ciuci- klciiic» Insci ciuci grotzm incitai
KoniaSrcichS vicle.Guter zn vcrwaltcn. Da kai» plotzlich ci» Bete dei KimigS
iind brachte ihm Bcfehl, unverzuglich vvr beni Throne zu erscheincn, unb Rechen-
schast abzulegcn von sciner Benvaltung.
73
Der Mann hatte sich manchen Fehler zn Schulden kommen lasse», und es
war ihm sehr bange, wie er in seiner Rechenschaft vor dem Könige bestehen werde.
Indes; hatte er mehrere Freunde, und bat sie flehentlich, ihn auf dieser seiner
weiten Reise zu begleiten und sich bei dem Könige für ihn zu verwenden.
Allein einige dieser Freunde, um die er sich sein ganzes Leben hindurch die
meiste Miche gegeben und in die er immer sein größtes Vertrauen gesetzt hatte,
regten sich nicht von der Stelle. Sie warfen ihm bloß ein schlechtes Leinentuch
zn, um sich ans der Reise darein zu Hullen
Andere Freunde, die er immer geliebt und denen er viel Gutes erwiesen hatte,
waren über seine Abreise sehr betrübt und begleiteten ihn unter vielen Thränen
bis an daö Schiff. Allein dort verließen sie ihn, kehrten wieder zurükk an ihre
Geschäfte und vergaßen ihn nach und nach ganz.
Er hatte aber noch einige Freunde, die er freilich nicht so hoch geachtet hatte,
als sie es verdienten; jedoch hatte er sie nie ganz vernachlässigt oder auf die
Seite gesetzt. Zu diesen nahm er nun in seiner gegenwärtigen Noth seine
Zuflucht; und diese bewährten sich jetzt als seine treusten Freunde. Sic bestiegen
mit ihm das Schiff, begleiteten ihn auf der weiten Reise, traten mit ihm vor
de» Thron des Königs und sprachen mit solchem Nachdrukk für ihn, daß der
König ihn begnadigte und ihm in dein herrlichen Königreiche eine bessere Stelle
anwies, als er zuvor auf der kleinen Insel inne gehabt hatte.
*
Die ersten dieser Freunde sind die zeitlichen Güter, um die sich der
Mensch nur zu viele Mühe und Sorgen macht, und, sie zu erwarten, oft ein
zeitliches Leben, ja sogar seine ewige Seligkeit in Gefahr setzt. Diese Freunde
bleiben, wenn man ihn zu Grabe trägt, in seiner Wohnung zurükk. Von allen
Reichthümern, aller Pracht und Herrlichkeit der Well bleibt ihm Nichts, als ein
Leichentuch.
Die bessern Freunde sind seine Anverwandten. Diese begleiten seine
Leiche, Thränen vergießend und in tiefe Trauer gehüllt, bis an das Grab. Allein
dort verlassen sie ihn, gehen wieder ihren Geschäften und Vergnügungen nach,
und viele denken selten mehr an ihn.
Die treusten und zuverlässigste» Freunde des Menschen aber sind Glaube,
Hoffnung, Liebe, Barmherzigkeit Mildthätigkeit gegen Leidende
und Bedrängte, und alle seine edlen Handlungen. Diese begleiten uns tu
die Ewigkeit, erlangen für uns Verzeihung, Gnade und Erbarmung bei Gott,
und erwerbe» uns eine bleibende Stätte im Himmel. —
Die Welt mit ihrer Lust vergeht; wer aber den Willen Gottes thut, der
bleibet in Ewigkeit.
, II». Die Waisen.
Als der fromme Winfried, vom Geiste getrieben, ausziehen
wollte aus seinem Vaterlande und von seiner Verwandtschaft, das
Evangelium zll predigen unter den abgöttischen Deutschen, wehrteir
ihm seine Freunde und Verwandte und sprachen: „Bleibe in deiner
Heimath; da magst du auch des Guten genug schaffen, wofern bu
nur dieses begehrst." Winfried aber antwortete und sprach: Höret
zuvor eine Geschichte; darnach urtheilet! Als vor etlichen Jahren
des Krieges Wuth unseres Landes Grenzeil verheert hatte, zog ein
reicher Mann durch die verwüstete Gegend. Da traf er auf dem
Gebirge ein Hàllfleilì Kinder nakkend und bloß, unb sie nagten an
74
dm Wurzeln, die sie auö der Erde wühlten. Da janunerten iim
die Kinder, und er fragte sie: Wo ist ener Haus und euer Vater
und Mutter? Die Kiuder sagtenx Unser Haus ist verbrannt, und
wir haben keinen Vater und keine Mutter mehr. Der Krieg hat
sie getödtet. Darauf nahm der reiche Mann die Kiuder in seinen
Wagen lind führte sie in sein Haus und gab ihnen Alles, was sie
bedürften; auch lehrte er sie arbeiten und ließ sie unterrichten in
allerlei Künsten und Weisheit.
Nach einiger Zeit kamen die Kiuder zu ihm und sagten: Du
bist groß und reich; aber noch großer, als dein Reichthum ist deine
Güte, mit der du dich unser erbarmt haft; aber sage uns, mit
welchem Namen wir dich nennen sollen?
Da neigte sich der barmherzige Mann zu den Kindern und
sagte: Nennt mich Vater; denn ich will euer Vater sein, und ihr
sollt meine Kinder sein.
Alö der fromme Winfried diese Geschichte erzählt hatte, lobten
Alle die Güte des reichen Mannes. Da erhob er sich und sagte:
Dort, wohin mein Herz verlanget, ist ein ganzes verwaistes
Völkchen. Gold und Silber habe ich nicht; aber ich will ihnen
Besseres geben. Ich will sie zum Vater führen.
Darum zog er hinaus gen Deutschland und that die Götzen
hinweg und lehrte das Evangelium vom Glauben und von der
Liebe; und sie nannten ihn Bonifacins, d. h. Wohlthäter, und
sprachen: Er hat ein gutes Werk an uns gethan.
114. Die Nevjahrxnavhl eines Unyliikklichen.
„Spare deine Jiu.ise nicht, bis du krank werdest; sondern bess're dich,
weil du noch sündigen kannst!" (Sir. IN, 22>)
Ein alter Mensch stand in der Neujahr smittcrnacht am Fernster und schaute
mit dem B/iklc einer bangen Verzweiflung auf zum unbeweglichen, ewig blühenden
Himmel, und herab auf die stille, weisse Erde, worauf jetzt Niemand so freuden-
nnd schlaflos war, als er. Denn sein Grab stand nahe bei ihm; • es war bloss
vom Sehnen des Alters, nicht vom Grün der Jugend verdeklet,’ und er brachte aus
dem ganzen reichen Leben Nichts mit, als Irrthümer, Sünden und Krankheiten,
einen verheerten Körper und eine verödete Seele, die Brust voll Gift. und* ein
Alter Voll Reue. Seine schönsten .Tugendtage wandten sich heute als Gespenster
uni und zogen ihn wieder vor den holden Morgen hin, wo ihn sein Vater zuerst
auf den Scheideweg des Lebens gestellt, hatte, der rechts auf d. r Sonnenbahn der
Tugend in ein weites, ruhiges Land voll Licht, und Ernten und voll Engel bringt,
und links in die Mnulwurfsgänge des Lasters herabzieht, in eine schwarze Höhle
voll hc.runlertropfernden Giftes, voll zischender Sehlangen und Jinsterer, schwüler
Dämpfe,
75
Ach, die Schlangen hingen um seine Brust, und die Gifttropfen uuj seiner
/hinge, und er wusste, nun, wo er war!
Sinnlos und mit unaussprechlichem Grame l ief er zum Himmel hinauf: „Gieb
mir die Jugend wieder! 0 Vater, stelle mich wieder auf den Scheideweg, damit
ich anders wähle /"
Aber sein Vater und seine Jugend waren längst dahin. Er sah Irrlichter
auf Sümpfen tanzen und auf dem Gottesakker erlöschen, und er sagte: „Es sind
meine, thörichten Tage! “ — Er sah einen Stern aus dem Himmel fliehen und
im Fallen schimmern und auf der Erde zerrinnen: „ Das bin ich," sagte sein
blutendes Herz, und die Schlctngenzähne der Heue gruben darin in den Wunden weiter.
Die lodernde Phantasie zeigte ihm fliehende Nachtwandler auf den Dächern,
und die Windmühle hob drohend ihre Arme zum Zerschlagen auf und eine, im
leeren Todtenhause zurükkgcbliebene Larve nahm allmählich seine Züge an. Mitten
in dem Kampfe floss plötzlich die Musik für das Neujahr vom Thurme hernieder,
wie ferner Kirchengesang. Er wurde sanfter bewegt. Er schaute um den Hori-
zont herum und über die Erde, und er dachte an seine Jugendfreunde, die nun
glükklichr.r und besser, als er, Lehrer der Erde, Väter gUikklicher Kinder und
gesegnete. Menschen waren, und er sagte: ,,(), ich könnte, auch, wie ihr, diese
Nacht mit trokk’nen Augen verschlimmern, wenn ich gewollt hätte! Ach, ich
könnte, glükklich sein, ihr theuren Ehern, wenn ich eure. Nenjahrswttnschc und
Lehren erfüllt hätte!11
Im feberhaften Erinnern an seine Jüngüngszeit kam cs ihm vor, a/s riditc
hielt die. Larve, mit seinen Zügen im Todtenhause auf; endlich wurde sie durch
den Aberglauben, der in der Neujahrsnacht Geister di r Zukunft erblikkt, zu einem
lebendigen Jünglinge.
Er konnte es nicht mehr sehen; — er verhüllte das Auge; — tausend heisse
Thränen strömten versiegend in den Schnee; — er seufzte, nur noch leise, trostlos
und sinnlos: „komme nur wieder, Jugend, komme wieder! — — — —
Und sie kam wieder! denn er hatte in der Neujahrsnacht so Jiireil-
te risch g eträu m t. Er war no c h e i n J ü n g ling; n u r s eine V c r i r-
rungen waren kein Traum gewesen. Aber er dankte Gott, dass er,
noch jung, in den schmutzigen Gängen des Lasters umkehren und sich auf die.
Sonnenbahn der Tugend zuriikkbegeben konnte, die ins reiche Land der Ernten lehrt.
Kehre mit ihnt um, Jüngling, wenn du auf seinem Irrwege, stehest ! Dieser
schrekkende Traum wird künftig dein Richter werden! Aber irenn du einst,
jammervoll rufen würdest: Komme wieder, schöne Jugend, — so würde sie nicht
wieder kommen! —
0 Jüngling, theurer Jüngling, steh!
Steh still auf deinem Pfade!
Nach deiner Freude folget Weh
Und ewig langer Schade.
Vorher gethan, hernach bedacht,
Hat Manchen in gross Leid gebracht.
76
Des Lasters Bahn ist anfangs zwar
Ein breiter Weg durch Auen:
Allein sein Fortgang wird Gefahr,
Sein Ende Nacht und Grauen.
Vorher gethan, hernach bedacht,
Hat Manchen in gross Leid gebracht■
115. Die Bürde.
Eine» fl,'isr„ Waldweg hinauf trug keuchend ein armer, alter Main»
ein schweres Gepäkk. Gott! ach Gott! seufzte er; ist denn weit und
breit keine mitleidige Seele, die mir meine Last tragen hilft! — Hier ist
sie! rief hinter seinem Riikkcn eine ihm bekannte freundliche Stimine.
Betroffen sah der Alte sich um und crblitktc einen schönen, blondlokkigen
Jüngling, dessen freundliches Aussehen ihm sogleich Vertrauen einflößte.
O freiindlichcr junger Man», sagte der Alte, du kommst mir wie ein
Engel Gottes vom Himmel. Meine» armen Enkelchen, die ich ernähren
muß, weil Vater und Mutter todt sind, ein Stiikkchen Brot zu ver-
dienen, habe ich dieses Gepäkk in die nächste Shadt zu tragen über-
nommen, daö, wie ich z» spät merke, meine Kräfte übersteigt. Diirfte
ich dich bitten, einen Theil davon ans deine jungen, kräftigen Schultern
zri übernehme»? —
Vor Allem laß nnö ausruhen, lieber SitterI versetzte der Jüngling,
und dann noch einmal versuche», was deine eigenen Schultern vermögen.
Und hiermit hob er die Bürde von dem Rükken des Alten, ließ sich
mit ihm im Schatten einer bejahrten Eiche nieder und zog ein Stükk
nahrhaften Brotes nebst einer Flasche stärkenden Getränkes hervor. Iß
nun und trink, Väterchen! sprach er, und reichte ihm beides hi». Mit
zitternder Begierde griff der Alte darnach und verzehrte es mit Heiß-
hunger, während' der Jüngling sich mit ihm in freundlichen Gesprächen
unterhielt.
„Auf nun, daß wir die Stadt erreichen, ehe die Sonne sich neigt!"
sprach endlich der Jüngling, und erhob sich zuerst von dem moosigen
Sitze. Wehmüthig Misste der Greis auf seine Bürde und bittend in
die blauen Augen seines Begleiters. Er glaubte in diesen die Gewäh-
rung seines Wunsches zu lese», als dieser auch wirklich nach der Last
griff, aber leider! nicht um sie zu theilen, oder sie selbst zu tragen,
sondern um sie wieder auf die Schultern des Alten zu legen. Erschrokken
sah dies der Greis; aber zu seiner Verwunderung fand er sich von dem
Genossenen so gestärkt, daß er die Bürde kaniu die Hälfte so schwer
fand. Als nun beide am Ende deö Waldes sich trennen wollten, sagte
der Alte: Du hast, edelmnthiger Jüngling! mir besser geholfen, als ich
gewünscht hatte; du' solltest meine Last mir abnehme» und gabst mir
statt dessen Kraft, sie selber zu tragen. Aber nun sage nur auch, che
77
wir scheiden: Wer bist du, freundliche, liebe Seele? — Ein Nachahmer
der göttlichen Vorsehung, versetzte der Jüngling; sie nimmt nicht immer
die Last von den Menschen; aber sie reicht dem vertranenden Beter dag
Brot der Stärkung und den Becher des Trostes, und hilft ihm so sammt
seiner Bürde zmn Ziele.
Bei diesen Worten verklärte sich das Antlitz des Jünglings, n»d
ohne seine» Namen zn nennen, entzog er sich durch einen langen Bnsch-
tveg den Augen des Alten. Dieser aber faltete seine Hände zn Gott,
und in den aufwärts gerichteten Angen glänzten Thränen des Dankes.
Ihm fehlten anfangs Worte für seine Gefühle; aber bald lösten sie sich
auf in den frommen Gesang:
Gott sah von aller Ewigkeit,
Wie viel mir nützen würde,
Bestimmte meine Lebenszeit,
Mein Glükk und meine Bürde.
WaS zagt mein Herz!
Ist auch ein Schmerz,
Der zn des Glaubens Ehre
Nicht zn besiegen wäre?
110, Die beiden Todtenbvpfe.
Beim Graben einer Grube sah
Ein Todtenkopf den andern liegen
Und rief: „Wer bist du, der so nah
Sich darf zu meiner Gruft verfügen?"
„Ich war," sprach er, „ein Ruderknecht,
Ast schwarzes Brot, trank aus den Flüssen,
Schlief auf der Erde, lebte schlecht,
An Schuh' und Kleidern abgerissen,
Bis der gewünschte Tod mich fand,
Den ich oft inniglich begehret;
Der hat mich aus dem Joch gespannt
Und mir die Freiheit nun gewahret."
„Gemeiner Kerl, hinweg von mir!"
Schrie ihm der andre Kopf entgegen;
„Nichtswürdiger, was willst du hier?
Dein Zuspruch ist mir ungelegen.
Entweich' und laß mich strakkö in Ruh';
Ich bin ein andrer Mann als du.
Ich bin mit Königen verwandt
Und nicht aus Pöbelblut entsprossen;
Ich trage Stern und Ordensband;
Ich fahr' in prächtigen Karossen;
Im Keller hab' ich Fässer Wein
Aus Ungarn, Welschlaud und vom Rhein,
Auf meiner Tafel sechzehn Essen."
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„Ich bin? ich hab'? — Ach, armer Mann,
Ich war, ich hatte, mußt du sagen!"
Hob hier des Sklaven Schädel an.
„Du hast ja Nichts mit her getragen.
Ich seh' nicht Ster», nicht Ordensband
Für deinen königlichen Stand;
Ich seh' nicht deine Fässer Wein
Aus Ungarn, Welschland und vom Rhein;
Ich seh' nicht deine Tonnen Geld,
Noch deine prächtigen Karossen.
WaS du besessen und genossen,
Bleibt Alles auf der Oberwelt.
Dort oben war ei» Unterscheid;
Hier sind wir gleicher Herrlichkeit.
Hier gleicht dein Schädel jedem Schädel.
Schön sieht wie häßlich, arnr wie reich,
Dumm sieht wie klug ans, schlecht wie edel.
Der Tod macht Hakt' und Zepter gleich."
117. Guter Itatli,
Liebe Freunde und gute Nachbarn! Ihr klagt viel über
schlechte Zeiten und meint, dass die schweren Abgaben das
Land ganz aussaugen. Die Ausgaben sind allerdings etwas
schwer; allein wenn wir sonst keine, als die an die Obrigkeit
zu zahlen hätten, so wollten wir wohl damit fertig werden.
Wir haben aber noch viele andere, die uns weit schwerer fal-
len. Unsere Faulheit z. B. nimmt uns zweimal mehr ab, als
die Obrigkeit; unsere Eitelkeit dreimal und unsere Thor-
heit viermal mehr. Von diesen Abgaben kann uns kein Lan-
desabgeordneter, keine Regierung, kein König, weder ganz, noch
halb, befreien; indess ist noch nicht Alles verloren, wenn wir
nur gutem Rath folgen; denn Gott hilft denen, die sich selbst
helfen.
Müssiggang ist aller Laster Anfang! Er führt Krank-
heiten herbei und verkürzt nothwendiger Weise unser Leben,
weil er uns schwächlich macht. Müssiggang ist ein Rost, der
weit mehr angreift, als die Arbeit. Der Schlüssel, den man
oft braucht, ist immer blank. Liebst du aber dein Leben, so
verschwende die Zeit nicht; denn sie ist das, woraus das Leben
besteht. Wie viel verlieren wir nicht allein dadurch, dass wir
länger schlafen, als nöthig ist, ohne zu bedenken, dass der
schlafende Fuchs kein Huhn fängt, und dass wir im Grabe lange
genug schlafen; verlorne Zeit lässt sich nicht wiederfinden,
und was wir Zeit genug nennen, reicht am Ende selten zu.
Wohlan denn, lasst uns die Hände regen, so lange wir noch
Kraft haben! Faulheit macht Alles schwer, der Fleiss Alles
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leicht. Wer spät aufsteht, wird nie fertig; ehe er recht in die
Arbeit kommt, ist die Nacht schon wieder da. Die Trägheit
schleicht so langsam, dass die Armuth sie bald einholt. Treibe
dein Geschäft, damit dein Geschäft dich nicht an-
treibt. Zeitig in das Bett und zeitig aus dem Bett
macht den Menschen gesund, reich und weise. Was
hilft es, bessere Zeiten zu wünschen und zu hoffen? Aendert
euch nur selbst, so werden sich die Zeiten auch ändern. Denn
schlimme Menschen machen schlimme Zeiten! Und
Fleiss hat nicht nöthig, zu wünschen! Wer sich mit
Hoffnungen nährt, der läuft Gefahr, Hungers zu sterben. Ohne
Mühe hat man keinen Gewinn. — Wer ein Gewerbe hat, der
besitzt auch Vermögen; und wer einen Beruf hat, der hat ein
einträgliches Ehrenamt. — Wer arbeiten will, der findet immer
Brot. Dem fleissigen Manne schaut wohl der Hunger
in das Haus; hinein aber wagt er sich nicht. Die Ar-
beitsamkeit ist des Glükkes Mutter, und dem Fleissi-
gen schenkt Gott Alles. Arbeite heute; denn du kannst
nicht wissen, was dich morgen abhält.- Ein Heute ist mehr
werth, als zwei Morgen. Greife die Arbeit rüstig an und be-
denke: In Handschuhen fängt man keine Mäuse. Aber
selbst Fleiss allein ist nicht hinreichend; wir müssen auch be-
ständig, nicht fahrlässig, noch störrig sein; wir müssen selbst
ein Auge auf unsere Arbeit haben und uns nicht zu viel auf
Andere verlassen. Ein Baum, der oft versetzt wird, und eine
Familie, die oft auszieht, gedeihen weniger, als diejenigen,
welche auf ihrem Platze bleiben. Dreimal ausziehen ist so
schlimm, als einmal abbrennen. Verlass deine Werkstatt nicht,
so wird deine Werkstatt dich auch nicht verlassen. Willst du
deine Sache gut ausgerichtet haben, so gehe selbst. Wer durch
den Pflug reich werden will, der muss ihn selbst anfassen.
Das Auge des Herrn fördert mehr, als seine beiden Hände.
Eine kleine Vernachlässigung kann grosses Unheil anrichten.
Weil ein Nagel fehlte, ging das Hufeisen verloren, aus Mangel
des Hufeisens das Pferd, und aus Mangel des Pferdes der
Reiter; der Feind holte ihn ein und tödtete ihn, was nicht ge-
schehen wäre, wenn er den Nagel am Hufeisen gesehen hätte.
Wer nicht eben so gut zu sparen, als zu verdienen
weiss, der kann sich zu Tode arbeiten, ohne einen Pfennig zu
hinterlassen. Eine fette Küche macht ein mageres Testa-
ment. Wie gewonnen, so zerronnen, heisst es von manchem
schönen Thaler. Seit die Männer über den Spiel- und Trink-
gesellschaften Axt und Hammer, und seit die Weiber über den
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Kaffee- und Theebesuchen den Spinnrokken und das Strikk-
zeug vergessen haben, ging manches Vermögen fast in derselben
Zeit verloren, wo es erworben wurde. Willst du reich
werden, so lerne nicht allein erwerben, sondern auch
sparen. Beschränket euren thörichten Aufwand, so dürft ihr
nicht über schlechte Zeiten klagen. Eine einzige dieser Thor-
heiten zu unterhalten, kommt theurer zu stehen, als zwei Kinder
aufzuziehen. Ihr glaubt vielleicht, eine einzige Tasse Thee
oder Kaffee, ein Glas Wein oder Bier, bisweilen ein trokkner
Bissen, etwas feinere Kleider, und dann und wann eine Lust-
partie, dies Alles habe so viel nicht auf sich; aber erinnert
euch: Viele Wenig machen ein Viel. Hütet euch vor
den oft wiederholten Ausgaben. Eine kleine Oeffnung versenkt
ein grosses Schiff, und Wohlgeschmakk führt zum Bettelsakk.
Narren bezahlen die Schüsseln, und die klugen Leute ver-
zehren sie! — Kaufe nur, was du nicht brauchst, so
wirst du bald verkaufen müssen, was du brauchst.
Viele haben sich bloss durch ihr wohlfeiles Einkäufen zu
(¿¡runde gerichtet. Bedenke dich immer ein wenig, ehe du
einen guten Handel eingehest; der Vortheil desselben ist oft
bloss scheinbar. O, es ist eine grosse Thorheit, die Bctie
noch theuer zu bezahlen, und gleichwohl wird diese Thorheit
täglich begangen, weil man nicht an den Kalender denkt. Der
Weise wird durch fremden Schaden klug, ein Narr
kaum durch seinen eigenen. Ich kenne Leute, welche
selbst hungern und ihren eigenen Kindern das Brot entziehen,
um sich das nöthige Geld für ein unnöthiges schönes Kleid zu
ersparen. Seide und Sammet löschen aber das Feuer
in der Küche aus. Dahin ist es gekommen, dass der er-
künstelten Bedürfnisse mehr sind, als der natürlichen. Durch
solche ähnliche Thorheiten sind reiche und vornehme Leute an
den Bettelstab gekommen und genöthigt worden, die um Hülfe
anzusprechen, auf welche sie früher hochmüthig herabgesehen
haben, die aber durch Fleiss und Sparsamkeit zu Vermögen
und Ansehen gekommen sind. Ein Bauer auf den Füssen
ist besser, als ein Edelmann auf den Knieen. Mancher,
der am meisten klagt, hatte ein artiges Vermögen geerbt; er
vergass aber, wie er dazu gekommen, und dachte: Es ist nun
Tag; cs wird niemals wieder Nacht werden. Eine kleine Aus-
gabe in einem so grossen Vermögen kommt nicht in Betracht;
wenn man aber immer aus dem Mehlfasse nimmt und
nicht wieder hineinfüllt, so kommt man bald auf den
Boden. Wenn der Brunnen trokken ist, schätzt man
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erst das Wasser. Wollt ihr wissen, was das Geld werth
ist, so gehet hin und borget. Sorgen folgt auf Borgen.
Hast du ein schönes Stükk ins Haus gekauft, so musst du noch
zehn dazu kaufen, damit Alles zusammen passt. Es ist leich-
ter, dem ersten Gelüste zu widerstehen, als allen folgenden, und
der Arme, welcher dem Reichen nachäfft, ist eben so lächerlich,
als der Frosch, welcher sich aufblies, um so gross zu werden,
wie der Stier. Grosse Schiffe können sich ins weite Meer
wagen; kleine Fahrzeuge müssen sich am Ufer halten. Thor-
heiten dieser Art folgt die Strafe auf dem Fusse nach. Wer
Eitelkeit zum Mittagsessen hat, bekommt Verachtung zum Abend-
brote; oder: Der Stolze frühstükkt mit dem Ucbcrfluss, speisst
zu Mittag mit der Armuth und isst zu Abend mit der Schande.
Welche Thorheit, der entbehrlichsten Dinge wegen Schulden
zu machen! Wer sich in Schulden stelckt, giebt Andern ein
Recht über seine Freiheit. Könnt ihr zur gesetzten Frist nicht
bezahlen, so werdet ihr euch schämen, wenn euer Gläubiger
euch begegnet; ihr werdet ängstlich sein, wenn ihr mit ihm
sprecht, und elende Entschuldigungen herstammeln. Nach und
nach werdet ihr Treue und Glauben verlieren und euch gar
durch grobe und niederträchtige Lügen entehren. Schulden
lassen die Lügen hinter sich aufsitzen. Ein freier Mann sollte
Jedem ohne Furcht ins Gesicht sehen können; verschuldete
Armuth aber raubt das Selbstgefühl, die Selbstständigkeit und
die Tugend. Es hält gewiss schwer, dass sich ein leerer Saldi
gerade aufrecht halte. — Wer immer darauf denkt, zu kaufen,
was ihm gefällt, der vergisst leicht die Bezahlung; die Gläu-
biger aber haben ein besseres Gcdächtniss, als die Schuldner;
und Niemand sieht fleissiger in den Kalender, als Jene. Die
Zahlungszeit kommt dem Schuldner immer zu früh. Darum
bewahret eure Freiheit und Unabhängigkeit; seid arbeitsam und
frei! Vielleicht seid ihr aber eben jetzt in Umständen, eure
Kauflust befriedigen zu können; allein legt lieber Etwas für
das Alter und für Nothfälle zurükk. Die Mittagssonne
scheint nicht den ganzen Tag. Der Verdienst kann von
kurzer Dauer und ungewiss sein; die Ausgaben aber sind ge-
wiss und dauern, so lange ihr lebt. Es ist leichter, zwei
Schornsteine zu bauen, als einen warm zu halten. Gehet
lieber ohne Abendbrot zu Bette, als dass jhr mit Schulden auf-
stehet. Erwerbt, so viel ihr könnt, und haltet zu Rathe, was
ihr erworben habt; das ist der wahre Stein der Weisen oder
das echte Geheimniss, Blei in Gold zu verwandeln. So, meine
Freunde, lauten die Lehren der Erfahrung und Klugheit. Die
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Erfahrung hält freilich eine theure Schule; es ist aber die ein-
zige, in welcher Thoren Etwas lernen. Denn einen guten
Rath kann man wohl geben, aber nicht eine gute Aufführung.
Wer sieh nicht rathen lässt, dem ist auch nicht zu helfen. Und:
Wer nicht hören will, der muss fühlen. —
118. Knnnitvcrstaii.
Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen über den Unbe-
stand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden
mit seinem Schikksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der
Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umwege kam ein deutscher
Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrthum zur Wahrheit und zu ihrer
Erkenntniss. Denn als er in diese grosse und reiche Handelsstadt, voll präch-
tiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war,
fiel ihm sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner
ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis Amsterdam noch keines erlebt hatte.
Dange betrachtete er mit Verwunderung dieses kostbare Gebäude. Endlich
konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter
Freund,“ redete er ihn an, „könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heisst,
dem dies wunderschöne Haus gehört?“ — Der Mann aber, der vermuthlich
etwas Wichtigeres zu thun hatte und zum Unglükk gerade so viel von der
«leutscheu Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich
Nichts, sagte kurz und schnauzig: „Kannitverstan;“ und schnurrte vorüber.
Diess war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man’s recht betrachtet, und
heisst auf deutsch so viel, als: ich kann euch nicht verstehen. Aber der gute
Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte.
Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er, und
ging weiter. Guss aus, Gass ein, kam er endlich an den Meerbusen, der da
heisst: Ilet Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff,
und Mastbaum an Mastbaum; und er wusste anfänglich nicht, wie er cs mit
Seinen zwei eigenen Augen durehsechten sollte, alle diese Merkwürdigkeiten genug
zu sehen und /.u betrachten; bis endlich ein grosses Schiff seine Aufmerksamkeit
an sich zog, das vor Kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben aus-
geladen wurde. Schon standen Reihen von Kisten und Ballen auf- und neben-
einander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer
voll Zukker und Kaffee, voll Rciss und Ffeffor. Als er aber lange zugesehen
hatte, fragte er endlich Einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug,
wie der glükkliche Mann heisse, dem das Meer alle diese Waaren an das Land
bringe. „Kannitverstan,“ war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut’s da
heraus? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reichthümer an das Land
schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen. Jetzt ging er wieder
zuriikk und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er
für ein armer Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als
er eben dachte: wenn ich’s doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser
Herr Kannitverstan es hat, — kam er um eine Ekkc und erblikktc einen grossen
Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz
überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüssten, dass sie
einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Be-
kannten des Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze
Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glökklein. Jetzt ergriff
unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen
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vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb, mit dem Hut in den
Händen, andächtig stehen, bis Alles vorüber war. Doch machte er siel» an den
Letzten vom Zuge, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baum-
wolle gewinnen könnte, wenn der Centner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff
ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das muss
wohl auch ein guter Freund von euch gewesen sein,“ sagte er, „dem das
Glökklein läutet, dass ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht.“ Kannitverstan!
war die Antwort. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar grosse Thränen
aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums
Herz. Armer Kannitverstan, rief er aus, was hast du nun von allem deinem
Reichthum? Was ich einst von meiner Armuth auch bekomme: ein Todten-
kleid und ein Leichentuch. — Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche,
als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannit-
verstan hinabsenken in seine Ruhestätte und ward von der holländischen Lei-
chenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher
deutschen, auf die er nicht Acht gab. Endlich ging er leichten Herzens mit
den Andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man deutsch verstand,
mit gutem Appetit ein Stükk Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal
schwer fallen wollte, dass so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so
arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein
grosses Haus, an sein reiches Schiff, an sein enges Grab.
119. Unglükk der Stadt Leyden.
Diese Stadt heisst schon seit undenklichen Zeiten Leyden,
und hat noch nie gewusst, warum, bis am 12. Januar des
Jahres 1807. Sie liegt am Rhein, in dem Königreich Holland
und hatte vor diesem Tage elftausend Häuser, welche von 40,000
Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die
grösste Stadt im ganzen Königreich. Man stand an diesem
Morgen noch auf, wie alle Tage; der Eine betete sein: „Das
walt Gott,“ der Andere liess es sein, und Niemand dachte
daran, wie es am Abend aussehen würde, obgleich ein Schiff
mit siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war. Man ass
zu Mittag und liess sieh’s schindelten, wie alle Tage, obgleich
das Schiff noch immer da war. Aber als Nachmittag der
Zeiger auf dem grossen Thurme auf halb fünf stand — fieissigc
Leute sassen daheim und arbeiteten; fromme Mütter wiegten
ihre Kleinen; Kaufleute gingen ihren Geschäften nach; Kinder
waren beisammen in der Abendschule; müssige Leute hatten
lange Weile und sassen im Wirthshause beim Kartenspiel und
Weinkrug; ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen,
was er essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde,
und ein Dieb stekkte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel
in eine fremde Thür, — da geschah plötzlich ein Knall.
Das Schiff mit seinen 70 Fässern Pulver bekam Feuer, sprang
in die Luft, und in einem Augenblikk (ihr könnt’s nicht so
geschwind lesen, als es geschah) in einem Augenblikk waren
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ganze lange Gassen voll Häuser mit Allem, was darin wohnte
und lebte, zerschmettert und in einen Steinhaufen zusammen-
gestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele hundert Menschen
wurden lebendig und todt unter diesen Trümmern begraben
oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser gingen mit allen
Kindern, die darin waren, zu Grunde; Menschen und Thiere,
welche in der Nähe des Unglükks auf der Strasse waren,
wurden von der Gewalt des Pulvers in die Luft geschleudert
und kamen in einem kläglichen Zustande wieder auf die Erde.
Zum Unglükk brach auch noch eine Eeuersbrunst aus, die
bald an allen Orten wüthete, und konnte fast nimmer gelöscht
werden, weil viele Vorrathshäuser voll Oel und Thran mit
ergriffen wurden. Achthundert der schönsten Häuser stürzten
ein oder mussten niedergerissen werden. Da sah man auch,
wie es am Abend leicht anders werden kann, als es am frühen
Morgen war, nicht nur mit einem schwachen Menschen, sondern
auch mit einer grossen und volkreichen Stadt.
120. Treue Freundschaft.
Einst trafen auf ihrer Wanderschaft zwei Ilnndwcrksbitrschcn zusammen,
der eine ein Schmied, der andere ein Schneider. Sie reiseten mehrere Wochen
mit einander, bis sie endlich nach Polen kamen. Während dieser Zeit hatten
sie sich genauer kennen gelernt, einander ihr Herkommen und ihre Lebens-
gcschichtc erzählt und endlich Brüderschaft mit einander gemacht. Sie theilten
gewöhnlich, was sie von Lebensmitteln hatten, unter sich und halsen sich gegen-
seitig in Allem brüderlich aus. Es Tilgte sich, dess der Schmied in Polen krank
wurde und in einem fremden Dorfe, unter fremden Leuten, die nicht einmal
deutsch verstanden, liegen bleiben musste. Hier wäre er übel daran gewesen,
wenn er seinen Kameraden nicht bei sich gehabt hätte; denn er hatte kein
Geld, und sein Felleisen war mit Allem, was sich darin befand, kaum einige
■Thales werth. Dies wurde nun freilich verkauft; aber das daraus gelöste Geld
war bald verzehrt, und noch sah man keine Besserung. Nun bewies sich der
Schncidergescllc recht brüderlich gegen ihn und verliess ihn nicht in seiner
Noth. „liier in diesem fremden Lande bin ich ihm ja der Nächste!“ dachte
er bei sich selbst; und das war er auch. Er verkaufte daher von seinen Sachen
ein Stükk nach dem andern, bis ihm Nichts mehr übrig blieb; aber er hatte
dafür die Freude, seinen Kameraden durch seine Pflege wieder hergestellt zu
sehen. Dieser konnte ihm die Treue, die er an ihm bewiesen hatte, nicht genug
danken und weinte manchmal an seinem Halse aus Bekümmemiss, dass er
ihm seine verkauften Kleidungsstükke nicht wieder ersetzen könnte; aber der
Schneider tröstete ihn darüber und sagte, Gott werde cs ihn wohl nicht ver-
missen lassen; ein Mensch sei dem andern einen solchen Liebesdienst wohl
schuldig, und besonders in der Fremde müsse Keiner den Andern verlassen.
Sie reiseten daraus noch mit einander bis Warschau, der Hauptstadt von Polen,
wo der Schmied Arbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide Freunde
mussten sich also hier trennen. Als der Schneider wieder auswanderte, gab
ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite, und unter Vergiessung häutiger
Thränen schieden sie, als wenn sie leibliche Brüder gewesen wären, von
einander, ohne eben hoffen zu können, dass sic sich in dieser Welt jemals wieder-
sehen würden Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb und bald in
dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein' Gliikk zu finden.
Endlich kehrte er nach Deutschland zurükk und geriet!» in Frankfurt an? Main
unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiserliche Dienste zu nehmen und
ihn als Rekruten nach Wien transportirten. Da er aber schwächlich und fast
beständig krank war, so liess man ihn nach einigen Jahren wieder laufen,
wohin er wollte. Fast nakkt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst
wieder Arbeit zu suchen; allein, da ihn in seinem elenden Anzuge Niemand zur
Arbeit annehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät sprach
er in einem Dorfe (cs war gerade an einem Sonnabende) bei einer Schmiede
auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister, welcher mit vier
Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des Ansprechenden ihm sehr
bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler in’s
Gesicht, und — „je Bruder! bist du’s, oder bist du’s nicht!“ riefen Beide fitst
zu gleicher Zeit; und in der That waren cs die beiden Kameraden, die seit der
Trennung in Warschau Nichts weiter von einander gehört hatten. Der Schmied,
welcher unterdessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die
Heirat!» der Wittwe, der sie gehörte, reich geworden, war ganz ausser
sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und schämte sich
seiner nicht, ob er gleich ein zerlumpter Bettler war. Er führte ihn mit lautem
Jubel in seine Stube, drükktc ihn in den Grossvatorstuhl am Ofen nieder, sprang
auf einem Beine, wie ein Knabe, und alle seine Hausgenossen sperrten vor
Verwunderung die Augen weit auf. „Lene!“ sprach er zu seiner Frau, —-
„geschwind springe hinauf und hole ein feines Hemde und meinen Sonntags-
staat herunter, dass der gute Freund da sieh anders ankleiden kann!“ Der
Schneider wollte allerlei dagegen einwenden; aber der Meister hielt ihm den
Mund zu und sagte: „Schweig, und sprich mir kein Wort dagegen! Du hnst’s
wohl um mich verdient, «lass ich mein Bischen Hab’ und Gut mit dir theile.“
Es half nichts, der Schneider musste sich putzen und aus einer langen Pfeife
rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen, als ob er in
seinem eigenen Hause wäre, und .nachdem er in möglichster Eile sein Tagewerk
vollends geendet hatte, setzte er siel» mit ihm zu Tische und liess alle seine
Leute hereinkommen, dass sie den Fremden recht genau besehen mussten.
Dabei erzählte er ihnen dann, wer der Fremde eigentlich sei, und was cs mit
ihrer beiderseitigen Freundschaft für eine Bewandniss habe. Da hatten Alle
eine herzliche Freude über den Ankömmling, und besonders die Frau vom Hause,
die ihren Mann sehr liebte und oft dem guten Schnciderburschen, der in Polen
eine so treue Stütze für ihren Mann gewesen war, ehe sie ihn persönlich
kannte, Gottes Segen gewünscht hatte. Der Meister liess noch am nämlichen
Abend zwei fette Gänse schlachten und auf den folgenden Tag alle Freunde
und Gevattern des Dorfes zu sieh zu Gaste laden. „Juchhei! das soll mir ein
Freudentag werden!“ rief er laut — laut auf und schwang dabei seine Mütze
vor Freuden. Der Sonntag kam, und in der Schmiede ging’s so fröhlich her,
als wenn es Kindtaufe gewesen wäre. Nachdem die Mahlzeit geendigt war,
erzählte der Schmied alle seine Begebenheiten und besonders, was er seinem
Kameraden noch für einen Liebesdienst zu danken habe. Der Schneider musste
dann seine Begebenheiten auch erzählen, und die Gäste gewannen ihn, dass
sie durchaus darauf bestanden, er solle siel» in diesem Dorfe häuslich nieder-
lassen und ihr Schneider werden. Der Schmied jauchzte darüber laut und
versprach, ihn mit Gelde zu unterstützen, so viel er könne. Er hielt auch
Wort; der Schneider fand sein reichliches Brot im Dorfe und verheirathote sich
mit einer guten Wirthin und lebte froh und glükklich.
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tZt. Rathen
1. Von Perlen baut sich eine Brükke hoch über einen
grauen See; sie baut sich auf im Augenblikke, und schwindelnd
steigt sie in die Höh’.
Der höchsten Schiffe höchste Masten zielen unter ihrem Dogen
hin; sie selber trug nur kleine Lasten und scheint, wie du ihr
nahst, zu flieh!n. .
Sie wirf erst mit dem Strom und schwindet, so wie des
Wassers Fluth versiegt; so sprich, ico sich die Brükke findet,
und wer sie künstlich hat gefügt?
*
2. Auf einer grossen Weide gehen viel tausend Schafe
ailberweiss; wie wir sie heute wandeln sehen, sah sie der aller-
ältste Greis.
Sie altern nie und trinken Leben aus einem unerschöpften
Born; ein Hirt ist ihnen zugegeben mit schöngebognem Silber-
horn.
Er treibt sie aus zu goldnen 7hören; er überzahlt sie jede
Nacht, und hat der Lämmer keins verloren, so oft er auch den
Weg vollbracht.
Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten; ein munt’rer Widder
geht voran; die Heerde, kannst du sie mir deuten, und auch, den
Hirten zeig mir an!
*
3. Kennst du das Bild, auf zartem Grunde? Es giebt sich
selber Licht und Glanz. Ein andres ist's zu jeder Stunde, und
immer ist es frisch und ganz. Im engsten Raum ist’s ausgefüh-
ret; der kleinste Rahmen schliesst es ein; doch alle Grösse, die
dich rühret, kennst du durch dieses Bild allein..
Und, kannst du den Krystall mir neunen? Ihm gleicht an
Werth kein Edelstein; er leuchtet, ohne je zu brennen; das ganze
Weltall saugt er ein. Der Himmel selbst ist abgemalet in sei-
nem wundervollen Ring; und doch ist, was er von sich strahlet,
noch schöner, als was er empfing.'
*
4. Wir stammen, unser sechs Geschwister, von einem wun-
dersamen Paar: die Mutter ewig ernst und düster, der Vater
fröhlich immerdar. »
Von beiden erbten wir die lugend, von ihr die Milde, von
ihm den Glanz; so drehn wir uns in ew’ger Jugend um dich
herum im Cirkeltanz.
Gern meiden wir die schwarzen Höhlen und lieben uns den
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heitern Tag; wir sind es, die die Welt beseelen mit unsers Le-
bens Zauberschlag.
Wir sind des Frühlings lustige Boten und führen seinen
muntern Reihn; drum fliehen wir das Haus der Todten: denn um
uns her muss Leben sein.
Uns mag kein Glükklicher entbehren; wir sind dabei, wo
man sich freut, und lässt der Kaiser sich verehren, wir leihen
ihm die Herrlichkeit,
*
5. Kennst du die Brükke ohne Bogen und ohne Joch, von
Diamant, die über breiter Ströme Wogen errichtet eines Greises
Hand? Er baut sie auf in wenig Tagen geräuschlos, du be-
merkst es kaum; doch kann sie schwere .Lasten tragen und hat
für hundert Wagen Raum. Doch kaum entfernt der Greis sich.
wieder, so hüpft ein Knabe froh daher; der reiset die Brükke
eilig nieder: du siehst auch ihre Spur nicht mehr.
*
6. Ein Vogel ist es, und an Schnelle buhlt es mit eines
Adlers Flug; ein Fisch ist’s und, zertheilt die Welle, die noch
kehl gröss’res Unthier trug; ein Elephant ist!s, welcher Thürme
auf seinem schweren Rükken trägt; der Spinne kriechendem Ge-
würme gleicht es, wenn es die Füsse regt; und hat es fest sich
eingebissen mit seinem spitz gen Eisenzahn, so steht9s gleich
wie auf festen Füssen und trotzt dem wüthenden Orkan.
*
7. Es steht ein Haus mit vielen Hallen; hoch in die Wol-
ken ist’s gebaut. Viel Gäste sieht man zu ihm wallen; es schallt
von ihren Stimmen laut. An einer Tafel, reich geschmükket, ver-
einigt sie der TÄebe Mahl; von eines Liedes Klang entzükket, aus
einem Becher trinken all'. Den Säugling führt mit Freuden-
klange sein erster Weg in dieses Haus; der Jüngling tritt mit
frohem Gange als Jüngling ein, als Mann heraus. So viel der
Gäste zu ihm gehen, von- Keinem wird es je bewohnt; und Keiner
hat den Wirth gesehen, der über diesem Hause thront.
122. Die Zeit.
Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt
die Zukunft hergezogen; pfeilschnell ist das Jetzt
entflogen; ewig still stelit die Vergangenheit.
Keine Ungeduld beflügelt ihren Schritt, wenn sie
• verweilt. Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt ihren Lauf!,
wenn sie enteilt. Keine Reu’, kein Zaubersegen kann
die Stehende bewegen.
Möchtest du beglükkt und weise endigen des Lebens
Reise: nimm die Zögernde zum Rath, nicht zum Werk-
zeug deiner That! Wähle nicht die Fliehende zum
Freund, nicht die Bleibende zum Feind!
IL!. Vaterlehren und Lebensregeln.
Zuerst vertrau' auf Gott recht fest,
Der keinen Menschen je verläßt,
Und bete zu jhn^jeden Tag,
Ob gut, ob schlecht dir'S gehen mag;
Und sollte selbst daS Herz dir bluten, —
Vertrau' auf ihn; er fuhrt zum Guten.
Dann aber trau' auch fest auf dich,
Und rühre dich recht männiglich!
Von selbst kommt Wohlsein nicht herein;
Es will gar ernst errungen sein.
Im Thätigsein liegt'S höchste Glükk;
Der Träge weicht vom Ziel zurükk;
Je Schwereres bu wirst vollenden,
Um desto heit'rer kannst du enden.
Drum rasch an'ö Werk, und daS noch heut'!
Nichts Edlers giebt es, als die Zeit;
Noch ist sie dein; dir darfst von morgen
Nicht eine Stunde hoffend borgen;
Denn nimmer kannst du sicher sein,
Ob auch das Morgen werde dein.
Du weißt eS nicht, welch' schwere Dinge
Die nächste Zeit dir plötzlich bringe.
Am nächsten nach ihr, spar' daS Geld,
Den größten Hebel in der Welt!
Des Lebens Freiheit bängt daran;
Drum sieh dir jeden Pfennig an,
Und laß ihn nimmer, nimmer fahren,
Kannst du mit Ehren ihn bewahren;
Steht keiner mehr dir zu Gebot,
Erwartet Schande dich und Noth.
Drum, kannst du es, so lege heute
Für schlimme Zeiteu was bei Seite.
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Ein Mittel hierzu möchte sein:
Leb' einfach, ohne Glanz und Schein;
Was du nicht kaufen mußt, das lasse,
So bleibst du Herr von deiner Kasse.
> Wer Vieles hat, muß auch viel sorgen,
Und manchmal bei der Thorheit borgen.
Mit einem Wort, in Summa: „Strekke
Dich immer hübsch nach deiner Dekke."
Und laß eö dich nicht irre machen,
Wenn auch die Thoren drüber lachen.
Oft hat auch, eh' der Hahn noch kräht,
Solch Lachen sich schon umgedreht.
Woll'st Alles nicht auf einmal thun;
„Wer Sprünge macht, der muß bald ruh'»;"
Drum folg' im Thätigsein der Spur
Der Alles schaffenden Natur.
Sie geht nur Schritt vor Schritt zum Ziel,
Und wirkt doch so unendlich viel;
Die macht eS g'rade, wie die Zeit,
Die webt auch eine Ewigkeit,
Indem sie still sich fortbewegt,
Und Stunde nur auf Stunde schlägt.
Geht dir'S auch manchmal kreuz und quer,
Und wird daS Gutsein dir recht schwer,
So halt' mit allen Kräften auS:
Der Kämpfer nur gewinnt den Strauß.
Vierter Abschnitt.
124. Widersprüche:
1. zwischen unserm Glauben an Gott und unserm Leben vor
Gott.
Du glaubst an einen Gott, und zeigst keinen Gottesdienst. Du glaubst an
Einen Gott, und hast Götzen daneben, wie Laban. Du glaubst an einen
ewigen Gott, und gebehrdeft dich, als wenn er gestorben wäre. Du glaubst an
einen allwissenden Gott, und magst dein Gewissen nicht vor ihm sprechen lassen.
Du glaubst an einen allweisen Gott, und jeden Augenblikk macht er dir Etwas
nickt recht. Du glaubst an einen allmächtigen Gott, und bist bange, das;
Menschen dir Etwas thun. Du glaubst an einen allgegenwärtigen Gott, und
willst dich wie Adam vor ihm verstckken. Du glaubst an einen gütigen Gott,
und sprichst selten: Lobe de» Herrn, meine Seele. Du glaubst an einen heiligen
Gott, und ziehst die Schuhe nicht aus, wenn du zu ihm gehst. Du glaubst an
einen gerechten Gott, und fürchtest seine Gerichte nicht. Du glaubst an einen
wahrhaftigen Gott, und seinen Worten traust du nicht. Du glaubst an einen
seligen Gott, und auf seinen Himmel hoffst du nicht.
90
2. zwischen unserm Glauben an Jesum und unserm Verhalten
gegen ihn.
Unser Herr Jesus so zu unS spricht: Ich bin Gottes Sohn; ihr ehrt min,
nicht. Ich bin euer Meister und Lehrer; von mir lernt ihr nicht. Ich bin euer
König und Herr; mir dient ihr nicht. Ich bin euer Hoherpriefter; mit mir
betet und opfert ihr nicht. Ich bin euer Mittler; mich braucht ihr nicht. Ich
bin euer Versöhner; mich sucht ihr nicht. Ich bin euer Heiland; mir dankt ihr
nicht. Ich bi» euer Hirte; mir folgt ihr nicht. Ich bin euer Arzt; mich ruft
ihr nicht. Ich bin der Wcinstokk; aus mir wachset ihr nicht. Ich bin der
Ekkstein; auf mir bauet ihr nicht. Ich bin die Thür; durch mich kommt ihr
nicht. Ich bin das Licht; bei mir seht ihr nicht. Ich bin der Weg; auf mir
geht ihr nicht. Ich bin die Wahrheit; an mich glaubt ihr nicht. Ich bin das
Leben; mich liebet ihr nicht. Ich bin ^cr Gnadenstuhl; mir nahet ihr nicht. —
Geht ihr verloren, so wundert euch nicht.
3. zwischen unserm Glauben an den heiligen Geist und unserm
Betragen gegen ihn, wie gegen sein Werk.
Wir löschen aus, was er anzündet, und zerstören wieder, was er gründet.
Wir bcflekkeu, was er reinigt, knechten wieder, was er freiet; wovor er fleucht,'
wird nicht gcscheuct. Wir verleugnen sein gegebenes Pfand und weisen seine
Jucht von der Hand. Seine Tröstungen achten wir geringe, harren, was der
und der bringe. Mit solchem Treiben wird er vertriebe». Ihr Menschen, wollet
nicht ihn und euch selbst also betrüben.
125. Nützliche Lehren.
1. Frisch gewagt ist halb gewonnen. DaranS folgt: Frisch
gewagt ist auch halb verloren. Daö kann nicht fehlen. Deßwegen sagt
man auch: „Wagen gewinnt, Wagen verliert." Wa8 mnß also
den Ansschlag geben? Prüfung, 'ob man die Kraft habe zu dem, was
man wage» will, Uebcrlcgnng, wie cs anzufangen sei, Benutzung der
günstigen Zeit und der Umstände, und hintcnnach, wenn man ein muthigcS
A gesagt hat, ein besonnenes B »md ein bescheidenes C. Aber so viel
mliß wahr bleiben: „Wenn etwas Gewagtes soll unternommen »verden
und kann nicht anders sein, so ist ein frischer Muth zur Sache der
Meister, n»d der muß dich durchreißen. Aber wenn du immer willst und
sängst nie an, oder du hast schon angefangen n»d cs reut dich wieder,
und willst, wie man sagt, ans dem trokkenen Lande ertrinken, guter
Freund, dann ist „schlecht gewagt ganz verloren."
2. Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt er.
DaS sagt Mancher und vcrstcht'ö nicht. De» bösen Geist kann man
eigentlich nicht an die Wand malen; sonst wäre eö kein Geist. Auch kann
er nicht kommen. Denn er ist mit Ketten der Finsterniß in die Hölle
gebunden. Was will denn daö «Sprüchwort sagen? Wenn man viel an
das Böse denkt, und sich dasselbe in Gedanken vorstellt, oder lange davon
spricht, so kommt zuletzt die Begierde zum Bösen in das Herz, und man
thut cs. Soll der böse Feind nicht kommen, so mal' ihn nicht an die
91
Wand. Willst bu daö Böse nicht thun, so denke nicht daran, wo dn
gehst nnd stehst, und sprich nicht davon, als wenn es etwas Angenehmes
nnd Lustiges wäre.
3. Nun kommen zwei Sprüchwörter, nnd die sind beide wahr,
wenn sie schon einander widersprechen. Voil zwei unbemittelten Brudern
hatte der eine keine Lust nnd keinen Muth, etwas zu erlverben, weil ihm
das Geld nicht zu den Fenstern hinein regnete. Er sagte immer: „Wo
Nichts ist, kömmt Nichts hin." Und so war es auch. Er blieb
sein Lebenlang der arme Brlldcr Wonichts ist, weil es ihm nie der
Mühe werth war, mit einer kleinen Ersparnis: den Anfang zn machen,
um nach nnd nach zn einem größer« Vermögen ju kommen. So dachte
der jüngere Bruder nicht. Der pflegte zn sagen: „Was nicht ist, das
kann >verden." Cr hielt daS Wenige, was »hin von der Verlassenschaft
der Eltern zn Theil geworden war, zn Rathe, nnd vermehrte es nach nnd
nach durch eigne Grsparm'ß, indem er fleißig arbeitete nnd eingezogen
lebte. Anfänglich ging es hart nnd langsam; aber sein Sprüchwort:
„Waö nicht ist, kann werden^ gab ihm immer Muth nnd Hoffnung.
Mit der Zeit ging cö besser. Er wurde durch unverdrossenen Fleiß nnd
Gottes Segen noch ein reicher Mann, nnd ernährt jetzt die Kinder des
armen Bruders Wonichtöist, der selber Nichts zn beißen nnd zn nagen hat.
4. Einmal ist Keinmal. Dieses ist das erlogenste und schlimmste
unter allen Sprüchwörtern, nnd wer cs gemacht hat, der war ein schlechter
Nechenmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens Einmal, nnd
daran läßt sich Nichts abmarkten. Wer gestohlen hat, der kann sein
Leben lang nimmer mit Wahrheit nnd mit frohem Herzen sagen: Gott
Lob! ich habe mich nie an fremdem Gute vergriffen; nnd wenn der Dieb
gehascht nnd gehängt wird, alsdann ist Einmal nicht Keinmal, ^lber das
ist noch nicht Alles; sonder» man kann meistens mit Wahrheit sagen:
Einmal ist Zehnmal nnd Hundert- und Tausendmal. Denn wer das
Böse einmal angefangen hat, der setzt cö gemeiniglich auch fort. Wer A
gesagt hat, der sagt auch gemeiniglich gern B, und alsdann tritt zuletzt
ein anderes Sprüchwort ein: Der Krug geht so lange znm Brunnen,
bis er bricht.
5. Morgenstunde hat Gold im Munde. So hätte es die»
Welt gern. Wenn's alle Morgen Gold regnete, würde Mancher früh
ans sein nnd sammeln. Doch, wer früh ans ist zur Arbeit, findet sein
Gold zn rechter Zeit. Im Graben kommt man endlich zur Goldader.
Arbeit hat eine» goldenen Boden. Aber waö ist dir gedient mit vielem
Golde? Die Zeit bringt's, die Zeit nimmt'ö; die Erde gicbt'ö, die Erde
behält'ö; hier gefunden, hier gelassen.
92
f
Sprich lieber: Morgenstunde hat Gott im Munde. Das lautet
besser. Hab' ich Gott, so hab' ich Gold. Sein Segen macht reich. Hab'
ich Gott, so hab' ich Gold, ja mehr als Gold. Wenn Gold vergeht,
Gott besteht. Gold ist immer ein stummer Götze, kann weder rathen
noch trösten. Gott tritt bei mit Rath, wenn Alles verworren ist, — mit
Trost, wenn das Angstwasser bis an die Seele geht. Gold wirft nur
die Sorge ans meinen Rükkcn; Gott nimmt meine Sorge ans seinen
Rükken. Halst du's mit Gold? Ich halt's mit Gott! — Ihm opfre
ich die Erstlinge meiner Tage. Morgenstunde hat Gott im Munde. Früh
denkt Gott an mich, und läßt alle Morgen seine neue Güte über mich
aufgehen. Früh denke ich an Gott und bringe ihin alle Morgen neue
Farren meiner Lippen. —
Mit Danken »lud Beten fange ich den Tag an; so hat die Morgen-
stunde Gott iin Munde. Kommt dann kein Gold, so hab' ich Gott, und
hab' ich Gott, so hat's nicht Noth; im Hunger ist er mein Versorger, im
Drukk mein Schutz, im Leid meine Freude. Ps. 73, 25.-----------------
Ich bin mit Gott zufrieden;
Sei du es auch!
6. Heute roth, morgen todt. Heute reich, morgen bleich;
heute stark, morgen im Sarg. Gewiß ist der Tod. Anfang bringt ein
Ende. Wie wir Alle ins Leben einen Eingang, so haben wir auch
Alle ans dem Leben einen Ausgang. In dem Augenblikke, da wir
anfangen zu leben, fangen wir auch an zu sterben, und sterben immerfort,
indem wir leben. So gewiß aber der Tod, so ungewiß ist die Stunde
des Todes. Du denkst auf einen alten Mann und verblühst in der
Blüthe deiner Jahre. Der Tod sagt nicht voran, wann er kommen will;
im Hui setzt er seine Sichel an und haut dich nieder. Du bist ihm
nimmer zu unreif in seiner Schenre. Wenn Belsazar mit seinen Gästen
fröhlich ist und die goldenen Weinschalen ausschöpft, wird ihm der Tod
an die Wand gemalt. Wen» jener reiche Bauer seiner Seele mit diesem
Licdlein einen guten Muth macht: „Sei nur zufrieden, liebe Seele; denn
du hast einen Vorrath auf viele Jahre; iß und trink!" — spielt ihm der
Tod ein ander Liedlein auf: „Du Narr, diese Nacht wird man deine
Seele von dir nehmen." — Drum, mein Herz, setze dein Datum nicht
weit hinaus. Sorge nicht für morgen; vielleicht stirbst du heute noch.
Der dir heute dein Leben gab, gab dir auch heute des LebcnS Unterhalt.
Giebt dir Gott das Leben morgen, wird er dich auch mit Brot versorgen.
Denke nicht: morgen will ich Buße thun; es kann zu spät sein. Vielleicht
ist heut der letzte Tag; wer weiß, wie bald man sterben mag!
Heut lebst du; heut bekehre dich:
Eh' morgen konimt, kann's ändern sich. —
93
7. Hoffen und Harren macht zum Narren. So sagen die
Weltkinder ans eigener Erfahrung. Freilich ist's so. Waö die Welt
hofft, ist ihr nicht. Die Hoffnung der Heuchler wird verloren sein; den»
ihre Zuversicht und ihre Hoffnung ist wie ein Schilf. (Joh. 7, 111. 14.)
Ein Schilf wächset ans und grünet schön, so lange cs Feuchtigkeit hat;
fällt große Hitze ein, verwelkt cS. Der Gottlose ist eine Zeit lang fröhlich
und glückselig; wenn ihn aber die Hitze des göttlichen Zornes nur ein
wenig berührt, so fällt alle seine Hoffnung auf einmal hi». Das Gut
ist weg, der Muth ist weg. O Noth! O Jammer! Das Weltkind hofft
auf Menschen. Wie närrisch handelt cs! Was ist veränderlicher, als des
Menschen Herz! Heute Freund, morgen Feind; heute gelobt, morgen
gelästert. Wie der Wind die Mühle, so kehrt oft ein bloß Gewäsch,
oft ein blinder Argwohn des Menschen Herz um. — Was ist wohl
nichtiger, als ein Mensch! — Kann wohl die Hülfe besser sein, als der
Helfer? Nichtiger Mensch, nichtige Hülfe! Der soll dir helfen, der sich
selbst nicht Helsen kann. — Was ist flüchtiger, als der Mensch! Heute
roth, morgen todt! Stirbt er, so stirbt deine Hülfe mit. Dein Stab
ist entzwei; du thust einen Fall und magst wohl sagen: Hoffen und
Harren macht zum Narren. — Du Narr, willst du dein Hans auf den
Sand bauen, — will's bestehe», wenn ein Sturm kommt! —
Ein Christ hat nicht llrsach, zu sagen: Hoffen und Harren niacht
zum Narre»; — denn er gründet seine Hoffnung auf Gott. Dieser
Glaube wanket nicht. „Mein Gott," kan» er mit David sPs. 25, 2. ll.)
sagen, „ich hoffe auf dich. Laß mich nicht zu Schande» werden, daß sich
meine Feinde nicht freue» über mich. Denn Keiner wird zu Schanden,
der dein harret; aber zu Schanden müssen sic werden, die losen Ver-
ächter!" — Hoffnung auf Gott läßt nicht zu Schanden werden. Es ist
unmöglich, daß Glaube und Hoffnung fehlen. Wie ich glaube, so muß
mir geschehen; das weiß ich. — Ich harre aber, Herr, auf dich. Du,
mein Gott, wirst mich erhören.
8. Wohl geschmiert, wohl geführt. Schmiere wohl, so
fährst du wohl. Der Christen Wohlfahrt besteht im Beten und Arbeiten.
Das Gebet holt den Segen aus dem Himmel; die Arbeit gräbt ihn auö
der Erde. — Beten ohne Arbeiten ist Bettelei — Himmel ohne Erde.
Arbeiten ohne Beten ist Sklaverei — Erde ohne Himmel. — Also: Bete
und arbeite! Mund auf, Hand an! Das Gebet ist dein Himmels-
wagen, Arbeit dein Erdenwagcn; beide bringen viel Glükk ins Haus,
wenn sie wohl fahren. Schmiere wohl, so fährst du wohl.
Soll dein Gebet Gott Wohlgefallen, so bete im Namen Jesu. Solch
Gebet bleibt nicht unerhört; den» der, welcher die Wahrheit ist, spricht
ja: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was ihr den Vater bitten werdet
in meinem Namen, das wird er euch geben.
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Bittest du um Irdisches oder um Erlösung aus dem Kreuz, so sprich
mit jenem Aussätzigen: „Herr, so dn willst." Jst'ö Gottes Wille nicht,
so ist'ö auch dein Heil nicht. — Willst du erhörlich beten, so sprich mit
deinem Heilande: „Herr, nicht wie ich will, sondern wie du willst; nicht
mein, sondern dein Wille geschehe!" — Bete im Glauben: dem
Glauben kann Gott Nichts versagen.
Soll die Arbeit deines Hauptes, deines Herzens, deiner Hände gesegnet
sein, so folge der Ermahnung Pauli: „Alles, tvas ihr thut mit Worten
und Werken, das thut Alles im Namen Jesu." (Col. J, 17.) Schaffe
etwas Gutes, und fange Nichts an, als was dir Gott in seinem Worte
entweder geboten oder vergönnt hat. — Wie kannst dn in Jcsn Namen
anfangen, was deinem Jesu zuwider ist! — Getraue fcstiglich, und Gott
»vird zu deiner Arbeit sein Gedeihen gebev, wenn dn sie thust aus dem
Vermögen, das Gott darreicht. — Bauest du auf eigene Kraft oder
Weisheit, so geht das Werk nicht von statten; den» du hast cs angefangen
in deinem, nicht in dem Namen Jcsn. Nichte datz ganze Werk nicht zu
deinen, sondern zu Gottes Ehren, nicht dir eine» großen Namen zu
machen, sondern Gottes Namen zu verherrlichen. Suchst du eigene
Ehre, so geräth das Werk nicht; denn Gott >vill mit dir theilen: der
Nutzen soll dein, die Ehre sei» sein; — nimmst du ihm die Ehre, so
nimmt er dir den Nutzen, und du hast dazu von der Ehre Nichts, als
Schande. Fange Nichts an, du hast denn zuvor Gott angerufen. —
Nun denn: Schmiere wohl, so fährst fcu wohl. —
Gott helfe Dir!
126. Trunksucht.
„ Die Süulor und Schlemmer verarme»! “
Massigkeit führt zur Unmässigkeit. Das klingt nun
freilich sonderbar; allein es ist Wahrheit; denn die meisten
von denen, welche unmässige Trinker geworden sind, die sind
vorher massige Trinker gewesen; aus einem Glase täglich sind
zwei, drei, vier und wohl noch mehr geworden in vier und
zwanzig Stunden: der Unmässige nimmt auch die Nacht mit
zum Tage.
Aus Selten wird Oft. Es giebt freilich viele Menschen,
die sich vielleicht alle Jahre, oder alle halben Jahre, oder wie
eben eine besondere äussere Anreizung eintritt, ein Mal
betrinken; allein die meisten von denen, die sich oft betrinken,
haben sich früher selten betrunken. — Eine gewisse Dame
hat mit einigen Tropfen Liqueur Mittags nach schweren
Speisen zu trinken angefangen und hat mit JRum Tag und
Nacht bei sich im Bett zu trinken aufgehört. — In diesen
kurzen Worten hast du eine lange Geschichte. —
95
Der Müssiggang ist ein Lehrer des Trinkens und
die Unthätigkeit eine Schule der Völlerei. Denn
kein Mensch vermag es, die Last eines leeren Lebens zu
tragen. Die Tanzgelage aber sind die Turnplätze für diese
Sünde. Die Schenke und die Spinnstube sind die Mörder-
gruben der Sittlichkeit, wo das Gift und der Mehlthau böser
Worte und Thaten durch Augen und Ohren, die Athnmngs-
werkzeuge der Seele, in die schwachen Gemüther dringen,
und der Brantwein dazu das Gedeihen giebt.
Es giebt keinen grossem Lügner in der Welt, als den
Brantwein, und der Vater der Lügen hat an diesem Getränk
einen Sohn bekommen, dass er in seiner Hölle sich über ihn
freuen muss, wie er auch kann. Dem Fröhlichen verspricht
er eine erhöhete Fröhlichkeit, und er hält Wort — einige
Stunden. Dann aber giebt er Scham, Verdruss, Reue, und
nicht selten Reue über eine That, die nimmer wieder gut zu
machen ist. Dem Traurigen hilft er; aber durch das Thor
einer kurzen Freude führt er ihn in eine vermehrte Traurigkeit.
Die hereingetrunkene Kraft wird Schwachheit; der herein-
getrunkene Reichthum macht die Armuth grösser; der herein-
getrunkene Verstand spült weg, was noch an Verstand da
war,-------so dass alle Nüchternen mit Inbegriff der Kinder
über den Narren lachen.— Ach, man sollte über ihn weinen!!
Ist’s erlaubt, sich iim’s Leben zu bringen? — Eben so wenig
ist es auch erlaubt, sich selber um den Verstand zu bringen.
Wahrlich, eines Trunkenboldes Gestalt und Wesen,
nämlich das braunrothe Gesicht mit blauer Nase, die trüben
Augen, die schwere Zunge, das dumme Zeug, das er spricht,
seine heisere Stimme, sein taumelnder Gang------sollten wohl
abschrckken, und die Schmach, wie der Kummer, den er
über die unschuldigen Seinen bringt, sollten wohl warnen,
und die Wahrnehmung, dass aus dieser Hölle von Tausenden
kaum Einer erlöset wird, sollte wohl vorsichtig machen.
„Es ist besser in das Klaghaus gehen, denn in das
Trinkhaus.“ Dies ist das Wort eines Mannes, der höher
stand, denn ich: Salomo, der Prediger (7, 3.) hat es schon
gesagt. _
„Die Trunkenheit macht einen tollen Narren noch toller.“
Auch nicht mein Wort. Ein Mann, welcher allen Ehrlichen
lieb und werth ist, hat es gesagt: Hausvater Sirach: 31, 37.
steht's geschrieben; wenn ihr’s nicht glauben wollt, überzeugt
euch selbst!
„Wehe denen, so Helden sind, Wein zu saufen, und
96
Krieger in Völlerei.“ Der König unter den Propheten (Jes.
5, 22.) ruft dieses Wort hinaus in die Welt. Vergesset es
nicht!
„Hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden
mit Fressen und Saufen.“ Der Meister Jesus Christus hat
es gesagt, und sein theures Wort hat uns Lucas (21, 34.)
aufbewahret. Leset es nach!
„Lasset uns ehrbarlich wandeln, als am Tage, nicht mit
Fressen und Saufen.“ So spricht des Meisters grösster Apostel
Paulus. Alle Jahre wird dies Wort am ersten Advent-Sonn-
tage in die Herzen der christlichen Gemeinden hineingerufen.—
Erinnert Euch nur!!
127. Kartenspiel.
Ein Mann, der in der Welt sich trefflich umgesehn, kam endlich heim von
seiner Reise. Die Freunde liefen schaarrnweise und grüßten ihren Freund. So
pflegt es zu geschehn. Da heißt cs allemal: „ll»S freut von ganzer Seele,
dich hier zu seh'n, und nun — erzähle."
Was ward da nicht erzählt!
Hört, sprach er einst, ihr wißt, wie weit von unsrer Stadt zu den Huronen
ist. Elfhundert Meilen hinter ihnen stnd Menschen, die mir seltsam schienen.
Sie sitzen oft die ganze Nacht beisammen fest auf einer Stelle und denken nicht
an Gott, noch Hölle. Da wird kein Tisch gedekkt; kein Mund wird naß gemacht;
es könnten um sie her die Donnerkeile blitzen, zwei Heer' im Kampfe stehn, sollt
auch der Himmel schon mit Krachen seinen Einsturz drvh'n, sie bleiben ungestört
sitzen; denn sie sind taub und stumm. Doch läßt sich dann und wann ein halb
gcbrochner Laut aus ihrem Munde hören, der nicht zusammenhängt und wenig
sagen kann, ob sie die Augen schon darüber oft verkehren. Man sah mich oft
erstaunt zu ihrer Seite stehen; denn wenn dergleichen Ding geschieht, so pflegt
man öfters hinzugehen, daß man die Leute sitzen sicht. Glaubt, Brüder, daß
mir nie die gräßlichen Geberden aus dem Gemüthe kommen werden, die ich an
ihnen sah. Verzweiflung, Raserei, boshafte Freud' und Angst dabei, die wechselten
in den Gesichtern. Sie schienen mir, das schwör' ich euch, an Wuth den Furien,
an Ernst den Höllenrichtern, an Angst den Missethätern gleich. —
Allein, was ist ihrZwekk? so fragten hier die Freunde. Vielleicht besorgen sie
die Wohlfahrt der Gemeinde? — Ach nein! — So suchen sie der Weisen Stein?
Ihr irrt! — So wollen sie'vielleicht des Zirkels Vierekk finden? Nein! — So
bereu'« sie alte Sünden? Das ist es alles nicht. — Sv sind sie gar verwirrt!
Wenn sie nicht hören, reden, fühlen, noch sehn, was thun sie denn?-------------------
Sie spielen. —
Verspielt Jemand auch weder Gesundheit, noch Geld, noch Ehre, Ehrlichkeit
und was man nennen mag, so verspielt er doch jedenfalls Zeit. Es ist ein gott-
loses Wort, ein recht erzgottloses, mit welchem Jemand auf den Vorwurf, daß er
so manche Stunde Zeit verspiele, erwidert hat: Was kommt'S auf ein paar
Stunden an; wir haben ja eine Ewigkeit vor uns. — Angenommen auch, es sei
ein Scherz von ihm gewesen, so ist'S ein grundschlechter Scherz gewesen und
gehört zu denjenigen »«nöthigen Worten, welche mit der Rechenschaft am jüngsten
Gerichte bedroht sind. Matth. 12, 36. >
Was vom Trinken gilt, gilt auch vom Spielen. Alle unmäßigen Spieler
find mäßige gewesen. Wer spielt, der stiehlt. Ein Dieb bricht in die Häuser,
97
ein Spieler in die Taschen, meistens in seine eigenen. Jungt Spieler, alte Bettler.
. Ein Beamter, der sich dem Spiele ergeben hat, ist ein Meineidiger. Ein Ehe-
mann, der sich dem Spiele ergeben hat, ist ein Ehebrecher. Ein Bater, der sich
dem Spiele ergeben hat, verläugnet sich vor seinen Kindern und ist härter gegen
sie, als ein Rabe gegen seine Junge. Ein Sohn, der Geld und Zeit verspielt,
ist ein Bater- und Muttermörder. —
Ein Spiel Karten ist des Teufels Gesangbuch.
128. Ein Vater an seinen Sohn.
Lieber Sohn! Die Zeit kommt allgemach heran, dass
ich den Weg gehen muss, den man nicht wiederkommt. Ich
kann Dich nicht mitnehmen, und lasse Dich in einer Welt
zurükk, wo guter Rath nicht überflüssig ist. Niemand ist
weise von seiner Geburt an. Zeit und Erfahrung lehren hier
und fegen die Tenne. Ich habe die Welt länger gesehen, als
Du. Es ist nicht Alles Gold, lieber Sohn, was glänzt. Ich
habe manchen Stern vom Himmel fallen, und manchen Stab,
auf den man sich verliess, brechen sehen. Darum will ich
Dir einigen Rath sehen und Dir sagen, was ich gefunden
habe und was die Zeit mich gelehrt hat.--------
Es ist Nichts gross, was nicht gut ist, und ist Nichts
wahr, was nicht bestehet. — Der Mensch ist hier nicht zu
Hause. Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare
siehet er nicht und kennet sic nicht. — Es ist nicht gleich-
gültig, ob er rechts oder links gehe. Doch lass Dir nicht
weiss machen, dass er sich rathen könne und selbst seinen
Weg wisse. — Halte Dich zu gut, Böses zu thun. Hänge
Dein Herz an kein verfänglich Ding. — Die Wahrheit richtet
sich nicht nach uns, lieber Sohn; sondern wir müssen uns
nach ihr richten. — Was Du sehen kannst, das siehe, und
brauche Deine Augen; — über das Unsichtbare und Ewige
aber halte Dich an Gottes Wort.
Scheue Niemand so viel, als Dich selbst. Inwendig in
uns wohnet der Richter, der nicht trügt, und an dessen
Stimme uns mehr gelegen ist, als an dem Beifall der ganzen
Welt. Nimm cs Dir vor, Sohn, nicht wider seine Stimme
zu thun; und was Du sinnst und vor hast, frag’ ihn zuvor
um Rath. Er spricht anfangs nur leise und stammelt, wie
ein unschuldiges Kind; doch wenn Du seine Unschuld ehrst,
loset er gemach seine Zunge und wird Dir vernehmlicher
sprechen.
Lerne gerne von Andern, und wo von Weisheit, Mcnschen-
glükk, Licht, Freiheit, Tugend u. dgl. geredet wird, da höre
fieissig zu. Doch traue nicht flugs und allerdings; denn die
7
98
Wolken haben nicht alle Wasser. Manche meinen, sie haben
die Sache, wenn sie davon reden können. Worte sind nur
Worte, und wo sie gar leicht und behende dahinfahren, da
sei auf Deiner Hut. Denn die Pferde, die den Wagen mit
Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes.
Wenn Dich Jemand will Weisheit lehren, so siehe in
sein Angesicht. Dünket er sich hoch, und sei er noch so
gelehrt und noch so berühmt, lass ihn und gehe seiner Kund-
schaft müssig. Was Einer nicht hat, das kann er auch nicht
geben. Und der ist nicht frei, der da will thun können, was
er will; sondern der ist frei, der da wollen kann, was er
thun soll. Und der ist nicht weise, der sich dünket, dass er
wisse; sondern der ist weise, der seiner Unwissenheit inne
geworden und vom Dünkel genesen ist. Wenn es Dir um
Weisheit zu thun ist, so suche sie, und nicht das Deine, und
brich Deinen Willen, und erwarte geduldig die Folgen.
Denke oft an heilige Dinge, und sei gewiss, dass cs nicht
ohne Vortheil,für Dich abgeht, und der Sauerteig den ganzen
Teig durchsäuert. — Verspotte keine Religion; denn Du
weisst nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein
könne. Es ist leicht, zu verachten, Sohn, und verstehen ist
viel besser. Lehre nicht Andere, bis Du selbst gelehrt bist. —
Nimm Dich der Wahrheit an, wenn Du kannst, und lass
Dich gern ihretwegen hassen. Doch wisse, dass Deine
Sache nicht die Sache der Wahrheit ist, und verhüte, dass
sie nicht in einander Hiessen; sonst hast Du Deinen Lohn
dahin. — Thu’ das Gute stille vor Dich hin und bekümmere
Dich nicht, was daraus werden wird, — Wolle nur Einerlei,
und das wolle von Herzen. —
Sorge für Deinen Leib, doch nicht so, als wenn er Deine
Seele wäre. — Gehorche der Obrigkeit, und lass die Andern
über sic streiten. — Sei rechtschaffen gegen Jedermann; doch
vertraue dich nicht Jedermann. — Mische Dich nicht in
fremde Dinge; aber die Deinigen thu’ mit Fleiss. — Schmeichele
Niemand, und lass Dir nicht schmeicheln.— Ehre einen Jeden
nach seinem Stande, und lass ihn sich schämen, wenn cr’s
nicht verdient. — Werde Niemand Etwas schuldig; doch sei
zuvorkommend, als ob sic Alle Deine Gläubiger wären. —
Wolle nicht immer grossmüthig sein; aber gerecht sei immer. —
Mache Niemand graue Haare; doch wenn Du recht thust,
hast Du um die Haare nicht zu sorgen. — Hilf und gieb
gerne, wenn Du hast, und dünke Dich darum nicht mehr;
und wenn Du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers
99
zur Hand, und dünke Dich darum nicht weniger. — Sage
nicht Alles, was Du weisst; aber wisse immer, was Du
sagst. -— Hänge Dich an keinen Grossen. —
Sitze nicht, wo die Spötter sitzen; denn sie sind die
elendesten aller Kreaturen. Nicht die frömmelnden, aber die
frommen Menschen achte und gehe ihnen nach. Ein Mensch,
der wahre Gottesfurcht im Herzen hat, ist wie die Sonne,
die da scheint und wärmt, wenn sie auch nicht redet. —
Thu’, was des Lohnes werth ist, und begehre keinen. —
Wenn Du Noth hast, so klage sie Gott. — Habe immer
etwas Gutes im Sinne. —
Wenn ich gestorben bin, so drükke mir die Augen zu
und beweine mich nicht. Stehe Deiner Mutter bei und ehre
sie, so lange sic lebt, und begrabe sie neben mir. Und sinne
täglich nach über Tod und Leben, ob Du es finden möchtest,
und habe einen freudigen Muth; und gehe nicht aus der Welt,
ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für Deinen Heiland, »Jesum
Christum, durch irgend Etwas bezeugt zu haben.
Dein treuer Vater.
S 129. Die Bibel.
^ Erhaben in edelster Einfalt, reich und gewaltig und freundlich
und hehr, wie die Natur ist, immer mehr gewährend, je mehr man
von ihr empfing, wunderbar in ihrer Mannigfalt, wie in ihrer
Einheit und Allen Alles werdend, stillt die heilige Schrift an ihrer
Brust die Kinder frommer Einfalt und eröffnet Tiefen zugleich,
an welchen der Weise staunt. Sie umfasset Zeit und Ewigkeit.
In menschlicher Sprache stellt sie das Göttliche dar, unerreichbar in
ihrer Hoheit und gleichwohl sich traulich herablassend zn dem Hirten
ans der Flnr und ju dem zarten Kinde, anö dessen Munde der
Herr sich sein Lob bereitet. Sie bietet sich dem Umuachteteu zur
Leuchte, dem Irrenden znm Leitstern, dem Wankenden zum Stabe,
dem Trauernden zum Trost, dem frommen Dulder zum Kelche des
Heils, dem Kranken zur Arznei, unö Allen zum Führer auf
schmalem, gefährdetem Pfade zu den Hütten des ewigen Heilö.
Der Unendliche mtd der Mensch sind ihr Inhalt, und indem sie
dem Wahrheit Suchenden sein eigenes Herz beleuchtet, giebt sie auch
dadurch einen kräftigen Beweis, daß es Wahrheit sei, was sie von
Gott mtd der unsichtbaren Welt ihm kund thut. Was den Geist
des Menschen erleuchten, was seinen Willen schmeidigen, lenken
und leiten, was sein Herz erschüttern, schmelzen, entflammen kann,
das findet man bei ihr, und in lebendiger Urkraft allein bei ihr.
Auf ihren Tiefen schwebt der ewige Geist, wie er schwebete ehemals
7*
auf den Wassern der Schöpfung. Sie redet mit den Völkern in
den Donnern des bebenden Sinai und wiederum flüstert sie der
Seele sanfte Worte der Werbung zu im Namen des Ewigen. Wer
von der heiligen Schrift sich entwöhnt, der entwöhnt sich von dem
Leben der Seele; glükklich, wenn er noch bei Zeiten inne wird, daß
die Welt, sei es mit ihrer Lust, sei es mit ihrer Weisheit, ihm nur
Hülfen beut, bei denen der unsterbliche Geist nimmer gedeihen
kann. — Darum:
- •*
130.
Wo keine Bibel ist im Haus, da sieht's gar öd' und
traurig aus, da kehrt der böse Feind gern ein, da mag der
liebe Gott nicht sein.
Drum Menschenkind, ach Menschenkind! daß nicht der
Böse Raum gewinnt, gieb deinen blanksten Thaler aus, und
kauf' ein Bibelbuch in's Haus!
Schlag'S mit dem früh'sten Morgen auf; hab' all' dein
Sehnm und Sinnen drauf; fang' d'rin die A-B-C'SchW
an, und buchstabier' und lies sodann, und lies dich imnM
mehr hinein. Schlag' auf darin dein Kämmerlein, und liw
dir immer mehr heraus; mach' dir ein wahres Bollwerk
drauS.
Und pflanze still hoch oben drauf die allerschönsten
Sprüchlein auf! Hell laß sie-flattern, muthig weh'n, als
deinen Hammer laß sie stehn, als deinen Schild drükk'S an
dein Herz und halt' dich dran in Freud' und Schmerz.
O' du, mein liebes Menschenkind! hast du noch kein's,
so kauf's geschwind, und ging' dein letzter Groschen drauf,
geh', eile, flieg' und schlag' es auf. Lies mit Gebet, und
schlag' cs du nur mit des Sarges Dekkel zu! DeS Lesens
und deS Lebens Lauf beginn' und höre mit ihm auf.
131. Die Kirche.
Kirchen sieht man überall; aber wo findet man die Kirche? Denn
gleich wie viele Bänme beisannncn einen Wald, viele Hänser bei-
sammen ein Dorf, einen Flckken, eine Stadt machen; — so machen
viele Kirchen beisammen, dnrch ein gemeinsames, äußerliches Regiment
nnd dirrch ein gernelnsames schriftliches Bekenntniß beisammei» gehalten,
noch keine Kirche, diejenige Kirche nicht, welche nach dem dritte,» Artikel
101
rin Gegenstand nnsereö Glaubens ist. Die Kirchen werden gesehen;
die Kirche will geglaubt sein. Wer zn diesem Glaube» an die Kirche
nicht gelangt ist, der hat auch an den Kirchen dasjenige nicht und so
viel nicht, als er an ihnen und Jedermann a» seiner, zn welcher er
gehört, haben soll und haben kann. Alle Kirchen, die nicht von der
Kirche, wie die Kinder von der Mutter, geboren sind, die sind nimmer
die rechten und echte». — WaS ist denn die Kirche? Sie ist die Anstalt
ans der Erde, die der Herr Jesus Christus, vom Himmel gekonnnen,
auf der Erde gestiftet und in eine» Gegensatz mit der Welt, wie diese
ist, gestellt hat, um durch sein Wort, welches er unter fortwährender
Mittheilung des heiligen Geistes predigen, und durch die Sakramente,
welche er verwalten läßt, den Menschen zu einer vor Gott geltenden
Gerechtigkeit, anders ansgedrnkkt: zu einem Lebe», das ans Geist ist
und zn Gott führt, zn verhelfe» und sie darin zn erhalten. Hier hinan
müssen wir, dürfen uns nicht an die ungläubige Welt kehren, die von
einem solchen Werk Christi Nichts wissen oder an sich kommen lassen
will, — wollen auch nicht meinen, als wenn die Kirche nur in gläubige»
Seelen ein Bestehen hätte, und — wenn diese nach einer Regel
zusammentreten, daß dies dann die Kirche wäre. Nein! So lange das
Wort Gottes und die Sakramente vorhanden sind, so lange giebt es
eine christliche Kirche, obschon kein Mensch das Wort hörete oder an
den Sakramenten Theil nähme, — wohin cS aber nach Christi gegebener
Verheißung nimincr kommt.
132. Ueber den wahren Gottesdienst.
No» de» wahren Verehrer» Gottes ist der öffentliche Gottcsdie»st zn alle»
Zeiten für etwas überaus Köstliches und H e r r li ch eS geachtet worden. In
de» Psalmen lese» wir folgende Bekenntnisse der heiligen Männer: „Wie lieb-
lich sind deine, Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele ver-
langet nnd sehnet sich nach den Vorhöfen deS Herrn."') — „Herr,
ich hab e lieb die Stättc deineS H auseS und den O rt, da deine
Ehre w oh net."2) — „ EinS bitte ich v om Herrn, das hätte i ch
gern: daß ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben
lang, zu schauen die schönsten Gottesdienste dcS Herrn und
seinen Temp e l zu desu ch en.":|) Von einer Hanna lesen wir,') daß sie
nimmer vom Tempel kam, und dienctc hier Gott mit'Fasten und Beten Tag
und Nacht. Jesum finden wir in seinem zwölften Jahre schon im Tempel, und
er sprach zn seinen ihn wo anders stickenden Eltern: „Wisset ihr nicht,
daß ich sc in muß in dem, das meines Vaters ist?" Die Apostel sind
bei allen Gelegenheiten im Tempel. Sie ermahnen anfs Nachdrükklichstc: „Lasset
uns nicht verlassen u n se r e V e r sa m m lu n g e n, wie E t l i ck e p fl e g e»,
sondern unter einander ermahnen, und daö so viel mehr, als
ihr sehet, daß sich der Tag nahet."'') Luther läßt sich folgendermaßen
darüber hören: „Ihr wisset, wie Gott hat ernstlich befohlen, sein liebes Wort
zn hören und zu lernen; denn er hat es sich viel lassen kosten und darauf
gewandt, dasselbe in die Welt zu bringen, — alle Propheten daran gesetzt, ja,
1) Psalm 84, 2. 3. 2) Psalm 26, 8. S) Psalm 27, i. 4) Luc. 2, 37. 6) Htvr. 10, 25.
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seinen eigenen Sohn darum in die Welt gesandt, und ihn kreuzigen und sterben,
alle Apostel darüber verfolgen und alle Christen darüber zerplagen lassen, und
denselben befohlen, dasselbe treulich zu handeln, fleißig zu hören. Drum hat
er auch einen sonderlichen Tag in der Woche dazu geordnet, daran man deß
allein warte; ob man wohl sonst die ganze Woche mit anderer Arbeit anch Gott
dienet (und dienen soll), so hat er doch diesen Tag sonderlich ausgemalet und
strenge geboten zu halten. So hat er auch sonderliche Stätten dazu geordnet,
als bei uns die Kirchen, da wir zusammenkommen." —
Gewiß würde eS dir eine hohe Ehre und Freude sein, wenn nur ein welt-
licher Fürst oder König dich einlüde in seinen Palast, hieße dich hinsehen und
träte nun hin vor dich und redete die freundlichsten Worte, machte dir die
schönsten Versprechungen, sehte dir die köstlichsten Speisen vor und fände kein
Ende, dir wohlzuthun. — Hier aber ladet der König aller Könige, der allmäch-
tige Gott, selber dich ein, führet dich in sein HauS, läßt sich zu dir herab,
versichert dich seiner Liebe, seiner Gnade, seht dir Himmelsbrot vor und Wasser
dcö Lebens, und nöthigt dick, zu essen und zu trinken, bis dein Herz mit Freude
und Wonne gesättigt ist. Ganz so, wie David spricht: „Der Herr ist mein
Hirte; mir w i r d N i ch t ö m a n g e l n. G r w e i d c t mich auf g r ü » e r
Aue und führet mich zum frischen Wasser; er erquikket meine
Seele und führet mich auf rechter Straße u m sei n e S N a m e n ö
willen." —
Es ist freilich wohl wahr, daß der große Gott mit dir auch redet, und seine
Gabe» anbietet, wenn du in deinem Kämmerlein sein Wort liesest und mit
andächtigem Herzen betrachtest; aber in seinem Hanse ist Alles viel wichtiger,
höher und feierlicher. Da fühlt der Geist sich so gehoben durch die Gegenwart
von Hunderten, welche dieselben Zwekke, dieselben Bedürfnisse mit uns vereinigen;
durch den heiligen Gesang, welcher zur Ehre Gottes von so vielen Lippen erschallet,
durch die Gebete, die ans so vielen Herzen mit den unsrigen zum Throne Gottes
emporsteigen, durch die Thräne, welche hier in dem Auge eines Bruders
glänzet, durch den Seufzer, der dort aus einem Herzen heraus dringt, durch die
himmlische Freude, welche da in einem Gesichte sich malt, wenn das Wort des
Herrn beginnt, die Seele zu ergreifen. Da muß man wohl ausrufen: „Wie
lieblich fi,nb deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Ein Tag in
deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend!" —
Und welch ein Segen geht von dem öffentlichen Gottesdienste aus! Selbst
für die Gottcsverächter, die das Wort Gottes nicht hören mögen, ist der Kirch-
thurm, das Geläute, welches von ihm erschallt, die Anbeter GotteS zusammen-
zurufen, die Feier dcS Sonntags und der Festtage eine beständige Mahnung, daß
rin Gott sei, und etwas Höheres, als dieö Leben, lind wie viele tausend Seelen
sind schon durch die öffentliche Predigt des Wortes auö ihrem Sündenschlafe
erwelkt und ein Eigenthum des Herr» geworden! Was brachte jene drei Tausend
zu dem Rufe: „WaS sollen wir thun, daß wir selig werden?" Was die Lidia
dahin, daß sic gläubig ward und sich taufen ließ mit ihrem ganzen Hause? Was
bewirkte eS, daß der heilige Geist fiel auf Alle, die in Kornelius Hause versam-
melt waren? WaS war'S, wodurch alle Gemeinden der ersten Kirche, die Gemeinde
zu Korinth, zu Philippi, zu Thessalonich, zu Rom re. gegründet wurden? Es
war Nichts, als die öffentliche Predigt. — llnd WaS thut der Herr noch immer-
fort durch dieselbe an den Seelen der Mensche»! Unter Allen, die von der
Finsterniß zum Lichte, von der Sünde sich zu Gott bekehret haben, wie Viele
werden eö sein, die diesen unaussprechlichen Segen nicht eben der öffentlichen
Predigt zu danken haben? —
Wenn nun aber solch ein Segen auf dem öffentlichen Gottesdienste ruht, so
sollte man wohl denken, daß alle Leute mit der größten Begierde und Freude zur
103
Kirche eile», so oft die Glokken rufen. Aber waS zeigt die Erfahrung? Gehen
wir an den Sonntagen umher in den Dörfern und Städten, wo nur Kirchen
sich erheben, und treten in dieselben ein: welch ein Anblikk bietet sich uns dar!
Wie wenig volltönig erhebt sich der Gesang zu Gott! Wie viele Sitze sind
leer! Wie klein ist die Versammlung! Wie wenig Hörer des Wortes! — Wo
sind die Uebrigen? Wo sind die Hunderte, die Tausende, die kommen konnten
und nicht gekommen sind? Haben sie triftige Gründe zum Wegbleiben? An
Entschuldigungen fehlt es Keinem. Ich will euch die gewöhnlichsten derselben
vorführen.
„Das Wetter ist zu schlecht; wer kann da ausgehen!"
Aber wenn ein dringendes, irdisches Geschäft euch ruft, oder wenn ihr an
demselben Tage zu einer Gesellschaft geladen seid, fragt ihr Nichts nach dem
Wetter; ihr geht. Giebt cS denn aber ein dringenderes Geschäft für den
Menschen, älS daß er daö Wort Gottes höre und dadurch seiner Seele Seligkeit
schaffe? WaS hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und
nähme Schaden an seiner Seele! — Giebt cö eine herrlichere Gesellschaft auf
(Wen, als die Versammlung im Hause des Herrn, da Christus mitten inne ist? —
Um deine Kleider und Schuhe nicht zu beschmutzen, verachtest du den Segen,
den Gott dir gerade in seinem Hause zugedacht hat! Deine Kleider sind dir
lieber, als deine Seligkeit?---
„3cf) habe kein Sonntag-s kleid; darum kann ich nicht kommen."
Was ist denn das rechte'Sonntagskleid? Zch will dir'ö sagen: Christi
Blut und Gerechtigkeit, das ist dein Schmukk und Ehrenkleid;
damit wirst du v or Gott beste h e», wcn » du $nm H i inmcl wirst
eingehen. Hörst du?—! Die in prächtige» Kleidern in der Kirche erscheinen,
und vergessen jenes Ehrenkleid mitzubringen, sind dem Herrn ein Gräuel. Er
sieht nicht daö Kleid, sondern daö Herz an. —
„ Ich habe keine Zeit; dar u m kann ich nicht k v m m en."
Keine Zeit? Keine Zeit, selig zu werden? Denn aus der Predigt kommt
der Glaube und aus dem Glauben die Seligkeit; wer daher keine Zeit hat, das
Wort Gottes und biC* Predigt zu hören, Mit keine Zeit, selig zu werden. Der
Herr spricht: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit, so wird euch alles Andere zufallen." Eins ist Noth; ach Herr,
dies Eine lehre mich bedenken doch! Zn diesem Einen, Nothwendigen muß daher
Zeit sein, sollte auch alles Andere zurückstehen. Aber daö ist die Sache: du hast
keine Lust zu Gottes Wort.
Zum Spazierengehen, zu Gesellschaften, z» vielem unnütze» Gespräch hast
du Zeit und — Lust. Sollten indeß deine Geschäfte wirklich so zahlreich und
deine Zeit so knapp sein, so wisse: Unser großer Luther wandte alle Tage vier
Stunden auf den Gottesdienst, und er hat wahrlich mehr gearbeitet und geleistet,
als du. Darum: Bete und arbeite.
„Ich kann mich zu Hause, in der freien Natur eben so
gut erbauen."
Jer wohl! du kannst, aber willst du auch? Zeige mir alle Sonntage
dein zum Willen gewordenes Können durch die regelmäßigen Andachts-
übungen, mit Predigt- und Bibellesen. Wo nicht, so ist dein vorgebliches
Könne» nur die Hülle für deine Heuchelei, die Offenb. 3, >6. ihr Strafurtheil
erhält. Beschränkst du aber deine Erbauung nur auf die häusliche, so siehe
zu, daß du durch deine eigensinnige, hochmuthige, kirchliche Absonderungssucht
deinen christlichen Mitbrüdern nicht anstößig und deinem Seelenheil nicht hinder-
lich werdest. WaS nun deine Erbauung in der freien Natur anlangt, so muß
ich bezweifeln, daß du dieselbe wirklich so oft und eifrig suchst. Denn es ist ja
derselbe Gott, der in der Natur und der Schrift redet; — verachtest du ihn hier,
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so wirst du ihn auch dott verachten. Und — — sind eS denn Sonne, Mond
und Sterne, Bäume und Blumen, die deine Sünden dir vorhalten, dir Trost
geben, auf den Heiland dich hinweisen, — kurz, zur wahren Buße und zum
Glauben dich welken und zur Seligkeit führen können? Wozu bedurfte es
denn der Sendung Jesu? — Also: Thue das Eine; aber unterlaß auch das
Andere nicht!
„DaS Kirchen gehen macht den Christen nicht aus."
„Biele laufen in die Kirche und taugen doch Nichts."
Was diese Letzteren anbetrifft, so sind sie selbst Schuld daran, und sic werden
cs vor Gott einst zu verantworten haben, daß sie nicht thaten nach seinem Worte
und seinen Namen lästerten. Aber: Der Mißbrauch hebt den Gebrauch nicht
auf. Und: Wie kommt eS denn, daß wiederum Viele, ja vielleicht die Meisten
doch besser werden? Gehe nur mit rechtem Hunger nach dem Brote des Lebens, *
und höre mit Andacht und Anwendung auf dich selbst das gepredigte Wort; die
bessernde Kraft wird nicht fehlen, und das Kirchengehen, das an und für sich
zwar nicht den Christen zum Christen macht, ist gewiß ein kräftiges Mittel zur
Erweiterung und Befestigung des Christenthums.
„Der Prediger gefällt mir nicht; den hör ich nicht gern."
So! Auch wenn er das Evangelium predigt, die erfreulichste Botschaft?
Wisse, die Predigt will 'dich ja erbauen, nicht übersinnlich ergötzen und belustigen.
Die Predigt muß dir am meisten gefallen, die dir das Blut ins Gesicht treibt,
dein Herz schmerzlich verwundet und einen Stachel darin zurükkläßt. Schlimm
ist's freilich, wenn in der Kirche etwas Anderes, als das Evangelium gepredigt
wird; in diesem Falle aber denke, daß keine Predigt so schlecht ist, daß sie nicht
wenigstens etwas Lehrreiches und Heilsames für dich enthalte. Es kommt auch
hier Alles auf den Sinn an, mit dem du zum Hause deö Herrn gehest und
dem Gottesdienste beiwohnst. —
Die meisten Leute, welche die Kirche »och besuchen, gehen Gew oh »h eitS
halber hinein; sie haben'S von ihren Vätern gesehen; darum machen sie's nach.
Andere wollen ihren Staat sehen lassen, oder sich mit Diesem und Jenem da
treffen, oder die Neugierde treibt sie. Diese Alle werden nicht allein keine» Segen
aus der Kirche mitnehmen, sondern Gott spricht auch zu ihnen: „Waö ver-
kündiget ihr meine Rechte und nehmet m einen B und in curen
Mund; so ihr doch Zucht hasset und werfet meine Worte hinter
euch!" — „Mein HauS ist ein Bethaus; aber ihr macht's zur
Mördergrube!"
Wenn man sich in die Kirche begiebt, soll man an .daS Wort Salomos
denken: „Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst,
und komme, daß du hörest." Man soll sich lebhaft vorstellen, daß man in
daS Haus des allmächtigen, heiligen und gerechten Gottes geht. Man soll betend
zum Hause Gottes gehen. Man soll sodann nicht mit dem Leibe bloß dasitzen
in der Kirche, vielweniger während des Gesanges oder der Predigt plaudern,
schlafen, oder umhergaffcn, oder mit den Gedanken umherirren auf seinem Akker,
in seiner Wirthschaft, bei seinen Geschäften und Lustbarkeiten, sondern auf jedes
Wort merken, das man singet oder hört; man soll eS so begierig aufnehmen, wie
ein Hungriger die Speise, llnd nach der Predigt soll man sich nicht allen mög-
lichen Zerstreuungen hingeben, nicht in die Wirthshäuser gehen, zu lustigen
Gesellschaften oder VcrgnügungSörtcrn hineile», da lose Gespräche führen,
spielen, tanzen und saufen; sondern über daS Gehörte weiter nachdenken, im
Herzen befestigen, auf dessen Zustand anwenden, sich damit strafen und trösten,
ermahnen und warnen, stärken und ermuthigen. Dieses Bewahren, diese leben-
dige Anwendung des gehörten und gesungenen Wortes ist die Hauptsache und
hat die Verheißung des Herrn:
„Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!"
105
o
„So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören: Samen und Ernte,
Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht."
1. Mos. 8, 22.
Die vier Jahreszeiten.
Die vier Zeiten des Jahres wurden einstmals vor Gott gefordert, und einer
jeden ward ihr Name und ihr Zeichen gegeben. Der ersten wurde gesagt: „Du
sollst Friihling heißen: du sollst den Menschen frühe welken zum Gebete und
zu der Arbeit, wie auch den Böget, seinen Schöpfer zu loben. Du sollst das
Vieh nach dem kalten Winter erquikken und die Erde mit fruchtbarem Thau
auffrischen. Dein Kleid soll grün sein, dem grünen Holze des Lebens zu Ehren.
Dein Amt soll sein, den Menschen täglich zu predigen, daß ihrer nach dem
TrübsalSwinter des irdischen Lebens der stets grünende Frühling der Ewigkeit
wartet.
Zu der andern Jahreszeit wurde gesagt: „Dein Name soll Sommer
heißen, weil du täglich von der Sonne Klarheit mehr und mehr zeugen sollst,
und dein Kleid soll sein von tausend Farben, zur Erinnerung, daß die Güte
des Herrn tausendfältig unter den Menschen blühe. Dein Amt soll sein, zu
predigen, daß die unsichtbare Sonne kräftiger sei in den Herzen der Fromme»,
als die sichtbare Sonne in den Gewächsen der Erde, sic zu ihrer Vollkommen«
heit zu bringen."
Zu der dritten Jahreszeit wurde gesagt: „Dein Name soll Herbst heißen,
weil du den herben Winter ankündigen sollst. Dein Kleid soll grau sein, zu
guter Erinnerung an den greisen Tod. Dein Amt soll sein, den Menschen
täglich zu predigen, wie alles Fleisch He», und alle Herrlichkeit des Menschen,
wie das Gras auf dem Felde sei; denn der Geist des Herrn bläset darein.
DaS schönste Obst, welches du den Menschen giebst, soll ihnen weisen, daß
auch ihre Leiber täglich faul und mürbe werden." .
Zn der vierten Jahreszeit wurde gesagt: „Dein Name soll Winter heißen,
weil der Wind dein Herr ist-und Ungewitter, Sturm, Frost und Schnee nach
und nach erregen wird. Dein Kleid soll schneeweiß sein, dem hinfallenden Alter
zum Gedächtniß. Dein Amt soll sein, den Menschen täglich zu predigen: Dulde
das Böse; hoffe da» Veste: denn nach dem Winter kommt der Sommer, nach
Ungewitter Sonnenschein, nach Trauer Freude, nach der Vergänglichkeit die
Ewigkeit.
134. Dor Friihling.
O wie groß ist deine Güte, deine Macht und Weisheit, Gott! Jedem
fühlenden Gemüthe ruft der Frühling: Groß ist Gott! Auch mir ruft cr's
mächtig zu: Gott, wie niild und groß bist du!
Die jüngst als erstorben schliefen, alle Felder werden grün. Wie wenn
tausend Stimmen riefen, hör' ich: Fühlt und preiset ihn! Ja, mein Gott,
dich fühl' auch ich, und frohlokkend preis' ich dich.
106
Alles drängt sich, aufzuleben in verschönerter Gestalt. Frohe Vögelschaarcn
schweben singend im belaubten Wald; und Gewürme, sonder Zahl, regen sich
an Berg und Thal.
Alles athmet mit Vergnügen; Alles redet dir zum Ruhm: Vögel, die i»
Lüfte» stiege», jeder Baum und jede Blum'. Wer preist würdig deine Kraft,
die aus Winter Frühling schafft?
litt.
Der Frühling ist ein Bote des Herrn, den Jeder mit offenen Armen
willkommen heisit. Er bringt gar gute Botschaft; sie lautet: Freude und
Hoffnung!
Macht nicht der Frühling Alles fröhlich, waü da lebet? Erneuert er nicht
die Gestalt der Erde? — Schaue, wie grün Wiesen und Felder sind! Wie hier-
ein Blümchen sein buntes Köpfchen empor hebt, dort wieder eins, als wollt' cs
sehen, ob der Schnee auch ganz weg sei, und ob die andern alle nachkommen
dürften. Es dauert nicht gar lange, so tauchen tausend Blumen auö bcm
Wiesengrün auf, die nicht blos; das Auge erfreuen, sondern auch mit süßen
Düften die Luft füllen. Welch ein schönes Leben ist allenthalben! — Alle die
Vögel, die während des Winters uns verlassen hatten, kommen wieder, grüßen
den Frühling und den guten Gott, der ihn sendet, mit neuen Liedern und
bauen sich Nestchen in dem jungen Grün. Und wie regt sich'S hier auf der
Wiese von Käfern und Gewürmen, die sich alle ihres Lebens freuen! Siche
den Schmetterling, der dort auf der Blüthe seine Flügel auf- und zuklappt;
und hier das Bienchen, das in die Blume kriecht und schaue» will, ob ihm der
Schmetterling auch etwas gelassen habe. Horch! der Frosch meldet sich im Teiche,
daß er aus dem Winter-schlafe erwacht ist. Alles ruft dir zu: Freue dich mit
uns! Alles zeigt dir an, daß der liebe Gott frohe Seelen gern hat. Darum
ist der Frühling ein Bote der Freude.
Auch der Hoffnung! — Frage nur den Landman», der dort feine Samen
streut, und den andern, der fein Saatfeld betrachtet; die werden dir's erklären,
warunl der Frühling uns zur Hoffnung aufrufet. Zwischen dem Samenkorn
und der reifen Aehre liegt manche kalte Nacht, mancher heiße Tag, die daö
Körnlein vernichten können; aber der AkkerSmann bestehlt feine Saaten in
Gottes Hände: darum hofft er ihr Gedeihen. Frage das Vöglein, das dort
fein Nest bauet; wenn'S reden könnte, würde es sagen: Ich will bei euch wohnen;
denn ich hoffe, der liebe Gott wird auch dies Jahr für mich und meine Kleinen
den Tisch beffe». Und der Baum würde sagen: Ich treibe Blätter und Blüthen;
denn ich hoffe, der Herr wird Frühregen und Spatregen geben, daß die Blätter
groß werden und die Blüthen Frucht bringen. — Aber sieh! jetzt öffnet der
Frühling ganz leise das Kirchhofthor; was mag er doch wollen? — Gr schauet
hinein und zählt, wie viel neue Gräber dazu gekommen sind; dann geht er still
über die Gräber weg, streut Blumen über die alten, und beffi Rasen auf die
neuen, und dazu spricht er: Schlafet nur, ihr Todten! Es kommt wohl ein
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Morgen, der euch aufwekkt, und ein FrühÑng, der euch schöner anlächelt, als
ich'S kann. — So wird der Frühling ein Bote der Hoffnung!
136. Sommerlied.
Geh' aus, mein Herz, und suche Freud' in dieser lieben Sommerzeit an
deines Gottes Gaben. Schau' an der schönen Gärten Zier, und siehe, wie sie
dir und mir sich ausgeschmükket haben.
Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich dckkct seinen Staub mit einem
grünen Kleide; Narcissen und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an, als
Salomonis Seide.
Die Lerche schwingt sich in die Luft; das Täublein fleugt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder; die hochgclobte Nachtigall ergötzt und füllt mit
ihrem Schall Berg, Hügel, Thal und Felder.
Die Glukkc führt die Küchlein aus; der Storch baut und bewohnt sein
Hauö; das Schwälblein äzt die Jungen; der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und konimt aus seiner Höh' in's tiefe Gras gesprungen.
Die Bächlein rausche» in dem Sand und malen sich an ihrem Rand mit
schattenreiche» Myrthen; die Wiesen liegen hart dabei und klingen ganz vom
Lustgeschrei der Schaf' und ihrer Hirten.
Die unverdross'nc Bienenschaar fleugt hin und her, sucht hier und da die
edle Honigspeise; des süßen Weinstokk'S starker Saft bringt täglich neue Stärk'
und Kraft in seinem schwachen Reise.
Ich selber kann und mag nicht ruh'n; des großen Gottes großes Thun
erwekkt mir alle Sinnen. Ich singe mit, weil Alles singt, und lasse, was dem
Höchsten klingt, aus meinem Herzen immer.
Ach, denk' ich, bist du hier so schön und lässest uns so lieblich geh'» auf
dieser armen Erden: was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem schönen
Himmelszelt und güldnen Schlosse werden?
O wär' ich da, o ständ' ich schon, du lieber Gott! vor deinem Thron und
trüge meine Palmen: so wollt' ich nach der Engel Weis' erhöhen deines Namens
Preis mit tausend schönen Psalmen!
137. Predigt der Garben.
Der heiße Erntctag war vorüber; eine schöne Sommernacht breitete sich
über die schweigenden Gefilde. Da richtete sich eine Garbe auf und rief über
den Alker hin: „Lasset uns dem Herr» ein Erntedankfest halten unter dem stillen
Nachthimmmel!" — Und alle Garben richteten sich auf, und von ihrem
Rauschen erwachten die Lerchen und die Wachteln, die in den Stoppeln umher
schlummerten.
Die erste Garbe begann ihre Predigt: „Bringet her dem Herrn
Ehre und Preis! Danket dem Herrn; denn er ist freundlich und seine Güte
währet ewiglich, Er lässet seine Sonne aufgehen über Böse und Gute; er
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lässet regnen über Gerechte und Ungerechte. Aller Augen warten auf ihn, und
er giebt ihnen Speise zu seiner Zeit. Jahrtausende sind über die Erde gegangen,
und jedes Jahr hat Ernten gesammelt und Speise bereitet. Immer noch dekkt
der Herr seinen Tisch, und Millionen werden gesättiget. Seine Güte ist alle
Morgen neu. Bringet her dem Herrn Ehre und Preis!"
Da stimmte der Ehor der Lerchen ein Danklied an. Und eine andere Garbe
redete: „An Gottes Segen ist Alles gelegen! Der Landmann rührt
seine thätige Hand, pflüget den Akker und streuet Körner in seine Furchen.
Aber vom Herrn kommt daö Gedeihen. Viele kalten Nächte und heißen Sommer-
tage liegen zwischen dem Säen und Ernten. Menschenhand kann die Regen-
wolken nicht herbeiführen, noch de» Hagel abwehren. Der Herr behütet daö
Körnlein im Schovße der Erde, behütet die grünende Saat und die reifende
Athre. Fürchtet euch nicht! Er war mit unö. An Gottes Segen ist Alles
gelegen!"
Nun nahm die dritte Garbe das Wort: „Die mit Thränen säen,
werden mit Freude» ernten! Mit schwerem Herzen ging ein Sohn aus,
zu säen. Ach! der Vater war ihm gestorben, und daheim weinte die verlassene
Mutter; denn die harten Gläubiger hatten die Scheuer geräumt. Ein mit-
leidiger Nachbar lieh ihm den Samen; aber Thränen fielen mit den Körnern in
die Furchen. Nun erntet er hundertfältig; denn der Herr hat seine Ernte
gesegnet. Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten; sic gehen hin und
weinen und tragen edlen Samen; kommen wieder mit Freuden und bringe» ihre
Garben!"
Darnach fuhr eine vierte fort zu reden: „Wohlzuthun und mitzu-
theilen vergesset nicht! Denn solche Opfer gefallen Gott wohl. Könnten
wir daö hineinrufen in die Häuser der Reichen, die ihre Scheuern jetzt füllen!
Könnten wir eö dem hartherzigen Manne zurufen, der gestern die armen
Aehrenleser von seinem Akker trieb! — Wen der Herr gesegnet hat, der soll
auch seine milde Hand aufthun, daß er gleiche dem redlichen Boas, der an der
frommen Ruth Barmherzigkeit übte. Wohlzuthun und mitzutheilen vergesset
nicht!" — Und die Wachteln riefen laut hinüber in daö Dorf, als wollten sie
die schlafenden Herzen aufwekken.
Und also endete die fünfte Garbe: „Was der Mensch säet, daö wird
er ernten! Wer kärglich säet, der wird auch kärglich ernten; und wer da
säet im Segen, der wird auch ernten im Segen. Was wundert ihr euch, daß
Unkraut unter dem Weizen stehetl Hättet ihr den Samen gesichtet, ehe ihr ihn
ausstreutet! — Wer Unkraut säet, wird Mühe ernten. Wer auf sein Fleisch
säet, der wird vom Fleische daö Verderben ernten; wer aber ans den Geist säet,
der wird vonr Geiste daö ewige Leben ernten. Waö der Mensch säet, daö wird
er ernten."
Und alle Garben umher neigten sich und sprachen: „Amen! Amen!"
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f--------
Und wo der gewaltige Heerbaum fleucht,
Mit Zittern und Zagen sieh Alles beugt —
Es wogt der Forst wie ein wallendes Meer —
Die Eiche allein steht fest und hehr.
Da eint sich grimmig der Stürme Schwarm;
Sie pokken die Eiche mit nervigem Arm;
Sie toben und rasen in wilder Wuth:
Die Eiche steht voll kühnem Muth!
Ermattet zich’n sie endlich fort; —
Doch seht ihr wohl das Wetter dort?
Sie waren dem Wetter vorangeflogen,
Und langsam kommt es hergezogen.
Und dumpfer und schwerer mit düsterem Grollen
Die murrenden Donner rasseln und rollen;
Und heller und greller mit gelbem Lieht
Das Zukken der stütze die Wolken durchbricht.
Und dunkler wird es, und Uhu und Eulen
Und Fledermäuse pfeifen und heulen
Und freuen sieh jauchzend des Sieges der Nacht,
Die ihrem Kerker ein Ende gemacht;
Und brüllend und krachend die Donner sieh wälzen,
Und Blitze mit Blitzen sich schlängelnd verschmelzen.
Der Sturm kehrt wieder mit doppelter Krall
Und schüttelt nahend der Eiche Schad,
Umarmt sie mit riescnkrüftigq|n Ringen
Und will sic knirschend zum Beugen zwingen;
Die Eiche stellt furchtlos mit stolzen Zweigen;
Sie kann wohl brechen, doch nimmer sich beugen!
Erbittert ruht nun der heulende Schwarm;
Doch führt er voll Rachsucht mit riesigem Arm
Das Wetter näher und näher zusammen,
Und heller leuchten die sprühenden Flammen,
Und lauter tönet der Donner Stimme,
Und Alles bebet ob ihrem Grimme:
Die Eiche allein schaut stolz in’s Thal! —
Da zukkt ein Strahl! —
Es kracht und knattert, es rasselt und dröhnt;
Ein gellender Nachhall im Walde stöhnt —
Der Hirte stürzt mit Angstgeberdc
Besinnungslos nieder zur zitternden Erde;
Und als er sich endlich mühsam erhoben,
Da haben ihn schirmende Zweige umwoben;
J
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138. Erntegesang.
Schön ist das Feld zur Frühlingszeit, wenn auf verjüngtes Grün der Lenz
die bunten Blumen streut, die Bäume schneeweiß blüh'n. Dach schöner ist der
Aehren Gold, das aus dem Boden steigt, und, unsrer süßen Arbeit hold, sich
dankbar vor unö beugt; wenn jeder Halm uns zwanzig Mal die Körnchen
wieder beut, die wir im Feld, am Berg, im Thal den Furchen eingestreut.
Hoch thürmcn wir die Fuder auf, vom reichen Segen schwer; das Garbe-
mädchen setzt sich drauf; der Schnitter geht bei her. Dann essen wir in sichrer
Ruh' das Brot, daö unö gebührt, indeß die Grille froh dazu am Heerde
musicirt.
Du, zarter Städter, spotte nicht der schwielenvollen Hand: wir nähren,
was dein Stolz auch spricht, den Fürsten und daö Land. Seht, Krieger, unsrer
Sicheln Glanz und euer blutig Schwert: sagt, ist nicht unser Aehreukranz mehr,
alü ein Lorbeer, werth?
Ihr schweigt? Ihr gebt uns Recht! Wohlan! wünscht uns nur Fried'
und Ruh'; blikkt unsern Fleiß mit Lächeln an und klatscht uns Beifall zu.
131). Das Gewitter.
Was murret und grollet dort fort und fort?
Was ragen die Wolken so drohend dort?
Das ist des Gewitters gewaltige Macht.
Hier heiterer Himmel, dort Grabesnacht.
Es regt sich nirgends des Lebons Spur;
Ein düsterer Nebel hüllt Wald und Flur;
Die Sänger suchen das bergende Nest,
Des Waldes Husen der fliehende West;
Die Wurnen neigen sich müd’ und matt,
Und leise zittert der Espe Watt.
Die Lämmer stehen zur Erde gebükkt;
Sie haben sich nahe zusammengedrükkt.
Der Hirte schreitet beklommen einher;
Er schweiget uhd athmet ängstlich und schwer;
Und wie er lauschet mit heimlichem Grausen,
Da hört cr’s näher und stärker brausen.
Und sausend und brausend durch riesige Eichen
Ergrimmto Stürme stöhnen und keuchen.
Sie kreiseln und wirbeln das dünne Laub;
Sie tragen und jagen ein Meer von Staub;
Sic heulen und eilen durch Flur und Wald,
Zcrrcissen mit trotzigkühncr Gewalt
Den schwarz verhangenen Wolkenhimmel
Und füllen die Lükkcn mit Staubgetümmel.
Die Eiche, des Forstes hochragender Held,
Sie liegt, vom dämmenden Blitze gefüllt;
Doch rauschen die sterbenden Zweige noch leise
In seltsam flüsternder Geistenveise.
Die fernen Donner dumpfer rollen,
Und einzelne bleiche Blitze noch grollen.
Die Wipfel schwächer rauschen und wogen;
Die wirbelnden Winde sind fortgeflogen;
Nur säuselnde Weste wehen leise
Und schaukeln sich gaukelnd im Blumenkreise.
Doch lokken sie nicht die Sänger heraus
Aus ihrem heimlichen Halraehhaus.
Die Blufnen auch neigen die Häupter noch schw
Gebadet in ihrem Thräncnmocr;
Sie haben nicht Stimme, ihr Leid zu klagen,
Nicht Muth, die Aeuglein aufzuschlagen;
Da löset sich langsam der Wolken Flor:
Ein liebebelcuchtcter Strahl bricht vor,
Und wandelt die bleichen Tropfen der Au'
In freudeglänzenden Thrünenthau.
Die Lerche jetzt wirbelnd zum Himmel flieht;
Der Stieglitz zwitschert sein hübsches Lied;
Die Nachtigall flötet im Liebelaut;
Der Specht im Häuschen liakkt und haut;
Die Turteltaube girrt und irrt;
Der schwarze Käfer schweift und schwirrt;
Die Biene summt und sammelt Seim;
Der Hirt zieht mit den Lämmern heim.
Es hallt im Wald weit die Schalmei
Und eint sich der jubelnden Heuer Juchhei,
Und Fluren und Wald und Ilöh’n und Hain
Und Himmel und Erde jauchzen drein,
Und Färb’ und Ton und Licht und Klang
Hust: „Gott in der Höh' sei Preis und Dank!“
140. Das Feuer.
Wohlthätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
112
Einhcrtritt auf der eignen Spur
Die si*eie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
Wachsend ohne Widerstand,
Durch die volksbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen;
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zukkt der Strahl!
Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?
Das ist Sturm I
Roth, wie Blut,
Ist der Himmel;
Das ist nicht des Tages Gluth!
Welch Getümmel
Strassen auf!
Dampf wallt auf!
Flakkemd steigt die Fcuersäule;
Durch der Strassen lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile;
Kochend, wie aus Ofens Rachen
Glüh’n die Lüste, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Thiere wimmern
Unter Trümmern.'
Alles rennet, rettet, flüchtet;
Taghell ist die Nacht gelichtet;
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer; hoch im Bogen
Spritzen Quellen Wasserwogen;
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume;
Und als wollte sie ein Wehen
Mit sich fort der Erde \yucht
Reissen in gewalt’ger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Riesengross!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Güttcrstärko:
Miissig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.'
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blikk
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurükk —
Greift fröhlich dann zum Wanderstnbo.
Was Feuers - Wuth ihm auch geraubt,
Ein süsser Trost ist ihm geblieben:
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
Und sich! ihm fehlt kein theures Haupt.
141. Der Herbst.
DeS Jahres schönster Schmukk entweicht; die Flur wird kahl, der Wald
erbleicht, der Vöglein Lieder schweigen; — Ihr, Gotteskinder, schweiget nicht,
und laßt hinauf zum ew'gen Licht des Herzens Opfer steigen.
Was Gottes Hand für uns gemacht, das ist nun Alles heim gebracht, hat
Dach und Raum gefunden. — So sammle dir zur Gnadenzcit, o Seele, was
dein Herr dir beut, für deine Kreuzesstunden.
Denn wie die Felder öde steh'n, die Nebel kalt darüber weh'n und Reif ent-
färbt die Matten; so endet alle Lust .der Welt, des Lebens Glanz und Kraft
zerfällt; schnell wachsen seine Schatten.
Es fällt der höchsten Bäume Laub und mischt sich wieder mit dem Staub,
von dannen es gekommen. — Ach, Mensch, sei noch so hoch und werth: du
mußt hinunter in die Erd', davon du bist genommen.
Doch wie der Landmann seine Saat ausstreuet, eh' der Winter naht,
um künftig Frucht zu sehen: so, treuer Vater, dekkest du auch unsern Leib mit
Erde zu, daß er soll auferstehen.
114
142. Das Samenkorn.
Der Sä'mann streut aus voller Hand den Samen auf das weiche Land,
und wundersam! was er gesät, das Körnlein wieder aufersteht.
Die Erde nimmt eö in den Schooß und wikkelt es im Stillen los; ein
zartes Keimlein kommt hervor und hebt sein röthlich Haupt empor.
ES steht und frieret nakkt und klein und fleht um Thau und Sonnenschein.
Die Sonne schaut von hoher Bahn der Erde Kindleiu freundlich an.
Bald aber nahet Frost und Sturm, und scheu verbirgt sich Mensch und
Wurm; das Körnlein kaun ihm nicht entgeh'« und muß in Wind und Wetter
steh'n.
Doch schadet ihm kein Leid noch Weh; der Himmel schikkt den weißen
Schnee und dekkt der Erde Kindlein zu; dann schlummert cS in stiller Ruh'.
Bald fleucht des Winters trübe Nacht; die Lerche singt, daö Korn erwacht;
der Lenz heißt Bäum' und Wiesen blüh'n und schmükkt daS Feld mit frischem
Grün.
Voll krauser Aehren, schlank und schön, muß nun die Halmensaat entsteh'»,
und wie rin grünes, stilles Meer, im Walde wogt sie hin und her.
Dann schaut vom hohen Himmelszelt die Sonne auf daö Aehrenfeld; die
Erde ruht im stillen Glanz, geschmükkt mit gold'nem Erntekranz.
Die Grnte naht; die Sichel klingt; die Garbe rauscht; gen Himmel dringt
der Freude lauter Iubelsang, des Herzens stiller Preis und Dank.
14». Winterlieb.
Wie ruhest du so stille in deiner weißen Hülle, du mütterliches Land! Wo
sind die Frühlingslieder, deS Sommers bunt Gefieder und dein geblümtes
Festgewand?
Du schlummerst nun entkleidet; kein Lamm, kein Schäflein weidet auf deinen
Au'n und Höh'». Der Vöglrin Lied verstummte; kein Vienlein mehr, daö
summte; — doch bist du auch im Winter schön.
Die Zweig' und Aeste schimmern, und tausend Lichter flimmern, wohin daö
Auge blikkt. Wer hat dein Bett bereitet, die Dekke dir gebreitet, und dich so
schön mit Reif geschmükkt?
Der gute Vater droben hat dir dein Kleid gewoben; er schläft und
schlummert nicht. So schlumm're denn in Frieden! Der Vater wekkt die
Müden zu neuer Kraft und neuem Licht.
Bald, bei des Lenzes Wehen, wirst du, verjüngt, erstehen zum Leben
wunderbar. Sein Odem schwebt hernieder: dann, Erde, prangst du wieder mit
einem Blumenkranz in» Haar.
115
144. Mitleid im Winter.
In meinem Stübchen ist's bequem,
Jst'S lieblich, hübsch und angenehm;
Doch manche Mutter, Gott erbarm'!
Nimmt'ö Kindlein nakkend auf den Arm.
Sie hat kein Hemd, hvrt'S kläglich schrei'n
Und wikkelt'S in die Schürze ein!
Sie hat kein Holz, sie hat kein Brot
Und klagt dem lieben Gott die Noth.
Frirrt'S noch so stark, das Mutterherz,
Thaut doch die Thränen auf im Schmerz.
Der Winter ist ein rauher Mann:
Wer nimmt sich doch der Armen an?
Geh' hin und bring' der armen Seel'
Gin weißes Hemd, ein Säkklein Mehl,
Gin Bündchen Holz, und sag' ihr dann,
Daß sie auch zu uns kommen kann,
Um Brot zu holen immer frisch:
Und dann dckk' auch für uns den Tisch!
/untrer Abschnitt.
143. Die Jahreszeiten.
Gin Bild des Lebens.
Das Leben gleicht den Jahreszeiten: — der Frühling ist die Zeit der Saat;
der schmekkt der Grnte Süssigkeiten, der ihn dazu genützct hat.
Der Sommer reift die vollen Aehren; der Herbst theilt milde Früchte anö;
der Winter kommt, sie zu verzehren, und findet ein gefülltes Haus.
Es fließe mir denn nicht vergebens der Frühling meiner Jahre hin! Auf
Kenntnisse zum Glükk des Lebens, auf Tugend gehe mein Bemüh'n!
Daß man in meinem Sommer sage: Seht seine Grnte, sie ist groß! Dann
fällt im Herbste meiner Tage auch Frucht in manches Armen Schooß.
Und ich darf nicht das Alter scheuen, — ich bin an weisem Borrath reich;
ich kann mich meines Winters freuen; denn Nichts ist meinen Schätzen gleich. —
146. Der Bauersmann.
Wie nützlich ist der Bauersmann! Er bauet uns das Feld; wer eines
Bauern spotten kann, der ist ein schlechter Held.
Noch eh' die liebe Sonne kommt, geht er schon seinen Gang, und thut,
was allen Menschen frommt, mit Lust und mit Gesang.
'8*
116
Im Schweiße seines Angesichts schafft er für Alle Brot; wir hätten ohne
Bauern Nichts; die Städter litten Noth.
Und darum sei der Bauernstand uns aller Ehren werth! Denn kurz und
gut, wo ist daö Land, das nicht der Bauer nährt?
147. Der alte Landmam» an feinen Sohn.
Ueb' immer Treu' und Redlichkeit bis an dein kühles Grab, und weiche
keinen Finger breit von Gottes Wegen ab! Dann wirst du wie auf grünen
Au'n durch's Pilgerleben geh'n, dann kannst du sonder Furcht und Grau'n dem
Tod entgegen seh'n. Dann wird die Sichel und der Pflug in deiner Hand so
leicht, dann singest du beim Wasserkrug, als wär' dir Wein gereicht.
Dem Vösewicht wird Alles schwer, er thue, was er thu'; das Laster treibt
ihn hin und her, und läßt ihm keine Ruh! Der schöne Frühling lacht ihm
nicht, ihm lacht kein Aehrenfeld; er ist auf Lug und Trug erpicht, und wünscht
sich Nichts, als Geld. Der Wind im Hai», das Laub am Baum saust ihm
Entsetzen zu; er findet nach des Lebens Traum im Grabe keine Ruh'.
Drum übe Treu' und Redlichkeit bis an dein kühles Grab, und weiche
keinen Finger breit von Gottes Wegen ab! Dann suchen Enkel deine Gruft
und weinen Thränen drauf, und Sommerblumen, voll von Duft, blüh'« aus
den Thränen auf.
148. Abendrnhe.
Dort sinket die Sonne im Westen, umflossen vom goldenen Schein; bald
birgt sie sich hinter den Aesten, bald hinter dem blühenden Hain.
Die Glokke» der Dörfer erschallen, verkünden erquikkende Ruh', und läutende
Heerden, sie wallen, dem schützenden Dache nun zu.
Der Landmann verläßt die Gefilde, und Schweigen bedeut die Natur; die
Lüfte umwehen mit Milde erfrischend die blühende Flur.
So ruhig, so heiter, so labend, — dies Eine erfleh' ich von dir, o Vater! —
so dämm're mein Abend, so ruhig erschein' er einst mir! >
149. Abendgeläut.
Aus dem Dörflein da drüben vom Thurm herab,
Da läuten die Menschen den Tag zu Grab;
Sie läuten und läuten, — und ich und du,
Wir hören gar gerne dem Läuten zu.
Wann sie läuten, dann sollen wir immerdar fein
Zum Singen und Beten gerüstet sein;
Wir halten die Glokke in größter Ehr';
Denn'ö Läuten ist immer bedeutungsschwer.
117
Wann sie läuten am Sonntag, das klingt gar schön,
Da sollen wir still zur Kirche geh'n,
Und sollen, versammelt am heiligen Ort,
Uns predigen lassen des Herren Wort/
Und zur Tauf' und zur Trauung läuten sie auch:
Das Läuten ist immer ein heiliger Brauch;
Und wird uns die letzte Ehre gethan,
Da fangen die Glokken zu läuten an.
Bet' eitrig! — jetzt schlagen sie drei. mal drei;
Die schwere Arbeit ist nun vorbei.
So schlagen zum Abend die Christenleut'
Zu Ehren der hcil'gen Dreieinigkeit.
15tt. Lied von der Glokke.
Glokke, du klingst fröhlich, wenn der Hochzeitsreihen zu der Kirche geht!
Glokke, du klingst heilig, wenn am Sonntagsmorgen öd' der Akker steht.
Glokke, du klingst tröstlich, rufest du am Abend, daß es Brtzeit sei! Glokke,
du klingst traurig, rufest du: das bittre Scheiden ist vorbei!
Sprich, wie kannst du klagen? wie kannst du dich freuen? bist ein todt
Metall! Aber unf're Leiden, aber uns're Freuden, die verstehst du all".
Gott hat Wunderbares, was wir nicht begreifen, Glokk', in dich gelegt!
Muß das Herz versinken, du nur kannst ihm helfen, wenn'S der Sturm bewegt.
151. Dir Abenddämmerung.
Seht, die Sonne sinkt in's Meer; Thal und Feld wird menschenleer; Alles
eilt der stillen Ruh', seiner trauten Heimath zu.
Deine Engel sendest du, ew'ger Vater, nun uns zu; sicher ruh'n wir in
der Nacht, treu von ihrem Schutz bewacht.
Wer in Thränen schlaflos liegt, wird von Träumen eingewiegt; deine Engel
führen ihn schon im Traum zum Himmel hin.
Fallen einst zur ew'gen Ruh' uns die müden Augen zu: unsern Geist
befehlen wir, ew'ger Vater! dann auch dir.
Bricht der ew'ge Morgen dann nach deS Lebens Wallfahrt an: o, so führe,
Vater, du Alle unS dem Himmel zu.
152. Abendlied.
Willkommen, o seliger Abend, dem Herzen, das froh dich genießt! Du bist
so exquikkend, so labend; drum sei unS recht herzlich gegrüßt.
In deiner erfreulichen Kühle vergißt man die Leiden der Zeit, vergißt man
des Mittages Schwüle und ist nur zum Danken bereit.
118
In» Kreise sich liebender Freunde, gelagert im schwellenden Grün, da segnet
man fluchende Feinde und lasset in Frieden sie ziehn.
Willkommen, o Abend voll Milde! du schenkst den Ermüdeten Ruh', versetz'st
unS in Edenö Gefilde und lächelst uns Seligkeit zu!
153. Der Mond.
Im stillen heitern Glanze tritt er so sanft einher! Wer ist im Sternenkranze
so schön geschmükkt, wie er?
Er wandelt still bescheiden, verhüllt sein Angesicht, und giebt doch so viel
Freuden mit seinem trauten Licht.
Er lohnt des Tags Beschwerde, schließt saust die Augen zu, und winkt der
müden Erde zur stillen Abendruh';
Schenkt mit der Abcndkühle der Seele frische Lust; die seligsten Gefühle
gießt er in unsre Brust.
Du, der ihn uns gegeben mit seinen» trauten Licht, hast Freud' am frohen
Leben; sonst gäbst du ihn uns nicht.
Hab' Dank für alle Freuden, hab' Dank, daß uns dein Mond des Tages
Last und Leiden so reich, so freundlich lohnt!
154. Gebet.
Dir nah' ich »nich, nah' mich dem Throne, den» Thron der höchsten Majestät,
und »nische zu dem Jubeltone des Seraphs auch »nein Dankgebet.
Bin ich schon Staub, ja Staub der Erden, fühl' ich gleich Sünd' und Tod
in mir: so soll ich doch ein Seraph werden; mein Jesus Christus starb dafür.
Wort ist nicht Dank; nein, edle Thaten, wie Christus mir daö Beispiel giebt,
vermischt mit Kreuz und Thräncnsaaten, sind Weihrauch, den die Gottheit liebt.
Dies ist mein Dank dazu »nein Wille sei jede Stunde dir geweiht; gieb,
daß ich diesen Wunsch erfülle bis an das Thor der Ewigkeit.
155. Da- Vaterhaus.
Eö ist eine Herberg' uns Allen bestellt
Bon dem größten der Meister auf dieser Welt:
Es ist ein Kämmerchen eng und klein;
Doch ruht es sich drinnen so sanft und so fein.
Die Sonne, das Monden- und Sternenlicht,
Sie erleuchten das Dunkel dcö Kämmerchens nicht.
Es wogen und rauschen die Wasser vorbei;
Doch den Schlafenden gilt cs einerlei.
Es dreht sich die Welt wohl um und um;
2m Kämmerlein bleibt es still und stumm,
Und, waü auch die Wachenden quält und freut,
Bon den Schlafenden bleibt es fern und weit.
119
Sie ruhen und schlafen wohl manches Jahr,
Und größer und größer wird ihre Schaar,
Bis endlich der liebende Vater sie welkt
Und ihnen die Arme entgegenstrekkt.
Da wachen sie auf; der Riegel bricht;
Sie schauen den Meister, sie schauen das Licht.
Sie wandelten, träumten; der Schlaf ist aus,
Und freundlich empfängt sie das Vaterhaus.
136. Für die sieben Tage.
Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Mitten
Für sieben Wochentage sieben Bitten.
Zum ersten Tag: Laß deine Sonne tagen,
Und Licht verleih'» der Erd' und meinen Schritten.
Zum zweiten Tag: O laß dir nach mich wandeln,
Wie Mond der Sonne nach mit leisen Tritten.
Zum dritten Tag: Lehr' deinen Dienst mich kennen.
Und wie ich dienen soll mit reinen Sitten.
Zum vierten Tag: Du woll'st mich nicht verlassen
In meiner Woche, meines Tagwerks Mitten.
Zum fünften Tag: O donn're deine Worte
Jn's Herz mir, wenn sie meinem Sinn entglitten.
Zum sechsten Tag: O laß mich freudig fühlen,
Wodurch du mir die Freiheit hast erstritten.
Zum siebenten: Die Sonne sinkt am Abend;
O durft' ich mir so hellen Tod erbitten!
157. Wächterruf.
Höret, was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat zehn geschlagen.
Jetzt betet und jetzt geht zu Bett,
Und wer ein gut Gewissen hat,
Schlaf' sanft und wohl! Im Himmel wacht
Ei» heiter Aug' die ganze Nacht.
Höret,-was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat eilf geschlagen.
Und wer noch bei der Arbeit schwitzt,
Und wer noch bei der Karte sitzt,
Dem sei'ö zum letzten Mal gesagt:
'S ist hohe Zeit: — nun gute Nacht!
120
Höret, was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat zwölf geschlagen
Und wo noch in der Mitternacht
Ein Herz in Schmerz und Kummer wacht,
Gott geb' dir eine stille Stund',
Mach froh dich wieder und gesund!
Höret, was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat eins geschlagen.
Und wo mit Satans Witt' und Rath
Ein Dieb auf dunkeln Pfaden naht,
— Ich witt's nicht hoffen; doch geschicht's —
Geh' Heini: der ew'ge Richter sieht'S!
Höret, was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat zwei geschlagen.
Und wem schon wieder, eh's noch tagt,
Die schwere Sorg' am Herzen nagt,
Du armer Mensch, dein Schlaf ist hin!
Gott sorgt; was trübst du deinen Sinn?
Höret, was ich euch will sagen!
Die Glokke, die hat drei geschlagen.
Die Morgenstund' am Himmel schwebt,
Und wer in Ruh' den Tag erlebt,
Dank' Gott und faste frohen Muth
Und geh' ans Werk und halt' sich gut! —
138. Belsazar.
Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh lag Babylon.
Nur oben, in des Königs Schloß
Da flakkert's, da lärmt des Königs Troß;
Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königömahl.
Die Knechte faßen in schimmernden Reih'»
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
GS klirrten die Becher, eS jauchzten die Knecht';
So klang es dem störrigen Könige recht.
DeS Königs Wangen leuchten Gluth;
Im Wein erwuchs ihm kekker Muth.
Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort,
Und er brüstet sich frech und lästert wild;
Die Knechteschaar ihm Beifall brüllt.
' Üfc’ "
Der König rief mit stolzem Blikk;
Der Diener eilt und kehrt zurülk.
Er trug viel güldne Geräth auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel JehovahS geraubt.
Und der König ergriff mit Frevlerhand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand;
Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
Und rufet laut mit schäumendem Mund:
„Jehovah, dir künd' ich auf ewig Hohn, —
Ich bin der König von Babylon!"
Doch kaum das grause Wort erklang,
Dem König ward'S heimlich im Busen bang'.
DaS gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde lcichenstill im Saal.
Und sich", und sieh'! an weißer Wand,
Da kam's hervor wie Menschenhand;
Und schrieb und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Der König stieren BlikkS da saß,
Mit schlotternden Knieen und todtenblaß.
Die Knechteschaar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.
Dir Magier kamen; doch keiner verstand
Zu deuten die Flammcnschrift an der Wand.
Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Bon seinen Knechten umgebracht.
139. Der trene Reiter.
Auf Wagram- Blutgcfilden lag,
Bcdekkt mit ehrenvollen Wunden,
Major von Wolfart unverbunden.
Erwachend erst am zweiten Tag'
AuS schwarzem, tiefem Tvdestraume,
Und lechzend, weil mit heißem Brand
Hell über ihm die Mittagssonne stand,
Sah er umher im furchtbar stillen Raume
Und flehte nur um eine hohle Hand
Noll Wasser. „Herr der Schlachten!
Konnt' ich nicht sterben? Soll ich hier verschmachten?
Sich, da erhob aus starren Leichenhügelu
Sich eine Faust mit Roffeözügeln.
Ein bärtig Haupt hob leise sich empor.
Sein treuster Reiter wa?^; er keuchte: „Herr Major!
Ein Tümpel ist nicht fern: ich wag's, noch hin zu kommen."
Der Sumpf lag von dem Schlachtfeld ziemlich weit;
Doch auf den Händen kroch der treue Beit,
Weil ihm ein Schuß den Fuß genommen,
Und brachte dann, bedekkt mit Staub und Blute,
Den trüben Labetrunk im Hute.
Hier, Herr Major, ist Alles, waö ich fand.
Schnell reißt's der Lechzende ihm aus der Hand;
Will er nicht sterben, muß er eilen.
Doch er vergißt auch nicht, was Gott ihm zugesandt,
Mit seinem treusten Freund zu theilen.
„Trink' auch!" spricht er. Der Reiter athmet schwer
Und röchelt, schweigt. Er dringt in ihn auf'S Neue;
Doch Veit bedarf des Labetrunks nicht mehr.
Zur Erde sinkt fein männlich Angesicht.
Der dort vergilt, hat ihm den Tod der Pflicht
Verschönert durch den Tod der Treue.
160. DaS Gewitter.
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind in dumpfer Stube beisammen sind.
Es spielet das Kind; die Mutter sich schmükkt; Großmutter spinnet; Urahne
gebükkt sitzt hinter dem Ofen im Pfühl. — Wie wehen die Lüfte so schwül!
Das Kind spricht: „Morgen ist'ö Feiertag. Wie will ich spielen im grünen
Hag; wie will ich springen durch Thal und Höh'n; wie will ich pflütken viel
Blumen schön! Dem Anger, dem bin ich hold!" Hört ihr'S, wie der Donner
grollt?
Die Mutter spricht: „Morgen ist'S Feiertag; da halten wir Alle fröhlich
Gelag. Ich selber, ich rüste mein Feierkleid. DaS Leben, eS hat auch Lust nach
Leid; dann scheint die Sonne wie Gold!" Hört ihr'S, wie der Donner grollt?
Großmutter spricht: Morgen ist'S Feiertag. Großmutter hat keinen Feiertag;
sic kochet daS Mahl, sie spinnet das Kleid; das Leben ist Sorg' und viel Arbeit.
Wohl dem, der that, was er sollt'!" Hört ihr'S, wie der Donner grollt?
Urahne spricht: Morgen ist'S Feiertag; am liebsten morgen ich sterben mag:
ich kann nicht singen und scherzen mehr; ich kann nicht sorgen und schaffen schwer.
WaS thu' ich noch auf der Welt?" Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
Sie hören's nicht, sie sehen'- nicht, eS flammet die Stube wie lauter Licht.
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind voni Strahl mit einander getroffen sind.
Bier Leben endete Ein Schlag — und morgen ist'S Feiertag.*)
'1 -Im 30. Juni 1828 schlug der Blitz in ein vo» zwei armen Familie» bewohntes #iin9 der
würtembergischen Stadt Tuttlingen und tödtcte von 10 Bewohnern desselben 4 Personen, Großmutter,
Mutter, Tochter und Enkelin, die erste 71, die letzte 8 Jahr alt.
123
161, Ein Friedhof-besuch.
Beim Todtengräber pocht eS an:
„Mach auf, mach auf, du greiser Mann.
Thu' auf die Thür und nimm den Stab,
Mußt zeigen mir ein theures Grab."
Ein Fremder fpricht's, mit strupp'gem Bart,
Verbrannt und rauh nach Kriegerart.
„ „ Wie heißt der Theure, der euch starb
Und stch ein Pfühl bei mir erwarb?""
„Die Mutter ist eö; kennt ihr nicht
Der Martha Sohn mehr am Gesicht?"
„ „ Hilf Gott, wie groß, wie braun gebrannt!
Hätt' nun und nimmer euch erkannt.
Doch kommt und seht, hier ist der Ort,
Nach dem gefragt mich euer Wort.
Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein,
Nun euer todtes Mütterlein.""
Da steht der Krieger lang' und schweigt,
DaS Haupt hinab zur Brust geneigt.
Er steht und starrt zum theuren Grab
Mit thränenfeuchtem Blikk hinab.
Dann schüttelt er sein Haupt und spricht:
„Ihr irrt; hier wohnt die Todte nicht.
Wie schloss' ein Raum, so eng und klein,
Die Liebe einer Mutter ein?!"
162. Die Vergeltung.
Znm Propheten kam ein junger Mann und sprach: Gottgesandter! meine
Mutter, alt und schwach, lebt bei mir. Ich geb' ihr Wohnung und Gewand;
Trank und Speise geb' ich ihr mit meiner Hand, hebe sie auf meinen Arm und
lege sie Sommers kühl und Winters warm, und pflege sie. Hab' ich ihr ver-
golten? Der Prophet sprach: Nein! Nicht vergolten, aber wohlgethan und sein.
Nicht den zehnten Theil vergaltest du, mein Sohn; doch Gott gebe dir für's
Kleine großen Lohn!
Die vier Pflichte».
Ein Andrer zum Propheten tritt:
Gestorben sind mir beide Eltern; bin ich quitt
Nun gegen sie der weitern Pflichten?
Er sprach: Mit nichte,,;
Du hast dir vier noch zu verrichten:
124
Für sie im Himmel dort zu beten
Und ihre Schulden hier auf Erden zu vertreten,
Daun ihre Freunde noch zu ehre»,
llnd ihr Gebautes nicht umzukehren.
163, Die Einladung.
Ein frommer Landmann in der Kirche faß; den Tert der Pfarrer aus
Johanne las am Ostermontag, wie der Heiland rief vom Ufer: „Kindlein, habt
ihr Nichts zu essen?" Das drang dem Landmann in die Seele tief, daß er in
stiller Wehmuth dagesessen. Drauf betet er: „Mein liebster Jesu Christ! so
fragest du? O wenn du hungrig bist, so sei am nächsten Sonntag doch mein
Gast, und halt' an meinem armen Tische Rast. Ich bin ja wohl nur ein geringer
Mann, der nicht viel Gutes dir bereiten kann: doch deine Huld, die dich zu armen
Sündern trieb, nimmt auch an meinem Tische wohl vorlieb."
Er wandelt heim und spricht sein herzlich Wort an jedem Tag die ganze
Woche fort. Am Samstag Morgen läßt'S ihn nimmer ruhn: „Frau — hebt er
an — nimm aus dein bestes Huhn; bereit' eS kräftig, fege Flur und Haus; stell'
in die Stub' auch einen schönen Strauß; denn wisse, daß du einen hohe» Gast
auf morgen Mittag zu bewirthen hast. Putz' unsre Kinderlein; mach' Alles rein!
Der werthe Gast will wohl empfangen sein."
Da springen alle Kinderlein heran: „O Vater, wer? wie heißt der liebe
Mann?" Die Mutter fragt: Nun, Vater, sage mir, gar einen Herren ladest
zu dir? Der Vater aber lächelt, sagt cö nicht, und Freude glänzt in seinem
Angesicht.
Am Sonntag ruft der Morgenglokken Hall; zum lieben GotteShause zieh»
sie all', und immer seufzt der Vater innerlich: „O liebster Jesu, komm, besuche
mich! du hast gehungert; ach, so möcht' ich gern dich einmal speisen, meinen
gute» Herrn."
Wie die Gemeinde drauf nach Hause geht, die Mutter bald am Heerde wieder
steht. DaS Huhn ist weich, die Suppe dikk und fett; sie dekkt den Tisch, bereitet
Alle« nett; trägt auf und denkt beim zwölften Glokkcnschlag: Wo doch der Gast
so lauge bleiben mag!
Es schlägt auch Einö: da wird'S ihr endlich bang: „Sprich, lieber Mann
wo weilt dein Gast so lang? Die Snppe siedet ei», die Kinder stehn so hungrig
da, und »och ist Nichts zu sehn. Wie heißet denn der Herr? Ich glaube fast,
daß du vergeblich ihn geladen hast."
Der Vater aber winkt den Kinderlein: „Seid nur getrost! er kommt nun
bald herein." Drauf wendet er zum Himmel das Gesicht und faltet zum Gebet
die Hände, spricht: „Herr Jesu Christe, komm, sei unser Gast und segne, was
du uns bescheeret hast!"
Da klopft cS an die Thüre: seht, ein Greis blikkt matt herein, die Lokkeu
silberweiß! „Gesegn' euch'ö Gott! Erbarmt euch meiner Noth! Um Christi
125
willen nur ein Stükklein Brot! Schon lange bin ich hungrig umgeirrt: viel-
leicht, daß mir bei euch ein Bissen wird."
Da eilt der Vater: „Komm, du lieber Gast! Wie du so lange doch gesaumet
hast! Schon lange ja dein Stuhl dort oben steht. Komm, labe dich*, du kommst
noch nicht zu spät." Und also führet er den armen Mann mit Hellen Augen
an den Tisch hinan.
Und „Muter, sieh doch! seht, ihr Kinderlein! Den Heiland lud ich vor acht
Tage« ein; ich wußt' eö wohl, daß, wenn man Jesum lädt, er Einem nicht am
Haus vorüber geht! O Kinder, seht! in diesem Aermsten ist heut' unser Gast
der Heiland Jesus Christ."
164. Das Buch ohne Buchstaben.
Bor seiner Thür ein Bäu'rlein saß, in einem kleinen Büchlein las. — Die
liebe Einfalt war der Greis; sein Haar und Bart war silberweiß, doch röthlich
noch sein Wangenpaar, benetzt mit Thränlein hell und klar.
SchmelfunguS auch des Wegs herkam und wahr des armen Bäu'rleinS
nahm. — Der bisse Herr gar hochgelehrt das Bäu'rlein mit dem Gruß beehrt:
„ Was machst du, alter Narre, da? du kannst ja nicht einmal das A."
„Herr Doktor, in dem Büchlein sieht nicht A noch Z, wie ihr da seht; leer
sind die Blättlein allzumal, nur ihrer sechse an der Zahl. Die Farben sind auch
sechserlei. — Merkt, was mir die Bedeutung sei!"
„DaS erste Blatt ist himmelblau und sagt: Mensch, oft nach oben schau'!
Das andere, wie Rostn roth, mahnt an des Heilands Blut und Tod, Das
dritte, wie die Lilien weiß, spricht: Rein zu leben dich befleiß!"
„Daö vierte Blatt, so schwarz wie Ruß, lehrt, daß ich auf die Bahre muß.
Deö fünften Feucrfarbenschein erinnert an der Hölle Pein. DaS sechste Blatt,
von Golde ganz, mahnt an des Himmels Pracht und Glanz."
„Bedenk' ich, waö das Büchlein spricht, mein Aug' sich netzt, daS Herz mir
bricht. Was ich nur brauch'; mein Büchlein lehrt, drum halt' ich's tausendmal
mehr werth, als- eure Elephanten all' in eurem großen Bücherstall."
Still gehet der gelehrte Mann; „Hm! — denket er — es ist was dran! Wer
wenig thut, weiß er gleich viel, der kommet nimmermehr zum Ziel. Wer wenig
weiß, eö aber thut, ist eben weise, froh und gut."
165. Der arme Greis.
Um das Rhinoceros zu sehn,
— Erzählte mir mein Freund — beschloss ich auszugchU.
Ich ging vor’s Thor mk meinem halben Gulden,
Und vor mir ging ein reicher Mann,
Der, seiner Miene nach, die cingelausnen Schulden,
Nebst dem, was er die Messe durch gewann,
/
126
Und was er, wenn’s ihm glükken sollte,
Durch den Gewinnst nun noch gewinnen wollte,
In schweren Ziffern übersann.
Iftrr Orgon ging vor mir, — ich geb’ ihm diesen Namen,
Weil ich den seinen noch nicht weiss.
Er ging; doch eh’ wir noch zu unserm ¡filiere kamen,
Begegnet uns ein alter, schwacher Greis,
Für den, auch wenn er uns um Nichts gebeten hätte,
Sein zitternd Haupt, das halb nur seine war,
- Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar,
Mit mehr als Rednerkünsten red’te.
„Ach!“ sprach er, „ach! erbarmt euch mein!
Ich habe Nichts, um meinen Durst zu stillen.
Ich will euch künftig gern nicht mclir beschwerlich sein,
Denn Gott wird wohl bald meinen Wunsch erfüllen,
Und mich durch meinen Tod erfreu’n;
O lieber Gott, lass ihn nicht ferne sein!“
So sprach der Greis; allein was sprach der Reiche ?
„Ihr seid ein so bejahrter Mann,
Ihr seid schon eine halbe Leiche,
Und sprecht mich noch um Geld zum Trinken an?
Ihr unverschämter alter Mann!
Müsst ihr denn noch erst Brantwcin trinken,
Um taumelnd in das Grab zu sinken?
Wer in der Jugend spart, der darbt im Alter nicht.“
Drauf ging der Geizhals fort. Ein Strom schamhafter Zähren
Floss von des Alten Angesicht. —
„0 Gott! du weisst’s!“ — Mehr sprach er nicht.
Ich konnte mich der Wehmuth nicht erwehren,
Weil ich etwas mitleidig bin.
Ich gab ihm in der Angst den halben Gulden hin,
Für welchen ich die Neugier stillen wollte,
Und ging, damit er mich nicht weinen sehen sollte.
Allein er rüste mich zurükk.
„Ach!“ sprach er mit noch nassem Blikk,
„Ihr werdet euch vergriffen haben;
Es ist ein gar zu grosses Stükk.
Ich bring’ euch nicht darum; gebt mir so viel zurükk,
Als ich bedarf, um mich durch etwas Bier zu laben.“
„Ihr,“ sprach ich, „sollt es Alles haben;
Ich seh’, dass ihr’s verdient; trinkt etwas Wein dafür.
Doch, armer Greis, wo wohnet ihr?“ —
127
Er sagte mir das Haus. Ich ging am andern Tage
Zu diesem Greis, der mir so redlich schien,
Und that im Gehn schon manche Frag’ nach ilim;
Allein indem ich nach ihm frage,
War er seit einer Stunde todt.
Die Mien’ auf seinem Sterbebette
War noch die redliche, mit der er gestern rcd’te;
Ein Psalmbuch und ein wenig Brot
Lag neben ihm auf seinem harten Bette.
0 wenn der Geizhals doch den Greis gesehen hätte,
Mit dem er so unchristlich rcd’tc,
Und der vielleicht ihn jetzt bei Gott verklagt,
Dass er vor seinem Tod ihm einen Trunk versagt!
So sprach mein Freund, und bat, die Müh* auf mich zu nehmen,
Und öffentlich den Geizhals zu beschämen.
Jedoch ein Mann, der sich zu keiner Pflicht,
Als für das Geld, versteht, der schämt sieh ewig nicht.
lßß. Cjeorg Nnimnrk.
„Sing’, bet' und geh’ auf Gottes Wegen, verricht’ das deine nur getreu,
und trau’ des Höchsten reichem Segen“ — rief Neumark jeden Tag auf’s neu!
Sang Lieder zu der Vorsicht Preis, trieb Wissenschaft mit regem Fleiss.
Doch ob er redlich sich auch mühte, ihm lohnte Keiner seinen Schwciss;
selbst magre Kost in schlechter Hütte erwarb ihm nicht sein reger Fleiss. Nun
war er da, der trübe Tag, da gar die Nothdurst ihm gebrach.
Schon war ihm sein Gerät!» entrissen zum Unterpfand für Wuchergeld.
„Wohl mehr noch muss ein Acrm’rer missen“ — sprach Neumark, floh in
Wald und Feld. Erst mit des Dichters liebstem Gut, dem Bücherschatz, entwich
sein Muth.
Doch wankt’ auch jetzt nicht sein Vertrauen, obwohl die letzte Hülfe
schwand; er liess nicht ab, auf Gott zu bauen bei trokknem Brot und leerer
Wand, und sang mit jedem Morgenlicht ein Lied voll frommer Zuversicht.
Spät bei der Lampe düstrem Lichte, wenn Schwermut!» seinen Geist
ufnscldieh, sang er mit sanftem Ton Gedichte zur Gambe, die er fertig strich.
Beim Finden süsser Melodie’n kam Trost des Himmels über ihn.
Nichts war ihm endlich mehr geblieben, als diese holde Trösterin; von
Nahrungssorgen hart getrieben, trug er auch sie dem Wuchrcr hin, nahm
Abschied von dem theuren Pfand und gab sie zitternd aus der Hand.
Erst als ihm nun beim Dunkelwerden der einz’gcn Freundin Klang gebrach,
vermisst’ er jedes Glükk auf Erden und seufzte still ein banges Ach! Dann rief
er, seinem Gott getreu: „Du weisst, ob Hülfe nützlich sei."
128
Gott wusst’ cs auch! Am nächsten Morgen berief ein Graf den Unglükks-
sohn und sprach: „Man sagt, ihr lebt in Sorgen. Wie? Wäre dies verdienter
Lolin? Bewährt mir eure Kunst durch That, mit einer Schrift an Schwedens
Staat.
Den Blikk empor zu Gott, dem Retter, ruft Neumark seinen Beistand an,
durchlies’t die überreichten Blätter, betritt voll Muth die neue Bahn. Kaum
weicht die dunkle Mitternacht, da ist mit Gott sein Werk vollbracht.
Und sich’, mit Gott ist cs gelungen; der Graf bemerket, hoch vergnügt,
wie kräftig, wie mit Feuerzangen der Jüngling Wort an Wort gefügt. „Nimm;"
ruft er, „dies aus Dankbarkeit und bleibe meinem Dienst geweiht.“
Traun, würdig war die Ehrenspende dess, der sie gab, dess, der sie nahm.
Er driikkt, gerührt, des Edlen Hände mit stummem Dank, mit schöner Scham;
ihn treibt das volle Herz nach Haus; doch lös’t er erst die Gambe aus.
Nun grüsst er froh die leeren Mauern, die er so oft voll Gram geflohn.
Er prüft mit heimlich süssem Schauern den lieben, lang’ entbehrten Ton; drükkt
fest die Gambe an die Brust und stimmt sic an mit stiller Lust.
Nicht länger kann die Gluth sich halten; er dichtet, spielt mit frommer
Hand: „Wer nur den lieben Gott lässt walten!“ — Noch immer singt es Stadt
und Land. Und manches Herz, des Kummers Raub, schlägt leichter, segnet
Ncumark’s Staub.
167. Unsere Muttersprache.
Muttersprache, Mutterlaut,
Wie so wonnesam, so traut!
Erstes Wort, daS mir erschallet,
SnßeS, erstes Liebeswort,
Erster Ton, den ich gelallet,
Klingest ewig in mir fort.
Ach! wie trüb' ist meinem Sinn,
Wenn ich in der Fremde bin,
Wenn ich fremde Zungen üben,
Fremde Worte brauchen muß,
Die ich nimmermehr kann lieben,
Die nicht klingen als ein Gruß.
Sprache, schön und wunderbar,
Ach, wie klingest du so klar!
Will noch tiefer mich vertiefen
In den Reichthum, in die Pracht;
Ist mir's doch, als ob mich riefen
Vater aus deö Grabes Nacht.
129
Klinge, klinge fort und fort,
Heldensprache, Liebeöwort;
Steig' empor auö tiefen Grüften,
Längst verschollneö altes Lied!
Leb' aufS neu' iu heil'gen Schriften,
Daß dir jedes Herz erglüht.
Ueberall weht Gottes Hauch;
Heilig ist wohl mancher Brauch:
Aber soll ich beten, danken,
Geb' ich meine Liebe kund,
Meine seligsten Gedanken,
Sprech' ich, wie der Mutter Mund!
168. Deutscher Trost.
Deutsches Herz, verzage nicht!
Thu', waS dein Gewissen spricht,
Dieser Strahl des HimmelSlichtö:
Thue recht imt> fürchte Nichts.
Balle nicht auf bunten Schein;
Lug und Trug ist dir zu fein;
Schlecht gerät!) dir List und Kunst;
Feinheit wird dir eitel Dunst.
Doch die Treue ehrenfest,
Und die Liebe, die nicht läßt,
Einfalt, Demuth, Redlichkeit
Stehn dir wohl, o Sohn von Teut.
Wohl steht dir das grade Wort,
Wohl der Speer, der grade bohrt,
Wohl daö Schwert, das offen ficht
Und von vorn die Brust durchsticht.
Laß den Welschen Meuchelei:
Du sei redlich, fromm und frei;
Laß den Welscheir Sclavenzier:
Schlichte Treue sei mit dir.
Deutsche Freiheit, deutscher Gott,
Deritscher Glaube ohne Spott,
Deutsches Herz nnb deutscher Stahl
Sind vier Helden allzumal.
130
Diese stehn wie Felsenburg,
Diese fechten Alles durch,
Diese halten tapfer aus
In Gefahr und Todesbrans.
Drum, p Herz, verzage nicht!
Thu', was dein Gewissen spricht,
Dieser Strahl des HimmelölichtS:
Thue recht und fürchte Nichts.
16!), Der feste Mann.
Wer ist ein Mann? Wer beten kann
Und Gott dein Herrn vertraut.
Wenn Alles bricht, er zaget nicht;
Dem Frommen nimmer graut.
Wer ist ein Mann? Wer glauben kann
Inbrünstig, wahr und frei;
Denn diese Wehr trügt nimmermehr,
Die bricht kein Mensch entzwei.
Wer ist ein Mann? Wer lieben kann
Von Herzen fromm und warm;
Die heil'ge Gluth giebt hohen Muth
Und stärkt mit Stahl den Arm.
Dies ist der Mann, der streiten kann
Für Weib und liebes Kind;
Der kalten Brust fehlt Kraft unb Lust,
Und ihre That wird Wind.
Dieö ist der Mann, der sterben kann
Für Freiheit, Pflicht und Recht;
Dem frommen Muth däucht Alles gilt,
Eö geht ihm nimmer schlecht.
Dieö ist der Mann, der sterben kann
Für Gott und Vaterland;
Er läßt nicht ab bis an das Grab
Mit Herz und Mrmd und Hand..
So, deutscher Mann, so, freier Mann,
Mit Gott, dem Herrn, zum Krieg!
Denn Gott allein mag Helfer sein;
Von Gott kommt Glükk und Sieg.
131
170. Die drei Worte.
Drei Worte, die halten wir hoch und hehr; im Herzen wir
treu sie bewahren; sie halten nnS oben in: UnglükkSmeer, sie
schirmen un8 hold in Gefahren! Sie gehen mit uns in ein nächtlich
Geschikk, und leiten uns wieder zu freundlichem Glükk.
Anf Gott ist das Auge und Herz gewandt; ihn ehret in
Andacht der Glaube; die Allmacht erhält uns mit mächtiger Hand;
wir werden der Noth nicht zum Raube! — Gott ist eS, der Muth
nnS verleihet unt» Kraft, er ist es, der Freuden und Frieden uns
schafft.
Das zweite durchtönet so rein die Brust, wie Klänge der
heiligen Weihe. Der König, der Vater, des Volkes Lust, ihm
geben für Liebe wir Treue!' Sein Wollen ist weise und väterlich
gut; ihm weihen wir Ehrfurcht und Leben und Blut.
Und Vaterland, das ist das dritte, an das wir mit Hoff-
nung uns halten mit herzlicher Liebe stets fort und fort, so lassen
das Schikksal wir walten. Wer diesen drei Worten nicht trauet
und glaubt, dem, wahrlich! sein eigener Werth ist geraubt.
171. Des Deutschen Vaterland.
> WaS ist des Deutschen Vaterland?
Jst's Preußenland? Jst'S Schwabenlaud?
Jft's, wo am Rhein die Rebe blüht?
Jst's, wo am Belt die Möve zieht?
O nein! o nein! o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
WaS ist des Deutschen Vaterland?
Jst's Baierland? Jst's Steyerland?
Jst's, wo des Marsen Rind sich strekkt?
Jst's, wo der Märker Eisen refft?
O nein! o nein! rc. rc.
Was ist deS Deutschen Vaterland?
Jst'S Pommerland? Westphalenland?
Jft'ö, wo der Sand der Dünen weht?
Jst's, wo die Donau brausend geht?
O nein! o nein! rc. rc.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir daö große Land!
Gewiß, eS ist das Oestereich
An Ehren und an Siegen reich.
O nein! o nein! rc. rc.
0*
132
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir daö große Land!
Jst'S Land der Schweizer, ist'ö Tyrol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl!
Doch nein! doch nein! rc. rc.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne endlich mir das Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt:
Daö soll eS sein! das soll eS sein!
DaS, wakkrer Deutscher, nenne dein!
Daö ist deS Deutschen Vaterland:
Wo Eide schwört der Drnkk der Hand,
Wo Treue hell vom Auge blitzt,
Und Liebe warm im Herzen sitzt:
DaS soll es sein! Daö soll eS sein!
DaS, wakkrer Deutscher, nenne dein!
Daö ist deS Deutschen Vaterland:
Wo Barns seinen Hermann fand,
Wo jeder Frevler heißet Feind,
Wo jeder Edle heißet Freund:
DaS soll eö sein! DaS soll es sein!
DaS ganze Deutschland soll cs sein!
Daö ganze Deutschland soll eS sein!
O Gott! vom Himmel sieh darein,
Und gieb unö echten deutschen Muth,
Daß wir eö lieben treu und gut!
Das soll eö sein! DaS soll eö sein!
Daö ganze Deutschland soll eö sein!
172. vor Choral von Leuthcn.
Gesiegt hat Friedrichs kleine Schaar. Kasch über Berg
und Thal
Von dannen zog das Kaiserheer im Abendsonnenstrahl;
Die Preussen stehn auf Leuthens Feld, das heiss noch von
der Schlacht;
Des Tages Schrekkenswerke rings umschleiert mild die Nacht.
Doch dunkel ist’s hier unten nur, am Himmel Licht an
Licht;
Die goldnen Sterne zich’n herauf wie Sand am Meer so dicht;
Sie strahlen so besonders heut, so festlich hehr ihr Lauf;
Es ist, als wollten sagen sie: Ihr Sieger, blikket auf!
133
Und nicht umsonst. Der Preusse fühlt’s: es war ein
grosser Tag.
Drum still im ganzen Lager ist’s, nicht Jubel noch Gelag,
So still, so ernst die Krieger all', kein Lachen und kein Spott —
Auf einmal tönt es durch die Nacht: Nun danket alle Gott!
Der Alte, dem’s mit Macht entquoll, singt's fort, doch
s nicht allein;
Kam’raden um ihn her im Kreis, gleich stimmen sie mit ein;
Die Nachbarn treten zu, es wächst lavincnglcich der Chor,
Und voller, immer voller steigt der Lobgesang empor.
Aus allen Zelten strömt'»; cs reiht sich singend Schaar an
» Schaar;
Einfallen jetzt die «Jäger, jetzt fällt ein auch der Husar,
Und Musika will feiern nicht: zu einer Harmonie,
Lenkt Horn, Ilobö und Klarinctt die heil’gc Melodie.
Und stärker noch und lauter noch, cs schwillt der Strom
zum Meer;
Am Ende, wie aus einem Mund, singt rings das ganze Heer;
Im Echo donnernd wiederhabt's das aufgewekkte Thal;
Wie hundert Orgeln braust hinan zum Himmel der Choral.
173, Der alte Ziethen.
Joachin» Hans voi» Zicthcn,
Husarcn - General,
Den» Fcind die Stirne bieten
Thàt cr die hlindertinal.
Sic habcn's All' crfahren,
Wie er die Pelze »vusch
Mit seinen Leibhusaren,
Der Zicthcn anS den» Busch.
Hei, »vie dei» Fcind sic blèintcn
Bei Loivositz nnd Praz,
Bei Liegi,itz unb bei Leuthen,
Und ìvciter, Schlag anf Schlag!
Bei Terga»», — Tag der Ehrc! —
Riti selbst der Fritz nach Hans;
Doch Zicthcn sprach: „Jch kchre
Ersi noch meii» Schlachtfeld aus!^
Sie stritten nie alleine,
Der Ziethen i»»d der Fritz;
Der Donner »var der Eine,
Der Ai»dre »var der Blitz.
Es »vies sich Keiner träge;
Drui» schlng's auch immer ein:
Ob tvarln', ob kalte Schläge,
Sie pflegten gnt zu sein.
Der Friede war geschlossen^
Doch Kriegeslnst und Qual,
Die alten Schlachtgci»osscn
D»»rchlcbten'ö »och einmal.
Wie Marschall Daun gezaudert,
Und Fritz und Ziethen nie,
Es tvard jetzt durchgeplaudert
Bei Tisch, in Sanösouci.
134
Einst möcht' cs ihm nicht schmekken,
Und sich, der Ziethen schlief;
Ein Höfling will ihn wckke»;
Der König aber rief:
„Laßt schlafen mir den Alten!
Er hat in mancher Nacht
Für nnö sich wach gehalten, —
Der hat genug gewacht!"
Und als die Zeit erfüllet
Des alten Helden >var,
Lag einst, schlicht eingehüllet,
HanS Ziethen, der Husar.
Wie selber er genommen
Die Feinde stets im Husch,
So war der Tod gekommen
Wie Ziethen aus dem Busch.
174. Der Heldonbote. (1813.)
In dem wilden KriegeStanze brach die schönste Heldenlanze,
Preußen! euer General. Lustig ans dem Feld bei Lützen sah er
Freiheitöwaffen blitzen; doch ihn traf des Todes Strahl.
„Kugel, raffst mich doch nicht nieder! — dien' euch blutend,
werthe Brüder; führt in Eile mich nach Prag; will mit Blut um
Oestreich werben; ist'ö beschlossen, will ich sterben, wo Schweritl
im Blute lag."
Arge Stadt, wo Helden kranken, Heil'ge von den Brükken
sanken, reißest alle Blüthen ab! Nennen dich mit leisen Schauern; —
heil'ge Stadt! zu deinen Mauern zieht uns manches theure Grab.
Aus dem irdischen Getümmel haben Engel in den Himmel
seine Seele sanft geführt zu dem alten deutschen Rathe, den im
ritterlichen Staate ewig Kaiser Karl regiert.
„Grüß' euch Gott, ihr theuren Helden! Kann euch frohe Zeitung
melden: unser Volk ist aufgewacht! Deutschlaud hat sein Recht
gefunden; schaut, ich trage Sühnungswunden aus der heil'gen
Opferschlacht."
Solches hat er dort verkündet, und wir Alle stehn verbündet,
daß dies Wort nicht Lüge sei. Heer, aus seinem Geist geboren,
Kampfer, die sein Muth erkoren, wählet ihn zum Fcldgeschrei.
Zu der höchsten Berge Forsten, wo die freien Adler horsten,
hat sich früh sein Blikk gewandt; nur dem Höchsten galt sein
Streben; nur in Freiheit konnt' er leben; Scharnhorst ist er
drum genannt.
Keiner war wohl treuer, reiner; näher stand dem König Keiner;
doch dem Volke schlug sein Herz. Ewig auf deu Lippen schweben
wird er, wird im Volke leben, besser, als in Stein uub Erz.
135
175. Reiters Morgensang.
Morgenroth!
Leuchtest mir zum frühen Tod?
Bald wird die Trompete blasen;
Dann muß ich mein Leben lassen,
Ich und mancher Kamerad.
Kaum gedacht.
Wird der Lust ein End' gemacht!
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in daS kühle Grab.
Ach, wie bald
Schwindet Schönheit und Gestalt!
Prahlst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch uub Purpur prangen,
Ach, die Rosen welken all!
Darum still
Füg' ich mich, wie Gott es will.
Nun, so will ich wakker streiten,
Und sollt' ich den Tod erleiden,
Stirbt ein braver ReiterSmann.
170. G e l ii b d e.
Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand
Dir, Land voll Lieb' und Leben, mein deutsches Vaterland!
Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt,
Du Land der Frei'n und Frommen, bu herrlich Hermann-land!
Ach Gott, thu' erheben mein jung Herzensblnt
Zu frischem, freud'gem Leben, jit freiem, frommen Muth!
Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand,
Zu leben und ju sterben für'ö heil'ge Vaterland!
177. Das Vaterland.
Wo dir, o Mensch! Gottes Sonne zuerst schien, wo dir
die Sterne des Himmels zuerst leuchteten, wo seine Blitze dir
zuerst die Allmacht offenbarten und seine Sturmwinde dir mit
heiligem Schrekken durch die Seele brauseten: da ist deine
Liebe, — da ist dein Vaterland.
136
Wo das erste Mensclienauge sich liebend über deine Wiege
neigte, wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem
Schoosse trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit
in’s Herz grub: da ist deine Liebe, — da ist dein Vaterland.
Und seien cs kahle Felsen und öde Inseln, und wohne
Armuth und Mühe dort mit dir: du musst das Land ewig lieb
haben; denn du bist ein Mensch und sollst cs nicht vergessen,
sondern behalten in deinem Herzen.
Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster
Wahn; sondern in ihr lebt dein Muth und dein Stolz und die
Gewissheit, dass du vom Himmel stammst.
Da ist Freiheit, wo du in Sitten und Weisen und Gesetzen
deiner Väter leben darfst; wo dich beglükket, was schon deinen
Urältcrvatcr beglükkte; wo kein fremder Unterdrükker über
dich gebieten und kein fremder Treiber dich treiben kann, wie
man Vieh mit dem Stckken treibt.
Dieses Vaterland und diese Freiheit sind ein Schatz, der eine
unentbehrliche Liebe und Treue in sich vcrschliesst, das edelste
Gut, was, ausser der Religion, in der noch eine höhere Freiheit
ist, ein guter Mensch auf Erden besitzt und zu besitzen begehrt.
178. Dem Könige.
Heil Dir im Siegerkranz, Heilige Flamme, glüh'!
Herrscher dcS Vaterlands!
Heil, König, Dir!
Fühl' in dcö Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Liebling deü Volks zu sein!
Heil, König, Dir!
Nicht Roß, nicht Reisige
Sichern die steile Höh',
Wo Fürsten stehn;
Liebe deö Vaterlands,
Liebe deö freien Manns
Gründen den Herrscherthron,
Wie Fels im Meer.
Glüh' und verlösche nie
Für'ö Vaterland!
Wir Alle stehen dann
Muthig für Einen Mann,
Kämpfen und bluten gern
Für Thron und Reich.
Handlung und Wissenschaft
Heben mit Muth lind Kraft
Ihr Haupt empor.
Krieger und Heldenthat
Finden ihr Lorbeerblatt
Treu aufgehoben dort
An Deinem Thron.
Sei, Friedrich Wilhelm, hier
Lang' Deines Volkes Zier,
Der Menschheit Stolz!
Fühl' in dcö Throncö Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil, König, Dir!
137
179. Vor der Schlacht.
Frisch auf, ihr deutschen Schaaren, frisch auf zum heil'gen Krieg!
Gott wird sich offenbaren im Tode und im Sieg.
Mit Gott, dem frommen, starken, seid fröhlich und geschwind;
Kämpft für des Landes Marken, für Eltern, Weib und Kind!
Frisch auf! ihr tragt das Zeichen des Heils an euerm Hut;
Dem muß die Hölle weichen und Satanö Frevelmuth,
Wenn ihr mit treuem Herzen und rechtem ©tauben denkt,
Für wie viel bitt're Schmerzen sich Christus hat geschenkt.
Drum für die deutsche Ehre, du tapfres Teutgeschlecht!
Der beste Schild der Heere heißt Vaterland und Recht;
Als schönste Losung klinget die Freiheit in das Feld;
Wo sich die Fahne schwinget, wird manches Kind ein Held.
Drum auf, ihr deutschen Schaaren, frisch mif zum heil'gen Krieg!
Gott wird sich offenbaren im Tode und im Sieg.
Und wenn die ganze Hölle sich gösse über euch,
Ihr spült sie, wie die Welle den Fels, zurükk von euch.
189. Der Feldmarschall. (1814.)
WaS blasen die Trompeten? Husaren, heraus!
Eö reitet der Feldmarschall in fliegendem SauS;
Er reitet so freudig sein muthigeS Pferd,
Er schwinget so schneidig sein blitzendes Schwert. *
O schaut, wie ihm leuchten die Augen so klar!
O schaut, wie ihm wallet sein schneeweißes Haar!
So frisch blüht sein Alter, wie preisender Wein;
Drum kann er Verwalter deS Schlachtfeldes sein.
Er ist der Mann gewesen, alö Alles versank,
Der muthig hin gen Himmel den Degen noch schwang;
Da schwur er beim Eisen gar zornig und hart,
Franzosen zu weisen die altdeutsche Art.
Er hat den Schwur gehalten. Alö Kriegöruf erklang,
Hei! wie der weiße Jüngling in Sattel sich schwang!
Da ist er's gewesen, der Kehraus gemacht,
Mit eisernem Besen daö Land rein gemacht.
Bei Lützen auf der Aue er hielt solchen Strauß,
Daß vielen tausend Welschen der Athem ging aus;
Viel Tausende liefen gar hastigen Lauf;
Zehntausend entschliefen, die nie wachen auf.
138
Am Wasser der Katzbach, da hat er'S auch bewahrt,
Da hat er die Franzosen daö Schwimmen gelehrt.
Fahrt wohl, ihr Franzosen, zur Ostsee hinab!
Und nehmt, Ohnehosen, den Wallfisch zum Grab.
Bei Wartburg an der Elbe, wie fuhr er hindurch!
Da schirmte die Franzosen nicht Schanze, noch Burg;
Sie mußten wieder springen wie Hasen über's Feld,
Und hell ließ erklingen sein Hussa! der Held.
Bei Leipzig auf dein Plane, o herrliche Schlacht!
Da brach er den Franzosen das Glükk und die Macht,
Da liegen sie so sicher nach blutigem Fall,
Da ward der Herr Blücher ein Feldmarschall!
Drum blaset ihr Trompeten! Husaren, heraus!
Du reite, Herr Feldmarschall, wie Winde im SauS,
Dem Siege entgegen zum Rhein, über'n Rhein,
Dn tapferer Degen! und Gott wird mit uns sein.
181. Der Hchiils - Kapitain.
Das Meer geht hoch und wild,
Gepeitscht vom Sturm, der heult und brüllt;
Die Schiffe drauf, sie wanken und schwanken,
Und stossen zusammen mit brechenden Planken.
Und mitten in des Mcer’s Gebrüll
Seh’ ich ein Schiff, das steht so still,
So still und ruhig beim Schlag der Wellen,
Als wär’ es ein Felsen, an dem sic zerschellen.
Der Kapitain, ein edler Held,
Hat fest an’s Steuer sich gestellt;
Das Schiffsvolk, seinem Wink ergeben,
Es ruft ihm sein Hurrah und lässt ihn hoch leben.
Er hat’s durch manche Sturmes-Nacht
Mit Gott so glükklich durchgebracht;
Es hat bei ihm, nach stürmischen Stunden,
Ein Jeder sein väterlich Auge gefunden.
Drum mitten in dem Ungestüm
Sicht cs nur ihn und hängt an ihm,
Und mag’s auch Ahdern bangen und grauen,
Ihm leuchtet im Auge nur Muth und vertrauen.
Sein Schiff, das ist von starkem Bau,
Vom besten Hanf sein Ankertau;
Sein Kompass sind, in allem Getümmel,
Die sicher geleitenden Sterne am Himmel.
139
Das Schiff, das ist mein Preussenland;
Mit wakkern Preussen ist's bemannt.
Den Kapitain, den wirst du wohl kennen;
Sonst würden auch Kinder ihn jubelnd dir nennen.
Er fragt bei dem, der droben wacht,
Wie er die Fahrt am besten macht.
Sein Kompass ist des Ewigen Wille;
Drum blüht ihm das Glükk und des Segens Fülle.
Und wie das Tau, das nie zerrcisst,
Das Tau vom besten Hanfe heisst?
Es hat's die Liebe bei hellen Sonnen
Gar kernig aus Treu’ und Glauben gesponnen.
Und in das Schiff gehör’ ich hin;
Gott Lob, dass ich ein Preussc bin.
Und in dem Vivat jauchzender Kehlen
Am Borde des Schiffs soll das meine nicht fehlen!
182. Die Opfer ja Wesel.
Gen'ralmarsch wird geschlagen
Zu Wesel iu der Stadt,
Und Alle fragen ängstlich,
WaS daö zu deuten Hat.
Da führen ste zum Thore
Hinaus, still, ohne Laut,
Die treue Schaar, die heiter
Dem Tod' in'ö Antlitz schaut.
Sie hatten kühn gefochten
Mit Schill am Ostseestrand,
Und geh'» nun sühn entgegen
Dcnl Tod für's Vaterland.
Da knattern die Gewehre;
Eö stürzt der Braven Reih';
Zehn treue Preußen liegen
Zerrissen von dem Blei.
Nur einer, Albert Wedel,
Trotzt jenem Blutgericht;
Verwundet nur am Arme,
Steht er und wanket nicht.
Da traten neue Schergen,
Ihn auch zu morde», vor,
Und: gebet Achtung! — fertig!
Schallt schrekklich ihm in'S Ohr.
Sie drü.kken sich wie Brüder
Die Hand zum letzten Mal;
Dan» steh'» sic ernst und ruhig,
Die Elfe an der Zahl.
Und hoch wirft Hanö von Flcmming
Die Mütze in die Lust.
„Eö lebe Preußens König!"
Die Schaar einstimmig ruft.
So starben tapfre Preußen,
Durch Schande nie beflckkt,
Die nun zu ew'gem Ruhme
Eilt Stein zu Wesel dckkt.
„O, zielet," — ruft er, - „besser!
„Und trefft das deutsche Herz!
„Die Brüder überleben,
„Ist mir der größte Schmerz!" —
Kaum hat er's ausgesprochen,
Die Mörder schlagen an;
Durchbohrt von ihren Kugeln
Liegt auch der letzte Mann.
140
18iJ, Die Leipziger Schlacht.
„Wo kommst du her in dem rothen Kleid,
Und färbst das Gras ans dem grünen Plan?"
Ich komme her ans dem Mannerstreit,
Ich komme roth von der Ehrenbahn.
Wir haben die blntige Schlacht geschlagen:
Da ward ich so roth.
„Sag' an, Gesell, und verkünde mir:
Wie heißt daö Land, wo ihr schlugt die Schlacht?"
Bei Leipzig trauert das Mordrevier,
DaS manches Auge voll Thränen macht.
Da flogen die Kugeln wie Winterflokken,
Und Tausenden mußte der Athem stokken
Bei Leipzig, der Stadt.
„Wie hießen, die zogen in'S Todesfeld,
lind ließen fliegende Banner auö?"
Die Völker kamen der ganzen Welt
lind zogen gegen Franzosen auS,
Die Russen, die Schweden, die tapferen Preußen,
Und die nach dem Kaiser von Oestreich heißen,
Die zogen All' aus.
„Wem ward der Sieg in dem harten Streit?
Wer griff den Preis mit der Eisenhand?"
Die Watschen hat Gott, wie die Spreu, gestreut;
Die Maischen hat Gott verweht, wie den Sand:
Viel Tausend dekken den grünen Rasen,
Die übrig geblieben, entflohen wie Hasen,
Napoleon mit.
„Nimm Gotteö Lohn, habe Dank, Gesell!
Daö war ein Klang, der das Herz erfreut! *
Das klang wie englische Cymbeln hell!
Hab Dank der Mahr von dem blutigen Streit!
Laß Wittwen und Braute die Todten klagen,
Wir singen noch fröhlich in spaten Tagen
Die Leipziger Schlacht."
O Leipzig, du freundliche Lindenstadt,
Dir ward ein leuchtendes Ehrenmahl!
So lange rollet der Zeiten Rad,
So lange scheinet der Sonne Strahl,
So lange die Ströme zum Meere reisen,
Wird noch der spateste Enkel preisen
Die Leipziger Schlacht.
141
O Leipzig, gastlich versammelst du
Aus allen Enden der Völker Schaar.
Auf! ruf'ö dem Osten und Westen zu,
Daß Gott der Helfer der Freiheit war,
Daß Gott des Tyrannen Gewalt zerstoben,
Damit sie im Osten und Westen loben
Die Leipziger Schlacht.
184. Die Tabakspfeife.
„Gott grüß' Euch, Alter! Schmekkt das Pfeifchen? Zeigt
her! — Ein Blumentopf von rothem Thon mit goldnen Reifchen! —
Was wollt Ihr für den Kopf?" —
O Herr! den Kopf kann ich nicht lassen; er kommt vom brav-
sten Mann, der ihn, ich weiß nicht welchem Bassen, bei Belgrad
abgewann.
Da, Herr, da gab es reiche Beute. Es lebe Prinz Engen!
Wie Grummet sah man unsre Leute der Türken Glieder mahn.
„Ein ander Mal von Euren Thaten! Hier, Alter! seid kein
Tropf; nehmt diesen doppelten Dukaten für Euren Pfeifenkopf."
Ich bin ein armer Kerl und lebe von meinem Gnadensold;
doch, Herr, den Pfeifcnkopf, den gebe ich nicht um alles Gold.
Hört nur: Einst jagten wir Husaren den Feind nach Herzens-
lust; da schoß ein Hund von Janitscharen den Hanptmann in die
Brust.
Ich hob ihn flngö auf meinen Schimmel — er hatt' es auch
gethan, — und trug ihn sanft aus dem Getümmel zu einem Edel-
mann.
Ich pflegt' ihn, und vor seinem Ende reicht er mir all' sein
Geld und diesei^Kopf, drükkt mir die Hände, stirbt als ein wakkrer Held.
Das Geld mußt du dem Wirthe schenken, der dreimal Plünd'-
rung litt; — so dacht' ich, und zum Angedenken nahm ich die
. Pfeife mit. '
Ich trug auf allen meinen Zügen sie wie ein Heiligthum, wir
mochte,: weichen oder siegen, im Stiefel mit herum.
Vor Prag verlor ich auf der Streife das Bein durch einen Schuß;
da griff ich erst nach meiner Pfeife, Und dann nach meinem Fuß.
„Ihr rührt mich, Alter, bis zur Thräne. O sagt, wie hieß
der Held, dem ich einst gleich zu sein mich sehne? Gern pries' ich
ihn der Welt."
Man hieß ihn nur den tapfern Walther; dort liegt sein Gut
am Rhein. — „Daö war mein Ahne, lieber Alter, und jenes G,tt
ist mein."
142
„Kommt, Freund! Ihr sollt bei mir nun leben; vergesset Eure
Noth, und trinkt mit mir von Walthers Neben, und eßt von Wal-
thers Brot."
Nun topp! Ihr seid sein wahrer Erbe. Ich ziehe morgen ein;
und Euer Dank soll, wenn ich sterbe, die Türkenpfeife sein.
185. Fehrb-lliu.
Herr Kurfürst Friedrich Wilhelm, der große Kriegesheld,
Seht, wie er auf dem Schimmel vor den Geschützen halt;
DaS war ein rasches Reiten vom Rhein bis an den Rhin;
Das war ein heißes Streiten am Tag von Fehrbellin.
Wollt ihr, ihr trotz'gen Schweden, noch mehr vom deutschen Land?
Was tragt ihr in die Marken den wüth'gen Kriegeöbrand?
Herr Ludwig von der Seine, der hat euch aufgehetzt,
Daß Deutschland von der Perne znm Elsaß werd' zerfetzt.
Doch nein, Graf Gustav Wrangel, hier steh' nun einmal still;
Dort kommt Herr Friedrich Wilhelm, der mit dir reden will.
Gesellschaft aller Arten bringt er im raschen Ritt
Sammt Fahnen und Standarten zur Unterhaltung mit.
Nun seht ihn ans dem Schimmel! Ein Kriegsgott ist es, traun!
Den Boden dort zum Tanze will er genau beschan'n.
Und unter seinen Treuen, da reitet hintenan
Zuletzt, doch nicht ans Scheuen, Stallmeister Froben an..
Und wie Herr Wrangel drüben den Schimmel nun erblikkt,
Nnft er den Kanonieren: „Ihr Kinder, zielt geschikkt!
Der auf dem Schimmel sitzet, der große Kurfürst ist'S;
Nun donnert und nun blitzet; auf wen'ö geschieht, ihr wißt'ö."
Die donnern und die blitzen, und zielen wohl nichts Schlechts,
lud um den Herren fallen die Seinen links und rechts;
dem Dorflinger, dem Alten, fast wird es ihm zu warm;
5r ist kein Freund vom Halten mit dem Gewehr im Arm.
Und dicht und immer dichter schlägt in die Heercöreil^'n
Dort in des Schimmels Nähe der Kugelregen ein.
„Um Gott, Herr Kurfürst, weichet!" Der Kurfürst hört es nicht;
ES schaut sein Blikk, der gleiche, dem Feind ins Angesicht.
Der Schimmel möcht' eö ahnen, wem dieses Feuer gilt;
Er steigt und schäumt im Zügel, er hebt sich scheu und wild.
Die Herren alle bangen; doch ihm sagt'ö Keiner an;
Wär' doch nicht rükkwärts gangen, der fürstlich große Mann.
Und doch, der Tod ist nahe und mäht um ihn herum,
Und Alles zagt und trauert, und Alles bleibet stumm.
Die Scheibe ist der Schimmel, das merket Jeder nun;
Doch helfen mag der Himmel; vor: uns kann'S Keiner thun!
143
Da reitet zu dem Fürsten Emanuel Froben her:
„Herr Kurfürst, euer Schimmel, er scheut sich vor'm Gewehr!
Das Thier zeigt seine Laune; ihr briugt'S nicht in'S Gefecht.
So nehmt nur meinen Braunen; ich reit'S indeß zurecht."
Der Herr schaut ihm herüber: „ES ist mein Lieblingöroß;
Doch daS verstehst du besser; so reit' eS nur zum Troß!"
Sie wechseln still; dann sprenget rasch, ohne Grnß und Wort,
Den Zügel lang verhänget, der edle Froben fort.
Und weit von seinem Herren hält er zu Rosse nun.
Für wenig Augenblikke scheint daS Geschütz zu ruh'n;
Der Kurfürst selber sinnet, warum eS jetzt verstummt,
llnd „wakker war'S gemeinet," der alte Dorfling brummt.
Da plötzlich donnert'S wieder gewaltig über'S Feld;
Doch nur nach einem Punkte ward das Geschütz gestellt.
Hoch auf der Schimmel setzet; Herr Froben sinkt zu Sand,
lind Roß und Reiter netzet mit seinem Blut das Land.
Die Ritter alle schallen gar ernst und treu hinein.
O Froben dort am Boden, wie glänzt dein RuhmeSschein!
Der Kurfürst ruft mir leise: „Ha! war daS so gemeint?"
Und dann nach Feldherrn-Weise: „Rlln vorwärts in den Feind!"
186. Der reichste Fürst.
Preisend mit viel schönen Reden ihrer Länder Werth unb Zahl,
saßen viele deutsche Fürsten einst zu WormS im Kaisersaal.
„Herrlich," sprach der Fürst von Sachsen, „ist mein Land und
seine Macht: Silber hegen feine Berge wohl in mallchem tiefen
Schacht."
„Seht mein Land in üpp'ger Fülle," sprach der Pfalzgraf von
dem Rhein; „goldne Saaten in den Thälern, ans den Bergen edler
Wein."
„Große Städte, reiche Klöster," Ludwig, Herr zu Baiern,
sprach, „schaffen, daß mein Land dem eitern wohl nicht steht au
Schätzen nach."
Eberhard, der mit dem Barte, Würtembergs geliebter Herr,
sprach: „Mein Land hat kleine Städte, trägt nicht Berge silber-
schwer;
„Doch ein Kleinod hält's verborgen, daß in Wäldern, noch
so groß, ich mein Haupt kann kühnlich legen jedem Unterthan in
Schooß."
Und eS rief der Herr von Sachsen, der von Baiern, der vom
Rhein: „Graf im Bart! Ihr seid der Reichste; Euer Land tragt
Edelstein!" s
144
187. Kaiser Otto I.
Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glokkcnklang;
Der Orgeln Stimmen brausen zum ernsten Chorgesang;
Es sitzt der Kaiser drinnen mit seiner Ritter Macht,
Voll Andacht zu begehen die heil’ge Weihenacht.
Hoch ragt er in dem Kreise mit männlicher Gestalt,
Das Auge scharf wie Blitze, von goldnem Haar umwallt;
Man hat ihn nicht zum Scherze den Löwen nur genannt:
Schon Mancher hat empfunden die löwenstarke Hand.
Wohl ist auch jetzt vom Siege er wieder heimgekehrt;
Doch nicht des Reiches Frieden hat mächtig er gewehrt;
Es ist der eigne Bruder, den seine Waffe schlug,
Der dreimal der Empörung blutrothes Banner trug.
Jetzt schweift er durch die Lande, geächtet, flüchtig hin;
Das will dem edlen Kaiser gar schmerzlich in den Sinn;
Er hat die schlimme Fehde oft bitter schon beweint.
O Heinrich, du mein Bruder, was bist du mir so feind!
Zu Quedlinburg im Dome ertönt die Mitternacht;
Vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht.
Es beugen sich die Kniee, es beugt sich jedes Herz;
Gebet in hcil’ger Stunde steigt brünstig himmelwärts.
Da öffnen sich die Pforten; es tritt ein Mann herein;
Es hüllt die starken Glieder ein Büsserhemde ein;
Er schreitet auf den Kaiser, er wirft sich vor ihm hin;
Die Knie er ihm umfasset mit tiefgebeugtem Sinn.
O Bruder, meine Fehle, die lasten schwer auf mir.
Hier liege ich zu Füssen, Verzeihung flehend, dir:
Was ich mit Blut gesündigt, die Gnade macht es rein;
Vergieb, o strenger Kaiser, vergieb, du Bruder mein!
Doch strenge blikkt der Kaiser den sünd’gen Bruder an:
Zweimal hab' ich vergeben, nicht fürder mehr fortan!
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt;
Nach dreier Tage Wechsel, da fällt dein blutig Haupt!
Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich bleich,
Und Stille herrscht im Kreise gleich wie im Todtenreich;
Man hätte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub;
Denn Keiner wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub.
Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt;
Das ew’ge Buch der Bücher, das hält er in der Hand;
Er liest mit lautem Munde der heil’gen Worte Klang,
Dass es in alle Herzen wie Gottes Stimme drang:'
145
Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? genügt ich hab’,
Wenn ich dem sünd’gen Bruder schon siebenmal vergab?
Doch Jesus sprach dagegen: Nicht siebenmal vergieb,
Nein, siebenzig mal sieben, das ist dem Vater lieb."
Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewusst,
Er hebt ihn auf, den Bruder, er drükkt ihn an die Brust;
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht.
Nie schöner ward begangen die heil’ge Weihenacht.
188. Karl der Zwölfte und der pommersche Bauer Mnsebank.
In seinem Zelt vor Bender sitzt Karl der Zwölfte still, kein
Schach ihn mehr zerstreuen, kein Buch ermuntern will. Von aller
Welt verlassen, versagt in seiner Roth der Türk' dem trotz'gen
König, gemach schon Fleisch und Brot.
Vergebens mahnet Düring: „Gieb deinen Feinden nach!"
Vergebens Rosen: „Fliehe, o Held, dein Ungemach! Was sitzest
dn und sinnest, wie ein vergrämter Aar im Horst von Folgesonde,
und trotzest der Gefahr? Mach' ans die edlen Schwingen und aus
dem Sonnenbrand zieh' heim in's kühlumwogte, geliebte Vaterland.
Da sammle wieder eilig die alte Kraft zu Hans', und gehe, wie
daö Nordlicht, in blut'gen Striemen au fl"
Doch trotzig spricht der König: „„Schweigt; ihr erlebt eö nie,
dasi ich vor Türkenhunden, wie eine Memme flieh! Wohl sehnt
sich Nordlands Wogen mein Herz, wie eures, zu; doch sterb' ich,
eh ich weiche, und Achmed'ö Willen thu'!""
Da naht der Kanzler Müller: „O Herr, dein Häuflein schreit,
gedrükkt vom bittern Hunger, womit erhalt' ich'S heut?"
„„Schießt die Araberrosse deö Sultans Achmed todt; da habt
ihr Fleisch, hier ist mein eignes letztes Brot!""
Der Kanzler geht mit Thränen. Bald krachet Schuß auf
Schuß. Der König hebt daö Auge voll Sorge und Verdruß; denn
sieh', man führet schonend sein Leibroß ihm zurükk, drum greift er
zur Pistole im nächsten Augenblikk —
„„halt, halt!"" und setzet grausam den Lauf ihm hinter'-
Ohr. — Nie brachte je Arabien ein schön'res Thier hervor. —
,,dich schießet nicht!" ruft Rosen, ruft Düring; doch er schoß, und
ächzend stürzt zusammen ihm sein erlauchtes Roß.
„„Glaubt ihr, ich solle hungern?"" fragt bitter lachend er,
derweilen Alles schreiet: „Was macht ihr, gnäd'ger Herr?" Doch,
gleich als ahnt ihm düster schon jetzt sein gleich Geschikk, hebt von
dem Roß er lange nicht den bewegten Blikk,- setzt bald sich drauf,
wie wenn es ihn unsichtbar ergreift, indeß daö Blut deö Thieres
ihm in die Stulpen läuft, und wühlet mit den Sporen im Sande
10
146
hin und her, und blikket nicht vom Boden, und seufzet oft und
schwer.
Da komnlt auf hager'm Klepper ein Bauer hergetrabt, im
blauen, woll'nen Wamse, zerfetzt und abgeschabt, mit rundem Hut
und Troddeln um sein gestiefelt Bein.
„Glükkzu!" ruft Rosen, „Freunde, daß muß ein Pommer sein!"
„„„Wo find' ich hier den König?""" der alte Bauer spricht,
und sitzet ab und wischet den Schweiß sich vom Gesicht. „Da sitzt
er auf dem Rosse, geh' muthig nur hinan!"
„„„Gott grüß' euch, edler König! Ihr seid wohl schlecht daran?"""
Der König yebt das Auge: „„Wer bist du und von wo?""
,,„„O Herr, ich bin ein Bauer vom Dorfe Conerow bei
Wolgast, eurer Stadt im fernen Pommerland, und heiße Müsebank,
und bin an euch gesandt!"""
„„Und wer hat dich gesendet?"" darauf der König spricht.
„„„Das will ich euch wohl sagen, jedoch verübelt'- nicht; wir
wohnen dort zusammen drei Bauern an der Zahl, und hörten oft
mit Schmerzen, ihr trüget Hungerqual; drum brachten wir zusammen,
was unsre Armuth litt, und ich stieg selbst zu Pferde und that den
sauren Ritt. Doch Gott hat mich geschützet, die Reis' ist mir nicht
leid, wollt ihr nur nicht verschmähen, was euch ein Bauer beut!"""
Und spricht's und löst die Troddeln von seinen Stiefeln los,
und holt aus jedem Schafte zwei Düten, schwer unb groß, gefüllt
mit rothem Golde, und senkt sie auf sein Knie und spricht: „„„Nun,
gnäd'ger König, da sind sie, nehmet sie!"""
Wie daö der König höret, da springet er empor, und zwischen
seinen Wimpern bricht eine Thrän' hervor: ,,„O Freunde, seht,
mein Adel gedenket mein nicht mehr; doch einen armen Bauern führt
seine Liebe her. — Und ob dich Gott geschlagen schon selbst zum
Edelmann, nimm auch von deinem König den Ritterschlag noch an.
Knie hin, daß ich dich ehre, so wie du mich geehrt!"" Und spricht'-,
und aus der Scheide reißt er sein Königsschwert.
Jedoch, der Bau'r versetzet: „„„Herr König, haltet an, was
thät ich armer Bauer wohl mit dem Edelmann? Hab' schon genug
zu sorgen von Morgen bis zur Nacht, und habe Nichts erworben,
als was ich euch gebracht. Drum bitt' ich, lieber König, daß ihr
mich nicht beschämt; ich bin ja schon zufrieden, wenn ihr mein
Scherflein nehmt. Als Bau'r bin ich geboren, und wenn es Gott
gefällt, so geh' ich auch als Bau'r einst wieder aus der Welt!"""
Der König senkt den Degen und sieht ihn düster- an: „„Ich
nehme keinen Groschen, den ich nicht lohnen kann!""
Der Alte steht und sinnet: „„„So laßt uns Bau'r» die Pacht,
die wir von unsern Höfttl bis dahin aufgebracht!"""
147
Der König winkt, der Kanzler entwirft das Instrument, der
König nimmt es hastig, sein Adlerauge brennt. Drei Haare reißt
der Edle aus seinem Bart und legt sie auf das Wachs, das rothe,
und rufet tief bewegt: „„Verflucht, wer dieses Siegel, wer dies
Versprechen löst!"" Indem er mit der Rechten daö Petschaft nieder-
stößt, und mit der Linken drohend an seinen Degen schlägt, daß ihm
die Hüfte klirret und sich der Tisch bewegt. „,^So lange noch ein
Sprößling von diesen Bauern blüht, so lang' auf Conrow'ö Hufen
der Pflug noch Furchen zieht, so lange noch in Pommern ein edler
Fürst regiert, deir Greif in seinem Wappen und Gott im Herzen
führt: sollt ihr auf euren Höfen auch sitzeil frank uild frei, imb
späten Zeiten künden den Lohn der Bauerntreu'!""
* '
Schon mehr denn hundert Jahre verstrichell seit der Zeit, doch
Friedrich Wilhelm ehret dies Fürstenwort bis hellt'.
Preis dem gerechten König, der Pommernland regiert, den Greif
in feinem Wappen und Gott im Herzen führt! Auf ihren Hufen
sitzen die Enkel frans und frei und künden späten Zeiten den Lohn
der Baneriltreu! O blieben diese Enkel den edlen Vätern werth,
und ehrten ihre Fürsten, wie diese sie geehrt! —
189. Die Devolution.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrei’n,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n.
Weh, wenn sich in dem Schooss der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreissend seine Kette,
Zur Eigenhülfe schrekklich greift!
Da zerret an der Glokke Strängen
Der Aufruhr, dass sie heulend schallt,
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Loosung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr.
Die Strassen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden zieh’n umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz:-
Noch zukkend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
"
148
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s, den Leu zu welchen,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrekklichste der Schrekken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh’ denen, die dem ewig Blinden
Des Lichtes Himmelsfakkel leih’nl
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Stadt’ und Länder ein.
190, Unserm Könige.
Vater, kröne du mit Segen unsern König und sein Haus,
führ' durch ihn auf deinen Wegen herrlich deinen Nathschluß ans.
Deiner Kirche sei er Schutz, deinen Feinden biet' er,Trutz, sei du
dem Gesalbten gnädig: Segne, segne unsern König!'
Nüst' ihn mit des Glaubens Schilde, reich' ihm deines Geistes
Schwert, daß Gerechtigkeit und. Milde ihm des Friedens Heil
gewährt. Mach' ihm leicht die schwere Last, die du auferlegt ihm
hast. Sei in Jesu im ihm gnädig: Schütze, segne unfern König!
Sammle um den Thron die Treuen, die mit Nath und frommen
Fleh'n fest in deiner Streiter Reihen für des Landes Wohlfahrt
steh'n. Baue um den Königsthron eine Burg, o Gottessohn; sei
du ihm auf ewig gnädig: Leite, segne unsern König!
Nähre du die heil'ge Flamme, die das Herz des Volks erneut,
daß es llnserm Königsstamme Liebe bis zum Tode weiht. In der
Zeiten langer Nacht hast du über ihm gewacht; du erhieltest ihn
uns gnädig: Segne, segne unsern König!
Fürchtet Gott! Den König ehret! Das, o Herr, ist dein
Gebot, und du hast es selbst bewähret, warst gehorsam bis zum
Tod; wer dich liebt, der folget dir; drum so beten Alle wir: Vor
dem Bösen schütz' uns gnädig; Gott erhalte unsern König!
Gieb uns Muth in den Gefahren, wenn der Feind uns ernst
bedroht, daß wir Treue dann bewahren, gehen freudig in den Tod.
Du bist unser Siegöpanier; Gott mit uns! so siegen wir; deine
Treuen krönst du gnädig: Segne, segne unsern Köllig!
Breite, Herr, dein Reich auf Erden auch in unserm Lande
aus, daß wir deine Bürger werden, ziehen in dein Vaterhaus.
Frieden unb Gerechtigkeit gieb uns, Gott, zu aller Zeit. Sei du
deinem Volke gnädig; segne, segne unsern König!
Zweiter Theil.
Weltkunde.
Wer zwischen seinen bekannten Bergen und Bäumen daheim sitzt bei den
Deinigen, oder bei einem guten Mahle, dem ist wohl, und er denkt nicht weiter.
Wenn aber früh die Sonne in ihrer Herrlichkeit aufgeht, so weiß er nicht, wo
sie herkommt, und wenn sie an» Abende untergeht, weiß er nicht, wo sie hinzieht,
und wo sie die Nacht hindurch ihr Licht verbirgt, und auf welchem geheimen
Fußpfade sie die Berge ihres Aufganges wiederfindet. Oder wenn der Mond
einmal bleich und mager, ein andermal rund und voll durch die Nacht spaziert,
weiß er wieder nicht, wo das herrührt; und wenn er in den Himmel voll Sterne
hinauf schaut, einer blinkt schöner und freudiger als der andere: so meint er, sie
seien alle seinetwegen da, und weiß doch nicht recht, was sien. wolle Es ist aber
nicht löblich, daß man so Etwas alle Tage sicht nnd nie fragt, was cS bedeutet.
Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und
stehen viele bewährte Mittel gegen den Aberglauben und gegen die Süyde darin,
und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buche. Aber es ist in
einer fremden Sprache geschrieben; man kann es nicht verstehen, wenn man
keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buche lesen kann, in diesem
Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nicht mehr lang, wenn er
schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsterniß verführen
will, etwas Böses zu thun, kann er es nimmer.
Darum folgt hier Etwas über Erde und Sonne, über Mond und
Sterne u. f. w.
Es steht ein groß, geräumig Haus
Auf unsichtbaren Säulen;
Es mißt'S und geht's kein Wandrer aus,
Und keiner darf drin weilen.
Nach einem unbegriffneu Plan
Ist es mit Kunst gezimmert;
Es stekkt sich selbst die Lampe an,
Die es mit Pracht durchschimmert.
ES hat ein Dach, krystallenrein,
Von einem einz'gen Edelstein —
Doch noch kein Auge schaute
Den Meister, der eö baute.
11
150
\
Von dem äußeren Anblikk des Himmels und der
Gestalt der Erde.
Die öibc erscheint unS im Freien wie eine kreisrunde Scheibe, die nach
allen Seiten an den Himmel stößt; der Hininiel wie ein flaches Gewölbe, oder
wie die kleinere Hälfte einer Kugel, die inwendig hehl ist und deren Rand auf
dem Rande der Erdscheibe ruht. Die Leute, die hundert und noch mehr Meilen
von uns wohnen, haben denselben Anblikk; überall stößt die Erdscheibe an de»
Himmel, und cs entsteht da, wo sie zusammenstoßen, ein Kreis, den die Gelehrten
den Horizont oder den Gesichtskreis nennen. Nur so weit kannst du
sehen, so weit dein Gesichtskreis reicht.
Die Erde kann aber keine kreisrunde Scheibe sein. Der Schein muß hier
trügen. Denn wenn die Erde eine Scheibe wäre, so könnte man ganz gewiß bis
an den Rand der Erdschcibe reisen; oder Leute, die am Rande derselben wohnen,
würden schon einmal zu uns kommen und uns erzählen, wie es bei ihnen aus-
sieht, und von welchem Metalle das Himmelsgewölbe gemacht ist. Es kommt
aber Niemand von da zu uns.
Wenn aber Einer von unS auf der Erde immer in einerlei Richtung fort-
zöge, so kommt er endlich zuletzt auf denselben Punkt zurükk und er hat eine
Reise rund um die Erde gemacht. Solche Reisen sind nun auch schon oft
gemacht worden, und der erste, der eö that, war ein Portugiese Ferdinand
Magcllan. Dem haben es Viele nachgcthan und haben gefunden, daß man
die Erde in allen Richtungen umschiffen könnte, wenn nicht im Norden und im
Süden ungeheure Eisblökkc den Schiffen den Weg versperrte».
Wenn man die Erde in allen Richtungen umschiffen kann, so ist eö gewiß,
daß sie eine Kugel ist. Gar zu genau darf man eö mit der Kugelgestalt der
Erde freilich nicht nehmen; denn eö giebt auf ihr hohe Gebirge und tiefe Thäler;
aber diese sind doch nur kleine Unebenheiten, wenn man auf die ungeheure Größe
der Erde sieht. Die Gelehrten haben die Größe und die Gestalt der Erde gar
künstlich gemessen und gefunden, daß sie an zwei entgegengesetzten Seiten etwas
flachgedrükkt fei und etwa die Gestalt einer Pomeranze habe.
Daß uns aber die Erde als eine Scheibe und der Himmel als eine hohle
Halbkugel erscheint, liegt eben daran, daß unser Auge nach allen Seiten gleich
weit trägt.
Wie kommt es aber, daß die Menschen, welche auf der Erde uns gerade
gegenüber wohnen, doch nicht von der Erde herabstürzen?
Unsere Erde hat eine anziehende Kraft, so daß jedes Stäubchen immer wieder
zu ihr hingezogen wird. Die Anziehungskraft hält jegliches Geschöpf und
jeglichen Menschen fest am Boden, und sie läßt Nichts fahren, was Gottes Hand
auf die Erde gesetzt hat.
Ferner: Jegliches Menschen Füße sind gegen den Mittelpunkt der Erde,
und der Kopf ist überall gegen den Himmel gerichtet. Oben nennt Jeder das,
151
wo bei aufrechter Stellung sein Kopf ist; unten das, wo er bei eben dieser
Stellung die Füße hat. Jeder Mensch also auf der Erde trägt den Kopf nach
oben und hat die Füße nach unten.
Der Sonnenlauf und die Weltgegenden.
Wer in der Stadt wohnt und nirgends eine freie Aussicht hat, oder wer ein
Langschläfer ist und des Morgens spät an die Arbeit geht, der sieht die Sonne
wohl niemals aufgehen und achtet auch nicht darauf, wie sie es mit ihrem Auf-
gang und ihrem Untergang das ganze Jahr hindurch hält; uikd es ist doch so
viel Abwechselung darin, und dennoch so viel Ordnung, daß ein Mensch sich
darüber freuen und ein Unordentlicher sich ein Beispiel daran nehmen kann.
Eines weiß Jedermann, daß die Sonne uns im Sommer längere und im
Winter kürzere Tage macht; de» längsten Tag am 21. Junius, den kürzesten am
21. Dezember. Vom längsten Tage an nehmen die Tage fortwährend ab und
die Nächte fortwährend zu; vom kürzesten Tage an ist cö gerade umgekehrt; denn
die Nächte werden immer kürzer und die Tage immer länger; und ehe der
Johannistag wiederkehrt, haben wir aberinals den längsten Tag und die kürzeste
Nacht, und der ganze Hergang wiederholt sich immer von Neuem.
Wenn es aber so zugeht mit der Ab- und Zunahme der Tage und Nächte,
so kann's gar nicht fehlen, daß zwei Mal im Jahre Tag und Nacht gleich werden.
Das geschieht auch, zum ersten Mal im Jahre am 2l. März, wenn der Frühling
anfängt, und zum zweiten Mal am 23. September, mit welchem der Sommer
sich endet und der Herbst oder daö Spätjahr seine» Anfang nimmt. Diese Zeiten
nennt man die Nachtglcichen, und man will damit sagen, daß zu der Zeit
Tag und'Nacht auf der ganzen Erde gleich sind; wir aber wollen es merken;
denn daraus läßt sich begreifen, welche Ordnung die Sonne i» ihrem Laufe
befolgt, und wir können uns zurecht finden auf der Erde und darnach bestimmen,
was Abend fei und Morgen und Mittag und Mitternacht, und wie die Jahres-
zeiten mit einander wechseln.
Am 21. März also, wenn zum ersten Mal im Jahre Tag und Nacht gleich
sind, geht die Sonne auf gerade in dem Angenblikk, wo eine richtig gehende Uhr
das Ende der sechsten und den Anfang der siebenten Stunde zeigt, und wer sich
dann den Punkt am Horizonte merkt, wo er die Sonne hervorkommen fielst, der
weiß genau, welche Himmelsgegend an seinem Wohnorte Morgen oder Osten
heißt; wer sich aber die Stelle merkt, wo an demselben Tage die Sonne hinter
den Bergen verschwindet, der weiß auch, wo in seiner Hcimath Abend oder
Westen ist. Eigentlich ist eS aber nicht nöthig, daß man beide Punkte besonders
beobachte; denn der eine läßt sich leicht finden, sobald nur der andere bekannt ist.
Wenn der Ostpunkt bekannt ist, und man zieht sich durch seinen Standort eine
gerade Linie über die Erdscheibe weg, so zeigt daö eine Ende der Linie nach
Osten und daö andere nach Westen, und man kann am 21. März früh Morgens
um 6 Uhr schon bestimmen, wo die Sonne an demselben Tage untergehen soll.
11* /
152
Sobald die eine Hälfte des Tages verflossen ist, hat die Sonne auch die
Hälfte ihres täglichen Weges zurükkgelegt und ihren höchsten Stand am Himmel
erreicht, und die Zeit, wo dicö geschieht, nennen wir Mittag, gleichsam die
Mitte des Tages; aber die Himmelsgegend, wo die Sonne steht, wenn sie uns
den Mittag bringt, heißt ebenfalls Mittag oder Süden, und die gegenüber-
stehende Gegend heißt Mitternacht oder Norden.
So nun, wie es vorhin beschrieben wurde, hält cs die Sonne mit ihrem
täglichen Lauf am 21. des Märzmonats, und in dem Einen bleibt sie sich gleich,
daß sie zu Mittage immer im Süden steht, und daß sie vom Aufgang bis zum
Mittag gerade so viel Zeit gebraucht, als vom Mittag wieder bis zum Untergang.
Vom 21. März an geht die Sonne nicht mehr genau im Osten auf und
auch nicht genau im Westen wieder unter; sondern die Punkte, wo sie aufgeht
und wo sie untergeht, rükken allmälig immer weiter nach Norden; der Weg, den
sie am Himmel beschreibt, wird mit jedem Tage um ein Weniges länger, die
Höhe, die sie zu Mittag erreicht, mit jedem Tage um ei» Weniges großer; und
das geht so fort bis zum 21. Zlñiius, wo sie in unseren Gegenden 2 Stunden
und 18 Minuten vor sechs Uhr auf- und 2 Stunden 18 Minuten nach sechs Uhr
Abends wieder untergeht, und dem Tage, der von Rechtswegen nur 12 Stunden
haben sollte, eine Länge von 10 Stunden und 30 Minuten giebt.
Um die Zeit dcö längsten TagcS merkt man mehrere Tage lang keine Ver-
änderung im Laufe der Sonne; sie geht mehrere Tage hinter einander an
demselben Punkte wieder auf und unter; die Dauer der Tage bleibt sich um
diese Zeit immer gleich, und man nennt diese Zeit S on ncn - Stillsta nd;
denn es ist, als ob alle Veränderungen in dem täglichen Laufe der Sonne um
diese Zeit einen völligen Stillstand erlitten.
Es scheint aber nur so, als ob ein Stillstand eingetreten wäre; denn nach
wenigen Tagen merkt man schon, daß der Ausgangspunkt der Sonne täglich
weiter gegen Osten, und der Punkt ihres Untergangs täglich weiter gegen Westen
rükkt, daß ihre Mittagshöhe immer geringer und die Dauer der Tage immer
kürzer wird; eö ist gleichsam eine Wendung in dem Laufe der Sonne eingetreten,
und man nennt daher die Zeit des Sonnenstillstands auch die Sonnenwende.
So wie nach der Nachtgleiche im Frühlinge die Tage zunehmen bis zum
21. JuniuS hin, so nehmen sie nach der Zeit der Sonnenwende allmälig wieder
ab, und am 23. September ist Tag und Nacht abermals gleich, und diese Zeit
nennt man die Nachtgleichc des Herbstes.
Die Punkte, wo die Sonne auf- und untergeht, rükken vom 23. September
ab allmälig gegen den Siidpunkt hin; ihr täglicher Weg wird immer kleiner,
ihre Mittagshöhe immer geringer; der Tag wird immer kürzer und die Nacht
immer länger, und um die Zeit des 21. Dezember zieht die Sonne uns am Tage
richtige 4 Stunden und 30 Minuten ab, und wir können cö nicht ändern, daß
der Tag nur 7 Stunden und 24 Minuten währt.
153
Auch um die Zeit des kürzesten Tageö scheint in der Veränderung des
Sonnenlaufs ein Stillstand zu fein, und wir nennen diese Zeit den Sonn en-
stillst and deö Winters; bald aber tritt, wie im Sommer, eine Wendung
ihres scheinbaren Laufes ein; sie rufst mit ihrem Ausgangspunkte wiederum zurükk
gegen Osten und mit dem Punkte ihres Niederganges zurükk gegen Westen; ihre
Mittagshöhe wird immer großer, und die Tage werden länger; und um die Zeit
deö 21. März sind Tag und Nacht wiederum gleich; eö beginnt von Neuem der
Frühling, und eö wiederholt sich Alles, wie eö vorhin beschrieben ist.
Vier merkwürdige Zeiten sind eö also, welche unS der Sonnenlauf herbeiführt:
zuerst die Nachtgleiche des Frühlings und die Nachtglciche des Herbstes, und dann
die Sonnenwende deö Sommers und die Sonnenwende deö Winters; und man
fängt mit jedem dieser Zeitpunkte eine von den vier Jahreszeiten an, den Früh-
ling mit der Nachtgleiche deö Frühlings, den Sommer mit der Sonnenwende
des Sommers, den Herbst mit der Nachtgleiche des Herbstes, den Winter mit
der Sonnenwende des Winters; und wenn jede der vier Jahreszeiten gleich lange
dauerte, so betrüge das auf eine jede genau 91 Tage und etliche Stunden. —
Nun ist der Sonnenlauf wirklich so eingerichtet, daß die Zeit von einer Sonnen-
wende zur andern 182 Tage und etliche Stunden, d. h. gerade die Hälfte des
Jahres beträgt. Aber die Sonne hat bei ihrem Jahreölanf auf mehr noch zu
sehen, als wir bisher angeführt haben, und mehr noch, als Jeder gleich einsieht.
Darum kann sic ihren jährlichen Lauf nicht so gleichförmig einrichten, und kann
auch die Jahreszeiten nicht ganz gleich machen. Der Sommer ist um einige
Tage länger als das Spätjahr, und der Frühling wiederum etwas länger als
der Winter; und die Zeit vom Anfange des Frühlings bis zum Anfange des
Herbstes beträgt nach richtiger Berechnung 189, die Zeit vom Anfang des Herbstes
bis wieder zum Anfang des Frühlings 179 Tage, und cs ist ein Unterschied von
7 Tagen, um welche die schöne Jahreszeit bei uns länger währet, als die
unfreundliche Zeit deö Herbstes und des Winters. —
Woher kommt eS denn aber, daß es im Sommer so viel wärmer ist, als im
Winter? Und ist eö nicht die Sonne, die diese merkwürdige Veränderung ver-
ursacht? Ohne alle Zweifel ist sic eS, wie ihr vermuthet, und cs sind vornehmlich
zwei Umstände in dem Laufe der Sonne, welche den Wechsel zwischen Kälte und
Wärme hervorbringen. Die Sonnenstrahlen erwärmen unsere Erde desto kräftiger-
je mehr sie dieselbe in senkrechter Richtling treffen, und sind desto unkräftiger, je
mehr sie in schiefer Richtung auf die Erde fallen. Im tiefen Winter nun steht
in unseren Gegenden die Sonne selbst am Mittage so niedrig am Himmel, daß
ihre Strahlen die Erde nur in sehr schiefer Richtung treffen und sic gleichsam
nur streifen; darum sind ihre Strahlen in dieser Jahreszeit so unwirksam; je
mehr wir aber dem Frühling uns nähern, und je tiefer wir in den Sommer
hineinkommen, desto höher steigt ja auch die Sonne, desto senkrechter treffen unö
ihre Strahlen, desto wirksamer sind sie also auch, den Boden bei uns zu erwärmen.
Das ist der erste Grund, warum eö im Sommer bei unö wärmer ist, als im
Winter.
154
Mit bau zweiten Grunde hat es eine ähnliche Bewandiiiß; aber ihr müßt,
um ihn einzusehen, noch eine Merkwürdigkeit in dem Laufe unserer Sonne kennen
lernen. Der längste Tag währt bei unS, wie ihr schon oben gelesen habt, 16
Stunden und 36 Minuten, der kürzeste aber 7 Stunden und 24 Minuten. So
ist es aber nicht überall auf der ganzen Erde. Es giebt einen Strich rund um
die ganze Erde, da ist Tag und Nacht beständig gleich, und diesen Strich nenne»
wir den Aeqnator oder Gleicher, weil er die Erde in zwei gleiche -Hälften
oder -Halbkugeln theilt. Je weiter nun rin Ort vom Aeqnator entfernt liegt,
desto größer wird für denselben der Unterschied der Tage und der Nächte. Bei
Uns ist dieser Unterschied schon sehr beträchtlich, und ihr könnt daraus schließen,
daß wir schon ziemlich weit von dem Aequator entfernt wohnen; aber je weiter
von unS gegen Norden, desto größer wird dieser Unterschied; in St. Petersburg
z. B. währt der längste Tag 18 Stunden und 30 Minuten und die kürzeste Nacht
also 5 Stunden und 30 Minuten, und weiter hinaus giebt eö Gegenden, wo die
Sonne Monate lang nicht wieder zum Vorschein kommt.
Wenn nun im Winter auf einige Stunden Tag eine viel längere Nacht
folgt, so geht die geringe Wärme, welche die Sonne während des Tages erzeugt
hat, sogleich wieder verloren. Wenn aber die Sonne in den lange» Tagen viele
Stunden hintereinander scheint, und während der kurzen Nächte nur eine mäßige
Abkühlung eintritt, da ist es sehr begreiflich, daß die Wärme einen hohen Grad
erreicht. ''
Der Sternenhimmel.
-habt ihr noch nie in einer sternhellen Nacht den Himmel betrachtet und das
zahllose Heer von Sternen, die wie leuchtende Punkte am Himmelsgewölbe
flimmern? .Eö wäre eine Schande, wenn ihr es noch nicht gethan hättet; wenn
es aber dennoch wäre, so thut eS an dem nächsten sternhellen Abend. —
Freilich find der Sterne am Himmel gar viele, und sic stehen auch scheinbar
so unordentlich durcheinander, daß kein Mensch sie zählen mag; aber die Stern-
kundigen haben sich auf eine sinnreiche Weise zu helfen gewußt. Schon die
Chaldäer, die im Morgenlandc wohnten und sich viel mit der Sternkunde beschäf-
tigten, haben die Sterne in gewisse Haufen oder in Sternbilder geordnet, die
man viel leichter merkt und wieder findet, als einzelne Sterne. Da stehe» z. B.
am nördlichen Himmel, nicht gar weit von einander, sieben helle Sterne, die
am Himmel ungefähr eine Figur, wie die größere in der nachstehenden Zeichnung,
bilden. Was meint ihr nun, daß man aus den sieben Sternen gemacht hat?
Was anders als einen Wagen? Denn bilden nicht vier Sterne ein Vierekk, und
sind das nicht die vier Räder des Wagens? Und bilden nicht die drei andern
eine etwas gebogene Linie, und ist diese Linie nicht die Deichsel des Wagens? —
DaS habt ihr richtig getroffen; unsere Landlcute nennen noch jetzt die sieben
Sterne den Himmelswagen. Aber im Alterthum hat man aus den sieben Sternen
eine andere Figur, den großen Bären, gemacht. Die vier Sterne bilden den
155
Körper, die drei übrigen dcu Schwanz des Thieres; am Kopf nnd an den Füßen
stehen nur kleinere, wenig kenntliche Sterne.
Wo aber ein großer Bär ist, da wird auch wohl ein kleiner sein. Das ist
richtig, und der Formschncider hat dafür gesorgt, daß ihr den kleinen Bär auch
sehen könnt. Auch mehr ist noch zu sehen! Doch jetzt kommt erst der kleine
Bär! Daö sind abermals vier Sterne, die ein Vierekk, und drei Sterne, die eine
gebogene Linie bilden, und dieses Gestern hat man den kleinen Bären
genannt. Sein Kopf ist dahin gerichtet, wo der Schwanz des großen Bären
liegt; er ist in Allem das Wiederspiel seines großen Nachbarn.
Warum mag ich wohl von den vielen schönen Sternbildern am Himmel
gerade diese beiden herausheben? Bon dem großen Bären begreift es sich leicht;
er ist eins der schönsten Sternbilder, und -eS ist jeden Abend am Himmel zu sehen ;
aber der kleine Bär fällt weit weniger in die Augen. Ihr wißt nur nicht, welch
ein merkinürdlgcr Stern in dem kleinen Bären steht. Zieht in Gedanken eine
gerade Linie durch die beiden vordersten Sterne deck großen Bären oder durch die
Hinterräder des Wagens, so trifft diese Linie ziemlich genau auf den äußersten
Stern in dem Schwanz des kleinen Bären, und diesen Stern nennen wir den
Polarstern. Achtet nur in einer hellen Winternacht auf den großen Bären
und auf den Polarstern, seht, wie beide etwa des Abends um t>, und dann, wie
sie in derselben Nacht etwa um 12 Uhr, und endlich, wie sie des Morgens um
ti llhr stehen. Den Polarstern findet ihr immer in derselben Gegend des Himmels
und in immer gleicher Höhe; aber die Sterne im großen Bären haben ihre
Stellung gegen den Horizont merklich verändert. Standen die beiden Vorder»
ràder um v Uhr Abends hoch im Scheitelpunkt, so stehen sic um li Uhr Morgens
tief am Horizonte, und cs ist, als ob alle Sterne tagtäglich einen Kreis am
Himmel beschrieben, in dessen Mittelpunkt der Polarstern steht. Je weiter ein
Stern vom Polarstern steht, desto größer ist der Kreis, den er täglich zu beschreiben
hat; die ihm näher stehen, die beschreiben immer kleinere Kreise, und der Polar-
stern ist der einzige, der seine Stelle am Himmel nicht merklich ändert. Das
sicht doch wirklich so a»S, als ob die ganze Himmelskugel mit ihren großen und
kleinen Sternen sich von Morgen gegen Abend drehte, und als ob der Polarstern
einer von den beiden Punkten der Himmelskugcl wäre, die bei der Umdrehung
unbeweglich bleiben.
Darum eben hat man ihn den Polarstern genannt, weil Pol eigentlich Angel
bedeutet, in der sich eine Thür dreht.
Giebt es denn noch andere merkwürdige und schön in die Augen fallende
Sterne? Einige sollt ihr neben dem großen und kleinen Bär in der neben-
stehenden Zeichnung kennen lernen.
156
So wie cS hier gezeichnet ist, crblikkt man die angeführten Sternbilder zur
Zeit der Frühlingönachtgleiche um Mitternacht; für die Hcrbftnachtglciche muß
man das Bild umkehren. — Die fünf hellen Sterne, die rin llateinifches W
bilden, heißen Eastiopeja; sie stehen hier unter den kleinen Bär. Der Stern
rechts heißt Wega und gehört zum Sternbilde Leyer; der aber links heißt
Capella und gehört zum Sternbilde Fuhrmann.
Doch ich will euch noch einige andere in die Augen fallende Sternbilder
nennen. Nicht weit vom großen Bären steht der Arkturus oder der Bären-
hüter; er glänzt mit röthlichem Lichte. Da ist der Sirius oder der Hunds-
stern, der fast alle andern Sterne an Glanz übertrifft, und von dem Biele glauben,
daß er unserer Erde unter allen Sternen am nächsten stehe. Da ist die nörd-
liche Krone, eine Reihe von Sternen, die einen Kranz bilden, und von denen
Gemma besonders hervorglänzt. Da ist endlich der Orion, das schönste
Sternbild aiü Himmel, daö in den Wintermonaten besonders eine Zierde des
Sternenhimmels ist, und das ihr leicht an den drei in gerader Linie stehenden
Sternen erkennen werdet. Die Sternkundigen nennen sie den Gürtel des Orion,
unsere Landlcute aber den Jakobs stab.
Die merkwürdigste Erscheinung am Sternenhimmel bleibt die Milchstraße,
ein heller Streifen, der sich rings durch die ganze Himmelskugel zieht, und der
nach der Meinung der Sternkundigen nichts Anderes ist, als das vereinte Licht
vieler Millionen Sterne, die neben und hinter einander stehen.
Wird's nun Einem bei Betrachtung des Sternenhimmels nicht zu Muth,
als wenn jeder Stern sich ii; ein Sprüchlein verwandelte und in das Herz der
157
Menschen es senken wollte zur Lehre und zur Warnung? Rufen sic nicht, die
Sterne, den Menschen nämlich zu, wenn sie'S nur merken wollten:
Erstens: Deine Jahre währen für und für; du hast vorhin die Erde
gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk.
Zweitens: Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht
ein Gott, der ferne sei? Meinest du, daß sich Jemand heimlich verbergen könne,
daß ich ihn nicht sehe?
Drittens: Herr, du erforschest mich und kennest mich, und siehest alle meine
Wege.
Viertens: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und des Menschen
Sohn, daß du dick sein annimmst?
Fünftens: Und ob auch eine Mutter ihres Kindes vergäße, so will ich doch
deiner nicht vergessen, spricht der Herr.
Der Mond.
Der Leser wird nun begierig sein, auch etwas Neues von dem Monde zu
erfahren, der ihm des Nachts so oft nach Hause leuchtet.
Alle vier Wochen haben wir Neumond; da ist der Mond nirgends am Himmel .
zu sehen, und wer eS nicht besser wüßte, der könnte glauben, er hätte sich ganz
zur Ruhe gesetzt.
. Aber der Mond hat sein bestimmtes Gesetz, nach dem er seinen Lauf am
Himmel in 29 Tagen und etlichen Stunden vollenden muß, und so oft Neu-
mond eintritt, so oft hat er seinen Umlauf vollendet und rüstet sich wieder zu
einer neuen Reise.
Bald nach dem Neumonde sehen wir ihn zuerst des Abends am westlichen
Himmel in Gestalt einer schmalen Sichel, deren erleuchtete Seite gegen Abend
gerichtet ist. Dann steht der Mond also noch ganz nahe bei der Sonne und
geht darum auch bald nach ihr unter. Mit jedem folgenden Tage entfernt er
sich von ihr immer mehr gegen Osten; nach sieben Tagen und etlichen Stunden
steht er gerade im Süden, wenn die Sonne im Westen steht. Da hat er etwa
den vierten Theil seines Umlaufs vollendet und ist dabei auf der Westseite zur
Hälfte erleuchtet, und diese Lichtgestalt nennt man das erste Viertel.
Der Mond rükkt aber immer weiter nach Osten fort, und der erleuchtete
Theil desselben wird immer größer. Etwa vierzehn bis fünfzehn Tage nach dem
Neumond steht er der Sonne gerade gegenüber; das will sagen, der Mond steht
im Osten, wenn die Sonne im Westen steht. Da erscheint er unö alö eine
vollständig erleuchtete Scheibe und leuchtet uns als Vollmond die ganze Nackt
hindurch.
Gleich nach dem Vollmonde nimmt das Licht des Mondes auf der Westseite
ab, und etwa 7 Tage nach dem Vollmond ist er nur noch zur Hälfte erleuchtet;
die erleuchtete Seite aber ist jetzt nach Morgen gewendet. Um diese Zeit geht
der Mond um Mitternacht auf und ist also um 18 Stunden hinter der Sonne
158
zurükk. Dann hat er drei Vicrthcile seines Umlaufs vollendet, und ein Vierthcil
ist ihm noch übrig; darum nennt man diese Licktgestalt des Mondes das letzte
Viertel. Allmahlig nimmt der Mond wieder die Gestalt einer schmalen Sichel
an; er geht immer später, uänilich kurz vor der Sonne, auf, und nach wenigen
Tagen habe» wir wkederun! Neumond.
Nun sage mir Einer, wie das zugeht, daß der Mond sich in so verschiedenen
Gestalten zeigt. DaS wissen nur die Sternkundigen ganz genau zu sagen, und
ich will es hier erklären; wer sich dazu die nebenstehende Zcichu.ung ansieht, wird's
wohl verstehen.
Nämlich: der Mond ist ein kugelförmiger
Körper, der, gerade wie- unsere Erde, frei
im Welträume schwebt und dabei nach Gottes
Gesetz in einer bestimmten Bahn um unsere
Erde geht. An sich ist der Mond dunkel wie
unsere Erde; aber die Sonne wirft ihr Licht
auf den Mond, wie auf andere Weltkörper,
und der Mond wirft das Licht der Sonne
zurükk, wie eine Wand das Licht einer Gas-
flamme; das macht ihn uns sichtbar. Nun
wird allemal eine volle Hälfte der Mond-
kugel von der Sonne erleuchtet; weil aber der
Mond seine Stellung gegen die Erde ändert,
so sehen wir nicht immer gleich viel von
dieser erleuchteten Seite. Zur Zeit des Neu-
monds steht der Mond so zwischen unS und
der Sonne, daß er uns seine dunkle Seite
zukehrt; da ist also Nichts von ihm zu sehen.
Zur Zeit des Vollmondes steht der Mond
und die Sonne nach entgegengesetzter Rich-
tung, der Mond etwa im Osten und die
Sonne im Westen; da sehen wir also die
erleuchtete Seite deö Mondes ganz, und wir
wissen nun, woher er sein freundliches Licht
nimmt. Zur Zeit des ersten und des letzten
Viertels ist zwar auch eine ganze Hälfte
des Mondes erleuchtet; aber wir sehen von
dem erleuchteten Theile des Mondes nicht
mehr als die Hälfte. Kn>z vor und kurz
nach dem Neumonde sehen wir nur ein Stiikk
vom Rande der erleuchteten Mondhälfte, und
ich denke, eö lasse sich begreifen, daß solch
ein Stükk nicht anders aussieht, als eine
Sichel, oder fast wie ein großes lateinisches C,
So//ne.
159
das aber mancherlei Lagen am Himmel annimmt. Bei zunehmendem Monde
steht das CJ gerade umgekehrt, nämlich s), und die hohle Seite desselben füllt sich
allmählig mit Lichtglanz, bis es zuletzt eine kreisrunde Scheibe wird. Bei
abnehmendem Monde sieht eö zuletzt wie ein rechtschaffenes C’ aus; denn die
Finsterniß dringt von der Westseite immer tiefer in die volle Mondscheibe ein,
bis zuletzt Nichts weiter übrig bleibt, als der schmale Bogen, den wir C nennen.
Daran kann man also unterscheiden, ob wir zunehmenden oder abnehmenden Mond
haben. Kurz, bei zunehmendem Monde ist die westliche, bei abnehmendem Monde
die östliche Seite desselben erleuchtet.
Zur Zeit des Vollmonds steht die Erde zwischen der Sonne und dem Monde,
und der Schatten der Erde fällt nach derselben Gegend deö Himmels, wo auch
der Mond steht. Da kann es nun kommen, daß der Mond mitten durch dcu
Schatten der Erde hindurchgehe» muß, und dann ist eine Möndfinsterniß. Zur
Zeit des Neumondes hingegen befindet sich der Mond zwischen der Erde und
der Sonne, und da trifft es sich zuweilen, daß der Mond sich wie ein dunkler
Körper vor der Sonne vorbei schiebt. Das ist nun zwar eigentlich keine Ver-
finsterung der Sonne; sondern der Molid entzieht uns das Sonnenlicht nur etwa
so, wie ein unhöflicher Mensch, der sich zwischen uns und das brennende Licht
stellt; es ist aber doch einmal Sprachgebrauch, daß wir diese Erscheinung eine
Sonnenfinsternist nennen.
Es ist aber nicht bei jedem Vollmonde eine Möndfinsterniß und bei jedem
Neumonde eine Sonnenfinsterniß. Der Fall tritt nur selten ein; denn der Mond
steht bald hoch und bald niedrig, und so kommt rS, daß er beim Vollmonde nicht
immer durch den Schatten der Erde, und beim Neumonde nicht immer vor der
Sonne vorbeigeht. Die Erde, der Mond und die Sonne müssen in gerader Linie
stehen; sonst kann weder der Mond, noch die Sonne verfinstert werden. Zuweilen
trifft es sich, daß nur ein Stükk des Mondes sich in den Erdschatten eintaucht,
lind daS nennt man eine partiale Mondfinsternis;; oder auch, daß der Mond nur
ein Stükk von der Sonne verdekkt, und das nennt man eine partiale Svnncn-
sinsterniß. Ja, es kann auch kommen, daß der Mond nur den innern Raum der
Sonnenscheibe verdekkt, und der Rand der Sonne unverfinstert bleibt; diese
Erscheinung nennt man eine ringförmige Finsterniß.
Es wäre noch viel vom Monde zu sagen, wenn man LllleS glauben ^wollte,
was die Sternseher von ihm erzählen. So hat man mit Fernröhren hohe Berge
und tiefe Thäler im Monde gesehen und die Höhe der Berge an ihren Schatten
gemessen. Dies hat besonders ein Stcrnseher, Namens Schröter, gethan, und
er spricht, die höchsten Berge im Monde sollen 25000 Fuß hoch sein. Die
Meteorsteine aber, die hier und da aus der Luft fallen, sollen aus den feuer-
speienden Bergen des Mondes herkommen. DaS wäre nun nicht hübsch von dem
Monde, wenn er uns, die wir ihm Nichts zu Leide thun, mit Steinen bombar-
dirte; aber die Sach» ist auch noch " gar nicht erwiesen. Ist der Mond nicht
mindestens 50,000 Meilen entfernt? Welch eine Kraft müßte das fein, die da
hinreichte, einen Stein.aus dem Monde in den Bereich unserer Erde zu schleudern!
160
Wer sich von der Größe des. Mondes eine Vorstellung machen will, der merke .
sich Folgendes. Wer rund um die Erde, etwa auf dem Aequator, reisen will,
der hat 5400 Meilen zu machen; wer auf dem Monde die nämliche Reise machen
will, der kommt mit einem Wege von 1472 Meilen davon. Daraus hat man
denn weiter berechnet, daß der körperliche Inhalt deö Mondes nur den fünfzigsten
Theil der Erde betragt, das heißt, nian könnte ans der Erde 50 Kugeln anfertigen,
deren jede so groß wie der Mond wäre, wenn das anders in eines Menschen
Gewalt stände.
Die Planeten.
Man muß wissen, daß es zweierlei Sterne giebt. Denn so sehr sie alle,
groß und klein, in der größten Unordnung unter einander zu stehen scheinen, so
'behalten doch die meisten Jahr aus Jahr ein ihre nämliche Stellung gegen
einander, gehen Jahr aus Jahr ein in der nämlichen Ordnung mit und nach
einander auf iyit> unter; keiner kommt dem andern näher; keiner entfernt sich
von dem andern. Jeder von uns, der auch nur ein Gestern kennt, den Wagen
oder den Jakobsftab, der wird'S wissen. Wie die Sterne in seiner Jugend standen,
so stehen sie noch, und wo er sie im Sommer oder Winter, des Abends um 8 Uhr
oder in der Mitternacht zu finden wußte, dort findet er sie in der nämlichen
Jahreszeit wieder; und diese Sterne heißen First er ne (feste Sterne).
Nur mit sehr wenigen andern, welche man J rrsterne, (Wandelsterne)
oder Planeten nennt, hat cS eine andere Bewandniß. Diese behalten nicht
ihre gleichförmige Stellung gegen die andern. Wenn der Planet, Jupiter genannt,
heute Nacht zwischen zwei gewissen Sternen steht, so steht er von heute überö
Jahr nicht mehr zwischen den nämlichen, sondern an einem andern Orte. Es ist,
als ob diese Sterne zur Kurzweil bei den andern herumspaziertcn, ihnen gute
Nacht oder guten Morgen brächten und sich um die Zeit und Stunde nicht viel
bekümmerten. Aber sie haben ihre Ordnung so gut wie die übrigen, nur eine
andere. Die meisten von ihnen kennt jeder Leser aus dem Kalender. Diese
Planeten haben nun folgende Eigenschaften mit einander gemein.
1a Sie sind unter allen Sternen unserer Erde am nächsten, viel näher, alö
irgend ein Fixstern.
2. Sie bewegen sich in großen Kreisen und in ungleich langen Zeiten um
die Sonne, was die andern nicht thun. Und aus diesen Gründe» verändert sich
unaufhörlich ihre Stellung am Himmel.
3. Eö sind von Natur dunkle Weltkörper. Sic empfangen ihr Licht, wie
unsre Erde, von der Sonne. Waö wir die Nacht an ihnen glänzen sehen, ist
Sonnenschein, der wie aus einem Spiegel zu uns zurükkstrahlt. Jeder Planet
ist eine ungeheuer große Kugel, die sich immer und ohne Ruhe herumdreht. Nur
diejenige Hälfte, die alsdann gegen die Sonne steht, hat Licht; die andere ist finster.
Sie haben daher auch ihres Theiles Tag und Nacht.
161
4. Die Planeten stehen nicht immer in gleicher Entfernung und Richtung
gegen die Sonne. Sie haben daher, wie unsere Erde, verschiedene Jahreszeiten
in ihrer Art, Sommer und Winter.
Die Weltweisen haben entdekkt, dasi in dem unermeßlichen Weltraum und
unter den unzähligen Weltkugeln unsere Erde selber ein Planet sei, weil sie alle
Eigenschaften der andern Planeten hat; und wer auf einem andern Planeten
stände und aus einer Weite von Millionen Meilen nach der Erde schaute, dem
würde sie eben so als ein kleiner glänzender Stern erscheinen, wie nnS der
Abendstern erscheint.
Von den Planeten sind einige schon lange bekannt, nämlich:
Der Merkur; aber diesen wird Keiner so leicbt gesehen haben; denn er
umläuft die Sonne in einem kleinen Kreise und steht immer so nahe bei ihr,
daß er früh nur kurz vor ihr aufgeht, bald in beni anbrechenden Tage erblaßt
und am Abende bald nach ihr untergeht, und also nicht überall zu sehen ist. Er
ist ungefähr von der Sonne 8 Millionen Meilen entfernt. Ein Jahr währt auf
diesem Planeten nur 88 Tage; denn in so viel Zeit läuft er einmal um die
Sonne herum und vollendet seine Jahreszeiten. Dafür ist er auch einer von den
kleinen Planeten, sechözehnmal kleiner als die Erde.
Die Venns ist der zweite Planet, und diese» kennen wir alle unter einem
andern Name», als Abendster» und Morgenstern. Denn wenn sie auf ihrem
Laufe um die Sonne, welcher 224 Tage beträgt, gegen uns betrachtet, vorn an
der Sonne steht, so geht sic auch früh ein paar Stunden lang vor ihr auf, und
daö ist alsdann der schöne Morgenstern. Aber wenn sie zu einer andern
Zeit in ihrem Umlaufe so steht, daß sic erst nach der Sonne aufgehen kann, so
können wir, des Sonnenlichtes wegen, sie nicht mehr sehen. Unsichtbar folgt sie
den ganzen Tag der Sonne, wie ein Kind seiner Mutter, nach, und erst, wenn
die Sonne untergegangen ist, wenn auf der Erde die Lichter bald angezündet
werden und die Betglokken in der Dämmerung läuten, wird sic am Abendhimmel
sichtbar und heißt Abendstern. Dieser Stern ist der einzige unter allen, der
nicht nur auö der Ferne uns seinen Schimmer zeigt, sondern sogar einige Helle
auf der Erde verursacht und daher auch einigen Schatten wirft. Dies rührt von
der Nähe desselben her, die bisweilen nur 6 Millionen Meilen beträgt.
Merkur und Venus sind die zwei einzigen bekannten Planeten, welche zwischen
der Sonne und der Erde stehen. Der nächste Planet nach der Venus ist unsere
Erde selbst mit ihrem Beiläufer, dem Monde. Sie hat 5400 Meilen im Umfange,
ist 21 Millionen Meilen weit von der Sonne entfernt und bekommt doch von ihr
ein schönes Sonnenlicht und so kräftige Wärme. Sie läuft um die Sonne herum
in 305 Tagen und etwa 6 Stunden, und legt in dieser Zeit einen Raum von
mehr als 131 Millionen Meilen zurükk, ohne ein einziges Mal auszuruhen.
Was aber noch von der Erde zu sagen ist, und wie ihre Einwohner thäten, was
dem Herrn übel gefiel, siehe, das ist geschrieben in einem Buche, in der Bibel.
Nach der Erde kommt der wunderschöne Planetstern Mars, der nicht, wie
die andern, ein gelbes oder weißes, sondern ein röthlicheö Licht hat, als wenn
162
unaufhörlich ein großes Freudenfeuer dort brennt. Er erscheint uns, wie die
andern Planeten, nicht immer gleich, weil seine Weite von unö weg nicht immer
die nämliche ist. Er ist von der Sonne fast 32 Millionen Meilen weit entfernt,
und braucht doch nur 1 Jahr und 322 Tage zu seinem Umlaufe um dieselbe und
durchläuft in solcher Zeit eine Bahn von 200 Millionen Meilen. Dagegen ist
er fünfmal kleiner als die Erde.
Für den nächsten Planeten nach dem Mars hat man von den ältesten Zeiten
an bis vor nicht vielen Jahren den Jupiter gehalten, und war zwischen ihnen
lange kein anderer zu entdekken. Die Sternseher behaupteten aber herzhaft,
zwischen ihnen fehle einer, obgleich ihn noch kein sterblicher Mensch gesehen habe. —
Und wirklich, nachdem der berühmte Mann, Namens Herfchel, eine neue Art von
Fernrohren erfunden hatte, da hat man richtig zwischen Mars und Jupiter einen
neuen Planeten entdekkt. Da er aber so klein erschien, so meinte man, er sei nur
ein Stükk von einem Ganzen. Und diese Vermuthung scheint dadurch bestätigt
zu sein, 'daß man nachher noch 3 Sternlein, ungefähr in der gleichen Weite von
der Sonne, entdekkte. Diese vier Planeten heißen Vesta, Juno, Eereö und
Pallas.
Nun kommt um 108 Millionen Meilen von der Sonne weg der Jupiter,
1774 mal größer als die Erde, und der größte unter allen Planeten. In 12
Jahren geht er ein Mal um die Sonne, und um ihn selbst bewegen sich vier
Monde.
Der folgende Planet ist der Saturn, 10!) Millionen Meilen von der
Sonne entfernt. 20'/2 Jahre braucht er zu seiner Bahn um die Sonne. Da
er so gar weit von der Sonne entfernt ist, so muß das Licht dort 00 mal
schwächer sein, als bei uns, und muß Einer schon gute Augen habe», wenn er
dabei will eine Nadel einfädeln. Dafür aber hat er 8 Monde, die ihm seine
langen Nächte erheitern, und noch einen Ning, der doppelt ist.
Auf Saturn folgt der von Herschel 1781 entdekkte Uranus. Er ist 400
Millionen Meilen von der Sonne entfernt, und ein Jahr auf ihm dauert so
lange, als bei unö 84 Jahre. Wegen der großen Entfernung ist die Wirkung
der Sonne dort 301 mal schwächer, alö bei unö. Dagegen wird er von 0 Monden
erleuchtet.
Von den erwähnten Planeten war Vesta zuletzt entdekkt worden (1807).
Obgleich die Mittel zur Beobachtung unglaublich vervollkommt und die Nech-
nungen immer weiter geführt wurden, so wurde doch unsere Kenntniß deö Planeten-
systems nicht erweitert. Erft die Jahre von 1845 an sind wieder reich an
Entdekkungen gewesen.
Um und zwischen den 4 kleinen Planeten, zwischen Mars und Jupiter
entdekkte man noch folgende: Flora, Bietoria, Iris, Metiö, Hebe,
Parthenor, Afträa, Irene, Egeria, Eunomia, Hygiea.
Diese 11 Planeten bilden mit den 4 früher entdekkten die Gruppe der
Asteroiden oder Planetoiden, die also nun 15 Planeten umfaßt.
163
Eine andere, und zugleich eine der merkwürdigsten Entdekkungen hat zu einer
Erweiterung des Planetensystems nach außen geführt. Sie darf als ein Triumph
des menschlichen Geistes betrachtet werden, da sie nicht, gleich andern, ein Werk
des Zufalls, sondern daö Ergebniß wissenschaftlicher Forschung ist.
Hier eine kurze Erläuterung dessen.
Die Bewegungen aller Himmelskörper erfolgen nach bestimmten Gesetzen;
daher kann auch der Lauf derselben berechnet werden. Jene Bewegungen sind
aber eine Folge derjenigen Kraft, durch welche alle Masse, sei sie groß oder klein,
andere Masse aus weiter Ferne anzieht.
Die Fixsterne, so groß sie auch sein mögen, sind doch viel zu weit entfernt,
als daß sie auf unö wirken könnten. In unserem Sonnensysteme ist rö nur die
Sonne, deren Anziehungskraft alle Glieder an sie fesselt und, wirkten nicht andere
Kräfte entgegen, sie zu ihr hinreiße» würde.
Dagegen läßt aber diese anziehende Kraft die andern, kleinern Glieder des
Sonnensystems eine Störung auf einander üben und den Lauf derselben bald
beschleunigen, bald verzögern, wenn sie sich begegnen, d. h. neben einander fort-
laufen. Da die Astronomen die Masse der einzelnen Weltkörper kennen, durch
welche die Regelmäßigkeit des Laufs der Planeten gestört wird, so bringen sic
auch diese Störungen mit in Rechnung, und sie können sogar angeben, um wie
viel dieser oder jener Planet in seinem Laufe durch den Nachbar verzögert oder
beschleunigt wird.
Auf diese Weise waren die Bahnen aller '-Planeten berechnet. Und eö stimmte!
Nur an dem Uranus traf auch die genauste Berechnung nicht immer mit der
Beobachtung zusammen. An manchen Stellen war sein Lauf beschleunigt oder
verzögert, ohne daß der Grund hiervon sich im Saturn oder Jupiter nachweisen
ließ. Endlich fiel man darauf, es könne hinter Uranus noch ein anderer Planet
kreisen, der diese Störungen verursache. Der französische Astronom Le Verirr
stellte die genausten Untersuchungen an und konnte zuletzt ziemlich genau die
Stelle nachweisen, wo der unbekannte Störenfried stehen müsse, wenn er die
beobachtete Wirkung hervorbringen sollte. Diese Beobachtungen theilte er dem
an der Sternwarte zu Berlin angestellten Di-. Galle mit, und diesem gelang cS
bald, den vermutheten.Planeten, mit Hülfe ausgezeichneter Instrumente, nicht gar
weit von der durch Le Verter bezeichneten Stelle zu finden.
Man gab diesem Planeten den Namen Neptun. Er ist 620 Millionen
Meilen von der Sonne entfernt und braucht 1633/4 Jahre zu seinem Umlaufe,
Wir kennen also bis jetzt 23 Planeten mit 21 Monden. Der Reihe nach
von der Sonne gerechnet, heißen sie:
Merkur, Venus, Erde mit 1 Monde, Mars, Flora, Victoria,
Vesta, Iris, Metis, Hebe, Parthenor, Asträa, Irene, Egeria,
Gunomia, Juno, Ceres, Pallas, Hygiea, Jupiter mit 4, Saturn
mit 8, Uranus mit 6 und Neptun mit 2 Monden.
164
Die Kometen.
Jetzt kommen wir zu den Kometsternen, von denen schon mehr als 400 seit
undenklichen Zeiten cntdekkt und beobachtet worden sind.
Ein solcher Kometstern ist nun allemal eine sehr merkwürdige Erscheinung,
wenn er so auf einmal unangemeldet am Himmel sichtbar wird und dasteht und
sagt kein Wort, zumal ein solcher, wie im Jahre 1680, der viermal so groß
schien, als der Abendstern, oder 146 Jahre v. Chr. Geb., der großer soll ausge-
sehen haben, als die Sonne, oder im Jahre 1769, dessen Schweif durch den vierten
Theil des Himmels reichte, oder wenn zwei zugleich erscheinen, was auch schon
geschehen ist. Eö ist alsdann allemal, als wenn der liebe Gott einen Sternseher
also anredete: „Meinst du, daß du jetzt fertig seist und die Sterne des Himmels
alle kennest? Siche, da ist auch noch einer, den du noch nicht gesehen hast, und
wirst jetzt nicht recht wissen, was du daraus machen sollst." Andere Leute schauen
daS Wundergestern auch mit Begierde und Staunen an, und die Mutter zeigt es
ihrem Kinde und sagt: „Sich, wie wunderbar die göttliche Allmacht ist!"
Solche Kometen nun sind einander nicht alle gleich; auch der nämliche, so
lange man ihn beobachten kann, verändert oft sein Aussehen; sie sind bald heller,
bald trüber, bald großer, bald kleiner, rund und ekkig, näher oder weiter von uns
entfernt. Der Komet im Jahre 1770 war doch um 13 Mal größer, als der
Mond, obgleich man ihn wegen der weiten Entfernung hier zu Lande nicht dafür
angesehen hat. Einer im Jahre 1680 war 190 Mal näher bei der Sonne, als
die Erde bei ihr ist. Einer im Jahre 1770 war 7 Mal weiter von der Erde
weg, als der Mond. Einige sind so weit entfernt oder so klein, daß sie die
Sternseher nur mit Perspektiven entdekken können; andere kann man ohne Zweifel
gar nicht sehen, weil sie zu weit entfernt sind oder bei Tage am Himmel stehen.
Die Kometsterne haben viel AehnlicheS mit den Planeten und drehen sich
eben so, wie sie, um die Sonne herum. Aber sie sind auch wieder sehr von den
Planeten verschieden. Sie werden nur selten sichtbar — sie haben keine so feste
und kernhafte Masse, als die Erde oder die Planeten — sie sind mit einem schönen,
leuchtenden Schweif geziert. — Sie bedeuten ein großes Unglükk.
Sage Erstens: Sie erscheinen viel seltener, als die Planeten, die alle Tage
am Himmel auf- und untergehen; denn sie sind nicht immer so nahe bei der
Sonne oder bei uns, wie die Planeten. Nein, sondern sie sind rechte Nachtläufer
und scheuen sich nicht, in die Fremde zu gehen, wie manches Mutterkind sich
scheut. Wenn so ein Stern einmal um die Sonne herum ist und hat sich an
ihr erwärmt und einen kräftigen Sommer gehabt, so zieht er in einer langen
Linie hinweg und in seinen Winter hinaus; weiß Niemand, wohin. Wenn er
alsdann 30 oder 100 oder viele hundert Jahre lang immer weiter und weiter
hinweggezogen ist, und es fällt ihm ein, so kehrt er wieder um, damit er sich
wieder einmal an der lieben Sonne recht erwärmen kann, und braucht wieder
eben so viel Zeit zu seiner Herreise, und selten Einer, der ihn zum ersten Mal
gesehen hat, wartet's ab, bis er wiederkommt, sondern legt sich schlafen und
165
bekümmert sich nachher nicht mehr darum. Es ist aufgeschrieben, daß ein Kämet
im Jahre 1456, einer im Jahre 1531, einer im Jahre 1607, einer im Jahre
1682 gestanden sei. Weil nun immer von einer Zeit zur andern ein Zwischen-
raum von ungefähr 76 Jahren, etwas mehr oder weniger, verflossen war, so
behauptete ein gelehrter Mann, NamenS Halley, eö sei allemal der nämliche
gewesen, und er müßte längstens bis 1759 wiederkommen, was auch richtig
geschehen ist; und so ist er alich im Jahre 1836 wieder erschienen. Eben so
behauptete ein anderer Gelehrter, der Komet von 1552 und 1661 sei der nämliche
und müsse daher im Jahr 1720 wiederkommen; ist aber doch ausgeblieben.
Sage Zweitens: Der Komet hat keine so feste Masse, wie die Erde oder ein
anderer Planet. Einige sehen auö, wie ein bloßer Dunst, also daß man durch
sie hindurch die andern Sterulci» will sehen können, die hinter ihnen stehen.
Andere sind zwar schon etwas dichter, haben aber doch das Ansehen, als wenn
nicht Alles daran an einander hinge, sondern viele leere Zwischenräume da wären.
Einige Gelehrten wollen jedoch behaupten, daß ein solcher Komet auf seiner langen
Reise, wenn ihm auf dem Wege kein Unglükk begegnet, immer dichter werden
und zulegt die völlige Natur und Eigenschaft eines Planeten annehmen könne.
Unsere Erde könne wohl auch einmal eine Dunstkugel von vielen 1000 Meilen
im Umfange gewesen sei» ; hernach sei sie immer wässriger geworden; dann habe
sich das feste Land angesetzt; das Land und das Wasser habe sich geschieden, und
sei zuletzt das daraus geworden, was sie jetzt ist.
Sage Drittens: Die Kometsterne sind mit einem schönen leuchtenden Schweife
geziert, aber nicht alle. Einige zum Beispiel haben rings um sich bloß einen
Strahlenschein, als wenn sie mit leuchtenden Haaren eingefaßt wären, wie in den
großen Bibeln die Köpfe der heiligen Evangelisten Und Apostel aussehen, und
Johannes des Täufers. Hat aber ein solcher Stern einen Schweif, so hat er
allemal das Ansehen eines Dunstes, der von Strahlen erhellt ist. Man kaun
hinter ihm immer die Sterne sehe», an denen er vorbeizieht; er ist immer etwas
gebogener, wird bald größer, bald kleiner, heller und bleicher. Er ist nie auf der
Seite des Kometen, die gegen die Sonne steht, sondern allemal auf der entgegen-
gesetzten. Sonst weiß man noch nicht für gewiß, was für eine Bewandniß es
mit ihm hat. Vielleicht ist es nur der Schein von Sonnenstrahlen, die durch den
dunstigen oder wässrigen Kometen hindurchfallen.
Sage Viertens: Der Komet bedeutet ein Unglükk. Man darf sicher darauf
rechnen, entweder es entsteht innerhalb Jahresfrist ein Krieg, oder ein Erdbeben,
oder cs gehen ganze Städte und Königreiche unter, oder es stirbt ein mächtiger
Monarch, oder geschieht sonst Etwas, woran Niemand eine Freude haben kann.
Dies ist aber nicht so zu verstehen, als wenn der Komet das Unglükk herbei zöge
oder deswegen erschiene, um wie ein Postreiter eS anzuzeigen. Nein, der Komet
weiß Nichts von uns. Er kommt, wenn seine Stunde da ist. Man kaun ihn
auf den andern Planeten eben so gut sehen, als auf der Erde. Wir aber da
unten, mit unsern Leiden und Frkuden, mit unsern Herzen voll Furcht und Hoff-
nung, mit unsern Lustgärten und Kirchhöfen, sind in Gottes Hand. Allein es
12
166
geschieht auf dem weiten Erdenrunde irgend wo, diesseits oder jenseits des Meeres,
alle Jahre so gewiß ein großes Unglükk, daß diejenigen, welche aus einem
Propheten etwas Schlimmes prophezeien, gewonnen Spiel haben. .Gerade als
wenn ein schlauer Gesell in einem großen Dorfe oder Marktflekken in der Neu-
jahrsnacht auf der Straße stände und nach den Sternen schaute und sagte: „Ich
sehe kuriose Sachen da oben; dieses Jahr stirbt Jemand im Dorfe." Der geneigte
Leser darf nur an die letzten 20 Jahre zurükkdenken: wenn alle Jahre ein anderer
Komet, ja 6 auf einmal am Himmel erschienen wären, eö hätte keiner von ihnen
mit Schimpf bestanden.
So viel von den Kometen.
Die Lust.
Wie das feste Liitul vom Wasser umfluthet wird, so umgiebt die Luft den
ganzen Erdball. Wir nennen sie die atmosphärische Luft, weil sie die
Atmosphäre (den Dunstkreis oder Lustkreis) erfüllt. Die Lust ist
eine elastische Flüssigkeit; denn sie kann in einem eingeschlossenen Kaum
beträchtlich zusammengedrükkt werden, so dass sic einen weit geringeren Raum
einnimmt, als vorher. Sobald aber dieser äussere Drukk wieder aufhört, dehnt
sich die Luft wieder aus, bis sie den vorigen Kaum wieder einnimmt; sic heisst
desshalb auch ausdehnbar. Diese-beiden Eigenschaften der Lust nimmt man
wahr, wenn man ein leeres Glas, mit der Mündung nach unten, senkrecht in
ein Gelass mit Wasser taucht.
Die Lust ist ferner schwer; sie drükkt auf die Körper. Dieser Drukk
geschieht aber von allen Seiten, nicht bloss nach unten oder seitwärts, sondern
auch aufwärts. Ein Beispiel hierzu liefert der S t e c h h e b e r.
Je stärker die Lust zusammengedrükkt wird, um so dichter wird sie, und
mit ihrer Dichtigkeit nimmt in gleichem Masse ihr Bestreben, sich wieder aus-
zudehnen, zu. Da aber die oberen Lustschichten auf die unteren drükken, so
werden diese zusammengepresst, und daher folgt aus diesen beiden Eigenschaften,
der Elasticität und der Schwere, dass die Atmosphäre in ihren unteren Schichten,
dem Erdboden nahe, weit dichter und mithin bei gleichen Räumen weit schwerer
sein müsse, als in den höheren Scliichten. Gewöhnlich nimmt man die Höhe der
Atmosphäre zu 9 —10 Meilen an; aber schon in einer -Höhe von drei Meilen
ist ihre Dichtigkeit höchst unbeträchtlich. Von den Veränderungen in der Elasti-
cität, der Schwere und der Wärme der Lust hängt die Beschaffenheit der
Witterung ab. - ,
Diese atmosphärische Lust ist aber kein einfacher Körper oder Element,
wie man früher meinte, sondern ein Gemenge, in welchem man zwei Haupt-
bestandtheile erkennt. Der eine derselben, das Saucrstoffgas (Oxygen)
ist zum Leben der Thiere und Pflanzen nothwendig; denn ohne Sauerstoff wäre
kein Athmen möglich. Schon eine geringe Abnahme, welche die Lust an Sauer-
stoff erleidet, macht das Athmen beschwerlich, den Körper träge und schwächt
167
die Heiterkeit des Geistes. Die grausenvollc Geschichte der schwarzen Holde in
Bengalen in Ostindien liefert ein schrckklichcs Beispiel, wie nachtheilig der
Abgang von Sauerstoff auf den Menschen wirkt. In diese berüchtigte Höhle,
ein unterirdisches, 18' 1. und 11' br., nur mit 2 kleinen, doppelt vergitterten
Fenstern versehenes Gcfängniss, wurden im Juni 1756 einhundert sechs und
vierzig Engländer eingesperrt. Von diesen starben in einer Nacht 123, und
daran war der Mangel an frischer Lust schuld.
Jeder brennbare Körper verbrennt im Sauerstoff mit ungleich grösserer
Schnelle und Heftigkeit, als in der gemeinen Lust, und selbst Körper, die in der
gemeinen Lust bloss glühen, wie Stahlfedern, verbrennen im Sauerstoffgas mit
dem glänzendsten Lieht.
Der andere Bestandtheil der atmosphärischen Lust ist der StikkStoff
(Azot); er vermag nicht das Athmen der Thiere zu unterhalten, sondern wirkt
erstikkend; eine Flamme erlischt darin augenblikklich, als ob sic in Wasser
getaucht würde; und er bewirkt «laher, dass in der gemeinen Lust das Athmen
und Brennen mit geringerer Lebhaftigkeit vor sich geht, als wenn dieselbe aus
reinem Sauerstoffgase bestände. —
Diese beiden Gase sind in der atmosphärischen Lust in dem Verhiiltniss mit
einander gemengt, dass, wenn man einen gewissen Kaum Lust untersucht, stets
21 Theile vom Sauerstoff, und 79 Theile vom Stikkstoff eingenommen werden.
Dieses' Verhiiltniss ist merkwürdiger Weise überall auf der Erde fast unver-
änderlich dasselbe.
Ausserdem findet sich noch eine ganz geringe Menge, fast nur ein Tausendstel
jenes Raumes, Kohlensäure darin. Dies ist eine schwere Lustart, die u. a.
durch Verbrennen von Kohlen erzeugt wird.
Endlich findet sich noch Wasserstoffgas, oder brennbare Lust, aber in
ganz veränderlicher Menge, je nachdem die Lust wärmer oder kälter ist, über
dem Meere oder auf trokknen Ebenen ruht, in der gemeinen Lust. Diese Lustart
ist 13— 14 mal leichter, als die atmosphärische Lust, und wird daher zu Luft-
bällen gebraucht.
Sehr ähnlich ist diesem Gase das sogenannte Grubengas, bei dein auf
einen Theil Kohlenstoff vier Theile Wasserstoff kommen, und das sich haupt-
sächlich in Bergwerken und aus faulenden Körpern entwikkelt. Hat sich mit
ihm atmosphärische Lust gemengt, und wird es durch ein Feuer berührt, so
bewirkt es eine heftige Explosion. Wie wichtig für die Bergleute ist daher nicht
Davy’s Siehcrheitslnmpe (1815). Ihre Einrichtung gründet sich auf die
Erfahrung, dass keine Flamme durch ein enges Drahtgewebe schlägt.
Die Lufthülle.
Die Erfinder der Luftschifffahrt sind Stephan und Jos cphMontgolfier.
Bekannt mit dem allgemeinen Naturgesetz, dass das Leichte immer oben
schwimmt, kamen sic 1783 auf den Gedanken, einen leichten Ball von Taffcnt,
12*
168
welcher durch brennendes Papier und Stroh inwendig erhitzt ward, steigen zu
lassen. Spätere Versuche der Art haben aber gezeigt, dass diese Methode
höchst gefährlich ist, indem der Ballon leicht in Brand geräth. Pi lat re de
Rozier war der Erste, welcher es schon im Jahre 1783 wagte, selbst mit
aufzusteigen. Bei einem späteren Versuche aber, als er über den Kanal zwischen
Frankreich und England segeln wollte, geriet!» seine Maschine in Brand, und er
stürzte mit seinem Begleiter Romain todt auf die Erde herab.
Seitdem sind die Montgolfierschcn Lufthülle allmülig ganz ausser Gebrauch
gekommen.
Die jetzige Art der Lufthülle ist eine Erfindung des Professors Charles
zu Paris. Er füllte seinen Ball mit Wasserstofsgas, das, wie früher schon
erwähnt, 14 mal leichter, als ¡atmosphärische Lust ist, und am leichtesten dadurch
gewonnen wird, dass man mit Wasser verdünnte Schwefelsäure (Vitriolöl) auf
Eisenfeilspähne, oder noch besser, auf zcrstossencs Zink giesst. Der Ball ist nun
um Vieles leichter, als die gemeine Lust, die er verdrängt, und muss also
steigen. Sollen Menschen mit aufsteigen, so wird ein Netz über den Ballon
geworfen, woran eine Gondel befestigt wird.
Man füllt den Ballon aber nur etwa zu 2/» mit brennbarer Lust, weil in
den höhen» Schichten der Atmosphäre die Luft weniger auf den Ball driikkt
und die eingeschlossene Lust sich also ausdehnt, ihn aber unfehlbar zersprengen
würde, wäre er gleich anfangs ganz gefüllt worden, Weil aber auch so noch
diese Gefahr vorhanden ist, so bringt man oben an den Ballon ein Ventil oder
eine Klappe an, welche, durch eine Feder zugehalten, durch eine herabhängende
Schnur von dom Lustschisscr geöffnet werden kann, wenn er sieht, dass der
Ball sich zu stark ausdehnt. Auch ist das Ocffnen der Klappe ein Mittel,
wodurch er sich nach Belieben wieder herablassen kann. Um aber auch das
Steigen mehr in seiner Gewalt zu haben, nimmt der Lustschisser mehrere mit
Sand gefüllte Siikkc mit; so wie er einen davon ausschüttet, wird das Ganze
erleichtert, und der Ball steigt wieder. Dass der Ballon sich nicht in einen See,
auf einen dichten Wald u. s. w. senke, dies wird durch neues Auswerfen von
Ballast verhindert, um dem Ball Zeit zu geben, vom Winde weiter getrieben zu
werden.
Um aber endlich gegen jeden möglichen Unfall gesichert zu sein, nimmt
man gewöhnlich einen Fallschirm mit, ein Instrument, welches einige Ähnlich-
keit mit einem gewöhnlichen Schirme hat, nur dass es wohl 20 Fuss im Durch-
messer halten muss, um einen Menschen langsam zur Erde zu tragen, und dass
von den Rändern des Schirmes sich Strikke in einen gemeinschaftlichen Mittel-
punkt vereinigen, in welchem der Mensch seinen Platz nimmt.
Ein grosser Nutzen hat sich aber bis jetzt aus der Luftschifffahrt noch
nicht erzielen lassen. Die Aufmerksamkeit auf den Ballon selbst, so wie die
grosse Kälte in den höheren Gegenden der Atmosphäre haben wissenschaftliche
Lustschiffer an zahlreichen Versuchen und Beobachtungen bis jetzt gehindert.
Auch im Kriege, wo man sich anfänglich so viel von seinem Gebrauche zur
169
Beobachtung der Feinde versprach, hat er wenig geleistet, weil er ein unsicheres
Spiel der Winde ist. Dennoch bietet er das einzige Mittel dar, um von der
Beschaffenheit der Luftschichten in grossen Höhen und fern von Gebirgen
Kcnntniss zu erlangen.
Die Erscheinungen iin Luftkreise.
Wenn man die Erscheinungen im Luftkreise begreifen will, so muss man
sieh vor allen Dingen begreiflich machen, welche Bewandniss es mit der Aus-
dünstung der Körper hat. Unter Dünsten versteht man alle diejenigen Stoffe,
welche eine lustförmige Gestalt annehmen, und sich mit der atmosphärischen
Lust vermischen. Ein Körper dunstet aus, wenn er sich ganz oder theilweiso
in Dünste verwandelt.
Dass alles Wasser ausdünstet, lehrt uns eine bekannte Erfahrung. Wenn
man Wasser in einem Gelasse der freien Lust aussetzt, so wird man bald
gewahr, dass es sich merklich vermindert. Wenn der Erdboden nach einem
Regengüsse auch noch so stark durchnässt ist, so wird er doch bald wieder
trokken. Ein Stükk Eis, das man im Freien bei strenger Kälte aufhängt, verliert
nach und nach einen Theil seines Gewichtes. Dies Alles sind schlagende Beweise
für die Verdunstung des Wassers.
Wenn nun das Wasser auf der Erde fortwährend verdunstet, so muss die
Lust beständig mit Wasserdünsten angefüllt sein. Eine gewisse Menge von
Wasserdunst kann die Lust in sich aufnehmen, ohne dass man ihr irgend eine
Feuchtigkeit anmerkt; wie viel jedoch, das hängt von der jedesmaligen Wärme
der Luft ab. Wird diese Wärme durch irgend einen Umstand plötzlich ver-
mindert, so schlägt ein Theil des Wasserdunstes sich nieder, d. h. der Wasser-
dunst wird wieder zu Wasser, und die Lust, die vorhin trokken war, erscheint
uns feucht und immer feuchter, je mehr sich der Wasserdunst niederschlägt.
Kommt die Lust nur an einzelnen Stellen mit einem kalten Körper in Berührung,
so setzt sie an diesen einen Theil ihres Wasserdunstes ab, ohne dass sonst
eine merkliche Veränderung in ihr vorgeht.
Man scheidet gewöhnlich die Lusterscheinungen in wässerige, feurige
und glänzende, Zu der ersten Abtheilung gehören: Nebel, Wolken, liegen,
Thau, Reif, Schnee, Hagel; zu der zweiten: das Gewitter, die Sternschnuppen,
das Wetterlicht, das Nordlicht u. a.; zur dritten: der Regenbogen, die Höfe
um Sonne und Mond, Nebensonnen und Nebenmonde, die Morgen- und
Abenddämmerung.
Wenn der Wasserdunst, der in der Luft schwebt, wieder in den tropfbar-
flüssigen Zustand übergeht, so verwandelt er sich zuerst in Nebel und Wolken.
Der Nebel besteht aus einer Menge sehr kleiner Wasserbläschen, die frei in
der Luft schweben, und deren Schwere daher äusserst gering sein muss. Nebel
entsteht, wenn die Ausdünstungen der unteren Luftschicht in eine kältere Luft-
schicht aufsteigen und hier zu Wasser verdichtet werden, Der Dampf, der an
170
einem kalten Frühlings- oder Herbstmorgen über Flüssen und Seeon oder
Sümpfen liegt, oder an einzelnen Stellen der Wälder, vornehmlich nach einem
Gewitter, aufsteigt, ist nichts anders, als ein örtlicher Nebel, der aus dem ver-
dunstenden Wasser entsteht. Von grösserer Ausdehnung sind die Frühlings-
und Herbstnebel, die sich fast regelmässig vor Sonnenaufgang einstellen, und
erst im Verlauf des Vormittags sieh wieder verlieren. Es ist bekannt, dass auf
das Fallen solcher Nebel sieh gewöhnlich heiteres Wetter einstellt. Auf das
Steigen des Nebels folgt meist trüber Himmel und bald darauf liegen. In den
kalten Gegenden, besonders aber in den Ländern am Meer, entstehen oft auch
mitten im Sommer sehr starke Nebel.
An sich besteht der Nebel aus reinem Wasser und ist daher auch der
Gesundheit nicht nachtheilig. Oft aber sind dem Nebel noch fremde Bestand-
theile beigemischt, die sieh schon in seinem widrigen, oft schwcfelartigen Geruch
verrathen. Solche Nebel sind ungesund für Menschen und Thiere, und selbst
auf die Pflanzen äussern sie einen nachtheiligen Einfluss.
Woher der trokkne Nebel, der sogenannte Heerrnuch oder Höhenrauch,
entstehen mag, darüber sind die Naturforscher nicht einig. Den stärksten und
merkwürdigsten Heerrauch beobachtete man im Jahre 1783. Die Sonne erschien
am Tage blutroth; um die Zeit des Auf- und Untergangs verbarg sie sieh
ganz in Nebel. Man beobachtete ihn zuerst in Kopenhagen; um die Mitte
des Juni zeigte er sich fast in allen Gegenden von Europa auf ein Mal. Er
währte bis zum August. In dem Jahre 1783 erfolgten auf der Insel Island
mehrere Erdbrände und ein Ausbruch mehrerer feuerspeienden Berge; um
dieselbe Z it fand auch in Kalabrien, einer Provinz im südlichen Italien, ein
Erdbeben statt. Man nimmt an, dass der Heerrauch des genannten Jahres mit
diesen Erscheinungen in Verbindung gestanden habe, und meint, dass bei jedem
Erdbeben und bei jedem Erdbrand ein rauchartiger Dunst aus der Erdrinde
hervorbreche. _ _ ______
Was der Nebel in den unteren Luftschichten, das sind die Wolken in den
oberen, Wolken, die auf der Oberfläche der Erde liegen, heissen Nebel, und
Nebel, der in den hohem Luftschichten schwebt, nennen wir Wolken.
Die Höhe der Wolken ist sehr ungleich. Einige stehen vielleicht kaum
1000 Fuss hoch über der Oberfläche der Erde, und in Gebirgsgegenden trifft
es sieh oft, dass man beim Hinaufsteigen mitten durch eine Wolke hindurch
gehen muss. Die Gewitterwolken haben in der Kegel keine bedeutende Höhe.
Auf dem Brokken z. B. und auf der Schncckoppe sieht man zuweilen ein
Gewitter zu seinen Füssen, während auf der Spitze des Berges Sonnenschein
und heiterer Himmel ist. Dagegen erheben sich die höchsten Wolken gewiss
3000 Fuss über die Erde; eine genaue Messung ist bis jetzt noch nicht möglich
gewesen.
Nach der Gestalt der Wolken unterscheidet man: Federwolken, Haufen-
wolken und Schichtwolken als die drei Ilauptformcn. Die Federwolken bilden
171
sich in den höchsten Luftschichten und huben ihren Namen von der Aehnlichkcit
mit einer Flaumfeder oder einem Flökkchcn Wolle; die Haufenwolken, deren
untere Fläche meist gerade, und deren obere Fläche gewölbt ist, bilden sich in
den heissen Sommertagcn aus einer Menge kleinerer Wolken, und verlieren sich
gewöhnlich bei abnehmender Hitze. Die Schichtwolken bilden sich in den
unteren Schichten der Lust und gleichen oft einer Mauer oder einem fernen
Gebirge.
Die sogenannten Schäfchen oder Lämmerwolken, die kleinen, runden, oft
regelmässig geordneten Wölkchen, die hoch am Himmel einen gar lieblichen
Anblikk gewähren, gelten allgemein als Anzeigen einer warmen und heiteren
Witterung. Einzelne Federwolken nehmen zuweilen die Gestalt eines grossen,
in breite Aesto auslaufenden Baumes an, und werden von den Landleuten
Wetterbäume genannt. Ks bestätigt sich aber nicht, dass ein Wetterbaum
Sturm oder Hegen, oder sonst eine Veränderung des Wetters anzeige.
Wenn die Dunstbläschen der Wolken sieh in tropfbar - flüssiges Wasser
verwandeln, so fallen sie als Regen zur Erde herab. Die Regentropfen nehmen
immer die Gestalt einer Kugel an. Die Grösse der Regentropfen ist sehr ver-
schieden ; die grössten fallen bei einem Gewitterregen. Je dichter sie fallen,
desto leichter vereinigen sich mehrere Tropfen, und so ist es natürlich, dass bei
einem Gewitter auch stärkere Tropfen fallen.
Die Regentropfen fallen selten in senkrechter, sondern mehrentheils in
schräger Richtung zur Erde; das kommt theils vom Winde, theils aber auch
von der Bewegung der Wolken her. Der Wind, der die Regenwolken immer
seitwärts treibt, vermindert auch wohl die Schnelligkeit, mit der sie herabfallen.
Man theilt den Regen nach mancherlei Rükksichtcn ein. Sieht man auf
die Grösse der Tropfen, so unterscheidet man ausser dem gewöhnlichen,
massigen Regen noch Staub- und Platzregen, Der Staubregen besteht aus gar
feinen Tropfen, und lallt aus einer ruhigen Wolkenschicht und bei ruhiger Lust
fast unmerklieh zur Erde. Der Platzregen unterscheidet sieh von dem gewöhn-
lichen Regen durch die Grosse und Menge der Tropfen und durch die Heftigkeit,
mit der sie zur Erde fallen. Ein Platzregen von einer halben Stunde giebt oft
eine unglaubliche Menge Wassers. Zuweilen geht der Platzregen sogar in
einen Wolkenbruch über, bei dem der Regen nicht tropfenweise, sondern strom-
weise, in zusammenhängenden Massen herabfällt. Der Platzregen kommt
gewöhnlich bei oder nach einem Gewitter, und mau glaubt, dass bei jedem
Platzregen auch Gewitterstoff wirksam sei. Deshalb nennen die Landleute den
Platzregen auch ein stilles Gewitter.
In Rükksicht auf den Raum, über den sich der Regen verbreitet, unter-
scheidet man Strichregen und Landregen.
Es giebt Länder auf der Erde, wo es fast gar nicht regnet, z. B. Egypten
und Persien. In Egypten müssen die Ueberschwemmungen des Nils, in Persien
muss ein reiclüioher Thau die Stelle des Regens ersetzen. In den Ländern
172
zwischen den Wendekreisen giebt es nur zwei Jahreszeiten, eine nasse und eine
trokkene. Die Regenzeit, welche dort mehrere Wochen anhält, vertritt die
Stelle des Winters nur insofern, als sie das Land befeuchtet und abkühlt; sic
fällt aber gerade in den Zeitpunkt, wo die Sonne am höchsten steht, und wird
daher selir uneigentlich Winter genannt.
Die hellen Tropfen, die man im Sommer des Morgens an allen Grashalmen
wahrnimmt, und die im Sonnenlichte glänzen, als wären cs die köstlichsten
Edelsteine, nennt man Thau. Ihn saugt die Pflanze während der Nacht
gleichsam aus der Lust ein. Es ist Wasserdunst, den die Lust nur deshalb an
die Pflanze absetzt, weil der Erdboden, und vornehmlich die Pflanze, viel kälter,
als die Luft ist. Wer des Abends nach einem warmen Tage nach Hause
zurükkkehrt, dem erregt der Abendthau ein Gefühl von Feuchtigkeit, das gar
nicht behaglich ist, und wenn der Weg durch eine Wiese oder durch ein
Kornfeld führt, so wird man es an den Kleidern und Schuhen gewahr, wie
reichlich sich der Thau schon auf die Pflanzen gelagert hat.
Der sogenannte Honig- oder Mehlthau hat mit dem Thau, von welchem
wir reden, nicht das mindeste zu schassen; er kommt nicht aus der Lust, wie
der Thau und der Regen, sondern erzeugt sich auf der Pflanze selbst, auf der
er gefunden wird. Der Honigthau ist ein klebriger Saft, den die Pflanze selbst
ausschwitzt, und der vielleicht noch durch mancherlei Insekten vermehrt wird.
Auch erzeugen sieh besonders in jener klebrigen Masse unzählige Insekten, die
wie ein mehlreicher Staub alle Blätter bedekken, und die eben deshalb Mchlthau
genannt werden.
Grosse Aehnlichkcit mit dem Thau hat das Beschlagen und Gefrieren der
Fenster und die Erscheinung, die man das Ausschlagen der Wände nennt. In
der warmen Stubenlust schwebt zu jeder Zeit eine Menge von Wasserdunst; da
nun, wo die Stubenluft mit den kalten Fensterscheiben in Berührung kommt,
schlägt sich der Wasserdunst nieder und bedekkt die Fensterscheiben mit einer
thauähnlichen Feuchtigkeit. Ist die Kälte sehr bedeutend, so gefriert der nieder-
geschlagene Wasserdunst und bildet oft gar unmuthige Blumen und Blätter.
Am leichtesten und am stärksten beschlagen die Fenster in den Schlafstuben,
weil da die Stubenluft am meisten mit Dünsten erfüllt ist; in einem unbewohnten
Zimmer beschlagen die Fenster nur wenig.
Das Beschlagen der Wände erfolgt mehrentheils nach einem strengen
Winter, wenn die Frühlingswärme zuerst in die Zimmer dringt. Die Mauern
der Gebäude überziehen sich mit einer weissen, reisartigen Rinde, und man
meint, das sei die Kälte, die aus den Mauern hervordringe. Das ist aber eine
unrichtige Vorstellung; denn jene reifähnliche Rinde kommt nicht aus dem
Innern der Wände; sic ist der Wasserdunst, der an die Mauern sich ansetzt
und durch die Kälte derselben in Eis verwandelt wird,
173
Der Reif ist nichts Anderes, als gefromer Thau oder Nebel. Selbst der
Athem erscheint in der Kälte nebelartig, und in noch kälterer Witterung als
Reif, wenn sich die ausgehauchten Dunsttheile an Kleidungsstükken schnceartig
anhängen.
Wenn die Wassertheilchen einer Wolke gefrieren, so entsteht der Schnee.
Sind Wind und Kälte äusserst heftig, so fällt Staubschnee, wie kleine Nadeln
gestaltet, der durch die engsten Ritzen der Gebäude dringt. Solcher Schnee,
auch Puderschnee genannt, fällt in Lappland und in Nordamerika oft in
beträchtlicher Menge 4 — 5 Fuss hoch. Nord- und Ostwind bringen auch uns
bisweilen sehr feinen Schnee. Bei ziemlich grosser Kälte fällt feiner Schnee,
der aus lauter kleinen, feinen, sechsekkigen Sternchen besteht. Im Mittelpunkt
dieses Sternchens ist bisweilen ein hohles Bläschen, bisweilen ein fester Kern.
An dem Flokkenschnee ist der sechsspitzige Kern ebenfalls die Hauptfigur; aber
die Hauptstrahlen sind entweder an ihren Enden mit feinen Nebenstrahlen ver-
sehen, oder sie haben in ihrer ganzen Länge zu beiden Seiten Fäden, die mit
den Theilen des Bartes einer Feder zu vergleichen sind. Die Flokkon, welche
zu einer Zeit fallen, sind ziemlich gleich gestaltet und von derselben Grösse;
aber zu einer andern Zeit sind sie wieder von einer andern Form, und grösser
oder kleiner.
Der Schnee ist dem Landmann auf eine doppelte Weise willkommen. Er
dient, wie der Regen, zur Befruchtung des Landes, und er schützt zugleich die
Gewächse gegen den Winterfrost. Der Schnee ist auch ein Mittel zur Wieder-
herstellung erfrorener Glieder, und selbst erfrorenes Obst thaut wieder auf, wenn
cs eine Zeit lang mit Schnee bedekkt wird.
Zur Wiederbelebung erfrorener Menschen ist das Eingmben in Schnee
eins der wirksamsten Mittel. Der Schnee, sagt man, zieht den Frost aus den
Gliedern; cs ist aber wohl die langsame und gleichförmige Erwärmung, was
diese Wirkung hervorbringt; denn der Schnee wehret die äussere Lust ab und
hält die geringe Wärme, die er dem Erfrorenen mittheilt, zusammen.
Dies Alles wissen auch die Leute in den kalten Ländern sehr wohl, und
wenden den Schnee als das nächste und beste Frostmittel an. Wenn ein
Fremder in St. Petersburg bei einer Kälte von 24 Grad über die Strasse geht,
und Nase und Ohren ihm weiss werden, so merkt ein St. Petersburger sogleich,
dass dem Manne die Glieder erfroren sind; er fährt ihm ohne Umstände mit
einer Hand voll Schnee über die Nase und hält ihn an, die erfrorenen Glieder
mit Schnee zu reiben.
Die Grenze um die Erde her, wo die erstarrende Kälte in dem Grade
zunimmt, dass ewiger Schnee auf den Gebirgen entstehen muss, wird Schnee-
linie genannt. Sic ist auf der Mitte der Erde über 15,000 Fuss hoch über
der Meeresfläche. Also ist dort ein Berg von der Höhe noch nicht mit Schnee
bedekkt. Weiter von der Mitte nach Norden und nach Süden ist die Schnee-
linie der Erde näher, und ganz gegen Norden und ganz gegen Süden erreicht
174
die Sclmeelinie die Meeresfläche. Hier trägt der Schnee zur Bildung des
Treibeises bei, von welchem oft Massen im Meere schwimmen, die viele Quadrat-
meilen gross sind und über hundert Fuss hoch aus dem Meere hervorragen.
Förster sah auf seiner Reise um die Erde vom Mastkorbe des Schiffes 186
grosse Eismassen, von welchen die kleinsten grösser waren, als das Schiss.
Die Eiskörner, welche bei einem Gewitter aus der Lust herabfallen, nennt
man Hagel und Schlossen. Gewöhnlich sind die Wolken, welche mit Hagel
drohen an ihrem aschfarbigen Anseilen zu erkennen; auch hört man vor dem
Ausbruch eines Hagelwetters in der Lust ein heftiges Rauschen. Wie der Hagel
sieh bildet, das wissen wir nicht; merkwürdig aber ist es, dass er nur bei
einem Gewitter, und äusserst selten zur Nachtzeit füllt. Es scheint, dass zur
Bildung des Hagels nicht bloss Gewitterstoss, sondern auch Sonnenlicht erfor-
derlich ist.
Die Grösse und Schwere der einzelnen Hagelkörner ist sehr verschieden.
Die kleinsten haben die Grösse der Schrotkörner; die grössten sind wie eine
Wallnuss oder ein Hühnerei. Zuweilen fallen bei einem Hagelwetter auch
pfundschwere Eisklumpen aus der Lust herab; da muss man wohl annehmen,
dass sich während des Fallens mehrere Schlossen zusammengeballt haben.
Die sogenannten Graupeln, die am häufigsten in den Frühlingsmonaten
fallen, sind zusammengefrorene Schnecflokken; auch fallen sic häufig, während
cs gleichzeitig schnect oder regnet.
Das Glatteis ist Nichts, als gefrorener Regen; es entsteht, wenn zur
Winterzeit Thauwetter eintritt, und die Luft viel wärmer ist, als der Erdboden.
Die Regentropfen kommen dann aus einer wärmeren Luftschicht in eine kältere,
und gefrieren zu Eis, sobald sie den Erdboden berühren.
Wie cs bei einem Gewitter hergeht, das braucht nicht erst beschrieben zu
werden. Jeder hat es erlebt.
In der Regel geht dem Gewitter eine schwüle, drükkendo Hitze bei wolken-
freiem Himmel voraus. Nicht nur Menschen, sondern auch Thiere und Pflanzen
erschlaffen. Während jener Hitze bilden sich zuerst tief am Horizont ganz
einfache Wolken, die sich immer mehr und mehr austhürmen; durch ihre
eigenthümliche Beleuchtung und ihre blaugelbe Farbe kündigen sie sich uns
schon als Gewitterwolken an. Man sieht nicht, dass die Gewitterwolken sich
durch das Heranziehen anderer Wolken verstärken; es sieht aus, als ob die
Vergrößerung aus dem Innern der Wolke hervorgehe. Auch ihre Bewegung
folgt nicht immer dem herrschenden Winde, sondern oft einem andern, der in
der Wolke selbst erzeugt wird; cs ist daher nichts Seltenes, dass zwei Gewitter-
wolken sich vereinigen, die von entgegengesetzten Richtungen herkommen.
Während jener Austhürmung der Wolken herrscht mehrentheils völlige
Windstille; aber es zeigen sich hier und da schon Blitze; auch hört man in
weiter Ferne den Donner rollen. Je langsamer die Bildung des Gewitters vor
175
sich geht, desto heftiger pflegt nachmals sein Ausbruch zu sein. Nach einigen
heftigen Blitzen und Donnerschlägen erfolgt gewöhnlich ein reichlicher Regen.
Zuerst fallen nur einzelne Tropfen; sie vermehren sich aber mit reissender
Schnelligkeit Nach jeglichem Blitzschläge nimmt die Heftigkeit des Regens
zu; es ist, als ob mit jeder Entladung des Gewitterstoft'es auch eine Menge
von Regen erzeugt würde. Ist Hagel mit dem Gewitter verbunden, so fällt er
gewöhnlich schon im Anfang, oft allein und oft auch mit Regen vermischt.
Man will bemerkt huben, dass die Gewitter in jedem Jahre eine gewisse
Richtung beobachten. Die Richtung des ersten Gewitters entscheidet auch die
Richtung aller andern im nämlichen Sommer.
Ein Gewitter hält oft mehrere Stunden an, oder cs kehrt, nachdem cs am
Nachmittage ausgetobt hatte, zuweilen des Abends oder in der Nacht zurükk.
Es scheint auch, dass das Gewitter sich von Ort zu Ort fortpflanzt und an
jeglichem Orte so lange wüthet, als der vorhandene Gewitterstoff es zulässt.
Die heftigsten Gewitter sind die, welche sich anderwärts gebildet haben und
schon in voller Thätigkeit zu uns heranziehen. Grosse Gewitter dieser Art
durchziehen zuweilen einen Raum von mehreren Meilen in der Breite und von
50— 100 Meilen in der Länge. Die meisten Gewitter gehen nach einer Stunde,
oder noch früher, vorüber. Das Gewölk verzieht sich und nimmt die gewünlicho
Farbe der Wolken an; die Strahlen der Sonne brechen dann wieder hervor und
bilden, wenn cs der Sonne gegenüber noch regnet, den prachtvollsten Regen-
bogen. Die ganze Natur ist nach einem Gewitter wie neu belebt. Die Luft
hat sich abgekühlt; die Blätter der Pflanzen erheben sich und prangen in
frischem Grün; die Blumen aber mit ihren Regentropfen sehen aus wie die
crschrckkten Kinder, denen die hellen Thränen noch in den Augen stehen.
Was bei der Bildung eines Gewitters eigentlich vorgeht, das hat bis jetzt
noch Niemand vollständig aufgeklärt; aber es ist doch Vielerlei, was wir von
der Natur eines Gewitters mit Sicherheit wissen.
Die alten Heiden in Rom und Griechenland hielten die Blitze für feurige
Geschosse, die der Höchste ihrer Götter schmieden liess, um sic in seinem
Zorn auf die Menschen herabzuschleudern. Noch im siebzehnten Jahrhundert
hielt man den Blitz für ein Erzeugniss schwefliger Dünste, die bei einem Gewitter
sich durch gegenseitiges Reiben entzündeten. Erst in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts hat man über die Natur des Blitzes sicheren Ausschluss erlangt.
Ein Nordamerikaner, Namens Franklin, hat durch vielfältige Versuche aufs
Ueberzeugendste dargethan, dass der Blitz einerlei ist mit dem wunderbaren
Stolle, den man Electricität nennt, und den man durch künstliche Maschinen
hervorbringen und untersuchen kann. *)
Aus den Beobachtungen über die Electricität weiss man nun, dass der Blitz
unter den Gegenständen, die er treffen könnte, einen merkwürdigen Unterschied
macht. Im Allgemeinen trifft er gern hohe und einzeln stehende Gegenstände,
*) Siehe Abschnitt Eloctricität.
176
am liebsten aber nimmt er seinen Weg durch Metalle und nasses Holz,
und vermeidet dagegen Glas und alle harzigen Körper. Darauf gründet sieh die
Erfindung der Blitzableiter, durch welche man ein Gebäude vor den Wirkungen
des Blitzes zu sichern sucht. Im Ganzen geschieht es nur selten, dass der Blitz
ein Gebäude anzündet, oder dass Menschen vom Blitz erschlagen werden, sie
müssten cs denn selber darauf anlegen. Wer von einem Gewitter im Freien
überrascht wird, sucht oft Schutz unter frei stehenden Bäumen, und bedenkt
nicht, dass er hier sieh der Gefahr recht muthwillig aussetzt. Ein frei stehender
Baum wird am ersten von einem Blitzstrahl getroffen, und an jedem solchen
Baume sollte für die Unwissenden ein Täfelchen hängen mit der Aufschrift:
„Hier wird man vom Blitz erschlagen! “
Das Wetterleuchten, welches häufig nach einem Gewitter, aber auch
sonst wohl am späten Abende eintritt, halten Viele für ein entferntes Gewitter,
Andere für eine entfernte Entladung des Gewitterstofl’s, die von einem wirklichen
Gewitter noch verschieden sei. Die Landleute gebrauchen dann den Ausdrukk:
das Wetter kühlt sieh ab; und in der That tritt nach dem Wetterleuchten, wie
nach jedem Gewitter, eine merkliche Abkühlung der Lust ein.
Das Wetterlicht, oder, wie es auch heisst, das St. Eimusfener,
ist ein clcctrischer Funke, der sich nach einem Gewitter häufig an den Spitzen
der Mastbäume zeigt, und bei den Schiffern als Vorbedeutung heiteren Wetters
gilt. Man siebt es auch zuweilen an den Spitzen der Thürme, wie an den
Gewehren der Soldaten, und selbst an den Gliedern des menschlichen Körpers
will man cs bemerk., haben.
Auch das Nordlicht rechnen manche Naturforscher zu den gewitterhaften
Erscheinungen. Man beobachtet cs, wie schon der Name anzeigt, am häufigsten
in den nördlichen Gegenden der Erde; aber auch bei uns ist es nicht eben
selten. Ein farbiges Kreisstükk erhebt sich am nördlichen Himmel, sendet von
Zeit zu Zeit glänzende Strahlenbündel oder Feuergarben in die Höhe, die sich
zuletzt in dem Scheitelpunkt des Beobachters vereinigen. Am häufigsten
erscheinen Nordlichter um die Zeit, wo Tag und Nacht gleich sind. Eines der
schönsten wurde in unsern Gegenden am 7. Januar 1831 beobachtet, das
neuste, ein sehr schönes, am 19. November 1847. — Auch gegen Süden hat
man eine ähnliche Erscheinung; da wir aber zu weit nördlich wohnen, so
steigen die Südlichter nicht bis in unsern Gesichtskreis.herauf.
Die Sternschnuppen (welche diesen Namen führen, weil sie so aus-
sehen, als fielen sie wie Lichtschnuppen von Sternen herab) kommen nicht
wirklich von den Sternen, sondern aus den höchsten Höben unsers Dunstkreises.
Selbst ihre geringste Höbe schätzt man einer geographischen Meile gleich.
Die Sternschnuppen erscheinen zwar zu jeder Zeit des Jahres, besonders
häufig aber in der Nacht des 10. August; und noch mehr in den Nächten vom
11. bis 13. November.
177
Wo Sternschnuppen niedergefallen sind, will man schleimartige Klumpen
gefunden haben. Man weiss freilich nicht zuverlässig, wie sich dergleichen in
der Lust sammeln; dass sie sich aber, trotz ihrer Schwerts, doch in der Lust
erhalten können, liesse sich wohl durch die Voraussetzung erklären, dass sic
von brennbarer Luft durchdrungen und umgeben seien.
Wegen des Widerstandes der Luft fallen sie immer in schiefer Richtung.
Zu den seltensten Schönheiten in der Natur, die wir zu gewissen Zeiten
wahrnehmen, rechnen wir den Regenbogen. Kr glänzt in den lebhaftesten
Farben, und eine Farbe geht unmerklich in die andere über. Erst im Innern
ein schönes Violett, dann dunkelblau und hellblau, dann grün und gelb, dann
orange und endlich ein herrliches Roth.
Der Regenbogen lässt sich jedes Mal sehen, so oft die Sonne uns im
Rükkcn steht und in den Regen vor oder um uns ihre Strahlen fallen lässt.
Immer also der Sonne gegenüber erscheint uns der Regenbogen. Er ist desto
höher, je tiefer die Sonne steht, desto niedriger, je höher der Stand der Sonne
ist. Darum sehen wir die grössten Regenbogen des Morgens und des Abends;
des Mittags steht uns die Sonne im Sommer zu hoch, als dass uns ein Regen-
bogen sichtbar werden könnte. Daher sieht man den Regenbogen am nördlichen
Himmel äusserst selten; am südlichen Himmel aber niemals, weil die Sonne bei
uns nie auf der Nordseite des Himmels steht.
Was bedeutet denn aber der Regenbogen? Er hat eine schöne Bedeutung.
Er steht da als ein sichtbares Zeichen der Gnade und der Herrlichkeit unseres
Gottes, der in jedem Regenbogen uns die Versicherung erneuert, dass seine
Gnade ewig ist, wie das Gesetz, nach welchem der Regenbogen sich in den
Lüsten aufbauet. Das stellt auch die heilige Schrift uns vor in der Erzählung
von der Sündfluth. Denn als die Sündfluth sich verlaufen hatte und das Men-
schengeschlecht vertilgt war, bis auf Noah und seine Nachkommen, da sprach
der Herr zu Noah und seinen Söhnen: „Meinen Bogen habe ich gesetzt in die
Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.
Und wenn es kommt, dass ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen
Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund
zwischen mir und euch und allem lebendigen Thier in allerlei Fleisch, dass
nicht mehr hinfort eine Sündfluth komme, die alles Fleisch verderbe. Darum
soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe, und gedenke an den
ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Thier in allem Fleisch, das
auf Erden ist.“ 1. Mos. 9, 13—16.
Die Winde.
So lange die Dichtigkeit allenthalben gleich ist, befindet sich die Atmos-
phäre im Zustande der Ruhe. Wird jedoch dieses Gleichgewicht durch irgend
eine Ursache aufgehoben, dann erfolgt eine Bewegung der Lust, welche wir
Wind nennen. Wie die Lust aus einem Blasebälge nach aussen strömt, wenn
178
sie zusammengodrükkt wird, eben so bewegt sich dieselbe aus einer Gegend,
wo sie eine grössere Dichtigkeit bat, nach der, wo letztere kleiner ist.
Allen Winden liegt eine Strömung im Gleichgewichte der Atmosphäre zu
Grunde, wozu die Wärmeverschiedenheit benachbarter Gegenden Veranlassung
giebt. Wenn .von zwei benachbarten Gegenden die eine stärker erwärmt wird,
als die andere, so linden wir in den oberen Schiebten der Atmosphäre einen
Wind, welcher von der wärmeren Gegend nach der kälteren geht, während
sieh am Hoden die Luft von der kälteren nach der wärmeren bewegt. Der
folgende Versuch von Franklin beweist auf eine überraschende Weise die
Wahrheit des Gesagten.
Wenn man im Winter die Thüre zwischen einem goheitzten und einem
kalten Zimmer öffnet, und dadurch eine Vermischung der in ihnen befindlichen
Lustmassen möglich macht, so erkennen wir in der Thüröffnung zwei Winde.
Im oberen Theile gebt der Luststrom aus dem warmem Zimmer nach dem
kälteren, in dem unteren dagegen ein solcher aus dem kalten nach dem warmen.
Um diese Strömungen zu erkennen, liefert die leicht bewegliche Flamme einer
Kerze eine treffliche Windfahne; im oberen Theil der Thüröffnung wird sie mit
Lebhaftigkeit nach Aussen, im unteren nach Innen getrieben,
Zwischen den Wendekreisen herrschen regelmässige oder beständige, zwischen
den Wendekreisen und «len Holen aber unregelmässige und unbeständige Winde.
Zu jenen gehören: der stets webende, merkwürdige Ostwind, die Passatwinde
oder Mussons und die Land - und Seewinde; zu diesen: die der Gesundheit
nachtheiligen Winde Harmatan, an der Westküste Afrikas; Chamsin in Egypten;
Samum in Arabien, Persien, Syrien; Sirokko in Sicilien und Italien. Die
Wirbelwinde oder Luftsäulen, die sieh gewaltsam um sich selbst drehen und
zugleich fortrükken, entstehen, wenn starke Winde einander entgegen blasen,
an der Stelle, wo sie zusammentreffen. Ihre Wirkung ist furchtbar: sie reissen
Bäume und Häuser nieder und führen Vieh, Menschen und andere Körper,
auf die sie treffen, mit fort. Die Geschwindigkeit der Winde und die davon
abhängende Stärke der Wirkung ist sehr verschieden; daher die Ausdrükkc:
gelinder Wind, starker Wind , Sturm, Orkan.
Die Winde sind im grossen Haushalt der Natur von Wichtigkeit. Sie
reinigen die Lust von schädlichen Dünsten; mildern die Strenge hochnordischcr
Kälte und die Hitze der südlichen Gegenden; bringen dem Festlande den
befruchtenden Regen und öffnen uns dadurch die Quellen.
Da* Wetterglas,
Mancher geneigte Leser hat auch sein Wetterglas im kleinen Stühlein hängen,
nicht erst seit gestern; denn die Fliegen haben auch schon daran geschaut., was
der Himmel für Wetter im Sinne hat, also dass der Mensch nicht mehr viel
daran erkennen kann. Mit einem nassen Tüchlein von Zeit zu Zeit wäre zu
helfen. Aber das scharfe Auge des Lesers hat’s noch nicht vonnölhen. Jetzt
179
schaut er’s deutlich an und sagt„ Morgen können wir noch nicht mähen auj
den unteren Matten.11 Jetzt klopft er ein wenig an dem Brettlein, ob sich denn
das Quekksilber gar nicht lupfen will, als wenn er es wekken müsste, wie aus
einem Schlaf oder aus tiefen Gedanken, und wem es ein wenig ob sich geht, so
heitert sich in seinem Herzen die Hoffnung auf Aber doch weiss er nicht recht,
ivie es zugeht. So merke denn:
Erstlich: Ein braves Wetterglas hat unten an der Spitze des Kölbleins
oder Köpfleins, worin sich das Quekksilber sammelt, eine kleine Oqffnung,
Zweitens: Sonst meint man, wo nichts Andres ist, dort sei doch wenig-
stens Luft. Aber oben in der langen Röhre, wo das Quekksilber aufhört, ist
keine Luft, sondern Nichts. Dies wird erkannt, wenn man das Wetterglas
langsam in eine schiefe Richtung bringt, als wollte man es umlegen, so fährt das
Quekksilber durch den leeren Raum hinauf bis an das Ende. der Röhre, und man
hört einen kleinen Knall. Dies könnte nicht geschehen, wenn noch Luft darin
wäre. Sie würde sagen: „Ich bin auch da. Ich muss auch Platz haben.“
Drittens: Die Luft, die die Erde und Alles umgiebt, drükkt unaufhörlich
von oben nach der Erde; ja, sie will, vermöge einer inwendigen Kraft, unaufhörlich
von allen Seiten ausgedehnt und so zu sagen ausgespannt sein, bis auf ein
Gewisses. Denn sie ist Gottes lebendiger Athem, der die Erde einhüllt und Alles
durchdringt und segnet. Die Luft geht durch jede offene Thür in die Häuser,
und aus einem Gemach in das andere., ja auch durch die kleine Oeffiung unten
an der Spitze des Kölbleins hinein und drükkt auf das Quekksilber, und die
Luft, welche noch aussen ist, drükkt immer nach und will auch noch hinein.
Ei, sie drükkt und treibt das Quekksilber in der langen Röhre gewöhnlich
zwischen 27 und 28 Zoll weit in die Höhe, bis sie nimmer weiter kann. Denn
wenn das Quekksilber in der Röhre einmal eine. gewisse Höhe erreicht hat, so
drükkt es, vermöge, seiner eigenthümlichen Schwere der Luft tviederum dergestalt
entgegen, dass beide in das Gleichgewicht treten. Da strebt gleiche Kraß gegen
gleiche Kraft, und Keines kann dem Andern mehr Etwas anhaben.
Viertens: Der Drukk. und die Spannung in der LAß bleibt nicht immer
gleich, das Mal stärker, ein ander Mal schwächer. Die Gelehrten wissen selbst
noch nicht recht, wo dieses herrühren will. Wird nun die Ausspannung der Luft
auf einmal stärker, so dass man sagen kann, sie gewinne neue Kraß, so drükkt
sie auch um so stärker auf das Quekksilber im Kölblein, also, dass es in der
Röhre höher hinauf muss, manchmal über 28 Zoll hinaus. Sobald aber die
Ausdehnung der Lift im Geringsten nachlässt, drükkt im AugenbHkk die Schwere
des Quekksilbers in der Röhre gegen die LAß im Kölblein, bis sie mit dem
Drukk der Luft wieder im Gleichen ist, so dass also das Quekksilber in der
Röhre sinkt, manchmal bis unter 27 Zoll hinab. Also steigt und fällt das
Quekksilber, oder wie man sagt, das Wetterglas, und sein Steigen und Fallen ist
übereinstimmend mit dem unaufhörlichen Wechsel der Luft.
Fünftens: Wenn die Mutter gebakken hat, und das Büblein isst ein
Slükklein lindes Brot, es heisst nicht schlecht hinein und sc/mekkt ihm wohl; —
180
klaubt es nun ein Krämlein von dem Brot herab, und »erdrükkt es mit den
Fingern, dass gleichsam wieder ein Teig daraus wird, und stopfet die Oeffnung
an dem Kölblein zu — von dem Augenblikk an geht das Quekksilber* nimmer ob
sich, und nimmer unter sich, sondern bleibt unaufhörlich stehen, wie es stand.
Warum ? Weil die Luft nimmer auf das Quekksilber wirken kann, bis es endlich
der Vater entdekkt, und hätte die beste Lust, er gäbe dem Büblein eine Ohr-
feige ; — wer weiss, was er thut, wenn’s zum zweiten Mal geschieht.
Wenn es ihm aber mit seiner Vorsicht gelungen ist, die Oeffnung wieder
frei zu machen, die Luft kann wieder auf das Quekksilber drükken, ine vorher,
stärker oder schwächer: alsdann fingt es auch wieder an, lustig zu steigen und
zu fallen. Also rührt die Veränderung in dem Stand des Quecksilbers von der
Luft her, welche durch die Oeffnung des Käfbleins hineingeht und auf das
Quekksilber driikkt. Dass es die Luft aber edlem sei, welche im Stande ist, mit
wunderbarer Kraft das Quekksilber 28 Zoll hoch in die Röhre hinauf zu treiben
und in dieser Höhe schwebend zu erhalten, ist der Beweis, wenn die Röhre oben
an der Spitze abbricht, und die Luft jetzt dort auch hineinkommt, wo vorher keine
war, fällt, das Quekksilber in der Röhre auf einmal so tief herab, bis es dem-
jenigen , das in dem Kölblein steht, gleich ist, und hat alsdann Alles ein Ende;
denn die Luft in der Röhre und die Luft in dem Kölblein driikkt jetzt mit
gleicher Gewalt gegen einander und vernichtet ihre Kraft an sich selber, also,
dass das Quekksilber freies Spiel bekommt und seiner eignen Natur folgen kann,
die da ist, dass es vermöge seiner Schwere hinuntersinkt bis auf den Boden, oder
auf das unterste des Raumes, worin es eingeschlossen ist.
Sechstens: Es hat eine lange Erfahrung gelehrt, wenn die Luft ansängt,
sich stärker auszudehnen und zu drükken, dass alsdann gemeiniglich auch das
Wetter heiler und schön wird. Wenn sie aber nachlässt und gleichsam matt
wird, man weiss nicht warum, so macht sich gewöhnlich ein Regenwetter zurecht,
oder ein Sturmwind, oder ein Gewitter. Weichermassen nun das Steigen und
Fallen des Quekksilbcrs einen stärkeren oder schwächeren Drukk der Luft anzeigt,
solchermaßen kündigt es auch zum voraus Sonnenschein und Regen an, »wenn
nichts Anderes dazwischen kommt. Bisweilen täuschen alle Zeichen und Hoff-
nungen, wie dem Leser wohl bekannt ist.
Denn der liebe Gott hat auch noch allerlei andere kleine Hausmittel, um den
Wechsel der Witterung zu hindern oder zu fördern, welche er bis jetzt noch
Niemandem verrathen hat. Die Wetter gelehrten ärgern steh schon lange darüber. —
Solche Bewandniss hat es mit der Einrichtung und den Eigenschaften des
Wetterglases.
Eine Wetterregel, aufs Wetterglas zu kleben: Er hat noch niemals was
versehn in seinem Regiment. Nein! was er thut und lässt geschehn, nimmt stets
ein gutes End’.
181
Die IV ä r nt e.
Durch Brenngläser und Brennspiegel kann das Sonnenlicht so verdichtet
werden, dass es Metalle schmilzt. — Feilen, Bohrer, Sägen werden während des
Gebrauches heiss; Hölzer, an einander geneben, entzünden sich; eben so Wagen-
axen und die Zapfen in Maschinenrädern, wenn sie nicht gehörig eingeschmiert
sind. Mühlsteine haben schon oft, wenn sie leer herum getrieben wurden, Feuer
verursacht. Wasser, auf gebrannten Kalk gegossen, erzeugt Wärme; ebenso
Schwefelsäure, mit Wasser gemischt. Nasses Heu kann sich von selbst entzünden.
Daraus sehen wir, dass die Wärme auf mannigfaltige Weise erzeugt wird, theils
durchs Sonnenlicht oder durch Reiben, Stössen und Schlagen; theils durch
Mischung verschiedener Körper. Es findet aber auch noch eine Erwärmung
durch Mittheilung Statt; denn der Ofen giebt die ihm mitgetheilte Wärme an die
Stubenlufl, Jedes Kochgcfäss wird durch Mittheilung heiss, und eben so die
darin bifindlichen Körper.
Alle Metalle haben die Eigenschaft, den Wärmestoß gierig in sich aufzu-
nehmen und sehr heiss zu werden; sie theilen ihn aber auch der Luft und andern
Gegenständen sogleich mit und erkalten bald. Weil sie nun die Wärme so schnell
zu sich nehmen und auch weiter fördern, so nennt man sie gute Wärmeleiter,
diejenigen Körper, welche es nicht gern und in keinem grossen Masse thun,
heissen schlechte Wärmeleiter, und solche sind 1 holz, Stroh, Wolle, Seide,
Haare, Federn u. s. w. Ein guter Wärmeleiter ist ein schlechter Wärmebewahrer
und ein schlechter Wärmeleiter ein guter Wärmebewahrer. Einer der schlechtesten
Wärmeleiter ist der Schnee.
Dass die Wärme die Körper ausdehnt , die Kälte dieselben aber zusammen-
zieht, davon kann man sich leicht überzeugen. Nimmt man nämlich einen eisernen
Stokk, der genau in einen Ring passt, so wird man gewahr, dass er nicht mehr
hindurchgeht, sobald er heiss gemacht worden ist. Flüssige Körper verwandeln
sich, wenn ihnen viel Wärmestoff' entzogen wird, in feste Körper: sie werden Eis.
D an Eis»
Nur bei zwei Körpern der Erde erleidet das Gesetz von der Ausdehnung
durch die Wärme eine Ausnahme; diese sind das Wasser und das Eisen.
Beide haben einen Zustand der geringsten Ausdehnung kurz vor ihrem Ueber-
gange aus dem flüssigen in den festen Zustand, so dass also Eis auf Wasser
und festes Eisen auf geschmolznem schwimmt. Wir wollen hier bloss vom VPasser
reden. Gefriert das Wasser, so dehnt es sich plötzlich aus; es ist ja bekannt,
dass starke Gqfässc zertrümmert werden, sobald Wasser in ihnen gefriert. Das
Gefrieren selbst geschieht auf zweierlei Weise, entweder durch Ob er eis oder
durch Grund eis; durch Obereis in stehenden, durch Grundeis in flies senden
Gewässern. Die Abkühlung kommt von oben durch die Luft. Hat das Wasser
nun keine Bewegung, so sinken die abgekühlten und dadurch schwerer gewordenen
Theile der Oberfläche nach unten, während wärmeres Wasser aus der 'Tiefe
13
182
wieder heraujkommt. Diese Auf- und Niederbewegung der Wassertheile dauert
so lange fort, bis das ganze Wasser eine Wärme von 3° hat. Nun hört alle
Bewegung auf Die kälter werdenden Theile der Oberfläche bleiben oben liegen,
weil sie nun leichter sind, und das Wasser erhält bald eine eiskalte Deiche, in
welcher die Eisnudeln sich bilden. Anders ist es mit strömendem Wasser. Die
rollende Bewegung reiset kältere und wärmere 'Theile fortwährend durch einander,
bis das ganze Wasser eiskalt ist. Nun bildet sich das Eis da, wo die grösste
Buhe vorhanden ist, und dies ist an der Grundfläche. Das Eis verdikkt sich
dort so lange, bis es wegen seiner geringeren Schwere am Boden nicht mehr
fest gehalten werden kann, und kommt dann an die Oberfläche mit Sand, Sternchen
und Blättern, den Spuren seines früheren Ortes. Zuweilen umschliesst das
(¡rundeis einen grösseren Stein, den cs nicht erheben, von dem es sich auch nicht
loslösen kann. Dann bildet sich an solcher Stelle eine Eissäule, welche ullmädig
bis an die Oberfläche kommt und ein Träger für die aufgelagerte Eisdekke wird.
Der Thermometer.
Die Naturforscher haben ein Werkzeug erfunden, mit dem man die Wärme
messen kann, und das deshalb W ü r meines s er oder Th e r m o niete r heisst-
Es besteht in einer engen luftleeren Glasröhre, die oben zugeschmolzen ist und
unten in eine hohle Kugel ausläuß. Kugel und Röhre sind zum Theil mit Qucklc-
silber angefüllt. Taucht man das Instrument in aufhauendes Eis, so zieht sich
das Quekksilber durch die Kälte zusammen und sinkt in der Röhre bis zu einem
gewissen Punkte, an dem es unverändert stehe)i bleibt. Dieser Punkt heisst
Gefrierpunkt. Hernach hält man das Instrument in siedendes Wassert dann
steigt das Quekksilber in der Röhre in die Höhe bis zu einem andern Punkte,
wo es wieder unverändert stehen bleibt. Dies ist der Siedepunkt. Der
Raum zwischen diesen beiden Punkten wird gewöhnlich in 80 gleiche Theile getheilt,
die man Grade nennt, und von denen man unter dem Gefrierpunkt und über dem
Siedepunkte noch so viele aufträgt, als auf der Röhre eben bequem hingehen.
Atus dem Stande des Quekksilbers in der Röhre ist nun leicht zu ersehen,
ob die Wärme der Luft zu- oder abnimmt. Eine angenehme äussere Wärme
empfinden wir bei 15 und 16 Grad. Im Winter nimmt aber auch die Wärme
so ab, dass das Quekksilber unter den Gefrierpunkt sinkt. Zeigt das Quekksilber
12 Grad unter dem Gefrierpunkte, so ist die Kälte seffön stark; die grösste in
unsern Gegenden ist bei 24 — 26 Grad.
Die Dampfmaschine.
Schon früh lernte der Mensch die Elemente Feuer, Wasser und Lust in
Dienst nehmen, um sich dadurch die eigene Handarbeit zu erleichtern oder ganz
zu ersparen. Wasser und Lust trieben die Räder seiner Mühle, und das Feuer
half ihm das spröde Erz bezwingen. Aber tieferes Nachdenken und Eindringen
in das Wirken der Natur führten zu wichtigeren Hülfsmitteln. Man sah, dass
ein Gesiiss Wasser, welches in einem verschlossenen Glase zum Verdunsten
183
gebracht worden war, das Gcfiiss, war cs auch noch so stark, zersprengte.
(Durch Verdunstung verlangt nämlich das Wasser einen fast 2000 Mal grösseren
Raum, als cs im tropfbar flüssigen Zustande einnimmt.) Werden diese Dämpfe
abgekühlt, so bildet sich ein leerer Raum. Man erkannte bald, dass hierdurch
eine mächtige Kraft zu gewinnen sei, um die schwersten Lasten damit fort-
bewegen zu können.
Und dies hat zur Erfindung der Dampfmaschine geführt.
Diese bestand früher aus einem Gcfüss mit siedendem Wasser, von welchem
der Dampf in einen Cylinder geleitet wurde, in dem ein Stempel luftdicht auf
und nieder bewegt werden konnte. Der Dampf trieb den Stempel in die Höbe.
Jetzt wird durch einen Hahn das Dampfrohr geschlossen und eine andere
Röhre geöffnet, durch welche unterhalb des gehobenen Stempels kaltes Wasser
eingespritzt wird. Augcnblikklich erkaltet der Dampf, schlägt sich nieder und
lässt an seiner Stelle einen luftleeren Raum, in welchen der Drukk der Atmos-
phäre den Stempel wieder hinabtreibt. Alsbald wird das Dampfrohr wieder
geöffnet und der Stempel wieder gehoben. Diese auf- und niedergehende
Bewegung dauert nun fort und kann, mit andern Muschinenthcilcn in Verbindung
gesetzt, bedeutende Wirkungen hervorbringen. — Die erste dieser Maschinen
wurde von einem Engländer, Namens Newcomon, erfunden und zum lieben-
des Grubenwassers aus Bergwerken benutzt. Man nennt sie einfach wirkende
oder atmosphärische Dampfmaschinen. Ncwcomcn baute sie im Jahre 1705.
Nach ihm ist vielleicht kein Mechaniker berühmter geworden, als Jakob
Watt, der Erbauer der ersten wirklichen Dampfmaschine, Er wurde 1736
geboren und starb 1811». Vielfache Beobachtungen einer Newcomcnschen
Maschine, die er zur Ausbesserung erhalten hatte, überzeugten ihn, dass bei
ihr, weil das Einströmen des kalten Wassers den Cylinder abkühlte, eine grosse
Menge Wärme unnütz verschwendet würde. Er sann Tag und Nacht darüber
nach, wie er die erkannten Mängel verdrängen könne. — Und seine vielfachen
Bemühungen sah er belohnt: er erfand die doppelt wirkende Dampf-
maschine. — Bei ihr ist der Cylinder oben geschlossen, und der Stempel wird
dadurch hin und her bewegt, dass der Dampf einmal über, einmal unter den
Stempel tritt, während der unter oder über ihm befindliche Dampf verdichtet
wird. Dies ist aber nur möglich, wenn der Dampf nicht unmittelbar in dem
Cylinder verdichtet wird, sondern in einem andern Raume, dem Condensator,
der durch ein Rohr mit demselben in Verbindung steht. Die Verdichtung pflanzt
sich dann doch schnell bis in den Cylinder fort.
Es ist schon mehrere Male vom Stempel die Rede gewesen, der sich im
Cylinder auf- und abbewegt; dieser ist an eine Eisenstange befestigt, die mit
ihm auf- und niedergebt. Diese Stange steht an ihrem obern Ende mit einer
andern, dem Balancier, in Verbindung, welche, gleich dem Balken einer
zweischaligen Wage, auf einem Unterstützungspunkte ruht und wagcbalkähnlich
bewegt wird. Das andere Ende dieses Schwebebalkens, Balanciers, steht wieder
mit einer andern Stange in Verbindung, welche an einer sogenannten Kurbel,
13*
184
ähnlich wie ein Spinnrad, durch das Treten bewegt wird , und so auch noch
andere Rüder in Bewegung setzen kann; z. B. die Räder eines Dampfschiffes.
Mit Dampfschiffen macht man jetzt Fahrten, zu denen man mit gewöhnlichen
Segelschiffen zehn bis zwanzig Tage brauchte, in eben so viel Stunden. Die
Maschine dieser Fahrzeuge ist gewöhnlich in der Mitte angebracht, und setzt zu
beiden Seiten durch den sogenannten Krummzapfen solche Schaufelräder, welche
den Wasserrädern untcrschläehtiger Mühlen gleichen, in Bewegung. Der
Erfinder des Dampfschiffes ist der Nordamerikaner Robert Fulton. Grossen
Nutzen hat seine Erfindung gebracht; er aber starb in Dürftigkeit.
Boi Maschinen der oben beschriebenen Art bemerkt man, dass die Ver-
dichtungsvorrichtung einen zu grossen Raum einnahm, so dass an die Fort-
bewegung einer solchen Maschine nicht gedacht werden konnte. Von jeher ist
es aber der Wunsch der Künstler gewesen, die Kraft de? Dampfes in einem
kleineren Raume benutzen zu können. Dieser Wunsch brachte sie auf den
Gedanken, sogenannte h o eh d r ü k ke nd c Dampfmaschinen zu verfertigen,
(Die ersteren heissen N i e d c r d r u k k - M a s c h i n c n.) Bei Hochdrukk-Maschinen
strömt der Dampf aus, wenn er gewirkt hat, ohne verdichtet zu werden. Diese
Einrichtung haben die Lokomotiven, mit denen man auf Eisenbahnen führt.—
Die Kraftleistung der Dampfmaschine pflegt man nach Pferdekräften zu bestimmen,
wobei eine Pferdekraft eine Kraft bezeichnet, welche in einer Secunde eine Last
von 500 Pfund einen Fuss hoch zu heben vermag. Die Schnelligkeit, mit
welcher man auf Eisenbahnen mittelst Dampfmaschinen (Lokomotiven) fahrt,
beträgt gewöhnlich 4 Meilen die Stunde; man hat aber versuchsweise auch
schon 7 —10 Meilen die Stunde zurükkgclegt, wodurch aber die Kosten sehr
vergrößert werden.
Betrachtet man die Dampfmaschine etwas näher, so erscheint sie uns wie
ein mit geistigen Kräften begabtes Wesen. Sie regelt mit vollkommener Genauig-
keit die Anzahl der Kolbenstösse, in einer gegebenen Zeit; sie regelt die
Menge des Dampfes, der zur Arbeit zugelassen wird, — den Grad des
Feuers, — das Wasser, welches dem Kessel zugeführt wird; — sie öffnet
und verschliesst die Zugklappc oder Ventile mit der vollkommensten
Genauigkeit in Betreff der Zeit und Art; — und wenn irgend Etwas falsch
geht, so giebt sie den Wärtern ein Zeichen, indem sic eine Glokke läutet. —
Doch mit allen diesen Vermögen und Eigenschaften, und wenn sie eine Kraft
von 600 Pferden besitzt, gehorcht sic der Hand eines Kindes. Ihre Nahrung
sind Kohle, Holz und andere Brennstoffe; sic verbraucht keine, wenn sie müssig
ist; — sie ermüdet nie und bedarf keiner Ruhe. Sic ist unter jedem Klima
gleich thätig und verrichtet Arbeiten jeder Art. Sic ist ein Wasserpumper,
ein Bergmann, ein Matrose, ein Baumwollenspinner, ein Schmied,
ein Müller u. s. w., und eine kleine Maschine, als ein Dampfpferd gebraucht,
kann auf einer Eisenbahn mehrere hundert Ccntner Waaren oder ein Regiment
Soldaten mit grösserer Schnelligkeit ziehen, als unsere Wagen von den schnellsten
Pferden gezogen werden. Sic ist die Königin der Maschinen.
185
Von iloi* Elckti‘i<*it öi.
Reibt oder sehlägt man Bernstein, Siegellakk, Harz oder Glas mit Wolle,
Seide oder thierischen Fellen, so ziehen diese Körper leichte Gegenstände, z. B.
Papierschnitzel an, halten sic einige Zeit an sich fest und stossen sic dann wieder
ab. Die Kraft, vermöge deren dies geschieht, nennt man Elektricität. Sie
bleibt nur kurze Zeit in Thätigkeit, wird allmälig schwächer und schwächer,
bis der geriebene Körper wieder in den Zustand zurükkkehrt, in Welchem er vor
der Reibung war. Wird derselbe Körper wieder gerieben, so erscheint dieselbe
Kraft ungeschwächt von Neuem und kann so oft in ihm erregt werden, als man
nur irgend will.
Die Fälligkeit, elektrisch zu werden, nimmt also in einem Körper, der die-
selbe überhaupt besitzt, nie ab. Sie findet in verschiedenen Körpern in ungleichem
Grade statt, und es giebt deren, welche durch Reiben und Schlagen nicht
elektrisch werden, wohl aber die Elektricität anderer Körper begierig aufnehmen,
sie schnell über ihre Oberfläche verbreiten und eben so schnell wieder an andere
Körper abgeben. Dies thun z. B. die Metalle. Körper der ersteren Art nennt
man Nichtleiter, Körper der letzteren Art hingegen Leiter der Elektricität.
Manche Körper, als Holz, Papier, Elfenbein, Stein u. s. w., stehen zwischen
beiden Arten in der Mitte und heissen Halbleiter. —
Alle elektrischen Erscheinungen lassen sich durch eine künstliche Vorrichtung,
welche man Elektrisirmaschine nennt, zu klarer Anschauung bringen. Das
erste wichtige Stükk einer Elektrisirmaschine ist eine Glasscheibe an einer gläsernen
Axo, die durch eine Kurbel umgedreht werden kann und dabei von zwei
ledernen Kissen, dem Reibzcugc, zu beiden Seiten gedrükkt und daher beim
Umdrehen stark gerieben wird. Dem geriebenen Körper nähert sieh ein Metall-
körper, der Leiter oder Konduktor des Glases, welcher die im Glase erzeugte
Elektricität in sieh aufnimmt und, da er auf Glasstäbchen steht, dieselbe behält.
Am leichtesten und wohlfeilsten kann man sieh den Anblikk aller elektrischen
Erscheinungen durch den sogenannten Elektrophor verschaffen. An einer
solchen Maschine werden leichte unelektrische Körper aus einer beträchtlichen
Entfernung abwechselnd angezogen und wieder abgestossen; es sprühen Funken
aus, welche auf der Hand ein kleines Stechen erregen; im Finstern zeigt sich
ein beträchtlicher Lichtschein; man spürt einen eigenthümlichen Geruch und hat,
wenn man das Gesicht der Maschine nahe bringt, das Gefühl, als ob man in
Spinnewebe geriethe. Durch Versuche stellt cs sieh als ein bestimmtes Gesetz
für die elektrischen Erscheinungen dar, dass elektrische und unelektrische oder
ungleich elektrische Körper einander anziehen, gleich stark elektrische Körper
hingegen einander abstossen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich ferner, dass
Leiter, welche ihre Elektricität vom geriebenen Glase her, und andere Leiter,
welche diese vorn geriebenen Siegellakke oder Harze her empfangen haben, zwar
beide dieselben elektrischen Erscheinungen zeigen, sich aber noch stärker anziehen
und nachher keine Spuren von Elektricität mehr zu erkennen geben. Man muss
186
daher zwei Arten von Elektricität annehmen, welche man Glasclektricität
und Harzelektricität nennt.
Der grösste Nutzen, den uns die Untersuchungen des elektrischen Stoffes
gebracht haben, besteht in einer genaueren Kcnntniss des Gewitters. Wie die
Elektricität in,die Lust kommt, weiss man nicht. Manche sagen, sie steige mit
den Dünsten in die Höhe; doch wird sie gewiss noch auf eine andere Art dort
erzeugt. Die Lust ist bekanntlich ein Nichtleiter, und das um so mehr, jo trokkner
sie ist. Am trokkensten ist nun meist die obere, dünnere Lust. Wenn sich da
Elektricität sammelt, so kann sie niöht leicht fortgeleitet werden. Feuchte Luft
oder Wolken sind aber Leiter. Leicht bilden sich da, wo viel Elektricität ist,
auch Wolken; denn durch jene werden die ausdehnbaren Flüssigkeiten leicht in
tropfbare verwandelt. Lolchen Wolken theilt sieh dann die Elektricität mit.
Treibt nun diese Wolken der Wind in die Nähe anderer, welche von dem elek-
trischen Stoffe Wenig oder Nichts besitzen, so wird er aus den ersteren hervor-
brechen und in die letzteren gehen. Geschähe diese Bewegung nicht so ausser-
ordentlich schnell, so würden wir die Elektricität als einen grossen, feurigen
Funken herausfahren sehen. Nun aber fliegt der Funken mit ungemeiner
Schnelligkeit in mancherlei Krümmungen durch die Lust und zeigt sich uns
als ein vielfach gebrochener Feuerstrahl. Das ist der Blitz. Er treibt die Luft
gewaltsam auseinander, die sogleich wieder mit einem rollenden Getöse, dem
Donner, zusammenfährt. Das Schmettern, Knittern und Knakkcrn, das man
bisweilen hört, wird bewirkt, wenn der elektrische Schlag durch mehrere Wolken
fährt, was besonders bei sehr schweren Gewittern der Fall ist. Ein Mehreren
über das Gewitter steht in dem Abschnitte über die Erscheinungen im Lustkreise.
Vom Galvanismus.
Nimmt man ein Fünfgroschenstükk und einen kupfernen Vierling und legt
das eine unter, das andere über die Zunge, so empfindet man einen säuerlichen
Gcschmakk, sobald die beiden Stükke sich vor der Zungenspitze berühren. Was
man schmekkt, ist nichts Anderes, als Elektricität, welche aus einem Stükk in
das andere überspringt.
Die Naturforscher dachten sich’s gleich, dass man diese Elektricität würde
verstärken können, und der Italiener Volta kam auf den Gedanken, mehrere
solcher Mctallstükkc aufeinander zu passen. Er goss sieh grosse Zink - und
Kupferscheiben, und legte nun auf die unterste Zinkscheibe einen mit Salzwasser
v angefeuchteten Filzflekk, darauf eine Kupferscheibe, nun wieder Zink, dann Filz,
dann Kupfer u. s. w., bis er eine kleine Säule vor sich hatte, die unten mit Zink
anfing und oben mit Kupfer endete. Nun befestigte er oben an die Kupferseheibe
einen Draht, und einen zweiten unten an die Zinkscheibe. So wie er nun die
beiden Enden der Drähte in die Hand nahm, fuhr ihm die Elektricität stark
und kräftig durch den Körper, ohne Aufhören, so lange er die Drähte in der
Hand hielt. Dies ist eine voltaische Säule,, Die Elektricität, welche durch
187
Berührung gewisser, Metalle entsteht, heisst man aber von ihrem Entdekker
Galvanismus. Ein Arzt nämlich, Namens Galvani, war der Erste, welcher
diese Elektricität wahrgenommen hat. Er hing einst einen getesteten Frosch,
durch den er einen kupfernen Haken gestossen, mit diesem an einen eisernen
Nagel auf. So wie sieh der kupferne Haken mit dem Nagel berührte, da fing’s
in dem todten Thiere an zu zukken, als wollte es lebendig werden. Das hat
man denn weiter untersucht und gefunden, dass durch Berührung des Hakens
und des Nagels Galvanismus entstand, und dieser auf alle thierischen Körper einen
gewaltigen Einfluss hat, wie die Elektricität des Gewitters und der Lust auf die
Pflanzenwelt.
Für die wissenschaftliche Scheidekunst hat die zerlegende Kraft des Galva-
nismus eine Reihe der merkwürdigsten Entdeckungen herbeigeführt; sie ist aber
auch schon in gewerblicher Beziehung wichtig geworden, durch das galvanische
Vergolden und Versilbern und durch die Galvanoplastik, d. h. die
Kunst, Gegenstände der Bildnerei durch metallische Formen zu vervielfältigen.
Um auf galvanischem Wege zu vergolden oder zu versilbern, verbindet man
den zu überziehenden Gegenstand mit dem Zinkpol der galvanischen Kette, taucht
ihn in die Gold- oder Silberauflösung und bringt ihm gegenüber den Flüssigkeits-
d. h. Kupferpol gleichfalls in die Auflösung, aber versehen mit einem Stükkchen
Gold oder Silber. Alsbald scheidet sich auf der Oberfläche des eingetauchten
Gegenstandes das edle Metall in einem dünnen Ucbcrzuge ab. So viel aus der
Auflösung abgeschieden wird, eben so viel tritt ans dem eingetauchten edlen
Metall fortwährend wieder in sie ein, und man hat durch die Dauer des Ein-
tauchens die Stärke der Vergoldung oder Versilberung vollkommen in seiner
Gewalt. Ganz ebenso ist das Verfahren, welches man anwendet, um Gegenstände
mit Kupfer oder Zink zu überziehen.
Legt man senkrecht über einen galvanischen Leitungsdraht Stahl- oder
Eisennadeln, so werden sie magnetisch. Die Stahlnadeln behalten ihre magne-
tische Kraft; die Eisennadeln verlieren sie in dem Augcnblikke, wo sic von dem
Wirkungskreise des galvanischen Stromes entfernt werden. Durch Umwinden des
Sehliessungsdrahtes erhöht man die Wirkung und bildet die Elektromagnete.
Diese bestehen aus einem hufeisenförmig gebogenen, weichen, geschmiedeten
Eisen, welches mit einem mit Seide überzogenen Kupferdrahte umwunden ist.
In dem Augcnblikke, wo man durch diesen Draht ' einen galvanischen Strom
leitet, wird das Eisen zu einem Magnet von grosser Tragkraft; löst man die
Verbindung, so hört auch der Magnetismus auf; nur eine geringe Spur bleibt
noch auf kurze Zeit zurükk.
Der Elektromagnet gewährt dadurch, dass er eine stark anziehende Kraft
plötzlich ausüben und wieder verlieren kann, eine Reihe von Anwendungen, von
denen indess hier nur der clcktro-magnctischc Telegraph beschrieben
werden soll. ,
188
Der Elektromagnet wird mit einem Anker versehen, der entweder sehr
schwer ist oder durch eine Feder abgestossen werden kann. In dem Orte A
befindet sich eine Galvanisirmaschine, dem Orte B der Magnet. Heide Orte sind
durch zwei Leitungsdrähte verbunden, welche in 1$ mit dem Magnete, in A mit
der Maschine in Verbindung stehen. Der Anker wird dadurch augcnblikklich
angezogen, wie weit auch die Orte von einander entfernt sind. Jetzt trennt man
in A die Verbindung: augcnblikklich fallt in B der Anker ab; man schliesst in
A die Verbindung: der Anker in B wird wieder angezogen und macht so oft
und so viel auf- und niedergehende Bewegungen in B, als man in A irgend will.
Die Bewegung des Ankers greift in ein gezahntes Bad und schiebt bei jeder
Bewegung einen Zahn desselben vorwärts. Die Axc des Bades geht durch eine
Scheibe und trägt einen Zeiger. Die Scheibe ist in Felder mit Buchstaben und
Zahlen .getheilt. Man lässt nun den Zeiger so lange rükken, bis er den zu
bezeichnenden Buchstaben erreicht hat. Hier wartet man. Der Beobachter in
B schreibt den Buchstaben auf. Der Telegraphist in A lässt den Zeiger weiter
rükken und hält ihn bei einem andern Buchstaben fest, u. s. f. Will man von
B nach A Nachricht geben, wird in A ein Magnet und in B eine Galvanisir-
maschine mit denselben Leitungsdrähten in Verbindung gebracht, und die Sache
geht wie vorher.
Es wird indess auf der ganzen Telegraphenlinie nur c i n Draht gebraucht,
indem die Erde als leitender Körper die Stelle des zweiten Drahtes übernimmt.
Man gräbt nämlich sowohl in A, als in B, eine Kupferplatte so tief in die Erde
ein, dass sie sich im Grundwasser befindet. Von der Platte geht ein Leitungs-
draht bis in das Telegraphenzimmer, und nun geht von der einen Platte zur
andern die Leitung durch die Erde.
Diese Art der Mittheilung durch den Telegraphen ist eine äusserst schnelle,
wenn man erwägt, dass der elektrische Strom in einer Sekunde mehr denn 60000
Meilen durchläuft. Freilich müssen die Zeichen dann auch noch anders einge-
richtet sein. So stehen z. B. in den Abtheilungen der Kreise mancher Tele-
graphen 3 Zistern neben einander, die schon ganze, fertige, in dem Singnalbuchc
verzeichnete Sätze ausdrükken.
Vom Magnetismus.
Es giebt einen aschgrauen, zuweilen auch schwärzlichen Stein, der sich in
den reichhaltigen Eisengruben Deutschlands in unförmlichen Stükken mitten unter
den gemeinen Eisensteinen findet. Er besitzt die Eigenschaft, dass er Eisen und
eisenhaltige Gegenstände an sich zieht, wenn sie ihm nahe kommen, und dieselben
an seiner Oberfläche festhält. Man nennt diesen Stein nach der Stadt Magnesia
in Kleinasien, wo er zuerst gefunden wurde, Magnetstein und die Anziehungs-
kraft gegen das Eisen Magnetismus.
Wird ein Magnet in Eisenfeile gewälzt, und untersucht man, in welcher
Menge letztere von den verschiedenen Punkten seiner Oberfläche festgehalten
wird, so sagt uns ein flüchtiger Blikk, dass die Anziehungskraft nicht an allen
Stellen gleich ist, sondern dass es namentlich zwei einander gegenüberstellende
Punkte giebt, wo sic sich in ihrem höchsten Glanze zeigt. Diese beiden Punkte
sind die Pole des Magnets. Die bestimmte Richtung, welche der Magnet bei
freier Bewegung annimmt, ist von der Art, dass sich der eine Pol immer nach
der nördlichen, der andere immer nach der südlichen Himmelsgegend wendet.
Jener heisst deshalb der Nordpol, dieser der Südpol.
Auf dieser zweiten Eigenschaft des Magnets beruht die Einrichtung des
Kompasses, und dadurch hat der Magnet ein grösseres Anselm erlangt, als
der köstlichste Edelstein. Durch den Kompass sind die Menschen erst in den
Stand gesetzt worden, auf das hohe Meer zu steuren und neue Länder aufzu-
suchen. Leider wissen wir den Namen dessen nicht, dem die Menschheit die
Entdekkung der Magnet - Polarität verdankt; ja wir wissen nicht einmal, unter
welchem Volke sie zuerst als Mittel benutzt worden ist, irgend eine Richtung im
Raume sicher zu bezeichnen. Nach der gewöhnlichen Erzählung soll der Kom-
pass im oberen Asien erfunden, von dort nach China und dem ganzen Orient, und
zuletzt, nämlich von den Kreuzfahrern im 13. Jahrhunderte, nach Europa gebracht
worden sein.
Der Kompass ist ein künstlich verfertigter Magnet, in Gestalt einer Nadel
von Stahl, Magnetnadel genannt. Diese wird so in ihrem Schwerpunkte auf
einen Stift gesetzt, dass sie sich leicht wagerecht auf demselben drehen kann
und ist eingeschlossen in eine Kapsel, auf deren Boden die Himmelsgegenden
sich befinden.
Durch zwei Magnete, deren einer eine freie Bewegung hat, während man
den andern in der Hand hält, fand man, dass sich sowohl die Nordpole, als auch
die Südpole einander abstiessen, der Nordpol des einen und der Südpol des
andern dagegen einander stets anzogen. Weil sich die ungleichnamigen
Pole gleichsam suchen, die gleichnamigen aber fliehen, nennt man jene
freundschaftliche, diese aber feindliche Pole.
Wir sind berechtigt, die Erde selbst als einen grossen Magneten anzusehen.
Nur unter dieser Voraussetzung sind die folgenden Erscheinungen erklärlich.
In Bezug auf die kleinen Magnetnadeln ist früher gesagt worden, dass ihre
Richtung von Nord nach Süd gehe. Dies ist im Allgemeinen nur näherungs-
weise richtig; denn überall, mit Ausnahme sehr weniger Punkte der Erde, fällt
die Richtung der Magnetnadel nicht mit der Mittagslinie zusammen. Den Winkel,
welchen die Nadel mit der Mittagslinie bildet, nennt man die Deklination der
Nadel, und die Richtung der Nadel selbst den magnetischen Meridian,
In Europa ist diese Deklination jetzt westlich, hier grösser, da kleiner; sie ver-
ändert sich aber im Laufe der Jahre und ist namentlich im Jahre 1663 östlich
gewesen.
Die Magnetnadel hat aber ausser der Abweichung von der Mittagslinie noch
eine zweite; sie bildet nämlich mit dem Horizonte einen Winkel, den man ihre
190
Inklination nennt. Im mittleren Europa sinkt das nach Norden gerichtete
Ende der Magnetnadel nahe an 70 Grad herab. Dass der Kompass diese
Erscheinung nicht angiebt; wundert euch; denn Mancher von euch hat wohl
einen; — es liegt aber daran, weil bei diesem Instrumente die Magnetnadel nicht
in ihrem Schwerpunkte aufgehängt ist. In der Nähe des Aeqnators befindet sieh
eine Linie, wo die Nadel gar keine Inklination zeigt, Man nennt diese den
magnetischen Aequator. Südlich von ihm neigt sich das nach Süden
gerichtete Ende der Nadel unter den Horizont. Es giebt zwei Punkte der Erde,
an welchen die Nadel sieh senkrecht stellt. Diese Punkte nennt man die Pole
des Erdmagnetismus. Den Nordpol hat der Kapitaln John Ross im Jahre
1801 in 280" östlicher Länge und 70" nördlicher liroite gefunden. Den
südlichen Pol zu erreichen, ist ihm bei einer späteren Expedition nicht gelungen;
seine Lage lässt sieh daher nur vermuthen.
Zu den schlagendsten Beweisen für den Erdmagnetismus gehört auch die
Erfahrung, dass Eisenstäbe, lothrccht aufgehängt und so längere Zeit der freien
Luft ausgesetzt, von selbst magnetisch werden. Daher ist auch nicht zu befremden,
dass allerlei eiserne Geräthc und Werkzeuge, namentlich solche, die durch Reiben,
Stössen, Werfen u. s. w. oft in Erschütterung gerathen, allmählig Eisenfeile
anziehen und magnetische Pole bekommen.
Das Innere der Erde.
Wie es int Innern unserer Erde aussieht, kann Nieinand so eigentlich wisse»,
weil noch Niemand tief genug in das Innere der Erdkörper eingedrungen isi.
Die tiefsten Erdschachte haben höchstens eine Tiefe von 1500 Ellen; dahingegen
die Dikke des ErdkörperS, von seiner Oberflache bis zu seinem Mittelpunkte über
10 Millionen Ellen beträgt.
Dagegen ist die Hohe der Berge, bis zu denen der Mensch hinaufgestiegen
ist, weit beträchtlicher. Die OrtelS-Spitze in Tyrol hat eine Hohe von 7000
Elle», und der Chiuiboraffo in Amerika ist noch um etliche tausend Ellen höher;
die höchsten Berge aber findet man auf dem Hymalaha-Gebirge, welches Süd-
Asien von Mittel-Asien scheidet.
Wenn man Alles zusammenfaßt, was man beim Hinabsteigen in tiefe Berg-
schachte und beim Hinaufsteigen auf hohe Berge bemerkt hat, so hat man Alles
beisammen, was wir über den Bau unsers ErdkorperS wissen.
Tief unter der Erdoberfläche auf der wir, wohnen, scheint eö große Höhlen
zu geben, die wohl meistens mit Wasser angefüllt sein mögen. Denn bei großen
Erdbeben, wie sie zuweilen in Asien und auch bei uns in Eurova und Amerika
zugleich waren, hat sich die Erschütterung öfters fast zu nämlicher Zeit über eine
Strekke von mehreren tausend Meilen, z. B. im Jahre 1755 von Lissabon bis
hinüber nach Amerika verbreitet. Viele dieser Höhlen sind auch leer, und man
hat sie untersucht, wie die Muggendorfer Höhlen bei Nürnberg und die Viels-
und Baumannshöhle im Harze; aber das sind nur unbedeutende Höhlen. Man
19t
hat die Tiefe einer Höhle in Norwegen durch hineingeworfene Steine zu erforschen
gesucht; nach der Zeit, die der Stein gebrauchte, bis er zu Boden kam, hat man
die Tiefe auf 20,000 Ellen geschätzt. Eine andere Höhle in dem nämlichen Lande
senkt sich tief unter das Meer hinab; an der Stelle, bis zu der man sich gewagt
hat, hört man ganz deutlich das Meer über sich brausen. In dem Gebirge Cintro
in Estremadura ist auch eine Höhle, die mit ihren zusammenhängenden Gewölben
über 3 Meilen weit fortläuft.
In der Tiefe der Erde muf; aber auch an einigen Orten ein Feuer oder
sonst eine Ursache vorhanden sein, die eine große Wärme erzeugen kann. Denn
wenn man in manche Bergschachtc hinabsteigt, so findet man hier eine besondere
Wärme; nicht die gleichmäßige, die ein tiefliegender Keller zu haben Pflegt,
sondern eine andere, die um so mehr zunimmt, je tiefer man hinabsteigt. Der
Grund der hier aufsteigenden Wärme muß tief in dem Innern der Erde liegen.
, Auch die Lava, das ist die feurige geschmolzene Masse, welche ein feuer-
speiender Berg auswirft, muß ans großer Tiefe heraufkommen, vermuthlich von
eben den Stellen, von wo auch jene zunehmende Wärme im Innern der Erde
kommt. Ein berühmter Reisender, Alcrander von Humboldt, hat einmal in den
Schlund eines feuerspeienden Berges, der damals gerade in Ruhe war, hinunter
gesehen, und hat in der Tiefe des Schlundes drei unterirdische Bergspitzen
bemerkt, aus denen oben Feuer und Rauch hervordrang. In Europa sind drei
berühmte feuerspeiende Berge: der Hektar auf der Insel Island, der hohe Aetna
auf der Insel Sicilien, und der Vesuv in der Nähe von Neapel. Auch in den»
Aetna, wenn er ganz ruhig ist, sieht man die Flamme von Zeit zu Zeit auflodern
und die Lava, wie eine siedende Masse, bald steigen, bald sinken.
Der Ausbruch-eines feuerspeienden Bcrgeö ist oft mit einem Erdbeben und
mehrentheils mit grausenhaften Erscheinungen verbunden. Die Lust wird oft
meilenweit so finster, daß man bei Tage Licht anzünden muß; die Thiere leben
in sichtbarer Angst; auf ein unterirdisches Getöse erfolgt eine berghohe Feuer-
und Rauchsäule. Dabei scheint auch der Himmel in den Gegenden deö feuer-
speienden BergeS in Flammen zu stehen. Blitze fahren auö den Wolken hinunter
nach dem brennenden Schlunde, und Blitze fahren auö diesem hinauf in die
Wolken. Regengüsse stürzen nieder und bilden mit der ausgeworfenen Asche einen
Strom von Schlamm, der ganze Städte und Dörfer verschütten kann. So ging
cs im Jahre 70 nach Christi Geburt den Städten Herknlanum und Pompeji in
der Nähe von Neapel. Sie wurden bei einem Ausbruch des Vesuvs von der
ausgeworfenen Asche verschüttet, und sind erst in neuerer Zeit wieder aufgegraben
worden.
Ein Theil der Quellen, besonders die heißen, mögen auch wohl aus großer
Tiefe heraufkommen; vielleicht sind es Dämpfe, die in die Höhe steigen und wieder
zu Wasser werden, sobald sie sich abkühlen. Die meisten Quellen aber entstehen
auf de» Bergen, und man kann cS beinahe vor Augen sehen, wie sie sich bilden.
Die Berge ziehen Wolken und Wasserdämpfe auö der Luft an sich und verdichten
sie zu Wasser, gerade wie ein Spiegel, den man aus der Kälte in ein warmes
192
Zimmer bringt, die Wasserdämpfe an sich zieht und sogleich von einem feuchten
Ueberznge bedeltt wird. Daö Wasser rinnt dann an den Wänden der Bcrgritzen
hinunter, und wenn es sich in großen Massen gesammelt hat, bricht eö unten am
Berge als Quelle hervor.
Die Gebirge.
Die Oberfläche des festen Landes ist entweder Nrgebirge oder Flötzgebirge
oder aufgeschwemmtes Land. In den Urgebirgen sind die bekanntesten Steinarten
Granit und Thonschiefer; sie enthalten weder Muscheln, noch Steinkohlen, noch
Salze, sind aber reich an mancherlei Erzen. Das Nrgebirge findet sich nur auf
den höchsten Punkten der großen Gebirge; man sicht eö als de» eigentlichen Kern
der Gebirge an.
Die Flötzgebirge bestehen hauptsächlich'anö Kalk, Gips und Sandstein; sic
führen auch Muscheln, Salz und Steinkohlen bei sich und sind oft sehr reich an
Eisen und Blei, aber arm an andern Erzarten. In den Flötzgebirge» findet man
oft große Schichten oder Lagen von Steinen übereinander, die gerade aussehen,
als ob man aus gewaltigen Werkstütken von Sandstein und Gips eine Niefcn-
mauer aufgeführt hätte. Solche Schichte» nennen die Bergleute Flötze; denn
flößen oder flötze» bedeutet das 'Ansetzen deö Gesteins durch Wasser; und offenbar
sind alle Flötzgebirge durch Wasser gebildet.
Die Flötzgebirge bilden schöne, ansehnliche Berge, die nicht so hoch, wie die
Urgebirge, sind, aber steiler und jäher aussehen. Die Gegenden am Fuße dieser
Gebirge und die Thäler sind gar fruchtbar. Auf den Höhen der Flötzgebirge ist
es freilich hie und da etwas kahl und unfruchtbar. Denn das Kalkgebirge hat
oben auf seinen Gipfeln meistens gar kein Wasser, keine Quelle, keinen Bach,
noch weniger einen Sec. Da müssen denn die Leute oft sehr weit hinunter gehen,
um Wasser für sich und ihr Bieh zu holen, oder sie müssen das Negenwasser
auffangen.
Das aufgeschwemmte Land besteht auS losem Sande, aus Lehm und aus
Töpferthon, und man findet dann weder Erz, noch gediegenes Metall, sondern
höchstens noch Braunkohlen. Wenn aber auch im aufgeschwemmte» Lande nicht
viel zu holen ist, so kann doch der Mensch durch seinen Fleiß gar viel hinein-
tragen. Denn Wasser giebtö da zieinlich viel. Es giebt daher überall im
aufgeschwemmten Lande Sümpfe, feuchte Ebenen, wo viel Laubwald und schönes
Gras wächst, fetten Akkerboden mitten im Sande, große Flüsse mit fruchtbaren
Ufergegendcn, und viele kleine Seen. Die Hügel bestehen aus Sand, Thon
und Lehm.
Hat unser Baterland und namentlich die Mark einen Überfluß an aufge-
schwemmtem Lande, so fehlt eö dock auch nicht an Flötz- und Urgebirgen.
Gar herrliche Flötzgebirge giebt es z. B. in der sächsischen Schweiz, in Schlesien,
südwärts vom Main über den Odenwald hinweg bis zum Nekkar. Wer an der
Donau hinuntergeht, von Negcnöburg an bis fast nach Wien, der sieht linker
193
Hand, oder nördlich von sich hinauf, keine andern Höhen, als Urgebirge. Im
sächsischen Erzgebirge, in Böhmen bei Eger, in der Oberlausitz bei Bautzen giebt
es auch Urgebirge. Auch die Leute am Thüringer Walde, und die am Harze beim
BlokkSberg oder Brokken haben ein kleines Pröbchen von Urgebirge um sich.
Freilich ist in allen diesen Gegenden daS Urgebirge nicht so hoch, wie in Savoyen,
Graubündten und Tyrol; aber unsre deutschen Landsleute werden sich darüber
gerade nicht betrüben. Denn es ist zwar etwas Herzerhebendeü und Herrliches um
so ein Alpengebirge; aber wenn man dann, auch mitten im Sommer, in die
unermeßlichen Schnee- und Eisfelder hineinsieht, da fühlt man, daß solche gewal-
tige Höhen mehr für kühne Adler und Gemsen gemacht sind, als für den Menschen,
der sich unten im Thale doch gemüthlicher befindet bei seinen grünen Wiesen und
Auen und Garten.
Bildung der Erdoberfläche.
DaS Meer, welches den größten Theil der Erde bcdckkt, erscheint uns nicht
so gar uneben, wenn nicht Stürme es zu haushohen Wellen aufthürmen. Aber
unten im Meeresgrunde ist wieder dieselbe Abwechselung von Höhen und Tiefen,
von Bergketten und weiten Thälern, gerade wie auf unserer Erde. Man sieht
dieses init bloßen Augen an vielen Stellen des Meeres, wo die Berge sich bis
nahe an die Oberfläche des Wassers erheben; und die Schiffsleute bemerken es
auch mit ihren Ankern, die auf einer Stelle vielleicht zehn Klaftern tief einsinken
und gleich daneben oft keinen Grund finden. Als im Jahre 1737 der große
feuerspeiende Berg auf Kamtschatka einen Ausbruch machte, da trat das Meer
meilenweit vom Ufer zurükk, und die Bewohner der Küste sahen mit Grausen
hinab in die ungeheure Tiefe, in welcher Berge und Thäler nun aufgcdrkkt da
lagen. Gleich darauf kam das Meer wieder, und trat mit solcher Gewalt über
daö Ufer, daß es bis zur Höhe von 00 Ellen hinaufstieg und Häuser und
Bäume hinwegriß.
Wenn man daher auf einmal daö Meer ablassen könnte, so würde eS auf
seinem Grunde nicht viel anders aussehen, als auf vielen Stellen unsrer Erdober-
fläche. Wir würden da große, lange Sandflächen und Berge von Kalk und
Gypö sehen, die sich aus dem Meerwasser gebildet haben, alle untermischt mit
häufigen Muscheln und andern Seethieren. Denn wenn man unsere meisten
Berge ansieht, bemerkt man leicht, daß sie auch einmal unter Wasser gestanden
haben, und daß sie in einem großen Meere gebildet worden sind. Biele von ihnen
sind ganz erfüllt von Muscheln und Ueberresten von Seethieren, und aus manchen
hohen Bergen von Neu-Holland, die jetzt viele Meilen vom Meere landeinwärts
liegen, sieht man noch jetzt Eorallenbäumchcn aufwärts stehen, und der ganze
Boden sieht so aus, als wenn er plötzlich vom Meere verlassen worden wäre.
Aber man braucht nicht so weit zu reisen, um etwas AehnlicheS zu sehen. Auch
in und auf unseren Kalkbergen findet man Corallen und Muscheln, die nur im
Meere gelebt haben können. Man sieht eö manchen unserer Sandgcgenden an,
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daß einmal lange Zeit hindurch Wasser darüber gefluthet haben muß; das Salz,
daö manche unserer Berge und Ebenen in sich führen, muß auch noch anö jener
Zeit herrühren, wo ein salziges Meer da stand. Manche Naturforscher glauben,
das Meer sei nach und nach kleiner geworden und nehme noch jetzt ab. Denn
einige Städte an der Ostsee und am Mittelmeere sollen wirklich nach alten Auö-
sagen und Zeugnissen ehedem näher am Meere gelegen haben, als jetzt, z. B.
Danzig. Aber andere und eben so gründliche Naturforscher haben bewiesen, daß
dies nur an einigen Meeren und an einigen Oertern so scheine, und daß das
Meer seit Jahrtausenden weder um ein Merkliches angewachsen sei, noch abge-
nommen habe.
Es muß also jene große Veränderung, wodurch viele unserer Länder und
Berge vom Meere verlaßen und zu festem Lande geworden sind, nicht allmälig,
sondern auf einmal gekommen sein. Doch ist das nicht die einzige Veränderung,
die mit unserer Erde vorgegangen ist. Im Würtembcrgischen, i» Thüringen, in
Braunschweig und an andern Orten Deutschlands, ferner in Frankreich und sogar
in dem kalten Sibirien hat man Knochen auögegraben von Elephanten und
andern Thieren, die nur in sehr heißen Ländern leben können; dazu auch an den
nämlichen Orten Palmen, Bambusrohre und andere Gewächse, die nur in warmen
Ländern gedeihen. Diese Thiere und diese Pflanzen müssen einmal in jenen
Ländern gelebt haben; es muß dort also viel wärmer gewesen sein, als es jetzt ist.
Wie es nun damit zugegangen und wodurch eine solche Veränderung ent-
standen sei, daS wissen die Gelehrten selber nicht, wie sie denn überhaupt gar
Vieles nicht wissen. Die heilige Schrift aber und die Sagen der Völker erzähle»
uns von einer große» Flnth, von der Sündflnth, die über den ganzen Erdboden
gekommen sei und ihre höchsten Berge bcdekkt habe. An eine solche Fluth, nach
deren Verlauf die Erdoberfläche ihre jetzige Gestalt und ihr jetziges Klima erhalten
hat, muß man glauben, wenn man nicht alle» Zeugnissen der Natur geradezu
in'ö Angesicht widersprechen will. Ein Theil des damaligen festen Landes ist
dabei im Meere versunken, und ein Theil des MeergrundeS ist zum trokkenen
Lande geworden.
Das Meer.
DaS Meerwasser ist von Geschmakk salzig und bitter, und daher für die
Menschen untrinkbar, welche zuweilen auf der unabsehbaren Wasserfläche des
Meeres vor Durst sterben müssen; doch kann es durch Destillation trinkbar
gemacht werden, so wie auch daS geschmolzene Eis des MeerwasserS trinkbares
Wasser giebt. Diese Salzigkeit, welche eine ursprüngliche Eigenschaft des Meer-
wasserS zu sein scheint, kann nicht aus dem Hineinfließen von Salzquellen oder
der Auflösung auf dem Meeresgrunde befindlicher Salzlager hergeleitet werden.
Gegen den Aequator hin, und in der Tiefe ist das Wasser salziger, alü nach den
Polen zu und an der Oberfläche. Die Farbe des MeerwasserS ist in offener See
und über der größten Tiefe dunkelblau, ins Grünliche übergehend, und wird nach
195
beni Lande zu gewöhnlich Heller; doch nimmt es auch von dem Boden und den
darin befindlichen Seegewächsen und Gewürmen noch andere Farben an. Zuweilen
sieht man cö des Nachts ans seiner ganzen Oberfläche leuchten und selbst bis
tief in das Innere erhellt, wo man die Fische als glänzende Körper schwimmen
sieht; ein segelndes Schiff wird von glänzenden Wellen umspielt, in welchen
Sterne und Blitze aufleuchten, und ein langer feuriger Streifen bezeichnet die
Spur seines Weges. Zuweilen scheint dieser Glanz von unzählig vielen kleinen
leuchtenden Seewürmern herzurühren, welche die ganze Oberfläche dcö Meeres
erfüllen, kugelförmig und nicht größer, als ein Radelknopf, sind; zuweilen scheint
er aber auch einen andern Ursprung zu haben. Obgleich der Wärmezustaud des
Meeres viel gleichförmiger ist, als der des Landes, so gefriert es doch in der
Nähe des Landes und in eingeschlossenen Buchten und'Äugen; in den kalten
Zonen aber schwimmen auf dem Meere große Felder, Inseln und Berge von Eis
umher, welche der Schiffer, dem sie sehr gefährlich sind, schon in weiter Ferne an
einem Hellen Scheine, Eiöblink genannt, erkennt. —
Ebbe und Fluth.
Wer an der Nordsee wohnt, hinter Hamburg oder Breme», oder gar am
atlantischen Meere, dem bietet die See alltäglich ein merkwürdiges Schauspiel
dar. Ihr steht bei hoher See ruhig am Strande und seht in stiller Bewunderung
aus das Meer. Auf einmal werdet Ihr gewahr, dasi die Gewässer dcö Meeres
vom llfer zurükktretcn, und daß ein Theil dcö Sccbodenö am Ufer unbedekkt da
liegt. Das Zurükkweichen des Meeres hält sechs Stunden lang an, und nach
Verlauf dieser Zeit tritt ei» kurzer Stillstand ein. Nach einer Weile kehrt das
Wasser allmälig zurükk, und je stärker es vorhin zurütlwich, desto höher thürmt es
sich jetzt an den Ufern auf. Das Steigen des Meeres währt wieder sechs Stunden;
aber nach kurzem Stillstände weicht das Meer wieder vom Ufer zurükk, und eö
wiederholt sich immer von Neuem dieselbe Erscheinung.
In 24 Stunden und 50 Minuten ist zwei Mal Ebbe und Fluth; erst nach
Ablauf eines Monats fallen Ebbe und Fluth wieder auf die nämlichen Tages-
stunden. Worin hat aber diese Bewegung dcö Meeres ihren Grund? Die Fluth
beginnt an jedem Tage kurz nach dem höchsten und dem niedrigsten Standpunkte
des Mondes; die stärksten Fluthcn treten anderthalb Tage nach dem Vollmonde
und nach dem Neumonde, die geringsten anderthalb Tage nach dem ersten und
letzten Viertel ein, und man sieht daraus, daß Niemand anders, als der Mond
an dem Steigen und Fallen des Meeres schuld ist. Die schwache Fluth, welche
zur Zeit des ersten und letzten Viertels eintritt, nennt man Wipfluth oder die
todte Fluth; die starke, welche zur Zeit des Vollmondes und dcö Neumondes
Statt findet, nennt man die Springfluth. An der Nordsee ist sic so heftig, daß
sie die Deiche übersteigt, durch welche man das Land gegen Einbrüche deö Meeres
gesichert hat; oft richtet sie in de» Niederungen große Verheerungen an. Der
Dollart, ein Meerbusen in Ostfriesland, soll im Jahre 1277 durch den Einbruch
des Meeres in das Festland entstanden sein.
196
Strömung des Meeres.
Die bekannteste und merkwürdigste Strömung des Meeres ist diejenige, die
in dem atlantischen und in dem stillen Meere zwischen den Wendekreisen Statt
findet, und welche man deshalb die Requatorströmung genannt hat. Ihre Richtung
geht von Osten nach Westen; im atlantischen Meere also, von der Westküste von
Afrika nach der Ostküste von Brasilien. Ihre Geschwindigkeit ist so groß, daß
ein Schiff, welches bloß der Aequatvrströmung folgte, in einem Tage doch immer
noch zehn Seemeilen zurükklegen würde.
Woher denn diese gewaltige-Strömung? Gewiß von den Passatwinden, die
zwischen den Wendekreisen beständig von Südost und Nordost her wehen; die treiben
die Wogen und mit ihnen die Schiffe immerfort gegen Nordwest oder Südwest. —
Die Hauptsache aber ist der tägliche Umschwung der Erde von Westen nach Osten;
der bringt die Passatwinde hervor und auch die Strömungen des Meeres in der
Nähe des AeguatorS.
Die Aeguatorströmung im atlantischen Meere bricht sich an der Ostküste
von Amerika, und eS entstehen hier zwei rükkwärtS gehende Strömungen; die
eine geht südlich nach dem Kap Horn, die andere nördlich nach der Küste von
Mcriko. Von da wendet sie sich weiter ostwärts und bildet den Golfstrom, dessen
Gewässer sich durch eine schöne blaue Farbe und durch größere Wärme vor dem
übrigen Meerwasser auszeichnen. Weiterhin theilt sich der Golfstrom in mehrere
Arme, und zuletzt gelangen seine Fluthen auf mehreren - Umwegen nach der
Westküste von Afrika zurükk.
Die Zonen.
Die Erde dreht sich iit 24 Stunden ein Mal von Westen nach Osten um
sich selbst. Es kommt aber jedem Menschen so vor, als stehe die Erde unbe-
weglich, und es drehe sich die Sonne von Osten nach Westen um die Erde;
denn kommt sie nicht früh am Morgenhimmel zum Vorschein, und verschwindet
sie nicht am Abend hinter den Bergen, die den Abcndhimmel begrenzen?
ES wird Einem schwer, an die Umdrehung der Erde zu glauben, weil von
der Bewegung der Erde doch gar Nichts zu merken ist, und weil man doch
deutlich zu sehen glaubt, wie Sonne, Mond und Sterne sich von Morgen gegen
Abend um die Erde drehen. Aber in solchen Dingen kann der Schein leicht
trügen. DaS Leben giebt ja mancherlei Beispiele hierzu. I. B. Man sitzt in
einem Kahne, der sanft übers Wasser gleitet, und sieht nur auf die am Ufer
stehenden Bäume, Häuser u. s. w.; ist es da nicht Jedem, als liefen die Bäume,
Häuser u. s. w. vorüber? Gerade so ist eS auch mit der Umdrehung der Erde;
sie ist nicht zu merken, weil sie vollkommen gleichförmig und ohne Anstoß
geschieht, und deshalb glaubt Jeder, es drehe sich der ganze Himmel mit Sonne,
Mond und allen Sternen i» 24 Stunden um unsere kleine Erde herum.
Wenn eine Kugel sich in immer gleicher Richtung umdreht, so bleibt nur
die Are, d. i. die Umdrehungslinie der Kugel, in beständiger Ruhe; alle andern
197
Punkte der Kugel bewegen sich unaufhörlich im Kreise herum. Denjenigen Durch-
messer, um welchen die Erde sich dreht, nennen wir die Erda re; die Endpunkte
derselben heißen die Pole. Nun zeigt daS eine Ende der Erdare ziemlich genau
nach dem Polarstern hin, und den Pol auf dieser Seite der Are nennen wir den
Nordpol, den entgegengesetzten den Südpol der Erde.
Nun denkt man sich auf der Erde noch mancherlei kleinere und größere Kreise;
von diesen soll hier zuerst der Aequator, die beiden Wendekreise und die
beiden Polarkreise genannt werden.
Wer sich genau in der Mitte zwischen den beiden Polen einen Kreis um die
Erde denkt, der hat den Aequator, den die Schiffer auch schlechthin die Linie
nennen. Sie theilt die Erde in zwei gleiche Halbkugeln, die nördliche, auf welcher
wir wohnen, und die daS meiste feste Land enthält; und die südliche, auf welcher
nur der kleinere Theil des festen Landes und einige größere Inseln liegen.
Daß man sich unter der Linie befindet, kann man recht gut wissen; denn
man bemerkt eS an der So-nie. Zu der Zeit nämlich, wo bei uns und auf der
ganzen Erde Tag und Nacht gleich sind, am 21. März und am 23. September
jeglichen Jahres, steht die Sonne gerade über dem Aequator, und die Leute, die
rund um die ganze Erde auf dem Aequator wohnen, sehen dann zu Mittage die
Sonne gerade in ihrem Scheitelpunkt. Da wirft denn kein Baum und kein
HauS einen Schatte», weil das Licht gerade von oben herab auf die Gegenstände
fällt. Da wisse» es also die Leute, die auf dem Aequator wohnen, und die
Schiffer merken es auch.
Vom 21. März rükkt die Sonne täglich ein wenig weiter gegen Norden,
und jetzt sehen die Leute, die nördlich vom Aequator wohnen, die Sonne zu
Mittage in ihrem Scheitelpunkte. Das geht nun so fort bis zum längsten Tage,
dem 21. JunluS; an diesem Tage, steht die Sonne über dem nördlichen Wende-
kreise, und alle die Leute, welche auf diesem Kreise wohnen, sehen die Sonne nach
und nach zu Mittage in ihrem Scheitelpunkte. DaS sind nun aber auch die
letzten auf der nördlichen Halbkugel der Erde, welche die Sonne zu Mittage in
ihrem Scheitelpunkte sehen; denn vom 21. JuniuS wendet sich die Sonne wieder
gegen Süden; am 23. September steht sie wiederum über dem Aequator, und
am 21. Dezember, d. i. an unserem kürzesten Tage, steht sie jenseits des AequatorS
über dem südlichen Wendekreise. Wenn die Sonne im südlichen Wendekreise steht,
dann reichen ihre Strahlen bis an den nördlichen Polarkreis, und wenn sie im
nördlichen Wendekreise steht, dann reichen sie bis an den südlichen Polarkreis.
Man sieht also, daß die Wendekreise und die Polarkreise nicht willkürlich oder
nach Gutdünken gezogen sind; ihre Lage ist durch den Lauf der Sonne selber
bestimmt. Die Orte der Erde, an denen man an unserm längsten Tage die
Sonne im Scheitelpunkte sieht, die liegen im Wendekreise des Krebses; die Orte
der Erde, an denen man sie an unserm kürzesten Tage im Scheitelpunkte sicht,
durch die geht der Wendekreis des Steinbokks. Die Polarkreise bilden zur Zeit
des Längsten und kürzesten Tages die Grenze des erleuchteten Theils unserer
Erde. Die Sonnenstrahlen reichen dann nur bis an die Polarkreise, und hier
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198
grenzen also aneinander die Orte der Erde, denen die Sonne noch aufgeht, an
diejenigen, welche den ganzen Tag lang die Sonne gar nicht mehr zu sehen
, bekommen.
Alle die Leute, die zwischen den beiden Wendekreisen wohnen, sehen die Sonne
zwei Mal im Jahre in ihrem Scheitelpunkte, und sie steht ihnen auch sonst
niemals sehr niedrig. Darum ist eS auch zwischen den beiden Wendekreisen viel
heißer, als in unseren Gegenden, und die Hitze würde noch weit größer sein,
wenn dort die Tage eben so lang wären, als sie im Sommer bei uns sind. Aber
unter dem Aeguator sind Tag und Nacht beständig gleich. Weiter gegen Süden
und Norden sind zwar Tag und Nacht nicht immer gleich; aber der Unterschied
ist doch nicht so beträchtlich; da kühlet in den langen Nächten die Hitze deü Tages
sich um ein Merkliches ab, und macht, daß die Leute sich von der Tageshitze ein
wenig erhole».
Wie geht es aber den Leuten, die nördlich vom nördlichen Wendekreise, oder
südlich vom südlichen Wendekreise wohne»? Es geht ihnen ganz erträglich, wie
wir ja an uns selber sehen, die wir doch schon ziemlich weit vom nördlichen
Wendekreise entfernt wohnen. Die Sonne steht für uns am höchsten, wenn sie
über dem nördlichen Wendekreise steht, und steht für unS am niedrigste», wenn
sie über dem südlichen Wendekreise steht. Je weiter ein Ort vom Aeguator
entfernt, und je näher er einem der beiden Pole liegt, desto niedriger stellt für
ihn die Sonne sowohl am längsten, als auch am kürzesten Tage, und wer auf
einem der beiden Polarkreise wohnt, der hat an feinem kürzesten und an seinem
längsten Tage ein merkwürdiges Schauspiel. An dem kürzesten Tage geht die
Sonne für den nördlichen Polarkreis eigentlich gar nicht auf. Wenn die Mittags-
zeit eintritt, so zeigt sich die Sonne am südlichen Hiinmel nur für einige
Augenblikke, recht als ob sie sagen wollte: „Ich bin noch immer da; aber ich
habe keine Zeit, lange bei Euch zu verweilen." Das Alles aber juckt sie am
längsten Tage, wenn sie im nördlichen Wendekreise steht, wieder einzubringen.
Sie steigt am Himmel eben nicht sehr hoch, etwas höher, als bis zur Mitte des
Bogens, den man vom Scheitelpunkte bis zum Horizonte ziehen kann; aber
dafür geht sie auch den ganzen Tag nicht unter. Gegen Mitternacht, d. h. 12
Stunden nach Mittag, senkt sie sich, gerade im Norden, auf einen Augenblikk
zum Horizonte hinab; aber eö ist, als ob es ihr leid werde, fort zu gehen,
und fiugS erhebt sie sich wieder und durchläuft ihre Bahn von Neuem. Von da
ab macht sie die Näckte für den nördlichen Polarkreis immer etwas länger, bis
zuletzt die Nacht volle 24 Stunden lang wird, und für den Tag eigentlich gar
Nichts übrig bleibt.
Wie niag es nun erst den Leuten ergehen, die noch über den Polarkreis
hinaus wohnen? Daö läßt sich leicht denken, wie es denen ergehen muß. Je
näher sie dem Nordpol wohnen, desto länger sind im Winter ihre Nächte, und
int Sommer ihre Tage. Da giebt es Gegenden, wo die Sonne mehrere Tage,
Wochen und Monate lang nicht aufgeht; ja, wer gerade unter dem Pol wohnte,
der hätte ein halbes Jahr Tag und ein halbes Jahr Nacht; denn in der einen
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Hälfte des Jahres ginge für ihn die Sonne nicht auf, und in der zweiten nicht
unter. Aber unter den Polen wohnen, so viel wir wissen, keine Menschen; auch
ist noch kein Schiff, so oft man es auch versucht hat, bis zu den Polen hindurch
gedrungen. Die kühnen Seefahrer, die das Meer in den Gegenden um den
Nordpol untersucht haben, sind meist zwischen ungeheure Eisberge gerathen, und
haben von Glükk zu sagen gehabt/ wenn sie wohlbehalten wieder in ihre Hcimath
gekommen sind.
Das muß doch ein klägliches Leben sein, wenn man Wochen u, d Monate
lang die Sonne nicht sieht, sondern so lange Zeit in finsterer Nacht sitzen muß.
Ohne Zweifel wäre das für uns ein trauriges Leben; aber die Gewohnheit
macht Vieles erträglich. Einigen Ersatz für das Sonnenlicht gewährt den
Bewohnern jener nördlichen Gegenden die Dämmerung, welche der langen Nacht
voraufgeht und nachfolgt; außerdem aber zeigt sich in jenen nördlichen Gegenden
häufiger, als bei uns, das prächtige Nordlicht, das den ganzen Himmel mit
seinen wunderbaren Strahlen erleuchtet, und man kann dort auch ohne das
Sonnenlicht schon so viel sehen, als die Nothdnrft gerade erfordert. Das Uebelfte
ist nur, daß die Natur dort gleichsam erstorben ist; kein schattiger Vanni, der
Früchte brächte, kein üppiges Gras, an dem die Thiere sich rrquikken könnten,
kein Kornfeld mit üppigem Getreide; höchstens Rennthiere, mit deren Fellen sich
die Menschen bekleiden, und von deren Milch und Fleisch sie sich nähren; in
mancher Gegend auch wohl Bären, deren Fleisch zur Speise dient; oder Fische,
die man als Wintervorrath trokknet und aufbewahrt.
Da ist cs bei uns doch besser, und überhaupt lebt man am besten und
sichersten in den beiden gemäßigten Erdstrichen, d. i. in den Ländern zwischen
den Wendekreisen und den Polarkreisen. In den beiden kalten Erdstrichen, d. h.
rund um die Pole herum bis an die Polarkreise, hcrrsckt grimmige Kälte, und
die Natur erstarrt. In der heißen Zone, d. h. in dem Erdstriche zwischen den
Wendekreisen, ist die Hitze allzulästig, und wenn auch die Natur dort vielerlei
Schönes erzeugt, das unsern Gegenden abgeht, so wimmelt'S doch auch von
schädlichen Insekten und lästigem Gewürme und allerhand Thiere», mit denen der
Mensch nicht gern verkehren mag. Aber das ist ein Trost für unö Alle; Die
Erde ist überall des Herrn'!
Die Eintheilung der Erde nach Graden.
Um jeden Ort auf der Erde genau bestimmen zu können, denkt man
stch gewisse Kreise um dieselbe, und theilt diese, wie jeden Kreis, in 300
Grade. Man unterscheidet aber Grade der Länge und Grade der
Breite. Die Grade der Breite bestehen aus größeren und kleineren
Kreisen, die gleichlaufend mit dem Aequator um die Erde gedacht werden.
Diese Kreise sind 15 Meilen von einander entfernt. Der Aequator
wird gerechnet Nullgrad; nördlich von ihm ist der erste Grad nördlicher
Breite, und südlich von ihm ist der erste Grad südlicher Bre,ite. Die
14 *
Pole fallen also gerade unter den 90. Grad. Die Längengrade sind
360 Halbkreise, die von einem Pole zum andern, durch den in 360
Theile getheilten Aequator gezogen, gedacht werden. Wer mit uns auf
gleichem Grade der Länge wohnt, oder auf entgegengesetztem Grade der
Breite, der heißt unser Gegenwohner und hat mit uns dieselben
Tageszeiten, aber entgegengesetzte Jahreszeiten. Wer mit uns auf gleichem
Grade der Breite, aber auf entgegengesetztem Grade der Länge wohnt,
der heißt unser Nebenwohner und hat mit uns dieselben Jahreszeiten,
aber entgegengesetzte Tageszeiten. Wer mit uns auf entgegengesetztem
Grade der Länge und auf entgegengesetztem Grade der Breite wohnt,
der hat mit uns entgegengesetzte Tages- und Jahreszeiten und heißt unser
Gegenfüßler.
Die Erdtheile.
Wenn man sich eine deutliche Vorstellung machen will, wie Land
und Wasser auf der Erde vertheilt sind, so geschieht es am besten durch
eine künstliche Erdkugel, d. i. durch ein Modell, das die Erde im Kleinen
vorstellt. Wer keine künstliche Erdkugel haben kann, der behilft sich mit
einer oder mit etlichen Landkarten, auf denen man einzelne Theile der
Oberfläche unserer Erde, so gut als es gehen will, abgebildet hat. Auf
einer solchen Abbildung werden die Gebirge und die Flüsse, die Wälder
und Seen, die Städte und Dörfer, oft auch die Erzeugnisse des Landes,
durch leicht verständliche Zeichen angedeutet, und wer die Karte aufmerk-
sam betrachtet, der kann sich daraus eine Vorstellung von der Lage und
Beschaffenheit des Landes bilden.
Gewöhnlich stellt eine Landkarte nur ein kleines Stükk unserer Erde,
ein einzelnes Land, oder gar nur eine einzelne Provinz vor; je kleiner
aber das abgebildete Stükk ist, desto genauer kann es in der Abbildung
dargestellt werden. Um auf einer Landkarte die ganze Erde auf ein Mal
zu übersehen, zerschneidet mau die künstliche Erdkugel in zwei gleiche
Stükke und bildet jede der beiden Halbkugeln Weben einander als eine
kreisrunde Fläche ab; eine solche Abbildung aber nennt man ein Plani-
globium oder eine Flachkugel, weil sie die Erdkugel auf einer Fläche
oder vielmehr auf einer Ebene darstellt.
Große Genauigkeit kann eine solche Abbildung nicht haben; denn
das abgebildete Stükk der Erde ist kugelförmig gewölbt, und die Abbil-
dung ist eben; aber man sieht doch wenigstens die Umrisse der Länder
und Meere und kann sich ihren Zusammenhang anschaulich machen.
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201
Dic Mbildmig. die hi« n»f diesel» Binile z„ schei, ist, foli l'lch zur Eilàutcnma de, hler folncu.
ben avmfrfuitrtc" Wcium. Wcr sch aeiinner nnicnichten »'il,, dcr m»h cin nrStzere» Plnnigiobài.
citic funftltdje IfrCfuflcI «nd emacine 8«>,dka,te>l zn Nati,e lichen. 8
202
Das Erste, was man beim Gebrauche der Flachkugel wahrnimmt,
ist dieses, dafi der größere Theil unserer Erde mit Wasser bedekkt ist.
Das Meer nimmt mehr als zwei Dritthcile, das feste Land noch nicht
ein Drittheil von der Oberfläche der Erde ein.
Das feste Land auf der Erde zerfällt in zwei große Massen, und
man durchschiteidet deshalb die Erdkugel gewöhnlich so, dafi jede Haupt-
masse eine Halbkugel einnimmt; gerade, wie es auch in der vorliegendeir
Abbildung geschehen ist. Die erste Halbkugel nennt man die westliche,
die zweite die östliche; weil, von unseren Gegenden aus, jene gegen
Abend, und diese gegen Morgen liegt. Eben darum nennt man auch
das feste Land auf der ersten: Westfefte, gewöhnlich aber Amerika
oder die neue Welt, weil sie erst vor 360 Jahren entdekkt worden ist, —
das auf der zweiten Ostfeste.
Zwischen den beiden Hauptmassen dcS festen Landes liegen nun die
beiden großen Weltmeere; westlich von der Ostfeste liegt das atlantische,
östlich von derselben das große oder daS stille Weltmeer. Von der
Ostfeste kann man daher auf einem Doppelten Wege nach der iteuen
Welt gelangen; man schifft entweder in dem großer! Weltmeer immer
fort gegen Osten, oder in dem atlantischen Meer immer fort gegen
Westen; auf dein ersten Wege gelangt man an die Westküste, auf dem
zweiten an die Ostküfte von Amerika. Hoch im Norden, beider Halb-
kugeln ist das nördliche, und tief im Süden das südliche Eismeer
zu sehen. Zwischen dem südlichen Eismeere und dem festen Lande auf
der östlichen Halbkugel befindet sich noch ein ansehnliches Gewässer;
man nennt es das indische Meer, von einem Lande, das im Norden
dieses Meeres liegt und schon in alten Zeiten unter dem Namen Indien
bekannt war. Dieses Meer stresst drei große Meerbusen in das Festland
hinein; westlich den arabischen Meerbusen, der von dem mittelländischen
Meere nur durch die Landenge Suez getrennt wird; weiter gegen Osten
den persischen Meerbusen, in welchen sich der Euphrat ergießt, und
zuletzt den Meerbusen von Bengalen, der die Flüsse Ganges und Bur-
maputer aufnimmt und Indien in zwei große Halbinseln scheidet.
Auf der Westseite der östlichen Halbkugel seht ihr ein Gewässer,
das mit mancherlei Einschnitten und Krümmungen tief in das Festland
hineingeht. Das ist das mittelländische Meer, eigentlich ein Busen
des großen atlantischen Meeres, mit dem es nur durch eine schmale
Straße, die Meerenge von Gibraltar, zusammenhängt. Rund um
dieses Gewässer liegen drei große Ländermassen, welche man Erdtheile
oder auch wohl Welttheile genannt hat: im Norden Europa, welches
wir bewohnen; im Süden Afrika, welches fast ganz vom Meere
umgeben ist und nur durch einen schmalen Erdstrich, die Landenge von
Snez, mit dem übrigen Festlande zusammenhängt; östlich von beiden
Asien, der größte der drei Welttheile, dessen nordöstliche Spitze noch
203
in die westliche Halbkugel hineinreicht. Im Süden von Asien bemerkt
man noch eine Menge größerer nnd kleinerer Inseln; die größte derselben,
Nen-Hollanv, ist ungefähr so groß wie Europa, und wird zusammen
mit den umliegenden Inseln als ein besonderer Erdtheil angesehen, den
man gewöhnlich Australien nennt.
Einzelne Theile des mittelländischen Meeres führen schon von Alters
her verschiedene Namen. Der lange, aber schmale Meerbusen, den es
in nordwestlicher Richtung aussendet, heißt das adriatische Meer;
westlich von demselben liegt Italien, das, beinahe wie ein Stiefel ge-
staltet, sich tief in das mittelländische Meer hinein erstrekkt; östlich liegt
eine große Halbinsel, deren südlicher Theil das alte Griechenland ist.
Wenn man aus dem adriatischen Meere um die Südspitze von Griechen-
land, die Halbinsel Morea, hernmschifft, so gelangt man in das Insel-
meer oder den griechischen Archipelagus, ein Gewässer, das mit vielen
kleinen Inseln gleichsam besäet ist. Ans dem Jnselmeer führt eine
schmale Meerenge, die Strafn der- Dardanellen, in das Marmormeer.
Den Eingang zu demselben bewaWn zu beiden Seiten zwei feste Schlösser,
die Dardanellen, von denen die Meerenge ihren jetzigen Namen hat.
Aus dem Marmormeer führt die Straße von Konstantinopel in das
schwarze Meer, und aus diesem die Straße von Kaffa oder Feodosia in
das asovsche Meer. Oestlich von dem schwarzen Meer liegt das kaspische
Meer, ein Landsee, ungefähr so groß wie ganz Deutschland, in den sich
ein gewaltiger Strom, die Wolga, ergießt. Zwischen dem schwarzen
und dem kaspischen Meere liegt ein hohes Gebirge, der Kaukasus, der
an dieser Stelle Europa von Asien scheidet. Die Südgrenze von Europa
bilden der Kaukasus und das mittelländische Meer; die Westgrenze ist
das atlantische, die Nvrdgrenze das Eismeer; die Grenze gegen Osten
bildet der Ural, ein nicht gar hoheö, aber metallreiches Gebirge, daö sich
nördlich gegen das Eismeer, und südlich gegen das kaspische Meer hin-
zieht. Rings um das mittelländische Meer liegen alle die Länder, die
schon im Alterthum berühmt waren; südlich in Afrika Egypten, östlich
Syrien und das gelobte Land, und zwischen dem schwarzen und dem
mittelländischen Meere Klein-Asien. Auf der Nordseite des mittellän-
dischen Meeres in Europa liegt zuerst die Türkei und Griechenland;
dann jenseits des adriatischen Meeres Italien; dann folgt Frankreich,
das vom mittelländischen Meere sich bis zum atlantischen Meere erstrekkt;
gegen Westen endlich noch die pyrenäische Halbinsel, auf der die König-
reiche Spanien und Portugal liegen. Ihren Namen hat sie von den
Pyrenäen, dem hohen Gebirge, das Spanien von Frankreich scheidet.
Die große Insel im Norden von Frankreich ist das Königreich Groß-
Britanien; der südliche Theil derselben heißt England, der nördliche
Schottland; die kleinere Insel westlich von Groß-Britanien heißt Irland,
und gehört mit zu dem britischen Reiche.
204
Wo bleibt beim aber Deutschland, das Land unserer Väter? Es
liegt gerade in der Mitte unseres Erdtheils; seine südliche Spitze erstrekkt
sich bis an das adriatische Meer; seine nördliche Grenze geht bis an
die Nordsee und die Ostsee, die als ein großer Meerbusen sich tief in
den Norden von Europa hineindrängt. Auf der Halbinsel zwischen der
Ostsee und dem Eismeer liegen die Königreiche Schweden und Norwegen.
In der Ostsee liegen mehrere größere und kleinere Inseln; zwischen der
Ost- und Nordsee aber liegt eine Halbinsel, und auf dieser die Herzog-
thümer Schleswig und Jütland; jene Inseln und diese beiden Herzog-
thümer bilden das Königreich Dänemark. Nordöstlich von Deutschland
an der Ostsee liegt das Königreich Preußen, östlich das ehemalige König-
reich Polen und weiter südlich das Königreich Ungarn; den ganzen
Osten von Europa nimmt das große und mächtige Rußland ein, dessen
Besitzungen sich auch durch den ganzen Norden von Asien erstrekken.
Die drei Reiche der Ratur.
Was wir um uns sehen, ist theils durch die Natur, theils durch
die Menschen entstanden. Die Dinge, welche die Natur hervorbringt,
heißen Naturerzeugnisse oder Naturprodukte; die Dinge, welche
die Kunst der Menschen zu Stande bringt, werden Kunsterzeugnisse,
oder Kunstprodukte genannt.
Wenn wir die Naturprodukte um uns her betrachten, so zeigt sich
auf den ersten Blikk ein sehr auffallender Unterschied derselben. Steine,
Salz, Eisen u. s. w. zeigen nie eine Spur von Bewegung, die aus
inneren Kräften herrührte; sondern wenn an ihnen Bewegung wahr-
genommen wird, so hat dieselbe ihren Grund in Dingen außer ihnen;
und daher nennen wir sie leblose Dinge. — Eichen, Birken rc. —
Hunde, Pferde u. a. zeigen dagegen in ihrem Wachsthum, in dem
Auf- und Absteigen ihrer Säfte, in der Bewegung des Blutes, im
Gehen, Laufen und andern Erscheinungen Bewegung, wovon der Grund
nur in ihnen selbst gesucht werden kann, und heißen daher lebende
Dinge.
Die lebenden Dinge entstehen aus Dingen gleicher Art, welche
vor ihnen da waren. Sie werden nach und nach größer, bis sie eine
gewisse höchste Stufe von Größe und Kraft erlangt haben, von wo ab
sie wieder schwächer werden und allmälig absterben. Ihr Körper besteht
aus vielen Theilen, deren jeder für besondere Lebensverrichtungen bestimmt
ist, alle aber auf die Erhaltung und das Wohlsein des Ganzen hin-
arbeiten. Alle diese Theile, die als Werkzeuge zur Erhaltung, zum
Wachsthum, zum Wohlsein des Ganzen dienlich sind, nennt man auch
Organe und die mit solchen Organen begabten Körper organische.
Die Naturprodukte, die vorhin leblose genannt wurden, bezeichnet
205
man, im Gegensatz zu den organischen, auch mit dem Namen unorga-
nische Körper und begreift darunter alle Dinge, welche ohne eigent-
liches Leben sind, aus völlig gleichartigen Theilen bestehen und von
außen durch Ansetzung zunehmen. Diese Körper bilden in dem großen
Haushalte der Natur das Mineralreich.
Die organischen Körper scheiden sich aber wieder in zwei Abthei-
lungen. Wo Bäume und Sträucher hingepflanzt werden, da müssen
sie es sich gefallen lassen, und wo ein Vogelbeerbaum, oder sonst ein
Halm oder ein Büschlein Moos aufgeht, da muß ein jedes stehen
bleiben und kann aus eigener Kraft nimmer seine Stelle verlassen.
Solche lebende Wesen, die ihre Stelle nicht willkürlich verlassen können,
gehören in das Pflanzenreich. Diejenigen Wesen aber, die, wie
Pferde, Schwalben u. a., an keine bestimmte Stelle gebunden sind,
sondern dieselbe nach eigner Wahl verlassen können, also willkürliche
Bewegung haben, gehören in das Thierreich.
Thiere und Pflanzen unterscheiden sich noch dadurch, daß die
' Thiere durch äußere Eindrükke, durch innere Triebe erregt werden, daß
sie wahrnehmen und Willen äußern. Bei den Pflanzen ist dies nicht
der Fall. Die Thiere leben von organischen Stoffen und diese nehmen
sie durch eine einzige Oeffnung am Körper zu sich. Die Nahrung der
Pflanzen besteht dagegen aus unorganischen Stoffen und wird durch
. die Wurzelfasern, Blätter u. s. w. eingesogen. Die Thiere haben ein
Herz, welches der Mittelpunkt der Bewegung der Säfte ist; den Pflanzen
fehlt ein solches Hauptorgan.
Von den Thieren.
Die Thiere können sich alle bewegen, und zwar sehr viele von
ihnen frei von einem Orte zum andern; sie haben Leben und Empfin-
dung, wachsen von innen und nehmen ihre Nahrung durch eine
Oeffnung zu sich.
Das Leben jedes Thieres hat einen bestimmten Verlauf und füllt
eine bestimmte Zeit aus, welche die Lebensdauer genannt wird. Das
Ende derselben ist der Tod. Die Lebensdauer der Thiere ist sehr ver-
schieden, oft aber noch zu unbekannt; doch läßt sie sich im Allgemeinen
mit Wahrscheinlichkeit, oft mit Sicherheit angeben. Die Jnfusionsthiere
leben oft nur einige Stunden, andere nicht länger als einige Wochen,
manche mehrere, wiederum andere 100 bis 200 Jahre.
Die Zähigkeit des Lebens ist auch sehr verschieden. Unter allen
Thieren haben die Polypen das zäheste Leben; sie sind fast unzerstörbar;
andere niedere Thiere sind aber wieder leicht zu tödten. Kaltblütige
Thiere haben ein zäheres Leben, wie warmblütige; auch ist das Leben
bei Fleischftessern zäher, als bei Pflanzenftessern, und bei trägen Thieren
wiederum zäher, als bei lebhaften.
206
Manche Thiere können sehr lange ohne Nahrung leben. Eine
Landschildkröte hielt 18 Monate ohne Nahrung ans, und ein Käfer,
der, eingesperrt, volle drei Jahre keine Nahrung gehabt hatte, flog dann
noch fort. Schlangen waren schon 5 Jahre in eine Flasche ohne
Nahrung eingeschlossen und lebten noch.
Auster dein täglichen Schlafe sind viele Thiere auch einem jährlichen
(Winter-) Schlafe unterworfen. Dieser Schlaf wird durch den Mangel
der zum thierischen Leben nothwendigen Bedingungen herbeigeführt, mag
dies nun Nahrung oder Wärme sein. Der Winterschlaf tritt im
Norden lttib Süden in der kältesten, in den Tropenländern in der
hcistesten Jahreszeit ein. Am meisten kommt der Winterschlaf in der
Klasse der Amphibien vor, bei den Vögeln hingegen in der Regel gar
nicht. In den übrigen Klassen sind nur einzelne Gattungen und
Familien demselben unterworfen. Die Tiefe dieses Schlafes ist sehr
verschieden. Bei den in der Erde lebenden Insekten und bei Murmrl-
lhieren ist er fest. Die in der Luft lebenden Insekten erwachen, wenn
warmes Wetter eintritt, fliegen herum und schlafen wieder ein, wenn
es kälter wird. Der Schlaf des Dachses und des Bären ist weniger
fest; der erstere geht zuweilen aus seinem Winterlager, um zu trinken;
der letztere entflieht, wenn sich Jemand seinem Lager nähert. Biber,
Eichhörnchen, Maulwurf, Hamster u. s. w. liegen nur in einem schlaf-
ähnlichen Zustande und nehmen während desselben auch Nahrung,
jedoch nur wenig, zu sich.
Ueberall findet man thierisches Leben, wo die Bedingungen vorhanden
sind, unter denen es gedeihen kann, nämlich Wärme, Wasser, Lust und
Nahrung. Der Grund, wie die Oberfläche des Meeres, Flüsse, Quellen
und Seen, das Innere der Erdrinde und die Oberfläche des festen
Erdbodens, Thäler und Schluchten, die Gipfel der Berge, grasreiche
Ebenen und dürre Sandwüsten, die Lust, die Bäume, die Stauden und
Gräser, ja der thierische Körper selbst: — Alles wird belebt von Thieren
mancherlei Art, die sich ihres Lebens freuen und des Schöpfers Allmacht
verkündigen.
Merkwürdig sind diejenigen Thiere, welche in oder auf andern
Thieren leben und deshalb Schmarotzerthiere genannt werden. In
allen Thieren leben eine Menge von Würmern, welche außer denselben
nicht fortdauern können. Nach neueren Beobachtungen hat nicht bloß
jede Thierart, sondern auch jeder Theil des thierischen Körpers andere
Eingeweidewürmer.
Um das Thierreich, in welchem man jetzt mehr als 1)0,000 Arten
zählt, tu Klassen einzutheilen, sieht man zuvörderst auf die Farbe des
Blutes und theilt die Thiere danach in rothblütige und weißblütige
Thiere. Erstere haben ein Knochen-, wenigstens ein Knorpelgerippe
207
mit Wirbelknochen und Rükkenmark und können daher auch Wirbel-
thiere genannt werden. Die letzteren sind alle knochenlos, und wenn
sie überhaupt harte Theile an ihrem Körper haben, so liegen diese nicht
im Innern, sondern außen am Umfange ihres Körpers, ins besondere
fehlen ihnen die Rükkenwirbel und das Rükkenmark, und sie können daher
auch wirbellose Thiere genannt werden.
Die rothblütigen Thiere werden nach dem Wärmegrade des Blutes
in roth warmblütige und rothkaltblütige Thiere eingetheilt, so
daß das ganze Thierreich nach der Beschaffenheit des Blutes in drei
große .Hauptabtheilungen zerfällt. Jede derselben wird nach andern Merk-
malen wieder in zwei Klassen getheilt.
Zu den rothwarmblütigen Thieren oder zu den warmblütigen Wirbel-
thieren rechnet man:
1. die Säugethiere,
2. die Vögel.
In die Abtheilung der rothkaltblütigen Thiere oder der kaltblütigen
Wirbelthiere gehören:
3. die Amphibien,
4. die Fische.
Die weißblütigcn oder die wirbellosen Thiere bilden die beiden letztetl
Klassen des Thierreichs, nämlich
-5. die Insekten und
6. das Gewürme.
Von den Sängethieren.
Die Säugethiere sind nach ihrer ganzen Körperbildung unstreitig
als die vollkommensten Thiere zu betrachten. Sie stehen nach ihrer
ganzen leiblichen Bildung und Entwikkelung den Menschen am nächsten,
haben rothes, warmes Blut, ein Herz mit vier Kammern, Lungen und
bringen lebendige Junge zur Welt, die sie eine Zeit lang säugen. Die
meisten Säugethiere sinv mit Haaren bedekkt, mehrere aber auch mit
Stacheln oder Schuppen oder Schildern, und sehr viele haben vier Füße.
Das größte Säugethier ist der Wallfisch, der jetzt noch (früher
wurde er größer) oft 50-80' lang, 30 — 40' dikk und gegen 100,000
Psd. schwer wird. Das kleinste Säugethier ist die Spitzmaus in Sibirien,
die kauin einen Zoll lang und 1 Quentchen schwer ist. Elephanten
werden gegen 14' hoch und 15 — 17' lang und 7000 Pfd. schwer.
In Asien lebt eine Art wilder Schafe, Argali genannt, die sind sehr-
groß, stark und haben sehr große Hörner. Wenn ein solches Thier im
Kampfe oder durch ein anderes Unglükk ein Horn verliert, ivas zuweilen
geschieht, so kommt es den dortigen Füchölein zu gute. Diese haben
alsdann nicht nöthig, einen Bau in die Erde zu graben, meinen, das
208
Horn sei ihretwegen da, schlüpfen hinein und wohnen darin. Worüber
muß man sich mehr oerwundern, über die großen Hörner oder über die
kleinen Füchse? .
Die Nahrung der Säugethiere ist sehr mannigfaltig. Sie ziehen
dieselbe theils aus dem Pflanzenreiche, und diese heißen Pflanzen-
fresser; theils aus dem Thierreiche, und diese nennt man Fleischfresser.
Unter allen Thierklassen gewähren die Säugethiere den Menschen
den größten Nutzen. Wie groß ist nicht die Zahl der Thiere, die uns
Fleisch, Fett und Milch zur Nahrung darbieten! Auf wie viel mannig-
faltige Art benutzen wir nicht die Wolle, Haare und Felle der Säuge-
thiere! Welche Dienste leisten uns nicht Pferde, Ochsen, Esel u. s. w.
durch ihre Kräfte, indem wir sie zum Ziehen und Lasttragen benutzen!
Auch Arzneimittel erhalten wir von vielen Thieren dieser Klasse; z. B.
von der Zibethkatze, dem Bären, dem Hunde, Dachse, Hirsche, Biber und
dem Moschusthiere.
Von den Naturkundigen sind die Säugethiere «ach ihrer Gestalt
und Lebensweise in folgende Ordnungen getheilt:
1. Affen oder Vierhändler. Man heißt sie deswegen vier-
händige Thiere, weil ihre Füße genau so gebildet sind, wie ihre Hände,
und weil sie mit diesen hinteren Händen eben so wohl Alles anfassen
können, als mit den eigentlichen Händen. Dabei haben manche von
ihnen statt einer fünften Hand den Wikkelschwanz.
2. Die Fledermauöarten. Die Vorderfüße sind durch eine
florähnliche Haut mit den Hinterfüßen verbunden, und vermittelst dieser
können sie flattern.
ll. Die Raubthiere. Sie haben Zehen mit scharfen Klauen an
den Füßen und nähren sich meist alle von Fleisch.
4. Beutelthiere. Das Weibchen hat am Bauche einen Beutel,
in dem die Saugwarzen sind; und in diesem Beutel trägt und säugt es
die Jungen, bis sie herangewachsen sind.
5. Nagethiere. Sie haben nur scharfe Schneide- oder Vorder-
zähne und Bakkenzähne, aber keine Ekk- oder Hundszähne, und leben
meistens von Pflanzen.
6. Zahnlükkige Säugethiere sind solche, die entweder gar keine
oder bloß Bakkenzähne, und sonst weder Ekk- noch Vorderzähne haben.
Es sind meist sehr unvollkommene Thiere, die nur in den heißesten
Ländern der Erde leben.
7. Die vielhufigen Säugethiere oder Dikkhäuter. Die Zehen
dieser Thiere steifen in hornartigen Scheiden (den Hufen oder-Klauen).
Es giebt einhufige Thiere, die an jedem Fuße nur einen Huf haben
(Pferd, Esel); zweihufige mit zwei Klauen (Schaf, Ziege, Rind).
Dies sind die sogenannten Wiederkäuer. Ihr Magen besteht aus
209
4 Abtheilungen, aus dem Netzmagen, dem Wanst oder Pansen, dem
Buch oder Psalter und dem Labmagen. — Aus der Speiseröhre
geht die Nahrung durch 2 Falten in den Netzmagen; aus diesem fällt
das grob gekaute Futter in den Pansen. - Aus diesem geht es zum
Wiederkäuen wieder herauf in das Maul; fertig gekaut geht es in den
Psalter, dann in den Labmagen und aus diesem in den Dünndarm. —
Mehrhufige Thiere sind das Schwein, der Elephant u. s. w.
8. Die Wallfischarten oder Wale. Diese Thiere leben im
Meere und sind den Fischen so ähnlich, daß man sie lange Zeit dazu
rechnete. Sie bringen aber lebendige Junge zur Welt und säugen sie.
Der Wallfisch, der Delphin, das Wattroß u. a. gehören dahin. °
Die Ziege.
Die Ziegen sind muntere, kühne Thiere, die gern springen und
hüpfen und Anhöhen und Berge zu erklimmen suchen. Ja, auf Hvlz-
und Steinhaufen, auf Mauern und Felsen zu klettern und Treppen zu
ersteigen, das ist ihre Lust. Den ungebahnten Weg ziehen sie stets dem
gebahnten vor, das Klettern an schroffen Felsen dem Wandeln auf ebener
Erde; sie springen lieber über Zäune, als daß sie einen Eingang suchen.
Sie kennen keinen Schwindel und gehen ruhig am Rande der fürchter-
lichsten Abgründe dahin. Vorzüglich muthig sind die Bökke. Einen recht
tüchtigen bringt selbst ein starker Mann kaum oder gar nicht zum
Weichen. Durch das Stoßen mit den Hörnern, durch das Aufrichten
auf die Hinterbeine setzen sie selbst muthige Hunde in Furcht. Sehr
häufig liefern Bökke, ja selbst Ziegen, fürchterliche Gefechte, wenn sie sich
zum ersten Male treffen. Die Ziege besitzt mehr Lebhaftigkeit und Instinkt
und übertrifft auch an Stärke, Flüchtigkeit und Muth bei weitem das
Schaf. Vorwitziger, als die Ziege, ist nicht leicht ein T hier; daher entfernt
sie sich oft von der Heerde, begafft Alles, und ist schwer zu hüten. Wenn
ein Hund sie verfolgt, alsdann stüchtet sie sich öfters zu dem Menschen
und schließt sich traulich an ihn an. In ihrem Charakter ist die Ziege
launisch, unstät, muthwiüig. Ganz unvermuthet wird sie lustig, macht
die possierlichsten Sprünge; plötzlich steht sie wieder still und macht eine
traurige Miene. Heute ist sie zutraulich gegen den Menschen, und morgen
läuft sie immer nach dem Stalle zurükk, man mag sic auch noch so sehr
lokken. Jetzt wehrt sie sich durch Stoßen mit den Hörnern gegen ihren *
Feind; ein anderes Mal erschrikkt sie plötzlich vor ganz unbedeutenden
Dingen so sehr, daß sie über Hals und Kops Reißaus nimmt und gar
nicht zu halten ist.
.Der Hund.
Wer da bezweifelt, daß der Hund zu den reißenden Thieren gehört,
der braucht nur sein Gebiß zu betrachten. Die 6 scharfen Schneidezähne
210
in der oberen und unteren Kinnlade, der starke hervortretende Ekkzahn
auf jeder Seite derselben und vor allen Dingen der hinter den 3 oberen
und 4 unteren zusammengedrükkten Bakkenzähncn befindliche große, breite,
mehrspitzige Fleisch- oder Reißzahn, hinter welchem 2 hökkrige Mahlzahne
sitzen, lassen gleich das Raubthier in ihm erkennen.
Auf Neuholland giebt es noch jetzt eine Hundeart, welche ihre
ursprüngliche Wildheit bewahrt hat. Sie stürzen sich selbst auf Menschen
und größere Raubthiere; besonders richten sie in Schafheerden großen
Schaden an, da sie jedem Thiere ein Stükk ausbeisien und ihr Biß so
bösartig ist, daß die Wunde selten heilt, daher oft 20 — 30 Schafe an
dem Bisse eines Hundes sterben.
Schon die Alten schätzten die Hunde und gebrauchten sie zu Vielerlei;
so erzählt ein um Jesu Zeit lebender römischer Schriftsteller von einem
Volke, welches ganze Meuten von Hunden hielt, welche im Kriege die
erste Schlachtreihe bildeten und sich nie feig zeigten. Auch die Hunde
der alten Deutschen, welche deren Wagenburg betrachten, kämpften noch
fürchterlich mit den Römern, als ihre Herren schon alle gefallen waren.
Eigenthümlich ist das Leben der Hunde ans Kamschatka, wo sie, wie in
ganz Sibirien, zum Ziehen der Schlitten gebraucht werden. Alle leben hier
Jahr aus, Jahr ein im Freien. Im Sommer scharren sie sich Gruben, um
kühl zu liegeri, und im Winter verbergen sie sich im Schnee, um Schutz
gegen die Kälte zu haben. Im Sommer suchen sich diese Hunde selbst
ihre Nahrung an den Ufern der Seen, Flüsse und am Meere; sie stellen
sich bis an den Bauch ins Wasser und schnappen nach den Fischen, die
sich sehen lassen. Im Herbste treibt der Hunger sie zur Rükkkehr in die
Dörfer; die Besitzer fangen sie auf und binden sie an, wenn dieselben
bei bevorstehenden Schlittenfahrten gebraucht werden sollen. Der Fisch-
vorrath, womit man im Winter die Hunde füttert, befindet sich in
verdekkten Gruben, worin derselbe in Fäulnis; übergegangen ist. Wird
im Winter solche Grube geöffnet, so verbreiten sich die schreMichsten
Gerüche, die indeß der Kamschadale nicht unangenehm zu finden scheint,
und für die Hunde sind die faulen Fische wahre Lekkerbissen, die sie lieber,
als gefrorene und getrokknete, ftessen. Auf Reisen bekommt jeder Hund
Morgens höchstens einen halben Fisch, Abends die volle Fütterung;
seinen Durst löscht er mit Schnee und Eis. Mit hungrigem Magen
läuft er 15 — 20 Meilen in einem Tage, und ihrer 0 ziehen eine Last
von 6 Centnern. *
Der Erwähnung verdienen auch noch die Hunde des Klosters auf
dem großen Bernhard. Hier, wo Nebel, Schnee und Lawinen den Weg
den.größten Theil des Jahres über unsicher und gefährlich machen,
wohnen etwa 12 fromme Mönche, deren Geschäft die unentgeltliche
Bewirthung und Verpflegung der Reisenden ist. Begleitet von großen,
dazu abgerichteten Hunden, streifen sie täglich umher, um Verirrte oder
211
Verunglükkte aufzusuchen, oder sie hängen einem Hunde ein Fläschchen
mit Branntwein u. dergl. und ein Körbchen mit Brot zur Erquikkung
ermatteter Wanderer um den Hals und schikken ihn allein fort. Hat
ein Hund dann einen vom Schnee Begrabenen oder einen durch die
Kälte Erstarrten ausgewittert, so kehrt er pfeilschnell nach dem Kloster
zurükk, giebt dort durch sein unruhiges Wesen seine Endekkung zu erkennen
und führt seinen Herrn nach der Stelle zurükk, wo der Berunglükkte
liegt. Der berühmteste von allen diesen Hunden war Barry, der in den
12 Jahren seiner Thätigkeit über 40 Menschen vom Tode gerettet hat.
Das Hündchen und die Lawine.
Vor mehr als hundert Jahren reiste Kaspar von Brandenburg,
aus Zug gebürtig, Oberstlieutenant in spanischen Diensten, mit seinem
Bedienten über den Gotthardsberg ins Liviner Thal. Sie waren in der
Nähe eines Flekkens, als eine große Schneelawine vom Gipfel des
ungeheuren Bergeö herabschoß und Herrn und Diener begrub. Ein
kleiner Hund des Offieierö, der von Weitein folgte, entging diesem kläg-
lichen Schikksale. Alö das kleine Thierchen seinen Herrn auf einmal
verschwinden sah, fing es erbärmlich an zu heulen, wobei es mit großer
Eilfertigkeit den Schnee wegkratzte. Allein seine kleinen Pfötchen konnten
dem Schneegrabe wenig von seiner Höhe nehmen. Da es nun merkte,
daß seine Mühe vergeblich sei, lief eö zurükk nach einem Kloster auf
dem Gotthard, in welchem sein Herr die Nacht vorher zugebracht hatte.
Hier bellte eö mit ausnehmender Freundlichkeit die Mönche an, zog sie
am Kleide, lief nach der Thür, kam wieder zurükk, sah bald wieder nach
der Thür, bellte wieder, heulte und kratzte und gab auf diese Art den
Mönchen sein dringendes Anliegen, daß sie mitgehen möchten, zu erkennen.
Diese flehentliche Aufforderung trieb das Thier einen ganzen Tag und
eine ganze Nacht hindurch. Endlich am Morgen wurden die Mönche
achtsamer auf den bittenden Hund und gingen mit ihm. Er führte sie
an den Ort, wo der frische Schnee lag. Da kratzte er, bellte die Mönche
mit Sehnsucht an und wedelte, auf Hülfe wartend, freundlich mit dem
Schwänze. Nun konnten sie errathen, was das Thier wollte. Sie holten
die nöthigen Werkzeuge, und nach einer mühseligen Arbeit fanden sie
die beiden Begrabenen, nachdem diese Unglükklichen 36 Stunden unter
dem Schnee zugebracht hatten. Sie waren noch am Leben, hatten aber,
wie sich leicht errathen läßt, eine unbeschreibliche Angst ausgestanden.
Das Bellen und Kratzen des Hundes hatten sie gehört. In der Oswalds-
kirche zn Zug, wo dieser Herr von Brandenburg begraben liegt, sieht
man dessen Bildsäule und den klugen und treuen Hund zu seinen Füßen.
212
Der Löwe.
Der Löwe ist einfarbig gelb; das Männchen hat eine Mähne, die
Kopf, Hals und Schultern bedekkt. Seine Länge von der Schnauze
bis zum Schwänze beträgt fünf Fuß und einige Zoll; der Schwanz
selbst, der am Ende ein Haarbüschel hat, ist noch über zwei Fuß lang.
Jetzt findet sich der Löwe nur noch in Afrika und einigen Gegenden
Asiens. Er ist nach dem amerikanischen Jaguar und dem asiatischen
Tiger das fürchterlichste Raubthier. Er erreicht ein bedeutendes Alter;
im Jahre 1760 starb in England ein Löwe, welcher über siebenzig
Jahre im Tower eingesperrt gewesen war.
Der berühmte Reisende Lichtenstein sagt: Der Löwe erhascht, wie
alle Katzenarten, seine Beute im Sprunge. Will es das Unglükk, daß
man einem Löwen unbewaffnet begegnet, so ist das einzige Rettungs-
mittel Muth und Gegenwart des Geistes. Wer entflieht, ist unfehlbar
verloren; wer ruhig stehen bleibt, den greift der Löwe nicht an. Man
muß es sich nicht irre»! lassen, trenn er auch nahe heran kommt und
sich wie ztlnt Sprunge hinlegt; er wird diesen Sprung nicht wagen,
wenn man nur Muth genug hat', unbeweglich wie eine Bildsäule stehen
. zu bleibeit und ihm ruhig ins Auge zu schauen. Die erhabene Gestalt
des Menschen flößt dem Löwen, vorausgesetzt, daß er den leichten Kampf
mit dem Menschen noch ilicht versucht hat, Ehrfurcht und Mißtrauen
'in seine eigene Kraft ein, und eine ruhige Haltung des Körpers ver-
stärkt diesen Eindrukk mit jedem Augenblikke. Der Ausgang beweist,
daß er selbst nicht minder gefürchtet hat, als der Mensch; denn nach
einiger Zeit erhebt er sich langsam, geht unter beständigem Umsehen
einige Schritte zurükk, legt sich wieder, entfernt sich abermals und
nimmt endlich, wenn er ganz ans dem Wirkungskreise des Menschen
gekommen zu sein glaubt, im vollen Laufe die Flucht.
Eitl glaubwürdiger Mann erzählte unö, daß sich in manchen
Gegenden des Gebirges (unweit des Elephantenflusscs) die Löwen in
solcher Menge aufhalten, daß er einst auf einer Jagdreise deren 22 auf
einem Flekke beisammen gesehen. Die meisten davon waren junge und
nur 8 völlig ausgewachsene. Er hatte eben auf einem offenen Platze
ausgespannt, flüchtete sich mit seinen Hottentotten auf das Zelt eines
Wagens und gab, ohne einen Schuß zu thun, seine Ochsen den Raub-
thieren Preis, die sechs davon erwürgten und fortschleppten.
Zu Anfange des vorigen Jahrhunderts war in der Menagerie zu
Cassel unter andern rin Löwe, der wenigstens gegen seine Wärterin in
hohem Grade zahm war. Dies ging so weit, daß die verwegene Wärterin,
um die Bewunderung der Zuschauer auf sich zu ziehen, es nicht selten
wagte, nicht nur ihre Hand, sondern selbst ihren Kopf in den ungeheuren
Rachen dieses Thieres zu stekken. Oft war dies glükklich abgelaufen,
213
und doch ging endlich das alte und wahre Sprüchwort in Erfüttllng:
Wer sich ohne Noth in Gefahr begiebt, der kommt darinnen um. Einst,
als die Wärterin seinem Rachen ihren Kopf wiederum zur Hälfte anver-
traut hatte, schnappte der Löwe zu und riß ihr das Genikk aus, so daß
sie auf der Stelle ihren Geist aufgab. Kaum hatte der Löwe bemerkt,
daß er den Tod seiner Pflegerin verursacht hatte, als das gutmüthige,
dankbare Thier äußerst traurig wurde, sich neben den Leichnam hinlegte,
ohne sich denselben nehmen lassen zu wollen, alles ihm dargebotene Futter
verschmähte und einige Tage nach diesem Unglükke vor Gram starb.
Am Ende des vorigen Jahrhunderts brachte der Bürger Felir zwei
Löwen, ein Männchen und ein Weibchen, in die Nationalmenagerie zu
Paris. Gegen den Anfang des Juni wurde Felir krank, und da er die
Thiere nicht ferner warten konnte, so übernahm ein Anderer dies Geschäft.
Das Männchen war von dem Augenblikk an traurig und wollte durchaus
Nichts von dem Fremdlinge annehmen. Selbst die Gesellschaft des
Weibchens schien ihm zu mißfallen; er erwies ihm keine Aufmerksamkeit.
Man glaubte, das Thier wäre krank. Endlich wurde Felir wieder gesund,
schlich sich sachte nach dem Behälter hin, um den Löwen zu überraschen,
und ließ sich bloß durch die Gitterpfähle sehen. Der Löwe machte augen-
blikklich einen Sprung au den» Gitter hinauf, schlug ihn sanft mit seinen
Tatzen, belekkte ihm Hände unb Gesicht und zitterte vor Freuden. Das
Weibchen kam auch herbei gelaufen; allein der Löwe trieb es zurükk, und
es schien sich ein Kampf ju entspinnen. Felir trat daher in den Käfig
hinein, um Frieden zu stiften. Er liebkosete beide, und inan sah ihn
nachinalö oft zwischen beiden stehen. Er hatte eine so große Gewalt
über sie, daß, wenn er sie trennen und in ihre Behälter sperren wollte, ,
er nur die Worte, die dies bezeichnete»», auösprechen durfte. Wem» er
»vünschte, daß sie sich niederlegen und Fremde»» ihre Tatze»» oder Nachen
zeigen »nöchten, so legten sie sich auf das geringste Zeichen auf de»»
Rükken, hielten ihre Tatzen, eine nach der andern, in die Höhe, öffnete»»
ihren Rachen und erhielten dafür die Belohnung, daß sie ihm die Hand
lekken durften. Diese Thiere waren damals sechstehalb Jahre alt.
Der Drang-Outang und der Mensch.
(Eine Fabel.)
Ein Orang-Outang traf auf seinen Wanderungen mit einem Meirschen
zusammen. „Ich »nöchte eigentlich wohl wissen," sprach er, „was euch
Menschen bestimmen »nag, uns nicht als zu e»»rem Geschlechte gehörig
anzuerkennen, die »vir euch in »nancher Hinsicht sogar übertreffen. Haben
»vir nicht vier Hände, während ihr derselben nur z»vei besitzet? Betrachte
unsern Gang; ist er nicht aufrecht, »vie der eure? U»»d »venn »vir in
Reih' und Glied stehen —"
1 5
214
Wenn ihr in Reih' und Glied stehet, unterbrach ihn der Mensch,
kann man deutlich erkennen, daß ihr weder Tanzstunde gehabt, noch die
erstell Anfangsgründe allgemein menschlicher, wie riet weniger kriegerischer
Haltung besitzt. Betrachte dich doch einmal im Spiegel! Komm mit
mir an diesen Strom und sieh dein Bits! Stehst du nicht da, wie ein
Blödsinniger, der aus dem Irrenhause entsprungen ist? Wie schlotterig
deine Knie, lvie krumm dein Rükken! Behalte deinen Rang unter den
Affen; dein dummes Gesicht bekommt keinen menschlichen Paß. Nicht
vier Hände machen den Menschen, sondern die menschliche Haltung,
das seelenvolle Auge, aus dem ein Menschengeist blikkt! — Hast du mich
verstanden, Affe? Menschen geister und Affenseelen kommen nicht
in eine Klasse.
Der Kampf des Elephanten mit dem Nashorn.
Die beideil grössten Landthiere, der Elephant und das Nashorn,
vertragen sich nicht gut mit einander. Indessen pflegeil sie sich gewöhnlich
aus dem Wege zu gehen; denn hat das Nashorn die Stofizähne und
die Kraft des Rüssels des Elephanten zu fürchten, so besitzt das Nas-
horn in seinem mitunter drei Fuß langen Horn auch eine Waffe, die
an einem Thiere von so ungeheurer Kraft uicht zu verachten ist.
Auf der Insel Ceylon hatte ein Reisender Gelegenheit, den Kampf
zwischen einem Nashorn und mehreren Elephanten zu beobachten. Indem
er nämlich ciucj Tages von einer Höhe das mit Maisfeldern bedekkte
umliegende Land überblikkte, sah er ein halbes Dutzend Elephanten ans
einem Walde kommen, nach ihrer Gewohnheit in die Felder gehen und
mittelst ihres Rüssels große Bündel Mais ausreisten. Einige kehrten
damit in den Wald zurükk, um dort ihre Beute zu verzehren, während
Andere gleich an der Quelle des Schmauses verweilten. Vielleicht ohne
die Elephanten bemerkt zu haben, tvollte auch ein Nashorn in demselben
Felde sich sättigen, ward aber kaum von einem der Elephanten wahr-
genommen, als dieser mit hochgeschwungenem Rüssel darauf, losstürzte
und es mit seinen Stoßzähnen verwundete. Das angegriffene Thier stieß
ein dumpfes Gebrüll aus, ging auf seinen Feind von der Seite los unt»
rannte ihm sein Horn mit solcher Gewalt in den Leib, daß fast der
ganze Kopf mit hineinfuhr und der Elephant augenblikklich zu Boden
stürzte. Nunmehr griffen aber auch die andern Elephanten das Nashorn
an; eine Wolke von Staub erhob sich unter den Füßen der riesenhaften
Thiere, welche das Feld zerstampften, und nur ihr Getöse war itoch hörbar.
Als es nach einiger Zeit ruhig wurde und der Staub sich verzogen hatte,
war allerdings das Nashorn todt; allein auch drei sterbende Elephanten
lagen daneben, und zwei Verwundete gingen langsam, von ihren Gefährten
unterstützt, dem Walde zu. Der Sieg war ihnen also theuer zu stehen
gekommen.
215
Das Kameel.
Die Kameele mit einem Hökker heißen Dromedar, und die mit
zwei Hökkern Trampelthier. Das Dromedar hat in der Regel eine
grauröthliche Farbe. Unter den Fußen, an den Knieen und an der
Brust hat es Schwielen. Mai, findet es hänfig in Arabien lind in der
Wüste Sahara; auch giebt es in Persien, Egypten und der südlichen
Tartarei Kameele. Es ist schnell, wie das Pferd, geduldig, wie der Esel,
und liefert, gleich der Kuh, eine reichliche nahrhafte Milch. Vielen
Völkern Asiens und Afrikas befriedigt das Kameel die meisten Bedürfnisse.
Sie..sehen es daher für ein großes Geschenk des Himmels an, ohne dessen
Beistand sie weder leben, noch mit ihren Nachbarn Handel treiben, noch
ihre fast endlosen Wüsten durchreisen könnten. Dieses Schiff der Wüste,
wie der Araber das Kameel mit Recht nennt, ist durch seinen ganzen
Bau und seine Eigenschaften recht dazu eingerichtet, den Menschen und
seine Lasten durch den Sand der Länder zu tragen, die seine Heimath
sind. Die Füße sind so gebaut, daß es nicht tief in den Sand tritt;
der drüsige Beutel am Halse enthält Feuchtigkeiten zum Benetzen des
Schlundes, und der zellige Anhang deö Magens bewahrt überdies noch
acht oder mehrere Tage lang einen Wasservorrath ans, der deut Thiere
in den wafferarmen Wüsten gar sehr zu Statten kommt. Das Thier ist
sehr genügsam; deitn Disteln und andere stachliche Gewächse reicheit zu
seiner Nahrung hin. Fehlt es auf der Reise an frischem Futter, so
erhält es etwas Gerste oder Bohnen.
- Das Kameel wird jum Reiten und Lasttragen benutzt. Wer indessen
auf einem so hochbeinigen Thiere reiten will, muß darin große Uebung
haben; denn es tritt nicht nur hart auf, sondern hat auch noch einen
besonderen Gang, den sogenannten Paß, nach welchem eö die beiden
Beine der einen Seite zugleich aufhebt und dadurch stets von der eimn
auf die andere fällt. Alle Thiere, welche zttin Ltisttragen gebraucht
werden, sind vvtt früher Jugend daran gewöhnt. Mail legt ihnen anfangs
eine geringe Bürde auf, welche nach uild nach vergrößert wird. Es
wird dazu abgerichtet, bei der Beladung sich niederzulegen. Wird ein
Kameel überladen, so läßt es sich eher todtschlagen, als daß es mit der
Last ausstände. Musik und Gesang liebt eö außerordentlich, und die
Kameeltreiber wissen cs damit zu ermuntern und anzutreiben.
Das Trampelthier ist von dem gemeinen Kameel wenig verschieden.
Es wird größer und sieht gelblich-weiß aus. Die Kameele geben ein
schmakkhafles Fleisch; namentlich soll der Fetthökker eine Delikatesse sein.
Auch ihre Milch ist nahrhaft und gesuitd, und die Araber verstehen eö,
daraus ein dem Branntwein ähnliches Getränk zu bereiten. Die Haare
der Kameele werden zu Garn und andern Waaren verarbeitet. Alls der
Haut wird ein sehr dauerhaftes Leder bereitet, und der Mist dient zur
Feuerung.
15*
216
Man erzählt, daß die Reisenden, wenn es ihnen an Wasser gebricht,
ein Kameel schlachten, um mit dein Wasser, was dieses in sich aufbe-
wahrt, ihren Durst zu löschen. Es giebt aber Männer, die weite Reisen
in Arabien gemacht, und solches nie gesehen haben. Es kann aber darum
doch möglich sein.
Der Hamster.
Der Hamster lebt in Gärten und Feldern. Seine Länge beträgt
8 — 12 Zoll und seine Höhe 3 — 4 Zoll. Die Dberlippe des maus-
artigen Kopfes ist so sehr gespalten, daß die langen Schneidczähne dieses
Nagethieres immer sichtbar sind. Die Ohren sind fast nakkt, und die
Kinnladen sind mit einer weiten Haut überzogen, wodurch zwei weite
Bakkentaschen gebildet werden. An den Oberthellen ist das Fell schmutzig-
gelb, mit Aschgrau gemischt; die Seitentheile sind röthlich, Schnauze und
Füße aber blaßgelb. Die unteren Theile des Körpers sind sehr dunkel,
beinahe schwarzbraun gefärbt. Es giebt auch mehrere Spielarten, worunter
eine ganz schwarze und eine ganz weiße. 3n dem mittleren und nörd-
lichen Deutschland findet sich der Hamster überaus häufig und ist
namentlich in Thüringen oft schon zur wahren Landplage geworden. In
der Gegend von Gotha allein wurden im Jahre 1817 gegen 130,000
Stükk Hamster eingefangen.
Er ist ein rechtes Bild des Geizes. Den ganzen Sommer und
angehenden Herbst durch schleppt er in seinen Bakkentaschen Getreide
zusammen in seinen künstlichen Bau hinein; dabei ist er so geizig und
hartherzig, unverträglich und boshaft, daß nicht einmal sein eigenes
Weibchen in seinen Van hinein darf. Daö Weibchen sagt seine Jungen
nach 3 Wochen, wo sie noch ganz klein sind, auö seiner Höhle, und
benimmt sich dann, wenn es ihnen begegnet, alö ihre ärgste Feindin.
Man gräbt die Baue der Hamster gern auf, weil sich darinnen ein
Vorrath des besten, auserlesensten Getreides von wohl 60 Pfund findet.
Jede Sorte liegt da rein von der andern abgesondert, wie bei geldlustigen
Leuten die Sechsbätzner, die Zwölfer, die Vierziger, Alles besonders
sortirt liegt.
Um doch aber einen guten Zug vom Hamster anzuführen, soll hier
noch erwähnt werden, daß er auch nebenbei Maikäfer und Heuschrekken
ftißt, wodurch er doch auch einigen Nutzen schafft.
Der Wallfisch.
Der Wallfisch ist unter allen Thieren das größte. Es giebt
mehrere Arten, die in allen Meeren vorkommen, unter welchen der
grönländische Wallfisch die bekannteste und berühmteste Art ist. Sein
Körper ist fischähnlich, aber nicht mit Schuppen, sondern mit einzelnen
217
Haaren bedekkt. Er wird 60 — 70 Fuß lang und erreicht eine Höhe
von 30 Fuß und darüber. — Vor mehreren Jahren wurde ein Thier
dieser Art unweit Ostende todt aufgefunden. Es war 95 Fuß lang
und im Durchmesser 18 Fuß breit. Der Kopf hatte eine Länge von
22 Fuß, und die Breite des Schwanzes betrug 22 '/2 Fuß. Das Skelett
wog 70000 Pfund, und ist jetzt in einem dazu eigends aufgeführten
Gebäüde in London aufgestellt. Das halb verfaulte Fleisch wog noch
110000 Pfund, und man gewann von diesem Thiere gegen 40000
Pfund Thran. Nach den Verknöcherungen der Knorpel schloß Cuvier,
ein berühmter Naturforscher, daß das Thier 000 —1000 Jahre alt
sein müsse.
Der Kopf des Wallfisches ist groß und nimmt fast '/3 der Länge
des Körpers ein. In dem Oberkiefer befinden fich statt der Zähne
lange, hintereinandergereihte Hornplatten — Barten genannt, — welche
das Fischbein liefern. Die Augen stnd etwas größer, als Ochsenaugen.
Seine Vordergliedmaßen sind flossenähnlich; die Hintergliedmafien aber
fehlen. Auf dem Kopfe befindet sich auf jeder Seite ein schlangenartig
gebogenes, anderthalb Fuß breites Blaseloch, wodurch er athmet. Daö
Ausathmen geschieht theils unter, theils über dem Wasser; in jenem
Falle werden von der Luftmasse ganze Ströme Wasscrö mit starkem
Getöse einige Ellen hoch in die Luft geschleudert; wenn er aber über
dem Wasser ausathmet, so kommt aus den Spritz- oder Nasenlöchern
ein feuchter, mit Schleim gemischter Dunst, aber kein Wasserstrom
heraus. Der Fisch bläst 4 — 5 Mal in einer Minute mit einem lauten
Geräusche, und dann am stärksten, wenn er auf der Flucht ist, oder
nach langem Aufenthalte in der Tiefe an die Oberfläche kommt. Um
die Nahrung zu erhalten, öffnet der Wallfisch den ungeheueren Mund
und füllt ihn mit Wasser. Kn dieser Wassermasse befindet sich die
Nahrung des Fisches, nämlich eine Menge Insekten und Würmer;
denn größere Thiere kann er seines nur faustgroßen Schlundes wegen
nicht zll fich nehmen. Das Wasser stößt er durch die Spritzlöcher auö
und verschlukkt die hangen gebliebene Beute. Der Wattfisch lebt gesellig
und wirft jährlich ein 10 —15 Fuß langes Junges, welches er sehr
liebt, und das im 25sten Jahre ausgewachsen sein soll. Unter deir
vielen Feinden, die er hat, sind der Sägefisch, welcher ihn mit seinem
Schwerte oft den Bauch aufschlitzt, und der Mensch die gefährlichsten.
Der Wallfischfang.
Schon seit 200 — 300 Jahren macht dieses Thier seines Fettes
oder Thranes wegen den vornehmsten Gegenstand eines Gelverbes aus,
welches unter dem Namen Wallfischfang bekannt ist und noch jetzt
von vielen europäischen Nationen stark betrieben wird. Der Fang ist
gefährlich, da der Wallfisch, wenn er verwundetest, nicht selten Boote
218
zertrümmert oder umstürzt. Die für den Wallfischfang bestimmten
Schiffe sind sehr dauerhaft gebaut und haben 6 — 9 Boote bei sich,
die jeden Augenblikk flott gemacht werden können. Das Auslaufen der
Schiffe geschieht im April, damit sie ihre Jagd Ende Mai beginnen
können, die bis in die Mitte des August dauert. Sobald ein Wallfisch
bemerkt wird, nähern sich ihm einige Boote behutsam, und die Jäger suchen
ihn durch eine Harpune, d. i. ein 3 Fuß langes, scharfes, mit Widerhaken
versehenes Eisen, an dem ein langes starkes Seil befestigt ist, zu ver-
wunden. Das verwundete Thier schießt senkrecht und pfeilschnell, oft
in 8 Minuten '/, Meile weit in die Tiefe hinab, und das Seil, welches
auf einer Rolle befindlich ist, muß beständig mit Wasser begossen werven,
damit es sich durch die Schnelligkeit der Bewegung nicht entzünde.
Zuweilen geht der Wallfisch so tief, daß das Seil nicht zureicht und
daher abgehauen werden muß, damit das Boot nicht umgestürzt wird.
Nach etwa einer halben Stunde kommt der Wallfisch wieder auf die
Oberfläche, um zu athmen, und dann wird wieder eine Harpune auf
ihn geschlendert, worauf er wieder, aber kürzere Zeit, untertaucht. Ist
er durch Blutverlust ermattet, so wird er durch lange Lanzen getödtet.
Sobalv er todt ist, wird er an das Schiff gezogen und es springen
mehrere mit langen Messern bewaffnete Matrosen ans ihn und lösen
den Spekk herunter, welcher in einer Dikke von 10—20 Zoll unmit-
telbar unter der Hallt liegt und das ganze ungeheure Thier gleichsam
einkleidet. Aus diesein Spekke lvird durch Hitze der Thran gewonnen,
von dein ein einzelner Wallfisch 30, 50 und mehr Tonnen liefert.
Außer dem Thräne gewährt, wie schon erwähnt, der Wallfisch noch
Nutzen durch seine Barten, die oft 10 Centner wiegen; sie werden tu
den Thranstedereien gereinigt und geben dann das bekannte Tischbein.—
Ein Wall fisch, deren ein Schiff zuweilen 2 oder 3 erlegt, bringt einen
Gewinn voil etwa 5000 Thalern. Merkwürdig ist, daß sich an den
Körper des lebeildeil Walisisches oft Muscheln ansetzen und dort ver-
mehren, wie an einem Felsen.
Die mütterliche Liebe des Wallfisches, der in andern Rükksichten
ein stllmpfstnlliges Thier zu sein scheint, ist auffallend und merkwürdig.
Das Junge, welches die Gefahr nicht kennt, wird leicht harpunirt;
alsdann zeigt sich die Zärtlichkeit der Mittler in so hohem Grade, daß
sic dadurch oft tu die Gewalt der Wallfischfänger gcräth. Wenn daher
alich ein Junges von geringem Werthe ist, da es selten mehr, als eine
Tonne Oel, und oft weniger giebt, so wird doch bisweilen^lagd darauf
gemacht, um die Mutter herbei zu lvkkcn. Diese eilt sogleich zu dem
verwundeten Jungen, steigt mit ihm an die Oberfläche, um zu athmen,
treibt es an, fortzuschwimmen, sucht ihm bei der Flucht behülflich zu
sein, indem sie es unter ihre Flosse nimmt, und verläßt es selten, so
lange es noch lebt. Alsdann ist es gefährlich, ihr zu nähern; aber sie
219
giebt dabei oft Gelegenheit, angegriffen zu werden. Aus Angst für die
Erhaltung ihres Sprößlings setzt ste alle Rükkfichten für ihre eigene
Sicherheit bei Seite, fährt mitten durch ihre Feinde hindurch, verachtet
die Gefahr, welche ihr droht, und bleibt freiwillig bei ihrem Jungen,
selbst wenn schon mehrere Harpunen ste getroffen haben.
Vögel.
Alle Vögel haben rothes, warmes Blut, legen Eier und brüten
dieselben durch die natürliche Wärme ihres Körpers aus. Ihr wesent-
liches Unterscheidungszeichen, wodurch ste von andern Thierklaffen scharf
getrennt sind, besteht darin, daß sie einen mit Federn bedekkten Körper
haben, der ganz zum Fluge gebaut ist.
Vorzüglich sind es die Flügel, durch deren Schwingungen der Flug
der Vögel möglich gemacht wird. Der Schwanz ist das Steuerruder
zum Lenken des Fluges. Je länger Schwanz und Flügel sind, desto
biegsamer ist der Flug, während er mehr uneben und hüpfend wird,
wenn die Flügel kürzer sind. Man theilt hiernach die Vögel in Segler
und Ruderer. Segler heißen diejenigen, deren Flug sehr ausdauernd
ist, und die ihre Flügel dabei nicht sehr oft bewegen. Es gehören
hierzu Adler, Schwalben, Sturmvögel u. a. Die Flügel der Ruderer
sind kürzer, spitziger und schmäler, und sie bewegen dieselben beim
Fliegen schnell auf und nieder; auch fliegen sie nicht sehr hoch. Zu
den Ruderern gehören Tauben, Enten, Gänse, Habichte u. a.
Wie lange die Vögel oft ununterbrochen fliegen können, sieht man
am Fregattvogel, der schon 300 Meilen vom Lande angetroffen worden
ist, und an den Zugvögeln, die über weite Meere fliegen, wo ste nur
selten Ruhepunkte finden.
Die Geschwindigkeit des Fluges ist ebenfalls sehr verschieden. Der
Adler durchfliegt in einer Sekunde einen Raum von 75 Fuß, wenn er
eine Beute im Auge hat. Dem Könige Heinrich II. von Frankreich
entfloh einst auf einer Reiherbeize ein Falke und wurde 24 Stunden
darauf zu Malta eingefangen, das 230 Meilen von dem ersten Punkte
entfernt war. Ein anderer Falke, aus den kanarischen Inseln, flog aus
Spanien nach Teneriffa zurükk und machte diese 150 Meilen in 16
Stunden. Die meisten Vögel von ansehnlicher Größe können an einem
Tage gegen 130 Meilen fliegen.
Man theilt die Vögel, je nachdem ste einen beständigen Aufent-
haltsort haben, oder diesen zu gewissen Zeiten wechseln, in Stand-,
Strich - und Zugvögel ein. Die Standvögel bleiben das ganze Jahr
hindurch in derselben Gegend, während die Strichvögel sich von Zeit
zu Zeit in eine andere, aber nahe gelegene Gegend begeben, und die
Zugvögel große Wanderungen in entferntere Gegenden machen.
220
Der Grund zu den Wanderungen der Vögel liegt nicht bloß
in der Kälte oder Wärme der Luft ihres Aufenthaltsortes, sondern
mehr in dem Mangel an Nahrung. Wenn mit eintretendem Winter
die grünen Pflanzen, die Schwärme von Insekten verschwinden und aus
den zugefrornen Gewässern weder Fische, noch Weichthiere zu erlangen
sind, so verlassen alle die Vögel, die sich von Insekten, grünen Pflanzen
und Samen nähren, die Gegend und ziehen dahin, wo der liebe Vater
eine neue Tafel mit Nahrung für sie gedekkt hat.
Unsere Zugvögel richten gewöhnlich ihren Flug nach der Nord-
küste Afrikas, nach Syrien und Persien. Um dieses Ziel zu erreichen,
wählen manche Vögel jährlich einen bestimmten Weg, während andere
dies nicht thun. Die Richtung des Fluges geht im Herbste nach Süd-
w'est, im Frühjahre nach Nordost. Viele scheinen im Herbste erst eine
Strekke nach Westen und dann gerade nach Süden zu ziehen, und
kommen dann auf ähnliche Weise von Westen wieder zu uns.
Wie aber finden die Zugvögel die Richtung und den Weg nach
ihrem Ziele? Wer zeigt ihnen die Straße über die weiten Länder und
Meere? Diese Fragen lassen sich nicht genügend beantworten, sondern
nur auf den wunderbaren Instinkt zurükksühren, der» der Schöpfer
ihnen verliehen hat. Der Luftstrom kann die Richtung nicht angeben;
denn sie ziehen mit verschiedenem Winde. Der Geruch kann sie nicht
leiten; deitn viele Vögel finden genqu das Nest wieder, und einen
eigenthümlichen Geruch dieser Dinge kaitn man nicht annehmen. Mit
dem Gesicht können sie die verschiedenartigen Gegenden auch nicht auf-
fassen; denn sie sehen die Gegenstände nicht immer von derselben Seite
und in demselben Gewände, zumal des Nachts. llnd wo giebt eS denn
für daS Auge Anhaltepunkte auf der weiten Fläche des Meeres!?
— Es bleibt dabei! Ps. 145, 15. 16. Aller Augen warten aus
dich *., und Ps. 104, 27. und Ps. 147, 9. und Ps. 36, 7. und
Matth. 6, 26. Seht die Vögel unter dem Himmel an rc. —
Hieraus, lieber Leser, kannst du etwas lernen. Denk nur nach! —
und oft!
Die ganze schöne Welt der Vögel theilt man nach ihrer Lebens-
weise und dem Bau ihres Körpers, wobei besonders die Schnäbel und
Füße in Betracht kommen, in folgende 7 Ordnungen:
1. Die Raubvögel. Sie zeichnen sich durch kurze Raubfüße
aus, deren Zehen stark gebogene Krallen mit langen scharfen Nägeln
sind, und durch den dikken, starken, hakig übergebogenen Schnabel.
Hierher gehören die Geier, Adler, Falken, Eulen u. s. w. Der größte
Raubvogel ist der Condor in den Gebirgen Südamerikas, der mit aus-
gespannten Flügeln 14' mißt.
2. Die Singvögel sind meist klein, haben kurze, schlanke
Füße, scharf zugespitzte Schnäbel. Der größte Theil von ihnen gehört
zu den Zugvögeln.
3. Klettervögel mit 2 nach vorn und 2 nach hinten gerich-
teten Zehen, vermittelst deren ste an den Bäumen auf- und abklettern
können..
4. Tauben- und hühnerartige Vögel unterscheiden stch durch
einen an der Wurzel mit einer fleischigen Haut überzogenen Schnabel
und kurze Füße. Ihre Hauptnahrung sind Sämereien. Viele dieser
Vögel sind Hausthiere geworden.
5'. Kurzflügler sind die größten unter den Vögeln, die nicht
fliegen, aber desto schneller laufen können. (Strauß, Casnar.)
6. Die Sumpfvögel zeichnen sich meist durch lange Beine
und langen Hals, aus.
7. Die Schwimmvögel haben Schwimmfüße, d. h. die Zehen
sind durch Häute unter einander verbunden. Die Füße sind bei allen
kurz und stehen weit nach hinten. Diese Vögel sind durch ihre Federn,
Eier und Fleisch gar nützliche Thiere.
Betrachtungen über ein Vogelnest.
Wen» der geneigte Leser ei» Finkeiinrft zur Hand nimmt und betrachtrt'S,
waS denkt er dazu? Getraut er sich auch so eins zu strikken, und zwar mit dem
Schnabel und mit den Füßen? Der Hausfreund glaubt's schwerlich. Ja, er
will zugeben: der Mensch vermag viel. Ein grschikkter Künstler mit zwanzig
feinen Instrumenten kann nach vielen mißlungenen Versuchen zuletzt etwas heraus
bringen, das einem Finkennest gleich sieht, und Alle, die es sehen, können es von
einen« wirklichen Nest, das der Vogel gebaut hat, nicht unterscheiden. Alsdann
bildet sich der Künstler etwas ein und meint, jetzt sei er auch ein Fink. Guter
Freund, dazu fehlt noch viel. Und wenn ein wahrer Fink, wie du jetzt auch
einer zu sein glaubst, dazu käme und könnte dein Machwerk durchmustern, wie
der Zunftherr ein Meisterstükk, so würde er den Kopf ein wenig auf die Seite
drükken und dich mit den Augen kurios ansehen, und so er menschlich mit dir
reden könnte, würde er sagen: „Lieber Mann, das ist kein Finkennest! Ich mag'S
betrachten, wie ich will, so ist'S gar kein Vogelnest. So einfältig und ungeschikkt
baut kein Vogel. Waö gilt'S, du Pfuscher hast'S selber gemacht!" DaS wird
zu dem Künstler sagen der Fink. —
Alle Finkennester in der Welt sehen einander gleich, vom ersten im Paradiese
bis zum letzten in diesem Frühlinge. Keiner hat'S vom andern gelernt. Jeder
kann'S selber. Die Mutter legt ihre Kunst schon ins Ei. Noch ein Wort mehr.
DaS erste Nest eines Finken ist schon so künstlich, wie sein letztes. Er lcrnt'S
nie besser. Ja, manches Thierlein braucht sein Gespinnft nur einmal in seinem
Leben und braucht nicht viel Zeit dazu. ES wäre übel daran, wenn es zuerst
eine ungeschikkte Arbeit machen müßte und denken wollte: „Für dieses Jahr ist'S
gut genug; überö Jahr mach' ich'S besser." Noch ein Wort. Jedes Vogelnest
222
ist ganz vollkommen und ohne Tadel. Nicht zn groß und nicht zu klein, nicht
zu wenig daran und nicht zu viel, dauerhaft für den Zwekk, wozu es da ist. In
der ganzen Natur ist kein Lehrplatz, lauter Meisterstükke. Aber der Mensch, was
er zur Gcschikklichkeit bringen soll, das muß er mit vieler Zeit und Mühe lernen,
und bis cr'S kann, bekommt er manche Ohrfeige vom Meister, der selber keiner
ist. Denn kein menschliches Werk ist vollkommen. Hat der geneigte Leser noch
nie eine Uhr gekauft, und wenn er meinte, jetzt geht sic am besten, so blieb sie
stehen; oder ein Paar Stiefeln, einmal sind sie zu eng, ein ander Mal zu weit,
oder in den ersten 8 Tagen wird ein Absatz rebellisch und will dessertiren.
Was sagt der geneigte Leser dazu? Also ist ein Mensch noch weniger, als ei»
Fink? — Nichts nutz! —
Denn erstlich nicht der Vogel baut sein Nest, und nicht das Würmlein bettet
sein Schlafbett; sondern der ewige Schöpfer thut es dnrcl^ seine unbegreifliche
Allmacht und Weisheit, und der Vogel muß. nur das Schnablein und die Füßlein,
und so zu sagen den Namen dazu hergeben. Deswegen kann auch jeder Vogel
nur einerlei Nest bauen, wie jeder Baum nur einerlei Blüthen und Früchte
bringt. Deswegen kann auch der Mensch kein Vogelnest machen. Gotteöwerke
macht Niemand nach.
Zweitens, wie der ewige Schöpfer an seinem Orte jedem genannten Geschöpfe
seine Wohnung bereitet, aber nicht alle auf gleiche Art, dem einen so, dem andern
anders, wie cs nach seinem Bedürfnisse und Zwekk recht ist: also hat er dem
Menschen etwas von dem göttlichen Verstände lassen in die Seele träufeln, daß
er ebenfalls nach seiner eigenen Ueberlegung für mancherlei Zwekke bauen und
Handthieren kann, wie er selber glaubt, daß es recht sei. Der Mensch kann ein
Schilderhäuslein verfertige», ein Waschhaus, eine Scheune, ein Wohnhaus, einen
Pallast, eine Kirche, jedes nach anderer Weise, item eine Kirchenuhr, item eine
Orgel, item einen Kalender, was auch etwas heißt. Ein Fink kann nicht zweierlei
Nester bauen; er kann keinen Kalender schreiben, noch vielwcniger bluffen.
Drittens hat der ewige Schöpfer dem Menschen die Gnade verliehen, daß er
in allen seinen Geschäften unten anfangen und sie durch eigenes Nachdenken, durch
eigenen Fleiß und Uebung bis nahe an die Vollkommenheit der göttlichen Werke
selber hinbringen kann, wenn schon nie ganz. Das ist seine Ehre und sein Ruhm.
Die Vögel unter dem Himmel.
Die ihr zaget, die ihr fraget:
Leib, was essen wir?
Die ihr klaget und euch plaget:
Herz, was trinken wir?
Die am Abend, wie am Morgen
Ihr euch quält mit leeren Sorgen —
Nehmt der freien Vögel Schaar
Unter Gottes Himmel wahr.
In den Lüften, auf den Zweigen
Und in Feld und Wald,
Wenn die düstern Menschen schweigen,
Lauter Jubel schallt,
Und in aller Welten Zonen,
Wo die muntern Vögel wohnen,
Ruft's: Herr Gott, dich loben wir!
Töilt'ö: Herr Gott, wir danken dir!
223
Wenn ins erste Grün gekleidet
Sich der Frühling naht,
Wenn der Pflug die Furchen schneidet
In der Sommersaat —
Kehren auch die Schwalben wieder,
Und aus steigendem Gefieder
Singt die Lerch' ihr Psalmgedicht;
Doch die Vögel säen nicht.
Wenn ihr in den Sommertagen
Durch die Wälder streift,
Hört die Nachtigall ihr schlagen,
Eh' das Korn gereift.
Doch wenn Erntelieder schallen,
Schweigen schon die Nachtigallen,
Scheuen jede saure Pflicht;
Denn die Vögel ernten nicht.
In den Kammern, in den Scheunen
Liegt des Herbstes Frucht;
An den Helfe», an den Zäunen
Manch rin Vöglei» sucht,
Wohl ein Körnlein zu gewinnen;
Trägt's bescheiden dann von hinnen
In das warme Nest und spricht:
Sammle wohl in Scheunen nicht.
Aber der im Himmel droben
Nährt u n s Alle doch;
Den auch wir als Vater loben,
Sorget immer noch.
Naht des Winter rauh Geleite,
Zieh» die Störche fort ins Weite,
Und der Sperling findet hier
Arrch im Dunkeln sein Quartier.
Die ihr zaget, die ihr fraget:
Leib, was essen wir?
Die ihr klaget und euch plaget:
Herz, was trinken wir?
Die am Abend, wie am Morgen
Ihr euch quält mit leeren Sorgen —
Nehmt a» dieser Vöglei» Schaar
Eures Glaubens Mangel wahr!
Luther sagt: „Man möchte wohl den Hut abnehmen vor solchem Vöglei«
und zu ihm sprechen: Mein lieber Herr Vogel, ich mnsi bekennen, das« ich die
Kunst nicht kann, die du kannst. Du schläfst die Nacht über in deinem Nestleiu
ohne alle Sorge. Des Morgens stehst du wieder auf, bist fröhlich und guter
Dinge und singest und lobest und dankest Gott; darnach suchest du deine Nahrung
und — findest sie."
Der Strauß.
Der Strauß gehört zu den Laufvögeln und bildet mit dem Nandu, Casuar
und Emu die Gattung Riesenvögel.
Diese Vögel haben sehr wenig ausgebildete Flugwerkzeuge. Die Flügel sind
sehr kurz und ohne Schwungfedern, die Flügelmuskeln so schwach, daß sie nicht
im Stande sind, den Körper von der Erde zu erheben. Die hinteren Gliedmaßen,
oder die Füße, sind dagegen sehr ausgebildet. Die Scheukelmuökcln sind von
einer gewaltigen Dikke; die Füße sind lange Stelzenfüße mit zwei oder drei ganz
gespaltenen Zehen, ohne Hinterzche. Die Federn machen den Uebergang von den
eigentlichen Federn zu den Haaren. Sie sind durchaus zerschlissen, ihre Bärte
ohne allen Zusammenhang, schlaff, hängend, weich und meist entstehen zwei Schäfte
aus einem Kiel. —
Der Strauß ist schwarz, Schwanz- und Schwungfedern schön weiß; daö
Weibchen ist mehr bräunlich; die Füße sind kahl, lang, grünlich-braun. Der
224
Kopf ist verhältnißmäßig sehr klein, der obere Theil desselben uakkt und schwielig;
die Mundöffnung sehr weit; die Ohren unbcdckkt, offen ; die Augen sind so gestellt,
daß er besser, als die andern Vögel, die Gegenstände mit beide» sehen kann. Der
Hals ist dünn und fast drei Fuß lang. Der schärfste Sinn dieses Vogels ist der
des Gesichts.
Der Strauß ist der größte Vogel; er wird 7 bis 8 Fuß hoch, und 80 bis
00 Pfd. schwer. Da er so hoch ist, sieht er die Gefahr schon von ferne, und die
Quagga- und Zebraheerdcn entfliehen instinktmäßig mit den Straußenheerdcn, ohne
zu wissen, warum. Er läuft schneller, als das schnellste Pferd, ermüdet aber
leichter. Wenn er kann, oder der Kampf ungleich ist, flieht er lieber vor der
Gefahr; wird er aber genöthigt, so vertheidigt er sich mit dem Schnabel, den
Stacheln der Flügel und de,; Füßen. Er hat eine solche Kraft, daß er mit einem
Schlage seines Fußes einen Hund, Schakal, selbst noch größere Raubthiere tobten
oder gefährlich verwunden kann. Durch die harte Haut seines Körpers ist er,
wie durch ei» Schild, gedekkt. Er läßt sich zähmen und zum Reiten abrichten.
Mit zwei Negern auf dem Rükken sah man einen Strauß am Senegal gleich dem
besten englischen Wettrenncr dahinlaufen. Den Reitern wird wegen der unge-
heure» Schnelligkeit des Laufes der Athem geraubt.
Er nährt sich von Pflanzen; da er aber sehr gefräßig und sein Geruch und
Geschmakk schlecht ist, so verschlingt er Alles, um seinen großen Magen zu füllen,
selbst Metalle. Zn dem Magen eines todten Straußes, der in der Gefangenschaft
gelebt hatte, fand man ein Pfund Steine, mehrere Stükke Münzen, Kupfer und
Eisen. Gefangen frißt er vorzüglich gern Gerste, täglich etwa 4 Pfd., daneben
Brot, etwa 1 Pfd., und daun noch Sallatköpfe, und wenn er eine Mandel
bekommt.
Mehrere Weibchen legen ihre Gier, zuweilen 30 bis 50, in eine gemein-
schaftliche Vertiefung im Boden. Die Eier sind glänzend weiß, wie Elfenbein,
fast 3 Pfd. schwer, und eins sättigt 2 bis 3 Menschen. Unter dem Aequator
werden die Eier von der Sonne ausgebrütet; diesseits und jenseits desselben aber
brüten die Weibchen am Tage abwechselnd, Nachts das Männchen. Außerhalb
des Nestes findet man immer Eier, welche den Jungen „ach ihrem Auskriechen
zur Nahrung dienen sollen, indem die Allen mit einem Fußtritte die Schale
zerbrechen. Die Jungen werden wüthend vertheidigt und gefüttert. Um das
Nest möglichst verborgen zu halten, laufen die Alten nur auf großen Umwegen
nach demselben.
Der Strauß wird gejagt oder in Fallstrikken gefangen. Gezähmt bringt er
wenig Nutzen, da er sich nicht lenken läßt und immer einige Wildheit behält,
so daß er Hausgeflügel, selbst Schafe oft zertritt. Nur daö Fleisch junger, fetter
Strauße schmekkt angenehm. Von den Römern wurden sie gegessen, und das
Gehirn galt für einen Lekkerbissen. Der Kaiser HcliogabaluS ließ bei einem
Gastmahle das Gehirn von 600 Straußen aufsetzen. — Ob nicht auch andere
Gehirne mögen mit darunter gelaufen sein? — Die Eier halten sich lange,
werden häufig nach der Capstadt gebracht und da für '/2 Thaler das Stükk
225
verkauft. Der Dotter der Eier ist weniger schmakkhaft, als der der Hühnereier,
aber sehr nahrhaft; aus der Eischale werden Trinkgeschirre verfertigt. Die
langen Federn der Flügel und des Schwanzes dienen seit alten Zeiten zum Putz.
Das Vaterland des Straußes ist besonders Afrika, aber auch Asien, jedoch nicht
bis über den Ganges hinaus. Er hält sich da in den öden, dürren Gegenden
an dem Saume der Wüsten auf, und nur in Ebenen.
Der Kolibri.
Mag doch nun einmal auf Großes auch Kleines folgen! Das Kleine ist
nur dem Körper nach klein; sonst sieht man Gottes Weisheit und Allmacht eben
so gut an ihm, wie am großen Vogel Strauß. —
Es giebt eine Ordnung unter den Vögeln, die man Klettervögel nennt.
Sie klettern meist sehr geschikkt, viele nicht blos auf--, sondern auch abwärts, mit
dem Kopfe nach unten. Der Schnabel dieser Vögel ist immer ahlenförmig,
gebogen oder gerade, schlank und dünn. Die Füße haben 3 Zehen nach vorn,
wovon die äußere mit der mittleren an der Wurzel verwachsen ist, und eine meist
lange nach hinten; alle Zehen sind mit langen, krummen Nägeln versehen. Die
Zunge ist vorstrekkbar, und ihre Spitze besteht bei den meisten aus Faser-
büschel», die ihr das Ansehen eines Pinsels geben. Bei einigen ausländischen
Gattungen ist die Zunge gespalten und röhrenförmig und zum Einsangen des
Blumensafteü aus den Honigbehältern geschikkt.
Zu diesen Vögeln gehören die Kolibri, die kleinste», die eö giebt; aber es
sind auch die schönsten. Die ausgezeichnet schönen metallischen Farben verändern
sich nach dem Lichte so sehr, daß inan bei manchem dieser Vögel gar nicht sagen
kann, welches seine eigentliche Farbe sei. Der mexikanische besternte
Kolibri z. B. erscheint, je nachdem er sich wendet, bald blau, bald grün, bald
gelb, bald roth. Woher diese Farbenänderung kommt, weiß man noch nicht.
Der Schnabel dieser Vögel ist lang und dünn und eine nicht ganz zu verachtende
Waffe. Die Füße sind sehr klein, der Schwanz breit, die Flügel außerordentlich
lang und schmal; ihr ganzer Bau ist für schnelle» und leichten Flug berechnet.
Sie sind unruhig, muthig, zänkisch, nicht scheu, leben einsam und nähren sich
von Insekten und Blumensaft.
Die Kolibri kämpfen oft in der Luft mit einander; dann schwillt ihr Kopf
an; Haube, Schwanz und Flügel sträuben sich, und eö'fällt nicht selten einer der
Kämpfer schwer verwundet zur Erde. Ihr Flug ist pfeilschnell, und oft hört
man das Schwirren desselben, ohne den Vogel selbst zu sehen. Das Nest bauen
sie sehr künstlich, meist aus der Wolle verschiedener Pflanzen. ES ist immer
napfförmig oder halbkugelförmig, oben offen und mit klebrigen Bestandtheilen an
den Ast geklebt, oder auch oft damit überzogen. Der Vogel setzt eö meist auf
einen horizontalen Ast unter Blätter verborgen. Die Kolibri brüten wahr-
scheinlich mehrere Male, legen aber selten mehr als 2 weiße, sehr kleine Eier,
die in 13 Tagen auögebrütet werden. Während des Brütenö greifen sie jeden
226
Vogel an, der sich dem Neste nähert, und fliegen selbst dem Menschen nach dem
Gesicht.
Die Größe der Kolibri ist sehr verschieden; die größten sind wie der Zaun-
könig, z. B. der TopaS-Kolibri; die kleinsten wie eine große Viene. Dieser
letztere ist der sogenannte kleine Kolibri; der Obertheil des Körpers ist schön
goldgrün und schillert dabei braun mit röthlichem Wiederschein; die Schwung-
federn sind violettbraun, der Unterleib weiß, der Schwanz schwarzblau glänzend
und seine -äußeren Federn am Rande weiß. Das Nest dieses Thierchenö ist so
groß, wie die halbe Schale einer kleinen Wallnuß, und die Eier, wie kleine
Erbsen.
Alle Arten finden sich nur in Amerika, besonders in warmen Gegenden;
einige halten sich im Sommer auch in kälteren Gegenden auf und ziehen zum
Winter wieder in südliche. So kommen sie selbst bis nach Pensylvanien, über-
haupt so weit die rothe Trompetenblume, die sie, wie alle dieser Gattung, sehr
lieben, noch im Freien wild wächst. Es ist leicht, sie zu fangen, z. B. mit
gewöhnlichen Schmetterlingsgarnen. Die Vogelspinne, welche bedeutend größer
ist, als der Kolibri, soll sie zuweilen überfallen und tödten. Nutzen und Schaden
ist ganz unbedeutend. Sie werden in Amerika häufig zum Putz, besonders als
Ohrenstaat, wegen ihres metallischen Glanzes gebraucht, der ihnen das Ansehen
der schönsten Edelsteine giebt.
Die Kohlmeise.
Die Kohlmeise ist ein lebhafter, unruhiger, etwas zänkischer Singvogel, fliegt
rasch, hüpft schief; im Herbste trifft man sie oft in großer Menge an. Sie ist
oberhalb gelb-grün, unterhalb gelb; Kopf und Hals sind schwarz, Wangen weiß.
Ihr Gesang klingt wie Zit ist da! oder sissisi u. s. w. Durch Vertilgung vieler
schädlichen Insekten wird sie sehr nützlich. Das Weibchen brütet zwei Mal 8—14
Eier aus. Sobald die Jungen aus den Eiern sind, werden sie von den Alten
mit Insekten, besonders Raupen und Larven, gefüttert. So klein die Jungen
sind, so sind sie doch sehr gefräßig, so daß ein solches wohl täglich seine 20
Raupen verzehrt. Sind nun 10 solcher Jungen,in einem Neste, so müssen ihnen
die Eltern täglich 200 Raupen sammeln und zudem noch für sich selbst sorgen.
Erst nach 10— 12 Tagen verlassen die Jungen das Nest. Während dieser >0
Tage verzehren sie wenigstens 2000 Raupen, und 2 solcher Bruten an 1000
Raupen. Man kann annehmen, daß von den 1000 Insekten, welche die jungen
Meisen vor der Flüggezeit verzehren, an 3000 ans recht schädlichen Larven
bestehen (Maikäfer, Baumweißling). Sind nun 1500 davon Weibchen, von denen
gewöhnlich jedes 200—100 Eier legt, so sieht man, daß ein einziges Meisenpaar
in einem Sommer über 200 Mal 1500 oder über 300,000 schädlicher Insekten ver-
tilgt. Wer zählt aber dieZahl der schädlichen Insekten, welche jene 20 junge» Meisen
den Sommer über selbst aufzehren? — Erkennet darin die weiso-Einrichtung deö
lieben Gottes, und vergreift euch nicht an der Brut dieser so nützlichen und
lieblichen Geschöpfe.
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Die Eidergans,* und wie man sie fängt.
Auf den rauhen, zakkigen, mitten aus dem Meere sich erhebenden Felsen
um Island und die Färöer nistet ein Thier, dessen Kleid der Nordländer sehr
hoch schätzt; dieö ist die Eidergans oder Eiderente. Daü Thier ist größer,
als unsre gewöhnliche Ente, hat einen ziemlich plumpen Leib, dikken Kopf,
halb walzenförmigen Schnabel, ist weiß, unten grauschwarz (daö Weibchen ist
rostfarben mit schwärzlichen Que»streifen) und hat unten an den Flügeln und
an der Brust überaus zarte, weißwollige Daunen (ein halbes Pfund füllt ein
ganzes Dekkbett aus). Die starke Verfolgung hat das Thier gelehrt, sich auf
die abgesondert stehenden Felsen zurükkzuziehen. Doch waö wäre dem Menschen
und seiner Habsucht unerreichbar! Er verfolgt den Löwen in die glühenden
Sandwüsten Afrikas, den Wallfisch unter die Eisfelder des Nordpols, den
Elephanten in die Urwälder Ceylons; warum nicht auch die Eidergans auf die
Felsen um Island?
Zur Zeit, da die Thiere Eier legen wollen, suchen sie sich an den Abhängen
und schroffen Seiten der Felsen Höhlungen aus, iu denen sie ihr Nest bereiten
könne»; dieses füllen sic zu linierst mit Mooö, dann aber mit Federn aus,
welche sie sich von der Brust ausrupfe». I» diesem weichen, warmen Neste, in
welchem daö Weibchen oft ganz vergraben liegt, da das Männchen dasselbe
immer von Neuem mit den zarten Daunen zudekkt, brüten sie ihre Eier aus.
Um die Eidergans zu fangen, begeben sich mehrere Jäger in einem Kahne,
und mit Leitern, Stangen und starken Stritten versehen, in das Felsenlabyrinth.
Dort angekommen, sucht einer der Jäger, mit Hülst von Steigeisen, die Höhe
eines Felsens zu erklimmen. Ist dieö gelungen, so behält er daö eine Ende eines
langen Striktes in der Hand, während die andern Jäger zum nächsten Felsen
fahren und hier ein zweiter dessen Gipfel zu erreichen sucht. Das. Seil verbindet
diese beide» Felsen, indem eö um eine zakkige Klippe oder eine» in eine Spalte
getriebenen Pflokk geschlungen wird. Nun bringt mau auf dieses Seil eine
Nolle, durch welche ein Seil doppelt durchgezogen ist, so daß in der Mitte ein
Korb hängen kann, während die Enden deö Seils in den Hände» der beiden
Jäger ruhen. Hierauf lassen die Jäger den Korb bis zur Seefläche und nun
steigt ein Mann in denselben und wird emporgezogen, bis er durch ein Zeichen
zu erkennen giebt, daß er ein Nest gefunden hat. Behutsam nimmt er die
Eiderente heraus und läßt sie fliegen, sieht, ob die Eier schvn bebrütet sind, in
welchem Falle er nur die Federn nimmt, und dann durch ein anderes Zeichen
zu erkennen giebt, daß er weiter fortgezogen werden will. Sind die Eier jedoch
noch genießbar, so fügt er auch diese zu seiner Beute und geht dann weiter.
Die Eidervögel füllen daö Nest nun wieder mit Federn aus und legen abermals
Eier. Der böse Mensch holt ihnen aber auch diesen Schatz ab und läßt sie erst
gegen die Mitte deö Sommers, wenn sie zum dritten Male gelegt und nur noch
eben Zeit zum Brüten haben, in Nnhe, um die Brut nicht zu zerstören.
Die gefährliche Arbeit wird nun fortgesetzt, bis der Jäger entweder seinen
228
Korb gefüllt hat, oder bis er keine Beute mehr findet. Jetzt wird daö Seil
mit demselben, oder nur sein Korb herabgelassen, während welcher Zeit er sich
auf ein in der Mitte angebrachtes Querholz setzt. Dann zieht man ihu gegen
den zweiten Felsen hin, versieht ihn mit einem leeren Korbe, und er beginnt
sein gewagtes Geschäft von Neuem.
An Stellen, wo die Felsen einzeln stehen, und also nicht ein Seil über zwei
derselben gespannt werden kann, ist dieses Geschäft noch viel gefahrvoller, indem der
Jäger an einem Seile, das um seinen Gürtel geschlungen ist, von zwei Männern
herabgelassen wird, und stets halb geschunden seine mühevolle Arbeit beendigt.
Doch, wie oft auch die Strikte reißen, Menschen inö Meer stürzen oder zer-
schmettert stükkweise an den Felsen hängen bleiben, — die Jagd wird fort-
gesetzt, — und es hat den Isländern noch nie an Eiern, de» vornehmen Leuten
des Festlandes aber noch nicht an Därmen der Eidergans gefehlt.
Die Eule.
Die Eule hat große, klare, bedächtige Augen und ein außerordentlich feines
Gefieder. Ihr Flug ist so leise, daß auch daö feinste Ohr nicht daö geringste
Geräusch dabei vernehmen kann. Sie sieht so unbefangen und arglos aus, daß
man glauben sollte, man könnte ihr Alles vertrauen. Aber der Schein trügt.
Sie hat einen krummen Schnabel und scharfe Krallen, was eine bedenkliche
Sache ist. Auch will sie von dem Tageslichte Nichts wissen, sondern sucht sich
vor demselben zu verbergen. Wird sie bei Tage auö ihrem dunklen Schlupf-
winkel hervorgezogen, so verliert sie alle Besinnungskraft, und es wird ihr nicht
eher wieder wohl, als bis die Nacht hereinbricht, die ihr Element ist. Da
erwacht ihre Natur, und man erfährt erst, welche Gesinnungen in einer Eule
verborgen liegen, so geheim sie auch ihr Wesen treibt. Die armen Vögel, die
sich sorglos einem süßen Schlummer überlassen haben, werden ihre Beute, und
manches Mäuschen, das im Mondschein lustwandeln will, kehrt nicht mehr in
sein Loch zurükk, sondern muß in den Magen der Eule schlüpfen, aus welchem
keine Rükkkehr mehr möglich ist.
Amphibie n.
Amphibien (Beidlebige) werden von den Naturforschern eine große Anzahl
Thiere genannt, weil sie sowohl im Wasser, als auch auf dem Lande leben
können. Alle diese Thiere haben rothes, kaltes Blut, athmen durch Lungen,
können aber auch eine lange Zeit zubringen, ohne zu athmen und ohne Nahrung
zu sich zu nehmen; überhaupt haben sie ein sehr zähes Leben und eine so starke
Wiederherstellungskraft, daß ganze abgeschnittene Glieder ihnen wiederwachsen.
Deö täglichen Schlafes bedürfen sie nicht, halten aber einen Winterschlaf.
Manche legen Eier, die sie aber nicht bebrüten; andere gebären lebendige Junge,
die sie aber nicht säugen. Sie haben in ihrem Innern ein aus Knorpeln
bestehendes Gerippe und, mit Ausnahme der Schlangen, welche ohne Gliedmaßen
sind, vier Füße.
229
Die Körperbedekkung der Amphibien ist sehr verschieden. Bei einigen
Thieren besteht sie in einem Panzer (Schildkröten); andere haben eine lederartige
Haut mit einer weichen, dünnen Oberhaut; bei noch andern ist die Haut dünn,
durchsichtig und zähe. Manche haben unter der Oberhaut Schuppen von sehr
verschiedener Form und Stellung, die entweder ziegelartig über einander liegen,
oder sich nur berühren. Bei andern ist die Haut statt der Schuppen mit kleinen
harten Hökkern besetzt.
Die Warme hat auf die Amphibien großen Einfluß. In der Kälte sind sie
langsam und träge, in der Sonnenwärme lebhafter und schneller. Manche
werden durch die Kälte ganz steif und starr. Nahrung nehmen sie während des
Winterschlafes nicht zu sich; aber man hat beobachtet, daß sie leicht sterben, wenn
sie vor dem Winterschlafe Mangel an Nahrung gelitten haben; woraus sich
schließen läßt, daß auch während des Schlafes Säfte verbraucht werden. Das
Blut bewegt sich in der Erstarrung nur langsam; das Athmen scheint ganz
aufzuhören. Daher ist eS auch erklärlich, daß Kröten, Frösche und andere
Amphibien Jahre, ja Jahrhunderte lang in der Erstarrung deS Winterschlafes
liegen, und sobald sie Luft und höhere Wärme habe», zum Leben wieder
erwachen können. In 'den südlichen Strichen an der Hudsonsbai und Kanada
bleiben Kröten und Frösche Jahre lang hindurch gefroren und erwachen doch
wieder.
In Hinsicht der Größe findet unter den Amphibien ein gewaltiger Unter-
schied statt. Die größten Schildkröten wiegen 800 — 000 Pfund, während
andere kaum 1 Pfund schwer sind. Die größten eidcchsenartigen Amphibien sind
dir Krokodile, die bis 35 Fuß lang werden. In der Vorwclt gab eü Eidechsen
von mehr denn 50 Fuß Länge. Der Körper eines Kaimans hatte hinter den
Vorderfüßen 11 Fuß im Umfange, und der Kopf allein wog 240 Pfund. Unsere
Jauneidechsen hingegen erreichen nur eine Länge von 5 — 6 Zoll. Von den
Riesenschlangen werden manche über 30 Fuß, die kleinsten aber kaum 15 — 18
Zoll lang. »
Die Amphibien theilt man in 4 Ordnungen, die von so verschiedener
Bildung sind, daß sie leicht von einander unterschieden werden können.
Erste Ordnung: Schildkröten. Sie sind fast rund umher mit einer
knochenharten Dekke umgeben, an welcher man das Nükken- und Bauchschild
unterscheidet, welche an den Seiten so verwachsen sind, daß nur vorn ein Loch
für den Kopf und die Vordcrfüße,- hinten ein Loch für den Schwanz und die
Hinterfüße verbleibt. Der Rükkgrad ist mit dem Rükkenschilde, das Brustbein
mit dem Bauchschilde verwachsen. Sie legen Eier, die mit einer pergament-
artigen Haut umgeben und ein sehr gesuchter Lekkerbissen sind. Aus dem Dotter
derselben wird ein vorzügliches mildes Oel gewonnen.
Zweite Ordnung: Eidechsen. Sie haben auf vier Füßen einen schlan-
genartigen Körper. Einige bringen lebendige Junge zur Welt; die meisten
legen Eier. Keine Eidechse ist giftig.
18
230
Dritte Ordnung: Schlangen. - Diese haben einen langgestrekktcn, walzen-
förmigen, mit Schuppen, Schildern oder Ringen bedekkten Körper. Mehrere
Arten sind giftig und haben dann zwei ganz absonderlich gebaute Giftzähne.
Diese stekken in einer sakkförmigen Fortsetzung des Zahnfleisches und liegen
zurükkgeschlagen am Zahnfleische, wenn die Schlange in Ruhe ist. Will sie
aber angreifen, so richtet sich der Zahn in die Höhe und fährt dann tief in das
Fleisch des Gegners ein. Nun aber ist dieser Zahn hohl, und in dieser Höhlung
befindet sich eine Giftdrüse. Sobald also die Schlange beißt, wird auö dieser
Drüse das Gift in die Wunde mit hineingepreßt und dadurch oft augenblikklicher
Tod deö Gegners verursacht. Da die Giftzähne eigentlich nur im Zahnfleische des
Oberkiefers haften, so ereignet es sich nicht selten, daß sie in der Wunde stekken
bleiben, und so wäre die Schlange für immer unschädlich. Aber nein; denn in
demselben Sakkebe finden sich noch mehrere kleinere Giftzähne, von denen sich dann
immer der vordere nach einiger Zeit wieder in die Höhe richtet.
Vierte Ordnung: Froschartige Amphibien (Lurche). Ihr ganzer
Leib ist nakkt, d. h. ohne Panzer, ohne Schuppen u. dcrgl., und nur mit einer
schleimigen Haut bedckkt. Hierher gehören alle Frösche und Kröten. Sie leben
im Wasser und auf dem Lande, und legen Eier. Die fischartigen Jungen, die
man Kaulquappen nennt, haben keine Füße, aber ein horniges Schnäbelchen,
Kiemen und einen Schwanz. Sie athmen anfangs nur Wasser und leben von
Pflanzentheilen. Von den Füßen erscheinen zuerst die Hinteren. Wenn die Lungen
ausgebildet sind, verschwinden die Kiemen, und das Schnäbelten dann, wenn die
Kinnladen da sind. Später schrumpft auch der Schwanz ein. Alle bei- uns
einheimischen bringen den Winter im Schlamme und in Erdlöchern, ohne
athmen und zu fressen, zu, und können unbeschadet ihrer Gesundheit jii ctnev
steifen Masse gefrieren. Es giebt mehr als 70 Arten, von denen sich 12 in
Europa finden. Sie bilden nur ein Geschlecht, das sich in Kröte», eigentliche
Frösche und Laubfrösche verzweigt.
Von den Schlangen.
Obgleich den Schlangen die Füße fehlen, so können sie doch der vielen
Rükkenwirbel wegen sich leicht und schnell bewegen, vorzüglich seitwärts und
vorwärts, rükkwärtö weniger. Durch die starken Muskeln wird es möglich, daß
viele Schlangen sich aufrichten und einige Zeit schwebend erhalten können, indem
sie sich auf den Hintertheil des Körpers stützen. Wenn sie beißen wollen, ziehen
sie erst den Kopf zurükk und schnellen ihn dann plötzlich vor. Im Allgemeinen
sind die Schlangen träge Thiere und bewegen sich nicht schnell, wenn sie nicht
müssen; aber in Gefahr, oder wenn sie eine Beute erhaschen wollen, kommen sie
sehr schnell fort.
Die Sinne der Schlangen scheinen nicht scharf zu sein, besonders kurz vor
der Häutung. Dagegen haben sie in der Zunge ein Tastorgan, daü sie, wie die
Insekten ihre Fühler, gebrauchen. Die Zunge stekkt in einer Scheide, ist aber
sehr ausdehnbar und beweglich und kann, ohne daß das Maul geöffnet wird,
zu einer Oeffnung zwischen den Kiefern herauSgeftrekkt werden. Die Schlangen
mögen sich auf der Erde, auf Bäumen oder im Wasser fortbewegen, sich verthei-
digen oder «».greifen, so ist die Zunge in steter Bewegung und wird fortwährend
herausgestoßen und zurükkgezogen, so schnell oft, daß man nur ein Flimmern
bemerkt. Vielfache Versuche und Beobachtungen haben dargethan, daß sie dadurch
ihre Umgebungen untersuchen, die Beschaffenheit der Gegenstände kennen lernen,
Entfernungen erforschen wollen u. s. w., was auch bei ihrem schwachen Gesichte
nothwendig erscheint. Bei dem Verschlukkcn der Nahrungsmittel wird die Zunge
in die Scheide zurükkgezogen; daß sie mit derselben stechen, ist nicht wahr.
Die Haut der Schlangen erneuert sich im Jahre 4 biä 5 Mal. Die Ober-
haut löst sich zuerst an den Lippen ab, wird zurükkgeschlagen, u»v streift sich so,
indem die Thiere sich an engen Stellen, Löchern u. s. w. reiben, nach und nach
vom ganzen Körper herunter, so daß die innere Seite nach außen kommt.
Die Nahrung der Schlangen besteht nur auö thierischen Stoffen. Kleine
Schlangen nähren sich von Würmern, Insekten, Fröschen, Mäusen u. s. w'.,
wenige wagen sich an Hasen, Katzen, Vögel n. s.. w., und sehr wenige können
es mit noch größeren Thieren, oder gar mit Tigern, Pferden, Ochsen oder dem
Menschen aufnehmen. Die Schlangen verschlukken ihren Fraß ganz, mit Haut,
Haar und Knochen. Während des SchlingenS fließt viel Speichel aus dem
Maule, um den Fraß schlüpfrig zu machen. Elle warmblütigen Thiere werden
erst erstikkt, indem die Schlangen sie umwinden und erdrükkcn, ehe sie verschlungen
werden. I» einer Menagerie dauerte das Verschlingen eines BökkchcnS durch eine
17' lange Riesenschlange etwa eine Viertelstunde, und nach 10 Minuten waren
die^Kinnladen wieder in ihrer gewöhnlichen Lage; aber der Bauch wurde nach
und nach aufgetrieben; noch am andern Tage fühlte man das Bokkchcn in
seinem ganzen Umfange, und erst nach 3 Tage» erhielt die Schlange ihre
frühere schlanke Gestalt wieder.
Die Größe der Schlangen ist sehr verschieden. Die meisten sind 1—4 Fuß
lang; die Riesenschlangen erreichen aber oft eine Länge von 20 — 30 Fuß und
vielleicht noch darüber. Daö Elter ist sehr verschieden und wechselt zwischen
einigen und 50 und wohl noch mehr Jahren. —
Nicht bloß die giftlosen, sondern auch die giftigen Schlangen, selbst die
furchtbare Klapperschlange, können gezähmt werden; jedoch werden den giftigen
vorher gewöhnlich die Giftzähne ausgebrochen. Im Oriente werden besonders
viele Schlangen gezähmt und von Gauklern zur Belustigung des Publikums
abgerichtet.
Das Schlangengift ist durchsichtig, gelblich, geruch- und gcschmakkloö und
nur gefährlich, wenn es ins Blut kommt. Im Magen thut es keinen Schaden.
Im Ganzen sind gegen 400 Arten von Schlangen bekannt, wovon etwa der
sechste Theil giftig ist. In Europa finden sich gegen 1Z Arten, darunter 2 bis 3
giftige. In Deutschland kommen nur wenige Arten, aber 2 giftige vor.
232
Die gestreifte Riesenschlange.
Die gestreifte Riesenschlange trifft man an den Küsten von Coromandel,
Malabar, Bengalen, zu Sumatra, ja selbst in China an. Sie lebt an niedrig
gelegenen, schattigen, vom Wasser überschwemmten Orten und wird verschiedenen
Arten von Säugethieren sehr gefährlich.
Sie umschlingt ihre Beute mit irgend einem Theile ihres Körpers, schließt
dieselbe ringsum mit ihrem Leibe ein und erdrükkt sie, indem sie sich mit ihrem
Schwänze fest auf dem Boden anklammert und ihre Ringe zusammenzieht. Dann
erfaßt sie dieselbe mit ihrer Schnauze, worauf sich ihr Nachen nach Maßgabe der
Größe deö betreffenden Thieres erweitert, öffnet, und das Opfer nach und nach,
bis auf die Hörner selbst, — wenn eS welche hat — verschwindet. Jetzt fällt
die Schlange in einen Zustand der Erstarrung, der während der ganzen Zeit der
Verdauung dauert.
Gewöhnlich überfallen diese Schlangen die Thiere, wenn sie, ihre» Durst zu
löschen, sich dem Wasser nähern. Sie kauern sich im hohen Grase oder Schilfe
in einer Spirallinie, den Kopf in der Mitte, nieder und erheben letzteren von
Zeit zu Zeit, um zu sehen, ob ihnen Beute naht. Sobald diese in ihren Bereich
gekommen ist, winden sie sich wieder auseinander und stürzen auf sie loS. Erblikkrn
sie dieselbe am entgegengesetzten Ufer, so schleichen sie sachte ins Wasser, schwimmen
mit einer solchen Schnelligkeit und Leichtigkeit über den Fluß, daß die Oberfläche
kaum merklich bewegt wird, und erfassen das unglükkliche Thier in dem Augen-
blikke, wo es seinen Durst löschen will.
Die Riesenschlangen können einen Monat lang ohne Nahrung bleiben. Ihr
Hunger giebt sich durch den Verlust der äußersten Haut kund.
Ueber daö Ausbrüten der Eier dieser Schlangen hat rin französischer Natur-
forscher nach einiger Beobachtung Folgendes mitgetheilt.
Das meiner Beobachtung unterzogene Exemplar einer Riesenschlange war
rin Weibchen und in der Regel still und ruhig. Am 5. Mai 1847 wurde
dasselbe plötzlich wild und suchte beständig zu beißen; am andern Morgen warf
es 15 Eier, deren Schale äußerst weich und von graulich-weißer Farbe war.
Kurze Zeit nach dein Legen sammelte die Schlange alle Eier zu einem Haufen
zusammen, wand um denselben zuerst den hinteren Theil ihres Leibes, legte auf
diesen sodann in Spiralform die Fortsetzung desselben, und bildete so einen
kegelförmigen Knäuel, dessen Spitze ihr Kopf war. Dadurch bedekkte sie die Eier
so vollkommen, daß man Nichts mehr von ihnen gewahrte. Die Hitze ihres sonst
ganz kalten Leibes betrug, bei einer Wärme der Luft von 20'/,°, 41°. Nach
Verfluß von 56 Tagen, während welcher Zeit die Schlange auch nicht einen
Augenblikk ihre Lage verlassen hatte, zerbrach endlich die Schale des obersten Eies
und eine junge Riesenschlange stekkte den Kopf auS demselben hervor. DaS kleine
Thier verließ aber die Schale noch nicht und zeigte nur hie und da deu Schwanz
oder den Kopf, während der mittlere Theil seines Körpers noch immer fest
im Ei ficifc» blieb. Am 3. Juli endlich kroch daö Junge aus, das in dem
233
Augenblitke, als cs die Schale verließ, 15" 3'" maß. Aus den 15 Eiern krochen
indessen nur 8 Schlangen ans; die andern waren entweder von der Mutter
zcrdrükkt worden, oder sonst von fehlerhafter Beschaffenheit gewesen.
Nach dem Auskriechen tranken die Jungen sogleich und badeten stch mehrere
Male; ehe sie aber ihre Haut verloren, was 12 bis 14 Tage nachher erfolgte,
nahmen sie keine Nahrung zu sich.
Während der ganzen Brutzeit hatte die alte Schlange keine Nahrung zu sich
genommen und erst am Morgen deö 3. Juli das Verlangen danach bezeugt. Sie
fraß nun mehrere Pfund Fleisch und verließ jetzt ihre Lage, indem sie sich
langsam und im Verhältniß zu dem Auskriechen ihrer Jungen aus ihrer bis-
herigen schnekkenförmigen Lage loSwand. Von nun an schenkte die Mutterschlange
ihren Jungen keine Beachtung mehr.
Die Farbe der Flekken auf der Haut der Jungen ist viel matter, als die
der Erwachsenen, welche sehr glänzend ist und wie die feinste eingelegte Arbeit
aussieht.
Der Biß dieser Schlangen ist nicht giftig; sie werden nur durch die außer-
ordentliche Stärke ihres Körpers gefährlich. Man kann ihnen aber dieselbe
nehmen, wenn man ihnen den Schwanz abhaut, wodurch ihnen, da sie sich nun
nicht mehr an den Boden anklammern können, alle Kraft benommen wird.
Die Klapperschlange.
Die Klapperschlange ist die gesürchtctste unter allen Schlangen. Am kennt-
lichsten ist sie durch die Rassel oder Klapper an ihrem Schwänze, welche gewöhnlich
auS 18 bis 20 hornigen, in einander stekkenden Ringen, wovon bei jeder Häutung
einer mehr wird, besteht. Alte Kolonisten in Amerika 'haben welche mit 41
Klapperstükken getödtct. Das Geräusch, welches sie mit der Klapper macht, soll
dem schnellen Ablaufen einer Taschenuhr, wobei alle Räder schnurren, gleichen.
Ihr Gift ist sehr gefährlich, und um so gefährlicher, je heißer das Klima ist.
Die Klapperschlange ist, wie fast alle Schlangen, ruhig und träge, kriecht langsam
und beißt nur, wenn sic gereizt wird, oder wenn sie ein Thier tödtcn will, um es
zu fressen. Merkwürdig ist die Wirkung, welche nach neueren Berichten die Blätter
der weißen Esche auf die Klapperschlange haben sollen. Eine Klapperschlange,
welche mit einem Zweige der weißen Esche berührt wurde, als sie eben zum
Kampf gerüstet war, ließ augenblikklich ihren Kopf auf die Erde sinken, öffnete
ihren Knäuel, krümmte und wand sich und schien in großer Angst, und als sie
gar damit geschlagen wurde, steigerte sich ihre Unbehaglichkeit, und sie geberdcte
sich, als ob sie sich gleich in die Erde bohren wollte, um der unangenehmen
Berührung zu entgehen.
Sonderbar ift's, daß dieses furchtbare Thier von Schweinen, Raubvögeln, ja
selbst von Menschen gespeist wird, ohne daß sein Gift innerlich schadete. Selbst
Europäer in Amerika schätzen das Fleisch der Klapperschlange dem vom Aal
gleich und essen es gern. Nach Paris brachte man vor mehreren Jahren eine
234
lebendige Klapperschlange, mit welcher mehrere Versuche angestellt wurden. So
liest man z. B. einen Hund beißen, welcher nach 15 Minuten starb. Ein zweiter,
der darauf gebissen wurde, schwoll au und starb nach zwei Stunden. Ein dritter
aber wurde nach einer halbe» Stunde von seiner Unruhe, die der Bist ihm
verursacht hatte, wieder hergestellt. Am Ende brachte man eö dahin, daß sich die
Schlange selbst beißen mußte, und sic starb nach 12 Minuten. Ein Hund fraß
sie, zerstükkt, ohne Schaden.
Die Länge dieser Schlangen beträgt gewöhnlich nicht über 5 bis 6 Fuß und
ihre Dille die eines MannSarmcS; die Haut ist gelblich, weiß, brau»-bunt, mit
schwarzen Flekken, aber nicht immer gleich gezeichnet.
Das Krokodil.
DaS Krokodil, welches die Gestalt der Eidechsen hat, ist ein durch seine
Größe, Stärke und Grausamkeit merkwürdiges und gefährliches Thier. Der
Körper ist langgestrekkt, schmal und geht in einen langen Schwanz aus, der zuerst
rundlich, dann aber seitlich zusammengedrülkt ist; der flache, niedrige Kopf ist in
einen nreyr oder weniger langen Rüssel verlängert. Die Nachenöffnung reicht bis
hinter die Rügen und Ohren; in jedem Kiefer ist jcderfeitS eine Reihe von
starken Zähnen, deren Anzahl verschieden ist, zwischen 38 und 60. Meist sind
unten weniger Zähne. Die Zunge ist bis an die Spitze angewachsen und kann
nie aus dem Nachen hervorgestrekkt werden. Rükken und Schwanz sind mit
vierekkigen Schildern bedekkt, die fast undurchdringlich und schwarz oder braun
geflekkt sind. Am Bauche sieht das Krokodil gelblich-weiß aus; die Schuppen
sind an diesem Theile des Körpers zwar auch fest, aber biegsam, und daS Thier
daher unten verwundbar. —
Im Wasser bewegt sich daS Krokodil schnell und gewandt, auf dem Lande
aber langsam, ungeschikkt, kriechend und fast wurmförmig; eö schleift dann meist
Bauch und Schwanz auf der Eide »ach. Der lange Schwanz dient im Wasser
als Ruder und Steuer und befördert das schnelle Schwimmen sehr; auch
gebraucht cS denselben als Angriffswaffe und kann Kähne damit umschlagen.
DaS Krokodil schwimmt besser gegen den Strom, als niit demselben. Wenn diese
Thiere Nahrung genug erhalten, können sie gezämt werden, und aus manchen
Erfahrungen läßt sich schließe», daß sie UnterschcidungSgabe besitzen. An der
Mündung eines Flusses auf Sumatra fand ein Reisender ein großes Krokodil,
welches von den Eingebornen gefüttert wurde, sich sogar mit der Hand klopfen
ließ und kein anderes Krokodil in seinem Bereiche duldete, weswegen es fast
göttlich verehrt wurde. Die Krokodile in den heißen Gegenden sind größer und
gefährlicher, als die in der gemäßigten Zone. Diese Letzteren erstarren im Winter
und liegen dann in tiefen Löchern an dem Ufer vergraben. In Südamerika
vergraben sich die Alligatoren während der trokkencn Jahreszeit so lange in
Betten, bis eö wieder regnet.
235
Man findet die Krokodile nur in süßen Wassern, höchstens an der Mündung
der Flüsse. Verbreitet sind sie über alle Erdtheile, Europa ausgenommen; vor-
zugsweise finden sie sich aber in der heißen Zone, und nur in Amerika auch in
der gemäßigten, ungefähr biö zum 33 Grade nördlicher Breite.
Sie sind besonders in Amerika sehr zahlreich und kommen oft in großen
Schaaren zusammen, nicht cpnS Anhänglichkeit, sondern angezogen durch Beute.
Ihre Nahrung nehmen sie aus dem Thierreiche, und sie fressen Amphibien aller
Art, oft selbst die eigenen Jungen; zufällig erhaschen sie auch zuweilen Bögel und
Säugethiere. Mcnschenfleisch ziehen sie aller anderen Nahrung vor, und wenn
sie solches einmal gekostet haben, werden sie besonders für den Menschen gefährlich.
Sie belauren dann die Badenden oder die Wäscherinnen am Flusse, nähern sich
unbemerkt, führen mit ihrem Schwänze, wenn sie nahe genug gekommen sind,
einen Streich auf ihr Opfer, wodurch cS ins Wasser fällt, oder ziehen es an einem
Beine hinein, erstikkcn eö unter dem Wasser und verzehren es dann über demselben
oder auf dem Lande. Da sie nicht kauen können, so müssen sie ihren Naub
entweder ganz verschlingen, oder wenn dieser zu groß ist, Stükke abreißen, die sie
dann ganz hinunterschlukken. Es werden jährlich viele Menschen durch Krokodile
getödtet, besonders in Amerika und in Gegenden, die Neberschwemmungcn aus-
gesetzt sind. Man hat viele Beispiele, daß Menschen durch ihre Geistesgegenwart,
indem sie dem Thiere die Augen fest zudrükkten, oder es durch ein schneidendes
Werkzeug an einer schwachen Stelle stark verwundeten, sich anö dem Nachen
desselben, freilich oft mit Verlust eines Körpergliedes, befreiten; doch gelingt es
nicht immer. In Amerika nehmen die Eingebornen, wenn sie durch einen Fluß
schwimmen, einen an beiden Enden zugespitzten Knüttel mit, und wenn sie von
einem Alligator angefallen werden, so stoßen sie denselben in seinen Nachen,
wodurch daö Thier unfähig wird, denselben zu schließen, worauf eS dann leicht
getödtet werde» kann.
Der Fang und die Erlegung der Krokodile ist schwer. Nur durch eine gegen
daS Auge angebrachte Kugel oder durch einen guten Schuß von grobem Schrot
in den Nakken können sie sicher erlegt werden. Man fängt sie aber auch an
starken Angeln, oder nimmt statt der Angel spitzige Eisen, welche in dem Nachen
stekken bleiben, wenn derselbe mit Gewalt zugeschlagen wird. Auf dem Lande
kaun man sie oft mit Knütteln todtschlage», fast ohne Gefahr, da wenigstens die
Alligatoren sich dann gar nicht vertheidige».
Die Krokodile legen viele, 30 bis 00, weiße, mit kalkartiger Schale bedekkte
Eier, von der Größe der Gänseeier, in dichtes Gesträuch am User oder in den
Saud. Die Eier werden von der Sonnenwärme ausgebrütet, und die Jungen
begeben stch gleich ins Wasser, wenn sie ausgekrochcn sind. Das Wachsthum geht
sehr langsam vor sich, und ein 12 Fuß langer Alligator soll 50 Jahre alt sei».
Sie werden wohl über 100 Jahre alt. Die Vermehrung würde bei der Menge
der Eier ungeheuer sein, wenn dieselben und die wehrlosen Jungen nicht so viele
Feinde hätten (Schildkröten, Raubvögel, in Egypten und Ostindien der Ichneumon).
Daß der Ichneumon dem Krokodil in den Rachen krieche, sich in die Eingeweide
236
kiiifrcsse und so daS Thier tobte, (wie die Alten glaubten) ist eine Fabel. Nach
neueren Beobachtungen werden aber die Krokodile von Würmern und Insekten sehr
geplagt, die in den Rachen kriechen und wahrscheinlich Blut saugen. Der Nachen
soll von der Menge dieser kleinen Thiere oft ganz schwarz sein. Bon dieser Plage
wird eS häufig durch einen kleinen Vogel, den egyp tischen Kiebitz, befreit,
der sich in den Nachen des Krokodils wagt, um jene Insekten aufzusuchen, welche
ihm zur Nahrung dienen. Ehe daS Krokodil seinen Nachen wieder schließt, setzt
es seinen kleinen Freund immer erst durch eine gewisse Bewegung in Kenntniß,
so daß dieser nie in Gefahr kommt. Schon die Alten erzählten etwas Aehnliches;
man hielt es aber immer für eine Fabel, bis neuere Beobachtungen die Bestäti-
gung lieferten.
Fische.
Die Fische haben rothes, kaltes Blut, das nur um wenige Grade wärmer
ist, als daS Wasser, in welchem sie leben. Sie lassen ihre Eier durch die Sonnen-
wärme ausbrüten. Eigenthümlich sind ihnen die Kiemen, durch welche sie athmen,
und zwar so, daß sie daS Wasser verschlukken, die darin befindliche Luft durch
die weichen, lappigen Kiemengefäße aufsaugen und daS Wasser selbst durch
Spalten, welche zwischen den Kiemen liegen, wieder auspressen. Die aufgesogene
Lust geht nun zu dem Blute, welches dadurch gereinigt wird. Das Herz liegt
fast an der Kehle.
Eine auffallende Verschiedenheit findet sich unter den Fischen im Skelet.
Bei dem größeren Theile der Fische ist dasselbe wirklich knöchern, bei dem
andern kleineren Theile nur knorplig. Die Fische theilen sich daher in zwei
Reihen, in die Grätcnsische und in die Knorpelfische.
Die Fische nehmen ihre Nahrung fast durchgängig aus dem Thicrreiche.
Sie fressen Würmer, Weichthiere, Insekten, Fische u. s. w., manche sogar warm-
blütige Thiere, wenn sie solche erhaschen können, und die Haifische sind nach
Menschenflcisch sehr lüstern. Viele Fische verzehren aber auch Pflanzenstoffe,
z. B. die Karpfen. Manche, wie der Hai, der Hecht, der Stör, zeichnen sich
durch große Gefräßigkeit aus. Der Hecht verschont nicht einmal die eigene Art.
Haifische und Störe verschlukken auch zuweilen unverdauliche Dinge, z. B. Stükke
Holz, Tonnen, ja auch Steine.
Da die Fische keine äußeren Gliedmaßen haben, so müssen sic ihre Nahrung
nur mit dem Maule ergreifen. Jedoch wenden manche noch andere Mittel an,
ihre Beute zu erlangen. So menen vielen Fischen die Bartfäden am Maule
zum Anlokken kleiner Wasscrthicrc; andere, die Spritzfische, schießen in einer
Entfernung von 4 — 0 Fuß Wasscrtropfcn auf die Insekten, welche auf Pflanzen
sitzen, wodurch dieselben ins Wasser fallen und dem Fische zur Beute werden.
Die elektrischen Fische betäuben ihre Beute durch elektrische Schläge.
Die Größe der Fische ist sehr verschieden. Die kleinsten werden nur wenige
Zoll lang, während der Riesenhai eine Länge von über 40 Fuß erreichen kann.
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Das Alter der Fische ist nicht mit Sicherheit bekannt. Die kleinen leben
wahrscheinlich nur wenige Jahre; dagegen werden Karpfen und Hechte schon
hundert und mehr Jahre alt, und die größeren Seefische erreichen wahrscheinlich
ein Alter von 150 biö 200 Jahren. — Im Jahre 1407 hat man in einem
Teiche einen Hecht mit einem kupfernen Ringe gefangen, der die Aufschrift
hatte: „Ich bin der erste Fisch, den der Kaiser Friedrich II. den 5. Oktober 1200
in diesen Teich gesetzt." .Hiernach wäre dieser Hecht nicht weniger als 267
Jahre alt gewesen. Gr soll 300 Pfund gewogen haben.
Die meisten Fische legen Eier (Laich); nur wenige bringen lebendige Junge
zur Welt. Die Eier (Rogen) haben verschiedene Farbe; sie sind bald grünlich,
röthlich oder gelblich und mit klebriger Gallerte überzogen. Die Zahl der Eier
ist verschieden, aber immer sehr groß. Man hat in einen, Heringe 68656 Eier
gezählt, im Rothauge über 84000, in einem Blei 167000, in einer vierpfündigen
Schleihe 207000, in einem Barsch 000000, in einer Scholle über 1 Million,
im Stör über 3, im Stokkfisch sogar gegen 0 Millionen.
Die Fische leben theils im Meere, theils im süßen Wasser; in jenem aber
befinden sich die meisten Arten. Manche, wie Lachse, Störe, halten sich zu manchen
Zeiten im Meere, zu andern in Flüssen auf. Einige Arten finden sich sogar in
warmen Quellen, andere in unterirdischen Gewässern. So findet sich in Süd-
amerika, in den unterirdischen Seen, ein mit den Welsen sehr verwandter 4 Zoll
langer Fisch, welcher nur i» den dunkelsten Nächten in die nach außen abfließenden
Bäche kommt und da gefangen wird. AuS den südamcrikanischen Vulkanen werden
oft bei großen Ausbrüchen mit Schlamm und Wasser ähnliche Fische lebend in
großer Anzahl ausgeworfen.
Manche Fische können eine Zeit lang auf dem Trokkencn leben; andere aber
sterben, sobald man sie aus dem Wasser nimmt.
Die Fische sind über alle Zonen verbreitet; aber die wärmeren Meere haben
in der Zahl der Arten, sowie in der schöneren Färbung, der sonderbaren Bildung
und der Größe der Fische das Uebergewicht über die nördlicheren. Die Fische sind
weniger an gewisse Gegenden gebunden, als die übrigen Wirbelthierc. Dies rührt
daher, daß die MeereSbezirkc nicht so von einander getrennt sind, als die des
festen Landes, und daß die Fische fast überall im Wasser eine ihnen angemessene
Wärme finden. Deshalb können auch Fische aus wärmeren Ländern leicht in
gemäßigten einheimisch gemacht werden.
Hering und Heringsfang.
Der Hering hat einen, am unteren Rande keilförmig zusammengedrükkten
und mit sägeartig gestellten Schuppen bcdckkten Bauch, sehr weite Kiemenspalten,
wie Kämme gezähnte Kiemenbögen, lange Schwimmblase und zahlreiche, sehr
feine Gräten. Er ist auf dem Rükken schwärzlich blau; in den Kinnladen hat er
einige Zähne. Er bewohnt den ganzen nördlichen Ocean, insbesondere jedoch
das deutsche Nordmccr. Um Island, Spitzbergen und Grönland, überhaupt
238
jenseits des 67stei> GradkS, sieht man ihn nicht. Erst von den Schcttlandöinseln
wird man seine Züge recht gewahr. Am wahrscheinlichsten ist, daß er auf dem
Boden der See sein Lebe» zubringe und sich aus dem an den Küsten abgesetzten
Rogen entwikkele.
Mit dein April schon zeigen sich die ersten Heringe, reichlicher im Mai und
Juni, und bilden da Bänke oder Heere von 5 biö 6 Meilen Länge, 2 bis 3
Meilen Breite und einer ansehnlichen Tiefe. Ihre Menge erfüllt so zu sagen
den Ocean, und eingeworfene Lanzen bleiben zwischen ihnen stehen. So wie sie
sich an die Oberfläche erheben, gewährt ihre Menge einen prächtigen Anblikk;
ihre Bewegungen verursachen ei» Geräusch, wie das Plätschern deS Regens.
Bisweilen sinken sie auf 10—15 Minuten und heben sich dann wieder.
Der Fang des Herings fand schon im Mittelalter Statt; der Papst
Alexander III. erlaubte um das Jahr 1100 den Norddeutschen, diese Beschäfti-
gung auch an Sonn - und Festtagen zu treiben.
Im Jahre 1164 war der Heringsfang bei den Holländern bereits im Gange.
Im siebzehnten Jahrhundert erreichte er jedoch seine größte Höhe und ward der
rechte Arm der Stärke ihres Landes. In der That erregt es Bewunderung, zu
sehen, wie ein kleines Sumpfland es dahin brachte, mit den größten europäischen
Neichen Kriege anzufangen, und größere Reichthümer, als alle seine Nachbaren,
zusammenzuhäufen, und dies Alles durch den Fang eines kleinen Fisches. Aber
dieser Fang beschäftigte auch gegen eine halbe Million Menschen und brachte
schon damals jährlich 100 Millionen Gulden ein. Durch ihn wurden die kleinsten
Knaben mit der See vertraut und bildeten sich zu unerfchrvkkenen, de» Tod
verachtenden Matrosen.
Schon um dieselbe Zeit brachte diese Fischerei auch den Deutschen jährlich
10 Millionen Thaler ein, und alle nordischen Länder, ja selbst Spanien und
Frankreich, nahmen ihren Antheil. Jetzt hat England viel von diesem Erwerbs-
zweige an sich gerissen, und mit 1200 Fahrzeugen hat man dort binnen 2 Jahren
jedes Mal 500000 Tonnen, also 50 Millionen, gefangen. — Oft kommen so
viele Heringe, daß sic nicht alle genossen werden können und zu Dünger ver-
braucht werden müssen. Man schätzt jetzt die Menge aller Heringe, welche
jährlich gefangen werden, auf tausend Millionen.
Die Fahrzeuge, welche die Holländer Buysen nennen, und deren sich auch
die andern Böller bedienen, sind sehr lang. Sie sind von zwei Kriegsschiffen
begleitet, zum Schutz und zur Aufnahme der Kranken. Sobald die Heringe
ankommen, werden große Netze, oft 1200 Fuß lang, ausgespannt, welche oben
durch leere Tonnen gehalten, unten mit Steinen beschwert sind, so daß sie durch
das eingezogne Wasser steif wie eine Wand stehen. Die Netze werden jetzt von
gelber persischer Seide gemacht und vorher geräuchert, damit die helle Farbe die
Heringe nicht scheu mache. Die Weite der Maschen ist gesetzlich vorgeschrieben
und darf nicht enger als ein Zoll sein, damit sich nicht zu viel Junge und
Brut fange. Die anströmenden Heringe gehen oft augenblikklich in die Netze,
in denen sie mit den breiten Kiemendekkeln hängen bleiben, und wenn das Glükk
239
gut ist, kann Ulan schon nach zwei Stunden das Netz aufwinden. Jetzt werden
die Fische herausgenommen, ihnen die Kehle aufgeschnitten, und ste von den
Därmen entleert und dann vorläufig in Fässer mit Salzwasscr geworfen. Nach-
mals werden sie ausgewaschen, in Salzlake gethan und endlich bei ihrer Ankunft
in Tonnen, mit Schichten Kochsalz dazwischen, verpakkt. Dies Verfahren hat
im Jahre 1397 Wilhelm Beukelen erfunden und dadurch erst den großen Ver-
brauch möglich gemacht. Die Erfindung des Räucherns rührt von einem
gewissen Bükkling her. —
Die Holländer liefern die besten Heringe. An dem berühmten Stadthause
zu Amsterdam befindet sich auf der Spitze eines hohen, grauen Thurmes ein
mächtig großer, vergoldeter Hering, zum Zeichen, daß die gefangenen Heringe
hier ihre erste Wohnung erhalten, sobald sie von der See angelangt sind. Die
ersten drei frischen Heringe erhält der König, und nun streiten sich vornehme
Personen um die Ehre, gleich nach dem Könige welche essen zu können, und
zahlen wohl hundert Gulden für einen guten Milchner, den sie später für einen
Groschen haben können. Leute, die Geld habe«, mögen solchen Liebhabereien
nachhängen, sind aber darum um Nichts besser, als andre brave Leute, welche
ihren Hering später essen.
Die Haifische.
Die Haifische machen eine Gattung der Knorpelfische ohne Kiemendekkel auS.
Sie haben statt dieser 5 — 7 Spalten zur Seite des Kopfes, wodurch sie die Luft
aus dem Wasser absondern. Es giebt viele Arten dieses Geschlechts. Ihr Leib
ist langgestrrkkt, walzenförmig und mit einer chagi inartigen Haut überzogen,
wegen der man diese Fische häufig fängt. Sic sind die furchtbarsten Ranbthiere
der Meere und der Schrekken aller Lebendigen innerhalb derselben. An Gefräßig-
keit übertreffen sie fast alle Thiere der Schöpfung. Ihr Magen scheint
unersättlich. Sie verschlingen Alles, was ihnen vorkommt, selbst Leder, Lumpen,
und sogar Eisen. Ihr Rachen ist ungeheuer groß und der Schlund sehr weit.
Des Nachts glänzen diese Thiere, welches einer phosphorartigen Materie zuzu-
schreiben ist, die sich auf der Haut befindet.
Der merkwürdigste Fisch dieser Gattung ist der sogenannte Menschenfresser
oder Riesenhai. Er hat 6 Reihen sägenförmig gestellter Zähne, welche beweglich
sind und sich beim Aufsperren dcö unter dem Kopfe liegenden Maules in die
Höhe richten; ein furchtbares Geschöpf, das nicht selten 25- 40 Fuß lang und
3000 — 4000 Pfund schwer gefunden wird. Mit dieser Größe verbindet es eine
außerordentliche Stärke, eine Kühnheit und Nnbändigkeit, die alle Vorstellung
übersteigt. Kein Serthier nimmt es mit dem Menschenfresser auf; Alles flieht
ihn. Er sieht auf dem Rükken und an den Seiten aschgrau-bräunlich, am
Nnterleibe aber weiß aus. Der Haifisch lebt fast in allen Meeren, besonders
aber im atlantischen und mittelländischen. Gewöhnlich hält er sich in der Tiefe
auf und "kommt nur des Raubes wegen an die Oberfläche. Seine Nahrung
240
sind allerlei Thiere ohne Unterschied. Die Sklavenschiffe, welche Neger aus ihrem
Vaterlande Afrika nach Amerika überschiffen, werden von einer Menge Haien auf
ihrer ganzen Fahrt begleitet. Diese Meerungeheuer scheinen eö zu wissen, daß
Viele dieser Unglükklichen auf der Fahrt ihr Leben einbüßen und über Bord
geworfen werden. Mit Heißhunger schnappen sie die todten Körper auf und
verschlingen sie. Aber mit gleicher Gier fallen sie auch über lebende Personen
her, die von ungefähr ins Meer fallen. Der geschikkteste Schwimmer kommt
hier selten mit dem Leben davon; denn ehe man ihn noch retten kann, ist er-
scholl die Beute eines Haies. Geht eö glükklich ab, so büßt er wenigstens ein
Bein oder einen Arm ein. —
Auf einem englischen Schiffe zerlegte man einst einen Haifisch zum Köder-
für Krebse, und zur Verwunderung der Umstehenden schlüpften 4 Junge aus
dem Magen. Man wußte nicht, ob sie als Beute verschlukkt oder als Schütz-
linge im Magen aufgenommen waren. Das Letztere ist jetzt durch vielfache
Beobachtungen zur Gewißheit geworden.
Ungeachtet das Fleisch der Haifische nicht eßbar ist, — (hungrige Matrosen
esse» eö wohl) — so stellt man den Meerriesen doch nach und fängt sie mit Angeln
an starken eisernen Ketten. Entsetzlich sind die Anstrengungen und das Toben
eines Menschenfressers, wenn er mit dem Köder den Angelhaken verschlukkt hat.
Aus allen Kräften strebt er, das Verschlungene wieder von sich zu geben, und
lange zerarbeitet er fich, bis endlich seine Kräfte ermatten und man cS wagen
darf, ihn ans Ufer oder auf das Schiff zu ziehen.
Eine Thatsache ist, daß dem Hai immer ein kleiner Fisch, den man Pilot
nennt, voran schwimmt, um ihm die Beute anzuzeigen, von welcher er dann
immer seinen bescheidenen Theil bekommt.
Vor mehrere» Jahren kamen an der norwegischen Küste, unweit Christiania,
einige Männer beim Dorschfange im heftigsten Sturme umS Leben. Zwei Tage
nachher zog man in derselben Gegend einen Hai ans Land und fand in seinem
Magen einen Mann in seiner ganzen Seerüstung, mit Kleidern von Fellen und
Seestiefcln, jedoch ohne Hut. An den Gesichtszügen erkannte man ihn als
einen von jenen Verunglükkten.
Der Sägefisch.
Zu den Haifischen wird auch der Sägefisch oder Sägehai gerechnet. Er hat
seinen Namen von der furchtbaren Waffe, die, als verlängerter Rüffel, in
Gestalt eines Schwertes vorn am Kopfe sitzt, oft 2 — 2'/- Elle lang, handbreit,
auf beiden Seiten mit 24 Zähnen besetzt und von knochenartiger, fester Be-
schaffenheit ist. Der Fisch selbst wird 12—15 Fuß lang gefunden. Er sieht
oberhalb schwärzlich grau, an den Seiten heller, unter dem Bauche weißlich aus.
Man trifft ihn fast in allen Meeren, besonders häufig an den afrikanischen
Küsten, um Island, Grönland und Spitzbergen an. Es ist ein mächtiger und
furchtbarer Räuber, der durch sein Schwert sich Nahrung und Sicherheit gegen
seine Feinde verschafft. Er scheint ein natürlicher Feind des großen Wallfisches
211
zu sein, und kämpft mit ihm, wo er ihn antrifft. Jener sucht ihm mit seinem
Schwänze einen tödtlichen Schlag zu versetzen; allein der Schwertfisch weiß
diesem auszuweichen; überdies schnellt er sich mit großer Kraft aus dem Wasser
über seinen Feind in die Höhe und stößt ihm im Herabfallen das Schwert in
den Leib. Oft verblutet sich der Wallfisch und stirbt; oft bricht aber auch das
Schwert theilweise ab und bleibt im Leibe des WallfifcheS stckkcn.
Fliegende Fische.
Im Meere giebt es Fische, welche auch aus dem Wasser gehen und in der
Luft fliegen können. Die Floßfedern an der Brust dieser Thiere sind sehr lang
und mit einer weichen Haut überzogen. Mit Hülfe dieser kann sich der Fisch eine
Zeit lang in der Luft erhalten. Aber erstlich, das thut nicht länger gut, als
diese Haut naß ist; sobald sie aber trokknet, fällt der Fisch ins Wasser zurükk.
Zweitens, er geht nicht aus dem Wasser ohne Noth, fliegt nicht spazieren für
Kurzweile oder um seine Kunst zu zeigen, sondern wenn ihn ein Raubfisch ver«
folgt, dem er nicht mehr anders entrinnen kann, und darin ist er klüger, als
mancher Mensch, der schon Hals und Beine gebrochen hat; denn der Fisch sagt:
Man muß seiner Natur und seinem Stande getreu bleiben, so lange man kann;
kein Wagstükk treiben, wenn'ö nicht sein muß; nicht oben zum Fenster hinauö-
springen, wenn die Thür offen steht.
Solche fliegende Fische geben den Schifffahrenden, die viele Wochen Nichts
als Himmel und Wasser um sich haben, auf ihrer langweiligen ‘Jlcifc manche
Kurzweil, besonders wenn der Raubfisch, welcher sie verfolgt, ebenfalls fliegen
kann und ihnen nacheilt. Ost erhascht der Raubfisch seine Beute und zieht sie
wieder in daö Wasser hinab; oft entgeht sic durch Geschwindigkeit oder Glüks.
Manchmal ist noch ein ganz anderer Spaß zu sehen: denn gewisse Bögel fliegen
über dem Wasser hin und her und stellen den Fischen nach, können ihnen aber
Nichts anhaben, so lange diese daheim im Wasser bleiben, wohin sie gehören.
Wenn aber ein solcher Luftkrieg zwischen ihnen angeht, so wird bald der Fliehende,
bald der Verfolger, zuweilen auch beide von den Vögeln, die das Fliegen besser
verstehen, erhascht, und kommen ihr Leben lang nicht wieder ins Wasser zurükk.
Und dazu lachen die Schiffer.
Solcher Spaß ist manchmal auch mitten auf dem trokkenen Lande zu sehen,
aber oft mehr zum Weinen, alö zum Lachen; wenn zwei Brüder oder Verwandte
oder Bundesgenossen mit einander hadern und Streit führen über Mein und
Dein, und kommt alsdann ein Dritter darüber und beraubt beide des Vortheils,
den keiner dem andern gönnen wollte. Darum merke dir: „Wenn die Fische im
Wasser Händel haben, ist'S lauter Freude für die losen Vögel in der Luft!"
In Ostindien lebt ein Fisch, der mittelst der Stachelfortsätze an seinem Kopfe
und seinen Flossen an Palmbäumen und anderen Bäumen hinanklettert, wo er das
Wasser aufsucht, daö zwischen den Palmblätteru sich anhäuft, und die Gewürme,
welche in denselben leben. Dieser merkwürdige Fi,äh kriecht auch oft weit auf
dem Sande fort und bleibt zuweilen Stunden lang freiwillig außer dem Wasser.
242
Insekten.
Die Insekten sind unter allen wirbellosen Thieren am wichtigsten, nicht nur
der Zahl ihrer Arten nach, sondern auch wegen ihrer Bedeutung im großen
Haushalte der Natur. Obgleich sie der Bildung ihres Körpers nach sehr ver-
schieden sind, so stimmen sie doch alle darin überein, daß sie einen gegliederten
Körper haben, an dem man mehr oder minder deutlich Kopf, Brust und Bauch
unterscheiden kann. Sie haben kein rothes Blut, sondern eine kalte, meistentheilS
gelbliche Feuchtigkeit.
Die meisten Insekten sind einer Verwandlung unterworfen; die andern hauten
sich wenigstens mehrere Male. Die Zahl der Füße ist sehr verschieden; die
geflügelten Insekten haben 6 Füße, die Milben und Spinnen 8, die Bielfüße 14,
die Tausendfüße mehr als 10, bis über 200.
Viele Insekten haben Flügel, theils 4, theils 2, die bei einigen nakkt, bei
andern mit kleinen, sehr verschieden gefärbten und geordneten Schüppchen bedckkt
sind, welche dein bloßen Auge wie Staub erscheinen.
Die Augen der Insekten sind von denen der Wirbelthiere sehr verschieden.
Eö kommen nämlich einfache, zusammen gehäufte und zusammen-
gesetzte vor. Die Zahl der einfachen Augen wechselt zwischen 2 und 16.
Floh und Laus haben nur 2 Augen, die Spinne» hingegen deren 8. Sind mehr
als 2 Augen vorhanden, so haben sie verschiedene Größe und auch verschiedene
Gestalt, indem einige rund, andere ekkig oder oval sind. Bald stehen sie in einem
Kreisabschnitt, bald in 2 geraden Linien; bald bilden sie ei» Kreuz, oder 2 Dreiekke,
oder ein Vierekk und zwei Dreiekke. Die zusammen gehäuften Augen sind
in eine Masse gesammelt. Beim gemeinen Tausendfuß stehen z. B. 28 Augen in
7 Reihen, die ein Dreiekk bilden. Die zusammengesetzten Auge» sind die
gewöhnlichsten bei den Insekten. Sie scheinen gewöhnlich aus einer unendlichen
Menge erhabener sechSekkiger Stükke oder Linsen zu bestehen. Man hat berechnet,
daß ihre Zahl in dem Auge einer Bremse 7000 und in dem eines Schmetterlings
über 17000 beträgt.
Im Ganzen sind die Insekten klein. Zwei Drittheile wenigstens erreichen
nicht die Größe eines ViertclzolleS. Manche Käfer, z. B. der Herkuleskäfer, erreichen
eine Länge von 4 — 0 Zoll. Die ansgespannten Flügel deS AtlaSfalterS messen
8 —10 Zoll. Die größten Arten finden sich unter den krebsartigen Insekten,
wovon einige sogar ein und mehrere Fuß lang werden.
ES giebt viele Insekten, deren Instinkt durch Feinheit und Veränderlichkeit
nach Umständen sich außerordentlich auszeichnet. Welche kunstvollen Netze lehrt
nicht der Naturtrieb die Spinne verfertigen, um ihre Nahrung zu erhaschen! Wie
wunderbar ist es nicht, daß der Ameisenlöwe Gruben macht, worin er aus seine
Beute lauert! — Eine Wespe hatte eine Fliege gefangen, die fast so groß, als sie
selbst, war. Sie schnitt derselben den Kopf ab, faßte den mittleren Theil des Körpers
mit den Füßen und flog davon. Ein Windzug aber wirkte auf die Flügel der
Fliege, drehte die Wespe mit ihrer Ladung um und hinderte sie am Fortkommen.
243
Sie setzte sich nun wieder nieder, sägte einen Flügel nach dem andern ab und flog
mit ihrer Beute davon. — Jemand wollte eine todte Krötte trokkuen, spießte sie
an ein Stükk Holz und stekkte dieses in die Erde. Aber ein Trupp Todtcngräber
übervortheilte ihn trotz seiner Vorsicht. Da sie die Kröte nicht erreichen konnten,
so unterhöhlten sie den Stokk, bis er fiel, und vergruben dann Stokk und Kröte.
Sehr merkwürdig sind die Verwandlungen, denen die meisten Insekten unter-
worfen sind. Viele perwandeln sich nicht. Die geflügelten Insekten verwandeln
sich auf zweierlei Art, entweder u n v o ll k o m m c n oder v o l l ko m in e n. Die erste
Art besteht darin, daß sich die Thiere mehrere Male häuten und dann als geflügelt
erscheinen; der Körper bleibt fast derselbe. Bei der vollkommenen Verwandlung
tritt das Insekt alö Larve aus dem Ei, vergrößert, häutet und verpuppt sich dann,
verfällt in einen todtenühnlichen Schlaf, und bricht zuletzt vollkommen ausgebildet
durch die Hülle. Die Zeit, während welcher die Insekten im Larvenzustande bleiben,
ist sehr verschieden, einige 6—7 Tage, andere eben so viele Monate, ja, die unter
der Erde lebenden einige Jahre. Die Dauer deö Puppenzustandcü ist sehr ver-
schieden und hängt theils von der Größe der Puppe, theils von der Wärme ab,
indem kleine Puppen kürzere Zeit in diesem Zustande bleiben und die Wärme das
Puppenleben abkürzt.
Wie steht es aber mit der Lebensdauer der Insekten? — Manche, wie mehrere
Arten Eintagsfliegen, leben nur einige Stunden; einige bekomme» nicht ein Mal
die Sonne zu sehe», weil sie »ach Sonnenuntergang auSkriechen und vor Sonnen-
aufgang schon sterben. Die Schmetterlinge werden einige Tage oder Wochen alt;
nur wenige größere Käser erreichen ein Alter von 6—15 Monaten. Sehr ver-
schieden ist aber bei manchen Insekten die Lebensdauer im Vorbercitungö- und
vollkommenen Zustande. Der gemeine Holzspinner z. B. braucht 3 Jahre, die
Kohlraupe nicht 3 Monate bis zur Reife, und dennoch leben beide als vollkommene
Insekten gleich lange. Der Maikäfer lebt als Larve 4 Jahre in der Erde, als
Küfer nur 8 — 10 Tage.
Die Insekten werden eingetheilt in
I. Eigentliche Insekten. Der Körper ist in Kopf, Brust und Bauch
geschieden. Sie haben 3 Paar gegliederte Füße, athmen durch Luftlöcher und
erleiden gewöhnlich eine Verwandlung. Man theilt sie wieder in geflügelte
und flügellose.
II. Spinnenartige Insekten. Kopf und Brust sind verschmolzen. Sie
haben meistens 8, selten 6 Füße, haben keine Flügel und keine Verwandlung.
III. Krebsartige Insekten. Sie haben keine Flügel und keine Ver-
wandlung, und mehr alö 3 Paar gegliederte Füße.
Die Biene.
Zu einem Bienenftokke gehören eine Königin (Weisel), einige Hundert
Drohnen — dies sind die männlichen Bienen, die gleichsam den Hofstaat der
Königin ausmachen — und eine große Menge geschlechtsloser oder Arbeitsbienen
244
Die letzteren sind die kleinsten, leichtesten und darum flinkesten im ganzen Bienen-
volk. Kaum geboren, regt sich'S schon in ihren Füßen und Flügeln. Ehe man
sich'S versieht, sind sie fort ans die Arbeit, summen mit den Alten um die
Blüthen und machen alle Arbeit so geschikkt mit, als ob sie lange in der Fremde
gewesen und Erfahrung gesammelt hätten. DaS Handwerkzeug bringen sie mit
auf die Welt. Es besteht aus einer Mauerkelle, einer Kugelform und aus mehreren
kleinen Bürsten. Ihr Baumaterial nehmen sie aus den Blumen. Ihr ganzer
Körper ist mit kleinen Härchen besetzt, in welchen der Blüthenstaub hängen bleibt,
wenn sie sich in den Blüthen herumtummeln. Wie Müller bestäubt, kommen sie
auS den Blüthen hervor, setzen sich auf den Rand derselben, nehmen die kleinen
Bürsten, die in feinen Härchen an ihren Füßen sitzen, fahren damit in daS
bcpuderte Haar ihres Leibes über Rükken und Kopf hinweg und haben, ehe man
sich'S versieht, den Blüthenstaub mit den Vorderfüßcn zu einem Kügelchen
zusammengefegt, dieses so groß wie ein Pfefferkorn geknetet und eS stink, wie
ein Taschenspieler, zwischen die laugen Hinterfüße geschoben. An diesen sitzt eine
Vertiefung, ringsum mit Haaren eingefaßt, Körbchen genannt. Da hinein pakken
sie daS weiche Körnlein, das bald roth, bald gelb, bald weiß aussieht, und fliegen,
schwer belastet, nach dem Bienenkörbe zurükk, um goldgelbe Säle mit 6 Wänden
zu bauen, die man Zellen nennt und die von Wachs sind. Die Bienen haben
aber auch außer dem Blüthenstaube, den sie mitbringen, aus den Blüthen noch
Säfte gesogen, die gar bald in ihrem WachSmagen zu flüssigem Wachs werden,
daS als Tropfen theils am Munde, theils an den Seiten des Leibes wieder
heraustritt. Diese Tropfen erstarren an der Luft und können leicht zu kleinen
Kugeln geformt werden, aus denen sie nun ihre fechSekkigen Säle zimmern. Der
Stoff des Honigs ist der süße Saft, der sich in den allermeisten Blüthen findet,
auch der süße Schweiß auf den Blättern verschiedener Gewächse. Zur Einsamm-
lung desselben fliegen die Bienen in den Mittagsstunden aus, weil alsdann die
Hitze diesen Saft am meisten hervorlokkt. Sie lekken ihn mit den Rüffeln ab,
schlukken ihn hinunter und bereiten ihn in einem besonderen Behältniß in ihrem
Leibe, das deshalb der Honiginagen heißt, durch Währung oder Beimischung
anderer Säfte ,zn. Wenn dieser Magen voll ist, kehren sie nach Hause zurükk,
geben den Honig durch den Mund wieder von sich und speien ihn in die dazu
bestimmten Zellen. Die angefüllten Zellen verschließen sic mit einer Wachsdekke.
In einem Bienenstokke giebt eS aber nicht blos Vorrathösäle, sondern auch
Kinderstuben. Reihe an Reihe stehen die Stuben für die Arbeitsbienen da;
weniger an Zahl, aber größer, sind die der Drohnen. Auch Palläste für Prinzes-
sinnen sind da, nur sehr wenige, aber ausgezeichnet durch ihre Bauart; denn sie
sind nicht ekkig, sondern rund.
In jede vollendete Zelle legt die Königin ein Ei und ist dabei von 10 bis 12
Arbeitsbienen begleitet. Sie legt an einem Tage wenigstens L00 Stükk und setzt
dieses Geschäft den ganzen Sommer hindurch fort. Nach einigen Tagen kommt
aus dem Ei eine Made, die nur von den Arbeitsbienen mit Nahrung versehen
wird. Nach 8 Tagen ist die Made ausgewachsen, bedarf keines Futters mehr,
245
und die Kinderstube wird nun mit einer Wachsthüre verschlossen. Hier macht sich
die Made ein seidenes Gewand, d. h. sie verpuppt sich. Nach 13 Tagen durch-
bricht sie ihr Puppenhäuschen und kommt als junges Bienchen hervor.
Da die Drohnen nur für die Fortpsianznng sorgen, sonst den ganzen lieben
Sommer über müssig gehen, so werden sie im August von den Arbeitsbienen aus
dem Stokke verjagt oder gctödtet.
Haben sich die steißigen Thiere in einem Stokke so vermehrt, daß nicht mehr
alle Raum finden, so wird die Auswanderung eines Theils der Bevölkerung
nothwendig. Das Schwärmen erfolgt aber erst dann, wenn eine zweite Königin,
die sich an die Spitze der jungen Kolonie stellen kann, vorhanden ist. Ein guter
Stokk liefert oft mehrere Schwärme in einem Jahre.
Die Ameisen.
Die Ameisen zerfallen, wie die Bienen, in drei Stände: in Männchen'
Weibchen und Arbeiter. Alle haben sechs Füße, einen dreitheiligen Leib, drei
Bruftringcl und einen durch einen Bauchstiel davon geschiedenen Hinterleib. Am
Kopfe sitzen zwei hornige, säbelartig gekrümmte Oberkiefer, deren scharfe Schneiden
wagerecht gegen einander wirken und eine bedeutende Kraft entwikkeln. Sie sind
Waffen und Werkzeuge zugleich, die beim Bauen der Wohnungen, bei»« Einsangen
der Thiere, bei Raufereien und Zänkereien mit den Feinde» treffliche Dienste
leisten. Die der Männchen und Weibchen sind zarter gebaut, als die der Arbeiter.
Sic überragen auch die Arbeiter an Körperlänge und haben außerdem zum Unter-
schiede von diesen Flügel, welche sie jedoch ausschwingen, wenn sie sich zum Ver-
gnügen in die Luft erheben wollen; denn daö Arbeiten ist eben ihre Sache nicht.
In großen Schwärmen halten sie ihre Tänze in der Luft. Bald darauf sterben
die Männchen; die Weibchen aber kommen nach solchen Tänzen gewöhnlich mit
zerbrochenen oder auSgerissenen Flügeln zurükk. Der zahlreichste Stand ist drr
der Arbeiter. Diese tragen nicht zur Vermehrung bei; aber von ihrer Einsicht
und Thätigkeit hängt die Erhaltung des Staates ab. Die Arbeiter bauen an
den Wohnungen, achten auf die Jugend, und sie nur erziehen die Kinder
gemeinschaftlich.
Waö man im gewöhnlichen Leben für Ameiseneier ausgiebt, sind die aus den
Giern gewordenen Puppen. Ehe jedoch die Puppe entsteht, ist aus dem Ei erst
eine weiße Made geworden. Diese würde elendiglich umkommen, wenn sich ihrer
nicht die Arbeiter als zärtliche Wärter annahmen. — Nach 10—14 Taben spinnt
sich das Würmlein ein weißes Sterbehrmdchcn; denn aus der Made wird in der
weißen Hülle eine Puppe. Diese wird von den Arbeitern sorgsam verpflegt. Je
nach der Witterung bald oben, bald unten, bald hinten, bald vorn hin getragen,
dauert eö nicht lange, so wird das Gespinnst zerrissen. Drei biö vier Arbeiter
helfen daS seidene Gewebe der Puppe zerreißen, und- mit der größten Sorgfalt
helfen sie Fühlhörner, Kopf und Füße auö der Hülle befreien. Da gewöhnlich
eine Menge junger Ameisen zu gleicher Zeit ausschlüpft, so entsteht dann eine große
Thätigkeit in dem Haufen. — Rührend ist eö zu sehen, wie sie bei einer heran-
nahenden Gefahr sich ganz vergessen und nur an die Jungen denken. Diese
werden zuerst in Sicherheit gebracht. Hunderte eilen sogleich herbei, um sie über
Berg und Thal zu schleppen. Nicht selten geschieht cs, daß eine Ameise, die durch
den Feind in zwei Theile zcrstükkt wurde, mit der Puppe zwischen den Kiefern
noch weiter rennt, während ihr der Hinterleib fehlt.
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Der Seidenspinner.
Der Seidenspinner, dieser jetzt fast allgemein bekannte Nachtfalter, verdient
vielleicht noch mehr, als die Biene, unsere größte Aufmerksamkeit. Sein ursprüng-
liches Vaterland sind China, Indien, überhaupt sämmtliche Länder des östlichen
Asiens. Die Bewohner jener Gegenden bewachten ihn lange Zeit als ihr köstlichstes
Kleinod; und wahrlich! es mußte sic tief schmerzen, als er später dessen ungeachtet
über ihre Grenzen nach Griechenland pilgerte. Solches that er im Jahre 56«
nach Chr. Geburt. Die beiden Mönche, welche mit Gefahr ihres Lebens feine Eier
in hohlen Stäben zuerst nach Kvnstantinvpel brachten, bereiteten allerdings den
Indiern und Chinesen eine bittere Arznei, unü jedoch einen herrlichen Erwerbzweig.
Mit dem Seidenspinner zugleich verpflanzte Kaiser Justinian I. den Maul-
beerbaum aus Asien nach Europa. Beide Produkte kamen ungefähr ums Jahr
1200 nach Italien,'Und von dort aus allmälig nach Frankreich, Spanien, ja selbst
nach den nördlichen Ländern unseres Erdtheils. Der große Friedrich, Preußens
unvergeßlicher König, der höchst ungern Geld nach dem Auslande wandern sah,
wandte alle Mittel an, den Seidenbau auch in seinen Staaten heimisch zu machen.
Und seine Bemühungen blieben nicht ohne Erfolg; denn schon im Jahre 1774
gewannen Brandenburg und einige preußischen Provinzen gegen 7«00 Pfund
reine Seide.
Die Eier dcö Seidenspinners, deren ein Weibchen 3 bis 50« legt, kommen
einem Hiersekorn an Größe gleich und sehen gelblich oder blaßbläulich aus. Die
Räupchen, welche gleich nach ihrer Geburt, wie alle Thiere ihrer Sippschaft, zu
fressen anfangen, erfordern vor Allem, wenn sie nicht erkranken und verkümmern
sollen, der Blätter des Maulbeerbaums in Menge. Ueberdieö sind Trokkenhcit,
reine Luft und eine gcuiäßigte Wärme drei zu ihrem Gedeihen höchst nothwendige
Stükke. Naht sich ihnen der Tag, da sic eine ihrer vier Häutungen überstehen
sollen, so werden sie matt, verschmähen jede Speise und liegen wohl 24 Stunden
steif und unbehülflich da. Erst nach gänzlicher Abstreifung der alten Hülle stellt
sich ihr munteres Wesen, wie auch ihre bedeutende Eßlust von Neuem ein. Mit
jeder Häutung werden sic weißer, glatter und größer. Sechs bis sieben Tage
nach der letzten Häutung bemerkt mau unter ihrem Halse eine starke Nöthe, das
sicherste Kennzeichen von ihrer nahe bevorstehenden Verwandlung; sie fressen nun
nicht mehr, laufen unruhig umher und suchen sich einen bequemen Ort zur GrabeS-
stätte auf. Ihr Sterbekleid verfertigen sie sich auf eine eigene Weife: den ersten
Tag bringen sic damit zu, das äußere, weitläuftiac, unordentliche Gewebe, welches
uns die Florettseide giebt, an den auserwählten Ort zu befestigen; am folgenden
Tage spinnen sie den schönen, 900—100« Fuß langen, äußerst feinen Faden;
zuletzt weben sie eine länglich runde Hülle, die, einem häutigen Filze ähnlich, sie
gegen alle Einflüsse der Luft und Witterung schützt. Die ganze Arbeit dauert
7 — H Tage. Ist endlich der Puppenzustand, in dem sie 2 —3 Wochen verharren,
beendigt, so schlüpft der vollkommene Kerf durch ein kleines, rundes Loch, das er
sich wahrscheinlich mit Hülfe eines ätzenden Saftes bohrt, ins Freie hinaus.
Derselbe erreicht kaum die Länge eines Zolles und trägt schmutzigweiße, mit drei
blaßbraunen Streifen und einem mondförmigen, oft kaum bemerkbaren Flekke
versehene Flügel.
Die Koschenille.
Gar Mancher erfreut sich der schönsten rothen Farbe, welche nur immer sein
Kleid zieren kann, und weiß vielleicht kaum, daß er dieselbe einem kleinen Geschöpfe
zu verdanken hat, das im südlichen Amerika ebenso, wie der Seidenwurm bei uns,
gepflegt und gewartet wird. Jenes nützliche Thier heißt Koschenille. Nur das
247
Männlein erhält nach der letzten Verwandlung Flügel und kann sich in die Luft
erheben. Das dunkelbraune, weißbestäubte Weibchen bleibt flügellos und sitzt an
Pflanzen und fangt deren Säfte ans. Das Weibchen legt einige Tausend Eier,
und während die Jungen ausschlüpfen und wie kleine Holzläuse auf den Pflanzen
umherlaufen, stirbt eS.
Die Amerikaner überlassen die Koschenille nicht' ganz der Natur; sie holen
vielmehr die Larven derselben, wenn Regenzeit eintritt, in Menge in ihre Woh-
nungen, bauen ihnen hier HäuSlein von weichem Heu, versehen sie reichlich mit
den Blättern der indianischen Feige und tragen sie erst im nächsten April wieder
ins Freie hinaus. Nur die Weibchen dienen zum Färbestoff. Das Geschäft, sie
einzusammeln, ist mühsam und kehrt alljährlich 3 Mal zurükk. Bei der ersten
Ernte, welche sogleich beginnt, nachdenr die ersten Jungen die Eier verlassen haben,
nimmt man nur die todten Weibchen mittelst eines Pinsels ab; bei der zweiten
sammelt man jene nun auch zu Müttern gewordene Jungen auf ähnliche Art;
bei der dritten und letzten endlich trägt man Alles ein, was sich vorfindet, mit
Ausnahme der Larven, welche zur Fortpflanzung dienen sollen.
Ehemals besaß Mexiko die kostbaren Koschenillen allein und sorgte auch recht
eifersüchtig dafür, daß sie ja im Lande blieben und sich redlich nährten. Jetzt
finden sie sich, weil die wilden Feigenbäume in allen warmen Ländern gut fort-
kommen, auch in Peru, Brasilien und auf den Antillen in Menge. Selbst nach
Europa hat man Gewächs und Thier verpflanzt.
Wie wir die Koschenillen durch den Handel erhalten, kann kein Mensch denken,
daß eü Thiere sind; wirft man aber die Körnlein ins Wasser, so zeigen sich beim
Aufweichen sehr deutlich die Beine, der Kopf und alle übrigen Theile eine« voll-
kommenen Kerfs. Nicht nur die berühmte Scharlachfarbe, auch der kostbare Karmin
wird auö den Koschenillen bereitet.
Die Würmer.
Die Würmer haben, wie die Insekten, statt deö Blutes einen weißen oder
gelblichen Saft, aber entweder gar keine, oder ungegliederte Füße. In diese Klasse
werden alle diejenigen Thiere gestellt, welche in den fünf-andern Klassen nach den
angegebenen Merkmalen derselben keine Stelle finden, und cö sind daher in ihr
Thiere von der verschiedenartigsten Bildung zusammengestellt worden, als Ringel-
würmer, Eingeweidewürmer, Mollusken oder Weichthiere, Schalcnthiere und
Pflanzenthiere.
Der Regenwurm.
Der Regenwurm hat zwar einen langen Leib, ist aber im Grunde doch
etwas zu kurz weggekommen. Er hat keine Spur vou Augen. und Ohren hat
man auch nicht auffinden können. Selbst sein Maul ist so angethan, daß er weder
gebrannte Mandeln verspeisen, noch Nüsse kuakken kann; was härter ist, als fette
weiche Erde und feine Würzelchen, das muß er stehen lassen, und wäre eS noch
so wohlschmekkend. Er weiß sich aber zu helfen. Um sich nämlich zuweilen einen
anten Sallat zu bereiten, zieht er einige Weidcnblätter an den Stielen in sein
Loch, und läßt sie so weit daraus hervorragen, daß es aussieht, als hätte sich
Jemand den Scherz gemacht, Weidenblättcr zu pflanzen. Fangen nun diese Blätter
an in der Erde zu faulen, so sind sie ihm gerade recht und werden mit Wohl-
behagen verzehrt.
Wer sich die Mühe nehmen will, einen Regenwurm genauer zu untersuchen,
der muß weiter als bis 10 zählen können und auch scharfe Augen haben; denn
erstens besteht sein Körper aus 154 bis 160 Ringen, und zweitens sind seine Füße
17*
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so feine, kurze Borsten, daß man sie leichter fühlt, als sie sieht. Hinter dem Lösten
oder 30sten Ringe befindet sich ein Gürtel, der unten mit zwei Reihen Saug-
näpfen besetzt ist. Schneidet man einen Regenwurm quer durch, so lebt die
vordere Hälfte fort, die hintere dagegen stirbt.
Von trokkener Wärme ist der Regenwurm eben so wenig ein Freund, als von
strenger Kälte; daher trifft man ihn im heißen Sommer L bis 3, im Winter
sogar bis zu 10 Fuß tief in der Erde. Die Vermehrung der Regenwürmer ist
sehr stark und erfolgt durch Eier, die sie in Klümpchen legen. Die Jungen haben,
wenn sie auS dem Ei kriechen, nur L9 Ringe.
Die Weichthiere oder Mollusken
sind wirbellose Thiere. Sie haben einen weichen, gallertartigen Körper, der von
einer schlaffen Haut umgeben ist. Bei wenigen dieser Thiere ist ein entwikkelter
Kopf vorhanden; bei den meisten ist er durch Sinneswerkzeuge angedeutet, aber
noch nicht vom Bauche geschieden. Sie gehen daher auf dem Bauche und Kopfe
zugleich. Wenn man bei vielen dieser Thiere von Füßen und Armen spricht, so
meint man damit hautartige, ausdehnbare Verlängerungen des Körpers, welche
bei ihnen die Stelle der Gliedmaßen ersetzen. Knochen fehlen allen Weichthiere«;
aber bei den meisten bildet sich eine harte Schale, die durch Gerinnung des aus-
gesonderten Schleimes entsteht.
Die Schale mancher Weichthiere besteht nur aus einem Stükke und ist dann
gewöhnlich spiralförmig gewunden; und diese Thiere haben einen Kopf. Andere
werden von zwei Schalen umgeben, haben aber keinen Kopf. Das Wachsthum
der Weichthiere dauert fast ungehindert fort; daher erreichen manche eine bedeutende
Größe. Die Niesenmuschel wird bis 6 Zentner schwer. Man kennt jetzt gegen
5000 Arten Weichthiere, von denen etwa 200 auf Deutschland kommen.
Von den Millionen Muschelschalen, die jährlich das Meer auswirft, wird ein
trefflicher Kalk gewonnen. Von einigen Schnekken erhält man die Purpurfarbe;
andere liefern einen schwarzen Saft, der zum Färben dicut. Mehrere Arten werden
gegessen, z. B. die Austern. Schaden thun die Pfahlwürmer und die von Pflanzen
lebenden Landschnekken.
Die Auster.
Die Auster ist als beliebte Speise bekannt und findet sich in den Meeren mehrerer
Welttheile. In England ist der Fang und Handel damit ansehnlich. Die jungen
Austern setzen sich gleich an Steinen oder andern Körpern fest, und wo das Thier
einmal sitzt, da sitzt es sein ganzes Leben. Es kennt kein anderes Geschäft, als
von Zeit zu Zeit die Schale zu öffnen, um Nahrung und Luft an sich zu ziehen.
Die Vermehrung der Austern ist sehr stark. Die Gegenden, wo sic bei Tausenden
zusammen liegen, nennt man Austerbänke.
Die Pflanzenthiere.
Zu den Pflanzenthieren rechnet man die Strahlenthiere, Quallen, Polypen
und JnfusionSthierchen.
Alle Pflanzenthiere haben entweder gar keine, oder sehr undeutliche Nerven
und keine AthmungSwerkzeuge. Die Strahlenthiere sind am zusammenge-
setztesten. Der Körper ist entweder kuglig, stern- oder walzenförmig, und gewöhnlich
von einer kalkig-krustigen Haut umgeben. Die meisten dieser Thiere können will-
kürlich den Ort verändern. Die Quallen sind gallertartige, durchsichtige, milchig
249
weißliche Scheiben, die frei im Meere auf- und nieberschwimmen. Die Polypen
gleichen in ihrcm'Acußern ganz den Pflanzen und sitzen in ganzen großen Gesell-
schaften zusammen. Der Körper der Polypen ist gallertartig, kegel- oder walzen-
förmig und stellt in einer kalkigen Röhre, oder schließt einen kalkigen Stokk ein,
oder ist auch mit einer ledcrartigen Haut überzogen. Am oberen Ende findet sich
der Mund im Mittelpunkte eines Kreises von Fühlern, die zum Greifen und
Tasten dienen und die einzigen Sinneswerkzeuge dieser Thiere sind. —
Die einfachsten und niedrigsten Anfänge des Thierreichs sind aber
die Jnfusionsthiere.
Wenn man Thier- oder Pflanzenstoffe im Wasser faulen läßt, so trübt sich
die Flüssigkeit je nach der Wärme in 8 bis 14 Tagen. Nimmt man einen solchen
Tropfen unter das Mikroskop, so bemerkt man eine Menge kleiner Punkte in der
größten Eile sich durcheinander bewegen, während andere größere dazwischen herum-
schwimmen. Diese Körper bestehen auS schleimigen Theilen, haben aber verschiedene
Gestalt. Einige sind eiförmig, andere kuglig, andere platt und noch andere
eylinderisch. Die kugelrunden drehen sich um ihre Are; die platten bewegen sich
in geraden Linien. Die cylindrischen beugen sich wie ein 8 oder in Gestalt einer
8 und strekken sich dann plötzlich wieder gerade auö.
Meist ist der Körper nakkt; manche haben aber auch um sich her kleine
Fäserchen, mit denen sie sich wie ein Rad um sich selber kreisen. Andere haben
steife Borsten, Haken, Sporen, Bärte, Näpfe, besonders aber feine Härchen um
den Mund oder an dem ganzen Leibe.
Die Lebensdauer dieser Thierchen ist nur kurz. Sic leben nicht viel länger,
als einige Wochen. Man hat aber beobachtet, daß viele wieder Bewegung erhielten,
wenn sie auch völlig eingetrvkknet waren. So leben die Kleister -Aalchen wieder
auf, wenn auch der Kleister erst nach 2 Jahren wieder aufgeweicht wird.
Die kleinsten Infusionstierchen werden etwa nur yW> Linie groß. Man hat
berechnet, daß von diesen kleinen Thieren in einem einzigen Tropfen eines Auf-
gusses viele Millionen sein können.
Von den Pflanzen.
Die Pflanzen sind organische Körper und bestehen, so f|itt wie die Thiere,
auS festen und flüssigen Tyeilcn. Sie sind mit einem Theile ihres Körpers, den
man Wurzel nennt, in oder an den Erdboden, oder an Felsen und Mauern, oder
auch an andern Pflanzen festgeklammert und gewachsen. Die Wurzel ist aber
nicht etwa nur allein zum Einsaugen von Wasser und von Nahrung aus der
Erde bestimmt; sondern fast alle andern Theile der Pflanzen, besonders aber die
Rinde und die Blätter, saugen auch Nahrung auö der Luft und aus dem Wasser
an sich, eben so gut wie die Wurzel. Aber nicht die ganze Wurzel, sondern nur
die Spitzen der Würzelchen sind zur Einsaugung geeignet. Diese Spitzen bestehen
aus Zellgeweben. Die Zellen sind klein und ähneln einer Drüse. Nach einiger
Zeit sind diese Zellen ausgewachsen und saugen nicht mehr ein, sondern überlassen
dieses Geschäft anderen Zellen, die sich unterhalb ihnen gebildet haben.
Inwendig in der Pflanze giebt cö solche Theile, die man mit den Adern in
einem Thiere vergleichen kann, weil auch in ihnen solche Lebenssäfte sind und
auf- und niederfteigen, wie daS Blut in den Adern deü Thieres. Freilich sind
aber solche Gefäße in der Pflanze ganz anders beschaffen, als im Thiere. Einige
sind wie Bienenzellen und sitzen immer eins an und über dem andern. Eine
andere Art sind wie kleine, oben und unten verschlossene Schläuche, und ob sie
250
gleich verschlossen sind, dringt doch der Saft aus dem einen in den ander» ein,
wie in Löschpapier. Noch eine andere Art ist so gewunden wie eine Uhrfeder,
und man nennt diese Spiralacfäße. Die Nahrungssäfte kommen erst in die
Zellengefäße, von da in die Schlauchgefäße. An einem Baume ist erst außen die
eigentliche Rinde, die kann man wegschälen, ohne daß der Baum stirbt; dann
kommt der Vast, der im gemeinen Leben auch noch zur Rinde gerechnet wird;
dann kommt der Splint oder das junge Holz. Das Holz ist nichts recht Leben-
diges mehr und dient den übrigen Theilen des Gewächses mehr nur zum festen
Boden und Stiitze. Ganz inwendig nach der Mitte hin findet sich bei jungen
Bäumchen und Zweiglein das Mark.
Der Saft hat in den Pflanzen eine doppelte Bewegung. Er bewegt sich
nämlich, nachdem er durch die Wurzelfasern eingcsogen worden ist, im Innern
der Pflanzen bis zu den äußersten Zweigen und Blättern. Nachdem er hier durch
das Sonnenlicht und die Luft bedeutende Veränderungen erlitten hat, geht er
wieder bis zu den letzten unter der Erde befindlichen Verzweigungen der Wurzeln
zurükk. Man unterscheidet daher eine» aufsteigenden und einen absteigen-
den Saft. Daß es in den Pflanzen einen absteigenden Saft geben solle, wollte
man lange nicht glauben. Schneidet man aber aus der Rinde eines Baumes
oder Astes ein ringförmiges Stükk heraus, so bildet sich in kurzer Zeit oberhalb
des Einschnittes eine Wulst. Diese Wulst nimmt zu; und wenn der abgenom-
mene Ring schmal war, so stoßt sie, von oben nach unten wachsend, an den untern
Wundrand.
Durch die Blätter saugen die Pflanzen Luft ein und athmen auch welche
aus. Es zeigen sich aber hierbei zwei verschiedene Erscheinungen. Bei Tage
nämlich und im Sonnenschein athmen sie kohlensaures Gas ein und Sauerstoff
auö; ini Dunkeln aber und während der Nacht athmen sie Sauerstoff ein und
kohlensaures Gas aus. Die Blumen aber, und besonders die Staubgefäße saugen
Sauerstoff ein und athmen Tag und Nacht kohlensaure Luft aus. Hieraus läßt
sich die schädliche Wirkung erklären, welche Blumen, die in Schlafstuben gehalten
werden, auf den Menschen ausüben.
Wenn jeder reife Kern, der sich von seiner Mutterpflanze ablöset, unter ihr
zur Erde fiele und liegen bliebe, alle lägen über einander, keiner könnte gedeihen,
und wo vorher keine Pflanze wäre, käme auch keine hin. Das hat der liebe Gott
vor uns bedacht und nicht auf unser» guten Rath gewartet. Einige Kerne, wenn
sie reif sind, fliegen selbst durch eine verborgene Kraft weit auseinander; die
meisten sind klein und leicht und werden durch jede Bewegung der Luft davon-
getragen; manche sind noch mit kleinen Federlein besetzt, wie der Löwenzahn;
Kinder blasen sie zum Vergnügen auseinander und thun damit der Natur auch
einen kleinen Dienst, ohne cö zu wissen. Andere gehen in zarte, breite Flügel
aus, wie die Samenkerne von Nadelholzbäumen. Wenn die Sturmwinde wehen,
wenn die Wirbelwinde, die im Sommer vor den Gewittern hergehe», Alles von
der Erde aufwühlen und in die Höhe führen, dann säet die Natur ans und ist
mit einer Wohlthat beschäftigt, während wir uns fürchten oder über sie klagen
und zürnen; dann fliegen und schwimmen und wogen eine Menge von unsicht-
baren Keimen in der bewegten Luft umher und fallen nieder weit und breit, und
der nachfolgende Staub bedekkt sie. Bald kommt der Regen und befeuchtet den
Staub, und so wirds auf Flur und Feld, in Berg und Thal auch wahr: daß Etliches,
auf dem Wege von den Vögeln des Himmels gefressen wird, Etliches unter den
Dornen zu Grunde geht, Etliches auf trokkenem Felsengrunde in der Sonnenhitze
erstirbt, Etliches aber gut Land findet und hundertfältige Frucht bringt. Viele
Kerne gehen unverdaut und unzerstört durch den Magen und die Gedärme der
Thiere, denen sie zur Nahrung dienen sollen, und werden an einem andern Orte
251
wieder abgesetzt. So haben wir ohne Zweifel durch Strichvögel schon manche
Pflanze aus fremden Gegenden bekommen, die jetzt bei uns daheim ist und guten
Nutzen bringt. So gehen auf hohe» Gemäuer» und Thürmen Kirschbäume und
andere auf, wo gewiß kein Mensch den Kern hingetragen hat. Noch andere fallen
von den überhangenden Zweigen ins Wasser, oder sie werden durch Wind oder Ucber-
schwemmungen iu die Ströme fortgerissen und an anderen Orten wieder abgesetzt.
Ja, einige schwimmen auch wohl auf den Strömen bis inö Meer, erreichen das
jenseitige Gestade und keimen sich alsdann in einer landesfremden Erde ein.
Höchst merkwürdig ist die Jerichorose. Diese kleine Pflanze wächst in den dürrsten
Wüsten. Gegen das Ende ihres Lebens wird ihr Gewebe fast holzig, ihre Zweige
schlagen sich nach innen, einer über den ändern ein. Die Klappen ihrer Schötcheu
sind geschloffen, und das Gewächs haftet nur mit einer einfachen Wurzel int
Boden fest. In diesem Zustande wird die fast zu einer Kugel gewordene Pflanze
vom Winde aufgerissen und fortgerollt. Geräth sie in eine Pfütze, so wird dèe
Feuchtigkeit von dem Holzgcwebe schnell cingcsogen; die Fruchthüllen öffnen sich,
und eS kommt eine Pflanze hin, wo früher keine der Art war. So oft man diese
trokkene Kugel ins Wasser setzt, so erschließt sie sich nach weniger, als einer Viertel-
stunde, zu einer weit ausgebreiteten, viel verzweigten Pflanze, an der Hundert von
sich öffnenden Samenkapseln die Stelle der Blätter vertreten. Nimmt man das
zierliche Gewächs aus dem Wasser, so stellt es sich nach wenigen Stunden wieder
als eine trokkene Kugel d»r, die nicht bloß eine Reihe von Jahren, so oft man
rö begehrt, ihre verborgene Lebenskraft stets von Neuem offenbart, sondern selbst
nach Jahrhunderten dieselbe noch in sich bewahrt, wie eö sich an einer in den
Zeiten der Kreuzzüge nach Deutschland gebrachten Jerichorose erwiesen hat. Also
müssen alle Kräfte und Elemente die wohlthätigen Absichten des Schöpfers
befördern, Schnee und Regen, Blitz und Hagel, Sturm und Winde feine Befehle
ausrichten.
Die »leisten Pflanzen haben eine wunderbare VermehrunaSkraft. Taufend
Samcnkerne von einer einzigen Pflanze, so lange sie lebt, ist zwar schon viel
gesagt, nicht sede trägtS; aber es ist auch noch lange nicht das Höchste. Man
hat schon an einer einzigen TabakkSstaude 300000 Körnlein gezählt, die sie in
einem Jahre zur Reife brachte, und an einer Ulme sind gar 520000 Samenkörner
gefunden worden.
Das Wachsthum der Pflanzen ist eine Folge der Ernährung, indem an und
zwischen den vorhandenen Theilen der Pflanze neue erzeugt werden. Das Wachs-
thum geht theils in die Länge, theils in die Dikke. — In jedem Jahrestriebe
kämpfen zwei entgegengesetzte Triebe mit einander. Durch den aufsteigenden Saft
nämlich wird der Schößling verlängert, und zwar um so mehr, je wässriger er
ist und je weniger er das Gewebe des Schößlings fester macht. Auf der andern
Seite macht der absteigende Saft, der unterwegs Nahrungsstoffe absetzt, aus
welchem Holz erzeugt werden kann, den Schößling fester und setzt seinem WachS-
thume in die Länge Schranken. Letzteres findet spätestens am Ende des Jahres
statt. Nach diesem Zeitpunkte wächst ein Zweig oder Stengel nicht mehr, und
die Pflanze verlängert sich nur durch Hinzukommen eines neuen Triebes.
Es giebt viele Bäume, die wegen ihrer außerordentlichen Dikke berühmt sind.
Der Umfang eines KastanienbaumeS am Aetna soll 160 Fuß betragen. Ein
Flaumbaum (ostindischer Wollbaum) konnte von 5 Männern mit Mühe umspannt
werden; er mußte also 75 Fuß im Umfange und 20 —25 Fuß im Durchmesser
haben. Ein neuerer Reisender will 3 Stunden von Konstantinopel einen Platancn-
baum gesehen haben, der 90 Fuß hoch war, und dessen Stamm 150 Fuß Umfang
hatte. Im Dorfe Oppeln bei Wehlau in Ostpreußen befand sich in früherer Zeit
252
eine Eiche, in deren hohlem Stamme, welcher 27 Ellen im Umfange betrug, der
Markgraf Albrecht mit seinem Sohne umhergeritten sein soll.
Da sind wir, lieber Leser, vom Umfange und der Hohe der Pflanzen auch
noch auf ein ander Kapitel gekommen, und zwar auf die Lebensdauer der
Pflanzen. Diese ist sehr verschieden. Der Schimmel, denn das ist auch eine
Pflanze, manche Schwamme leben nur einige Stunden. Einige Pflanzen dauern
nur cm Jahr. Die ausdauernden Pflanzen leben mehrere Jahre; bei manchen
sind alle Theile, bei andern nur die Wurzel beständig. In Freiburg in der
Schweiz steht eine Linde, welche im Jahre 1476 zum Andenken an die Schlacht
bei Murten gepflanzt wurde. In der Nähe derselben Stadt steht noch eine andere
Linde, die 1476 wegen ihres Alters und ihrer Dikke schon berühmt war; sic ist
70 Fuß hoch und hat 4 Fuß über der Erde 36 Fuß im Umfange; hiernach
müßte sie über 1000 Jahre alt sein.
Die Verbreitung mancher PflanzeUartcn hängt genau mit der AuSbreitungS-
geschichte des Menschengeschlechts zusammen. Unser Roggen und Hafer wurde
im Mittelalter aus dem mittleren Asien zu uns gebracht. Gerste und Hierse
stammen ebenfalls aus Asien, der Buchweizen aus China und der Reis aus
Ostindien. —
Da schon mehr als 100,000 Arten von Pflanzen beschriebe» worden sind, so
ist es nöthig, sie in größere oder kleinere Gruppen» zusammenzustellen. Sie
werden nach verschiedenen Gesichtspunkten eingetheilt. Eine leichte und gewöhn-
liche Eiutheilung, die nach dem Aeußern gemacht ist, ist folgende:
1. Bäume. Diese haben nur einen holzigen Staunn, der sieb nach oben
in Aeste und Zweige theilt. (Obst- und Waldbäume — Laub- und Nadelholz.) *
2. Sträucher. Sie treiben mehrere dünne holzige Stämmchen auö einer
Wurzel.
3. Kräuter. Diese haben weiche', saftige Stengel, die meist nur ein
Jahr dauern. (Küchen- und Arzneigewäch^e, Futter-, Färbe- und Gewürzkräuter
und Blumen.)
4. Gräser. Sie haben dünne, hohle, mit Knoten versehene Halme. (Roggen,
Waizen.)
5. Moose. Diese Pflanzen sind klein und schwammartig, die an feuchten
Orten wachsen und unkenntliche Blüthen haben.
6. Schwämme und Pilze sind weiche, oft auch zähe Gewächse; viele
haben einen Stiel mit einem Hute. Fast alle sind von kurzer Lebensdauer.
Pflanzen auf dem Meeresgrunde.
Das Meer hat, wie das Land, seine herrlichen Wiesen und seine ungeheuren
Wälder. An den Abhängen seiner Berge und im Schoße seiner Thäler wachsen
in unendlicher Menge Pflanzen, von denen jede nur in einer gewissen Gegend
gedeiht. Je höher man auf einen Berg hinaufsteigt, um so armseliger wird der
Pflanzenwuchs, bis er endlich deü ewigen Schnee'ö wegen gänzlich aufhört. Im
Meere ist es entgegengeseht; je tiefer man in die Thäler desselben eindringt, um
so mehr verringern sich die Pflanzen. In ihrem ganzen Reichthume entfaltet sich
der unterirdische Pflanzenwuchs in den südlichen Meeren und auch im Mittelmeere.
Moose von unbeschreiblicher Zartheit und in den schönsten Farben breiten sich da
wie Teppiche aus, deren Farbenpracht man bei ruhigem Meere in einer Tiefe von
vielleicht hundert Fuß bewundern kann. Eine der merkwürdigsten Pflanzen, die
auf dem Meeresgrunde wachsen, ist der Riesenschwamm, der König des Meeres,
wie die Ceder die Königin unserer Berge ist. Er steigt aus einer Tiefe von
253
300 Fuß bis an die Oberfläche herauf, und feine riesenhaften Garben, wahre
schwimmende Inseln, auf denen in der Sonne die Seehunde und Wasservögel
schlafen, bilden von dm Seefahrern gefürchtete Klippen. Die Schiffe, welche unter
dem Aequator, wenn das Meer ruhig und der Wind schwach ist, in das Dikkicht
eines Waldes von solchen Riesengewächsen gelangen, müssen unfehlbar liegen
bleiben und oft Monate lang warten, bis ein scharfer Wind sie befreit.
Kartoffel.
Die Kartoffel gehört zu dem giftigen Pflanzengeschlecht Nachtschatten;
und eö geht also unter den Pflanzen, wie unter den Menschen, wo man auch
unter derselben Familie sehr ungleiche Brüder und Bettern findet; der eine ist
wohlthätig, freundlich und milde, wie die nährende Kartoffel, der andere heftig,
unfreundlich und tükkisch, wie Nachtschatten. —
Die ersten Kartoffeln brachte ein Sklavenhändler John HawkinS im Jahre
1565 nach Irland; doch wurden sie wenig bekannt. Fünfzehn Jahre später sollen
sie durch Hieronimus EardannS nach Italien gebracht und daselbst häufig ver-
breitet worden sein. 1584 brachte der englische Admiral Walter Ralrigh Kartoffeln
a»S Birginien nach Irland. 1586 wurde» Kartoffeln vom Admiral Franz Drake
nach England gebracht, und durch sein Bemühen fingen sie an, auf den brittische»
Insel» allgemein angebaut zu werden, obgleich man anfangs dort keine sonderliche
Meinung von den Kartoffeln hatte, da man irriger Weise die Samenäpfelchcn
für die Hauptfrucht der Kartoffeln gehalten hatte. — Wie dies zuging, wikl ich
hier erzählen:
Franz Drake hatte an einen seiner guten Freunde daheim einige Kartoffeln
zur Aussaat gcschikkt, und ihm dabei geschrieben: „Die Frucht dieses Gewächses
ist so wohlschmekkend und nahrhaft, daß ich dafür halte, ihr Anbau werde auch
für Europa von großem Nutzen sein." — Aber fast hätte sie der gute Freund
aus seinem Garten wieder wegwerfen lassen; denn er dachte: Franz Drake habe
mit dem Worte „Frucht" die Samenknollen gemeint, die oben am Kräutrich
hängen. Da es nun Herbst war, und die Samenknollen waren gelb, lud er
eine Menge vornehmer Herren zu einem Gastmahle ein, wobei cs hoch herging.
Am Ende kam auch eine zugedekkte Schüssel, und der Hausherr stund auf und
hielt eine schöne Rede an die Gäste, worinnen er diesen sagte, er habe hier die
Ehre, ihnen eine Frucht mitzutheilen, wozu er den Samen von seinem Freunde,
dem berühmten Drake, mit der Versicherung erhalten hätte, daß ihr Anbau für
England höchst wichtig werden könne. Die Herren kosteten nun die Frucht, die
in Butter gebakken und mit Zukker und Zimmt bestreut war; aber sic schmckkte
abscheulich, und eS war nur schade um den Zukker. Darauf urtheilten sie Alle,
die Frucht könne wohl für Amerika gut sein, aber in England werde sie nicht
reif. Da ließ denn der Gutsherr einige Zeit nachher die Kartoffelfträuche heraus-
reißen und wollte sie wegwerfen lassen. Aber eines Morgens, im Herbste, ging
er auch durch seinen Garten und sahe in der Asche eines Feuers, das sich der
Gärtner angemacht hatte, schwarze runde Knollen liegen. Er zertrat einige und
verwunderte sich nicht wenig, als sie ihm so lieblich entgegen dufteten, gerade so
lieblich, wie unö noch jetzt die dampfenden Kartoffeln.
Er fragte den Gärtner, waö daS für Knollen wären. Dieser sagte ihm,
daß sie unten an der Wurzel dcS fremden amerikanischen Gewächses gehangen
hätten. Nun ging dem Herrn erst daS rechte Licht auf. Gr ließ die Knollen
sammeln, zubereiten ohne Zimmt und Zukker und lud dieselben Herren wieder zu
Gaste, wobei er auch wieder eine Rede mag gehalten haben, diesmal, meine ich,
etwa folgenden Inhalts: „Daß der Mensch, wenn er bloß nach der Oberfläche
urtheilt, und nicht auch tiefer gräbt, manchmal sich gar sehr irren könne."
254
Sitié Gngland samen die Kartoffeln zunachft in die Niedcrlande, nach Frank--
rcich und in etntgc ©e^etiben von Deutschland. Jin Jahre 1647 wnrden sie durch
den Bauer Hanz Rogler nach Sachsen gebracht. 1708 kamen sie in baé Mekklen-
burgische, 1726 nach Schweden und 1737 nach Finnland. Nach dem Jahre 1740
ward die Kenntnisi dieser Pflanze allgemeiner; aber erft 1772 wurde der Anbau,
wcil so autzerordentlicher Kornmangel in Deutschland war, mehr iné Grofle
gctrieben.
Die Palmen.
Dies sind hohe, schlanke Baumgestalten, gerade und astloö gewachsen und
oben geziert mit dein mannigfaltigsten Blätterschopfe. Riebt alle Palmen besitzen
solch erhabene Stämme; viele bleiben sehr niedrig und gleichen einem Busche mit
baumartigen Blättern. In der Mitte des Innern ist der Stamm oft markig.
Die Blumen kommen entweder tief unter der schopfigen Spitze aus dem Stamme
hervor, wo gar keine Blätter vorhanden sind, oder dicht unter, oder auch zwischen
dem Blätterschopfe. Im Ganzen sind die Blüthen unscheinbar. Die Frucht ist
eine Beere oder Steinfrucht. —
Unendlich ist die Wichtigkeit der Palmen für die Bewohner der heißen Länder.
Manches Leben beruht allda auf einigen Palmbäumen, welche eßbare Früchte
liefern; ich will sagen die EoeuSnuS. Estese giebt eine herrliche, genießbare Milch,
welche zwischen der Schale und dem eßbaren Kerne sich befindet und außerordentlich
erfrischend ist. Der Kern giebt ein herrliches Oel, was zur EocnSseife genommen
wird. Viele anderen Palmen liefern den vortrefflichen Sago aus dem Marke der
Stämme. Wichtig ist dem Neger an der Goldküste die Oelpalme. Sie giebt
ihm fast Alles, was er gebraucht. Die Blattstiele benutzt er zum Bauen der
Häuser. Aus einem netzartigen Gewebe unter den Blattstielen fertigt er Bürsten.
Die Blätter liefern das Futter für die Schafe und Ziegen. Der Saft giebt den
Palmenwein. Gin 6 — 8 Jahre alter Palmenbaum liefert 5 Wochen hindurch
täglich l'/r Quart Wein. Den größten Nutzen aber gewährt das Oel. Die
Neger essen fast Nichts ohne dasselbe und den Pfeffer. Wenn die Palmennüsse
reif sind, werden sie abgenommen, dann in ein in die Erde gegrabenes und mit
glatten Steinen ausgesetztes Loch geschüttet und nun mit Stökken gestampft, bis
sich alles Oel abgesondert hat. Dann wird Wasser aufgegossen und das oben
schwimmende Oel abgeschöpft. Die Kerne werden weggeworfen; sie keimen aber
noch und geben neue Bäume. Ihr seht an diesen Beispielen leicht ein, wie und
warum nun die Palmen von den Bewohnern der heißen Länder so geliebt sind.
Zu den Palmen rechnet man auch den Dattelbaum oder die Dattel-
valme. Dies ist wohl einer der edelsten Bäume in der Welt. Die Frucht ist
so groß, wie eine Pflaume, und hat einen fleischigen Umschlag, den man essen
kann. Die lieblich süßen Datteln wachsen in solcher Menge, daß wenige Bäume
eine Familie durchs ganze Jahr ernähren können. Die gemeinen Araber find so
an den Genuß der Datteln gewöhnt, daß sie uns Europäer mit allen unfern
Genüssen und Reichthümern für sehr arm halten, weil wir keine Datteln haben.
Die Blätter'der Dattelpalme dienen zum Korbflcchten; auch schreibt man mit
einem Griffel darauf, statt deö Papiers. —
Die Dattelpalme ist getrennten Geschlechts, d. h. Männchen und Weibchen
wohnen auf besonderen Stämmen. Werden die weiblichen Blüthen durch den
Blüthenstaub der männlichen nicht befruchtet, so entwikkclt sich der Fruchtknoten nur
zu einer fleischigen Hülle, und der Samenkeim nebst dem hornartigen Eiweiß, eben
dem eigentlichen Dattelkerne, bleibt aus. Hier zu Lande haben wir ein Gleichniß
an den Taschen der Pflaumenbäume, welches auch nur unbefruchtet gebliebene
255
Fruchtknoten sind, da von den Narben der Blumenftaub durch den Regen abge-
waschen ist. Deshalb findet man sie immer in nassen Frühjahren. Dieselbe
Bewandniß hat es auch mit den tauben Haselnüssen und dergleichen tauben
Früchten gemeiniglich.
Das Zukkerrohr.
Das Zukkerrohr ist' eins der größten, schönsten und nützlichsten Gräser. AuS
einer faserigen, sehr ästigen Wurzel erheben sich mehrere 8 — 12 Fuß hohe und
l’/j bis 2 Zoll im Durchmesser bisse Halme, welche innen mit einem lokkeren,
saftigen Marke erfüllt, von Außen mit einer sehr festen, glatten und glänzenden
Rinde bekleidet sind. Die Farbe der Halme ist verschieden, bald grün, bald
gelb, bald violett, oder auch gelb und violett gestreift. Die Blätter sind 4 — 5
Fuß lang, 2 Zoll breit und in 2 Reihen am Halme stehend. Die Blattschciden
umfassen an ihrem Grunde den Halm völlig. DaS Zukkerrohr stammt eigentlich
aus Ostindien; doch wurde cs später sowohl nach Madeira, als auch nach den
Azoren und kanarischen Inseln verpflanzt. Westindien ist aber jetzt der Hauptsitz
der Kultur des ZukkerrohrS. Obgleich das Zukkerrohr Blüthen und auch Samen
trägt, so wird es doch nur aus Ablegern oder Schößlingen gezogen. Diese
Schnittlinge werden auf 0 — 8 Augen geschnitten, in feuchte Erde gelegt und
2 Zoll hoch mit solcher bedekkt. Da das Rohr gewöhnlich zur Regenzeit gepflanzt
wird, so treiben die Knospen oft schon nach 8 Tagen. Nach 12 Monaten erscheint
die Blüthe, worauf bei irgend guter Witterung nach 3 — 4 Monaten das Rohr
zur Ernte reif ist. Und nun bedarf das Feld innerhalb 20 Jahre keiner neuen
Anpflanzung, indem die alten Stämme oder Wurzeln stets neue Sprossen treiben.
Der untere, blattlose Theil der Halme, den man absichtlich nicht zur Blüthe
kommen läßt, enthält vorzugsweise das süße, saftige Mark, das den Zukkcr giebt.
Zur Zeit der Ernte wird zuerst von dem reifen, gelben Halme der oberste
Trieb abgeschnitten; er wird zum Futter für das Vieh genommen. Darauf wird
auch der untere Theil abgeschnitten und in großen Bündeln in die Zukkermühle
geschafft.
Die Mühlen werden entweder durch Thiere, oder Wasser, oder Dampf m
Bewegung gesetzt. DaS Rohr wird durch horizontal oder vertikal gelegte Cylinder
ausgepreßt. Bei der neuen englischen Mühle ist eine Vorrichtung, wodurch das
durch 2 Cylinder einmal gequetschtejNohr sich von selbst dem dritten Cylinder dar-
bietet. DaS Einlegen des Rohres ist aber für die Neger — denn diese müssen fast alle
Arbeiten bei der Zukkerbereitung verrichten — sehr gefährlich. Die starken Walzen
stehen kaum einige Linie» aus einander, und die Gewalt, mit der sie gedreht
werden, ist außerordentlich groß. Hat ein Neger das Unglükk, etwas von seiner
Kleidung, oder vie Spitze seines Fingers dazwischen zu bekommen, so läuft er
Gefahr, auf daö elendeste zerquetscht zu werden. Ereignet sich daher ein solches
Unglükk. so eilt der Aufseher mit einem scharfen Beile hinzu und haut, als einzige
Lebensrettung, dem Unglükklichen die Hand oder den Arm ab. Aber auch dieser
Dienst ist gefährlich, und oft sollen Beide, der Aufseher sowohl, als der Sklave,
ein Opfer des unaufhaltbaren Räderwerks geworden sein. — Da daö Rohr sehr
bald verdirbt, daher Tag und Nacht gearbeitet werden muß, um den Zukkersaft
herauszubringen; so läßt' sich bei dieser angestrengten Arbeit wohl manches Unglükk
vermuthen.
Der ausgepreßte Saft wird durch Rinnen in einen Kessel geleitet. Hier
wird er etwas eingekocht und der sich oben bildende Schaum fleißig abgenommen.
Dann wird er in einem andern Kesiel noch mehr eingekocht und mit einer aus
Kalkwasser und Ochsenblut bestehenden Lauge versetzt, um alle Säure zu entfernen.
Dann gießt man ihn in besondere Fässer, wo er gerinnt. Der schlechtere, nicht
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gerinnbare Theil träufelt in ein darunterstehendes Gefäß ab und heißt Melaffa 1
oder Syrup. Dieser erhält von dem beigemischten Ochsenblut auch die bekannte
rothe Farbe. Man »lacht aus der Melaffa durch Gährcn und Destilircn Rum
oder Zukkerbranutwein. Der in den Fässern zurükkgebliebene, geronnene Theil heißt
Rohzukker, auch wohl Farinzukker oder Thomaözukker, und er wird,
sobald er völlig troffen ist, nach Europa versendet, wo man ihn in den Zukker-
sicdereien vollends läutert, schneeweiß macht und in Foripen gießt. Nun heißt er
raffinirter Zulker.
Der Kaffeebaum.
Als ursprüngliches Vaterland des Kaffeebaumes wird theils Arabien, theils
Abyssinien angegeben. Aus Arabien brachten ihn die Holländer 1690 nach Java
und bald darauf nach Ceylon. Im Jahre 1720 soll ein Franzose, trotz aller
Vorsicht der Holländer, sich ein kleines Bäumchen zu verschaffen gewußt haben,
um cö in die französischen Kolonien zu verpflanzen. Er segelte damit nach West-
ittdirn und theilte, als auf beni Schiffe Wassermangel entstand, seine geringe
Portion mit seinem Zöglinge, dem kleinen Kaffeebaume. Er brachte ihn glükklich
nach Martinique, und seine Vaterlandsliebe wurde so gut belohnt, daß Martinique
schon 1756 für achtzehn Millionen Kaffee ausführte. Jetzt ist er in Westindien
ganz einheimisch.
Der arabische Kaffeebaum erreicht eine Höhe von 15 — 30 Fuß, hat einen
schlanken Stamm mit graulich-brauner, rissiger Rinde. Die Aeste sind zahlreich,
gegenständig, ausgebreitet und überhängend. Die immergrünen Blätter sind kurz-
gestielt und ähneln den Pomeranzenblättern; nur sind sie viel länger und laufen
in eine lange, aber etwas stumpfe Spitze aus. Die weißen Blüthen sitzen büschel-
förmig in den Blattwinkeln und bringen eine ovale, stumpfe Frucht, die bei der
Reife schwarzroth aussieht. Sic enthält innerhalb ihres kirschähnlichcn Fleisches
zwei an einander liegende Kerne, die Kaffeebohnen, die von einer lokkern, perga-
mentartige», gelblichen Schale umgeben sind. Die bekannten Samen sind an
der inneren ebenen Seite mit einer Längsfurche versehen. Die Farbe der Bohnen
ist verschieden, au- dem Gelblichen ins Grünliche und Bläulich-Graue ziehend.
Man zieht den Kaffeebaum mehr aus jungen Pflanzen, als aus Samen.
Im dritten Jahre, wo die Bäume gegen 6 Fuß Höhe erreichen und zu tragen
pflegen, werden sie gekappt; im sechsten erreichen sie ihre Vollkommenheit und
dauern gegen 30 Jahre.
Da der Baum zu jeder Jahreszeit Blüthen und auch Früchte hat, so giebt
eö oft 3 Mal Ernten, wovon jedoch die im Frühlinge die reichlichste ist. Man
schüttelt dann, wie bei uns die reifen Früchte von den Bäumen herab, fängt sie
auf untergelegten Tüchern auf und setzt sie auf Matten in die Sonne, bis sie
völlig getrokknet sind. Die Bohnen von den Schalen zu sondern, bedienen sich
die Araber einer Art von Handmüblen mit gefurchten Mühlsteinen, wodurch ein
einziger Arbeiter täglich 90 Pfd. Bohnen aushülsen kann. Die ausgehülseten,
trokkenen Schalen werden dort gleichfalls gekocht, und man ist sehr angeführt,
wenn man meint, daß da, wo der beste Kaffee wächst, auch der beste getrunken
wird. — So genießen die, welche jene Naturgabe am leichtesten haben könnten,
sie am wenigsten, vielleicht aus ähnlichem Grunde, aus welchem unsere armen
Winzer gewöhnlich nur Bier trinke», und die Bergleute, die das schönste Silber
herausgraben, oft kaum Kupfergeld im Hause haben — nämlich auö Armuth,
vielleicht aber auch deswegen, weil die, die den Kaffee so nahe haben, ihn am
wenigsten achten.
Die Baumwollenpflanze.
Von allen Stoffen, welche die Menschen zur Bekleidung benutzen, spielt
keiner eine so wichtige Rolle, als die Baumwolle. Sie kommt von einem Ge-
wächse, welches zur Malvenfamilie gehört und entweder kraut- oder holzartig
ist. Der Baumwolleubaum erreicht eine Höhe von 15 — 20 Fuß. Die Blätter
der Pflanzen sind breit, lappig, der Kelch doppelt; die Krone ist fünfblättrig,
gewöhnlich gelb, zuweilen roth, und enthält eine große Anzahl Staubgefäße,
deren Staubfäden zusammengewachsen sind. Die Frucht ist eine Kapsel, welche
sich in mehreren Klappen öffnet und viele Samen einschließt; diese Samen sind
mit einer langen, dichten, weißen, zuweilen gelben Wolle besetzt; und diese
Wolle ist die Baumwolle.
Die Baumwollenpflanze erfordert ein warmes Klima; sie gedeiht innerhalb
der Wendekreise und in den wärmeren Theilen der gemäßigten Zone; am besten
in einem nicht zu fetten, sondern sandigen, trokkenen Boden.
Zur Herbstzeit bietet ein Baumwollenakker einen außerordentlich schönen
Anblikk wegen der breiten, dunkelgrünen Blätter, der großen gelben Blumen
und der schneeweißen Wolle, welche aus den halboffenen Kapseln hervorleuchtet;
denn die Pflanze trägt, wenn sie noch in der Blüthe steht, auch schon reife
Frucht. Das Einsammeln geschieht, indem man die Kapseln, welche sich zu
öffnen begonnen haben, mit der Hand abpflükkt. Sic werden dann getrokknet,
worauf die Wolle von den Samenkörnern getrennt w»d.
Bor Christi Geburt war der Anbau der Baumwollenpflanze und der Ge-
brauch der Baumwolle zu Kleidern wahrscheinlich auf Indien beschränkt. Ein
griechischer Schriftsteller, welcher im fünften Jahrhundert v. Ehr. lebte, berichtet,
daß dre Indier eine Pflanze haben, welche anstatt der Frucht Wolle trägt,
ähnlich wie die der Schafe, nur feiner und besser, woraus sic ihre Kleider
machen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der BaunNvollenbau durch die Araber
nach Europa gebracht. Zuerst wurde er in Spanien, dann in Sicilie», dem
südlichen Italien und Griechenland betrieben.
Der Gebrauch der Baumwollcnzcuge war aber selbst im Mittelalter noch
sehr beschränkt und die Verarbeitung derselben bis in die Mitte des vorigen
Jahrhunderts unbedeutend. Die wenigen Baumwollenwaaren, die man brauchte,
wurden auö Indien geholt und aus China. Jetzt ist die Verarbeitung der
Baumwolle, besonders in England, zu einem außerordentlichen Umfange
gestiegen; ja, man ist sogar auf den Punkt gekommen, daß ungeachtet des
niedrigen ArbeiStlohneü in Indien und China, und ungeachtet deö weiten Trans-
ports nicht unbedeutende Mengen Baumwollenzeuge von Europa nach Indien
ausgeführt werden. Diese ungewöhnliche Erscheinung verdankt man den Ma-
schinen, die in England allein 1'/, Million Menschen beschäftigen. Wenn Alles,
was jetzt verarbeitet wird, mit den Händen bewerkstelligt werden sollte, so müßte
je der fünfte Mensch in ganz Europa in Baumwolle arbeiten.
Das isländische Moos.
Unter allen Gewächsen ist das isländische MooS eines der nützlichsten. Es
wächst in den ärmsten nördlichen Ländern, wie Island, Lappland u. s. w. sehr
häufig, und auch hin und wieder in unsern deutschen Gebirgöwaldungen und
auf dürren Hcideplätzen. Die Blätterlappen, die ziemlich gerade in die Höhe
stehen, sind steif, doch biegsam, nach unten breiter, nach oben in schmale Aestlein
vertheilt, die sich in noch kleinere, mit zwei Spitzen enden. Die innere Fläche
ist hohl, grün und zugleich ins Röthliche fallend, glatt; außen sind sie weißlich
oder grünlich-gelb. Am bittern Gefchmakke, der sehr stark ist, kennt man aber
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daS isländische Moos am besten. In Auszehrungen und Brustkrankheiten ist eS
ein vortreffliches Mittel, das oft noch Rettung verschafft. Die Isländer schätzen
rö fast so hoch wie Mehl, indem sie Brot davon bakken, oder eö in Milch
gekocht genießen. Jenes arme Volk könnte in seinem so wenig hervorbringenden
Lande kaum leben ohne das isländische Mooö, daö dort alle nakkten Felsen über-
zieht, wo sonst kein anderes Kraut wachsen könnte, und mit Stecht von dem
dortigen Landmann höher geachtet wird, als alle Bäume und Kräuter seines
Landes.
Wenn im Anfang, ehe Island von Pflanzen bewohnt war, die Meeres-
wellen, so wie sie eS dort noch öfters thun, von einer fernen Kiistengegend einen
edlen Baum, z. B. einen guten Obstbaum, und auf seiner Rinde daü arme,
unscheinbare, isländische Mooö heran an die Insel getrieben hätten, und beide
hätten reden können, da würde wohl der Baum großsprecherisch zum kleinen
MovS gesagt haben: „Da sonito’ ick nun, geführt von den Wellen dcS Oceans,
als ein künftiger Wohlthäter an diese Insel, und bald werden meine schönen
Blüthen und herrlichen Früchte von Allen, die da wohnen, daS gebührende Lob
und Verehrung empfahen. Aber was willst du elendes, verächtliches MovS?
Dich wird man wegwerfen und mit Füßen treten." DaS arme kleine Moos
hätte sich dann geschämt und geschwiegen. Aber siehe, nach wenig Jahren hätte
die Sache schon ganz anders ausgesehen; denn der schöne Baum, den die Ein-
wohner von Island vielleicht mit Jubel in die Erde gepflanzt hätten, kam dort
nicht fort, während das von ihnen gar nicht beachtete Moos, das sich ungemein
schnell vermehrt, genügsam sich über alle dürren Felsen hinwegzog und nun
den Tausenden, die dort wohnen, ihr tägliches Brot gab.
Von den Giftpflanzen.
Unter den Tausenden von Pflanzen, welche die Erde hervorbringt, giebt es
eine ziemliche Anzahl solcher, die da giftig sind; giftig aber nennen wir im
gewöhnlichen Leben Alles, was eine heftige und verderbliche Wirkung auf den
menschlichen Körper hervorbringt. Eine genaue Kenntniß derjenigen Giftkräuter,
die bei unö wild wachsen, ist höchst wichtig und nothwendig. Schon manches
Kind und mancher erwachsene Mensch hat sich durch den Gebrauch oder Genuß
solcher schädlichen Pflanzen, weil sie ihm unbekannt waren, Gesundheit, Leib und
Geist zerstört, oder ist wohl gar eines qualvollen Todes gestorben.
Die gefährlichsten, bei uns wild wachsenden Giftkräuter sind folgende:
1) Der Seidelbast oder Kellerhals; man nennt ihn auch Berg-
pfeffer und Pfeffcrbeere. Er ist eine scharfe, giftige Pflanze. Seine
schöne Blüthe — sic sieht pfirsichblüthfarben aus und steht auf 2 bis 5 Fuß-
hohen Stämmchen in gedrungenen Aehren — erscheint ganz früh im März, wenn
noch Alles kahl ist. Sie gleicht sehr dem Näglein und hat Geruch. Späterhin
trägt die Pflanze erbsengroße, fast kugelige, fcharlächrothe Beeren und prangt
gar schön in unsern Ziergärten, ebenso schön aber auch auf den waldigen Ge-
birgen Deutschlands, die sich die Pflanze zur Heimath erkoren hat. Unter allen
Theilen des Seidelbastes besitzen die Beeren und die geruchlose Rinde das meiste
Gift.
2) Die weiße und gelbe Osterblume, auch Anemone genannt.
Beide Pflanzen wachsen in feuchten Wäldchen und auf sumpfigen Wiesen; sie
blühen im April. In den jungen Sprossen, der Wurzel und den Blättern ist
eine Schärfe enthalten, die stark genug ist, Blasen und schmerzhafte Geschwüre
zu erzeugen. Mit dem Wurzelsafte vergiften die Kamschadalen ihre Pfeile, und
bringen ihren Feinden dann solche Wunden bei, die, wenn daö Gift nicht
augenblikklich auögesogen wird, den Tod zur Folge haben.
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Die Blüthe der weißen Anemone ist kelchartig und wird von einem weich-
haarigen, anö der Mitte deö Blätterquirls sich erhebenden Stiele fast aufrecht
getragen. Ihre 6 — 9 Blättchen sind länglich und gehen aus dem Weißen bald
mehr, bald weniger ins purpurfarbige über. Der Blätterquirl befindet sich am
Ende deö 4—10 Zoll hohen, astlosen Stengels, und jedes der 3 Blättchen ist
kurzgestielt, zwei- oder dreitheilig unb gezähnt. Die Wurzel ist wagerecht,
walzig, äußerlich braun, inwendig weiß. Die Blüthenblättchen der gelben
Osterblume sind breiter und kürzer, als bei der weißen, und auf der Außenseite
ziemlich dicht mit Flaumhärchen bekleidet. Ferner sind, die Blätter der gelben
Osterblume schmal und nicht so tief zertheilt; auch haben sie einen äußerst
unansehnlichen Stiel, der kaum ein Drittheil ihrer eigenen Länge ausmacht.
3) Die Wolfsmilch. Es giebt verschiedene Arten derselben; sie heißen:
Sumpf-, Esels-, cupressenblättrige und Sonncnwcnd - Wolfs-
milch. Die am häufigsten vorkommende Art ist die cypressenblättrige Wolfs-
milch. Trokkene Hügel und Felder, lichte, sonnenreiche Waldungen u. s. w.
erzeugen diese Pflanze nicht selten in unzähliger Menge.
Alle Wolfsmilcharten enthalten eine ätzende Milch, die, auf die Oberhaut
getröpfelt, Entzündung, und, in den Magen gebracht, heftiges Brennen, Ent-
zündung der Kehle und deö Magens, fürchterliches Erbrechen und nicht selten
den Tod bewirkt. Ja, selbst das frische Kraut erregt, wen» es gequetscht als
Aufschlag gebraucht wird, eine ungeheure Geschwulst.
4) Auf Wiesen und Feldern, in Gärten, Thälern u. s. w. sehen wir jeden
Sommer eine zahllose Menge gelbblüheuder Gewächse. Gesonnen, unö nach
dem Namen derselben zu erkundigen, befremdet es uns nicht wenig, immer die
Antwort zu hören: „Das sind Hahnenfüße." Unter de» Hahnenfüßen finden
sich gar viele, die nicht bloß des Giftes verdächtig, sondern auch wirklich giftig
sind. An der Spitze der letzteren steht der Gift-Hahnenfuß.
Diese Pflanze wächst an Wassergräben. Der Stengel ist hohl, gegen 2
Fuß hoch und mit eingekerbten, in Lappen zerschnittenen Blättern besetzt. Die
scharfen, giftartigen Wirkungen dieser Pflanze spürt man schon beim Zerreiben
oder Zerstoßen der Blätter. Sie pressen Thränen aus den Augen und Schleim
aus der Nase. Der Genuß hat bald mehr, bald weniger schädliche Folgen, alö:
Magenschmerzen, Schneiden in den Eingeweiden, Zukkungen, Berstandeö-
betäubung und oft den Tod.
Der scharfe Hahnenfuß hat seinen Namen von der Schärfe, die sich
vorzugsweise in seinen Stempeln und nachheriaen Früchtchen findet. Er ist ein
ausdauerndes Gewächs und nicht, wie der Gifthahnenfuß, ein einjähriges, und
blüht vom Mai bis Juli.
Außer diesen beiden Hahnenfüßen giebt eö noch 3 Arten dieser Gattung,
deren Schärfe ebenfalls nachthcilige Folgen bei Menschen und Thieren erzeugen
kann. Sie heißen: knolliger, Feld- und beißender Hahnenfuß.
5) Die weiße Zaunrübe hat eine rübenförmige, armdikkì, fleischige,
außen gelbliche, innen aber weiße und mit einem milchartigen Safte angefüllte
Wurzel. Die Stengel, deren mehrere ans der Wurzel kommen, sind 0 — Ì2 Fuß
lang und klettern an Sträuchern, Mauern oder andern Gegenständen in die
Höhe. Die Blätter sehen den Weinblättern sehr ähnlich. Die Blüthen stehen
zu 4 — 8 doldentraubig bei einander; die Früchte sind ei- oder kugelrunde,
schwarze, steinfruchtartige Beeren. Die weiße Zaunrübe ist eine ausdauernde
Pflanze und blüht vom Juni bis August. Ihre Wurzel besitzt, im frischen
Zustande, einen beißenden Geschmakk; selbst getrokknct sind ihre Wirkungen nicht
selten äußerst gefährlich. Die Gewohnheit, Gichtkranke und Wassersüchtige aus
der ausgehöhlten Wurzel Bier und andere Flüssigkeiten, nachdem dieselben eine
Nacht dann gestanden haben, trinken zu lassen, ist ungemein schädlich.
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6) Der betäubende Lolch. Diese Giftpflanze ist vorzüglich deshalb so
gefährlich, weil sie sich ungebeten und oft unbemerkt unter das Getreide mischt.
Man nennt diese Pflanze auch Taumel-Lolch oder Schwindelhafer. Der
Samen des betäubenden Lolchs besitzt giftige Eigenschaften und kann, wenn er
in zu großer Menge unter dem Getreide vorkommt, schon dadurch, daß er aus
Unvorsichtigkeit mit dem Brote verbakken wird, Gesundheit und Leben gefährden.
Unverzeihlich aber ist es, wenn Brauer und Brenner absichtlich Taumel-Lolch zu
ihrem Biere und zum Branntwein mischen, um dadurch ihre Getränke noch
berauschender, ihre Gifte noch giftiger zu machen.
7) Der schwarze Nachtschatten. Er ist ein Sommergewächs, blüht
im Juni bis Oktober nnd wächst in Garten, auf Schutthaufen und an Straßen-
rändern. Die schmutzigweiße Blüthe sieht der Kartoffelblüthc sehr ähnlich, nur
kleiner, öffnet sich am Morgen um ü — 0 Uhr und schließt sich deö Abends um
dieselbe Stunde.
8) Der kletternde Nachtschatten bringt rothe Beeren von der Größe
einer Erbse hervor, die noch schädlicher, als die des schwarzen Nachtschattens, und,
in Menge genossen, leicht tödtlich sind. Diese Pflanze nennt man auch Bittersüß,
Hirschkraut, Mäuseholz und Wald-Nachtschatten.
9) Das schwarze Bilsenkraut, auch Zankwurz oder Ra che kraut
genannt, das man vom Mai bis zum August fast überall auf Schutthaufen und
an Wegen, an Heften und Zäunen findet, verräth schon durch seinen häßlichen
Geruch und die traurige, schmutzig-gelbe Farbe, daß man nicht viel Gutes von
ihm zu erwarten hat. Der Genuß dieser Pflanze, besonders des Samens und
der Wurzel, ist gewöhnlich Ursache von Schwindel, Schlafsucht, Wahnsinn, Raserei
und, wenn nicht bald Gegenmittel gebraucht werden, von einer gänzlichen Erstar-
rung, bis der Tod erfolgt.
10) Der Stechapfel, auch Teufelsapfel, Krötenmildc und
Stachelnuß genannt, ist noch viel schlimmer, als Bilsenkraut. Diese Pflanze
hat eine so schöne weiße Blüthe, daß man sie von fern für eine Lilie halten
könnte. Die Fruchtkapsel ist mit Stacheln bedekkt, fast wie bei der Roßkastanie,
und inwendig liegen die kleinen, schwarzen Körner, deren Genuß Zukkungen,
Jittern und Wahnsinn erzeugt. Der Stechapfel ist ein jährige-, folglich leicht
auszurottendes Gewächs; er blüht im Juli und August.
11) Die Tollkirsche oder Belladonna, auch Wolfsbeere und Tcufels-
kirsche genannt, ist daS gefährlichste Giftgewächs. Die Wurzel dieser Pflanze ist
mehr oder weniger möhrensörmig, dikk, bis auf die braungelbe Oberhaut
weißlich und dringt schräg in die Erde ein. Der krautartige, röthlichbraune
Stengel erreicht eine Höhe von 2 — 0 Fuß. Die Blätter sind eirund, an beiden
Enden zugespitzt, ganzrandig und auf den Adern der Unterfläche behaart. Die
Frucht ist eine kugelige, glänzende, vom stehen gebliebenen Kelche eingeschlossene
Beere, die, bei völliger Reife, einer schwarzen Kirsche sehr ähnlich ist.
Die Tollkirsche ist ein ausdauerndes Gewächs, blüht im Juli und August
und wächst besonders in solchen Bergwäldern, die einen fetten Boden haben.
Kleine Gaben der Belladonna bewirken schon Flimmern vor den Augen,
Trokkcnheit und Spannung im Halse; größere verursachen heftigen Schwindel,
Betäubung, Raserei, Krämpfe in der Luftröhre und im Schlunde, Zukkungen
und zuletzt den Tod. Die Leichname der durch die Belladonna Getödteten
schwellen sehr auf, haben eine schwarzblaue, mit Brandflekken übersäete Ober-
fläche, geben Blut oder rothgelbes Wasser aus dem Munde, der Nase und den
Ohren von sich und gehen oft auf eine unbegreiflich schnelle Weise in Fäulniß
über.
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Zu den gefährlichsten Giftgewächsen gehört:
12) der Wasserschierling, der auch Parzenkraut oder giftiger
Wüthrich genannt wird. Seine Wurzel hat einige Aehnlichkeit mit Sellerie
oder auch mit Pastinak. Diese Pflanze wachst am häufigsten an Gräben und
Teichen und bemoostem Sumpfboden. Das sicherste Kennzeichen ist der eigen-
thümliche Bau der Wurzel. Sie ist zum Theil hohl und durch Querwände in
mehrere Fächer geschieden. In diesen Fächern befindet sich der schädliche, schnell
tödtende Saft der Pflanze. Wer die Wurzel der Länge nach durchschneidet, wird
an diesen Fächern sogleich den Wasserschierling erkennen.
13) Der gestellte Schierling, der auch B lut sch ierli n g und
Tollkerbel genannt wird, ist am leichtesten an den rothbraunen Flekken des
Stengels und der Acfte zu erkennen. Fehlt dieses Kennzeichen, so darf man nur
auf die Blätter achten. Diese sind gezahnt, und die Zähne sehe» an den Spitzen
wie versengt aus. Werden die Blätter zwischen den Fingern gerieben, so geben sie
einen eigenthümlich widrigen Geruch von sich. Wer darauf nicht achtet, ver-
wechselt die Pflanze leicht mit Petersilie oder Kerbel.
14) Die H u ndö Petersilie gehört auch zu der sauberen Gesellschaft der
Schierlinge. Bei der großen Aehnlichkeit mit der Petersilie sind Verwechselungen
sehr häufig. Der Geruch cutschcldet hier ain sichersten; riecht die Petersilie wie
Knoblauch, daun wirf sie weg; denn sie taugt au keine Hunde-, geschweige an eine
Meuscheusnppe.
15) Die Herbst-Zeitlose; sie gehört unter die Zahl der Zwiebelgewächse.
Die Pflanze treibt aus einer tief in der Erde sitzenden Zwiebel im Herbste eine
misste, sechötheilige, blaßröthliche Blume, und im Frühjahre inmute» mehrere
\ tulpenartige Blätter hervor, welche in ihrer Mitte eine große Samenkapsel ein-
schließen. Der Genuß der Zwiebelknollen kann den Tod herbeiführen. Die
übrigen Theile der Pflanze, besonders der Same, wirken gleichfalls sehr nach-
theiltg auf den menschlichen Körper. Als nächstes Gegenmittel dient das Trinken
einer möglichst großen Menge von Seifenwasser. Brechmittel dürfen dem Ver-
gifteten nicht gereicht werden.
Um die Pflanze auf einer Wiese zu vertilgen, läßt man sie im Frühjahre,
sobald sie anö dem Boden herauskommt, ausziehen. Wiederholt man dies einige
Jahre nach einander, so stirbt die Zwiebel in der Erde ab, und die Wiese ist von
diesem giftigen Gewächse gereinigt.
Mineralien«
Die Mineralien kommen auf der Erde auf verschiedene Weise vor. Einige,
jedoch nur wenige, bilden für sich selbst Gebirge und sogar Gebirgsketten
oder Lager, Stükke oder Gänge, deren Ausdehnung oft sehr beträchtlich
ist. Andere Mineralien finden sieh nur in kleinen Theilchen, die hie und da in
grösseren Massen eingeschlossen sind, oder an den Wänden der Spalten und
Höhlen sitzen.
Lager, F1 ö t z c oder Bänke nennt man die mehr oder minder dikken
(der Bergmann spricht statt des letzten Wortes immer „mächtigen“) Mineral-
massen , an denen zwei Seiten merklich gleichlaufend sind, und die sieh oft
weite Strekken lang und breit hinziehen. Unter Stökken versteht man Lager-
stätten von Mineralien, welche rundliche, einförmige oder linsenförmige Massen
bilden, die gänzlich oder grösstcnthcils von Mineralien ganz anderer Beschaffen-
heit umgeben sind. Es giebt Stökke von Millionen Kubikfuss, aber auch sehr
kleine von wenigen Kubikfuss. Die sehr kleinen Stökke nennt man bald
Nester, bald Nieren oder Mandeln. Gänge nennt man diejenigen
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Mineralmassen, deren beide Flächen nicht parallel sind und die sich endlich in
geringerer oder grösserer Entfernung in einen Keil endigen.
Die verschiedenen Arten der Mineralien kommen nicht überall vor; jedoch
hangt dies nicht von der Wärme oder Feuchtigkeit, wodurch die Verbreitung
der Thiere und Pflanzen bedingt ist, ab; sondern das Vorkommen derselben ist
durch die Beschaffenheit der Felsarten bedingt. Im Allgemeinen kommen in
den Ur- und Uebcrgangsgcbirgcn die meisten Gattungen und Arten vor; einige
erstrekken sieh auch noch bis in die Flützgcbirgc. Je mehr man sich den
jüngeren Gebirgen nähert, desto mehr verschwinden die Mineralien.
Die Mineralien werden im gemeinen Leben fast noch mehr, oder doch
gewiss in demselben Masse benutzt, als die Pflanzen und Thiere. Sie liefern
dem Gcwcrbflcissc die meisten llülfsqucllcn; sie beschäftigen in gebildeten
Staaten viele Menschen und verbreiten die meisten Reichthümer. Wie viele
Stoffe entnimmt nicht die Baukunst aus ihnen, sowohl zu ihren eigentlichen
Werken, als auch zur Verzierung derselben. Hierher gehören Steine aller Art,
ferner Dekk-, Bind- und Verzierungsmaterialien. Wie reiche Stoffe liefert nicht
das Mineralreich zur Verbesserung des tragbaren Bodens, als Kalk-, Thon- und
Sandmergel, ferner Kalk, Gyps, Steinsalz u. s. w.
Da giebt es Stoffe zu mannigfachem Gebrauche, als: Eisen, Blei, Kupfer,
Zinn, Silber, Gold, Zink, Arsenik; ferner die verschiedenen Salze, Schreib-,
Zeichen- und Farbematerialien. Auch an Arzneistoffen ist kein Mangel; man
denke nur an Glaubersalz, Salpeter, Eisen-, Kupfer- und Zinkvitriol, Schwefel,
Naphtha, Quekksilber u. a. m.
Gewöhnlich unterscheidet man in den Mineralien folgende 4 Klassen:
I. Metalle; sic sind ausgezeichnet durch ihre Schwere, Geschmeidigkeit,
Dehnbarkeit, Undurchsichtigkeit und ihren eigenthümlichen Glanz.
II. Brennbare Mineralien; diese haben die Neigung, sich in Dämpfe
aufzulösen und sogar zu entflammen; auch zeichnen sie sich durch ihre geringe
Schwere und Festigkeit aus.
III. Erd arten oder Steine, die aus erdigen Stoffen bestehen; sic sind
hart und fest, zerspring- und theilbur, lösen sich im Wasser schwer oder gar-
nicht auf und verbrennen auch nicht.
IV. Salze; diese lösen sich im Wasser völlig auf und verbinden sich mit
demselben.
Metalle.
Die Metalle zeichnen sich, wie schon gesagt, durch ihre bedeutende Schwere,
Geschmeidigkeit, Dehnbarkeit und ihren schönen Metallglanz aus. Sic werden
selten rein oder gediegen vorgefunden, sondern sind mcistcnthoils mit andern
Mineralien vermischt, d. h. sie kommen als Erze vor. Zu den vorzüglichsten
Metallen rechnet man das Platinametall. Es ist erst seit 1736 bekannt und
wurde zuerst in Südamerika entdekkt. Das gereinigte Platin ist silberweiss, hat
weit grössere Festigkeit, als Gold und Silber, und ist von allen Metallen das
schwerste. Es steht dem Werthe nach dem Golde am nächsten.. Da in einem
besonderen Abschnitte über das Gold gesprochen wird, können wir es hier
übergehen. Das Silber ist bei uns häufiger, als das Gold, zu finden. Man
gräbt cs in Sachsen, Böhmen, am Harz, in Schlesien u. a. a. Orten. Im
sächsischen Erzgebirge wurde vor vielen Jahren eine Masse Silber gefunden, die
100 Centncr wog. Die allgemeinste und wichtigste Benutzung des Silbers ist
die zu Münzen. Das Quekksilber findet man gediegen als weisse, hell-
glänzende Tropfen, die in Steinen eingewachsen sind; oder es findet sich im
Zinnober, einem dunkelrothen Steine, der als Farbe gebraucht wird. Es wird
zur Scheidung edler Metalle, zum Spiegelbelegen und zu Wettergläsern u. a. 8.
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benutzt. Das Kupfer ist kein edles Metall; denn cs ist nicht im Feuer
beständig; es wird zu Gefässen und Münzen benutzt. Wenn man Kupfer der
Witterung aussetzt oder Säuren darauf giesst, so setzt cs Grünspan an,
welcher giftig ist; daher müssen kupferne Geschirre innen verzinnt oder mit
einer Glasur versehen sein. — Aus Kupfer und andern Metallen macht man
verschiedene Metallmisehungen; z. B. aus Kupfer und Gold Semilor, aus
Kupfer und Zink Messing, mit Zinn versetzt aber Glokkengut. — Eisen;
darüber später.
Das Blei ist eins der schwersten, aber auch weichsten Metalle. Innerlich
wirkt das Blei als Gift, verursacht Leibschmerzen und sogar den Tod; äusser-
lich wendet man es in Salben mit gutem Erfolge an. Es dient zum Dachdekkcn,
zu Röhren bei Wasserleitungen, zu Kugeln und Schrot. Dem Blei gleicht das
Zinn. Es hat eine schöne, woisse Farbe, die sieh aber au der Luft ändert.
Man findet es fast nur vorerst. England liefert das beste Zinn; in Deutschland
findet sich wenig davon. Der Zink findet sich als Blende, die gelb und braun
und schwarz ist, und als Galmey, der fast wie Kalkstein aussieht, meist weiss
oder gelblich. In Oberschlesien werden jährlich viele Tausend Centncr gewonnen.
Ausserdem giebt es noch Spicssglanz, Nikkei, Wissmuth, Kobald, die
theils als Arznei, theils als Farben vielfachen Nutzen darbieten. Der Kobald
findet sich vorzüglich in Sachsen bei Schneeberg. Die sächsischen Bergleute
achteten vormals, da sic noch Silber genug hatten, das Kobaldmctnll so wenig,
dass sie cs eben deswegen Kobald, d. h. nekkender Berggeist, nannten. Nun
aber sind sie froh, dass sie den Kobald haben; denn der ist ihnen jetzt nützlicher
und einträglicher, als das Silber. Es nähren sich gar viele Hände durch das
Gewinnen des Kobalds und durch die Bereitung der schönen blauen Farbe, die
daraus gemacht wird, und die man vorzüglich zum I'orzcllanfärbcn gebraucht. —
In diesen Abschnitt gehört aber auch noch der Arsenik. Er ist unter
allen Metallen und Steinarten am giftigsten. Wenn man ihn ans Feuer bringt,
oder daran schlägt, riecht er stark nach Knoblauch; er ist das flüchtigste Metall;
am Feuer steigt er nämlich sehr bald in einen weissen Dampf auf. Sehr vielen
Arsenik liefern die Berg- und Hüttenwerke bei Reichenstein. Der Arsenik findet
sieh gediegen, wo er aussen schwärzlich, inwendig wcisslich aussieht; dann
als Arsenik kies, der wcisslich und metallisch glänzend, und als Rausch-
gelb, das gelb und roth und demantglänzend ist.
Ik e r 8 b a 11.
Hat der Bergmann Anzeigen gefunden, dass in einem Gebirge Erze vor-
kommen, welche die Gewinnung lohnen, so wird entweder ein Schacht
abgesenkt, d. h. ein senkrechtes, einem Brunnen ähnliches Loch in den
Berg gehauen oder gegraben, oder auch ein Stollen geführt, d. h. ein hori-
zontaler Gang in den Berg gehauen, bis man auf die Gänge oder Lager der
gesuchten Erze trifft. Das Gestein wird entweder losgehauen oder losge-
schossen.
Das losgearbeitete Fossil wird dann zu Tage gefördert, d. h. an die
Oberfläche geschafft. Die Stelle eines Berges, wo auf Erze gebaut wird,
heisst eine Grube. Man fährt an, d. h. man steigt in die Grube vermittelst
Fahrten, d. h. Leitern, oder man lässt sich in Kübeln hinunter. Dabei
bedient man sich der Grubenlichter. Die Förderung geschieht im Innern
mittelst ein- oder vierrädriger Karren, Hunde genannt, häufig aber auch auf
Förderungsschachten, in denen man Tonnen oder Kübel voll Erz oder
dgl. an Ketten oder Seilen mittelst Winden (Haspeln oder Göpeln) herauf-
zieht. Damit man die ins Innere der Erde dringenden Wasser bewältige,
18 *
264
legt man häufig geneigte Stollen an, welche alles Wasser ableiten, oder man
hebt dasselbe durch Pumpwerke heraus. In manchen Gruben werden auf diese
Art mittelst Dampfmaschinen in jeder Minute 80000 Pfund aus einer Tiefe von
300 Fuss emporgehoben.
Nachdem die Erze an die Oberfläche geschasst sind, werden sie in den
Pochwerken zerkleinert (gepocht) und gewaschen (geschlemmt), um das
taube Gestein von den Erzen zu trennen. Andere werden geröstet, d. h. mit
Feuer behandelt, ehe sie in die Hochöfen und Schmelzhütten gelangen.
Das Rösten geschieht, indem man wechselweise eine Schichte Erz und eine
Schichte Kohle legt und das Ganze anzündet. In den Schmelzhütten wird das
gediegene Metall mit Hülfe des Feuers aus den Erzen ausgeschieden. Das mit
den Erzen herausgeforderte taube Gestein und die Schlakken, welche beim
Schmelzen entstehen, werden in der Nähe der Gruben und Hütten zu Bergen
aufgeschüttet, die man Halden nennt.
Das G o I (1.
Dass dieses Metall gelb aussieht, weiss Jedermann. Es ist 19 Mal schwerer,
als Wasser, dabei aber so weich, wie Gyps; cs lässt sich mit dem Messer
schneiden. Das Gold ist in einem hohen Grade dehnbar; denn ein Gran lässt
sich zu einem 500 Fuss langen Drahte ziehen; ja, cs kann zu Plättchen
geschlagen werden, die nur den 200000stcn Theil eines Zolles dikk sind.
Das Gold kommt mcistentheils gediegen vor; man findet cs in kleinen
Körnern in mancherlei Gestein; es giebt aber auch grössere Klumpen. Das
grösste Stükk gediegenen Goldes ist 1782 in Brasilien gefunden worden; cs wog
256 Pfund, und sein Werth betrug weit über eine Million Thaler.
Unter allen Erdtheilen ist Amerika der goldreichstc; dort werden jährlich
an 30 — 40000 Pfund gefunden. Ich möchte aber deswegen doch nicht dort
sein, wo so vieles Gold und Silber gegraben wird; denn wenn ich mich auch
gerade vor den Schlangen, vor den wilden Thieren und Menschen nicht fürchte,
so ist es doch da, wo die allerreichsten Bergwerke sind, öfters so theuer, dass
man für ein solches Stükk Brot, das bei uns einen Kreuzer kostet, wohl 30
bezahlen muss. Das haben die armen Bergleute erfahren, die einmal vor
Jahren, wegen des grossen Tagelohns, nach Südamerika zu den Silber-
bergwerken gingen. Sie konnten ihren Frauen und Kindern gar kein Geld
schikkcn, und konnten sich für das viele Geld, das die dort bekamen, kaum
satt in Brot essen. Der reiche König von Spanien, Philipp II., der ganze Schisse,
mit Gold und Silber beladen, aus Südamerika, das damals sein war, fast alle
Jahre bekommen hatte, war am Ende so arm, dass er in den Kirchen für
sich eine Collckte sammeln liess.
Nächst Amerika, und da besonders in Californien, giebt cs in Afrika,
besonders Guinea, in Australien, am Ural und in Ungarn das meiste Gold. In
unserm deutschen Vaterlande hat man sonst auch Gold aus dem Flusssandc
gewaschen; es war aber niemals sehr viel darinnen, und in manchen Gegenden
gehörte schon viel dazu, wenn einer den ganzen Tag über für einen Groschen
Gold herauswaschen wollte. Auch ist manches Bergwerk, wo früher Gold
gewonnen wurde, aufgegeben worden, weil der Ertrag oft die Kosten nicht
dekkte.
Nun, dieses Mangels wegen steht unser Vaterland keinem andern Lande in
der Welt nach; denn es giebt uns dafür ein ander Metall in grosser Menge,
das uns nützlicher, ja unentbehrlich ist, nämlich;
265
Das Eisen.
Es ist unter allen Metallen in der Welt das, was am häufigsten und
öftesten gefunden wird, und schwerlich ist ein grosses Land anzutreffen, wo
nicht auch etwas Eisen vorkommen sollte. Und das ist eine gar schöne Ein-
richtung in der Welt; denn wir gebrauchen das Eisen viel nöthiger, als Gold
und Silber. Dennoch ist das Vcrhiiltniss des Werthes, den der Mensch den
Dingen beigelegt hat, so seltsam verschieden, dass Einer, der einen schönen
Demant hätte, welcher ein Loth wöge, dafür gegen 520000 Centncr Eisen
kaufen könnte.
Das Eisen ist sehr schwer, undurchsichtig und von graulichweisser Farbe.
Es nimmt eine feine Politur an, ist zähe, im Feuer schmelzbar, lässt sich
sowohl glühend, als auch kalt durch Hämmern ausdehnen. Selten findet sich
dieses Metall gediegen; aber vererzt kommt es in mancherlei Gestalt vor. Als
Bestandtheil trifft man Eisen fast in allen Mineralicp, sowie auch in den meisten
Mineralwassern, sogar im Blute der Thiere und Menschen an. Vorzüglich
findet cs sich als Eisenerz, d. h. Eisen mit andern Mineralien vermengt, in
Deutschland, Frankreich, Schweden, England, Russland und Polen. Es wird
von den Bergleuten zu Tage gefördert. Nachdem das Erz gepocht (in kleine
Stükkc zerschlagen), gewaschen und geröstet worden ist, wird es in Oefen lager-
weise mit Kohlen eingeschichtet. Die Kohlen werden angezündet, worauf bei
heftiger Gluth das Eisen aus dem Erze schmilzt und durch eine Ocffnung als
ein feuriger Strom abfliegst. Jetzt heisst cs Roh - oder Gusseisen, welches
zu groben Sachen verwendet wird. Zur weiteren Verarbeitung ist es aber so
noch nicht tauglich, sondern muss zuvor noch mehr gereinigt werden. Dies
geschieht auf dem Eisenhammer, durch Glühen, Hämmern, Ausschmieden und
Schwcissen. Man giebt ihm dabei die Form von Stangen; daher der Name
Stabeisen. Aus dem Roheisen wird auch das Eisenblech geschlagen und
gewalzt. Der Eisendraht wird meist aus den feineren Sorten des Stabeisens
verfertigt. Die Stäbe werden glühend durch die Löcher der stählernen Zieheisen
mit grosser Gewalt hindurchgezogen, immer von einem grösseren durch ein
kleineres Loch, bis der Draht die gewünschte Feinheit erlangt hat.
, Der Stahl unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Eisen durch grössere
Härte und Sprödigkeit und ist dem Roste weniger unterworfen. Man erhält ihn-
entweder, indem man das Roheisen wiederholt schmilzt, glüht, hämmert, strekkt,
zusammcnschwcisst und zuletzt in kaltem Wasser abkühlt (Grobstuhl oder
natürlicher Stahl); oder man schichtet dünne Eisenstäbe in einem steinernen
Kasten zwischen Kohlenstaub, Holzasche u. dgl., und lässt sie im Ofen bei
starkem Feuer glühen, worauf sie dann ausgeschmiedet und im Wasser
abgekühlt werden (künstlicher Stahl). Das Eisen kommt vor als: gediegene«
Eisen, Schwefelkies; dies ist der schöne gelbe Stein, der wie Gold glänzt,
sich aber nicht schneiden lässt, sondern am Stahle Funken giebt. Ferner giebt
cs noch Magneteisenstein, Eisenglanz, Roth-, Braun- und Rasen-
eisenstein u. dgl.
Stein- und Braunkohle.
Ein merkwürdiges und wichtiges unorganisches Naturprodukt ist die Kohle.
Ohne Zweifel stammt dieses Produkt aus dem Pflanzenreiche. Durch
gewaltige Erderschütterungen wurden ausgedehnte Urwälder verschüttet und mit
der Zeit in die kehlige Masse verwandelt, in der wir sie eben sehen. In vielen
Kohlenlagern findet man noch ganze Stämme Holz, so wie auch Abdrükke von
allerlei Pflanzen, selbst verkohlte Knochen von riesenhaften Landthieren, weichn
der Vorwelt angehörten und deren Gattung jetzt nicht mehr angetroffen wird.
266
Die Kohlen kommen in mächtigen Lagern, besonders in Thon- und Sand-
steingebirgen vor. Deutschland, die Niederlande, Frankreich, England und
Amerika haben Steinkohlenlager von sehr beträchtlicher Ausdehnung. Bei
Lüttich wird ein solches Lager schon über 300 Jahre ausgebeutet. — Das
Bergwerk in Newkastlc, in England, welches wenigstens eine halbe Meile unter
dem Meere hinläuft, beschäftigt an 30000 Menschen. In ganz England werden
jährlich an 150 Millionen Centner Kohlen von 100000 Arbeitern zu Tage
gefördert.
Sehr wichtig ist der Verbrauch der Steinkohle zur Gasbeleuchtung; doch
wird sie wohl am häufigsten als Brennmaterial benutzt. So leicht, wie Holz,
brennt sie zwar nicht; doyh giebt sic eine weit grössere Hitze. 100 Pfund
Steinkohlen erzeugen fast so viel Hitze, als 230 Pfund lufttrokkncn Holzes. —
Um Gas aus den Steinkohlen zu bereiten, werden sie in eisernen, wohlver-
schlossencn Retorten erhitzt. Das sich entwikkelndc Gas wird gereinigt, in
einem Gasbehälter aufgefangen, und mittelst metallischer Rühren, welche durch
wohl cingcpasste Hähne verschlossen werden können, an den zu beleuchtenden
Ort hingeleitet.
Die Braunkohlen brennen mit ziemlich heller Flamme, ohne viel Rauch,
verbreiten aber einen widrigen Geruch. In der Lausitz bei Muskau und Zittau,
in der Mark bei Freienwalde, in Schlesien bei Grünborg, am Rhein zwischen
Bonn und Köln, in Hessen am Messner u. a. a. 0. werden sie in grosser
Menge gefunden,
Der Torf hat verschiedene Farben, von licht- bis dunkelbraun. Er ist
manchmal filzig, auch blättrig oder faserig, oder erdig, und besteht meist aus
Ucberresten von Pflanzen und aus Thontheilen, die von Erzharz durchdrungen
sind. Man findet Torflager überall, wo beträchtliche Sümpfe und Moräste sich
bleibend vorfinden. Die Riedgräser, das Heidekraut, das Sumpfmoos liefern das
Material dazu; daher hat auch der Torf verschiedener Gegenden eine verschiedene
Beschaffenheit.
Die besten Torfe sind in der Regel die dunkel gefärbten, dichten, erd-
harzigen. Zur Gasbereitung taugt er nicht viel.
Zu den Bronzen gehört auch noch der
1) e r ii s t e i ii.
Er kommt in verschiedenen Farben vor, honiggelb, weisslieh, fettglänzend,
in’s Rothe, Braune und Weissc übergehend. Zu Kunstsachen verarbeitet man
am liebsten den weissgclbcn. Er brennt mit hellgelber Flamme und verbreitet
wohlriechende Dämpfe. Die einzelnen Stükkc sind hinsichts der Grösse sehr
verschieden. Das ansehnlichste hat man 1803 im Gumbinner Regierungsbezirke
gefunden; es war fast 14 Zoll lang, 8 Zoll breit, über 5 Zoll dikk und war an
10000 Thaler werth. Dieses seltene Stükk befindet sieh jetzt in der Mineralien-
sammlung zu Berlin. Der Bernstein zeigt, wenn er gerieben wird, Electricität,
indem er leichte Körperchen anzieht und nach einiger Zeit wieder abstüsst.
Sehr merkwürdig ist er durch die von ihm eingeschlossenen Naturkörper.
Ausser Sand und Erde, Stükkchen Holz, Wassertropfen, findet man eine Menge
Gliederthiere in ihm vergraben. Ost fehlen den Thieren einige Füsse, oder ihre
Flügel sind durch einander gewirrt oder beschädigt; oft aber sind sie auch ganz
unbeschädigt und strekken Füsse und Fühlhörner aus, als ob sie noch lebten.
Da nun sowohl diese Thierehen, als auch die im Bernstein gefundenen Pflanzen-
theile grossen Theils dem Süden angehören, so ist man auf folgende Ver-
muthungen über die Entstehung des Bernsteins gekommen: Er ist ein Baumharz,
267
das äusserst dünnflüssig und schnell erhärtend in reicher Fülle sich einst aus
einem Baume ergoss, der, als die nordischen Gegenden Preussens noch ein
südlicheres Klima hatten, hier und in einem grossen Theile des heutigen Ostscc-
bettes grosse Wälder bildete, welche zerbrochen und vergraben wurden, als
aus dem hohen Norden mächtige Finthen vielleicht mit Fismassen hereindrangen
und gleichzeitig das warme Klima in ein kaltes umwandelten.
Bei dem Werthe, der dem Bernstein noch vor nicht langer Zeit beigelegt
wurde, versendete man grosse Massen ins Ausland. Dies hat nun zwar sehr
nachgelassen; aber cs geht doch immer noch viel Bernstein nach Constantinopcl,
Kleinasien und nach dem südlichen Europa.
Die erdigen Steine oder Fossilien sehen meistens gar nicht wie Erde
oder erdig aus, sondern heissen nur so, weil sie grösstenteils, wenn man sie
durch die Scheidekunst zerlegt, Erdarten, z. B. Kieselerde oder Thonerde in
sich haben. Man theilt sic zur leichteren Uebersicht in II artsteine, thonige
Steine, kalkige Steine und Kalksteine ein. Die Hartstcine sondern
sich wieder in edle und gemeine. Zu den cdclen gehört der Diamant,
der Rubin, der Saphir, der Topas u. s. w. Diese Steine sind so hart, dass
man damit in den Feuerstein hineinschneiden kann. Die gemeinen Hartstcine
geben Feuer am Stahl, schneiden aber nicht in den Feuerstein. Zu ihnen
rechnet man den Jaspis, gelb, roth und braun, den Amethyst, den Chrysopras
u. a. — Die thonigen Steine können mit dem Messer geschnitten, ja,
manche sogar mit den Fingern zerrieben werden. Die kalkigen Steine
haben ein recht fettiges Aussehen, grünliche, gelbliche oder weisse Farben, und
lassen sich leicht schneiden. Die vorzüglichsten sind der Meerschaum und
der Asbest. Die Kalksteine haben verschiedene Farbe und Härte. Für
den Gebrauch sind sie überaus wichtig. Der Marmor dient zu Bildhauer-
arbeiten und Bauwerken, der Kalk als Mörtel und Düngungsmittel. Mit
gebranntem Gyps überzieht man Wände und Dekkcn, schüttet Gypsmehl auf
Ackker, um sie tragbarer zu machen. Aus Alabaster werden Bildsäulen,
Vasen und andere Geiasse gearbeitet.
I) er l)i a in an 1.
Das ist ein gar wundervoll glänzender und so harter Stein, dass ihm selbst
die beste englische Feile Nichts anhaben kann. In Deutschland findet man ihn
nicht, es müsste ihn denn Einer verloren haben. Dieser Stein besteht aus dem
reinsten Kohlenstoffe, ist farblos, wasserhell, oft aber auch gefärbt. Er findet
sich hauptsächlich in runden Körnern, die mit einer graulichen oder bräunlichen
Rinde überzogen zu sein pflegen, nach deren Abschleifen erst der Glanz und die
Durchsichtigkeit sich zeigt. Nachdem er geschliffen ist, bricht er die Licht-
strahlen auf ausgezeichnete Weise und zeigt das lebhafteste Farbenspiel.
Dieser kostbarste aller Körper war schon im Alterthume nach seinen
Eigenschaften bekannt und in sehr hohem Preise. Im Durchschnitt kostet ein
brillantartig geschliffener, wasserheller Diamant von 1 Karat, d. i. '/7, Loth
gegen 56 Thaler, also 4733 Mal mehr, als das Silber, und über 300 Mal
mehr, als Gold.
Das Schleifen des rohen Diamants ist sehr mühsam und kostspielig; denn
da keiner der bis jetzt bekannten Stoffe auf ihn Eindrukk macht, so kann er
nur durch seinen eigenen Staub geschliffen werden; und die Hälfte des Gewichts,
das der rohe Stein hatte, geht dabei verloren. Ludwig von Berrptem in Flandern
erfand um das Jahr 1450 die Kunst des Schiebens.
268
Dic Diamanten finden sich hauptsächlich in Ostindien und Brasilien, wo sic
in verschiedenen Gebirgsarten, in aufgeschwemmtem Sande, oder in dem Gerölle
und im Sande mancher Bäche und Flüsse vorkommen. In Ostindien sollen
allein gegen 6000 Arbeiter in 23 Diamantengruben beschäftigt sein. In neuster
Zeit sind an der Westseite des Uralgcbirgcs und in dem goldhaltigen Sande des
Flusses Gumel in der Provinz Constantine Diamanten entdekkt worden.
Der grösste bekannte brasilianische Diamant wurde ,im Jahre 1798 im
Flusse Abaite gefunden; er wog 7 Quentchen. Der schöne, vollkommen wasser-
helle Diamant von Amsterdam, der um 1765 in Ostindien gesunden wurde, und
den die Kaiserin Catbarina II. im Jahre 1772 kaufte, wiegt 11 Quentchen und
ist 1700000 Thaler werth.
I) a 8 Salz.
Das Koch - oder Küchensalz ist ein unorganischer Körper. Fs löst sich
im Wasser sehr leicht auf und zerfliegst in feuchter Lust. In der Natur kommt
es entweder rein, in fester derber Masse oder aufgelöst im Quell - und Meer-
wasser vor. Von Farbe ist cs meistens weiss, etwas glänzend durchscheinend,
bisweilen durchsichtig, nicht sehr hart, aber mehr als 2 Mal so schwer, als
Wasser. Dieses Mineral wird überall reichlich in und auf der Erde gewonnen,
und zwar bergmännisch als Steinsalz, in Salzsiedereien aus Salzquellen als
Soolensalz, aus Meerwasser als Secsalz. In Hükksicht der Reinheit über-
trifft das Soolensalz die beiden andern Sorten. Deutschland ist sehr reich an
Quellen, welche Salz in ihrem Wasser aufgelöst enthalten. Die Quellen bei
Halle in der Provinz Sachsen sind die merkwürdigsten.
Man schöpft das Salzwasscr, welches Soole heisst, und dampft cs in
Pfannen ab, wobei sich das Salz in Krystallen ansetzt. Das Steinsalz findet sich
theils in Lagern, theils in Plötzen des mittleren und jüngeren Flötzgebirgcs. Es
bildet dann entweder sehr grosse, fast ganz reine Stiikke und Massen, die dann
ganz gewonnen werden, oder es ist mit Thon, Kohlen oder andern Bestand-
theilen gemengt, wie z. B. in den oberösterreichischen und salzburgischen
Salzwcrkcn. Man bedient sich dort eines sehr sinnreichen Verfahrens, um das
reine Salz zu gewinnen. In Höhlungen, die man in den salzhaltigen Stein
macht, wird süsses Wasser geleitet. Wenn das Wasser so viel Salztheile
aufgelöst hat, dass es gesättigt ist, so wird diq klare Auflösung oder Salzsoole
abgelassen, und dies wird so lange fortgesetzt, als das Gestein noch hinreichendes
Salz liefert. Dergleichen Räume heissen Sinkwerke.
Das reine Steinsalz ist ein sehr feststehendes Gestein. In Katalonien ist
ein 550 Fuss Isolier Steinsalzfels, welcher fast eine Stunde im Umfange hat und
der den Einwirkungen der Lust widersteht. Am bedeutendsten erscheint aber die
Stcinsalzmasse, welche bei Wieliczka und Bochnia in Galizien gefunden wird.
Das Salzbergwerk in Wieliczka ist seit 1253 in Betrieb und schliesst eine ganze
unterirdische Gemeinde mit Wohnungen für Menschen und Pferde in sieh. Seit
1337 ist auch eine in Salzstein gehauene Kirche zur Abhaltung des Gottes-
dienstes im Salzwerke. Kanzel, Altar und Sitze sind aus Steinsalz gehauen.
Ein Bach, der süsses Wasser hat, läuft durch’s Werk. Früher gewann man
das Salz bloss durch Herausbrechen und Sprengen. In neuerer Zeit wird aber
auch das Grubenwasser, das aus dem im Innern des Werkes enthaltenen,
mehrere hundert Fuss grossen See und andern Zugängen kommt, zur Salz-
gewinnung benutzt. In manchen Jahren liefert Wieliczka über eine Million
Ccntner Salz, und das vier Meilen östlich davon gelegene Bochnia gegen
300000 Ccntner.
Das Seesalz wird an den Küsten auf verschiedene Art gewonnen. In
-beißsen Ländern leitet man das Meerwasser in flache Gruben, und lässt cs
269
durch die Sonne verdunsten, wobei das Salz auf dem Boden zurükkblcibt. In
kalten Ländern lässt man das Meerwasser gefrieren, wobei die Salztheile nie mit im
Eise bleiben, sondern zu Boden sinken und den angefrorenen Theil des Wassers
noch mehr sättigen. Man wirst alsdann das Eis, welches nur reines, süsses
Wasser giebt, heraus und dampft den Bodensatz über Feuer ab. Das Seesalz
ist bitter.
Der Gebrauch des Salzes ist sehr mannigfaltig; am wichtigsten ist cs für
die Haushaltung. Ausserdem dient es zur Darstellung der Salzsäure, zur
Bereitung der Soda und des Glaubersalzes, in manchen Gegenden zum Düngen,
ferner bei der Glasbereitung, zur Glasur, bei Bereitung der Seife, in der
Medicin u. s. w.
——
Der Mensch.
Gott sprach: Lasset »u- Menschen machen, ein Bild, da- un- gleich sei, die da
licrrschen nder die Aische im Meere, nnd «der die Vögel »»ter dem Himmel, nnd
über da- Vieti, und über die ganze Erde, nnd üder alles Gewürme, das auf Erden
kriecht. 1. Mos. 1, 26. 27.
So ist denn die ganze schöne Erde niit allen ihren mannigfaltigen Steinen,
Erzen, Kräutern und Thieren für den Menschen zu einem Wohnsitz lind
großen, reiche» Vorrathshause ausgestattet. Selbst von den menschenähnlichen
Affen unterscheidet den Menschen äußerlich schon der zum Stehen geschiffte Fuß
und der ganze, bloß zum aufrechten Gange eingerichtete Bau des Körpers. Alle
schwarzen, rothen, gelben, groß, und kleinnastgcn, groß- und kleinäugigen Menschen
gehören doch nur zu einer Gattung, sind anS einem gemeinschaftlichen Stamme
entsprungen, dessen Zweige sich nach und nach über die ganze Erde ausgebreitet
haben ; denn dieses geht ans allen den Gründen hervor, welche die Gelehrten
sonst in der Natur für ein sicheres Zeichen halten, daß verschiede» aussehende
Thiere und Pflanzen von einerlei Stammart wären, so wie ans den gemein-
schaftlichen Sagen, Religionöbegriffen nnd Achnlichkciten der Sprachen bei vielen,
auch noch so weit von einander entfernten Völkern. Ohne die Sprache und das
verständige Wort, das er durch die Sprache vernimmt, wäre der Mensch doch nur
ein armes, rohes Thier; denn seine Natur neigt sich, wenn sie nicht einen geistigen
Antrieb von Innen bekommt, mehr zur thierischen Sinnlichkeit hin, als zu einem
höheren, geistigen Leben. Der Mensch muß auch nicht anfangs gleich wie ein
rohes Thier gewesen sein, wie das Manche gesagt haben; denn das, was wir
noch von Sprachen lind Sagen und Kunstwerken aus den allerältesten Zeiten
übrig haben, übertrifft an Geist und Vortrefflichkeit oft Alles, was wir jetzt in
der Art fertigen; und die jetzigen Leute würden keine egyptischen Pyramiden, keine
solchen Bildsäulen mehr machen können, wie die alten Griechen gemacht haben,
nicht einmal mehr einen Straßburger Münster bauen. Man sieht es auch alle.»
solchen alten Denkmälern an, daß damals, wo sie gemacht wurden, dem Menschen
die Religion das Beste, Höchste, Nächste gewesen, die jetzt leider so vielen Menschen
daS Letzte, Fernste geworden ist. Und darum haben die älteren Zeiten so viel
Vortreffliches geleistet, was wir jetzt nicht mehr leisten können. Denn der Mensch
kann alles Gute, daS er thut, nur durch Kraft der Religion thun, und ohne die
ist nirgends ein Segen und Gedeihen bei Etwas. Der Mensch kann auch nur
gut sei» und gut werden, wenn er Gottesfurcht hat; denn die Menschenfurcht
allein thut'S nicht. Und man möchte wohl meinen, wenn Einer auch nur dre
große Natur um sich her ansehe, so müßte er lernen Gott fürchten und verehren
und lieben. Aber es giebt doch ein Buch, was alles dieses noch viel besser lehrt,
als das Buch der Natur, die heilige Schrift. Ohne die möchte Zeder, der sie
recht kennt, gar nicht mehr aufder Welt sein. Ohne sie würden wir auch das große
270
schöne Buch der Natur, seine»! eigentliche» höchsten Inhalt nach, gar nicht ver-
stehen. Darum wäre eö wohl gut, wenn Jeder, der den ersten, bloß vorbildlichen
und vorbedeutenden Theil der Offenbarungen Gottes an den Menschen — daö
Buch der Natur, lieb gewonnen, dabei vor Allem auch Liebe und Interesse für
jene» zweiten, höheren Theil gewönne, welcher allein die Räthsel und das dunkle
Sehnen der Natur und des Menschenherzenö lösen und erfüllen kann.
Nach der Gestalt und Farbe, besonders aber nach der Schädelform, unter-
scheidet man den Menschen, der nach den wesentlichen Kennzeichen des Körpers
nur eine einzige Art ausmacht, iu 5 verschiedene Racen. Diese sind:
11 Die in o n g o l i sch e i)í a e e. Sie zeichnet sich durch eine kleine, gedrungene
Statur, meist übelgestaltete Beine, einen beinahe vierekkigen Kopf, flache Gesichter
mit eingedrüktter, oft kaum »och hervorstehender Nase, ein etwas hervorragendes
Kinn, abstehende Ohren, ein schwarzes, steifes und dünnes Haar, eine gelbliche
Hautfarbe, vorzüglich aber dadurch ans, daß die kleinen Augen außerordentlich
weit von einander stehen. Zu dieser Nace gehören viele Bölker des östlichen und
alle Einwohner des nördlichen Asiens, die Lappen und Finnen in Europa, die
Grönländer und Eskimos in Amerika.
2) Die äthiopische Nace. Diese zeigt uns einen hohen, wohlgcbil-
deten Körperwuchs; nur ist der Kopf an den Seiten etwas eingedrüktt, die Nase
aufgestülpt, die Lippen dikt und aufgeworfen, das Haar schwarz, kurz und wollig,
die Hautfarbe glänzend schwarz oder braun. Diese Race gehört in Afrika und
auf einigen Insel» der Südsee zu Hanse und hat sich nach dein Osten der neuen
Welt verbreitet.
3) Die malai-ische Nace. Sie ist im Ganzen wohlgebildet und kraft-
voll; nur ist der Schädel ebenfalls etwas schmal, die Nase dilk und breit, der
Mund groß, die obere Kinnlade etwas vorstehend, die Stirn hoch, die Hautfarbe
gelb oder braun. Aus ihr bestehen die Einwohner fast aller Inseln von Ostindien
und Australien.
4) Die amerikanische Race, gewöhnlich Indianer genannt, ist etwas
kleiner und schwächlicher gebaut, die SUn, niedrig, die Bakkenknochcn hervor-
stehend, die kleinen Augen tiefliegend, die Hautfarbe kupferfarbig. Alle Ureinwohner
Amerikas gehören zu dieser Race, die jedoch ihrem gänzlichen llntergange mit
Riesenschritten entgegengeht.
5) Die kaukasische Race, durch hohe» Wuchs, Ebenmaß aller Theile,
weiße oder gebräunte und zarte Gesichts- und Hautfarbe vor allen übrigen aus-
gezeichnet. Zu ihr gehören alle Einwohner Europas, mit Ausnahme der Lappen
und Finnen, die meisten Völker des vorderen oder westlichen Asiens bis an den
Ob und Ganges und des nördlichen Afrikas.
Sie ist die einzige Race, welche in allen Welttheilen und unter allen übrigen
Bölkerstänuuen sich angesiedelt hat, und erreicht die größte Schönheit unter allen
Menschen in den Tscherkessen des Kaukasus. Auch in geistiger Hinsicht behauptet
sie bei Weiten! den Vorrang vor den übrigen; alle wissenschaftliche und gesellige
Bildung findet sich nur bei ihr; die mongolische Race kann sich ihr, wegen der
Ehineseu und Japaner, jedoch nur dürftig, an die Seite stellen. So bildet sie
denn geographisch und geistig den Mittelpunkt und Gipfel deö Menschengeschlechts.
Die Zahl aller auf Erden lebenden Menschen ist natürlich nicht genau auS-
zumitteln; man nimmt etwa 1000 Millionen an; indessen könnten, bei einer
gleichen Vertheilung des Grundbesitzes und bei einer besseren Benutzung deö
Bodens leicht mehrmal so viel Menschen ihren Unterhalt finden. Dies gilt vor-
züglich für die übrigen Welttheile, welche in Vergleich mit Europa nur schwach
bevölkert sind. ,.
271
Von bett verschiedenen Völkern, welche den Erdboden bewohnen, giebt eö
einige, welche allein vom Fischfänge an den Küsten des Meereei, andere, welche
von der Jagd leben. Solche Völker pflegen die rohesten, die unwissendste»
sein, und sind eigentlich diejenigen, welche man Wilde nennt. Andere beschäf-
tigen sich allein mit der Viehzucht, und weil sie unmöglich lange an einem Orte
bleiben können, sondern mit ihren Heerden, ohne feste Wohnsitze, von einer Gegend
in die andere ziehen, wo sie frische Weide finde», so nennt man sie Nomaden
oder Hirtenvölker. Auch diese stehen, wenngleich auf einer höheren Stufe
der Bildung, als die ersteren, doch noch tief unter de» Alkerbau treibenden
Völkern. Von jenen bedient man sich, um die verschiedenen Stämine oder Völker-
schaften derselben zu bezeichnen, oft des Ansdrukks Horden. Der Akkerban, der
den Menschen zu einer festen Ansiedelung, zum Nachdenken und zur Vorsorge für
die Zukunft nöthigt, ist die Grundlage aller menschlichen Bildung. Nur bei den
Akkerban und Viehzucht zugleich treibenden Völkern finden wir Handwerke, Gewerbe
und Handel, mildere Sitten, feste Einrichtungen und Verfassungen, gesellige Bil-
dung und Wissenschaften und Künste. Solche Völker werden daher die gebil-
dete n oder c i v i l i si r t e n genannt.
Ein oder mehrere gebildete Völker, welche unter einer gemeinschaftlichen
Regierung, unter gleichen Gesetzen leben, und meistens gemeinschaftliche Sitten
und die nämliche Sprache habe», bilden einen Staat, der »ach seinem Umfange
oder der Beschaffenheit seiner Einrichtungen ei» Kaiserthum, ei» König-
r eich, ein H e r zogt h u »i, ein Frei st a a t u. s. w. genannt wird.
Ist die Regierung des Staates in den Hände» eines Einzigen, so ist sie
monarchisch, und zwar entweder erblich, wenn der nächste natürliche Erbe
auch der Thronfolger ist; oder dieser Nachfolger wird jedesmal gewählt; dann
heißt der Staat ein Wahl reich. Ist der Wille des Monarchen daS höchste
Gesetz und an kein früheres Gesetz gebunden, so wird er Despot genannt. Der
unumschränkte Monarch ist zwar auch der einzige Gesetzgeber in seinem
Staate; aber sein Wille ist doch durch alte bestehende Gesetze und Herkomine»
gemildert und beschränkt. Eine beschränkte oder gemäßigte Monarchie ist
die, wo die Einwilligung einer Versammlung von Volksvertretern oder Abge-
ordneten zur Abfassung der Gesetze und jeder wichtigen Einrichtung nothwendig
ist. Eine andere Form der Monarchie ist die, wo der Monarch bei wichtigen
Maßregeln der Gesetzgebung erbliche und erwählte Abgeordnete deö Volks, die
Stände, zu Rathe zieht; dies nennt man die ständische Verfassung. — Ist die
höchste Gewalt in einem Staate in den Händen Mehrerer, so ist die Verfassung
republikanisch, und der Staat heißt Republik oder Freistaat. Haben
nur gewisse Familie» Antheil an der Regierung, so ist der Ssaat eine Aristo-
kratie, wo die Vornehmeren, oder eine Oligarchie, Ivo Wenige oder eine
gewisse Partei herrscht; uimnit das ganze Volk unmittelbar Theil an der Regie-
rung, so entsteht die Demokratie oder Volksherrschaft; nicht zu verwechseln
mit der Ochlokratie, wo der Pöbel die Gewalt an sich gerissen, was immer
nur ein gewaltsamer, vorübergehender Zustand sein kann: denn wo rohe Kräfte
sinnlos walte», da kann sich kein Gebild gestalten.
In ihrem Verhältniß zur Regierung heißen die Einwohner eines Staates
Unterthanen. Sie sind frei, wenn sie nur den allgemeinen Landesgesetzen
gehorchen, Sklaven, wenn sie einem Menschen als sein Eigenthum angehören,
der selbst über ihre Freiheit, ja zuweilen über Leben nach Willkür verfügen kann.
Sie sind Leibeigene oder hörige Leute, wenn sie nur zu gewissen Diensten
einem Herrn verpflichtet sind, übrigens aber den Schutz der LandeSgcsetze genießen.
In manchen Staaten sind alle Einwohner freie Leute und werden als solche auch
Bürger genannt. In anderen giebt es Freie und Leibeigene, oder Freie und
Sklaven.
272
Die verschiedenen Ansiedelungen der Menschen in einem Staate heißen:
einzelne Häuser, Höfe, Vorwerke und Meiereien; Weiler und
Dörfer, wenn die Häuserzahl schon bedeutender; Flekken und Marktflekken,
wenn in solchen Orten schon Gewerbe und Handel getrieben wird; Städte
endlich nannte man sonst nur größere, mit Mauern umgebene Orte; jetzt kommt
aber nur dabei die Größe und Mannigfaltigkeit der Gewerbe in Betracht. Ist
der Ort mit Wällen, Gräben u. s. w. umgeben, um den Feinden das Eindringen
zu erschweren, so heißt er eine Festung. Die Städte, worin der Sitz der Regie-
rung oder der höchsten Behörde einer Provinz ist, heißen Hauptstädte, und
diejenigen, wo der Landesfürst wohnt, Residenzstädte.
Der Mensch in Kälte nnd Hitze.
Der Mensch kann nichts Nützlicheres und Besseres kennen lernen, als sich
selbst und seine Natur; und Mancher, der bei unö an einem heißen Sommertage
fast verschmachten will, oder im kalten Jenner sich nicht getraut, vom warmen
Ofen wegzugehen, wird kaum glauben können, was ich sagen werde; und doch
ist eö wahr.
Bekanntlich ist die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters nicht
in allen Gegenden der Erde gleich; auch kommen sie nicht an allen Orten zu
gleicher Zeit und sind nicht von gleicher Dauer. Es giebt Gegenden, wo der
Winter den größten Theil des ganzen Jahres Herr und Meister ist und entsetzlich
streng regiert, wo das Wasser in den Seen 10 Schuh tief gefriert, und die Erde
selbst int Sommer nicht ganz, sondern nur einige Schuh tief aufthaut, weil dort
die Sonne etliche Monate lang gar nicht mehr geschienen hat und ihre Strahlen
auch im Sommer nur schief über de» Boden Hingleiten.
Und wiederum giebt es andere Gegenden, wo man gar Nichts von Schnee
und Eis und Winter weiß, wo aber auch das Gefühl der höchsten Sommerhitze
fast unerträglich sein muß — zumal wo eö tief im Lande an Gebirgen und großen
Flüssen fehlt — weil dort die Sonne den Einwohnern gerade über den Köpfen steht
und ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die Erde hinabwirft. Es muß daher
an beiderlei Orten auch noch manches anders sein, als bei uns, und doch leben
und wohnen Menschen, wie wir sind, da und dort. Keine einzige Art von Thieren
hat sich von selber so weit über die Erde ausgebreitet, als der Mensch. Die
kalten und die heißen Gegenden haben ihre eigenen Thiere, die ihren Wohnort
freiwillig nie verlassen. Nur sehr wenige, die der Mensch mitgenommen hat,
sind im Stande, die größte Hitze in der einen Weltgegend und die grimmigste
Kälte in der andern auszuhalten. Auch diese leiden sehr dabei, und die andern
verschmachten oder erfrieren, oder sie verhungern, weil sie ihre Nahrung nicht
finden. Auch die Pflanzen und die stärksten Bäume kommen nicht auf der ganzen
Erde fort; sondern sie bleiben in der Gegend, für welche sie geschaffen sind, und
selbst die Tanne und die Eiche verwandeln sich in den kältesten Ländern in ein
niedriges Gesträuch und Gestrüppe, wie wir dies auf unseren hohen, kahlen und
kalten Bergen auch bisweilen wahrnehmen. Aber der Mensch hat sich überall
ausgebreitet, wo nur ein lebendiges Wesen fortkommen kann, ist überall daheim,
liebt in den heißesten und kältesten Gegenden sein Vaterland und die Heimath,
in der er geboren ist; und wenn ihr einen Wilden, wie man sie nennt, in eine
mildere und schönere Gegend bringt, so mag er dort nickt leben und nicht glükk-
lich sein. So ist der Mensch. Seine Natur richtet sich allmählig und immer
mehr nach der Gegend, in welcher er lebt, und er weiß wieder durch seine Ver-
nunft seinen Aufenthalt einzurichten und so bequem und angenehm zu machen,
als es möglich ist. Das muß der Schöpfer gemeint haben, als er über das
menschliche Geschlecht seinen Segen aussprach: „Seid fruchtbar und mehret euch,
und erfüllet die Erde, und machet sie euch Unterthan."
273
Ich will jetzt einige Beispiele anführen, was für hohe Kalte und Hitze die
Menschen aushalten können.
Zu JenifeikS in Sibirien trat einst im Jenner 1735 eine solche Kalte ein,
daß die Sperlinge und andere Vögel todt aus der Luft herabfielen, und Alles,
was in der Luft gefrieren konnte, wurde zu Eis; und doch leben Menschen dort.
Zu Kraßnaiarsk, ebenfalls in Sibirien, wurde im Jahre 1772 den 7. Decbr.
die Kälte so heftig, daß eine Schale voll Queklsilber, welches man in die freie
Luft setzte, in ein festes Metall zusammenfror. Man konnte es wie Blei biegen
und hämmern; und doch hielten es Menschen aus.
Tine ähnliche Kälte erlitten einst die Engländer an der HudsonSbay. Da
fror ihnen, selbst in den geheizten Stuben, der Branntwein in Tis zusammen.
In den langen, dunkelen Winterabenden erleuchtete man die Stuben mit glühenden
Kanonenkugeln, und die starke Ofenhitze daneben konnte doch nicht hindern, daß
nicht die Wände und Betten mit Eis und Duft überzogen wurden.
Was für Hitze hingegen die nämliche Menschennatur aushalten kann, daö
sehen wir schon an unsern Feucrarbeitcr», z. B. in Glashütten, Eisenschmelzen,
Hammerschmieden, wo die Leute sich durch schwere Arbeit noch inehr erhitzen
müssen.
In heißen Gegenden weht bisweilen auf einmal ein so trokkener und heißer
Wind von den Sandwüsten her, daß die Blätter an den Bäumen, wo er durch-
zieht, augcnblikklich versengt werden und abdorre». Menschen, die alsdann tut
Freien sind, müssen sich freilich ohne Verzug mit dem Gesichte auf die Erde
niederlegen, damit sie nicht erstikten. Selbst in geschloffenen Zimmern kann man
sich vor Mattigkeit fast nicht mehr bewegen. Aber gleichwohl übersteht man es,
wenn man vorsichtig ist und Erfahrungen benutzt.
Wenn man so etwas liest oder hört, so lernt man doch zufrieden sein daheim,
wenn sonst schon nicht Alles ist, wie man gern möchte.
Der Taubstumme.
Eine der schönsten Gaben, die Gott uns Menschen verliehen hat, ist die
Rede; denn durch sie können wir Alles auSdrükken, waö wir denken, wollen und
fühlen. Ihr merkt es wohl selbst, daß eure Gedanken euch erst dann recht klar werden,
wenn ihr sie in bestimmten Worten aussprecht; und welch eine Qual müßte eö
für euch sein, wenn ihr einen Wunsch hättet, und könntet euch Niemandem mit-
theilen, und einen rechten Schmerz in der Seele, und könntet ihn gegen Niemand
aussprechen!
ES giebt aber Menschen genug, denen die Gabe der Rede versagt ist; das
sind die Taubstummen. Ihr habt wohl noch nie recht darüber nachgedacht,
welche Bewandniß es mit dem Stummsein hat. Es giebt Unglückliche, denen es
am Verstände fehlt, und die darum weder denken, noch reden können; es giebt
auch solche, denen die Zunge gelähmt ist, und die deshalb nur undeutliche Töne her-
vorbringen. Diese meinen wir aber nicht, wenn wir von taubstummen Menschen
reden. Das eigentliche Uebel deö Taubstummen ist der Mangel des Gehörs;
wer nicht hört, und daher nie die menschliche Sprache vernimmt, der lernt auch
niemals sprechen, und wer in früher Jugend das Gehör verliert, der verlernt
allmähliy die Sprache und wird taubstumm, d. h. stumm oder sprachlos in
Folge seiner Taubheit.
Nun muß aber Niemand meinen, der Taubstumme sei nur ein halber Mensch,
oder eö fehle ihm Verstand und menschliche Empfindung. Es giebt Taubstumme,
die eben so scharf denken, eben so tief fühlen und eben so stark begehren, wie
irgend ein Vollsinniger, und eö sieht ja Jeder, wie sie durch Geberde» und Laute
Alles auözudrükken suchen, was in ihrer Seele vorgeht. Eö ist noch gar nicht
274
lange her, daß man angefangen hat, Taubstumme zu unterrichten. Aber wenn
eS schon schwer ist, ein hörendes Kind zu unterrichten, so ist eS bei einem Taub-
stummen noch viel schwerer, und erfordert eine Geduld, wie sie nur wenige»
Menschen eigen ist.
Wie fängt man eS aber an, eine» Taubstummen zu unterrichten, da er doch
nicht hört, was sein Lehrmeister sagt? — Der Taubstumme sieht, waS der
Lehrer spricht. Spricht der Lehrer daö Wort Brot recht deutlich aus, so sieht
der Taubstumme,,wie zuerst bei dem B die Lippen sich schließen, wie bei dem r
die Zungenspitze in eine zitternde Bewegung gerätst, wie bei dem o der Mund
sich rundet, und wie bei dem t die Zunge sich zuerst an die Oberzähne legt und
dann der Hauch plötzlich zum Munde hinausstößt. Zeigt der Lehrer nun dem
Taubstummen die genannte Sache, hier z. B. das Brot, so begreift er, waS die
Bewegung seiner Sprachwcrkzcugc zu bedeuten hat.
Nu» hat jeglicher Mensch einen Trieb, daö nachzuahmen, WaS er von anderen
sieht, lind so lernt auch der Taubstumme das Wort nachsprechen, und hat eine
herzliche Freude, wenn er merkt, daß er verstanden wird. Wenn der Taubstumme
einen gcschikkteu Lehrer findet und recht aufmerksam ist, so bringt er. eS bald
dahin, daß er ein Buch lesen und verstehen, seine Gedanken ordentlich nieder-
schreiben und mit Hörenden reden kann, so viel als die Rothdurft erfordert.
Der Taubstumme, der gar keinen Unterricht genießt, bleibt mehrenthcils roh,
besonders wenn man ihm keine Beschäftigung giebt, sondern ihn wie ein Thier
umherlaufen läßt, oder ihn gar durch Spott und Nekkereien zum Zorn reizt.
Das ist aber eine schwere Versündigung, die der Herr nicht ungestraft läßt. Denn
also spricht der Herr zu Mose (2 Mose 4, 11.): Wer hat dem Menschen den
Mund geschaffen,. oder wer hat den Stummen oder Tauben oder Sehenden oder
Blinden gemacht? Habe ich cs nicht gethan, der Herr? Und also gebot der Herr-
in seinem Gesetze, das er durch Mose gegeben hat: Du sollst dem Tauben nicht
fluchen; du sollst vor den Blinde» keinen Anstoß setzen; denn du sollst dich vor
deinem Gott fürchten; denn ich bin der Herr!
Der Mensch, ein Kind der Barmherzigkeit Gottes.
Als der Allmächtige den Menschen erschaffen wollte, versammelte er rath-
schlagend die obersten Engel um sich. — Erschaffe ihn nicht! so sprach der Engel
der Gerechtigkeit; er wird unbillig gegen seine Brüder sein, und hart und
grausam gegen de» Schwächeren handeln. - Erschaffe ihn nicht! so sprach der
Engel des Friedens. Er wird die Erde düngen mit Menschcublut; der Erst-
geborene seines Geschlechts wird seinen Bruder morden. — Dein Hciligthum wird
er mit Lügen entweihen — so sprach der Engel der Wahrheit — und ob du
ihm dein Bildniß selbst, der Treue Siegel, auf sein Antlitz prägtest. —
Noch sprachen sic, als die Barmherzigkeit, des ewigen Vaters jüngstes,
liebstes Kind, zu seinem Throne trat und seine Kniee umfaßte. — Bild' ihn —
sprach sie — Vater, zu deinem Bilde selbst, ein Liebling deiner Güte. Wenn alle
deine Diener ihn verlassen, will ich ihn suchen und ihm liebend beistcheu, und
mittelst seiner Fehler selbst ihn zum Guten lenken. Des Schwachen Herz will
ich mitleidig machen und zum Erbarmen gegen Schwächere neigen. Wenn er
vom Frieden und der Wahrheit irret, wenn er Gerechtigkeit und Billigkeit belei-
digt, so sollen selbst die Folgen seines Irrthums mit dazu dienen, daß er sich
bessere.
Der Vater erschuf den Menschen, ein Geschöpf, das fehlen konnte und fallen,—
gefallen ist, doch aber ein Zögling seiner Güte, ein Sohn der Barmherzigkeit
geblieben ist, die nimmer ihn verlassen hat.
275
Erinnere dich deines Ursprungs, Mensch, wenn du hart und unbillig bist.
Von allen Gottes-Eigenschaften hat Barmherzigkeit zum Leben dich erwählt,
so wie Grbarmung nur und Liebe dir die mütterliche Brust gereicht haben.
Australien
oder Südindien liegt südöstlich von Asien und besieht aus der großen Insel Neu-
Holland und aus einer Menge Inselgruppen. Die Entdckknng dieser weit von
einander zerstreut liegenden Länder hat zu sehr verschiedenen Zeiten statt gefunden.
Der erste Europäer, welcher cS wagte, den großen Ocean zu durchschiffen, war
der kühne Portugiese Ferdinand MagclhacnS. Er entdckktc 1520 die Ladconen
und dann die Philippinen, wo er in einem Gefechte mit den Eingeborenen blieb.
Andere Inseln wurden von Spaniern und Holländer» entdckkt. Zur allgemeinen
Kenntniß wurde der größte Theil dieser Gegenden aber erst durch die drei Reisen
Eook's gebracht. Aus der ersten Reise 1770 bestimmte er die Ostküste Neu-
HvllandS näher und entdekkte Neu-Seeland. Auf der zweiten, 1772, fand er die
neuen Hebriden und Neu-Ealedvnia, und auf der dritten, 1777, wurden die Sand-
wich-Inseln cntdeklt. Seitdem haben sich noch große Verdienste um die Entdek-
kuiig vieler Inseln La Perouse, Krusenstcrn, Kotzebne, King, d'Arvillc u. in. A.
erworben.
Australiens zerstreute Länder liegen meistens zwischen den Wendekreisen; aber
dennoch ist die Hitze wegen der uurgebende» Wasserfälle gemäßigter, als anderwärts.
Ans Neu-Holland sind von den Europäern verschiedene Ansiedelungen gegrün-
det worden, besonders an der Südost- und Südwest-Küste. Ansehnlich und im
Zunehmen begriffen sind besonders die Eolonien am Schlvanenfluffe, wo sich auch
viele Deutsche niedergelassen haben.
Südlich von Neu-Holland und durch die Baßstraße davon getrennt, liegt die
bedeutende Insel Ban-D imen's-Land oder Ta ömania, an deren Nord-
küste sich viel Eisen findet; auch Kupfer und Steinkohlen hat man cntdeklt.
Oestlich von dieser Insel liegt Neu-Seeland, welches aus zwei größeren, durch
die Cook's-Straße getrennten Inseln besteht.
Jur Norden von Neu-Holland und durch die Torres-Straße davon getrennt,
liegt die große Insel Neu-Guinea. Nördlich schließt sich hieran die beträcht-
liche Inselgruppe Neu-Britannien und Neu-Zrland; westlich davon
liegen die Admiralitäts-Inseln u. a. — Andere wichtige Inselgruppen sind
die Neuen Hebriden und die große Insel Neu-Caledonia, die Fidschi-
Inseln, die Freundschafts-, Schiffer-, Gesellschafts-Inseln;
hierzu gehört die große Insel Tahiti oder Otaheiti. Nördlich vom Aequator
liegen die Sandwich-Insel», davon die wichtigste Owaihi ist, wo Cook
erschlagen wurde. Südwestlich von dieser Inselgruppe liegt der Mulgrave-
Archipel, und westlich davon sind die Carolinen.
Aus einer Reise nach Australien.
Mir klopfte daö Herz gewaltig, als ich das langersehnte Australien betrat.
Wohin sollte ich die Blikke wenden? Was zuerst begrüßen? Was bewundern?
Ich sahe Nichts vor lauter Entzükken; ich fühlte nur die blaue Blendung des
heitern Himmels in meinen Augen und Frühlingswärme um mich her. Jetzt
war Herbst in England. Die Bäume hatten ihre Früchte getragen, das Feld
seine Aehren; dort hing nun Reif um die Berge, Nebel in den Gründen; Spinnen
hatten ihr unabsehlicheö Gewebe über die Fluren und Anger gesponnen, und
Thau hing daran und stimmerte. Hier aber kam ich in eines anderen Meisters
276
Werkstatt, der eben Frühling machte, und doch war es derselbe Meister. Die
Theemyrthe grünte, die Sprossentanne blühte; junger Mais, selbst junger Lein,
neuseeländischer Flachs war schon so hoch, daß die Lüfte ihn bewegen konnten.
Mit leichter Täuschung wähnte ich, hier sei cs ewig Frühling. Wie wuchsen
die Kohlbäume, Papierbäume, Ceder» und Pisang, wohin der Mensch sic nur
gepflanzt hatte, so mächtig! Einige Verbannte, die wir auf dem Schiffe hatten,
wurden hier in der Pflanzstadt Sidney, an den Ort ihrer Bestimmung, abge-
liefert. Nicht leicht möchte eine schwerere Aufgabe zu ersinne» sein, als die war,
welche der hiesige Gouverneur, Arthur Philipp, zu lösen hatte: aus nicht
weniger, als 778 Verbrechern, dem Auswürfe Englands, gehorsame und brauchbare
Menschen zu machen. Im Jahre 1788 wurde der Anfang zur Gründung dieser
wunderbaren Kolonie gemacht, und im Jahre 1821 zählte man 50,000 Europäer
in dieser neuen, wie durch einen Zauber kultivirten Welt. Die Ansiedler fanden
hier einen fruchtbaren Boden, in welchem Pomeranzen, Feigen, Weinstökke und
Obstbäume trefflich gedeihen, und einen überaus milden Himmelsstrich; eine üppige
und zultt Theil prachtvolle Pflanzenwelt; Geflügel in der größten Mannigfaltig-
keit, darunter den Kasuar; von Säugethieren nur wenig Arten, darunter das
Schnabelthier, das Känguruh, mit kürzen Grabe- und langen Springfüßen.
Der Handel hat besonders durch die einsichtsvolle Verwaltung des Gouver-
neurs Macguari» bedeutend gewonnen, welcher zuerst Fabriken anlegte und
zugleich durch Einrichtung guter Schulen für die geistige Bildung sorgte. In
diesen Schulen werde» auch Künstler und Handwerker gebildet. Schon hat eine
ziemlich lebhafte Ausfuhr eigner Produkte nach China und beiden Indien ange-
fangen, und der immer mehr aufblühende Handel hat bereits manche ehrliche
Bürgerfamilie nach Sidney geführt, und auch ans den Sträflingen sind zum
Theil achtbare Bürger hervorgegangen.
Als wir auf der Themis eingestiegen waren, und der Anker bereits unter
dem taktmäßigen Geheul der Matrosen zur Rükkreise aufgezogen war, da kniete
im Sande des Ufers rin alter Mann mit ehrwürdigem, grauem Haupte, dem man
es nicht ansah, daß er zu denen gehöre, die ihre VerbannnngSzeit überstanden
haben; denn feine Gesichtszüge waren angenehm und milde. „Ich habe Nichts
verdienen können; ich war fast immer krank," rief er mit einer höchst bewegten
Stimme; „ich kann mir England nicht erkaufen und möchte doch so gern Weib
und Kinder noch einmal sehen in dieser Welt; um GotteSwillen, nehmt mich
mit!" Aller Augen waren mit Theilnahme auf den Alten gerichtet, und cS ent-
stand eine erwartungsvolle Stille. Da stekkte ihm mein edler Wirth eine Banknote
in die zitternde Hand; aber in seiner Herzensangst bemerkte er es nicht sogleich.
Endlich fiel sein Blikk auf die gefüllte Hand, und er sprang auf, um nach dem
Schiffe hinzueilen, und machte mit einsinkenden Knieen immer kürzere Schritte,
bis er lang hinfiel und nicht wieder aufstand, auch keinen Laut mehr von sich
gab. So blieb er auch, alö man ihn umwandte; denn die Freude hatte ihn
getödtct. Er hielt noch immer die Banknote in seiner Hand. Ein dabei stehender
Geistlicher segnete ihn ein, bei dessen feierlichen Worten wir Alle weinen mußten;
dann nahm er niit Thränen das Blättchen aus der Hand, gab eö dem edlen
Manne zurükk, der dem Greise Erdenseligkeit hatte erkaufe» wollen, und sprach:
„Der Himmel wird euch lohnen; denn dahin habt ihr ihm die Neberfahrt bezahlt.
Er ist im Vaterlande. Betrübt euch nicht, daß das Werk der Barmherzigkeit
nicht gelungen ist; es ist doch Freude im Himmel darüber! Wir Menschen wissen
nicht, was wir ernten, nur was wir säen; nicht, was wir thun, nur wie wir
thun." —
Der edle Geber nahm die Banknote, legte noch eine dazu und übergab sie
277
dem Kapital« für Weib und Kinder des Entschlafenen, der, auf dem Rükken
liegend, so unbeschreiblich in den Himmel hinauflächelte, als lachten ihn sein Weib
und alle seine Kinder an, ja selbst der Vater oben und die stille Sonne.
Amerika.
Amerika durchzieht die westliche Halbkugel vom höchsten Norden bis hinab in
den südlichen Polarkreis. Ringsum vom Meere umgeben, bildet eö eine große
Insel, die aus zwei, durch die Landenge Panama verbundenen Halbinseln, Nord-
und Südamerika besteht. Wo sich das Meer zwischen diesen beiden Halbinseln
eingebuchtet hat, finden sich Inselgruppen, Westindien, welche den Golf
von Meriko und das caraibiscbe Meer vom atlantischen Meere trennen.
Der ganze Flächenraum Amerikas wird über 700,000 QMcilen geschätzt.
Das Gebirge CordilleraS de las AndeS durchzieht Nord- und Südamerika
und hat zwei der höchsten Berge der Erde, nämlich den Akonkagua 21,707',
und den Chimborazo 20,007' hoch. Da das Gebirge immer in der Nähe
der Westküste bleibt, so bildet sie eine weite östliche Abdachung, durch welche die
größten Ströme der Erde ihren Lauf nehmen. Zu merken sind: der Lorenzo,
als Ausfluß der fünf Seen: Ober-, Michigan-, Huron-, Erie- und Ontariosee,
welche 4000 QM. überdekken. Zwischen Erie- und Ontariosee ist der 104' hohe
Niagarafall. Der Missisip pi mit. den» Missuri und Ohio; — der Ori-
ll o k k o, der Marannon oder Amazonen-Strom, gegen 1000 Meilen lang,
theilweise 8 Meilen, bei der Mündung sogar 40 Meilen breit. Mehrere seiner
Nebenflüsse sind so groß, als die Donau.
Im Allgemeinen ist das Klima der neuen Welt kälter, als in den unter-
gleichen Graden liegenden Ländern der alten Welt. Fast alle unsere Hausthiere,
viele europäische Gewächse sind erst von Europa nach Amerika verpflanzt worden.
Die Amphibien sind sehr zahlreich ; besonders giebt cs viele Arten Schlangen; arrch
ist der Alligator, das amerikanische Krokodil, sehr häufig. An Mineralien der
edelsten Art ist Amerika einer der reichsten Welttheilc. ES finden sich Diamanten
und Smaragde; Gold giebt eö in großer Menge; seit der neusten Zeit wird
besonverS viel in Californien gegraben. An Stein - «»^Braunkohlen, Schwefel
und Salz ist ebenfalls kein Mangel.
Die ersten Bewohner hat Amerika wahrscheinlich yuö dem nördlichen Asien,
über die 5 Meilen breite Behringsftraße, erhalten; dafür spricht die Aehnlichkeit
der Bewohner Amerikas mit den Bewohnern deö nördlichen Asiens. Am deut-
lichsten tritt diese Aehnlichkeit an den Eskimos hervor. Die übrigen Einwohner
Amerikas werden gewöhnlich Indianer genannt. Sie sind von zimmctbrauncr
Farbe und haben unglaublich scharfe Sinne. Einen bedeutenden Theil der Bevöl-
kerung machen die Neger aus. Ehemals wurden jährlich über 100,000 einge-
führt; besonders sind sie zahlreich in Westindien. Seit der Entdekkung dieses
Erdtheils sind schon gegen 24 Millionen Europäer eingewandert, so daß sich die
Gesammtzahl der Einwohner wohl über 50 Millionen beläuft.
Die einzelnen Theile Amerikas sind: I. In Nordamerika: Grönland mit
den Nord Po larländern, die brittifchen Besitzungen mit Labrador,
Kanada u. s. w., die russischen Besitzungen, die Freistaaten Meriko
und Guatimala. II. In Südamerika: Columbia, Peru, Bolivia,
Chili, Guyana, Brasilien, Uruguay, Paraguay, La Plata, Pata-
gonien und Feu er land. III. Westindien: Die großen Antillen mit
Cuba, Jamaika, Haiti, Portoriko; die kleinen Antillen; die Bahama-
oder Lukaischen Inseln.
10
278
Die Entdekkmlg von Amerika.
V Christoph Kolombo, gewöhnlich Kolumbus genannt, war der Sohn eines
Seemannes in einer Vorstadt von Genna, und gab schon früh Proben seines
außerordentlichen Muthes. Einst rüstete einer seiner Verwandten mehrere Schiffe
atis, um gegen die Muhamedaner und Venetianer zu kreuzen. Der junge Kolum-
bus nahm Theil an diesem Zuge. Hier gerietst in einem hitzigen Gefecht sein
Schiff in Brand, und beherzt stürzte er sich inö Meer und erreichte durch Schwim-
men, nach unsäglicher Anstrengung, glükklich daö Land.
Um sich von Allem, was ein Seefahrer wissen muß, zu unterrichten, begab
er sich nach Portugal, welches damals durch feine Unternehmungen auf der See
die Augen von ganz Europa auf sich zog, — und hier kam er auf Betrachtungen,
welche die Entdekkung von Amerika zur Folge hatten. „Wie?" sagte er, „sollte
denn die ganze westliche Hälfte der Erdkugel mit Wasser bedekkt sein?" „Nein."
— meinte er weiter, — „daö viel gepriesene Indien erstreikt sich viel weiter nach
Osten, als man gewöhnlich annimmt, oder es liegt noch sonst ein großes Land in
dem unermeßlichen Meere. Hat doch der Sturm von Westen her oft künstlich
bearbeitetes Holz und sogar Leichname von besonderer Bildung an die azvrischen
Inseln getrieben! Woher sollte dies Alles kommen, als von einem Lande, das
von Europa aus gegen Westen liegt. — Also nur frisch gegen Westen gesegelt!
Wer nur Schiffe hätte, die lauge Fahrt zu unternehmen!" —
In seinem Vaterlande Genua wies man ihn mit seinem Vorschlage als
einen Schwindler ab. In Portugal horchte man ihn aus und versuchte die Ent-
dekkungöreise auf eigene Hand, aber ohne Erfolg. In Spanien endlich fand er,
was er wünschte; aber auch hier erst nach langem Zögern. In Spanien bestanden
zu jener Zeit zwei Königreiche, Kastilien, über welches Jfabella, und Ara-
gon ien, über welches deren Gemahl, Ferdinand der Katholische, herrschte. Der
vereinigten Macht der beiden Herrscher war eS endlich gelungen, Granada, das
letzte maurische Reich in Spanien, zu besiegen, und in der Freude über diesen
Zuwachs ihrer Macht bewilligten sie unserm Kolumbus drei kleine Schiffe, mit
denen er am 3. August 1492 unter Segel ging. Anfangs war alles fröhlich und
gutes Muthes; aber mit jedem Tage der laugen Fahrt minderte sich die Hoff-
nung und wuchs die Ungeduld der Matrosen, obgleich ihnen Kolumbus klüglich
verschwieg, wie groß die Zahl der zurükkgelegten Meilen sei. Dazu raubten
mancherlei seltsame Erscheinungen ihnen vollends de» Muth und erfüllten sie mit
banger Furcht.
Daö Meer fing nämlich an, einer Wiese zu gleichen; die ganze Oberfläche
war so dicht mit Graö bewachsen, daß die Schiffe fast im Laufe aufgehalten
wurden. Nich/s schien ihnen gewisser, als daß Kolumbus sie einem unvermeid-
lichen Untergänge entgegen führe. Sie machten ihm die bittersten Vorwürfe und
drohten, ihn über Bord zu werfen, wenn er nicht umkehre. Kolumbus besänftigte
sie durch sein ruhiges und heiteres Vertraue», so daß sie endlich ihm erklärten,
noch drei Tage wollten sie sich seinen tollkühnen Plänen fügen.
Unterdessen zeigten sich Vorboten deö Landes: die Tiefe des Meeres nahm ab,
Rohr und Baumäste schwammen auf sie zu und Landvögel flogen auf die Masten.
Die Sonne war eben untergegangen. N»ch ^ man Nichts. Aber Kolumbus
ließ die Segel einwikkeln, um nicht etwa bei Nacht auf Klippen zu stoßen.
Gegen Mitternacht, — es war den 11. Oktober, — sah man ein Licht,
und plötzlich erscholl von dem Mastkorbe herab der freudige Ruf: „Land! Land!"
und Thränen der Freude stürzten Allen anS den Augen. Fußfällig baten sie jetzt
Kolumbus um Verzeihung. Mit ungeduldiger Sehnsucht erwarteten sie den an-
brechenden Tag. Und siche! da lag vor ihren staunenden Blikken ein lieblich
grünendes ^Eiland, vom Glanz der Morgensonne erhellt. Mit rauschender Musik
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und fliegenden Fahnen ruderten sie dem Eilande zu, dem sie den Namen St.
Salvador beilegten. Mit einer Fahne in der einen Hand, mit einem Degen
in der andern, sprang Kolumbus zuerst anö Land unter die erstaunten Insulaner,
die sich am Ufer gesammelt und nie solche Menschen, solche Schiffe gesehen hatten.
Sie zeigten durch ihre Geberdcn, daß sie die Spanier für höhere, vom Himmel
gekommene Wesen hielten. Sie selbst erregten bei den Spaniern nicht geringes
Erstaunen. Sie waren ganz nakkt und trugen zur Zierde Goldbleche in Nase
und Ohren. Die Spanier gaben den Wilden Scherben, Glaskorallen, Nadeln,
und andere blinkende Kleinigkeiten, und erhielten dafür Gold in Menge zurükk.
Zugleich zeigten die Insulaner, als sie die sonderbaren Gäste so begierig nach
Gold greifen sahen, nach Süden hin. Hiehin richtete Kolumbus deshalb seinen
Lauf und entdekkte die Insel Kuba. Auch hier waren die Einwohner ganz nakkt
und standen wie versteinert beim Anblikke der fremden Menschen und ihrer Schiffe-.
Als man ihnen Goldbleche entgegen hielt, schrieen sie: „Hahti!" und zeigten
nach Osten hin. Kolumbus folgte diesem Winke und entdekkte die Insel Hahti,
die er, weil sie einige Aehnlichkeit mit Spanien zu haben schien, Hiöpanivla,
d. i. Klein-Spanien, nannte. Jetzt heißt sie St. Domingo. Anfangs
flohen die nakkten Einwohner schüchtern davon; allmälhig aber wurden sie zutrau-
licher und brachten mit großer Ehrfurcht Fische, Papageien, Früchte und Wurzeln
herbei. —
Da eins seiner Schiffe gescheitert war und das dritte sich von ihm getrennt
hatte, so beschloß Kolumbus, seine EntdckkungSreise für jetzt nicht fortzusetzen,
sondern nach Spanien zurükkzukehren und die Nachricht von dein Erfolge seiner
Bemühungen selbst dahin zu bringen. Nachdem er die Trümmer des geschei-
terten Schiffes zur Erbauung eines kleinen hölzernen Fahrzeuges angewandt und
eine Besatzung von 30 Freiwilligen darin zurükkgelaffen hatte, trat er tut Januar
1493 die Nükkreise an, und vereinigte sich, wider Erwarten, schon am folgenden
Tage mit dem verloren geglaubten Schiffe. Ein schrekklicher Sturm überfiel beide
Schiffe auf der Fahrt und brachte sie dem Untergange nahe. Kolumbus war
während dieser Zeit weniger mit seiner Nettung, als mit der Erhaltung seiner
Entdekknng beschäftigt, verzeichnete dieselbe auf einer Pergamentrolle, die er, in
einem Fasse wohlverwahrt, dem Meere übergab, in der Hoffnung, daß sie die
Fluth irgendwo ans Land treiben werde. Kaum war er mit dieser Arbeit fertig,
als der Sturm sich legte; — und ohne weitere Unfälle lief er den 15. März
unter dem Jubel des Volks, dem Donner der Kanonen und dem Geläute aller
Glokken in Palos ein.
Er unternahm nach der Zeit noch drei neue Fahrten nach Amerika, auf denen
er die karaibischen Inseln, Jamaika und selbst das feste Land von Ame-
rika entdekkte.
Aber auch an ihm ging daS Sprüchwort in Erfüllung, daß Undank der Welt
Lohn sei. Es war ihm von Ferdinand und Jsabella die Würde eines Grost-
ad mira lö über alle von ihm cntdekkten Meere, und die Würde eines Statt-
halters über alle von ihm entdekkteN Länder, welche letztere Würde in seiner
Familie erblich sein sollte, nebst einem Antheile an dem Gewinne in einem feier-
lichen Vertrage zugesagt worden. Aber das erregte den Neid seiner Gefährten
und der spanischen Großen. Man brachte eö dahin, daß er der Statthalterschaft
entsetzt wurde, und schikkte ihn gefesselt nach Europa zurükk, um sich dort über-
fein Verfahren als Statthalter zu verantworten.
Ungeachtet seiner vollkommenen Rechtfertigung setzte man ihn doch nicht
wieder in seine Würde ein. Er starb im 59. Jahre seines Lebens, zum Theil
auö Kummer über die Behandlung, die er erfahren hatte.
In seinem letzten Willen verordnete er, die Kette, mit der man ihn einst
gefesselt hatte, mit in sein Grab zu legen. Nicht einmal die Ehre hat man ihm
19*
280
erwiesen, den von ihm entdekkten neu/n Erdtheil nach seinem Namen zu nennen;
man nannte ihn Amerika, nach einem Edelmanne ans Florenz, Namens
Amerigo Vespuzzi, der mehrere Reisen nach dem Fcstlande von Amerika machte
und zuerst eine Beschreibung dieser neuen Welt herausgab.
Die Inselgruppe in dem mexikanischen Meerbusen nannte man damals West-
indien, weil man sie für einen Theil des alten Indien hielt; dies letztere hat
seit dieser Zeit den Namen Ostindien erhalten. Auch das Verdienst der ersten
Entdekkuug von Amerika suchte man zu verkleinern: cS sei ein ganz natürlicher
Gedanke gewesen, daß jenseits des atlantischen Meeres noch ein Land liegen
müsse:— jeder Andere hätte es eben so gut, als Kolumbus, entdekken können.—
Alo einmal in einer Gesellschaft solcher weisen Herren hierauf wieder.die Rede
fiel, nahm Kolumbus ein gesottenes Ei, das gerade vor ihm lag, und fragte,
wer das Ei auf die Spitze stellen könne. Als Niemand damit zu Stande kam,
drükkte er gelassen die Spitze ein, und das Ei stand unbeweglich. .Das ist keine
Kunst, riefen die Gäste aus; das kann ja ein Jeder. Ganz recht, — erwiderte
Kolumbus, — das Ei auf die Spitze stellen und die neue Welt entdekken, das
konnte ein Jeder; — der Unterschied ist nur, daß Ihr es gekonnt hättet, und ich
es gethan habe. —
Als Kolumbus 1492 Westindien entdekkte, traf man eigenthümliche Menschen-
geschlechter an, meist von gelbbrauner oder rother Farbe, welche auf einer
niedrigen Stufe der Bildung standen und in thierische Ausschweifungen und Leiden-
schaften versunken waren. Eö gab vornehmlich zweierlei Gattungen, von denen
die eine viel Sanftes und Gutmüthiges besaß, die andere, Kar ai ben, d. h.
die Tapfern gcuauut, so wild war, daß fie in beständigen Kriegen mit einander
lebten, um Gefangene, von deren Fleisch fie sich nährten, zu erbeuten. Den gold-
gierigen Spaniern, die Anfangs allein hausten, waren die Einfältigkeit der Einen
und die Wildheit der Andern willkommene Vorwände, alle Gewaltthätigkeiten
an ihnen auszuüben. Sie legten überall Pflanzungen und Bergwerke an, und
die Einwohner mußten nicht nur ihr Land und Eigenthum, sondern auch ihre
Leiber dazu hergeben und ohne Umstände Sklavendienste verrichten. Die spanische
Regierung hob die Freiheit und Selbstständigkeit der Urbewohner sogar durch ein
Gesetz auf, und gestattete, jeden Karaiben zu'todten oder zum Sklaven zu mache».
Gegen die widerstrebenden Karaiben auf den Antillen wurde ein eigentlicher
Vertilgungöplan gefaßt. Außerdem, daß Tausende, die der harten Arbeit nicht
gewohnt waren, auf dem Felde oder in den Bergwerksgründen ümkamen, wurden
Unzählige wie wilde Thiere weggeschossen. Bon Zeit zu Zeit wurden besonders
abgerichtete Hunde auf sie gehetzt, die sie jämmerlich zerfleischten; ja, es gab
Spanier, welche die Verruchtheit so weit trieben, daß sic das Gelübde thaten, zur
Ehre des Weltheilandes und seiner heiligen Apostel jeden Morgen 13 der Ungläu-
bigen zu erwürgen. Später benutzten Franzosen und Engländer, ivelche unter
sich sowohl, als auch mit den Spaniern um den Besitz der Antillen stritten, die
Nachsucht und Kriegslust der Karaiben, und reizten oder nöthigten sie zur BuudeS-
genosseuschaft. Der Erfolg war, daß die meisten Karaiben durchs Schwert und
Jammer aller Art aufgerieben wurden. .Franzosen und Engländer kamen 1790
überein, den Rest derselben auf die Inseln St. Dinzeut und Dominika zu versetzen.
Allein dort wurden sie später von den Franzosen niedergemacht; und nur in
Dominika sollen noch etwa 30 Familien übrig sein. Dies ist der Rest von drei
Millionen Menschen, die zur Zeit des Kolumbus auf den Inseln angetroffen
wurden.
Da eö bei solchem Verfahren den Spaniern frühzeitig an Arbeitern fehlte,
so sahen sie sich nach Leuten in 'anderen Welttheilen um, die den übermäßigen
Arbeiten gewachsen wären; und solche glaubten sie in den kräftig gebauten Negern
281
West-Afrika'S zu finden. Die ersten Sklaven von da brachte man 1503, und
1517 wurde der Negerhandel durch- ein besonderes Gesetz von der spanischen
Regierung genehmigt. Bald nahmen alle seefahrenden Nationen an diesem Handel
Theil und drükkten vor allen Gräueln, die damit verbunden waren, die Äugen
zu. Man lernte es, mit kalter Gleichgültigkeit die Unglükklichen von einer Todes-
angst in die andere zu peitschen, und ihr Stöhnen und Wimmern, wie ihr durch-
dringendes Schreien und Wehklagen vermochten nicht mehr das Christcnhcrz zu
erweichen. Es erhob sich in West-Afrika ein Sklavcnmarkt um den andern,
und zu Tausenden wurden die Neger Hunderte von Meilen getrieben und um
europäische Kleinigkeiten, auch um Branntwein, an die Händler verhandelt.
Diese füllten ein Schiff um daö andere, pakkten der Unglükklichen 5— G00
im untersten Raume zusammen, alle in Reihen an einander gebunden. Regelmäßig
starben in diesen Kloaken Viele, oft die Hälfte, jämmerlich weg. Jenseits verkaufte
man sic um hohen Preis, um 4—(¡00 Thaler. Auf diese Weise wurden jährlich
aus West-Afrika allein gegen 100,000 Sklaven weggeschleppt. Große Uferstrekken
sind nun gänzlich verödet; und was sich nicht scheu in die Wälder zurükkzicht,
lebt in fortwährender Angst. Manche erbeben an allen Gliedern, wen» sie einen
Weißen sehen.---------So wurde also Westindicu statt der rothen mit schwarzen
Einwohnern bevölkert.
Auf den Anpflanzungen, welche die Sklaven bearbeiteten, wurde» hauptsächlich
Kaffee, Zukkrr, Indigo, Baumwolle crzerigt, Artikel, von denen mau zum Theil
buchstäblich sagen kann, daß Negcrblpt an ihnen hänge. Uni jede Pflanzung her,
die einen Privatcigenthümer hatte, stand ein eigenes Dörflein von etwa 50 auf-
gerichtete» Negerhutten, .und die Neger wurden täglich zur bestiiuiute» Stunde
durch Aufseher und Treiber zur Arbeit getrieben. Morgens pnd Abends hatten
sie einige freie Stunden, die sie für sich benutzen konnten, zum Erwerb eigener
Haushaltung und Güter. Viele brachten es durch Fleisi dahin, daß sie sich los-
kaufen konnten und sogenannte Frein eger wurden. Da Leute beiderlei Geschlechts
Sklavendienste verrichten, so heirathetrn sic auch unter einander; die Kinder aber
waren auch Sklaven, wie die Eltern, und oft wurden die Ehen'durch den Verkauf
deö einen Theils unbarmherzig getrennt. — An vielen Orten entsprangen die
Neger ihren Herren und flüchteten sich in die unzugängliche» Gebirge, wo sie
als sogenannte Maronneger große und gefährliche Räuberbanden bildeten.
Am gefährlichsten wurden sic in Jamaika, wo sie nur durch die äußersten
Anstrengungen der Regierung im Jahre 1780 unterdrükkt werden konnten.
Allmählig erwachte aber, namentlich in England, daö christliche Gefühl; und
die Quäker waren die Ersten, welche seit 1727 ihren Sklaven die Freiheit schenkten
und 1751 den Negerhandel unter sich ganz abschafften. Sodann vertraten wakkere
Männer, wie Elarkson, Wilberforce, die Sache der Sklaven; und 1788
erwog daö'Parlamcnt ernstlich die Abschaffung des Sklavenhandels. Der Haudels-
geiz verzögerte zwar die Beschlüsse, bis der Minister For 1800 mit den Worten
im Parlament auftrat: „Ich werde trauern,-daß ich mein politisches Leben von
fast 40 Jahren ohne Nutzen zugebracht habe, wenn es mir nicht gelingt, diese
Sache zu vollbringen." Es gelang ihm; denn das Jahr darauf beschloß daö
Parlament die Abschaffung deö NegerhaudelS, der daher nur noch heimlich betrieben
werde» kann.
Allmählig stimmten auch die übrigen Nationen bei. Der Sklavenhandel wurde
für Seeräuberei erklärt; und England that 1834 den noch wichtigeren Schritt,
daß es bis zum 1. Augujt 1838 allen Sklaven in seinen Gebieten die Freiheit
schenkte, oder die Sklaverei ganz aufhob, wobei eö sich die Summe von 20 Milli-
onen Pf. Sterl.*) zur Entschädigung für Sklavenbesitzer kosten ließ. Dessen
") l Psd. Sterling — 6 Thlr. 20 Sgr.
282
ungeachtet werden nvch immer jährlich unter spanischer Flagge viele Tausend
Neger ausgeführt. Die unglükklichen Sklaven haben es sogar jetzt schlimmer,
als ehemals, da man sie, um der 'Aussicht der diesen Handel bekämpfenden
englischen Schiffe zu entgehen, möglichst zu verbergen sucht und ihnen einen
ungleich kleineren Raum auf den Schiffen gestattet, als früher, wo dieser Handel
offen betrieben wurde.
Die vereinigten Staaten von Nord-Amerika.
Obgleich die ganze Ostküste von Nord-Amerika schon 1497 von Cabot entdekkt
worden war, so wurden doch diese Länder, weil sie nur undurchdringliche Wälder
und Wildnisse, aber keine cdeln Metalle darboten, lange vernachlässigt. Engländer,
die 1584 nach dem heutigen Virginia gingen, kehrten schon 1586 nach England
zurükk, weil sie zu schwach waren, den Indianern zu widerstehen. Erft von 1603
bis 1625 gelang es, bleibende Ansiedelungen in Virginien zu gründen. 1713
besetzten die Engländer Neu-Schottland; 1763 erhielten sie auch Canada, Florida
und große Ländereien östlich vom Missisippi, so daß sie nun die einzigen Beherr-
scher von Nord-Amerika waren.
Mancherlei Beschränkungen des Handels hatten aber unter den Nord-Ameri-
kanern seit einiger Zeit Mißvergnügen verbreitet, das noch gesteigert wurde, als
tut Jahre 1767 Steuern und Zölle von England ausgeschrieben wurden. Es
kam zu blutigen Aufständen, die zu einem Kriege mit dem Mutterlande und den
Colvnien führten, der endlich im Jahre 1783 durch den Frieden zu Versailles
sein Ende fand. Dreizehn Staaten hatten sich ihre Unabhängigkeit erkämpft.
Seit dieser Zeit ist der Staat mit Riesenschritten seiner jetzigen Größe zugeeilt;
denn die vereinigten 13 Staaten zählten beim Friedensschlüsse nur 3 Millionen
Einwohner; nachdem die Zahl der Staaten aber nun bis über 30 gestiegen ist,
beträgt die Einwohnerzahl weit über 20 Millionen.
Daö ganze Gebiet der vereinigten Staaten ist von der Natur durch zwei
Gebirgszüge in drei Hauptthcile gesondert; diese Züge sind das Alleghanp-
Gebirge im O. und das Felsengebirge im W. Zwischen diesen Zügen breitet
sich das große Bekken des Missisippi aus. Es besteht zum Theil aus hügligem
Lande, znm Theil ans unendlichen, wellenförmigen Ebenen, Savannen oder
PrairieS, deren Boden äußerst fruchtbar ist. DaS Küstenland am atlantischen
Meere ist theils bergig, theils flaches Sandland mit Nadelwäldern und wird von
mehreren Flüssen durchflossen, unter denen der Delavare bei seiner Mündung einen
6 Meilen breiten Busen bildet.
Im Norden ist das Klima kalt, in den mittleren Theilen des Landes mäßig
und veränderlich, nur im Süden warm. Bon den Ländern Europas unter gleicher
Breite unterscheidet sich daö amerikanische Klima durch brennend heiße Sommer
und verhältnißmäßig sehr kalte Winter.
Gewerbe und Handel blühen vortrefflich, und besonders hallen die Ufer des
Ohio vom Lärm der Dampf- und Spinnmaschinen und der Hammerwerke wieder,
und der immer höher steigende Anbau des Bodens und die wachsende Bevölkerung
geben den von Natur schönen Gegenden ein freundliches Ansehen. Große Kanäle
verbinden die Ostküste mit den fünf Seen und dem Ohio und durchkreuzen vcbst
den Eisenbahnen das ausgedehnte Land.
Da die Ureinwohner größtentheils in das Innere zurükkgedrängt sind, so
besteht der größte Theil der jetzigen Bewohner aus Europäern, Negern und deren
Nachkommen. Die Deutschen werden gern gesehen und geachtet, weil sie meist
auS fleißigen Handwerkern und Akkerbauern bestehen, welche, wenn sie nur einiges
Vermögen mitbringen und sich nicht vereinzeln, fast immer in Kurzem zu einem
behaglichen Wohlstände gelangen. Wer ohne alles Geld ankommt, muß sich oft
283
mehrere Jahre in Dienstbarkeit begeben. Im Ganzen nehmen die Deutschen nur
allzuleicht Sprache und Sitten des neuen Vaterlandes an; wo sie aber in größerer
Zahl bei einander wohnen, haben sie auch bis jetzt beides treulich bewahrt.
Die Indianer sind größtentheilS jenseits des Missisippi; die, welche noch auf
dieser Seite des Flusses wohnen, sind sehr gering. Die Neger finden sich besonders
in den südlichen Staaten, wo sie Baumwolle, Tabakk und Reis bauen müssen.
Die Hauptbeschäftigungen der Einwohner find Landbau und Handel. Schon
jetzt sind die Nord-Amerikaner die ersten Seefahre^iach den Engländern; sie beschissen
alle Meere und besuchen Ostindien, Europa und China. Ihr Pelzhandel ist sehr
bedeutend. Bedeutender noch ist der Fischfang, welcher theils an den Küsten und
bei Ncu-Fundland auf Stokkfisch, theils in entlegenen Meeren auf Wallfische und
Seehunde getrieben wird. Zum Fange der Stokkfische werden jährlich über
2000 Schiffe beschäftigt. Von der Mitte Juni an werden täglich Boote auf den
Fang ausgesendet. In jedem Boote befinden sich 4 Menschen mit 16 Angel-
schnüren. So wie ein Fisch angebissen, wird er ins Boot geworfen, und sobald
dies seine Ladung hat, eilt eö zur Küste. In eigens dazu eingerichteten Gebäuden,
Bühnen genannt, werden de» Fischen die Köpfe abgeschnitten, sie gespalten und
das Rükkgrat und die Eingeweide herausgenommen, worauf sie eiiigesalzen und
an der Lust getrokknct werden.
In der westlichen Abtheilung der mittleren Staaten liegt W iS ko »sie.
Dieser Staat ist fruchtbar und reich an schätzbaren Mineralien; in ihn kann inan
von Nen-OrleanS und Neu-Pork ganz zu Wasser gelangen. Er hat größtentheilS
fruchtbaren Boden. DaS.Klima ist vortrefflich und das Land für deutsche Ansiedler
vorzüglich geeignet. ,
Der Süd - Westen und fernste Westen umfaßt überhaupt den reichsten Land-
strich Nord - Amerikas lind bietet in seinen» Innern alle natürlichen Quellen deö
Wohlstandes. Der Boden ist größtentheilS so fruchtbar, daß er selbst durch'zehn-
jährige Eriiteil nicht erschöpft wird und die Aussaat sechSzig- u»d siebenzigfältig
wiedergiebt.
Die Auswanderer.
Ich kann den Blikk nicht von euch wenden;
Ich muß euch anschaun immerdar;
Wie reicht ihr mit geschäftigen Händen
Dem Schiffer eure Habe dar!
Ihr Männer, die ihr von dem Nakken
Die Körbe langt, mit Brot beschwert,
Das ihr aus deutschem Korn gcbakken,
Geröstet habt auf deutschem Herd;
Und ihr, im Schmukk der langen Zöpfe,
Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank,
Wie sorgsani stellt ihr Krüg' und Höpfe
Auf der Schaluppe grüne Bank!
Das sind dieselben Töpf' und Krüge,
Oft an der Heimath Born gefüllt;
Wenn am Missuri Alles schwiege,
Sie malten euch der Heimath Bild;
Des Dorfes steingefaßte Quelle,
Zu der ihr schöpfend euch gebükkt;
Des Herdes traute Feuerstelle,
Das Wandgesims, das sie geschmükkt.
284
Bald zieren sie im fernen Westen
Des leichten Bretterhauses Wand;
Bald reicht sie müden braunen Gästen,
Voll frischen TrunkeS, eure Hand.
Es trinkt daraus der Tfcherokefe,
Ermattet, von der Jagd bestaubt;
Nicht mehr von deutscher Rebenlese
Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt.
O sprecht! warum zogt ihr von dannen?
,DaS Nekkarthal hat Wein und Korn;
Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen;
Im Spessart klingt deö AelplerS Horn.
Wie wird es in den fremden Wäldern
Euch nach der Heimathberge Grün,
Nach Deutschlands gelben Waizenfeldern,
Nach seinen Rebenhugeln ziehn!
Wie wird das Bild der alten Tage
Durch eure Träume glänzend wehn!
Gleich einer stillen, frommen Sage
Wird es euch vor der Seele stehn.
Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden!
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis!
Sei Freude eurer Brust beschiedc»,
Und euren Feldern Reis und Mais!
Der Ansiedler in Kanada.
Wenn mir die Wahl gegeben würde, brächte ich meinen Sommer in der
Schweiz, meinen Frühling an den Ufern der Loire, meinen Winker in Portugal
oder Italien hin; aber ich kenne kein Land, dessen Herbst sich mit dem inmitten
der Wälder Oberkanadas auck nur im entferntesten vergleichen dürfte. Denen
freilich, die nie fern von geselligen Vergnügungen gelebt haben, müssen die Freuden
eines kanadischen Herbstes arm und gefchmakkloS erscheinen; denn nur der ist im
Stande, sie zu fühlen, welcher sich an dem wechselnden Gemälde der Natur erfreuen
kann.. Nirgends aber ist der Wechsel der Jahreszeit so rasch und so wunderbar,
wie in der westlichen Welt. Um sie zu schauen, um sich ihrer in ihrer ganzen
Prackt zu erfreuen, muß man ganz in den Wäldern abgeschlossen sein.
Der Uebcrgang vom Sommer zu dem Herbst geschieht allmählig, lind und
wonnig, während der Frühling aus dem öden Düster des Winters mit dem Un-
gestüm hervorbricht, mit welchem die Sonne schwarze Wolken zerreißt und über
sie und die Erde ihren Glanz niederströmt. Die eine Woche ist Alles nakkt, leer,
öde, trostlos; in der nächsten sind die Felder in Grün gekleidet," Blumen durch-
brechen die Knospen, die Bäume des Waldes schaukeln ihre belaubten Aeste, und
Alles, was da lebt und athmet, freut sich wie neugeboren des jungen Lebens —
überall Neues, überall Leben, überall Lust. Eine dritte Woche ist dahin, und wir
erfreuen unö der prachtvollen Psianzenwelt und fühlen eine kräftigende Wärme.
Aber cs ist unmöglich, das Plötzliche, daö Ueberraschende deö Wechsels auszu-
drükken. Man muß es gefühlt, man muß eö gesehen haben, um sich eine Vor-
stellung davon zu machen.
Der Hcrbsi dagegen kpmmt mit langsamen, zagenden und schüchternen
Schritten heran. Während die Gluth der Sonnenstrahlen ihre Kraft allgemach
285
mindert, beleben willkommene Regenschauer daö ausgedörrte Land und den sich
senkenden Mais. Die wilden Reben bieten auf jedem Pfade, der durch die Wälder
führt, ihre Frucht dar, und der Obstgarten, diese Erquikkung des Ansiedlers, reicht
ihm beinahe von selbst daö Köstlichste, was sein Gaumen nur wünschen kann.
In den Wäldern behält ein Theil der Bäume sein ursprüngliches Grün, während
ein anderer seiner Natur gemäß jede Farbe sehen läßt und das Auge deö Be-
schauers durch die unendliche Abstufung der Farben täglich und stündlich überrascht.
Wenn der Frühling ein vollkommenes und fast augenblikklicheS Erschaffen war,
so scheut der Herbst eine liebliche Ruhe nach der übergroßen Anstrengung dcS
Sommers.
Dem Bewohner der überfüllten Städte muß in Kanada Alles öde und ver-
lassen vorkommen — die glänzende Pracht des Sommers nicht minder, wie der
starre Anblikk des Winters. Dem Ansiedler aber, der fern von dem Getriebe der
geschäftigen Menge wohnt, bietet der Herbst eigenthümliche Vortheile und eigen-
thümliche Freuden dar. Da er in der anderen Jahreszeit auf seine eigene
.Thätigkeit beschränkt 'ist, muß er in dieser die Gesellschaft seiner Nachbar» in
Anspruch nehmen, damit er und sie von dem Reichthum ihres Bodens Nutzen
ziehe». Wen» daö Getreide geschnitten werden soll, wenn man ein HauS erbauen
will, wenn eine Umzäunung der Felder nothwendig geworden ist, wenn irgend
etwas gethan werden muß, das eine rasche Ausführung fordert, werden die
benachbarten Gutsbesitzer zu einem Feste eingeladen. Jung und Alt, Mädchen
und Frauen finden sich ein. Während die Männer sich in die Arbeit theilen,
sind die Mädchen und Frauen beschäftigt, daö reiche Mahl zu bereiten, welches
der Abendbelustigung zur Einleitung dient. Musik und Tanz folgen; Alles
überläßt sich der Freude; die Stunden verfliegen, man weiß nicht wie.
Wer sich vier oder fünf Jahre mit dem Ausrotten der Wälder beschäftigt
hat, besitzt die Mittel und fast das Recht, seine übrigen Tage in giube und
Ueberfluß hinzubringen. Ueppige Felder, ein nie fehlender Obstgarten befriedigen
seine Bedürfnisse.
Die Wunder der Polarwelt.
Welche Mittel bot die Natur auf, um den grausestrn Gegenden der Erde
einige Bewohnbarkeit abzugewinnen? Durch welche Einrichtungen gelang eö ihr,
selbst dort dem Menschen sein Dasein zu friste» und sein Leben zu erleichtern,
wo die Erde den« Samenkorn verschlossen bleibt, wo dem Hirte» keine Weiden
mehr grünen, und wo kaum noch ein eßbares Wild dem Jäger sich darbietet?
Zwei große Lufterscheinungen mögen bei der Aufzählung dieser Mittel den
Anfang machen. Daö erste davon ist die Strahlenbrechung, wodurch daö
Tageslicht bei dem Verschwinde» und bei dem Herauftreten der Sonne um mehrere
Wochen verlängert wird.
Daö zweite finden wir in jener majestätischen Erscheinung, dem Nordlichte.
Es schafft gleichsam die Nacht zum Tage um. Bei seinem Schimmer kann der
Mensch seiner Handthierung, seiner Nahrung nachgehen.
Unter den Merkwürdigkeiten, welche sich auf dein Boden der dortigen Erde
selbst darbieten, darf man daö Treibholz nennen. Eö ersetzt den Nordländern
die fehlenden Waldungen, liefert Bauholz, Hvlzgeräthe, Feuerung, und der
Isländer tauscht sogar Waaren dafür ein.
Jetzt zu den Erzeugnissen der Polargegenden selbst. Mit reichlicher Hand
giebt dort die Natur die nahrhaftesten Pflanzen, die Moose; denn sie allein waren
fähig, auö dem dürftigen, oft filzigen Grunde der Polarländer hinreichende Nah-
rung zu ziehen und dadurch die Menschen auf daö Kräftigste zu erhalten.
286
Noch mehr. Die dortige Kälte mußte mehrere Pflanzen, welche in den
milderen Himmelsstrichen ungenießbar, ja widrig und daher verachtet bleiben, in
eßbare, den Menschen gut ernährende Gewächse umschaffen. So das wilde Kor»,
so die Natterwurzel.
Endlich mußte gerade die nördliche Erde diejenigen Pflanze» in unermeßlicher
Menge hervorbringen, welche sowohl den Menschen, als das Bich gegen die
Hauptkrankheiten des nördlichen Klimas schützen. Unter den großen ErhaltungS-
quellen des Menschen aus der thierischen Welt stehen die Erzeugnisse des Meeres
oben an.
Der Wallfisch ernährt den Eskimo und Grönländer. Sein flüssiges Fett ist
ihnen ein köstliches Getränk; alle diese Völkerschaften erhalten dadurch ihre
Erleuchtung und größtentheils ihre Feuerung; die Knochen dieser Riesen dienen
oftmals bei Gebäuden und Booten als Balken und die Sehnen zum Nähen.
Noch fast unentbehrlicher sind diesen Völkern die See-Hunde. Sie geben
ihnen nämlich Nahrung und zugleich fast ihre ganze Kleidung, ihren ganzen
Schutz gegen das rauhe Klima; sie gebe» ihnen Seile und den so nothwendigen
Ueberzng über ihre Fahrzeuge. Die Zähne von einigen dieser großen Seethrere
dienen zu schätzbaren Werkzeugen verschiedener Art.
Hier, in den kältesten Gegenden, findet auch daS Geschlecht der Robbe»
den ungeheuren Ueberfluß der kleineren Meerthiere. In unzählbaren Zügen strömen
diesen Ländern die Weißfische (Kabeljaue) zu. DaS Meer mußte eigene, Meilen
große Sandgebirge bilden, auf deren Rükken diese Fische jene Millionen Centner
von junger Brut auf die ihr zuträglichste Art absetze» und sich zugleich den
großen Verheeren? des PolarnieerS zur Beute darbieten.
In gleich merkwürdigem Ebenmaße stehen mit diesen Anstaltrir jene uner-
meßlichen Schaaren der Seevögel, welche über den EiSgefilden zu sehen sind; ,
denn auch sie finden hier bald von kleineren Fischen und ihrer Brut, bald an den
großen Seethieren tausendfältige Nahrung. Kaum zeigt sich rin solches, von dem
Menschen oder seines Gleichen verwundetes Geschöpf, so frohlokken schon Tausende
der Seevögel über die ihnen zu Theil werdende Beute und trotzen ruhig, durch
die dicht an den Körper anschließenden beeilen Daunen geschützt, der grausen
Kälte des Pols.
Und nun denke man sich noch den wunderbaren Bau der Polarmen sch en!
Wie er fast Alles zu verzehren bereit ist, Alles zu verdauen vermag! Das rohe
Kraut, daS thranige Fleisch der Möven, der Taucher, der Seehunde, der Spekk
der Wallfische, der Thran, — Alles ist ihn, willkommen! Diese uns widerstehenden
Speisen erzeugen bei ihm den gesundeste» Körper und eine biffe, wärmende Fett-
Haut. Durch ihre Ausdünstungen heizt er seine Wohnungen, durchfährt dort die
rauhesten Winterwälle, bietet einer Kälte Trotz, worin der Branntwein erstarrt,
und trennt sich von seiner grausen Heimath nicht minder ungern, als der Schweizer
von seinen reizenden Gebirgen.
»fnN.
Dieser Erdtheil enthält auf 545000 Q..-M. gegen 150 Millionen Menschen.
Er liegt südlich von uns und wird durch das Mittelmeer von Europa getrennt.
Auch jetzt noch, trotz aller Bemühungen, kennen wir nicht viel mehr, als die
Küsten. Ueber das Meiste haben wir daher nur Vermuthungen.
Im Norden des Erdtheilö, wenn wir an der Westseite anfangen, liegt zuerst
daS Kaiserthum Fez und Marokko,, ferner die sogenannten 3 Raubstaaten:
Algier, Tunis und Tripolis, von welchen die beiden letzteren noch unab-
hängig sind und dem Namen nach unter türkischer Schutzherrschaft stehen, der
erstere aber seit 1830 ein Besitzthum der Franzosen ist. Diese 4 Staaten faßt
287
man auch unte* dem Namen der Berberei zusammen. Weiter nach Osten liegt
Barka, und hieran stößt Egypten, an das sich nach Süden Nubien und
Abyssinien oder Habesch schließen. In diesem Erdtheile liegt auch die
größte Wüste der Erde, Sahara genannt; sie ist 60000 Q.-M. groß. Südlich
von dieser Wüste ist der Landstrich Sudan oder Nigritien, an den sich gegen
Westen bis zum atlantische» Meere Senegambien und Ober- und Nieder-
Guinea schließen. Einige Küsten, südlich von diesen Länder», werden von
Schistern fleißig besucht, die hier Gold, Elfenbein u. s. w. eintauschen. Die '
Südspitze des Erdtheils heißt Kap land und ist im Besitze der Engländer. Als
Anhaltepunkt für die Ostindienfahrer ist dieses Land von besonderer Wichtigkeit.
Da' fast 2/, des ganzen Erdtheils innerhalb der Wendekreise liegen, so kann
das Land nirgends einen wahren Winter haben. Schnee imd Eis sind daher in
den Ebenen seltene, immer schnell vorübergehende Erscheinungen. Den Winter
vertritt die Regenzeit, welche sich mit dem höchsten Stande der Sonne einfindet,
so daß die zwischen den Wendekreisen liegenden Länder jährlich zwei Regenzeiten
haben. Diese allein unterbrechen das Einerlei eines immer unbewölkten Himmels,
von welchem die Sonne mit verzehrender Gluth leuchtet.
Innerhalb der Wendekreise herrschen die Passatwinde, nördlich vom
Aequatvr der Nordvst-, südlich der Südostwind. In den Wüste» sind Stürme,
welche den Sand hoch in die Luft führen, Hügel bilden oder vernichten und die
Luft verfinstern, nicht selten; noch fürchterlicher ist der Alles erschlaffende, Men-
sche» und Thieren gefährliche Samum.
Bon Mineralien vermißt man bis jetzt noch den Diamant. Gold kommt viel
vor und wird sowohl in Körnern im Flußsande, als auch als Goldstaub gefunden.
Wo der Boden Bewässerung hat, bringt er eine Fülle von Pflanzen hervor, als:
Palmen- und Gnmniibänme, Färbeholz, Pfeffer, Indigo, Kaffee, Zulker, Ebe»-
und Sandelholz. Unter den, dem Menschen nützlichen Thieren nimmt ohne
Zweifel daö Kamel den ersten Rang ei»; Pferde'und Esel sind von vorzüglicher
Schönheit. Unter den wilden Thiere» bemerken wir Elephanten und Rhino-
zeros, Giraffe, sowie das Gnu, ein Thier, welches eine wunderliche Verbindung
von Ochs, Pferd und Ziege zu sei» scheint. Es hat Hörner, einen Bart, eine
starke Brustmähne und einen Kuhschwanz. Ferner giebt es hier die schnellsten
aller Thiere, die Gazelle» im nördlichen, die Antilope» im südlichen Theile. An
Raubthteren ist Afrika reicher, als die übrigen Erdtheile. Hier ist das rechte
Vaterland des Löwe»; außerdem giebt es Tiger, Hyänen, Schakale, Bären n.a.m.
Das Flußpferd findet sich noch selten, desto häufiger daö Krokodil. Ein Haupt-
bewohner der Wüste ist der Strauß. Außerdem bevölkern unzählige Arten von
Affen und Papageien die Wälder.
Unter den 150 Millionen Bewohnern sind die Neger, mit schwarzer Haut-
farbe, die zahlreichsten. Sie zerfallen in sehr viele Stämme und Völkerschaften,
sind ein sorgloser, fröhlicher Menschenstamm, stehe» aber auf einer niedrigen Stufe
der Bildung. Sie kennen kaum die nöthigsten Handwerke, bauen das Land mit
leichter Mühe und überlasse» sich gern der Fröhlichkeit und dem Tanze.
Den Negern sind die Kaffer» verwandt, ein schöner, kräftiger Menschen-
schlag. Ferner wird das Land von den gutmüthigen Hottentotten und den
räuberischen Buschmännern, den hageren, braungelben Berbern, wovon die
Kabilen und Mauren Zweige sind, bewohnt.
Die muhamedanische und die heidnischen Religionen sind die verbreitetsten.
Hoffen wir aber, daß auch für diese Glieder der großen Menschheit, welche im
Gluthlichte der Sonne doch noch tm Finstern sitzen, daö Licht der Wahrheit und
des Lebens aufgehen und auch die Neger noch einstimmen werden in das Lob des
alleinigen Gottes. Das aber wird kommen, ob auch wir die Zeit nicht
absehen können, und Afrika wird aufhören ein verschlossenes Buch und ein Räthsel
zu sein.
288
Egypten.
Egypten war eins der ältesten und mächtigsten Reiche der Welt, und durch
seine Fruchtbarkeit und die Betriebsamkeit seiner Einwohner, durch seine Gesetze,
Wissenschaften und Künste, besonders aber durch seine Bauten schon in der Vor-
welt berühmt. Durch die Lage zwischen zwei Meeren scheint es die Natur zum
auögebreitetften Handel bestimmt zu haben.
Der Nil, der einzige Fluß des Landes, entspringt in Abyssinicn auö mehreren
Quellen, durchströmt Nubien, wird bei seinem Eintritte in Egypten durch ver-
schiedene Flüsse verstärkt, theilt sich endlich in verschiedene Arme und fällt ins
Mittelmeer.
Für Egypten ist-der Nil die größte Wohlthat, und er macht das eigentliche
Glükk deö Landes aus. Vom Regen, der in» Sommer unsere Erdstriche und die
Luft reinigt, weiß man in Oberegypten fast gar Nichts. Es vergehen dort oft
zehn Jahre, ohne daß ein einziger Tropfen fliegen fällt. Beim Anblikk einer
Wolke danken die Einwohner dem Himmel, wie die Völker am Polarkreise bei der
Wiederkehr der Sonne. Diesen Mangel des Regens vergütet der Nil mit seinen
jährlichen Ueberschwemmungen. Sein Anwachs fängt zu Anfang deö Monats Mai
an; er schwillt nach und nach immer, mehr an, bis er*endlich seine Ufer übersteigt
und die Felder bedekkt. Das Auge verliert sich dann in einem grenzenlosen Ocean,
woraus sich Städte erheben, die nur durch Dämme mit einander Gemeinschaft
haben. Die Ueberschwemmung dauert von der Sonnenwende des Sommers bis
zur Nachtgleiche des Herbstes. Dann wird das Land eine unermeßliche Wiese,
die 4 Monate nachher von den sie bcdekkendcn Kornähren gelb wird. Denn wenn
der Nil wieder in sein Bette zurükktritt, so läßt er auf dem Lande einen fetten
Schlamm zurükk, der den Boden so tresfiich düngt, daß die Menschen nur zu säen
und zu ernten brauchen.
Eigentlich hat man in Egypten nur zwei Jahreszeiten. Der Sommer dauert
vom April bis November; die andere Jahreszeit ist der Frühling, dessen Nächte
zwar kühl, dessen Tage aber dennoch sehr heiß sind. Dies ist dir Zeit der Arbeit
und deö Wachsthunrö; denn im December und Januar verlieren die Bäume ihr altes
Laub und bekommen sogleich neues. — So weit Egypten vom Nilwasser bewäs-
sert werden kann, erzeugt es viel Getreide und Gartengewächse. Ein Baum
kommt dort in drei Jahren weiter, als irr den besten Gegenden Europas in zehn
Jahren. Der Schlamm des NilfluffeS düngt oft so, daß achtzigfällige Frucht
geerntet wird.
Von der alten riesenhaften Kunst der Egypter zeugen die Obelisken und
Pyramiderr, die sich zum Theil bis auf unsere Zeit erhalten habe».
Ein Obelisk ist eine vierekkige Säule, die oben spitz zuläuft und gewöhnlich
eine Statue zu tragen bestimmt ist. Der höchste Obelisk soll 180' hoch gewesen
sein, und jede Seite soll an der Grundfläche 24' Länge gehabt habe».
Mehr, als die Obelisken, setzen beim ersten Anblikk die Pyramiden in Er-
staunen. Man findet sie besonders im mittleren Theile Egyptens, und zwar auf
Anhöhen, die der übertretende Nil niemals erreichen konnte. Sie sind größten-
theilö auö Kalksteinen aufgeführt und mit Granit überzogen. Die größte Pyra-
mide hat an ihrer Grundfläche 660' Fuß Länge, lind ihre Höhe beträgt 550'. Die
Form ist ein gleichseitiges Bierekk. Sonderbar ist es, daß die vier Seiten genau
nach den »i« Himmelsgegenden gerichtet sind. Eine dieser Pyramiden ist in
neuerer Zeit eröffnet worden, und man hat in derselben mehrere Zimmer, unter-
irdische Gänge lind Mumien gefunden. Wahrscheinlich waren diese ungeheuren
Denkmäler das Grab eines Königs, zu dessen Andenken sie errichtet wurden.
289
Die Hottentotten.
Die Hottentotten, eine Völkerschaft, welche zwischen den Weißen und Negern
in der Mitte steht, sind gelbbraun, wohlgewachsen und gewöhnlich 6 Fuß hoch.
Die Weiber sind kleiner. Sie haben einen bissen Kopf, große Austen, platte
Nasen, die aber durch daö Eindrükken nach der Geburt entstehen, bisse Lippen,
hohe Bakkenknochen, weiße Zähne, krauses schwarzes Haar und verhältnißmäßig
kleine Hände und Füße. Von Jugend auf beschmieren sie den ganzen Leib mit
Butter oder Schafsfett, was zwar den Gliedmaßen Geschmeidigkeit und Stärke
giebt, aber auch eine» häßlichen Geruch verbreitet und in einem so' sandigen Lande,
wie daö ihrige ist, große Nnreinlichkeit verursacht. Ihre ganze Kleidung besteht
auö einem über die Schultern gehängten Schaffelle, dessen rauhe Seite einwärts
gekehrt ist. Strümpfe, Hemden, Westen, Hüte u. dergl. bedürfen sie nicht, und
die Schuhe werden höchstens durch lederne Sohlen ersetzt, welche mit Riemen
befestigt und größtentheilö nur von den Weibern getragen werden, um sich gegebn
stachlichte Gewächse zu schützen.
Der vvruchittste Putz besteht in Korallcnschnüren, mit welchen sie Haare,
Hals und Arme ziere». Ihre Wohnungen sind Hütten, auö dünnen Stäben
zusammengesetzt, mit Binsenmatten belegt und so niedrig, daß man kaum aufrecht
darin stehen kann. Die Oeffuung zum Eingänge ist kaum lt Fuß hoch und init
einem Schaffelle behängen. In der Mitte ist der Feuerherd, und der Eingang
dient zum Rauchfange. Die Hütten sind rund, gleich Bienenkörben, und einige
zwanzig derselben machen einen Kraal, oder ein Dorf aus, das immer im Kreise,
mit einwärts gerichteten Hüttenthüren, gebaut wird. I» de» inneren, freien
Raum wird bei der Nacht ihr Vieh getrieben. Ihre gewöhnlichen Nahrungs-
mittel bestehen in Kräuter», Wurzeln und allen Arten von gekochtem oder gebra-
tenem Fleische. Gedärme von Ochsen und Schafen sind ihnen ein besonderer
Lekkerbissen; Alles wird ohne Salz und anderes Gewürz genossen. Sie essen
gewöhnlich so lange, als etwas vorräthig ist. Die Männer sind gern faul oder
beschäftigen sich mit der Jagd. Die Weiber verrichten die meiste Arbeit. Beide
Geschlechter rauchen häufig Tabakk und sind auf geistige Getränke, besonders Brannt-
wein, sehr erpicht. Haben sie Nichts jit essen, so schnüren sie den Leib zusammen
oder legen sich schlafen. — Viehzucht ist ihre einzige Beschäftigung.
Jeder Kraal hat sein eigenes Oberhaupt und bildet eine kleine Republik.
Ihre Sprache ist äußerst schwer. — Alte und hülfölosc Personen werden verstoßen,
krüpplige Kinder gleich nach der Geburt getödtet. Sie kennen weder Zeit-
rechnung, noch Schreibekunst, noch Geld; ihr Handel ist Tauschhandel; kurz, sie
gehören zu den ungebildeten Völkerschaften. Nebrigenö leben sie sehr friedlich
unter einander, und selten kommt eö zu Thätlichkeiten. ;
Nächst den Hottentotten trifft man die Buschmänner oder die wilden
Hottentotten an. Diese halten sich in den äußersten Gebirgsgegenden auf, wohnen
in Klüften und Höhlen, haben weder Akkerbau, noch Viehzucht, sondern leben
von Wurzeln, Ameiseneiern, Hcuschrekken und Gewürme, aber vornehmlich vom
Raube. Sie gehen ganz misst, haben weder feste Wohnplätze, noch Oberhäupter,
und sind folglich ganz wild. Sie laufen außerordentlich schnell, schießen mit
vergifteten Pfeilen und sind den benachbarten Hottentotten sehr gefährlich.
Die Habsucht der Europäer hat ihre Entstehung veranlaßt; denn diese
drängten die Eingeborenen immer weiter zurükk, und zwangen dadurch die äußerst
wohnende» zu dieser höchst elenden Lebensart.
290
Asien.
Dieser Erdtheil liegt uns gegen Osten, hängt mit Afrika durch die Landenge
Suez zusammen und wird im N. vom nördlichen Eismeere, im O. vom großen
Meere, im S. vom indischen Meere, im W. vom mittelländischen Meere und
Europa begrenzt. Asien ist der größte Erdtheil; er hat, ohne die Inseln,
800,000 Q.-M. und 500 Millionen Einwohner. Jedoch sind die Einwohner sehr
verschieden vertheilt. Der Erdtheil hat neben sehr bevölkerten Staaten auch viele
Länder, in welchen sehr wenig Menschen wohnen: Wichtig ist Asien deshalb für
unö, weil hier die ersten Menschen gelebt und sich von dort aus über die ganze
Erde verbreitet haben, auch weil von dorther die Erleuchtung durch das Christen-
thum über die ganze Welk kam.
Die höchste» Gebirge der Erde finden sich hier; der Hi malaya mit den
Bergen Davalagiri (26000') und dem Kinchinjina (20500'), der große und kleine
Altai, der Muötag, der Kaukasus u. s. w. Nach allen Himmelsgegenden
gehen große Ströme ins Meer, wie der Ob, Jenisei und Lena i»S Eismeer;
der Amur, der gelbe und blaue Fluß ins große Meer; der BuremPuter,
Ganges und Indus ins indische Meer; der Euphrat und Tigris in den
persischen Meerbusen und die Wolga in daS kaSpiscke Meer.
Die wichtigsten Länder Asiens sind:
1) Sibirien.
2) China; eö ist ein großes, stark bevölkertes Land und enthält >/z aller
Erdbewohner. Gegen Norde» lag das Land früher den Verheerungen der nörd-
lichen Nomadenvölker offen. Deshalb ward hier schon vor mehr als 2000 Jahren,
jenes berühmte Bollwerk errichtet, die große Mauer, welche in einer Strekke
von 300 Meilen über Berge, Thäler, Abgründe, Flüsse bis zum Meere reicht.
An besonders gefährlichen Stellen ist die Mauer doppelt, ja dreifach. Sie ist
überall 25' hoch und an ihrer Grundfläche eben so stark; oben ist sie 15>/2' dikk
und mit einer 5' hohen, mit Schießscharten versehenen Brustwehr umgeben. Außer-
dem sind etwa alle 300 Schritt noch Thürme angebracht, welche 12—23' über die
Mauer hervorragen. Peking ist die Residenzstadt, hat 4 Meilen im Umfange
und 2 Mill. Einw. Nanking ist die zweite Stadt deö Reiches, hat 1 Mill.
Einw. und ist berühmt durch den achtseitigen, 200' hohen Porzellanthurm, der
mit vielen kleinen Glvkkcn behängen ist, die, vom Winde bewegt, eine liebliche
Musik hören lassen.
3) Japan, ein Inselstaat. Die Japaner sind, wie die Chinesen, Heiden,
übertreffen diese aber an Bildung.
4) Hinterindien, oder die Halbinsel jenseits des Ganges.
5) Vorderindien, oder die Halbinsel diesseits des Ganges. Dieses Land
gehört größtentheils den Engländern und ist uns bekannter unter dcur Namen
Ostindien.
6) P e r s i e n.
7) Arabien. Im nördlichen Theile dieses Landes liegt der altberühnrte
Sinai. — Die beiden Städte Mekka, als Geburtsort, und Medina, als
Begräbnißstätte Muhameds, sind hier zu merken
8) Die Asiatische Türkei, wozu Klein-Asien, Armenien, Meso-
pota »lien und Syrien mit Palästina gerechnet werden.
Ferner rechnet man zu Asien noch:
9) Die Vorderindischen Inseln, wozu Ceylon gehört, nebst den
Lakediven und Malediven.
10) Die Hinteri ndischen Inseln; hierzu rechnet man die And ama-
nen, im Meerbusen von Bengalen, südlich davon die Ni ko baren.
11) Den großen indischen Archipelagus, der aus den vier Gruppen
der Sunda-, Molukken-, Philippinen- und Sulu-Inseln besteht.
291
Sibirien.
(Das östliche' asiatische Rußland.)
Unter diesen Namen begreift man den 220,000 Q.-M. und 2'/2 Million
Einwohner enthaltenden nördlichen Theil von Asien.
DaS Klima Sibiriens ist dnrchgehends strenge; selbst in den südlicheren
Theilen gefriert daS Quekksilber oft, und selbst im Sommer thaut der Erdboden
nur einige Fuß tief auf.*) Baumfrüchte gedeihen nirgends in Sibirien, und
über den 60. Grad hinaus hört aller Anbau auf; aber schöne Wälder von
Lärchen, Tannen und Birken reichen bis zum 65/ Grade, stellenweise sogar bis
zum Polarkreis; darüber hinaus aber ist das Land eine große, mit Mooö, Morast
und verkrüppelten! Gesträuch bedekkte, von Schnee und Eis starrende Einöde,
worin nur einige Nomadenvölker von Fischen, Rennthieren und von der Jagd
leben. —
Die Bewohner sind theils Tartaren, welche einst in diesen Gegenden herrschten,
theils Russen, welche sich nach und nach zum Theil freiwillig hier angesiedelt
haben, zürn Theil auch hierher verwiesen worden. Diese Verweisungen nach
Sibirien sind noch jetzt sehr häufig, da die Todesstrafe in Rußland nicht ange-
wendet wird. Das Schikksal der Verwiesenen ist nach der Art ihrer Vergehungen
sehr verschieden. Schwere Verbrecher kommen gewöhnlich in die Bergwerke, wo
sie mehr oder minder streng gehalten werden; zum Zobelfang auf Rechnung der
Regierung, wie man sonst wohl erzählte, werden Verbannte niemals gebraucht.
Die wichtigsten Städte in Sibirien sind: Tobvlök, 445 Ml. von Peters-
burg mit 16000 Einw., Irkutsk, 859 Ml. von Petersburg und nur 519 Ml.
von Peking, Jeniseist, JakutSk, Ochotök.
Die Feuer von Baku.
Die Stadt Baku oder Badku an der Westküste des kaspischcn Meeres liegt
in einer reizenden, bergigen Gegend, die seit alter Zeit wegen ihrer Naphtha-
Quellen berühmt ist. Dieses Naphtha ist im reinen Zustande weiß, sehr leicht und
flüchtig und höchst entzündbar. Ungefähr eine halbe Meile von einer der reinsten
Naphtha-Quellen ist der sogenannte Feuerort.
So wie man sich diesem Orte nähert, empfindet man einen starken Schwefel-
geruch., Der Durchschnitt des Feuerorts beträgt über '/, deutsche Meile, und In
der Mitte desselben sieht man eine starke gelbblaue Feuersiamme. In einiger
Entfernung von dieser Flamme haben die G ueber (das Feuer anbetende Men-
schen) und andere arme Leute kleine steinerne Wohnungen errichtet. Der Boden
dieser Wohnungen ist einen Schuh bits mit fetter Lehmerde dicht geschlagen, damit
die Flamme in diesem Raum nicht durchbreche. Wo aber der Wirth deö Hauscö
Feuer nöthig hat, daselbst hat er Löcher in dem Lehme gelassen, und wer nun
Feuer bedarf, hält ein brennendes Licht über die Oeffnung, und sogleich entsteht
eine Flamme, die Jeder zu seiner Absicht besser, als Holz- und Kohlenfeuer zu
behandeln weiß. Je kleiner die Oeffnung ist, mit desto größerer Heftigkeit bricht
die Flamme hervor. Braucht ruan das Feuer nicht mehr, so bcdekkt man die
Oeffnung, nachdem man die Flamme mit einem Rokkschooß oder einem Fächer
ausgelöscht hat.
Eben so bereiten sich die Einwohner in der Dunkelheit ihr Licht. In ein
enges, in den Lehm gebohrtes Loch stvkken sic ein Schilfrohr von beliebiger Hohe,
nachdem sie ihm vorher inwendig und auswendig einen Ueberzug von Lehiu gegeben
') Siehe „der Mensch in Hitze nnd Kälte."
292
habe», und zünden oben den Dunststrom an. Die Leinweber haben mehrere
dergleichen Lichter um ihre Stühle stehen, die ihnen vollkommenes Licht geben
und weiter keiner Unterhaltung und keines Putzens bedürfen. Auch braucht man
im Winter nicht einzuheizen; denn es ist da immer so warm, daß man die Thüren
beständig offen stehen läßt. _________
Ostindien
ist eins der tropischen Länder, wo die Sonnengluth dem Boden eine üppigere
Pflanzenwelt entlokkt, wo gleichsam alles Leben der Natur rascheren Schrittes
geht und die Pulse schneller schlagen. Von den eisigen Zakken deö Himalaiia bis
an die Mündung deö Ganges findet sich ein reicher Uebergang verschiedener
Klimate. Dort oben wohnt neben dem Winter der Polarkreise der heitere Früh-
ling und warme Sommer der südlichen gemäßigten Zone; die vorliegenden
Gebirgölande haben den milderen Winter und heißeren Sommer; die tieferen
Thäler in Napal und das obere Hindostan haben oft glühende Hitze. Vom Mai
bis Julius hängen schwere Wetterwolken an den Gebirgen, und furchtbare Gewitter
gießen Ströme von Regen und aufgelöstem Schnee herab und machen das Nieder-
land zum See, worauf dann aber auch die Pflanzenwelt in fast erschrekkender
Schnelle sich regt und riesenhaft aufwächst, bis das ganze Land in einer Frische
und Farbenpracht leuchtet, wie sie die bescheidenen Abendländer der gemäßigten
Erdstriche nicht kennen. Aber in den Niederungen fängt auch bald die Hitze an,
verdoppelt durch die feuchten Dünste der Waldgegenden am MeereSufer, sich fühl-
bar zli machen. Sie steigt zum hohen Sommer, in welchem der Boden braun
und roth wird, ja, nicht selten die Erde von Eisen, der Himmel glühend Erz ist,
wie der Hindu sagt. Kein Wunder, wenn hier die Stärke der Natur in ihren
Erscheinungen, die Pracht der Pflanzenwelt und das rege Leben der Thierwelt
einen Grad erreicht, der tief in daö Leben der Menschen hineinwirkt.
Die vier Kasten, in die das Volk getheilt ist, d. h. die der Brah inanen
oder Priester, der Ksche tria's oder Krieger, die der Watfy a'S oder Kaufleute
und die der Sudra'S oder Gewerbslcute, sind jetzt in zahllose Unterabtheilungen
verästelt. Tausende von Kastenabtheilungen ziehe» starre Grenzmauern zwischen
den Familien und Personen; ja, die Hindus sind gerade durch das unselige Kasten-
wesen zum Stillstände auf ihrer niedrigen Bildungsstufe verurtheilt. Wer kennt
nicht die armen Pareia'ö, die wie wilde Thiere in die Wildnifi gestoßen sind,
deren Anblikk schon den Brahmanen beflekkt, deren Athem Pesthauch für den Hindu
ist! Wer hat nicht-schön von den Auswürflingen gehört, welche aus den gemischten
Ehen verschiedener Kasten entsprungen, und die nach und nach in manchen Gegen-
den die zahlreichste Bevölkerung bilden? Wer weiß nicht davon, daß die große
Zahl der Brahmanen sich zu einer unerträglichen Last deö Volkes macht? Oder
kennt man in Europa etwa nicht die Kindermorde, die Scheiterhaufen der armen
Wittwen und das unselige Looö derer, die jetzt durch europäisches Eingreifen dem
Martertvde des Feuers entrinnen? Sieht man den Hindu in seinem täglichen
Leben, so könnte man in der That leicht versucht werden, mit einem berühmten
Missionair der römischen Kirche an seiner Zugänglichkeit für den christlichen
Glauben und die evangelischen Gebote zu verzweifeln. Denn der oft wiederholte
Spruch:' „Eö ist besser sitzen als gehen, besser schlafen als wachen, daö Beste
aber der Tod" spricht nicht nur eine Gleichgültigkeit gegen alle geistigen Bestre-
bungen aus, sondern wird auch von dem stets faulenzenden, durch keine Theilnahme
an fremder Noth, durch kein Bedürfniß deF Geistes aufgestörten Hindu recht als
Lebenöregel behandelt. Seine leiblichen Bedürfnisse nöthigen ihm wenig Thätigkeit
ab; eine Handvoll Reis, ein schmutziges Kleid, eine elende Hütte, einige Zier-
rathen für sein Weib, einige Tropfen Wassers, um die von der Religion geforderten
293
Waschungen zu vollziehen, sind Alles, was er begehet. Seine Arbeiten, wo er
sie nicht umgehen kann, seine Gespräche, seine Vergnügungen, Alles wird sttzend
vorgenommen. —< Leben und Tod der Seinigen sind ihm keine sehr wichtige
Dinge. Stirbt die Gattin, so heirathet er so bald als möglich eine andere; der
Tob eines Kindes überhebt ihn einer lästigen Sorge. Anders ist freilich Manches
in den höheren Klassen der Gesellschaft. Der Brahmane ist hie und da ein
gelehrter Forscher; bei den Meisten aber besteht ihre ganze Bildung in der Sanscrit,
in der Gcschikklichkeit, die heiligen Terte zu lesen, die Ceremonien zu vollziehen.
Die gewohnte Kunstfertigkeit der indischen Weber, die jene berühmten Stoffe,
„gewebter Wind" genannt, hervorbrachten, die Geschikklichkeit der Bankünstler
und Maler, anö deren Händen die Pagoden, die Götterbilder hervorgegangen
sind, die GeisteStiefe und Sprachgewandtheit der Dichter, von der die großen Werke
zeugen, welche jetzt in Europa bekannt werden, die Verstandesschärfe der Astro-
nomen, der Mathematiker, der Sprachforscher, die wir noch jetzt bewundern, sie
sind Dinge der Vergangenheit. Wäre die Brahmanen-Bildung kräftig genug in
sich selbst gewesen, um sich zu erhalten, sie wäre nickt in so vielen und großen
Provinzen Indiens dem Ist an« so völlig erlegen. Im Norden Indiens vor
allem herrscht dieser unumschränkt. Dort findet man die stattlichen braunen Ge-
stalten der Mongolen mit ihren blitzenden Augen, ihren schönen Gesichtern, welche
heute noch an ihre hochasiatischen Ahnen erinnern. Noch jetzt ist der Stolz und
Uebermuth des Herrschers, die Grausamkeit des Barbaren leicht ans der indisch
kriechenden Höflichkeit herauszuerkennen. Noch heute erkennt man de» Nachkömm-
ling der gewaltigen Reiter der Nomadensteppe, wenn der Moslem auf seinem
flinken Rosse dem Tiger nachsetzt und Waffen und Pferd mit stannenSwerther
Behendigkeit handhabt. Kaum aber glaubt man, daß der träge Gaffer, der
seine Pfeife raucht, in ungestörter Ruh im Schatten sitzt und Nichts thut,
derselbe Mann ist.
Die Mongolei und die Mongolen.
Wo die Mongolei liegt, ist in einem früheren Abschnitte schon gesagt;
daher erwähnen wir hier nur noch, daß sie im Durchschnitt wohl 50 —100
Meilen breit und über 300 Meilen lang ist. Sie liegt ungefähr unter
denselben Graden der Breite, wie die herrlichen lombardischen Ebenen; aber
welch ein Unterschied der Natur und der Menschen! Dieses asiatische Flachland
ist der Wahrheit nach ein Gebirge, ein ebenes Hochland, welches überall
mehrere tausend Fuß, ja so hoch über der MeereSfiäche erhaben ist, wie die
höchsten europäischen Alpenwohnungcn. Nur nach der Nordwestseite ragen
die Riesenberge des großen Altai noch weit über dieses Hochland hervor; nach
den andern Seiten zeigt sich ein Abfall in tiefere Länder. Steigt man von
diesen aufwärts, so führt der Weg durch Thäler, in die sich wilde Bäche hinab-
stürzen. Hat man endlich die Höhe erreicht, so verschwindet alle Mannigfaltigkeit,
alle Schönheit. Nirgends ein Baum, nirgends ein Strauch, nichts sich Aus-
zeichnendes in diesem Landmecre von Kieü und Sand. Etwa zwei Monate lang
brennt die Sonne am Tage mit gewaltiger Gluth, und des Nachtö tritt dennoch
Eiökälte ein. Nordwinde.herrschen den größten Theil dcö Jahres hindurch, und
die Trokkenheit ist so groß, daß es nicht einmal schneit, viel weniger regnet.
Auf dem magern Boden suchen die Thiere ängstlich ihre nothdürftige Nahrung.
So ist das Stammland der Mongolen; und wie das Land, so die Menschen.
Ihre nur mittelmäßige Größe würde man ihnen kaum als Mangel anrechnen,
wenn nur sonst die Verhältnisse ihres Körperbaues angenehm wären. Aber an
dem überlangen, starken Oberleibe sitzen schmale Hüften und kurze, krumme,
20
294
magere Beine. In dem blassen Gesichte treten dikke Lippen und ekkige Bakken-
knochen hervor, während die Nase breit und platt ist und in den weiten, tiefen
Augenhöhlen kleine, schief gestellte Augen blinzeln. Der Bart fehlt von Natur-
ganz; der Kopf wird künstlich geschoren, und nur hinter jedem Ohre bleibt ein
langer, zusammengedrehter Zopf hängen. Diese Gestalten, sowohl Männer, als
Weiber, darf man sich nicht anders denken, als auf mageren, raschen Pferden
und in steter Bewegung; doch hatten sic auch sogenannte Häuser, d. h. Zelte
von Filz, welche, um sie wasserdicht zu machen, mit Schafmilch bestrichen wurden.
Wohnung und Hauögeräth stellte man bei Wanderungen auf zweirädrige Wagen,
und fuhr sie von einem Orte zum andern. Die Mongolen aßen Katzen, Hunde,
Ratten, Mäuse, Läuse und anderes Ekelhafte, am liebsten Pferdefleisch; sic ver-
schmähte» als Getränk, selbst schmutziges Wasser und Pferdeblut nicht. Zum
Wohlgeschmakk bereiteten sie den berauschenden KamuS aus Stutenmilch. Brot
war ihnen unbekannt. Ihre Waffen bestanden in Spießen, Schwertern und
Keulen; sie waren (selbst die Weiber nicht ausgenommen) treffliche Bogenschützen.
Beim Angriffe stellten sich die Mongolen gern eng, um ihre überlegene Zahl
zu verbergen; schicn'S nützlich, so schämten sie sich keiner Flucht. Pelze mannig-
facher Art schützten gegen die Kälte, Harnische von gehärtetem Leder gegen
feindliche Waffe»; Hunger und Durst, Hitze und Kälte ertrug dies Bolk mit
großer Gleichgültigkeit; fand sich aber Gelegenheit, so ward auch desto unmäßiger
gegessen und getrunken.
Man erzählt, daß sie an einen höchsten Gott glaubten; da sie aber nicht
einmal den äußern Gottesdienst ausgebildet hatten und in allem Sittlichen und
Gemüthlichen so sehr zurükkstanden, so kann jener Glaube unmöglich tief und
fruchtbar gewesen sein. Auch ist weit mehr von niederen Schutz - und Haus-
göttern die Rebe, denen sie opferten, und von einer Verehrung der Sonne, deö
Mondes und anderer Naturgegenstände. In ihren abergläubigen Satzungen
findet sich nicht einmal eine Beziehung auf etwas Wahrhafteres und Höheres.
So galt eö z. B. für ein Verbrechen, wenn Jemand Knochen zerschlug, Fleisch
auf die Erde fallen ließ, sich auf die Peitsche lehnte, mit dem Schwerte in Feuer-
hieb u. dergl. Auch reihten sich hieran Wahrsagereien von mancherlei Art.
Kein Mongole konnte schreiben oder lesen, und ihre Sprache stand in einem
natürlichen Verhältnisse zu diesem gänzlichen Mangel an Bildung.
So waren der Glaube, die Sitten und die Sprache der Mongolen, welche
sich für das auserwählte Volk Gottes und für bestimmt hielten, die Welt zu
erobern und zu beherrschen. Und der furchtbare Dchingiskhan verwandelte diesen
Glauben in entsetzliche Wahrheit, indem er ein Reich gründete, größer, als
irgend eins auf Erden. Aber selbst der Beherrscher brachte eS nie bis zu echt
menschlicher Freiheit, und seine Mongolen blieben Knechte, wie vorher. —
Die Inseln bei Asien.
Die auf der asiatischen Seite des großen Weltmeeres belegenen Inselgruppen
prangen mit Allem, was die Natur Schönes und Prächtiges hat. Hier ist das
Auserlesenste der todten und belebten Schöpfung zusammengeflossen. Das Edcl-
gestein und das Gold, daö häufig angetroffen wird, verliert fast seinen Werth
gegen den köstlichen Ambra. Hier bereitet die Sonne die feinsten Pflanzensäfte.
Statt gemeinen Harzes, fließt Kampfer aus den Wunden der Bäume. Jene
vortrefflichen Gewürze giebt es hier, um deren Besitz die Völker Europas blutige
Kriege geführt haben, und deren Alleinhandel ehedem die Niederlande bereicherte.
Das erhabene Geschlecht der Palmen ist hier mit allen seinen Gattungen ein-
heimisch. Die Fische im dortigen Meere, die Schmetterlinge und andere Insekten
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wetteifern mit einander um den Preis der Seltenheit, es sei an Gestalt oder
Farbe. Eben so'schön ist daö Kleid unzähliger Gattungen des Geflügels.
Allein so reizend dies nach der Natur entworfene Gemälde sein mag, so hat
eS gleichwohl auch seine schwarzen Schatten. Denjenigen Inselgruppen, welche
nach Osten hin, im Meere gleichsam verloren, und weit von einander zerstreut
liegen, wurde zwar von den vorhin erwähnten Reichthümern wenig zu Theil;
jedoch sie blieben auch dafür mit manchen wesentlichen Uebeln verschont. So
kennt z. B. das glükkliche Taheiti mit seinen benachbarten Inseln Nichts von
jenen reißenden Tigern, die auf Sumatra, Java und Borneo die Heerden
zerstükken und selbst den Menschen furchtbar sind. Giftige Schlangen, die man
häufig genug in den Wäldern dieser großen Inseln antrifft, und gefräßige
Krokodile, die in ihren Flüssen daö Schrekkcn der belebten Schöpfung sind,
werden nach Morgen zu nie gesehen. Das durchdringende Gift, welches der
Einwohner Von Makassar anö Pflanzensäften bereitet, womit er seine Pfeile
bestreicht, und wodurch innerhalb wenigen Minuten die kleinste Wunde tödtlich
wird, ist ebenfalls im stillen Weltmeere und allen seinen Eilanden unbekannt.
Die Vulkane, die einst auf den SoeietätS-Inseln und auf den Marquisen,
und fast überall in jener östlichen Gegend brannten, sind längst erloschen.
Kaum glimmt hie und da, auf den FreundschaftS-Jnseln und den neuen Hebriden,
noch cttt unbedeutender Berg. Hingegen werfen längs der Küste von Neu-
Guinea eine Reihe brennender Schlünde ihre Feuerströme in daö Meer. Auf
den Philippinen tobt der fürchterliche Mayon nebst manchen andern Vulkanen,
und die Ausbrüche des Gunung Api haben die Gewürzinsel Banda schon einmal
über das andere fast gänzlich umgekehrt. Java endlich, Celebes und die
umliegenden Inseln sind noch mit feuerspeiende» Bergen beseht. Daraus ist zu
lernen: Jede Gegend hat ihr Liebes und ihr Leides!
Das gelobte Land.
Das gelobte Land ist von Nord nach Süd etwa 70 Stunden lang, von
Ost nach West etwa 30 — 40 Stunden breit und hat ungefähr 500 Quadrat-
meilen Flächenraum.
Die Grenzen des Landes waren sich nicht immer gleich. Gott hatte feinem
Volke alles Land zwischen dem Mitteluieere und dem Euphrat versprochen (1. Mos.
15, 18); aber Israel hatte nicht den Glaubensmuth, die Einnahme aller dieser
Länder zu versuchen. Nur unter David und Salomo herrschte Israel vom
Euphrat bis ans rothe und mittelländische Meer.
Israel ist westlich vom Mittelmeere, nördlich von dem hohen Gebirge des
Libanon, südlich und östlich aber von den beiden Wüsten, der arabischen und
syrischen, umgeben. So lag daö Land wie eine Insel da, und daö Volk war
abgeschlossen von der schädlichen Berührung mit den umwohnenden Götzendienern.
Das Land hat verschiedene Namen. Es hieß früher das Land Kanaan,
weil die Kanaaniter daselbst wohnten (1. Mos. 11, 13). Weil eü Gott den
Vätern gelobt oder verheißen hatte, so hieß eö auch daö gelobte Land
(1. Mos. 15, 18). So lange die Kinder Israel darinnen wohnten, hieß eö das
Land Israel (1. Sam. 13, 19). Seit unser Herr und Heiland darin lebte,
starb und auferstand, können wir es auch daö heilige Land nennen (Sacharj.
2, 12). Die Griechen und Römer gaben dem Lande den Namen Palästina.
Daö gelobte Land ist vorzugsweise Hochland. Doch finden sich zwei tiefe
Gebiete in demselben: die Küsten ebene und daö Jordan that. Letzteres
durchschneidet daö Hochland der ganzen Länge nach und theilt es in ein
westliches und in ein östliches. So zerfällt also der Boden dieses Landes in vier
20 *
296
deutlich zu unterscheidende Länderstreifen, die von Nord nach Süd
ziehen: 1) die Küstenebene; 2) daö westliche Hochland; 3) das
Jordanthal und 4) das östliche Hochland.
Im Norden des Landes stoßen alle diese Bezirke an den Libanon, ein
Alpengebirgt, daö in zwei, beinahe gleichlaufenden Ketten der Küste entlang an
30 Stunden weit sich erstrekkt, bis zu einer Höhe von 9000 Fuß über das Meer
aufsteigt und durch seine Eedern berühmt war. Der westliche Gebirgszug heißt
Libanon, der östliche Antilibanvn; daö Thal zwischen beiden Eölesyrien
(hohle Syrien) oder auch Bekaa.
Die Küsten ebene wird durch daö Vorgebirge Karmel, wo das Hochland
bis ans Meer reicht, in einen nördlichen und südlichen Theil geschieden. Der
nördliche Theil ist sehr unbedeutend, weil schmal; nur die Ebenen um die
beiden Flüsse Kison und Beluö haben noch einige Breite. Den Beluö nennt
man auch Glasfluß. Warum? — Nicht weit von feinem Ausflüsse rinnt er
durch eine Sandstrekke, die sehr feinen Kieselsand enthält. Dort landeten einst
Fischer auö Sidon, welche Salpeter in ihren Fahrzeugen führten. Sie wollten
ihr Essen bereiten, und da es au großen Steinen fehlte, um den Kessel über das
Feuer zu erheben, so nahmen sie große Salpetcrstükke dazu. Diese aber
zerschmolzen am Feuer, vermischten sich mit der Asche und dem Saude, und eö
entstand eine durchsichtige Masse, das Glas.
Nicht weit von der Mündung dieses Flusses liegt die Hafenstadt Akko
(nachher PtolemaiS, jetzt St. Jean d'Acre).
Vom Karmel südlich wird die Küstenebene immer breiter; man theilt sie in
3 Theile: a) die Saron, etwa 18 Stunde» lang, vom Karmel bis Joppe.
Aus dem Hochlande fließt der Bach Kana, d. h. Rohrback, durch diese Fläche.
l>) Die Saphcla, so lang, wie die vorige, von Joppe bis Gaza. Hier fließen
die 2 größten Bäche des Küstenlandes, der Bach Besor und der Sorek.
Hier wohnten dem Meere entlang in 5 großen und vielen kleinen Städten
die Philister, c) Der Theil südlich von Gaza, der immer breiter wird und
nach Westen in die Sandwüste S u e übergeht. Nach Süden nehmen die
Sandflüchen auch überhand und gehen in die mit schwarzen Steinen übersäete
Fläche der Wüste Zin über, aus der man südwärts in die Wüste Paran
aufsteigt. In der UebergangSgegend aus dem fruchtbaren Lande in die Wüste
ist die Gegend von Kadeö Barnea.
DaS westliche Hochland wird eingetheilt: a) in daö Hochland von
Galiläa, ganz im Norden. In der Mitte dieses Landes liegt die Ebene
Sebulvn; sie ist von einem Hügelkranze eingeschlossen. Hier liegt auch der
Berg der Seligkeiten. Südlich von hier liegt die Ebene Jesreel oder Esdrälvm.
Im'Nordost der Ebene erhebt sich der Th a bor; an der Westseite desselben
entspringt der Kison. Südlich vom Thabor steht der kleine Hermon. Non
hier auö erhebt sich b) daö Gebirge Ephraim, auch Samaria genannt.
Hier finden sich die beiden Berge Ebal und G-rizim, zwischen denen die alte
Stadt Sichem liegt. Nicht weit davon ist daö Jakobs selb mit den Jakobs-
brunnen. Zwei Bäche entspringen auf dieser Berglaudschaft, der Crith und
der Kana. Südlich folgt o) das Thal Ajalon; auf den Höhen umher lagen
viele wichtige Orte, als Gibeon, Rama, Bethel u. a. Von hier an beginnt
<l) das Gebirge Juda und setzt sich bis anö Südende des Landes fort. Der
höchste Landrükkeu findet sich auf der Westseite; auf seinen Höhen liegen
Jerusalem und Bethlehem. Südlich davon liegt die- alte Stadt Hebron, und bei
ihr der Hain Mamre. Südöstlich vom Hebron erhebt sich der Karmel
Juda'S. Am Ostrande des Hochlandes ziehen sich eine Reihe unbebauter
297
Gegenden hin und werde» Wüsten genannt. Die nördlichste heißt Beth aven;
nach ihr kommt die von Jericho, ein schauerliches Fclftnthal; hier durch führt
der Weg von Jerusalem nach Jericho. Südlich ist diese Wüste durch den Kidron
begrenzt, der ans der Gegend um Jerusalem kommt und ins todte Meer fließt.
Südlich vom Kidronthale folgt die Wüste Thekoa; noch weiter ist die Wüste
Ztph, und darauf folgen Engeddi nnv Maon.
Das Jordan that. Zwischen den beiden Zügen des Libanon entspringt
ein Flüßchen, das sich kurze Zeit darauf mit einem andern vereinigt, und beide
bilden den Jordan, der sich mit noch andern Bächen vereinigt und den Sec
Merom bildet. Ans diesem fließt der Jordan langsam durch die Felsen, welche
das obere Thal verschließen und ergießt sich dann in den See Gene za reih,
der etwa 3 Meilen lang und 1 Meile breit ist. Seine Umgebungen, sind der
schönste Landstrich Palästinas. Am Südende des Sceö tritt der Jordan wieder aus
demselben und fließt nur noch 30 Stunden weit südlicher, ehe er sich mit dcnr
todten Meere (Salzmeere) vereinigt. Dies ist ein todter Seespiegel ohne
Fische, ohne Schaalthiere und Seegcwächse. Das Meer ist ein Bild des Todes.
Da es zwischen hohen Felswänden liegt, das Wasser sehr schwer ist (auf 100
Theile Wasser kommen 12 Theile Mineralien), so hat es nur schwachen
Wellenschlag. Ringsum sind einsame Ufer ohne Pflanzen, ohne Wohnorte, eine
Wüste voll Salz und Grdpech von dem traurigsten Anblikk. Wilde Thiere finden
weder Nahrung noch Trank, scheuen daher die Gegend. Am östlichen Ufer finden
sich heiße Quellen mit Erdharz und Schwefel. ( Bom todten Meere geht daö
Thal immer weiter bis zum rothen Meere und wird das Salzthal genannt.
Das östliche Hochland zeichnet sich durch größere und gleichartige
Bezirke aus. Von der hohen Wüstenfläche Syriens ziehen sich 3 weite, sanft
ausgehöhlte Bekken nach dem Jordan hinab', durch welche die einzigen bedeutenden
Nebenflüsse gehen. Die größte Vertiefung bildet der Hieromar im Norden;
südlich fließt der Arnon; zwischen beiden Flüssen liegt das hohe Gilead, wird
aber durch den Jabok in zwei Theile getheilt.
Die nördlichste und größestc dieser Vertiefungen beginnt am Ostufer des
galiläischen Meeres und erstreikt sich gegen 20 Stunden weit nach Osten. Diese
Hochfläche hat aber etwas Kesselartiges an sich; denn nach N. steigen die
Vorgebirge des Libanon, nach O. das hohe Randgebirge Hauran auf; so wie
sich wiederum nach W. und S. die Hochebenen Golan und Bas an, die ihren
Abfall zum Jordan haben, erheben. Den Nordosttheil des Landes hieß man
Trachonitis, und die ganze Hochfläche Hauran, deren südlichste Grenze
eben der Hieromar ist, der vom Gebirge Hauran kommt. Südlich von Basan
und Hauran erhebt sich das noch höher liegende Gilead, welches ans dem
Gebirge Gileass, dem Jt.abokthale und dem Hochlande Gilead besteht.
Hier war das Land der Amflioniten. Bon hier aus senkt sich das Land sanft
herab zum Arnon, der auf der Grenze der Wüste entspringt. Nördlich vonr
Arnon ist eine Höhe, das (Mbirge Piöga, dessen höchster Gipfel der Berg
Nebo ist. ^
Südlich vom Arnon gehörte das Land nicht mehr zu Israel; es wurde von
den Kindern Moab bewohnt, und heißt das Hochland Mo ab. Kö wird nach
Süden zu schmäler, setzt sich aber bis nahe an den östlichen Busen des rothen
Meeres fort und ist das einst so sehr bewohnte Gebirge Seir.
Die Tageszeit ist in diesen Gegenden viel gleichmäßiger, als bei uns. Die
Sonne geht frühestens Morgens 5 Uhr, spätestens 7 Uhr auf und am längsten
Tage um 7 Uhr, am kürzesten um 5 Uhr unter. Man rechnete die Tageszeit
298
von Sonnenaufgang an; Mittag war durchs ganze Jahr hindurch die sechste
Stunde. Der Tag hatte 12 Stunden; natürlich' waren im Winter die Stunden
kürzer. Die Nacht wurde in Nachtwachen getheilt.
Die Jahreszeiten ähneln auch schon mehr, als beiuns, denen der heißen Zone.
Der Jahresverlauf ist etwa folgender: Gegen die Herbftnachtgleiche weht der
Nordwestwind und bringt gegen Ende October den Frühregen, welcher den Akker
zur Bearbeitung geschikkt macht. Ein liebliches Grün glänzt bald auf dem
erquikkten Lande; denn es giebt bis über die Mitte des November hinaus liebliche,
frühlingsgleiche Tage. Im December kommt die Regenzeit; das Wetter wird
rauh und kalt, und in höheren Gegenden fällt Schnee. Im Februar verziehen
sich die Wolken, die Bäume blühen und die Saat wächst heran. Im März
kommen gewöhnlich heiße, trokkcne Winde auf die Regenschauer, die oft von
Gewittern begleitet sind und bis in den April öfter wiederkehren. Dies sind die
Spätregen, welche die Körner reifen; auch wird jetzt die Sommerfrucht gejaet.
Gegen Ende April beginnt die Erndtezeit. Bon dieser Zeit an wehen Ostwinde,
die oft das Grün des Landes in Grau verwandeln und Bäche und Quellen
auötrokknen. Nur die kühle Nacht und der reichliche Thau erquikken die Fluren.
So währt es fort, bis der Nordwest wieder herrscht, die Svmmerfrucht
eingesammelt wird und gegen Ende September die Weinlese beginnt.
Die Fruchtbarkeit des Landes war in alter Zeit sehr groß (4. Mos. 13, 28);
das Land glich einem Garten. Die Haupterzeugnisse waren: Waizen, Gerste,
Hirse, Linsen, Senf, Kümmel, Flachs k.; Oliven, Eitronen, Pomeranzen,
Balsam, Feigen, Wein rc. Die Viehzucht beschäftigte sich mit Schafen, Ziegen,
Rindern, Kamcelen und Eseln. Jetzt, unter dem Drukke der türkischen Herrschaft,
liegt das schöne Land beinahe wüst, und die Einwohner sind zum großen
Theile Bettler.
Die Bevölkerung, welche in den Zeiten der Blüthe des Volkes, unter David
und Salomo , an 6 Millionen Menschen betrug, war zu Jesu Zeiten schon bis
auf 2 Millionen herabgesunken und ist jetzt noch viel geringer. Sie bestand
aus Juden, Samaritern und Heiden (besonders Griechen und Römern). Jetzt
besteht sie in den Städten aus Türken als Herren, und aus Christen und
Juden als Unterdrükkten; auf den Dörfern aber aus armen, zum Theil vom
Raube lebenden Arabern.
Die alte Eintheilung deö Landes war nach den 12 Stämmen gemacht.
Diesseits des Jordans lagen von S. nach N. Inda, Simeon, Benjamin, Dan,
Ephraim, halb Manasse, Ässer, Jfafchar, Sebulon, Naphtali; jenseit des
Jordans aber Ruben, Gab und halb Manasse. — Zur Zeit Jesu war das Land
in 4 Provinzei/eingetheilt: Judäa, Samaria, Galiläa und Peräa.
Judäa war der südlichste Theil des Westj^danlandeS. Hier liegt die
Hauptstadt des Landes, Jerusalem, auf vier Hügeln, unter denen der Berg
Zion, wo die Burg lag, und der Hügel Mor/ah, worauf der Tempel stand,
die wichtigsten sind. Im Osten der Stadt fließt Im Thale Josaphat der Bach
Kidron; jenseits des Baches liegt der OelbeW, und am Fuße desselben der
Meierhof und Garten Gethsemane; weiterhin sind die Flekken Bethphage
und Bethanien; l>/2 Meile (60 Feldwege) nordwestlich der Stadt lag der
Flekken E m m a u S.
Samaria lap nördlich von Judäa und war bewohnt von den Nachkommen
der nach der assyrischen Gefangenschaft eingewanderten Heiden, die sich mit den
zurükkgebliebencn Israeliten vermischt hatten und Samariter genannt wurden.
Samaria war die Hauptstadt; sie liegt etwa 8 Meilen nördlich von Jerusalem
und ist jetzt ein armes Dorf.
299
Galiläa, der nördlichste Theil des Landes, enthielt die Orte Nazareth —
jetzt ein kleines Dorf, Namens NaSrath — Nain, Bethsaida, Liberias, Ptolemais
mit einem Hafen; früher stieß sie Akkon und später Zlkre. Sie ist eine Festung
und aus den Kreuzzügen bekannt.
Peräa lag jenseits des Jordans. Hauptorte waren: Cäsarea, Philippi,
Gadara, Magdala, Pella, wohin die Christen bei der Belagerung Jerusalems
flohen; Bethabara, wo Johannes taufte, und Machärus, wo er enthauptet wurde.
G u r o p a.
Unser Grdtheil, Europa, ist der kleinste unter den fünf Erdtheilen. Er
scheint nur eine große Halbinsel von Asien zu bilden, die sich ins nordwestliche
Meer hinauöstrekkt. Dennoch ist er zu unserer Zeit der Gebieter auf dem
Weltmeere, und seine Nationen herrschen auch in vielen Ländern der andern
Erdtheile.
Dieses kleine Europa hat seine Lage auf der irördlichen Halbkugel unserer
Erde; mit Asten hängt es durch das Uralgebirge zusammen; von Afrika wird
eS nur durch die Meerenge von Giberaltar getrennt, und das atlantische Meer
scheidet eS von Amerika. Europa besteht größtentheils aus Inseln und Halb«
infein. Ueberall drängt sich das Land zwischen diese Jnselländer und bewirkt,
daß fast alle Völker unsers Erdtheils an der Schifffahrt und an dem Welthandel
leicht Theil nehmen können.
Der nordöstliche Theil Europas flestcht meist aus ebenem Lande, und nur
der südwestliche Theil aus GebirgSland. Auf der Grenze gegen Asien erhebt
sich ostwärts das Uralgebirge, südlich das Gebirge des Kaukasus als
hohe Grenzscheide. DaS Innere von Rußland und Polen hat aber kein Gebirge,
sondern überall ebene Flächen. Dieses Flachland setzt sich durch ganz Nord-
deutschland, Holland und das nördliche Frankreich fort. Spanien ist dagegen
von vielen Gebirgsketten durchzogen, und wird von Frankreich durch die hohe
Kette der Pyrenäen getrennt. Weniger hoch sind die Gebirge Südfrankreichs,
z. B. die Sevennen, Vogesen, Ardennen und der Jura auf der
Grenze der Schweiz. Das höchste Gebirge in Europa sind die Alpen, welche
die Schweiz und Süddeutschland erfüllen. Die Alpen senden einen Ast, die
Apeninen, nach Italien. Die Karpathen, welche Ungarn durchziehen,
haben eine große Ausdehnung, erreichen aber, wie das Balkangebirge in
der Türkei, nicht die Höhe der Alpen; höher sind einzelne Theile des Kiölen-
geb ir ge s, welches Schweden von Norwegen trennt.
In Europa könne» keine so gewaltigen Ströme anwachsen, wie in Asien
und Amerika, theils, weil sie nicht sehr laugen Lauf haben, theils, weil unser
Klima nicht so feucht ist. Der größte Strom ist die Wolga; andere Ströme
sind der Don, der D neper und der D niest er in Rußland; der Po und die
Tiber in Italien; die Rhone, Garonne, Loire und die Seine in
Frankreich; der Duero, der Tajo, die Guadiana, der Guadalquivir,
der Ebro in Spanien; die Themse in England u. a. m. Die größten Seen
Europas sind: der Boden sec zwischen Deutschland und der Schweiz, der
Genfer, Züricher und Neuenburger Sec in der Schweiz; der Cadoga-,
Onega-, Peip u ö - und Ilmen-See in Rußland; der Mä lar-, Wcner-
und Wetter-See in Schweden; der Neusiedler-und Platten-See in
Ungarn; der Com er- und Garda-See in Italien.
Das Klima Europas ist ein gemäßigtes. In den 3 südlichen Halb-
inseln ist eö warm und nähert sich dem Klima von Mittelasien und Nordafrika.
Auf den nördlichen Halbinseln und Inseln gedeihen noch die meisten Akkerfrüchte.
Nur in Lappland, Island und im nördlichen Rußland ist das Klima kalt.
300
Fast in allen seine» Theilen ist Europa reich an Naturgaben. An Metallen
ist kein Mangel, und finden sich auch nicht viel Edelsteine, so hat es desto mehr
nützliche Bausteine, Marmor, Alabaster u. s. w. Steinkohlen werden in großer
Menge gegraben, und an Salz haben mehrere Länder Ueberfluß.
Die Brotfrüchte, d. h. Getreide und Hülsenfrüchte u. s. w.» wachsen
durch ganz Europa. Die Obstzucht gedeiht bis nach Schwede» und Norwegen,
und in den südlichen Gegenden Europas findet man eine Fülle köstlicher Süd-
früchte, welche nur in warmen Ländern gedeihen.
Auch an Thieren, sowohl zahmen als wilden, ist unser Erdtheil ziemlich
reich. An Rindvieh zeichnet sich das mittlere Europa auö; die Schafzucht
gedeiht am besten in England, Deutschland und Spanien.
Die Völker Europas sind zu uralter Zeit aus Asien eingewandert. Die
ältesten Bewohner von Italien, Spanien, Frankreich und Irland gehörten zum
Stamme der Celten, sind aber nachher mit deutschen Völkern gemischt worden.
Die Bewohner von Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden, England,
Holland und der Schweiz gehören zum germanischen Volksstamm. Im
östlichen Europa, namentlich in Rußland, Polen, Galizien, Böhmen und an
der unteren Donau hin, wohnen die slavischen Völker. Im hohen Norden
haben die Lappen, Finnen und Samojeden ihre Wohnsitze; die Zigeuner,
Juden und Armenier leben zerstreut in den verschiedenen Ländern unsers
Erdtheils.
Durch ganz Europa wird Akkerbau und Viehzucht mit mehr Sorgfalt und
Gewinn betrieben, als irgendwo auf der Erde. In Gewerben, Bergbau,
Fabriken, Handel und Schifffahrt nimmt Europa den ersten Rang ein. Seine
Bewohner verarbeiten nicht bloß die Erzeugnisse des eigenen Bodens, sondern
auch sehr viele Produkte der andern Erdgegenden.
Auf unserm kleinen Erdtheile leben etwa 220 Millionen Menschen, und
von diesen gehöre» etwa 117 Millionen zur katholischen Kirche; die übrigen
sind entweder Griechen und Protestanten, oder Anhänger MuhamrdS
und Juden.
Die einzelnen Länder Europas.
Im östlichen Europa breitet sich vom schwarzen und kaSpischen Meere, im
Süden bis znm nördlichen Eismeere ein großes Kaiserreich aus, das mit dem
dazu gehörigen Königreiche Polen die Hälfte vom ganzen Flächeninhalt Europas
umfaßt; cs ist das russische Reich. Das Reich hat zwei stolze Haupt-
städte, die an Pracht und Reichthum mit de» größten Städten Europas um
den Vorrang streiten. Die ältere Hauptstadt ist Moskau mit 360000 Ein-
wohnern. Sie hat 5 Meilen im Umfange und ist mit den prachtvollsten Kirchen
(285 an derZahj) und Palästen geziert. Die neuere Hauptstadt ist St. Peters-
burg, an einem Busen der Ostsee. Sic wurde 1703 von Peter dem Großen
gegründet und zählt jetzt schon 500000 Einwohner. Andere wichtige Städte
sind Archangel mit 110000 Einwohnern. Daselbst wird der Tag so kurz,
daß er am Wcihnachtöseft nur 3 Stunden dauert. Odessa mit 71000;
Astrachan mit 70000; Kasan mit 50000 Einwohnern u. a. Im Königreich
Polen heißt die Hauptstadt Warschau; sie liegt an der Weichsel.
Die europäische Türkei mit dem Königreich Griechenland bildet
die südöstliche Halbinsel, unsers Erdtheils. Die wichtigste Stadt der Türkei ist
Constantinopel mit Million Einwohner; die schönste Stadt aber ist
Adrianopel. — Athe n mit etwa 12000 Einwohnern ist die Hauptstadt von
Griechenland. Neben Griechenland liegt die Republik der jonischen Inseln;
der Sitz der Negierung ist Corfu.
301
Der Westen Europas besteht aus Halbinseln und Inseln. Die eine dieser
Halbinseln umfaßt die Königreiche Norwegen und Schweden. Die Haupt-
stadt Schwedens ist Stokkholm mit 80000 Einwohnern; in Norwegen ist
Christiania mit 25000 Einwohnern die Hauptstadt. Die Lappen, die ganz
nördlich auf dieser Halbinsel wohnen, haben zur hohen Sommerzeit Tage, wo
24 Stunden lang die Sonne nicht untergeht; weiter gegen Norden dauert der
Tag ohne Unterbrechung ein, zwei und drilthalb Monate. Im Winter giebt eö
aber auch eben so lange Nächte.
DaS Königreich Dänemark besteht aus lauter Inseln und der Halbinsel
Jütland. Der König vvn Dänemark hat seine Residenz in der schönen und
befestigten Hauptstadt Kopenhagen (120000 Einwohner), die auf der Insel
Seeland am Meere liegt. Auch die Insel Island, ganz im Norden, gehört
ebenfalls dem dänischen Könige.
Großbritanien und Irland sind zwei Inseln, welche drei Königreiche
in sich fassen, nämlich England, Schottland und Irland. Sie sind der
Kern des großen britischen Reicks, dessen größter Theil in den andern vier
Erdtbeilen liegt. — Die größte Stadt in Europa ist London an der Themse.
Sic ist die Haupt- und Residenzstadt Englands und eine der wichtigsten Handels-
städte auf der ganzen Erde, und hat anderthalb Millionen Einwohner. In
Schottland heißt die Hauptstadt Edinburg und in Irland Dublin.
Frankreich ist ans drei Seiten vom Meere umgeben; von Italien wird
cs durch hohe Alpenkette», von Spanien durch die Pyrenäen und von der Schweiz
durch das Juragebirge geschieden. Wo eö a» Deutschland anstößt, hat die Natur
keine solche Grenzgebirge als Marksteine gesetzt. Die Hauptstadt des Landes ist
Paris an der Seine, mit 000000 Seele». In Frankreich gehört auch die
Insel Corsika. Die Hauptstadt Ajaccio ist der Geburtsort Napoleons.
Die Niederlande grenzen an das nördliche Frankreich und sind größeren
Theils ganz ebenes Land und zur Oberfläche des Meeres so tief gelegen, daß
sie theils nur wenig höher, als der Spiegel des Meeres, liegen, theils »och unter
demselben. Der südliche Theil der Niederlande bildet das Königreich Belgien
(seit 1830 entstanden) mit der Hauptstadt Brüssel, der nördliche Theil daü
Königreich Holland mit der Hauptstadt Amsterdam.
Spanien und Portugal bilden zusammen eine große Halbinsel. Beide
Länder sind nicht stark bevölkert. Die Hauptstadt von Spanien ist Madrid,
in der Mitte des Landes gelegen, mit 200000 Einwohnern. Die Hauptstadt
Portugals heißt Lissabon mit 250000 Einwohnern. Noch jetzt giebt eö in
Lissabon Trümmer von dem furchtbaren Erdbeben, welches im Jahre 1775 einen
großen Theil der Stadt zerstörte.
In Mitteleuropa sind besonders zu merken: Italien mit den Inseln
Eorsika, Sardinien und Sicilien. Italien enthält mehrere Staaten.
Im nördlichen Theile liegt zu beiden Seiten des Flusses Po das lombardisch-
vcnetia irische Königreich, welches unter der Oberherrschaft des Kaisers
von Oesterreich steht. Das Königreich Sardinien besteht auö Savoyen und
Piemont, Nizza, Genua und der Insel Sardinien. Kleinere Staaten
sind die Herzogtümer Parma, Modena und Lukka; größer ist Toökana
mit den schönen Städten Florenz, Livorno und Pisa. Der Kirchenstaat ist
das weltliche Reich des Papstes. Die Hauptstadt ist Rom mit 100000 Ein-
wohnern. Das schönste Bauwerk ist die St. Peterökirche; der Palast des Papstes
ist der Vatikan mit 22 Höfen und 5000 Zimmern. Vom Kirchenstaate ist die
kleine Republik San Marino eingeschlossen. Das südliche Italien bildet das
Königreich Neapel, welches auch das Königreich beider Sicilien genannt
wird. Die Hauptstadt ist Neapel mit 400000 Einwohnern. In ihrer Nähe
302
erhebt sich der feuerspeiende Berg Vesuv. In Sicilien ist die Hauptstadt
Palermo. Auf dieser Insel befindet sich noch ein anderer feuerspeiender Berg,
der Aetna. Südlich von Sicilien liegt die Insel Malta, welche den
Engländern gehört.
Deutschland.
Das Land, welches sich von den cisbedekktcn zakkigen Hochalpen bis an die
Wogen der Nord- und Ostsee, von jenseits deS Rheins bis an die Oder und zur
Mündung der Weichsel erstreikt, ist unser herrliches Vaterland, das deutsche
Land. Alles vereinigt sich, um es uns lieb und theuer zu machen; denn wie
eine Mutter für ihre Kinder, so sorgt unser Vaterland für seine Bewohner.
ES bringt Alles hervor, was der Mensch bedarf, selbst Vieles, was ihm zur
Ergötzlichkeit, zur, Bequemlichkeit dienen mag.
Die versengende Gluth des Südens, wie die erstarrende Kälte des Nordens
sind gleich weit von ihnr entfernt. Daher ist auch der fruchtbare Boden zu
jeglichem Anbaue geeignet, und wenn auch hier und da eine wüste Haidcstrekke
sich ausdehnt, so sprießen dafür in den fruchtbaren Gegenden die Früchte in
verdoppeltem Maße hervor. Zwischen kahlen, unfruchtbaren Felswänden ziehen
sich liebliche Thäler hin, die Auge und Herz erquikken. Neben Moor und
Haidestrekken erblikken wir unübersehbare Felder voll wallender Kornähren. Auf
den Gipfeln der Berge erhebt unter Buchen und Tannen die deutsche Eiche ihr
stolzes Haupt; und an dem Saume der Hügel blühen Fruchtbäume aller Art,
von dem sauren Holzapfel bis zur rosigen Pfirsich, von der wilden Birne bis
zur saftreichen Weintraube. Mächtige Ströme wälzen ihre Wogen durchs Land,
tragen auf ihrem glänzenden Rükken den leichten Fischernachen, wie das
schwerbeladene Handelsschiff, und spenden aus ihren Tiefen einen großen
Reichthum wvhlschmekkender Fische. Feinwollige Schafe, kräftige Stiere, milch-
reiche Kühe, flüchtige und starke Pferde erzeugt unser Vaterland. Die Wälder
und Felder wimmeln von Wild; aber kein reißendes Thier birgt sich in den
Schluchten deö Gebirges, kein giftiges Gewürm schrekkt den Wanderer auf seinem
einsamen Wege.
Und wie auf der Erde, so auch in den Tiefen derselben bewahrt unser
Vaterland reiche und nutzbare Schätze. AuS nie versiegenden Quellen sprudeln
Gesundbrunnen. Der Bergmann fördert aus tiefem ^Schacht das beste aller
Gewürze, das unentbehrliche Salz, bringt Gold und Silber, Kupfer und Zinn
zu Tage, gräbt Eisen in Mengendem tapfern Mann zur Waffe und Wehr,
dem fleißigen Landmann zur Bearbeitung seiner Felder.
Wie unsere Sprache zu den ältesten Europas gehört, deren Entstehung
man nicht kennt, so ist auch das deutsche Volk nicht aus Vermischung fremder
Völker entstanden. Noch immer erkennt man im Innern des Landes und im
Norden, vorzüglich in Niedersachscn, Westphalen und Hessen, an dem mehrentheilö
größeren Wüchse, blonden oder hellbraunen Haar, weißer Hautfarbe und blauen
oder hellgrauen Augen den alten germanischen Urstamm. Der Deutsche hat
nicht das witzige Wesen der Franzosen, aber auch nicht das rohe unterwürfige
der Slaven; durch wichtige Erfindungen hat er die Bildung Europas gefördert.
Eins fehlt uns indeß! — Wir ehren zu viel das Fremde, zu wenig das
Eigene. Tüchtiges und Vorzügliches besitzen wir sehr viel, und der Deutsche
kann sich getrost neben den Engländer und Franzosen stellen. Von den vielen
Erfindungen, die von Deutschen gemacht worden sind, sollen hier nur einige
erwähnt werden.
Das Schießpulver wurde durch Bcrtholtz Schwarz 1348, und die Buchdrukkerkunst
1436 durch Guttenberg erfunden. 1500 erfand Peter Hule die Taschenuhren,
303
1530 Jürgens zu Braunschweig das Spinnrad, 1560 Barbara Utmann im
Erzgebirge das Spitzenklöppeln, 1650 Ottv v. Guerike die Luftpumpe u. s. w.
Folgende musikalischen Instrumente sind auch von Deutschen erfunden worden,
nämlich die Giannette, die Pedalharfe, daö Pianoforte, das Pedal und die
Glasharmonika. Tschirnhausen in Sachsen erfand daö BrennglaS, und Böttiger
in Meißen daö Porzellan. Durch Herschel, Olbers und Harding wurden die
Planeten Uranus, Pallas, Juno und Vesta entdekkt; auch Henke fand vor
kurzer Zeit wieder einige neuen Planeten. — Wem wären nicht die Namen
Schiller, Göthe, Kloppstokk, Herder u. A. bekannt! Essei dies genug, um
vor Ueberschätzung des Ausländischen und vor Geringschätzung des Vater-
ländischen zu bewahren. Es darf sich Keiner schämen, ein Deutscher zu heißen.
Nun, dann:
AnS Vaterland, ans theure, schließ dich an!
Daö halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!
Dort in der fremden Welt stehst du allein,
Ein schwankend Rohr, das jeder Sturm zerknikkt.
Die wichtigsten Staaten Deutschlands sind: I. Oesterreich, ein Kaiserthum,
mit der Hauptstadt Wien an der Donau; hierzu gehören noch Galizien,
Ungarn, Siebenbürgen, Slavonien, Dalmatien und die M i l i t a i r-
Grenze. II. Die Königreiche: Prettszett, Sachsen mit Dresden,
.Hannover mit Hannover, Baiern mit München, Wurtemberg mit
Stuttgart. IN. DasKurfürstenthnin: Hefsenêafsel mit Eassel. IV. Die
Großherzogthümer: Baden, Hessen - Darmstadt, Luxemburg, Sachsen-
Weimar, Mekklei« bürg-Schwerin und Strelitz, Oldenburg. V. Die
Herzogthünicr: H o l st e i n , B r a u n s ch w c i g, Nassau, Sachsen - K o b n r g-
Gotha, A l t c n b u r g, M e i n i n g e n - H i l d b n r g ha u se », Anhalt-D essa u,
Bern bürg, Köthen. VI. Die Furstenthümer : Lippe, Waldekk,
Schwarzburg, Reuß, Lichtenstein. VII. Die Landgrafsà'aft: Hesscn-
Homburg. VIII. Die freien Städte: Hamburg, Lübeck, Breme»,
Frankfurt a. M. Deutschlands Größe beträgt l 1,500 Ouadratmeilen, worauf
an 40 Millionen Menschen leben.
Die deutschen Flüsse.
Die größten Ströme unserö deutschen Vaterlandes sind: der Rhein, die
Weser, die Elbe, die Oder und die Donau. Die vier ersten fließen in nördlicher
oder nordwestlicher Richtung; die Donau allein nimmt ihren Lauf gegen Morgen.
Mitten in der Schweiz liegt der St. Gotthard, der gleichsam den Mittelpunkt
der Alpen bildet; denn von dorther laufen die Hauptzweige der Alpen in
verschiedenen Richtungen aus. Hier auf dem St. Gotthard liegen nicht weit
von einander die Onellen zweier mächtigen Flüsse, der Rhone, welche durch das
südliche Frankreich in das mittelländische Meer geht, und des Rheins, der unter
den Flüssen Deutschlands zwar nicht der größte, aber doch der schönste ist.
Der Rhein bildet sich aus mehreren Gletscherbächen, von welchen der Vorder-,
Mittel- und Hintcrrhein die wichtigsten sind. Er windet sich über Rheinek dem
von ihm gebildeten Bodensee zu. Unweit Evnstanz verläßt er den Bodensee und
strömt gen Westen, bildet bei Schaffhansen den Wasserfall und wendet sich bei
Basel plötzlich nach Norden. Von hier bis zur Lauter bildet er die Grenze
zwischen Deutschland und Frankreich und tritt dann ganz in deutsches Gebiet.
Durch ansehnliche Nebenflüsse, als: Nektar, Main, Jll, Nahe, verstärkt,
304
durchbricht er bei Bingen das Schiefergebirge und bildet von dort bis unterhalb
Koblenz eine ununterbrochene Folge der schönsten Landschaften.
Eine große Zahl ansehnlicher Städte umgeben seine Ufer in geringerer oder
größerer Entfernung. Ich nenne nur Straßburg, die alte freie Reichsstadt
mit beut herrlichen Münster, die der Franzose bald nach dem dreißigjährigen
Kriege von Deutschland gewaltsam an sich gerissen hat; Spei er, den
ehemaligen Begräbnißort der Kaiser von Deutschland; Worms, wo iin Jahre
1521 Luther vor Kaiser und Reich sich über seine Lehre verantworten mußte;
Mannheim, am Einflüsse des Nektars; die BuudeSfestuug Mainz, ehemals
Residenz deö ersten geistlichen Kurfürsten; Koblenz, das die Römer am
Zusammenflüsse der Mosel und deö Rheins erbaut haben; das ehrwürdige Cö ln,
dessen Name schon anzeigt, daß die Stadt eine römische Kolonie war; endlich
Düsseldorf a. d. Düffel, Duisburg a. d. Ruhr und die Festung Wesel
a. d. Lippe.
Beim Eintritt in die Niederlande theilt sich der Rhein in 2 Arme, von
denen der linke den Namen Waal annimmt, der rechte den Namen Rhein
behält. Jener fällt, vereinigt mit der Maas, in die Nordsee; dieser theilt sich
von Neuem in zwei Arme, von denen der schwächere, die Nssel, rechts der
Zuidersee zufließt, der andere den Namen Rhein behält. Bei Wyk theilt sich der
Rhein nochmals in zwei Arme, von welchen der stärkere, unter dem Namen
Lekk, sich gleichfalls mit der Maas vereinigt, der schwächere, unter dem Namen
deö krummen Rheins, rechts nach Utrecht geht. Hier sendet er noch einen
Arm, die Becht, nach der Zuidersee und geht, einem schwachen, beinahe
lebensmüden Greise vergleichbar, unterhalb Leiden in die Nordsee.
DaS linke Ufer dieses herrlichen Stromes riß Frankreich zu Ende des
vergangenen Jahrhunderts mit Waffengewalt au sich. Erst seit 1814 ist der
Rhein wieder deutsch geworden. Die Wächter, die das jenseitige Ufer dem
Reisenden widerlich machten, sind verschwunden. Deß soll sich jeder Deutsche,
der daö gemeinsame Vaterland liebt, freuen; und hat der Nachbar wieder
einmal Lust nach dem schönen Ufer, das er für seine natürliche Grenze auögiebt,
so trete Jeder, der daS Schwert zu schwingen vermag, freudig zur Vertheidigung
des schönen Stromes hervor, auf daß er Deutschlands Strom bleibe und immer
Deutschlands Grenze fei.
In der höchsten Gegend des Schwarzwaldes entspringen nicht gar weit von
einander mehrere Bäche und Flüsse, von denen der Nektar, die Kinzig, die
Biege und die Brigach die ansehnlichsten sind. Mehrere von diesen Flüssen
gehen westlich oder nordwestlich dem Rheine zu; die Brege und die Brigach aber
gehen südlich nach Donau-Gschingen zu, nehmen unterwegs noch eine Menge
von Bächen und Flüssen auf und vereinigen sich unterhalb Donau -Eschingen zu
einem ansehnlichen Strome, der von da ab den Namen Donau führt und ihn
auch bis zu seinem Ausflüsse ins schwarze Meer behält.
Mit geringem Gefälle geht der an 100 Fuß breite Strom in nordwestlicher
Richtung weiter, durchbricht hierauf schäumend die Felsen der schwäbischeil Alp,
mit einem Falle von beinahe 40 Fuß auf die Meile, und setzt dann am südlichen
Abhange des Gebirges seinen Lauf ruhiger biö Ulm fort, wo er, durch die Iller
verstärkt, schiffbar wird. Von hier aus nimmt er seinen Lauf zwischen den
Vorbergen der Alpen und den Hügelreihen, die sich von der schwäbischen Alp
nach dem Fichtelgebirge ziehen; unterhalb Regeuöburg stellen sich ihm die Gebirge
des BöhmerwaldeS entgegen. Verstärkt durch den Lech, der von Augsburg,
durch die Isar, welche von München, und endlich durch den Inn, der über
Jnöbrukk von dem hohen Brenner herkommt, bahnt er sich den Ausgang durch
die Felsenwände bei Passau. In Oesterreich braust der Strom mitv wilder
305
Gewalt und starkem Gefälle durch UrgebirgSfrlsen hindurch, bis er am Kahlenberge
den letzten Ausläufer der Alpen erreicht und nun von Wien an ruhiger durch
ebene Gegenden fließen kann. Bei Haimburg verläßt er das deutsche Land.
Oberhalb Ofen vertauscht er plötzlich die bisherige Richtung mit der nach Süden,
wendet sich später wieder gegen Osten durch weite Flächen nach dem schwarzen
Meere hin, dem er seine Waffcrfülle durch mehrere Mündungen zuführt.
Die Länge der Donau beträgt im Ganzen 381 Meilen, wovon auf
Deutschland, vom Ursprünge der Brege bis Haimburg, gegen 100 Meilen
kommen. Erst in Ungarn breitet sie sich, ihren reißenden Lauf verlierend, zur
ruhigen Fläcke aus. Die Breite ist eben so verschieden, als die Tiefe. Bei
Donauwörth beträgt sie etwa 120, bei Neuburg kaum 240 Fuß, und doch giebt
es in der Nähe dieser Stromengen wieder Stellen, wo der Strom mehrere 100
Fuß, und mit Inbegriff der Inseln 3000-0000 Fuß Breite hat. Eben so ist
eö mit der Tiefe, die an einigen Stellen mitten im Fahrwasser kaum 4 — 5 Fuß
beträgt, au andern dagegen über 50 Fuß hinabsinkt.
Die Weser entsteht aus zwei schönen schiffbaren Quellflüssen, Fulda und
Werra, bei Münden und fließt zur Nordsee herab.
Die Fulda hat ihren Ursprung bei Obernhausen am nördlichen Abhänge
des RhöngebirgcS, tritt bald aus ihrem Geburtslande Baiern in die kurhessische
Provinz Fulda, windet sich durch ei» enges Tiefthal hinab nach Hcrsfeld, wo
sie für kleinere, und nach Cassel, wo sie für größere Schisse fahrbar wird. Die
Quellen der Werra rieseln an der Südseite des Thüringer Waldes.
Nach der Vereinigung der Werraguellen windet sich der junge Fluß zwischen
dem Rhön und dem Thüringer Walde in nördlicher Richtung über Hildburghausen,
Meiningen und Eschwege gleichfalls hinab in das schöne Thal bei Münden, um
die schwesterliche Fulda zu empfangen. Sowohl diese, als die Werra,
durchströmt von ihrer Quelle 27 Meilen. Mit Laub- und Nadrlwaldungen
geschmükktc Berge und Hügel, unzählige Nebenthäler, üppige Wiesengründe,
treffliche Aekker, belebte Städte und Dörfer, alte Burgen und neue Schlösser
wechseln im Werrathal auf das Bunteste mit einander; aber die schönste Gegend
ist um den Sauerbrunnen Liebenstein.
Bon Minden abwärts zieht der Strom, 300 —000 Fuß breit, zwischen
gut bewaldeten, ineist abgerundeten Gebirgen hin, bis er oberhalb Minden durch
die westphälische Pforte in die ebene Landschaft tritt. Den Schmukk seiner Ufer,
die waldgrünen Berge, hinter sich lassend, fluthet er in nördlicher Richtung
einförmig durch das Hannoversche, Bremische und Oldenburgische vorwärts und
dehnt sich bei seinem Einfluß in die Nordsee biö zu einer Breite von anderthalb
Meilen aus. Die Schifffahrt auf der Weser, deren Lauf 43 Meilen beträgt, ist
sehr lebhaft. Seeschiffe gehen biö Bogesakk, welches der Hafen von Bremen ist.
Die weit aufwärts steigende Fluth tritt selbst in die Wumme und Hamme ein.
Oeftlich von der Weser strömt die Elbe, die gleich dieser und der Oder-
Deutschland allein angehört. Ihre Quellen, wohl an 30, liegen auf der Elb-
wiese, welche sich zwischen dem Reifträger und dem Vcilchensteine sanft nach
Böhmen hinabsenkt. Zu Bächen gesammelt, stürzen sie, über eine furchtbare
Felsenwand, mehr als 800 Fuß tief in den schauerlichen Elbgrund, der, von
zwei Seitengebirgen eingeschlossen, eine Wildniß voll Moor und übereinander
gestürzter Fichten darstellt. Hier schließt sich dem Strome das Weißwasser an,
daö seinen Ursprung nicht weit von der Schneekoppe hat und von Bielen als
die eigentliche Quelle der Elbe bezeichnet wird. Nach Kurzem tritt der Strom
in ein freundliches Thal, daö nach dem Städtchen Hohenelbe hinläuft. Von hier
aus zieht er in einem großen Bogen durch das böhmische Land, nimmt alle von
306
den böhmischen Bergen kommenden Gewässer, namentlich die vom Böhmerwalde
kommende Moldau und die vom Fichtelgebirge kommende Eger auf, durchbricht
den Theil dcS Erzgebirges, dessen schöne Gegenden man in neuerer Zeit die
sächsische Schweiz genannt hat, und tritt nun in das Königreich Sachsen, von
wo auS ihn die weite norddeutsche Ebene willkommen heißt.- In dieser nimmt
der Strom unter andern kleineren Flüssen die Mulde, Saale, Elster und Havel
mit der Spree auf. Die Ufer werden nun flach und niedrig, und unterhalb
Magdeburg fangen die Dämme an. Bon Hamburg ab bis zur Nordsee (die
Entfernung beträgt 18 Meilen) erweitert sich der Strom zu einem beträchtlichen
Busen mit Ebbe und Fluth.
Aus der weiten, wellenförmige» Ebene, zwischen den Sudeten und Karpathen,
bei dem Dorfe Koset, ostwärts von Olmütz, nimmt die Oder ihren Ursprung.
Nup wenige Meilen von demselben, beim Einflüsse der wasserreichen Oppa
unterhalb Oderberg gewinnt der junge Strom schon eine Breite von 100 Fuß
und wird zugleich schiffbar. Oberhalb der Festung Kvsel fanden die waldigen
Hügelrükken an, die seine Ufer bis Breslau begleiten, und werter abwärts an
einigen Stellen, wie bei Glogau, Krossen, Frankfurt und Oderberg, als niedrige,
unbewaldete Anhöhen von Neuem zum Vorschein kommen. Von Krossen abwärts
zeichnet sich der Lauf der Oder durch eine Menge kleiner Werder aus, und von
Küftrin an theilt er sich mehrmals in Arme. Die erste Theilung bei dem Dorfe
Güstebiese ist eine künstliche; denn sie wurde zur Abkürzung und Erleichterung
der Schifffahrt bewerkstelligt. Der Hauptarm , die neue Oder, geht in gerader
Richtung weiter; der schwächere, die alte Oder, zieht sich links in einem weiten
Bogen neben Bergen von mäßiger Höhe an den Städten Wriezen, Freienwalde
und Oderberg hin; bei Hohensaaten finden sie sich wieder zusammen. In
neuerer Zeit hat man die alte Oder bei Güstebiese abgedämmt, und ihr seichtes
Bett würde gänzlich austrokkne», wenn es nicht durch den Rükkstau auS der
neuen. Oder bei Hohensaaten von Zeit zu Zeit eine ansehnliche Wassermenge
erhielte. — Die zweite Haupttheilung ist unterhalb Garz. Der östliche Arm,
die große Reglitz, geht in den Damm'schen See; der westliche, der den Namen
Oder behält, ist durch mehrere kleine Arme mit der großen Reglitz, so wie mit
dem Damm'schen See verbunden. Weiterhin bilden die wieder vereinigten
Ströme daö Papenwaffer, und ergießen sich in einen durch frühere Ueber-
schwemmungen gebildeten Mündungssee, den man gewöhnlich das Stettiner
Haff nennt. Seine Große beträgt mehr als 14 QMeile»; den östlichen Theil
nennt man das große, den westlichen das kleine Hass. Ans dem Haff führen
3 Arme die Gewässer der Oder in die Ostsee; östlich die Divenow, westlich die
Peene, und zwischen beiden der Hauptarm, die Swine. Zwischen diesen Armen,
dem Haff und der Ostsee, liegen östlich die Insel Wollin, westlich die Insel
Usedom mit der Stadt Swinemünde, die man als den Hafen von Stettin
ansehen kann. Zwei große Steindämme, beide aus gewaltigen Scnkstükken
gebildet, und nach ihrer Lage durch die Benennungen Ostermole und Wcstermole
unterschieden, begleiten den Lauf der Swine bis tief in die Ostsee und verengen
den Strom so, daß er durch eigene Kraft den sich anhäufenden Sand hinweg
und dem Fahrwasser die erforderliche Tiefe schasst.
Oestlich der Oder liegt daö große Gebiet der Weichsel, zwischen den
Karpathen und der Ostsee. Die Weichsel entspringt südöstlich vom Jablunka-Paß,
unfern des Dorfes Weichsel. Sie wächst bald durch karpathische Wasser,
besonders durch den San, die Piliza, den Bug und die Drevenz.
Bor seiner Mündung theilt sich der Strom in 2 Arme; der rechte heißt
Nogat, der linke Weichsel; der letztere theilt sich aber wieder in 2 Arme, von
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denen einer in die Oftsee mündet. Nogat und der andere Arm münden in das
frische Haff, daö durch die frische Nehrung von der Ostsee geschieden ist. Die
wichtigsten Städte an der Weichsel sind: Krakau, Warschau, Thorn, Graudenz,
Marienburg und Danzig.
Zu diesem Flußgebiet gehört auch noch der Pregel. Er entsteht aus 3
Flüssen: Angerapp, Pissa und Inster, die aus Seen entstehen, und mündet ins
frische Haff. An daö Weichselgebiet grenzt daö der Memel. Sie entspringt
in Rußland, heißt dort Niemen, tritt bei Schmallenlnken ins Preußische
und fließt in'ö kurische Haff. _____
Deutschlands Gebirge.
Daö Gebiet deö deutschen Landes ist im Süden großartiges Alpenland, in
der Mitte mannigfach gestaltetes Bergland, im Norden tiefliegendes Flachland.
Im Südwestcn von Deutschland, da, wo der Rhein seine westliche Richtung
verlaßt und sich plötzlich gegen Norden wendet, beginnt der finstere Schwarz-
wald, der von den dichten, schwarzgrünen Tannenwäldern auf seinen Höhen
diesen Namen erhalten hat. Die Ästest - oder Rheinseite dieses Gebirges erhebt
sich schroff und steil; nach der Ostseite hin senkt sich die Höhe zur Ebene hinab.
Die Hauptflüsse, die auf dem Schwarzwald entspringe», sind der Nekkar, die
Brege und die Brigach, die Kinzig und die Murg. Der größere Theil des
Schwarzwaldcs gehört zum Großherzogthum Bade», der kleinere zum Königreich
Würtemberg. Ein Hauptzweig der Gewerbthätigkeit im Schwarzwalde ist daö
Verfertigen hölzerner Uhren und anderer Holzwaarc», vornehmlich aber Flecht-
arbeiten in Stroh, die hier mit seltener Zierlichkeit angefertigt werden.
Nördlich und zum Theil nordöstlich vom Schwarzwalde, zwischen Nekkar
und Main, zieht sich gleichlaufend mit dem Rheinstrome der Odenwald hin,
dessen größerer Theil zu Hessen-Darmstadt gehört. Die meisten Ortschaften des
Odenwaldes erheben sich aus lachenden Fluren und fruchtbaren Getreidefeldern;
auch an den Abhängen der Berge befindet sich fruchtbares Land. Am westlichen
Abhange wird sogar der Weinstokk mit gutem Erfolge angebaut.
Auf der Westseite deö Rheines finden wir den WaSgau oder die
Vogesen, die durch die Mosel in eine östliche und westliche Kette geschieden
werden. Der kleinere westliche Zug bildet die Wasserscheide der Mosel gegen die
Maas; der östliche geht von der Quelle der Mosel bis in die Nähe von Bingen
und bildet die westliche Wand des tief eingeschnittenen Rheinthales. Das
nördliche Ende der Vogesen bildet der DonnerSberg.
DaS weite Rheinthal, das auf der westlichen Seite von den Vogesen, auf
der östlichen von dem Schwarzwalde und dem Odenwalde gebildet wird, ist
auf der nördlichen Seite von zwei Gebirgen verschlossen; auf der Westseite vom
HundSrükk, der sich in nordwestlicher Richtung zwischen der Nahe und der
Mosel bis in die Nähe von Koblenz zieht; auf der Ostseite von dem Taunus,
den man auch schlechthin die Höhe nennt, und der den ganzen Raum zwischen
dem Main und der Lahn ausfüllt. Der HundSrükk ist ein ödes, unfruchtbares
Gebirge; desto lieblicher sind die malerischen Höhen des Taunus, die den
herrlichen Rheingau, das Vaterland der besten Rheinweine, einschließen, und
aus deren Tiefen mehr als 40 Mineralquellen emporsteigen.
Nördlich vom HundSrükk, auf der Westseite des RheinS, finden wir die
Eifel, ein ödes, unfruchtbares Gebirge, wenig angebaut und nur sparsam
bewohnt.
Der Eifel gegenüber, auf der rechten Seite des Rheins, zwischen diesem,
der Lahn und der Sieg erhebt sich der Westerwald mit größtentheilS
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baumlosen Flächen. Der lieblichste Theil deö WesterwaldeS ist das sogenannte
Siebengebirge, das von den sieben Hervorragenden Bergkuppen seinen
Namen hat und das nordwestliche Ende des Gebirges bildet.
Nordöstlich vom Schwarzwalde streicht die schwäbische Alp, das Haupt-
gebirge im Königreich Würtemberg und die Wasserscheide zwischen dem Nektar
und der Donau. Die Alp ist eine Hochebene, ans der nur wenige Spitzen
hervorragen. Eine merkwürdige Erscheinung sind hier die periodischen Quellen
oder Hungerbrunnen, die zu gewissen Zeiten versiegen und zu andern Zeiten
desto reichlicher fließen, und von dem Volke als Vorreichen fruchtbarer oder
unfruchtbarer Jahre angesehen werden. Eine Merkwürdigkeit der nordwestlichen
Seite sind die hervorragenden Bergkegel, die fast alle auf ihren Gipfeln die
Ruinen von alten Burgen tragen. Auch die Burg der Hohenstaufen und der
Hohenzollern, die Stammburg der Könige von Preußen, liegt auf einem aus
der Alp hervortretenden Bergkegel. Die Fortsetzungen der schwäbischen Alp,
welche sich theils mit den Ausläufern deö Fichtelgebirges vereinigen, theils sich
in die Douauebene verlieren, nennt man die fränkischen Höhen.
Im Untermainkreise von Baiern, in einem weiter nach Süden gerichteten
Bogen des Mains, finde» wir den Spessart, der sich durch seine schönen
Wälder und seinen reichen Wildstand auszeichnet. In demselben Kreise von
Baiern, nordwestlich voin Spessart, finden wir daö Rhöngebirge, daö man
schon als eine Fortsetzung des Thüringer Waldes ansehen kaun. Seine stachen
Gipfel sind 0 Monate mit Schnee bedekkt; nur die Seiten und Abhänge sind
mit Waldungen und fruchtbaren Triften geschmükkt.
Wenn wir vom Spessart auö den Lauf deö Mains bis zu seiner Quelle
hinauf verfolgen, so gelangen wir an daö Hauptgebirge im mittleren Deutschland,
daö von seinen Fichtenwaldungen benannte Fichtelgebirge. Die hohe Lage
dieses Gebirges kann man schon aus dem Laufe der'Flüsse abnehmen, die das
Fichtelgebirge nach allen Richtungen aussendet. Nach Süden sendet eS die
Naab, welche oberhalb Regenüburg in die Donau geht; gegen Osten die
Eg er, welche bei Theresienstadt in die Elbe fällt; gegen Norden die Saale,
welche die Elster, Pleiße und Unstrut aufnimmt und in die Elbe geht; nach
Westen den Main, der die fränkische Saale, Regnitz, Tauber und Jart auf-
nimmt und einige Meilen unterhalb Frankfurt, der Bundesfestung Mainz
gegenüber, sich in den Rhein ergießt.
Bon dem Fichtelgebirge laufen nach allen Seiten große Bergreihen aus.
Nach Südwesten zieht sich der B öh me rw a ld als Hauptscheide zwischen Elbe
und Donau. Er ist ein dichtbewaldetes, von Schluchten und unwegsamen
Thälern durchschnittenes Urgebirge. Gegen Nordvfteu geht das sächsische
Erzgebirge, daö von seinem Reichthum an Erzen diesen Namen führt.
Endlich schließt sich gegen Nordost an daö Fichtelgebirge der Franke »Wald,
und an diesen in derselben Richtung der Thüringer Wald an. Ocstlich vom
Erzgebirge, auf dem rechte» Ufer der Elbe, liegt das Lausiger Gebirge, zu
welchem auch die sächsische Schweiz gehört. Das Sandstemgebirge, welches
man seit etwa 30 Jahren mit diesem Namen bezeichnet, ist durch eine Menge
von Thälern und Schluchten zerklüftet; die Felsen aber bilden mannigfache, zum
Theil seltsame Gestalten. Da ist z. B. die Bastei, der Kuhstall, das Prebisch-
thor u. s. w. Den merkwürdigsten Punkt bildet aber der durch seine Steinbrüche
berühmte Liebethaler Grund. ________________
Südöstlich von dem Lausitzer Gebirge beginnt das Niefengcbirge, das
berühmteste, längste und höchste Gebirge des preußischen Staates, und nächst den
309
Alpen das höchste und ansehnlichste in ganz Deutschland. Es beginnt nicht
weit von den Quellen der Oder, in der Nähe der Karpathen, von denen eö nur
durch eine wellenförmige Ebene geschieden ist. Eö macht zuerst die Grenze
zwischen Mähren und dem österreichischen Antheil von Schlesien, dann zwischen
Schlesien und Böhmen, und läuft zuletzt in das Lausitzer Gebirge aus. Auf
seiner weiten Ausdehnung erhält das Gebirge verschiedene Namen. Der südliche
Theil heißt das schlesisch-mährische Gesenke; dann folgt das Glazer,
dann das eigentliche Riesengebirge; endlich das Jser- und das Lausitzer
Gebirge, das Viele noch als einen Theil des RiesengebirgcS ansehen. Andere
nennen auch den südlichen Theil des Gebirges, der die Wasserscheide zwischen
der Oder und der March macht, die Sudeten, und den mittleren Theil deü
Gebirges das Riesen geb ir ge im engern Sinne.
Der höchste Punkt des Gebirges ist die Schneekoppe, deren Höhe über dem
Meere beinahe 6000 Fuß beträgt. Auf dem oberen abgestumpften Gipfel der
Schneekoppe steht seit 1081 eine dem heiligen Laurentius gewidmete Kapelle,
dir seit anderthalbhundert Jahren allen Stürmen der Witterung getrotzt hat.
Bis 1810 waren jährlich 5 Tage anberaumt, an welchen einige Mönche hier
öffentlichen Gottesdienst abzuhalten hatten. Seit 1824 ist in der Kapelle ein
Hospiz oder eine Herberge für Reisende eingerichtet worden. Die Kapelle steht
auf schlesischem Grund und Boden; die Schueekoppe selbst aber gehört theils zu
Schlesien, theils zu Böhmen; denn die Grenze beider Länder geht gerade über
die Bergspitze weg.
Gegen Süden fließt vom Rieseugebirgc die March zur Donau; gegen
Südwesten laufen die Isar und die Elbe; gegen Norden und Osten stießen
die Nebenflüsse der Oder: die Oppa, die wüthende Neiße, die Weist ritz,
die Katzbach, der Bober mit dem Quciö und die Lausitzer Neiße.
Der Böhmerwald, das Ricseugebirge und Erzgebirge umschließen Böhmen
auf 3 Seiten; auf der vierten finden wir ei» zwar nicht hohes, aber doch immer
noch beträchtliches Gebirge, das Böhmen und Mähren scheidet und deshalb das
Mährische Gebirge heißt.
Unweit des Fichtelgebirges, zwischen den Flußgebieten des Main und der
Saale, beginnt der Thüringer Wald und zieht sich in nordwestlicher Richtung
bis in die Gegend von Eisenach. In der oben genannten Ausdehnung hat das
Gebirge eine Länge von 10 — 18 Meilen; gewöhnlich aber nennt man den
südöstlichen Theil desselben den Franken Wald, und läßt den Thüringer Wald
erst da beginnen, wo auf der Südwcstseite die Werra, und auf der Nordostseitc
die Schwarza entspringt, so daß der Thüringer Wald ganz an der rechten Seite
der Werra liegt. Der größte Theil des Gebirges gehört zu dem Gebiet der
Herzoge von Sachsen und der angrenzenden Fürstenthümer, ein kleiner Theil zu
Hessen und Preußen. An Erzen wird besonders viel Eisen gewonnen und in
einer Menge von Eisenwerken verarbeitet. Den eigentlichen Reichthum dcö
Gebirges aber machen die trefflichen Waldungen, die meist bis an den Kamm
des Gebirges reichen.
Das nördlichste Gebirge Deutschlands ist der Harz; im Norden und Osten
desselben beginnen die großen Tiefebenen, die sich im Norden bis zur Nord- und
Ostsee und im Osten weit nach Rußland erstreiken. Nur westlich vom Harz
reicht daö Wesergcbirge und der Teutoburger Wald etwas weiter, als der Harz,
nach Norden hinauf. Der Harz ist eine freistehende, von niedrigen Hügelketten
umgebene GebirgSmaffe. Den Mittelpunkt des Gebirges bildet der Brokken
oder der BlokkSberg. Eine Bergkette, die vom Brokken in südlicher Richtung
läuft, theilt daS Gebirge in Oberharz, welcher westlich, und Unterharz, welcher
östlich" liegt, und ist zugleich die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser. In den
dortigen Bergwerken wird viel Silber, Eisen und Blei gewonnen.
21
310
Es ist nun noch zu erwähnen das Wesergebirge auf der rechten, und
das Lippische Gebirge auf der linken Seite der Weser. Einen Zweig des
letztem nennt man den Teutoburger Wald, und hält ihn für diejenige
Gegend, wo Herrmann die Legionen des Varus vernichtete. Ein sehenswerther
Punkt des WefergebirgeS ist die westphälische Pforte, Meile südlich von
Minden, wo der Strom biö auf etwa 200 Schritte eingeengt ist.
Die Alpen stnd nicht ein einzeln stehendes Gebirge, sondern ein von hohen
Bergketten und Thälern durchzogenes Gcbirgöland, das eine» Raum von mehr
als 0000 QMeilen bcdekkt und mehr als 7 Millionen Menschen ernährt.
Die Alpen beginnen im südöstlichen Frankreich und ziehe» in einem weiten,
nach Süden geöffneten Bogen um Ober-Italien herum, senden nach Osten und
Nordosten ansehnliche Arme auö, und verlaufen sich auf der Ostseite des
adriatischen Meeres.
Im südöstlichen Frankreich beginnen die Mecralpeu, die Frankreich von
Italien scheiden. Nördlich von ihnen, vom Monte Biso bis zum Mont Cenis
gehen die cvttischen und weiterhin die grafischen Alpen. Nordöstlich von
den grajischen Alpen ziehen sich die penn i n ischen Alpen. Sie trennen
Piemont von Savoyen und dem Walliser Thal. Hier ist der Mont Blanc, der
große St. Bernhard (Alpenpaß, Kloster) und der Mont Rosa. Jenseits des
Mont Rosa beginnen mit dem, durch seinen Alpenpafi berühmten Simplón die
lepo »tischen Alpen, die bis zum St. Bernhardin reichen. Man unterscheidet
hier 3 Theile: dje Walliser Alpen, die das obere Nhouethal auf der Südost-
scite begrenzen, die Gran bündln er Alpen, nördlich von den Quellflüssen des
Rheins, und zwischen beiden Zügen den St. Gotthard. Er ist der Mittelpunkt
deü Alpengebirges. Am rechten Ufer der Rhone ziehen sich von hier aus die
B e r n c r Alpe». Ocstlich vom Bernhardin folgen die rh ä ti sch e» oder Ty r 0ler
Alpen, auf der rechten Seite des Inn. Ein Zweig geht südlich und scheidet
Adda und Etsch von einander. Der höchste Punkt ist die Ortclesspitze. Bon der
Dreiherrnspitze, dem östlichsten Punkt der Tyroler Alpen, nimmt man 3 Bergketten
wahr, von denen die eine sich gegen Südost und die beiden andern gegen
Nordest wenden. Die südöstliche Kette nennt man die Kärnthner Alpen und
ihre Fortsetzung die Juli scheu Alpen (Terglou), die sich in die din arischen
Alpen verlieren. — Die Bergketten, die von den Tyroler Alpen in nordöstlicher
Richtung auslaufen, nennt man im Allgemeinen die n o rischen Alpen, und
besonders die Bergkette, die sich zwischen der Mur und Drau hinzieht. Die
beiden Bergketten, die daö Thal der Salza begrenzen, heißen Salzburger Alpen
(Watzmaun, Groß-Glokkncr). Die Fortsetzung der beiden Bergketten'bilden die
steirischen und die österreichischen Alpen, deren letzte Ausläufer, unter dem
Namen des Wiener Waldes, sich bis in die Nahe der Donau ziehen und
unweit Wien mit dem Kahlenberge endigen.
Das alte Deutschland und seine Bewohner.
Sehr verschieden von dem heutigen Deutschland an Bevölkerung, Anbau
und Beschaffenheit der Einwohner war das Land, welches die Römer unter dem
Namen Germanien kannten. Dasselbe erstrekkte sich damals vom Rhein bis
zur Weichsel, von den Alpen bis zur Nord- und Ostsee. Ungeheure, meist
zusammenhängende Waldungen (wovon unser Schwarzwald, Spessart, Thüringer
Wald und Harz noch die schwachen Ueberbleibsel sind), Sümpfe und Haiden,
auö welchen ein kalter Nebel aufstieg, bedekkten die alte Heimath, und kein
Strahl der Sonne erwärmte den fruchtbaren Boden derselben. Das Klima war
also rauh und kalt. Der Akkerbau, sehr unvollkommen, beschränkte sich nur auf
311
Roggen, Hafer, Gerste, Flachs, und von Gemüsen zog man Spargel,
Pastinatwurzcln und große Rettige; Obstbaumzucht war unbekannt. Auf den
wenigen, aber doch herrlichen Weideplätzen gingen große Heerden von Pferden
und Rindernauch Schafe und Gänse waren nicht selten. In den Wäldern
wimmelte es von Hirsche», Rehen, Rcnnthieren, Elcnnthieren, Auerochsen,
Bären und Wölfen. — Wie das Land, so waren auch seine Bewohner. Sie
hatten einen großen, starken und kräftigen Körperbau, lange blonde Haare und
schöne blaue Augen. Ihre Lebensweise war einfach, ja roh. Sie nährten stch
von Waldobst, wilden Beere», Milch, Käse, Haferbrei und Fleisch, und kleideten
sich in Felle wilder Thiere. Bon Jugend auf an Abhärtung gewöhnt, ertrugen
sie Hunger und Durst und fragten so wenig nach Wind und Wetter, daß sie
im Winter, wie im Sommer lustig in die Flüsse sprangen, um sich zu baden.
Sie schliefen auf der bloßen Erde in einer Hütte, die vor Sturm und Regen
wenig schützte. Krieg und Jagd waren ihre Lust. Durchdrungen und beseelt
von dem Geiste unbeschränkter Freiheit und Unabhängigkeit, liebten und bauten
sie weder Städte»och Dörfer, sondern wohnten einzeln und zerstreut, ein Jeder
in der Mitte seiner Feldmark, schweiften jagend über Berg und Thal, durch
Wälder und Dikkicht, stärkten ihre Kraft und bildeten sich zu Helden im Kampfe
mit den wilden Thieren.— Das ganze Bolk bestand aus zwei Klassen: Freien und
Unfreien. Die Freien waren theils große und reich begüterte Geschlechter, Edle,
auch Fürsten (d. h. Vordersten) genannt; theils minder begüterte, kleine Grund-
besitzer, schlechtweg Freie genannt. Die Unfreien, meist wohl Kriegsgefangene, waren
theils Knechte, Sklave», die mit Leib und Leben dem Herrn eigen waren und
mit den Weibern die häuslichen Geschäfte besorgten; — theils sogenannte
Halbfreie oder „hörige Leute," 'reiche auf dem Gruudeigenthum deö Herrn
saßen und mit ihm, als demselben angehörig, betrachtet wurden, alle ländlichen
Geschäflk verrichten, de» Akker bestellen, daö Vieh hüten und einen gewissen
Zins a» Korn re. dem Herrn zahlen mußten. Die Edlen hatten vor den
Freien keine eigentlichen Vorrechte; sie genossen nur eines höheren AnfehnS,
das sie durch Tugend und That festhalten mußten. Sie standen nur in
den Angelegenheiten des Volkes vorauf und voran. Edle und Freie wurden im
Uebrige» als vollkommen gleich angesehen und bildeten, wie wir heute sagen
würden, die souveraine Nation. Ditcmaub gehörte zu derselben, wer nicht ein
freies Grundeigenthum befaß; und nur, wer ein solches hatte, durfte Wehr und
Waffen tragen und auf den Volksverfammlniigen an Voll- und Neumonden
erscheinen, wo des Volkes Wohl berathen, über Krieg und Frieden entschieden,
bürgerliche Streitigkeiten geschlichtet und Recht gesprochen wurde. War das
Volk in Gefahr und der Krieg beschlossen, so wählten sie sich gewöhnlich auü
den Edlen einen bewährten Tapfern zum Führer des Heerzuges und nannten ihn
Herzog. Dieser ließ dann das Aufgebot zur Nationalbewaffnung (Heerbann)
ergehen. Von Hof zu Hof, von Gemeinde zu Gemeinde, von Gau zu Gau
verkündete es der „He erpfeil." Die Wehrmänner schaarten sich um ihren
Führer und brachen auf. Die Weiber folgten dem Heere, ermunterten die
Streitenden, pflegten die Verwundeten, sangen den Ermatteten Muth ein,
erdolchten die Feigen, die zurükkflohen; und war Alles verloren, so würgten sic
ihre Kinder und sich selbst, um verhaßter Knechtschaft zu entgehen. Mit dem
Kriege aber hatte auch deö Herzogs Macht ein Ende. Oft, wenn diesem oder
jenem berühmten Helden die Ruhe deö Friedens zu lange währte, forderte er
Genossen zu irgend einem kriegerischen Abenteuer auf, und mit Freuden folgte
ihm die kampflustige Jugend getreu bis in den Tod. Ewige Schande fiel auf
den, der seinen Heerführer verließ, oder ihn im Kampfe überlebte und ohne ihn
zurükkkehrte. Ein Theil der Beute und deö eroberten Landes war der Lohn der
Treue. Auö dieser Kampfgenossenschaft oder dem freiwilligen Gefolge bildete
21*
312
sich später das Lehnswesen, die Abstufung der Ritter und Knappen rc. Da dem
freien Deutschen jede andere Beschäftigung, außer Krieg und Jagd und dem
Anfertigen seiner Waffen unwürdig und entehrend schien, so war er im Frieden
meist unthätig und lag, wenn er nicht jagte, den ganzen Tag auf der Bärenhaut
und schlief oder zechte mit Andern von seinem Bier und Meth. Leidenschaftlich
trieb man dabei auch daS Würfelspiel: Alles, Weib und Kind, ja die eigene
Person und Freiheit wagte der Germane im Spiel. Streit, Verwundung und
Todtschlag waren bei den Zech- und Spielgelagcn nicht selten. An solche Laster
reihten sich aber auch wieder große Tugenden: Deutsche Treue und Biederkeit,
Großmuth gegen Schwache, Gastfreundschaft gegen Fremde, Achtung gegen daö
Alter und gegen das weibliche Geschlecht rühmten selbst Feinde ihnen nach.
Vielweiberei war bei den alten Deutschen auch nicht zu finden, Keuschheit
hoch geehrt, die Ehe heilig; Ehebruch und Unkeuschheit wurden für daö größte
Verbrechen gehalten und mit dem Tode bestraft. — Den einigwahren Gott
kannten unsere Vorfahren nicht. Sie waren Heiden und hatten mehrere
Gottheiten, die sie aber unter keinerlei Gestalt, auch nicht in Tempeln, von
Menschenhänden gemacht, sondern in heiligen geweihten Hainen, unter uralten
Eichen verehrten. Den obersten Gott nannten sie Allvater, Odin, Wodan.
Der Gott dcö Donners hieß Thor, der Gott des Gesanges Braga, die
Ehegöttin Freia. Auch verehrten sie das Feuer und die Sonne. Sie glaubten
an ein Fortleben nach dem Tode, an einen Himmel, Walhalla, in den die
tapfern Helden kämen, und wo cö abermals Krieg, Jagd lind fröhliche Gelage
gab. Darum ward jeder todte Freie in seinem schönsten Schmukk, mit Wehr
und Waffen, auf seinen Schild gelegt und mit Roß und Hund begraben oder
verbrannt. Um die Zukunft zu erforschen, bediente man sich allerlei Wahrsagerkünste,
hatte Wahrsagerinnen, Alrunen genannt, prophezeite aus dem Fluge der Vögel,
aus dem Wiehern der der Sonne geheiligten weißen Pferde ». dgl. m. Daö ist
nun, Gott sei Dank! anders geworden. Aber, meine lieben Leser, es ist auch
Vieles anders geworden, was wohl besser geblieben wäre, wie es vordem war.
Wo in unserm Vaterlande ist ein Handschlag, ein Ja, ein Nein eben so
heilig, wie ein Eid? Wo findet man noch deutsche Treue und Redlichkeit? Die
Meiste» suchen heutzutage daö Ihrige, unbekümmert um des Nächsten Wohl!
Und wie steht eö mit der Keuschheit unserer Jünglinge und Jungfrauen, unserer
Männer und Weiber? Steht nicht auch hierin daö christliche Deutschland dem
heidnischen weit nach? — Wir aber, lieber Leser, wollen den Namen eines
Deutschen, und zwar eines christlichen Deutschen, nicht umsonst tragen,
sondern uns recht ernstlich bestreben, durch wahrhaft christliche Gesinnung und
That, durch Redlichkeit und Treue, durch Offenheit und Biedersinn dieses Namens
würdig zu werden. Dazu helfe uns Gott!! —
Die Hermannsschlacht.
(9 n. Chr.)
Lange lebten unsere Urväter, ern freies Volk auf freier Erde,'in ihrer
Einfachheit und Derbheit, ehe andere Völker was von ihnen wußten. Endlich,
im Jahre 113 v. Chr., erschienen auf einmal die Cimbern und Teutonen,
zwei deutsche BolkSftämme aus dem nördlichen Deutschland oder der dänischen
Halbinsel, auf römischem Boden und begehrten Ansiedelung gegen treue
Kriegsdienste. Aber die Römer zitterten bor diesen kühnen und wilden Männern,
wie einst vor dem Gallier BrennuS und H aunibal, dem Karthager. Schon
hatten sie furchtbare Niederlagen erlitten. Keiner mochte mehr gegen die Deutschen
ins Feld ziehen. Jeder glaubte, das Ende der römischen Herrschaft sei gekommen.
Da wählten die Römer den größten Kriegsmann seiner Zeit, den CajuS Marius;
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und seiner überlegenen Kriegskunst gelang es endlich, nach ungeheuren Anstrengungen
und Verlusten, die Feinde in den schrekklichen Schlachten bei Aquà Sertiä (jetzt
Air) in der Provence (102 v. Chr.) und bei Verona (den 30. Juli 101 v. Chr.)
zu besiegen und zu vernichten. Eben so erging es dem Suevischen Heerführer
Ariovist, der in Gallien mit den Römern das gleiche Recht der Eroberung zu
haben meinte. Er erlitt bei Visontio (Besancon) durch den gewaltigen römischen
Kriegsfürsten Cäsar eine blutige Niederlage (58 v. Chr.), und entkam nur mit
wenigen Begleitern über den Rhein. Dagegen war Cäsars zweimaliger Rhein-
übergang fruchtlos. Gallien aber machte er nach ungeheuren Kämpfen den
Römern zinsbar, und alle Deutschen, die sich daselbst festgesetzt, mußten
Unterthanen des römischen Reichs werden und als römische Söldner in fernen
Ländern seine Schlachten schlagen. Im Kampfe mit PompejuS waren es
hauptsächlich Deutsche, die bei PharsaluS in Griechenland (48 v. Chr.) Cäsarn
über seinen Nebenbuhler siegen und dadurch den Grund zu einem Kaiserthum
legen halfen, das nach einem halben Jahrtausend auch nur ihnen unterliegen
sollte. Die Gewalt der Römer ergoß sich immer weiter und breiter in deutschen
Landen. Kaum hatte sich Octavianuö AugustuS auf dem neuen Kaiserthron
befestigt (30 v. Chr. — 14 ». Chr.), so war auch daS heutige Süd-Deutschland
schon eine römische Provinz und die Donau die Grenze deö römischen Reiches.
Nun sollte auch dem eigentlichen Deutschland zwischen Rhein und Elbe der
GarauS gemacht werden. Was dem mächtigen Julius Cäsar nicht gelungen
war, das suchte und hoffte DrusuS, der tapfere Stiefsohn des röm. Kaisers
AugustuS, zu vollbringen: nämlich alles Land, wo deutsch geredet ward, zu
entdekken und zu bewältigen. Mit dem ganzen Uebergewichte römischer Waffen
und Kriegskunst, unterstützt von Deutschen selbst gegen Deutsche, drang er auch
in vier Feldzügen (v. 12 — 9 v. Chr.) von Gallien aus über den Rhein bis
an die Weser und Elbe, doch ohne bleibenden Erfolg. Nur am Rhein, der
Grenze zwischen Gallien und Deutschland, konnte er sich halten. Hier legte er
denn auch mehrere feste Schlösser au, und die bedeutendsten Städte am Rhein
(wie Mainz, Bonn, Koblenz, Cöln u. s. w.) sind aus römischen Kastellen
entstanden. Nach DrusuS Tode erhielt sein Bruder TiberiuS den Oberbefehl
am Rhein. Mehr listig und verschlagen, als offen und tapfer, suchte dieser
durch Falschheit und Tükke zu gewinnen, waS er durch Waffengewalt nicht
vermochte. Bald nannten die Römer alles Land bis an die Weser eine Provinz
ihres Reiches, erbauten Burgen darin und setzten Feldherren alö Statthalter ein.
Ein solcher Statthalter war z. B. QuintiliuS VaruS. Derselbe behandelte aber
unsere Vorfahren wie Sklaven; durch harte Auflagen nahm er ihnen Hab und
Gut; daö Recht sprach er ihnen ganz nach römischer Weise; auch wollte er sic
zwingen, lateinisch zu sprechen und die römischen Götter anzubeten; freie deutsche
Männer ließ er von seinen Dienern mit Ruthen züchtigen, und ihre Häupter
sielen unter dem Beile seiner Henker. Die Sueven und Markomannen, unter
Marobob zu einem mächtigen Reiche vereinigt, dessen Mittelpunkt daö nachmalige
Böhmen war, sahen müßig zu, wie ihre Brüder im Norden von den Römern
geknechtet wurden! — Keiner empfand die Unterdrükkung seines Volkes mit
größerer Scham und heißerem Grimm, als der edle Arnim oder Hermann, ein
Sohn des Cheruskerfürsten Segimcr. Er hatte, wie viele deutsche Jünglinge
aus edlen Geschlechtern, mehrere Jahre in Rom gelebt und römische Sitte und
Kriegskunst erlernt, aber Freiheit und Vaterland nicht vergessen. Jetzt befehligte
er als Bundesgenosse der Römer einen Theil der deutschen Hülfövölker beim
Rheinheere, welches, aus drei Legionen bestehend, von TiberiuS unter dem
genannten QuintiliuS VaruS zurükkgelasscn war. Dieser Hermann nun fühlte in
sich den Drang und faßte den hochherzigen Entschluß, der Retter seines
Vaterlandes zu werden. Cr theilte den Gleichgesinnten sein Vorhaben mit und
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gewann in aller Stille Anhänger unter allen Stämmen des deutschen Volkes.
Durch das Gerücht eines Aufstandes fern wohnender deutscher Völker wurde
Varus in die Gegend des Teutoburger Waldes gelokkt. Rasch bracher mit
seinen drei Legionen anS seinem Lager an der Weser ans. Hermann erhielt
Befehl, seine Schaaren zu sammeln und nachzuführen. Wie ein Blitz flog der
Waffenruf im Rükken des Heeres _voit Gau zu Ga». Freudig erhoben die
Eidgenossen ihre Schwerter, stellten sieb unter Hermanns Leitung und eilten auf
wohlbekannten kürzeren Wegen ihren Unterdrükkern nach, um die Freiheit zu
rachen. VarüS konnte nur langsam vorwärts: nirgends war ein gebahnter Weg,
überall dicht verwachsenes, undurchdringliches Gehölz. Die Schwierigkeiten des
Weges vermehrte noch ein plötzlich eintretendes Unwetter. Fürchterlich rauschte
der Wind in den Gipfeln der hohen Eichen; entwurzelte Bäume versperrten die
Wege, und ei» heftiger Regen verwandelte die feuchten Waldflächen in tiefe
Moräste. Da brachen einzelne Schaaren gegen die Römer aus dein Dikkicht;
aber Varus verbot einen ernsthaften Kampf. Mit vieler Mühe und unter
großen Verlusten führte er sein Heer auf einen freien Platz, den er sogleich zu
einem Lager nach römischer Sitte einrichtete. Hier ließ er alles überflüssige
Gepäkk verbrennen und rastete dann die Nacht hindurch. Am folgenden Tage
setzt er unter beständigen Angriffen der Feinde seinen Marsch weiter fort und kommt
nicht eher zu Athem, als bis die Nacht hereinbricht. Er läßt abermals ein Lager
schlagen, und ermattet sinken die Römer hin. Am dritten Tage hoffte Varus das
Ende des Waldes zu erreichen; aber von allen Seiten her angegriffen, wurde
sein ganzes Heer an diesem Taffe vernichtet. Nur Wenigen gelang eö, sich durch
die Flucht zu retten; die Meisten wurden auf dem Schlachtfeldc niedergemacht.
Varuö selbst mochte die Niederlage seines Heeres nicht überleben und stürzte sich
aus Verzweiflung in sein eigenes Schwert. Die Gefangenen wurden theils iin
ersten Zorn an die Bäume gehängt, theils den Göttern zu Ehren geschlachtet;
und Viele mußten den früheren Uebermuth in schmälicher Knechtschaft büßen.
Am grausamsten rächte das Volk die lang erduldete Knechtschaft an den gefangenen
Sachwaltern und Schreibern, die der Gegenstand eines besonderen Hasses waren.
Einem derselben riß man die Zunge anS und rief: „Nun höre auf zu zischen,
du Natter!" — In ganz Deutschland war die Freude, und in ganz Nom der
Schrekken ohne Grenzen. Augustuo stieß im Schmerze den Kopf gegen die Wand
und rief einmal über daü andere: „O Varus! Varuö! Gieb mir meine Legionen
wieder!" Aber sie kamen nicht wieder. — Das war die große Hermannsschlacht
im Teutoburger Walde, geschlagen im Jahre !> nach Christi Geburt. Diesem
blutigen Siege verdankt Deutschland seine Freiheit und wir, daß wir Deutsche
sind/ und daß noch deutsch auf der Erde gesprochen wird. Ehret daher das
Andenken an Hermann, den tapfern Befreier Deutschlands! —
Rom fürchtete noch größeres Unheil. Aber die Deutschen verfolgten ihren
Sieg nicht. Einheimischer Hader unter den Deutschen, besonders zwischen
Hermann und seinem Schwiegervater Segeft, lähmte ihre Kraft gegen den
äußeren Feind. Diese Zwietracht crmuthigte die Römer, und sie beschlossen, die
Niederlage des Varuö z» rächen und die verlorne Herrschaft wieder zu gewinnen.
Große Macht ward gerüstet, und der nunmehrige Kaiser Tiberius sandte seinen
Neffen, des DrusnS edlen Sohn Germanikuö, gegen die Deutschen. Er-
kämpfte sv. 14— 16) siegreich, doch ohne Erfolg. Im offenen Felde standen die
Deutschen ihm nicht. Viermal drang er tief in Germanien ein; die Natur des
Landes und die danach wohl berechnete Kriegsnianier der Deutschen zwangen ihn
immer wieder zum Rükkzuge. Doch schlug er die Katten, die Marsen und
den edlen Hermann, fing dessen Gattin, die hochherzige Thuönelda, und
führte sie zu Rom im Triumph auf. — Allmählig verlor Rom die Hoffnung
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zu Bezwingung der Deutschen. Es schien genug, die eigenen Grenzen zu dekken.
Allein man hätte auch dieses nicht vermocht, wären die deutschen Völker durch
unaufhörliche Bruder- und Bürgerkriege innerlich nicht so zerrissen gewesen.
Marobod mit der verbundenen Macht der Q-uaden, Hermunduren,
Semnonen, Longobarden u. A. kriegte gegen Hermann, welchem die
Cherusker und andere Völker Nord-Deutschlands folgten. Zwar siegte
Hermann; aber er hatte nicht die Freude, die deutschen Völker in Einigkeit fester
zu verbinden. Nachdem er zwölf Jahre für die Freiheit des deutschen Vaterlandes
gestritten und gelitten, wurde er im 37stcn Jahre seines Alters von seinem
eigenen Volke (durch seine eigenen Verwandten) meuchlings ermordet (21. n. Chr.).
Auch Marobod fand einen trüben Ausgang. Sein Reich wurde durch innern
Krieg und römische Ränke zerrüttet. Er selbst starb als Flüchtling unter
römischem Schuhe. Kein freies Herz klagte um ihn. Hermanns Andenken
aber lebt fort in allen deutschen Herzen, und unsere Nation hat ihm mitten im
Teutoburger Walde, in der Nähe von Lippe-Detmold, ein erhabenes
Denkmal gesetzt.
Die Völkerwanderung.
(v. 375 — 508.)
Hermann hatte die Römer in der Blüthe ihrer Macht besiegt. Nach
seinem Tode fing schon ihre Erschöpfung an sichtbar hervorzutreten. Sie waren
jetzt allein noch auf den Besitz des Rhein- und Donau-Ufers bedacht und stellten
sich an diesen wohlbefestigten Grenzen nur auf Vertheidigung den Deutschen
gegenüber. Diese aber, stets wachsam und voll Haß gegen Rom, bemerkten
sehr wohl, daß die alte römische Kraft immer mehr und mehr zusammenbrach;
und eS regte sich ein mächtiger Drang in ihnen, Rache zu üben für so viel
Falschheit und Hinterlist, womit die Römer ihre Väter so lange unlstrikkt hatten.
Auch war eö der kriegslustigen Jugend zu eng und zu still in der Heimath
geworden. Die germanischen G ele ite ftürztcinsich deshalb mit verjüngter Kraft,
in immer steigender Zahl, mit immer steigender Wuth auf die Grcnzländer des
römischen Reiches, die sie furchtbar durchraubten und durchplünderten. Kräftige
Kaiser, wie Trajan, hielten sie mit den äußersten Anstrengungen in Schranken.
Gegen das Ende deö zweiten Jahrhunderts waren es nicht mehr bloße Geleite,
sondern ganze Völkerschaften, die sich in Bewegung setzten, um in das römische
Gebiet hineinzustürmen. Und cs war die ganze Standhaftigkeit des heldenmüthigen
Kaisers Mare Aurel (v. 100 — 180 n! Chr.) nöthig, mit nach langem und
zweifelhaftem Kampfe endlich', und zwar mehr durch Unterhandlung, als durch
Waffen, die Angriffe der Quaden und Markomannen, im heutigen Oestreich,
Böhmen und Mähren, zurükkzuhalten. Dagegen stillte sein unwürdiger Sohn
CommoduS den wieder anSgcbrvchenen Kampf durch einen erkauften Frieden. Das
röm. Reich war nun schon wie ein alter, abgelebter Mann , und seine Sicherheit
ruhte einzig und allein auf der immer noch fortdauernden inneren Zwietracht der
Deutschen. Daö wußten auch die Römer sehr wohl, und sic machten eS sich
daher zum angelegentlichsten Geschäft, diese Zwietracht zu erhalten und die
„Barbaren" gegen einander aufzustacheln. Dagegen erkannten diese Barbaren
immer mehr und mehr den Werth und Vortheil innerer Eintracht und größerer
Vereine, itnb es treten im Anfange deö dritten Jahrhunderts vier große
germanische Völkerbündnisse, von denen jedes wieder mehrere Stämme in sich
faßt, thatkräftig auf den Schauplatz der Geschichte. Es erscheinen die Franken,
die Allemanncn, die Gothen und die Sachsen. So in sich gestärkt,
gehen die Deutschen von der Vertheidigung zum offenen Angriffskriege über. Die
Franken, am mittleren und unteren Rheinstrom, arbeiteten sich immer tiefer in
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das römische Gallien hinein. Die Allemann en, am Maine und an der mittleren
Donau, überschwemmten Gallien und machten sich auch in Welschland furchtbar.
Die Gothen, an der unteren Donau, fuhren ans Abenteuer gen Griechenland
und Asien; später theilten sie sich in zwei Hälften: Ostgothen und Westgothen. Die
Sachsen, an den Küsten der Ost- und Nordsee, waren als kühne Seefahrer
den Römern ein Schrekken. Das waren die deutschen Völkerbünde, welche von
allen Seiten her daö altersschwache römische Reich bedrängten. Von Jahr zu
Jahr wurden diese Bewegungen heftiger. Endlich, gegen das Ende des vierten
Jahrhunderts, erhob sich ein furchtbarer Sturm, ein Wogen, Treiben und
Drängen unter allen Völkern Europas. Es war die große Völkerwanderung,
eines der größten Ereignisse der Weltgeschichte. Furchtbar wurden Menschen und
Völker aneinander getrieben. Alte Völker gingen unter, und neue traten auf den
Schauplatz. Alte Reiche wurden zertrümmert, und neue Reiche entstanden; die
meisten aber vergingen eben so schnell, wie sic entstanden waren. Eine neue
Welt erhob sich aus diesem Sturme. Die erste Veranlassung dieser großen
Völkerbewegung war das Eindringen der H u» n e n in Europa. Dieses wilde
kriegerische Volk wohnte im Innern von Asien, in der heutigen Mongolei. Ein
alter Schriftsteller beschreibt sie uns als ein Reitervolk von fürchterlicher Wildheit
und gräßlichem Ansehen. Sie zerschneiden sich, sagt er, in der Kindheit Kinn
und Wangen, um durch die dichten Narben den Bartwuchs zu unterdrükken.
Bei der größten Häßlichkeit de- Gesichts haben sie einen starken Knochenbau,
einen fleischigen Hals, breite Schultern und so wenig von der feineren menschlichen
Gestalt, daß sie von fern wie grob zugehauene Pfähle an Brükkengrländern
aussehen.. Ihre Speisen erfordern kein Feuer und kein Gewürz; sie leben von
wildem Wurzelwerk und rohem Fleisch. Lehtercs legen sie als Sattel auf das
Pferd und verzehren es, nachdem es von einem tüchtigen Ritt durchwärmt ist.
Von Kindesbeinen an streifen sie in Bergen und Wäldern umher und lernen
Külte und Hunger ertragen. Vom Kopfe bis zur Sohle in Thierfelle gehüllt,
das Rauhe nach außen gekehrt, sitzen sie immer auf ihren kleinen, zähen Pferden,
als wenn sie mit denselben zusammengewachsen wären. Auf denselben essen,
trinken und schlafen sie. Akkerbau und Gewerbe sind ihnen fremd. Von Religion
und Gesetzen, von' Anständigkeit und Schikklichkeit haben sie keinen Begriff und
keine Vorstellung. Ihr Kleid wechseln sie nur dann, wenn es vor Alter in Fetzen
vom Leibe fällt. Ihre schmutzigen Weiber und Kinder führen sie auf Karren,
die mit Fellen überspannt sind, mit sich. Krieg ist ihr Element. Schnelligkeit
und Tollkühnheit sind ihre Stärke, Raubsucht und Grausamkeit ihr Vergnügen. —
Diese H u n n e 11 wälzten sich im Jahre 375 ». Chr. in Schaaren zu Hunderttausenden
über die Wolga und den Don nach Europa herein, stürzten sich zuerst auf die
Alanen, am kaspischen Meere, unterwarfen diese, und mit ihnen vereint, auch
die Ostgothen am schwarzen Meere. Die Westgothcn, gedrängt, flohen nach der
Donau und baten,.unter dem Versprechen cineü treuen Gehorsams, um Wohnsitze
im römischen Reiche. Kaiser Valens gewährte ihnen dieselbigen in dem jetzigen
Serbien und Bulgarien. Aber gereizt durch den schändlichen Drukk römischer
Statthalter, griffen sic zu den Waffen und erfochten (378) bei Adrianopel einen
glänzenden Sieg. Kaiser Valens war selbst unter den Gefallenen. Sein Nachfolger,
TheodvsinS der Große, beschwichtigte die Gothen durch Kraft, Klugheit und
Milde und rettete sein Reich vom Untergänge. Kurz vor seinem Tode aber theilte
er (395 ) mit unweiser Berechnung des Erfolges das röm. Weltreich unter feine
beiden Söhne HonoriuS und ArkadiuS. Dieser erhielt daö Morgenland mit
der Hauptstadt Konstantinopel, jener daü Abendland mit der Hauptstadt Rom.
Bald nach dieser Theilung drangen die Westgothcn unter Alarich in Italien
ein (409), erzwangen Tribut und plünderten Rom (410). Der Tod hemmte
Alarichö Fortschritte. Sein Vetter Athaulf zog mit dem Volke durch Gallien
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„ach Spanien und gründete ans beiden Seiten der Pyrenäen das große weftgothischc
Reick, dessen Hauptstadt Toulouse im jetzigen Frankreich war. Die vor ihm
dorthin gekommenen Vandalen flohen vor den Westgothen nach dem nördlichen
Afrika und gründeten hier ein Vandalisches Königreich (420). Die Angeln
und Sachsen, unter Hengist und Horsa, zogen (449) nach England und
legten den Grund zu dcni großen brittischcn Reiche.
Die Hunnen, die bis daher in den n>eiten Steppen Süd-Rußlands, Polens
und Ungarns gehaust, erhoben sich jetzt aufs Neue (451). Viele Völker mit
ihren Fürsten waren ihnen Unterthan. Seit 494 herrschte ein gewaltiger König
über sie, Attila, auch Gottesgeißel genannt. Derselbe, nachdem er sich zuvor
die Oströmer tributpflichtig gemacht, bedrohte jetzt das Abendland und zog an
der Spitze von 700,090 Streitern, Alles mit Feuer und Schwert verwüstend,
durch Deutschland über den Rhein nach Gallien. Hier rükkte aber ein mächtiges
Heer, bestehend aus Römern, Weftgothen' und andern deutschen Hülfövölkern,
vom tapfer» röm. Feldherrn Aetiuö angeführt, dem Lände»stürmet entgegen.
Auf den katalaunischen Feldern, bei EhalonS an der Marne, entbrannte eine
fürchterliche Völkerschlacht (452), die blutigste, die je auf europäischem Boden
geschlagen ward. Binnen wenig Stunden bedekkten 100,900 Leichen das Schlachtfeld.
Attila war besiegt und zog sich über den Rhein znrükk. Im folgenden Jahre
verheerte er noch Italien und starb 454 in Ungarn. Mit ihm zerfiel auch sein
Reich. Die unterjochten Völker wurden frei. Die Hunnen kehrten nach dem
schwarzen Meere zurükk, und ihr Name verschwand in der Geschichte. Die
kriegerischen Wanderungen der Völker, die immer noch keine feste» Wohnsitze
hatten, hörten aber krineswegeS in Europa auf. Rom in seiner Hinfälligkeit
konnte sich der Deutschen, dir schon seine meisten Provinzen besetzt hielten, nicht
mehr erwehren, als sein heldenmüthiger Vertheidiger AetiuS durch die Hand des
mißtrauischen Kaisers Valentia» III. gefallen war. Odoakcr, Befehlshaber
der in der kaiserliche» Leibwache dienenden Deutschen, der Heruler und Rugier,
machte endlich (470) dein abendländischen Kaiserreiche ein Ende, indem re chen
letzten Kaiser, Romulus AugustuluS, des Thrones entsetzte und sich König
von Italien nannte. Das römische Reich hatte aufgehört. Deutsche waren seine
Erben. Das morgenländische oder griechische Reich führte noch fast 1000 Jahre
hindurch, unter furchtbaren innern Zerrüttungen, ein krankhaftes Dasein, bis
endlich (1453) die Türken mit der Eroberung Konstantinopelü demselben ein
Ende machten. — In Italien mußte schon nach 17 Jahren das Reich der Heruler
dem gewaltigen Reiche der Ostgothen weichen, welches durch The od or ich (493)
dort gegründet wurde. Nach Verlauf von 00 Jahren wurde dieses ( so wir auch
das Vandalenreich in Afrika) von den berühmten vströmischen Feldherrn Beli sa r
und N a rseS erobert (553) und Italien wieder mit dem griechischen Kaiserthum
vereinigt. Bald aber kamen die Longobarde» unter ihrem Könige Alb vi n
(508) und gründeten in Oberitalien das lo in bardische Reich, welches bis
auf die Zeit Karls des Großen sich behauptete. — Ans den Trüminern der in
der Völkerwanderung schnell entstandenen und eben so schnell zerfallenen Reiche
bildete sich gegen das Ende deö fünften Jahrhunderts (480) daö große
fränkische gleich, welches in der Folge ganz Frankreich und den größten Theil
von Deutschland umfaßte, und aus welchem das neuere französische und daö
deutsche Reich ihren Ursprung genommen habe». —
Das fränkische Reich.
(486 — 843.)
Der gewaltige Strom der Völkerwanderung brauste an den Franken vorüber,
ohne sie aus ihren Wohnsitzen, am mittlern und untern Rheinstrome, mit sich
318
fortzureißen. Jedoch gingen sie in dieser sturmbewegten Zeit nach zwei Richtungen
auseinander. Zu einem Theile blieben sie in dem alten Germanien, auf dem
rechten Ufer des Rheins; zum andern zogen sie in einzelnen Geleiten auf Sieg
und Eroberung über den Strom in das römische Gallien, und gründeten dort,
unter dem Namen der „Salf,anten," mehrere kleine, selbstständige Königreiche.
In einem derselben kam 481 der junge Chlodwig (Ludwig), aus den, Geschlechte
der Merovinger, zur Regierung; ein-Mann, durch Muth und Tapferkeit äußerst
merkwürdig, doch wenig lobenswerth. Sein ererbtes Gebiet war ihm viel zu
klein. Immer mehr zu besitzen, war sein Streben; immer unumschränkter
zu herrschen, sei» Wunsch. Er verband sich daher mit den andern Fürsten der
falische» Franken, die größteuthcils seine Verwandten waren, und unterwarf sich
den letzten Rest des röm. Galliens (480), zwischen der Seine und Loire. Hierauf
schlug er (490) bei Zülpich die Allemannen und ging, seinem Gelübde getreu,
in Reims, mit 3000 seiner Franken, zum Christenthum über. Sodann zog er
mit seinem Heere über die Loire, brach in das mächtige Reich der Weftgothen
und zertrümmerte dasselbe in der Schlacht bei Poitiers (507). Die Grundfesten
deö Frankenreichö waren gebaut. Jetzt strebte Chlodwig nach der Alleinherrschaft
über alle Franken. Die Vettern seines Stammes waren ihm ein Dorn im
Auge. Sie sollten sein Reich nicht erben. Mit tükkischcr Grausamkeit, durch
Gift, Dolch und Verrath schaffte er sie, die bisherigen Bundesgenossen, alle aus
dem Wege. Sein Zwekk war erreicht. Aber der Fluch seiner Thaten ist seinen
Kindern und KindeSkiuderu furchtbar heimgekommen. Chlodwig starb im Jahre
511. Seine vier Söhne (Theodorich, Chlodomir, Childebert und Lothar!.)
theilten sich in das Frankenrcich und warfen sich gemeinschaftlich auf andere
germanische Brüder. Auf der eine» Seite brachen sie das Reich der Burgunder
(530); auf der andern Seite vernichteten sie, indem sie ihre Waffen in daö
eigentliche Deutschland zurükkwandten, das Reich der Thüringer (534) und
machten sich auch die auf dieser Seite des Rheins wohnenden Franken Unterthan.
Lothar I. überlebte seine Brüder, brachte seine Neffen um und vereinigte alle
Theile des Frankenreichs unter seinem Scepter. Nach seinem Tode (501) erfolgte
eine neue Theilung (unter seine vier Söhne: Charibert, Guntram, Sigibert
und Chilperich). In furchtbaren Bruderkriege» lagen die Söhne Lothars unter
einander, und darauf wieder die Söhne dieser Söhne. Gift, Dolch und Verrath
waren au der Tagesordnung. Mord folgte auf Mord. Endlich, nachdem die
Erde Galliens vielfach getränkt worden mit Bruder- und Verwandten-Blut, und
die andern Merovinger untergegangen, wurde Lothar!! (ein Sohn Chilperichs)
wieder allein König der Franken (013 — 028). Indessen war das Königthum
der Merovinger zu gänzlicher Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht herabgefunken.
Die Ausübung der königlichen Gewalt war bereits vollständig in den Händen
des königlichen àjcir Domus (HausmcierS, Statthalters oder StaatökanzlerS).
Von dem ursprünglichen Geschäft der Verwaltung der Krongüter und des
königlichen HauseS hatte dieser Minister sich allmählig zur obersten Leitung aller
bürgerlichen und Kriegsgeschäfte emporgeschwungen. Die Pipine (später auch
Karolinger genannt) behaupteten sich in dieser Würde am glänzendsten. Im
Jahre 087 wurde Pipin v. H eri stall, ein Enkel des Pipi» v. Landen,
Statthalter über das ganze Frankenreich, und er erwarb sich durch seine 27jährige,
kraftvolle, weise und glükkliche Regierung die Liebe und das Vertrauen in solchem
Grade, daß er die Statthaltcrwürde in seinem Geschlechte erblich machen konnte.
Den Königen dieser Zeit verblieb Nichts, als nur die Ehre des Namens und
der Krone. Kaum daß von ihnen überhaupt nur noch die Rede in der Geschichte
ist. Nach Pipin v. Heristall folgte dessen Sohn Karl (714). Durch seine
siegreichen Kriege mit den deutschen Nationen wurde der Umfang des Reiches
erweitert, mehr aber noch durch eine durchgreifende Regierung im Innern die
319
Kraft erhöht. Die glorreichsten Lorbeeren erntete Karl, als er im Jahre 732,
zwischen den Städten Tvurö und Poitiers, einen entscheidenden Sieg über
die Saracenen gewann und so die Christenheit von der nahen Gefahr befreite,
ihren christlichen Glauben mit dem Islam, der Religion Muhameds, vertauschen
zu müsse»; denn die Chalifen, die Nachfolger Muhameds, machten sich ein
Verdienst daraus, dem Chriftenthume einen sichern Untergang zu bereiten und
alles Volk und Land sich und ihrem Glauben zu unterwerfen. Karl erhielt wegen
deö großen Sieges den Beinamen „Martell" (d. h. Hammer). Gr starb 741.
Seine Söhne, Karl mann und Pipin der Kurze, theilten das Reich.
Karlinann dankte ab und ging in ein Kloster. Pipin, nunmehr Alleinherrscher,
regierte das Land nach seinem Gefallen, klug und gerecht, und zeigte dem Volke
durch Thaten seine Kraft. Endlich, als er die Gemüther der Franken für sich
günstig sah, ließ er sich unter Zustimmung des Papstes Zacharias von dem
Erzbischof Bonifaeius zum Könige krönen und stellte den letzten Mcrovinger,
Ehilderich III., in ein Kloster. So stürzte (752) die Herrschaft zusammen,
welche Chlodwig (vor 200 Jahren) für seine Enkel auf Blut gegründet hatte.
Pipin vergrößerte durch Muth und Weisheit die Macht seines Volles. Auf
besonderes Ansuchen deö Papstes Stephan II., der anch die Salbung nochmals
an ihm vollzog und ihn zum Schirmvogt der Kirche ernannte, unternahm er
einen zweimaltgen Kriegszug gegen die Longobarde», welche Rom bedrohten.
Die Landstriche in Mittelitalien, die er ihnen entriß, schenkte er, mit Vorbehalt
der Oberherrlichkeit, dem päpstlichen Stuhle als ewiges Eigenthum und legte so
den Grund zu dem weltlichen Gebiete der Päpste, das unter dem Namen deö
Kirchenstaates eine so ansehnliche Macht in Italien bildete. Pipi» starb 708.
Seine Söhne, Karl und Karl mann, theilten das Reich. Karl, genannt
„der Große," gelangte im dritten Jahre seiner Regierung (771 ) durch den
Tod seines Bruders zur Alleinherrschaft. Der Zwekk seines ganzen Lebens war:
Sicherung u » d E r Weiterung seine r iW acht, E inig u n g all e r
Völker deö Abendlandes zu einem christlichen Reiche. Diesen Zwekk
verfolgte er mit eisernem Willen und wurde der Baumeister eines neuen Welt-
reiches. Seine lange Regierung (v. 708 — 814) war eine fast ununterbrochene
Reihe von Heerfahrten und Kämpfen. Das erste Werk, welches ihm gelang,
war die Zerstörung des longobardischen Reiches in Italien. DrsideriuS, den
König der Longobarde», stekkte er in ein Kloster, und nannte sich „König der
Franken und Longobarde»" (774). Besonders merkwürdig aber ist der Krieg
mit den heidnischen Sachsen im nördlichen Deutschland, vom Rhein bis zur
Elbe, Dieses edle, starke und rüstige Volk, das sich in drei Hauptstämme,
Ostphalen, Westphalcn und Engern, theilte, führte mit den Franken
einen furchtbaren Kampf für seinen'Glauben und seine Freiheit, einen Kampf,
der über 30 Jahre dauerte (v. 772 — 803). Oft mußte eö sich unter die
Uebermacht beugen, warf aber das verhaßte Joch immer wieder ab, wenn Karl
zu neuen Unternehmungen in die Ferne gezogen war. Um den kühnen Sinn
des Volkes zu brechen, ließ er einmal, durch die wiederholten Aufstände erbittert,
gegen 5000 gefangene Sachsen an einem Tage hinrichten. Diese grausame
Härte erbitterte das unglükkliche Volk so sehr, daß es nun in Masse aufstand
und den Kampf mit verdoppelter Anstrengung und mit dem Muthe der
Verzweiflung fortsetzte. Schwerlich hätte Karl seinen Zwekk jemals erreicht,
wenn nicht die stets glorreichen Feldherren der Sachsen, Alboin und Witte find,
ihm freiwillig huldigten und die heilige Taufe nahmen (785). Die völlige
Beendigung des Kampfes erfolgte indeß erst durch den Frieden zu Selz (803).
Die Unterwerfung der Sachsen hatte feindselige Berührungen mit den Wenden
im Mekklenburgtschen und in Böhmen, sowie mit den Normännern im
heutigen Dänemark zur Folge. Beide Völkerschaften fühlten nicht minder, wie
320 •
die Sachsen, Karls kräftiges Schwert. Im Jahre 778 zog der fränkische Held
gegen die Saracenen in Spanien und eroberte alles Land bis an den Ebro.
Den ihm feindlich gesinnten Herzog Thafsilv II. von Baiern setzte er ab und
machte sein Land zu einer fränkischen Provinz (788). Mit Thassilo hatten die
Avaren, östlich von Baiern, Bündniß geschlossen. Nach seinem Sturze fielen
sie in die fränkischen Länder, worüber Karl d. Gr. den Krieg gegen sie erhob
(791—799), sie besiegte und sein Reich bis an die Naab ausdehnte. Das
avarische Land wurde die Ostmark des Reiches, später „Oestreich", genannt.
Im Jahre 800 wurde der große Herrscher durch Papst Leo III. in Rom zum
Kaiser gekrönt und das abendländische Kaiserthum, dessen Würde 324 Jahre
geruht, für wiederhergestellt erklärt. Mit der Kaiserkrone überkam Karl d. Gr.
die höchste obrigkeitliche Würde in der Christenheit; aber er hatte auch eine
Macht, die dieser Würde entsprach. Sein Reich umfaßte Spanien vom Ebro,
Frankreich, Italien, Schweiz, Niederlande, Deutschland bis an die Eider, Elbe,
Saale und Raab. Die Theile dieses großen Reiches durch christliche Bildung
und gute Regierung zu einem Ganzen zu verschmelzen und zu beglükken, war
sein eifrigstes Bestreben. Er legte Schulen an und hielt sich nicht zu gut, sic
von Zeit zu Zeit zu besuchen und die Schüler, je nachdem er es fand, zu beloben
oder zu bedrohen. Er selbst laS sehr fleißig und übte sich noch in seinem Älter
im Schreiben. Mit besonderer Liebe pflegte er die deutsche Sprache, dies
theure Erbgut deö -Volkes. Zu Gehülfen in der Regierung des Landes bestellte
er erfahrene Männer unter der Benennung Pfalzgrafen, Landgrafen, Burggrafen,
Markgrafen und Sendgrafen. Karl der Gr. starb am 28. Januar 814 und
wurde tut Münster zu Aachen beigesetzt.
Sein Sohn und Nachfolger, Ludwig der Fromme (v. 814 — 840), war
der Regierung eines so großen Reiches nicht gewachsen. Früh erkannte er das
Schwierige seiner Lage und theilte deshalb (817) das Reich unter seine drei
Söhne erster Ehe, Lothar, Pipin und Ludwig, jedoch unter Vorbehalt der
Oberherrschaft. Später unternahm er zu Gunsten Karls des Kahlen (Sohn
zweiter Ehe) eine neue Theilung seiner Länder. Darüber ergrimmten jene drei,
griffen zu den Waffen, zogen gegen den eigenen Vater zu Felde, nahnicn ihn
zwei Mal (830 u. 833) gefangen und entsetzten ihn endlich sogar aller seiner
Würden. Der schwer geprüfte Kaiser gelangte zwar wieder in den Besitz des
Thrones (835), starb aber bald darauf (840) tief gebeuflt in neuen Kämpfen
mit seinen unnatürlichen Söhnen. Nunmehr geriethen diese unter sich in einen
blutigen Kampf, bis sie endlich in dem berühmten Vertrage zu Verdun sich
einigten und das große Frankenreich theilten (843). Lothar erhielt als Kaiser
Italien und den langen Länderstrich von der Rhone, Saone, Maas und Schelde
bis an den Rhein (Lothringen); Ludwig der Deutsche das eigentliche
Deutschland östlich vom Rhein, doch des Weines wegen auch Mainz, Worms
und Speier auf dem linken Rheinufer; Karl der Kahle endlich alles Land
westlich von jenen Flüssen bis ans Meer (also das eigentliche Frankreich) und
Spanien bis zum Ebro. So hatten denn die drei Fürste» das Reich getheilt;
aber es blühte ihnen für die Dauer kein Heil daraus; auf jedem von ihnen lag
ja der Fluch des Bruderkrieges. Den Lothar und Ludwig verfolgte noch dazu
die Rache für ihren Frevel am Vater. Thatenlos und schmachvoll endete Lothars
Geschlecht (875), und sein Reich wurde eine Beute der beiden Nachbarn. Der
Stamm Ludwigs des Deutschen erlosch jammervoll und elend im Jahre 911.
In Frankreich mußten die Karolinger 987 der Familie der Kapetinger weichen
und im Gefängniß ihr Leben beschließen.
Glorreich hatte das Geschlecht Karls d. Gr. begonnen; rühmlos und
verachtet mußte es enden.
321
Das deutsche Reich.
(v. 843 — 1806.)
Der berühmte Theilungsvertrag zu Verdun ist der Anfang des deutschen
Reiches und' seiner gesonderten Geschichte. Dieselbe beginnt mit Ludwig dem
Deutschen (843 — 876). Er stand unter schweren Verhältnissen bis an sein
Ende. Auf der einen Seite von den wilden Normannen, auf der andern von
slavischen Völkern und auf der dritten durch den Zwist und die Empörungen
seiner Söhne Karlmann, Ludwig und Karl, gequält, wurde er unter Sorgen
und Herzeleid grau. Nach seinem Tode theilten seine Söhne daö Reich. Karl
der Dikke (876 —887) beerbte seine früh verstorbenen Brüder, vereinigte noch
einmal (884 — 887) das ganze Reich Karls d. Gr., wurde aber, bei Feinden
und Freunden gleich verächtlich, abgesetzt und starb bald darauf (888), bcdckkt
mit häuslicher, wie mit öffentlicher Schande. Sein Nachfolger Arnulf (887 —
899) stritt siegreich gegen die Normannen und Böhmen und starb an Gift.
Ihm folgte sein sechsjähriger Sohn, Ludwig das Kind (899 — 911). Seine
Regierung war kurz, durch innere Zwietracht, wie durch äußere, ungarische
Kriegsverwüstungen unglükklich und leidensvoll. Mit ihm erlosch daö Geschlecht
der Karolinger in Deutschland. Die inzwischen mächtig gewordenen Herzoge der
Sachsen, Franken, Barern und Schwaben traten nun zusammen und wählten
Kon rad I., Herzog der Franken, zu ihrem Könige (911—918). Seit dieser
Zeit ist Deutschland ein Wahlreich geblieben bis in die neuste Zeit. Konrads
Regierung war nicht glükklich. Be, aller seiner Kraft und gute» Gesinnung
vermochte er weder die übermüthige» Großen des Reiches im Zaume zu halten,
noch den Verwüstungen der äußern Feinde Einhalt zu thun. DaS schöne und
große Lothringen trennte sich von Deutschland und wendete sich zu dem französischen
Karolinger. — Nach KonradS 1. Tode kam die deutsche Krone an das mächtige
sächsische Hauö. Dasselbe hat dem deutschen Reiche über ein Jahrhundert
(v. 019 —1024 ) vorgestanden und ihm fünf Könige gegeben. Der erste aus
diesem Hause war
Heinrich I., der Vogelsteller (v. 919 — 936). Mit starkem Arme eroberte
er Lothringen, demüthigte die Herzöge von Schwaben und Baiern, züchtigte die
Normänner und Wenden und besiegte nach einem neunjährigen Waffenstillstände
die Ungarn bei Merseburg (933). Zum Schutze gegen die' äußern Feinde legte
er überall feste Plätze an, erst Burgen, dann Städte, und führte Waffenübungen
zu Pferde ein. Zur Sicherung der Grenzen errichtete er Marken und bestellte
Grafen darüber. Durch die Markgrafschaft Nordsachsen, auch wendische Mark
genannt, legte er den Grund zu dem preußischen Staate. Die Liebe und
Achtung der Deutschen begleiteten den edlen Heinrich zu Grabe. Sei» Werk ward
durch seinen trefflichen Sohn
Otto I., den Großen (936 — 973), vollendet. Derselbe besiegte die
aufrührerischen Franken und Lothringer und kämpfte glorreich auch gegen die
äußern Feinde. Die Ungarn schlug er (955) am Lech in Baiern für immer
aus Deutschland, und die Wenden unterwarf er sich bis an die Oder. Er erwarb
sich die eiserne Königskrone der Longobarde» (951) und die Kaiserkrone in Rom
(962), wurde Schirmherr der katholischen Kirche und Herr der Päpste. Die
Kaiserwürde ist seitdem beim deutschen Reiche geblieben, und jeder neue König
unternahm von nun an einen sogenannten Römerzug, um sich in Rom die
Kaiserkrone aufsetzen zu lassen, was selten ohne Krieg abging. Am Ende seiner
Tage kannte Otto d. Gr. sein Lebenswerk in Ruhe überschauen: in Deutschland
war Friede und Einigkeit, Wohlfahrt und Segen bei großem Waffenruhme.
Die Herrschaft ging über auf seinen Sohn
322
Otto II. (973 — 983). Gegen ihn empörte sich Herzog Heinrich von
Baiern, wurde aber besiegt und verlor sein Land. Böhmen, Dänen und Wenden
wurden gezwungen, Huldigung und Jinö zu erneuern. Ein ruhmvoller Krieg
mit Frankreich sicherte Deutschland den Besitz Lothringens 700 Jahre lang.
Mit der Kaiserkrone wollte Otto die Herrschaft über ganz Italien an sich
bringen, griff daher Unteritalien an, wurde aber in der Schlacht bei Basantcllo
(982) von den vereinigten Griechen und Arabern völlig geschlagen. Im folgenden
Jahre rüstete er von Neuem, um die erlittene Niederlage zu rächen; aber der
Tod zerbrach ihni Schwert und Herz. Kaum hatte der dreijährige
Otto III. (983 — 1002) unter Vormundschaft seiner Mutter das Jünglings-
alter erreicht, so warf auch er mit besonderer Vorliebe seinen Vlikk nach Italien
und nach Rom. Hier wollte er den Sitz des Reiches gründen. Allein, nachdem
er drei' Mal mit Blut und Gewalt in Rom sich Bahn gebrochen und dieselben
Mühseligkeiten und Gefahren, wie sein Vater und Großvater erduldet, starb er,
wie man sagt, an Gift. Ihm folgte der Herzog Heinrich von Baiern, ein
Urenkel Heinrichs I., unter dem Namen:
Heinrich II. (1002 — 1024). Außer den gefährlichen Kriegen mit den
Polen und Böhmen unternahm er einen dreimaligen Hecrzug nach Italien.
Dasselbe kämpfte mit großer Erbitterung um seine Unabhängigkeit von Deutsch-
land. Heinrich siegte zwar, erhielt auch die Kaiserkrone (1014); aber sein
welsches Reich zu mehr, als zu einem bloßen Namen zu machen, vermochte er
nicht. Mit ihm erlosch das glorreiche sächsische HauS.
Nun trat das kräftige Herrschergeschlecht der sali scheu oder fränkischen
Kaiser auf (1024—1125). Der erste von ihnen war:
Konrad II. (der Salier, v. 1024 — 1039). Unter Widersprüchen und
Kämpfen wußte er sich zu behaupten und führte das StaatSrnder mit starker
Hand. Die trotzigen Großen hielt er in gebührender Unterwürfigkeit. Auch in
Italien waltete er kräftig und kühn nnd bestrafte die Rebellen; aber den
glühenden Bolkshasi der Italiener gegen die Deutschen vermochte er nicht
auszulöschen. Durch seine Beharrlichkeit gewann er die Königskrone von
Burgund. Dieses Reich dehnte sich ans vom Bodensee bis zur Mündung der
Rhone. Die Herzogthümer Franken, Baiern und Schwaben zog er für sein
HauS ein und hinterließ seinem trefflichen Sohne
Heinrich III. (1039 — 1050) eine wohl befestigte, vermehrte, nach innen
und außen gewaltige Herrschaft. Weise, kühn und unaufhaltsam schritt Heinrich
in dem Geiste seines klugen und unbeugsamen Vaters fort. Böhmen und
Ungarn unterwarf er der deutschen Oberhoheit. Am glorreichsten waltete er in
Italien; mit aller Strenge handhabte er dort seine richterliche Gewalt und
bemeisterte sich des Rechtes, Päpste ein- und abzusetzen. Kurz, die KönigSmacht
in Deutschland erreichte ihren höchsten Gipfel, und Germanien überragte glänzend
alle Staaten der Christenheit. Diese Macht, bei welcher Deutschland im Innern
ruhig nnd geordnet, nach außen höchst kräftig wirkte, ging unter
Heinrich IV. (1050—1100) für alle Zeiten verloren. Dieser Kaiser hat
viel Unrecht gethan, aber auch sehr viel erlitten. Seine fünfzigjährige Regierung
war ein ununterbrochener Kampf, entsetzlich, nnd blutig. Das arme deutsche
Vaterland ward von Jammer und Zerstörung furchtbar heimgesucht; alle Zucht
und Sitte verfiel, und alle Ordnung ward zertrümmert. Zweiundsechszig
Schlachten und Treffen hat Heinrich IV. geliefert; fünf Mal ist er im Kirchen-
banne gewesen und hat unter demselben sogar drei Tage nnd drei Nächte, im
wolluen Bußgewande, bloßen Fußes und Hauptes, von Frost, Hunger und Durft
gepeinigt, vor dem Papste Gregor VII. im Schloßhofe von Kanossa gestanden
(im Januar 1077); drei Mal ist er abgesetzt, hat drei Gegenkönige und sogar
seine beiden Söhne als Empörer gegen sich gehabt, und endlich mußte die
323
kaiserliche Leiche fünf Jahre über der Erde stehen, bis der Bannfluch dcS Papstes
aufgehoben war. Das Alles war Folge der Willkür deS Kaisers und der
päpstlichen Anmaßung, in welcher Gregor VII. danach strebte, die Kirche vom
Einflüsse der Staaten ganz loszureißen, das Königthum und die Selbstständigkeit
der deutschen Nation zu zertrümmern und die päpstliche Macht zur höchsten auf
Erden und zur Schiedsrichterin über Könige und Fürsten zu machen. Gegen
das Ende der Regierung Heinrich IV. begannen auch, durch Peter von Amiens
und Papst Urban II. veranlaßt (1095), die in ihrer Art einzigen Kreuzzüge zur
Eroberung des heiligen Grabes und Landes aus der Hand der seldschukkischcn
Türken. Es waren dies eine Reihe von Heerzügen, die einer Völkerwanderung
von Westen nach Osten glichen und in 200 Jahren (1090—1291) gegen
7 Millionen Menschen nach Asien führten, von denen kaum ein Zehntheil die
Heimath wiedersah.
Heinrich V. (II00 —1125), der letzte Salier, derselbe, welcher die Partei
der Päpste gegen den eigenen Vater so unnatürlich ergriffen hatte und in
schmachvoller Weise König geworden, war nunmehr auch entschlossen, daö
königliche Recht der Investitur (d. i. die Belehnung der Bischöfe mit Ring und
Stab) nicht aufzugeben. Mit starker Macht zog er nach Italien und erzwang
von dem gefangen genommenen Papst Pascha! II. (1111) die feierliche
Anerkennung des Jnvestiturrechtes. Bald aber widerrief der Papst Alles, that
den Kaiser in den Bann, und der Kampf entbrannte aufs Reue, ländlich wurde
durch den Vergleich zu Worms (1122) der Streit zwischen Kaiser und Papst
beigelegt. Die Bischöfe sollte» von nun an frei, §ber unter des Kaiser Ober-
aufsicht gewählt werden und die Erwählten von ihm die Belehnung über die
Retchögüter durch den Scepter erhalten. Bald nach dem Wormser Konkordat
starb Heinrich V. Die Herrschaft der Salier hatte ein Ende. —
Nun rechnete das mächtige Haus der schwäbischen Herzöge von Hohenstaufen,
auch Weiblinger genannt, auf die Königswürde. Die Eifersucht der Geistlichen
aber lenkte die Wahl auf den Herzog von Sachsen,
Lothar (1125 — 1137). Vereint mit seinem mächtigen Schwiegersöhne,
Heinrich dem Stolzen, Herzog von Baicrn und Sachsen, aus dem Hause der
Welfen, suchte er die Hohenstaufen zu demüthigen, und es entspann sich in
Deutschland jener berühmte hundertjährige Streit der „Weiblinger und
Welfen."*) Die Herzogthümer, die Pfalz-, Mark-, Land- und Aurggraf-
schaften machte Lothar in den Geschlechtern, die sie damals inne hatten, erblich.
Sv bekam unter Andern Albrecht der Bär die Markgrafschaft Brandenburg
(1133). — Mit
Konrad III. (1137—1152) kam nun das Hauö der Hohenstaufen auf
den Thron (v. 1137 — 1254). Heinrich der Stolze, über die Wahl erbittert,
wollte sie nicht anerkennen; darum wurde er als Empörer in die Acht erklärt
und seiner Herzogthümer Baiern und Sachsen entsetzt. Bald nach eröffnetem
Kampfe ereilte ihn der Tod (1139). Für die.Rechte seines zehnjährigen Sohnes
trat Welf, der Bruder des Verstorbenen, auf, und Sachsen ward durch des
Volkes Liebe für Heinrich den Löwen behauptet. Konrad unternahm mit
Ludwig VII. von Frankreich einen Kreuzzug (4147 — 49), der mit unbeschreiblichem
Elende endete, kehrte matt und krank nach Deutschland zurükk und starb, ohne
den Römerzug gethan zu haben, ungekrönt. Ihm folgte sein Nesse
Friedrrch l., auch Barbarossa genannt (1152— 1190), ein gewaltiger
Fürst, tapfer, willensfest und gerecht. Er versöhnte die Weiblinger und Welfen,
gab Baiern au Heinrich den Löwen zurükk, erhob Oesterreich zu einem Herzogthum
*) In Italien, wo cd mehr ein Kamps der Päpste und der Kaiser war, hiess er der Streit der
Guelphcn" (päpstlich Gesinnte») und der „G hi de Ui neu" (kaiserlich Gesinnten).
324
und sorgte für Deutschlands innere Ruhe und Ordnung. Auch nach Außen hin
wurde deö Reiches Glanz und Ruhm mit Kraft und Glükk behauptet. Die
Könige von Böhmen, Polen und Dänemark waren des Kaisers Vasallen, und
gegen die Wenden wurden entscheidende Siege erfochten. Nur Italien grollte
und trotzte. Hier stand das mächtige Mailand, und nach seinem'Falle (1102)
Verona mit andern lombardischen Städten und auch mit dem Papste im
Blinde gegen deutsche Oberherrlichkeit, unh Friedrichs Romerzug und Krönung
(1155) war die (Eröffnung eines schrekklichen Kampfes, welcher ihn zu noch vier
Heerfahrten veranlaßte, in denen er durch. Heldenthaten glänzte, Schlachten
gewann, aber nicht den Feind besiegte. Die große Schlacht bei Legnano
(2!). Mai 1 i 7G ), welche durch die verweigerte Heeresfolge Heinrich des Löwen
verloren ging, entschied endlich den Sieg der Städte und des Papstes. Der
gebeugte Kaiser schloß Friede (1177). Der treulose Löwe aber, der während der
Zeit sich tüchtig geregt hatte, um unter den Wenden in Mekklenburg und
Pommern ein eigenes Reich zu schaffen, wurde in die Reichsacht erklärt, aller
seiner Würden und LehnSgüter entsetzt und nach kurzer Gegenwehr zu .demüthiger
Unterwerfung gebracht (1182). Baiern kam an da« noch heute regierende Haus
von Wittelsbach. Heinrich behielt nur seine (Erblande, Braunschweig und
Lüneburg, und wurde der Stammvater der hannöverschen und englischen
Königsfamilie. Nach so thatenvollem Leben unternahm der greise Barbarossa
mit Philipp August von Frankreich und Richard Löwenherz von England noch
einen Kreuzzug (1180—1101) und fand in Kleinasien im Kalhkadnos (Salrph)
den Tod. Sein Sohn
Heinrich VI. (1190— 1107) stand an Geist und Tugend dem Vater
nach. Mit blutiger Grausamkeit eroberte er Neapel und Sicilien, die Erblande
seiner Gemahlin Konstantia. Zn Deutschland bemühte er sich vergebens, die alte
Wahlfreist eit umzustoßen und das Reich für sein Geschlecht erblich zu machen.
Nur sein Söhnlein Friedrich II. wurde als künftiger König anerkannt. Da
dieser aber bei dem Tode seines Vaters erst drei Jahre zählte, setzte» die Anhänger
des Hauses Hohenstaufen seinen Oheim Philipp, Herzog von Schwaben, auf
den königlichen Stuhl (1107 — 1208). Ein anderer Theil der Fürsten wählte
Otto IV., einen Sohn Heinrichs deS Löwen, zum Könige (1107 — 1215).
Der alte Parteikampf zwischen Welfen und Weiblinger brach wieder loS. Mit
furchtbarer Wuth kämpften die beiden Gegeukönige zehn Jahre lang um den
Besitz der Krone. Endlich, nachdem der Pabst für Philipps Alleinherrschaft sich
entschieden, wurde dieser durch Otto von Wittelsbach ermordet, und Otto IV.
erhielt allgemeine Anerkennung als Kaiser und auch die Krönung vom Pabst.
Aber nicht lange dauerte seine Herrschaft. Bald zerfiel er mit dem Pabst. Dieser
sprach den Bann über ihn aus und forderte die deutschen Fürsten auf, die
frühere Wahl Friedrich II. wieder in Kraft treten zu lassen. DaS geschah.
Friedrich II. (1212 — 1250) kam von Palermo nach Deutschland. Die
Liebe des Volkes eilte ihm entgegen, Hand in Hand mit dem Glükk. Otto IV.
zog sich, nach vergeblicher Gegenwehr, gedemüthigt zurükk. Friedrich II., den
25. Juli 1215 in Aachen zum Könige und später auch in Rom zum Kaiser-
gekrönt, war durch Tapferkeit, Hellen Verstand und jegliche Herrschcrtugend der
ausgezeichnetste Kaiser deS Mittelalters. Aber mit allen seinen trefflichen
Eigenschaften kam er nur in desto größeren Streit mit den Päpsten. Wegen
Verzögerung eines gelobten Kreuzzugcs (obwohl er ihn später mit glänzendem
Erfolge unternahm) wurde der Bannfluch über ihn ausgesprochen, die lombardischen
Städte zu neuem Ausstande und sein eigener Sohn Heinrich zur Empörung
gegen ihn aufgereizt. Endlich erklärte ihn der Papst sogar für abgesetzt und
ließ Heinrich Raspe von Thüringen (1240 — 1247), und nach diesem
325
Wilhelm von Holland (1247 — 1256) Gegtnkönigen ernennen. In
Jammer und Noth endete der große Kaiser Friedrich II. sein Lebe». Sein
tapferer Sohn
Konrad IV. (1250 — 1254) konnte wegen Feindschaft der Papste nicht
zur deutschen Krone gelangen und starb in Neapel an Gift. Konradin, deö
großen Hauses letzter Sprosse, mußte auf dem Schaffot zu Neapel verbluten
(1268), weil er sein vom Papst an einen fränkischen Prinzen, Karl von Anjou,
verschenktes Erbe, Neapel und Sicilien, wieder erobern wollte. .Vierzehn Jahre
nachher, am zweiten Ostertage des Jahres 1282, brachten dir Sicilianer dem
unglükklichen Konradin ein blutiges Todtenopfer: die sicilianische Vesper.
Mit Friedrich II. Tode war für Deutschland abermals eine Zeit großer
Verwirrung und Verwilderung eingetreten. Denn König Wilhelm vermochte
nicht das mindeste Ansehen zu gewinnen. Nach seinem Tode meldete sich kein
deutscher Fürst für den Thron. Das Königthum hatte Bedeutung und Glanz
verloren. Die Fürsten richteten ihr Auge auf Ausländer. Die Einen wählten
Alfons, König von Eastilien, die Andern Richard von Eornwallis, einen
Bruder Heinrich III. von England. Deutschland hatte nun wieder einmal zwei
Könige; im Grunde genommen aber gar keinen. Denn AlfonS kam nie, und
Richard nur selten nach Deutschland. Diese wilde und ordnungSlose Zeit,
gewöhnlich das Interregnum genannt, ward beendigt durch die Wahl
des Grafe»
R u d o l p h s v o n H a b s b n r g (1276 — 1291). Das war ein gar frommer,
kräftiger und weiser Herr. Er wurde der Wiederhersteller des Vaterlandes. Mit
starker Hand schuf er Ruhe und Ordnung, zerstörte viele Naubburge», ließ viele
Raubritter hinrichten und stellte den inner» Frieden wieder her. Um Italien
und die Kaiserkrone hat er sich nie gekümmert und ist niemals »ach Rom
gezogen. Dagegen erwarb er durch die Besiegung deö stolzen Königs Ottokar
von Böhmen (1278) die Hcrzogthümer Oestreich, Steiermark und Krain,
belehnte damit seine Söhne ( 1282) Albrecht und Rudolph, und legte so den
Grund zu der nachmaligen Größe des östreichischen Hauses. Nach ihm folgte Graf
Rudolph von Nassau (1292— 1298). Durch Ohnmacht, wie durch
Ungerechtigkeit und Willkür verächtlich und verhaßt, wurde er abgesetzt und starb
in der Schlacht mit seinem Gegenkönige Albrecht I. von Oestreich (1298 —
1308), einem Sohne Rudolphs. Das war aber ein harter, ungerechter und
länderaieriger Fürst. Unter Andern wollte er auch die freien Reichsgebiete der
Schweiz, Uri, Schwyz und Unterwalden, durch Reichsvögte unterjochen. Die
freien Schweizer aber schlossen einen Bund und jagten mit stürmender Hand die
Vögte aus dem Lande. Dies zu rächen, rüstete er eben, als er von seinem
Neffen Johann, dem er sein Erbtheil, Schwaben, vorenthielt, ermordet ward
(1308). Nun fiel die Wahl auf den Walkern Grafen von Lüremburg,
Heinrich VII. (1308— 1313). Dieser gewann das schöne Böhmen für sein
Haus (1310), unternahm auch einen Zug nach Italien und fand dort einen
plötzlichen Tod. Jetzt entstand ein heftiger Zwiespalt zwischen den Häusern
Oestreich und Lu rem bürg und ihren Parteien: die östreichische wählte
den Herzog
Friedrich von Oestreich (1314 — 1330); die lnremburgischc dagegen
entschied sich für
Ludwig von Baiern (1314 — 1347). Zwischen beiden Königen
entspann sich ein Kampf, verderblich für Land und Volk. Endlich unterlag
Friedrich in der blutigen Schlacht bei Mühldorf in Baiern (1322). Die edlen
Gegner aber versöhnten sich, schlossen einen FreundschaftSbund und regierten
fortan gemeinschaftlich. Friedrich starb in Frieden. Ludwig dagegen lag
sortwährend mit dem Papste in einem harten Kampfe, zog auch durch ansehnliche
22
326
Vergrößerung seiner HauSmacht die Unzufriedenheit der Fürsten auf sich, und
diese wählten endlich (1340), aufgestachelt vom Papst, in der Person Karls lV.
einen andern König, der aber dem entschlossenen und beharrlichen Ludwig
gegenüber keinen Einfluß gewinnen konnte. Kaum war Ludwig gestorben, so
beriefen die Freunde Wittelsbach den Grafen Günther von Schwarzburg
auf den Thron. Der entsagte indeß der Kaiserkrone und starb auch bald (1349).
Nun erst gelangte
Karl IV. (1349 — 1378) zum ungestörten Besitz der deutschen Krone. Gr
war zugleich König von Böhmen, für welches er auch mit ganz besonderer Liebe
lebte und sorgte, und vernachlässigte das deutsche Reich mehr als billig. Böhmen
gelangte zu Glanz, Blüthe und Ordnung, und durch Gründung der Universität
Prag (1348), der ersten in Deutschland, auch zu wissenschaftlicher Bildung.
Das Einzige, was ihm Deutschland verdankt, ist das Reichs-Grundgesetz, „die
goldene Bulle" (v. 1350), welche das bereits seit Ludwig dem Baier
< 1338) übliche Wahlrecht der 3 Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, und
der 4 weltlichen Fürsten von Böhmen, Sachsen. Brandenburg und Pfalz
bestätigte, des Papstes Einmischung in die Königswahl für immer ausschloß und
den Kurfürsten außerdem noch die ausgedehntesten Rechte und Ehren zusprach.
Außer den gehäuften Uebeln des Krieges und der wachsenden Barbarei wurde
Deutschland Um diese Zeit auch von vielen natürlichen Bedrängnissen, von
zerstörenden Erdbeben, von HungerSnoth, ganz besonders aber von einer unerhört
schrekklichen Pest, „der schwarze Tod" genannt, heimgesucht. Auf Karl IV.
folgte in Böhmen, wie in Deutschland sein Sohn
Wenzel (1378 — 1400), ein König, wie weder vorher, noch nachher
das Reich gehabt, ein sinnlicher, wilder und blutiger Mann, durch welchen die
gräulichste Verwirrung in Böhmen und Deutschland aufging. Die Kurfürsten
erklärten ihn endlich für abgesetzt und wählten Ruprecht von der Pfalz
zum Könige. Zehn Jahre (1400 — 1410) lang strengte sich dieser vergebens an,
einiges Ansehn im Reiche zu gewinnen. Als er gestorben, wählten einige
Fürsten Sigismund von Ungarn, Wenzels Bruder, andere den Vetter-
Jobst von Mähren zum Könige. Da sich nun auch Wenzel von Böhmen
fortwährend noch König nannte, so hatte Deutschland eine kurze Zeit drei
Könige, während eben auch drei Päpste gleichzeitig die Christenheit verwirrten.
Da indessen Jobst bald starb (141t), ward die Einheit des Reiches in so weit
wieder hergestellt, als Alle Sigismund von Ungarn anerkannten und Wenzel bis
zu seinem Tode (1419) nur den Namen führte.
SigiömundS'Negierung (1410 — 1437) ist durch die ersten, wenn
gleich scheinbar unterdrükktcn kirchlichen Bewegungen in Deutschland merkwürdig
und lenkt unsern Blikk auf die große Kirchenversammlung zu Kostnitz (1414
— 1418), welche der Kaiser mit großer Mühe, Beharrlichkeit und Eifer endlich
zu Stande brachte. Dieselbe setzte jene drei Päpste ab und erwählte einen neuen,
verurthcilte dagegen Johann Huß und seinen Freund Hieronymus von Prag
zum Feuertode und veranlaßte dadurch den furchtbaren Hussitenkrieg. *) Sigismund,
von den Hufsiten oft besiegt, starb, ohne zum ruhigen Besitz Böhmens gekommen
zu fein. Mit ihm erlosch das luxemburgische Haus, und die deutsche Krone ging
für Immer an das Haus Oestreich über. Sigismunds Nachfolger
Albrecht II. (1437 — 1439) regierte leider zu kurze Zeit, als daß es ihm
möglich' gewesen wäre, die Macht der Päpste in Deutschland zu beschränken und
die Ruhe im Innern herzustellen; und unter der langen Regierung seines
schwachen und unthätigen Nachfolgers
*) Siche Mrchtttgtschlchle.
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Friedrich III. (1439 — 1493) ging auch das wenige Gute noch verloren,
welches Albrecht begonnen. Friedrich ganz unähnlich war sein ritterlicher und
gebildeter Sohn
Maximilian I. ( 1493 — 1519). Ihm verdankt Deutschland mehrere der
wohlthätigsten Einrichtungen. Er legte den Grund zu einem regelmäßigen
Postweseu in Deutschland, hemmte kräftig die wilde Fehdelust des Adels, handhabte
den allgemeinen Landfrieden und gründete zum Schutz der Unterthanen gegen die
Willkür der Fürsten das Neichskammergericht in Wetzlar; auch theilte er Deutschland
in 10 Kreise. Verheirathet mit der Tochter Karls deS Kühnen von Burgund,
brachte er die Niederlande an Oestreich; ferner erwarb er seinem Hause die
Aussicht auf die nahe Erbschaft Ungarns und Böhmens, die später auch erfolgte.
Seine Kinder, Philipp und Margaretha, vermählten sich in einer Wechselheirath
mit den Kindern Ferdinands und Isabella» von Spanien, Johann und Johanna,
wodurch geschah, daß nach mehreren unvorhergesehenen Todesfällen der Sohn
Philipps (1510) als Karl I. auf den spanischen Thron kam, für den nun auch
jenseits deS' Oceans eine neue Welt erobert wurde. Die bedeutendste aller
Begebenheiten aber, welche die Negierung Marimilianö bezeichnen, ist der Anfang
der Reformatio» (1517). Auf Marimilian folgte dessen Enkel, jener
spanische Karl I., in Deutschland
Karl V. (1519 — 1550) genannt. Als König von Spanien mit den
amerikanischen Besitzungen, Neapel und den Niederlanden, Herr von Oestreich,
Steiermark, Kärnthen, Krain, Tirol, zum deutschen Kaiser erwählt, berief er
( 1521 ) den großen und berühmten Reichstag zu Worms zusammen, führte
(v. 1521 — 1544) große Kriege gegen Franz I. von Frankreich wegen Mailand
und (1529 und 1532) gegen die Türken, welche unter Solimau II. Wien
belagerten ( 1529); da»» kämpfte er gegen die. Häupter deS schmalkaldijchen
Bunde» ( 1540 ), erfocht bei Mühlberg an der Elbe einen entscheidende» Sieg
über den Churfürsten Johann Friedrich von Sachsen, nahm diesem und Philipp
von Hessen die Freiheit und gab Sachsen dem Herzoge Moritz. Dieser wandte
sich plötzlich gegen den Kaiser, überfiel ihn .in Tirol (1552), erzwang den
Paffauer Vertrag (1552), und endlich dessen Bestätigung im Augsburger
Religivnöfriedc» (1555). Nach einer so verhäugnißvvllen und thateureichen
Regierung legte Karl seine Krone nieder, zog sich in ein spanische» Kloster
zurükk, wo er 1558 starb. Die Ruhe in Deutschland war nur scheinbar
hergestellt. Die Spannung der verschiedenen Parteien steigerte sich von Tage zu
Tage. Vergebens bemühte sich der uiilde Kaiser
Ferdinand I. (1550 — 1504), Erzherzog von Oestreich und König von
Böhmen und Ungarn, Karls V. Bruder, und noch mehr sein duldsamer und
gerechter Sohn
Marimilian II. (1504 — 1570), die gereizten Gemüther zu besänftigen.
Die Regierung des abergläubischen und schwachen
Rudolph» II. ( 1570 — 1012) war noch weniger geeignet, da» drohende
Ungewitter abzuwenden, welche» endlich unter dem trägen und unselbstständigen
Matthias (1012—19), Bruder de» Vorigen, mit lange verhaltener
Wuth in jenem ungeheuren 30jährigen Kampfe auöbrach (22. Mai 1018), der
in den ersten Jahren zwar nur in Böhmen tobte, dessen Brandfakkel aber von
Ferdinand II. (1019 — 1037) durch seine Feldherren Tilly und
Wallcustein bald über ganz Deutschland geschleudert wurde und da» arme
Vaterland je länger, je furchtbarer heimsuchte. Wohl wäre eö um die Freiheit
der Protestanten geschehen gewesen, wenn nicht endlich der Retter, Gustav
Adolph, König von Schweden, erschienen (25. Juni 1030). Seine, und nach
ihm seiner Feldherrn Siege führten unter Ferdinand» Sohne
22*
328
Ferdinand IIT. (1637 — 1657 ) den lang ersehnten (westphälischen)
Frieden herbei (24. Oct. 1648). Wie der Krieg, so war auch dieser Friede
höchst verderblich für Deutschland: Frankreich erhielt für seine (erst dem Kaiser,
dann den Schweden geleistete) arglistige und eigennützige Hülfe für immer den
herrlichen Elsaß, Schweden für seine Anstrengungen Vorpommern nebst Rügen
und Theile von Hinterpommern nebst Wismar, Bremen und Verden; die Schweiz
wurde von Deutschland getrennt und die Unabhängigkeit der Niederlande von
Spanien anerkannt. — Ueber alle Begriffe elend war der Zustand, in welchen
der 30jährige Krieg Deutschland versetzt hatte. Ganze große Länderstrekken lagen
wüst und leer. Man konnte in manchen Gegenden Meilen weit gehen, ohne
einen Menschen zu sehen. Ganz besonders auffallend und traurig war die innere
geistige Verödung, die sich in Unzucht, Sittenlosigkeit, Völlerei und gleichgültiger
Stumpfheit gegen alles Höhere und Göttliche bemerkbar machte. — Das deutsche
Reich versank seit dem Frieden immer mehr in Ohnmacht und Schwäche, während
die Macht Oestreichs dem Auslande gegenüber bedeutend wuchs. So kamen z. B.
unter Ferdinands III. Sohne
Leopold I. (1657 —1705) nach der herrlichen Vertheidigung Wiens durch
Joh. Sobicsky von Polen gegen die Türken (1683), und nach ihrer, gänzlichen
Besiegung durch den kaiserlichen Feldherrn Engen von Savoyen (1601 an der
Theiß und 1607 bei Zentha) Ungarn, Siebenbürgen und Slavonien an
Habsburg. Dagegen verlor Deutschland an Ludwig XIV. von Frankreich ganze
Distrikte am Rhein und in Lothringen, auch das freie Strasiburg (1681); und
in den Raubkriegen dieses ländergierigen Königs wurde die nnglükkliche Pfalz
diesseits und jenseits des Rheines durch Turennc (1688) auf Mordbrenner-Art
verwüstet. Der Jammer war noch nicht zu Ende. Kaum war der Friede mit
den Türken zu Staude gekommen ( 1609), so starb (1700) Karl II., der letzte
König von Spanien aus dem Hause Oestreich. Erhalte sein Reich dem jüngsten
Sohne Leopolds, dem Erzherzog Karl, zugedacht; Frankreichs Ränke und Künste
aber brachten eö dahin, daß er kurz vor seinem Tode den französischen Prinzen
Philipp von Anjou testamentarisch zu seinem Erben ernannte. Hierüber entspann
sich der in ganz Europa, besonders aber in Spanien, Italien, den Niederlanden
und Deutschland mit furchtbarer Erbitterung geführte spanische Erbfolgekrieg
(1701 —1714). Leopold I. starb in der Mitte dieses Streites, und sein ältester
Sohn und Nachfolger, Kaiser
Joseph I. (1705 — 1711) überlebte ihn nicht lange. Nun folgte Leopolds
jüngerer Sohn
Karl VI. (1711 — 1740), derselbe, welcher um die Krone Spaniens focht.
Unter ihm kam cs nach vielen Siegen über die aufs Tiefste erschöpften Franzosen
zu dein Frieden von Rastadt und Baden (1714): Philipp V. erhielt Spanien
und Indien; das Haus Habsburg die Niederlande, Mailand, Neapel und
Sardinien, welches es später gegen Sicilien umtauschte. Fürs deutsche Reich
aber geschah Nichts, und Frankreich blieb im Besitz aller seiner Deutschland
entrissenen Länder. — In dem Kriege, welchen Karl VI. (1716—1718) gegen
die Türken führte, gewann er durch glänzend errungene Siege deö alten Helden
Eugen Belgrad und Serbien, mußte aber in einem zweiten Kriege (1736
— 1739) Beides wieder herausgeben. Um seiner einzigen Tochter,
Maria Theresia (1740— 1780), den vollen Besitz seiner Staaten zu
sichern, hatte er schon 1713 die sogenannte pragmatische Sanction aufgestellt und
auch von allen europäischen Mächten (außer Baiern) ihre Anerkennung und
Bestätigung erlangt. Kaum aber war er gestorben, als auch von allen Seiten
Ansprüche an seine Erbschaft gemacht wurden; die ernstlichsten waren die
Friedrichs II. von Preußen wegen Schlesien.*) Auch Karl Albert, Kurfürst von
*) Siehe preußische Geschichte.
329
Baiern, machte als Abkömmling einer Tochter Kaiser Ferdinands I. seine Ansprüche
ans den östreichischen Staat, besonders auf Böhmen, geltend. Er wurde auch
wirklich zum König vvn Böhmen, und unter dem Einfluß der Franzosen (1742)
auch zum Kaiser Karl VII. erwählt. Maria Theresia aber erhielt Hülfe,
namentlich von Ungarn, vertrieb ihren Nebenbuhler aus Böhmen, bald darauf
auch aus seinem eigenen Kurfürstcnthum Baiern, drängte die Franzosen über
den Rhein zurükk und erzwang von ihnen im Frieden'zu Aachen (1748) die
Anerkennung des Besitzes aller ihrer Länder, außer Schlesien. Unterdessen war
der armselige Kaiser Karl VII. gestorben (1745), und sein Sohn mußte, um
nur Baiern wieder zu erhalten, alle seine Ansprüche an Oestreich ausgeben.
Franz von Lothringen, Maria Theresias Gemahl, ward als
Franz I. (1745 — 1765) zum deutschen Kaiser gewählt. Ihm folgte
sein Sohn
Joseph II. (1765 — 1790), ein gar trefflicher Fürst, der für seine
Staaten der Schöpfer einer neuen und glükklichcren Zeit werden wollte. Nach
dem Tode seiner Ptutter, die biö dahin die Regierung der Erblande nicht aus
den Händen gegeben, griff er das schöpferische Werk durchgreifender Umgestaltung
und Verbesserung mit redlichem, aber allzuraschem Eifer an. Er fand viel
Widerstand, sah alle seine Pläne scheitern und starb, von Kummer gebeugt,
schwer verkannt und oft verlästert von seinem eigenen Volke, das seiner nicht
werth war. Ihm folgte sein Bruder-
Leopold II. (1790 — 1792). Unter sehr schwierigen Verhältnissen bestieg
er den Thron. Alle Provinzen seiner Erblande fand er in Gährung, und in
Folge der in Frankreich anSgebrochenen Revolution (1789) zogen sich über ganz
Europa schwere und Unheil drohende Gewitterwolken zusammen. Mit Preußen
im Bunde, rüstete er sich zu dem unvermeidlichen Kampfe, den er jedoch nicht
mehr erlebte. Gr brach erst unter seinem, durch viele Tugenden ausgezeichneten Sohne,
Franz II. (1792— 1806) los, der ihn auch mit treuem Sinne für
Deutschlands Wohl ehrenfest durchgeführt hat.*) Aber sein Amt und seine
Würde als deutscher Kaiser legte er um 6. August 1806 nieder; sie hatte ihre
Bedeutung verloren, nachdem die meisten Fürsten im südlichen Deutschland dem
von Napoleon gestifteten Rheinbünde beigetreten waren und sich so durch die
That vom deutschen Reiche losgesagt hatten. — Oestreichs Kaiser nannte sich von
jetzt ab als solcher Franz I. (bis 1839).
So ging das deutsche Kaiserreich unter, im tausend und sechsten
Jahre, nachdem Karl der Große es gestiftet hatte.
Aber die deutsche Nation — sie lebte und lebt noch!!
„ Wen» der Leib in Staub zerfallen,
„Lebt der grobe Name noch!" —
----„ Und ob das Alte rings veraltet,
„Soll deutscher Sin» fortan besteh'»;
„Und ob die Welt sich nmaestaltet,
„ So lang' der Gott der Volker waltet.
„Soll das Geschlecht nicht untergeh'nl" —
—•€*•«♦—-
Preußen.
Der preußische Staat hat jetzt eine Größe von 5090 QMeilcn und über
16 Millionen Einwohner.
Die preußischen Länder bestehen ans zwei, durch Braunschweig, Hannover
und Hessen getrennten Hauptmassen. Der Ostthcil ist fünf Mal so groß, als der
Westtheil. ES wohnen aber im Westtheil die Menschen im Durchschnitt noch ein
Mal so dicht beisammen, als im Osttheil.
*) Siehe preußische Geschichte.
330
Die östliche Hauptmasse hat au ihrem südliche» Rande die Sudeten, das
Lausitzer Gebirge und den Thüringer Wald, und senkt sich mit geringen Unter-
brechungen nach der Ostsee zu. Der westliche Theil ist größtenthcils gebirgig
und enthält Aeste des WesergebirgeS, des WcsterwaldeS, Hundsrükk u. Ä.
Die Mehrzahl der Bewohner sind Deutsche. In dem östlichen Theile
leben hin und wieder Slaven. Der Religion nach sind die Protestanten die
zahlreichsten; Katholiken giebt es nur etwa gegen 5000000.
Provinzen.
Beide Haupttheile werden in 8 Provinzen getheilt, von denen auf de»
Osttheil 6 kommen. Die Provinzen bestehen wieder aus 2 bis 4 Regierungs-
Bezirken und diese aus Kreisen.
Im Osttheile liegen folgende Provinzen:
Preußen mit den Regierungs-Bezirken Königsberg, Gumbinne», Danzig,
Marienwerder.
Posen. Regierungs-Bezirke sind Posen und Bromberg.
Pommern mit den Regierungs-Bezirken Stettin, Köslin und Stralsund.
Schlesien mit den Regierungs-Bezirken Liegnitz, Breölan, Oppeln.
Brandenburg hat zwei Regierungs-Bezirke: Potsdam und Frankfurt a.d.O.
Sachsen hat die Regierungs-Bezirke Magdeburg, Erfurt, Merseburg.
Im Westtheile liegen die Provinzen:
W e ftp Halen mit den Regierungs-Bezirken Münster, Minden und Arnsberg.
Die Rh ein Provinz hat fünf RegicrungS - Bezirke: Coblenz, Eöln,
Düsseldorf, Aachen und Trier.
Festungen.
Zur Sicherheit des Landes besitzt Preußen eine Menge Festungen, d. s.
Städte, die mit Wassergräben und starken Mauern umgeben sind, hinter denen
Kanonen und Gewehre Feuer, Eisen und Blei auf den heranziehenden Feind
sprühen. Man hat sie sehr künstlich angelegt, so daß der Feind viele Schwierig-
keiten findet, sie einzunehmen. Eö sind folgende: In Pommern Stralsund,
Kolberg und Stettin; in Preußen Danzig, Graudenz, Thor», Pillan und
Königsberg; in Posen Posen; in Schlesien Silberberg, Schweidnitz, Ncisse,
Glaz, Kosel und Glogau; in Sachsen Magdeburg, Erfurt, Torgau und
Wittenberg; in Brandenburg Küstrin und Spandau; in WeftpHalen
Minden; ui der Rheinprovinz Eoblenz, Wesel, Jülich, Köln und Sarlouiö.
Die schönsten Festungen im Preußischen find aber: ein ritterlicher,
geliebter König, heldenmüthigc Anführer und die treuen,
tapfern Herzen der Unterthanen.
, Geschichte des preußischen Staates.
Das Königreich Preußen, dessen glükkliche Unterthanen wir sind, gehört
gegenwärtig, nicht seiner Größe wegen, sondern seiner Bedeutung und seinem
Ansehen nach, mit Rußland, Oestreich, Frankreich und England zu den Groß-
niächten Europas oder zu den Staaten ersten Ranges. Die Geschichte kennt
wenige Beispiele eines so schnellen Wachsthums, als das der preußischen
Monarchie. Klein und unscheinbar war ihr Anfang. Das Stammland derselben,
gleichsam der Kern, an welchen sich nach und nach die übrigen Provinzen
anschlössen, ist die Mark Brandenburg, ein kleiner Landstrich im nordöstlichen
Deutschland, zwischen der Oder und der Elbe, an der Havel und Spree, also in
der heutigen Provinz Brandenburg und an derselben. Hier wohnten in grauer
Vorzeit die Semnonen und Longobarden. Das waren zwei deutsche
Bölkerschaften und gehörten zu dem großen und mächtigen Stamme der
331
©neue». Wir haben bereits „das alte Deutschland und seine Bewohner"
kennen gelernt und gesehen, daß unsere Borfahren hinsichtlich ihrer Lebensweise
nicht solche Weichlinge waren, wie man heut zu Tage unter den Deutschen
zuweilen antrifft. Eine lange Zeit bewohnten jene Völker das heutige Branden-
burg. Als aber am Ende des vierten Jahrhunderts (875 v. Chr.) die große
Völkerwanderung auSbrach, da geriethen auch sie in den Strom und zogen gen
Süd und West in ferne Länder. Dort fanden sie eine neue Heimath und ließen
sich nieder. Wohl an hundert Jahre blieb das Land an der Elbe, Havel und
Spree unbewohnt, bis endlich um 504 eine neue Völkermasse sich hier niederließ.
Eö waren die Wenden, ein Volk slavischen Stammes und dein fernen Asien
angehörig. Sie standen in mancher Hinsicht auf einer höheren Stufe der
Bildung', als die Sueven; denn sie trieben fleißig Garten - und Akkerbau, Vieh-
und Bienenzucht, bauten feste und zusammenhängende Häuser, und ihre Waffen,
Kleider und Geräthschafteu verriethen mehr Kunst und Nachdenken. Auch sollen
sie die Städte Brandenburg (Brennabor), Stettin, Lebuö, Elbing, Danzig re.
gegründet haben. Ebenso sagt mau, daß sie ehrlich gewesen, und Wollust,
Meineid und Diebstahl bei ihnen nicht gefunden wären. Doch waren sie Heiden,
und ihre Götzendienerei noch viel elender, als die der Semnonen und Longobarde».
Dazu hatten sie manche grausame Sitte: Eltern, die viele Kinder hatten, setzten
die Töchter gewöhnlich in Wäldern zum Todthungern aus; starb ein Mann, so
wurde die Frau mit seinem Leichname verbrannt; alte Leute schlug man todt;
den» man glaubte, wer in einer Krankheit oder aus Alterschwäche stürbe, der
käme in die Hölle. Deshalb zog auch Jeder gern in Kampf und Streit; denn
wer darin starb, erlangte den Himmel. Im Kriege waren sie sehr tapfer; aber
wohin sie kamen, machten sie Alles dem Erdboden gleich und ermordeten Jung
und Alt. Durch ihre räuberischen Streifzüge über die Elbe hinaus, in das
Gebiet der Deutschen, erbitterten sie diese gegen sich und gaben Veranlassung zu
beständigen gegenseitigen Feindseligkeiten. Ueber zwei Jahrhunderte waren
verstrichen, seitdem die Wenden von den brandenburgischen Gegenden Besitz
genommen und die deutschen Gauen jenseits der Elbe mit wilder Raub - und
Mordluft oft und fchretklich verwüstet hatten. Jetzt sollte auch ihre Stunde
kommen. Der damalige Kaiser Karl der Große hatte die Absicht, das
Christenthum durch ganz Deutschland zu verbreiten, und nahm ein Volk dasselbe
nicht gutwillig an, so überzog er es mit Krieg und zwang es mit Gewalt.
Auch die Wenden sollten zum Christenthunie bekehrt werden. Als er aber in
daS Wendenland kam, konnte er nicht vordringen. Die Sümpfe und Moräste
waren so groß und die Wege so schlecht, daß er sich zurükkziehe» und Friede,»
schließen mußte. Die Wenden gelobten zwar, das Christenthum anzunehmen und
einen jährlichen Tribut zu zahlen; allein diese Unterwerfung war nur schein.
Kaum hatte Karl den Rükken gewendet, so gedachten sie ihres Versprechens nicht
weiter, machten ihre gewohnten Raubzüge und ängstigten die Nachbarn nach wie
vor. Das ging noch fast an hundert Jahre so fort; denn die Nachfolger des
großen Kaisers vermochten nicht einmal Ruhe und Ordnung in ihrem eigenen
Reiche zu erhalten, geschweige denn den kriegslustigen Wenden entgegen zu
treten. Im Jahre 91!) aber bestieg wieder ein gar kräftiger Fürst den deutschen
Kaiserthron. Es war Heinrich der Vogelsteller. Er beschloß, den
schrekklichen Raubzügen der Wenden ei» Ende zu machen und die Uebermüthigen
zu unterwerfen. Kaum hatte er das unruhige deutsche Reich in Ordnung
gebracht, so zog er auch mit einem Heere über die Elbe (927). Aber nur
langsam vermochte er vorzudringen. Nach vielen und langen Anstrengungen
kam er endlich tu die Gegend der Stadt Brennabor. Hier häuften sich die
Hindernisse. Sümpfe und Moräste dekkten die Stadt in einem weiten Kreise,
und die hoch angeschwollene Havel setzte die Umgegend unter Wasser. In der
332
Stadt selbst war das Wendenvolk unter seinem Anführer Tilgumir in großen
Massen versammelt und fest entschlossen, auf Lebe» und Tod zu kämpfen. Schon
glaubten sie sich sicher und jubelten vor Freude, daß Heinrich nicht weiter
vorwärts konnte, belachten und verhöhnten feine Anstrengungen, — da griff
plötzlich die allmächtige Hand der Vorsehung ein: ein starker Frost belegte die
Havel sammt den Sümpfen und Morästen mit dikkem Eise. Ueber diese Brükkc
zog Heinrich nun dicht vor die Stadt, um sie zu erstürmen. Den Wenden
entfiel der Muth. Sie ergaben sich und gelobten, Christen zu werden und
einen jährlichen Tribut zu zahlen. Allein Heinrich, der die Wende» kannte,
wußte wohl, daß sie eben so schnell ihr Versprechen brechen würden, wenn er
nicht besondere Maßregeln träfe. Er bestimmte deshalb (928) einen Strich
Landes an der Elbe und Havel zur Grenz- oder Markgrafschaft, und setzte einen
tapfern und erfahrenen Mann als Grenz- oder Markgraf hinein, der die Wenden
in Unterwürfigkeit und im Zaume halten sollte. Die neue Markgrafschaft führte
anfangs den Namen Nord mark, Nordsachsen, auch Wendische Mark,
und war die Grundlage unseres großen, preußischen Staates. Wie derselbe sich
nach und nach zu seiner jetzigen Größe herangebildet hat, werde» wir im Verlauf
unserer Geschichte sehen. ^
So lange Heinrich lebte, waren die Wenden ruhig; aber kaum war er todt,
als sic auch schon wieder versuchten, sich frei zu machen. Die Markgrafen wurden
hart bedrängt und hatten den krieaSsüchtigen und feindseligen Wende» gegenüber
einen schweren Stand. In solcher Bedrängnis: griff Gero, durch Kaiser
Otto I. zum Markgrafen ernannt, zu einem eben so grausame», als verachtungs-
würdigen Mittel. Er lud nämlich dreißig wendische Fürsten zu einem Gastmahle
und ließ dieselben in der Nacht meuchlings ermorden. Die Wenden, dadurch zur
Wuth und Rache entflammt, standen nun in Masse auf, und eö war nahe
daran, daß Heinrichs Stiftung rein vernichtet worden wäre; es fehlte den Wenden
nur an treuen Anführern. Auf Gero folgte der Markgraf Dietrich (995).
Seine Härte und Tyrannei reizte die Wenden zu neuer Empörung. In der
höchsten Wuth und Verzweiflung eroberten sie Havelberg, dann Brandenburg
und fast das ganze Land. Dem Christenthuine entsagten sie wieder; die christlichen
Kirchen wurden zerstört oder in Götzentempel verwandelt, die Geistlichen verjagt
ober ermordet. So ward in kurzer Zeit Alles vernichtet, was mit Blut erkauft
und mit Fleiß gepflegt war. Von nun an war nur Krieg und Kriegsgeschrei
i» jenen Landen, und Noth und Elend überall. Die Menschen fielen unter den
Streichen deö blutigen Kampfes, die Aekker wurden wüste, die Städte und
Dörfer gingen in Flammen auf. Beinahe 2 Jahrhunderte hindurch wurde das
Land auf diese Weise zerrüttet, und es wäre am Ende ganz verloren gewesen,
hätte der weise und gütige Gott sich nicht desselben angenommen. Aber: wenn
die Noth am größten, ist er mit seiner Hülfe am nächsten. Und
dieses Sprüchwort ging 1133 auch an der Mark in Erfüllung. Bisher waren
nämlich die Markgrafen keinesweges wirkliche Besitzer der Nordmark, sondern
nur Statthalter und Diener des Kaisers gewesen, der diese Würde nach Belieben
vergab. Der deutsche Kaiser Lothar aber schenkte dem ihm befreundeten Grafen
Albrecht von Ballenstädt, der seiner großen Tapferkeit wegen den /
Beinamen „der Bär" hatte, die Markgrasschaft Nordsachsen erb- und eigen-
thümlich (1133). Das war ein großes Glükk für das Land und die Bewohner.
Den» Albrecht (1133 —1168), dessen Geschlecht von der jetzt zerstörten Burg
Anhalt, im Magdeburgischen, .den Namen der Anhaltiner führte, war nicht
nur ein tapferer Fürst, sondern auch ein gar liebreicher Regent, ein wahrer Vater
seines Landes und Volkes. Zuerst ging er auf die Wenden loö, entriß ihnen
Brandenburg und Havelberg und unterwarf sich alles Land bis zur Oder. Die
333
Nordmark führte min den Namen „Altmark," wie sic noch jetzt heißt; das
neu erworbene Land zwischen der Havel und Oder, die jetzige Mittelmark und
Priegnitz, den Namen Neumark. DaS Ganze nannte Albrecht die Mark-
grafschaft Brandenburg und sich selbst Markgraf von Branden-
burg. Nun suchte er sein Land, das durch den langjährigen Krieg wüst und
menschenleer geworden war, zu bevölkern, indem er aus Holland, Seeland,
Fricöland und Flandern Kolonisten heranzog. Jetzt wurden fleißig Akkerbau und
Viehzucht getrieben, große Streiken Heideland urbar gemacht, Dörfer und
Städte erbaut. Albrecht selbst ließ mehrere Städte anlegen, wie z. B. Berlin,
Spandau, Bernau, Stendal, Pritzwalk; errichtete in denselben christliche Kirchen
und rief Prediger in das Land, die in deutscher Sprache das seligmachende
Evangelium unsers Herrn Jesu verkündeten. Das Alles setzte Albrecht nicht mit
Härte und Gewalt, sondern allmählig und mit Güte durch, und seine wendischen
Unterthanen folgten ihm gern. ^
Nach Albrechts Tode folgte sein Sohn Otto!. (1108—1184). Gr regierte
mit derselben Kraft und Einsicht, wie sein Vater. Die Kultur des Landes lind
der Wohlstand deö Volkes wuchsen zusehends. Für die dem Kaiser Barbarossa
in seinen Kriegen mit Italien bewiesene Treue ertheilte ihm dieser die Würde
eines Erzkämmerers des deutschen Reiches und später auch die Lehns-
herrschaft über Pommern. Von seinen drei Söhnen, welche ihm in der
Regierung folgten, ist wenig Rühmliches zu sagen. Otto II. (1184 — 1205,)
war ein schwacher Mensch. Sein Bruder Heinrich I. (1484—ll!)2) bekümmerte
sich gar nicht um das Land. Und als Otto II. starb, übernahm der dritte Sohn
Albrecht II. (1205, —1220) die Regierung Er war ein tapferer und treuer
Freund des damalige» unglültlichen Kaisers Otto IV. Ihm folgten seine beiden
Söhne Johann I. nutz. Otto III. (1220 — 1207), rin edles Brüderpaar. Jil
größter Liebe und Eintracht sorgten sie für das Wohl ihres Landes und brachte,»
sehr viel Gutes zu Stande. In den ersten Jahren ihrer Regierung brach ein
mächtiger Sturm gegen sie los. Der Erzbischof von Magdeburg und der Bischof
von Halberstadt zogen mit ihren Heeren gegen Brandenburg. Bei Plane»
ging eine bedeutende Schlacht für die Brandenburger verloren. Die bischöflichen
Söldner wütheten mit Feuer und Schwert, raubten und plünderten. In einer
zweiten Schlacht wurde Otto sogar gefangen genommen; allein ein Lösegeld von
220000 Thalern befreite ihn wieder. Jetzt faßten die Brüder neuen Muth.
Sie riefen ihre Unterthanen zu den Waffen. Der Feind wurde in zwei großen
Schlachten geschlagen, zum Lande hinaus getrieben und der Bischof von Halber-
stadt gefangen genommen. Als Lösegeld verlangte Otto seine 220000 Thaler
zurükk. Darauf wurde ein allgemeiner Friede geschlossen. Nun machten die
Brüder neue Erwerbungen. Sie setzten über die Oder und bemächtigten sich der
heutigen Neumark, die den Polen gehörte, zwangen de» Herzog von Stettin
zur Abtretung der ganzen Ukermark und kauften die Stadt und das Land
Lebus. Die bisherige Ncumark wurde nun Mittelmark genannt. Nach
beendigtem Kriege lebten sie ganz der Wohlfahrt ihres Landes. Sie ließen
Moräste austrokknen, Städte erbauen (wie Frankfurt a. d. O., Landsberg a. d. W.,
Soldin und Königsberg i. d. N.), und beförderten Handel und Gewerbe, Garten-
u»d Akkerbau. Die Thätigkeit der Bewohner, und also auch ihr Wohlstand,
nahm mit jedem Jahre zu. Johann starb 1266 und sein Bruder 1267. Beide
wurden als Väter des Landes von ihren Unterthanen betrauert. In der Regierung
folgte ein Sohn Johann'ö I., nämlich
Otto IV. mit dem Pfeile (1268—1308). Er theilte zwar mit seinen
Brüdern, Johann II. (t 1283) und Konrad I. (j- 1304) das Regiment,
zeichnete sich aber in jeder Hinsicht vor diesen aus, so daß eigentlich nur von
334
ihm die Rede sein kann. Otto war ein tapferer Held, dazu auch ein rechter
Vater seiner Unterthanen. Er beförderte Handel und Gewerbe, liebte Kunst und
Wissenschaft und zog viele gelehrte Männer an seinen Hof. Er vergrößerte
Brandenburg durch den Ankauf der Markgrafschaften Landsberg und Lausitz
und durch die Eroberung der pommerschen Landestheile Stolpe und Schlawe.
Wichtig ist noch sein Kampf gegen Magdeburg. Otto wünschte nämlich seinen
Bruder Erich zum Erzbischof von Magdeburg erwählt zu sehen. Die Domherrn
aber wählten einen Andern. Otto, über diese Zurükksetzung höchst erbittert, zog
gegen de» neuen Erzbischof zu Felde, und weil er anfangs einige Bortheile
gewann, so bestimmte er schon den Tag, an welchem er in Magdeburg einziehen
und seine Pferde im dortigen Dome füttern wollte. Aber eö bestätigte sich auch
hier das alte Sprüchwort, daß Uebcrmnth selten gut thut. Otto hatte daö
Nnglükk, daß er in die Gefangenschaft des Erzbischofs gerieth. Dieser ließ ihn
in einem hölzernen Käfige dem Volke zur Schau stellen, dann in ein festes
Gefängniß werfen und forderte für seine Befreiung ein unerschwingliches Löse-
geld. In dieser Noth wandte sich Otto'S Gemahlin an den alten, verabschiedeten
Minister Buch. Dieser ricth, die Domherrn zu bestechen. Diese List gelang.
DaS Lösegeld wurde ans 4000 Mark (50000 Thlr.) herabgesetzt und Otto auf
sein Ehrenwort entlassen. Aber — wo das Geld hernehmen? Der alte, treue
Buch wußte wieder Rath. I» der Kirche zu Angermünde lag ein Schatz,
vergraben von Otto'ü Vater. Buch allein wußte darum und sollte denselben
nur in der größten Noth an Otto übergeben. Eben so hoch erfreut, als tief
gerührt, nahm Otto den Schatz aus den Händen des braven Dieners und lösete
sich. Als aber bei einer zweiten Wahl fein Bruder Erich wieder übergangen
wurde, ergriff er abermals die Waffen. In diesem Feldzüge wurde ihm ein
Pfeil in den Kopf geschossen, dessen Spitze über ein Jahr darin ftekken blieb.
Daher der Beiname: mit dem Pfeile. Ihm folgte rin Sohn Konrad'S I.,
Waldemar (1308—1319) als Alleinherrscher über die Mark. Er erhob
sein Land zu einer Macht und zu einem Wohlstände, den cS bis dahin noch
nicht gekannt hatte. In seinen vielen Kämpfen zeichnete er sich durch Heldenmuth
anS. Er besiegte den Markgrafen von Meißen, Friedrich mit der gebissenen
Wange (1312) und bot fast dem halben Europa siegreich die Spitze. Sein
früher Tod war dem Volle ein schmerzhafter Verlust. Im folgenden Jahre starb
auch sein Brudersohn
Heinrich III. (1319—1320). Mit ihm erlosch die edle Regcnten-
familie der Anhaltiner, nachdem sie 187 Jahre über unser Vaterland regiert hatte.
•*
Kaum war das Geschlecht der Anhaltiner erloschen, als auch die Nachbarn
über die schöne Markgrafschaft herfielen und dieselbe nach allen Seiten hin
zerstükkelten. Vier Jahre lang wurde in blutige» Kriegen um den Besitz des
brandenburgischen Regentenstuhls gestritten. Endlich zog der damalige Kaiser,
Ludwig der Baier, das herrenlose Land ein und verlieh dasselbe seinem ältesten
Sohne Ludwig. Aber die Zeit der baierschen Herrschaft (v. 1324— 1373) ist
für die Mark eine Zeit des UnglükkS und der Verwüstung gewesen. Zwar setzte
Ludwig seinem zwölfjährigen Sohne
Ludwig I. (1324— 1351) rechtschaffene Vorniündcr; aber das wollte Alles
nicht anschlagen gegen die Nebel, von denen das Land gedrükkt wurde. Zuerst .
galt damals im ganzen Lande das Faustrecht, d. h. alles Eigenthum war mir
insoweit sicher, als man es schützen konnte, und gegen Unrecht gab eS keinen,
andern Schutz, als die eigene Faust. Da bildeten sich unter dem Namen der^.
„Stellmeifer" große Räuberbanden, die alle Landstraßen unsicher machten i
und Leben und Eigenthum des friedlichen Bürgers gefährdeten. Die Pole)»
und Litthauer drangen mit Feuer und Schwert in das Land, verbrannten an
335
140 Dörfer und schleppten 6000 Menschen in die Gefangenschaft. Aber der
schlimmste Feind sollte dem Ludwig von den Todten auferstehen. ES erschien
(1347) ein Pilger, der sich für den längst verstorbenen Waldemar ausgab.
„Meine Sünde zu büßen," sprach er, „wallfahrtete ich nach Jerusalem, lind mein
Tod war nur ein frommer Betrug, damit mich mein Volk ziehen ließ." Gr
hatte große Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Waldemar lind zeigte auch dessen
Siegelring. Daö ganze Land fiel dem wiedererstandenen Fürsten zu; nur drei
Städte, Frankfurt, Spandau und („Treuen") Briezen, blieben Ludwig von
Baiern getreu. Endlich aber wurde der Betrüger entlarvt. Es ergab sich, daß
eö ein schlauer Müllerbursche, Namens Johann Nehbokk, und ein Werkzeug der
Feinde Ludwigs war. Ludwig, endlich der großen Sorgen müde, legte die
Regierung nieder. Ihm folgten seine Brüder
Ludwig II., auch „der Römer" genannt (1361—1365) und Otto der
Faule (1365—1373). Unter Beiden hat sich sehr wenig MerkcnSwerthcS
zugetragen. .Das Wichtigste ist, "daß unter Ludwig Brandenburg zum Kur-
fürsten thum erhoben wurde (1356). Für das Land hat Ludwig wenig gethan;
noch weniger aber Otto der Faule. Das war ein sehr schlechter Fürst; er führte
ein lasterhaftes Leben und kümmerte sich gar nicht uin sein Land. Endlich trat
er dasselbe gegen ein Jahrgehalt an Kaiser Karl IV. ab. Die Herrschaft des
baierschen Fürstenhauses in Brandenburg hatte ein Ende. Das arme Land aber
war voll von Jammer und Elend. Niemand war seines Lebens und seines
Eigenthums sicher. Unter der nunmehrigen Herrschaft des ln re m bu r gischen
Hauses ( 1373 —1415 ) schien für Brandenburg wieder eine glükklichrre Zeit
anzubrechen. Kaiser Karl IV. machte seinen zwölfjährigen Sohn Wenzel zum
Kurfürsten, führte aber selbst das Regiment (1373 — 1378) und sorgte recht
väterlich für die Mark. Er ließ bedeutende Bauten ausführen und auch die
Oder zwischen Frankfurt und Breslau schiffbar machen. Die Räuber ließ er,
ohne Ansehen der Person, aufhängen. So kehrten Recht und Ordnung wieder,
und Gewerbe, Handel und Akkerban fingen an zu blühen. Aber mit des Kaiser»
Tode hatte Alles ein Ende. Nun wurde Karls elfjähriger Sohn, Sigismund,
Kurfürst von Brandenburg (1378—1415). Der hatte kein Herz für seine
Märker. Er kam gar nicht in sein Kursürstcnthni», sondern hielt sich beständig
in Ungar» auf, dessen König er wurde. Endlich verpfändet? er die Mark an
seinen Better, den harten und geldgierigen Jobst von Mähren (1388 —1411).
Nun brach eine schrekkliche Zeit über unser Vaterland herein, eine Unordnung,
ein Elend, wie wohl nie in einem Reiche geherrscht hat. Es war deshalb Gottes
treue Barmherzigkeit, daß das Land endlich in die Hände einer Fürstenfamilie
kam, mit welcher der Herr stets gewesen ist und bleiben wird. Nach Jobsts
Tode wurde nämlich Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg und Fürst von
Hohenzollern, Pfandinhaber der Mark. Die Summen, die Friedrich nach und
nach dem Kaiser vorgeschossen hatte, beliefen sich zuletzt auf 400000 Goldgulden,
und für diese Summe trat ihm Sigismund im Jahre 1415 die Mark gänzlich
ab und belehnte ihn mit derselben auf dem berühmten Reichstage zu Eostnitz.
Friedrich ging nun nach Berlin, welches von jetzt ab die Residenz und Haupt-
stadt des Landes wurde, ließ sich daselbst huldigen und führte von nun an den
Namen: Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg. Mit diesem Fürsten
ging für unser Vaterland ein Glükksstern auf. Sein Geschlecht hat nun schon
über 400 Jahre regiert, und unser Staat ist zu den blühendsten von Deutschland
herangewachsen, und Millionen schätzen sich glükklich, von einem so edlen
Fürstenhause regiert zu werden.
* * *
Friedrich I. (1415— 1440) mußte sich sein neues Land erst erobern und
hatte mit gewaltigen Feinden zu kämpfen. Besonders war es der räuberische
336
Adel, welcker, nicht geneigt, dem neuen Landesherr» zu huldigen, sich ihm
widersetzte.*) Friedrich aber wußte die Widerspenstigen zur Unterwerfung und
zum Gehorsam zu bringen. Eine große vierundzwanzigpfündige Kanone, die
„faule Grete" genannt, leistete ihm dabei wichtige Dienste. Dieses Geschütz war
das erste seiner Art, welches nach Brandenburg kam, und erregte deshalb Furcht
und Schreiten. Nachdem die innern Feinde bezwungen, zog Friedrich sein
Schwert gegen die Herzoge von Mekklenburg und Pommern und zwang sie, die
genommene Altmark, Ukermark und Priegnitz herauszugeben und die Oberlehus-
herrfchaft Brandenburgs anzuerkennen. Dabei war er ein wohlthätiger Regent
und gab sich alle mögliche Mühe, seinem verwüsteten und verarmten Lande wieder
aufzuhelfen, und sein Streben blieb nicht ohne Erfolg. Doch würde cö ihm
noch besser gelungen sein, hätte er sich von Sigismund nicht überreden lassen,
das Oberkommando gegen die Hussiten zu übernehmen. Bei Riesenberg in
Böhmen erfochten die Hussiten einen vollständigen Sieg, überschwemmten darauf,
ans Rache gegen Friedrich, die Mark und bezeichneten ihren Weg Hurch Brand,
Mord und Plünderung. Viele Städte wurden verwüstet; die Bürger der Stadt
Bernau aber vertheidigten sich so tapfer, daß Friedrich Zeit gewann, seine
zerstreuten Truppen zu sammeln und den Feind aufö Neue anzugreifen. Es
gelang ihm, denselben gänzlich zu besiegen. Durch diesen Krieg wurde Friedrich
verhindert, stets in seinem Lande zn sein und für dasselbe zu sorgen, wie er es
gewiß wünschte. Bei seinem Tode hinterließ er seinem Sohne ein Land von
¡381 QMeilcn.
Friedrich II. (1440—1470), genannt „Eisenzahn," war, wie sein
Vater, ein gerechter und frommer Fürst, ein tapferer Held mit eisernem Willen.
Er löste die verkaufte Neumark wieder ei», und durch einen Vertrag erhielt er
beträchtliche Besitzungen in der Lausitz. Aus Liebe zu seinem Lande schlug er
die Königskronen von Polen und Ungarn aus. Aus Verdruß über mißlungene
Versuche, sein Erbrecht auf Pommern geltend zu machen, mehr aber noch aus
Betrübniß über de» Tod seines einzigen Sohnes, Johann, übergab er die
Regierung seinem Bruder Albrecht, und zog sich nach Franken zurütk, wo er
ein Jahr nachher starb.
Albrecht (1470—1480), Markgraf von Anspach und Baircuth,
erhielt das Kurfurstenthum tu einer Größe von 572 QMeilen. Wegen seiner
ausgezeichneten Tapferkeit und Stärke führte er den Beinamen „Achilles."
Kein Feldherr Deutschlands war ihm zu vergleichen an Größe und an Muth.
Er war, fast wie Saul, eines Hauptes länger, denn alles Volk, schön von
Angesicht und als Krieger, Ritter und Feldherr allgemein bewundert. Dabei
war er auch ein sehr gebildeter, seiner Mann, nnd sein Hof in Franken war
der glänzendste in Deutschland. Die Pommern mußten ihn als ihren Lehnsherrn
anerkennen und einige LandcStheile au ihn abtreten. Von dem Herzog Hans
von Sagau erkämpfte er sich das Herzogthum Krossen, nebst Züllichau, Sommer-
feld und Boberüberg. UebrigcnS aber kümmerte er sich wenig um die Mark.
Bei seinem Tode umfaßte das Land 002 QMeilcn. Ihm folgte sein Sohn
Johann (1480 — 1499). Wegen seiner großen Beredsamkeit bekam er
den Zunamen „Cicero." Von Jugend auf an Entbehrung und Sparsamkeit
gewöhnt, suchte er das Land von der großen Schuldenlast zu befreien, vermied
alle Kriege und lebte nur allein dem Glükke seines Volkes, daö ihn auch innig
liebte. Er kaufte die Grafschaft Zossen, 0 QMeilcn groß, und unter seiner
segensreichen Regierung wurden die ersten Buchdrukkercien und Apotheken
angelegt. Sein Sohn
Joachim I. (1499— 1535) war kaum 15 Jahr alt, aber ein entschlossener
und thatkräftiger Jüngling, als er die Regierung antrat, und ließ es sich
") Vornehmlich Dietrich und Hans v. Ouitzow, Wichard v. Rochow und Gans Edler v. Putlitz.
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besonders angelegen sein, dem raubsüchtigen Adel ein Ziel zu setzen. Viele der
adligen Straßenräuber wurden hingerichtet. Und als die adligen Raubgenoffen
sich darüber beschwerten, sprach Joachim: Ich habe kein adliges Blut vergossen;
Schelme waren es und keine Edelleute. Zur bessern Rechtspflege stiftete
er das Kammergericht zu Berlin (1516), und die neu gestiftete Universität zu
Frankfurt a. d. O. (1566) brachte hellere Erkenntniß und Ausbildung. Daö
wichtigste Ereigniß, welches unter seiner Regierung sich zutrug, war die
Reformation. Unser Kurfürst aber war der neuen Lehre abhold. Dennoch
drang sie in die Mark Brandenburg ein. Selbst die Kurfürstin war ihr zugethan
und mußte dieserhalb, um dem Zorn ihres Gemahls zu entgehen, fliehen. Sie
sah ihn nie wieder. Dennoch wohnten die Protestanten nirgends sicherer, als
in Brandenburg. Joachim erhielt die Erbhuldigung über Pommern und
vereinigte die Grafschaft Ruppi» mit dem Kurfürftenthum. Dasselbe umfaßte
nun 641 QMeilen. Nach seinem Tode folgte in der Kurwürde sein Sohn
Joachim II. Sein zweiter Sohn Johann erhielt die Ne »mark, Krossen,
Kottbuö und Peitz.
Joachim II. (1535 — 1571), ein tapferer, friedliebender und duldsamer
Fürst, ging 153!) zur evangelischen Kirche über. Zwei Jahre vorher hatte er
mit den Herzogen von Liegnitz einen Erbvertrag geschlossen, nach welchem beim
Auösterben ihres Geschlechtes die Herzogthümer Liegnitz, Bri eg und Oh lau
an Brandenburg fallen sollten. Auf diesen Vertrag gründete nachmals Friedrich
der Große seine Ansprüche auf Schlesien. Auch erhielt Joachim II. die
Mitbelehnung über Preußen und kaufte 1557 die Herrschaften Storkow und
Beeskow an sich. Viele Franzosen und Holländer, welche wegen ReligtonS-
streitigkeiten vertrieben waren, fanden im Brandenbnrgifchen eine neue Hennath.
Gewerbfleiß und'Wohlstand blühten in» ganzen Lande. Joachim aber kannte keine
Sparsamkeit, liebte Pracht und führte gern große Bauten aus; dazu umgaben
ihn viele Günstlinge, die seine Güte mißbrauchten und viel Geld verschwendeten.
Daher saut es, daß er seinem Lande 2>/2 Million Schulden hinterließ. Zehn
Tage nach seinem Tode starb auch sein Bruder Johann in Küstrin und zwar
ohne männliche Erben.
Johann Georg (1571 — 1508), einziger Sohn Joachims II., hatte die
größte Zeit seiner Jugend am Hofe seines Oheims, Johann von Küstrin, verlebt
und erbte von diesem nicht allein die Neumark und einen beträchtlichen Schatz,
sondern auch die edlen Grundsätze seines Oheims. Derselbe war ein
sparsamer, strenger, gerechter und friedliebender Fürst, dessen größtes Strebe,»
dahin ging, seine Unterthanen zu beglükken. Ihm gleich bestieg nun auch
Johann Georg den Thron. Er entfernte alle Günstlinge seines Vaters, zog
ihr Vermögen ein und tilgte die ungeheure Schuldenlast. Durch ununterbrochenen
Frieden, durch eine neue Kirchen- und Schulordnung, durch Begünstigung des
Handels, der Gewerbe und des Bauernstandes bcglükkte Johann Georg sein
Land, so daß Wohlstand und Ordnung im ganzen Kurfürstcnthume blühten.
Dasselbe hatte bei seinem Tode eine Größe von 666 QMeilen. Sein Sohn
Joachim Friedrich (1508— 1668), bis zum Antritt seiner Regierung
Bischof von Halberstadt und Erzbischof von Magdeburg, war ein eben so
sparsamer, verständiger und wohlwollender Regent, als sein Vater. Mit dem
blühendenff Zustande des Landes »vuchö leider auch Ueppigkeit, Pracht und
Aufwand, so daß sich der Kurfürst genöthigt sah, strenge Gesetze gegen
Verschwendung zu geben. Er »vurde Vormund über den kranken Herzog von
Preußen und regierte dessen Land. Zu früh starb Joachim Friedrich!' Die
Regierung seines Sohnes
Johann Sigismund (1608 — 1619) ist durch drei Begebenheiten
»nichtig geworden. Zuerst durch den jülich-klevischen Erb sol gest reit.
338
welcher endlich durch den Vergleich von Xanten (1014) beigelegt wurde,
wonach Brandenburg Kleve, Mark Ravensberg und Ravenstern erhielt,
Jülich und Berg aber an Neuburg fielen;-dann durch den Uebertritt des
Kurfürsten zur reformirten Kirche (1613); — endlich durch die Erwerbung des
Herzogthumö Preußen (1018), mit welchem schon Joachim II. belehnt worden
war. Durch alle diese Länder wuchs der Umfang des Staates auf 1444QMeilen.
Der innere Wohlstand aber war verschwunden. Kurz vor dem Tode Johann
Sigismunds brach in Böhmen der dreißigjährige Krieg ans (1618), und die
Regierung feines Sohnes
Georg Wilhelm (1616 — 1640) fällt ganz und gar in die nnglükkltche
Zeit dieses furchtbaren Kampfes, durch welchen die Marl Brandenburg unglaublich
hart mitgenommen wurde. Ein Unglükk war es für die Mark, daß Georg
Wilhelm, aus Furcht vor dem Kaiser und unter dem Einflüsse des treulosen
Ministers Adam von Schwarzenberg, sich nicht entschließen konnte, die
Sache der Protestanten entschieden und kräftig mit in die Hand zu nehmen und
sich seinem Schwager, Gustav Adolph, der zum Schuh seiner evangelischen
Glaubensbrüder in Deutschland herbeigeeilt war, mit vollem Vertrauen hinzugeben,
sondern mit dem Kaiser Frieden schloß. Waö die Kaiserlichen in der Mark noch
übrig gelassen, das verheerten nun die Schweden unter ihrem General Banner.
Feinde und Freunde kämpften, plünderten» sengten und brennten jetzt in unserm
Vaterlande. Was das Schwert nicht gefressen, wurde durch Hunger, Elend und
Seuche vernichtet. Unser Vaterland war zerknikkt. Im Munde des Volkes lebt
heute noch die Sch weben zeit als eine Zeit fürchterlicher Drangsale, und in
unserer Mark weiß manche Stadt (;. B. Perlcberg) ein Lied zu singen, wir
bald die Kaiserlichen, bald die Schweden bei ihnen Haus gehalten haben. Aus
Kummer und Betrübniß über solches Unglükk ging Georg Wilhelm (1636) nach
Preußen und endete dort im folgenden Jahre sein leidenvolleö Leben und seine
unglükklicheRegierung. Mit seinem Sohne, Friedrich Wilhelm, begann für
Brandenburg eine glükklichere Zeit.
Friedrich Wilhelm (1640 —1688), gewöhnlich der große Kurfürst
genannt, war erst 80 Jahre alt, als er zur Regierung kam. Immer noch tobte
der dreißigjährige Krieg. Brandenburg glich einer Wüste. Auf 10 Meile» weit
war oft kein Dorf, kein Mensch zu finden. Die wenigen Einwohner waren
total verarmt und verwildert. Dieses Leiden ging dem jungen Fürsten sehr zu
Herzen und hätte ihn wohl muthloö machen können. Aber er war ein gar
kräftiger Herr, und dabei weise, gerecht und fromm. Er hatte einen Berge
versetzenden Glaube») und vermochte Alles durch den, der ihn mächtig
machte, Christus. Zuerst schloß Friedrich Wilhelm mit den Schweden Frieden
und gab seinem armen gesunkenen Lande Ruhe. Nun bereisete er seine Provinzen,
ermunterte die wenigen Bewohner, sich wieder Häuser zu bauen und den Akker
zu bestellen und ließ ihnen Saatkorn, Vieh , Holz und Akkergeräthe verabreichen.
Daun zog er ans dem Bremischen, Holländischen und aus der Schweiz Kolonisten
in das Land. Diese Leute legten Dörfer an, trieben fleißig Akkerbau und Viehzucht.
Und der gütige Gott gab seinen Segen. In wenigen Jahren standen viele neue
Städte und Dörfer da, viele Fluren prangten mit Früchten und auf den Wiesen
weideten schöne Heerde». Endlich wurde auch durch den weftphälischen Frieden
(1648) dem langen Kriege ein Ende gemacht. Brandenburg erhielt einen Theil
von Pommern, die Fürstenthümer Kamin, Minden und Halberstadt
mit der Grafschaft Hohenstein, und außerdem die Anwartschaft auf das
Erzstift Magdeburg und den Saalkreis, die der Kurfürst auch 1680 in
Besitz nahm. Nun sorgte Friedrich Wilhelm erst recht für sein Land und Volk.
Er gründete 1655 die Universität zu Duisburg, ließ den Müll roser (oder
339
Friedrich - Wilhelms-) Kanal, der die Oder mit der Spree verbindet, anlegen
und führte ein geregeltes Postwesen ein. An dem Kriege zwischen Karl Gustav
von Schwede» und Johann Casimir von Polen ( 1G54— 1000) nahm unser
Kurfürst als Bundesgenosse des Erster» Antheil. In der blutigen Schlacht bei
Warschau (18. — 20. Juli 1050) wurden die Polen geschlagen, und die tapferer
Brandenburger, unter Anführung ihres Helden Derflinger, erwarben großen
Ruhm. Aber schon im folgenden Jahre sagte sich Friedrich Wilhelm von
Schweden loö und schloß mit dem Könige von Polen den Bertrag zu Weh lau
(1057) in Preuße», der ihm die Souverainitat über das Herzogthum Preußen
zusicherte. Seit der Zeit blieb zwischen Schweden und Brandenburg immer ein
geheimer Groll; und im Jahre 1074 fielen die Schweden unter Wränget
ganz unerwartet in die Mark ein und verwüsteten Alles, wohin sie kamen.
Aber eben so unerwartet erschien auch Friedrich Wilhelm, der damals am Rheine
stand, verjagte die Schweden aus Rathenow (15. Juni 1075) und gewann
am 18. Juni 1075 den entscheidenden Sieg bei F ehr bell in. Er selbst aber
würde hier eine Beute der feindlichen Kugeln geworden sein, wenn nicht sein
treuer Stallmeister E ma n u e l F r v b e n ihn gerettet hätte. Die Schweden mußten
die Mark verlassen, und unser Kurfürst nahm sein Vorpommern und die Städte
Stettin, Stralsund und Greifswalde, und auch die Insel Rügen. Zwar ver-
suchten sie 1078, diese Besitzungen wieder zu gewinnen; aber sie wurden so geschlagen
und getrieben, daß von >0000 Schweden nur 1500 über die Grenze kamen. Im
Frieden von 1070 mußte der Kurfürst, von Frankreich gezwungen und vom
deutschen Kaiser verlassen, alle Eroberungen an Schweden zurükkgeben. Auch
seine Ansprüche auf die schlesische» Herzogthüincr konnte er nicht geltend machen,
sondern mußte sie gegen den kleinen Schwiebnsser Kreis dem Kaiser überlassen,
der sie widerrechtlich eingezogen. Diese Ungerechtigkeit fand später ihren Rächer.
Nachdem die äußere Ruhe wieder hergestellt war, zeigte sich der Kurfürst wieder
ganz und gar als Vater seines Landes und Volkes. Er wollte gern fromme,
fleißige und treue Unterthanen haben. Darum ginger selbst mit gutem Beispiele
voran. Seine Frömmigkeit war Allen ein Muster. Er gab Gesetze zur Heiligung
deö Feiertages, verbot Fluchen, Schwören und einen unchristlichen Lebenswandel.
Ganz, wie er, dachte auch seine Gemahlin, Louise Henriette. Sic ist cs, welche
den schönen Gesang gedichtet hat, der ja auch in unserm Gesangbuche steht:
„Jesuö meine Zuversicht." — Bete und arbeite! Das sollten die Unterthanen
üben. Und eS gelang. Garten- und Akkerkan blühten; der Handel kam empor.
AkS in Frankreich die Hugenotten vertrieben wurden, fanden an 00,000
solcher Flüchtlinge in unserm Lande eine Zufluchtsstätte. Das waren sehr
fleißige Leute. Ein neuer Ort nach dem andern entstand, eine Wüstenei nach
der andern verschwand, eine Manufaktur und Fabrik nach der andern wurde
errichtet. Im ganzen Lande herrschte Jucht, Ordnung, Arbeitsamkeit und
Frömmigkeit. Trotz der vielen Kriege, die Friedrich Wilhelm führte, hinterließ
er einen Schatz von 050,000 Thaler» und ein wohlgerüsteteS Heer von 30,000
Mann. Der Staat umfaßte 2040 QMeilen mit 1 % Million Einwohner und
war überall geachtet und gefürchtet. So scheiden wir denn von diesem theuren,
ewig unvergeßlichen Fürsten, der wohl würdig ist, von jedem braven Preußen
mit Ehrfurcht der Große genannt zu werden.
* *
Friedrichin. (1088 — 1713) war seinem werthen Vater nicht gleich. Gr
liebte Prunk und Glanz, und verschwendete daher viel Geld. Sei» einziger
Wunsch war, sein Kurfürstenthum zu einem Königreiche zu erheben, und dies
zu erreichen, scheute er weder Mühe, noch Kosten. Endlich gelang es ihm, und
er ließ sich 1701 den 18. Januar zu Königsberg in Preußen mit außerordentlicher
Pracht krönen und nannte sich von nun an
340
Friedrich I. (v. 1701 —1713) König von Preußen. AmTage vor
seiner Krönung stiftete er den schwarzen Adlerorden. In Folge seiner
Prachtliebe seufzten die Unterthanen unter vielen und schweren Steuern und
lebten dabei, gleich ihrem Könige, alle Tage herrlich und in Freuden. Das sonst
blühende Land sank daher in Armuth und Schulden. Am spanischen Erbfolge-
kriege betheiligte sich Friedrich I. mit 25,000 Mann HülfStruppen, die er dem
Kaiser sandte. Am nordischen Kriege zwischen Peter d. Gr. von Rußland
und Karl XII. von Schweden nahm er keinen Theil, konnte aber dem-
ungeachtet nicht verhüten, daß einige seiner Länder durch feindliche Truppen
verwüstet wurden. Für Künste und Wissenschaften, Manufakturen und Fabriken
hat Friedrich I. viel gethan. Seine edelste That war die Aufnahme der aus
Religionshaß vertriebenen Pfälzer. Das nunmehrige Königreich Preußen
vergrößerte er mittelst Ankauf: durch Quedlinburg und Nordhausen,
durch Mörs, Lin gen und Tekklenburg; mittelst Erbschaft: durch das.
Fürstenthum Neuen bürg in der Schweiz — im Ganzen um 32 QMcilen.
Friedrich Wilhelm I. (1713--17-10) entriß durch ernste Sparsamkeit
das Land der Noth und Gefahr, in die es seines Vaters Prachtliebe gestürzt
hatte. Gleich bei seinem Regierungsantritt erhielten eine Menge Diener des
Hofes ihre Entlassung, und Alles, was an Wagen, Pferden, Juwelen und
Kostbarkeiten überflüssig war, wurde verkauft und das Geld zum Besten des
Landes verwendet. Friedrich Wilhelm I. war in seinen Sitten rauh und strenge;
aber er fürchtete Gott und diente ihm aufrichtig. Von den ans Salzburg
vertriebenen Protestanten nahm er an 20000 auf und gab ihnen Ländereien an
der russischen Grenze. Er hob den Akkerbau und die Viehzucht, Manusactur-
und Fabrikwcsen, und ein starker Handel verbreitete Wohlstand, Leben und
Thätigkeit ini ganzen Lande. Der König selbst ließ viele und große Bauten
ausführen. Magdeburg, Stettin. Stralsund und Wesel wurden stark befestigt.
Potsdam, ein bloßes Fischerdorf, erhob er zu einer großen und schönen Stadt,
stiftete daselbst daö große M i l i t a i r - W a i s e n h a u S und in Berlin das
CadettenhauS und die Eharitö. Auch legte er 1000 Landschulen an
und verwendete bedeutende Summen auf die Ausbildung des niedern Volkes.
UebrigenS war er ein Feind aller Künste und Wissenschaften. Und das
war sehr zu beklagen. Keinen Stand, hatte der König lieber, als den Soldaten-
stand. Recht viele und große Soldaten zu haben, war sein innigster Wunsch.
Er brachte auch ein auserlesenes Heer von 80000 Mann zu Stande, wovon daö
Riesen - Regimen t, 1000 Mann an der Zahl, wirklich merkwürdig und
weltberühmt war. An allen Ekken und Enden ließ der König die größten
Männer anwerben, und bildete daraus seine Riese»garde. Das preußische
Heer war so tüchtig cinerercirt, daß cü für das beste in ganz Europa galt.
„Der alte Dessau er" war der Erercirmeister. Sehr ungern schikkte der
König seine Truppen ins Feld. Ganz wider seinen Willen wurde er in den
nordischen Krieg verwikkelt. Als Bundesgenosse der Russen besetzte er Stettin
und ganz Schwedisch--Pommern, und seine Soldaten zeichneten sich in allen
Schlachten und Belagerungen durch Muth und Tapferkeit aus. Der Friede zu
Stokkholm (1720) machte diesem Kriege ein Ende, und Preußen erhielt
Vorpommern bis an die Peene, die Inseln Usedom und Wollin. Bei
Beendigung des spanischen Erbfolgekriegeö (1713) war uns schon ein Theil des
Herzogthums Geldern und die Grafschaft Limburg zugefallen. Alö Friedrich
Wilhelm I. nach einer 27jährigen Regierung starb, hrnterließ er ei» Land von
2275 QMl. mit 2y|, Millionen Einwohnern, ein trefflich geübtes Heer von
80000 Mann und einen Schatz von beinahe 20 Millionen Thalern. — Der
große Kurfürst hatte die Unabhängigkeit deö Staates begründet; Friedrich I.
hatte demselben den äußern Glanz verschafft, und Friedrich Wilhelm I. war
341
eö nun, der durch weisen Staatshaushalt dem Lande die innere Macht und
Stärke verliehen, welche sein ausgezeichneter Sohn, Friedrich II., vor den Augen
der Welt entfaltete und Preußen in den Rang der Hauptmächte von Europa
erhob.
*
Friedrich II. (1740 — 1780), auch der Große oder Einzige genannt,
war ein Fürst, den seine Mitwelt verehrte, den die Gegenwart hoch achtet, und
den ferne Jahrhunderte noch bewundern werden. Schon seine Jugendgeschichte
hat viel Merkwürdiges. Sein Vater wollte auö ihm nur einen tüchtigen Soldaten
bilden. Friedrich mußte daher schon als Knabe von acht Jahren ererziren, vor-
dem Schlosse auf die Wache ziehen, in Sturm und Regen Schildwache stehen
und gleich den gemeinen Soldaten sich täglich in den Waffen üben. Je größer-
er wurde, desto mehr zog man ihn heran. Friedrich aber hatte gegen das
Soldatenspiel einen geheimen Widerwillen. Er saß weit lieber tut Schlafrokl
und in Pantoffeln auf seiner Stube, las französische Bücher und blies Flöte.
Der König kam bald dahinter, überraschte auch den Kronprinzen bei seinen
Lieblingsbeschäftigungen, und nun wurde dieser so furchtbar streng gehalten, bei
geringen Versehen so hart bestraft, daß er endlich, der harten Behandlung müde,
den Entschluß faßte, sich durch heimliche Flucht nach England der Gewalt seines
Vaters zu entziehen. Niemand wußte darum, als seine Schwester und die
beiden Offiziere Katt und Keith. Allein durch Katt's Unvorsichtigkeit wurde
der Plan verrathen, Friedrich auf der Flucht eingeholt, als Gefangener auf die
Festung Küstrin gebracht und do^t wie ein gemeiner Verbrecher behandelt. Sein
Freund Katt wurde in Küstrin vor seinen Augen hingerichtet. Keith hingegen
war durch die Flucht entkomme» und wurde später von Friedrich nach Berlin
zurükkberufen (1741). Es war des Königs ernster Wille, daß das TvdcSurtheil
auch über seinen eigenen Sohn ausgesprochen würde, und es kostete viel Mühe,
den ergrimmten Vater von diesem schrekllichcn Vorhaben abzubringen. Endlich
wurde Friedrich seiner Haft entlassen, mußte aber in Küstrin bleiben und an der
dortigen Domainenkammer als Kriegörath arbeiten. Bald erfolgte eine völlige
Aussöhnung mit dem Könige. Der Kronprinz nahm seinen Wohnsitz in Rheinöberg,
wo er seinen Lieblingöstudien nachhing, aber auch, seinem Vater zu Liebe, eS mit
dem Kriegsdienst ernstlicher, als bisher nahm. — Man war sehr gespannt, wie
es gehen werde, wenn Friedrich, der-im Schlafrokk und in Pantoffeln gern hinter
den Büchern saß, den Königsthron besteigen würde. Aber siehe, als am 31.
Mai 1740 Friedrich Wilhelm I. starb und Friedrich II. nun das Regiment
antrat, übertraf er alle Erwartungen! Die alten treuen Räthe feines Vaters
ehrte er und behielt sie alle an seinem Hofe. Auch gab er seinen Unterthanen
sogleich Proben seiner landeSvätcrlichen Gesinnung. Im Winter von 173!) —1740
war nämlich viel Korn erfroren. Friedrich öffnete sofort seine reichgefülltcn
Kornhäuser und ließ in allen Provinzen Saat- und Brotkorn vertheilen; selbst
solche, die es wohl bezahlen konnten, erhielten es zu einem billigen Preise. In
StaatSgcschäften war er beispiellos fleißig, rasch und behende. Von dem Riesen-
Regiiuente behielt er nur ein Bataillon der größten und schönsten Soldaten,
zum Andenken an seinen Vater. Die vernachlässigte Akademie für Kunst und
Wissenschaft zu Berlin suchte er durch tüchtige Lehrer wieder zu heben. Bald
sollte ihm auch Gelegenheit werden, der Welt sich als Feldherr und Held zu
zeigen. Am 20. Oktober 1740 starb Kaiser Karl VI. von Oestreich. Jetzt
forderte Friedrich II. von der jungen Kaiserin Maria Theresia sein Schlesien.
Diese aber lachte nur dazu und meinte, mit dem kleinen Preußen-Könige wolle
sie schon fertig werden. Aber der kleine König sollte ihr große Arbeit machen.
In aller Stille hatte er gerüstet, und schon am 16. Dezember 1740 rükkte er mit
seinen Truppen in Schlesien ein und erwartete ruhig den Feind. Der kam auch
23
342
in großen Schaaren. Am 10. April 1741 trafen die Heere bei Molwitz auf
einander. Ein schrekklicher und blutiger Kampf begann. Preußen und Oestreicher
fochten wie die Löwen. Friedrich errang einen herrlichen, wenn auch theuer
erkauften Sieg. Er brachte schnell die Festungen in seine Gewalt und ließ sich
dann in Breslau huldigen. Seine Huld und Milde erwarben ihm die Herzen
seiner neuen Unterthanen. Aber Maria Theresia wollte Schlesien so eilig nicht
aufgeben. Am 17. Mai 1742 kam eö bei dem Dorfe E ho tu fitz, unweit
GzaSlau in Böhmen, abermals zur Schlacht. 40,000 Oestreicher kämpften
gegen 26,000 Preußen! Friedrich erfocht einen zweiten glänzenden Sieg. Nun
änderte Maria Theresia ihren Sinn und sprach nicht mehr so verächtlich von dem
kleinen Preußcuköuige. Im Frieden $11 Breslau (11. Juni 1742) erhielt
Friedrich Ober- und Niederfchlcfien sammt der Grafschaft Glatz. Der
erste schlesische Krieg (1740— 1742) war beendet.
Während der beiden Friedensjahre, welche auf diesen Krieg folgten) befestigte
Friedrich die schlesische» Städte Bri eg, Glatz, G log au, Kofel und N risse,
vergrößerte sein Heer und sorgte dabei auch väterlich für seinen Staat. Er ließ
große Strekken Moräste an der Oder auötrokknen, den planenscheu Kanal,
zur Verbindung der Elbe und der Havel, den Fin owkanal, zur Verbindung
der Oder und der Havel, graben und verschönerte Berlin und Potsdam. Um
diese Zeit fiel OstfricSland durch Erbschaft an Preußen (1740). — Die
Kaiserin war in dieser Zeit auch nicht müßig gewesen. Sie hatte in aller Stille
mit Sachsen und England ei» Bündnis; geschlossen und wollte, che sichö Friedrich
versah, ihr Schlesien wieder erobern. Zu allem Glükk kam Friedrich hinter diese
List, brach 1744 plötzlich in Böhmen ein und eroberte Prag (10. September).
Er mußte sich aber zurükkziehen und nach Schlesien eilen. Hier kam es (am
4. Juni 1745) bei Hohenrriedberg zu einem blutigen Treffen, wo die
Preußen Wunder der Tapferkeit bewiesen. Morgens 4 Uhr begann der Kampf,
und um 9 Uhr war die Schlacht gewonnen. Ueber 5000 Feinde bedekktcn das
Schlachtfeld, 7000 waren gefangen, 06 Kanonen und über 70 Fahnen erbeutet.
Der Feind zog sich nach Böhmen zurükk. Friedrich folgte ihm. Bei Sorr kam
es wieder zum Treffen (den 30. September 1745). 4)3,000 Oestreicher standen
gegen 18,000 Preußen, und nach einem fünfstündigen Kampfe hatte Friedrich
abermals einen glorreichen Sieg errungen, 1700 Gefangene gemacht, 22 Kanonen
und 10 Fahnen erobert. Nun glaubte der König, sich Ruhe verschafft zu haben
und ging nach Berlin. Aber die Kaiserin dachte nicht so. Jetzt sollten sich
Oestreicher und Sachsen vereinigen und mit furchtbarer Heereömacht mitten im
Winter den König in Berlin überfallen. Kaum erfuhr der Held diesen Anschlag,
so erhob er sich wie ein Sturmwind und eilte den feindlichen Schaaren entgegen.
Wo man den Feind fand, wurde er angegriffen. Der alte Desjaucr war auf Sachsen
loögegangen, und Friedrich gedachte, sich mit ihm zu vereinigen. Am 15. Dezember
rükkte der König in Meißen an der Elbe ein. Noch an demselben Tage hörte
man eine schrckkliche Kanonade, und der ganze Himmel in der Gegend um
Dresden war feuerroth. Spät Abends erhielt der unruhig harrende König die
fröhliche Nachricht: Der Fürst von Dessau hat bei Kesselsdorf den Feind
völlig geschlagen, 5000 Gefangene gemacht und 48 Kanonen erbeutet. Welch
eine Freude für Friedrich! Am folgenden Tage zog er in Dresden ein. Der
Feinde Muth war hin. Schon am 25. Dezember schloß man zu Dresden
Frieden. Preußen behielt Schlesien, und Sachsen zahlte eine Million Thaler
Kriegskosten. Sv endete der zweite schlesische Krieg (1744— 1745).
Unter dem Jubelgeschrei seiner Unterthanen kam Friedrich am 28. Dezember 1745
wieder in Berlin an.
Das Land hatte durch die beiden Kriege viel gelittten. Friedrich aber suchte
in den zehn Jahren der Ruhe, welche nun folgten, alle die Wunden zu heilen
343
und den verarmten Familien wieder aufzuhelfen. Er ließ an 300 neue Dörfer
anlegen und veranstaltete, daß sich in der urbar gemachten Gegend an der Oder
an 3000 Familien niederließen. Sowohl zur Entwässerung des Oderbruchs, als
auch zur Abkürzung der Schifffahrt wurde (von 1740 — 1753 ) ein neuer Kanal
gegraben, die sogenannte neue Oder, in ziemlich gerader Richtung vom Dorfe
G uste die se bis zum Dorfe Hohen-Saat en, wo sich die alte Oder, nach
einer starken Krümmung bei Wriezcn, Freienwalde und Oderberg vorbei, wieder
mit der neuen vereinigt. Fabriken und Künste, Gewerbe und Handel suchte der
König wieder zu beleben. Auch bemühte er sich, die Landwirthschaft und
Viehzucht zu heben. Unter ihnr wurden zur Veredlung der Schafzucht die ersten
spanischen Schafbökke angeschafft (1748). Für die im Kriege alt gewordenen
und verstümmelten Soldaten stiftete er daü große Juvalidenhauö zu Berlin
(1748). Den Bau des Schlosses Saus-Svuoi (ohne Sorge) bei Potsdam
beendete er und verlebte hier seine glükklichsteu Stunden. Endlich unternahul er-
den Neubau der Schloß- und Domkirche zu Berlin. Kurz: Unser Staat
blühte unter der Negierung dieses großen und väterlichen Königs herrlich empor.
Daö Heer wuchs bis auf 180,000 Mann, alles streitbare und wohlgeüblv Krieger.
Nicht nur Oestreich, sondern auch die andern Mächte Europas betrachteten Preußen
mit neidischen Augen. Dazu konnte die Kaiserin ihr Schlesien immer noch nicht
verschmerzen, und nur zu gut gelang rü ihr, in der Stille einen furchtbaren
Bund gegen Preußen zu Stande zu bringen. Oestreich, Rußland, Frankreich,
Schweden, Sachse» und fast alle deutschen Fürsten wollten vereint über unsern
König herfallen, ihm alles Land bis auf die Mark Brandenburg, deren
Kurfürst er'bleiben sollte, nehmen und unter sich vertheilen. Daö war Alles
recht hübsch ausgesonnen. Aber: Der Mensch denkt, und Gott lenkt. Friedrich
erfuhr Alles, schloß ein Bünduiß mit England, Braunschweig, Hessen-Kassel und
Gotha und ging dem drohenden Ungcwitter rasch entgegen. So entspann sich der
dritte schlesische oder siebenjährige Krieg (1750 — 1703).
•*
Es war im September des Jahres 1750, als auf einmal die ganze
preußische Armee aufbrach und Sachsen und Böhmen überschwemmte.' So
Etwas hatten die Feinde nicht vermuthet. Die- Sachsen eilten in ein festes
Lager bei Pirna, die Preußen ihnen nach und schlosset» sie fest ein. Die
Oeftreicher kamen im Sturmschritt mit 70,000 Mann herbei, die Sachsen »n
erlösen. Friedrich ging ihnen mit 24,000 Mann entgegen. Bei Lo wo sitz in
Böhmen kam es zur Schlacht (1. Oktober 1750 ). Nach einem sechsstündigen
Kampfe errang Friedrich den Sieg. Die Oestreicher zogen sich zurükk, und die
bei Pirna eingeschlossenen Sachsen mußten sich ergeben. Daö «rste Jahr des
Krieges war vorüber. Friedrich verlebte den Winter in Dresden und rüstete sich,
so gut er konnte. Er brachte jedoch sein Heer nur auf 200,000 Mann. Die
erbitterten Feinde dagegen verstärkten sich bis über eine halbe Million. Aber
unser großer König zagte nicht. Er war wieder der Erste auf deut Kampfplatze.
Im April 1757 setzte er sich in Bewegung. I» vier großen Zügen ging eS
nach Böhmen, und am 0. Mai trafen die Truppen, wie verabredet war, bei Prag
zusammen. Kaum war der König angelangt, als er auch schon den Befehl zum
Angriff gab. „Frische Fische, gute Fische!" sagte er. Der Kampf begann.
Muthig stürmten 'die Preußen heran; aber Tausende wurden von den feindlichen
Kugeln zu Boden gestreikt. Schon zagten die Soldaten. Da ergriff der tapfere
Feldmarschall Schwerin eine Fahne und rief: „Mir nach, Kinder, wer
kein Feiger ist!" Begeistert folgten die Truppen ihrem geliebten Führer.
Doch schon nach wenigen Schritten sank er, von vier Kugeln getroffen, todt zu
Boden. Jetzt wurden die Truppen wüthend und fochtcii wie die Löwen und
errangen einen blutigen Sieg. 10,000 Preußen schliefen mit dem edlen
¡23*
344
Schwerin den TodeSschlaf. Nun wollte Friedrich Prag wegnehmen; allein
Daun rükkte mit 66,000 Mann heran. Friedrich ging ihm mit 32,000 Mann
entgegen. Bei Kolli« trafen sich die Heere (18. Juni 1757). Alles schien
eine gute Wendung zu nehmen. Schon wichen die Oestreicher. Da entstand
durch Veränderung des Schlachtplanö plötzlich Unordnung und Verwirrung im
preußischen Heere, und die Schlacht ging für Friedrich verloren. Er hatte
14,000 Mann eingebüßt. Das war die erste verlorne Schlacht, und das Frohlotten
der Feinde nahm kein Ende. Von allen Seiten drängten sie nun den gefürchteten
Heldenkönig. Die Schweden drangen in Pommern ein; Preußen wurde von den
Russen überschwemmt, und in Westphalen hausten die Franzosen. Aus diese ging
Friedrich mit 22,000 Mann loö. Bei dem Dorfe Roßbach, unweit Weißenfels,
traf er die Uebermüthigen (5. Nov. 1757), 70,000 Mann stark. Die Preußen,
voll Begeisterung und entschlossen, mit ihrem Könige zu sterben, begannen ihr
Werk. Die prahlerischen Franzosen fingen bald an zu laufen, alö wollten sie
nimmer stille stehen. Der tapfere Scidlitz mit seiner Kavallerie immer hinter-
her, so dass dies Treffen mehr eine Jagd, als eine Schlacht war. 2000 Franzosen
lagen auf dem Schlachtfelde, 7000 waren gefangen, 63 Kanonen und 23 Fahnen
erbeutet. Unser König hatte nur 0> Todte. Jetzt mußte er allermeist nach
Schlesien eilen; denn hier waren die Oestreicher sehr vorgedrungen. Friedrichs
Häuflein (33,000 M.) nannte man spottweise die „Berliner Wachtparade."
Doch diese Wachtparade, zwar klein an Zahl, aber desto größer an Muth, sic
zagte nicht. Bei Leuthen standen die Feinde. Ihre Schlachtlinie war 1 Meile
lang. „Wir lüüssen den Feind schlagen, oder unö Alle vor seinen Batterien
begraben lassen!" So sprach der König; so dachten auch seine Preußen. Am
5. Dezember kam cö zur Schlacht. Nach dreistündiger Blutarbeit war für
Preußen der Sieg gänzlich entschieden. Der alte Ziethen verfolgte mit seinen
Husaren die Flüchtigen bis nach Böhmen. Bon 00,000 entkamen nur 17,000
über die Grenze. 21,000 Gefangene, 134 Kanonen, 59 Fahnen und 3000
Bagage-Wagen sielen in der Sieger Hände. Tausende lagen auf dem Schlachtfeldc
und hatten ausgekämpft! Biele kämpften stöhnend und ächzend ihren letzten
Kampf! Das preußische Heer, von dein anhaltenden Kampfe ermüdet, hatte sich
auf dem schauerlichen Felde des Todes gelagert, um ein wenig zu ruhen. Tiefe
Stille herrschte ringö umher. Da erhob auf einmal ein alter Grenadier seine
Stimme und fing an zu singen: „Nun danket alle Gott!" Die Instrumente
fielen ein, und in einer Minute erscholl über das große Leichenfeld, durch die
Dunkelheit der Nacht, von der ganzen Armee das herrliche Lied: „Nun danket
alle Gott!" — Sei stolz auf diese Krieger, junger Preuße, und suche ihnen
ähnlich zu iuerden, wenn das Vaterland in Noth gerathen sollte! — In
wenigen Wochen war Schlesien vom Feinde gereinigt, und Friedrich bezog ruhig
seine Winterquartiere.
Die erbitterten Feinde rüsteten sich aufs Neue und boten Alles auf, ihren
großen Gegner zu erdrükken. Friedrich aber war auch nicht müßig und that,
was er nur immer konnte. Dazu sandte ihm England, welches ihn feit dem
Siege bei Roßbach mit besonderer Liebe bewunderte, außer 4 Millionen Thaler
Unterstützung auch ein neues Hülfsheer, dessen Kommando dem würdigen Herzoge
Ferdinand von Braunschweig übertragen wurde. Dieser ging auch sofort
' V auf die Franzosen loö, trieb sie über den Rhein und schlug sie gänzlich bei
Krefeld (23. Juni 1758). Mittlerweile hatte Friedrich (18. April 1758) die
«r Festung Schweidnitz erobert und wollte nun Olmütz nehmen, mußte aber davon
,. abstehen, um den Russen Einhalt zu thun. Diese waren inzwischen bis Küstrin
vorgedrungen und hatten die Stadt bis auf drei Häuser in Asche gelegt. Mit
nur 37,000 Mann bot er ihnen (25. August 1758) bei Zorndorf, unweit
Küstrin, die Schlacht. Von Morgens S Uhr bis in die sinkende Nacht währte
♦*
345
der fürchterliche Kampf. Der treffliche Seidlitz errang unserm Könige den
Sieg und erwarb sich einen unsterblichen Ruhm. Van 80,000 Russen lagen
19,000 auf dem Schlachtfelde, aber auch 11,000 Preußen. Die ganze feindliche
Kriegökasse, 103 Kanonen und 27 Fahnen waren erobert. Die Russen zogen
sich nach Polen zurükk. Friedrich aber eilte seinem tapfern Bruder Heinrich,
der in Sachsen von Daun hart gedrängt wurde, zu Hülfe, und schlug Angesichts
des Feindes bei Hochkirch sein Lager auf. Seine Generäle riethen davon ab
lind meinten: „Wenn die Oestreicher uns hier in Ruhe lassen, verdienen sie
sammt und sonders, gehängt zu werden." antwortete Friedrich, „sic
fürchten sich vor uns mehr, als vor dem Galgen." Aber erhalte sich verrechnet.
In der Nacht des 14. Oktobers (1758) wurden die sorglos schlafenden Preußen
von Daun überfallen. Friedrich verlor 9000 Mann und 100 Kanonen. Tief
erschüttert, aber äußerlich gefaßt und ruhig, umging er in künstlichen Märschen
die Oestreicher, vertrieb die Feinde von Neisse und behauptete Schlesien. So
verging das dritte Jahr des Krieges. ,
Mit dem kommenden Frühlinge des Jahres 1759 war wieder Krieg und Kriegs-
geschrei an allen Elken und Enden. Die Franzosen drangen mit großer Macht über
den Rhein, wurden aber von dem tapfern Ferdinand (obwohl er anl 13. April
1759 bei Bergen besiegt worden) bei Minden in Westphalcn (1. August
1759) geschlagen. Die Russen hatten sich mit dem tapfern Laudon vereinigt
und standen, 70,000 Mann stark, bei Kunersdorf, unweit Frankfurt a. d.O.,
furchtbar verschanzt. Hier stellte sich Friedrich dem weit überlegenen Feinde
entgegen, griff ihn an (12. August 1759) und erlitt nach anfänglich gutem
Erfolge eine Niederlage, wie noch nie. 23,000 Preußen, theils todt, theils
verwundet, bcdckkten das Schlachtfeld; 3000 waren gefangen genommen. Kaum
5000 versammelte» sich am Abend um ihren König. Geschütz, Heergeräth, Alles
war verloren. Auch jDn« für Preußen so wichtige Dresden fiel den Feinden
in die Hände (4. September 1759), und der General Fink mußte sich bei
Maren, im böhmischen Gebirge, mit 15,000 Mann an Daun gefangen geben
(20. Novcniber 1759). Das waren harte Schläge für unsern König.
Der Feldzug des Jahres 1760 war in seinen Anfängen nicht minder
unglükklich. Der General Fonguet wurde (23.Juni 1760) von dem viermal
stärkeren Laudon bei Landshut in Schlesien besiegt und gefangen genommen.
Bald daraus ging auch die wichtige Festung Glatz verloren. Vergeblich versuchte
Friedrich, Dresden wieder zu gewinnen. Die Fortschritte deö Feindes riefen ihn
nach Schlesien. Er zog hin. Von feindlicher Nebermacht begleitet und umschwärmt,
gelangte er bis in die Gegend von Liegnitz. Hier schlug er, rund um von
Feinden umgeben, sein Lager auf, und bereitete dem eben so listigen, als tapfern
Laudon eine furchtbare Niederlage (15. August 1760). Der Feind hatte 4000
Todte, 6000 Gefangene und 82 Kanonen verloren. Noch an demselben Tage
brach'der König nach Sachsen auf. Am 3. November griff er bei Torgaü die
feindliche Armee unter Daun an. Da gabs eine mörderische Schlacht, die
blutigste des ganzen Krieges. Nach lange'zweifelhaftem Glükk hielt der tapfere
Ziethen den Sieg bei den preußischen Fahnen fest. 12,000 Feinde bedekkten
das Schlachtfeld. 8000 Gefangene, über 50 Kanonen und 27 Fahnen waren
von den Siegern erbeutet. Der König bezog in Leipzig feine Winterquartiere.
So endete dieses, Anfangs so traurige Jahr dennoch mit Glükk für unsern
Helden. Trotzdem wurde Friedrichs Lage immer gefahrvoller. Von England
erhielt er keine HülfSgelder mehr. Sein eigenes Land war erschöpft und Sachsen
über die Hälfte verloren. Die Feinde rüsteten aufs Neue, und immer furchtbarer.
In dieser Noth brach Friedrich im folgenden Jahre (1761) mit 50,000 Mann
nach Schlesien auf und verschanzte sich bei Bunzelwitz vor Schweidnitz so
furchtbar, daß sein Lager einer Festung glich. 130,000 Feinde schlossen ihn fest
346
ein. Die Noth wuchs mit jedem Tage, und Friedrichs Kummer wurde immer
größer. Der alte Ziethen aber, ein eben so großer Glaubens- als Kriegsheld,
und voll festen Gottvertrauens, tröstete den gebeugten König: „Der alte Gott
lebt noch; der streitet für uns und läßt uns nicht sinken. Es wird Alles noch
ein gutes Ende nehmen." Und wirklich! Vergebens versuchten die mächtigen
Feinde, das preußische Lager zu stürmen. Sie mußten endlich aus Mangel ag
Proviant abziehen. Friedrich war befreit und bezog seine Winterquartiere. Bald
darauf bemächtigte sich Laudon der Festung Schweidnitz (1. Oktober 17(*I),
und Kolberg mußte sich den Russen ergeben (10. Dezember 1701). Schlesien
und Pommern schienen für Friedrich verloren. Dagegen hatte Prinz Heinrich
Sachsen glükklich vertheidigt und Ferdinand von Braunschweig kühn die französische
Armee zurükkgehalten.
Friedrichs Lage wurde immer bedenklicher. Fast ohne Mittel, den Krieg
fortzusetzen, ohne Aussicht auf eine glükkliche Zukunft, voll trüber Ahnungen
und banger Zweifel, aber dennoch stark durch seinen Muth und durch die
unerschütterliche Begeisterung seiner nur noch kleinen Armee für seine Person
und für Preußens Ehre, ging der König dem kommenden Jahre entgegen. Sein
Untergang schien ihm und den Feinden gewiß zu sein. Da griff plötzlich die
mächtige Hand des Herrn ein: Die Kaiserin Elisabeth von Rußland,
Friedrichs erbittertste und mächtigste Feindin, starb (5. Januar 1702). Ihr
Nachfolger, Peter III., schon längst ein begeisterter Freund und Bewunderer
unseres Heldenkönigs, ließ augenblikklich ab vom Kampf und schloß Frieden
(5. Mai 1702). Die preußischen Kriegsgefangenen wurden ohne Lösegcld
entlassen, alle Eroberungen zurükkgegeben und noch 20,000 Mann russische
Hülfötruppen dem Könige zur Verfügung gestellt. Vierzehn Tage nachher
(22. Mai 1702) schloß auch Schweden, durch Peter III. veranlaßt, Frieden.
Friedrich eilte nun nach Schlesien gegen die Oestreicher, schlug sie bei
Burkersdorf (21. Juli 1702) und eroberte Schweidnitz (!). Oktober 1702).
Prinz Heinrich bereitete ihnen nachher noch eine sehr empfindliche Niederlage in
der blutigen Schlacht bei Frei b erg in Sachsen (20.Oktober 1702). Der Herzog
von Braunschweig tummelte sich immer noch wakker, ruhmvoll und siegreich mit
den Franzosen herum, hatte Eassel erobert (1. November 1702) und trieb sie
nun vor sich her, um sie über den Rhein z» werfe»; — da schloß Frankreich
mit England und Preußen Frieden. Maria Theresia bot gleichfalls die Hand
zum Frieden. Derselbe wurde denn auch wirklich an, 15. Februar 1703 auf
dem sächsischen Jagdschlösse Huberts bürg abgeschlossen und jener sieben-
jährige Krieg beendigt, der so viele deutsche Länder verwüstet, so viele
Menschenleben gekostet hatte. Preußen behielt sein schönes Schlesien und verlor
auch nicht einen Fuß breit Laud. Friedrich aber hatte die Welt mit dem Ruhme
seines und seines Volkes Namen erfüllt und unser Königreich in die Reihe
der Hauptmächte Europas gestellt. Am 30. März ( 1703) spät Abends traf der
geliebte Fürst in Berlin ein, entschlüpfte auf einem Seitenwege all der für ihn
bereiteten Pracht und eilte bald darauf nach Charlottcnburg. Hier beschicd er
seine Sänger und MrHker und befahl, zu einer. gewissen Stunde das Loblied:
„Herr Gott, dich loben wir" in der Schloßkirche asizustiiìimcn. Man glaubte,
der ganze He>f werde dabei erscheinen; aber nein: der König kommt ganz allein,
setzt sich nieder, winkt, und die Musik nimmt ihren Anfang. Und als nun
mit durchdringender Kraft das Loblied ertönt: da. sinkt der große König auf. seine
Kniee; Thränm rollen ihm über seine Wangen, und erbringt dem allmächtigen
Gott seinen stillen Dank, Kein Auge in der Kirche blieb trokken,' und Jeder
betete in der Stille mit, Gott lobend und dankend für seine überschwängliche
Hülfe und Gnade. '
*
347
Nach dem Hubcrtsburger Frieden lebte Friedrich der Große nur dem
Wohle seines erschöpften Landes und Volkes und opferte Alles auf, um die
schrekklichen Wunden des Krieges zu heilen. Er gab Brotkorn für Menschen,
Getreide zur Saat, Pferde, Ochsen und Akkertzeräthe zur Bearbeitung deö Bodens.
Abgebrannte, oder sonst verwüstete Häuser ließ er auf eigene Kosten viel schöner
wieder aufbauen. Ganzen Provinzen wurden auf mehrere Jahre die Steuern
erlassen. Wie weit Friedrichs Wohlthätigkeit ging, sehen wir daraus, daß er
von 1763—1780 über 5 Millionen Thaler an seine Unterthanen verschenkte, und
nicht etwa vom Staatsschätze, sondern von seinem eigenen Privatvermögcn.
„T)er Schatz," pflegte er zu sagen, „gehört nicht mir, sondern dem
Staate. Ich habe für meine Negierung nur das Mitessen."
Durch weise Einrichtungen stiegen die Landescinkünfte auf 28 Millionen Thaler
jährlich, die aber sehr sorgfältig und sparsam verwaltet wurden. An die schon
früher (v. 1747 — 1756) ausgeführte Urbarmachung des Oderbruches rcihcte
sich nun (v.' 1762—1707) die Entwässerung und Urbarmachung des Netze-
und (v. 1767 —1785) W a r t h e b r u ch e s. Für die Netze-, Warthe- und Oder-
schifffahrt erfolgte auch (1772) die Anlegung deö Bromberger Kanals. Nun
konnte man von der Elbe bis zur Weichsel Waaren zu Schisse fortbringen.
Bei diesen und vielen andern Arbeiten fanden Tausende von Menschen Beschäf-
tigung und Brot. Eine große Sorgfalt widmete der König auch dem Bolkö-
schulwesen. Kurz: Künste und Wissenschaften, Manufakturen und Fabriken,
Handel und Gewerbe wurden auf alle nur mögliche Weise gehegt und gepflegt
und blühten schöner auf, als je zuvor. — Die Pflichten seines landesväterlichrn
Berufes lagen dem Könige so am Herzen, daß er deö Nachts nur wenige Stunden
schlief, sonst unerinüdet arbeitete. Wenn man ihn ermahnte, sich zu schonen,
vflegte er zu antworten: „Mein Stand verlangt Arbeit und Thätigkeit. Daß
ich lebe, ist nicht nothwendig; wohl aber, daß ich arbeite. Ich arbeite, um zu
leben; denn Nich.tö hat mehr Arhnlichkeit mit dem Tode, alü der Müßiggang."
Es blieb ihn: sogar noch Zeit, sich mit Wissenschaften zu beschäftigen. Im
Jahre 1772 willigte er in die erste Theilung von Polen und nahm seinerseits
denjenigen Theil dieses Landes, der Pommern mit dem alten Herzogthuiu Preußen
verbindet. Dieses nannte mau nun Ostpreußen, und jenen neu erworbenen
Theil an der Netze und Weichsel Westpreußen.
Am 17. August 1786 schlug.für diesen edlen Monarchen die Stunde des
Scheidens. Er starb an der Bruftwassersucht. Preußen hatte den Vater,
Europa den Helden verloren. Er hinterließ einen blühenden Staat von
3600 QMeilen mit 6 Millionen Einwohnern und 28 Millionen Thalern
jährlicher Einkünfte, einen wohl gefüllten Staatsschatz und rin wohl gerüstetes,
trefflich geübtes, jeden Augenblikk schlagfertiges Heer von 200000 Mann.
*
■ Nun bestieg den preußischen Thron Friedrich Wilhelm II. (1786 — 1797),
ein Brudersohn Friedrichs des Großen. Wir haben zwar von diesem Könige
nicht so viel Kriegs- uild Heldenruhm zu erzählen, als von Friedrich II. Dennoch
war Friedrich Wilhelm II. ein edler, guter und gerechter Fürst. Was er während
seiner kurzen Regierung unserm Vaterlande Gutes thun konnte, das that er.
Fabriken, Manufakturen und Handel hatten sich seiner ganz besondern Gunst zu
erfreuen und kamen außerordentlich in Flor. Viele Mcflschen fanden nützliche
Beschäftigung.bei der Menge, von Bauten, die ausgeführt wurden, Zon welchen
das prächtige Brandenburger Thor zu Berlin vorzüglich bcmerkcnSwerth
ist. Insbesondere muß aber erzählt werden, daß Friedrich Wilhelm seinen
Unterthanen ein ganz neues Gesetzbuch gab, welches man bis auf den heutigen
Tag unter dem Namen: „Das preußische Landrecht" allgemein im Lande
kennt.. . „ » ' * %
348
Im Jahre 1792 legte der letzte Markgraf von Anspach-Baireuth die Regierung
freiwillig nieder und trat seine Länder an Preußen ab. Um dieselbe Zeit (1793)
beschlossen Rußland, Oestreich und Preußen eine zweite Verkleinerung des
unruhigen Königreichs Polen, und Friedrich Wilhelm nahm Süd-Preußen
mit den Städte»' Danzig und Thor«. Das unglükkliche Polen empörte sich
dagegen und suchte mit den Massen in der Hand das Verlorne wieder zu erlangen;
aber das polnische Heer, unter KoSciuSkv und MadalinSky, mußte der
Uebermacht unterliegen. Eö erfolgte 1795 die dritte Theilung und gänzliche
Auflösung Polens, wobei unser König die Hauptstadt Warschau und den
Distrikt Neu-OstPreußen erhielt. Durch diese Ländererwerbungen wurde der
preußische Staat um mehr als 1600 QMeilen vergrößert und umfaßte nun
5250 QMeilen mit 8>/r Million Einwohnern.
Die Sparsanikeit der vorigen Könige übte Friedrich Wilhelm II. nicht.
Denn als er starb, war der bedeutende, von Friedrich II. sorgfältig gesammelte
Staatsschatz von 80 Millionen Thalern ausgegeben, und noch dazu 28 Millionen
Thaler Schulden gemacht. Ein großer Theil der bedeutenden Ausgaben war
aber durch Kriege entstanden, die geführt wurden, von denen der Kampf
gegen die französische Republik (1792—1795) der merkwürdigste ist.
Im Jahre 1789 war nämlich i» Frankreich eine Revolution auSgebrochcn, die
ihre Schrekken über ganz Europa verbreitete. Der damalige französische König,
Ludwig XVI., war ein frommer und herzensguter Fürst, dem cs recht ernstlich
darum zu thun war, sein Volk glükklich zu machen. Aber cs wollte ihm nicht
gelingen. Die überaus große Sittenlosigkeit und Verschwendung seiner Vorgänger
(Ludwig XIV. v. 1013 —1715 und Ludwig XV. v. 1715 —1774) hatten das
Land schon zu tief iuö Verderben gestürzt. Die Schuldenlast und daö Elend
des Volkes wuchsen von Jahr zu Jahr und erreichten eine unerträgliche Höhe.
Steuern über Steuern mußten gefordert und gezahlt werden, und zwar nur von
dem Bürger und Bauer; denn der reiche Adel und die begüterte Geistlichkeit
waren steuerfrei. Und als der gute König Ludwig XVI. die Stände des Reiches
versammelte (5. Mai 1789), um über daö Wohl der ganzen Nation zu berathen,
bestanden jene Bevorzugten hartnäkkig auf ihren Vorrechten und wollten zur
Rettung deS Vaterlandes Nichts beitragen. Da griff das übel berathene und
aufgereizte Volk zu eigenmächtiger Selbsthülfe und riß Alles um und um.
„Freiheit und Gleichheit!" war das Feldgeschrei. Aber die gottlose
Mehrzahl verstand unter Freiheit: Zügellosigkeit und Willkür; unter
Gleichheit: Gemeinschaft d e S Vermöge» s. Man fiel über den Adel und
die Geistlichkeit her, und des Raubens, PlündernS, MordenS und Blutvergießens
war kein Ende. Die Bessern des Landes suchten ihr Heil in der Flucht. Auch
der König beabsichtigte, sein Land, daö zu einer Mördergrube geworden, wo
weder Gut, noch Leben mehr sicher war, zu verlassen; allein er wurde unterwegs
angehalten, gefangen genommen, vor ein Blut-Gericht gestellt und endlich mit
seiner Gemahlin*) hingerichtet (21. Januar u. 16. Oktober 1793). Frankreich
nannte sich nun eine Republik. Die Gottvergessenheit und die heidnischen
Gräuel gingen sogar so weit, daß man einen heidnischen Kalender einführte, die
Sonntage und alle christlichen Feste abschaffte, den lieben Gott absetzte (indem
man bekannt machte: „Es giebt keinen Gott; darum soll auch keiner
mehr angebetet werden" —), die Gotteshäuser plünderte und die Altäre
des Herrn zerstörte.
Endlich verbanden sich der deutsche Kaiser Franz II. und unser König
Friedrich Wilhelm II., um daö leichtsinnig tobende Volk wieder zur Ordnung
zurükkzuführen, und es entspann sich ein gewaltiger Krieg mit Frankreich.
*) Marie Antoinette, eine Tochter der uns bekannten Maria Theresia.
349
50000 Mann Preußen, unter Anführung des Herzogs von Braunschweig, drangen
über den Rhein und erfochten manchen ehrenvollen Sieg. Allein der Erfolg
entsprach den Erwartungen nicht, und Friedrich Wilhelm schloß (5. April 1705)
mit den Franzosen einen Frieden zu Basel, in dem er die Besitzungen am
linken Rheinufer gegen eine später zu ermittelnde Entschädigung an Frankreich
abtrat.
•*
Am 10. November 1707 (—1840) übernahm Friedrich Wilhelm III.
lgeb. den 0. August 1770), ältester Sohn Friedrich Wilhelms ll., die Regierung.
Nicht leicht hat ein König einen größeren Wechsel des Glükks erfahren, als dieser
allgemein geliebte und geachtete Fürst. Er war von der allwaltenden Vorsehung
dazu bestimmt, als Herrscher groß und stark im Glükk und Unglükk zu sein und
mit der seltensten Weisheit unser Vaterland dnrck Sturm und Ungewitter zu
hohem Glanze und Ruhme zu führen. Gleich nach der Thronbesteigung bereiste
er seine Staaten, und mit ihm seine an Körper und Geist gleich schön gezierte
Gemahlin Luise, eine Prinzessin von M e k k l c n b u r g - S t r e l i tz. Aller Herzen
schlugen dem edlen Paare freudig entgegen. Am königlichen Hofe herrschte nicht
eitler Glanz, sondern Einfachheit und Sparsamkeit, Ordnung und Thätigkeit,
Tugend und Frömmigkeit. Hier sah man das schönste und erhabenste Muster
eines glükklichen häuslichen Lebens. Wie ein wahrer Hausvater stand
Friedrich Wilhelm an der Seite seiner gleichgesinnten Gemahlin, im Kreise seiner
blühenden Kinder. Mit Stolz sah jeder Preuße hinauf zu einem solchen
Throne, dessen Abglanz über das ganze Land Gottesfurcht, Zufriedenheit, Glükk
und Wohlstand verbreitete. Aus Liebe zum Friede» mischte sich der gute König
nicht, wie Oestreich und England, in die französische» Händel. Er richtete
vielmehr sein Augenmerk auf die Wohlfahrt dcS Landes und machte herrliche
Verbesserungen. Rechtschaffenheit, Treue und Pünktlichkeit wurden in alle Zweige
der Verwaltung eingeführt, den Unterthanen manche Steuern erlassen, die Land-
schulen vermehrt und verbessert, wie unter keinem der vorigen Könige, und
23 Millionen Thaler Schulden abgezahlt. In solcher treuen Sorge regierte der
König 8 Jahre, und die Unterthanen freuten sich des guten Regenten und des
schönen Friedens. Aber nicht immer scheint die Sonne; auch schwere Gewitter-
wolken verdunkeln bisweilen den Himmel. Auf Tage der Freude schikkt der liebe
Gott auch Tage der Prüfung, damit der Mensch sich in derselben bewähre, wie
das Gold im Tiegel. Auch für den König und die Königin, ja, für ganz
Preußen kamen solche Tage der Angst und Noth.
Unter den Franzosen war ein Mann aufgetreten, der viele Kraft und
Fähigkeit besaß und vom Glükk wunderbar begünstigt wurde. Er hieß
Napoleon Bonaparte und war der Sohn eines Advokaten in Ajaccio
auf der Insel Korsika (geb. den 5. Februar 1708). Als Knabe war er nach
Frankreich in eine Kriegsschule gekommen, und als er heranwuchs, warf er sich
kckk in den Strom der französischen Revolution. Kaum 20 Jahr alt, erhielt er
schon den Oberbefehl über die französische Armee in Italien gegen die Ocstreicher.
Hier that er Wunder der Tapferkeit. Wie ein Prophet sagte er seine Siege
vorher, und seine Worte trafen ein. Die Franzosen vergötterten ihn, machten
ihn nachher zum Obersten in der Republik und nannten ihn Konsul. Mit
Uebermuth fuhr er fort, die Länder und Völker anzugreifen, von denen er glaubte,
daß sie Frankreichs Feinde wären; denn der Krieg war Napoleons Lust und
Eroberung seine Freude. Er konnte ohne beide nicht leben. Jeder zitterte vor-
dem argen Angreifer; denn noch Niemand hatte gegen ihn aufkommen können,
so sehr war daö Glükk mit ihm. Den Engländern nahm er Hannover weg, und
die Ocstreicher schlug er so hart, daß sie mit ihm Frieden machen und das ganze
linke Rheinuser an Frankreich abtreten mußten (0. Febr. 1801). Dadurch verlor
350
unser König MörS, Lingen und Geldern; aber er bekam dafür das Fürstenthum
HtldeSherm und Paderborn, die Reichsstädte GoSlar, Mühlhausen
und Nordhausen, so wie daS Gebiet von Erfurt und noch mehrere Landes-
theile, im Ganzen an 241 QMeilen mit 600000 Einwohnern, und damit konnte
er zufrieden sein. Napoleon war aber mit seinem Glükk und Ruhm noch nicht
zufrieden. Im Jahre 1804 (b. 24. Dez.) ließ er sich zum Kaiser der Franzosen
krönen. Obgleich er dadurch nun die höchste irdische Größe erreicht hatte, so
war er doch nicht ruhig, sondern zog ohne Recht und Ursach Länder ein, wo er
konnte, und verübte Gewaltthätigkeiten, wie es ihm beliebte. Dies w»llten
Rußland, England und Oestreich nicht länger dulden; sie verbanden sich, um
die Franzosen mit den Waffen zur Ordnung zu bringen. Jeder wollte nun
Preußen zum Bundesgenossen haben. Napoleon that große Versprechungen;
doch unser edler König verachtete den ungerechten Eroberer und wies seine
Anträge zurükk. DaS nahm aber der französische Kaiser sehr übel, und von
dieser Zeit an haßte er unsern geliebten Friedrich Wilhelm und unser Vaterland,
und benutzte jede Gelegenheit, um Preußen zu kränken. Ohne erst Anfrage zu
thun, ließ er seine KriegShecre durch preußische Länder marschiren, um die Russen
und Oestreicher an der Dona» zu überraschen, und als unser König sehr ernst
darüber redete, that er, als ob ihm solche Dinge Niemand wehren könne. Dies
konnte Friedrich Wilhelm nicht gleichgültig hinnehmen. Er verband sich
(5, Nov. 1805) mit dem Kaiser Alexander I. von Rußland, versuchte jedoch,
bevor er zu den Waffen griff, den Weg der Unterhandlung. Mittlerweile waren
die Oestreicher (17. Oktober 1805) bei Ulm besiegt worden, und bald darauf
(2. Dezember 1805) geschah die blutige Schlacht bei Austerlitz, wo die beiden
Kaiser Franz II. und Alexander I. eine furchtbare Niederlage erlitten. Oestreich
schloß Friede (26. Dez. 1805). Die Russen zogen sich zurükk und Preußen
ging mil dem stolzen Sieger einen Vergleich ein, wonach es die Länder Anspach
und Baireuth an Baier», Kleve, Neuschatcl und die Festung Wesel
an Frankreich abtrat, und dafür Hannover erhielt. Als aber Napoleon ohne
Vorwissen unseres Königs den Engländern Hannover wieder anbot: da konnte
der edle Friedrich Wilhelm sein Schwert nicht mehr länger in der Scheide lassen.
Er verband sich mit Rußland und Sachsen, erklärte Frankreich den Krieg
und eröffnete denselben am 8. Oktober 1806. Der 72jährige Herzog von
Braunschweig führte die preußischen Krieger in den Kampf. Der König und
die Königin waren selbst bei den Schaaren. Napoleon, an der Spitze seines
Heeres, eilte den Preußen entgegen und besiegte sie in den Gefechten bei Schlei;
(v. Okt.) und bei Saatfeld (10. Okt.), woselbst der tapfere Prinz Ludwig
von Preußen kämpfend fürs Vaterland starb. Am 14. Okt. 1806 entbrannte
die Doppelschlacht bei Jena und Auer st ä dt. Ach, sie fiel sehr unglükklich für
unsern König aus. Die ganze preußische Armee wurde auseinander gesprengt.
Der Eine lief hierhin, der Andere dorthin. Die Haufen, welche eilends nach
Berlin zu zogen, wurden eingeholt und mußten sich ergeben. Die wichtigsten
Festungen: Erfurt, Spandau, Stettin, Küftrin, Magdeburg und
Glogau wurden von feigen oder verrätherischen Kommandanten ohne Schwert-
streich übergeben. Nur der tapfere General Blücher vertheidigte Lübekk, bis
weder Pulver, noch Blei, noch Lebensmittel für Menschen und Vieh mehr
vorhanden waren. Da erst gab er sich gefangen.
Der König und die Königin mußten bis nach Königsberg i. Pr. fliehen.
Ach, die gute Landesmutter bekam auf der Flucht das Nervenfieber und mußte
mitten in der schweren Krankheit oft in den Wagen gelegt und weiter gefahren
werden, damit sic nicht den Franzosen in die Hände falle. ' Aber sie duldete, wie
eine Christin, und Gott, der Herr, erhielt sie in ihrem Elende und gab ihr.
Genesung. Am 27. Oktober zog Napoleon schon in Berlin ein, nahm alles
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Geld, und was GeldeSwcrth hatte, weg und eilte immer dem Könige nach.
Bald hatte der Siegreiche unser ganzes Vaterland erobert. Endlich kamen die
Russen zu Hülfe; zu ihnen stieß das kleine, übrig gebliebene preußische Heer.
Bei der Stadt Ey lau in Pr. entbrannte eine fürchterliche Schlacht, die blutigste
im ganzen Kriege. Sie währte zwei Tage (d. 7. u. 8. Febr. 1807). Das
Blut floß in Strömen auf den Schnee hin, so schrekklich war der Kampf.
Keiner hatte jedoch gewonnen. Es erfolgte eine viermonatliche Waffenruhe.
Am 1-1. Juni geschah eine neue blutige Schlacht bei Fried land. 19 Stunden
focht man; endlich siegten die Franzosen. Die Russen und unser König mußten
bis nach Memel znrükk, einige Stunden von der russischen Grenze. So war
denn Alles für Preußen verloren. Nur wenige Festungen vertheidigten sich brav
und hielten sich. Graudenz wurde hart von dem Feinde belagert. Sie ließen
dem Kommandanten Kourbier sagen, der König von Preußen habe das ganze
Land verloren; er möge also die Festung nur übergeben. _ Da sagte der
Kommandant: „Nun, so will ich versuchen, wie lange ich König von Graudenz
sein kann." Und die Festung ergab sich nicht. In Pillau ließ der Kommandant
H e rm a n n seinen Sarg in die Mitte der Soldaten tragen und sprach: „Kameradei',
lebendig übergebe ich die Festung nicht. Wer mich überlebt, lege meine Gebeine
in diesen Sarg. Schwört mir: Preuße» oder todt!" Alle schwuren und Pillau
hielt sich. Auch K o l b er g wurde nicht erobert. Der wakkere General G n ei sen a u
wehrte sich hier wie ein Löwe. Ihm halfen der brave Major Schill und der
vortreffliche 70jährige Bürger Nettelbekk. Diese drei Männer fetzten Alles
dran, sich bis aufs Aeußerste zu vertheidigen. Es gelang ihnen, bis endlich das
Wort „Frieden" erscholl. Am 9. Juli 1807 wurde er zu Tilsit geschlossen.
Ach, es war ein höchst unglükklicher Frieden! Unser guter König mußte alles
Land vom Rhein bis an den Elbfluß, und dazu auch Südpreuße» und Danzig
abtreten. Das waren an 2700 QM. mit ö Millionen Einwohnern; also weit
über die Hälfte des ganzen Königreichs. Napoleon schenkte die polnischen Länder
dem Könige von Sachsen, der gleich nach der unglükklichen Schlacht bei Jena
und Auerstädt dem Rheinbünde beigetreten war und dafür den Königstitel
erhalten hatte. Die schönen Landestheile zwischen Rhein und Elbe kamen unter
dem Namen: „Königreich Westphalen" an Napoleons Bruder Hieronymus.
Außerdem mußte Preußen 140 Millionen Thaler Kriegskosten bezahlen und durfte
nur 42000 Mann Soldaten halten. Welche schweren Bedingungen! Dein guten
Könige und der guten Königin brach fast das Herz bei solchem Unglükke. Er
schrieb an die abgetretenen Unterthanen: „Ich scheide von euch, aber wie rin
Vater scheidet von seinen Kindern. Euer Andenken wird nie auö Meinem und
der Meinigen Herzen vertilgt werden."
Dem Könige Friedrich Wilhelm war nur ein kleines Land geblieben. Es
hatte ungefähr 4 Millionen Einwohner. Und wie sah es in diesem Ländchen aus!
Städte und Dörfer waren venvüstet; der Handel lag still; überall zeigten sich
Noth und Elend. Die Franzosen marschtrten nach dem Frieden nicht ab, sondern
blieben ruhig liegen und sogen das Land schrekklich auö. Der gute König litt
unendlich mit seinen Unterthanen. Er traf viele heilsame Einrichtungen, um
dem Lande aufzuhelfen, wobei ihn die trefflichen Männer Stein, Hardenberg,
Gneisenan und Scharnhorst mit Rath und That unterstützten. Alle
Zwangsrechte, wie z. B. die Leibeigenschaft, der Dicnstzwang u. s. w. wurden
aufgehoben. Der Adel verlor seine Steuerfreiheit. Für sämmtliche Städte des
Reichs erschien eine neue Städteordnung. Ohne die von Napoleon vorgeschriebene
Truppenzahl zu übersteigen, führte man eine allgemeine Waffen Pflicht,
eine eigentliche Volksbewaffnung ein. Der Wohlstand des Landes aber sank
immer tiefer. Zur Tilgung der 140 Millionen Thaler Kriegskosten mußte das
arme klein« Land monatlich 3'/r Million Thaler zahlen. Die Steuern mußten
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darum erhöbt und vermehrt werden. Selbst der edle Landesvater zahlte für sich
und feine Güter die Abgaben, wie der Geringste im Lande. Ja, er gab sogar
all sein Gold - und Silbergeschirr und ließ es zum Besten des Landes verkaufen.
Allein die Noth wuchs mit jedem Tage. Napoleon zerknikkte Preußen im Frieden
mehr, als im Kriege. Endlich zogen die Franzosen ab, und am 23. Dez. 180!)
hielten König und Königin ihren Einzug in Berlin. Mit unbeschreiblichem Jubel
wurde das hohe Paar von dem Volke begrüßt. Es war, als ob kein Elend da
gewesen sei, nun der König mit seiner Familie wieder in der Mitte seiner Unter-
thanen stehe. Aber ach, das Jahr 1810 brachte ein neues, großes Leiden. Die
gute, fromme Königin hatte viel Sorge und Gram ausgestanden. Sie wurde
kränklich. Im Juli erkrankte sie so sehr, daß keine Hoffnung zum Besserwerden
da war. Trauernd und weinend knieten der König und seine Kinder um daö
Lager der Dulderin. Diese suchte ihren Trost jenseits, wo jede Thräne von
unsern Augen abgewischt werden soll. Im höchsten Schmerze der Krankheit rief
sie: „Ach, meine hüten Kinder! — Mein Gott, mein Gott, verlaß mich nicht! —
Erlöser, kürze mein Leiden!" — Und nach wenigen Minuten war sie nicht mehr,
die gute Königin. Sie war hinübergegangen in das Reich des Friedens, zum
Vater der ewigen Liebe. — Daö waren des Herrn Füße in tiefen, tiefen
Wassern. Aber still!! Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten
dienen! Das haben auch der König und sein Volk erfahren. Bis diese Stunde
müsse» wir dem Herrn danken für die Wege, welche er uns führte; — für die
wunderlichen zuerst, dann für die ebenen und sanften.
*
Bis zum Jahre 1812 hatte Napoleon den höchsten Gipfel seiner Größe und
seines Ruhms erstiegen. Die meisten Fürsten auf dem Festlande Europas standen
unter seiner Botmäßigkeit. Nur Einer, der Kaiser von Rußland, konnte cS
noch wagen, de» Befehlen des französischen Zwingherrn z» trotzen. Jetzt sollte
auch das russische Reich vernichtet werden. Furchtbare Streitmaffen wurden
aufgeboten zum Kriege wider Rußland. Oestreich und Preußen, so wie der ganze
Rheinbund mußten Hülfstruppen stellen. Im Frühjahr 1812 eröffnete Napoleon
den verhängnißvollen Feldzug gegen Alexander. Ueber 500000 Streiter zu Fuß
und zu Roß, mit 1300 Kanonen, zogen dem feindlichen Reiche zu. Schon im
Juni überschritt die „große Armee" den Niemen und drang mit unglaublicher
Schnelligkeit vor. Siege folgten auf Siege. Nach wenigen Monden hielt Napoleon
seinen Einzug in Moskau (15. Sept.). Hier wollte er den Winter über sich
und seinem Heere gütlich thun. Aber Todeöstille herrschte in der alten Hauptstadt.
Nur schwache Greise, alte Matronen und verdächtiges Gesindel erblikkte man hier
und da. ES währte nicht lange, so fing es hier und da und dort an zu brennen.
Bald stand die ganze Stadt in Flammen. Die Russen wollten lieber Hab und
Gut verlieren, als ihre Freiheit. Mit Moskaus Pracht sanken auch die Plane
des stolzen Napoleons in Asche. Moskaus Brand war das Noth- und Freuden-
feuer für ganz Europa, und seine lodernden Flàmmea waren das erste Morgen-
roth der wieder erwachenden Freiheit. Mit genauer Noth entrann Napoleon dem
verheerenden Feuermeere. Im Oktober desselben Jahres begann er seinen Rükkzug.
Aber die rächende Hand Gotteö kam über ihn. Früher, denn gewöhnlich, stellte
sich der Winter ein. Es wurde gräßlich kalt, und der Schnee fiel ellenhoch. Die
Franzosen, an solche Kälte nicht gewöhnt und von den grimmigen Russen verfolgt,
erlitten furchtbare Niederlagen; die fürchterlichste und schaudervollste aber traf sic
bei dem Uebergange über die Berezina (26. und 27. Nov.). Der gräßlichste
Hunger, die schrckklichste Kälte, die nimmer ruhenden Feinde bereiteten den Fliehenden
ein grenzenloses Elend. Barfuß, in zerrissenen Kleidern, bleich, abgemagert,
wankten sie über die eisigen Schneefelder. Jede Nacht erfroren Biele, und an
den erloschenen Wachtfeuern fand mau am Morgen halbverbrannte Leichname von
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solchen, die, um sich zu wärmen, sinnlos in die Flammen gekrochen waren.
Pferdefleisch war ein köstlicher Bissen. Mancher arme Soldat saß, vor Schmerz
und Hunger säst wahnsinnig, im Schnee und kaute an seinen eigenen Händen
und Fußen. Bon der ganzen „großen Armee" kamen kaum 30000 zurükk, und
die meisten von ihnen trugen den Keim eines baldigen Todes in ihren erfrornen
Gliedern. Alles Geschütz, alles Gepäkk, alle Beute, aller Raub war verloren.
Nichts brachte man aus Rußland mit. — Daö war Gottes Finger! —
Der General 3)off, welcher die preußischen HülfStruppen kommandirte,
machte mit den Russen einen Vertrag, ftekktc einstweilen sein Schwert in die
Scheide und wartete nur, bis sein König ihm befehlen würde, dasselbe gegen
Frankreich zu ziehen. Die Russen drangen an den Preußen vorbei, eilten den
Franzosen nach und befreiten Berlin von diesen lästigen Gästen. Napoleon hatte
schon im Dezember sein Heer verlassen und war nach Paris vorausgeeilt, um
aufs Neue zu rüsten. — Die plötzliche Wendung des Schikksals Napoleons flößte
den unterjochte» Staaten den Muth und die Hoffnung der Selbstbefreiung ein.
Allen voran ging Preußen, das am tiefste» gebeugte. — Wir müssen
uns erhebe» ! Zetzt oder nie!
„Soll n»s die SBtllfsiv lautier schände» !
„Siel»!' Seiner grobe Wurf gewagt!
„Da« Blatt, wie bald kann sui)’® doch wenden!
„Seid nur getrost und »»verzagt!"
So dachte jeder Preuße. „Einer für Alle und Alle für Einen!" Dieser
Gedanke beseelte auch den Geringsten im Volke. Der König, welcher in Napoleons
Schikksal den Finger Gottes erkannte und die begeisterte Stimmung seines
treuen Volkes wahrnahm, eilte nach Breslau und erließ (13. Februar 1H13)
von hier aus den Aufruf ans Vaterland, sich zu rüsten zum heiligen Kampfe.
Und in herrlicher Begeisterung erhob sich das preußische Volk. Alles griff zu
den Waffen. Jünglinge, Männer, Greise, ja selbst hochherzige Jungfrauen in
Männerkleidung eilten herbei, um mit Gott für König und Vaterland zu streiten.
Die Hochschule» waren geschlossen, die Werkstätten standen leer, der Pflug auf
dem Felde ruhte; denn Alle hatten sich um ihre» geliebten König geschaart. Wer
nicht mitziehen konnte, der half die Freiwilligen ausrüsten, der gab Geld und
Gut her, um auf diese Weise der heiligen Sache zu dienen. Arme Jungfrauen,
die Nichts zu geben hatten, brachten drö Hauptes Schmukk, die schönen langen
Lvkken, dem Baterlande zum Opfer dar. Viele edle Vereine wurden gestiftet,
um Bedürftige zum Kampfe auszustatten, um die Verwundeten und Kranken zu
pfleaen. Ganz Preußen war eine große Waffenstättc geworden. Eine solche
Begeisterung mußte etwas Großes hervorbringen.
Am 28. Februar 1813 schloß unser geliebter König mit Kaiser Alerander
einen Bund, und am 17. März erklärte er Frankreich den Krieg. Napoleon
war indessen auch nickt müßig gewesen, sondern hatte eine trefflich gerüstete
Armee von 350,000 Mann zusammengebracht, und mit dieser zog er nun nach
Deutschland. Bei Lützen und Giro ß -Gör sch en geschah (2. Mai) die erste
große Schlacht. 120,000 Franzosen standen gegen 70,000 Russen und Preußen.
Diese kämpften wie die Löwen und wichen keinen Schritt. Vergebens ließ
Napoleon 80 Kanonen auf einen Punkt fahren und Tod und Verderben in die
Reihen der Unsrigen schleudern; vergebens rief er seine Garde. Am Abende
hatte er keinen Fuß breit gewonnen, wohl aber 1000 Mann Gefangene und
10 Kanonen verloren. Die Verbündeten gingen über die Elbe zurükk und
bezogen bei Bau zen ein festes Lager. Napoleoi; eilte ihnen nach. Eine mörderische
Schlacht entbrannte. Zwei Tage wurde gekämpft (20. und 21. Mai). Das
Blut floß in Strömen. 20,000 Franzosen, aber auch 12,000 der Unsrigen,
bedckkten das große Leichenfeld. Friedrich Wilhelm und Alerander zogen
sich nach Schlesien zurükk, um sich gehörig zu verstärken. Napoleon trug auf
354
Waffenstillstand an. 3)ic_ Verbündeten gingen darauf ein. Unsere Krieger
aber murrten darüber. Die Fürsten hatten jedoch Alles weislich berechnet. Sie
gewannen Zeit, sich aufs Neue zu rüsten. Ein russisches Hülfsheer rükkte heran.
Oestreich und Schweden traten den Unfrigen bei. Am 17. August ging der
Waffenstillstand zu Ende. Der Krieg begann aufs Neue. Die Verbündeten
hatten drei grosie Heere aufgestellt. Der Fürst Schwarzenberg führte das
Hauptheer, welches in Böhmen stand, an, und bei ihm waren die drei verbündeten
Herrscher selbst gegenwärtig. Blücher stand mit 80,000 Mann Preußen und
Russen in Schlesien. An der Nieder-Elbe standen 100,000 Mann unter
Johann von Schweden. Napoleon wußte nicht recht, wie er das Werk
angreifen sollte. Er schikkte 80,000 Mann ab, um Berlin zu nehmen. Sie
kamen bis Groß beeren, zwei Meilen von Berlin. Hier stand Bülow. Mit
einem Hurrah, unter Trommelschlag und Trompetenschall ging er auf die Feinde
loö. Der Regen strömte gewaltig vom Himmel herab, so daß die Gewehre
nicht loöbrannten. „Mit dem Kolben drein!" kommandirte Bülow. Die
Franzosen geriethen in Verwirrung und flohen in größter Eile (23. August).
Napoleon war unterdessen gegen den Helden Blücher gerükkt. Dieser aber zog
sich weise über die Katzbach zurükk. Schwarzenberg kam miCdem Hauptheere
aus Böhmen heran und ging auf Dresden los. Napoleon eilte schnell zurükk,
um das wichtige Dresden zu schützen, und ließ den Marschall Macdonald
mit 80,000 Mann in Schlesien. Daraus hatte Blücher gewartet. Jetzt
zog er der französischen Armee wieder entgegen. Am 26. August traf er sie
an der Katzbach. Ruhig ließ er sie den Fluß überschreiten. Endlich aber rief
er: „Nun hab' ich genug Franzosen herüber! Jetzt, Kinder, vorwärts!"
Im Sturmschritt ging- auf die Franzosen los, trotz Regen und Unwetter.
Der alte Blücher, das Schwert in der Faust, Allen voran. Die Preußen
erfochten einen glänzenden Sieg, machten 18,000 Gefangene, eroberten 103
Kanonen, 250 Wagen und eine Menge Fahne». Unser König ernannte Blücher
zum Feld marschall und Fürsten von Wahlstatt, und seine Soldaten
hießen ihn von da an immer den Marschall Vorwärts. Bei Dresden waren
die Verbündeten nicht so glükklich. Hier erkämpfte der französische Kaiser am
26. und 27. August einen blutigen Sieg, den letzten auf deutscher Erde.
12,000 Oestreicher hatten die Waffen geftrekkt, und Schwarzenberg lief selbst
Gefahr, gefangen genommen zu werden. Das Bundesheer zog sich nach Böhmen
zurükk. Van dam me sollte ihm mit 30,000 Man» den Rükkzug abschneiden,
und dann wollte Napoleon von der andern Seite kommen und über dasselbe
herfallen. Der Plan war schlau ausgedacht. ^ Aber der Mensch denkt und Gott
lenkt. Bei Kulm und Mellendorf in Böhmen wurde der stolze Bandamme
(am 20. und 30. August) von den Verbündeten unter Ostermann und Kleist
gänzlich geschlagen und mit 12,000 der Seinen gefangen genommen. Nun beschloß
Napoleon in seinem Grimme abermals, Berlin zu nehmen. Sein kühner und
tapferer Marschall Ne» sollte diesen Streich watzen. Er brach mit 80,000
Mann auf. Bei dem Dorfe Dennewitz, unwert Jüterbog, empfingen ihn
Bülow und Tauenzien mit nur 40,000 Manu. Am 6. September kam eö
zum Treffen. Mit bewundernöwerther Täpferkeit und Ausdauer hielten die
Preußen den stürmischen Angriff des überlegenen Feindes aus und errangen einen
blutigen Sieg, bis am Abend die Schweden und Russen herbeikamen, die
Niederlage der Franzosen vollendeten und die Fliehenden verfolgten. Am 3.
Oktober kam es bei Wartenburg an der Elbe zu einer niörderischen Schlacht,
wo die Preußen unter Bork, insonderheit aber die Landwehr unter Horn,
Wunder der Tapferkeit verrichteten und den Franzosen unter Bertrand eine
blutige Niederlage bereiteten. Napoleon sah nun wohl ein, daß er die
Verbündeten auf andere Weise angreifen müsse, um zum Ziele zu kommen. Er
355
verließ Dresden und zog mit seiner ganzen Streitmacht in die große Ebene vor
Leipzig. Jetzt trat auch Baiern zu den Verbündeten über (8. Oktober).
Diese zogen nun von allen Seiten heran und umringten die Franzosen wie eine
eherne Mauer.
' *
Da, wo einst Gustav Adolph glorreich gestritten, waren nun alle Krieger
versammelt: Napoleon mit 180000 Mann und 000 Kanonen: die Verbündeten
mit 250000 Mann und 1000 Kanonen. Am 10. Oktober begann der entscheidende
Kampf, die „große Völkerschlacht" genannt. Ein dichter Nebel lag ans
den Feldern, und der Morgen war düster. Gegen 9 Uhr wurde es Heller, und
nun brachen die Russen und Preußen los. Ein gewaltiges Kanonenfeuer fing
an, daß die Erde erbebte, und selbst die ältesten Krieger bekannten, ein solcbes
Krachen nie gehört zu haben. Mit furchtbarer Erbitterung und großer Tapferkeit
wurde von beiden Seiten gefochten. Südöstlich von Leipzig drangen die Verbündeten
rasch vor, so daß die französische Schlachtlinie weichen mußte. Aber Napoleon
führte den Kern seines Heeres heran, stellte seine Linie wieder her, und der Sieg
neigte sich auf seine Seite. Sogleich ließ er in Leipzig mit alle» Glokken läuten.
Aber er hafte zu früh läuten lassen. Schwarzenberg bemerkte von einem
Thurme aus die Gefahr; rasch ließ er frische Truppen heranrükkcu, und die
Franzosen mußten wieder weichen.— Blücher stand im Norden von Leipzig und
hatte bei M öff ern eine gar blutige Arbeit. Dreimal wurde das Dorf genommen,
dreimal ging cü wieder verloren. „Nun," sprach der alte General Horn, „so
wollen wir einmal ein Hurra machen." Und im Sturmlaufe drang sein Fußvolk
vor; die Franzosen mußten weichen. Jetzt rükkten die französischen Seesöldaten,
erfahrene, tapfere Krieger, heran. „Vorwärts! Eingehauen!" rief Aork seinen
Husaren zu, und sofort stürzten diese Braven i» das Getümmel, hiebe», stachen
und ritten Alles »jeder, und Furcht und Schrekkcn kam über die Feinde. Sie
eilten nach Leipzig zurükk. Blücher hatte den Sieg erkämpft, 50 Kanonen erobert
und 9000 Gefangene gemacht. So war cs Abend geworden; Tausende von
Wachtfeuern brannte», und acht Dörfer und Flekken loderten empor. Viele brave
Krieger schliefen den Todesschlaf, und viele lagen auf dem Schlachtseldc verwundet,
ächzten und stöhnten und flehten den Himmel um Erbarmen an. *— Am folgenden
Tage wurde wenig oder gar nicht gefochten, und Napoleon suchte Friedens-
unterhandlungen einzuleiten. Aber vergebens. Am 18. Oktober früh um 8 Uhr
entbrannte der Kampf von Neuem, und furchtbarer, als das erste Mal. Von
Mitternacht her drang Johann von Schweden und Blücher, von
Morgen der russische General Beningsen und von Mittag der Oberfeldhcrr
Schwarzenberg mit der stärksten Macht vor. Dieser hatte den blutigsten
Kampf zu bestehen. Ihm schikkte Napoleon den Kern seines Heeres bei
Probstheida entgegen. Ein furchtbares Blutvergießen begann hier. Zuletzt
konnten die Streiter nicht mehr über die Leichen hinweg. Auch Blücher stritt
an diesem Tage wieder sehr glükklich. Napoleon sandte ihm Garden über Garden
entgegen. Vergebens! Der Alte ließ sich nicht irre machen. „Nur immer
vorwärts!" Die Sachsen und Würtemberger hatten bisher für Napoleon streiten
müssen; aber nun hielten sie'ö nicht mehr läi^ger aus. Mit klingendem Spiel
gingen sie zu ihren deutschen Brudern .über und stritten nun für die gerechte
Sache. Ein Dorf nach dem andern wurde den Franzosen genommen, und die
Verbündeten drangen immer weiter vor. Von einer Anhöhe herab, bei einer
zerschossenen Windmühle, leitete Napoleon die Schlacht. Ihm gegenüber auf
einem Hügel standen Kaiser Franz, Kaiser Alexander und unser geliebter
König. Noch war es nicht Abend, da sprengte Schwarzenberg heran: „Wir
haben gesiegt; der Feind zieht fort!" Da stiegen die Fürsten von ihren Rossen,
356
knieten nieder und dankten Gott fiir den Sieg. Alle, die bei ihnen waren,
thaten ein Gleiches.
Kaum graute der Morgen des 19. Oktober, so stürmten die Preußen auf
Leipzig loö, drangen in die Stadt ein und wurden mit Jubel empfangen. Der
König von Sachsen wurde alö Gefangener nach Berlin geschikkt. Die Flucht
des französischen Heeres war grausenhaft. Viele Franzosen fanden in den Wassern
der Elster ihren Tod; zahllose fielen in die Hände der Sieger. Auf dem
Schlachtfelde aber lagen an 80000 Leichen und zahllose Verwundete. Napoleons
Macht war gebrochen! Deutschland war frei! —
Hör’, liebe deutsche Jugend an, was heute Gott, der Herr gethan;
nimm’s wohl zu Ohr und Herzen! Das Land, da ihr geboren seid, das Land
der Treu’ und Redlichkeit, war einst ein Land der Schpierzcn.
Ein fürchterlicher Zwingherr kam, der uns die liebe Freiheit nahm,
uns schlug mit eiscrn’n Ruthen. Der Vater musste frohnen geh’n, der Sohn
weit weg zu Felde stch’n, für unsern Dränger bluten.
Da sah der Herr vom Himmel drein, erbarmt’ sich uns’rer Noth und
Pein und fuhr herab in Wettern! Held Blücher und Held Schwarzenberg,
von Gott erseh’n zum grossen Werk, die wurden Deutschlands Retter.
Bei Leipzig in der Völkerschlacht, da ward dem Feind Garaus gemacht;
wir schlugen ihn zu Roden! Und Fürst und Volk fiel auf die Knie’: „Gott
hass gethan!“ so riefen sic, und schöpften wieder Odern.
Drum, wer ein Deutscher heissen mag, halt im Gcdäehtniss diesen Tag
auf ew’gc, cw’go Zeiten. Und kommt ein Feind, gebt euch die Hand, lasst
uns fiir’s liebe Vaterland, wie die bei Leipzig, streiten.
•*
Napoleon floh mit seinem Heere dem Rheine zu, von den Verbündeten mit
allem Eifer verfolgt. Da litten die Franzosen oft gräßliche Noth; Kranke,
Verwundete, Sterbende blieben auf der Straße liegen, und mancher Tapfere rang
am Wege mit dem Hungertode. Bei Frcibnrg an der Unstrut wurden die
Fliehenden von Port angegriffen (2I.Okt.), und bei Hanau, im Kurfürftenthum
Hessen, suchte ihnen der bairische General Wrede den Rükkzug abzuschneiden.
Aber Napoleon setzte alle seine Kraft daran und schlug sich mit großem Verluste
durch (JO. Okt.) Am 2. Novbr. zog er über den Rhein und hat ihn nie mehr
überschritten. Die von den Franzosen noch besetzten Festungen: Stettin, Danzig,
Erfurt, Torgau, Magdeburg u. a. m. mußten sich alle mit ihrer Besatzung
ergeben. Bald darauf verlor Napoleon auch Holland und die Schweiz.
In den letzten Tagen des Jahres 1813 überschritten die Heere der Verbündeten
an verschiedenen Stellen den Rhein und drangen in das Innere von Frankreich.
Ende Januar (1814) hatte Napoleon schon wieder ein Heer von 130000 Mann
beisammen. Mit diesem zog er den Verbündeten kühn entgegen. Am 1. Februar
(1814) stieß er auf den alten Blücher, der mit 20000 Mann bei Brienne
stand. Von beiden Seiten wurde hart gekämpft; aber eö kam zu keiner
Entscheidung. Da stellte sich Blücher an die Spitze der Seinen und rief: „Ihr
nennt mich den Marschall Vorwärts; nun will ich euch zeigen, was Vorwärts
heißt!" — Wie ein Blitz jagte er voran, die Soldaten muthig und unaufhaltsam
hinter ihm her. Die Franzosen mußten weichen. Die Schlacht war gewonnen.
Jetzt machte der Bund Friedensvorschläge, welche aber Napoleon stolz zurükkwies.
Nun drangen die Feinde unaufhaltsam gen Paris vor. Der französische Kaiser
legte sich auf die Lauer und brachte dem arglosen schlesischen Heere mehrere
blutige Niederlagen bei. Blücher mußte sich zurükkziehen und nahm eine feste
Stellung auf den Höhen von Laon ein. Am 9. März kam es hier zu einem
fllrckterlichen Kampfe. Trotz aller Wuth und Tapferkeit konnten die Franzosen
Nichts ausrichten. Sie erlitten eine furchtbare Niederlage, verloren 46 Kanonen,
357
50 Wagen und an 12000 Gefangene. 'Nun versuchte Napoleon die Verbündeten
durch eine List los zu werden. Er zog mit seinem ganzen Heere dem Rheine
zu, in der Erwartung, daß die Bnndestruppen ihm folgen würden. Allein der
Bund merkte diese Finte, sandte den Franzosen in der Ferne 10000 russische
Reiter nach, um jene sicher zu machen; aber die ganze Armee setzte sich rasch in
Bewegung und marschirte auf Paris los. Am 29. März war das Ziel erreicht.
Die Stadt leistete kräftigen Widerstand; als aber der Montmartre erstürmt
und mit Kanonen bepflanzt war, bat inan um Schonung. Am 31. März zogen
die Verbündeten als Sieger in Frankreichs Hauptstadt ein. Napoleon wurde des
Reiches entsetzt (2. Apr.) und auf die Insel Elba verwiesen, deren Herzog er
sein sollte. Ludwig XVIII., ein Bruder Ludwig XVI., wurde König von
Frankreich. Am 30. Mai kam darauf der erste pariser Friede zu Stande.
Der Bund benahm sich sehr großmüthig: Frankreich blieb in den »alten Grenzen
von 1792. So schien also endlich die lang ersehnte Ruhe hergestellt zu sein.
Aber der Friede war nicht von Dauer; denn einerseits herrschte in Frankreich
sehr bald wieder eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem nxuen Könige; anderseits
entstanden auf beut WienerKo n g r c ß heftig? Entzweiungen unter den verbündeten
Mächten selbst. Dieses Alles beobachtete Napoleon unverwandten Blikkes von
seiner Insel auS, und plötzlich erschien er (1. März 1815) mit seinen 1100
Garden, die man ihm gelassen, wieder ans französischem Boden. Ganz Frankreich
empfing seinen alten Kaiser mit Frohlokken. Alle Soldaten gingen zu ihm über;
wie im Triumph gingS vorwärts, und schon am 20. März zog er als Herrscher
in Paris ein. — Als die Nachricht von Napoleons Rülllehr nach Wien kam,
vergaß man schnell alle Zwistigkeiten. Oestreich, Preußen, Rußland lind England
erneuerten ungesäumt ihren Bund gegen den gemeinsamen Feind. Napoleon
versprach zwar, den pariser Frieden pünktlich beachten zu wollen und fortan nur
dem Glükke seines Volkes zu leben. Umsonst! Die Heere der Verbündeten zogen
über den Rhein. Aufs Neue sollte ein furchtbarer Kampf beginnen. Bald hatte
auch Napoleon seine alten Krieger um sich versammelt^ und mit einem ansehnlichen
Heere, voll Muth und Entschlossenheit, zu siegen oder zu sterben, zog er feinett
Feinden entgegen. - Der erste Angriff war dem alten Helden Blücher zugedacht.
Bei Ligny entbrannte eine mörderische Schlacht (Ili. Juni 1818) und die
braven Preußen erlitten eine entsetzliche Niederlage. 15000 Todte und Verwundete
und 15 Kanonen kostete ihnen der heiße Tag. (Sin ähnliches Schikkfal bereitete
der Marschall Ney den Engländern unter Lord Wellington. Ant folgenden
Tage stellten sich diese bei Belle Alliance oder Waterloo, einem Dorfe
unweit Brüssel,' auf, und Wellington ließ Blüchern sagen, wenn er ihn unter-
stützen wolle, so wollte er eine Schlacht wagen. „Ja wohl," sagte Blücher, „ich
komme morgen mit der ganzen Armee und werde tüchtig helfen." Am 18. Juni
(1815) ging Napoleon auf die Engländer los. Wüthend kämpften die Franzosen.
Aber die Engländer schlugen alle Angrisse zurükk; doch ihre Reihen wurden
immer dünner. Aengstlich sah Wellington nach der Sonne und sagte: „Ich
wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen." In diesem Augenblikke blitzte
auch das Feuer einer Batterie auf, und in der rechten Seite der Franzosen erhob
sich ein fürchterlicher Kanonendonner. „Nun, Gott sei Dank!" rief Wellington,
„da ist der alte Blücher." Durch schlechte Wege aufgehalten, hatte der Held
nicht eher eintreffen können. Aber nun ging er auch rasch ans Werk. „Marsch!
Vorwärts, meine Kinder!" Und der Kampf entbrannte aufs Neue. Vergebens
versuchte Napoleon, die Preußen zurükkzuhalten; unaufhaltsam drangen sie vor,
und die Fraitzosen wurden geschlagen, wie fast noch nie. In wilder Flucht ließen
sie Alles, Kanonen, Wagen und Gepäkk, im Stiche. Die rastlosen Preußen
stürmten den Fliehenden nach; überall wurden die Franzosen aufgejagt. Napoleon
selbst kam in Gefahr, gefangen zu werden. Ohne Hut und Degen mußte er
' ; 24
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davonlaufen und seinen Wagen nebst Krone, Kaisermantel und vielen Kostbarkeiten
den Siegern überlassen. Schon am 20. Juni kam er in Paris an. Hier zwang
man ihn, dem Throne zu entsagen. Unter kleinen Treffen und beständigen
Scharmützeln gelangte auch das BundeSheer bis vor Paris und hielt am 7. Juli
znm zweiten Piale einen Siegeseinzug. Tagö darauf traf auch der geflüchtete
König Ludwig XVIII. wieder ein. Napoleon versuchte nach Amerika zu entkommen,
wurde aber gefangen genommen, nach der einsamen Insel St Helena, im
atlantischen Meere, geschikkt, und unter Englands Aufsicht gestellt. Da hat er
noch 0 Jahre gelebt und ist am 5. Mai 1821 am Magenkrebs gestorben.
Am 20. Nov. 1815 kam der zweite pariser Friede zu Staude. Der
kostete Frankreich große Opfer. Es mußte alle geraubten Kunstschätze herausgeben,
700 Millionen Franken Kriegsschulden bezahle», mehre Landeöstriche abtreten, eine
Reihe Festungen auf 3 bis 5 Jahre dem Bunde übergeben und 150000 Mann
Bundestruppen darin unterhalten. Nun wurden auch die Verhandlungen auf
dem Wiener Kongreß wieder fortgesetzt. Preußen bekam alle Länder wieder, die
eS im Frieden von Tilsit verloren hatte; außerdem erhielt cö noch einen großen
Theil vom Königreich Sachsen, schöne Länder am Rheinstrome, auch schwedisch
Pommern nebst Rügen und das Großherzogthum Posen. Dagegen trat es an
Baiern und Hannover einige entlegene Landestheile ab.
Die drei Monarchen, Franz, Alexander und Friedri ch W ilHelm III.,
schlossen mit einander einen heiligen Bund, wonach sie alö Bevollmächtigte
der Vorsehung, ihre Unterthanen nur allein nach den Grundsätzen der heiligen
Religion unsers Heilandes zu regieren gelobten. Fast alle Fürsten und Staaten
traten demselben bei. Außerdem vereinigten sich sämmtliche Fürsten und freien
Städte Deutschlands zu einem bleibenden Bunde, um Deutschlands Ruhe
und Sicherheit nach innen und außen zu erhalte». So feierte denn endlich ganz
Europa, insonderheit aber das unterdrükkte und verhöhnte Deutschland seinen
Triumph über Frankreich. Aller Kampf hatte nun ein Ende! —
„Sticht uns'rer Ahnen Zahl. nicht künstliche« Gewehr,
„Die Eintracht schlug den Feind, die ihren Arm delcdte.
„Lernt, Brüder, eure Kraft; sie ist in eurer Treu!
„Ach, würde sie noch jetzt bei jedem Leser neu!
*
Seit dieser Zeit ist sogar Vieles anders geworden, alö es früher war, daß
man wohl sagen kann: wir leben in einer neuen Zeit. Gott erhöhte die
Gedemütbiglen wieder. In den deutschen Landen kehrte Ruhe und Wohlstand
zurükk. Besonders Preußen und Oestreich, die so viel gelitten hatten, erholten
sich immer mehr und bildeten mit Rußland drei große Mächte im Osten von
Europa, deren Fürsten immer bemüht waren, den Frieden zu erhalten und in
ihrem Lande, jeder auf seine Weise, eine gute Einrichtung nach der andern Hu
machen, und nach und nach zu bessern, was nicht gut war. Unser guter Kömg
suchte durch eine vortreffliche Regierung, durch ein wohlgeordnetes Militairwesen
sein Land zu beglükken und zu sichern. Akkerbau, Gewerbe, Fabriken und
Manufakturen wurden befördert, Kunst und Wissenschaft sorgsam gepflegt und
für Kirchen und Schulen aufs beste gesorgt. Im Westen Europas war es nicht
so ruhig. Die Franzosen wurden nach und nach unzufrieden mit ihrem Könige,
empörten sich endlich, vertrieben König Karl X. (1830) und setzten den Herzog
von Orleans, Ludwig Philipp, an dessen Stelle, der aber auf dem gefahr-
vollen Throne viele schwere Tage erlebte und endlich (1848) auch sein Heil in
der Flucht suchen mußte. Den Franzosen haben eö Andere nachgemacht: In der
Schweiz vertrieb man die alten Regierungen; Belgien riß sich von Holland
los, und Polen wollte sich von Rußland losreißen, was aber nicht gelang.
Schon früher aber hatten die Griechen das türkische Joch abgeworfen (1827)
und bildeten nun, nach einem heftigen Kriege 'mit den Türken, ein neues
359
Königreich; Spanien ist durch Empörung und Bürgerkriege jämmerlich
zerrissen, und selbst das reiche, mächtige England ist innerlich nicht in Ruhe.
Zu diesen Veränderungen kamen andere: Es wurden viele neue Erfindungen
gemacht, und was sonst wohl den Handel und die Gewerbe hinderte, hinweg
gethan; manche Städte vergrößerten sich; neue Fabriken entstanden; die Straßen
und Postanstalten wurden verbessert; Dampfschiffe führten Menschen und Waaren
mit großer Schnelligkeit über Fluß und Meer; mit noch größerer Schnelligkeit
aber fuhren die Dampfwagen auf eisernen Bahnen dahin; Alles begann zu
reifen. Fremde Gegenden und Menschen zu sehen, ist jetzt nichts Neues mehr.
Alles regt sich: Jeder sucht es dem Andern zuvor zu thun; alle menschlichen
Künste sind gar. hoch gekommen; man weiß viel; man lernt viel; die Jugend
lernt mehr, als sonst die Alten wußten; die Menschen sind klüger geworden, und
es ist eine Zeit gekommen, wo Jeder sich freier bewegen kann,'als sonst. —
Ist das nicht sehr erfreulich? Da sind ja die Menschen viel glükklicher
geworden, als sonst, sollte man denken. Daö sind sie aber keineSwegeS, sondern
sie erfahren, was schon die Alten haben erfahren müssen: daß alle Erdengüter
den Menschen nicht gl ükkli ch machrn und daö Herz uicht
befriedige» können. Daher war in dieser Zeit viel Unzufriedenheit und
Mißbehagen und Viele meinte», cS »Nisse noch ganz anders kommen, wenn
unsere Leute zur wahren Wohlfahrt gelangen sollten. Weil sie aber nicht
merkten, wo es anders werden soll, nämlich intstdndig im Herzen, so warfen sie
die Schuld auf die Obrigkeit und meinten, wenn sie selbst zu regieren hätten,
sie könnten es schon besser machen. Daher sind in vielen Ländern so arge
Empörungen gegen die Obrigkeit ansgebrochen und haben große Noth
und Verwirrung angerichtet. — Nein, es ist nur Eins, was die Menschen
wahrhaft glükklich machen kann, nämlich der Glaube an den Herrn Jesum,
welcher allein der Welt zum Retter gegeben ist. Viele haben auch in der letzten
Zeit dieses Glükk gesucht und gefunden, und da sie es für sich besaßen, so
wünschten sie eö auch Andern mitzutheilen und dachten an daö Wort des Herrn:
„Gehet hin und lehret alle Völker!" Da haben sich denn Vereine
gebildet, um die Bibel in allen Landen und Sprachen zu verbreiten und den
Heiden und allen Völkern, die Christum noch nicht kannten, Ihn zn verkündigen
als das Heil der Welt. Und darüber fand man, was man auch unter uns
thun könne, um Gottesfurcht und wahren Glauben zu befördern, und hat sich
der Kinder, der Armen, der Verwahrlosten, Verlassenen, Gefangene» und aller
derer, die, obwohl sie getauft sind, ohne Gott, ohne Christum, in Unglauben
und Sünde dahin leben, mehr als sonst angenommen. Wie erschrekklich viel
heidnisches Wesen, heidnische Finsterniß, heidnischer Sündendienst sich mitten in
der evangelischen Kirche noch findet, ist zu bekannt. Was nun die christliche
Liebe thut, um das Verirrte zu suchen und das Verlorne zu retten und zu
Christo zu führen, das nennt man das Werk der innern Mission. Gott
wolle eS segnen an denen, welche eS treiben und an welchen es getrieben wird,
und sein Reich der Liebe und des Friedens auf Erden herrlich werden lassen.
Indeß lasset uns die Hauptsumme aller Geschichte hören: „Gerechtigkeit
erhöhet ein Volk, aber die Sünde ist der Leutc V erderb e». Sv
demüthiget euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, daß er
euch erhöhe zu seiner Zeit; denuden Hossärtigen widerstehet der
Herr, aber den Demüthigen giebt er Gnade. Alles Fleisch ist
wie Gras u n d alle Herrlichkeit der Menschen, wie des Grases
Blume. Daö Gras ist verdorret und die Blume abgefallen, aber
des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit; und es ist in keinem Andern
Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin
wir können selig werden, denn allein Jesus Christus."
24*
,360
Am 7. Juni als am ersten Pstngsttage des Jahres 1840 beschloß der
geliebte König Friedrich Wilhelm III. seine irdische Laufbahn, nachdem er
42 Jahre lang unter eben so großen Stürmen des Schikksals, als unter großem
göttlichen Segen regiert und sein Haus für die Ewigkeit wohl bestellt hatte.
DaS Erste, was sein Sohn und Nachfolger-
Friedrich Wilhelm IV. (1840 — ?), der jetzt regierende König, that,
war, daß er seinem Volke sagte: Er sei vor Gott en tsch l ossen, in den
Wegen seines Vaterö zu wandeln. Darauf empfing er zuerst im
September desselben Jahres 1840 zu Königsberg in Pr., und dann am 15.
Oktober zu Bcrliu die Huldigung seines treuen Volkes. Als aber der König ^u
Königsberg diese Huldigung empfangen und vom Throne herab mit Thränen in
den Augen vor Gott gelobt hatte: ein gerechter Richter- ein treuer,
sorgfältiger, barmherziger Fürst und ein christlicher König zu
sein, — und als nicht allem in Königsberg, sondern auf dem ganzen Wege
ihm daö Volk aller Orten von Grund seines Herzens entgegen gejauchzt hatte;
da wvlltcns ihm mit dem Allen bei seiner Rükkkehr nach Berlin die Berliner
fast zu viel machen, und er sagte: „Ich habe noch Nichts gethan. Soll ich nun
diese Aeußerungen dankbar annehmen, so bedinge ich mir auö, daß, wenn es
mir einst unter Gottes Beistand gelingen wird, recht Viel für daö Land gethan
zu haben, und ich kehre dann wieder zurükk, Sie mich ganz still in diese
Mauern einziehen lassen." So demüthig sprach der König; denn er wollte nicht,
daß er schon so viel geehrt würde, wie sein Vater geehrt war, den er gar nicht
vergessen kann und ihn so lieb hat, daß er, alö ein recht gehorsamer Sohn,
Alles so ausrichtet, wie er weiß, daß es sein Vater hat haben wollen. — Als
aber nun an seinem Geburtstage der neue König auch in Berlin die Huldigungen
empfing, und er auch hier vor Gott gelobte, wie er regieren wollte, da sagte er
zu den Fürsten und Großen des Landes: „Ich weiß, daß ich dem Aller-
höchsten Herrn, von dem ich meine Krone habe, Rechenschaft
schuldig bin von jedem Tage und von jeder Stunde meiner
Regierung. Wer Gewährleistungen fü r die Zukunft verlangt,
dem gebe ich diese Worte. Eine bessere Gewährleistung kann
weder ich, noch irgend ein Mensch auf Erden geben. Sie wiegt
schwerer und bindet fester, als alle Versicherungen auf Erz und
Pergament verzeichnet; denn sie strömt auS dem Lehen und
wurzelt im Glauben." Und dann sagte er zu seinem versammelten Volke:
„Im feierlichsten Augenblikke der Erbhuldigung meiner deutschen Lande,
„der edelsten Stämme des edelsten Volkes, und eingedenk der unaussprech-
lichen Stunde zu Königsberg, die sich jetzt wiederholt, rufe ich zu Gott dem
„Herrn, er wolle mit seinem allmächtigen Amen die Gelübde bekräftigen, die
„eben erschollen sind, die jetzt erschallen werden, die Gelübde, die ich zu
„Königsberg gesprochen, die ich hier bestätige. — Ich gelobe, mein Regiment
„in der Furcht Gottes und in der Liebe der Menschen zu führen; mit offnen
„Augen, wenn es die Bedürfnisse meiner Völker und meiner Zeit gilt; mit
„geschlossenen Augen, wenn es Gerechtigkeit gilt. Ich will, so weit meine
„Macht und mein Wille reichen, Friede halten zu meiner Zeit — wahrhaftig
„und mit allen Kräften das edle Streben der hohen Mächte unterstützen, die
„seit einem viertel Jahrhundert die treuen Wächter über den Frieden Europa’s
„sind.“ (De» Königs Worte fanden in dein jubelnden Znruf der Menge einen freudigen Wie-
derhol!.) „loh will vor Allem dahin trachten, dem Vaterlande die Stelle zu
„sichern, auf welche es die göttliche Vorsehung durch eine Geschichte ohne
„Beispiel erhoben hat, auf welcher Preussen zum Schilde geworden ist für
„die Sicherheit und die Rechte Deutschlands. In allen Stükkcn will ich so
„regieren, dass man in mir den ächten Sohn des unvergesslichen Vaters und
361
„clor unvergesslichen Mutter erkennen soll, deren Andenken von Geschlecht zu
„Geschlecht im Segen bleiben wird. Aber die Wege der Könige sind thränen-
„reich und thränemverth, wenn Herz und Geist ihrer Völker ihnen nicht hülf-
„reich zur Hand gehen. Darum in der Begeisterung meiner Liebe zu meinem
„herrlichen Vaterlande, zu meinem in Waffen, in Freiheit und im Gehorsam
„gebornen Volke“ (die letzter» Worte sprach Se. Majestät mit hocherhobcncr Stimme, woraus
ein rauschender, lang hallender Jubelruf auSbrach, der erst ans wiederholtes Winken Sr. Majestät
nachließ), „richte ich au Sic, meine Herren, in dieser ernsten Stunde eine ernste
„Frage! Können Sic, wie ich hoffe, so antworten Sie mir im eigenen Namen,
„im Namen derer, die Sie entsendet haben, Ritter! Bürger! Landleute! und
„von den hier unzählig Geschaarten Alle, die meine Stimme vernehmen
„können — ich frage Sie: Wollen Sic mit Herz und Geist, mit Wort und
„That und ganzem Streben, in der heiligen Treue der Deutschen, in der
„heiligen Liebe der Christen mir helfen und beistehen, Preussen zu erhalten,
„wie es ist, wie ich es so eben, der Wahrheit entsprechend, bezeichnete —
„wie es bleiben muss, wenn cs nicht untergehen soll? Wollen Sie mir helfen
„und beistehen, die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche
„Preussen mit seinen nur 14 Millionen den Grossmächten der Erde zugesellt
„ist? — Nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit,
„Vorwärts - Schreiten in Alters-Weissheit zugleich und heldcnmüthiger Jugend-
„kraft? Wollen Sie in diesem Streben mich nicht lassen noch versäumen,
„sondern treu mit mir ausharren durch gute wie durch böse Tage — 0 !
„dann antworten Sie mir mit dem klaren, schönsten Laute der Muttersprache,
„antworten Sie mir ein ehrenfestes Ja!“ (Dieses In ertönte mächtig von asten Seiten
des Kopf an Kopf gefüllten Platzes und man konnte in dem Ansdrnkk der vieltnusendstimmigen
Antwort deutlich die ^mschiedeuheit und Wärme wiedervernehmen, mit welcher die Krage an da«
Kolk gerichtet war,) — „Die Feier des Tages ist wichtig für den Staat und die
„Welt — Ihr Ja aber war für mich — das ist mein eigen — das lass ich
„nicht — das verbindet uns unauflöslich in gegenseitiger Liebe und Treue —
„das giebt Muth, Kraft, Getrostheit, das werde ich in meiner Sterbestunde
„nicht vergessen! — Ich will meine Gelübde, wie ich sie hier und zu Königs-
berg ausgesprochen habe, halten, so Gott mir hilft. Zum Zeugniss hebe ich
„meine Rechte zum Himmel empor! “ — Vollenden Sie nun die hohe Feier!--------------
„Und der befruchtende Segen Gottes ruhe auf dieser Stunde!“ —
Der Eindrukk dieser Worte war unbeschreiblich. Der Jubelruf wollte nicht
enden. In den Augen der Tausenden standen Frendcnthränen. Und gewiß, ans
einen Fürsten, der so denkt und spricht, können wir gewiß mit Freude nnd mit
Vertrauen hinsehen. — Neben dem Könige steht in solcher schonen Gesinnung
unsere vortreffliche Königin Elisabeth. Schon als Kronprinzessin ist sie stets die
Versorgerin der Wittwen und Waisen, die Schätzerin armer verlassener Kinder
gewesen. Wohlzuthun und mitzutheilen ist ihr liebes Geschäft. Wir können sic
mit Recht eine treue Landesmutter nennen. So sieht das preußische Volk mit
Freuden ans seinen König und seine Königin hin. Mögen wir unter solcher
gesegneten Regierung ein ruhiges und stilles Leben führen, in aller Gottseligkeit
und Ehrbarkeit! Möge einem Jeden das Schriftwort recht lebendig vor Augen
stehen: „Fürchte den Herrn und den König, und menge .dich nicht unter die
Aufrührerischen, denn ihr Unfall wird plötzlich entstehen."
Heil dir, mein Vaterland, daß dich mit starker Hand dein König schützt!
Treue schwört mancher Mund; aber aus Herzensgrund rufet kein Volk, wie
wir: Heil, König, dir! —
362
Denkwürdigkeiten
aus der
Geschichte des Reiches Gottes auf Erden.
I. Der alte Bund«
„Ich will alte Geschichten cmssprcä'en, die wir gehöret haben und wisse», und die unsere
Väter im« erzählet haben, daß wir cd nicht verhalten ,allen de» Mindern, die hernach kämmen, und
verkündige» den Ruhm des Herrn und seine Macht und Wunder, die er gethan hat. Er richtete
ein Zeugniß ans in Jak ab und gab ein Gesetz in Israel. das er unser» Vätern gebot zu lehren
ihre Kinder, auf dah die Nachkommen lernten, und die Kinder, die noch sollten geboren werden,
wenn sie auskäme», daß sie es auch ihren Kindern verkündigten, daß sie setzten auf Gott ihre
Hoffnung und vergäßen nicht der Thaten Gottes und seine Gebote hielte»!"
x-
,,D aö Reich Gottes ist die in der alten Zeit vor Christo verheißene
und in dem Volke Israel gegründete und vorgebildete, in der neuen Zeit durch
Jesum Christum gekommene und vollendete Anstalt der Liebe Gottes zum Heil
der Menschen." Die Geschichte dieser göttlichen Heilsanstalt beginnt mit der
Schöpfung des Himmels und der Erde und des ersten Menschenpaars; und es
sind seitdem ungefähr 6000 Jahre verflossen. Die ersten Menschen (Adam und
Eva) lebten in der schönsten und fruchtbarsten Gegend Asiens, Eden oder
Paradies genannt, wo die Erde von selbst eine Fülle der herrlichsten Früchte
zur Nahrung für sie hervorbrachte. Beide waren nach bem Bilde GotteS
geschaffen, unschuldig und ohne Sünde, begabt mit Vernunft und freiem Willen.
Sie lebten in kindlichem Glauben und Wandel, in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor Gott und in seliger Gemeinschaft mit ihm. Aber nicht lange dauerte dieser
glükkselige Zustand. Bald wurden sie dem göttlichen Willen ungehorsam und
ließen sich zum Unglauben und Abfall von Gott verleiten. Sie verloren das
Ebenbild Gottes und die selige Gemeinschaft mit ihm, verfielen in die Gewalt
der Sünde und des Todes, und mußten das Paradies mit dem Lcbcnsbaume
verlassen. Dies ist der Sündenfall: Die Ursache alles menschlichen Verderbens
und Elendes. Denn die Sünde ist der Leute Verderben und der Tod der Sünde
Sold. Aber der barmherzige Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern
daß er sich bekehre und lebe. Darum gab er auch gleich nach dem Falle die
trostreiche Verheißung: Einen zu senden, der der Schlange, dem
M örde r un d Lüg ner v o m A„fang, den Kopf zertreten, Süud e
und Tod über w i n d e n und die v e r lvrne Menschheit zur selig c n
G otteö gemein schaft wieder zurükkführen solle. Dieser große
Rathschluß ¿¡um Heil der ganzen Welt erforderte aber eine göttliche Erziehung
und Vorbereitung des Menschengeschlechts. —
Das Reich des Satans breitete sich nun immer mehr und mehr unter
den Menschen aus. Sie wollten sich durch den Geist Gottes nicht mehr strafen
lassen, wurden immer schlechter und gottloser und verfielen in völligen Unglauben.
Gewalt, Lüge und Bosheit nahmen überhand. Die Warnungen der göttlichen
Langmuth wurden verachtet. Darum ließ Gott endlich das verderbte Menschen-
geschlecht durch die Sündfluth umkommen, nachdem es ungefähr 1600 Jahre
gelebt hatte. Nur Noah und seine Söhne, Sem, Ham und Japhet nebst
deren Frauen, rettete Gott. Sie wurden der Stamm eines neuen Menschen-
geschlechts, und Gott veranstaltete durch die Vereitelung deö stolzen und
thörichten Thurmbaueö zu Babel, daß sie und ihre Nachkommen sich auf der
Erde zerstreuten und ausbreiteten, wodurch verschiedene Völker und Sprachen
entstanden. Sem und sein Geschlecht, gesegnet vorn Vater, blieb imHeimathSlande,
und Gott der Herr hat sich ihm nicht uubezeugt gelasstu. JaphetS Nachkommen
363
breiteten sich, nach des Vaters Segen, weit aus gegen Sonnenuntergang. Hams
Kinder blieben in den Mittagsgegenden von Ästen, viele zogen aber auch in
daö heiße Afrika; da wurden sie schwarz gebrannt von der Sonnengluth und
vergaßen bald ihres Gottes. Nimrod, ein Enkel HamS, fing an, ein gewaltiger
Herr zu sein auf Erden. Das von ihm begonnene aber unvollendet gebliebene
Babel am Euphrat wurde der Anfang und die Hauptstadt des großen
babylonischen Reiches. Nicht gar fern davon erbauete einige Zeit nachher
Affur, ein Semit (vielleicht derselbe, welcher sonst auch Ninuö heißt), die
große Stadt Ninive am Tigris, der Anfang und die Hauptstadt des assyrischen
Reiches. Beide Reiche scheinen bald nachher mit einander vereinigt worden zu
sein und bildeten zusammen das babylonisch-assyrische Reich, das erste
unter den sogenannten Weltreichen.
Vier große Weltreiche nennt uns die alte Geschichte: das babylonische,
daö unter Nebukadnezar, — das persische, daö unter CyruS, — das
makedonische, das unter Alexander d. Gr., — und daö römische, das
unter August ns seinen höchsten Glanz erreicht hatte.
*
Kaum 300 Jahre waren seit der Sündfluth verflossen und Noahs weitverbreitete
Nachkommen waren schon fast allgemein von Gott abgefallen. Da sie sich für
weise hielten, wurden sie zu Narren, versanken in Aberglauben und Abgötterei
und verloren die Erkenntniß Gottes. Selbst Sems Nachkommen verfielen in
Götzendienst. Da trat Gott ins Mittel und errettete einen Mann aus dem
allgemeinen Verderben zum Heil der Welt. Daö war Abraham, ein Semit,
2000 Jahre nach Erschaffung der Welt, wie vor Ehristo. Er wohnte in Ur in
Ehaldäa, einem- Lande im östlichen Asien, und erhielt den Befehl »on Gott,
daß er daö Land seiner Väter verlassen und nach Westen ziehen sollte, in ein
Land, welches ihm der Herr zeigen wollte. Es war das Land Kanaan. Abraham
folgte dem Herrn. Und Gott verhieß ihm: Er wolle ihn zu einem
großen Volke machen und ihn segnen, und alle Geschlechter d e r
Erde sollten in ihm gesegnet werden." Abraham glaubte der
Verheißung und so ward ein Bund zwischen ihm und dem Herrn. Daö Zeichen
dieses Bundes wurde die Beschneidung. Fortan lebte Abraham, als ein
erhabenes Muster und Vorbild des Glaubens und des Gehorsams, in einem
vertrauten Umgänge mit Gort, und er wurde reichlich gesegnet. Die ihm
verliehene Verheißung ging über auf seinen Sohn Isaak und auf seinen Enkel
Jakob, welche in den Wegen Abrahams wandelten und das Land der Verheißung
als Fremdlinge mit ihre» Herrden durchzogen. Abraham, Isaak und Jakob, die
Stammväter des israelitischen Volkes, pflegt man auch die Patriarchen
oder die Erzvater zu nennen.*) Jakob hatte zwölf Söhne, unter welchen
Joseph besonders hervorleuchtet durch seine Weisheit, Frömmigkeit und Demuth,
und durch seine merkwürdigen Lcbenöschikksalc, welche in der Hand der göttlichen
Vorsehung die Veranlassung wurden, daß Jakob mit seinem ganzen Hause
(70 Personen) nach Egypten zog und daselbst in der Landschaft Gosen sich
niederließ. Hier lebte er noch 17 Jahre und starb in einem Alter von 147
Jahren. Aber die theure Verheißung des Herrn hatte er nicht vergessen. Sterbend
weissagte er seinen Söhnen: daß der Herr sie wieder zurükkführen werde in das
Land ihrer Väter, und daß aus Juda der Held kommen werde, den die
Völker anhangen würden. Darum wollte er nicht in Egypten, sondern
in dem Lande der Verheißung, an der Seite seiner Väter, in der Erde ruhen.
Auch Joseph nahm vor seinem Ende einen Eid von seinen Brüdern: Wenn euch
Gott heimsuchen wird, so führet meine Gebeine von dannen. So unverwandt
*) Durch Ismael wurde Abraham auch Stammvater der Araber.
364
blitlte» die Patriarchen und ihre Nachkommen nach Kanaan. Sie lebte» im
Glauben ein seliges Leben der Hoffnung, wie alle Gottesfürchtige« zu allen Zeiten.
Von Abrahams Berufung aus Uv und Chaldäa bis zu Josephs Tode
waren gegen 300 Jahre verflossen. Das ist die dreihundertjährige Patriarchenzeit.
•*
Jakobs Nachkommen, die nach seinem zweiten Namen Israel gewöhnlich
Israeliten oder Kinder Israels genannt wurden, blieben 43(j Jahre in
Egypten. In dieser Zeit aber waren sie zu einem großen Volke herangewachsen,
uiid es fürchtete ein grausamer König (Pharao), daß diese Fremdlinge zu
' mächtig werden und sich empören möchten. Darum plagte er die Israeliten auf
alle nur mögliche Weise, behandelte sie wie Sklaven und befahl sogar, daß alle
männlichen Kinder bei ihrer Geburt getödtet werden sollten. Aber der Herr-
wachte über sein Volk. Er hörte das Schreien der Gcängsiigte» und hals
ihnen. Unter den Augen des grausamen Königs erwuchs in einem wunderbar
geretteten Knaben einer israelitischen Familie voin Stamme Levi dem bedrängten
Volke ein Retter. Eö war M o se S. In der Freiheit des Hofes erzogen, und
in der Weisheit der Egypter wohl unterrichtet, aber auch tief durchdrungen von
dem Glauben der Väter, ging ihm das Elend seiner Brüder zu Herzen und
er woslte helfen, da Gott noch nicht wollte. Er mußte fliehen. Im Glauben
verließ er Egypten, lind nach 40 Jahren, da er geprüft, geläutert und gedemüthigt
war, wurde er von Gott berufen und besonders dazu ausgerüstet, sein Volk aus
dem egyptischen Diensthause zu erlösen. Und er vollbrachte cS trotz des vielen
Widerstandes Pharaos. Denn des Herrn Kraft war in ihm und that große
Dinge durch ihn. Jehovah stritt für sein Volk, wie er noch heute streitet für
die Seinen. Die Zahl der Kinder Israel aber, die aus Egypten zogen, war
000,000 Mann, ohne die Kinder. Zum Andenken an diesen Auszug wurde die
Feier des Passah fest es für ewige Zeiten angeordnet. Das Passah lamm
war das Sakrament des alten Testaments. Wir habe» auch ein Passah lamm.
Daö ist Christus, das Lamm Gottcö, welches der Welt Sünde trägt. Moses
führte die Kinder Israel durch die nördlichste Spitze des rothe» Meercö in die
arabische Wüste an den Berg Sinai. Hier blieben sie ein ganzes Jahr und
der Herr erneuerte mit ihnen den Bund, welchen er schon mit ihren Vätern
gemacht hatte. „Ihr sollt mir ein prirste rlichcö Königreich und ein
heiliges Volk sein!" Dies war die große und heilige Bestimmung des
auserwählten Volkes. In ihm sollte das Kleinod des wahren Glaubens und die
Hoffnung einer bevorstehenden Erlösung dem Menschengeschlechte erhalten und
aufbewahrt und einst über die ganze Erde verbreitet werden. Zu dem Ende
erhielt das Volk unter Donner und Blitz von Gott durch Mose daö in alle
Ewigkeit gültige Gesetz der heiligen zehn Gebote, — und auf Grund dessen noch
allerlei andere Gebote und Rechte, insonderheit auch daö Cérémonial- oder
gottesdienstliche Gesetz, welches in seinem ganzen Umfange ein Vorbild
war der zukünftigen Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen. Die Israeliten
bildeten einen Staat, in dem Gott, als unsichtbarer König, regierte (Theokratie).
So stand also Israel da, wie ein Leuchtthurm. Sein Gesetz schied eS streng von
-allen Völkern, und das war nothwendig, wenn es seine Bestimmung: Heil zu
bereiten der Welt, erreichen sollte. - Aber gar bald vergaßen die Israeliten
ihres Gottes, und was er Großes und Gutes an ihnen gethan: Kaum hatten
sie in Egypten und am rothen Meere seine allmächtige Hülfe erfahren und ihm
ein Loblied gesungen, da fingen sic auch schon an zu zagen und zu murren;
kaum hatten sie am Sinai feierlich versprochen: „Alles, was der Herr gesagt
hat, daö wollen wir thun," so wandten sie sich schon wieder zu den Götzen
Egyptens und verwandelten die Herrlichkeit deö unvergänglichen Gottes in das
Bild eines vergänglichen Thieres. So warö damals, so istS noch. Augenlust,
365
Fleischeslust »ud ein hoffärtigeS Wesen: das sind auch jetzt noch goldene Kälber.
Der störrische, undankbare und widerspenstige Sinn, den das Volk Israel
fortwährend zeigte, wurde endlich die Ursache, daß eS noch 40 Jahre in der
arabischen Wüste umherziehe» mußte, in welcher Zeit dem Herrn ein neues
Geschlecht erwuchs. Die heilige Schrift erzählt uns wenig von den 40 Jahren,
in welchen die Kinder Israel als Hirten in der Wüste lebten. Doch mags eine
traurige Zeit gewesen sein, besonders für MoseS. Sein Herz blutete, da er die
Leiber derer verfallen sah, die der Stimme ihres Gottes nicht gehorsam gewesen
waren (Psl. 00.). Das neue Geschlecht führte er noch bis an die Grenzen des
heil. Landes, schürfte ihm in rührenden Abschiedsreden Treue und Gehorsam
gegen Gott und seine Gebote ein, und verhieß ihm einen großen Propheten,
welchen Gott nach ihm senden würde, und dem es in allen Stätten gehorchen
sollte. Aber wehmüthig spricht er: Ich weiß, daß ihrs nach meinem Tode
verderben werdet. — Dann starb MoseS, der Mann GotteS, 120 Jahre alt;
40 Jahre lebte er an Pharaos Hofe in Egypten, 40 Jahre in der Wüste als
Hirte und 40 Jahre an der Spitze seines großen Volkes. Er war der
allergeplagteste unter den Menschenkindern. Aber er stand im Namen seines
Gottes da, und darum war er ein Fels. Lasset uns seiner Worte gedenken!
Denn eS sind Gottes Worte.
*
Iosua, MoseS Diener und Nachfolger, führte das Volk Israel über den
Jordan, eroberte grösitcntheils das Land Kanaan und vertheilte das Erbe unter
die zwölf Stämme. Rüben, Gad und Halb-Mauasse erhielten ihre Wohnsitze
östlich vom Jordan, im Lande Gilead; die übrige» im westlichen Jordanlande,
und zwar: Juda, Benjamin, Dan und Simeon im Süden, — Ässer, Sebulon,
Naphthali im Norden, — Ifaschar, Ephraim und die andere Hälfte Manasse in
der Mitte. Den Leviten aber wurden nur einzelne Städte in den zwölf Stämmen
angewiesen. Ihr Erbthcil war das Opfer des Herrn, des GotteS Israel. Die
Kananiter, Nachkommen Hains, wurden theils vertrieben, theils gctödtet. Sie
hatten sich durch ihren grausamen Götzendienst, verbunden mit den ' schändlichsten
Lastern, dieses göttliche Strafgericht zugezogen. Iosua hielt sich treulich an
Gottes Wort, darum hatte er auch Glükk in Allem, was er that. Und das
erfahren Alle, die also thun. Gott that Wunder und Zeichen für sein Volk.
Israel war stark im Glauben und siegte über alle seine Feinde. Es sah ein,
was es ist, wenn der Herr für sein Volk den siegreichen Arm empor gehoben
hat. Der Glaube allein ists, der die Welt überwindet, und Kanaan wird nicht
gefunden, wo man nicht hat überwunden! — Kurz vor seinem Tode erneuerte
Iosua den Bund zwischen dem Volke und Gott. „Ich aber und mein HauS
wolle» dem Herrn dienen!" So sprach er und das ganze Volk stimmte von
Herzen bei. Nach Josuas Tode führte zuerst der Stamm Juda den Krieg gegen
die Kananiter fort. Aber sie wurden nicht ausgerottet, wie der Herr geboten
hatte, sondern man wohnte zum Theil mitten unter ihnen. Ja, die Kinder
Israel vergaßen bald des einigen Gottes und seines Bündes, schlossen Freundschaft
mit den Kananiter» und wandten sich zu ihren Götzen. Darum verließ sie Gott
auch, und verkaufte sie unter die Hand ihrer Feinde, die sie hart bedrängten
und oft in große Noth brachten. Wenn aber die Israeliten Buße thaten und
um Hülfe riefen zum Herrn, da erhörete sie Gott und erwekkte aus ihrer Mitte
Helden, die sie durch Gottes Kraft aus dem Drukke der Knechtschaft befreiten und
zum Glauben zurükkführtcn, dann aber gewöhnlich auch noch während ihrer
Lebenszeit unter dem Namen der Richter regierten. Solcher Richter waren in
einem Zeitraume von ungefähr 450 Jahren 15 in Israel. Im Ganzen genommen
war die Nichterzcit eine harte und wilde Zeit, voll Krieg und Kampf, voll
Unglauben und Gottesvergessenheit, voll Gewalt und Unrecht, darum voll
366
Jammer und Elend, aber auch reich an Offenbarungen des Ernstes und der
Gnade Gotteö, — eine Zeit, in der man nicht vergessen darf, daß Gott die
Menschen vielfach ihre eigenen Wege gehen und sie darum in tiefes Verderben
und große Rohheiten versinken läßt. Dabei ist er aber nicht ferne, sondern redet
zu dem abtrünnigen Geschlecht manchmal und auf mancherlei Weise. — Unsere
Hülfe kommt allein vom Herrn! Wohl dem Menschen, der sich auf Gott
verläßt! —
*
Unter dem letzten Richter Samuel ging in und mit Israel eine merkwürdige
Veränderung vor. Das Volk verlangte einen König nach der Heiden Weise und
sprach damit die Verwerfung Gottes, des unsichtbaren Königs in Israel, aus.
„Gehorche der Stimme des Volkes," sprach der Herr zu Samuel; „denn sie
haben nicbt dich, sondern mich verworfen!" Von nun an hatte das israelitische
Volk Könige. Nur drei Könige regierten über das ganze Volk und den ganzen
Staat: Saul, aus dem Stamme Benjamin, David und Salomo, aus
dem Stamme Juda.
Saul war anfangs ein guter König, demüthig und gehorsam dem Worte
des Herrn. Er bezwang in der Macht seines Gottes die feindlichen Völker und
hielt Alles in Ordnung. Nachher aber wurde er ungehorsam und wollte seine
eigenen Wege gehen. Da wich der Geist deö Herrn von ihm; und nun trieb
ihn ein böser Geist zu bösen Werken und cnvlich gar zum Selbstmord, — der
eine Empörung gegen Gott ist. — Gehorsam ist besser denn Opfer! Ungehorsam
ist Abgötterei! Herr, zeige mir deine Wege! Und lehre mich deine Steige!
David verrichtete während seiner 40jährigen Regierung große Thaten als
König und«Held: Er bezwang die Kananiter und viele andere Völker, erweiterte
die Grenzen seines Reiches von Damaskus bis Egypten, und von dem
mittelländischen Meere bis an den Euphrat, verlegte den königlichen Sitz von
Hebron nach Jerusalem auf den Berg Zion, holte die Bundeslade von Gibca
nach Jerusalem, ordnete den Gottesdienst und beschloß, dem Herrn einen Tempel
zu bauen. Des Herrn Sache blieb ihm immer die erste Sorge. Mit allem Fleiße
und großer Gerechtigkeit regierte er sein Volk und weidete cö mit aller Treue.
Gleichwohl war sein Leben voll Wechsel und Unfälle, die er zum Theil selbst
verschuldete. Die Ruhe hatte ihn sicher gemacht; er gab der Sünde den Finger,
und siehe, da nahm sie seine Hand, ja, Her; und Sinnen, und bereitete ihm
mancherlei Trübsale, öffentliches und häusliches Unglükk. „Wer sich dünke« läßt,
er siehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle!" Ungeachtet seines Glanzes und
seiner Fehler blieb er doch in der Furcht deö Herrn und behielt ein demüthige-
Herz. Er richtete sich selbst, war stets bußfertig und darum ein Mann nach
dein Herzen Gottes. Seine Psalmen sind Zeugnisse seines innern Lebens.
Durch Leide« und Trülssal vollendet, ging David, im Glauben an den göttlichen
Erlöser, ein zu seines Herrn Freude. Sein Sohn und Nachfolger-
Salomo, ein trauriges Bild menschlicher Schwachheit, regierte 40 Jahre
und war anfangs demüthig, weise und fromm, gewann große Reichthümer,
legte neue Städte an und verschönerte Jerusalem. Insonderheit baute er dem
Herrn einen herrlichen Tempel auf dem Berge Moria und weihet« ihn feierlich
ein. Der Ruf von Salomos Weisheit und seinem Reichthum verbreitete sich
bald über alle Länder, also, daß auch die Königin von Arabien nach Jerusalem
kam, seine Herrlichkeit anzuschauen und seine Weisheit zu bewundern. Dies
machte ihn und sein Volk stolz und übermüthig. Er vergaß seines Gottes,
fiel in Unglauben und Abgötterei, und seine ausgezeichnete Weisheit wurde desto
größere Thorheit. Der Herr zog die Hand von ihm ab und er hatte bis an
seinen Tod viele Unruhe. — Seine lehrreichen Schriften, besonders sein Buch
„Der Prediger," berechtigen zu der Annahme, daß er noch vor seinem
367
Lebensende zur Erkenntniß seiner großen Verirrungen und zur Besserung gelangt
sei. — DaS wahre Glükk beruht nicht in den Gütern dieser Welt. Alles ist
eitel, außer Gott lieben und ihm allein dienen! Die Furcht Gottes ist der
Weisheit Anfang! —
Nach dem Tode Salomos zerfiel das Reich in zwei besondere Reiche. Die
Ursache waren Salomos und seines Volkes Sünden. Die nächste Veranlassung
aber gab sei» Sohn Re habe am. „Ein hart Wort richtet Grimm an!" DaS
zeigte fick auch hier. Denn als der junge König des -Volkes Bitte, um
Linderung der schweren Abgaben, durch eine übermüthige, harte und verhöhnende
Antwort zurükkwicS, da fielen zehn Stämme von ihm ab und erwählten sich
einen eigenen König, Jerobeam, der sie fortan unter dein Namen „des
Reiches Israel" regierte. Nur Juda und B e n j a m i n und der größte
Theil deö Stanimes Levi blieben Rehabeam und dem Hanse Davids getreu,
und bildeten das K ö» i g reich Juda. Das geschah im Jahre 1)75 v. Ehr.
In beiden Reichen lag bereits der Keim der Zerstörung.
*
Das Reich Israel bestand von 075 — 722, also 253 Jahre und hatte
in diesem Zeiträume 19 Könige aus verschiedenen Häusern, die größtentheils
durch Empörung und Meuchelmord zum Throne gelangten, — und alle, der
Eine mehr, der Andere weniger, schlecht regierten und den Untergang deö
Reichs beschleunigten.
Jerobeam führte sogleich einen eigenen Götzendienst ein. Er machte
nämlich nach der Weise der Gghpter 2 goldene Kälber, eins zu Bethel und
eins zu Dan, damit seine Unterthanen nicht nach Jerusalem gingen anzubeten.
Denn er dachte in seinem Herzen: „Sein Königreich möchte wieder zum Hanse
David fasle», so dies Volk soll hinauf gehen, Opfer zu thun im Hanse des
Herrn zu Jerusalem." Um also alle Gemeinschaft beider Reiche aufzuheben,
veranlaßte er den völligen Abfall seiner Unterthanen von dem wahren Gotte.
Ans Jerobeam folgten: Nadab— Bansa, Ella — Sini ri, Amri und
Ah ab. Alle thaten, was dem Herrn übel gefiel. Der schlechteste aber war
Ahab mit seinem Weibe Jsebel, welche mit blutgierigem Eifer die Propheten des
Herrn verfolgte.
Unter Ahab lebte der Prophet El i a S. Dieser verkündigte ihm wegen seiner
Sünden, insonderheit wegen der Ermordung des Naboth, die Ausrottung seines
Geschlechts. Auch Ahabs Söhne, AhaSja und Joram, wandelte» in seinen
und Jerobeamü Sünde». Nun folgte der König Jehu. Er vollzog das
göttliche Strafgericht am Hanse Ahabs und rächte das Blut Naboths und der
Propheten, wandelte aber nicht im Gesetz des Herrn. Unter ihm lebte der
Prophet Elisa.— Jehus Nachkommen, Joahas, Joas und Jerobeam II.,
verachteten auch das Gesetz deö Herrn. Zur Zeit JerobeamS II. lebte der
Prophet Jonas, durch den der Herr zu seinem Volke redete. Aber Jonas erhielt
auch eine Sendung nach der Hauptstadt des damaligen assyrischen Reiches,
Ninive am Tigris, jener ungeheuren Stadt, deren Ringmauer 1500 himmelhohe
Thürme zählte. Während aber Jonas nach Ninive gesandt ward, sandte Gott
den Ainos, einen Propheten aus Juda, nach Israel. Mit AmoS trat auch
der Prophet Hosea auf. — Obwohl die Propheten mit feurigem Eifer und
hoher Kraft gegen die Sünden des Volkes sich erhoben, so vermochten sie doch
nicht, das immer weiter um sich greifende Verderben abzuwenden. Israel hörte
nicht auf die Stimme seines Gottes. Die Verwirrung wurde ininier größer
und die Gottlosigkeit nahm überhand; ein König übertraf darin den andern;
Mord folgte auf Mord und endlich kam die angedrohte Strafe. Unter dem
Könige Hosea kam Salmanassar, König von Assyrien, gegen Israel zu
streiten, bezwang Hosea und machte ihn sich tributpflichtig, und als Hosea zu
368
seiner Befreiung von dieser schimpflichen Abhängigkeit ein heimliches Bündniß
mit So, dem Könige von Egypten, gegen Salmanassar machte, zog dieser
abermals gegen Israel, eroberte das ganze Reich und führte fast alle Einwohner
gefangen nach Assyrien (722). In die entvölkerten und verödeten Gegenden
Israels zogen heidnische Anbauer ans den benachbarten Landschaften des assyrischen
Reiches und vermischten sich mit den wenige» Ueberresten der Israeliten zu einem
Volke, welches von Samaria den Namen „Samariter" erhielt. Sie wandten
sich nach und nach immer mehr vom Heidenthum zur Verehrung des wahren
Gottes. Dessenungeachtet blieb zwischen ihnen und den Juden eine beständige
Feindschaft.
Wie cS den nach des Herrn Willen weggeführten 10 Stämmen erging,
davon wissen wir wenig. Viele werden gewiß durch die schwere Züchtigung zum
Herrn getrieben worden sein und sich gehalten haben an daü Wort, daö schon
Moses aussprach: „Der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott, und wird
nicht vergessen des Bundes, den er deinen Vätern geschworen hat; wenn du ihn
suchest, wirst du ihn finden, wo du ihn wirst von ganzem Herzen und von
ganzer Seele suchen." Ein solcher war Tobias, dessen Leben fleißige Kinder
selbst nachlesen mögen in dem apokryphischen Buche, daö diesen Namen führt.
' *
Daö Reich Juda bestand von 975 — 588 v. Ehr., also 387 Jahr, —
134 Jahr länger, alö daö Reich Israel — und hatte 20 Könige, die alle aus
dem Hause Davids waren und meist in ruhiger Folge den Thron bestiegen.
Wenn gleich auch hier durch Reh ab ea m und seinen Sohn A bi a der Götzen-
dienst eingeführt wurde, so nalnn doch daö Verderben nicht so reißend überhand,
weil einige ' gute Könige die Verehrung des wahren Gottes und eine bessere
Ordnung der Dinge zu erhalten bemüht waren.
Während in Israel der gottlose König Ah ab regierte, saß in Juda
Josaphat, der fromme Sohn des frommen Affa auf Davids Thron. Er
eiferte für Jehovah und schikkte Lehrer im Lande umher, die daö Wort deü
Herrn allem Volk verkündigen mußten. Und als das Reich Israel zerstört
wurde, regierte in Juda der fromme König Hiökias. Er öffnete den unter
seinem Vater AhaS geschlossenen Tempel und versammelte Priester und Leviten
zum Gottesdienste. Sanherib, SalmanassarS Sohn, wollte die Eroberung
seines Vaters fortsetze» und Juda erobern. Schon hatte er daö ganze Land
eingenommen und belagerte Jerusalem, als plötzlich des Herrn Hand über ihn
kam, und von seinem Heere 185000 Mann in einer Nacht starben. Alles floh.
Inda war gerettet.
Unter Hiökias, so wie auch schon unter UsiaS, Jotham und AhaS,
weissagte der königliche Prophet JesaiaS, der Evangelist des alten Bundes.
Ueber ein halbes Jahrhundert hindurch verkündigte er mit reichem Geiste und
großer Kraft den Willen GotteS und soll unter dem gottlosen Könige Manasse,
dem Sohne deö frommen Hiökia, zersägt worden sein. Mit JesaiaS weissagte
(noch vor der Zerstörung deö Nachbarreiches Israel) der Prophet Micha. Neben
der Verkündigung der Strafgerichte Gottes gab auch er, wie JesaiaS, Verheißungen
einer seligen Zukunft des verheißenen Erlösers. Mit JesaiaS weissagten auch
noch (aber wahrscheinlich nach der Zerstörung Israels) die Propheten Nah um
und Joel. — Unter den Nachfolgern HiSkiaS nahm das Verderben wieder
überhand. Schon fein Sohn Manasse führte alle Gräuel des Götzendienstes
wieder ein, und die thätigen Bemühungen des frommen Königs Josiaö, durch
Herstellung der wahren Religion auch dem Staate neue Kraft zu geben, — so
wie das vereinte Wirken der unter ihm lebenden Propheten Zephanja, H abakuk
und Jeremias vermochten nicht das sinkende Reich zu retten. Während Jeremias
vergeblich auf das nahende Unglükk aufmerksam machte, entstand ein Krieg
369
zwischen Necho, dem Könige von Egypten, und Nebukadnezar, dem Könige
von Babel. Josias wollte den Necho nicht durch sein Land ziehen lassen und
ging ihm mit einem Heere entgegen, ward aber in der Schlacht bei Megiddo
von einem Pfeile getrvssen und starb. Daü Volk machte seinen Sohn Joahaö
zum Könige; aber Necho kam nach Jerusalem, setzte den JoahaS ab, schiffte ihn
als Gefangenen nach Egypten und machte seinen Bruder Jojakim zum Könige.
Darauf zog Necho dem Nebukadnezar entgegen, wurde aber von demselben am
Euphrat geschlagen. Nebukadnezar kam nun mit seinem Heere vor Jerusalem,
belagerte und eroberte eö und führte mehrere Gefangene, worunter auch Daniel,
nach Babel. Das war int Jahre 000 v, Chr/und ist der Anfang der 70jährigen
babylonischen Gefangenschaft. — Unter Iojachin, dem Sohne Jojakimö, kam
Nebukadnezar ^übermal und eroberte Jerusalem und führte den König mit den
Vornehmsten und Brauchbarsten des Volkes gen Babel, und ließ nur geringes
Volk zurükk, über welches er seinen Vetter JedekiaS zum Könige machte.
Das war im Jahre 000 v. Chr. — Während der elfjährigen Regierung des
JedekiaS stand Jeremias als Prophet des Herrn unter dem zurülkgebliebenen
Volke. Aber König und Volk wandelten ihre Wege und nicht Gottes Wege.
JedekiaS warf sogar den Propheten inS Gefängniß. Endlich wagte man, im
Bündnisse mit Egypten und den benachbarten Völkern, sich von der Herrschaft
Babels zu befreien. Da kam aber Nebukadnezar mit einem großen Heere,
verbrannte Jerusalent und den Tempel, dessen Kostbarkeiten vorher nach Babel
geführt waren, tödtete den König und seine Familie und führte das ganze Volk,
mit Ausnahme einiger Wenige», welche noch Wein- und Gartenbau im Laude
treiben sollten, nach Babylon, wo sie in verschiedene Landschaften vertheilt
wurden; 588 v. Chr. Der kleine Rest der Zurükkgebliebenen, etwa 4000 an der
Zahl, hörte nicht auf, den Zorn deö Königs aufs Neue zu reizen, und entging
endlich den Wirkungen desselben nur durch die Flucht nach Egypten.
Was der Prophet Jeremias bei und nach der Zerstörung Jerusalems
empfand, lesen wir in „den Klageliedern." Als er auf den Trümmern Jerusalems
klagte und weinte, weissagte Ob ad ja unter den Edomitrrn und strafte dieses
wilde Gebirgsvolk um des Frevels willen, den es an-den bei der Zerstörung
flüchtigen Israeliten verübte, indem eö denselben auflauerte und sie ermordete.
Wie eS den Juden in der babylonischen Gefangenschaft erging, lesen wir
in den Büchern Daniel, Esther und Judith. Siebcnzig Jahre hat diese
Gefangenschaft gedauert und die Juden haben sich immer zurükkgeschnt nach
dem Lande ihrer Väter, nach Jerusalem, der heiligen Stadt. Welchen Schmerz
sie empfanden bei dem Gedanken an ihre Hcimath, das könnt ihr am besten
auS dem 137. Psalm sehen, der auch die Ncberschrift führt: „Der gefangenen
Juden Trauerlied." Aber selbst in der trüben Zeit der Gefangenschaft zeigte sich
die liebevolle Fürsorge Gottes für sein ungehorsames Volk insbesondere darin
thätig, daß er ihm auch hier durch den Mund der Propheten Hesekiel und
Daniel Worte der Ermahnung, deS Trostes und der Hoffnung verkündigen ließ.
*
So waren nun die Reiche Israel und Juda für immer vernichtet, —
„und Israel war ein Scheusal und Spott unter allen Völkern, da sie der Herr
hingetriebcn hatte." — Aber auch über Babel kam das Gericht Gottes. Schon
vor Nebukadnezars Zeit hatte sich von der assyrischen Herrschaft ein kleines
gleich, Medien, losgerissen, zu welchem auch die gebirgige Landschaft Persieii
gehörte, deren Bewohner sich durch Tapferkeit auszeichneten. Ein junger, nach
Ruhm und Thaten durstiger Mann, Cyruö oder Koreö, stellte sich an die
Spitze der Perser, unterwarf sich Medien unv Assyrien, ging dann auch auf das
babylonische Reich los, besiegte den Belsazar und belagerte ihn in der Stadt
Babylon. Belsazar glaubte sich hinter den hohen Mauern und Thürmen sicher
370
und überließ sich ruhig seinen Lüsten und Schwelgereien. Vyrus aber, der einen
Arm des Euphrat hatte abdämmen lassen, drang in der Nacht durch daö leere
Flußbett in die Stadt, in den Pallaft, bis in den Saal, wo man arglos
schwelgte, und der König und alle Großen wurden ermordet. DieS geschah 58!)
v. Ehr., im 67sten Jahre der babylonischen Gefangenschaft. Das babylonische
Reich hatte aufgehört. Das Wort des Herrn war erfüllt: „Herunter du Tochter-
Babel, setze dich in den Staub!" (Jes. 47, 1. u. Jer. 50, 5l.). EyruS warf
nun seine 4 Reiche: Persien, Medien, Assyrien und Babylonien in rin einziges
großes Reich zusammen und nannte eS „das persische Reich." Das war
das zweite große Weltreich. Dieser EyruS nun war es auch, der den Juden
die Erlaubniß ertheilte, in ihr Vaterland zurükkzukehren und den Tempel in
Jerusalem wieder auszubauen. Ungefähr 50000 Gefangene aus den Stämmen
Juda, Benjamin und Levi machten von der Erlaubniß des EyruS Gebrauch
und kehrten (530 v. Ehr.) unter Anführung des Serubabel, eines Enkels
des gefangenen Königs Jo jach in, und unter der geistlichen Leitung deö
Hohenpriesters Josua in ihr Vaterland zurükk, nahmen von Jerusalem wieder
Besitz, erbauten dem Herrn einen Altar und legten sogleich den Grund zur
Erbauung eines neuen Tempels. Die Fortführung deö Tempelbaues aber wurde
durch die Eifersucht der Samariter hintertrieben, weil die Juden ihnen keinen
Antheil daran gestatten wollten, lind als man endlich unter dem dritten Könige
von Persien, DariuS Hystaöpcö, Schutz gegen die Bedrükker hätte erlangen
und das Werk fortsetzen können, baute man lieber sich selbst schöne Häuser und
vergaß des Herrn HauS. Da sandte Gott Wekkstimmen: Dürre und Mißwachs, —
auch die Propheten Haggai und Sacharja traten auf und ermahnten das
Volk, sich zum Herrn zu kehren und ihm ein HauS zu bauen. Daö Volk
gehorchte und der Tempel ward vollendet im sechsten Jahre des Königs DariuS
(515 v. Ehr.). — Die Samariter bauten sich später einen eigenen Tempel auf
dem Berge Garizim. Ein abtrünniger Jude wurde ihr Hoherpriester und sie
nahmen seit der Zeit daö Gesetz MoseS an.
Nach DariuS Tode regierte sein Sohn Lcrreö, in der Schrift AhaSveroö
genannt, d. h. der Großmächtige. Er ist berühmt durch seinen Reichthum und
durch seinen Krieg gegen Griechenland, das er vergeblich zu unterjochen strebte.
Unter seiner Regierung genossen die Juden gewiß manche Begünstigung, da eine
Jüdin, Esther, die Gemahlin und ein Jude, Mardachai, der erste Günstling
des grofimächtigcn Königs war.
Unter der Regierung des fünften Königs von Persien, Artarerreö
Langhand (auch Althasastha), Sohn deö vorigen, kam ein zweiter Zug
Juden, geführt von Esra, aus Babel nach Jerusalem. ESra, ein geschikkter
Schriftgelehrtcr und von den Juden der zweite Moscö genannt, wurde der
eigentliche Begründer des neuen GotteöstaatcS. Er sammelte die heiligen
Schriften, unterrichtete daö Volk auö denselben, setzte Richter ein, ordnete
Schulen und that nach dem Willen seines Gottes. Aber ein Mann kann nicht
das Ganze halten. Bald rissen wieder Unordnungen ein: man vermischte sich
wieder mit den heidnischen Völkern und die Zerrüttung nahm überhand, da bei
einem Kriege zwischen Persien und Egypten große Kriegsheere sich in der Nähe
Jerusalems sammelten. Dieser traurige Zustand bewog den Nehemia, Mund-
schenk des persischen Königs Artarerreö Langhand, nach der Stadt seiner Väter
zu gehen und zu helfen. Er kam mit einer beträchtlichen Anzahl Juden nach
Palästina zurükk (444 v. Ehr.), verschaffte, als ernannter persischer Statthalter,
der Stadt Jerusalem feste Mauern und führte in Verbindung mit Esra überall
eine gute, bürgerliche Ordnung ein7 Nachdem er so im Vereine mit ESra 12
3stfyre in Jerusalem gewirkt hatte, kehrte er (438 v. Ehr.) nach Persien zurükk.
Allein nach etlicher Zeit (408 v. Chr.) kam er wieder nach Jerusalem, fand
371
leider abermals viele eingeriffene Mißbrauche, die er nach Kräften abzuschaffen
suchte.
Ein Zeitgenosse des ESra und Nehenria war der letzte Prophet,
Maleachi (400 v. Chr.). Alle drei Männer haben die eifrigste Sorge getragen,
daß' das Wort Gottes unter dem Volke Israel reichlich wohne. —
Nachdem Gott durch die Propheten in einem Zeitraume von 400 Jahren
geredet hatte, verstummte des Herrn Wort 400 Jahre lang: da redete er am
letzten durch den Sohn, den alle Propheten verkündigten, dem sie alle den Weg
bereiteten und auf dessen baldiges Erscheinen auch Maleachi noch hinwies:
„Siehe! Bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr
suchet, und der Engel des Bundes, den ihr begehret."
*
Nach dem Tode ESras und NehemiaS lebten die Juden noch gegen 70 Jahre
unter der Herrschaft der Perser und genossen der Ruhe. Auch Viele von denen,
die Salmanassar nach Assyrien und Medien führte, mochten nach und nach in
das Land ihrer Väter heimkehren und sie bauten sich wieder an in der Gegend
des Sees Genczareth. Nur in Samarien blieben die Samariter, die immer
feindlicher gegen die Juden wurden.
Nun rükkte die Zeit heran, wo auch Persien fallen sollte. Schon längst
hatten die Perser mit den Griechen gestritten und ganz Griechenland Fesseln
zugedacht. Endlich bildete sich tu Makedonien, einer nördlichen Provinz
Griechenlands, deren Bewohner die übrigen Griechen bisher kaum zu ihrem
Volke hatten mitzählen wollen, ein Reich, welches sich bald über alle griechischen
Staaten erhob. Philipp von Macedonicn machte sich dlirch List und Gewalt
zun« Herrn von ganz Griechenland und faßte den Beschluß, Persien zu unter-
jochen. Schon waren die Heere gerüstet, — da starb König Philipp und hinterließ
die Ausführung seiner Pläne seinem ausgezeichnete» Sohne Alexander dem
Großen. Kaum hatte dieser die Regierung angetreten, so unternahm er auch
schon den Feldzug, schlug den persischen König Dariuö Codomannus in
drei großen Schlachten, eroberte sein ganzes Reich und gründete das dritte, das
griechisch-makedonische Welt re ich. (330 v. Chr.). Auf seinem Zuge
iiach Egypten, welches er ebenfalls eroberte und wo er die später so berühmte
Stadt Alexandrien gründete, kam er auch nach Palästina, besuchte selbst Jerusalem
und behandelte die Juden mit großer Milde, erließ ihnen die Steuern am
Sabbathjahr und gestattete ihnen, frei nach ihren Gesetzen zu leben. Sogar bis
nach Indien drang Alexander vor. Aber schon im Jahre 323 starb der
makedonische Held an den Folgen eines lasterhaften Lebens. Nun theilten sich
seine Feldherrkn in sein großes Reich. Es entstanden mehrere kleinere Reiche,
unter denen besonders drei an Umfang und Macht über die andern hervor-
ragten: daö Stammland Makedonien in Europa, Syrien in Asien, unter
der Herrschaft der Selen cid en, oder Nachkommen des ersten Königs Selen cuS
Nikatvr, und Egypten unter der Herrschaft der Ptolomäer, oder Nach-
kommen des ersten Königs PtolomäuS Lagi. In den häufigen Kriegen
zwischen Syrien und Egypten wurde Palästina oft hart mitgenommen und kam
bald unter syrische, bald unter cgyptische Oberherrschaft. PtolomäuS Lagi aber
behielt das Ucbergewicht und blieb auch Oberherr der Juden. Er zog viele
Tausende derselben nach Egypten, besonders nach Alexandrien, und gab ihnen
gleiche Vorrechte mit dem herrschenden Volke, den Griechen. Aber auch der
syrische König, SeleucuS Nikator, zog viele Juden in die von ihm erbauten
Städte Klein-ÄsienS, besonders nach Antiochien; sie wurden hier ebenso, wie in
Egypten, sehr begünstigt, und verbreiteten sich daher bald in allen Städten.
Hundert Jahre lebten die Juden in stiller Ruhe. Da entstand ein neuer Krieg
zwischen Syrien und Egypten, und Palästina wurde sehr verwüstet; besonders
372
auch durch die Samariter, die viele Juden mit List fingen und sie dann als
Sklaven verkauften. Endlich (ungefähr 200 v. Chr.) wurde das jüdische Land
eine syrische Provinz. Und die Juden konnten sich auch dieses Wechsels freuen,
denn Antiochuö der Gr. (223 — 18G v. Chr.) war ein großer Freund der
Inden. Er that viel für den Ausbau des Tempels-, verpflanzte 2000 jüdische
Familien auf seine Kosten aus Babel nach Klein-Asien, gab ihnen Ländereien,
zehnjährige Steuerfreiheit und noch viele andere Vorrechte. Aber unter seinem
Sohne, Antiochuö Epip Hanes, kam über die Inden eine SchrekkenSzeit,
auf die schon Daniel (Kap. 11, 21. re.) aufmerksam gemacht hatte. Gr nahm
ganz Palästina mit der Hauptstadt Jerusalem in Besitz, besetzte die Burg Zion
mit einem gottlosen Haufen, beraubte den Tempel alseS Goldes und aller
Kostbarkeiten und zerstörte sein Inneres, plünderte die Stadt, riß die Mauern
nieder (107 v. Chr.) und zwang die Juden durch die gräßlichsten Martern zur
Annahme deö heidnischen Götzendienstes (2. Makk. 0. u. 7.). Die Bücher des
Gesetzes Gottes ließ er zerreißen und verbrennen, und Alle, bei denen man
Bücher des Bundes Gottes fand, und Alle, so Gottes Gesetz hielte», tvdtschlagen.
Biele verließen den Glauben der Väter aus Leichtsinn oder Furcht vor dem Tode.
Aber Viele waren auch beständig und ließen sich lieber gualvvll zu Tode martern,
als daß sie vom heiligen Gebot Gottes abfielen.
AntiochuS aber ist auch eines schrekklichen Todes gestorben, und als er sahe,
daß er sterben müßte, sprach er: „Ich kann keinen Schlaf mehr haben vor
großem Kummer und Herzeleid, das ich habe. Ach, wie hat fiches sogar mit
mir umgekehrt. Aber nun gedenke ich an das Uebel, daö ich in Jerusalem
gethan habe." —
Es war aber zu der Zeit, da AntiochuS die Inden so verfolgte, ein helden-
müthiger Mann GotteS, MatthatiaS, in der Stadt Modin und hatte fünf
Söhne. Diese jammerte daö große Elend in Juda und Jerusalem. Sie konnten
den Greuel der Verwüstung und die entsetzliche Tyrannei nicht länger mehr
ansehen. Im Vertrauen ans Gott traten sie für die heilige Sache ihres Glaubens
und ihrer Freiheit den Syrern entgegen. „Wer den Bund Gottes halten will,
der folge mir!" So rief der hochbejahrte MatthatiaS. Freudig schlossen
die Gläubigen sich ihm und seinen fünf Söhnen an, zogen im Lande umher,
rissen die Götzenaltäre nieder imb_ erhielten daö Gesetz wider alle Macht der
Heiden. Nun entstand aber ein heftiger Krieg. Nach dem Tode MatthatiaS
wurde sein Sohn Judaö Makkabäuö, d. h. der Hammer, Anführerder
Juden gegen die Syrer. Nach seinem Beinamen wurde der Name Makkabäer
auf die ganze Familie übertragen. Juda« kämpfte siegreich gegen AntiochuS
EpiphancS, gegen AntiochuS Eurator lind gegen Demetrius, eroberte
Jerusalem, reinigte den Tempel, umgab ihn mit festen Mauern, — machte mit
den Römern ein Bündniß, und fiel endlich im Kampfe gegen die Syrer. Ihm
folgte sein Bruder Jonathan. Er setzte daö Werk seines Vaters und Bruders
mit Tapferkeit und glükklichem Erfolge fort und Demetrius schloß Frieden.
Jonathan nahm seinen Wohnsitz zu Jerusalem, ließ die Stadt wieder bauen,
ihre Mauern aufrichten und erneuerte den Bund mit den Römern. Nach ihm
wählte daö Volk seinen Bruder Simon zum Fürsten und Hohenpriester
( 142 — 135 v. Chr.). Unter ihm erlangte daö jüdische Volk auf einige
Zeit seine völlige Unabhängigkeit wieder, deren es seit länger denn 450
Jahren entbehrt hatte. Die Regierung wurde in der Familie der Makkabäer-
erblich. Simons tapferer Sohn, Johann Hyrkan (135 — 100 v. Chr.)
behauptete nicht nur die Unabhängigkeit, sondern unterwarf sich auch daö
benachbarte und verwandte Volk der Edomiter, welche den jüdischen Glauben
annahmen, und die Samariter, deren Tempel auf Garizim er zerstörte.
373
Unter ihm begannen sich die Sekten der Pharisäer und Sadducäer zu
bilden, zu denen später noch eine dritte, die Sekte der Essäer, kam. Sern
Sohn Ar ist ob ul uö nahm den Königstitel an, und wurde schon nach einem
Jahre ermordet. Ihm folgte sein Bruder und Mörder Alexander Jannäuö
(104 — 77 v. Chr.). Er führte viele Kriege. Nach seinem Tode stritten seine
beiden Söhne, Aristobulus und Hyrkan, um die Herrschaft und riefen
endlich zur Entscheidung dcö Streites die Römer herbei, welche damals, mit der
Gründung eines neuen (deö vierten) Weltreiches beschäftigt, in ihren Eroberungen
bereits bis Syrien vorgedrungen waren. Der römische Feldherr PompejuS
kam. AriftobuluS, nichts Gutes erwartend, hatte sich zur Gegenwehr gerüstet.
Aber Jerusalem wurde von PompejuS an einem Sabbath erobert (63 v. Chr.).
1200 Juden und viele Priester verloren ihr Leben. Den Tempel rührte PompejuS
nicht an. Aber Jerusalems Mauern ließ er niederreißen. Hyrkan wurde zum
Fürsten und Hohenpriester der Juden ernannt, und AriftobuluS nebst seinen
Kindern als Gefangene nach Rom geführt. Hyrkan regierte von 63 — 37 v. Ehr.
unter Oberherrschaft der Römer.
*
Mit Hyrkan hatte die mehr denn 100jährige Regierung der Makkabäer ei»
Ende. Der römische Feldherr Cäsar ernannte nun den AntipaS, einen
Edomiter, zum Statthalter von Judäa. Sein Sohn war H ero deö der
Große. Aber seine Größe war eine gar gottlose Größe: Er mordete viele
unschuldige Menschen, auch Kinder, ja selbst die Glieder seiner Familie und übte
Greuel aller Art. Um sich die Gunst der Juden zu verschaffen, baute er den
Tempel zu Jerusalem aus, wollte aber nicht dem Gotte dienen, zu dessen Ehren
dieser Tempel war gebaut worden. Sein Tod war schrekklich. Er bekam ein
hitziges Fieber, die Füße schwollen ihm, der Odem wurde stinkend, Krämpfe
zogen ihn zusammen, einige Glieder fingen an zu faulen, Würmer wuchsen in
seinem Leibe, ja die Eingeweide gingen von ihm. Und dabei hatte er noch
unaufhörliche Furcht, er möchte von den Seine» ermordet werden. So starb er
(2 n. Chr.). Nach seinem Tode ward das Reich unter drei seiner Söhne
getheilt. Archelauö erhielt Judäa, Samaria und Jdumäa; HerodeS
AntipaS Galiläa und Peräa, d. i. das südliche Ostjordanland; Philippus
endlich TrachonitiS und einige andere Distrikte auf der Ostfette dcö Jordans.
Archelaus, seinem Vater an Härte und Grausamkeit ähnlich, wurde schon nach
6 Jahren von den Römern entsetzt und verwiesen, und sein Land von einem
römischen Landpfleger verwaltet. Dasselbe geschah auch später mit HerodeS
AntipaS und seinem Lande. —
Seit Maleachi war kein Prophet mehr aufgetreten. Aber mit Verlangen
sahe man der Sendung eines Propheten entgegen. Die gotteöfürchtigen Seelen
hielten sich an Gottes Wort; es war ein Licht auf ihrem Wege. Leider gab es
freilich auch damals Viele, die das Wort Gottes verkehrten und verachteten. Die
Pharisäer wollten der Schrift Meister sein, verwirrten aber die Gemüther
durch ihre vielen, oft gut gemeinten Zusätze, denen sie am Ende mehr Werth
beilegten, als dem Worte Gottes selbst; sie hatten den Schein eines gottseligen
Lebens, aber die Kraft desselben verleugneten sie: — inwendig waren sie voll
Heuchelei und Untugend. Die Sadducäer wollten aus sich selber weise sein,
verachteten Gottes Wort oder nahmen eö doch nicht vollständig an, und was sie
noch annahmen, erklärten sie nach ihrem Gelüst; sie sagten: eö sei keine
Auferstehung, noch Engel, „och Geist, und lebten in der Regel in fleischlichen
Lüsten, die wider die Seele streiten. Die Essäer meinten, in der Einsamkeit
nur gottselig leben zu können und dachten nicht daran, daß wir unsern ärgsten
Feind in unserm eigenen Herzen überall mit hinnehmen, und daß der Mensch
zwar nicht mit der Welt, aber doch in derselben leben soll, biö ihn der Herr,
25
374
fein Gott, hinwegruft. — Neben allen diesen Sekten gabs nun auch noch eine
Anzahl einfältiger Seelen, die da hofften auf den Trost Israels, auf den
verheißenen Davidssohn, dessen Reich ein Reich deö Friedens und der Freude im
heiligen Geiste fein würde.
'Das Reich, von dem schon Daniel geweissagt hatte, daß es Alles zermalmen
und zerbrechen werde, war damals zu seiner höchsten Große gekommen: nämlich
daö römische Reich. Dasselbe hatte fast die ganze damals bekannte Welt
unterjocht. Eö war 200,000 Quadratmeilen groß, zählte 120 Millionen
Einwohner und 6000 Städte. Rom an der Tiber in Italien, der Anfang
und die Hauptstadt dieses großen Weltreiches, zählte allein I '/2 Million Menschen.
Diese zur Beherrscherin der Wett bestimmte Stadt wurde ungefähr 700 Jahre v. Chr., also etwa
um die Zeit, al» das Reich Israel seinem Untergänge nahete, von zwei Brüdern, RomulnS und
Mt MUS, mit Lehmhütten erbaut. Durch uuunierbrochcne siegreiche Kriege wuchs das Gebiet und die
Macht der Römer immer mehr und mehr. Anfangs regierte» Könige über Rom; RomulnS war der
erste, nachdem er seinen Bruder ermordet hatte. Später wurde das Königthum abgeschafft und der
Staat eine Republik (KOS v. (ihr.). An der Spihc derselben standen zwei Con sul e. und ihnen zur
Seite der Senat. Durch fortwährende grobe Eroberungen stieg der Wohlstand der Römer immer
höher und höher, — aber auch Verschwendung, Ueppigkeit und Sünden und Laster alter Art traten im
höchsten Maste ei». — GS entstanden innere Zerrüttungen, welche znleht in blutige Bürgerkriege auS>
brachen, deren man besonders drei vor andern unterscheidet. Im ersten Bürgerkriege vergossen
Marins und Sulla in» Kampfe gegen einander das Blut vieler Tausende ihrer Mitbürger, und der
Krieg endete mit einer SchrekkcnSherrschast des Sulla. Im zweiten bekämpften sich Po mp ejus und
Julius Cäsar, und nach der Besiegung de» Ersteren machie sich der Legiere zum Alleinherrscher,
ohne dast der Name einer Republik jegt schon aufgegeben wurde. Cäsar wurde ermordet, und sogleich
brach der dritte Bürgerkrieg ans, welchen besonder» Antonius und Octavianu» mit einander
führten. Rach der Besiegung de» Erster» erhob sich OctaviauuS zum wirkliche» Alleinherrscher mit
dem Kaisersitcl (00 v. Ehr.) und regicric nnter dem Rainen AugustuS 44 Jahre (14 ». Chr.)
Er war der Beherrscher jenes grossen, römischen Weltreiche».
ES herrschte wohl Friede in diesem großen Reiche, aber eS war nicht der
rechte: denn siehe, eS war Alles wüste und leer. Finsterniß bedekkte das Erdreich
und Dunkel die Völker. Man kannte nicht den lebendigen Gott und sein Wort.
Die Heiden waren eitel geworden in ihrem Dichten und Denken und Gott hatte
sie dahin gegeben in verkehrtem Sinn zu thun, was nicht taugt. — Aber schon
hatte auch der treue Gott überall Bahn gemacht für eine neue bessere Zeit.
Schon seit Jahrhunderten war Abrahams Same, in dem ja gesegnet werden
sollten alle Geschlechter der Erde, in allen Theilen des römischen Reiches zerstreut.
Allgemein hatte sich das Gerücht verbreitet: Ein aus Judäa Kommender werde
sich des ganzen Erdkreises bemächtigen. Neberall hieß es: Mache dich auf und
werde Licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf
über dir! Jef. 60, 1.
II. Der neue Bund.
Und als die Zeit erfüllet war, da sandte Gott seinen Sohn, Jesum Christum, — zu suchen
und selig zu machen das Verlorene! —
Und da» Wort ward Fleisch n»d wohncte unter uuö! --
Da» ist je gewisslich wahr, und ein theuer werthes Wort: dass Christus JcsuS gekommen ist
tu die Welt, die Sünder selig zu machen! —
Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein ganze- Haus selig!
4»
Viertausend Jahre nach Erschaffung der ersten Menschen, im 31sten Jahre
der Regierung deö Kaisers AugustuS, 2 Jahre vor dem Tode des jüdischen
Königs HerodeS des Großen, ward Jesus Christus zu Bethlehem, der Stadt
Davids in Judäa, geboren. Ein Stall war sein erster Aufenthalt, eine Krippe
sein Bett. Engel verkündeten seine Geburt und die himmlischen Heerschaaren
feierten dieselbe durch einen Lobgesang. Die alte Zeit, die Zeit der Furcht
hörte auf, die neue Zeit, die der Freude begann. Darum freuet euch in dem
Herrn allerwege und abermal sage ich: freuet euch! — Nach Bethlehem kamen
die Hirten, um im Namen des jüdischen Volkes, und die Weisen aus fernem
375
Morgenlande, tun im Namen der Hetdenwelt ihre Huldigung darzubringen dem
lieben Herrn und Heilande der Welt. Nun, so lasset uns auch hingehen und
anbeten, und Herz und Sinn zum Opfer bringen Dem, der sich für uns
geopfert hat, — der da arm ward, um uns reich zu machen. Denn: So ihr
solches wisset, selig seid ihr, so ihrs thut. — Den gottlosen Anschlag des
heuchlerischen HerodeS, den neu gebornen König der Juden in seinen ersten
Lebenslagen zu todten, vereitelte der liebe Vater im Himmel. — Ja, der Herr
herrscht unter seinen Feinden, so dasi sie den Seinen kein Haar krümmen dürfen.—
Schon als zwölfjähriger Knabe wollte der liebe Jesus nirgends lieber sein, als
in dem, was seines Vaters war, blieb seinen Eltern Unterthan und nahm zu,
wie an Alter, so auch an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen.
Darum, ihr Kinder, gehet hin zu ihm, der ja alle Kinder zu sich kommen
heißet, und lernet von ihm, und fanget an beim Gehorsam gegen Vater und
Mutter, die da euch sind an Gottes Statt. — Als Jesus ein Alter von 30
Jahren erreicht hatte, da erscholl durch Johannes den Täufer die frohe Botschaft
oder das Evangelium: daß der Verheißene gekommen und mit ihm das Himmelreich
nahe fei. Durch eben diesen Johannes, jenen Vorgänger des Erlösers, int Tode
wie im Leben, wurde er dann getauft und durch eilt göttliches Zeugniß als der
Sohn Gottes bestätigt. Nach dem darauf siegreich bestandenen Kampfe mit den«
Versucher trat er sein Lehramt au. Drei Jahre hindurch führte er dasselbe
größtentheilö in Galiläa, wo er umherging, Kranke heilte, Blinde sehend, Lahme
gehend, Taube hörend, Aussätzige rein machte tind den Armen das Evangelium
predigte; Allen aber das angenehme Jahr des Herrn verkündigte. Insbesondere
bei den hohen Festen vernahmen auch Judäa und Jerusalem seine holdseligen
Worte tind waren Zeugen der gnadenvollen Werke seiner Allmacht. Auf den
Reisen auS einer Landschaft in die andere hörten auch die Samariter sein
seligmachendeS Wort und bekannten, dasi sie in ihn» gefunden hätten Christus,
den Heiland der Welt. Wie Jesus überall, im Felde und auf dem Meere, im
Tempel, in Schule» und ans den Wegen lehrte, so ist sein Evangelium nicht
an Ort und Land gebunden. Es ist vielmehr bestimmt, das Licht der ganzen
Welt zu werden.
*
Zu seinen steten Begleitern und Vertrauten, so wie auch zur Fortsetzung
und Verbreitung seines begonnenen Werkes, erwählte sich der Heiland 12 Jünger
oder Apostel, und das innige Verhältniß derselben mit ihrem Herrn und Meister-
ist ein Vorbild der christlichen Kirche und Gemeinschaft. Außer diesen Zwölfen
hatte der Herr noch eine» etwas weitern Kreis von Vertrauten, 70 an der Zahl,
welche nächst jenen zur Gründung des Reiches Gottes ersehen waren.
Die erste öffentliche Predigt, die erhielt, war die Bergpredigt. In derselben
belehrt Christus zunächst seine 12 Jünger, durch sie aber auch alle Zuhörer, und
legt den Sinn und Wandel derer dar, welche in daü neu erschienene Reich
gehören. Gegen das Ende der gewaltigen Rede zeugt er auch von sich und giebt
sich deutlich als den verheißenen Messias, als den Richter der Welt zu erkennen,
welches Zeugniß von seiner Person und Würde der Hauptinhalt aller seiner
künftigen Lehren ist. Um sich bei dem Volke, welches in seiner Erwartung
eines Reiches mit irdischer Macht und Herrlichkeit daü in Christo erschienene
Reich von sich stieß, Gehör zu verschaffen, um den schwachen Seelen, so zu
sagen, unvermerkt beikommen zu können, reichte er ihnen die himntlischen
Wahrheiten unter der Hülle einer Begebenheit des wirklichen Lebens: Er lehrte
in Gleichnissen und Bildern. 'So nannte er sich das Licht der Welt,
das B r o t d e s L e b e n s, e i n e n g u t e n H i r t e n, d e n W e g, d i e W a h r h e i t
und daö Leben. Mit dem Wetnst'okk und dessen Reben verglich er die
innige Gemeinschaft zwischen ihm und seinen Jüngern. Diese nannte er auch
25*
376
seine Heerde, seine Schafe, daö Salz der Erde. Das Bild des kind-
lichen Glaubens und der Demuth hielt er ihnen vor, indem er ein Kind
unter sie stellte und sagte, so müßten sie werden, um in das Himmelreich zu
komme«. Tod und Sterben verglich er mit dem Schlaf, mit dem
Aussäen eines Weizenkorns.
Das Reich Gottes schildert der Herr als das reichste Besitz thun,,
in dem Gleichnisse vom Schatz im Akk er, — als das seltenste Kleinod,
in dem Gleichnisse von der Perle, — als den köstlichsten, nur von der
Gnade zu erlangenden Schmukk, in dem Gleichnisse vom hochzeitlichen
Kleid e. —
Die Geschichte seineö Reiches stellt der Herr dar in dem Gleichnisse
vom Senfkorn, vom Unkraut unter dem Weizen und von den bösen
W ein gärtnern. Im ersten redet er von dem unsichtbaren Anfange und von der
weitern Verbreitung des Reiches und von dem bergenden und nährenden Schutze,
den es allen geistigen Bestrebungen zu Theil werden läßt. Im zweiten spricht
er von den mancherlei Verirrungen, die sich an die Eutwikkelung seines
Reiches 'anschließen werden, von der Mischung der Guten und Bösen in seiner
Kirche, und warnt vor gewaltsamer Bekämpfung der Letzter». Im dritten legt
er den ganzen Verlauf des Abschnittes der Geschichte des Reiches Gottes uns
vor Augen, der mit der Verwerfung deS jüdischen Volkes und mit der Berufung
der Heiden abschließt. —
Von der Vollendung seines Reiches handelt der Herr in dem
Gleichnisse vom Sauerteige, und bezeichnet die Aufgabe, die es in seiner
Vollendung zu lösen habe, und die keine geringere ist, als alle irdische»
Verhältnisse mit seiner erneuernden und umgestaltenden Kraft zu durchdringen;
in dem Gleichnisse vom Fischernetz ist diese Vollendung nach der äußern Seite
als eine Sonderung des Guten vom Bösen bezeichnet; im Gleichnisse vom
reichen Manne endlich läßt uns der Herr einen Blikk thun in die durch jene
Sonderung herbeigeführten verschiedenen Zustände der jenseitigen Welt. —
Auch von den Gliedern des Reiches Gottes handelt der Herr in
verschiedenen Gleichnissen. Er zeigt, wie die Menschen zu ReichSgenossen werden:
nur aus Gnaden des Berufenden. Sie haben sich entweder aus eigener Schuld
von dem ihnen danzebotenen Heile entfernt wie (das verlorne Schaf) die
Juden, — oder sind ohne Schulv dem Heile entfremdet, wie (der verlorne
Groschen) i>ie Heiden. Die göttliche Liebe aber sucht beide. Der ganze Gang
der sich verirrenden, in Elend schmachtenden, reuig sich wieder zum Vater
kehrenden, und von ihm in Gnaden^ angenommenen Menschenherzen wird uns
im Gleichnisse von dem verlornen Sohne dargestellt, und in dem Gleichnisse
von den Arbeitern im Weinberge besonders dies hervorgehoben, daß die
Zeit, in welcher Gott den Einzelnen und ganze Völker zu seinem Reiche beruft,
allein in seiner Hand stehe, wie aber auch eben darum nicht die Zeit, sondern
nur die Demuth der Maßstab ist, wonach der Herr den Arbeitern in seinem
Reiche den Lohn austheilt. —
Wie die Glieder des Reiches Gottes an und für sich sein sollen allezeit
wahr, thatkräftig und vetend, zeigt und fordert er in den Gleichnissen
von den ungleichen Söhnen, vom unfruchtbaren Feigenbäume und
vom ungerechten Richter.
In Beziehung auf ihr Verhältniß zu Gott verlangt er im Gleichnisse
vom Säemann, ein für sein Wort stets empfängliches Herz, — im Gleichniß
von den zehn Jungfrauen, ein wachsames Ohr für seinen Ruf, unter
Wachen und Beten bereit zu sein auf die Änkunft des Herrn, — im Gleichnisse
vom Pharisäer und Zöllner, eine'aufrichtige Beurtheilung ihrer selbst an
seinem Gesetz, nicht aber all Vergleichung mit Andern.
377
Als Verpflichtung der NeichSgenosscn zu einander gebietet der Herr die
Liebe, und zwar eine gebende Liebe im Gleichnisse vom barmherzigen
Samariter, eine vergebendeLiebe, im Gleichnisse vom SchalkSknccht, —
eine fürbittende Liebe, im Gleichnisse vom bittenden Freunde.
In Ansehung unseres Verhältnisses zu den Gütern dieser Welt endlich
verlangt der Herr indem Gleichnisse vom großen Abendmahl, sie sollen
UNS nicht hinderlich sein im Trachten nach dem Himmelreich, — im Gleichnisse
von den anvertrauten Zentnern, wir sollen sic so gebrauchen, daß sic sich
auch wahrhaft mehren, und unS damit Schätze erwerben, die weder die Motten
noch der Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen, — im
Gleichniß vom ungerechten Haus Halter endlich, daß wir uns Freunde
machen mit dem ungerechten Mammon (mit den Gütern, die uns betrügen und
im Stiche lassen).
Seine Lehren bestätigte Jesus durch mitfolgcnde Zeichen und Wunder,
ganz besonders aber durch einen vollkommen heiligen Wandel im
Glauben und in der Liebe, in Demuth und im Gehorsam. Selbst seine
erbittertste» Feinde, die Pharisäer und Sadducäcr, konnten ihn keiner Sunde
zeihen, so sehr sie es auch wünschten. In seinem ganzen Leben und Wirken
zeigte er sich als der wahrhaftige Sohn Gottes, als das höchste und
vollkommenste Muster und Vorbild wahrer Gottes- und Men-
schenliebe. Seinem Wort und Beispiel sollen wir folgen. Denn Niemand
kommt zum Vater, denn durch ihn! — Obwohl er Hütte mögen Freude haben,
gab er sich dennoch freiwillig, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführet
wird, den Verfolgungen seiner Feinde hin, und erlitt, »ach dem Willen seines
himmlischen Vaters, unter Schmach und Leiden den bittern Kreuzestod als ewig
gültiges Opfer des neuen Bundes zur Erlösung und Versöhnung der Welt.
Daö Paradies mit dem Lebensbaume ist wieder geöffnet: Wir haben nunmehr
einen freie» Zugang zum liebenden Vater, und können die verlorene Gemeinschaft
mit ihm wieder erlangen. Daö Alte ist vergangen: Siehe! cs ist Alles neu
geworden!! —
Durch das Sakramcnt der heiligen Taufe oder durch das Bad der
Wiedergeburt und Erneuerung dcö heiligen Geistes werden wir aufgenommen in
den neuen Bund der versöhnenden Liebe und des Opfertodes Jesu. Und das
ewige Denkmal und Siegel dieses Bundes, aber auch zugleich daö Mittel, durch
welches der Sünder in das verletzte Bundesverhältniß reuevoll zurükkkehrt, und
die erneuerte Zusicherung der BnndeSgüter erhält, ist das Sakrament des
heiligen Abendmahls. — So wie nun der Herr Jesus in seiner Lehre
den Weg zum Vater gezeigt hatte, in seinem heiligen -Leben auf diesem
Wege vorangegangen war, durch seinen Tod die Gläubigen von aller Furcht vor-
der strafenden Gerechtigkeit des Vaters befreit hatte: so wies er nun durch seine
Auferstehung und Himmelfahrt auf das Ziel der Vollendung hin, zu
welchem alle gläubigen Bekenner gelangen, und wo sie dann in seliger Gemeinschaft
mit ihm in seinem Reiche leben sollen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und
Seligkeit. Kurz vor seinem sichtbaren Scheiden von der Erde und seiner
Wiederkehr zum Vater erneuerte er seinen Jüngern die schon früher gegebene
Verheißung, daß er ihnen den heil. Geist als Beistand und Tröster senden wolle,
der sie in aller Wahrheit leiten und mit Kraft aus der Höhe ausrüsten werde
und gab ihnen das große Gebot: Gehet hin in alle Welt und lehret
alle Völker und taufet sie im Namen Gottes des Vaters lind des
Sohnes und des heil. Geistes, unt> lehret sie halten Alles, was
ich euch geboten habe! —
*
378
Schon 10 Lage nach der Himmelfahrt ging die Verheißung des Herrn in
Erfüllung. Die am Pfingstfefte zu Jerusalem einmüthia versammelten Jünger
wurden unter außerordentlichen Erscheinungen des heil. Geistes voll, redeten in
fremden Zungen und verkündigten die großen Thaten Gottes. 3000 der
Versammelten nahcten sich den Aposteln mit der Frage: „Was sollen wir thun,
daß wir selig werden?" und vernahmen die tröstliche Antwort: „Thut Buße und
lasse sich ein Jeglicher taufen auf den Namen unseres Herrn Jesu Christi zur
Vergebung der Sünden u. s. w." Sie ließen sich taufe». DaS war die erste
chrihliche Gemeinde und der Anfang der christlichen Kirche.
Die ersten Christen, deren Zahl täglich wuchs, bildeten eine wahre lautere
Gemeinde Jesu, und zeigten durch ihren Wandel, daß cS mit ihnen wirklich
etwas Neues geworden sei. Sie blieben beständig in der Apostel Lehre, tut
Brvtbrcchen und im Gebet. Sie waren c i n Herz und eine Seele: Alle waren
in Liebe mit einander verbunden und hielten ihre Güter gemein. Es war auch
Keiner unter ihnen, der Mangel hatte. — Wahrhaft schöne Worte: „Die
Gläubigen waren ein Herz und eine Seele!" Sie sahen sich also Alle an,
als Glieder eines Leibes. Jeder liebte Gott über Alles und den Andern, wie
sich selbst. Jeder war für den Andern mehr besorgt, als für sich. Die Anzahl
der Gläubigen zu Jerusalem betrug schon mehr als 5000; und dennoch lebten
sie in stiller Eintracht zusammen und machten gleichsam eine Familie aus. Sv
sollte cs jetzt mit jeder Familie, mit jeder Gemeinde, mit der ganzen Christenheit
sein. Alle sollten nur ein Herz und eine Seele sein. Das fordert von uns
der Geist und der Zwekk deö Christenthums, denn als Christen sind wir ja auch
Kinder eines Vaters, Mitgenoffen eines Reiches, Glieder eines Leibes, rein
gewaschen in einer Taufe, erlöset von einem Heilande, geheiligt durch einen
heiligen Geist, erquikkt durch ein HimmelSbrot, Bekenner eines Glaubens,
Erben einer Seligkeit. Aber ach! die Meisten sind nicht ein Herz und eine
Seele! Getheilt sind sie durch und im Glauben; sie thun nicht, was sie glauben,
sie stellen nicht im Leben dar, was sie anbeten, sie erfüllen nicht, was sic
geloben. Es giebt so viele Namenchristen, die bloß dem Bauch dienen, nur
leben, um zu essen, zu trinken und der Sinnlichkeit zu pflegen. Wie sollten
diese einander lieben, da die Liebe keine Letter- und SchmauS-Angelcgenheit ist?
Es giebt so viele Maulchristen, die nur den verbotenen Wollüsten nachjagen.
Wie'sollten diese die wahre Liebe haben, die nur in der Liebe GvtteS gegründet
ist? Es giebt so viele Scheinchrifte», die nur nach Geld trachten, und sich
von der Begierde, reich zu werden, fortreißen lassen. Wie sollten diese ein
Herz und eine Seele sein können, da die Habsucht sie immer weiter von
einander reißt? DaS Betragen der ersten Christen ist also für nnS eine
immerwährende Strafpredigt und eine feierliche Aufforderung, in ihre Fußstapfen
einzutreten. Selig die heilige Gemeinschaft, von welcher gesagt werden kann:
Alle sind ein Herz und eine Seele, denn sie sind vereinigt in heiliger
Vereinigung mit Gott! —
Sie sind, o Jesu, die dich lieben,
Vereinigt durch ein heil'geö Band;
Von deinem reinen Geist getrieben,
Trennt sie kein Erdengut noch Stand.
Sie, deines Reiches echte Glieder,
Sie lieben herzlich sich als Brüder.-
*
Kaum war das junge jBäumchen des neuen GottcSrcicheS innerlich erstarkt,
so ließ auch der Herr schon die Stürme darüber kommen, die aber dazu dienten,
es noch mehr zu befestigen. Statt des anfänglichen Friedens traten Zeiten großer
Verfolgungen^ ein. So ist's immer gegangen und wird noch ferner so
379
gehen. Wo das Reich des Lichts wächst, da regt sich auch das Reich der
Finsterniß mächtig; und Alle, die in Christo Jesu gottselig leben wollen, müssen
Verfolgung leiden. „Der Knecht ist nicht großer, denn sein Herr. Haben sie
mich verfolget, sie werden auch euch verfolgen." Aber: Selig sind, die uni
Gerechtigkeit willen verfolget werden, denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid
ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen. Darum
laßt euch die Hitze, so euch begegnen sollte, nicht befremden. Seid getrost!
Wer Christum bekennet vor den Menschen, den will er bekennen vor seinem
himmlischen Vater.
Zunächst waren die Apostel und die Gläubigen den Bedrükkungen und
Verfolgungen der Juden ausgesetzt. Stephanus hatte die Ehre, der erste
Märtyrer oder Blutzeuge christlicher Wahrheit zu werden. Nach seinem Tode
erhob sich die erste Verfolgung gegen die Christen in Jerusalem. Sie wurden
zum Theil inö Gefängniß geführt, zum Theil getödtct. Die Ucbrigcn aber
zerstreuten sich und trugen daö Wort deö Lebens in alle Städte von Judäa,
Samario und Galiläa, auch nach Syrien, wo Antiochien eine der größten
Christengemeinden wurde und die erste, deren Glieder sich Christen nannten;
nach Phönizien, nach der Insel Cypern und in andere ferne Länder. Durch den
von Philippus getauften Kämmerer der Königin CandaccS kam daö Evangelium
bis nach Aethiopien. Petrus nahm die heidnische Familie deö HauptmanuS
Kornelius in die Gemeinschaft der christlichen Kirche auf. Man unterschied von
nun an Judcnchristell rilid Herdenchristen. Unter dem Könige HerodeS
Agrippa, einem Enkel HerodeS des Großen, entstand bald eine zweite
Verfolgung der Christe», in welcher der Apostel JakobuS, Bruder des Johannes,
hingerichtet, Petrus ins Gefängniß geworfen, aber durch den Engel des Herrn
gerettet wurde. —
*
Bei dem Tode des Stephanus, wie bei der Verfolgung der Christen überhaupt,
war besonders ein Jüngling, Namens Saulus, oder, wie er sich nach seinem
römischen Namen nannte, Parulus, thätig. Als Schüler des berühmten Gnma-
liel gehörte er zu der strengen Sekte der Pharisäer und wütheto gegen die
Christen mit Drohen und Morden. Aber auf einer Verfolgungsreisc nach
Damaskus wurde er eben so mächtig als plötzlich vom Herrn ergriffen,
erleuchtet und erneuert, — und war von da ab der eitrigste Apostel des Evan-
geliums, das auserwählte Rüstzeug des Herrn. Mit Paulus begann eine neue
Zeit des Reiches Gottes, nämlich dessen Verkündigung und Ausbreitung unter
den Heiden. Und der durch Gottes Gnade berufene Apostel erfuhr nun, wie
viel er leiden musste um des Namens Gottes willen. In Damaskus, wo er
zuerst das Wort vom Kreuz verkündigte, trachteten ihm die Juden nach dem
Leben. Da entfloh er bei der Nacht und kam nach Jerusalem. Aber auch
hier stellten die Juden ihm nach; desshalb geleiteten ihn die Brüder nach
Cäsarea und sandten ihn von dort nach seiner Vaterstadt Tarsen, von wo
ihn Barnabas nach Antiochien in Syrien holte, liier wirkte Paulus ungefähr
ein Jahr und unternahm dann als Bote des Friedens drei grosse Missionsreisen.
Die erste grosse Missionsreise machte Paulus mit Barnabas, und
zwar: von Antiochien nach Seleucia; von da nach Salamis und Paphos
auf der Insel Cypern; von Paphos, wo der römische Landvogt Sergius Paulus
bekehrt und der betrügerische Zauberer Bar Jchu von dem Herrn mit Blindheit
geschlagen wurde, schifften die Apostel nach P c r g e im Lande Pamphylien,
gingen von da landeinwärts und kamen nach Antiochien in Pisidien. Viele,
namentlich unter den Heiden, freuten sich der Predigt des Evangeliums und
wurden gläubig; den Juden aber war das Wort von der Versöhnung ein Aer-
gerniss, sic stiossen cs von sich, verfolgten und vertrieben .die Apostel. Diese,
380
voll Freude des heiligen Geistes, flohen nach Ikonicn, wo ebenfalls viele der
Juden und Griechen sich zum Herrn bekehrten. Aber auch hier von den
ungläubigen Juden verfolgt, entwichen Paulus und Barnabas nach Lystra und
Derbe. In Lystra machte Paulus einen Lahmen gesund und das Volk hielt
sie für Götter und wollte ihnen opfern. Paulus aber sprach: „Ihr Männer, was
macht ihr da ? Wir sind auch sterbliche Menschen, gleich wie ihr, und predigen
euch das Evangelium, dass ihr euch bekehren sollt zu dem lebendigen Gott
u. s. w.“ Darnach kamen Juden aus Antiochien und Ikonicn, die überredeten
das Volk, dass sie Paulum steinigten, — und sie meinten. er wäre gestorben.
Aber der Herr beschützt die Seinen. Paulus sollte noch Viel wirken. Die Ver-
folgten gingen nun auf demselben Wege zurükk, stärkten und ermalmcten die
Gemeinden und schifften von Attalia nach Antiochien in Syrien. Die Christen
zu Antiochien lobten den Herrn, als sic hörten, wie grosse Dinge er unter den
Heiden gethan, und wie er diesen die Thür des Glaubens geöffnet. 0, dass doch
auch unser Mund voll Lobes sei, über das, was der Herr in unsern Tagen unter den
Heiden thut I! — In Antiochien angekommen, gingen Paulus und Barnabas als
Abgeordnete der Gemeinde nach Jerusalem zu einer grossen Kirchenversammlung.
Nach derselben trat Paulus die zweite Missionsreise an, und hatte Silas
zu seinem Begleiter.
Das seligmachende Evangelium Gottes zu predigen, scis auch in grossen
Kämpfen, konnte das auserwählte Rüstzeug nimmer lassen. Die bereits gegrün-
deten Gemeinden zu besuchen und zu stärken, ging er durch Syrien und
C il ici en nach Derbe und Lystra (wo er Thimotheus in seine Beglei-
tung aufnahm), durch Phrygien und Gala tien nach Troas (wo auch
Luc as sein Begleiter wurde). Hier schiffte er auf besondern Befehl des Herrn
nach Europa über und stiftete in Macédonien die Gemeinden zu Philipp! und
Thés salon ich. So war denn Paulus der erste Bote des Friedens in unserm
Erdtheil und bald erfüllte er Alles mit dem Evangelio, Was wären wir, so ihn
und andere Boten nicht der Herr gesandt hätte ? — Und rufen jetzt die Heiden
nicht auch uns zu: „Kommt herüber, und helft uns?!“ — In Philipp! fand
Paulus Eingang bei einem gottesfürcht!gen Weibe, Namens Lydia, die liess
sieh taufen mit ihrem ganzen Hause. Bald aber entstand ein Aufruhr im Volk:
Paulus und Silas wurden ergriffen, gestäupet und in das Gefängniss geworfen.
Aber der Herr zeugte in einem Erdbeben für seine gefangenen Knechte und ver-
herrlichte seinen Namen durch die Lösung der Fesseln, die Oeffnung der Thüren
und endlich durch die Bekehrung des Kerkermeisters. Wie in Philipp!, so waren
auch in Thcssalonich Viele, die das Wort Gottes aufnahmen und selig wurden
durch den Glauben an Jesum Christum, also dass der Apostel diese lieblichen
Gemeinden seine Hoffnung und seine Freude nannte. In Folge eines Aufruhrs
musste Paulus Thcssalonich verlassen, ging, von den feindlichen Juden verfolgt,
über Bcröa, woselbst auch Viele sich zu ihm wandten und das Wort Gottes
ihres Fusses Leuchte sein liessen, nach Athen und Korinth in Griechenland.
Dem weltklugen und stolzen Athen war das Evangelium von einem gekreuzigten
Heilande eine Thorheit; aber der Apostel predigte, trotz des Spottes, den Etliche
hatten, um so eifriger und schloss seine weise Rede von dem, den Athcniensern
„unbekannten Gotte“ mit der Predigt von dem Manne, den Gott auferwekkt hat
von den Todten, und der richten wird den Kreis des Erdbodens mit Gerechtig-
keit. In Korinth gewann Paulus dem Herrn eine grosse Gemeinde, vornehmlich
aus Heiden ; nur hielten die Glieder derselben nicht immer fest an einander in
einerlei Sinn und in einerlei Meinung und fehlten oft in dem Einen, was Noth
thut, in der Liebe. Das betrübte den Apostel. Von hier aus schrieb er auch
die beiden Briefe an die Th es s alonic h er. Nach l'/2 Jahr verliess er
Korinth, schiffte nach Ephesus, nach Cäsar ca und ging von hier nach
Jerusalem. Darnach zog er hinab gen A n t i o c h i c n in Syrien, unternahm bald
daraul’ die dritte Missionsreise, durchzog Gal a tien und Phrygien,
stärkte alle Jünger und kam dann nach Ephesus. Hier verweilte Paulus nun
2 Jahre, und durch seine unermüdliche Predigt kam das Evangelium von Jesu
Christo in viele Oerter Kleinasiens. Gott wirkte nicht geringe Thaten durch die
Hände seines treuen Dieners. Das Wort Gottes wuchs mächtig und nahm über-
hand. In Ephesus hatte Paulus auch Gelegenheit, von allen Seiten her Nach-
richten von dem Zustande der Gemeinden einzuziehen, und dieselben durch Briefe
auf den Weg des Heils zu leiten. So schrieb er von hier aus den Brief an die
Galater und den ersten Brief an die Korinther. Es entstand aber durch
den Goldschmied Demetrius ein Aufruhr in Ephesus, und Paulus zog von dannen.
Auf seiner Reise schrieb er den ersten Brief an den in Ephesus zurükkgelassenen
Thimotheils. Von Macédonien aus, wohin er über Troas gereist war,
schrieb er den zweiten Brief an die Korinther, — ging dann nach Grie-
chenland, verweilte drei Monate zu Korinth und schrieb daselbst den Brief
an die Römer. Von Korinth trat Paulus seinen Rükkweg an, reiste abermal
durch Macédonien, ging von Philipp! zu Schilfe über Troas, Milet, die
Inseln Cos, Rhodus, nach Tyrus, Cäsaren, und von hier, obgleich viel-
fach gewarnt, nach Jerusalem. — Kaum war Paulus in dieser Stadt ange-
kommen, so wurde er auch schon von den Juden verfolgt. Der römische Kom-
mandant aber entriss ihn ihren Händen und schikkto ihn zum Statthalter Felix
nach Cäsaren. Hier sass er zwei Jahre im Gefängniss und wurde dann von
F est us als Gefangener nach Rom geschikkt. Etwa im Jahre 63 n. Chr. kam
Paulus in Rom an, und blieb daselbst zwei Jahre in sogenannter weiter Haft,
d. h. er konnte in Begleitung eines römischen Soldaten hingehen, wohin er
wollte; er durfte Besuche empfangen und das Evangelium unverboten verkün-
digen, — Während seiner Gefangenschaft in Rom verlor der Apostel die von
ihm gestifteten Gemeinden in Kleinasien und Griechenland nicht aus dem Auge.
Reisende brachten ihm oft Nachrichten über den Zustand der Gemeinden, und
er belehrte sie in Briefen, da er cs mündlich nicht vermochto. So schrieb er
von Rom aus: den Brief an die Epheser, den Brief an die Kolosser; den
Brief an Phile mon, den Brief an die Philipp er, den zweiten Brief an
Tbimotheus, den Brief an Titus, und gewiss auch den Brief an die
Hebräer. — Es konnte also auch die Gefangenschaft zu Rom das Wort des
Herrn nicht binden. Die Wahrheit lässt sich nicht in Ketten und Banden
schlagen!-------Unter dem Kaiser Nero starb Paulus durchs Schwert den
Mürtvrcrtodt.
*
Bisher waren die Verfolgungen der Christen fast nur von den Inden
ausgegangen; nun aber machten die Heiden einen furchtbaren Anfang. Man
zahlt gewöhnlich nenn große Verfolgungen, welche von dieser Seite über die
Christen verhängt wurden. Die erste dieser Verfolgungen wurde von dem
römischen Kaiser Nero (um das Jahr 64 n. Chr.) befohlen. —
Nero, einer der größten Wüthnche, welche die Geschichte kennt, der
schlechteste unter den schlechten Nachfolgern deS AugnstuS, war kaum 17 Jahr
alt, als er den Thron bestieg. Er hatte eine gute Erziehung genossen und gab
die schönsten Hoffnungen. Aber bald wurde er, von schmeichlerischen Höflingen
verwöhnt, ein grausamer Tyrann. Er ließ sogar seine Mutter, seine Frau,
seinen Lehrer ermorden und stürzte von Laster zu Laster. Die mächtige Haupt-
stadt der Welt, Rom, ließ er in Brand stekken, um das Schauspiel eines großen
Brandes zu haben und um eine neue Stadt bauen zu können. Rom brannte
9 Tage. Außer den ehrwürdigsten und ältesten Gebäuden gingen auch eine
ungeheure Menge unersetzlicher Kunstschätze unter. Aber heimlich zitternd vor
382
der Wuth des Volkes, wollte er dem Verdachte entgehen, Urheber dieses fürchter-
lichen Brandes gewesen ju sein. Er schob die Schuld auf die damals schon
zahlreiche Christengemeinde in Rom. Ein neues Verbrechen folgte daher betn
vorige». Ein allgemeiner Haß fiel auf die Christen. Die Grausamkeit des
Nerv hatte nun freies Spiel. Er lies; viele Christen gefangen nehmen und
entdekkte durch deren Aussage »och mehrere. Die schrekklichsten Martern wurden
ersonnen. Man wikkelte sie in Felle wilder Thiere und ließ sie von Hunden
zerreißen. Man bestrich sie mit Wachs und andern brennbaren Stoffen, stellte
sie in den Gärten des Nero auf und zündete sie an, damit sie als Fakkeln die
Nacht erleuchten sollten; ja man stekktc ihnen, damit sie den Kopf nicht sinken
lassen sollten, spitzige Holzer unter daö Kinn. Unter solchen Martern endeten
viele Christen das Leben. Der Herr aber, der einst dem Stephanus, dem ersten
Märtyrer, Kraft gab, unter den Steinwürfen der Juden freudig zu sterben, wird
auch ihnen beigestanden haben. Von Rom aus verbreitete sich die Verfolgung
gegen die Christen weiter und wir haben eine Nachricht, daß auch in Spanien
Christenblut floß. Drei bis vier Jahre dauerte diese Verfolgung. Daö Gericht
Gottes ergriff diesen Tyrannen. Er nahm sich selbst daö Leben, 08 ». Chr. —
In den Verfolgungen unter Nero erlitt auch Petrus den Märtyrertod.
Derselbe war, nachdem er zuerst in Palästina das Evangelium verkündigt hatte,
etwa ums Jahr 50 n. Chr. nach Antiochien gekommen, lehrte dann in Pontus,
Galatien, Cappadoeien und Bithynien. Im Jahre 63 ». Chr. endlich kam er
nach Rom und wurde zu der Zeit, da Paulus hingerichtet wurde, gekreuzigt,
und zwar mit dem Kopfe unterwärts, nach seinem eigenen Begehren; wohl auö
Demuth, um nicht so am Kreuze zu hängen, wie sein Herr und Meister. Man
erzählt, daß bei»; Auöbruch der Verfolgungen, da die Heiden sehr aufgebracht
gegen Petrus waren, er von den Brüdern gebeten worden sei, zu entfliehen.
In der Nacht, da er auö der Stadt entweichen wollte und auö Thor kam, trat
ihm Christus in einem Gesichte entgegen. Und als Petrus fragte: „Herr, wohin
gehest du?" antwortete der Herr: „Ich komme hierher, um abermals gekreuzigt
zu werden." Petrus erkannte hierin einen Wink, daß Christus in seinem Diener
wieder gekreuzigt werden sollte, kehrte um, wurde bald darauf gefangen und
gekreuzigt. Seine Frau hatte kurz vorher den Märtyrcrtod erlitten und Petrus
hatte ihr, da sie zum Tode geführt wurde, zugerufen: „Gedenke an den Herrn."
Ein alter Kirchenlehrer rühmt besonders vom Petrus, daß er ein recht treuer
Vater seiner Kinder gewesen sei und dieselben auferzogen habe in der Furcht und
Vermahnung zum Herrn. — Zwei Briefe hat uns Petrus hinterlassen.
*
Auch in der Gemeinde zu Jerusalem ward um diese Zeit ein Apostel deö
Herrn das Opfer der feindlich gesinnten Juden. Es war Jakobnö, der Jüngere,
auch der Gerechte genannt. Derselbe lebte in Jerusalem und genoß die allgemeine
Achtung der Juden; denn er hielt sich streng nach dem jüdischen Gesetz, nur daß
er es nicht als den Grund seiner Seligkeit betrachtete. Da aber der Apostel
Paulus durch seine Berufung auf den Kaiser der Rache der Juden entzogen
worden war, so fingen sie an, den noch vorhandenen Vorsteher der Christen, den
JakobuS, zu verfolgen. Er wurde vor den hohen Rath gefordert, und da man
ihn keiner Verletzung des Gesetzes beschuldigen konnte, so sollte er zu dem an
dem Passahfeste versammelten Volke, von der Zinne des Tempels herab, gegen
Christus ein Zeugniß ablegen. Er aber legte ein kräftiges Zeugniß von Christo
ab, und die erbitterten Obersten ließen ihn herabstürzen und steinigen. Er lag
dabei auf seinen Knieen und sprach: „Ich bitte, Herr Gott und Vater, für sie,
denn sie wissen nicht, waS sie thun." Das ergriff selbst einen Priester, und tief
bewegt rief er auS: „Höret auf, was macht ihr? Dieser gerechte Mann betet
383
für end)." Aber die Wüthenden hörten nicht. Mit einer Keule spaltete man
ihm de» Kopf und er starb. — Einen Brief haben wir von Jakobus.
*
Zerstörnng IcrnsalemS. Nach der Ermordung des Jakobus rükkte
nun auch die Zeit heran, von der der Herr 40 Jahre zuvor, weinend über
Jerusalem geweissagt hatte: „Eö wird die Zeit über dich kommen, das; deine
„Feinde um dich und deine Kinder werden mit dir eine Wagenburg schlagen,
„dich belagern, und an allen Orten ängstigen, und werden dich schleifen, und
„keinen Stein auf dem andern lassen, darum, das; du nicht erkannt hast die
„Zeit, darinnen du heimgesucht bist." — Das Wort ging nun in Erfüllung.—
Je mehr sich das Evangelium von Christo, dem Auferstandenen, als eine Kraft
Gottes zur Seligkeit an den Herze» vieler Tausenden bewährte, die nicht widere
strebten dem heiligen Geiste; desto widerspenstiger wurden die, der Verblendung
dahingegebenen Juden. Sie erwarteten immer noch ihren Messias. Betrüger
traten auf, die sich für denselben ausgaben. Daneben bildeten sich Nänberhorden,
die ihr eigenes Vaterland verwüsteten. Solche allgemeine Zerrüttung gab den
Römern willkommene Veranlassung zu Bedrükkungen aller Art. Unter dem
römische» Statthalter Gessins Florus aber wurden die schon vielfach gereizten
Juden durch unerhörte Mißhandlungen aufs äußerste gebracht. Sie empörten
sich; Jerusalem und alle Festen des Landes fielen in ihre Gewalt. Der zur
Unterdrükkung des allgemeinen Aufstandes hei beigeeilte, sengend und brennend
bis Jerusalem vorgedrungene Präsekt von Syrien, Cestinö Gallus, wurde
geschlagen und verlor auf der Flucht über 5000 seiner besten Soldaten, sowie
sei» sämmtliches Belagerungsgeschütz. Nun errichteten die Juden eine eigene
Negierung und rüsteten sich zum Kriege. Der Kaiser Nero in Nom, von dem
Allen benachrichtigt, sandte den Feldherrn Veöpasian, der eben die Deutsche»
besiegt hatte, nach Judäa, und dieser eroberte schnell viele feste Plätze und ließ
alle Juden niederhauen. Allein che er ganz Judäa völlig unterwerfen konnte,
starb Nero, und VeSpasian, von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen, ging
nach Rom und ließ seinen Sohn TitnS zurükk, den Krieg zu vollenden. Dieser'
rükkte nn» mit einem Heere vor Jerusalem, und schloß die Stadt an einem
Osterfeste ein, wo in der Regel die Zahl der Einwohner ans 0 Millionen stieg.
Die Belagerten waren aber selbst untereinander nicht einig. Drei Parteien
führten untereinander grausamen Bürgerkrieg. Nur darin waren sie einig, den
Römern sich nicht zu ergeben, und alle Anforderungen des TitnS, der gern die
Stadt und den Tempel geschont wissen wollte, wurden mit Hohn zurükkgewiesen.
Viele Juden flüchteten nun ans der Stadt und diese wurden von Titus gütig
aufgenommen. Die Aufrührer selbst aber suchten die Flucht zu verhindern und
ließe» die tobte», die ergriffen wurden. Dabei entstand die größte Hungerönoth.
Räuberische Horden durchzogen die Stadt, raubten, was sie an Lebensmitteln
finden konnten und geißelten die, welche Nichts zu besitzen behaupteten. Wer
noch irgend gut aussah oder sein Haus verschloß, kam in Verdacht, daß er
Lebensmittel besitze. Man stürzte in sein HauS, schmetterte die Kinder an die
Wand und suchte durch Martern Lebensmittel zu erpressen. Die Reichen wurden
durch falsche Zeugen deö VerrathS beschuldigt und hingerichtet. Die Noth stieg
immer höher. Viele starben vor Hunger. 35k Todten wurden geplündert, unter
Hohngelächter gräßlich verstümmelt und über die Stadtmauer geworfen, weil die
Menge nicht mehr beerdigt werden konnte. Viele stürzten sich aus Verzweiflung
von den Mauer» herab; andere gaben vor, einen Ausfall zu mache» und flohen
zu den Römern. Diese Ueberläufer waren ganz aufgedunsen vor Hunger und
starben, da sie zu gierig Lebensmittel zu sich nahmen. Vielen Tausenden derselben
wurden, obgleich es Titus bei Todesstrafe verboten hatte, von den Arabern die
Bäuche aufgeschnitten, weil man vermuthete, sie hätten Geld verschlukkt, um es
384
vor beit Räubern zu retten. So wurde denn selbst die Flucht ein Verderben,
und das den Hungrigen gereichte Brot brachte den Tod. Diejenigen von den
Belagerten, die Ausfälle versuchten und gefangen wurden, kreuzigten dir römischen
Soldaten im Angesichte Jerusalems, und täglich sah die Stadt wohl über 500
der Ihrigen am Kreuze sterben. Dabei konnten die Todten in der Stadt nicht
mehr beerdigt werden, sondern wurden, wie schon bemerkt, über die Mauer
geworfen und man berechnet die Zahl derselben auf 000000. Zuletzt vermochte
man nicht einmal die Todten herauszutragen und häufte sie in leeren Häusern
auf. Ein Augenzeuge, der Jude JosephuS, sagt: „Keine Stadt hat je so viel
„erlitten. Gott war es, der das ganze Volk verdammt hatte; es war aber auch
„nie ein boshafteres Geschlecht auf Erden gewesen, als dieses." Und der Herr
sprach: „DaS sind die Tage der Rache, denn es wird große Noth auf Erden
„fein und ein Zorn über dieses Volk; es wird alsdann große Trübsal sein, als
„ nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bisher, und auch nicht werden wird." —
TituS hatte die Stadt nun immer enger mit einem Walle eingeschlossen, und
schon waren mehrere Theile der Stadt erobert; aber die wüthende Menge hatte
noch die Burg und den Tempel besetzt. Die HungerSnvth stieg immer höher.
Man nagte am Leder der Schilde, aß Heu, das man um hohen Preis kaufen
mußte; ja eine vornehme Dame, der man Alles geraubt, kochte ihr eigenes Kind,
und als die gierigen Soldaten die Speise rochen und ins Haus stürzten,
verheimlichte sic nicht ihre furchtbare That und zeigte die andere Hälfte des
Kindes, die sie aufgehoben hatte — Dabei wollte man immer nichts von Ueber-
gabe hören. Die rasende Menge erwartete Hülfe von den Juden aus Babylon
oder von dem bald erscheinenden Messias. In solches Elend stürzten die, welche
den gekreuzigt hatten, der ihr wahrer Messias war und bei dessen Tode sic
schrieen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!" Eü kam über
sie. — Titus wollte bis auf den letzten Augenblikk den Tempel so gern retten
und gab den strengsten Befehl. Allein beim Sturme warf ein Soldat eine
brennende Fakkel in den Tempel, und er gerieth in Brand. Als die Flamme
aufloderte, da erhob sich ein Geheul unter den Jude», wie es solch ein furchtbarer
Unfall werth war; six liefen zur Rettung herbei und schonten nun vollends
ihres Lebens nicht, da das in Flammen stand, um dessentwillen sie Alles bisher
gewagt hatten. Titus eilt auf die erste Nachricht herbei; ein wüstes Geschrei
herrscht überall, seine Stimme wird überhört, seine winkende Hand übersehen;
kein Befehl kann die Legionen mehr zügeln; Alle reizen sich untereinander, den
Brand zu nähren. Bon den Stufen der Vorhalle fließt ein ungeheurer Strom
Bluts auf den großen Haufen von Leichen, welcher allmählich um den Brand-
opferaltar sich aufgethürmt hat. Noch in diesem Augenblikk, wo das Feuer die
den Tempel umgebenden Zellen verzehrt, und Titus, voll Staunen über die
Pracht und Schönheit des Gebäudes, durch die Vorhalle in das Heiligthum
schreitet, erneuert der Feldherr den Versuch, den Brand zu löschen, welcher den
eigentlichen Tempel immer noch nicht ergriffen hat. Aber der wüthende Haß gegen
die Juden und zugleich die Habgier, von den Goldbekleidungcn des Tempels etwas
zu rauben, wirken mächtiger. Ein Soldat nimmt die Gelegenheit wahr, wo
Titus hinauöfpringt, um von Neuem Befehle zum Löschen zu ertheilen, und
wirft einen großen Brand in das Heiligthum selbst. Nun stand bald das ganze
herrliche Gebäude in Flammen. Und so verbrannte der zweite Tempel, nach
einer Sage an demselben Tage deö Monats August, an welchem der erste durch
Nebukadnezar zerstört wurde. Das Wort des Herrn mußte in Erfüllung gehen:
„Es soll kein Stein auf dem andern bleiben!" — Drei Wochen darauf wurde
dann, nicht ohne viele Anstrengung, auch die obere Stadt eingenommen, wobei
die Wuth der Soldaten ohne alle Grenzen und das Blutbad so groß war, daß
Josephus sagen kann, daö Feuer sei anfänglich durch das Blut aufgehalten
385
worden. Die plündernden Römer fanden die Häuser biö an die Dächer mit
Leichen angefüllt, selbst .in den unterirdischen Gängen fand man über 2000 Todte,
die sich entweder unter einander getödtet hatten oder vor Hunger gestorben
waren.
Nun war die ganze Stadt, in der eine so ungeheure Bevölkerung zusammen-
gedrängt gewesen war, ein großer Trümmerhaufen. Es war, als hätte Gott
durch das unmittelbar vor der Belagerung eintretende Passahfeft das ganze Volk
vereinigen wollen, um eö, wie in einem großen Gefängnisse verschlossen, zu
vernichten. Daher soll die Zahl der bei der Belagerung Umgekommenen sich viel
über i Million, der während des ganzen Krieges in die Sklaverei Verkauften
auf 07000, und der im Lande Umgekommenen auf 238000 belaufen.
Solch namenloses Elend bringt es, dem Worte des Herrn zu widerstreben.
Heil denen, die den Herrn fürchten! — Das erfuhren die Christen. Diese hatten
sich beim Heranrükken der römischen Heere aus Jerusalem über den Jordan in
daS Städtchen Pella geflüchtet. Hier konnten sie Gott loben für die gnädige
Bewahrung, während Jerusalem zum Schutthaufen wurde. —
Das war das Ende des jüdischen Volkes und seiner Selbstständigkeit. Von
da an blieb Israel „ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Altar, ohne
Leibrokk und ohne HeUigthum." — Den König, der fanftmüthig zur Tochter-
Zion kam, hatten sie verschmäht und gekreuzigt. Nu» war der Stein, den die
Bauleute verworfen hatten, der Grund- und Ekkstein einer neuen Gemeinde
Gottes geworden; sie, die sich an ihm gestoßen hatten, waren zerschellet, und er,
der auf sie gefallen war, hatte sie zermalmt. Alle seine Weissagungen über
Jerusalem und den Tempel waren erfüllt. Aber der lintergang Jerusalems und
des Tempels wurde selbst eine neue Weissagung an uns, deren Erfüllung unter
dem Hohne der Welt die Christen im Glauben erwarten.
Da» 6cricht Gottes über Jerusalem erlebte noch der Apostel Johannes,
der nach dem Tode des Apostels Paulus sieh vorzüglich zu Kphcsus aufhielt,
und von hier aus für die christlichen Gemeinden in Kleinasien Borgo trug,
damit sie lauter und rein wandelten nach dem Evangolio. Denn Viele fingen
schon zu der Zeit an, das Wort Gottes zu verdrehen und Irrlehren zu verbreiten;
in Vielen erkaltete die Liebe. — Als Johannes, hochbejahrt, nicht mehr viel
in den Versammlungen reden konnte, wiederholte er beständig die Worte:
„Kindlein liebet einander.“ Und da man ihn fragte, warum er nur
immer dies sage, sprach er: „Das ist des Herrn Gebot und mehr ist
nicht nöthig." —
Unter der zweiten Verfolgung, welche der seinem guten Vater Vespasian
und seinem noch bessern Bruder Titus so unähnliche Domitian gegen die
Christen erhob, wurde auch Johannes von Ephesus gefangen nach Rom geführt.
Domitian soll ihn in einen Kessel siedenden Oels haben werfen lassen. J)cr
Herr aber rettete ihn: Er wurde unbeschädigt herausgezogen. Darauf verwies
Domitian den Johannes auf die wüste Insel Patmos, nicht weit von Ephesus,
und hier empfing er eine Offenbarung, ein wichtiges Vermüchtniss des Herrn
an seine Kirche. Ausserdem haben wir noch drei Briefe von Johannes.
*
Nahe an 300 Jahre dauerten die Verfolgungen der Christen. Furchtbar
wurde allenthalben gegen die Bekenner des Gekreuzigten gewüthet und seine
Kirche mit Ast und Strunk auszutilgen gesucht; denn man wußte noch nicht, daß
wohl die Welt, aber nicht Christi Wort und Reich untergehen könne. Die
Wahrheit stirbt nicht mit ihren Bekenner«. Biele Christen, welche ihren
Verfolgern in die Hände geriethen, waren nicht stark genug, ihr Bekenntniß
durch den Tod zu versiegeln, und fielen aus Furcht und Schwäche ab; andere
aber blieben bis zum letzten Augenblikk eines martervollen Todes ihrem Glauben
386
getreu und gaben freudig ihr Leben dahin. Laktantiu s (im 3. Jahrhundert)
schreibt: „Hätte ich hundert Zungen und einen hundertfachen Mund und
die stärkste Stimme der Welt, so könnte ich doch nicht alle die Verbrechen
beschreiben, welche begangen wurden, noch die Martern alle nennen, die der
Scharfsinn der Obrigkeiten gegen die große Menge der unschuldigen Christen
ersonnen hat." Eusebius sah in Egypten, wie an einem Tage so Viele
abgethan wurden, daß die Scharfrichter darüber ermüdeten und ihre Werkzeuge
sich abstumpften. Die Christen litten aber mit der größten Standhaftigkeit und
Geduld. Sie fürchteten sich nicht vor denen, die den Leib tödteu, und die
Seele nicht mögen tobten. Mit Freude und Frohlokken gingen sie in den Tod
und biö an ihren letzten Athemzug sangen sie Lob- und Danklieder.
Simon, Bischof der Gemeinde von Jerusalem, war schon 120 Jahre alt,
als er vor den römischen Statthalter geführt wurde. Cr wurde mehrere Tage
hinter einander gegeißelt und blieb so standhaft, daß selbst seine Verfolger
darüber staunten. Endlich, als er nicht von Christo lassen wollte, wurde er an
daö Kreuz geschlagen (106 n. Chr.). — Drei Jahre später wurde
Ignatius, Bischof von Antiochien, ein Schüler des Apostels Johannes,
auf Befehl des Kaisers Trojan gebunden nach Nom geführt, um dort seinen
Glauben an den Gekreuzigten mit dem Tode zu büßen. In einem Briefe, den
er an die Christen zu Rom schrieb, heißt es unter Andern,: „Auf dem ganzen
Wege von Syrien nach Nom kämpfe ich mit wilden Thieren, gebunden an zehn
Leoparden (er meinte seine Wächter) die immer wüthender gegen mich werden,
je mehr ich ihnen Gutes thue. Doch — werfe man mich ins Feuer, oder vor
die wilden Thiere, nagle man mich ans Kreuz, zerreiße man mir alle meino
Glieder: — was ist das Alles, wenn ich nur Jesum genießen darf! Ihn suche
ich, der für nnch starb; ihn begehre ich, der für uns wieder auferstanden. Laßt
mich nachkommen den, Leiden meines Gottes." In Nom wurde er den wilden
Thieren vorgeworfen. Als er die Löwen brüllen hörte, sprach er: „Ich bin
Christi Weizenkorn, daö der Jahn wilder Thiere zuerst zermalmen muß, damit es
als reines Brot erfunden werde." Bald hatten ihn die Löwen zerrissen. Die
wenigen Knochen, welche sie übrig gelassen, sind in Antiochien beerdigt worden.
Polykarp u S, Bischof von Smirna, ein Schüler des Apostels Johannes,
wurde im Jahre 167 verurtheilt, lebendig verbrannt zu werden. Als man ihm
zumuthete, seinen Glauben zu verleugnen, sagte er: „Sechs und achtzig Jahre
schon diene ich Christo, meinem Herrn, und er hat mir nie Etwas zu Leide
gethan, wie sollte ich nun ihm untreu werden, der mich erlöset hat!" Bei wiederholtem
Zureden sprach er weiter: „Du giebst dir vergebliche Mühe; — höre, was ich
bin: Ich bin ein Christ! Willst du wissen, waö die Lehre des Christenthums
ist, so bestimme eine Stunde und höre mich an!" — „Ich habe wilde Thiere!"
rief der erzürnte Richter. „Laß sie nur kommen!" erwiderte der Märtyrer. —
„Wir haben Feuer!" schrie ein Anderer — „Du drohest mit einem Feuer,"
entgegnete der Glaubensheld, „welches nur einen Augcnblikk brennet; aber du
weißt Nichts von dem zukünftigen Gerichte und dem Feuer der ewigen Strafe,
welches für die Gottlosen aufbehalten ist." Nun wurde der 60jährigePolykarpuS
an einen Pfahl gebunden, und nachdem er noch brünstig gebetet hatte, zündete
man den Scheiterhaufen an. Aber so hell auch das Feuer brannte, so wollte eö
den treuen Bekenner deS Herrn doch nicht ergreifen, wie wenn es sich vor ihm
gefürchtet hätte. Sie durchbohrten ihn endlich mit einem Dolch und ließen seinen
Leichnam zu Asche brennen.
Cyprian, Bischof von Karthago, wurde gleichfalls ein Opfer der heidnischen
Mordgier (260). Vor den Nichterftuhl gefordert, wollte man ihn zum römischen
Gottesdienste nöthigen. Cyprian aber sprach: „Ich bin ein Christ und ein
Bischof. Ich kenne keine andern Götter, als den einen und wahren Gott,
387
der Himmel und Erde und Alles, was darinnen ist, geschaffen hat. Diesem
Gotte dienen wir Christen; zu ihm beten wir Tag und Nacht für uns und für
alle Menschen, und auch für daS Wohl der Kaiser." Als ihn der Statthalter-
weiter fragte, ob er bei dieser Gesinnung beharren woll«, so erwiderte der
treue Knecht Gottes: „Das ist eine gute gottesfürchtige Gesinnung, welche man
deswegen nicht ändern darf." Hierauf wurde Cyprian in die Verbannung geschikkt,
aber bald wieder zurükkgerufen. Man gebot ihm, den Göttern zu opfern, und
da er sich dessen weigerte, so wurde er mit dem Schwerte hingerichtet. — Aber
nicht bloß Männer, sondern alich edle Frauen und Jungfrauen erkämpften sich
in jenen Zeiten der Drangsale mit wahrhaft heldenmüthigem Sinne die
Märtyrerkrone. Die Standhaftigkeit, mit welcher die Christen gewöhnlich die
heftigsten Martern ertrugen, weil sie besondere Stärkung von oben erhielten, die
Freudigkeit, mit welcher sie einem schmerzhaften Tode entgegen gingen, machte
auf viele der umstehenden Heiden einen tiefern Eindrukk, als die kräftigste
Predigt und war eins der fruchtbarste» Mittel, dem verfolgten Christenhäuflein
neue Schaaren von Bekennern zuzuführen und die Lükken wieder auszufüllen.
Es ist mit Wahrheit gesagt worden, „daß das Blut der Märtyrer.der fruchtbarste
Saame gewesen sei zur Vermehrung der Bekenner." Mit voller Wahrheit
konnte ein großer Christenlehrer den heidnischen Verfolgern zurufen: „Es geht
uns wie den Reben; je mehr ihr uns beschneidet, desto mehr bringen wir
Frucht." Denn mitten unter den Drangsalen dieser Zeit erfocht das Christenthum
weit und breit große herrliche Siege. Heide» und Juden, Gelehrte und
Ungelehrte, Reiche und Arme lernten ihre Kniee beugen vor Jesu Christo, der
da ist Gott, hochgelobet in Ewigkeit. Keine menschliche Macht, keine menschliche
Weisheit, nicht die blutigsten Verfolgungen vermochten dem theuren Gottesworte,
„daß Jesus Christus gekommen sei, die Sünder selig zu machen," dem Worte
vom Kreuze, daü die Sünder zur Buße und zur Theilnahme an den Gnadrngütern
des Reiches Jesu Christi rief, zu widerstehen. Die Kirche, welche so oft dein
Untergänge nahe zu sein schien, erhob sich siegreich über den Trümmern des
feindlichen Heidenthums. — Und solche Siege wird das Wort des Herrn
erfechten, bis alle feine Feinde liegen werden zum Schemel seiner Füße. Christus
wird herrschen von einem Meere bis zum andern. Alle Könige werden ihn
anbeten, alle Heiden ihm dienen. Gelobet sei sein heiliger Name ewiglich und
alle Lande müssen seiner Ehre voll werden!
Umsonst, daß man noch wilder tobt,
Verfolgung zu erregen.
Der Name Jesu wird gelobt
Sein Wort ist Kraft und Segen.
Die Jünger schrekkt nicht Pein noch Müh',
Der Geist der Stärke stärket sie
In Martern und im Tode.
Sic blieben ihrem König treu,
Bekannten seinen Namen frei,
Und lobten ihn im Tode.
Diokletian war der letzte Kaiser, der alö Heide die Christen verfolgte.
Sein Nachfolger
Konstantin der Große ward selbst ein Christ und die schrekklichen
Verfolgungen hörten auf. Der Kaiser that den Christen wohl, wo er nur wußte
und konnte. Er sorgte dafür, daß die ihnen in den Verfolgungen entrissenen
Güter wieder zurükkgegeben wurden. Ueberall ließ er ihnen auf eigene Kosten
Kirchen erbauen. Die Heiden gertethen immer mehr in Verachtung und die
Christen wurden geehrt. Aber die viele Ehre that ihnen nicht gut. Viele lernten
Pracht und Ehre lieb haben, hielten sich nicht mehr so wie vorher am Herrn
388
Jesu, und achteten nicht mehr so sorgfältig auf ihr Herz. — Konstantin zog
von Rom nach Byzanz, am schwarzen Meere, und ließ dort viele schone Häuser
aufbauen. Darum hat man ihm zu Ehren jene Stadt seitdem Konstantinopel
genannt. Kurz vor seinem Tode ließ er sich erst auf den Tod Jesu taufen:
denn er fürchtete noch zu sündigen; und die Sünden nach der Taufe hielt man
für schwerer, als diejenigen vor der Taufe. Darum machten- die Meisten, die
damals getauft wurden, so, wie der Kaiser. Er bekannte eifrig den Glauben
an Jesum Ehriftum und wollte nach der Taufe den kaiserlichen Purpurmantel
nicht mehr tragen, sondern behielt die weißen Tauskleider an. Bald varauf
verschied er im freudigen Glauben an seinen Herrn, am 22. Mai 337 nach
Christi Geburt. — Ihm folgten seine drei Söhne, die zwar Christen hießen,
aber wie die Heiden lebten, und wo möglich noch schlimmer. Nach ihrem Tode
ward ihr junger Vetter,
Julian, Kaiser. Dieser hatte die Greuel mit angesehen, die seine Vettern
verübte» und meinte nun, das Cbristenthum mache die Leute schlecht. Darum
ließ er tut ganzen römischen Reiche bekannt machen: „Wer irgend Lust hat,
wieder Heide zu werden, der werde es. Ich sehe es gerne und will ihn ehren.
Die verlassenen Tempel sollen wieder geschmütkt und reiche Opfer in ihnen
dargebracht werden. Mich selbst soll man mit einem guten Beispiele vorangehen
sehen." Biele, die sich vorher nur mit halbem Herzen zu den Christen gehalten
hatten, wurden wieder Heiden. Aber der abtrünnige Julian regierte nur zwei
Jahre. Ihm folgte der fromme Jovi au, und die Herrschaft des Heideuthumö
hatte nun für immer ein Ende. —
In dem Läuterungsfeuer der Verfolgungen und Trübsale hatte sich die
christliche Kirche rein und ungetrübt erhalten. Seitdem aber das Christenthum
durch Konstantin auch äußerlich zu Macht und Ansehen gelangt war, riß auch
bald großes Verderben in der Kirche ein. Dieselbe wurde nun immer mehr und
mehr dem Akker ähnlich, auf dem, »ach des Herrn Wort, Unkraut und Weizen,
Gutes und Böses, durch einander wächst, bis zur Zeit der Ernte. Die Christen
fingen an einzuschlafen. Sie beteten nicht mehr, oder nur zu den Bildern der
Heiligen. Sie lasen nicht mehr fleißig im Worte Gottes. Sie meinten, wenn
man sich als Einsiedler in die Einsamkeit zurükkzöge, oder in ein Kloster
ginge und Mönch würde, daü sei ein rechter Gottesdienst. Und weil sieden
Weg des Friedens nicht mehr kannten, so machten sie auch in ihrem Leben dem
Namen Christi lauter Unehre und wandelten nicht in Gottes Wort und in der
Zucht des heiligen Geistes. _ Viele, oft blutige Streitigkeiten zerrisse» die
Christenheit. Kurz und gut: die Christen waren nicht mehr das Salz der Erde.
Wenn aber das Salz dumpf wird, womit soll man salzen!? — Es konnte nicht
ausbleiben: der langmüthige, heilige Gott mußte endlich mit einer Zuchtruthe
kommen. Und er kam.
Unter Jsmacls Nachkommen, den Arabern, lebte bei einer reichen Kauf-
mannswittwe in Mekka ein reisender Diener, mit Namen
Muhamed (570 zu Mekka geboren). Er konnte zwar nicht lesen und
nicht schreiben, war aber sonst ein pfiffig kluger Mensch; darum bewog er auch
seine Herrin, ihn zu heirathen. Nun war er ein reicher Herr, legte den Handel
nieder und lebte von seinen Zinsen. Dabei ward ihm aber die Zeit lang; er
machte sich gerne etwas zu thun. Daö Geräusch der Städte mochte er aber auch
nicht leiden. Er zog sich daher in eine wüste Gegend »urükk, und dachte darüber
nach: „Welches mag wohl die beste Religion sein? Die Christen lehren manches
Gute, die Heiden lehren manches Gute, die Juden lehren manches Gute. Aber
auch alle lehren manches, waö mir nicht gefällt. Ich will doch einmal dasjenige,
was mir hübsch dünkt, auö allen drei Religionen zusammenstellen, und daraus
389
eine neue machen. Aber werden es die Lente auch glauben und annehmen, was
ich ihnen sage?" So dachte er, und indem er so sann und die Luft in ihm
stieg, eine neue Religion zu stiften, wie sic seinem Sinne anständig wäre, so gab
ihm der Lügengeist (Joh. 8, 44.) ins Herz, vorzugeben: Der Engel Gabriel ist
mir erschienen und hat mich bis in den siebenten Himmel geführt, da hat mir
Gott selber gesagt, waö ich euch verkünden soll. Muhamed saut wirklich nach
Mekka und lehrte: „Eö giebt nur einen Gott und ich bin sein Prophet." Von
Mose und von unserm Herrn Jesu sagte er, sie seien auch Propheten gewesen,
nur geringere als er. Von einer Erlösung aus Gnaden und von einer völligen
Umänderung des Herzens wollte er nichts wissen. „Gebet," sagte er, „führt
biö auf halbem Wege dem Herrn entgegen, Fasten bis an die Thür seines
Hauses und Almosen öffnet seine Pforten." — Alles, was in der' Welt
geschieht, eS sei gut oder böse, ist von Gott unabänderlich vorher bestimmt.
Geht nur toll und wild in die Schlacht: wer nicht sterbe» soll, stirbt doch nicht.
Vom Frieden im Herzen konnte er freilich nichts wissen. Er kannte nur fleischliche
Freuden, erlaubte jedem Manne mehr als eine Frau zu nehmen lind lehrte:
„Wer meinen Worten glaubt und danach lebt, der kommt nach dem Tode in
das Paradies. Da ist die Erde von Weizenmehl lind der Baum Tuba hängt
voll Granaten und Trauben. Wenn den Seligen nach Fleisch gelüstet, stehen
alsbald gebratene Tauben vor ihnen. Und wer gern reiten will, gehe nur nach
dem Tuba; da wachsen auch schöne Rosse dran, — gleich gesattelt und gezäumt.
Man darf nur zugreifen!" So lehrte Muhamed. T>ie Mekkaner wollten'S aber
nicht glauben, lachten ihn erst aus lind jagten ihn endlich gar fort, 022 den
15. Juli. (Von dieser Flucht an — arabisch Hedschra — rechnen die Muha-
inedaner ihre Jahre.) Der Lügcnprvphet floh nach Medina und fing wieder
an, dasselbe zu lehren. Eine Taube hatte er abgerichtet, ihm auf offenem Felde
Erbsen auü dem Ohr zu fressen. Wenn daö nun die zuhörende Menge sah,
sagte Muhamed: „Jetzt hat mir dieser Bote Gottes wieder neue Befehle gebracht!"
Und die Menge glaubte es, glaubte alles, was Muhamed lehrte. Sein Anhang
wurde immer größer. Bald zog er an der Spitze bewaffneter Schaaren nach
Mekka und zwang seine dortigen Feinde und Freunde zur Annahme seiner Lehre.
Ueberall, wohin er kam, in Arabien und den Grenzländern, siegte er, und zu
den Besiegten hieß eö: „Entweder ihr werdet muhamcdanisch, oder nieder-
gehauen!" Ihr könnt denken, daß da die Meisten muhamedanisch wurden. Selbst
die Namenchristen im Morgenlande, die die Seligkeit des Evangeliums nicht
geschmekkt hatten, dachten: O, eö ist doch kein großer Unterschied. Warum
sollten wir denn nicht auch muhamedanisch werden? Ohnehin können wir dann
noch bequemer nach unserer Lust leben, als im Christenthum. Sollten wir also
deshalb das Leben lassen? — Und die Unglükkfeligen verließen den Weg des
ewigen Lebens und wurden Muhamedancr.
Eine von den 32 Frauen MuhamedS, eine Jüdin von Geburt, zweifelte
noch in etwas daran, daß ihr Mann wirklich ein Prophet Gottes sei. Sie gab
ihm eine Portion Gift ein und meinte: Einem Propheten könne da'ö nicht
schaden. Es schadete ihm aber doch. Muhamed starb und ward in Medina
begraben (032). Und jedem Muhamedancr ist eö zur Pflicht gemacht, wenigstens
ein Mal in seinem Leben nach Mekka und Medina zu reisen und dort zu beten.
MuhamedS Ehalifen, d. i. seine Nachfolger im Herrschcramt, dehnten ihre
Macht schnell weiter aus. Ein Stükk wurde nach dem andern von dem schwachen
morgenländischen Kaiserthume abgerissen, auch Jerusalem erobert, aber, als
heilige Stadtz milde behandelt. Ja selbst nach Europa drangen die Araber und
unterjochten fast ganz Spanien und Portugal. Wer weiß, wie weit sie noch
gekommen wären, wenn nicht der tapfere Heerführer der Franken, Karl Märtel l
(d. i. der Hammer), sie zurükkgeschlagen hätte (732).
26
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Im Osten verband sich ein wildes Gebirgsvolk, die Türken, mit ihnen un
nahm ihren Glauben an. Und als später die Macht der Araber abnahm, st m
die der Türken an zu wachsen. Sie führten beständige Kriege mit dem morgen-
ländischen Kaiserthumc, bis sie im Jahre 1453 die Hauptstadt desselben,
Konstantinopel, einnahmen, und damit dem ganzen Reiche ein Ende machten.
* •
.Jerusalem wird vertreten werden von den Heiden, bis das« der
Heiden Zeit erfüllet wird." (Luc. 21, 24.)
Kreuzzüge. Jeder Mensch, dem etwas an seiner Seligkeit gelegen ist,
und der seinen Gott und Heiland Jesum Christum von ganzem Herzen lieb hat,
hört auch gern etwas von dem Lande erzählen, in welchem der Herr umher-
gewandelt ist, wohlgethan hat und gekreuzigt und begraben wurde. Das
haben die Frommen schon von jeher gerne gehört, und diejenigen, welche eü
konnten, sind schon in den frühesten Zeiten nach dem heiligen Lande gereist und
haben in Gethsemane und auf Golgatha gebetet und sich des erinnert, was dort
für sie geschehen ist. Nach und nach thaten es aber auch Manche, weil sie
meinten, Gott werde ihnen daun gnädiger sein, als daheim, und das war nicht
gut; denn Gott will unö um Christi willen die Sünde vergeben und nicht um
einer Reise willen. Nicht der Boden, auf welchem Jesus ehenlals gewandelt,
sondern der Weg, den er unS durch seine Lehre und sein Borbild gezeigt hat,
soll unö heilig sein; liicht auf jenen, sondern auf diesen sollen wir unsere
Augen richten: wenn Christus in uns lebt, ist allenthalben heiliges Land um
uns her. — So lange die Christen in Jerusalem herrschten, waren solche Pilger-
natürlich willkommen. — Auch als die Araber die heilige Stadt einnahmen,
wurden diese Wanderer noch immer freundlich behandelt; als aber die rohen
Türken Jerusalem eroberten, änderte sich das sehr. Die Pilger wurden verlacht,
verspottet, geschimpft, geschlagen, und wen» sie in die Kirche zum heil. Grabe
gehen wollten, rnusite jeder von ihnen wohl 30 Thaler an die, habsüchtigen
Türken bezahlen. Das betrübte die Pilgrime. Wehklagend kamen sie nach
Europa znrükk und erzählten von dem Jammer in Jerusalem. Im Jahre 1005
kam auch der französische Einsiedler, Peter von Amieuö, znrükk, ging zum
Papste Urban II. und sagte: „Heiliger Vater, ich komme gerades Weges von
Jerusalem und habe in der heiligen Stadt große» Jammer und Noth gesehen.
Und als ich dort bitterlich darüber weinte, erschien mir der Heiland im Traume
und forderte mich auf: „„Eile in deine Heimath und wekke die Gläubigen auf
zur Reinigung der heiligen Oerter!"" „ Eilig kehrte ich znrükk und warte nun
deiner Befehle!" — „Gut," sagte der Papst, „so reife umher und fordere die
Menschen auf, sich zu vereinen und das heilige Grab den Ungläuhigen zu
entreißen!" Und nun setzte sich Peter, obwohl lahm, im groben, wollenen
MöuchSrvkk, einen Strikk um den Leib, auf einen Esel und ritt von Stadt zu
Stadt, von Dorf zu Dorf. Barfuß, mit nie gekämmtem, schwarzem Haare, im
bloßen Kopfe, das Kruzifix in der Hand, machte er eine wunderliche Figur.
Das Volk lief zusammen, wenn cs ihn sah, und er redete begeistert zu der
Menge: „Auf ihr Christen, der Heiland ruft euch! Ich selbst habe oft gehört,
wie auS allen Winkeln der heiligen Orte der Weheruf ertönte: „„Rettet, ach
rettet uns!"" „Und ihr wollt noch säumen, ihr erkornen Werkzeuge des
Herrn?" Peter hatte sich's bloß eingebildet, daß der Heiland begehre, die
Christen möchten das heil. Land wieder erobern; aber die Leute glaubten rö
und wurden voll Eifers. Niemand bedachte in der Zeit, daß die Waffen der
Christen geistlich seien, dein: man kannte das Wort Gotteö nicht. Der Papst
berief Jedermann, wer könnte, nach Clermont in Frankreich zusammen, und
bewog daselbst die große Versammlung zu einem Kriegszug wider die Türken.
Er redete ab^'r seine eigenen Einfälle und nicht Gottes Wort. „Es i-st unsere
391
heiligste Pflicht," sagte er, „daö heil. Land den Ungläubigen wieder zu entreißen.
Jeder, der mitziehet, wird sich dadurch die ewige Seligkeit erkaufen; wer aber
ohne Grund daheim bleibt, bringt ewigen Finch über sich und seine Familie.
Auch die Knechte mögen mitziehen und an dem heil. Werke theilnehincn. Von
dem Augenblikke an, da sie mitziehen, seien sie frei!" Solches und noch vieles
Andere redete der Papst, und Alles Volk rief: „Gott will eö, Gott will eö!"
Wer Luft hatte mitzuziehen, nähete sich ein rothes, wollenes Kreuz auf die'
Schulter. (Deswegen wurden diese Unternehmungen Kreuzzüge genannt).
Große Haufen schlechten Gesindels sammelten sich, zogen durch Ungarn, plünderten
überall, namentlich die Inden („weil deren Vorfahren den Herrn Jesum gekreuzigt
hätten") und wurden beinahe sämmtlich erschlagen. Erft nach der Ernte 10%
kam ein geordneter Kriegszug, 300000 Mann stark, zu Stande, und der fromme
Herzog Gottfried von Bouillon ward der Anführer desselben. Drei volle
Jahre brachte derselbe auf dem weiten Marsche zu, und sein Heer schmolz in
den vielen Kämpfen mit den Ungläubigen, von Hunger und Pest geplagt, bis
auf 40000 zusammen. Mit unbeschreiblichem Jubel erblikkten diese endlich nach
dem unsäglich mühevollen Marsche die Thürme von Jerusalem, von der Abend-
sonne beleuchtet. „Jerusalem, Jerusalem!" riefen sie unwillkürlich, und ein
freudiger Schauer durchbebte ihre Gebeine. Sie naheten sich der heiligen Stadt,
erstürmten sie, und — erwürgten Alles, waö ihnen vorkam. Die Straßen waren
mit Türkenleichen angefüllt, die Gaffen flösse» von Menschenblut. Die Unglükklichen!
sie meinten Gott zu diene»; aber sie kannten seinen Willen und seine Liebe nicht,
und bcflekkten ihre Hände mit Blutschulden. Da erschien plötzlich Gottfried im
weißen Gewände; Alle thaten- ihm nach, und die Mörder wallsahrteten zur
Grabesstätte des Fricdefürstcn. „Du sollst unser König sein!" rief froh die
Menge dem Sieger entgegen, und besorgte ihm eine goldene Krone. Gottfried
nahm aber die Krone nicht an. „Nein," sagte er, „nimmer werde ich hier eine
goldene Krone tragen, wo mein Heiland mit Dornen gekrönt ist!" Und er litt
eö nicht, daß man ihn krönte. Auch ließ er sich nicht'König nennen, sondern
nur „Beschützer des heiligen Grabes."
Sein Bruder Balduin ward sein Nachfolger und nannte sich König
von Jerusalem. Eö gab also jetzt Könige von Jerusalem. Daö dauerte
aber nicht lange. Die muhamedanischen Fürsten bekriegten fast unaufhörlich daö
junge, schwache Königreich. Bon Europa kamen zwar von Jeit zu Zeit große
christliche Heere demselben zu Hülfe, aber sic richteten Nichts auö. Selbst 50000
französische und deutsche Knaben versammelten sich, und wollten, von Priestern
angeführt, die Muhamedaner bekämpfen. Sie kamen aber theils auf dem
Marsche um, theils mietheten sie sich wohlfeil auf Schiffen ein, die Seeräubern
gehörten, und wurden von diesen in die Sklaverei verkauft. Das kleine Reich
in Palästina wurde immer ohnmächtiger und endlich gar von den Egyptern
1187 den Christen wieder entrisse». Dennoch zogen nachher noch mehrere
christliche Könige nach dem heiligen Lande; aber die heiligen Orte waren und
blieben in den Händen der Ungläubigen.
Beinahe 200 Jahre hatten die Kreuzzüge gedauert, und über 6 Millionen
Christen waren dabei umgekommen. Für das wahre Christenthum wurde durch
die Kreuzzüge nichts gewonnen; mehr für Handel und Gewerbe u. dgl.; aber
das war theuer erkauft.
'*
Zu der Zeit, da unser Heiland in Judäa auftrat, um seinen Tod der Welt
zu bringen, waren unsere Vorfahren in Deutschland noch wilde Heiden, die in
dichten Wäldern lebten, und sich an Krieg und Jagd ergötzten. Sie waren stark
und kräftig und gingen beinahe ganz nakkt. Nur eine Bären- oder Ochsenhaut
hatten sie über die Schultern geworfen; das war ihre einzige Kleidung, und
26*
392
des Thiedes Kopf mit offnem Nachen, und seine Hörner blieben gewöhnlich daran <
sitzen. Es sahe erschrekklich ans. Die Alles besiegenden Römer wagten eS selten,
und dann nie ungestraft, in unscr^ Vaterland einzudringen und gestehen selbst,
daß die Deutschen ein biederes Volk gewesen, unter beni gute Gewohnheiten und
Sitten mehr galten, als anderswo gute Gesetze. Doch auch sie gehörten zu den
Heiden und beteten anstatt heö Schöpfers das Geschöpf an, indem sie der Sonne,
der Erde und allerlei andern Dingen göttliche Ehre erwiesen. Aber auch für
unser Vaterland schlug nun die Stunde der Erlösung; eö sollten auch hier
Boten des Herrn auftreten und rufen: „Thut Buße, denn das Himmelreich ist
nahe herbeigekommen!" Von England und Irland kamen nämlich Friedens-
boten herüber nach Deutschland. Um OCX) n. Ehr. kam Kolumban zu den
Baiern und Franken; Gallnö zu den Schweizern; Kilian um 050 n. Ehr.
>zu den Ostfranken; Willibrord um 700 n. Chr. zu den Friesen. Am meisten
aber that für unser Vaterland der Engländer
Winfried Boni fa eins, d. h. Wohlthäter. Er wurde um das Jahr
080 n. Ehr. geboren, und stammte ans einer vornehmen adligen Familie. Schon
in seinem sechsten Jahre brachte ihn sein Vater nach Erester, um die Schule des
dortigen Klosters zu besuchen.' Hier gewann er durch seine Wißbegierde, durch -
beharrlichen Fleiß und durch ein vorzüglich sittliches Betragen die Liebe aller
seiner Lehrer; besonders aber schenkte ihm der Abt des Klosters, Wolfard mit
Namen, wegen seiner kindlichen Frömmigkeit seine Zuneigung. Die Geistlichen
und Mönche zeichneten sich damals in England durch Tugend und Gelehrsamkeit
auS, und wurden daher mit Recht hochgeehrt. Dein jungen Winfried wurde
dieser Stand durch seinen ehrwürdigen Lehrer lieb, und da er früh die Erzählungen >
aus dem Leben solcher frommen Männer, welche ihr Vaterland verlassen hatten,
um den Heiden das Evangelium zu predigen, hört, regt sich auch schon frühzeitig
in ihm der Wunsch, ein Geistlicher zu werden, und dann auch als ein Bote des
Friedens zu den armen Heiden zu gehen. Als er diesen Wunsch seinem Vater,
der den Sohn zu einem weltlichen Amte bestimmt hatte, mittheilt, sucht dieser
anfangs durch liebevolle Vorstellungen und Ermahnungen, daun aber auch durch
ernste Drohungen seinen Sohn von solchen Gesinnungen abzubringen; als er
aber siehet, mit welcher Liebe und Festigkeit er daran hanget, willigt er endlich
ein und schikkt ihn nun auf eine höhere Schule, in das Kloster Nuteell.
Auch hier gewinnt sich Winfried die Liebe des Abtes Winbert und studirt
so eifrig die heilige Schrift, daß bald Mönche aus andern Klöstern herbeikamen,
um sich' dieselbe von ihm erklären zu lassen. Mit frommer Demuth verdeutlichte
ihnen Winfried den Inhalt dcö heiligen Buches, dessen Geist in seinem Herzen-
eine Hcimath gefunden hatte. So ausgerüstet, verläßt er unter frommen Wünschen
seine Ordensbrüder, und mit dem Segen seines Abtes Winbert im Jahre 715
sein Vaterland, und gelangt glükklich nach Friesland. Aber leider war als er
hier ankam, ein verheerender Krieg auögebrochcn, und er mußte in sein Kloster
zurükkgehen, ohne Etwas ausgerichtet zu haben. Doch Gott wollte nur dadurch
prüfen, ob seine Liebe fest und treu sei. Winfried wurde nach Winbertö Tode
zum Abt des Klosters erwählt, aber schon 718 ging er auf einem Umwege über
Rom, um sich vom Papste zu seinem Werke einsegnen zu lassen, abermals nach
Deutschland. Nun lehrte er in Thüringen, Baiern, Fricöland, Hessen und
Sachsen oft in großer Lebensgefahr. Einst auf seinem Zuge durch Hessen trifft
er bei Geismar eine Eiche von ungewöhnlicher Größe, unter der die Heiden
ihrem Donnergotte zu opfern pflegten. Ilm den Heiden zu zeigen, wie ohnmächtig
ihre Götter seien, beschließt Winfried, die Eiche umzuhauen. Nachdem er zu
den versammelten Heiden von dem ewigen allmächtigen Gott, dem Schöpfer des
Himmels und der Erde, und von feinem Sohne, Jesus Christus, gepredigt
hatte, hebt er schweigend seine Art empor, um die Donnereiche zu fällen. Da
393
erwarteten die Heiden, der Gott des Donners werde einen seiner Blitze herabsenden
und den Mann verderben; aber es geschieht nicht. Mit kräftiger Hand haut
Bonifacius auf den Baum ein und krachend stürzte er vor den Äugen des
erschrokkenen Volkes nieder: Da fällt auch das Ansehen der heidnischen Götter;
der Gott der Christen hat gefieget und große Schaaren deö Volkes bekehren sich
zum Christenthum. Auf der Stelle des umgehauenen Baumes pflanzte er das
Kreuz auf und aus dem Holz der Eiche erbaute er zur Ehre des Apostels Petrus
eine Kapelle. — Am Spätabend feines Lebens, als 70jährigcr Greis, wollte er
noch einmal als Friedensbote zu den Friesen zehen. Der Herr segnete seine
Arbeit. Viele bekehrten sich zu Christo. Einst nun sollten die Neubekehrten in
der Gegend von Dokkum eingesegnet werden. Der heilige Tag erschien, das
Frühroth sandte seine leuchtenden Strahlen auf die Erde, und'die Gläubigen
erwarteten die heilige Stunde. Es hatte sich aber ein großer Haufe heidnischer
Friesen unter den Christenhaufcn gemischt und dieser stürzte sich gerade in dciu
Augenblikke, wo der Heilige die feierliche Handlung beginnen wollte, auf ihn
und seine Gehülfen los. Die jungen Christen griffen schnell zu den Waffen und
drangen auS ihren Zelten auf die Feinde. Bonifacius aber rief ihnen zu-:
„Kinder! fechtet nicht; daö Wort Gottes verbietet uns, BöftS mit Bösem zu
vergelten. Der Tag ist gekommen, den ich lange erwartet habe; hoffet auf Gott;
er wird eure Seelen retten." Die Heiden stürmten nun hervor, und tödteten
den Bonifacius und 53 der Seinen. So endete er im Jahre 755.
llm jene Zeit herrschte Karl der Große, ein Mann von großem Geiste,
über die Franken. Er arbeitete mit ganzer Seele und ans allen Kräften, das
Christenthum in seinem Reiche zu verbreiten; leider brauchte er nicht immer die
rechten Mittel. Dennoch aber wurde er durch Gottes Gnade ein Segen für die
abendländische Christenheit. — Das seligmachcnde Evangelium brach sich immer
mehr und mehr Bahn. Es war der Sauerteig, der endlich den ganzen Teig
durchsäuern sollte, — das Senfkorn, das zum großen Baume werden, und
' unter welchem die Vögel des Himmels nisten sollten. '
Dankt dem Herrn, ihr seine Frommen, dall er zn nn» ancl> ist gekommen mit seinem Wort
nnd Sakrament, das, er hier sein Reich gegründet, sein heilig Feuer angeumde«, da« »och in
«cbristcnherccn brennt. Uhrist. unser Morgcnlicht, de« Vater- Angesicht, Nah' und ferne strahlt
noch dein Schein so warm und rein in arme Sünderherzen ein.
Nacht und Zorn nnd Todc-araucn lag, ach! so schwer ans unsern Gauen, Blut rüthctc den
Lpserstcin, Herze» weinten hcisie Thränen; doch ungestillt blieb all' ihr Sehnen, die <-rbe Hai nur
Trug und Pein. O goldne- Morgenroth. du Trost in aller Noth, Jesu» Christ»«, gelobt seist
du, du tratst herzu und gabst den müden Seelen Ruh.
*,
Irrlehren und Mi ßbrä uchc in der christlichen Kirche. Die
einfache Lehre unsers Herrn und HcilgndcS Jesu Christi, wie sic in den Zeugnissen
der heiligen Schrift vor achtzchnhundert Jahren niedergelegt und aufgeschrieben
ist, war im Laufe der Jahrhunderte vielfältig durch Menschensatzungen verunreinigt,
die Verfassung der Kirche aber durch schnöde Mißbräuche entstellt worden, wie
hier im Einzelnen erzählt werden soll.
1. Die erste christliche Kirche hatte auch ihre Bischöfe, d. i. fromme,
verständige Männer, welche die einzelnen christlichen Genieinden' überwachten und
leiteten; sie hatte Diakonen, d. i. Diener oder Helfer, welche den Bischöfen
hei der Handhabung der äußeren Ordnung der Kirche hülfreichc Hand leisten
mußten und insbesondere die Almosen an Dürftige vertheilen; sie hatte endlich
Aelteste oder Presbyter, welche den Vorstand der Gemeinde bildeten und
gleichsam die Stelle der ganzen Gemeinde vertraten. Das war eine gute und
löbliche Verfassung, denn eine feste Ordnung muß Statt finden, überall, wo
Menschen sich zu irgend einem Zwckke verbinden, wie viel mehr, wo Menschen
sich vereinigen, ihren Gott zu verehren, der nicht ein Gott der Unordnung,
sondern des Friedens ist, wie in allen Gemeinden der Heiligen (I.Kor. 14, 33).
394
Da geschah ta aber, daß die Bischöfe der großen Gemeinden sich selbst
erhöhcten, auf daß sie erniedrigt würden; der Bischof von Rom aber, den man
nachmalö den Papst genannt hat, gelangte zu ungemessener Macht über alle
Bischöfe und über die ganze Christenheit auf Erden, also, daß er sich zuletzt den
Statthalter Jesu Christi auf Erden nannte, und Königen und Fürsten befehlen
wollte. Daö steht nun nicht in der heiligen Schrift, daß eS also sein soll, denn
cS steht geschrieben Mtth. 23, 8 — 12: „Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen
„lassen; denn Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder. Und
„sollt Niemand Vater heißen «ruf Erden; denn Einer ist euer Vater, der im
„Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht lassen Meister nennen; denn Einer ist
„euer Meister, Christus., Der größeste unter euch soll euer Diener sein. Denn
„wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, der
„wird erhöhet."
Daraus nun, daß cS die Papste anders hielten und weltliche Herren sein
wollten, die Könige und Kaiser in den Bann thaten, daraus ist groß Unheil
auf Erden, auch Empörung und Zwietracht entstanden, und cs haben darum
Brüder gegen ihre Brüder, Söhne gegen ihre Bâter und Väter gegen ihre
Söhne gekämpft bis auf den Tod und in bitterster Feindschaft.
2. Es hat auch der Apostel Paulus geschrieben an Timotheus, der selber
einer großen christlichen Gemeinde vorstand, wie ein Bischof sollte beschaffen sein,
nämlich unsträflich, eines Weibeö Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei,
lehrhaftig, nicht ein Weinsäufer, nicht pochen, nicht unehrliche Handthicrung
treiben, sviidern gelinde, nicht haderhaftig, nicht geizig, der seinem eigenen
Hause wohl vorstehe, der gehorsame Kinder habe mit aller Ehrbarkeit, nicht ein
Neuling, daß er sich nicht aufblase und dem Lästerer ins Urtheil falle, und der
auch gutes Zeugniß habe von denen, die draußen sind, auf daß er nicht falle
dem Lästerer in Schmach und Strikte (1. Tim. 3, 1 —7).
Das Alles nun hatten gar viele Päpste und Bischöfe vergessen und waren
nicht bemüht, der Christenheit und ihren Gemeinden voranzugehen mit dem '
Beispiele eines heiligen Lebens, sondern nur darauf waren sie bedacht, zu herrschen
durch weltliche Macht und Gewalt. Auch viele der andern Geistlichen wandelten
in Unehrbarkeit und Unzucht und schändeten durch ihren Wandel die Lehre
Jesu Christi; denn mit denr Munde bekannten sie ihn, aber ihr Herz war ferne
von ihm.
3. Weiter hat der Apostel Paulus demselben Timolhcnö geschrieben
(2. Tim. 3, 15.): „Weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann
dich dieselbige unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum;"
und damit ist angezeigt, daß die heilige Schrift allein der Grund
unseres Glaubens sein soll. Aber die Päpstlichen lehrten: die heilige
Schrift sei nicht nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in
der Gerechtigkeit, wie doch eben daselbst ausdrücklich geschrieben steht, sondern der
rechte Christ müsse sich richten nach der Ueberlieferung und dem Herkommen in
der christlichen Kirche und nach dem, waS der Papst und die Kirchenversammlungen
beschließen. Und so verboten sie dem Volke den Gebrauch der Bibel und viele
Geistliche in jener Zeit der päpstlichen Herrschaft haben die Bibel kaum gesehen,
sondern siel' halten müssen an dem, WaS ihre Vorgesetzten ihnen vorschrieben
nach menschlicher Einsicht und Willkür. Da ward denn erfüllet, waS der
Prophet sagt: „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen ihnen
selbst auögehauene Brunnen, die doch löcherig sind und kein Wasser geben
l Irrem. 2, 13).
4. Unser Herr und Heiland Jesuö Christus hat das heilige Abendmahl
eingesetzt zu einem Gedächtniß seines Leidens und Sterbens, und hat das Brot
gebrochen für Alle, die an seinem letzten Abendmahle Theil nahmen, und hat
395
geboten, daß Alle trinken sollten aus dem Kelche seines Abendmahls (Mtth. 26,
27). Die Päpstlichen aber haben auS dem Gedächtnißmahle des Herrn ein ganz
anderes Ding, nämlich die Messe gemacht und lehren: Bei jeder Messe bringe
der Priester den wirklichen Leib und das wirkliche Blut Jesu Christi zum Opfer
dar. Daö Brot zwar dürfte der Laie, d. h. werkein Geistlicher sei, auch genießen,
aber auS dem Kelche des Abendmahls zu trinken, sei nur den Geistlichen erlaubt.
DaS war eine schmähliche Verunstaltung des Sakraments, und ein Raub an
Allen, die sich nach dem Abendmahle des Heilands sehnten.
5. Endlich, so lehret der Apostel Paulus, der Mensch werde gerecht, oder
erlange Gottes Wohlgefallen nicht durch die Werke des Gesetzes, sondern durch
den Glauben, d. i. nicht durch die Beobachtung äußerer Vorschriften, sondern
durch die Gesinnung, in der er sich ganz seinem Gott hingiebt, seine Sünden
ernstlich und herzlich bereut und sein sündlichcS Leben vom innersten Grunde
aus bessert (Röm. 3, 28). Die Päpstlichen aber lehrten, die sogenannten guten
Werke seien nothwendig zu unserer Seligkeit; durch Fasten und Almosengeben
und Beobachtung äußerer Gebräuche könne man ein Verdienst bei Gott erwerben,
und über die Summa seiner.guten Werke gleichsam Abrechnung halten. Vernehmt
nur, wie sie diese Lehre weiter auSgesponnen haben. Die sogenannten Heiligen,
sagten sie, haben weit mehr gute Werke gethan, alö zu ihrer Seligkeit erforderlich
gewesen wären. Daraus sei nun ein unermeßlicher Schatz guter Werke entstanden,
und der Pabst habe über diesen Schah zu gebieten, er könne Allen, denen cö an
eigenen guten Werken fehle, so. »ist daraus mittheilen, alö sie zu ihrer
Seligkeit gebrauchen.
Das war nun schon an sich eine unverständige Lehre, denn die sogenannten
Heiligen, welche in der katholischen Kirche verehrt werden, mögen zum Theil
wohl fromme Menschen gewesen sein, aber sie waren doch immer noch Sünder
vor Gott, die da sprechen mußten: Wenn wir Alles gethan haben, waö wir
zu thun schuldig sind, so sind wir unnütze Knechte. Aber hört erst, wie diese
Lehre weiter angewendet worden.
Eö war von alter Zeit her gewöhnlich, daß man denen, die eine grobe
Sünde begangen, oder gar ein öffentliches Aergerniß gegeben hatten, irgend
eine Büßung auferlegte zu ihrer eigenen Besserung. Diese Büßung verwandelte
die päpstliche Kirche rn eine Geldbuße zur Bereicherung des päpstlichen Säkkelö
und zur Mißleitung der Gläubigen. Den Erlaß der kirchlichen Büßungen
verwechselte man mit der Vergebung der Sünden, und ein Ablaßbrief galt dem
unverständigen, ve.rstokkten Sünder für einen Einlaß zur Seligkeit. Waö soll
ich, so dachten gar Viele, mich mit Reue und Buße kasteien? Ist doch für Geld
Ablaß zu haben und Erlaß zeitlicher und ewiger Sündenftrafe!
Anfangs mußte der Ablaß in Rom selbst bei den sieben Hauptkirchen geholt
werden, bald aber kam man auf ein leichteres Verfahren. Große Ladungen mit
Ablaßbriefen gingen an. die Bischöfe im Auslande; die ließen sie auöbieten und
verkaufen und'theilten mit dem Papst daö fündliche Sündengeld.
Von Zeit zu Zeit traten Männer anf, welche das Evangelium wieder aus
seiner Verborgenheit hervorzogen, sich auf die Aussprüche desselben beriefen und
über die Anmaßung deS Papstes laute Klagen führten. Einer dieser Edeln war
Peter WalduS. Er zog gegen Ende des zwölften Jahrhunderts (1170)
in Frankreich umher und predigte dem Volke das reine Evangelium. Tausende
nahmen seine Lehren an und zeichneten sich durch reine Sitten und frommen
Wandel aus. Der Papst wüthete mit Feuer und Schwert gegen diese frommen
Christen und schonte selbst die Kinder und Säuglinge mcht. Die Waldenser
konnte er wohl unterdrükken, aber das Wort Gottes nicht. — Wie in Frankreich
Peter WalduS, so trat (1360) in England
396
2 oha » il Wiklef, ein frommer und weiser Lehrer, gegen die allgemeine
Sittenlofigkeit, gegen die Mißbräuche in der Kirche und gegen den Pabst auf.
Er übersetzte die Bibel ln die Landessprache und predigte nach der Bibel, ob
man es gleich von Rom auS nicht dulden wollte. Hohe und Niedere hingen ihm
an und schätzten und ehrten ihn auch dann noch, als der Pabst ihn verdammte.
In Böhmen wurde die Lehre Wiklcfs besonders von
Johann Hust, der Professor und Prediger in Prag war, begierig
aufgefaßt. Uncrschrokken verkündete er die mit der heiligen Schrift übereinstimmende
Lehre und predigte und schrieb namentlich gegen das sittenlose Leben der
Geistlichen, gegen Papst, Ablaß und verfälschte Abendmahlölehre ¿1402). Der
Papst belegte den Prediger des Evangeliums von Jesu Christo mit dem Banne.
Der Kaiser Sigismund wünschte die Religionöbcwegungen 'in Böhmen gestillt
und rief daher den Huß nach Kostnitz zur Kirchenversammlung. Huß folgte dem
Rufe. Der Kaiser hatte ihm versprochen, ihn gegen jede Gefahr zu schützen.
Man forderte von ihm, er solle widerrufen, was er gelehrt habe, und als er
sagte, er wolle cö gerne thun, wenn die heilige Schrift anders lehre, so wollte»
die Kläger ihn nicht weiter hören, warfen ihn in einen finstern Kerker und
sagten, inan brauche einem Ketzer sein Wort nicl't zu halten. Endlich wurde er
lebendig verbrannt (li. Juli 1415), und ein Jahr darauf auch sein Freund
Hieronymus von Prag (3«. Mai 1410). Ihre Feinde selbst mußten
ihnen das Zeugniß geben, daß sie mit großer Freudigkeit gestorben seien.
Aber in Böhmen erklärten Biele laut: Huß sei unschuldig und sie wollten
für seine Lehre Gut und Leben lassen. Man verfolgte sie. Da griffen sie
endlich zu den Waffen und es entstand ein dreizehnjähriger blutiger Krieg.
(Hussitenkrieg 1420 — 1434). Die wahren Anhänger des Huß sonderten sich
später ( 1457) ab und stifteten in einer Gegend des schlesischen Gebirges eine
Gemeinde, die ganz nach dem Muster der apostolischen Gemeinden zu lebe»
beschloß. Sie nannten sich Brüder, und Alles, was wir von ihrem Wandel
wissen, zeugt davon, daß sie ein lauteres Leben nach dem Evangelio von Jesu
Christo führten und unter allen Verfolgungen standhaft der erkannten Wahrheit
treu blieben.
*
Wie sehr die Christenheit im tiefsten Verfall war, zeigte daö Schikksal der
Waldenser, des Wiklef, Huß und Hieronymus. Daö, was die Heiden in den
ersten Jahrhunderten an den Christen gethan hatten, das thaten jetzt die, die
sich Christen nannten, an denen, die Christi wahre Nachfolger zu sein sich
bestrebten; und man konnte von den Christen sagen, was der Apostel (Röm. 1.)
von den Heiden sagt: Sie hatten Gottes Wahrheit verwandelt in Lügen; und
gleich wie sie nicht geachtet hatten, daß sie Gott erkennten, gab sie Gott auch
dahin in verkehrtem Sinn, zu thun, daö nicht taugt.— Ja, Finsterniß bedekktc
das Erdreich und Dunkel die Völker. Aber schon hatte sich der Herr aufgemacht,
seine verwüstete Kirche gnädiglich heimzusuchen; er that, was die Gottcöfürchtigcn
begehrten, hörte ihr Schreien und half ihnen. — Im Jahre 1483 den
10. November wurde
Martin Luther zu Eisleben geboren, und, da er sehr schwach war,
den Tag nachher getauft. Sein Vater war ein armer frommer Bergmann und
schikkte sein Söhnchcn fleißig zur Schule, trug es bei schlimmem Wetter oft selbst
auf den Armen hinein. Martin war ein kluges und fleißiges Kind, darum
beschloß sein Vater: Er soll studiren und ein Rechtsgelehrter werden. Der
Knabe wurde nun ans höhere Schulen, erst »ach Magdeburg, dann nach Eisenach
geschikkt, mußte aber, um sein Brot zu verdienen, nach damaliger Weise mit
andern Knaben den Leuten vor den Häusern singen. Schon in seinem 18. Jahre
bezog er die Universität zu Erfurt und ward Student, und in seinem 22. ward
397
er gar Lehrer anderer Studenten. Darüber freute sich der alte Luther sehr.
Einst aber kam Martin mit seinem besten Freunde AleriuS von einer Ferienreise
nach Erfurt zurükk. Ein schweres Gewitter stand gerade aiu Himmel. Ein Blitz
und Donner fiel herab und AleriuS fiel . todt neben Luther nieder. Luther
erbebte: „Wenn du nun getroffen wärest und ständest jetzt vor deinem Richter!"
dachte er und bebte noch mehr. „O wehe mir! Es steht schlecht uiit mir. Ich
muß mich ändern, mnß mich bessern!" So fuhr er fort und um damit
anzufangen, ward er rin Mönch. „Wenn man mir Mönch wurde, dachte man
damals, dann wäre schon Alles gut. Alle Sünden wären dann vergeben!"
Luthers Vater aber, der die Klöster kannte, war mit dem Schritte seines Sohnes
nicht zufrieden und der arme Luther mußte auch bald merken, daß er damit
Nickis bester gemacht habe. Aeußerlich hatte er es sehr schlimm, mußte im
Kloster die geringsten und schwersten Dienste thun und mit dem Bettclsakk in der
Stadt umherziehen. Dabei war er in seinem Gemüth ganz verzweifelt, dachte
immer an seine Sünden, wollte sic durch gute Thaten wieder abbüßen und gut
machen, suchte unsträflich zu leben, und — das wollte Alles nicht gehen, Alles
nicht helfen. — Da endlich fand er oben, zwischen den Büchern des Klosters,
an einer Kette eine lateinische Bibel. Er las begierig darin und las zu seinem
großen Troste: „Daß der Mensch nickt durch gute Werke gerecht und selig werde,
sondern allein durch den Glauben an Christum Jesum!" Nun war seine Freude
groß und ein stiller Friede und ein heiterer Muth erfüllte nach und nach sein
ganzes Wesen. — Im Jahre 1508 niachsc ihn der Kurfürst von Sachsen,
Friedrich der Weise, zum Professor au der neu gestifteten Universität zu
Wittenberg und zum Pastor. Als solchen schikkten ihn seine Ordensbrüder 1510
nach Rom. Da sollte er den Papst bitten, zu erlauben, daß alte schwache
Mönche in der Fastenzeit Fleisch essen dürften. Luther reiste gern nach Rom,
denn er hatte dazumal noch großen Respekt vor dem Papste und vor der Heiligkeit
der römischen Mönche. In Rom wurde er aber anderer Meinung. Er hörte
dort die schändlichsten Dinge von dem Papste und den Mönchen erzählen, sahe,
wie sie soffen und fluchten und logen, hörte, wie unandächtig sie in den Kirchen
die Messen und Gebete herplapperteu und über seine Andacht dabei spotteten.
Das betrübte ihn schmerzlich, trieb ihn aber auch desto mehr zum Worte Gottes.
Mehrere Jahre verlebte er nun wieder predigend und lehrend ruhig in Wittenberg
und sein Vater war wieder ganz zufrieden mit ihm. Auf einmal aber begann
eine unruhige Zeit für ihn. Seine Gemeindeglieder mußten nach damaligem
Brauche vor dem Genusse des heiligen Abendmahls einzeln zu ihm kommen und
ihm ihre Sünden beichten (Ohrenbeichte). Dann stellte er ihnen das Sündige
der Sünde noch besonders lebhaft vor und forderte sie auf, ihre Missethaten
herzlich zu bereuen, und Gott um Vergebung derselben anzuflehen, und ein
anderes Leben anzufangen. Sie antworteten aber: „Das haben wir nicht nöthig;
der Mönch Tetzcl ist in der Nähe gewesen und hat uns Ablaßzettel verkauft;
die haben wir ihm gut bezahlt! — Natürlich war Luther darüber sehr erzürnt
und schrieb auf einen großen Bogen Papier 95 Sätze auf, worin er behauptete:
„Daß der Papst kein Recht habe, für Geld Sünden zu vergeben, daß Nichts
davon in der Bibel stehe u. s. w." — und ließ den Bogen än der Schloßkirchenthür
zu Wittenberg ankleben, 1517 den 31. Oktober. Es dauerte nickt lange, so
waren die Sätze gedrukkt und durch ganz Europa verbreitet. Der Papst Leo X.
schikkte erst den harten Kardinal Cajetan und dann den freundlichen Kammerherrn
von Miltitz; die sollten Luther auf andere Gedanken bringen und überreden,
daß er Unrecht habe. Luther behauptete aber immer: „Beweist mir aus der
heiligen Schrift, daß ich Unrecht habe, dann will ich es vor aller Welt bekennen!"
Auch der Eck konnte ihn zu keiner andern Erklärung bringen. Darum reiste
derselbe wüthend nach Rom und bewog den Papst, Luther und seine Bücher vor
398
aller Welt zu verfluchen, — in den Bann zu thun. In mehreren Städten ließ
man aber die gedrukkten Bannzettel gar nicht ankleben und in Wittenberg warf
sie gar Luther mit eigener Hand, mitten zwischen seinen Studenten und Tausenden
von Bürgern, ins Feuer (1520). Nun war im Jahre 1519 Kaiser Maximilian
von Deutschland gestorben und Kaiser Karl V. war ihm gefolgt. Dem wurde
die Sache bedenklich. Darum befahl er den deutschen Fürsten und hohen
Geistlichen, sie sollten sich zum Reichstage in der Stadt Wormfl versammeln
(1521). Da wollten sie denn miteinander überlegen, wie der Streit beizulegen
und „die Mönche zu versöhnen seien!" Luther mußte auch kommen und ging so
getrost, daß er unterwegs das Lied: „Ein' feste Burg ist unser Gott!" dichtete
und sich durch Hussens Beispiel nicht schrekken ließ. Nahe bei WormS angekommen,
warnte man ihn noch: „Geh nicht hinein!" Er antwortete aber: „Und wenn so
viel Teufel in Worms wären als Ziegeln auf den Dächern, ich gehe doch
hinein!" — Durch ein unzähliges Bolksgedränge wurde er endlich in den großen
Saal geführt, wo der Kaiser und seine Räthe, wohl 1200 vornehme Männer,
saßen. Seine Bücher, die er geschrieben hatte, lagen alle da auf einem Tische.
„Hast du die Bücher geschrieben?" fragte man ihn. „Ja," war seine Antwort.
„Willst du, was du darin geschrieben, für Lüge erklären und widerrufen oder
nicht?" fragte man ihn weiter. Luther besann sich. „Darauf kann ich nicht
gleich antworten," sagte er dann. „Laßt mir Zeit bis übermorgen!" Am
dritten Tage wurde er wieder vorgeführt und sprach: „Beweist mir aus der
Schrift, daß ich geirrt habe, und ich will widerrufen, will mit eigener Hand
meine Bücher zuerst ins Feuer werfen!" „Ei waö," erwiderte man. „Hier
ist nicht Zeit zum Disputiren. Antworte rund und kurz: willst du widerrufen
oder nicht?" „Nun," antwortete Luther, „so will ich euch denn eine Antwort
geben, die weder Hörner noch Zähne hat: Ich kann nicht widerrufen, es
sei denn, daß man mir aus der heiligen Schrift widerlege. Hier
steh ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!"
Freunde und Feinde waren über dies standhafte Bekenntniß Luthers erstaunt.
Luthers edler Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, war besonders hoch
erfreut und sprach zu seinem Hofprediger Spalatin: Wie schön hat Pater'
Martin geredet vor Kaiser und Reich. Ja Kaiser Karl selbst rief voll Bewunderung:
Der Mönch redet »nerschrokken und getrosten Muthes.
Etliche riethen nun dem Kaiser, er möge Luthern hinrichten lassen, einem
Ketzer brauche man kein Versprechen zu halten; aber der Kaiser gab ihnen diese
Antwort: „Weil I)r. Luther sich auf Unser Kaiserlich Wort und versprochen
Geleit hiehero begeben, so wollen Wir auf keine Weise gestatten, daß ihm das
geringste Leid zugefügt werde. Denn wenn schon Treue und Glauben von der
ganzen Welt vertrieben sein sollten, will eS sich doch gebühren, daß dieselben
noch bei einem Kaiser gefunden werden." So ließ er ihn sicher und ««beleidigt
nach Hause ziehen. Unterwegs überfielen ihn aber verkleidete Männer im
Thüringer Walde, rissen ihn aus dem Wagen und führten ihn nach der Wartburg
bei Eisenach. Da war er vor seinen Feinden sicher, niußte sich wie ein Ritter
kleiden, trug auch einen Schnurrbart und — fing an, die Bibel zu übersetzen.
Friedrich der Weise hatte jene Männer gesandt. Der Kaiser hatte nämlich die
RcichSacht über Luthern ausgesprochen, d. h. Jedermann aufgefordert, den
gefährlichen Mönch zu fangen oder todt zu schlagen. Jetzt war er in Sicherheit
und nur wenige seiner Freunde wußten, wo er war. Er blieb aber nur 10
Monate auf der Wartburg. Da hörte er, daß mehrere seiner Freunde in seinem
Namen die Bildsäulen in den Kirchen zerbrächen, kam nach Wittenberg und
predigte gegen sie. Die Zahl seiner Anhänger aber wuchs von Tage zu Tage. .
Im Äahre 1527 schrieb er den kleinen Katechismus für die Kinder und den
großen für die Lehrer. Im Jahre 1530 verlangte der Kaiser von den Protestanten
399
(so wurden sie genannt, welche fortan nur nach der Bibel, nicht nach der Lehre
des Papstes leben wollten): „Nun schreibt mir doch einmal auf, was ihr von
Gott und göttlichen Dingen glaubt!" Melanchth'on, Luthers sanfter Freund,
schrieb es auf und in Augsburg wurde diese Schrift (AugSburgsche Konfession)
dem Kaiser übergeben und vorgelesen. Durch diese und andere Schriften wurde
Luthers Lehre weit verbreitet. Besonders segensreich war es, daß 1534 die
Bibel vollständig übersetzt war und nun in vielen tausend Exemplaren gedrukkt
wurde. Da wurde sic mit großer Begierde gelesen. Abends nach der Arbeit
setzten sich die Leute zusammen, Einer las vor, die Andern hörten zu; die
Weiber hatten in den Spinnstuben daö neue Testament vor sich und wußten
Gottes Wort besser als die Mönche, die sie überreden wollten. Das Lesen der
heiligen Schrift wirkte tief auf die Herzen der Menschen und wirkte erst recht
ciize große Verbreitung der Reformation. Manche fromme Lehrer erklärten eS
auch dem Volk, daß meilenweit darnach ausging, und Luther arbeitete unermüdet
im Dienste dcü Herrn fort, bis an seinen Tod. Im Jähre 1540 den 18. Februar
starb er in seiner Geburtsstadt Eisleben, tief betrauert von allen denen, welchen
der Herr durch ihn die Augen geöffnet hatte. Er wurde in der Schloßkirche zu
Wittenberg begraben. Seine Frau, eine geborene Katharina von Bora,
überlebte ihn mehrere Jahre.
Fast um dieselbe Zeit, als Luther in Deutschland die Kirchenverbesserung
begann, erhob sich in gleicher Absicht Zwingli in der Schweiz (1510). In
den meisten Lehren stimmte Zwingli mit Luther überein, wich aber besonders in
Abendmahlslehre von demselben ab. (Zwingli erklärte Brot und Wein inr
Abendmahle seien bloße Zeichen des Leibes und Blutes Jesu; Luther dagegen
behauptete nach dem Worte Gottes, in, mit und unter dem Brot und Wein
deS heiligen Abendmahls fei der wahre Leib und Blut Jesu gegenwärtig und
werde damit genossen.) Und da jede Partei fest bei ihrer Meinung bcharrte, so
gab dies zu der Trennung der beiden Schwcsterkirchen die nächste Veranlassung.
Nach Zwinglis Tode trat zu Genf, wo die neuen Lehren großen Eingang
gefunden hatten, Calvin auf, ein angesehener Prediger und Lehrer daselbst, und
ward der zweite Begründer der reformirten Kirche. In mehreren Stütten wich
aber Calvin von der Lehre Zwinglis ab. Am meisten Auffehn erregte seine Lehre
von dem unbedingten Rathschlussc Gottes oder der sogenannten ewigen Gnaden-
wahl. Er behauptete nämlich, Gott habe einen Theil der Menschen schon von
Anbeginn zum Verderben, einen andern Theil zur Seligkeit vorher bestimmt. .
Die Anhänger der durch Zwingli und Calvin reformirten, d. i. verbesserten
Kirche, breiteten sich nun auch in andern Ländern, vorzüglich in Frankreich,
aus, waren aber hier, wie anderwärts, vielen Bedrükkungen ausgesetzt.
*
Gleich nach Luthers Tode (1540) brach in Deutschland ein Krieg auS.
Kaiser Karl wollte nämlich mit Gewalt, im Einvcrständniß mit dem Papst, die
evangelische Kirche unterdrükken. Da griffen die evangelischen Stände in Gottes
Namen zu den Waffen. Allein der Kaiser siegte mit Hülfe des Herzogs Moritz von
Sachsen und in der Schlacht bei Mühlberg (1547) ward sogar der Kurfürst
Friedrich von Sachsen gefangen genommen, und auch der Landgraf Philipp von
Hessen ergab sich ihm auf Gnade und -Ungnade. Da dachte nun der Kaiser das
Acrgfte zu thun, der Herr demüthigte ihn aber durch denselben Moritz, der ihm
zum Siege verholst» hatte, und er mußte im Passauer Vertrage (1552); und
im Religio ns frieden zu Augsburg (1555) den Evangelischen Glaubens-
freiheit gestatten. Doch hörten die Bedrükkungen von Seiten der Katholiken nicht
auf. In den Niederlanden wüthete der grausame Herzog Alba, der sich rühmte,
18,000 Evangelische mit dem Schwerte haben hinrichten zu lassen. In Böhmen
wurden die Anhänger Hussens, die B 5h mi fch e n und M äh rifch en Brüder, hart
i 400
bebviiffi. Da brach denn plötzlich ein heftiger Religionskrieg aus, der 30 Jahre
dauerte und darum auch der dreißigjährige Krieg (1018 — 1648) genannt
wird. Das war von Anfang bis zu Ende ein furchtbarer Krieg. Er brachte über
unser Deutschland unaussprechlichen Jammer, namenloses Elend. — Schon waren
die Katholischen Sieger und es wurde ein kaiserlicher Beschluß, dasR esti tu ti o n s-
cdikt, den 6. März 162!) bekannt gemacht, wonach die Evangelischen die ihnen
rechtmäßig gehörenden geldlichen Güter wieder an die Katholiken zurükkaeben
sollten. Große Heere standen bereit, um Alles ins Werk zu setzen, waö der Kaiser
wollte. — Doch, wenn die'Noth am größten, ist Gott mit seiner Hülfe am nächsten.
Von Norden her kam dies Mal die Hülfe und der Bote, der sie brachte, war
Gustav Adolph, König von Schweden (4. Juni 1630). In Wien
nannte man den schwachen Schwcdenkönig damals spottweise nur immer den
„Schneekönig!" und der kaiserliche General Wallenftein äußerte sich: „Kommt
mir der Schneekönig nach Deutschland, gewiß! ich lasse ihn mit Ruthen wieder
nach Hause peitschen!" So wenig Respekt hatte man damals vor den Schweden.
Das kam aber bald anders. König Gustav und sein edleö Volk waren tief betrübt
über den Jammer der Glaubensgenosse» in Deutschland. — Es sammelte sich ein
kleines aber tapferes Heer, und der König führte eS nach Deutschland hinüber.
Solche Soldaten waren aber in unserm Vaterlande »immer gesehen. Da
hörte man keinen Fluch, kein Scheltwort, sondern Gebete, Lobgesänge und
verständige Gespräche. Kein Kartenspiel duldete der König, und ein Betrunkener
wurde auf das Härteste bestraft. Und Gott war mit dem Heere. Wohin eö
kam, zogen sich die Kaiserlichen zurükk. Eine Stadt nach der andern öffnete den
Schweden ihre Thore und wurden von diesen Feinden unvergleichlich milder
behandelt, als von ihren früheren Beschützern. Aber leider ging doch noch eine
Stadt zu Grunde, welcher der König nicht bald genug zu Hülfe kommen konnte:
Magdeburg. Diese Stadt hatte nämlich Tilli den 10. Mai 1631 erobert,
und in Brand stekken lassen. Während des Brandes plünderten die schrekklichen
Eroberer Alles, was sie fanden; mordeten Jeden, der ihnen begegnete, und
zerschmetterten selbst die Säuglinge an den Straßenekken, oder spießten sie
lebendig und hielten sie in die Flammen. Nur 300 Häuser bliebe» stehen von
2000 und 1500 Menschen am Leben von 40,000. Sv wütheten Tillis Soldaten
und er selbst, der Mordbrenner, hielt ruhig vor dem Thore auf seinem Pferde
und sahe zu. Und als einige seiner Offiziere herbeisprengten und baten: „O,
General! so laß doch endlich einmal das Blutvergießen ein Ende nehmen, laß die
Soldaten zurükkkommen!" antwortete er: „Kommt nach einer Stunde wieder!
Der Soldat muß doch auch Etwas haben für seine saure Mühe!" — Bon
Magdeburgs rauchendem Schutthaufen zog Tilli mit gequältem Gewissen nach
Leipzig. Dort traf er den edlen Schwedenkönig und sein frommes Heer. Noch
nie hatte man ihn, den rauhen Krieger, trunken gesehen; noch nie hatte er
eine Schlacht verloren, wohl aber in 36 Schlachten gesiegt. Bei Leipzig nahnl
sein Siegeslauf ein schmähliches Ende. Gustav besiegte ihn, folgte ihm nach
Schwaben und besiegte ihn dott zum zweiten Male. Tilli erhielt in dieser
zweiten Schlacht eine Wunde in die Lende imd starb einige Zeit nachher daran.
So war die Macht der Katholiken in Deutschland gebrochen, und Gustav Adolph
zog siegreich durch Deutschland und wurde von den Protestanten überall als
Retter bewillkommt. Nun schikkte der Kaiser den tapfern Feldherrn Wal len stein
gegen ihn aus, und nach langem Zögern, kam cs am 16. November 1632 auf
der Ebene von Lützen zur Schlacht. Als der Morgen anbrach, lag ein dichter
Nebel über der Gegend. Gustav Adolph benutzte diese Frist, um mit seinem
ganzen KriegShcer einen Gottesdienst auf freiem Felde zu halten. Das Lied von
Luther: „Ein' feste Burg ist unser Gott" wurde von dem ganzen Heere
gesungen, darauf daö Lied: „Es wolle Gott uns gnädig sein rc." Kurz vor
401
ber Schlacht hatte ber König seinem Hofprediger baS schöne Lieb angegeben, daS
also beginnt: „Verzage nicht, bu Häuflein klein, obgleich bk Feinbe Willens
fein, bich gänzlich zu zerstören re." Die Melobie biescS Liebes würbe nun von
ber KrieaSmusik vor beut ganzen Heere gespielt nnb nachbem ber König auf biese
Weise bk Herzen seiner Soldaten mit dem Vertrauen auf Gott gestärkt hatte,
bestieg er sein Pferd mit ben Worten: „Nun wollen wir baran! Das walte ber
liebe Gott! Der helfe uns heute streiten zu seines Namens Ehre!" Das war
Morgens um 9 Uhr. Zwei Stunbcn später traf ihn eine Kugel unb sterbend
fiel er vom Pferde. Sein Tod aber war für sein Heer der Führer zum Siege
und die Feinde mußten das Schlachtfeld räumen.
Auch nach Gustav Adolphs Tode halsen die Schweden den deutschen
Protestanten, biö endlich nach 16 Jahren (den 24. Oktober 1648) zu Münster
ber w estphälischc Friede geschlossen wurde, in welchem den Protestanten
völlige Religionsfreiheit ausgewirkt worden ist. Aber wie verwüstet sah
Deutschland am Ende dieses 30jährigen Krieges atis! Im Ganzen hatte eö gegen
zwei jDrittheile seiner Einwohner , in manchen Gegenden noch viel mehr, verloren.
Ganze Dörfer standen leer, verwüstet, verbrannt; die Aekker waren verwildert
und die Menschen ebenfalls.
Wie hoch Deutschland Gustav Adolph schätzte, zeigte sich im Jahre 1832,
als zum zweihunderten Male der Tag seines Todes wiederkehrte. Da wurde von
Vielen beschlossen, dafür zu sorgen, daß über deut Schwedtnsteine, den damals
der Reitknecht deö Königs auf dem Schlachtselbe errichtet hatte, ein Denkinal sich
erhebe, welches der Nachwelt Zeugniß gebe von der Hohen Achtung, welche Gustav
Adolphs Name genossen hatte in unserer Mitte. Im Jahre 1837 wurde dieses
Denkinal aufgerichtet und eingeweiht in Gegenwart von Tausenden, die mit
Begeisterung und mit Liebe weither sich eingefunden hatten, zun dem gdoßen
Todten ihre Huldigung zu bringen. Das war eine schöne Feier- Doch eine noch
höhere Weihe empfing jener frühere Tag int Jahre 1832 dadurch, daß an ihm
eine Anzahl Männer, denen ihr evangelischer Glaube wahre Herzenssache ist,
zusammentrat zu einem
Gustav-Adolph-Verein, der den Jwekk hat, bedrängten evangelischen
Glaubensgenossen in- und außerhalb Deutschland die Mittel zu gewähren,
deren sie bedürfen, um als evangelische Gemeinden zu bestehen. Preußen, Sach-
sen, Hannover, Braunschweig, Hessen, Baden, Würtcmberg, Mekklenburg, die
freien Reichsstädte Hamburg, Bremen und Lübckk, Dänemark mit Holstein
und Schleswig, Norwegen und Schweden, Holland, die Schweiz und England
Obgleich dies Letztere eine eigene Kirche, nämlich die sogenannte bischöfliche,
bildet), das sind die vornehmsten protestantischen Länder. Aber auch in den
übrigen Reichen Europas leben Protestanten zerstreut und oft unter hartem
Drukk, oder doch wenigstens ohne Mittel, Kirchen und Schulen bauen,
Geistliche und Lehrer anstellen und überhaupt sich einen eigenen Gottesdienst ein-
richten zu können. Viele müssen meilenweit gehen, um sich mit protestantischen
Brüdern zu einem Gottesdienst oder zur Feier der Sakramente vereinigen zu
können. Vielen ist das Abhalten besonderer Gottesdienste, daö Läuten der
Glokken, das Spielen der Orgel, die feierliche Bestattung ihrer Todten rc. nicht
erlaubt; Viele haben weder Kirchen noch Schulen. Daö hat ihren protestantischen
Glaubenöbrüdern immer wehe gethan, und sie haben eö als ihre Pflicht erkannt,
ihnen zu Hülfe zu kommen nach dem Worte St. Pauli: „Lasset uns i
Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an deö Glaubens-
genossen (Gal. 6, 10)." —
Viele, viele Freunde hat bereits der evangelische Verein der Gustav-Adolph-
Stiftung, doch er wird noch mehr bekommen, und auch du, mein Leser, wirst
hingehen zu deinent evangelischen Pfarrer und sagen: „Hier ist mein Scherflein,
402
auch ich nehme herzlichen Antheil an dem harten Loose meiner bedrängten Glau-
benöbrüder." —
*
Gehet hin in alle Welt und prediget dar Evangelium aller
Kreatur!" (Marc. 1(5, 16.)
Die ganze Erde soll voll werden vom Erkenntniß des Herrn, wie mit
Wellen des Meereö bcdekkt. Aber noch bedekkt Finsterniß daS Erdreich. Viel,
gar viel giebt es noch zn thun. Von den 100 0 Millionen nach dem Eben-
bilde GotteS geschaffenen Menschen sitzen noch gegen 0 00 Millionen in der
Finsterniß des Heidenthumö, ferne von dem Reiche GotteS und Christi. Gott
will aber, daß allen Menschen geholfen werde, und daß sie alle zur Erkenntniß
der Wahrheit kommen, und der Befehl Christi fordert seine Diener auf: „Gehet
hin »in alle Welt und lehret alle Völker, und taufet sic im Namen dcS Vaters,
des Sohnes und des heiligen Geistes!" — Dies Wort des Herrn vergaßen die
ersten Christen nicht!! Hatten sie denn aber gar nichts bei sich selbst zu thun?
Ja wohl! Aber cö heißt: das Eine soll man thun und das Andere nicht
lassen! — Was würde aus uns geworden sein, wenn die ersten Christen so hätten
denken wollen, wie Viele jetzt unter uns denken? Sie denken weder recht an
sich, noch an die armen .Heiden. Thut ihr denn etwas für das Werk der
heiligen Mission? — i—
Die Mission aber ist daS Werk der Ausbreitung der christlichen Kirche
durch die Missionare oder Glaubenöboten, welche, von Gott auS allerlei Volk
und Stand erwählt, und mit Gaben des Leibes und der Seele ausgerüstet, von
der Kirche gesendet, zu den nichtchristlichen Völkern gehen, vor ihnen zu zeugen
von dem unsichtbare)» Gotte, ob auch sie ihn fühlen und finden möchten, ihnen
1 daS Evangelium Jesu Christi zu bringen und sie an seiner Statt zu bitten:
Laßt euch versöhnen mit Gott! — Diese Missionare übernehmen freiwillig die
Beschwerden der Reise, Hunger und Durst, Frost und Hitze, Gefahren und
Verfolgung, ja selbst den Tod, und verlassen Eltern, Geschwister, Freunde und
Vaterland für immer. Zur Betreibung ihres Werks errichten sie Schulen an
ihren Wohnplätzen oder Missionsstationen, lehren und predigen, und suchen die
Kraft des heiligen Geistes durch einen gottseligen Wandel zu bewähren.
Das Werk der Mission wurde von den Aposteln begonnen, welche zu allen
Zeiten Nachfolger gehabt haben. Bon der evangelischen Kirche gingen chald nach
der Reformation einzelne Männer als Glaubensboten nach Ostindien, Brasilien,
Nordamerika, Grönland; aber in neuerer Zeit, besonders seit 40 Jahren, hat
sich die Zahl derselben so gemehrt, daß jetzt die Gesammtzahl der Arbeiter und
Arbeiterinnen auf 1240 Missionöplätzen über 13000 beträgt, unter denen etwa
2000 eigentliche Missionare sind. In Grönland und Labrador, umgeben von
Eisbergen und ewigem Schnee, in den Sandtvüsten von Afrika, bei den Sklaven
in Westindien, bei den freien Indianern in Nordamerika, unter den Kaffern und
Hottentotten, unter den mcnschenfresscnden Neuseeländern, unter den Wilden auf
den Südsee-Jnseln, bei den Chinesen, die ihr Land vergeblich verschließen, bei
den Hindus, die mit ihrer Weisheit prahlen; — es ist kaum ein Land, wohin
das Evangelium nicht gebracht, kaum eine Sprache, in welcher Christus nicht
gepredigt würde.
Daö Werk der Mission recht zu fördern, giebt eö MissionS-Anstalten
• und Missions -Vereine. Missionsanstalten (auch Missionsschulen oder Mission»-.
• seminare genannt) sind Häuser, in denen diejenigen, welche Glaubenöboten »verden
wollen, die nöthige Ausrüstung empfangen in Kenntniß der Völker, der Sprachen
und der heiligen Schrift. Solche Anstalten sind in England, in der Schweiz,
in Frankreich und Deutschland. In Deutschland nämlich zu Berlin, Barmen,
403
Dresden und Hamburg. Auch ist die Brüdergemeinde selbst eine Missionöanstalt
und ein MissionSvercin.
Missions - Vereine oder Missions - Gesellschaften sind Verbindungen
derjenigen Christen, welche zur Förderung des Missionswerkes mitwirken wollen.
In ganz Europa giebt eS jetzt 28 Haupt- oder Muttergcsellschaften, wovon 10
auf Deutschland und die Schweiz kommen. In der ganzen Welt giebt eö aber
03 Missionöanstaltcn. Auch für die Verbreitung des Reiches Gottes unter den
Juden wirken besondere Vereine. Alle diese Vereine haben ihre Tochtergesell-
schaften, dergleichen über ganz Deutschland verbreitet sind, so daß fast in allen
Gegenden allen Christen Zutritt und Mitwirkung möglich ist. Sie sorgen dafür,
daß Missionare gebildet, nach ihren Stationen befördert und mit dem Nöthigen
vcrsebcn werden. Die Kosten dazu werden durch freiwillige Beitrage aufgebracht
und sind bisher aufgebracht worden; aber mehr Boten sind nöthig , also auch
mehr Mittel, denn die Ernte ist groß und der Arbeiter sind wenig. Darum
sollen Alle, darum sollst auch du mitwirken, mitwirken durch Beten und Reden,
durch Geben und Leben; durch Beten, daß der Herr der Ernte Arbeiter
sende; durch Rede», um Allen zu bezeuge», daß Alle sollen der Wahrheit Ge-
hülfen werden; durch Geben, damit du deine Liebe bethätigest und selbst auch
reicher werdest, denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb; durch Leben, damit
du dein Licht leuchten lassest vor den Leuten, daß sie deine guten Werke sehen,
und auch Lust gewinnen am Werke des Lichts.
O, geht hinaus auf allen Wegen
Und ruft die Irrenden herein,
Strekkt Jedem eure Hand entgegen
Und ladet froh sie zu uns ein;
Der Himmel ist bei uns auf Erden, '
Im Glauben schauen wir ihn an;
Die eines Glaubens mit uns werden,
Auch denen ist er aufgcthan.
Zwar ist die Zahl der Bekehrten noch nicht groß, aber doch ist aller Orten
eine Sehnsucht nach dem Heile zu spüren. Und die das Heil gefunden haben, an
ihnen werden euch die,Früchte des Heils sichtbar. Denn sie sind eifrig besorgt
um ihr Wachsthum in der Gottseligkeit, wandern meilenweit nach dem Gottes-
dienste, sparen oft Jahre lang, um eine Bibel kaufen zu können, lernen im Alter
noch lesen, beten für die Ausbreitung des Reiches Gottes, geben von ihrer Ar-
muth Beisteuer für di christliche Anstalten, meiden ihre Lieblingösünden. — Ein
Neger von 103 Jahren sagte: „Der mir die Bibel gab, der gab mir daö Leben."
Die Fingus in Afrika sagen am Sonntage: „Unsere Seelen hungern nach dem
süßen Worte." Wo sonst Armuth, Krieg, Plünderung herrschte, wo die Säug-
linge gemordet, die Kinder verwahrlost, die Weiber gemißhandelt, die Wittwen
verbrannt wurden, da ist nun, wo das Christenthum herrscht, Friede und Sicher-
heit, häusliches Gliikk und Wohlsein. — Bei den Muhamedanern hat die Mission
noch am wenigsten Frucht gebracht. Der Islam steht noch unter Gottes verbor-
genem Gerichte. Aber auch seine Zeit wird kommen. Der Herr wird herrschen
von einem Meere bis zum andern. Gelobet sei sein herrlicher Name! Alle Lande
müssen seiner Ehre voll werden! Jauchzet ihr Himmel! Freue dich, Erde! Lobet
ihr Berge mit Jauchzen: Denn der Herr hat sein Volk getröstet, und erbarmt
sich seiner Elenden.
2n ihm hat jegliches Geschleckt Gerechtigkeit und Stärke; er übt Barmherzigkeit imd Recht a»
jedem seiner Werke; sein Feuer zündet fort und fort ans seiner ganzen Erde, bis daß, nach dein
Verheißungöwort, sie voll Erkenntniß werde.
Zwar dekket Finsterniß und Nacht noch viele Millionen; doch strahlt mit Herrlichkeit und Pracht
schon in de» fernsten Zonen das Lebenslicht, vom Herrn gesandt, und Tausenden zum Segen, die
früher todt und unbekannt im Sündenschlas gelegen.
404
Verein ,
2hm soll
Mit jedem Tag wird'« lichter sein, bi- endlich hier auf Edden, Sem. Ham und Iaphet Im
ei» sein Heil genießen werden. 3hm hnld'aen mit gebog'nem Knie des Himmels Seraphinen'
i soll — denn er erlöste sie — nun auch die Menschheit dienen!
„Selig sind, die Gottes Wort boren und bewahren!!" (Luc. 11, 28.)
Bibelgesellschaften. „Das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein
großes Licht.'' So sprach in heiliger Vorschau der Evangelist unter den Pro-
pheten, JesaiaS (9, 2.); und als die Zeit erfüllet war, so sandte Gelt seinen
Sohn, und dieser war das Licht und das Leben der Menschen (Joh. 1, 4), wie er
selber sagt, Joh. 8, 12: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der
wird nicht wandeln in Finsterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben."
DaS Licht der Welt hat ein Reich des Lichtes geschaffen, welches in dauerndem
Kampfe gegen die Herrschaft und Obrigkeit der Finsterniß, gegen Sünde, Tod
und Teufel geführt wird, das ist das Wort Gottes — eine gar blanke und scharfe
Lichtwaffe (Römer 19, 12. Ephes. <>, 7.) Dieses Wort und diese Helle Sprache
Gottes ist von Ewigkeit, und hat sich leibhaftig geoffeubaret in Jesu von Naza-
reth; offenbart sich aber auch noch täglich, kraft des heiligen Geistes in allen
Gläubigen, welche predigen. Es giebt aber einen Prediger, der keinen äußerlichen
Mund und keine äußerlich hörbare Stimme hat, dennoch vor allen übrigen Pre-
digern zn den Herzen spricht und daö Wort Gottes, die heil. Schrift,
die Bibel, d. i. das Buch aller Bücher genannt wird. Dieses Buch aller
Bücher ist eine Sammlung von den verschiedenen Gottcöstimmcn unter dem Volk
Israel vor Christus und unter den ersten Christen. Die erste Sammlung, da«
alte Testament, und die zweite, das neue, beide sind herrliche Vermächtnisse, sind
Urkunden, die den, welcher daran glaubt und sich darnach richtet, zum ewigen
Bundesgenossen mit Gott, und zum seligen Bewohner seines Reiches machen.
Das Volk Israel verehrte das Wort Gottes, welches, außer dem Gesetz, die
herrliche Verheißung von dem Messias enthielt, vor allen seinen Heiligthümer»,
und den Christen war es, nach dem darin auch die Erfüllung der Verheißung in
der Menschwerdung des Sohnes Gottes sich befand, ein Schatz aller Schätze.
Jedoch konnten nur Wenige zu diesem Schatz kommen; denn eö kostete viel Geld
und Mühe, eine Bibel auf Häuten abzuschreiben; und da neben den Bibelsprachen
(der hebräischen im alten Testament, und der griechischen im neuen) noch viele
andere Sprachen seit dem babylonischen Thurmbau (1. Mose 11.) gesprochen
wurden, so konnten auch die Meisten die Bibel nicht lesen, weil sic nicht die
Bibel zu sprechen verstanden, wenn sie auch sonst wären von dem Geiste Gotteö
getrieben worden. Man hatte wohl das Testament in die griechische und die
ganze Bibel in die lateinische 'Sprache übersetzt, aber nur die Geistlichen konnten
ft* lesen, und auch diese oft nicht. Da hieß eö denn: „Finsterniß bedekket
daö Erdreich!" Aber der Herr, der bei der Weltschöpfung gesprochen: „Es
werde Licht!" der machte seinem Lichte Boten, der Bibel Bahn und Weg. Zu-
erst ließ er Johann Guttenberg zu Mainz eine Kunst erfinden, wodurch eS
möglich ward, eben so leicht tausend von Bibeln herzustellen, als sonst eine;
- das ist die Buchdrukkerkunft; dann gab er Martin Luther die Einsicht, den
Willen und die Kraft, die ganze heil. Schrift in die deutsche Sprache zu über-
setzen, und das ist die Bibel, wie wir sie jetzt in unsern Häusern und Schulen
haben. Guttenberg ward 1400 und Luther 1483 geboren, und machte der Erste
dem Werke des Letztem Bahn. Luthern folgten unter andern Völkern andere
fromme Männer, und so bekamen wenigstens bald alle evangelischen Völker die
Bibel auch in ihrer Sprache.
Zweierlei blieb, nachdem Luther statt des menschlichen Papstes die heil.
Schrift zuin Gesetzgeber für die ganze christliche Kirche erklärt hatte, noch zu
thun übrig: 1) Sie so wohlfeil wiekein anderes Buch, halb umsonst möchte man
sagen, in aller Christen Hände zu bringen und aller Christen Augen und Mund
405
zum Lesen zu öffnen; 2) sie in alle Sprachen der Welt zu übersetzen, und sie so
zu dem großen Weltapostel, zu einem nie sterbenden, nie sich irrenden Prediger-
für alle Völker zu machen. Die Wohlfeilheit der heil. Schrift bewirkte in Deutsch-
land schon 1712 der Baron von Canstein, indem er mit dem halleschen Wai-
senhause eine Anstalt verknüpfte, welche in verschiedenen Ausgaben, wie sie das
Bedürfniß erfordert, die Bibel verbreitet, und bis zum Jahre Ì840 nicht weniger
als 4 Millionen Bibeln unter die deutschen evangelischen Christen verbreitet hat.—
Aber die heil. Schrift allen Völkern wohlfeil in die Hände zu liefern, das hat
der Herr den Engländern vorbehalten, weil sie in ihrer weit verbreiteten Geschäf-
tigkeit und bei ihrem Verkehr mit allen Völkern die Lastträger des Wortes Gottes
in alle Welt sind.
Die Sache selbst ging aber also zu: Ein Geistlicher in England, welcher
bemerkte, daß in seiner Gemeinde das Wort Gottes nur spärlich zu finden sei,
und in London bei christlichen Mitbrüdcrn sich Raths erholen wollte, wie diesem
großen Nebel abzuhelfen sei, gab die Veranlassung dazu, daß am 7. März 1804
die bri t tische und ausländische Bibelgesellschaft gestiftet ward. Viele
hoch gestellte Männer, denen daö Kreuz Christi höher stand, als ihre eigene Ehre,
schlosse» sich dieser Gesellschaft an, und unterstützten sie mit reichen Beiträgen.
In ganz England bildeten sich Zweiggesellschaften, deren man im Jahre 1815
schon 484 zählte. In diesem Jahre nahm die Hauptgesellschaft schon 000,000
Rthlr. ein und verausgabte fast eben so viel. Ihre Thätigkeit besteht in der
wohlfeilen Verbreitung der Bibel in der ganzen Welt unter Christen, Juden,
Muhamedanern und Heiden, in der Veranlassung von neuen Uebersetzungcn und
in Beförderung des Drukks derselbe». Sie schifft deshalb Boten zu allen Völ-
kern, ladet sie ein, mit ihr dasselbe Werk zu treiben, Bibelgesellschaften zu errichten,
Geld dafür zu sazumeln, Bibeln wohlseil zu verkaufen, nach Umständen auch zu
verschenken, und daö Lesen der Bibel gu befördern. Die entstehenden Gesellschaften
unterstützt sie mit Geld und Bibeln, mit Rath und Ermunterung. Sie hat
einen Faden an den andern geknüpft, so ei» ganzes Retz von Bibelgesellschaften
über alle Theile der Erde geworfen, und so evangelische Stimmen an vielen
Orten erwekkt. Die einzelnen Bibelgesellschaften sammeln, gleich der Muttergc-
sellschaft, Beiträge, verbreiten Gottes Wort in ganzen Bibeln und neuen Testa-
menten und feiern JahreSfeste, auf denen sie Rechenschaft über ihre Wirksamkeit
ablegen. Solche Feste führen die lebendigsten Glieder der christlichen Kirche zu-
sammen, werden an manchen Orten mit verwandten Festen, z. B. MissionSfestcn
zu gleicher Zeit gefeiert, und man bemerkt dabei oft lebendige Pfingstrcgungen.
Es ist unmöglich, zu berechnen, wie viele Herren durch die Bibelgesellschaften
von der Finsterniß zum Licht gekommen sind. Wie muß man aber staunen, wenn
man liest, daß am Schluffe des Jahres 1841 die brittifche und auswärtige Bibel-
gesellschaft die heil. Schrift in 22 Millionen Exemplaren und zwar in 136
Sprachen oder Mundarten vertheilt hat. Sie hat das Bibelwerk in mehr als
hundert Sprachen neu übersetzen und drukken lassen. Aus dieser Thätigkeit, die
viele tausend Hände der Nebcrsetzcr, Schreiber, Schriftgießer, Schriftsetzer, Drukker,
Versender und Verbreiter in Bewegung setzt, ersieht man schon, welche Geld-
summen jährlich dazu gehören, und dazu kommt kein Pfennig durch ein Gesetz
und Vorschrift/ sondern Alles durch freie Liebe ein, welche eine Frucht von der
Liebe Christi zu uns ist.
In Europa haben nicht bloß die evangelischen Christen die heil. Schrift
wohlfeil bekommen, sondern auch Katholifcn. Selbst in das doppelt verfinsterte
Spanien, wie nach Portugal, hat man Bibeln gebracht, in den letzten fünf
Jahren (vor 1841) allein 14000 Stükk. Die abgestorbenen christlichen Gemeinden
in Asien sind durch die Verbreitung der Bibel wiederbelebt worden, und die
indischen Bibelgesellschaften haben viel Bibeln unter den Heiden verbreitet, biö
27
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ijtrnt Jahre 1841 über 800,000 Stükk. Eben so viel hat man in früheren Zeiten
in Rußland verbreitet, wo jedoch seit 1826 die Bibelgesellschaften äußere
Hindernisse gefunden haben. In Schweden sind halb so viel Bibeln verbreitet,
in Frankreich wieder 800,000. Reich bedacht mit neuen Testamenten sind in
neuern Zeiten die freigelassenen Neger in Westindien; und in Griechenland,
Syrien und Egypten hat man hoffnungsvolle Anfänge mit der Verbreitung des
Wortes Gottes gemacht.
In dem englischen Gebiete innerhalb und außerhalb Europa befinden sich
3200 Bibelgesellschaften und die Muttergesellschaft nimmt durchschnittlich alle
Jahre 7— 800,000 Thaler ein. Die Berliner Haupt-Bibelgesellschaft hat mit
ihren 77 Tochter-Gesellschaften bis 1841 über 1 Million Bibeln und neue
Testamente verbreitet; die baiersche Haupt-Bibelgesellschaft 86,000 Stükk; die
Hamburg-Altonaer 66,000 Stükk; die nordamerikauische 2>/a Million und hatte
im Jahre 1840 eine Einnahme von 130,000 Thalern, die französische allein im
Jahre 1830 über 100,000 Stükk. Doch wer wollte alle die Zahlen lesen, welche
angeben, wie viel Bibeln in de» einzelnen Ländern verbreitet sind. Wir halten
uns an dem Einen: durch das Bibelwort werden wir immer mehr errettet von
der Obrigkeit der Finsterniß und versetzet in daö Reich des Sohnes Gottes. —
Die Bibel ist ein stiller Glaubenöbote, der keine Speise und keinen Trank, kein
Lager und keine Wohnung braucht, sondern Eins verlangt: daß man ihn ansieht
und ihm das Herz schenkt. Wie viele Seelen dieser Himmelöbvte gewonnen hat,
das kann man nicht berechnen, die Wege, auf denen dies geschieht, sind oft gar-
wunderbar und alle Bibelgesellschaften wissen davon Etwas zu berichten. Das
Wort Gottes ist ein Wüstenprrdiger und ein Tröster im Kämmerlein. Wo es
hinkommt und freudig aufgenommen wird, da sieht man den Himmel sich öffnen.
Darum sagt Gellert:
„Soll dein verderbtes Herz
„Zur Heiligung genesen,
„Christ, so versäume nicht,
„Das Wort des Herrn zu lesen;
„Bedenke, daß dieü Wort
„Das Heil der ganzen Welt,
„Den Rath der Seligkeit,
„Den Geist ans Gott enthält."
■ iTfl^ Ci... -
Der Kalender.
Es möchten wohl wenige Häuser sein, in denen man nicht einen Kalender
fände. Aber so nothwendig auch dieses Buch ist, so wissen doch die wenigsten
Menschen kaum den zehnten Theil deS Kalenders zu deuten. Eine Erklärung
desselben ist daher um so nothwendiger, je nützlicher und unentbehrlicher dieses
Buch ist.
Der Kalender macht uns mit der Eintheilung der Zeit bekannt. Gr hat
also auf alle unsere Geschäfte und Verrichtungen den wichtigsten Einfluß und eö
ist nicht nur eine Schande, sondern auch ein Schade, ihn nicht gehörig zu
verstehen.
Wenn wir wissen wollen, den wie vielten Tag deö Monats wir haben, auf
welchen Wochentag Weihnachten oder Neujahr fällt, ob das Osterfest früh oder-
spät eintritt, ob wir am nächsten Sonntage Mondschein haben werden oder gar
Vollmond, ob und wie viele Sonnenfinsternige oder auch Mondfinsternisse im
Lause des Jahres eintreten werden, das Alles finden wir in bcm Kalender auf
das Deutlichste angezeigt und eS sind noch mancherlei Nachrichten angehängt, die
407
matt gebrauchen kann, z. B. die Nachrichten von den Jahrmärkten in allen
Städten des Landes und auch Einiges, das man eben nicht gebrauchen kann,
z. B. die Prophezeihung des Wetters. Wie der Mond sich verhaltet wird und die
Sonne, das kann der Kalendermacher schon wissen; denn die haben ihren
regelmäßigen Lauf. Von dem Wetter aber weiß der Kalendermacher eben nicht
mehr alö wir Alle, so viel nämlich: daß eö im Winter kalt und im Sommer
warm ist, daß eS im Sommer ab und zu ein Gewitter und im Winter gewöhnlich
viel Schnee giebt. — Wenn also der Kalendermachcr in einer besondern Spalte
seines Büchleins das Weiter für das ganze Jahr vorher anzeigt, so ist es nichts
als Täuschung und Trug, lind er schrcibts nur nach Gutdünken, weil es die
Leute doch einmal gewohnt sind, daß im Kalender die Witterung angezeigt wird.
Wenn Jemand sich nur den Neujahrstag richtig gemerkt hat, so kann er
allenfalls für das ganze Jahr wissen, den Wievielten des Monats wir an
jeglichem folgenden Tage haben. Das muß man freilich schon wissen, wie die
Monate auf einander folgen und wie viel Tage ein jeglicher Monat hat, ob 28,
wie der Februar, ob 30, wie April, Juni, September und November, oder ob
31, wie die übrigen Monate. Mit dem Februar hat eS noch seine eigene
Bewandniß. Er hat 28 Tage in einem Gemeinjahre tind 23 in einem Schaltjahre.
Wie soll aber ein Mensch wissen, ob ein Jahr ein Gemeinjahr oder ein Schaltjahr
ist? — Das ist jetzt, da die Sache in Ordnung gebracht ist, leicht zuerkennen.
Auf drei Gemeinjahre folgt immer ein Schaltjahr und das Schaltjahr fällt
immer auf die Jahreszahlen, welche durch 4 ohne Nest getheilt werden können.
So weit könnte man sich also schon helfen auch ohne Kalender und die
unbeweglichen Feste, d. i. diejenigen, die immer auf den nämlichen Tag des
Monats fallen, würde man auch schon heraus finden. Weihnachten z. B. fällt
rin für alle Mal auf den 25. Dezember, das Jvhannisfcst auf den 2l. Juni,
das Michaeliöfcst auf den 29. ,September. Ostern dagegen ist ein bewegliche«
Fest, — da« will sagen, eö fällt bald früher, bald später. Nach dein Osterfeste
aber richten sich Pfingsten und Trinitatis und alle Sonntage, die dem Osterfeste
vorangehen.
Wie kommt cs doch, daß Ostern ein bewegliches Fest ist?
Die ersten Christen aus dem Judenthume feierten ihr Osterfest in i t den
Juden. Den übrigen Christen ivar die« anstößig. Schon im zweiten Jahrhunderte
entstanden ernsthafte Streitigkeiten. Weil die Auferstehung des Herrn an einem
Sonntage erfolgt ist, so sollte auch daS Osterfest immer an einem Sonntage
gefeiert werden. Da hat man denn —' vornemlich auf den Kirchenversammlungen
zu Nicäa 325 und Antiochia 341 — für die Feier de« Osterfestes folgende Regel
festgesetzt: Man soll den erste» Vollmond im Frühlinge abwarten
und den Sonntag darauf soll Ostern sein.
Nun fällt nach unserm jetzigen Kalender Frühlingsanfang auf den 21. März,
und wenn unmittelbar nach Frühlingsanfang, noch am 2l. März, der Vollniond
eintritt, so kann am 22. März, wenn er ein Sonntag ist, Ostern gefeiert
werden. Wenn aber kurz vor Frühlingsanfang Vollmond gewesen ist, so tritt
der nächste Vollmond erst vier Wochen nachher ein, und wenn bann der Vollmond
gerade auf einen Sonntag fällt, so feiert man daS Osterfest acht Tage später.
DaS kann sich bis zum 25. April verziehen. Deshalb nennt man den 22. März
und den 25. April die Ostergrcnzen. weil jener der früheste und dieser der
späteste Termin ist, auf welchen daS Osterfest fallen kann.
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408
Fs ist ganz leicht, daS Osterfest für jedes Jahr zu berechnen. Ich will euch
daS Verfahren sagen.
1) Dividirt die Jahreszahl der Reihe nach mit 19,4 und 7 und nennt die
Reste der Reihe nach A, U, C.
2) Dividirt 19 A + 23 durch 30 und nennt den Rest 1).
Dividirt 2H + 4C+0D + 4 durch 7 und nennt den Rest E.
Dann fällt Ostern auf denjenigen März, den die Zahl 22 + D + e anzeigt,
oder falls D -f-E größer als 9 ist, auf denjenigen April, den die Zahl D + E
— 9 anzeigt.
Will cii, Knabe, der 1854 eingesegnet wird, gern wissen, wann in diesem
Jahre das Osterfest fällt, der fetze nur so an:
'1854 .
giebt den Nest 11 — A. '
0 — 6.
19 X H+23 232 t m a
-----30 — = 3?; b'-'' 22 = »
E.
D -f- E = 25. Er findet also: Ostern fällt auf denjenigen April, den die
Zahl 25 — 9 anzeigt, d. i. auf den 10. April.
Auf welchen Tag fällt denn aber das Osterfest im Jahre 1880?
1880
19
1) '1880
giebt den Nest 13 --- A.
I 4 "
-1880 „
19 A + 23
„ o — n.
„ » 4 = c.
19 X13 + 23 270
2> = ^-'^ = 10' d» ** 0 = "
3, ?B±4C +6_D + 4 = 0 + 10 + 0 + 4 = 20, ^ ^ # = R
D + E = 0. Und -daraus folgt 22 + I) + E = 28. Ostern fällt
also im Jahre 1880 auf den 28. März und wer sich Weihnachten 1879 einen
Kalender auf daS folgende Jahr kauft, kann nachsehen, ob recht gerechnet worden ist.
ES ist aber doch sonderbar, daß das Jahr nicht inimer gleich lang ist, und
daß jedes vierte Jahr einen Tag mehr hat. Antwort: Das Jahr ist eigentlich
die Zeit, binnen welcher die Sonne ihren scheinbaren Lauf am Himmel vollendet,
und diese Zeit ist immer gleich lang, nämlich 305 Tage und beinahe 0 Stunden.
Weil wir aber im bürgerlichen Leben das Jahr doch immer mit einem vollen
Tage anfangen müssen, so lassen wir die überschießenden Stunden 3 Jahre lang
unbeachtet und nehmen dafür im vierten Jahre den sogenannten Schalttag,
und damit kommt die Sache wieder so leidlich in Ordnung.
Es hat lange Zeit gewährt, ehe man genau gefunden hat, wie viel
Zeit die Sonne zu ihrem jährlichen Laufe gebrauche oder wie lang denn eigentlich
das Jahr sei. Dj» alten Egypter hatten ein Jahr von 300 Tagen. Die Römer
theilten schon früh das Hahr in 12 Monate, aber diese hatten zusammen nur 355
409
Tage. Dies wich sehr weit von der Wahrheit ab. Man half sich, indem man
nach dem 23. Februar so viel Tage einschaltete, als eben nöthig waren. Dieses
Einschalten war den Priestern überlassen. Es entstand eine große Verwirrung.
Da hatte ein angesehener Mann, Julius Cäsar, ein Einsehen und
glükklichcrweisc hatte er auch die Gewalt, eine bessere Einrichtung durchzuführen.
Er ließ im Jahre 47 v. Chr. einen Sternkundigen auö Griechenland kommen,
der die Zeitrechnung wieder in Ordnung bringen sollte. Aber, aber! Der
Kalender war beinahe 3 Monate vorausgeeilt. Dem Kalender nach fing man
den Januar an, der Jahreszeit nach war man im Oktober. Da schaltete man
denn in der Eile noch ein paar Monate ein und gab dem Jahre für das eine
Mal nicht weniger als 452 Tage. Das war ein Jahr der Verwirrung — und
so wird eö auch genannt.
Dafür sollte nun auch in Zukunft Alles recht ordentlich- hergehen. Man
wußte, daß das Jahr 3G5 Tage und etwa 6 Stunden darüber enthält. Julius
Cäsar gab daher dem Jahre 365 Tage und vertheilte diese auf die l2 Monate
so, wie eö noch heute in jeglichem Kalender zu finden ist. Die 6 Stunden
machen in vier Jahren wieder einen Tag und Cäsar bestimmte, daß jedes vierte
Jahr 366 Tage haben sollte. Den Schalttag ließ man nach dem 23. Februar
folgen, wobei man den 24. Februar doppelt zählte; daher kommt es, daß
auch in unsern Kalendern noch immer der 24. Februar als Schalttag aufgeführt
wird, wiewohl von Rechtswegen der 2!). der eigentliche Schalttag sein sollte.
Diesen, auf Befehl des Julius Cäsar eingerichteten Kalender nennt man den
julianischen oder den alten Kalender.
Aber ganz richtig war eö auch damit noch nicht. Das Jahr hat nicht 365 Tage
und 6 Stunden, sondern nur 365 Tage, 5 Stunden, 48 Min. und 48 Sek.,
und man hatte eö also um mehr als 11 Min. zu lang angenommen. Nun sollte
man zwar meinen, auf 11 Minuten mehr oder weniger könne cS nicht cbeir
ankommen; aber wenn man jährlich 1> Minuten zu viel rechnet, so macht das
in 400 Jahren ziemlich genau 3 Tage und man bemerkte im l6. Jahrhundert,
daß der Irrthum bereits 10 Tage betrug, d. h. man schrieb erst den 10. März,
wo man schon den 20. hätte schreiben sollen.
. Da legte sich Papst Gregor XIII. ins Mittel. Er verordnete, daß man im
Oktober dcö Jahres 1582 zehn Tage weglassen und nach dem 4. Oktober sogleich
den 15. schreiben sollte. Auch setzte er fest, daß die Jahre 1700, 1800, 1000
Gemeinjahre bleiben sollten.
Mit viesem gregorianischen Kalender waren viele Leute unzufrieden,
nicht bloß die, deren Geburtstag, zwischen dem 4. und 15. Oktober des Jahres
1582 fiel, sondern auch alle die, welche den Papst nicht mehr als ihren Oberhirten
anerkannten. Diese Letzter» blieben bei dem julianischen Kalender, den man
nunmehr den alten Styl nannt - Im Jahre 1700 entschlossen sich aber auch
die evangelischen Stände dcö deutschen Reiches den gregorianischen Kalender unter
dem Namen des verbesserten anzunehmen. Sie ließen auf den 18. Februar
gleich den 1. März folgen und brachten damit die 11 Tage ein, um welche
damals der Kalender hinter der wirklichen Jahreszeit zurükk geblieben war.
Diesem.Beispiel sind fast alle Völker Europas gefolgt. Nur die Russen nicht. —
Sie sind gegen uns bereits um 12 Tage zurükk, weil sie noch immer den alten
Styl haben. Das hat nun die Unbequemlichkeit, daß man in den Verhandlungen
{mit den Russen immer ein doppeltes Datum schreiben muß, z. B. '°/rr Dezember,
ji. der Tag der Verhandlung sei nach dem alten Kalender der zehnte und nach
idem neuen der zwei und zwanzigste Dezember.
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D e n k s p r ü ch e.
1) Mit einem Herren steht es gut,
Der, waS er befohlen, selber thut.
2) Willst du dich selber erkennen: so sieh, wie die Andern cs treiben;
Willst du die Andern verstehn: blikk in dein eigenes Herz!
3) Weil du nicht weißt, an welchem Tag und wo der Tod dein harren
mag, dagegen ihm die Schalkheit thu, an jedem Ort sein warte du.
4) Zerbrich den Kopf dir nicht zu sehr, zerbrich den Willen, das ist mehr!
5) Dein Werk sei groß, dein Werk sei klein, schau bei betn Werk auf Gott
allein; auf ihn allein mußt du cS wagen, so wirst du nimmermehr verzagen.
9) Mich dünkt, ich mein', ich glaub', ich dacht' hat manchen guten
Gesellen ins Verderben gebracht.
7) Wenn alle Leute waren gleich und wären allcsammt auch reich und wären
alle zu Tisch gesessen, wer wollte auftragen Trinken und Essen?
8) Wenn du dich selber machst zum Knecht, bedauert dich Niemand, ergeht dirs
schlecht; und wenn du dich selber machst zum Herrn, daS sehen die Leute auch
nicht gern; und bleibst du endlich so wie du bist, so sagen sie, daß Nichts
an dir ist.
9) DaS sind die Weisen, die durch Irrthum zur Wahrheit ressen; die bei
dem Irrthum verharren, das sind die Narren.
10) Willst führen And're? So geh' voran!
Willst'richten And're? Sieh dich erst an!
Gesetze giebst du? gehorche ihnen!
Gebieten willst du? Sv lerne dienen!
11) WaS wir wollen, ist nicht immer was wir sollen;
WaS wir sollen, sollen wir auch wollen.
12) Wer recht sich spiegelt, siehet sich,
Wer recht sich sieht, der kennet sich,
Wer recht sich kennt, der dünkt sich klein,
Wer klein sich dünkt, wird weise sein.
13) Almosen geben, armet nicht,
Kirchengehen säumet nicht,
Wagenschmieren hindert nicht,
Unrecht Gut gedeihet nicht.
14) Was kommt, nimm an in sanfter Stille:
Die Schale ist nur mancherlei;
Der süße Kern ist — Gottes Wille
Und stets die beste Arzenei.
15) Zwei Hälften machen zwar ein Ganzes, aber merk: Aus halb und halb
gethan entsteht kein ganzes Werk.
411
16) Der Zahlen Grenz' ist zehn. Die Grenze für die Todten und Lebenden
besteht in Gottes zehn Geboten. Zehn Finger hast dn drum, o Kind, um ohne
Fehlen an deiner Hand die zehn Gebote herzuzählen.
17) Schätze nicht das Eilende über das Weilende!
- Setze nicht daö Nichtige über das Wichtige!
Was dn haft, wär' überschwenglich,
Wär' es nicht vergänglich.
Deine Rast wär' ein Behagen,
Erwachtest dn nicht zu Klagen;
Dein Pallast wär' ein festes Thor
Stünde nicht pochend der Tod davor. —
Halte dich nicht geborgen,
Denke heut an dein Morgen.
18) Wer da stirbt, eh' er stirbt, der stirbt nicht, wann er stirbt.
19) Mein Sohn, du sollst dich nur auf Straße» und auf Gassen,
Sehn mit ehrbaren, mit geehrten Leuten lassen.
Die halbe Ehr' ist dein, wenn man sich neigt vor ihnen;
Am Ende lernest du, die ganze selbst verdiene».
80) Für den Fleißigen hat die Woche sieben Heute, für den Faulen sieben
Morgen.
81) Immer strebe zum Ganzen! Und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied, schließ an ein Ganzes dich an!
88) Wohl unglükkfelig ist der Mann, der unterläßt das, waö er kann, und
ilnterfäugt sich, was er nicht versteht; kein Wunder, daß er zu Grunde geht.
83) Wer über Gräber geht, und denket nicht an sich und spricht nicht rin
Gebet, thut doppelt freventlich. Er hat vergessen, daß im Herrn die Todten
leben, und hat vergessen, daß er selbst soll sterben eben!
84) Thu' recht, und schreibe dir nicht alö Verdienst es an; denn deine
Schuldigkeit allein hast du gethan. Thu'S gern! und wenn dir das nicht zum
Verdienst gereicht, gereicht dir's doch zur Lust, daß dir die Pflicht ward leicht.
85) Sei wessen Sohn du magst, und Tugend fei dein eigen, so brauchest du
unö gar den Stammbaum nicht zu zeigen. Wer sagen kann: „Ich bin's!" ist
unser Mann fürwahr; nicht der ist unser Mann, der sagt: „Mein Vater war."
Druck der Hosbuchdruckerei von Trowitzsch & Sohn in Frankfurt a. t, O,
3m Verlage der HofLuchdruckerei von Trowihsch & Sohn in Frankfurt a/O.
sind ferner so eben erschienen und daselbst, wie in allen Buchhandlungen, zu haben:
Glaube, Liebe, Haffnuilg.
Cine Unterweisung zur christlichen Gottseligkeit
in Form eines Selbstbekenntnisses
mit
Bibelsprüchen und Liederversen
zusammengestellt
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von
E. Moysche)
8V2 Bogen. 81’0' ungebunden 5 Sgr.
Auf feinem Papier in eleganten: Leinwandband 15. Sgr.
Aufgaben zum Rechllen
von
(§?♦ Wstzsiche»
5 Kefte. 8vo. in farbigem Umschläge das Keft 2 Sgr.
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Deutsche Fibel
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Fr. Baumcjart und Ed. Woysche. >
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