Georg-Eckert-Institut BS78
—
'—
1
Der
Katholische Volk
in der Oberklaffe.
'4* At -
Ein Sprach- un- Lesebuch
für
Irhüler von 11 biñ 14 Jahren,
Heinrich Reiser.
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Zweite umgearbeitete Auslage.
Mit Approbation des Hochwitrdigsten Erzbischöflichen Ordinariats zu
( Freiburg im Breisgau.
Stuttgart.
Hallberger'sche Verlagshandlung
1861.
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Imprimatur.
Friburgi Brisgoviae die 7, Decembris 1855.
f Hermannus archiepiscopus.
Georg- Eckert- InsMut
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1003(^0
Truck ber K- Hofbuchbruckerei Zu Guttenberg in Stuttgart.
Vorwort.
—
Aie Volksschule soll ihre Zöglinge auf jene Stufe allgemeiner
Menschenbildung erheben, die sie für ihre künftige Bestimmung, sowohl
hienieden, als auch in einer künftigen Welt befähigt. Die Volks-
schule hat also nicht allein die Aufgabe, die Schüler mit solchen Kennt-
nissen und Fertigkeiten auszustatten, die den Bedürfnissen der Zeit ent-
sprechen; sie muß zugleich eine religiös-sittliche Erziehung, als höchsten
Zweck aller Jngendbildung, zu begründen suchen.
Unter die vorzüglichsten Mittel zur Lösung dieser großen Aufgabe
gehört unstreitig ein zweckmäßig eingerichtetes Lehr- und Lesebuch,
das — allem Unterricht eine religiöse Grundlage unterbreitend
— von unten herauf, durch alle Klassen ineinandergreifend,
in den ersten Jahren mehr die Gemüthsbildung berücksichtigt, in
der späteren Schulzeit aber auch dem Verstände seinen Antheil zu-
scheidet, ohne jene zu versäumen.
Diese Grundsätze waren es, die den Verfasser dieses Lesebuchs
insbesondere bei vorliegender Umarbeitung desselben leiteten. Es ent-
hält dasselbe eine Anzahl von Erzählungen, Fabeln, Mährchen, Sagen,
Parabeln und Legenden, als Sprach- und Lesestoff; anstatt aber
diesen Abschnitt weiter auszudehnen, schien es rätblicher, die größere
Masse des Lesestoffs den Realien zu entnehmen, um auf diese Weise
das Nützliche mit dem Nothwendigen zu verbinden und zugleich das
Bedenken zu beseitigen, daß der Unterricht in den Realien den noth-
wendigen Gegenständen zu viele Zeit entziehe. Das Lesebuch der
Realkenntnisse, welches bei der ersten Auflage ein eigenes Bändchen
bildete, ist dadurch für die Volksschule entbehrlich geworden. Praktische
Schulmänner werden diese Einrichtung nicht mißbilligen und zugeben,
daß z. B. Geschichtsbilder oder Schilderungen aus andern Realgegen-
ständen, zumal wenn sie mit einem größern Ganzen im Zusammenhang
stehen, nicht nur einen größeren und nachhaltigeren Nutzen gewähren,
sondern — mit Sachkenntniß, Gewandtheit und Lebhaftigkeit behandelt
— auch mehr Interesse erwecken, als gemachte Erzählungen, die für den
Schüler gewöhnlich alles Anziehende verlieren, sobald er den Inhalt
derselben kennt. ^ .
Man hat sich längst überzeugt, daß mit dem Unterricht im Lesen,
Schreiben und Rechnen die Schulbildung nach dem Bedürfnisse
der Zeit nicht als vollendet betrachtet werden könne, obgleich diese Ge-
genstände bei dem Jugendunterrichte immer die wichtigsten bleiben müssen.
Die Erde, auf der er lebt, soll dem Menschen nicht fremd bleiben,
noch weniger sein engeres Vaterland. Der Deutsche soll wenigstens
die Hauptbegebenheiten der Geschichte seines Volkes kennen, um
zu begreifen, wie es das geworden ist, was es ist; denn der erste
IV
Schritt eines gebildeten Volkes zur Größe und Vollkommenheit ist die
Kenntniß seiner Geschichte. *
Außer einer kurzen deutschen Geschichte wurde auch von den merk-
würdigsten Völkern der alten Welt Einiges erzählt, theils weil uns die
heilige Schrift vielfach auf dieselben hinweist und theils um einen Leit-
faden von der ältesten Zeit bis auf die unsrige zu haben. Es wurde
ferner bei der Umarbeitung dieses Schulbuchs besonders auch dasjenige
berücksichtigt, was sowohl aus die Entwicklung des deutschen
Volkes, als auch auf die Ausbreitung des Christenthums und
die Erhaltung der katholischen Religion Bezug hat, wobei
namentlich die Ergebnisse der neuesten Geschichtsforschung rücksichtlich
langjähriger Vorurtheile und Unrichtigkeiten beachtet wurden, wie dieses
z. B. in Beziehung auf die Zerstörung Magdeburgs und die Charakter-
schilderung Tilly's der Fall ist, der Jahrhunderte lang mit Unrecht
als Wütherich aus den Blättern der Geschichte figurirte.
Mit der Geschichte steht die Geographie in engster Verbindung.
Lernen wir durch jene die merkwürdigen Ereignisse eines Volkes kennen,
so beschreibt uns diese den Ort, wo sie sich zutrugen. Um richtige Vor-
stellungen von der Gestalt und Bewegung der Erde, deren jeder-
zeitiger Stellung gegen die Sonne und den hieraus entstehenden
Wirkungen zu begründen, beginnen wir mit einer kurzen Globus-
lehre, wobei, wie überhaupt bei jedem Unterrichtsgegenstande, der
mündlichen Mittheilung des Lehrers noch Manches überlassen bleiben
mußte. Hierauf gehen wir zu einer allgemeinen Betrachtung von Europa
über und lernen sodann Deutschland und das engere Vaterland
näher kennen, worauf die Beschreibung der übrigen europäischen Länder
folgt. Die fremden Erdtheile wurden möglichst kurz berührt, durften
aber doch, der Vollständigkeit wegen, nicht ganz übergangen werden.
Die Aufnahme mehrerer geographischer Charakterbilder, wie
sich manche in diesem Abschnitte vorfinden, würde diesem Gegenstände
allerdings mehr Interesse verliehen, ihn aber auch unverhältnismäßig
ausgedehnt haben. Kürzer ließ sich derselbe jedoch nicht fassen, wenn
er nicht als mageres oder verstümmeltes Gerippe dastehen sollte; denn
es schien dem Verfasser ungenügend, blos die Beschreibung einiger Länder
als Muster aufzunehmen, um daran zu zeigen, wie andere — etwa durch
den Lehrer — beschrieben werden sollen. Die Schüler müssen sich auf
den Unterricht vorbereiten können; sie sollen so manche fremde Namen
merken u. s. w., daher muß das Lehrbuch das Nöthige enthalten; denn
hier kann der Verstand sich nicht allein forthelfen. Dem Lehrer aber
muthet man zuviel zu, wenn man will, daß er Alles vom Katheder
herab den Schülern beibringen soll. Thut er es, so geht dabei seine
Gesundheit zu Grunde; thut er es aber nicht, so bleibt der Unterricht
ein S t ü ck w e r k. Ueberdies können schwächere Kinder dem mündlichen
Vortrag nicht immer folgen; sie können Manches nicht merken, wenn
es ihnen nicht öfter wiederholt wird, und dazu hat der Lehrer nicht Zeit.
Was aber die Schüler gedruckt in Händen haben, kann gelernt, wieder-
holt und nachgeholt werden; dem Lehrer aber bleibt Kraft und Zeit zur
Erklärung und Erweiterung des Gelernten.
y
Die Angabe der Bevölkerungszahlen und der Ländergrößen wurde
möglichst beschränkt, konnte aber nicht ganz umgangen werden, weil sie
durckaus nöthig sind, um richtige Begriffe über die Macht und Bedeu-
tung ver Staaten festzustellen. Bei den größern Städten wurde die
Einwohnerzahl nur kurz in Tausenden bemerkt, z. B. (100) — Hun-
derttausend. Zur Belebung dieses Gegenstandes wird übrigens der Lehrer
überall das Geschichtliche mit dem Geographischen verbinden.
Die Aufsätze aus der Himmelskunde sind vorzüglich geeignet, die
Schüler auf die Größe, Allmacht, Weisheit und Liebe
Gottes aufmerksam zu machen. Die Stunden, welche der Lehrer diesem
Gegenstände mit w a r"m em Herzen in rechter Weise widmet,
werden von selbst zu eigentlichen Erbauungsstunden, da Nichts so sehr
geeignet ist, das Herz des Kindes zur Bewunderung — ja zur Anbetung
hinzureißen, als die Betrachtung der Werke Gottes, wie sie sowohl
dieser Unterrichtsgegenstand, als auch die Naturlehre und Natur-
geschichte uns vor Augen führen.
Aus der Naturlehre wurde nur das Merkwürdigste und Faßlichste
von all demjenigen aufgenommen, was auf Gewerbe, auf häusliche oder
landwirthschastliche Verrichtungen, auf Erhaltung der Gesundheit oder
Verdrängung des Aberglaubens Bezug hat und die Wißbegierde der
Kinder besonders anregt.
Bezüglich der Naturgeschichte wurden, neben einigen allgemeinen Auf-
sätzen, aus jeder T h i e r k l a s s e einige Bilder aufgenommen, während
aus dem Pflanzenreiche die Giftpflanzen näher beschrieben, die
Mineralien aber blos im Allgemeinen erwähnt wurden.
Eine kurze Anleitung zu einer zweckmäßigen Gesundhcits- und
Krankenpflege dürfte in einem Lesebuche, besonders für Landschulen, sehr
wohl am Platze sein, da in dieser Richtung ohne Zweifel noch immer
Manches aus Unkenntniß übersehen und versäumt wird und dieser Ab-
schnitt zugleich Gelegenheit bietet, die wickstigsten Vorschriften zur Rettung
von Verunglückten und Scheintodten zu Jedermanns Kenntniß zu bringen.
Auch einige Regeln überein höfliches und wohlanständiges
Betragen glaubte der Verfasser aufnehmen zu müssen, von der Ueber-
zeugung ausgehend, daß das in dieser Beziehung in der Jugend Ver-
säumte in spätern Jahren, zumal auf dem Lande, nur sehr schwer ein-
zubringen sei, während nicht in Abrede gestellt werden kann, daß auch
der beste Mensch durch Mangel an Höflichkeit und Anstand Andern leicht
lästig und unangenehm wird und sich selbst nicht selten schadet.
Ein weiterer Abschnitt enthalt das Wichtigste aus der vaterländischen
Geschichte, und sowohl der Verfasser als auch die Verlagshandlung er-
klären sich bereit, für jedes Land, welches dieses Lesebuch einführen wird,
die betreffende Landesgeschichte, und wo dies nöthig gefunden werden
sollte, auch eine ausführlichere geographische Beschreibung des Landes
beizufügen.
Die Anleitung zum Singen nach -Tonziffern wurde in dieser Aus-
gabe weggelassen, weil der Unterricht im Gesänge nicht überall auf diese
Weise ertheilt wird; dagegen ist derselbe in besondern Heftchen für jede
Klasse einzeln zu sehr billigen Preisen zu beziehen.
VI
Bezüglich der innern Einrichtung dieses Schulbuches halte ich, ge-
„ stützt auf eine langjährige Erfahrung, noch immer an denselben Grund-
sätzen fest, die mich bei der erstmaligen Bearbeitung desselben leiteten.
Es gab eine Zeit, in welcher man strengwissenschaftliche Systeme in
die Volksschule einführte und mit denselben die Kinder nutzlos plagte.
Man opferte die kostbare Zeit einem gehaltlosen Schaugepränge und
versäumte darüber das Nothwendige. Als man endlich den gemachten
Fehler erkannte, vertrieb man Alles aus der Schule, was auch nur von
ferne einem Systeme gleichsah; dagegen sollten planlos zusammengelesene
Sammlungen von Lesestücken die Stelle der Lehr- und Lesebücher ver-
treten und die Volksschule sollte sich aus dem großen Schatze der Wissen-
schaften unserer Nation mit einigen abgerissenen, zusammengewürfelten
Musterfleckchen abfinden lassen; man wollte durch das bunte Gemisch
den Unterricht pikant machen, konnte aber dadurch noch weniger als
zuvor ein solides Wissen begründen. Der Lehrstoff wurde ein nirgends
ausreichendes, nach keiner Seite hin befriedigendes Stückwerk; Lehrer
und Kinder trieben ohne Compaß auf offener See umher, und weder
diese noch jene konnten darüber Rechenschaft geben, was gelernt und
was noch zu lernen sei. — Von solchen Erfahrungen ausgehend, suchte
ich zwischen beiden Extremen die Mitte zu halten. Ohne mich an ge-
lehrte Systeme zu binden, stellte ich zusammen, was zusammen gehört,
und darum wird man Plan und Ordnung nirgends vermissen. Die
Ordnung fördert jede Arbeit, und durch Festhalten an einem sichern
Plane gewinnt der Unterricht für Lehrende und Lernende an Uebersicht-
lichkeit und Zusammenhang, was denselben nicht nur erleichtert, sondern
auch den entschiedensten Einfluß auf die Ausbildung des Denkvermögens
und einen geordneten Gedankengang der Kinder übt. Ich beabsichtigte
ferner der Schule von jedem Unterrichtsgegenstande nicht blos Bruch-
stücke, sondern ein erklekliches Maaß und, wo möglich etwas Ganzes
zuzuscheiden, wenigstens in soweit, daß die Schüler in den Stand gesetzt
werden sollen, später größere Werke über dieselben Gegenstände mit
Nutzen zu lesen. Ob es möglich sei, all das hier Aufgenommene gründ-
lich zu lehren und zu lernen, dürfte keinen Zweifel erregen, wenn man
bedenkt, daß die meisten Schüler 2 bis 3 Jahre der Oberklasse ange-
hören und daher die Unterrichtsgegenstände auf zwei Jahre vertheilt
werden können-, was indessen in Stadtschulen kaum nöthig sein wird.
Zudem ist auch in den untern Klassen schon Manches vorbereitend für
den Unterricht in der Oberklasse geschehen, und da endlich auch Alles
in einer Weise vorgetragen wird, welche die Fassungskraft der Kinder
stets berücksichtigt, so dürfte am Ende einer achtjährigen Schulzeit ein
sehr befriedigendes Resultat zu hoffen sein, soweit ein solches durch das
Lehr- und Lesebuch bedingt ist.
Und so möge nun dieses Buch in den Händen berufstreuer Lehrer
und fleißiger Schüler unter Gottes Segen dazu beitragen, für Gemeinde
und Staat wohlunterrichtete und nützliche Bürger, für die Kirche aber
willige und wohlvorbereitete Hörer des Wortes Gottes heranzubilden.
Der Verfasser.
/
Jnhalts-Verzeichmh.
Erster Abschnitt.
Sprach- und Lesestoff.
» ' .... V
Erzàhlungen, Màhrchen, Sagen, parabcln, Legende» und Fabeln.
Sette
1. Der Gartner. Von Hcàle........................................1
2. Der kleine Hirt. Von Kellner..................................1
3. Der Spaziergang. Von Kellner............................... 2
4. Das Rothkehlchen..............................................3
5. Der Morgen.........................................................3
6. Der Morgen im Walde . . ...........................................4
7. Wandersmann, Baum und Quelle.......................................4
8. Der Fuchs und die Maske............................................4
9. Die sonderbare Mauer...............................................5
10; Kindesdank.........................................................5
11. Geniigsamkeit.....................................................6
12. Der Morder und die Taube......................................... 6
13. Der sterbende Lowe................................................6
14. Der Esel am User................................................ 7
15. David und sein Sohn...............................................7
16. Der Wolf im Sàfspelze.............................................8
17. Der Pfau und de^Kranich. Von Zacharia.............................9
18. Die beiden Fensterlein. Von Castelli..............................9
19. Die Slinde. Von Krummacher.......................................10
20. Damino und Pamina. Von Langbein..................................12
21. Die Miicke. Aus Grimms Fabelbibliothek '...................... . 14
22. Sagen botti Riesengebirge. Von Lehnert...........................14
23. Das Anlehen. Von Lehnert.........................................16
24. Die Amsel. Von Ch. v. Schmid ....................................20
25. Die drei Freunde. Don I. G. v.-Herder............................20
26. Der Glockengutz zu Breslau. Von Zimmermann.......................21
27. Die Rene. Von àummacher........................................ 23
28. Der Affé und der Geizhals. Von Hagedorn..........................24
29. Der dankbare Wilde. Von Feddersen................................25
30. Des Kdnigs Rechnung. Von Con;....................................25
Vili
Seite ■
31. Die Wachtel und ihre Kinder. Von Langbein..........................27
32. Der Gotteskasten. Von Krummacher...................................28
33. Gottes Hilfe in der Noth...........................................29
34. Das Glasgemälde. Von Ch. v. Schmid.................................30
35. Unser -Umgang......................................................31
36. Androklus und der Löwe. Von H. Reiser..............................32
37. Muth und Treue.................................................. 34
38. Die Heimgabe. Von Neuffer..........................................36
39- Der hl. Karl Borromäus..............................................38
40. Wohlthätigkeit. Von Knigge.........................................39
41. Nächstenliebe. Von Gellert.........................................39
42. Die vier Brüder....................................................39
43. Räthsel............................................................40
44. Buchstabenräthsel..........................'.....................40
45. Sylbenräthsel......................................................40
46. Der Frühling . . .................................................40
47. Der Sommer, eine Vergleichung.....................................41
48. Der Herbst, Schönbeschreibung.....................................42
49. Der Winter, Schilderung...........................................42
50. Winterfreuden, Poetische Schilderung. Von H. Reiser................43
51. Der Sturm..................................i.....................43
52. Das Gewitter.....................................................44
53. Die Genesung......................................................45
54. Der wundervolle Hammerschlag......................................45
55. Der Fuchs und der Hahn............................................46
56. Die Hyazinthe. Von Kellner........................................46
57. Das Gotteshaus................................................... 48
58. Sankt Augustin.....................................................49
59. Der Schisser. Von G. Görres........................................50
60. Der Engel des Herrn. Von Görres . . . . ^.........................51
61. Das Schicksal. Von Gellert............................♦ ... 52
62. Der gerettete Jüngling. Von Herder................................53
Zweiter Abschnitt.
Erzählungen, Schilderungen und Charakterbilder aus der
Geschichte. *
Asiatische Völker.
1. Die Indier und Chinesen . .........................................56
2. Die Babylonier, Assyrer und Meder..................................57
3. Die Perser....................................................... 58
4. Die Phönizier '....................................................59
IX
Seite
5. Die Hebräer oder Juden ........................................60
6. Abraham........................................................61
7. Moses..........................................................61
8. Jesus Christus.................................................64
Afrikanische Völker.
9. Die Aegypter......................................................67
10. Die Carthager.....................................................68
Europäische Völker.
11. Die Griechen.................................................... 69
12. Die Spartaner.....................................................69
13. Die Athener.......................................................70
14. Die Perserkriege................................................ 71
15. Sokrates.......................................................73
16. Philipp von Macedouien und sein Sohn Alexander der Große . . 76
17. Die Römer.........................................................77
18. Horatius Cocles und Mucius Scävola................................78
19. Andere edle Römer.................................................78
20. Regulus...........................................................79
21. Der Kaiser Augustus...............................................81
22. Die Zerstörung Jerusalems.........................................82
23. Die Ausbreitung der Kirche Jesu................................. 84
24. Die Kirche von Rom................................................84
25. Die Christenverfolgungen........................................ 85
26. Constantiu der Große.................................. . . . . 87
27. Theodosius der Große . . . . '.................................88
28. Die alten Deutschen...............................................90
29. Die Hermannsschlacht..............................................92
30. Die Völkerwanderung . . . ;......................................93
31. Attila, die Geißel Gottes.........................................94
32. Die Glaubensboteu in Deutschland..................................96
33. Das Frankenreich................................................ 98
34. Pipin der Kleine. Von Strekfuß....................................99
35. Karl der Große....................•............................102
36. Heinrich der Vogelsteller. Von Vogl............................ 105
37. Heinrich I. und seine Gemahlin Mathilde . '.....................105
38. Einige Zuge ans dem Leben einer edeln deutschen Frau .... 107
39. Otto der Große..................................................110
40. Die Versöhnung..................................................110
41. Die Kreuzzüge.................................................. 111
42. Friedrich Barbarossa............................................114
43. Treue gegen den Fürsten.........................................115
X
Seite
44. Der dritte Kreuzzug.............................................116
45. Schwäbische Kunde. Von Uhland.....................................117
46. Rudolph von Habsburg..............................................120
47. Die Krönung Kaiser Rudolph's I. Von Frank.........................120
48. Deutsche Treue....................................................122
49. Kaiser Maximilian I.............................................. 124
50. Deutsche Erfindungen...........................................125
51. Die Entdeckung Amerika's..........................................127
52. Karl Y. und die Reformation . ..................................130
53. Der dreißigjährige Krieg..........................................132
54. Die Türken vor Wien...............................................135
55. Die Befreiung Wiens. Von G. Görres................................136
56. Der Bischof Kollonits.............................................138
57. Der spanische Erbfolgekrieg.......................................139
58. Der österreichische Erbfolgekrieg.................................140
59. Kaiser Franz II. und die Leiche...................................142
60. Die französische Revolution...................................... 142
61. Napoleon Bonaparte................................................145
62. Die Schlacht bei Leipzig. Von H. Reiser...........................146
63. Die neueste Zeit..................................................15 0
Dritter Abschnitt.
Setrachtungen über das Weltall.
1. Die Sonne..........................................................151
2. Der Merkur und die Venus.........................................153
3. Der Mars und die kleineren Planeten................................154
4. Der Jupiter und der Saturn........................................155
5„ Der Uranus und der Neptun........................................157
6. Die Kometen........................................................158
7. Der Mond . ....................................................... 159
Vierter Abschnitt.
Das Wichtigste aus der Naturlehre.
Nutzen der Naturlehre . ..............................................181
1. Die allgemeinen Eigenschaften der Körper....................161
2. Merkwürdige Beispiele von der Theilbarkeit der Körper .... 164
3. Bewegbarkeit der Körper........................................165
4. Das Gesetz des Hebels.......................*...............166
5. Besondere Eigenschaften der Körper.............................168
6. Dampfmaschinen und Eisenbahnen................................169
7. Zusammenhang, Anhängung und Anziehung.......................' • 171
XI
Seite
8. Die Gase.......................................................172
9. Beispiele von Erstickungen durch kohlensaures Gas...........174
10. Die Elektricität...............................................175
11. Berhaltungsregeln während eines Gewitters......................177
12. Der Magnetismus................................................178
13. Der Galvanismus................................................179
14. Der Telegraph..................................................181
15. Die Magdeburger Halbkugeln.....................................183
16. Verschiedene Naturerscheinungen................................185
17. Die Wasserhose.................................................186
18. Der Regenbogen.................................................188
Fünfter Abschnitt.
Bilder und Beschreibungen aus der Naturgeschichte.
1. Der Panther.........................................................190
2. Einiges Uber die Lebensweise des Löwen..............................192
3. Die Hunde auf dem Sankt Bernhard....................................193
4. Azor................................................................194
5: Der kluge Pudel......................................................196
6. Die Tollwuth der Hunde..............................................197
7. Der Maulwurf.................................................... 198
8. Kleine und große Geschöpfe..........................................200
9. Die Schwalben...................................................200
10. Der Storch.........................................................202
11. Die Schlangen......................................................203
12. Der Häring ........................................................206
13. Die Bienen.........................................................207
14. Der Seidenspinner..................................................208
15. Die Spinnen. Von Hebel . ..........................................209
16. Die Schnecken......................................................212
17. Die Jnfusionsthierchen.............................................212
18. Ueber die Vermehrung und Verbreitung der Pflanzen 213
19. Die Giftpflanzen: Die Tollkirsche und die Einbeere.............215
20. Giftige Schwämme...............................................217
21. Der Stechapfel, das Bilsenkraut und der Seidelbast.............218
22. Der Gifthahnenfuß und die Schierlinge..........................219
23. Giftpflanzen im Garten, auf Wiesen und unter dem Getreide . . 220
24. Die Mineralien................................................... 222
Sechster Abschnitt.
1. Anleitung zu einer zweckmäßigen Gesundheits- und Krankenpflege . 224
2. Von den Speisen..............................................224
XII
Seite
3. Von den Getränken............................................225
4. Von der Wohnung..............................................225
5. Von der Kleidung..............................................226
6. Vom Schlafen.................................................227
7. Von der Reinlichkeit..........................................227
8. Verschiedene Vorsichtsmaßregeln zur Erhaltung der Gesundheit . . 228
9. Von dem Verhalten in Krankheiten ...........229
10. Verhalten bei Vergiftungen.....................................230
11. Rettung der im Wasser Verunglückten............................231
12. Behandlung der Erfrorenen . .'.................................232
13. Behandlung der Erstickten................................... . . 233
Siebenter Abschnitt.
1. Die wichtigsten Vorschriften über ein höfliches und wohlanständiges
Betragen......................................................234
2. Goldene Regeln zur Beobachtung im geselligen Leben..............237
Achter Abschnitt.
Belehrungen aus der Erdkunde.
1. Die Erde........................................................239
2. Verschiedenheit der Erdbewohner.................................240
3. Die Erdtheile ..................................................241
4. Die großen Meere................................................242
5. Größe und Eintheilung der Erde..................................244
6. Das Meer als Grundfläche aller Höhen..........................\ 246
Europa . . . i......................................................247
Klima, Produkte und Volksbildung.................................249
X. Mitteleuropa. Deutschland..................................251
Bodenform und Gebirge......................................252
Brockenreise...............................................253
Die deutschen Ströme.......................................255
Deutschlands Klima und Produkte............................256
Deutsche Länder:
I. Der österreichische Kaiserstaat...............................257
Wien........................................................259
Die Tyroler ................................................262
Hofers Tod .............................*...................263
Oesterreichs außerdentsche Länder...........................266
Die Salzwerke von Wieliczka ................................267
n. Das Fürstenthum Liechtenstein.................................270
III. Das Königreich Bayern........................................270
München.....................................................271
XIII
Scite
IV. Das Konigreich WUrttemberg....................................274
Die Weibertreue ........................................... - 276
Der Hohenstaufen.....................*...............* - 278
V. Das Grotzherzogthum Baden................................... 280
Eintheilung und Stadte........................................281
VI. Das Konigreich Sachsen........................................282
Der Ko ni g s stem........................................... 283
VII. Die thiiringischen Lânder....................................284
Umschau ans dem Jnselsberg ans die Landschaftèn Thiiringens 285
VIII. Die h es sis ck en Lânder.......................................285
IX. Das Herzogthnm Nassau.........................................287
X. Das Grotzherzogthum Luxemburg.................................287
XI. Der preutzische Staat ........................................288
1. Die Provinz Preutzen......................................289
2. Die Provinz Posen........................................ 290
3. Die Provinz Pommern.......................................290
4. Die Provinz Brandenburg..........................- - . 291
Berlin. . . . .....................'...................292
5. Die Provinz Schlesien.....................................293
Das Riesengebirge........................................294
6. Die Provinz Sachsen .................................... 295
7. Die Provinz Westphalen....................................296
8. Die Rheinprovinz..........................................297
Der Dom zu Koln . .'.....................................298
9. Die hohenzollernschen Lande...............................299
Schwabenheimath..........................................300
XII. Die HerzogthUmer Anhalt......................................300
XIII. Die FUrstenthllmer Lippe und Waldeck.........................300
XIV. Das Herzogthnm Braunschweig..................................301 .
Die Baumannshohle...........................................301
XV. Das Künigreich Hannovèr.......................................302
XVI. Das Grotzherzogthum Oldenburg................................303
XVII. Das Herzogthnm Holstein........................................303
Die Ueberschwemmungen der Halligen..........................303
XVIII. Die Grotzherzogthümer Mecklenburg...............................305
XIX. Die Vier freien Stadte............................... . . . . 305
Die Schweiz............................................................307
Der Staubbach................................................... 307
L. SUdeuropa...................................................309
Italien x. . '.........................................................309
Rom...............................................................310
Neapel und der Besuv..............................................311
Die Türkei und Griechenland . . . '.......................... . . 312
XIV
Seite
C. Westeuropa *...........................................312
Spanien und Portugal..............................................312
Frankreich . . .............................................313
Paris.........................................................314
Die Königreiche Belgien und Holland...............................314
Ebbe und Fluth................................................315
Großbritannien....................................................316
London........................................................316
D. Nordeuropa............................................318
Dänemark......................... ................................318
Zunehmende Verminderung der Ostsee............................318
Schweden und Norwegen.............................................319
Die Kälte am bothnischen Meerbusen............................319
Die Haushaltung der Lappländer................................320
Das Eismeer...................................................321
Osteuropa...............................................323
Rußland mit Polen.................................................323
Der Großrusse in Kleinrußland.................................... 323
Die übrigen Erdtheile:
Asten............................................................... 325
Palästina.....................................................327
Das wunderbare Feuer zu Baku..................................329
Afrika........................................................... • 330
Aegypten......................................................330
Die Sandstürme der Wüste Sahara...............................332
Amerika...........................................................332
Die nordamerikanischen Freistaaten............................334
Der Niagarafall ..............................................235
Das Goldland Californien................................... ‘ ’ ^36
Südamerika....................................................238
Ein Prairienbrand.............................................339
Australien........................................................342
Menschenopfer.................................................343
Schilderungen und Bilder aus der Geschichte.
Jugendlieder.
Auf Seite 80 Zeile 11 von unten ist zu lesen: Cato statt Nato.
Erster Abschnitt.
Sprach- und Lesestoff.
Erzählungen, Mährchen, Sagen, Parabeln, Legenden
und Fabeln.
1. Der Gärtner.
(Parabel.)
Ein Gärtner pflanzte an die Gartenwand ein Bäumchen
von besonders guter Art. So wie es jährlich größer wurde, trieb
es starke Sprößlinge; allein der Gärtner schnitt mit jedem Früh-
jahr und jedem Sommer viele derselben ab; es war wildes Holz,
wie er sagte, welches den guten Zweigen schadet, ihnen die Säfte
benimmt und sie ganz mit Schatten überzieht. Die Kinder wunder-
ten sich und konnten dies Benehmen nicht begreifen; allein näch
einigen Jahren gab das Bäumchen seine ersten Früchte, die den
Kindern köstlich schmeckten. Der Gärtner fuhr aber immer fort zu
beschneiden.
Das Bäumchen ist das Kind; der Gärtner ist der Vater
und der Lehrer. Dem Kinde sind von Gott gute Gaben ertheilt
und verschiedene Triebe; allein diese arten leicht aus und verderben
das Gute an Leib und Seele; daher Vater und Lehrer am Kinde
stets zurechtweisen, es belehren, tadeln und selbst züchtigen müssen.
Dann wächst zuletzt ein liebenswürdiger Jüngling und nützlicher
Mann, eine gute Tochter heran, stets aber muß der Mensch Dies
und Jenes an sich bessern. (Hänle.)
2. Der kleine Hirt.
(Wortfamilie des Wurzelwortes: Treiben.)
Moriz trieb oft des Vaters Kühe und Schafe hinaus auf
die blumigen Triften. Besonders gern betrieb er dies Geschäft
im Frühlinge, wo alle Bäume und Sträucher lustig frisches Grün
Reise r, der Volksschule! i. d. Oberklaffe. 1
2
trieben. Dann lagerte Moriz an einem sonnigen Hügel und
schaute umher. Er bewunderte den Kunsttrieb der Vögel, mit
dem sie Strohhälmchen und Flocken Wolle zum Bau der Nester auf-
trieben und vertrieb sich die Zeit mit Beobachtung seiner
Heerde.
Da kam Friedrich, ein Schulkamerad, herbei und sagte: „Komm,
Moriz, wir wollen uns ein Stündchen im nahen Walde umher-
treiben; deine Heerde bedarf keines so aufmerksamen Treibers."
Moriz aber zeigte dem Freunde mit triftigen Gründen, daß er
seine Schafe nicht verlassen dürfe. „Sie würden als Thiere, die
nur ihren Naturtrieben folgen, bald gegen das Tristrecht
sündigen und den Aeckern unserer betriebsamen Nachbarn Schaden
thun. Diese würden meine Eltern verklagen, und der Einnehmer
würde die festgesetzte Strafe schon beitreiben. Mir fehlt es auch
hier nicht an Zeitvertreib." Friedrich sagte: „Du hast Recht,
bleibe nur; ich will sehen, ob ich einen andern Kameraden
auftreiben kann." — Noch oft wurde die Heerde von Moriz
ausgetrieben; aber immer zeigte sich der kleine Hirt so eifrig
und pflichttreu. (L. Kellner. *)
3. Acr Spaziergang.
(Wortfamilie des Wurzelwortes: Gehen.)
An einem schönen Morgen, als kaum die Sonne aufgegan-
gen war, entschloß sich Wilhelm auszugehen. „Ich will," sagte
der Knabe, „langsam gehen," und schlenderte behaglich dem Walde
zu. Dort wohnte ein Förster, mit dessen Sohne Wilhelm Umgang
hatte. Auf seiuem Wege begegneten ihm einige Fußgänger, welche
mit verschiedenen Waaren nach der Stadt eilten. Der Knabe schlug
nun weniger gangbare Pfade ein und war bald am Eingange
des Waldes. Tiefer darin sah er einen Greis, welcher mit unsiche-
rem Gange im Gehölze umherwankte, um sich ein Bündel Reisholz
zu sammeln. Wilhelm grüßte den Alten freundlich und empfand
Mitleid über ihn.
„Ich begehe keinen Fehler," sprach er zu sich selbst, „wenn
ich dem Manne ein wenig helfe." Er that es, und der Greis dankte
herzlich.
„Ach," sprach er, „früher war mir dieses Geschäft leichter. Doch
Jugend und Kraft sind vergänglich; jetzt bin ich alt, da tyird
es mir sauer. Aber das Alter ist der Uebergang zum Tode;
bald werde ich in den Himmel eingehen."
*) Die Behandlung der Musterstitcke Nr. 2, ‘3 und 4, — si-ehe in Kelluer's
„Lehrgang für den deutschen Sprachunterricht," n. Bd.
3
Die Worte des Greises giengen dem Knaben zu Herzen, und
er sprach: „Guter Alter, ich werde Euch Eure Last bis vor die Stadt
bringen, und dann kehre ich zurück. Der Besuch bei meinem Freunde
soll mir deshalb nicht entgehen." — So that der Knabe, und
der dankbare Greis wünschte ihm dafür alles Wohlergehen.
(L. Kellner.)
4. Das Rothkehlchen.
Ein Rothkehlchen kam in der Strenge des Winters an das
Fenster eines frommen Landmynns. Der grimmige Frost hatte das
arme Thierchen dahin getrieben, und es suchte ängstlich ein warmes
Plätzchen. Der Landmann öffnete aus Mitleid freundlich sein Fen-
ster. Da flog das zutrauliche Thierchen in die warme Stube.
Aber es bedurfte auch der Speisen und pickte daher hungrig die
verstreuten Brodkrümchen auf. Die Kinder des Landmanns liebten
das Vögelein sehr; sie legten ihm Zuckerstückchen auf seineTffeblings-
plätzchen und freuten sich über sein munteres Gezwitscher. Der
Frühling kam endlich wieder; die Bäume bekamen Blätter; andere
Vögel sangen draußen, und auch das Rothkehlchen hüpfte unruhig
hin und her. Der Landmann öffnete setzt sein Fenster und schenkte
dem kleinen Gaste die Freiheit. Fröhlich flog er fort und sang auf
dem nahen Baume ein munteres Liedchen.
Monate vergiengen; der Winter kehrte wieder. Siehe, da kam
das Rothkehlchen abermals in die Wohnung des gastfreundlichen
Landmanns. Aber es kam nicht allein; es hatte sein Weibchen mit-
gebracht.
Die Familie des Landmanns freute sich sehr über die Ankunft
der beiden Thierchen. Diese blickten Jeden freundlich an. — Da
lachten die Kinder und sprachen: „Die Vögelchen wollen uns viel-
leicht Etwas sagen!" — Der Vater aber antwortete: „Wenn sie
reden könnten, so würden sie sagen: Freundliches Zutrauen erwecket
Zutrauen, und Liebe erzeugt Gegenliebe." —
5. Der Morgen *).
Verschwunden ist die finstre Nacht; die Lerche schlägt, der Tag erwacht;
Die Sonne kommt mit Prangen am Himmel aufgegangen.
Sie scheint inKönigs Prunkgemach, wie durch des Armen morsches Dach;
Und was in Nacht verborgen war, das macht sie kund und offenbar.
*) Die Behandlung der Lesestiicke Nr. 5 bis 10 — siehe in der Anleitung zu
Behandlung der Sprachmusterstücke von vr. A. Riecke.
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Lob set dem Herrn und Dank gebracht, der über diesem Haus gewacht,
Mit seinen heil'gen Schaaren uns gnädig wollt' bewahren!
WohlMancher schloß dieAugen schwer und öffnet sie dem Licht nicht mehr;
Drum sreue sich, wer neu belebt, den frischen Blick zur Sonne hebt!
6. Der Morgen im Walde.
Ein sanfter Morgenwind durchzieht des Waldes grüne Hallen.
Hell wirbelt der Vögel muntres Lied. Die jungen Birken wallen.
Das Eichhorn schwingt sich von Baum zu Baum. Das Reh schlüpft
durch die Büsche.
Viel hundert Käfer im schattigen Raum ersreu'n sich der Morgenfrische.
Ich schreite in den lust'gen Wald, und alle Bäume erklingen.
Rings um mich Alles singt und schallt; sollt' ich allein nicht singen?
Ich singe mit starkem, freudigem Laut, dir, der du die Wälder säest,
Der du dort oben den Himmel gebaut, hier unten mir Kühlung wehest!
7. Wandersmann, Baum und Guelle.
Oer Wind weht heiss, die Sonne glüht:
Der arme Wandersmann ist rnüd;
Ihn quält der Durst, er athmet schwer,
Und langsam schreitet er einher.
Da säuselt der Baum: „Die Luft ist schwül,
Kein Schatten ist kühl.
Komm, lag’re dich zu süssem Traum
Hier auf des Mooses weichem Flaum !"
Die Quelle murmelt: „Es ist so heiss,
Auf deiner Stirne perlt der Schweiss,
Komm, bücke dich und wohlgemuth
Schöpf Labung dir aus meiner Flut!"
Da lagert sich der Wandrer gleich.
Der Schatten kühlt, das Moos ist weich;
Den Schweiss er von der Stirne wischt,
Die muntre Quelle ihn erfrischt,
Und frohen Herzens steht er auf,
Und rüstig weiter geht sein Lauf.
Es klingt sein Lied gar frisch und hell,
Das preist den Baum und rühmt den Quell.
8. Zer Fuchs und die Maske.
Aus seinen räuberischen Zügen
Fand einst ein Fuchs am Wege liegen
0
Ein Menschenhaupt von Künstlers Hand,
So täuschend, dass er fast erschrocken stand.
Das Neue macht gar leicht verwirrt,
Wer an sich hält, nicht lange irrt.
Der Fuchs beschaut’s von allen Seiteti,
Doch endlich hört man ihn entscheiden :
„Wie schade! du bist schön und hehr
Und doch so ganz gedankenleer.“
Kind, was du lernst, der Maske gleicht,
Hast du nicht auch den Sinn erreicht.
9. Die sonderbare Mauer.
Die Leute eines einsamen Bauernhofes waren während des
letzten Krieges in großen Aengsten. Besonders war eine Nacht für
sie sehr fürchterlich. Der Feind nahte sich der Gegend. Der nächt-
liche Himmel war bald da, bald dort von Feuersbrünsten rokh wie
Blut. Zudem war es Winter und das Wetter sehr kalt und stür-
misch. Die guten Leute waren keinen Augenblick sicher, ausgeplün-
dert und jetzt, zur rauhesten Jahreszeit, von Haus und Hof vertrie-
ben zu werden. Großeltern, Eltern und Kinder blieben die ganze
Nacht hindurch in der Stube bei einander auf und beteten beständig.
Die Großmutter las aus einem alten Gebetbuche vor. In einem
„Gebet zur Zeit des Krieges" kamen die Worte vor: „Gott wolle
eine feste Mauer ausführen, um die Feinde von dieser Wohnung
abzuhalten." Der junge Bauer, der andächtig zugehört hatte, meinte
jedoch, das Aufführen einer Mauer fei gar zu viel vom lieben Gott
verlangt. Indessen gieng die Nacht vorüber, ohne daß ein feind-
licher Soldat in das Haus kam. Alle im Hause verwunderten sich
darüber. Als sie aber Morgens sich vor die Thüre wagten, siehe,
da war gegen jene Seite hin, wo die Feinde standen, der Schnee
von dem Winde hoch, wie eine Mauer, aufgethürmt, so, daß man
gar nicht hindurch kommen konnte.
Alle lobten und priesen Gott. Die Großmutter aber sagte:
„Sehet, so hat Gott eine Mauer aufgeführt, die Feinde von unserer
Wohnung abzuhalten. Ich bleibe dabei:
„Wer auf den lieben Gott vertraut,
Der hat auf festen Grund gebaut."
10. Kindesdank.
Ein. Fürst traf auf einem Spazierritte einen fleißigen und frohen
Landmann an dem Ackergeschäfte und ließ sich mit ihm in ein Ge-
spräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, daß der Acker nicht des
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Landmanns Eigenthum sei, sondern daß er als Taglöhner um acht-
zehn Kreuzer arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regie-
rungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte,
konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich
sei, täglich mit achtzehn Kreuzern auszureichen und noch so frohen
Muthes dabei zu seyn, und verwunderte sich darüber. Aber der
brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: „Es wäre mir übel ge-
fehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muß ein Drittheil davon
genügen. Mit einem Drittheil zahle ich meine Schulden ab, und
das übrige Drittheil lege ich auf Kapitalien an." Das war dem
guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr
fort und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen armen
Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern,
die es erst lernen müssen. Jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir
in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe ich, daß sie
mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen werden." —
War dies nicht schön gesagt und noch schöner gethan?
11. Genügsamkeit.
'Wird vom Glück dir viel beschieden, nimm es froh und dankbar an!
Ist es wenig1, sei zufrieden und begnüge dich daran.
Wechsel ist bei allen Gaben, die das Schicksal giebt und nimmt;
Sie sind, dauernd dich zu laben, von dem Himmel nicht bestimmt.
Freuden, die uns stets begleiten, giebt die Tugend uns allein;
Sie kannst du dir selbst bereiten, und sie bleiben ewig dein.
12. Der Marder und die Taube.
Ein Marder hatte sich in einer Falle gefangen. Er litt 'die
entsetzlichsten Schmerzen und litt noch mehr durch die Furcht eines
nahen Todes. Eine junge Taube sah dies, flog zu ihrer Mutter
und rief: „Freude, Freude! unser Todfeind ist seinem Untergang
nahe. Komm, laß uns seine Qual vermehren durch unsern ^Lpott!"
— „Schäme dich!" strafte sie die Alte; „^Lpott über einen Unglück-
lichen, selbst wenn er unser Todfeind wäre, verräth ein böses Herz
und macht uns eines gleichen Schicksals werth."
13. Der sterbende-Lome.
Ein alter Löwe lag kraftlos vor seiner Höhle und erwartete
den Tod. Die Thiere, deren Schrecken er bisher gewesen.war, be-
dauerten ihn nicht; sie freuten sich vielmehr, daß sie seiner los wur-
den. Einige von ihnen, die er sonst verfolgt hatte, wollten nun
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ihren Haß an ihm auslassen. Der arglistige Fuchs kränkte ihn mit
beißenden Reden; der Wolf sagte ihm die ärgsten Schimpfmorte;
der Ochse stieß ihn mit den Hörnern; das milde Schwein verwun-
dete ihn mit seinen Hauern, und selbst der träge Esell gab ihmeinen
Schlag mit seinem Hufe. Das edle Pferd allein blieb schweigend
stehen und that ihm Nichts, obgleich der Löwe seine Mutter zer-
rissen hatte. „Willst du nicht," fragte der Esel das Pferd, „dem
Löwen auch Eins hinter die Ohren geben?" Das Pferd aber ant-
wortete: „Ich halte es für niederträchtig, mich an einem Feinde zu
rächen, der mir nicht mehr schaden kann."
14. Der Esel am Ufer.
Lin Esel kam auf einer Reise
An einen Strom. Am Ufer jenseits sah
Er schöne Disteln. Ei, wie gieng ihm dieses na!i!
Er konnte schwimmen; doch, nach seiner liehen Weise,
War er zu trag dazu.
„Ja,“ dacht' er, „hier will ich in Ruh
„Indessen mich blos an der Aussicht laben,
Bis dieser Strom sich >$;i?d verlaufen haben!“
Er lag den ganzen Tag-, der Fluss verlief sich nicht.
Was sollt’ er thun? Am Abend überschwimmen,
Da ihm, dem Hungernden, die Kraft gebricht?
Wollt’ er auch jetzt, er kann es nicht.
Kind, dieser Reise gleicht dein Lehen!
Der Strom dazwischen ist die Zeit.
Auf jener Seite liegt Glück und Zufriedenheit,
Durch Fleiss und Müh musst du hinüberstreben!
Versäumest jetzt du die Gelegenheit,
Der Jugend Kraft, des Lebens Munterkeit,
So darbst du deine ganze Lebenszeit.
15. David und sein Sohn.
Der junge Sälomo sass vor der Thür
Der väterlichen Burg, ein Körbchen Feigen
Auf seinem Schooss. Mit lüsterner Begier
Ass er davon. — Es war dem Knaben eigen,
Was er begann, mit Leidenschaft zu thun,
Und keine Frucht war ihm so lieb, als Feigen.
Indem er ass, hat ihn der kleine NUß,
Ein Waisenkind, um eine Gabe.
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Der Prinz durchsucht den Rock, das Unterkleid.
. „Du siehst/4 sprach er, „dass ich Nichts bei mir habe-,
„Komm’ morgen wieder, Freund!“ — Auf diesen Hofbescheid
Trat Nlln zurück. — „„Wie,““ — rief des Vaters Stimme,
Der auf dem Söller stand, dem Prinzen zu, —
„„Den Armen, der dich fleht, entfernest du?“44
„Ich habe Nichts.“ — Mit angenomm’nem Grimme '
Fuhr David fort: „„So spricht nur ein Barbar;
„„Gleich theile mit dem Knaben deine Früchte!44“
Der Erbprinz zählt mit trauerndem Gesichte
Dem Schmachtenden des Schatzes Hälfte dar,
Und räumt, so lästig ihm der Machtspruch war,
Dem Knaben einen Platz an seiner Seite.
Der arme Nun genoss die süsse Beute
Mit selt ner Lust. Die Balsamfrucht erquickt
Den ausgedörrten Gaumen, stillt die Qualen
Des Hungers ihm. — „Heil dir zu tausend Malen,
Mein Prinz !“ ruft er und küsset ihm entzückt
Die milde Hand, die er mit Thränen weihet.
„Gott Israels, o segne diese Hand!
Vom Hungertode hat sie mich bSfceiet.“
Der Prinz verstummte; seine Brust empfand,
Was, seine Harf’ im Arm’, der Vater fühlte,
Wenn er ein neues Lied Jehovah spielte.
Er reicht’ der Früchte Rest dem armen Knaben hin,
Sinkt weinend an sein Herz und küsset ihn.
Der Mensch lernt zwar die Tugend üben,
Wenn sein Verstand sie ihm als Pflicht gebeut;
Doch fühlt sein Herz erst ihre Seligkeit,
So lernt er bald als höchstes Gut sie lieben.
16. Der Wolf im Schafpelze.
Ein Wolf hatte sich, so gut er konnte, in einen Schafspelz ge-
hüllt und sich in dieser Verkleidung unter eine große Heerde gemischt.
Ein Paar Tage hinter einander verzehrte er alle Abende richtig ein
Schaf; bald aber merkte der Hirt den Verlust, durchsuchte die Heerde,
erwischte den saubern Gast und schlug ihn todt.
Dieser Hirt hatte einen Sohn, der dem Vater hüten half, aber
nicht zugegen war, als dieses vorfiel. Da er nun wieder zur Heerde
kam, verwunderte er sich nicht wenig, als er den todten Wolf sah
und den Verlauf erfuhr. — „Wer hätte unter diesem Felle," rief
er aus, „einen Wolf suchen sollen!"
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„Mein Sohn!" entgegnete der Vater, „zieh' dir die Lehre
daraus, daß man, bei Menschen und Thieren, auf ihre Handlungen
und nicht auf ihr Kleid sehen soll!"
17. Der Pfau und -er Kranich.
. Eine Fabel.
Mit einem Kranich zankte sich
Ein stolzer Pfau. „Wie,“ sprach er, „dich
Wirst du doch nicht mit mir vergleichen?
Du musst mir ja in Allem weichen.
Sieh nur einmal, mein schönes Kleid
Ist aller andern Vögel Neid;
Mein langer, spiegelvoller Schwanz
Und meines Halses Wunderglanz
Macht mich zu dieses Hofes Zier.
Doch du, — was. hast denn du an dir,
Das mir den Vorzug streitig macht?
Du gehst einher in Bauertracht.
In einem alten, grauen Kittel,
Hast keinen Rang und keinen Titel.“
Der Kranich sprach: „Da hast du Recht,
* Mein Rang ist klein, mein Rock ist schlecht;
Doch hab’ ich hier zwei gute Flügel.
Hoch über Land und Meer und Hügel
Schwing ich mich auf, beseh’ die Welt,
Und welches Land mir dann gefällt,
Nach diesem steuert mein Gefieder.
Wenn ich es will, lass ich mich nieder,
Find aller Orten meinen Herd
Und esse, was mein Herz begehrt;
Da du hingegen stets im Wust
Auf deinem Hofe bleiben musst,
Und wenn du dich zum Flug ermannst,
Kaum auf die Scheuer fliegen kannst;
Drum sieh mich so gering nicht an!
Nicht immer macht das Kleid den Mann!“
' , ' (Zachariä.)
18. Die beiden Fensterlein.
1. Es sind zwei kleine Fensterlein in einem grossen Haus^
Da schaut die ganze Welt hinein, da schaut die Welt heraus.
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2. Ein Maler sitzet immer dort, kennt seine Kunst genau ;
Malt alle Dinge fort und fort, weiss, schwarz, roth, grün und blau.
3. Dies malt er eckig, jenes rund, lang, kurz, wie s ihm beliebt ;
Wer kennet all’ die Farben und die Formen, die er giebt?
4. Ein Zaub’rer ist's, das sag’ ich kühn; was fasst der Erde Schooss,
Das malt er auf ein Fleckchen hin wie eine Erbse gross.
5. Auch was der Hausherr denkt und fleht, malt er an s Fenster an,
Dass Jeder, der vorüber geht, es deutlich sehen kann.
6. Und freut der Herr im Hause sich, und nimmt der Schmerz ihn ein,
Dann zeigen öfters Perlen sich an beiden Fensterlein.
7. Ist’s schönes Wetter, gute Zeit, da sind sie hell lind lieb: „
Wenn s aber fröstelt, stürmt und schneit, da werden sie gar trüb.
8. Und geht des Hauses Herr zur Ruh, nicht braucht er dann ein Licht,
Dann schlägt der Tod die Laden zu, und ach, das Fenster bricht!
(Castelli.)
19. Die Sünde.
(Parabel.)
Erich, der Sohn frommer und liebevoller Eltern, feierte au
einem schönen Herbsttage feinen zwölften Geburtstag. Seine Eltern
hatten ihn reichlich beschenkt mit mancherlei Gaben und ihm erlaubt,
eine Gesellschaft seiner Freunde zu sich einzuladen.
Sie spielten zusammen in dem geräumigen Garten, in welchem,
auch Erich sein besonderes Gärtchen hatte mit Blumen und Obst-
bäumen. An der Mauer des Gartens aber standen etliche junge
Pfirsichbäume, welche die ersten Früchte trugen. Diese begannen zu
reifen, und durch den zarten Flaum, der sie bedeckte^ schimmerten
schon die röthlichen Wangen. Der liebliche Anblick reizte die Lust
der Knaben.
Aber Erich sagte: „Diese Pfirsiche zu berühren, hat mir der
Vater verboten; es sind die ersten Früchte der Bäumchen, auch hab’
ich mein eigen Gärtchen mit allerlei Früchten. Kommt alle von
hinnen! sie möchten uns reizen."
Da sprachen die Knaben: „Was hindert’s, daß wir sie kosten!
Heute bist du der Herr des Gartens, und kein Anderer. Ist nicht
dein Geburtstag, und bist du nicht auch um ein Jahr älter gewor-
den ? Du wirst doch nicht immer ein Kind seyn, so man leitet und
gängelt. Komm’ nur einmal in unsern Garten! da wehrt uns Nie-
mand . . ." So redeten die Knaben.
Erich aber sagte: „Ach nein, kommt mit mir, der Vater hat
es verboten." Da antworteten die Knaben: „Dein Vater sieht es
nicht; wie will er es erfahren? Und fragt er, so sagst du, du
wissest es nicht."
„Pfui," antwortete Erich, „da müßt' ich ja Lügen, und die
Schamröthe meiner Wangen würde mich bald verrathen."
Da sagte der Aelteste: „Erich hat Recht. Hört, ich weiß ein
anderes Mittel. Sieh, Erich, wir wollen sie pflücken, dann kannst
du daraus schwören, du hättest es nicht gethan." Dem stimmten
Erich und die Andern bei u«d brachen die Früchte und verzehrten
sie unter einander. __________
Als nun die Dänlmerung kam, giengen die Knaben nach ihrer
Heimat. Erich aber blieb noch im Garten, denn er scheute das
Angesicht seines Vaters, und wenn er die Thür des Hauses hörte,
erschrack er, und es gránete ihm in der Dämmerung.
Da kam der Vater selbst, und als Erich seinen Fußtritt ver-
nahm, lies er eilends gegen die andere Seite des Gartens, wo sein
eigenes Gärtchen war. Der Vater aber gieng und sah, wie sie
das Bäumchen beraubt hatten, und ries: „Erich, Erich! wo bist
du?" — Als der Knabe seinen Namen hörte, da erschrack er noch
mehr und zitterte.
Aber der Vater kam zu ihm und sprach: „Ist das dein Ge-
burtstag und mein Dank, daß du meine Bäumchen beraubt?"
Erich antwortete daraus und sprach: „Ich habe die Bäume
nicht angerührt, mein Vater! Vielleicht hat es einer der Knaben
gethan."
Da führte ihn der Vater in das Hans und stellte Erich vor
sich in die Helle des Lichtes und sagte zu ihm: „Willst du deinen
Vater noch täuschen?"
Da erblaßte der Knabe und zitterte und gestand es dem Vater
mit Thränen und Flehen.
Der Vater aber sagte: „Von nun an bleibt dir der Garten
verschlossen . .
Darauf wandte sich der Vater. Erich aber konnte die ganze
Nacht nicht schlafen; ihm graute im Dunkeln; er chörte das Pochen
seines Herzens, und wenn er schlummerte, erschreckten ihn die Träume.
Es war die schlimmste Nacht seines Lebens.
Des andern Tages erschien Erich blaß und verzagt, und die
Mutter jammerte des Knaben. Darum sprach sie zu dem Va-
ter: „Siehe, Erich trauert und ist sehr bekümmert, und der ver-
schlossene Garten ist ihm ein Bild des verschlossenen Vaterherzens."
Der^Vater antwortete: „Das soll er, darum habe ich den Gar-
ten verschlossen."
„Ach," sagte die Mutter, „er beginnt so traurig das neue
Jahr seines Lebens."
„Damit es ihmein freudiges werde," antwortete der Vater.
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Nach einigen Tagen sagte die Mutter abermals zu dem Vater:
„Ach, ich fürchte, Erich könnte an unserer Liebe verzweifeln/'
„Nicht doch," erwiderte der Vater, „dem wird sein schuldiges
Herz widersprechen. Bisher genoß er unsere Liebe, setzt lern' er
sie erkennen und verehren, damit er sie von Neuem gewinne."
„Aber," sagte die Mutter, „erscheint sie ihm nicht in gar zu
ernster Gestalt?"
„Freilich," sagte der Vater, „als Gerechtigkeit und Weis-
heit. — Aber so lerne er, im Bewußtseyn seiner Schuld, sie fürch-
ten und ehren. Dann wird sie ihm zu seiner Zeit wieder in ihrer
ursprünglichen Gestalt erscheinen, und er von Neuem ohne Furcht sie
Liebe nennen. Das wird er: solches verbürgt mir sein Traum."
Als wiederum einige Zeit verflossen war, kam Erich des Mor-
gens aus seinem Schlasgemache, ruhig und mit ernstem Angesichte.
Und er hatte alle Geschenke und Gaben seiner Eltern zusammenge-
legt in ein Körbchen; das trug er und setzte es vor seinen Vater
und seine Mutter.
Da fragte der Vater: „Was willst du, Erich?" Und der
Knabe sprach: „Ich bin nicht werth gewesen der Güte und Liebe
meiner Eltern, so bringe ich die Gaben, die ich nicht verdiene. Aber
mein Herz zeugt mir, daß von nun an ein neues Leben in mir be-
ginnt. Also vergebt mir und nehmt mich und Alles, was ich von
eurer Liebe empsieng, zum Opfer."
Da schloß der Vater sein Kind in seine Arme und küßte es, und
weinte über ihm. Also that die Mutter. (Krumm ach er.)
20. Camino und Pamina.
(Fabel.)
Lin "Win dh und, der Ta mino hiess,
Betrug sich oft sehr ungerathen.
Einst stahl er einen ganzen Braten,
Den ohne Schutz der Koch verliess,
Und machte glücklich mit dem Bande
Sich fort in eine Gartenlaube.
Indem er da mit Gier und Hast
Die Zähne brauchte, kam als Gast
Ein Löwenhüüdcheu aus dem Hause.
„Herr Kamerad, halb Part vom Schmause!“ *
Rief's lustig, „meine Wenigkeit
Dient wieder bei Gelegenheit.“ ,
„Man sollte sich des Betteins schämen!“
Sprach Jener ; „doch zur Noth magst du
1
13
.
Für diesmal einen Mundvoll nehmen.“
Pamina langte schüchtern zu.
Indessen donnerten die Flüche
Des Bratenmeisters in der Küche;
Und er errieth den Dieb im Nu;
Er stürmte fort ihn zu entdecken,
Und feindlich führt ein Ungefähr,
Den beiden Schmausenden zum Schrecken,
Mit einem fürchterlichen Stecken,
Ihn schnurstracks in den Garten her.
Tamino setzte, wie mit Schwingen,
Sich übern Zaun in Sicherheit:
Doch, nicht gebaut zu solchen Sprüngen,
Entkam der Löwenzwerg nicht weit,
Ward jämmerlich vom Koch gebläut,
Und liess sein Weh durch s Haus erklingen.
„Was giebt's?“ begann der edle Hund
Sarastro, ein betagter Pudel.
Pamina that ihr Unglück kund.
„0 Thörin,“ sprach der graue Mund,
„Du hast in diesen Schlägestrudel .
Durch einen Fehltritt dich gebracht!
Pfui, deinem Magen blos zu Liebe
Hast du mit einem Schelm und Diebe
Vertraute Compagnie gemacht!“
„Ach lieber, alter Vater!“ sagte
Das Hündchen, „warum schmälet ihr? —
Tamino, wenn ihn Hunger plagte,
"Kam fleissig auch als Gast zu mir.
Saht ihr doch selber mich bisweilen
Die kleine Schüssel mit ihm theilen,
Und lobtet mich sogar dafür!“
„Ganz recht!“ erwiderte der Weise,
„Die That war gut, die ich erhob.
Wer fremdem Hunger seine Speise
Mildherzig reicht, verdienet Lob.
Gieb, wem du willst! da sei Bedenken
Und kalte Vorsicht gern verbannt;
Doch üaht man dir sich mit Geschenken,
So nimm sie nur aus reiner Hand!“
(Langd ein.)
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21. Die Mücke.
(Fabel.)
], „Einen grossem Bösewicht, als die Schwalbe kenn ich nicht;
Kaum hat eine uns gesehen, so ist’s auch um uns geschehen.
2. Dieses war das Klagelied einer Mücke und sie flieht
In den nächsten Stall. „Hier drinnen sind nicht solche Mörderinnen!“
3. Doch, welch schreckliche Gefahr nimmt sie hier von Neuem wahr!
Ueberall sieht sie an Mauern Spinnen in Geweben lauern.
4. „Wie viel schlimmer! — Doch warum,“ rief sie, „bin ich denn so
dumm ?
Olfen steh n mir ja Paläste; da vertilgt man solche Gäste.“
5. Kaum gedacht ist’s auch gescheh n. Sie flog in ein Schloss. „Wie schön!
Sorgenlos darf ich hier leben, nicht vor Schwalb und Spinne beben.“
6. Sieh der Abend kommt heran. Man steckt zwanzig Lichter an ;
Welch’ ein Schimmer! Welch’ Vergnügen, wie am Jag umher zu
fliegen!---------
7. Aber ach! was sie bedroht, was sie ängstlich floh, — den Tod,
Fand sie hier;-von Lust bethöret, war sie schnell zu Staub verzehret.
8. Kind, w^nn du Gefahren siehst, thust du wohl, wenn du sie
. fliehst;
Doch, lern’ auch Gefahren meiden, die sich in Ver-
gnügen kleiden!
(Grimm 's Fabelbibliothek.)
22. Sagen vom Uieseiigebirge.
Hitährchen vom Rübezahl.
Das Riesengebirge, welches Schlesien von Böhmen und Mäh-
ren scheidet, war ehemals der Aufenthalt eines mächtigen Berggeistes,
Rübezahl genannt. Auf der Oberfläche des Gebirges hatte
sein Gebiet nur wenige Meilen im Umfange; aber im Innern
erstreckte es sich unermeßlich tief und weit. Hier in den unterirdi-
schen Reichen hausete er gewöhnlich, und nur zuweilen, nach Jahr-
hunderten einmal, erhob er sich ans den Tiefen der Erde, um auf
der Oberwelt sein Wesen zu treiben.
Ehe diese Gegend von Menschen bewohnt war, machte er sich
bei seinen Lustreisen auf der Oberwelt allerlei Spaß mit wilden
Thieren. Er hetzte sie zusammen und ließ sie mit einander kämpfen
oder schreckte sie auch selbst ans ihren Lagern plötzlich auf und trieb
sie gleich einem Sturmwind vor sich hin, wie große Herren bei ihren
Jagden ehemals zu thun pflegten.
Als er aber nach langer, langer Zeit einmal wieder aus seinem
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Unterreiche an das Tageslicht hervorkam, sah er mit Er st an-
nen Alles so sehr verändert, daß er sein Gebiet fast nicht mehr
kannte. Die finstern Wälder waren aus geh anen und in Acker-
feld verwandelt; aus den Wiesen weideten Schafe und Rin-
der unter dem Schutze ihrer Hirten und ihres wachsamen Hundes;
hier und da lagen einzelne Hütten zerstreut, deren Bewohner zur
Besorgung ihrer Geschäfte aus- und eingingen; vor den Thüren
spielten muntere Kinder und erfüllten die Luft mit ihrem fröhlichen
Geschrei. Rübezahl wanderte sich bei dem Anblick dieser neuen
Dinge nicht wenig; am ineisten aber erregten die Menschengestalten, die
er sonst noch nie gesehen hatte, seine Aufmerksamkeit. Er beschloß,
diese Art von Geschöpfen näher kennen zu lernen, in dieser Absicht
ihre Gestalt anzunehmen unt sich einige Zeit unter ihnen auszuhalten.
Zuerst trat er als Knecht in die Dienste eines Landwirths und
verrichtete seine Arbeit auf's Beste. Alles, was er unternahm, ge-
lang ihm, und er schaffte seinem Herrn großen Nutzen, so daß dieser
durch ihn hätte reich werden können. Allein sein Herr war ein
liederlicher Verschwender, der Alles wieder durchbracht, was sein
treuer Knecht erwarb, und der ihm für seine Dienste nicht einmal
dankte. Hierüber war Rübezahl ärgerlich und gieng zu einem
Andern, bei dem er sich als Schafhirt vermiethete. Die Heerde
gedieh gleichfalls unter seiner Aufsicht und mehrte sich. Kein Schaf
erkrankte, keines wurde vom Wolf zerrissen, so lange Rübezahl
sie hütete. Aber sein Herr war ein Geizhals, der ihm nicht satt
zu essen gab und ihm seinen Lohn verkürzte, so oft er nur konnte.
Darum schied Rübezahl auch von diesem und begab sich zu einem
Amtmann, bei dem er die Stelle eines Gerichtsdieners übernahm.
Er versah diesen Dienst mit allem Eifer und reinigte in kurzer Zeit
seinen Amtsbezirk von Dieben und Straßenräubern. Als er aber
fand, daß der Amtmann ein ungerechter Richter war, und sich mit
Geschenken bestechen ließ, wollte er nicht länger das Werkzeug der
Ungerechtigkeit seyn und lief davon.
Nun hatte er keine Lust mehr weitere Proben zu machen; denn
da er an lauter schlechte Menschen gerathen war, so glaubteer, daß
sie alle nicht anders wären, und nahm sich vor, sie, so weit sein
Gebiets gieng, zu necken und zu plagen.
So oft er daher die Oberwelt besuchte, trieb er Kurzweil mit
den Reisenden und mischte sich auf mancherlei Weise in die Ge-
schäfte derer, die sein Gebiet betraten. Bald zog er die Wolken
zum Regen zusammen, erregte plötzlich Sturm und Gewitter und
leitete die Wandernden irre im unwegsamen Gebirge. Bald zau-
berte er wieder in der wüstesten, wildesten Gegend einen wunder-
schönen Palast oder ein willkommenes Wirthshaus, dessen Wirth er
selbst war, der nun seine Gäste auf die mannigfaltigste Weise neckte
16
und foppte. Den betrügerischen jüdischen Roßtäuschern zeigte er sich
oft auf einem prächtigen Rosse als ein vornehmer Herr, und wenn
sie sich verleiten ließen, ihm das schöne Pferd abzuhandeln, verwan-
delte es sich nach lurzer Zeit in einen Strohwisch. Traf er dage-
gen verarmte Edelleute, die auf magern Pferden kummervoll durch
das Gebirge ritten, so kam er ihnen entgegen als ein stattlicher
Ritter, ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein und suchte durch
irgend eine aufgestellte ungereimte Behauptung eine Wette zu ver-
anlassen; er selbst verlor dann, und der Glückliche zog im prächti-
gen Anzuge auf dem schönen Pferde dahin und fand außerdem noch,
wenn er das Gebirge hinter sich hatte, seine Taschen mit großen
Rollen von Gold.angefüllt. Wenn aber lockere Abenteurer, leicht-
sinnige Glücksritter und überhaupt nichtsnützige Menschen, die so
Etwas erfahren hatten, seine Wohlthätigkeit auf ähnliche Weise in
Anspruch nehmen wollten, so wurden sie empfindlich getäuscht. Das
Kleid verwandelte sich dann in Laub, das Pferd in einen Stock,
was aber der verblendete Reiter nicht merkte, weßhalb er auch ganz
wohlgemnth in dem lächerlichsten Aufzuge durch die Dörfer ritt. —
Arme Frauen, die Kräuter suchten, überredete er, als Wanderer
erscheinend, die Kräuter aus dem Korbe zu werfen, worauf er die-
sen mit trockenem Laube anfüllte. Nachdem er sich entfernt hat,
wird der Korb schwerer und immer schwerer, bis die Frauen, der
übermäßigen Last erliegend, den unnützen Hansen, in der Meinung
betrogen zu seyn, von sich werfen. Aber , wenn sie nach Hause
kommen, entdecken sie mit Erstaunen, daß die wenigen Blätter, die
am Korbe hängen blieben, in Gold verwandelt sind. — Auf die
Hochzeitsfeste armer Leute in den Gebirgsörtern begab er sich oft
als fröhlicher Gast, tanzte mit der Braut und überreichte ihr ein
unscheinbares seidenes Band, dem Bräutigam aber eine Silber-
münze. Nach seiner Entfernung war aus dem Bande ein kostbarer
Schmuck, aus der Silbermünze ein schweres Goldstück geworden.
So und auf ähnliche Art trieb er sein Wesen oberhalb des
Gebirges bald als neckender Spuck, bald als wohlthätiger
Freund, je nachdem ihn die Laune anwandelte.
Zur näheren Bekanntschaft mit diesem wunderbaren Berggeiste
wollen wir von ihm noch folgende Sage mittheilen:
23. Vas Änlehen.
Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs kleinen Kindern
durch mancherlei Unglücksfälle so herunter gekommen und verarmt,
daß er oft nicht wußte, woher er das Brod für die Seinigen
nehmen sollte.
Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Du hast hinter dem
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Gebirge so reiche Vettern; ich will hin; vielleicht daß der liebe
Gott einem unter ihnen das Herz lenkt und er mir 100 Thaler auf
Zinsen leiht; mit diesem Gelde könnten wir uns auS unserer großen
Noth wieder empor helfen."
„Das gebe Gott!" sagte mit schwacher Hoffnung die Frau,
denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den Ihrigen niemals
gefragt hatten.
Am andern Morgen sehr früh machte er sich auf den Weg
und schritt rüstig den ganzen Tag zu, bis er des Abends müde und
matt zu den Vettern kam und ihnen mit Thränen seine Noth klagte
und um Hilfe flehte. Aber überall wurde er mit harten, bittern
Worten abgewiesen.
Traurig und niedergeschlagenen HerzcnS machte er sich auf den
Rückweg, und als er wieder in's Gebirge kam, überlief ihn Gram
und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei
Tagen verloren und fühlte sich so entkräftet, daß er auch den dritten
Tag nicht würde arbeiten können; und wenn ihm nun das abge-
härmte Weib und die ausgehungerten Kinder entgegen wimmerten
und er brächte ihnen leere Hände und kein Geld und kein Brod —-
o, wie sollte sein Vaterherz das ertragen!
Der arme Mann sann hin und her, wie er wohl Hilfe schaffen
könnte. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeiste bei. „Ich
will mich an ihn wenden," sagte er; „vielleicht, daß meine Bitten
Gehör finden!" Darauf rief er: „Rübezahl, Rübezahl!" und
alsbald stand er vor ihm, wie ein rußiger Köhler, mit struppi-
gem Barte und glühenden Augen, in der Hand einen mächtigen
Schürbaum.
„Hört mich, Herr vom Berge!" sagte der Bauer mit seinem
Gesichte voll Kummer; „ich habe Euch nicht aus Muthwillen geru-
fen, sondern ans Angst und Noth." Und nun erzählte er ihm von
seinem Weibe und von seinen Kindern und von den unbarmherzigen
Vettern, und schloß mit der Bitte, ihm 100 Thaler zu leihen, die
er mit Zinsen in drei Jahren wieder bezahlen wolle; mit hundert
Thalern sei ihm geholfen.
„Wie, treibe ich Wucher?" sagte Rübezahl zornig; „geh' zu
deinen Brüdern, den Menschen, und borge, so viel du bekommen
kannst, mich aber laß in Ruhe, wenn dir dein Leben lieb ist!"
Der Bauer ließ aber nicht nach mit Bitten und schilderte noch-
mals den Jammer seiner Frau und Kinder. „Wollt Ihr nicht hel-
fen," setzte er dann hinzu, „so schlagt mich nur mit der Schürstange
to^t, damit ich die Qual der Meinen nicht sehen darf!"
Rübezahl gebot-nun dem Bauern, daß er ihm folge. Sie
gieNgen waldein, durch immer dichteres Gesträuch und kamen in ein
Felsenthal, das sie zu einer finstern Höhle führte, die immer grau-
Retser, der Volksschüler i. d. Oberklasse. 2
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licher wurde. Bald aber hüpften kleine, blaue Flammen vor ihnen
her, und der dunkle Felsengang bildete sich zu einem großen Gewölbe,
in welchem Helle Lichter flackerten.
Da stand eine große kupferne Braupfanne voll lauter Thaler
bis an den Rand „Da nimm!" sagte Rübezahl, so viel du be-
darfst, und wenn du schreiben kannst, so stelle mir einen Schuld-
schein." Schreiben konnte aber der Bauer. Er zählte sich höchst
gewissenhaft hundert Thaler ab; Rübezahl schien sich gar nicht
darum zu bekümmern, drehte ihm den Rücken zu und suchte die
Schreibesachen aus einem Schranke hervor; aber der Bauer nahm
deshalb keinen einzigen Thaler mehr. Er schrieb den Schuldschein
so gut er vermochte, und Rübezahl schloß denselben in einen eisernen
Kasten. „Geh' nun!" sagte er zu dem Bauern; „nütze dein Geld,
merke dir den Eingang in's Felsenthal und vergiß den Zahlungstag
nicht, denn ich bin ein strenger Schuldherr. — Da!" fuhr er fort,
indem er einen großen Griff in die Braupfanne that, —> „das ist
für deine Kinder und steht nicht auf dem Schuldschein."
Dankbar zog nun der Bauer ab; er fand sich bald ans dem
Felsenthal heraus, merkte sich die Stätte genau und gieng, durch
Freude an allen Gliedern gestärkt, rüstig nach Hause, wo ihn die
Kinder um Brod anschrieen, die Mutter aber trostlos weinend im
Winkel saß, weil sie schon wußte, wie viel aus die Vettern zu rech-
nen sei.
Wie erfreut aber waren Alle, als der Vater den Quersack
öffnete und Bretzeln und Weißbrod für die Kinder und Grütze zum
Brei und Fleisch und Wurst heraus nahm, welches er Alles in der
Stadt gekauft hatte! Daß er das Geld von Rübezahl empfangen,
sagte er aber nicht, sondern lobte vielmehr die Vettern, die ihn so
freundlich aufgenommen, so gut bewirthet und ihm mit so großer
Bereitwilligkeit das Geld geliehen hätten.
Jetzt gieng ein neues Leben und Arbeiten in des Bauern Hause
an; denn mit hundert wohl angelegten Thalern ließ sich damals
viel machen.
Alles, was unternommen wurde, gieng zum Glück, und es lag
ein sichtliches Gedeihen aus dem Gelde des Bergherrn. Ein Acker
nach dem andern, ein Heuscblag nach dem andern wurde gekauft;
das Vieh war weit und breit umher das schönste, und im dritten
Jahre schon hatte der Bauer ein Paar Hufen Feld und ein Paar
tüchtige Pferde zur Bewirthschaftung und wohl viermal so viel baar,
als seine Schuld ausmachte.
Unterdessen war auch der Zahlungstag gekommen. Weib und
Kinder legten nun die besten Sonntagskleider an und freuten stch,
die reichen Vettern besuchen und zeigen zu können, daß sie ehrliche
und wohlhabende Leute wären. Hans mußte einspannen, und sie
19
kamen bald auf's Riesengebirge, wo der Wagen an einer Stelle
halten mußte, der Bauer aber mit den Seinen ausstieg. Hans
sollte fortfahren und auf der Höhe unter den drei Eichen warten
und die Pferde indeß grasen lassen; er aber wolle mit Frau und
Kindern einen anmuthigen Fußpfad gehen, obwohl derselbe ein wenig
um fei.
Darauf gieng er durch das Gebüsch waldein, immer tiefer hin-
ein, schaute dahin und dorthin, als ob er suchte, und die Frau'
glaubte schon, ihr Mann habe sich verirrt. Nun erst sagte er ihr
und den Kindern, wie es ihm bei den reichen Vettern gegangen sei
und wer ihm das Geld geliehen habe, und lobte den Berggeist, vor
dem sie sich fürchteten, mit Thränen im Auge, indem er ihnen vor-
stellte, wie glücklich sie jetzt wären gegen das Elend vor drei Jahren.
Daraus gieng er allein weiter, die Felsenhöhle zu suchen, konnte
aber nirgends den Eingang sinden, obgleich er gewiß wußte, daß
er auf der rechten Seite sei, wo er vor drei Jahren hinein gegan-
gen war. Er klopfte mit einem Steine an den Felsen, er klingelte
mit dem Geldsacke, er rief dem Berggeiste zu kommen und das
Seine zu nehmen; aber Niemand erschien. Da gieng er mißmuthig
zu seiner Frau und den Kindern zurück und setzte sich mit ihnen aus
den Rasen und wartete. Endlich, da sich Niemand sehen ließ, be-
schloß er noch einmal nach dem Felsen zu gehen, dort noch stärker
anzupochen und zu rufen, und wenn auch dann Niemand käme, das
Geld am Felsen hinzulegen; da möchte es der Bergherr sich holen.
Aber, indem er seinen Vorsatz der Frau kund that, brauste es in
den Wipfeln der Bäume; der Wind trieb dürre Grashalme und
Laubblütter vor sich her und.jagte kräuselnde Staubwolken in dem
Wege auf, worüber die Kinder sich freuten.
Unter dem Laube wurde nun auch ein zusammengerolltes Papier-
blatt über den Weg getrieben, nach welchem die Kinder vergebens
haschten. Endlich warf der eine Knabe seinen Hut darauf, nahm
es auf, und weil es ein so weißes Papier war, brachte er's dem
Vater. Da war es der Schuldschein, unter welchem geschrieben
stand: „Zu Dank bezahlt!"
Nun war der Bauer froh und rief aus: „O wie glücklich
fühle ich mich jetzt! Mein Wohlthäter kennt meine Ehrlichkeit und
mein dankbares Herz!"
Jetzt wollte er nach Hause umkehren; aber die Frau ruhte
nicht eher, bis-der Mann zu den reichen, geizigen und hochmüthigen
Vettern fahren ließ, welche fie durch ihren Wohlstand recht zu be-
schämen gedachte; aber als sie hinkamen, waren diese nicht mehr zu
sinden, sondern entweder gestorben, oder von ihren Gehöften ver-
trieben.
Hochmuth und Unbarmherzigkeit kamen bei ihnen vor dem Fall;
20
unser Bauer aber wurde täglich wohlhabender und von Allen ge-
liebt, die ihn kannten; denn er war arbeitsam und fleißig, half seinem
Nächsten gern und führte ein stilles, gottesfürchtiges Leben.
(Lehnert)
24. Die Ämsel.
1. Eine Amsel, schwarz wie Kohlen,
Mit de?n Schnabel, gelb wie Gold,
Wohnte dort, wo aus dem hohlen
Fels das klare Brünnlein rollt;
Und ihr lieblich Lied verhallte
Flötend rings im ganzen Walde.
2. Sieh da, zwischen grünem Laube,
Scharlachroth und schön und frisch,
Lacht der Vogelbeeren Traube
Aus dem schattigen Gebüsch.
Und die Amsel, gleich dem Pfeile,
Fliegt (Frauf zu in wilder Eile.
3. Aber bei den schönen Beeren
Hängt das böse Schlingenpaar,
Sicherer sie zu bethören,
Fest gedreht aus feinem Haar.
Ach, kaum pickt sie in die Traube !
Wird sie selbst dem Tod zum Raube.
4. Jugend, Jugend, lass glich „ warnen l
Schau das arme Thier dien hier!
Lass dich nicht von Lust umgarnen,
Trau’ nicht blindlings der Begier!
Manches Mädchen, mancher Knabe
Hörte nicht — und ruht im Grabe.
(CH. Schmid.)
25. Die drei Freunde.
Eine Parabel.
Traue keinem Freunde, wenn du ihn nicht vorher
geprüft hast; an der Tafel des Gastmahles giebt es
mehr derselben, als an derThüre des Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde. Zwei derselben liebte er
sehr; der dritte war ihm gleichgiltig, obgleich dieser es am red-
lichsten mit ihm meinte.
21
Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er hart aber unschul-
dig verllagt war. „Wer unter euch," sprach er, „will mit mir
gehen und für mich zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden
und der König zürnet."
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht
mit ihm gehen könne, wegen anderer Geschäfte. Der zweite be-
gleitete ihn bis zur Thüre des Rathhauses; da wandte er sich und
gieng zurück, aus Furcht vor dem zornigen Richter. Der dritte,
auf den er am wenigsten gebaut hatte, gieng hinein, redete für ihn,
und zeugte von seiner Unschuld so freudig, daß der Richter ihn los
ließ und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen
sie sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht for-
dert? — Das Geld, sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und
geht nicht mit ihm. Seine Verwandten und Freunde beglei-
ten ihn bis zur Thüre des Grabes und kehren wieder in ihre Häuser
zurück. Der dritte, den er im Leben oft am meisten vergaß, sind
— seine wohlthätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis
zum Throne des Richters; sie gehen voran, sprechen sür ihn und
finden Barmherzigkeit und Gnade. (Joh. Gottfr. v. Herder.)
26. Drr Glockenguß zu Breslau.
1. War einst ein Glockengiesser
Zu Breslau in der Stadt,
Ein ehrenwerther Meister,
Gewandt in Rath und That.
2. Er hatte schon gegossen
Viel Glocken, gelb und weiss,
Für Kirchen und Kapellen
Zu Gottes Lob und Preis.
3. Und seine Glocken klangen
So voll, so hell, so rein:
Er goss auch Lieb’ und Glauben
Mit in die Form hinein.
4. Doch aller Glocken Krone,
Die er gegossen hat,
Das ist die Sünderglocke
Zu Breslau in der Stadt.
5. Im Magdalenenthurme,
Da hängt das Meisterstück,
Rief schon manch starres Herze
Zu seinem Gott zurück.
6. Wie hat der gute Meister
So treu das Werk bedacht!
Wie hat er seine Hände
Gerührt bei Tag und Nacht!
7. Und als die Stund’ gekommen,
Da Alles fertig war,
Die Form ist eingemauert,
Die Speise gut und gar.
8. Da ruft er seinen Buben
Zur Feuerwacht herein:
„Ich lass’ auf kurze Weile
Beim Kessel dich allein,
9. Will mich mit einem Trünke
Noch stärken- zu dem Guss,
Das giebt der zähen Speise
Erst einen vollen Fluss.
10. Doch hüte dich und rühre
Den Hahn mir nimmer an,
Sonst wär' es um dein Leben,
Fürwitziger, gethan!“
22
1J. Der Bube steht am Kessel,
Schaut in die Glut hinein :
Das wogt und wallt und wirbelt
Und will entfesselt seyn,
12. Und zischt ihm in die Ohren
Und zuckt ihm durch den Sinn.
Und zieht an allen Fingern
Ihn nach dem Hahnen hin.
13. Er fühlt ihn in den Händen,
Er hat ihn umgedreht:
Da wird ihm angst und bange,
Er weiss nicht was er that,
14. Und lauft hinaus zum Meister,
Die Schuld ihm zu gesteh’n,
Will seine Knie umfassen
Und ihn um Gnade fleh'n.
15. Doch wie er nur vernommen
Des Knaben erstes Wort,
Da reisst die kluge Rechte
Der jähe Zorn ihm fort.
16. Er stösst sein scharfes Messer
Dem Knaben in die Brust,
Dann stürzt er nach dem Kessel,
Sein selber nicht bewusst.
17. Vielleicht, dass er noch retten,
Den Strom noch hemmen kann;
Doch sieh, der Guss ist fertig,
Es fehlt kein Tropfen d ran.
18. Da eilt er abzuräumen
Und sieht, und will s nicht seh n,
Ganz ohne Fleck und Mackel
Die Glocke vor sich steh n.
19. Der Knabe liegt am Boden,
Er schaut sein Werknicht mehr :
Ach Meister, wilder Meister,
Du stiessest gar zu sehr!
20. Er stellt sich dem Gerichte,
Er klagt sich selber an :
Es thut den Richtern wehe
Wohl um den wackern Mann.
21. Doch kann ihn keiner retten,
Und Blut will wieder Blut:
Er hört sein Todesurtheil
Mit ungebeugtem Muth. .
22. Und als der Tag gekommen,
Da man ihn führt hinaus,
Da wird ihm angeboten
Der letzte Gnadenschmaus.
23. „Ich dank euch, spricht derMeister,
Ihr Herren lieb und werth;
Doch eine and re Gnade
Mein Herz von euch begehrt:
24. Lasst mich nur einmal hören
Der neuen Glocke Klang!
Ich hab’ sie ja bereitet,
Möcht’ wissen ob’s gelang.“
25. Die Bitte ward gewähret,
Sie schien den Herrn gering:
Die Glocke ward geläutet,
Als er zum Tode gieng.
26. Der Meister hört sie klingen,
So voll, so hell, so Tein,
Die Augen geh n ihm über,
Es muss vor Freude seyn.
27. Und seine Blicke leuchten,
Als wären sie verklärt;
Er hat in ihrem Klange
Wohl mehr als Klang gehört.
28. Hat auch geneigt den Nacken
Zum Streich voll Zuversicht,
Und was der Tod versprochen,
Das bricht das Leben nicht.
29. Das ist der Glocken Krone,
Die er gegossen hat,
Die Magdalenenglocke
Zu Breslau in der Stadt.
30. Die ward zur Sünderglocke
Seit jenem Tag geweiht;
Weiss nicht, ob’s anders worden
In dieser neuen Zeit.
(W. Zimmermann.)
23
27. Nie Neue.
Parabel.
Ein Landmann hatte mit eigenen Händen eine Reihe edler Obst-
bäumchen gezogen. Zu seiner großen Freude trugen sie die ersten
Früchte, und er war begierig zu sehen, von welcher Art sie seyn
möchten.
Da kam der Sohn des Nachbars, ein böser Bube, in den
Garten und lockte den Sohn des Landmanns, also, daß sie hin-
giengcn und die Bäumchen allesammt ihrer Früchte beraubten, ehe
denn sie völlig gereift waren.
Als nun der Herr des Gartens herzutrat und die kahlen Bäum-
chen erblickte, da ward er sehr bekümmert und ries: „Ach, warum
hat man mir das gethan? — Böse Buben haben mir meine Freude
verdorben!"
Diese Worte giengen dem Söhnlein des Landmannes sehr zu
Herzen, und er lief zu dem Sohne des Nachbars und sprach: „Ach,
mein Vater ist bekümmert um die That, welche wir verübt haben.
Nun hab' ich keine Ruhe mehr in meinem Gemüthe. . Mein Vater
wird mich nicht mehr lieben, sondern mit Verachtung strafen, wie
ich verdient habe."
Da antwortete Jener: „Du Thor! dein Vater weiß es ja nicht
und wird es niemals erfahren. Du mußt es ihm sorgfältig ver-
hehlen und auf deiner Hut seyn."
Als aber Gotthold — denn so hieß der Knabe — nach Hause
kam und das freundliche Antlitz seines Vaters sah, da vermochte er
nicht, wieder freundlich zu ihm hinaus zu sehen. Denn er dachte:
„Wie sollte ich ihn fröhlich ansehen können, den ich betrübt habe?
Kann ich doch mich selber nicht anblicken. Es liegt mir wie ein
dunkler Schatten in meinem Herzen." —
Jetzt trat der Vater hinzu und reichte jeglichem seiner Kinder
von den Früchten des Herbstes und Gotthold desgleichen. Da hüpf-
ten die Kinder herbei und freuten sich sehr, und aßen. Gotthold aber
verbarg sein Angesicht und weinte bitterlich.
Da hub der Vater an und sprach: „Mein Kind, was weinest
du?" und Gotthold antwortete: „Ach, ich bin nicht werth, daß ich
dein Sohn heiße. Ich kann es nicht länger tragen, daß ich vor dir
ein Anderer erscheine, als ich bin und mich selbst erkenne. Lieber
Vater, thue mir ferner nicht mehr Gutes, sondern strafe mich, da-
mit ich wieder zu dir kommen darf und aufhöre, mein eigener
Quäler zu seyn. Laß mich nur hart büßen für mein Vergehen,
denn siehe, ich habe die jungen Bäumchen beraubt."
Da reichte ihm der Vater die Hand, drückte ihn an sein Herz
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und sprach: „Ich vergebe dir, mein Kind! — Gebe Gott, daß dieses
das erste und letzte Mal sei, daß du Etwas zu verhehlen hast, dam
soll es mir nicht leid seyn um die Bäumchen." (Krummach er./
28. Der Affe und der Geizhals.
Ein Geizhals hatt’ einst einen Affen . . .
Ein Geizhals seyn und sich den anzuschaffen!
Kaum glaub ich das — doch ja;
Gesellschaft kostet Geld, und Menschen können stehlen
So war zum Zeitvertreib dafür der Affe da.
Vor diesem durft’ er Nichts verhehlen,
Er mochte wuchern oder zählen;
Der schwatzte Nichts, und kurz, er war nach seinem Sinn.
Einst rief der Glockenschlag ihn nach der Kirche hin;
Denn hier dacht’ er durch Beten und durch Singen
Gott neuen Segen abzuzwingen.
In grosser Eil' liess er das Schreibpult offen steifn,
Wo ihn der Affe hatt’ im Golde wühlen seh’n.
Petz, der den Haufen Geld erblickte,
Und den die lange Weile drückte,
Sann sich zum Zeitvertreib ein kleines Spielwerk aus.
Er holt ein Goldstück nach dem andern
Und lässt zum Fenster frisch hinaus »
Die L o u i s d’o r e und Dukaten wandern.
Das war ein Lärmen um das Haus;
Wer laufen konnte lief, und bald ward vom Gedränge,
So breit die Strasse war, der Platz doch viel zu enge.
Rips, Raps, „Herr Petz mir auch ein Stück!“
Man haschte, sprang und fiel, und wem zum guten Glück
Ein’s in die Hände flog, dem kam es hoch zu stehen.
Ei, welche Lust, dies Schauspiel anzusehen!
Indessen kam Herr Harpagon zurück.
„Hilf, Himmel! Wer? Wie? Wo? Was giebt’s für Unglück hier ?
„0 weh! — Mein Geld ! Komm ich hinauf zu dir,
„Du Dieb, so soll dein Blut. . .."
Hier schwieg er; denn ihm schloss die Lippen seine Wuth.
„Herr," sprach ein alter Mann, „Herr, mässigt Eure Hitze!
„Das Geld ist Euch wie ihm und ihm wie Euch, Nichts nütze,
„Der Affe wirft es weg, und Ihr, Ihr sperrt es ein.
„Wer mag von Euch der Klügste seyn?“ —
(Hagedorn.)
25
29. Der dankbare Wilde.
Ein alter, rechtschaffener Geistlicher, der sich aus eigenem An-
triebe nach Ostindien unter die Wilden begeben hatte, um sie besser
und glücklicher zu machen, erzählt folgende Begebenheit:
„Einst gegen Abend kehrte ich mit meinen Hausgenossen von einem
Spaziergange zurück; da hörten wir an der Oeffnung eines Waldes
einen kläglichen Ton, giengen ihm nach und fanden unter einem
Baume einen Wilden, der alt und entkräftet aus sein Ende zu warten
schien. Anfangs wollte er nicht mit uns reden. „Ach!" sagte er
endlich, „heute Morgen, als der Himmel roth wurde, machte ich
mich auf und hoffte nach meiner Heimat zu kommen; nun habe ich
mich verirrt; es wird dunkel, ich bin müde und muß hier liegen
bleiben. Hier werden Schlangen oder wilde Thiere, oder meine
Feinde meinem Leben ein Ende machen! Mein armes Weib! Meine
armen Kinder!" Uns jammerte seiner. Ich bat ihn mitzugehen.
„Aber du kennst mich ja nicht!" sagte er. „Ich brauche dich nicht
zu kennen; komm nur mit!" So führten wir ihn in meine Hütte.
Nachdem er die nöthige Stärkung zu sich genommen hatte, bereitete
ich ihm ein Lager dicht an meinem Bette, so daß wir nur eine
dünne, leinene Wand zwischen uns hasten. Er legte sich hin. Mitten
in der Nacht weckte mich ein Geräusch, als ob der Wilde von sei-
nem Lager ausstünde. Ich erschrack und horchte. Wie sehr aber
that mein Schreck ihm Unrecht? Ich werde es nie vergessen. Er
kniete nieder und betete ungefähr mit folgenden Worten: „O Gott,
ich danke dir, daß auf meinem Wege die Sonne geschienen hat! Ich
danke dir, daß mich keine Schlange gebissen, daß mich kein wildes
Thier angefallen hat, daß mir meine Feinde nicht begegnet sind; ich
danke dir, daß dieser gute Fremde gekommen ist und mich in seine
Hütte geführt hat. O Gott, wenn dieser gute Fremde oder seine
Freunde, oder seine Verwandten reisen, so gieb ihnen auch die
Sonne auf ihrem Wege, bewahre sie vor Schlangen und wilden '
Thieren und vor ihren Feinden; und wenn sich einer verirrt und
am Wege liegt, so laß einen guten Mann kommen, der ihn in seine
Hütte aufnimmt!"" (Feddersen.)
30. Des Bönigs Rechnung. (Biblisches Gleichniß.)
Matth. 18, 23.
Mit seinen Knechten wollt' ein König rechnen,
Und als er anhob, kam vor ihn ein Knecht,
Der war ihm schuldig zehentausend Pfund.
Als er cs nun nicht hatte, zu bezahlen:
26
„Schnell," zürnet auf der Herr, „schnell ihn verkauft
„Mit Weib und Kind, mit Allem, was er hat
„Bezahlet muß ich seyn!" Betroffen stürzte
Der Knecht auf seine Kniee vor dem Herrn,
Und weinend seufzet er zu ihm empor:
„O meine Kinder, mein unschuldig Weib!
„O habe doch Geduld mit mir! Zch will,
„Gewiß ich will dir Alles redlich zahlen!"
Da jammert höchlich dieses Knechts den Herrn,
Als er die Worte hört'; er ließ ihn frei,
Und auch die ganze Schuld erließ er ihm. —
Wie froh von hinnen geht der Knecht, so trifft
Im Augenblick' er seiner Mitknecht' einen,
Der war ihm hundert Groschen schuldig; rasch
Faßt' er ihn an, und würget ihn, und sprach:
„Bezahle mir, was du mir schuldig bist!"
Da fiel der Mitknecht auf die Knie vor ihm,
Und weinend seufzet er zu ihm empor:
„O habe doch Geduld mit mir! Ich will,
„Gewiß ich will dir Alles redlich zahlen!"
Der aber, harten Sinnes, weigerte
Sich deß' und ließ ihn in den Kerker werfen:
„Da," tobt' er, „mag er schmachten, winseln, heulen,
„Bis daß er zahle, was er schuldig ist!" —
Die andern Mitgenossen, als fie hörten
Das Unbild, das verübt der Trotzige,
Ergrimmten sie im Innern tief der Schmach,
Und brachten schnell die Kunde vor den Herrn.
Entrüstet rief ihn alsobald der Herr:
„Schalk aller Schalke!" zürnet er ihm zu:
„Steh', deine ganze große Schuld erließ
„Ich dir, von deinem heuchlerischen Fleh'n
„Herzinniglich gerührt, und solltest du
„Nicht auch erbarmt dich haben deines Mitknechts,
„Wie ich erbarmt mich habe über dich?
„So bin ich meines Wortes wieder quitt!
„FlugS in die Marterkammer, fort mit ihm,
„Und seine Füß' ihm in den Stock gelegt!
„Dort mag er schmachten, winseln, heulen, bis
„Rein abbezahlt ist alle seine Schuld."
Vergebt, so wird euch wiederum vergeben!
(Conz.)
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31. Die Wachtel und ihre Kinder.
Hook wallte das goldene Weizenfeld
Und baute der Wachtel ein Wohngezelt.
Sie flog einst früh in Geschäften aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schaar:
„Ach Mutter, wir schweben in grosser Gefahr 1
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut’ mit dem Sohn hier vorbei und begann:
„Der Weizen ist reif, die Mahd muss gescheh’n;
„Geh’, bitte die Nachbarn, ihn morgen zu mäh n.“
„„0,"“ sagte die Wachtel, „„dann hat es noch Zeit!
„„Nicht flugs sind die Nachbarn zum Dienste bereit.““
D’rauf flog sie des folgenden Tages aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schaar:
„Ach Mutter, wir schweben in neuer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut’ mit dem Sohn hier vorbei und begann:
„Uns liessen die treulosen Nachbarn im Stich;
„Geh rings nun zu unsern Verwandten und sprich:
„Wollt ihr meinen Vater recht wohlgemuth seh n,
„So helfet ihm morgen sein Weizenfeld mäh’n!“
„„0,““ sagte die Wachtel, „„dann hat es noch Zeit!
„„Nicht flugs sind Verwandte zur Hilfe bereit.““
D'rauf flog sie des folgenden Tages aus,
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schaar:
„Ach Mutter, wir schweben in höchster Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut’ mit dem Sohn hier vorbei und begann:
„Uns liessen auch uns’re Verwandte im Stich;
„Ich rechne nun einzig auf dich und auf mich.
„Wir wollen, wenn morgen die Hähne kräh n,
„Uns selber nun rüsten, den Weizen zu mäh n.“
„„Ja,““ sagte die Wachtel, „„nun ist’s an der Zeit!
„„Macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit.““
28-
Wer Nachbarn und Vettern die Hilfe vertraut,
Dem wird nur ein Schloss in die Lüfte gebaut;
Doch unter dem Streben der eigenen Hand
Erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand.
Die Wachtel entfloh mit den Kleinen geschwind,
Und über die Stoppeln gieng Tag’s d'rauf der Wind.
(Langbein)
32. Der Gotteskasten.
Es war einmal ein wohlhabender, angesehener Mann, deß'
Namen hieß Benediktus, das heißt Sessenreich. Solchen Na-
men führte er mit Recht; denn Gott hat ihn reichlich mit Gütern
gesegnet, und alle Welt segnete ihn desgleichen.. Darum suchte er
auch jeden zu erfreuen, den Fremdling wie den Nachbar, besonders
die Armen und Nothleidenden. Er that aber folgendermaßen:
Wenn er einen frohen Tag gehabt hatte mit seinen Freunden,
so gieng er in sein Kämmerlein und dachte: Es sind Viele, die kei-
nes solchen Tages sich erfreut haben, und was wäre es, so ich der
Gäste noch einmal so viel geladen hätte! — Also legte er von sei-
nem Gelde so viel, als ihn die Mahlzeit gekostet, in eine Lade ; die
nannte er den Gotteskästen. Desgleichen, wenn er vernahm,
daß irgendwo eine Feuersbrunst gewüthet, so gab er seinen Beitrag
zur Unterstützung der Unglücklichen reichlich. Daraus sah er sein
Haus an und gieng in sein Kämmerlein und sprach: „Alles stehet
bei mir fest und unversehrt," und legte dafür in den Gottes-
kasten. Abermals, wenn er vom Hagelschlag, Wassersnöthen und
andern Unfällen hörte, so legte er dafür in den G otteskasten. Also
auch, wenn ihm kostbarer Wein und schönes Geräthe geboten wurde,
so kaufte er davon, jedoch mäßig, so daß sie sein Haus zierten und»
seine Freunde erfreuten, und gieng alsdann in sein Kämmerlein und
sprach: „Solches hast du dir kaufen und deinen Vorrath mehren
können," und legte in den Gotteskasten; dazu sendete er gern
von dem köstlichsten Weine, wenn ein Kranker dessen bedurfte. Also
that er sein Leben lang. Als er nun sterben sollte, da klagten und
weinten die Armen, die Wittwen und W aisen und sprachen:
„Wer wird sich unser erbarmen, wenn B e n e d i kt u s von uns
scheidet?"
Er aber sprach: „Ein guter Hausvater sorget, daß auch dann,
wenn er nicht daheim ist, den Kindlein Nichts gebreche. So nehmet
den Gotteskasten mit Allem, was darin ist. Er gehöret den
Armen, den Wittwen und den Waisen; theilet davon aus und
verwaltet es wohl und weislich." Darauf starb er, und es geschah,
wie er gesagt hatte.
29
Also bestehet der Gotteskasten seit hundert Jahren zum-Troste
der Bedürftigen, und des Mannes Andenken bleibet im Segen.
(Krummacher)
33. Gottes Hilft in der Noth.
In der Schweiz sind viele hohe Gebirge, welche die Alpen
heißen. Die höchsten sind oben mit Schnee und Eis bedeckt. In
der größten Sommerhitze sängt der Schnee auf den Gipfeln der
Berge an zu schmelzen, das Wasser schießt stromweise herunter, reißt
Felsenblöcke mit sich fort und wühlet tiefe Gruben in die Erde.
Diese Gruben sind oft oben mit Schnee und Eis bedeckt. Wer der
Gegend nicht kundig ist und darüber hingeht, kann leicht ausgleiten
oder einbrechen und in dem reißenden Strome seinen Tod sinden.
Einst machten einige Reisende den Weg über die Alpen nach
Italien und nahmen sich einen Schweizer aus der Gegend zum
Wegweiser mit, der sie sicher über die hohen Schnee- und Eisberge
hinführte. Als er einmal stille stand, wie um auszuruhen, sahen sie
unvermuthet Thränen in seinen Augen. Sie fragten ihn nach der
Ursache, und da zeigte es sich, daß es Thränen eines gerührten und
dankbaren Herzens waren.
„Gottvergessen wäre ich," — sprach der Schweizer — „wenn
ich jemals vor dieser Stelle vorbeigehen könnte, ohne mich dankbar
an seine mir hier erwiesene mächtige Hilfe zu erinnern. Hier, liebe
Herren, hier auf diesem Berge — seht ihr dort in der Ferne jenen
grauen Strich auf dem Eise? Es ist ein Graben einige Klafter
tief, worin das Wasser stromweise unter der Schneedecke hinschießt.
Ihr denkt wohl, derjenige möchte ohne Rettung verloren seyn, dem
der betrügliche Schein unter den Füßen bricht und ihn in diesen
fürchterlichen Schlund stürzt. — Nun, hier ans diesem Berge und
in diesem Graben sollte ich vor einigen Jahren mein Grab finden,
wenn mich nicht Gottes mächtiger Arm beinahe durch ein Wunder
wieder aus demselben herausgezogen hätte.
„Zwei Gefährten und ich jagten auf diesen Bergen den Gemsen
nach. Der Berg war mit frischem Schnee überdeckt. Wir spürten
eine Gemse; als wir aber der Spur zu hitzig nachfolgten, sank der
lockere Schnee auf einmal unter meinen Füßen ein. Schon war ich
tief in den Eisschlund gesunken, als ich, noch meiner Sinne mächtig,
die Arme und die Schenkel im Niedersinken so weit als möglich
ausbreitete und mich dadurch an den beiden Eiswänden festhielt, so
daß ich noch über dem Wasser schwebte. Meine Gefährten hatten
mich kaum aus dem Gesichte verloren, als sie mir angstvoll zuriefen;
und da sie hörten, daß ich noch lebte, versprachen sie mir, Alles zu
meiner Rettung zu thun, was ihnen möglich wäre. Voll Verlangen,
30
mir zü helfen, liefen nun ;bie Lieben fast so schnell als die Gemse,
eine Meile weit bis zu der nächsten Hütte, während ich zwischen
Furcht und Hoffnung auf meine ausgebreiteten Arme und Schenkel
an den Eiswänden gestützt, über dem tosenden Wasser schwebte. Ich
sank aber mit der Zeit immer tiefer; schon kam der Strom mir bis
an die Kniee; ich war vor Kälte fast erstarrt und erwartete nichts
Anderes, als den Aod.
„Nach Verlauf einiger Stunden hörte ich meine treuen Gefähr-
ten mich anrufen. Sie hatten in der nächsten Hütte einen Strick
gesucht, und da sie keinen gefunden, hatten sie eine Bettdecke in Strei-
fen geschnitten, diese zusammengeknüpft und so ein Seil verfertigt.
Dieses ließen sie hinunter, und ich band mir dasselbe mit vieler
Mühe um den Leib.
„Nun zogen sie mich mit vereinten Kräften so weit aus der
Spalte heraus, daß sie mich beinahe mit den Händen erreichen konn-
ten. Aber plötzlich zerriß der Strick — und ich — mit einem
Theile desselben um den Leib — glitschte unaufhaltbar wieder hin-
unter, eben so tief als vorher. Jetzt war die Noth aber noch größer,
nicht nur darum, weil der Strick kürzer geworden war, sondern
auch, weil ich bei diesem zweiten Fall einen Arm gebrochen hatte
und also um so weniger Kraft behielt, selbst Etwas zu meiner Ret-
tung beizutragen.
„Dennoch entfiel uns der Muth nicht. Sie schnitten die Strei-
fen noch einmal von einander, um den Strick wieder zu verlängern.
Dann warfen sie ihn mir zum zweiten Male hinunter. Von Gott
gestärkt, war ich noch behende genug, ihn mir mit einem Arme um
den Leib zu knüpfen. Und mit diesem noch schwächern Stricke waren
meine Freunde endlich so glücklich, mich aus dem bereits offenen
Grabe heraus an das helle Tageslicht zu ziehen.
„Sollte ich denn wohl, meine Herren, jemals in meinem Leben
diese göttliche Hilfe vergessen? — Sollte ich nicht, so oft ich an
dieser Stelle vorbeigehe, dem Herrn, meinem Erretter, Gebete und
Thränen des Dankes zum Opfer bringen?"
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir
Gutes gethan hat. Psalm 103, N. 2.
34. Das Glasgemälde.
Ein armer Pilger, fromm und gut,
Mit weissem Stab und Muschelhut,
Im schwarzen, wollenen Gewand,
Zog weit umher von Land zu Land.
Er sah die Unschuld oft gedrückt,
Die Schuld mit Stern und Band ge-
schmückt.
Der Welt verworrenes Gewühl
Schien ihm fast nur des Zufalls Spiel.
So wallt er einst mit trübem Sinn
Durch eine rauhe Wildniss hin;
Der Himmel ist von Wolken schwer,
Es regnet, schneit und stürmet sehr.
31
Da zeigt mit Moos bedeckt und alt
Ein einsam Kirchlein sich im Wald.
Er zieht den Hut und geht hinein
Und grausig Dunkel schliesst ihn ein.
Das Spitzgewölb’, die Wänd’umher
Sind ohne Zierrath, kahl und leer;
Der kleine, steinerne Altar
Vielfältig grün vom Schimmel war.
Des Kirchleins einzig Fensterlein
Nimmt des Altarblatts Stelle ein,
Und schwärzlich, roth und ungestalt
Sind alle Scheiben übermalt,
„Pfui, spricht der Mann, welch’gar-
stig Stück
Beleidigt hier den frommen Blick !
Das malte wohl in Fieberwuth
Ein blinder Mann mit Buss und Blut.
Man sieht ja Nichts, als Fleck an
Fleck,
Nichts hat Bedeutung, Sinn und
Zweck.
Ja dieses dunkle Chaos stellt
Mir dar ein treues Bild der Welt.“
Indem der Pilger dieses spricht,
Die Sonne durch die Wolken bricht,
Entzündet, wie mit einem Strahl,
Des Glasgemäldes Farben all.
Ein Bild von wunderschönem Glanz
Erscheint im bunten Feuer ganz, -
Und der Kapelle düst re Nacht
Erhöht noch mehr der Farben Pracht.
»
Den feur gen Dornbusch man er-
kennt,
In dem der Name Gottes brennt; .
Beleuchtet von dem Wunderlicht,
Liegt Moses auf dem Angesicht,
Sein Purpurkleid, des Mantels Blau,
Der graue Fels, die grüne Au,
Der weissen Schäflein zarte Schaar
Erscheinen lieblich, hell und klar.
„Ha ! rief der Pilger, welch’ ein Bild 1
Wie feuerreich und doch so mild!
Was dunkel und verworren war,
Wie ist es jetzt so licht und klar!
Was vorher ohne Zweck mir schien,
Setzt wohlbedacht der Meister hin;
Kein Strichlein durfte anders seyn,
Sollt’ ich mich dieser Schönheit
freun.“
Auch seine düst re Seel' wird licht,
Im Herzen tief die Stimme spricht:
„Dem Bilde gleicht dein Lebenslauf.
Geht einst die Wahrheitssonne auf,
Dann wird, was dir verworren
scheint,
Zu einem Lichtgemäld’ vereint.
D rum glaube jetzt und bete an!
Was Gott thut, das ist wohlgethan !“
(CH. Schmid )
. 35. Unser Umgang,
Ein weiser Volkslehre^ erlaubte auch seinen erwachse-
nen Söhnen und Töchtern nicht' mit Menschen umzugehen, deren
Wandel nicht ganz rein und sittig war.
„Vater!" sagte eines Tages zu ihm die sanfte Clara, als
er ihr untersagte, in Gesellschaft des Bruders die leichtsinnige Lucinde
zu besuchen, „Vater! du mußt uns wohl für sehr kindisch halten,
weil du glaubst, dieser Weg könne uns gefährlich werden."
Aber der Vater nahm stillschweigend eine schon erloschene Kohle
/
32
vom Kamiji und reichte sie der Tochter hin. „Sie brennt nicht,
Kind/' sagte er, „nimm sie nur!"
Das that Clara, und siehe, die zarte, weiße Hand wurde
schmutzig und unversehens auch das Gewand.
„Daß man doch gar nicht vorsichtig genug seyn kann," sagte
Clara, „wenn man Kohlen berührt."
„Ja wohl!" sprach der Vater, „du siehest, mein Kind, daß die
Kohle, wenn sie auch nicht brennt, — doch schwärzt!
„Also der Umgang mit Sittenlosen."
/
36. Androklus und der Löwe.
. Erzählung.
Ls wogte die Menge dem Thore zu,
Der weifen Arena*) entgegen;
„Der Löwe,“ so hiess es, er wird im Nu
„Den armen Androklus erlegen.“
Er sprengte die Ketten der Sklaverei,
Geschmiedet von grausamer Tyrannei.
Androklus, des tückischen Unglücks Sohn,
Ward strenge als Sklave gehalten;,
Längst war er dem grausamen Herrn entfloh’n,
Das köstlichste Gut zu erhalten,
Barg lange sich draussen im finstern Wald,
In Höhlen und Klüften gar schaurig kalt.
Doch gestern, des Morgens, als kaum es tagt,
Da drohet das Unglück ihm wieder;
Der Köllig gestaltet die Bärenjagd
Am Hochgebirg aufwärts und nieder;
Und in der Höhle der Felsenwand
Blau auch den armen Androklus fand.
Und heute nun soll er die Frevelthat:
Vermessen nach Freiheit zu streben,
*) Die Arena oder das Amphitheater war bei den Römern ein
grosses Gebäude ohne Dach, in runder oder ovaler Form, worin die Kampf-
spiele der Fechter mit einander oder mit wilden Thieren gehalten wurden.
Rings umher waren die zur Aufbewahrung der wilden Thiere bestimmten
Gewölbe; über diesen befand sich die Gallerie und von dieser an erhoben
sich immer höher und weiter entfernt die Sitze’ für die .Zuschauer. Das
Coliseum zu Rom ist das grösste aller Amphitheater des Alterthums.
»
33
Wie Kulm er begonnen die rasche That,
Versöhnen und büssen durch s Leben.
In der weiten Arena der Aermste stand,
Das blasse Gesicht nach dem Zwinger gewandt.
Der Öffnet sich rasselnd — und grimmig rennt
Ein L»we mit Hungergebrülle
Heraus, — und ein Schrei des Entsetzens trennt
Vielstimmig die lautlose Stille. — —
Doch siehe, — der Leu statt zu würgen ihn,
Legt zahm zu des Sklaven Füssen sich hin.
Und schnell springt er wieder hoch empor,
Mit Schmeicheln Androklus umkreisend;
So wie wenn ein Hündchen den Herrn verlor
Und findet, ihm Freude beweisend.
Verwundert und staunend blickt Mann für Mann
Das niemals gesehene Wunder an.
Und staunend sieht's gleichfalls der König an
Und ruft vom Balköne herunter:
„Geschenkt ist das Leben dir, armer Mann,
„Wenn schnell du erklärest dies Wunder.
„Der Leu, den man gestern gefangen nahm,
„Warum ist er heute schon still und zahm?“
Und d'rauf Androklus die Red’ begann:
„Herr! als ich der Knechtschaft entsprungen,
„Da ich, ein flüchtiger, armer Mann,
„Nach Freiheit gestrebt und gerungen,
„Da barg mich das Felsengeklüft' in dem Wald
„Und die Höhle war drinnen mein Aufenthalt.
„So manchen Tag ich gar traurig sass,
„Verzweifelnd dem Schicksale fluchte,
„Mit Kummer und Thränen die Wurzeln ass,
„Die ängstlich, mit Zittern, ich suchte;
„So sass ich einst sinnend in dunkler Still’,
„Da weckte mich schreckhaft des Löwen Gebrüll.
„Und herein das entsetzliche Unthier trat
„Mit hinkendem Fuss in die Höhle,
„Sich jammernd geberdend mich schmeichelnd bat,
„Zu seh’n, wo dem blutenden fehle.
Reiser, der Votksschüler i. d. Oberksasse.
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34
„Und als ich des Schmeichelnden Fleh’n verstand,
„Die Wunde ich prüfte mit schonender Hand.
„Doch fürchtet’ ich immer des Löwen Zorn,
„Allein er lag zahm mir zu Füssen;
„Heraus ihm zu ziehen den schmerzenden Dorn
„Musst’ ich mich nun endlich entschlossen,
„Und seit ich ihm so die Schmerzen nahm,
„Er nimmer mir von der Seite kam.
„Und täglich, wenn er sich Raub erspäht,
„Auf seine ihm eigene Weise,
„Nach dem er des Morgens und Abends geht,
„Versorgt er mich reichlich mit Speise,
„Und gestern nun, wie du, mein König, gesagt,
„Da sieng man uns Beide getrennt auf der .Jagd.“
Hoch auf jauchzt das Volk, und Androklus geht
Nun frei und begnadigt von hinnen.
Ihm folgte der Leu wo er geht und steht,
So zahm, wie ein Hündchen am Linnen.
Und Alles sich männiglich hoch erfreut
Am seltenen Beispiel der Dankbarkeit. (H. Reiser.)
37. Muth und Treue.
Herzog Ludwig von Brieg (in Schlesien) war im Jahre
1404 als Pckger nach dem gelobten Lande lgewallfahrtet, um am
Grabe des Erlösers zu beten und alle die heiligen Orte selbst zu
sehen, wo der Heiland der Welt gewandelt und gelehrt hatte.
Glücklich hatte er das Ziel seiner Reise erreicht. Längere Zeit
hatte er sich in Palästina ausgehalten und nicht nur Jerusalem
und Bethlehem, sondern auch die Gegend am See Genesareth
und andere merkwürdige Orte des gelobten Landes kennen lernen.
Er empfand endlich eine unwiderstehliche Sehnsucht nach der Heimat
und setzte daher den Tag seiner Abreise fest, wovon er seine Ge-
mahlin durch einen früher abreisenden Ritter benachrichtigen ließ.
Der Herzog reiste auch wirklich einige Tage später von Jeru-
salem ab; allein wenige Tagreisen von der Stadt entfernt wurde er
plötzlich von einer Schaar bewaffneter Türken überfallen. Seine
Begleiter sielen im Kampfe; er selbst wurde gefangen und an einen
vornehmen Herrn als Sklave verkauft. Er wurde nicht nur zu den
beschwerlichsten Arbeiten angehalten, sondern er mußte auch die här-
teste Behandlung, ja nicht selten die schmerzlichsten Peitschenhiebe er-
tragen und mit der geringsten Kost zufrieden seyn.
35
Mit Sehnsucht wartete indeß die Gemahlin des Herzogs auf
seine Zurückknnft. Sie sandte Boten nach allen italienischen See-
häfen; allein vergebens, und von Tag zu Tag wuchs die Vermu-
thung der Gewißheit entgegen, daß der Herzog verunglückt oder in
Gefangenschaft gerathen seyn müsse.
Das ganze Land nahm Antheil an der Trauer der Herzogin,
und von allen Seiten trafen Abgeordnete bei ihr ein, welche erklär-
ten, daß sie ihren geliebten Herrn um jeden Preis loskaufen wür-
den. Gerührt nahm die Herzogin diesen Beweis treuer Liebe an,
und mehrere Boten reisten ab, um den Aufenthalt des Herzogs
auszukundschaften.
Am herzoglichen Hofe lebte seit einigen Jahren ein Edelknabe
Namens Franz. Er war der Sohn eines Landmannes und hatte
einst den verirrten Herzog auf der Jagd zurecht gewiesen. Bisher
hatte er das vollste Vertrauen des Herzogs und seiner Gemahlin
genossen, und man war daher nicht wenige erstaunt, als man ihn
plötzlich vermißte und sich zugleich ergab, daß auch ein Theil der
kostbarsten herzoglichen Juwelen fehlte. Alle Nachforschungen nach
ihm 'blieben jedoch erfolglos, und sein Verschwinden blieb Jeder-
mann ein unauflösliches Räthsel.
. Wir kehren wieder zu dem gefangenen Herzog zurück. Dieser
arbeitete eines Tages in dem Garten seines grausamen Herrn an
einem Graben, welcher zu einem kleinen Lustsee führte. Dicke Schweiß-
tropfen rollten in der brennenden Mittagshitze über sein Angesicht,
seine Hände waren mit Schwielen angefüllt, seine Brust keuchte und
kaum vermochte er noch sich aufrecht zu erhalten, so sehr war er
von der ungewohnten Arbeit angegriffen.
Ein junger, vornehm gekleideter Türke kam durch die langen
Gänge des Gartens herab, gieng langsam an ihm vorüber, lindem
er halblaut, als ob er mit sich selber redete, in deutscher Sprache
die Worte flüsterte: Verrathet Euch nicht durch Euer Erstaunen, gnä-
diger Herr! Ich bin Euer Franz; ich bin gekommen Euch zu suchen
und Euch zu befreien.
Die Sprache^hat keine Worte um die freudige Ueberraschung
des Herzogs zu schildern.
Franz hatte wirklich die vermißten Juwelen entwendet und war
deshalb heimlich damit fortgegangen, weil er befürchtete, daß man
ihm bei seiner Jugend eine so große Summe nicht anvertrauen würde.
Er verkaufte einen Theil der mitgenommenen Edelsteine, verschaffte
sich prachtvolle türkische Kleider, miethete mehrere Türkensklaven und
lernte von ihnen und durch längeren Aufenthalt in der Türkei die
türkische Sprache. Er hatte mit furchtbaren Hindernissen und Ge-
fahren zu kämpfen, und dennoch ließ er sich nicht abhalten überall
nach dem geliebten Herrn zu forschen. Tag und Nacht hatte er
36
keine Ruhe, bis er ihn endlich durch Gottes wundervolle Fügung
gefunden hatte.
Er gieng nun wieder zu dem vornehmen Herrn, bei dem er
sich für den Sohn eines reichen und angesehenen Türken ausgegeben
hatte, gab vor, daß er nach Deutschland reisen wolle und daß er
daher einen deutschen Sklaben zu kaufen beabsichtige. Er bat den
vornehmen Herrn zugleich, daß er, im Fall er einen solchen hätte,
ihm denselben abtreten möchte. Die Sklaven wurden besichtigt und
um ihr Vaterland befragt; aber nur nach vielen Schwierigkeiten
entschloß sich der Türke einen so guten Arbeiter um eine hohe Summe
los zu geben.
Wer schildert das Entzücken des glücklichen Franz! — Er nahm
den Herzog zum Schein unter seine Sklaven auf und eilte so schnell
er konnte der deutschen Grenze zu. Hier entließ er seine Sklaven,
besorgte für sich und den Herzog Pilgerkleider, und unter dem Schutze
der Vorsehung gelangteg Beide wohlbehalten nach Breslau. ,
Von hier aus begab sich Franz allein nach Brieg und trat
dort als Pilger verkleidet in die Rathsversammlung. Niemand er-
kannte ihn, und er sprach zu dem versammelten Rathe: „Edle Her-
ren! ihr habt einst versprochen euren Herzog um jeden Preis zu
lösen, und ich bin gekommen euch zu fragen, ob ihr noch dazu ent-
schlossen seid." Alle erklärten sich bereit, und der edle Franz fuhr
fort: „Wohlan, so zahlt mir so viel Geld, als die herzoglichen Ju-
welen werth sind, die ich mitgenommen habe. Ich bin Franz, der
Edelknabe, der auszog euren und meinen Herrn zu retten. Jenen
Schmuck mußte ich verkaufen, um meinen Zweck zu erreichen, darum
gebet mir das Geld, denn ich muß die Kleinodien ersetzen, damit
ich nicht länger für einen Dieb gehalten werde. In wenigen Tagen
ist der Herzog wieder in eurer Mitte."
Schnell und freudig wurde die Summe aufgebracht; Franz eilte
nach Breslau zurück, holte den Herzog ab, und dieser wurde mit
allgemeinem Jubel von seinem geliebten und treuen Volke empfangen.
(R. nach dem Pr. L.)
38. Die Heimgabe.
An einem Sabattag war Rabbi Mei'r
Im Haus des Herrn und deutete dem Volk.-
Mit Heiterkeit die Sprüche des Gesetzes.
Zur selben Zeit ergriff ein schneller Tod
Ihm ungewarnt zween hoffnungsvolle Söhne.
Die Mutter legte weinend sie auf's Bette,
Und deckte sie mit ihrem Mantel zu,
Und saß in stummem, namenlosem Schmerz
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Und rang vor Gott um Fassung und Geduld.
Ihr brünstiges Gebet war nicht vergebens:
Es wurde sanft und still in ihrem Herzen.
Derweile brach der Abend friedlich an,
Und Rabbi Meter kam vergnügt nach Hause.
Doch als die zarten Söhne nicht, wie sonst,
Mit muntern Grüßen ihm entgegen hüpften,
Da frug er sorglich: „Weib, wo sind die Kinder?"
Spricht die Gemahlin: „Etwa in der Schule."
Spricht Rabbi Meier: „Nein, da sind sie nicht,
„Schon hab' ich dort sie unterwegs gesucht."
Mit stummer Wehmuth reichte jetzt die Gattin
Den Becher ihm. Er sprach den Segen, trank,
Und frug noch einmal: „Weib, wo sind die Kinder?"
Spricht die Gemahlin: „Etwa auf Besuch."
Spricht Rabbi Meier: „Lange weilen sie,
„Und dunkel bricht bereits die Nacht herein."
Indessen wird die Abendkost gebracht.
Der Rabbi aß, doch war's ihm nicht ganz heimlich.
Sobald sie nun das Mahl gehalten hatten,
Begann das edle Weib: „Erlaube mir,
„Daß ich dich Etwas frage." — Liebevoll
Erwiderte der Rabbi: „Frage mich!"
Da hub sie an: „Es gab ein Freund mir jüngst
„Ein Kleinod in Verwahrung, aber nun
„Verlangt er's heim. Soll ich's zurück ihm geben?"
Verwund'rungsvoll entgegnete der Rabbi:
„Welch' eine Frag' ist deinem Mund entstoh'n?
„O freilich müssen wir zurück erstatten,
„Was uns vertraut aus Freundeshand ist worden,
„Sobald der Eigner es zurück verlangt."
Jetzt hub das edle Weib ein Licht vom Tische,
Und sprach: „So folge mir; mich hat's gefreut,
„Daß du mit mir die gleiche Meinung hegst."
Mit diesem Wort ergreift sie seine Hand
Und führt ihn zu der Kammer auf der Flur;
Erstaunt und Böses ahnend, folgte Mei'r:
„Was thust du," sprach er, „wie geheimnißvoll
„Ist deine Rede? Was begab sich hier?"
„Komm'!" fuhr sie zärtlich fort, „und sieh' es selbst,
„Und denke deines Spruch's und fasse dich!"
Nun trat sie hin zum Bette, wo die Leichen
Der Knaben lagen, zog den Mantel weg,
Und ließ auf sie den Schein der Lampe fallen.
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Vom Schrecken und Entsetzen überwältigt,
Sank Meter auf die Knie': „O meine Söhne,
„O meine Söhne!" schrie er, schmerz-betäubt,
Und rang die Händ' und raufte sich das Haar.
Da beugte tröstend sich hinab zu ihm
Die treue Gattin, schlang um seinen Hals
Den treuen Arm, und sprach: „Ermanne dich!
„Der Eigenthümer heischte dieses Kleinod
„Zurück von uns! — Gegeben hat's der Herr,
„Genommen hat er's wieder!" — Trostersüllt
Erhub sich Meier, drückte liebevoll
Das edle Weib an seine Brust, und sprach:
„Das that der Herr, sein Name sei gelobt!" (Neuffer.) '
39. Der heilige Karl Borromäus.
„Nie verlaß ich meine Heerde, ihr habt weiter keine Pflicht;
Eilt und rettet euer Leben, ich verlasse Mailand nicht."
Muthig sprach es Borromäus, Erzbischof und Cardinal,
Als die Pest zusamenraffte grausenvoll der Menschen Zahl.
Wie ein offnes Grab, voll Schrecken still und leer und angstumspannt
Lag die Stadt; wer fliehen konnte floh, wie aus des Todes Hand.
Thüre, Fenster sind'verschlossen, Müttern graut vor eignem Kind;
Rasselnd eilen Leichenwagen, halten, wo die Zeichen sind.
Und dann wieder Alles schweigend, nur durchseufzt vom Sterbeton;
Wer am Morgen noch voll Kräften, ist am Abend Leiche schon.
Aber ohne Furcht des Todes, unermüdlich, stets gefaßt,
Eilet durch die öden Straßen Borromäus ohne Rast.
Geht vom Morgen bis zum Abend, ganze Nächte wandert er,
Geht von Haus zu Haus und tröstet, hilft und stärkt mit That und Lehr'.
In der Armuth dumpfen Hütten, in Spitälern voller Graus
Geht der Edle unverdrossen, todesmuthig ein und aus.
Alles hat er hingegeben, zum Spitale ward sein Haus;
Froh entzieht er sich die Speisen, theilet sie den Armen aus.
Einer Hütte, spät am Abend, kommt er müde einst vorbei,
Hört ein Klagen, blickt durch's Fenster, sieht der Kranken harte Spreu.
Eilt nach Hause, will nicht ruhen, nimmt sein Bett untz trägt es fort
Selber auf den müden Schultern in der Armuth Jammerort.
Legt den Kranken tröstend nieder, fachet seinen Glauben an,
Spendet ihm die Sakramente; geht, und wandelt seine Bahn.
39
40. Wohlthätigkeit.
Periode.
Wo der bescheidene Arme im Verborgenen seufzt und es nicht
wagt, sich herbeizudrängen und um Hilfe zu bitten; wo widrige
Vorfälle den fleißigen Mann, den Mann, der einst bessere Tage
gesehen hat, zu Boden schlagen; wo eine zahlreiche Familie mit
allem Fleiß durch die tägliche Arbeit ihrer Hände nicht so viel er-
ringen kann, um sich gegen Hunger, Blöße und Krankheit zu schützen;
wo auf hartem Lager, in durchwachten, durchseufzten Nächten scham-
hafte Thränen über gerungene Hände rollen: — dahin, menschen-
freundlicher Wohlthäter, dahin dringe dein Blick; da kannst du deine
Gelder, den Ueberfluß dessen anbringen, was dir der Schöpfer an-
vertraut hat, und Zinsen damit erwerben, die keine Bank auf Erden
dir zusichern kann. (v. Knigge.)
4t. Nächstenliebe.
Perioden.
1. Wer dieser Erde Güter hat und sieht die Brüder leiden,
Und macht den Hungrigen nicht satt, lässt Nackende nicht kleiden:
Der ist ein Feind der ersten Pflicht und liebt auch seinen Nächsten nicht.
2. Wer seines Nächsten Ehre schmäht und gern sie schmähen höret;
Sich freut, wenn sich sein Feind vergeht, und Nichts zum Besten kehret;
Nicht dem Verläumder widerspricht: der liebtauch seinen Nächsten nicht.
3. Wer harret, bis ihn anzufleh’n, ein Dürftiger erscheinet,
Nicht eilt dem Frommen beizusteh’n, der im Verborg nen weinet,
Nicht gütig forscht, ob’s ihm gebricht: der liebt auch seinen Nächsten
nicht.
4. Wahr ist es, du vermagst es nicht, stets durch die That zu lieben;
Doch bist du nur geneigt, die Pflicht getreulich auszuüben
Und wünschest dir die Kraft dazu und sorgst dafür: ,— so liebest du!
(©eitert.)
42. Die vier Brüder.
Räthsel.
1. Vier Brüder geh’» Jahr aus Jahr ein im ganzen Land spazieren:
Doch jeder kommt für sich allein, uns Gaben zuzuführen.
2. Der erste kommt mit leichtem Sinn in reines Blau gehüllet,
Streut Knospen, Blätter, Blüthen hin, die er mit Düften füllet.
3. Der zweite tritt schon ernster auf, mit Sonnenschein und Regen,
Streut Blumen aus in seinem Laus, der Erndte reichsten Segen.
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4. Der dritte naht mit Ueberfluß und füllet Küch' und Scheune,
Bringt uns zum 'süßesten Genuß viel Aepfel, Nüß' und Weine.
5. Verdrießlich braust der vierte her, in Nacht und Graus gehüllet,
Sieht Feld und Wald und Wiesen leer, die er mit Schnee erfüllet.
6. Nun sagt mir, wer die Brüder sind, die so einander jagen?
Leicht räth sie wohl ein jedes Kind, d'rum brauch ich's nicht zu sagen.
43. Räthsel.
Kennst du die Brücke ohne Bogen und ohne Joch, von Diamant,
Die über breiter Ströme Wogen errichtet eines Greises Hand?
Er baut sie auf in wenig Tagen, geräuschlos, du bemerkst es kaum;
Doch kann sie schwere Lasten tragen und hat für hundert Wagen Raum.
Doch, kaum entfernt der Greis sich wieder, so hüpft ein Knabe froh daher ;
Der reißt die Brücke eilig nieder; du siehst auch ihre Spur nicht mehr.
44. Buchstabenräihsel. (Logogryph.)
Mit M umschließt es manchen Garten; mit D trotzt es der Zeiten Lauf;
Mit B muß es des Feldes warten; mit L steh'« Jäger oft darauf.
45. Sylbenräthsel. (Charade.)
Drei Sylben.
Die beiden ersten sind des Lenzes Kinder,
Des Sommers Schmuck, des Herbstes Zier.
Die letzte Silbe nennt mit Flügeln uns ein Thier,
Das niemals fliegt, allein geschwinder
Als oft der schnellste Renner springt.
Ein Vogel ist's, der öfters wild
Mit Steinen seinen Magen füllt
Und ohne 'Nachtheil glüKnde Kohlen schlingt.
Das ganze kostet vienig Geld
Und dient zum Schmuck, wem es gefallt.
Die Jahreszeiten.
46. Oer Frühling.
Nach den rauhen Stürmen des Winters weht endlich wieder
eine mildere Lust. Die Tage werden länger; der Schnee schmilzt;
die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne wecken die schlummern-
den Kräfte der Natur zu neuem Leben und zu erneuter Thätigkeit.
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Felder und Wiesen schmücken sich mit neuem Grün, das dem Auge
so wohl thut, und die Blumen, die zartesten Kinder des Lenzes,
die holdesten Frühlingsboten, öffnen ihre Kelche und erfüllen die
Luft mit ihrem süßen Dufte. Auch in den Wäldern beginnt es sich
zu regen! Die Knospen der Bäume schwellen aus und in wenigen
Tagen sind sie wieder mit ihren grünen Festkleidern geschmückt. Die
Natur feiert ihr Auferstehungssest, das die nun wieder zurückgekehr-
ten Sänger mit ihren fröhlichen Liedern verherrlichen. Der Land-
mann Pflügt seinen Acker; d.er Hirt treibt seine Heerde aus, und
überall, wohin wir blicken, sehen wir Spuren erneuter Thätigkeit.
Niemand weilt gerne länger im Zimmer, in das uns der Winter
so lange gebannt hielt; Alles eilt hinaus, um die erquickende Früh-
lingsluft einzuathmen, welche die Brust erfüllt mit neuem Lebens-
muth und dem Herzen neue, schöne Hoffnungen zuführt. Man
möchte laut aufjauchzen vor Lust und Wonne und einstimmen mit
den fröhlichen Sängern des Waldes in die Iubellieder, die sie dem
Schöpfer singen. Wie schön und herrlich, o mein Gott, ist die
Erde, das Werk deiner Hände, und wie gut mußt du seyn,, du
liebevoller Vater, der du all dieses uns, deinen Kindern zu lieb, so
schön gemacht hast!
47. Der Sommer.
Eine Vergleichung.
Gleicht der Frühling dem lieblichen Kinde, das hoffnungsvoll
aufblüht und heranwächst, so gleicht dagegen der Sommer dem
Jüngling in der Blüthe seiner Jahre, wie er dasteht in seiner
Kraft und Schönheit und die besten Früchte hoffen läßt. Der Som-
mer zeigt uns die Natur in ihrer vollen Entwicklung. Die Wiesen
sind mit saftigem Futter, die Felder mit üppigem Getreide bedeckt
und die Aeste der Obstbäume neigen sich unter der Last ihrer Früchte.
Welche reichliche Erndte haben wir zu hoffen, wenn unsere gesegneten
Fluren verschont bleiben von Hagel, Nässe und Dürre! So auch
der Jüngling, wenn sein Herz unberührt bleibt vom Gifthauch der
Sünde.
Immer höher steigt die Hitze des Sommers! In dem heißen
Strahle der Sonne reift das Getreide, die saftige Frucht des Bau-
mes und die Traube des Weinstocks; so reift auch unter den Be-
schwerden des Lebens der Charakter und der sittliche Werth des
Menschen.
Endlich hat die Natur den höchsten Punkt ihrer Thätigkeit er-
reicht. Die Getreidefelder reifen der Erndte entgegen und die Aehren
neigen sich unter der Last der schweren Körner, gleichwie der be-
scheidene Jüngling, wenn man von seinen Verdiensten spricht. Der *
*
42
reichliche Segen des Sommers aber erfüllt Jedermann mit Freude,
und mit Sang und Klang ziehen die Schnitter hinaus, um die
Fülle der Gaben zu sammeln und in die Scheune zu bringen. Der
Herr der Erndte^iber erfreut sich an der Fülle der Früchte, wie
der Vater eines wohlgerathenen Sohnes, der die schönsten Hoff-
nungen erfüllt.
48 Der Herbst.
Schönbeschreibung.
Kürzer werden allmählig die Tage; die Hitze vermindert sich,.
und der Wind streicht kühler über die Stoppelfelder. Der Herbst
nahet heran, uns mit den mannigfaltigsten Gaben zu beschenken.
Freundlich winkt uns der rothwangige Apfel, die saftige Birn und
die duftüberzogene Pflaume, uns einladend zum süßen' Genusse.
Welche Lust ist's, die fallenden Früchte zu sammeln und zu bewah-
ren, für des Winters kommende Tage! — Wie erfrischend ist für
uns nach vollbrachter Arbeit der erquickende Saft süßer Birnen und
wohlschmeckender Aepfel! — Blaue und purpurne Trauben blicken
gar' lieblich unter dem welken Laube hervor. Fröhliche Winzer und
Winzerinnen sind emsig bemüht sie zu sammeln und den labenden
Wein zu bereiten. — Auch an Blumen ist der freundliche Herbst
nicht arm. In hundertfältig verschiedenen Farben prangen Dahlien,
Levkoien, Malven und Astern und ergötzen das Auge durch ihre
Pracht und Mannigfaltigkeit. Ucberall erblicken wir die Güte und
Freundlichkeit Gottes, unseres liebevollen Vaters, der niemals müde
wird zu segnen uud^ zu geben, um unser Daseyn zu verschönern
und unsere Herzen zu erfreuen.
49. Der Winter.
Schilderung.
Tief im Süden steht das strahlende Tagesgestirn, die Sonne,
uns nur wenige Stunden täglich ihr Licht zusendend. Ohne Wärme
zu spenden, gleiten ihre Strahlen über unsere Erdgegend hinweg.
Erstarrt und leblos liegt die ganze Natur, und wie ein Hilfeflehen-
der streckt der entlaubte Baukn die nackten Arme gen Himmel. In
ein weißes Leichentuch gehüllt schlummert die erstorbene Erde ihrem
Ostermorgen entgegen. Schneeflocken durchwirbeln die Luft; heulend
schlägt der kalte Nord an die beeisten Fenster; unter dem Fußtritte
des einsamen Wanderers knarrt der gefrorene Schnee, und lautlos
schleicht der Bach unter dex eisigen Decke dahin.
Wie behaglich sitzt es sich aber in dieser rauhen Jahreszeit in
der warmen Stube! Wie angenehm verfließen die langen Winter-
abende im trauten Familienkreise unter muntern Gesprächen oder
43
über dem Lesen eines unterhaltenden und belehrenden Buches! Wie
günstig und erwünscht ist diese Jahreszeit besonders demjenigen, der
sich angetrieben fühlt, seinen Geist durch Kenntnisse zu bereichern!
Und welche Vorfreude genießen wir endlich in der Hoffnung des
herannahenden Frühlings! Wie empfänglich ist unser Herz nach so
langer Entbehrung für die Annehmlichkeiten des Lenzes! —
Ja gewiß, ein weiser, liebevoller Vater hat den Wechsel der
Jahreszeiten angeordnet, damit wir seine Güte und Vorsorge um
so mehr erkennen sollen!
50. Winterfreuden.
Poetische Schilderung.
1. Blumen an die Fensterscheiben malt des Winters kalter Hauch;
Wirr herab sich Flocken treiben; weiß steht Baum und Rosenstrauch.
2. Die Natur liegt auf der Bahre; Nebel haucht der Wandersmann;
Duft an seinem Bart und Haare setzt der kalte Winter an.
3. Brausend heult mit greller Stimme vor dem Fenster Boreas*);
Und von seinem kalten Grimme starrt des Baches fließend Naß.
4. Und die Eisbahn winkt dem Knaben zu der langentbehrten Lust.
Einen Schneemann bald zu haben füllt mit Freude seine Brust.
5. Von dem Hügel an dem Garten fährt mit Schlitten eine Schaar;
Konnte sehnend kaum erwarten, bis ein Schnee gefallen war.
6. Eisbahnlaufen, Schlittenfahren, Schneemannmachen — welche Lust!
Frierj der Schweiß auch an den Haaren, heiß klopft doch des Knaben
Brust.
7. Fröhlich sitzen muntre Mädchen in dem Stübchen, eng und klein,
Dreh'n mit Fleiß am schnellen Rädchen hurtig manches Fädeleim
8. Also auch im Winter sprossen Freuden viel und mancherlei,
Und, wenn wir sie satt genossen, bringt uns neue Lust der Mai.
(H. Reiser.)
51. Der Sturm.
Unter der Macht heftigwehender Orkane **) scheint das ganze
Weltall um uns her in Aufruhr. Die Wolken des Himmels fliegen
schnell und finster dahin, von der Geisel des Windes verfolgt.
Finstere Staubwolken steigen kreisend empor vom Boden und wan-
deln über die Ebenen wie ungeheure Rauchsäulen. Die Bäume
groß und klein, verworren umhergerissen, beugen sich seufzend; ihr
*) Boreas — der Nordwind. **j Orkan — der heftigste Sturmwind.
44
Laub fliegt; man hört das Krachen ihrer gebrochenen Neste. Die
hohen*Wälder heulen geschlagen. Es fallen die mächtigsten Tannen
des Forstes, wie Halme gebrochen; ihr Sturz ist zerschmetternd für
andere. Der Boden regt sich über den zuckenden Wurzeln der viel-
hundertjährigen Eichen. Die Thiere flüchten zitternd in ihre Höhlen.
Die Vögel verbergen sich angstvoll. Die Menschen verstehen gegen-
seitig ihren Ruf nicht mehr. Jeder Strauch, jeder Stein, jedes
Gebäude giebt Töne und Geschrei. Die Ziegel prasseln von den
. Dächern der Wohnungen. Man fürchtet den Sturz der erhabensten
Thürme, und die festesten Gebäude werden erschüttert.
52. Das Gewitter.
Eine heitere Stille, ein klarer Himmel, ein frohes Leben in
der Natur herrscht am frühen Morgen. Es grünt und blüht, es
rauscht und rieselt, es singt und hüpft. Die unermeßliche Bläue
des Himmels überzieht ein durchsichtiger Wolkenflor; bald fliegen
dichtere Wolken am Horizont herauf, erheben sich immer mehr,
gleichen über einander gelagerten Felsengebirgen, mannigfaltig ge-
staltet, graulich, düster, hellgefärbt. Durch sie werden die Strahlen
der Sonne gehemmt; das Tageslicht verliert seine Helle; es wird
trüber und dunkler. In der dunkeln Wolke blitzt es; sie wird plötz-
lich erleuchtet. Ein schwaches Donnern wird gehört. Schwül ist
die Luft. Regenwolken senken sich in der Ferne nieder. Plötzlich
bricht ein Sturm los; es braust und saust; er führt Staubwolken
in die Luft empor; Seen und Ströme schlagen Wellen; das Wasser
schäumt; die Wipfel der Bäume schwanken hin und^her. Die Thiere
des Waldes, die Vögel verbergen sich und suchen schütz gegen das
nahende Ungewitter. Selbst der Mensch ist nicht ohne Furcht. Das
Herz bebt. Felsen zittern, von wüthenden Wogen wird das Ufer
gepeitscht. Oft folgen Blitz und Schlag schnell auf einander. Es
fallen große Regentropfen. In einem Platzregen strömt das Wasser
aus den Wolken hernieder. Aus den Thälern und Wäldern ist die
ruhige Stille entflohen; das Toben des Sturmes hat sie verscheucht.
— Aber ohne Schaden ließ der Allmächtige das Gewitter vorüber-
ziehen. Strahlend und leuchtend tritt die Sonne am Tage, treten
Mond und Sterne des Nachts hinter dem Gewölk wieder hervor.
Der laute Krieg hat sich in einen stillen Frieden verwandelt. In
frischem Grün prangen Wald und Flur; rein gewaschen von Staub
sind die Gewächse; munter und fröhlich singt der Chor der Vögel
im Hain; trillernd schwingt sich die Lerche in die Luft. Die Schwüle
hat sich abgekühlt; die Brust athmet freier, und der Hauch eines er-
quickenden Lebens durchweht die ganze Natur.
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. 53. Die Genesung.
1. Die Glocken des Thurmes begrüßten mit Hellem Läuten die
Ankunft des neuen Jahres. Da erwachte Vater Joseph, der seit
zwölf Wochen krank gewesen war und das Bett hüten mußte.
2. „Ei, wie ist mir doch so wohl!" sagte er zu sich selbst.
„Welche Veränderung! Ich suhle keine Schmerzen mehr; ich fühle
mich stark und munter, wie ein Gesunder!" Und er streckte seine
Hände in der Finsterniß aus zu Gott und dankte ihm für die Ge-
nesung.
3. Und er erinnerte sich an seine zwei Söhne und an seine
Tochter Maria, die seither so fleißig gearbeitet und ihn mit dem,
was ihre Hände verdienten, ernährt hatten. Sonst kamen sie am
Neujahrsmorgen immer zu seinem Bette und wünschten ihm ein
fröhliches Neujahr; — jetzt brach der Tag an, und sie waren nicht
gekommen.
4. „Wie," dachte der Vater, „haben sie mich nicht mehr lieb,
wie sonst, da sie nun für mich arbeiten müssen und ich ihnen Nichts
geben kann?" Indem er nun so dachte, hörte er in der Kammer
nebenan bitterlich weinen.
5. Er stand auf, kleidete sich an und fühlte sich gesund. Er
öffnete die Kammerthüre und suchte seine Kinder.
6. Sieh, da lagen die drei frommen Kinder auf den Knieen
und weinten und beteten: „O Gott, mache unsern lieben Vater ge-
sund! Er ist ja so fromm und gut! Gieb ihm seine Kräfte wieder,
daß er mit uns gesund in's neue Jahr eingehe!"
7. Da konnte sich Vater Joseph nicht mehr halten. Er um-
armte seine geliebten Kinder und sprach: „Euern Neujahrswunsch
hat Gott erhört. Ich bin gesund! Aber steht nicht auf! Ich will
mitten unter euch knieen und Gott danken, daß er mir meine Ge-
sundheit und so fromme, gute Kinder gegeben'hat."
54. Der wundervolle Hammerschlag.
Räthsel.
Es hängt in fest verschloff'ner Kammer, so finster wie die schwarze Nacht,
Ein Meisterwerk von einem Hammer, das seinem Meister Ehre macht.
Ein wahres Kleinod ist's im Hause und edler noch als Edelstein;
Es richtet aus der engen Klause des Hauses ganze Wirthschaft ein.
Denn wenn der Hammer seine Kräfte in abgemessene Schläge theilt,
So geh'n von selber die Geschäfte, Nichts wird versäumt, Nichts übereilt.
Und schlägt es sanfter und gelinder, so geht das ganze Haus zur Nuh;
Und schlägt es rascher und geschwinder, so geht es wieder lustig zu.
46
Doch hämmert starker er und schneller, so bringt es Angst und Schreck
> in's Haus.
ES bebt der Boden und der Keller, und alle Scherze flieh'n hinaus.
Es ist wohl schwer, es zu ertragen, wenn er zu heftig sich bewegt;
Doch ist es mehr noch zu beklagen, wenn sich der Hammer gar nicht regt.
Dann gibt'S im Hause keine Feste; es ist so öde drinn und stumm.
Ist auch die Kammer nicht das Beste, so trauert man doch manchmal drum.
Es giebt der Hämmer viel hienieden, und gehst du Haus bei Haus entlang,
So findest du fie gar verschieden; die meisten haben andern Klang.
55. Der Fuchs und der Hahn.
Ein hungriger Fuchs hörte in einer kalten Winternacht einen
Hahn auf einem Baum krähen. Ihn gelüstete nach dem Schreier;
* da er aber nicht auf den Baum steigen konnte, besann er sich aus
eine List. — „Ei, Hahn," rief er hinauf, „wie kannst du nur in
dieser kalten Nacht so schön singen?" „Ich verkündige den Tag,"
antwortete der Hahn. „Was, den Tag?" rief der Fuchs und stellte
sich sehr verwundert, „es ist ja noch finstre Nacht!"
„Ei, weißt du denn nicht," antwortete der Hahn, „daß wir
den Tag schon im Voraus fühlen und seine Nähe durch unsre Stimme
verkünden?"
„Das ist ja gar etwas Göttliches," rief der Fuchs, „das
können nur Propheten! O Hahn, wie schön sangst du so eben!" —
Der Hahn krähte zum zweiten Male und der Fuchs fieng an,
unter dem Baume zu tanzen. „Warum tanzest du denn?" fragte
der Hahn. — Der Fuchs antwortete: „Du singst und ich tanze vor
Freuden. Dein schöner Gesang ermuntert mich dazu. Wahrlich,
unter allen Vögeln bist du der erste. Du übertriffst sie alle durch
dein schönes Gefieder, durch deinen herrlichen Gesang und dadurch,
daß du die Zukunft verkünden vermagst. O, komm doch her-
unter, bester der Vogel, damit ich dich umarmen kann!" Dem
Hahn gefiel das Lob des Schmeichlers so wohl, daß er vom Baume
herunterflog und auf den Fuchs zukam. Da faßte ihn aber dieser
und rief lachend: „Nein, nein, Hahn, du bist kein Prophet! Du
hättest sonst auch gemerkt, daß ich dich nicht umarmen, sondern
fressen wollte!" Damit biß er ihm den Kopf vom Rumpfe und
verzehrte den Thoren.
Höre keinen Schmeichler an! Seine Rede gefällt dir vielleicht,
stürzt dich aber sicher in's Verderben!
56. Die Hyazinthe.
1. Sophie war betrübt, daß der Winter so lange währte.
Denn sie liebte die Blumen und hatte ein kleines Gärtchen, wo sie
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47
sich die schönsten mit eigener Hand erzog. Darum sehnte sie sich
nach dem Frühlinge und daß der Winter vorüber gehen möchte.
2. Da sprach der Vater: „Siehe, Sophie, ich habe dir eine
Blumenzwiebel mitgebracht, du mußt sie dir aber selbst mit Sorgfalt
erziehen!"
3. „Wie vermöchte ich das, mein Vater," antwortete das
Mädchen. „Es ist ja Schnee draußen, und die Erde ist hart wie
Stein." — So redete sie, denn sie wußte nicht, daß man auch in
Scherben Blumen erziehen kann, und hatte es niemals gesehen.
4. Der Vater gab ihr ein Töpfchen mit Erde, und Sophie
that die Blumenzwiebel hinein. — Aber sie sah den Vater an und
lächelte, zweifelnd, ob er auch im Ernste geredet; denn sie meinte,
es müsse ein blauer Himmel über der Blume schweben und Früh-
lingslüftchen um sie her, und unter ihren Händen könne solche Herr-
lichkeit nicht gedeihen.
5. Nach einigen Tagen hob sich die Erde in dem Scherben;
grüne Blättchen trugen sie empor auf ihren Spitzen und kamen an
das Licht. Da frohlockte Sophie', klatschte in die Hände und ver-
kündete dem Vater und der Mutter und dem ganzen Hause die Ge-
burt des jungen Pflänzchens. Darauf benetzte Sophie die Pflanze
mit Wasser und lächelte mit Wohlgefallen auf sie hernieder.
Ü. Der Vater sah es an und sprach: „So recht, mein Kind!
Dem Regen und Thau muß der Sonnenschein folgen. Der Strahl
des freundlichen Auges giebt der Wohlthat, welche die Hand reicht,
ihren Werth. — Dein Pflänzchen wird wohl gedeihen, Sophie!"
7. Nun kamen die Blätter aus dem Schooße der Erde ganz
hervor und glänzten mit lieblichem Grün. Da ward Sophiens
Freude noch größer. „O," sagte sie, „ich will auch wohl zufrieden
seyn, wenn keine Blüthe kommt." „Genügsame Seele," sprach der
Vater, „dir wird mehr gegeben werden, als du zu hoffen wagst!"
Er zeigte ihr den Keim der Blume, der zwischen den Blättern ver-
borgen lag.
8. Sophiens Sorgfalt und Liebe wuchs mit jedem Tage, so
wie die Blume sich allmählich entfaltete. Mit vorsichtiger Hand
sprengte sie Wasser daraus und fragte, ob es genug oder zu viel
und ob es nicht wohl zu kalt seyn möchte. — Und wenn ein Son-
nenblick durch die Fenster kam, dann trug sie, leise wandelnd, die
Pflanze hinüber in den Sonnenschein, und ihr Odem hauchte den
Staub von den Blättern, so wie ein Morgenlüftchen die Rose um-
haucht.
9. Mit dem Gedanken an ihre Blume schlief Sophie am Abend
ein und erwachte mit ihm des Morgens. Mehrmals erblickte sie
auch im Traume ihre Hyazinthe in voller Blüthe, und wenn sie
dann am Morgen noch nicht blühte, und Sophie sich getäuscht sah,
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war sie deshalb unbekümmert und sprach lächelnd: Es kann ja noch
werden.
10. Zuweilen auch fragte sie den Vater, in welche Farbe wohl
die Blume sich kleiden würde, und wenn sie alle Farben durchge-
gangen war, sprach sie mit fröhlicher Stimme: „Es ist mir einer-
lei, wenn sie nur blühet!"
11. Endlich blühete die Blume. Zwölf Glocken hatten sich in
der Frühe des Morgens geöffnet. Zwischen fünf breiten, smaragd-
grünen Blättern hiengen sie hernieder in voller jugendlicher Schön-
heit. Ihre Farbe war röthlich, gleich dem Wiederschein der Mor-
genröthe oder dem zarten Duft aus Sophiens Wangen. Ein bal-
samischer Wohlgeruch umschwebte die Blume. Es war ein heiterer
Märzmorgen.
12. Sophie konnte die Herrlichkeit nicht fassen; ihre Freude
war daher still und ohne Worte. Sie lag vor der Blume' auf
ihren Knieen und schaute sie an. —
13. Da trat der Vater herzu und sah sein geliebtes Kind und
die blühende Hyazinthe an und ward gerührt und sprach: „Siehe,
wie du deine Hyazinthe liebst, so und noch mehr lieben wir dich!"
14. Da sprang das Mädchen auf und umarmte den Vater.
Nach langer Umarmung sprach sie mit leiser Stimme: „O, ich
möchte euch auch so erfreuen, wie sie mich erfreut hat!" —
(L. Kellner.)
57. Vas Gotteshaus.
Vor Allem gell! ich gern zur Kirche
Zu meines liebsten Vaters Haus\
Hier theilt er täglich ungesehen
Die besten seiner Gaben aus.
Hier war's, wo ich für manche Gnade
Den Herrn nach meinen Kräften pries;
Hier sucht’ ich ihn in meinen Nöthen
Und fand, dass er mich nie verliess.
Hier dankt’ ich Gott für viele Freuden,
Und fühlte dann so selig mich;
Auch hab’ ich ihm mein Leid geklaget
Und alle Thränen stillten sich.
Hier hab ich oft zum Herrn gebetet
Und ihn gelobet durch Gesang^
Dann fand ich immer, dass sein Segen
Sogleich mein ganzes Herz durchdrang.
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Hier hab' ich auch sein Wort vernommen
Aus seiner frommen Diener Mund;
Beglückend drang's durch meine Seele
Und fasste darin sichern Grund.
Und die geweiheten Geräthe
Erinnern an so Vieles mich;
Gedanke fügt sich an Gedanke
Bald freudig und bald schauerlich.
Am Eingang steht der heil’ge Brunnen,
ln dem ich einstens ward getauft,
Und Manches ruft mir vom Altare,
Wie theuer Jesus mich erkauft.
Da ist die Stätte, wo zum Priester
Der kleine Sünder reuig gierig,
Dort stehet auch die Gnadentafel,
An der ich Jesum selbst empfieng.
Gott ist fürwahr an diesem Orte,
Hier ist des liebsten Vaters Haus,
Hier theilt, wie an der Himmelspforte,
Er seine besten Gaben aus.
. Drum werd' ich immerdar auch streben
Vor Allem stets zur Kirche hin,
Bis ich dereinst nach diesem 'Leben
Im Himmel ewig bei ihm bin,
58. Sanct Augustin.
Es gieng einmal Sanct Augustin am Meergestade her und hin;
Das Wesen Gottes, unsres Herrn, wollt' er erforschen gar zu gern,
Und dann es bringen in ein Buch. Er kannte jeden Bibelspruch,
D'rum schien die Sach' ihm gar nicht schwer. So wallt' er sinnend hin
und her
Und meint wohl schon in eitlem Wahn, ihm sei der Himmel aufgethan.
Aus einmal wird sein Aug' gewahr ein Knäbchen, schön und wunderbar;
Es macht ein Grübchen in den Sand und bückt sich dann hinab am Strand,
Und schöpft' vom Meer das Wasser drein, mit einer Muschel, weiß und fein.
„Du lieber Knab'! Was machst du da?" fragt'Augustin. „Du siehst es ja,
„Zum Zeitvertreibe faß' ich mir die See in dieses Grübchen hier.",
Der Heil'ge lächelt: „Dieses Spiel, mein Kind, cs bringt dich nicht
zum Ziel."
„Ei," sagt das Kind, „wer das nicht kann, der bleibe hübsch auf seinerBahn.
Reiser, der Volksschüler i. d. Oberklasse. 4
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Viel ist dem Herzen offenbar; doch wird es dem Verstand nicht klar."
Und flugs, da schießt ein Flügelpaar dem Knaben an, und wie der Aar
Schwebt er empor im Sonntnlicht. Der Heit'ge schaut ihm nach und
spricht:
„Der Knab' hat recht, des Menschen Sinn kann über Zeit und Raum
nicht hin.
G'nug ist's, wenn man mit Demuth ehrt, was unö der Kirche Glau-
ben lehrt."
59. Der Schiffer.
Wo steil der Fels aus dem Meere sich hebt,
Und kreischend die hungrige Möve schwebt,
Und brüllend die Welle zerstiebt zu Schaum,
Und Leichen und Trümmer bedecken den Saum:
Wo treulos die Klippe im Grund sich versteckt,
Und wirbelnd der Strudel den Schiffer schreckt:
Dort steht in der Felsenwand, wundermild,
Ein stilles, ein einsames Gnadenbild.
Allnächtlich brennt ein Licht an der Wand,
Gegründet von armer, demüthiger Hand;
Wie wild der Sturm an den Felsen sich bricht,
Das Licht vor dem Bilde erlosch noch nicht;
Und wie die Welle auch schäumend springt,
Und höher und höher im Zorne dringt:
Das Licht brennt friedlich am Gnadenbild,
Und winket vom Felsen dem Schiffer so mild.
Und fährt er vorüber in finsterer Nacht,
Wenn splitternd der Kiel an der Klippe kracht:
Dann blickt er zum Licht an der Felsenwand,
Und flehet zum Bilde mit betender Hand;
Sein Herz erhellet der stille Schein,
Vertrauen und Frieden kehren dort ein,
Und ruhige wie vom Felsen das Licht,
So blickt er dem Tode in's Angesicht.
Und was ihm verbirgt der Zukunft Schooss,
Ein heiteres oder ein schmerzliches Loos;
Ob Sonnenschein folget des Sturmes Wuth,
Uifd heim ihn trägt die besänftigte Fiuth,
Ob wilder und wilder der Wirbel kreist,
Und ihn in die finstere Tiefe reisst:
Der Schiffer blickt ruhig zum stillen Licht,
Hegt festes Vertrauen und zittert nicht. (G uido Görres.)
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60. Der Engel des Herrn.
Es dunkelt schon, bald naht die stille Nacht,
Die Lerche schweigt, und leise weh’n die Winde,
Doch in der Schenke wird gezecht, gelacht,
Die Krüge werden leer und voll geschwinde.
Ein Treiben wüster und gemeiner Art,
Ein wirr’ Geschrei erfüllt die weiten Hallen,
In denen sich die Menschheit offenbart,
Die halbberauscht hinab zum Thier gefallen.
.Der roÄew Zecher freche Rede gleicht
Dem wilden Strome, der den Damm zerbrochen,
Die Sii/e und der Ansland scheu entweicht,
Es M?iro? gebrüllt, geheult, doch nicht gesprochen.
Der Eine flucht, der Nachbar hört ihn nicht,
Z?eei Andre streiten heftig sich daneben ;
Und Einem fliegt ein Krug ins Angesicht,
Es war ein Wink, den ihm ein Freund gegeben.
Sie raufen blutig sich im Winkel dort
Und Mancher eilt herbei als Streitesschlichter,
Zwei Andre aber würfeln ruhig fort
Und schirmen vor dem Wind die schwanken Lichter*
Am heissen Ofen sitzt ein schwacher Greis,
Ein Invalid voll Wunden und voll Klagen,
Und um ihn her ein kleiner Hörerkreis,
Dem er erzählt von Schlachten längst geschlagen.
Ein Metzger rechnet auf dem braunen Tisch
Die Ochsen ruhig Stück für Stück mit Kreide;
Ein alter Fuhrmann ruft: Frau Wirthin frischt
Noch eine Halbe Guten, eh? ich scheide.
Ein Wilddieb, der schon lange still gelauscht,
Dem jungen Förster oft den Tod geschworen,
Er zieht das blanke Messer, weinberauscht,
Und ruft ihm wüthend zu: Du bist verloren!
Und horch! da tönt mit leisem Feierklang
Das Glöcklein in der nahen Bergkapelle;
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Sie flüstern rings die Tische nun entlang,
Der Engel ist's*), und schiceigen auf der Stelle.
Den Blick gekehrt zum Kreuze an der Wand,
Entbleist das Haupt sogleich ein jeder Zecher;
Sie werden ernst, sic falten ihre Hand,
Das halbe Wort verstummt im Mund der Sprecher.
Und vor dem Ki'uzifixe knieet sich
Des Wirthes Töchlerlein, das jüngste, kleine,
Und mit dem Ave dann begrüsst es dich,
Und Alle beten mit ihm im Vereine,
Maria! tönt es leis und feierlich
Mit schwacher Stimme aus des Kindes Munde:
Vor Dir, Maria! neigen Alle sich,
Maria! tönt's in Aller Herzen Grunde.
Ein Geist des Friedens und der Heiligkeit,
Ein Geist des Himmels scheint herabgestiegen,
Vor dem die Rohheit und der wilde Streit
Und alle niedern Leidenschaften schwiegen.
Den Sinnenrausch beherrscht die Ewigkeit,
Zur stillen Kirche wird die wilde Schenke,
Die Zecher flehen um die Seligkeit,
Und dass sie Gott die rechten Pfade lenke.
Seit du zuerst vernahmst des Engels Wort:
Ist Jahr um Jahr, o Jungfrau! hingezogen,
Doch heule noch wie damals tönt es fort,
, Ein Himmelsruf im Sturme irdischer Wogen.
(G. GörreS.)
61. Vas Schicksal.
Als stfoses Horeb s Gipfel einst betrat
Und Gott von jenem ew’gen Rath,
Der unser Schicksal lenkt, um gröss’re Kenntniss bat:
Da ward ihm der Befehl, er sollte von den Höhen,
Worauf er stand, hinab in s Eb'ne sehen.
Hier floss ein klarer Quell. Ein reisender Soldat
Stieg bei dem Quell von seinem Pferde
Und trank. Kaum war der Reiter fort,
So lief ein Knabe von der Heerde
Nach einem Trunk an diesen Ort.
') Das Angelus — der englische Grnß.
53
Er fand den Geldsack bei der Quelle,
Der Jenem hier entfiel; er nahm ihn und entwich,
Worauf nach eben dieser Stelle
Ein Greis an seinem Stabe schlich.
Er trank und setzte sich, um auszuruhen nieder;
Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras,
Bis er im Schlaf des Alters Last vergass.
Indessen kam der Reiter wieder,
Bedrohte diesen Greis mit Ungestüm
Und forderte sein Geld von ihm*
Der Alte schwört, er habe Nichts gefunden;
Der Alte fleht und weint, der Reiter flucht und droht,
Und sticht zuletzt mit vielen Wunden
Den armen Alten wüthend todt.
Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden;
Doch eine Stimme rief: „Hier kannst du inne werden,
Wie in der Welt sich Alles billig fügt,
Denn wisse: es hat der, der jetzt im Blute liegt,
Des Knaben Vater einst erschlagen,
Der den verlornen Raub zuvor davon getragen.“
Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schlüssen.
Dies siehst du freilich nicht bei allen Fällen ein;
Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen,
So müsstest du was Gott ist, seyn. (0eifert.)
62. Der gerettete Jüngting.
Eine legende.
Eine schöne Menschenseele finden
Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist
Sie erhalten, und der schönst' und schwerste,
Sie, die schon verloren war, zu retten.
Sankt Johannes, aus dem öden Patmos
Wiederkehrend, war, was er gewesen,
Seiner Heerden Hirt. Er ordnet' ihnen
Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.
In der Menge sah er einen schönen
Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte
Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen
Sprach die liebevollste Feuerseele.
54
„Diesen Jüngling," sprach er zu dem Bischof,
„Nimm in deine Hut. Mit deiner Treue
„Stehst du mir für ihn. — Hierüber zeuge
„Mir und dir vor Christo die Gemeine."
Und der Bischof nahm den Jüngling zu sich,
Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte
In ihm blüh'n, und weil er ihm vertraute,
Ließ er nach von seiner strengen Aussicht.
Und die Freiheit war ein Netz des Jünglings;
Angelockt von süßen Schmeicheleien
Ward er müßig, sinnlich und verweichlicht,
Kostete die Reize des Betruges,
Dann der Herrschaft Reiz; er sammelt um sich
Seine Spielgesellen, und mit ihnen
Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber.
Als Johannes in die Gegend wieder
Kam; die erste Frag' an ihren Bischof
War: „Wo ist mein Sohn?" — „„Er ist gestorben!""
Sprach der Greis und schlug die Augen nieder.
„Wann und wie?" — „ „Er ist Gott abgestorben,
„„Ist, mit Thränen sag' ich es, ein Räuber.""
„Dieses Jünglings Seele," sprach Johannes,
„Fordr' ich einst von dir. Jedoch wo ist er?"
„„Auf dem Berge dort.""
„Ich muß ihn sehen'."
Und Johannes, kaum dem Walde nahend,
Ward ergriffen, eben dieses wollt' er;
„Führet," sprach er, „mich zu eurem Führer."
Vor ihn trat er, und der schöne Jüngling
Wandte sich; er konnte diesen Anblick
Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
„Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater,
„Einen Greis. Ich habe dich gelobet
„Meinem Herrn, und muß für dich antworten.
„Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben
„Für dich hin; nur dich fortan verlassen
„Kann ich nicht! ich habe dir vertrauet,
„Dich mit meiner Seele Gott verpfändet."
Weinend schlang der Jüngling seine Arme
Um den Greis, bedeckte dann sein Antlitz,
Stumm und starr; dann stürzte, statt der Antwort,
Aus den Augen ihm ein Strom von Thränen.
55
Auf die Kniee sank Johannes nieder,
Küßte seine Hand und seine Wange,
Nahm ihn, neugeschenket, vom Gebirge,
Läuterte sein Herz mit süßer Flamme.
Jahre lebten sie jetzt unzertrennet
Mit einander; in den schönen Jüngling
Goß sich ganz Johannes schöne Seele.
Sagt, was war es, was das Herz des Jünglings
Also tief erkannt, und innig festhielt,
Und es wieder fand, und unbezwingbar
Rettete? — Ein Sankt Johannesglaube,
Zutrauen, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit.
(Herder.)
Zweiter Abschnitt»
Erzählungen, Schilderungen und Charakterbilder
aus der Geschichte.
Die ältesten Nachrichten über die Schöpfung der Welt und die
Zustände der frühesten Bewohner unserer Erde verdanken wir der
Bibel, mit welcher in dieser Beziehung die Sagen und mündlichen
Ueberlieferungen vieler Völker, die dieses göttliche Buch nicht kann-
ten, aus eine merkwürdige Weise übereinstimmen. Diesen Nachrich-
ten zufolge wurde die Welt etwa 4000 Jahre vor der Geburt
unseres göttlichen Heilandes erschaffen und dem Menschen •— dem
Meisterstücke der Schöpfung ■— zum Wohnplatze angewiesen.
Die ersten Menschen, Adam und Eva, bewohnten eine der
mildesten und fruchtbarsten Gegenden Asiens, das Paradies genannt,
welches, nach der Meinung gelehrter Männer, im südöstlichen Theile
von Asien oder vielmehr im nördlichen Indien lag.
Was uns die Geschichte von den Schicksalen der frühesten Erd-
bewohner aufbewahrt hat, ist durch die Bibel hinlänglich bekannt.
Wir kennen das Vergehen unserer Stammeltern im Paradiese, sowie
die Strafe ihres Ungehorsams. Es ist uns bekannt, wie Neid und
Haß das schreckliche Verbrechen des Brudermordes in die Welt
einführten und wir wissen, daß wie sich die Menschen vermehrten
56
und auf der Erde verbreiteten, sie auch immer schlimmer wurdet^
so, daß Gott endlich Alle, mit Ausnahme des gerechten Noah, von
der Erde zu vertilgen beschloß, was auch durch eine große Ueber-
schwemmung, die Sündfluth, geschah.
Ueber dies Ereigniß stimmen die Sagen vieler Völker,
selbst der Indianer in Amerika, überein. Noah hatte sich und die
Seinigen, sowie ein Paar von jeder Gattung der Thiere durch die
Erbauung eines großen Schiffes, Arche genannt, gerettet, indem er
dasselbe beim Beginne der Fluth bestieg, wie ihm Gott befohlen
hatte. Nachdem das Wasser, welches die höchsten Berge 15 Ellen
hoch bedeckt hatte, wieder gefallen und die Erde trocken geworden
war, zog Noah mit den Seinigen vom Gebirge Ararat in Arme-
nien, wo die Arche stehen blieb, an den untern Euphrat, in das
weidenreiche Babylonien hinab. — Da sich die Menschen aber bald
wieder sehr vermehrten, so wurden sie hierdurch genöthigt, sich wei-
ter zu zerstreuen. Um aber ihre erste Heimat immer wieder finden
zu können, wollten sie zuvor einen Thurm bauen, der überall ge-
sehen werden könnte und ihnen zum Vereinigungspunkte dienen sollte.
Durch die Sprachverwirrung, welche Gott unter ihnen entstehen ließ,
wurde das thörichte Unternehmen vereitelt, und die Menschen zer-
streuten sich und bevölkerten nach und nach alle Gegenden der Erde.
In der Folge traten die Menschen in größere Gesellschaften
zusammen, wählten sich ein gemeinschaftliches Oberhaupt und bilde-
ten endlich Staaten und Reiche, die wir in Folgendem näher kennen
lernen wollen.
Asiatische Völker.
1. Die Indier und Chinesen.
Die Indier waren dem ursprünglichen Wohnsitze der Menschen,
den Gegenden zwischen den Flüssen Indus und Ganges am näch-
sten geblieben. Sie waren von jeher in gewisse Volksklassen oder
Kosten getheilt, nämlich 1) in Priester und Gelehrte; 2) in Krie-
ger; 3) in Kaufleute und Ackerbauer; 4) in Handwerker und Die-
nende. Außer diesen giebt es jetzt noch eine fünfte, von allen Menschen
gemiedene und verachtete Klasse, die Paria's, die nicht einmal bei
den andern Menschen wohnen dürfen, weil diese glauben, daß sie
dadurch entehrt wären. Dieses Kastenwesen, wonach der Sohn
immer den Stand und Beruf seines Vaters auch zu dem seinigen
machen muß, gleichviel ob er Lust und Fähigkeiten dazu besitzt, oder
nicht, hat von jeher die Fortschritte der Kultur in diesem Lande ge-
hindert, und die Indier sind darum, obgleich reich an Gebiet und
Bewohnern, zu einem Volke herabgesunken, das keine große Bedeut
57
tung mehr hat, und das jetzt größtentheils durch Engländer, Fran-
zosen, Portugiesen und Dänen beherrscht wird.
Die Lebensart der Indier, besonders der Vornehmen, ist sehr
einfach und mäßig. Die Volksmasse ist, obschon das Land Ueber-
flnß an Wildpret, Fischen, saftigen Früchten, Gewürzen und Me-
tallen hat, dennoch sehr arm. Der indische Gewerbefleiß erzeugt
vorzügliche Baumwollenstofse, Metallwaaren und Elsenbeinarbeiten.
Die Chinesen wohnen noch weiter gegen Osten, als die In-
dier. Sie waren schon in alten Zeiten ein gebildetes Volk und
kannten vielerlei Künste und Wissenschaften; allein sie sind seit langer
Zeit in denselben nicht weiter vorgerückt, weil sie von jeher den
Umgang mit andern Völkern vermieden. Um ihr Land nämlich ganz
von den Nachbarländern abzuschließen, und um sich zugleich gegen
die räuberischen Einfälle der Mongolen zu sichern, bauten sie gegen
die Mongolei und Tungnsien hin eine 300 Meilen lange Mauer.
Diese läuft über die Spitzen der höchsten Berge, zieht sich durch die
tiefsten Thäler und ist in ungeheuer großen Bogen über die breite-
sten Flüsse geführt. An wichtigen Stellen ist sie doppelt, ja manch-
mal dreifach, und von 300 zu 300 Fuß sind kolossale Thürme zur
Vertheidigung gegen die heranrückenden Feinde errichtet.
Das chinesische Reich umfaßt den zehnten Theil der ganzen
Erdoberfläche, und die Zahl seiner Bewohner macht beinahe den
dritten Theil der ganzen Menschheit ans. Es ist also nach Ruß-
land das größte Reich, enthält aber über dreimal so viele Menschen,
als jenes. Dennoch gehört China, wie fast alle asiatische Staaten,
zu den abgelebten Ländern, die ihren Glanzpunkt längst überdauert
haben.
2. Die Babylonier, Assyrer und Meder.
Die Bewohner des Landes zwischen dem Euphrat und Ti-
gris hatten lange Zeit in Friede und Ruhe, Ackerbau und Vieh-
zucht treibend, neben einander gewohnt; da fiel Nimröd, ein Enkel
von Cham, mit einer wilden Horde aus Arabien kommend, in
Babylonien ein und eroberte das Land. Dies bewog einen Theil
der Einwohner, aus dem Stamme Assur, das Land zu verlassen.
Sie zogen über den Tigris und gründeten dort das Reich Assyrien,
das jetzige Kurdistan, über welches Ninus die Herrschaft errang.
Er gründete die große Stadt Ninive und eroberte bald auch das
benachbarte Babylonien (2100 v. Chr.).
Nach seinem Tode herrschte seine Gemahlin, die durch Muth
und Klugheit ausgezeichnete S emiramis, über beide Länder. Sie
verschönerte Babylon durch die großartigsten Bauten. Die Mauern
der Stadt hatten 12 Meilen im Umfang, waren 100 Ellen hoch
und so dick, daß auf denselben drei Streitwagen neben einander
58
fahren konnten. Hundert Thore, die von 250 Thürmen beschützt
waren, führten in die Stadt, und unter den Bauwerken derselben
wird besonders der Tempel des Sonnengottes Baal als eines der
prachtvollsten Gebäude der alten Welt geschildert.
Die folgenden Regenten waren meistens zu träge und verweich- .
licht, um sich der Regierung mit Kraft anzunehmen, deshalb brach
unter Sardanapal, dem letzten und elendesten Beherrscher Assy-
riens, ein Aufruhr aus, und er wurde von seinen eigenen Kriegern
in seiner Hauptstadt Ninive eingeschlossen. Zu muthlos, um kräftig
zu handeln, verbrannte er sich in der Verzweiflung selbst, nebst sei-
nen Weibern und Schätzen, und das Reich wurde, 880, in die drei
Staaten Neuassyrien, Babylonien und Medien getheilt.
Medien, in dem fruchtbaren Landstriche zwischen dem Tigris
und Indus gelegen, war lange Zeit in kleine Freistaaten zertheilt.
Im Jahr 703 v. Chr. vereinigten sie sich und wählten den weisen
Dejoces zum Könige. Dieser machte strenge Gesetze, unter denen
jedoch das Volk glücklich und zufrieden lebte. Er erbaute die Haupt-
stadt Ekbatana und unter seiner Regierung wurde der junge
Staat bald groß und mächtig.
Der letzte medische König war Asty ages, 600 v. Chr., unter
welchem Zoroaster lebte, berühmt als Stifter einer Religion, die
ihre Bekenner zur Milde und zum Wohlwollen gegen Andere, zur
Wahrheitsliebe, Gerechtigkeit und zum Fleiße anleitete.
3. Die Perser.
An der Ostseite des persischen Meerbusens wohnten die Perser,
ein einfaches, kräftiges Bergvolk, welches unter medischer Herrschaft
stand. Cyrus, der Sohn eines vornehmen Persers und der Tochter
des mcdischen Königs Astyages, reizte seine Landsleute zum Aufruhr,
stürzte seinen Großvater vom Thron, wurde König von Persien
und Medien und eroberte die meisten Länder vom Indus bis zum
Mittelmeer (555).
Unter den eroberten Ländern war Lydien früher besonders mächtig.
Der König Krösus hatte ungeheure Schätze und Reichthümer gesam-
melt. Als ihn einst Solon, der weise Gesetzgeber Athens, in seiner
Hauptstadt Süides besuchte, zeigte er ihm alle seine Kostbarkeiten
und hoffte, daß Solon ihn für den glücklichsten Sterblichen erklären
werde. Allein Solon sprach: „Du bist zwar reich und ein mäch-
tiger König; aber glücklich noch nicht. Die Schicksale der Menschen
wechseln oft schnell und darum kann ich Niemand glücklich preisen,
bevor ich sein Ende weiß; denn bei allen Dingen muß man auf
den Ausgang achten."
Bald nachher wurde Krösus von Cyrus besiegt und zum
59
Tode verurtheilt. Als er nun auf dem Scheiterhaufen stand, auf
welchem er verbrannt werden sollte, erinnerte er sich der Worte
Solons und rief voll Schmerz: „O Solon, Solon, Solon!" Cy-
rus, der dieses horte, fragte, was das für ein Mann sei, dessen
Namen er gerufen. Krösus antwortete: „Es ist ein Mann, den
alle Herrscher hören sollten!" Cyrus wünschte weiter zu hören,
ließ den Krösus vom Scheiterhaufen herabnehmcn, und als er die
weisen Worte Solons vernommen hatte^ fiel ihm ein, daß auch sein
Glück einem Wechsel unterliegen könnte. Er schenkte dem Krösus das
Leben, und Beide wurden von nun an Freunde.
Cyrus' Nachfolger war sein Sohn Cambyses, ein Tyrann,
der sogar seinen Bruder Smerdis tödtete, um auch das kleine
Ländchen, das der Vater diesem bestimmt, hatte, zu seinem Reich zu
bringen. Ein späterer Perserkönig Dar ins begann einen unheil-
vollen Krieg mit den europäischen Griechen, den auch sein Nach-
folger Lerxes fortsetzte, welcher aber in mehreren Schlachten schmach-
volle Niederlagen erlitt.
Nun begann das große Reich allmählig zu zerfallen. Einzelne
Provinzen rißen sich los; Haß und Zwietracht in der Königsfamilie
und unter den Großen hatten überhand genommen und daher war
es dem König Alexander ein Leichtes, um das Zahr 333 ganz Per-
sien seiner Herrschaft zu unterwerfen.
. 4, Die Phönizier.
Phönizier: war ein schmales, langes Küstenland am Mittel-
meere, nördlich von Palästina, etwa 200 Quadratmeilen groß,
mit sandigem und wenig ergiebigem Boden, was wahrscheinlich
schon die frühesten Bewohner des Landes nöthigte, den Handel zu
ihrer Hauptbeschäftigung zu machen. Die Phönizier waren das erste
seefahrende Handelsvolk, welches sich sogar getraute, bis an die
Küsten der Ostsee zu fahren, wo sie den Bernstein abholten, der
damals höher als Gold geschätzt und zu verschiedenen Schmucksachen
verarbeitet wurde.
Den Phöniziern werden verschiedene Erfindungen zugeschrieben.
So hatte einst der Hund eines Schäfers am Strand des Meeres
einige Purpurschnecken zerbissen und kam mit rothgefürbter Schnauze
zu seinem Herrn zurück. Dieser, in der Meinung, daß der Hund
von einem andern Thiere gebissen worden sei, wischte ihm das Maul
mit einiger Schafwolle ab, ohne eine Verletzung zu finden, und siehe
da, die Wolle wurde schön purpurroth gefärbt. Der Schäfer forschte
weiter nach, fand die zerbissenen Schnecken, und die Entdeckung der
Pnrpurfärberei war gemacht. Einmal landeten phönizische Kauf-
leute an der Küste von Spanien, um ihre Speisen zu kochen. Statt
60
der Steine nahmen sie große Stücke Salpeter, die sie auf dem
Schiffe mit sich führten, und bauten daraus einen kleinen Herd.
Der Salpeter schmolz mit dem Quarzsande und der Potasche zu-
sammen und gab eine durchsichtige Masse, die zuerst zu Schmuck-
sachen und später als Glas zu Fenstern verwendet wurde. So er-
fanden die Phönizier auch die Schreibeknnft, und die Münzen,
Maaße und Gewichte sollen ebenfalls phönizische Erfindun-
gen seyn.
Die wichtigsten Städte des Landes waren Tyrus und Sy-
d on, beide berühmt wegen ihren künstlichen Arbeiten in Glas und
wegen Verfertigung des Purpurs. Handel, Schifffahrt und Schiff-
bau, wozu der nahegelegene Lybanon das treffliche Cedernholz lieferte,
waren für beide L-tädte höchst bedeutend. Die Insel Cypern war
ihr nächster Landungsplatz, von wo aus sie nach Griechenland und
den griechischen Inseln kamen. Die Inseln Rho dus und Kreta
wurden von ihnen bevölkert, und auf Sizilien und Sardinien
legten sie Colonien an, mit deren Hilfe sie selbst bis in das Innere
von Afrika handelten. Auch Carthago, auf einer Landspitze
Afrika's, Sizilien gegenüber, war eine phönizische Pflanzstadt.
Im Jahr 717 wurde Tyrus von Salmanassar vergeblich
belagert, mußte aber später der Macht Nebukadnezars unter-
liegen. Kaum wieder aufgebaut, wurde die Stadt durch Cyrus er-
obert und Phönizien der persischen Herrschaft unterworfen. Als
aber später Alexander, König von Macedonien, mit seinem Heere
nach Phönizien kam, unterwarf sich ihm Sydon. Tyrus wurde
nach siebenmonatlicher Belagerung eingenommen und verbrannt, nach-
her aber von dem Könige selbst wieder aufgebaut; allein die Stadt
erlangte ihr ehemaliges Ansehen und ihre Macht nie wieder.
5. Die Hebräer oder Juden.
Westlich vom Mittelmeere, zwischen Phönizien, Syrien und
Arabien, liegt an beiden Seiten des Jordans das Land Kanaan,
Palästina oder das gelobte Land. Zur Zeit Christi war das-
selbe eingetheilt:
1) in die Landschaft Judäa im Süden, worin die Städte Jerusa-
lem, Bethlehem und das todte Meer bemerkenswert^ sind;
2) Samaria, in der Mitte des Landes, mit Sam aria, Sichern
und dem Berge Garizim;
3) Galiläa, im Norden, mit den Städten Nazareth und Ti-
berios am galiläischen Meer;
4) Peräa oder Gilead, jenseits des Jordans*).
'■) Die ausführliche Beschreibung des Landes folgt in der Geographie.
61
6. Abraham.
Abraham war um das Jahr 2000 v. Chr. aus Mesopota-
mien nach Kanaau eingewandert. Die Ureinwohner des Landes
nannten ihn Heber, d. h. Fremdling, woher auch seine Nachkommen
den Namen Hebräer erhielten. Abraham, so wie sein Sohn Jsak
und sein Enkel Jakob, der später auch Israel genannt wurde jda-
her der Name Israeliten), beschäftigten sich mit der Viehzucht.
Die Schicksale dieser Erzväter oder Patriarchen sind aus den Bü-
ch.ern Mosis hinlänglich bekannt. Wir wissen, wie Joseph, einer
der zwölf Söhne Jakobs, von seinen Brüdern aus Haß und Neid
nach Aegypten verkauft, dort durch Gottes wunderbare Fügungen
zum ersten Staatsbeamten erhoben wurde und durch Anlegung von
Getreidemagazinen Aegypten und die benachbarten Länder gegen eine
mehrjährige Hungersnoth schützte; wie ferner seine Brüder selbst zu
ihm kamen, um Getreide zu kaufen, und er endlich seinen alten
Vater und alle die Seinigen zu. sich nach Egypten berief. — Um
das Jahr 1700 v. Chr. zog Jakob mit seinen Kindern und Enkeln
dahin und erhielt den Landstrich Gosen für die Seinigen zum
Aufenthalte. Hier lebten die Israeliten mehr als 200 Jahre glück-
lich und beschäftigten sich mit Ackerbau und Viehzucht. Als sie aber
endlich zu einem zahlreichen Volke herangewachsen waren, fieng man
an, sie zu unterdrücken, bürdete ihnen schwere Frohndienste aus, und
um nach und nach das ganze Volk wieder auszurotten, befahl der
König, alle neugeborenen israelitischen Knäblein in's Wasser zu
werfen. Auch den Knaben Moses sollte dieses Geschick treffen, allein
die Liebe und Klugheit seiner Mutter Jochebed und seiner Schwe-
ster Mirjam, sowie das Mitleid der Tochter des Königs rettete
ihn. Er wurde am Hofe erzogen und durch ägyptische Priester zu
einem weisen Manne herangebildet.
7. Moses.
Moses war von Gott dazu bestimmt, das israelitische Volk
aus der Knechtschaft in Aegypten zu befreien, bei demselben den
Glauben an den Einen wahren Gott zu erhalten und es wieder
in das Land Kanaan zurück zu führen. Nach vielen Hindernissen
gelang es ihm, mit dem Volke, das nun auf dritthalb Millionen
Menschen angewachsen war, aus Aegypten auszuziehen. Das Volk
Israel zeigte sich^jedoch oft ungehorsam und mißtrauisch; es war
in Aegypten an Sklaverei gewöhnt worden und besaß daher nicht
den Muth und die Kraft, sein Heimatland Kanaan mit Waffen-
gewalt denjenigen Völkern wieder abzunehmen, die sich indessen dort
niedergelassen hatten. Es war darum für Moses eine große Auf-
gabe, die gemeine Gesinnung dieses Volkes zu veredeln, ihm bessere
62
«
Gefühle beizubringen und es an eine sittlich fromme Zucht zu ge-
wöhnen. Darum gab er ihm auf Gottes Geheiß die zehn Gebote.
Ueberdies führte er sie, nach dem Willen Gottes, vierzig Jahre lang
in der Wüste umher, bis ein besseres und kräftigeres Geschlecht
unter ihnen aufgewachsen war, mit welchem er die Eroberung des
gelobten Landes unternehmen konnte.
Moses sollte das Ende des von ihm begonnenen großen Werkes
nicht mehr erleben. Er starb auf dem Berge Nebo, nachdem er
zuvor den Josna zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Dieser führte
endlich, nach langen Kämpfen mit den Philistern, Moabitern
und Amonitern, das Volk Israel in das Land der Verheißung
hinein und vertheilte dasselbe unter die zwölf Stämme. Der drei-
zehnte, der Stamm Levi, als Priesterstand, erhielt kein Land, son-
dern acht und vierzig Städte sammt dem Zehnten.
Moses war und bleibt für alle Zeiten ein großer und weiser
Mann, was schon daraus hervor geht, daß es ihm gelang, ein
störriges Volk au Zucht und Ordnung zu gewöhnen und für sein
leibliches und geistiges Wohl durch eine großartige Gesetzgebung
bestens zu sorgen. In seinem Charakter vereinigte er die Ent-
schlossenheit und Kraft des Gesetzgebers mit der Milde des Va-
ters gegen sein Volk, und mit dem Feuereifer des Vaterlands-
freundes verband er die Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit eines
tief religiösen Gemüthes. Seine Schriften sind die einzigen Quellen,
woraus wir die Nachrichten über den Zustand der Völker in den
ersten dritthalbtausend Jahren geschöpft haben.
Nach Moses und Iosua leiteten die Priester und Stammes-
ültesten das Volk, und in Zeiten besonderer Noth wurden hiezu weise
und kraftvolle Männer gewählt, die man Richter nannte. Sie soll-
ten die Religion wahren, die Selbstständigkeit des Vaterlandes retten,
und leiteten die öffentlichen Angelegenheiten int Kriege und im Frie-
den. Unter den Richtern sind Gideon, Iephta, Simson und
Samuel vorzüglich zu merken.
Da jedoch die umliegenden Völker meistens durch Könige re-
giert wurden, so forderte das Volk den letzten Richter Samuel auf,
ihm auch einen König zu geben und er salbte den Sank zum ersten
Könige (llOO v. Chr.).
Nachdem der im Kriege tapfere Saul in .einer Schlacht gegen
die Philister das Leben verloren hatte, bestieg David, der schon
früher als Hirtenknabe zum Könige gesalbt worden war, den Königs-
thron. Unter seiner Regierung lebte das Volk glücklich, erreichte
großen Wohlstand und war durch Tapferkeit angesehen bei fremden
Völkern. David erbaute die Burg Zion, wohin die Stiftshütte mit
der Bundeslade gebracht wurde, worin die Tafeln mit den zehn
Geboten Gottes aufbewahrt waren. Er richtete einen öffentlichen
»
63
Gottesdienst ein und dichtete viele Gesänge oder Psalmen, die wir
jetzt noch besitzen.
David starb im Jahr 1014 v. Chr. nach vierzigjähriger Re-
gierung, und sein Sohn Salomon, dessen Weisheit sprichwörtlich
geworden ist, wurde König in dem durchaus wohlgeordneten Staate.
Er vollendete den schon von seinem Vater angefangenen prächtigen
Tempel zu Jerusalem und regierte lange Zeit mit Weisheit und
Gerechtigkeit; allein gegen das Ende seines Lebens verfiel er in die
Abgötterei, in Weichlichkeit und Prachtliebe und drückte das Volk
durch unerschwingliche Abgaben. Als (975) sein Sohn Reha-
beam zur Regierung gelangte und den Beschwerden des Volkes kein
Gehör geben wollte, sondern zu seinen Abgeordneten sprach: „Mein
Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich aber will euch mit Scor-
pionen züchtigen!" so rissen sich 10 Stämme des Volkes von dem
Reiche los. Sie bauten die Hauptstadt Samaria und wählten den
Jerobcam zum König. Der neue Staat wurde das Reich Israel
genannt und Jerobeam führte, um eine ewige Trennung zu unter-
halten, sogar den ägyptischen Stierdienst ein. Die Stämme Juda
und Benz am in, welche Rehabeam treu geblieben waren, bildeten
das Reich Inda, dessen Hauptstadt Jerusalem blieb.
Diese Theilung führte den Untergang beider Reiche herbei, in-
dem sie sich gegenseitig haßten und fast unaufhörlich verfolgten, wo-
durch es ihren Feinden leicht wurde, die unmächtigen Reiche zu über-
wältigen. Israel wurde schon 722 durch Salmanassar von
Assyrien, das Reich Inda aber von Nebukadnezar, König
von Babylon, im Jahr 588 zerstört, und die Eroberer führten
die Besiegten als Gefangene mit sich in ihre Staaten.
Siebenzig Jahre spater eroberte der Perserkönig Cyrus das
babylonische Reich und ließ die Inden wieder in ihr Vaterland zu-
rückkehren; doch sollen nur etwa 42,000 diese Erlaubniß benützt
haben. Die Uebrigen hatten sich längst in Babylonien angesiedelt
und wollten das zur zweiten Heimat gewordene Land nicht wieder
verlassen.
Die heimgekehrten Juden bauten den zerstörten Tempel und die
Stadt Jerusalem wieder auf, woran sie die benachbarten Samariter
(größtenteils Heiden) vergebens zu hindern suchten. Geprüft durch
Unglück und Leiden hielten sie von nun an fest an ihrem Glauben
und an ihrer Gesetzgebung, wiewohl sie bald den Geist derselben
außer Acht ließen und an den Formen hängen blieben. Von dieser
Zeit an blieb der jüdische Staat immer von den mächtigeren Nach-
barstaaten abhängig und nur noch einmal erkämpften sie sich, unter
Anführung der heldenmüthigen Makkabäer eine vorübergehende Selbst-
ständigkeit (167 bis 37 v. Chr.), woraus sie den Römern unter-
worfen wurden.
64
Durch die Römer wurde Herodes in Judäa als Regent ein-
gesetzt, welchem sie zugleich mehrere benachbarte Provinzen übergaben.
Um seine Herrschaft zu befestigen, mordete er alle Makkabäer und
selbst einen Theil seiner Familie. Nach seinem Tode wurde das
Reich unter seine drei Söhne getheilt und ein Theil zu Syrien ge-
schlagen, welches römische Landpfleger verwalteten.
8. Jesus Christus.
Endlich stehen wir vor dem freudenreichsten und heilbringendsten
aller Ereignisse, die uns durch die Geschichte berichtet werden. Als
nämlich die ganze Menschheit in gräuliche Sittenl o si gleit und
in das tiefste Elend versunken und die Religion überall in
tiefen Verfall gerathen war: da erwachte in den Herzen Vieler das
lebhafteste Verlangen nach dem Erlöser, den Gott schon längst durch
den Mund seiner Propheten dem sündigen Menschengeschlechte ver-
heißen hatte. Um das Maaß seiner Erbarmungen voll zu machen,
sandte der Allbarmherzige seinen göttlichen Sohn selbst in die Welt,
der Menschheit zur Rettung von dem ewigen Verderben, und Maria,
die reinste und heiligste Jungfrau, ward von Gott aus-
erwählt, die Mutter des Weltheilandes zu werden.
Beinahe 4000 Jahre nach der Erschaffung der Welt, 753
Jahre nach der Erbauung der Stadt Rom, im 42ften Jahre der
Regierung des Kaisers Augustus und 5 Jahre vor dem Tode des
Herodes wurde Jesus Christus zu Bethlehem geboren. Engel ver-
kündeten seine Geburt frommen Hirten und ein hellleuchtender Stern
führte die frommen Weisen aus fernen Ländern zu dem neugebornen
Friedensfürsten, wie ihn Jefaias nennt; zu ihm, der gekommen
war, Frieden zu stiften zwischen dem beledigten Gotte und der sün-
digen Menschheit. Bis zu seinem dreißigsten Jahre lebte er in
stiller Zurückgezogenheit und war in allen Tugenden das schönste
Muster für die Jugend. Jetzt aber trat er öffentlich auf als Stif-
ter einer Religion, deren Lehren, in unerreichter und gött-
lich e r E r h a b e nh e i t dastehend, wahrhaft geschaffen sind, die Men-
schen zu beglücken und zu beseligen.
Drei Jahre lang zog er lehrend und Kranke heilend in Städten
und Flecken umher; er bezeichnete seden seiner Schritte mit Wohl-
thun und Segen. Mit Freimüthigkeit aber rügte Jesus die Schein-
heiligkeit und Verworfenheit der heuchlerischen Pharisäer undun-
gläubigen Saddncäer, die ihn darum auch haßten und verfolgten.
Seine einfach großen Lehren standen eben so sehr im Widerspruch
mit ihren Satzungen, als das geistige Messiasreich, das Jesus zu
gründen gekommen war, ihren irdischen Gesinnungen und Erwar-
tungen entgegen stand. Ihr Haß ruhete daher nicht eher, bis der
römische Landpfleger Pontius Pilatus den Unschuldigsten der Men-
65
scheu, den Sohn Gottes selbst, zum Tode verurtheilte und Ihn durch
die Priester dem aufgereizten Volke zur Kreuzigung auslieferte.
Jesus aber besiegelte durch seinen Tod die Wahrheit seiner Lehre
und erlöste die Menschheit durch den unendlichen Werth seines Blu-
tes von der Sünde und dem ewigen Tode; denn nur Er, der
Reinste und Heiligste, konnte unsere Sündenschuld a^ sich neh-
men und durch seinen Tod der göttlichen Gerechtigkeit genug thun.
Am dritten Tage nach seinem Tode erstand Jesus Christus
glorreich aus dem Grabe, und während 'der vierzig Tage, die Er
noch auf Erden verweilte, erschien Er seinen Jüngern mehrere Male,
tröstete, lehrte und stärkte sie und fuhr endlich hinauf gen Himmel,
wo Er jetzt sitzet in unendlicher Herrlichkeit zur Rechten seines Vaters,
von wannen Er einst wieder kommen wird, zu richten die Lebendigen
und die Todten. Zehn Tage nach seiner Auffahrt zum Vater
sandte Jesus den Seinigen den Tröster, den Er ihnen verheißen
hatte, den heiligen Geist. Des Morgens am Psingsttage ent-
stand ein Brausen, wie das eines heftigen Windes und erfüllte das
Haus, wo die Treuen Jesu, seine Mutter, die Apostel und die
Jünger harrend und betend versammelt waren. In feurigen Zun-
gen senkte sich der heilige Geist über sie herab und gop aus über sie
die Fülle seiner Gnaden. Und wie des Feuers Kraft das Harte er-
weicht, das Unreine verzehrt, das Dunkle erleuchtet und Alles durch
seine Wärme belebt und stärkt: so wirkte jetzt die Macht des heili-
gen Geistes in den Aposteln und Gläubigen. Ihr Verstand, vorher
so schwach und träge in Auffassung des göttlichen Wortes, erkannte
nun mit lichtheller Klarheit die ganze Lehre des himmlischen Mei-
sters ; sie, die Ungebildeten, werden nun aller Weisheit voll und be-
schämen die Klugheit der-Welt; sie, die niemals Judäa verlassen,
verstehen und reden jetzt die Sprachen aller Völker mit geläufiger
Zunge. Zu ganz andern Menschen hatte der Geist Gottes die Apo-
stel umgewandelt; ihr Stolz war verschwunden und hatte der innig-
sten Demuth Platz gemacht; ihre Träghell war zum glühendsten
Eifer geworden; für Jesu zu leiden war ihre Lust, für Ihn zu ster-
ben Gewinn.
Von dem Geiste Gottes erfüllt, erhob sich nun Petrus und ver-
kündigte mit Feuerworten dem jüdischen Volke und Allen, welche bei
dem heftigen Brausen des Windes sich vor dem Hause versammelt
hatten, Jesum, den Sohn Gottes, den sie so schmachvoll gekreu-
zigt, bewies ihnen seine Unschuld und den ganzen Jammer ihrer
Sündennoth. Seine Worte erschütterten die Herzen aller Zuhörer,
und noch an demselben Tage ließen sich 3000 Menschen taufen.
So hatte die christliche Kirche zu Jerusalem ihren Anfang ge-
nommen und das Wort des Propheten Jesaias sich erfüllt, daß von
Reiser, der Dclksschülcr i. dk Oberklasse. 5
/
66
Sion das Licht ausgehen sollte. Die nach dem Heilande verlangten,
wurden von den Aposteln unterrichtet und getauft. Sie verharrten
in der Lehre und in dem Gebete, genoßen in Gemeinschaft das hei-
lige Abendmahl und führten unter der Hut und Leitung der Apostel
ein frommes und gottgefälliges Leben. In ihren Herzen war nur
Ein Gefühl — die Liebe zu Jesu, nur Eine Sehnsucht —
die Sehnsucht, zu Ihm zu kommen, nur Ein Verlangen —
das Verlangen, Ihm allein zu dienen und zu gefallen.
Wie sie Gott über Alles zu lieben trachteten, so liebten sie einander,
wie sich selbst, verkauften Hab und Gut und vertheilten Alles nach
dem Maaße des Bedürfnisses, so daß Alle nur eine einzi'ge große
Familie auszumachen schienen.
Die kleine Gemeinde des Herrn wuchs von Tag zu Tag und
gedieh um so mehr, als die Apostel mit herrlichen Wundern die
Wahrheit ihrer Lehre bekräftigten. Im Namen Jesu heilte Petrus
einen Lahmgebornen, worauf 5000 Juden sich bekehrten und sich taufen
ließen. Paulus wurde bekehrt, und er — der zuvor der erbittertste
Feind der Christen war, bewies jetzt den glühendsten Eifer als Ver-
breiter der Lehre Jesu. Die Apostel gieugen in alle Länder des
damals so großen und mächtigen römischen Reiches, verkündigten das
Evangelium und gründeten in fast allen größeren Städten christ-
liche Gemeinden. Sie erlitten hiebei die schwersten Verfolgungen,
wie ihnen dieses ihr göttlicher Meister voraus gesagt hatte, und fast
Alle starben den Märtyrertod, weil ihre Lehre für staatsgefährlich
gehalten wurde, und man sie deshalb unterdrücken wollte; allein die
Wahrheit besteht ewig, und darum wird auch das Christenthum
fortdauern durch alle Zeiten und sich verbreiten über alle Ge-
schlechter.
Die römischen Statthalter übten meistens eine sehr drückende
Herrschaft über die Juden aus und erlaubten sich die grausamsten
Mißhandlungen gegen dieselben. Das Volk empörte sich daher gegen
die Römerherrschaft und wollte sich von diesem Joche wieder be-
freien. Ein römisches Kriegsheer rückte gegen Jerusalem vor, um
die Empörer zu züchtigen und den Aufruhr zu stillen, und nun
brachen die Tage des Jammers herein, von denen einst Christus
geweissagt hatte, als seine Jünger die Größe und Pracht des Tem-
pels bewunderten. Jerusalem wurde von Kriegsheeren eingeschlossen
und nach hartnäckigem Widerstande eingenommen und verbrannt.
Wer dem Schwerte der Sieger entrann, wurde in die Sklaverei
verkauft, und seitdem leben die Juden zerstreut unter allen Völkern
der Erde.
67
Afrikanische Völker.
9. Die Aegypter.
In dem engen Thale, welches der Nil durchströmt, da wo die
beiden Erdtheile Asien und Afrika sich begrenzen, wohnten schon vor
mehr als 2000 Jahren vor Christus die Aegypter. Als ihr
ältester König wird Menes genannt, der um 2100 geherrscht und
die Stadt Memphis erbaut haben soll.
Aegypten wird alljährlich zu einer gewissen Zeit durch den Nil
überschwemmt und dadurch so fruchtbar gemacht, daß jährlich zwei
Erndten möglich werden. Seine Bewohner haben einen sanften und
milden Charakter und sind dabei'so ernst, daß sie schon in den älte-
sten Zeiten bei ihren Gastmählern eine Leiche zur Betrachtung und
zur Erinnerung an die Sterblichkeit aufstellten. Sie glaubten an
eine Seelenwanderung, wonach die Seele nach dem Tode in den
Leib eines Thieres übergehe und nach 15,000 Jahren wieder in den
Leib zurückkehre. Deshalb suchten sie den Leib durch Einbalsamiren
vor der Verwesung zu schützen. Solche einbalsamirte Leichname
nennt man Mumien. Die Aegypter ahmten die Sitten anderer
Völker nicht nach und lebten überhaupt sehr abgeschlossen. Sie be-
saßen mancherlei damals ungewöhnliche Kenntnisse, namentlich in
der Sternkunde und Arzneiwissenschaft. Die Kenntniß war jedoch
ausschließlich bei den Priestern, den alleinigen Gelehrten. Sie waren
so angesehen, daß selbst Könige aus ihnen gewählt wurden.
Unsere größte Bewunderung verdienen die alten Baudenkmäler
der Aegypter, besonders die Pyramiden und Obelisken. Erstere
sind ungeheure, unten breite, oben aber spitzig zulaufende steinerne
Gebäude, welche wahrscheinlich als Begräbnißorte (Königsgräber)
dienten. In der Nähe der jetzigen Hauptstadt Kairo stehen noch
40 solcher Pyramiden, von welchen die größte 500 Fuß hoch ist.
Innerhalb sind sie hohl und enthalten viele Treppen, Säle und
Kammern, die jedoch keine Fenster haben. Die Obelisken sind
schlanke, viereckige Säulen, aus einem einzigen Steine gehauen, und
haben eine Höhe von 50 bis 180 Fuß. Sie standen meistens in
der Nähe der Tempel und wurden als Sonnenzeiger benützt. Die
Seiten derselben sind gewöhnlich mit Hieroglyphen, einer Schrift,
die aus Zeichen besteht, bedeckt, und dre Erklärung und Entzifferung
derselben hat uns wichtige Aufschlüsse über den frühern Zustand und
die Schicksale dieses Landes verschafft. Ebenso merkwürdig war das
Labyrinth, welches 12 Könige erbauten, die schon im siebenten Jahr-
hundert v. Chr. das Land gemeinschaftlich regierten. Dieses mäch-
tige Gebäude enthielt 1500 Säle und Zimmer über — und eben
so viele unter der Erde, und die Gänge und Treppen waren so
68
künstlich und verworren angelegt, daß ohne Führer Niemand den
Weg herausfinden konnte*).
Die früheste Geschichte Aegyptens ist dunkel und in viele Sa-
gen gehüllt. Als einer der merkwürdigsten Regenten wird Seso-
stris genannt, der das Land durch Eroberungen erweiterte und
unter dem Volke einen kriegerischen Geist weckte.
Wie die Israeliten früher nach Aegypten kamen und wieder
nach Kanaan zurückgeführt wurden, ist schon in der Geschichte der
Hebräer angeführt worden.
Die Schwäche der letzten Regenten dieses Landes war Ursache,
daß dasselbe um das Jahr 48 v. Chr. von den Römern weggenom-
men und als Provinz ihres damals so mächtigen Staates erklärt
wurde. Bei der Theilung des römischen Reiches kam es zum mor-
genländischen Kaiserthum, und gegenwärtig steht es, durch
einen Vicekönig regiert, unter türkischer Oberherrschaft.
10. Nie Carthager.
Im neunten Jahrhundert vor der Gebürt unseres Heilandes
herrschte ein überaus geiziger Fürst über die Stadt Tyrus in
Phönizien. Dieser hatte einen ungemein reichen Schwager, Namens
Sichäus, den er endlich bloß deshalb ermorden ließ, um dessen
Reichthümer an sich zu bringen. Dido, die Frau des Sichäus,
floh daher vor ihrem Bruder mit noch andern Mißvergnügten und
landete mit diesen in Afrika in der Gegend, wo jetzt Tunis liegt.
Sie erbat sich von den Einwohnern daselbst nur so viel Land, als
sie mit einer Ochsenhaut umspannen könne. Die Bitte wurde ge-
währt, und das listige Weib zerschnitt nun die Ochsenhaut in so
schmale Riemen, daß sie eine große Strecke Landes damit umspannen
konnte, worauf sie eine Stadt erbaute, die sie C a rth a g o nannte(888).
Eine weise Verfassung und ausgezeichneter Gewerbefleiß machte
Carthago bald zum mächtigsten Handelsstaat des Alterthums. Die
Carthager legten auf Corsika, Sardinien und Sizilien Colonien an
und erweiterten ihre Macht und ihren Einfluß nach und nach so,
daß sie hierdurch die Eifersucht der Römer erregten und mit den-
selben in Kriege verwickelt wurden, die in der Geschichte Roms näher
berührt werden, und welche nur mit der Zerstörung Carthago's ihr
Ende erreichten.
*) Man sagt daher noch jetzt, man sei in ein Labyrinth (von Gedanken)
gerathen, wenn llber einen Gegenstand die Ansichten, Begriffe und Urtheile so
unklar, widersprechend und verwirrt sind, daß man das Wahre und Richtige
nicht herauszufinden und zu unterscheiden vermag.
69
Europäische Völker.
11. Griechenland.
Das alte, mächtige, einst so berühmte Griechenland umfaßte
den größten Theil der jetzigen europäischen Türkei, nebst dem neu-
geschaffenen Königreich Griechenland. Es enthielt viele kleine Staa-,
ten, von welchen besonders Athen und Sparta merkwürdig gewor-
den sind und sowohl durch ihre weisen Staatseinrichtungen als auch
durch die Charaktergröße ihrer Bürger allgemeine Bewunderung er-
regten.
Die alten Griechen waren Heiden. Sie verehrten mehrere
Götter, von welchen Zeus oder Jupiter, der Gott des Himmels,
Pluto, der Gott der Unterwelt, Neptun'vder Poseidon, der
Meergott, Vulkan oder H ephästos, der Gott des Feuers, Mars,
der Kriegsgott, und Apollo, der Gott der Musik und Dichtkunst,
die vornehmsten waren. Nebst diesen gab es nach der griechischen
Götterlehre (Mythologie oder Fabellehre) noch viele Götter, Göt-
tinnen und Halbgötter. Mau verehrte dieselben in prachtvollen
Tempeln, und die Priester gaben den Willen der Gottheiten kund
und ertheilten die Antworten aus Fragen, welche in wichtigen An-
gelegenheiten an die Götter gestellt wurden. Solche Antworten
wurden Orakelsprüche genannt und konnten gewöhnlich aus verschie-
dene Weise ausgelegt werden, so daß sie fast immer eintreffen muß-
ten. Das vornehmste Orakel war zu Delphi.
12. Die Spartaner.
Zu der Berühmtheit, welche nachmals die Spartaner erlangten,
trugen hauptsächlich die Gesetze und Einrichtungen bei, welche sie
von Lykurg um das Jahr 888 erhalten hatten. Dieser weise Ge-
setzgeber hatte eingesehen, daß in den beiden Lastern Habsucht und
Genußsucht der Grund alles menschlichen Elendes liege, und suchte
daher durch seine Gesetze diesen entgegenzuwirken und die Spartaner
zu einfachen, mäßigen und kräftigen Menschen heranzubilden.
Durch seine Gesetze wurde die Leitung des Staates 28 erfah-
• retten Greisen übertragen, an deren Spitze zwei Könige standen. —
Das Land war unter die Bürger gleich vertheilt und Niemand
durfte seinen Antheil verkaufen. — Alle Spartaner mußten in öffent-
lichen Gebäuden gemeinsam speisen, wobei eine kräftige schwarze
Suppe das Hauptgericht war. — Die Stadt durfte keine Mauern
haben; die Tapferkeit der Bürger sollte ihr Schutz seyn. — Gold
und Silber, als die Quelle aller Ueppigkeit, waren strenge verboten;
dagegen wurde Geld von Eisen gebraucht. — Selbst die Kinder
70
wurden als Eigenthum des Staates angesehen, und hier begegnen
wir einer furchtbaren Grausamkeit in der Gesetzgebung Lykurgs, in-
dem dieselbe befahl, alle Kinder, welche schwach oder krüppelhaft
waren, an einem Berge in der Nähe der Stadt auszusetzen, wo sie
verschmachten mußten.
Die kräftigen Kinder wurden unter Aufsicht des Staates er-
zogen und wohnten vom siebenten Jahre an in öffentlichen Gebäu-
den. Abhärtung gegen Schmerz und Beschwerden, Stärkung
der körperlichen Kräfte durch manigfaltige Leibesübungen, Gewöh-
nung an strengen Gehorsam und Hochachtung gegen das
Alter waren die höchsten Zwecke der spartanischen Erziehung.
Die spartanischen Knaben waren sehr leicht gekleidet, durften ...
nie Schuhe tragen und mußten täglich im Flusse Eurotas baden.
Sie waren in Klassen getheilt, welche immer den Muthigsten und
Verständigsten zum Anführer hatten. Unartige Knaben durste jeder
Bürger züchtigen, und wenn der Gestrafte sich bei seinem Vater be-
schwerte, so wurde die Züchtigung von diesem wiederholt.
13. Die Athener.
Griechenlands edelstes Volk waren die Athener, welche nicht
nur, wie die Spartaner, Muth und Tapferkeit hochachteten, sondern
auch Künste und Wissenschaften schätzten und daher frühzeitig eine
hohe Stufe geistiger Bildung und Größe erreichten.
Athen oder Attika wurde* 500 Jahre lang durch Könige
regiert. Der letzte derselben war Kodrus, unter dessen Regierung
die Dorier, ein griechischer Volksstamm, in Attika einfielen. Das
Orakel, welches darüber befragt wurde, welchen Ausgang dieser Krieg
nehmen würde, hatte ausgesprochen, daß die Athener nur dann siegen
würden, wenn ihr König vom Feinde getödtet werde. Die Dorier,
die dieses erfahren hatten, beschlossen das Leben des Königs, der sich
in der Schlacht vorangestellt hatte, auf jede mögliche Weise zu scho-
nen, um dadurch, nach dem Ausspruche des Orakels, den Sieg zu
erlangen. Allein Kodrus, der sein Leben dem Wohl des Vaterlan-
des opfern wollte, verkleidete sich als Bauer, stürzte unerkannt in
die dichtesten Reihen der Feinde und fand hier einen ruhmvollen Tod.
Als die Feinde hörten, daß der König von Athen gefallen sei, «
ergriffen sie eiligst die Flucht, und die Athenienser waren befreit.
Da man in Athen Niemand für würdig hielt einen Thron zu
besteigen, der auf eine so edelmüthige Weise erledigt worden war,
so wurde die Regierung Magistratspersonen, die man Archonten
nannte, übertragen. Als aber endlich auch diese Regierungssorm
dem Volke nicht mehr gefiel, wurde Drako, einer der Archonten,
aufgefordert, ein Gesetzbuch zu schreiben. Er entsprach dem Willen
71
des Volkes; allein seine Gesetze waren so strenge, daß man sagte,
sie seien mit Blut geschrieben und der weise und menschenfreundliche
Solon, einer der edelsten Männer Griechenlands, mußte andere Ge-
setze entwerfen, die später auch von den Römern zum Muster ge-
nommen wurden.
Die Griechen in Kleinasien, welche der persischen Herrschaft
unterworfen waren, hatten sich empört und baten die europäischen
Griechen um Beistand und diese sandten ihnen einige schiffe zu
Hilfe. Danus, der Perserkönig, züchtigte die Empörer und unter-
warf sie abermals seiner Herrschaft. Zugleich wollte er aber auch
an den europäischen Griechen dafür Rache nehmen, daß sie jene
unterstützt hatten. Er unternahm daher einen Kriegszug gegen sie;
allein sein Heer wurde durch die Angriffe der Thracier zur Rück-
kehr gezwungen und die persische Flotte gieng durch Stürme zu
Grunde (493).
Ein zweites Heer landete 3 Jahre später in Attika. Muthig
zogen ihm die Griechen unter Anführung des tapfern und weisen
Miltiades entgegen und errangen in der Ebene von Marathon einen
glänzenden Sieg. Hiedurch noch heftiger erbittert, machte Darius
noch größere Znrüstungen zu einem neuen Kriegszuge, starb aber,
ehe derselbe beginnen konnte, Nerzes, sein Sohn und Nachfolger,
verfolgte den Racheplan seines Vaters und setzte endlich mit einem
ungeheuren Heere über den Hellespont, über den man Brücken schlug.
Sieben Tage und sieben Nächte dauerte der Zug. — Die Grie-
chen rüsteten sich eiligst und, um das ungeheure Perserheer wenigstens
einige Zeit aufzuhalten, zog der Spartanerkönig Leonidas mit 300
seiner Mitbürger und andern Griechen zu den Thermopylen,
einem Gebirgspaß zwischen dem Meer und dem Gebirge, der an
einer Stelle so enge ist, daß nur ein Wagen durchfahren kann. Hier
stellte sich die kleine Heldenschaar dem zahllosen Perserheere kühn ent-
gegen. Der Perserkönig ließ den Griechen die Waffen abfordern;
allein diese ließen ihm sagen: er möge sie nur selbst holen. — Einer
der Griechen, durch die ungeheure Anzahl der Feinde erschreckt, rief
aus: „Wir wer den die Sonne vor der Menge ihrer Pfeile
nicht sehen!" — „Desto besser," erwiderte ein Spartaner ruhig,
„dann werden wir im Schatten fechten."
Die Perser versuchten nun durch wiederholte Angriffe den
Durchgang zu erzwingen, allein sie wurden von dem kleinen Häuf-
lein Griechen immer wieder zurück geschlagen, bis endlich ein Hirte
aus Habsucht an seinen Mitbürgern zum Verräther wurde und den
Feinden einen Fußsteig über das Gebirge zeigte, wodurch sie den
14. Die Perserkriege.
72
Spartanern in den Rücken kamen. Diese aber wollten dennoch nicht
weichen, sondern beschlossen ihren Landsleuten ein ermuthigendes Bei-
spiel ihrer Vaterlandsliebe und Tapferkeit zu geben. Nachdem sie
durch den muthigsten Angriff noch eine große Niederlage unter dem
Perserheere angerichtet hatten, starben alle den schönen Tod für das
Vaterland, welches später den hier gefallenen Helden ein Denkmal
errichtete mit der Inschrift:
Sag's, Wanderer, in unserm Vaterlande:
Hier starben wir der Pflicht getreu!
Die Griechen errangen bald darauf auch einen glänzenden Sieg
über die persische Flotte. Xerxes, der diese Seeschlacht vom Lande
aus mitansah, floh, hiedurch erschreckt, mit einem großen Theil der
Seinigen nach Asien hinüber; doch ließ er noch ein Heer von
300,000 Mann unter dem Feldherrn Mardonius zurück. Allein
schon im folgenden Jahre wurde dasselbe von den Athenern und
den Spartanern geschlagen. Fast zu gleicher Zeit wurde auch der
Rest der persischen Flotte zernichtet, und obwohl der Krieg mit Un-
terbrechungen noch längere Zeit fortdauerte, endete derselbe dennoch
zum Nachtheile der Perser. Ihre Besitzungen in Europa giengen
verloren und selbst die Griechen in Kleinasien wurden von der drücken-
den Perserherrschaft befreit (479).
Von dieser Zeit an war Athen der mächtigste Staat in Grie-
chenland und stieg unter der Leitung weiser Männer zu hohem
Wohlstand und Ansehen empor. Bald aber geriethen die Griechen
unter sich selbst in Streit und die dadurch entstandenen innern
Kämpfe untergruben Griechenlands Wohl mehr, als alle Kriege mit
äußern Feinden. Mit blinder Wuth wurden eine Menge der brav-
sten Bürger gemordet und gegenseitig die schönsten Städte und Land-
striche verwüstet. Der Sinn für Recht, Ordnung und alles Heilige
gieng verloren und eine allgemein überhandnehmende Sittenverderb-
niß legte allmählig den Grund zum Untergang der griechischen
Staaten.
Außer den schon genannten Helden und Staatsmännern lebten
in Griechenland viele merkwürdige Männer, die sich durch Weisheit
auszeichneten und welche auch jetzt noch unsere Bewunderung ver-
dienen.
Besonders war es der weise Sokrates, der dem einreißenden
Verderben und dem überhandnehmenden Verfall der Sittlichkeit da-
durch zu wehren suchte, daß er junge Leute an sich zog, um sie durch
Lehre und Beispiel für alles Schöne, Hohe und Heilige zu
gewinnen, weßhalb ihr diesen edlen Weisen durch nachfolgende Schil-
derung näher kennen lernen sollet.
73
15. Sokrates.
An diesem großen und ehrwürdigen Manne hat die Nachwelt
auf eine glänzende Weise dargcthan, daß das wahre Verdienst immer,
wenn auch oft spät erst Anerkennung finde. Ihn, der im Kampfe
mit den Vorurtheilen und Lastern seiner Zeitgenossen unterliegen
mußte, ehrte eine gerechtere Nachwelt, als erhabenes Musterbild
eines redlichen und frommen Mannes, voll hoher Gesinnungen und
wahrer Menschenliebe; auf ihn führt sie Alles zurück, was die vor-
züglichsten Geister Griechenlands in der Weisheitslehre Großes und
Preiswürdiges geleistet haben. Es ist auch unwidersprechlich gewiß,
daß Sokrates, man mag nun die Kraft seines gebildeten
Geistes, die Reinheit seiner edlen Gesinnung, den Inhalt sei-
ner vortrefflichen Belehrungen, den Umfang seines nütz-
lichen Wirkens, oder das Ende seines göttlich geführten
Lebens betrachten, der aufrichtigsten und höchsten Bewunderung
würdig erscheint.
Sokrates wurde 470 v. Chr. geboren. Er war der Sohn
des Bildhauers Sophroniskus und lernte die Kunst seines Vaters.
Ueber seine Iugendbildung haben wir keine bestimmten Nachrichten,
jedoch dürfen wir vorausfetzen, daß fein wißbegieriger Geist ihn
frühe dazu angetrieben haben müsse, die Schriften der berühmtesten
Weisen zu lesen und Alles aufzufassen, was seine Zeit und sein Va-
terland ihm an Licht und Aufklärung über die wichtigsten Gegen-
stände des menschlichen Wissens darbot.
An dem Tempel des Apollo zu Delphi las er die Inschrift:
„Lerne dich selbst kennen!" und diese Worte machten einen un-
auslöschlichen Eindruck auf ihn. Freudig rief er aus: „Ich hab'
es gefunden!" und begann, dieser göttlichen Aufforderung gemäß,
in sich selbst einzukehren, über sein Inneres, und vorzüglich über
die Bestimmung des Menschen nachzudenken. Er faßte nun
den Entschluß, sein ganzes Leben dem erhabenen Geschäfte zu wid-
men, feine Mitbürger zu guten, frommen und rechtschaffenen Men-
schen zu bilden. Wie alle große Männer, glaubte er im freudigen
Erstaunen über jenen herrlichen und göttlichen Gedanken von der -
Gottheit selbst dazu berufen zu seyn, und mit fester Ueberzeugung
hieng er noch in den letzten Augenblicken seines wohlthätigen Lebens
an dem Gedanken, daß er ein Gott gesandt er sei. Deswegen
war er vom frühen Morgen an geschäftig, Menschen aufzusuchen,
um sie über Alles zu belehren, was dem Menschen überhaupt
und Jedem nach seinen eigenthümlichen Verhältnissen
wichtig seyn kann und soll. Er gieng auf die öffentlichen Ver-
sammlungsplätze, aus die volksreichsten Straßen oder auch in die
Wohnungen der Künstler und Handwerker, um überall Gelegenheit
74
zu suchen und zu finden, zum Heil seiner Mitbürger zu wirken, sie
zu belehren, zu ermuthigen, zu trösten und sie zu bessern, innerlich
glücklicheren Menschen zu machen.
Daß dieses Streben mit mannigfaltigen Schwierigkeiten ver-
bunden gewesen seyn müsse, leuchtet ein. War es nicht an und
für sich schon ein mühevolles Geschäft? Und wie viel Aeußerungen
des Spottes, der Verblendung, der Bosheit, der Rohheit,
des Neides, der Undankbarkeit mußte er erfahren? — Dessen-
ungeachtet thronte eine unumwölkte Heiterkeit aus seiner Stirn; eine
stets gleichbleibende Fröhlichkeit und Munterkeit belebte seine Blicke
und Worte; auf dem Markte wie zu Hause, unter dem Volke wie
in dem traulichen Kreise der Edlern, welche die Liebe zur Wahrheit
und Tugend genauer mit ihm verband, war er stets Derselbe.
Daß zu diesem unerschütterlichen Gleichmuthe bei Sokrates eine
glückliche, geistige und körperliche Anlage beigetragen habe, ist kaum
zu bezweifeln; allein er war zugleich die Frucht der eignen, schweren,
aber preiswürdigen Selbstbildung und Selbstbeherrschung. Er war
daher auch ein liebevoller Gatte und Vater, so wenig seine böse
Frau La nt i pp e seiner würdig war.
Wenn wir den großen Mann in seinem Verhältniß zur Gott-
heit betrachten, so erblicken wir ihn als eifrigen Verehrer des höch-
sten Wesens, der sich hütete, seinen Mitbrüdern ein Aergerniß zu
geben, und daher alle religiösen Gebräuche, die Alterthum und Sitte
geheiligt hatten, mit Sorgfalt beobachtete. Seine liebste Beschäf-
tigung war, lernbegierige Jünglinge für das Reich der Wahrheit
7 und Tugend zu bilden; er hatte daher beständig einen Kreis edler
Jünglinge und Männer um sich, die ihn überall begleiteten und von
ihm unterrichtet wurden. Sein Unterricht bestand jedoch nicht in
langen, ausgebreiteten Vorträgen, sondern in freien Mittheilungen,
die durch Frage und Antwort höchst anziehend wurden; und noch
jetzt nennt man die Art und Weise durch Fragen zu unter-
richten, die sokratische Lehrweise.
Die Bildung des Geistes hielt Sokrates für das höchste Gut,
und empfahl die Selbstkenutniß als das herrlichste Mittel, dieses
Gut zu erlangen. Er hielt Diejenigen für die thörichtsten aller
Thoren, die alles Andre, nur sich selbst nicht kennen zu lernen
suchten. Von der Unsterblichkeit der Seele war er fest überzeugt;
er sah daher das Sterben für die Guten nur als einen Uebergang
in ein besseres Leben an, und sprach mit rührender Gewißheit und
bewundernswürdiger Reinheit von seinen Hoffnungen. Freudig be-
wegt fühlte sich seine reine Seele bei dem Gedanken an die Ver-
einigung mit den bessern Menschen der Vorwelt; dort im Lande der
Seligen hoffte er das reine Glück zu finden, und mit dem Bewußt-
seyn, nach Wahrheit gestrebt und nach Tugend heldenmüthig
75
gerungen zu haben, hoffte er auch dasselbe dort in vollem Maaße
zu genießen. Erschütternd dagegen sind die Ausdrücke und Bilder,
in welchen er von der Unseligkeit der Bösen spricht, die durch
Laster aller Art befleckt sind und hinabgezogen werden in die Woh-
nungen der Qual, um durch Strafen gebessert und geläutert zu wer-
den oder um der Gerechtigkeit genug zu thun.
• Die innere Würde der Tugend malte Sokrates mit den an-
ziehendsten Farben. Für einen seligen Zustand der Freiheit erklärte
er die Herrschaft über die sinnlichen Triebe, — sagte, daß nur die
Tugend wahre Weisheit sei und behauptete, daß Lasterhaf-
tigkeit sich von dem Zustande des Wahnsinns durchaus nicht
unterscheide. Unrecht thun hielt er für das größte Uebel. Dabei
erklärte er eS für Pflicht, auch gegen Feinde Gerechtigkeit zu üben
und in keinem Falle die Gesetze des Vaterlandes zu übertreten, selbst
dann nicht, wenn dieselben auf eine ungerechte Art angewendet würden.
Zu allem diesem kam das eigene vortreffliche Beispiel des edlen
Mannes, welches so sehr über allen Tadel erhaben war, daß sein
Freund und Schüler Xenophon von ihm behauptete, Niemand
habe je etwas Gottloses oder Frevelhaftes von ihm gesehen, und
darum halte er ihn für den vortrefflichsten, aber auch für den glück-
seligsten Menschen.
Allein trotz seiner reinen und erhabenen Grundsätze und unge-
achtet seines untadelhaften Lebens wurde der edle Greis in seinem
70sten Jahre durch Feinde und Neider angeklagt, daß er die
Götter verachte, Irrlehren verbreite und die Jugend
verführe. Sokrates, im hohen Bewußtseyn seiner moralischen
Würde, verschmähte es, sich gegen diese Beschuldigungen weitläuffg
zu vertheidigen. Den Tod fürchtete er nicht und seine Richter konnte
er nicht achten. Uebrigens glaubte er, daß sein ganzes Leben das
sprechendste Zeugniß seiner Unschuld seyn müsse. Nur kurz und mit
edlem Stolze suchte er die Nichtigkeit der ihm gemachten Anschul-
digungen darzulegen. Ein großer Theil der boshaften und verblen-
deten Richter ward dadurch beleidigt und man vernrtheilte ihn mit
einer Mehrheit von nur 3 Stimmen zum Tod.
Seine Schüler und Freunde waren untröstlich bei dem Ge-
danken an den Verlust des geliebten Lehrers; allein an ihm selbst
bewährte sich die Kraft eines religiösen und moralischen
Sinnes, sowie die himmlische Gewalt eines reinen Bewußt-
seyns. Er tröstete seine Freunde und bestärkte sie im Guten durch
Lehren, die er ihnen selbst noch im Kerker ertheilte. — Einer seiner
Schüler, Simmias von Theben, wollte so viel Geld hergeben,
als nöthig war den Kerkermeister zu bewegen, Sokrates entfliehen
zu lassen, allein ohne seine Einwilligung durften seine Freunde na-
türlich Nichts unternehmen. Einer derselben, der treue, alte Krito n,
76
übernahm es, den Sokrates zu dem von ihnen dringend gewünschten
Entschlüsse zu bewegen. Er gieng daher am Morgen des vorletzten
Tages zu ihm. Noch schlummerte der Gute; Kriton ließ sich leise
an seinem Lager nieder und wartete, bis er erwachte. Hierauf trug
er ihm mit rührender Innigkeit die Bitte sämmtlicher Freunde vor
und fügte noch Alles hinzu, was die besonderen Verhältnisse des
Sokrates, namentlich die pflichtmäßige Sorge für seine Familie Ein-
dringendes darboten, um ihn zu bewegen, auf die Erhaltung seines
Lebens bedacht zu seyn. Sokrates ließ seinen Freund ausreden,
dankte ihm für diesen Beweis seiner Freundschaft, erklärte aber, daß
er sich, seinen Grundsätzen gemäß, den Gesetzen des Vaterlandes
nicht entziehen dürfe. Als endlich die letzte Stunde gekommen war,
forderte er selbst den Giftbecher, und als er ihn in der Hand hielt,
bemächtigte sich der Schmerz seiner Freunde mit solcher Gewalt,
daß sie in Thränen und lautes Schluchzen ausbrachen. Er allein
blieb ruhig und trank in langsamen Zügen das Gift bis auf den
letzten Tropfen. Noch jetzt tröstete er seine Schüler, im Kerker auf-
und abgehend. Als seine Füße schwer zu werden anfiengen, legte er
sich aus das Lager nieder, hüllte sich in seinen Mantel und verschied.
16. Philipp von Macedonien un- sein Sohn Älcrander
der Vroße.
Wie schon erwähnt wurde, hatten innere Uneinigkeiten die Kräfte
Griechenlands zersplittert und zerstört, und dieses gab dem listigen
Könige Philipp von Macedonien einen erwünschten Anlaß, sich
in die Streitigkeiten der griechischen Staaten einzumischen. Durch
List und Gewalt nahm er sogar einige griechische Städte weg, und
die Griechen vereinigten sich endlich gegen ihn, wurden aber geschla-
gen und mußten ihm nun den Oberbefehl in einem Rache- und
Eroberungskrieg gegen die Perser übertragen; allein während der
Zurüstungen zu diesem Kriegszuge wurde er von einem seiner Krie-
ger ermordet.
Alexander, der Sohn Philipps, beflieg nun den Thron von
Macedonien. Schon als Knabe zeigte er einen ungewöhnlichen
Muth und eine grenzenlose Ehrbegierde. Seinen Lehrer liebte
er wie einen zweiten Vater, weil er die Kunst, würdig zu leben,
von ihm gelernt habe. Er führte rasch aus, was er begonnen
hatte und züchtigte besonders Theben, weil es versuchte, sich der
macedonischen Oberherrschaft zu entziehen. Hierauf zog er als Ober-
anführer mit den Griechen über den H ellesp ont, schlug die Perser
in zwei Schlachten, eroberte das reiche Tyrus und zog sodann
nach Aegypten, welches er ebenfalls unterwarf. Hierauf gründete
er an der Mündung des Nils die Stadt Alexandria, welche,
t
77
durch ihre glückliche Lage, in der Mitte dreier Erdtheile, bald der
Mittelpunkt des Handels und der Hauptsitz der Gelehrsamkeit wurde.
Alexander drang nun in das Innere Asiens vor, schlug die
Hauptmacht des Königs Dari ns und wurde somit Herr des per-
sischen Reiches. Bis an den Indus war er siegreich vorgerückt;
aber nun wollten ihm seine Soldaten nicht mehr weiter folgen und
er mußte also umkehren. Er wählte Babylon zu seiner Residenz
und machte große Pläne über die innere Einrichtung seines Welt-
reiches. Da starb er plötzlich zu Babylon (323) und seine Feld-
herrn theilten das große Reich nach langem Streiten in mehrere
Staaten, von denen Syrien, Aegyptgm und Macedonien die
wichtigsten waren. Später kamen jedoch alle diese Länder unter die
Herrschaft der Römer, welche um diese Zeit den Grund zu einem
neuen Weltreiche legten.
17. Die Römer.
Die Stadt Rom wurde 753 Jahre vor Christus durch die
Zwillingsbrüder Romulus und Remus gegründet. Ro mulus, der
im Streite seinen Bruder Remus erschlagen hatte, wurde der erste
König des neuen Staates, der sich unter den folgenden sechs Kö-
nigen nach und nach vergrößerte und durch zweckmäßige Gesetze und
Einrichtungen immer mächtiger wurde.
Der siebente König Roms, Tarquinius der Stolze, hatte
sich durch eine willkührliche und gewaltthätige Regierung ungemein
verhaßt gemacht; das Volk empörte sich daher gegen ihn und er
wurde mit seiner ganzen Familie vertrieben, worauf man die Re-
gierung zwei Consuln übergab. Tarquinius hoffte inzwischen immer
den verlorenen Thron wieder an sich reißen zu können und unter-
hielt deshalb ein geheimes Einverständniß mit den Söhnen der vor-
nehmsten Einwohner, denen das üppige Leben am vormaligen Kö-
nigshofe besser gefallen hatte, als die strenge Zucht nach den Ge-
setzen der Republik. Auch die Söhne des Consuls Brutus und die
Neffen des Consuls Collatimls ließen sich in die Verschwörung
hineinziehen, was beiden Consuln angezeigt wurde. Jedermann
hoffte, daß man gegen die jungen Leute nicht zu strenge verfahren
und die Consuln wohl znr Nachsicht geneigt seyn würden. Aber
Brutus sprach über seine eigenen Söhne, als Verräther des Vater-
landes, das Todesurtheil aus und ließ dieses vor seinen Augen
öffentlich vollziehen. Als dieses aber geschehen war und er seine
Pflicht als Richter erfüllt hatte, verhüllte er trauernd sein Auge--
sicht und überließ sich ganz seinem Schmerz als Vater. Seinen
Mitbürgern aber hatte er das erhebende Beispiel gegeben, daß das
Gesetz über Alles heilig gehalten werden müsse, wenn ein freier
Staat bestehen solle.
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18. Horatius CocLes und Mucius Scävola.
Der vertriebene Tarquinius bat den König Porsenna von
Clusium, einer Stadt im heutigen Toskana, um Hilfe. Dieser
ließ durch Gesandte von den Römern die Wiedereinsetzung des Kö-
nigs verlangen, und da dieses verweigert wurde, so rückte er mit
seinem Heere in das römische Gebiet ein. In der Nähe der Stadt
wurden die Römer von den Clusiern zurückgeworfen und stürzten
in wilder Flucht über die Tiberbrücke dem Thore zu. Die Feinde
folgten ihnen nach und hofften, mit ihnen zugleich in die Stadt ein-
dringen zu können. Da stellte sich Horatius Cocles mit zwei an-
dern Römern am Eingänge der Brücke dem ganzen feindlichen Heere
entgegen und focht gegen dasselbe so lange, bis die Brücke hinter
ihnen abgebrochen war. Einige Zeit stund der kühne Held sogar
allein, nachdem sich seine Gefährten noch vor ihm hinüber gerettet
hatten, und hieb mit Löwenmuth um sich. Als nun der letzte Bal-
ken der Brücke gefallen und somit Rom gerettet war, stürzte er in
voller Rüstung in den Fluß hinab und schwamm unter einem Hagel
von feindlichen Pfeilen glücklich zu den Seinigen hinüber.
Jetzt belagerte Porsenna die Stadt, und es entstand in der-
selben bald eine große Hungersnoth. Da beschloß Mucius Scävola,
die Vaterstadt zu retten. Verkleidet gelang es ihm, bis in das Zelt
des Königs zu dringen, um ihn zu ermorden. Da aber die Sol-
daten, denen so eben ihr Sold ausbezahlt wurde, sich immer an
den Schreiber wandten, so hielt er diesen für den König und stieß
ihn nieder. Porsenna befahl ihn zu verbrennen; allein Mucius,
um zu zeigen, daß er den Tod nicht fürchte, streckte seine Hand in
die Flammen eines nahen Feuers, ohne eine Miene über dem hef-
tigen Schmerze zu verändern, und der König ries mit Bewunderung
aus: „Geh', ich schenke dir das Leben, denn du hast feindlicher an
dir als an mir gehandelt!" — Mucius sagte nun dem Könige,
daß 300 Römer ihm den Tod geschworen hätten, und daß er also
nirgends vor ihren Dolchen sicher seyn werde. Porsenna, hiedurch
erschreckt, schloß mit den Römern unter billigen Bedingungen Friede
und Rom war durch den Heldenmuth eines seiner Bürger zum zwei-
ten Mal gerettet.
.19. Andere edle Römer.
Die Geschichte hat uns viele erhebende und bewundernswerthe
Beispiele edler Sitteneinsalt, Uneigennützigkeit und hoher
Vaterlandsliebe ans den Zeiten der Römerrepublik aufbewahrt:
sie verdienen allgemein bekannt und beherzigt zu werden, und darum
will ich euch einige derselben erzählen.
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Während der Zeit eines schweren Krieges oder einer allgemei-
nen Noth wurde in Rom ein Diktator gewählt, dem man die höchste
Gewalt, gleich einem Könige, übertrug. Einmal wurde der Bür-
ger Cincinnatns zu dieser Würde berufen. Die Boten, welche ihm
die Nachricht überbrachten, trafen ihn, als er eben sein Feld pflügte;
er verließ den Pflug, ergriff die Zügel der Regierung, besiegte die
Feinde, und als Alles in Ordnung war, kehrte er wieder ganz be-
scheiden zu seinem Pfluge zurück.
Als die Römer mit den Samnitern Krieg führten, schickten
diese Gesandte an den Cónsul Cnrins Dentatns. Sic trafen ihn,
als er eben Rüben kochte, und hofften, ihn bei seiner Armuth durch
Geld für sich gewinnen zu können. Sie boten ihm daher reiche Ge-
schenke an, allein er wies sie lächelnd zurück und sagte: er wolle
lieber über Reiche herrschen, als selbst reich seyn.
Auf gleiche Weise wollte der König Pyrrhus von Epirus den
römischen Gesandten Fabriciiis, der so rechtschaffen als arm war,
durch Geschenke bestechen; allein er wies sie mit Verachtung zurück.
Des andern Tages wollte der König den Fabrieius, der in sein
Lager gekommen war, dadurch in Schrecken setzen, daß er plötzlich
einen Elephanten hinter einem Vorhänge hervortreten ließ, der den
Kopf des Römers zu umfassen und ihn zu erdrosseln drohte. Dieser
wandte sich aber ruhig zum Könige und sagte: „So wenig mich
gestern dein Gold lockte, so wenig schreckt mich heute
dein Thier!"
Der Arzt des Pyrrhus schrieb einst dem Fabrieius, der in-
zwischen Cónsul geworden war, einen Brief, in welchem er sich er-
bot, gegen eine gewisse Summe Geld den König zu vergiften und
so die Römer von diesem gefährlichen Feinde zu befreien. Fabrieius,
entrüstet über die Treulosigkeit des Arztes, warnte sogleich den Pyr-
rhus vor demselben. Erstaunt über den Edelmuth seines Feindes
rief der König aus: „Es ist leichter, die Sonne von ihrer
Bahn, als den Fabrieius von dem Pfade der Tugend
abzubringen."
20. Regulus.
Carthago, der mächtigste Staat in Afrika, war von den
Römern längst mit scheelen Augen betrachtet worden, und sie er-,
griffen daher einen unbedeutenden Vorwand, um mit demselben Krieg
anfangen zu können. In diesem Kriege wurde der Cónsul Regulus
von den Carthagern gefangen. Sie schickten ihn mit einer Gesandt-
schaft nach Rom, um die Römer, seine Landsleute, zum Frieden mit
den Carthagern zu bewegen. Vor seiner Abreise mußte er jedoch
einen Eid schwören, daß er wieder in die Gefangenschaft zurück-
kehren wolle, wenn der Frieden nicht zu Stande komme. In Rom
l
80
angekommen dachte er jedoch nicht auf seine Rettung, sondern for-
derte seine Mitbürger auf: keinen Frieden zu schließen, weil
er sich während seiner Gefangenschaft überzeugt habe, daß Carthago
nicht stark genug sei, den Römern lange zu widerstehen. Nun
wollten ihn die Römer bereden, nicht mehr in die Gefangenschaft
zurück zu kehren-, man erklärte seinen Eid für nngiltig, weil er er-
zwungen sei, und der Oberpriester wollte ihn sogar des Eides ent-
binden. Allein Regulus sprach: „Ich habe die unsterblichen
Götter bei meinem Schwur zu Zeugen genommen und
darum fühle ich mich verpflichtet, ihn zu-halten, ob-
gleich ich weiß, daß mich der martcrvollste Tod er-
wartet." Als die Gesandten mit Regulus wieder in Carthago
ankamen und das Volk erfuhr, daß dieser, anstatt zum Frieden, selbst
zur Fortsetzung des Krieges gerathen habe, wurde er unter den aus-
gesonnensten Qualen zu Tode gemartert; die Carthager aber muß-
ten den Frieden durch Abtretung der Insel Sicilien und mit einer-
großen Summe Geld erkaufen.
Dieser Frieden dauerte jedoch nicht gar lange. Die Carthager
suchten nämlich in Spanien Besitzungen zu erwerben und eroberten
dort die mit den Römern verbündete Stadt Saguntum, wodurch
abermal Krieg zwischen beiden Völkern entstand. Jetzt besaßen aber
die Carthager einen tüchtigen Feldherrn, welcher Haunibal hieß.
Dieser griff die Römer in ihrem eigenen Laude an und schlug sie
mehrere Male. Bald aber konnten die Römer demselben einen
ebenso talentvollen Heerführer entgegenstellen. Es war Scipio, ein
durch Besonnenheit, Einsicht und Muth ausgezeichneter junger Mann.
In kurzer Zeit hatte er alles Verlorene wieder erobert und schiffte
nach Afrika hinüber, wohin Hannibal ihm folgte. Hier wurden die
Carthager abermal geschlagen und mußten unter den härtesten Be-
dingungen Frieden schließen, ja sie dursten ohne Bewilligung der
Römer nicht einmal mit einem andern Volke Krieg anfangen.
Aber auch von diesem Schlage hätte sich vielleicht Carthago
bald wieder erholt, wenn man ihnen Ruhe gegönnt hätte; allein der
Haß der Römer gegen sie gieng so weit, daß Cato, ein Raths-
herr, seine Reden im Senate immer mit den Worten schloß: „Und
endlich sage ich euch noch: Carthago muß zerstört wer-
den!" — Die Gelegenheit hiezu bot sich bald.
Der König von Numidien hatte den Carthagcrn Land weg-
genommen; diese beschwerten sich darüber bei den Römern, und als
diese unbilliger Weise dem Numidier Recht gaben, griffen die Car-
thager zu den Waffen, um sich selbst zu schützen. Dieses wurde
von den Römern als Friedensbruch erklärt unll man sandte sogleich
ein Heer nach Carthago mit dem Auftrage, nicht mehr zurück zu
kehren, bis die Stadt zerstört sei. Zwei Jahre lang widerstand
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diese in verzweiflungsvollem Kampfe dem Römerheere; endlich aber
wurde sie erobert, von Grund aus zerstört und ihr Gebiet als rö-
mische Provinz erklärt (146).
21. Ver Kaiser Äugujlus.
Nach dieser Zeit verzehrte Rom seine Kräfte meistens durch
innere Unruhen und selbst in gräuelvollen Bürgerkriegen. Mehrere
Männer, die nach und nach zu Macht und Einfluß gelangt waren,
suchten die höchste Gewalt an sich zu reißen. Unter diesen war auch
Cäsar, ein römischer Feldherr, der in 50 Schlachten über die Feinde
gesiegt hatte. Er war von seinen Freunden und Anhängern zum
lebenslänglichen Diktator gewählt worden; da man aber
merkte, daß er nach der Königskrone strebe, wurde er ermordet, als
er eben in den Senat gehen wollte.
Glücklicher war sein Großneffe Oktavian, der nach und nach
zur königlichen Macht gelangte. Er behielt jedoch zum Scheine noch
einige republikanische Formen bei und wollte auch den Kaisertitel
nicht annehmen: dagegen erhielt er den Beinamen Augustus, d. h.
der Ehrwürdige, und die römische Republik w.ar nach einer Dauer
von 480 Jahren in ein Kaiserthum umgewandelt, das 100,000
Quadratmeilen mit 150 Millionen Menschen umfaßte.
Angustns, wie nun Kaiser Oktavian genannt wurde, regierte
mit Mäßigung und Milde, gab gute Gesetze und beschützte Künstler
und Gelehrte. Unter seiner Regierung wurde Süddentschland bis
zur Donau besiegt und zur römischen Provinz gemacht. Drlisus,
sein Stiefsohn, drang bis zur Weser und Elbe vor, legte feste Plätze
an, und zwang die Deutschen, römische Sprache, Sitten und Ge-
setze anzunehmen. VarnS, der nach Drufus den Oberbefehl erhielt,
setzte diese Bedrückungen fort, was bald eine Empörung unter den
freiheitsliebenden Deutschen veranlaßte und eine Schlacht zur Folge
hatte, wodurch die beste römische Armee und mit dieser die Römer-
herrschaft in Deutschland vernichtet wurde.
Unter August's Regierung fällt aber auch das wichtigste,
h e i l b r i n g e n d st e und fegen voll st e aller Ereigniss e, nämlich die
Geburt unseres göttlichen Erlösers, wie bereits in der Geschichte
der Juden, S. 64 erzählt wurde.
Nach dem Tode des Augustus, im Jahr 14 nach der Geburt
Jesu Christi, bestieg sein Stiefsohn Tiberios, unter dessen Regierung
der Weltheiland gekreuzigt wurde, den Thron. Er und seine
Nachfolger Caligula, Claudius und Nero waren ruchlose, laster-
hafte und schwachköpfige Tyrannen, und besonders war es der letz-
tere, der den Thron mit Schandthaten aller Art befleckte. Er er-
mordete seine Mutter, seine Gemahlin, seinen Bruder und auch seinen
Reiser, der Vvlksschüler i. d. Obers taffe. 6
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Lehrer, den edlen und weisen Sencka. Er ließ Rom anzünden, um
zu sehen, wie sich eine brennende Stadt ansnehme, und schob die
Schuld auf die Christen, die er ans das Grausamste verfolgte.
Endlich setzte der Senat den ruchlosen Tyrannen ab; er entfloh und
ließ sich in der Verzweiflung von einem seiner Diener erstechen.
Bessere Regenten waren Vespasian und sein Sohn Titus, den
man seiner Herzensgute wegen die Liebe und Wonne des mensch-
lichen Geschlechtes nannte. Unter seiner Regierung, die, leider! nur
zwei Jahre dauerte, wurden die Städte Herkulannm, Pompeji
und Stabiä durch einen Ausbruch des Vesuvs verschüttet. Die
Herzensgüte und edle Sinnesart dieses Kaisers erkennen wir un-
zweideutig ans folgender Erzählung.
22. Die Zerstörung Jerusalems.
Nach dem Tode Jesu wurden die Juden durch die römischen
Landpfleger immer mehr bedrückt, und ihre Klagen wollte Niemand
hören. Da brach der Zorn des mißhandelten Volkes furchtbar los,
und bald chtand ganz Judäa unter "den Waffen. Die römischen
Soldaten konnten, ihrer Tapferkeit und Kriegszucht ungeachtet, der
wilden Begeisterung der Empörer nicht widerstehen, und der rö-
mische Statthalter CestinS G allns entkam nur mit genauer Noth.
Dafür rächten sich aber die Römer schrecklich an den Juden in Sy-
rien und Alexandrien; die Straßen von Cäsarea, Tyrus
und Antiochien waren mit Leichen bedeckt und in wenigen Wo-
chen wurden 300,000 Juden geschlachtet. Zu Jerusalem aber rü-
steten sich die Juden zu verzweiflungsvollem Widerstand. Kaiser
Nero sandte seinen Feldherrn Vespafian und dessen Sohn Titus mit
einem Heere dahin. Inzwischen hatte Nero, wie oben erwähnt,
seinen Tod gefunden; Gülba, sein Nachfolger, war bald gestorben
und Vespasian wurde von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen.
Dieser übergab nun den Oberbefehl seinem Sohn Titus, der um
die Zeit des Osterfestes, als die Inden sehr zahlreich zu Jerusalem
versammelt waren, die Stadt einzuschließen begann. Der Vorrath
an Lebensmitteln war daher bald aufgezehrt; eine schreckliche Hnugers-
uoth brach aus und erzeugte die Pest, die fürchterlich wüthete. Um
das Maaß des Elendes voll zu machen, entstand unter den Be-
lagerten selbst Zwietracht, und die Partheien mordeten und verfolgten
sich gegenseitig mit entsetzlicher Wuth. Blut tränkte den Tempel
und die Straßen der heiligen Stadt. Immer höher stieg der Jammer.
Die Stadt Jerusalem war mit einer dreifachen Mauer um-
schlossen; die Römer hatten schon die erste und zweite erstiegen; da
sandte Titus, mild und gütig, den gefangenen Juden Iosephns
Flavins in die Stadt und forderte sie unter milden Bedingungen
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zur Uebergabe auf. Alle seine Vorschläge wurden jedoch von dm
Empörern abgewiesen; sie machten einen Ausfall, und es gelang
ihnen sogar einen Theil der Belagerungsmaschinen zu zerstören.
Da aber alle Zufuhr abgeschnitten war, stieg die Hungersnoth auf's
Höchste. Hatte Jemand noch ein wenig Mehl ausgespart, so konnte
er es nur in einem verborgenen Winkel verzehren, denn man mor-
dete den Besitzer eines Bissen Brodes, um dasselbe zu erhalten, und
kaum hatte es der Mörder an sich gerissen, so wurde er gerade des-
halb wieder von einem Andern erschlagen. Viele, die vor Noth und
Elend wie Schatten umher schlichen, stürzten plötzlich auf den Stra-
ßen todt zusammen. Es floß keine Thräne mehr; der Jammer
schien sie vertrocknet und alles Menschengefühl ausgetilgt zu haben;
ja es kam sogar vor, daß eine Mutter ihr Kind kochte und es ver-
zehrte. Titus hob klagend seine Hände zum Himmel und ries Gott
zum Zeugen an, daß er an solchen Gräueln keine Schuld trage.
Wer fliehen konnte floh; Manche kamen in das Lager der Römer;
man reichte ihnen Speise, allein sobald sie davon genossen hatten,
starben sie. Titus schonte die Wehrlosen; wer aber bewaffnet
den Römern in die Hände fiel, wurde gekreuzigt, und es mögen in
diesen Tagen wohl manche am Kreuze gemartert worden seyn, die
einst vor Pilatus gerufen hatten: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!"
Jetzt, ließ Titus die Festung Antonia stürmen und drang bis
zum Tempel vor, wo sich die Juden mit der hartnäckigsten Tapfer-
keit vertheidigten. Noch einmal bot ihnen Titus freien Abzug an,
wenn sie ihm den Tempel, den er so gerne erhalten wollte, über-
geben würden; allein alle Vorschläge wurden verworfen. Nun wur-
den Sturmleitern angelegt und Feuerbrände auf die Thore geworfen.
Bald brannten die hölzernen Thüren, die Gallerten, die Gemächer
der Priester, und schon bedrohte die Flamme den Tempel selbst.
Titus wollte denselben retten und befahl zu löschen; allein während
des Löschens fielen die Juden über die Römer her und erschlugen
so viele, als sie konnten. Ergrimmt darüber ergriff ein römischer
Soldat einen Feuerbrand und warf ihn in das Innere des Tem-
pels; bald brannte Alles lichterloh, und es war an kein Löschen
mehr zu denken. — Als nun die Juden den Tempel der Wuth der
Feinde und des Feuers preisgegeben sahen; als die Flammen die
heilige Stätte verzehrten, wo der Herr gewohnt: — da ergriff sie
Alle die Verzweiflung; aller Muth entsank den gebrochenen Herzen;
ihr Klagen und Jammern hörte man von den Bergen widerhallen,
das brechende Auge der Sterbenden heftete sich noch sehnsuchtsvoll
nach den Ruinen des Tempels, in welchen auf ewig das Glück
ihres Volkes begraben lag. So war nun auf eine schreckliche Weise
erfüllt, was der Herr geweiffygt hatte: „Kein Stein wird
auf dem andern bleiben." Ueber eine Million Juden hatten
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den Tod gefunden. Die Beute war so groß, daß der Werth des
Goldes in Syrien um die Hälfte sank.
Mehrere Völker boten dem Titus wegen dieses Sieges Kronen
an; er schlug sie jedoch mit den Worten aus: „Diese Eroberung
ist nicht mein Werk; sondern ich bin nur ein Werkzeug der gött-
lichen Gerechtigkeit!"
23. Die Ausbreitung der Kirche Jesu.
Während der Tempel zu Jerusalem in Trümmern lag und
das Gesetz Moses von der Erde zu verschwinden schien, erhob die
christliche Kirche um so herrlicher ihr Haupt. Bereits hatte sie in
den drei bekannten Erdtheilen Wurzeln gefaßt; was die Apostel so
glorreich begonnen, setzten ihre Nachfolger mit demselben Eifer unter
dem Schutze des Höchsten fort. In die fernsten Länder zogen die
Glaubensboten; zu den rohesten Völkern trugen sie das Licht; nicht
Verfolgung, nicht Marter und Tod hielt sie ab; ihre Feuerworte
erschütterten und ergriffen die Herzen mit Macht, und wer ihnen
widerstand, wurde durch Wunder und Zeichen von der Göttlichkeit
ihrer Sendung überzeugt. Es entstanden in allen Theilen des rö-
mischen Weltreichs christliche Gemeinden. Cäsarea wurde die
Hauptkirche in Palästina, die von Syrien war Antiochia, Ma-
ris, ein Schüler des Apostels Thaddäus, gründete die Kirche von
S eleu eia am Tigris, und sie entsandte Glaubensboten zu den
Parthern und Medern. In Kleinasien blühten die von den Apo-
steln gestifteten Gemeinden. Der heilige Evangelist M arkus stiftete
die Kirche zu Alexandrien, die bald als die erste nach der Mutter-
kirche zu Rom betrachtet wurde. In Carthago blühte die Kirche
schnell auf. Spanien soll der Sage nach das Evangelium von
dem Apostel Iakobus empfangen haben, und auch in Gallien
wurde das Christenthum frühe verbreitet.
In Germanien bestanden in der Mitte des dritten Jahr-
hunderts christliche Gemeinden zu Cöln, Metz und Trier, und
noch früher scheinen Glaubensboten nach Oesterreich, Tyrol und
Bayern gekommen zu seyn, um daselbst das Licht des Evangeliums
zu verbreiten.
24. Die Kirche von Nom.
Ueber alle Kirchen erhob sich schon in den ersten Zeiten des
Christenthums die Kirche von Rom, die von Petrus selbst gestiftet
worden war. Sie sollte die Mutter, die Lehrerin und Hüterin aller
übrigen Kirchen werden. Ihre Bischöfe, die Nachfolger des heiligen
Petrus, waren berufen, wie er,, die Väter der Christenheit zu wer-
den, darum heißt der Bischof von'Rom auch Papst, d. h. Vater.
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Roms Bischöfe hatten eben deshalb vor allen andern den Vor-
rang; ihrer Stimme gehorchten von jeher alle Gläubigen. Schon
in den ältesten Zeiten unterwarf sich in Glaubenssachen Alles ihrem
Ausspruch. Die uneinigen Corinther wendeten sich an den Papst
Clemens, als den Nachfolger des heiligen Petrus, statt nach dem viel
näheren Ephesus, foo doch damals noch der heilige Johannes
lebte. Der heilige Ignatius nennt die Kirche von Rom die
Vorsteherin des Liebesbundes, d. h. der ganzen Christen-
heit. Im zweiten Jahrhundert schon schrieb der heilige IrenäuS,
Bischof von Lyon: „Die römische Kirche ist die größte, älteste,
allgemein bekannte, mit welcher sich wegen ihres besondern Vorzuges
alle Kirchen vereinigen müssen." Der heilige Hieronymus er-
klärt: „Nur der ist mein Mann, der es mit dem Stuhl Petri hält."
Als die Bischöfe auf dem Concilium zu Chalcedon die Entscheidung
des Papstes Leo erhielten, riesen sie einmüthig: „Dies ist der Glaube
der Väter, der Apostel, der unsrige! Petrus hat durch Leo
gesprochen; so haben die Apostel gelehrt!"
Also haben die Christen es zu allen Zeiten gehalten; sie haben den
Papst als das sichtbare Oberhaupt der Kirche verehrt, und seinen
Entscheidungen in Dingen des Glaubens und der Sitten Gehorsam
geleistet. Die Päpste aber waren die Väter der Christenheit, der
Völker und der Fürsten; sie sorgten für die Gläubigen, schützten die
Unschuld, züchtigten den Sünder, hoben den Gefallenen auf und
sorgten unter dem Beistände des heiligen Geistes dafür, daß die
Lehre Jesu rein und unverfälscht erhalten wurde.
25. Die Christenverfolgungen.
Die Christen wurden in der ersten Zeit von den Heiden wenig
beachtet; als aber ihre Zahl von Tag zu Tag sich mehrte und die
Tempel der Götzen allmählig leer standen, wurden die heidnischen Prie-
ster für ihre Religion besorgt. — AM Haß und Furcht traten sie gegen
die Anhänger Jesu auf, und bald gelang es ihnen, ihre Besorgnisse
dem Volke sowohl, als auch den Gewalthabern mitzutheilen, indem
sie die Religion der Christen als staatsgefährlich schilderten und den
Christen allerlei Verbrechen andichteten. Man fieng daher an, die
Anhänger der neuen Lehre zu verfolgen, und da diese, gerade
dieser Verfolgungen wegen, in nächtlicher Stille ihre Gottesdienste
hielten, gab dieses auf's Neue Veranlassung zu allerlei Mißdeutungen,
Verläumdungen und Lügen, und man sagte den Christen endlich sogar
nach, daß bei ihren heimlichen Zusammenkünften ein Kind geschlachtet
werde, worauf man sein Fleisch esse und sein Blut trinke. In so
schrecklicher Weise entstellten die Heiden den Genuß des heiligen
Abendmahles.
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Mit der ganzen Wildheit jener Zeiten brach nun der Haß der
Heiden in die grausamsten Verfolgungen gegen die Christen aus.
Den Anfang machte Kaiser Nero, der Muttermörder, eines der
größten Scheusale, von welchen die Weltgeschichte erzählt. Wir
haben schon früher gehört, daß er Rom anzünden ließ und die Schuld
davon auf die Christen schob. Eine Menge derselben wurden den
wilden Thieren vorgeworfen; Viele, und unter diesen selbst der
heilige Petrus, wurden gekreuzigt; der heilige Paulus wurde
mit vielen Andern durch das Schwert hingerichtet; noch Andere
wurden in Säcke genäht, die man mit Werg ausstopfte und von
außen mit Pech übergoß; so grub man sie in die Erde und zündete
sie an, um des Nachts den kaiserlichen Garten zu beleuchten (J34).
Nach Nero's schmachvollem Ende genossen die Christen unter
den Kaisern Vespasicm und Titus Ruhe, bis nach dem frühen
Tode des Letzteren dessen Bruder Domitian den Thron bestieg und
den Nero an Grausamkell noch zu übertreffen suchte. Der folgende
Kaiser Newa that den Christen Nichts zu leid, aber der auf ihn
folgende Kaiser Trajau glaubte die Christen schon aus Klugheit
verfolgen zu müssen, um sich bei dem Volk nicht verhaßt zu machen.
Unter seiner Regierung wurden Viele, die sich weigerten den Götzen
zu opfern, gemartert und getödtet, unter diesen auch die römischen
Bischöfe Clemens und Evaristus, der 120 Jahre alte Bischof
Simeon von Jerusalem, ein Anverwandter Jesu, und der heilige
Ignatius, Bischof von Alexandrien, ein Schüler der Apostel Pe-
trus und Johannes.
Der folgende Kaiser Hadrian milderte nach und nach die Ver-
folgung, die mehr durch die Bosheit der Statthalter, als nach des
Kaisers Willen noch fortdauerte. Unter feiner Regierung errangen
der heilige Eustachius mit seiner Gattin und seinen beiden Söhnen,
sowie Symphorosa mit ihren sieben Söhnen die Märtyrerkrone.
Unter dem Kaiser Antonius Pins, der dem vorigen im Jahre
138 n. Chr. folgte, genossen endlich die Christen eine längst ersehnte
Ruhe; aber schon im Jahre 161 begannen unter seinem Nachfolger
Marc Aurel, der sonst mit vielen trefflichen Eigenschaften begabt
war, die Christenverfolgungen mit erneuter Wuth, weil der Kaiser
glaubte, daß nur in dem Heidenthume für Rom Heil zu finden sei.
Statins, der Statthalter zu Smyrna, begann die Verfolgung,
indem er alle nur erdenkliche Martern gegen die Christen anwandte.
Er ließ unter andern auch den 86jährigen Greis Polykarp ns,
der seit 70 Jahren der Kirche von Smyrna als Bischof vorstand,
vor sich rufen und befahl ihm, den Götzen zu opfern und Jesum
zu lästern. Allein Polykarpus sprach: „Wie soll ich meinen Herrn
lästern, der mich selig gemacht hat?" — Der Statthalter drohte
ihm mit den furchtbarsten Qualen; allein Polykarpus blieb stand-
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haft und erlitt mit freudigem Muthe den Märtyrertod. So starben
in allen Theilen des Reiches Tausende als Bekenner der heiligen
Lehre Jesu.
Von jetzt an gieng das römische Reich unter einer Reihe von
elenden Regenten immer mehr feinem Verfalle entgegen. Die Chri-
stenverfolgungen, deren man bis zum Jahre 312 zehn große zählt,
dauerten fort, besonders unter den Kaisern Decins und Diokletian.
Allein das Blut der Märtyrer wurde stets zur Aussaat für neue
Bekenner. Die Freudigkeit, mit welcher diese Glaubenshelden,
ja selbst zarte Kinder ihren Glauben an Jesus bekannten; die
Standhaftigkeit, mit der sie alle Qualen und Martern er-
trugen; die Zuversicht, mit welcher sie von dem ewigen Leben
sprachen, und oft in den letzten Augenblicken noch, Psalmen singend
oder für ihre Peiniger betend, Gott dankten, daß er sie gewürdigt,
zu seiner Ehre zu leiden — dieses Alles bewog viele Tausende zur
Annahme der göttlichen Lehre, und unter allen Verfolgungen blühte
die Kirche Jesu stetssort herrlicher auf.
26. Eonsiantin der Große.
Zur Zeit des Kaisers Diokletian herrschten vier Regenten
über das römische Reich. Einer derselben war Constantinus
Ch lorus, der im Jahr 306 zu Jork in England starb und seine
Würde seinem Sohne Eonstarttiii hinterließ. Da nun einer der
zuvor abgetretenen Kaiser, Maximian mit Namen, den Purpur
wieder anlegte, und seinen Sohn Maxentius zum Mitregenten
ernannte, so gab es sogar sechs Herrscher im römischen Reiche, welche
einander wechselseitig bekriegten und zu stürzen suchten.
Maxentius hatte sich mit einem ungeheuren Heere gegen
Constantin gewendet, dessen Heer durch Mühsale und Kämpfe er-
schöpft und durch zurückgelassene Besatzungen äußerst geschwächt war.
Seine Soldaten murrten laut, die Heerführer riethen zum Rückzüge
und Constantin befand sich somit in der schwierigsten Lage. Da
erschien auf ein Mal am hellen Mittage hoch über der Sonne aus
einer dunkeln Wolke ein leuchtendes Kreuz mit der Umschrift: „In
diesem Zeichen wirst du siegen." Constantin und das ganze Heer
sahen diese Erscheinung mit größtem Erstaunen. In der folgenden
Nacht erschien ihm Jesus mit dem gleichen Zeichen und befahl ihm,
dasselbe nachmachen und dem Heere vorantragen zu lassen. Dieses
geschah; und mit der Kreuzesfahne voran stürzten sich die Soldaten
Constantin'S auf die Feinde und errangen den vollständigsten Sieg.
Maxentius floh und ertrank in der Tiber, die er so oft mit dem
Blute schuldloser Gläubigen geröthet hatte.
So wurde Constantin nach und nach Alleinherrscher, nachdem
er auch den letzten seiner Mitkaiser besiegt hatte, worauf er den
Christen vollkommene Religionsfreiheit gewährte und ihnen selbst
prächtige Kirchen erbaute. Seine Mutter Helena hatte 'im hei-
ligen Lande nach langen Nachforschungen das Kreuz des Erlösers
aufgefunden und ließ auf der Stätte, wo es verscharrt gewesen war,
eine prachtvolle Kirche erbauen. Constantin wählte Byzanz, das er
mit herrlichen christlichen Tempeln schmückte, zu seiner Residenz; er
setzte das Kreuz aus seinen Palast und ließ sich endlich taufen, nach-
dem er schon vorher seine Kinder hatte christlich erziehen lassen.
Constantin, der mit Recht den Beinamen „der Große" erhielt, starb
im Jahre 337, betrauert von seinem ganzen Reiche, besonders aber
von den Christen, die endlich ungescheut ihren Gott öffentlich an-
beten durften, nachdem das Kreuz über das Heidenthum gesiegt hatte.
27. Theodosius der Große und Ambrosius.
Theodosius, ein ausgezeichneter Feldherr, war von dem Kaiser
Gratianus zum Mitregenten erwählt worden. Dieser große
Mann wurde nach Constantin der eifrigste Beförderer des Christen-
thums, indem er im Jahr 380 das Gesetz erließ, daß alle seine
Böller derjenigen Religion zugethan seyn sollten, welche der Apostel
Petrus die Römer gelehrt habe. Er verbot alle Arten des Götzen-
dienstes und ließ überall die Denkmäler desselben wegräumen. Bei
Vollziehung dieses Gebotes sahen die Aegypter mit Entsetzen und
Beschämung, daß ihre Priester sich hohler Bildsäulen zum Betrüge
bedient und ans denselben heraus ihre Sprüche verkündigt hatten,
gleich als hätten die Götter selber gesprochen.
Schon im Jahre 311 hatte Arius, ein Priester aus Alexan-
drien, die Irrlehre aufgestellt: Jesus Christus sei zwar vor der
Welt, aber doch, wie diese, von Gott aus Nichts erschaffen wor-
den; Er sei daher keineswegs mit Gott dem Vater von gleicher
Wesenheit, sondern ihm nur ähnlich und der erhabenste unter
den erschaffenen Geistern.
Diese Irrlehre wurde auf einem Concil zu Alexandrien, dem
an 100 Bischöfe beiwohnten, mit Abscheu verworfen und Arius aus
der Kirche gestoßen. Seine Anhänger hießen Arianer, und durch
sie wurden viele Streitigkeiten, Verfolgungen und Gewaltthätigkeiten
gegen die rechtgläubigen Christen veranlaßt.
Diese Sekte hob zur Zeit des Theodosius ihr Haupt wieder
empor, und kurz zuvor hatte Macedonius, der Patriarch von
Constantinopel, die Kirche mit einer neuen Ketzerei zu verwirren ge-
sucht. Er läugnete nämlich die Gottheit des heiligen Geistes und
behauptete, er sei tief unter dem Vater und dem Sohne. Diese
Irrlehren, welche schon früher der heilige Athanasius verdammt
89
i
hatte, wurden auch jetzt wieder auf einem Concil zu Constantinopel
unter der Regierung des Theodosius verworfen (381).
Der Kaiser Gratian wurde bald nachher in einer Empörung
getödtet, und Theodosius war jetzt Alleinherrscher.. Da empörten sich
die Einwohner von Thessalonich gegen den kaiserlichen Statt-
halter, den sie mit vielen seiner Leute ermordeten. Der sonst so
edle Kaiser ließ sich in der Hitze seines Zornes zu dem grausamen
Befehle verleiten, die Empörer niederzuhauen, und es wurden 7000
Menschen, Schuldige und Unschuldige getödtet. Mit Entsetzen ver-
nahm das ganze Reich die Kunde von dieser grausamen That. Der
Kaiser hielt sich damals zu Mailand auf, wo der heilige Ambro-
sius Bischof war. Dieser schrieb an den Kaiser, stellte ihm die
Größe seines Verbrechens vor, forderte ihn auf, dasselbe durch die
strengste Buße zu tilgen und erklärte ihm, daß — wofern dies nicht
geschehen würde, er dem heiligen Abendmahle nicht beiwohnen könne.
Als nun Theodosius, durch dieses Schreiben gerührt, bald nachher
in der Hauptkirche seine Andacht verrichten wollte, trat ihm der
ehrwürdige Bischof entgegen, und nachdem er ihm noch einmal die
Größe seines Verbrechens vorgehalten, ries er aus: „Wie willst du
die Hände zum Gebet aufheben, die noch von dem Blute der Er-
mordeten triefen? — Gehe also hinweg und vermehre nicht die be-
gangenen Sünden mit neuen! Nimm den Bann willig an, den
Gott der Herr aller Herren billigt. Dieser Bann hat eine heilende
Kraft und vermag die Gesundheit der Seele wieder herzustellen."
Theodosius sagte, sich entschuldigend: „Auch David hat gesündigt!"
Allein Ambrosius erwiderte: „Hast du David in der Sünde nach-
geahmt, so folge ihm auch nach in der Buße." Reuig und mit
einer Demuth und Selbstverläugnuug, die ihn mehr zierte, als die
Krone des Reichs und der Ruhm seiner Thaten, that der Kaiser
Buße, acht Monate lang in Abgeschiedenheit, in Gebet und Fasten
zubringend. Als ihn sein Minister Rufinus bat, seinen Kummer zu
mindern, sprach Theodosius: „Ach, du kennst die Größe meines
Kummers nicht! Siehe den Sklaven und Bettlern steht das Heilig-
thum des Herrn offen und sie gehen ungehindert hinein und beten zu
ihrem Gott; mir aber ist der Eintritt versagt und verschlossen sind
mir die Pforten des Himmels, denn ich gedenke des Wortes, das der
Herr geredet: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das soll
auch im Himmel gebunden seyn."
Auf die inständigen Bitten des Kaisers nahm Ambrosius end-
lich dm Bann von ihm, und als er zum ersten Male die Kirche
wieder betrat, zog er seinen Kaisermantel aus, warf sich zur Erde
nieder, und unter Thränen rief er aus: „Meine Seele klebt am
Staube; erquicke Du mich nach Deinem Worte!" — Das Volk
weinte und betete mit dem büßenden Kaiser, und Ambrosius reichte
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ihm endlich die heilige Eommunion; er aber setzte seine Buße
stille fort bis an sein Ende und erließ auf Verlangen des heiligen
Bischofs das Gesetz, daß kein Todesurtheil mehr vor dreißig Tagen
vollzogen werden dürfe, damit der Kaiser Zeit gewinnen möge, vor-
eilige Todesnrtheile zu widerrufen.
Theodosius starb 395 und hinterließ das Reich seinen zwei
Söhnen, welche sich in die Regierung theilten. Are ad ins erhielt
das Morgenland mit der Hauptstadt Constantinopel und Ho-
norins das Abendland mit der Hauptstadt Rom. Von nun
an gab es also zwei römische, von einander ganz unabhängige
Kaiserreiche, von denen jedoch das abendländische unter meh-
reren schwachen Regenten bald seiner Auslösung entgegen gieng. Im
Jahre 476 setzte nämlich Odoaker, der Anführer deutscher Volks-
stämme, die den Römern als Hilfsvölker dienten, den letzten Kaiser
Romulus Angustulus ab, und gründete so das erste deutsche
Königthum in Italien. Nach 17 Jahren wurde ihm jedoch sein
Reich durch die Ostgothen, die damals in Pannonien oder Ungarn
wohnten, wieder entrissen, indem diese ihn besiegten, zum Tode ver-
urtheilten und ihren geliebten Theodorich zum Könige von Italien
ausriefen.
Das morgenländische Kaiserthum erhielt sich fast 1000
Jahre länger und wurde besonders durch Iustinian wieder zu
großer Macht erhoben. Seine Feldherrn Narfes und Belisar
zerstörten das vand alische Reich in Afrika und eroberten das nach
Theodorich wieder tiefgesunkene ostgothische Reich, welches aber später
von den Langobarden in Besitz genommen wurde. Auf Iustinian
folgten meistens Regenten, die keiner besondern Erwähnung werth
sind und unter denen nach und nach die schönsten Provinzen an aus-
wärtige Feinde verloren giengen. Dennoch erhielt sich das ost-
römische Kaiserthnm bis zum Jahre 1453, wo es die Türken
zerstörten und auf seinen Trümmern das türkische Reich gründeten.
28. Die altcu Deutschen.
Deutschland, unser Vaterland, war vor 2000 Jahren ein un-
freundliches, rauhes und kaltes Land, voller Sümpfe und Wal-
dungen, welch' letztere vielen wilden Thieren, wie z. B. Bären, Wöl-
fen und Auerochsen zum Aufenthalte dienten. Sogar das Rennthier,
das nur in einem kalten Klima leben kann und jetzt nur noch in
den nördlichsten Erdgegenden heimisch ist, wurde ehemalsin Deutsch-
land häufig gefunden. Auch die Bewohner unseres Vaterlandes,
unsere Urväter, die alten Deutschen, waren damals so wild und
rauh, wie ihre Heimat. Sie wußten Nichts von Wissenschaft und
Bildung; sie kannten keine Schrift, trieben keine Gewerbe, hatten
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keine Münzen, ja nicht einmal ordentliche Wohnungen und Kleider.
Sie wohnten in Höhlen und Hütten, die sie aus Baumstämmen er-
bauten und mit Rasenstücken oder Thierfellen bedeckten. Die Häute
von Thieren, die sie auf der Jagd erlegt hatten, dienten ihnen als
Kleider und zur Nachtzeit als Betten. Sie scheuten die Arbeit und
lagen oft ganze Tage aus ihrer Bärenhaut in ihren Hütten, woher
es auch kommt, daß man jetzt noch einen faulen Menschen einen
Bärenhäuter nennt.
Die angenehmste Beschäftigung war für sie die Jagd; auch
liebten sie das Spiel so sehr, daß Mancher all' seine Habe, seine
Waffen, seine Kinder, ja sogar seine eigene Freiheit verspielte und
dem Gewinnenden willig als Sklave folgte. Auch die Liebe zum
Trünke war ein Hauptfehler unserer Vorväter. Man bereitete näm-
lich schon damals aus Gerste ein dem Bier ähnliches Getränke, mit
welchem sie sich öfters berauschten. — Bei diesen Fehlern besaßen
die alten Deutschen aber auch eben so große Tugenden. Ihre Auf-
richtigkeit, Redlichkeit und Treue dürften uns jetzt noch zum
nachahmungswürdigen Muster dienen. Nie brach der deutsche Mann
sein Wort; es wurde treuer gehalten, als jetzt manchmal der hei-
ligste Eid. Die Tapferkeit unserer Väter, bei ihrer körperlichen
Größe und Stärke, machte sie gefürchtet und berühmt bei allen um-
wohnenden Völkern.
«schon im Jahre 113 v. Chr. wollten mehrere germanische
Volksstämme in das römische Gebiet eindringen, um ihre rauhe und
kalte Heimat mit wärmeren und gesegneteren Gegenden zu vertau-
schen. Die Römer geriethen in Schrecken über das Aussehen und
die Tapferkeit dieser Barbaren, wie sie die Germanen nannten.
Fünf gegen sie gesandte römische Heere wurden geschlagen und un-
aufhaltsam drangen die Deutschen vorwärts. Da rettete Marius,
ein rauher, kriegerischer Mann, das Vaterland. Er schlug die Teu-
tonen bei Aquä Sextiä (jetzt Aip in Südfrankreich) und ein Jahr
später die Cimbern in der Gegend von Verona, und Rom war
von der drohenden Gefahr wieder befreit.
Dies sind die ältesten Nachrichten, die wir über das deutsche
Volk besitzen. Als Cäsar Gallien unterworfen hatte, gieng er selbst
zwei Mal über den Rhein, um Gallien gegen die Einfälle der ge-
fährlichen Nachbarn zu schützen. Er schätzte die Deutschen wegen
ihrer Treue und Tapferkeit und nahm Viele von ihnen gegen die
Gallier und nachher gegen andere Feinde Noms in Sold. Als aber
Augustus die Herrschaft über die Römer erlangt hatte, ließ er Fe-
stungen am Rhein anlegen, und Drusus, sein Stiefsohn, machte
bedeutende Eroberungen im Westen und Norden Deutschlands. Nach
ihm führte Tiberius zwei Jahre lang den Oberbefehl über das
römische Heer in Deutschland. Er suchte die Deutschen mehr durch
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List als Gewalt zu unterwerfen und wußte, wie früher Cäsar, sie
zu Kriegsdiensten im römischen Heere zu bereden; auch die kaiser-
liche Leibwache war fast ganz aus Deutschen gebildet. So kamen
viele junge Deutsche, unter diesen auch Hermann oder Armin, der
Sohn eines.Cheruskerfürsten, nach Rom, lernten dort die römische
Kriegskunst näher kennen, und Letzterer erwarb durch seine Tapfer-
keit sogar die römische Ritterwürde.
29. Die Hermannsschlacht.
Als Hermann wieder in sein Vaterland zurückkehrte, führte
der römische Feldherr Varus den Oberbefehl in Deutschland und
gab sich alle Mühe, römische Gesetze, Sitten und Sprache daselbst
einzuführen. Er zog die Deutschen vor sein Gericht, legte ihnen
entehrende Strafen auf und erlaubte sich Bedrückungen aller Art.
Mit tiefem Schmerz sah Hermann die schmähliche Erniedrigung sei-
nes Vaterlandes und befürchtete die baldige vollständige Unterjochung
seines sonst so hochherzigen und freiheitsliebenden Volkes. Mit ge-
wandtem Geiste und kühnem Muthe faßte er den großen Plan zur
Befreiung Deutschlands, verband sich im Geheimen mit den Häupt-
lingen mehrerer deutschen Volksstämme und trat selbst an die Spitze
der Verschwörung.
Als nun die Deutschen gerüstet waren, mußten die Völker an
der Ems, Lippe und Weser Unruhen erregen. Hermann, zum
Scheine noch immer ein Freund der Römer, befand sich, als die
Nachrichten hievon im Lager anlangten, selbst bei dem Feldherrn
Varus und beredete diesen, in Person mit seinem ganzen Kriegs-
heere gegen die Aufrührer zu ziehen, um diese empfindlich zu züch-
tigen. Varus folgte diesem Rath, obwohl S egest es, Hermann's
Schwiegervater, aus Haß gegen seinen Schwiegersohn, den Feldherrn
warnte und ihm sogar rieth, Hermann und alle übrigen Anführer
der Deutschen, die noch im römischen Heere dienten, fesseln zu lassen,
weil er wisse, daß sie den Römern Verderben geschworen hätten.
Varus gab jedoch dieser Warnung kein Gehör. Mit seinem ganzen
Heere, bestehend aus 3 Legionen und 6 Cohorten (ungefähr 21,000
Mann) der besten römischen Soldaten nebst vielen Wagen, brach er
auf, um die entstandenen Unruhen mit Gewalt zu unterdrücken.
Hermann erhielt sogar den Befehl über die Nachhut des Heeres,
welche ganz aus deutschen Hilfstruppen bestand. Er benützte hie
ihm dadurch gegebene Gelegenheit sogleich, um im Rücken des Heeres
die Straßen und Brücken zu zerstören und dadurch den Rückzug
unmöglich zu machen. Hierauf vereinigte er sich mit andern Deut-
schen, und als die Römer durch wilde, morastige Gegenden, mitten
im Teutoburger Wald, gekommen waren, stürzten die Deutschen von
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allen Seiten auf sie los, während sie von Hermann im Rücken an-
gegriffen wurden. Vergebens suchte Varus sein zerstreutes Heer zu
sammeln, umsonst ließ er seine überflüssigen Packwagen verbrennen;
weder das Fußvolk noch die Reiterei fand in dieser Wildniß Raum,
um die römische Kriegskunst zu bewähren. Zwei Tage und zwei
Nächte lang, unter fortwährendem Regen, dauerte der schreckliche
Kampf und endete mit der vollkommensten Niederlage der Römer,
von denen nur wenige den deutschen Schwertern entrannen, um die
Schreckensbotschaft nach Rom zu bringen. Varus wurde selbst
schwer verwundet und stürzte sich in sein eigenes Schwert, um den
Feinden nicht lebendig in die Hände zu fallen.
Dieses große Ereigniß im Jahr 9 nach Christus rettete die
Freiheit unserer Väter, und dem kühnen deutschen Helden Hermann
verdanken wir, daß wir noch Deutsche sind und daß noch deutsch
auf der Erde gesprochen wird. In Rom aber verbreitete die Nach-
richt von dieser Niederlage Angst, und Schrecken, und der Kaiser
Augustus war darüber so bestürzt, daß er gleich einem Wahn-
sinnigen den Kopf an die Wand stieß, seine Kleider zerriß und mehr-
mals verzweifelnd ausrief: „Varus, Varus, gieb mir meine Le-
gionen wieder!" Die Römer fürchteten sogar, daß die Deutschen
nach Italien vordringen und Rom angreifen würden; allein diese
freuten sich, ohne ihren Sieg weiter verfolgen zu wollen, der wieder-
erlangten Freiheit, und der Name ihres hochherzigen Retters
wurde hoch gefeiert.
30. Die Völkerwanderung.
In dem Zeitraume von dem Siege über die Römer bis gegen
Ende des vierten Jahrhunderts bekriegten deutsche Volksstämme sich
oft wechselseitig, und es war keine Eintracht mehr unter ihnen wahr-
zunehmen. Mehrere Völkerschaften trachteten nach fruchtbareren Wohn-
plätzen unter einem milderen Himmel. Von jetzt an wurden die
Römer öfter durch vereinigte deutsche Stämme innerhalb ihrer Gren-
zen angegriffen, und diese Einfälle wurden für das römische Reich
bald um so gefährlicher, weil die Deutschen selbst von einem neuen
furchtbaren Feinde in ihrem Rücken gedrängt wurden.
Um das. Jahr 375 brachen die Hunnen, ein mongolischer
Volksstamm, aus Asien herüber und setzten über die Wolga, wo sie
die Alanen trafen und mit sich fortrissen. Im südlichen Rußland
stießen sie auf die Ostgothen, welche sich theils mit ihnen vereinig-
ten, theils zu den Westgothen zurück wichen. Diese zogen von Ruß-
land und Polen her gegen das oströmische Reich, schlugen den Kaiser
Valens, durchstreiften ganz Griechenland, wendeten sich gegen Rom,
welches sie im Jahr 410 eroberten, und gründeten einige Jahre
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später in Spanien und Südgallien ein Reich, das längere Seit stark
und mächtig blieb.
Die Sueben, Burgunder und Vandalen, die an den Küsten
der Ostsee gewohnt hatten, zogen ebenfalls nach dem Süden. Die
Vandalen setzten später nach Afrika hinüber und gründeten dort, wo
ehemals die Carthager geherrscht, ein deutsches Reich unter ihrem
König Geiserich. Von hier aus zogen sie nach'Italien hinüber und,
erstürmten und plünderten Rom 14 Tage lang. Mit furchtbarer
Wuth zerstörten sie die schönsten und herrlichsten Kunstwerke, und
daher wird noch jetzt jede rohe Zerstörung eines Kunstgegcnstandes
„Vandalismus" genannt. Das vandalische Reich wurde endlich
von Belisar, einem Feldherrn des oströmischen Kaisers Justinian
zerstört.
Die Angeln und Sachsen setzten nach England hinüber, das
von ihnen den Namen erhielt. Sie hatten den Briten gegen die
Pikten und Schotten Hilfe geleistet, behielten aber nachher das be-
freite Land für sich.
Die Langobarden waren von den Usern der Nordsee nach dem
nördlichen Italien gezogen, wo sie das mächtige Longobardenreich
mit der Hauptstadt Pavia gründeten. Die Franken, welche bisher
an der rechten Seite des Rheins wohnten, besiegten unter ihrem
König Chlodwig die Römer, die bis dahin Gallien beherrschten,
nahmen dasselbe in Besitz und machten sich auch die Alemannen,
Thüringer und Burgunder zinsbar.
So wurde durch die Völkerwanderung eine mächtige Ver-
änderung aller Verhältnisse fast aller Länder der damals bekannten
Erde veranlaßt. Die Völkerwanderung veränderte Staaten und
schuf neue Sprachen; durch sie entstanden neue Sitten, Verfassungen
und Gesetze; sie erzeugte eine neue Ordnung der Dinge und gab
allen menschlichen Verhältnissen einen neuen Umschwung, wodurch
die Zukunft der Völker bis auf die spätesten Zeiten vorausbestimmt
und vorbereitet wurde.
31. Attila, die Geißel Gottes.
Die Hunnen, die sich seit ihrem ersten Erscheinen in Europa
in den weidereichcn Gegenden Südrußlands umhergetrieben und so-
dann in Ungarn niedergelassen hatten, waren mit einem Heere von
700,000 Streitern unter ihrem König Attila, der sich selbst die
Geißel Gottes nannte, durch Deutschland gezogen und unter
schrecklichen Verwüstungen über den Rhein nach Frankreich einge-
drungen. Schon das Aeußere dieser häßlichen Menschen war schrecken-
erregend. Ein alter Schriftsteller schildert dieselben in folgender
Weise: „Die. Hunnen sind klein und dick, haben fleischige Hälse
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und breite Schultern; der Kopf ist übermäßig groß, und das Ge-
sicht, aus dem die kleinen Augen wild herausblitzen, ist ungewöhnlich
breit. Sie zerschneiden sich in ihrer Kindheit mit unzähligen Rissen
Kinn und Wangen, um durch die vielen Narben das Wachsen des
Bartes zu unterdrücken. Lue leben von Wurzeln und rohem Fleisch,
das sie als Sattel auf das Pferd legen und durch Reiten mürbe
machen. Von ihrer Kindheit an streifen sie auf Bergen und in
Wäldern umher und lernen Hunger und Kälte ertragen. Sie tragen
leinene Kittel und Pelze von Waldmäusen; die Beine aber umwickeln
sie mit Bocksfellen. Von ihren Pferden sind sie unzertrennlich; sie
essen, trinken und schlafen daraus. Ackerbau und Handwerke, Re-
ligion und Gesetze kennen sie nicht. Treu' und Glauben sind bei
ihnen unbekannte Dinge; sie wissen, wie die wilden Thiere, Nichts
von Recht und Unrecht. Der Krieg ist ihr Leben, und es folgen
ihnen dahin ihre schmutzigen Weiber und ungestalteten Kinder aus
zahllosen, mit Fellen überzogenen Wagen. Die Schlacht beginnen
sie mit einem fürchterlichen Geheul. Wie der Blitz fliegen sie herbei
und kehren eben so schnell wieder zurück; kaum wird man sie gewahr,
so sind sie auch schon da und stürmen die Verschanzungen oder plün-
dern- das Lager."
Diesen wilden und gefürchteten Horden stellte sich in Frankreich
ein römischer Feldherr, mit dem sich einige deutsche Volksstämme
verbunden hatten, entgegen. Aus den catalaunischen Feldern kam es
zur Schlacht, der blutigsten vielleicht, die je in Europa geschlagen
wurde; denn fast 200,000 Leichen bedeckten die Wahlstatt, und den-
noch war der schreckliche Hunnenkönig nicht besiegt, sondern nur zu-
rückgedrängt.
Das nächste Jahr brach Attila von Pannonien aus in Italien
ein. Die rauchenden Trümmer zerstörter Städte bezeichneten den
Weg des häßlichen, wilden Menschenschwarmes und Furcht und
Schrecken giengen vor ihnen her. Viele Bewohner der adriatischen
Meeresküste flüchteten sich auf die nahen Inseln, bauten sich später
dort an und legten so den Grund zu der nachmals durch Handel
und Schifffahrt so berühmt gewordenen Stadt und Republik Vene-
dig. Rom selbst schwebte in größter Gefahr; da zog Papst Leo
der Große an der Spitze einer Gesandtschaft dem unwidersteh-
lichen Sieger entgegen, sein Leben wagend für die ihm anvertraute
Heerde. Aber siehe da! die Bitten des gottbegeisterten Oberhirten
rührten das eisenumpanzerte Herz des Wütherichs; die ihm ange-
drohte Rache des Himmels schreckte ihn; die Schrecken des Todes
wandelten ihn an; er kehrt plötzlich mit all seinen Schaaren um,
und Rom ist gerettet!
Bald darauf starb Attila, der Schreckliche! Seine Hunnen
legten ihn in einen goldenen Sarg, diesen in einen silbernen und
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beide in einen eisernen. Darauf begrub man ihn mit Pferdezeug
und Waffen unter kriegerischen Gesängen; dann wurden Alle, welche
an seinem Grabe gearbeitet hatten, umgebracht, damit Niemand ver-
rathe^, wo der große Hunnenkönig begraben liege. Die Herrschaft
der Hunnen zerfiel und sie zerstreuten sich wieder in den weiten
Steppen Asiens.
32. Die Glaubensboten in Deutschland.
Schon in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung war
das Licht der Christuslehre in Süddeutschland eingedrungen, denn
schon im Anfang des vierten Jahrhunderts werden der heilige
Florian und die heilige Afra als die ersten Märtyrer in Deutsch-
land genannt, und im folgenden Jahrhundert finden wir den heiligen
Valentin in Passau und den heiligen Severin in Oesterreich
rastlos thätig die Lehre Christi zu verbreiten. Im mittleren und
nördlichen Deutschland dagegen herrschte noch allgemein das Heiden-
thum. Da kamen aus dem fernen Irland herüber, wo schon früher
der heilige Patricius die göttliche Lehre verbreitet hatte, fromme,
gotterlenchtete Männer; diese scheuten weder Mühseligkeiten noch
Gefahren, um den Heiden das Licht des Evangeliums zu bringen.
Einer der ersten dieser Glaubensboten war der heilige Fridolin,
der aus einer der vornehmsten Familien Irlands abstammte, aber
dem Herrn zulieb auf Reichthümer, äußeren Glanz und alle Ge-
nüsse des Lebens verzichtete, um Schätze höherer Art zu gewinnen
und auch Andere derselben theilhaftig zu machen. Er durchzog
lehrend und predigend ganz Frankreich und kam von dorther nach
Deutschland, wo er besonders aus dem Schwarzwald segensvoll
für das Christenthum wirkte, und mehrere Kirchen und Klöster
griindete.
Ein Jahrhundert später kam der heilige Columb an mit seinem
Schüler Gallus und zehn andern Gefährten ebenfalls nach Frank-
reich und von da in die Schweiz. In Bregenz fanden sie ein der
heiligen Aurelia geweihtes Kirchlein, das aber inzwischen in einen
heidnischen Tempel umgewandelt worden war. Als in demselben
eben viel Volk versammelt war, fieng Gallus an zu predigen und
verkündigte die reine Lehre des Evangeliums, worauf er die Götzen-
bilder zertrümmerte und in den See warf. Daraus weihte er die
Kapelle wieder zum christlichen Gottesdienste ein. Drei Jahre ver-
weilten die frommen Glaubcnsboten in dieser Gegend; allein die
Hartnäckigkeit der verblendeten Heiden vertrieb sie endlich wieder.
Der heilige Gallus mußte, von einer Krankheit ergriffen, zurück-
bleiben. Nach seiner Genesung zog er sich in das Gebirge zurück,
baute dort eine Zelle, lehrte von da aus das Volk und legte den
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Grund zu dem Kloster Sankt Gallen. In Sonstanz besonders
hatten seine Predigten willige Zuhörer gefunden und viele Herzen für
das Reich Gottes gewonnen, so daß einmal Alles ausrief: „Fürwahr,
Gottes Geist hat heute durch den Mund dieses Mannes zu uns
geredet!" Man bot ihm die bischöfliche Würde an;,allein er wies
sie demüthig zurück so wie auch das Amt eines Abtes von Luxen
und starb zu Arbon im Jahr 627.
Auch nach Deutschland waren die irischen Glaubensboten ge-
kommen. Predigend und lehrend durchzogen Trudpert und Pir-
min ins ganz Schwaben, während der heilige Emeran zu
Regensburg, der heilige Kilian zu Augsburg, der heilige Wili-
bald zu Eichstädt, der heilige Corbinian zu Freising und der
heilige Rupert zu Salzburg die Lehre Jesu verkündigten und bie-
selbe mit ihrem Blute bekräftigten. Die größten Verdienste um
Verbreitung des Christenthums in Deutschland erwarb sich jedoch der
heilige Bo nifacius, der daher auch vorzugsweise der Apostel der
Deutschen genannt wird. Auch er war aus England herüber
gekommen von dem Drange erfüllt, den Heiden die Lehre des Heils
mitzutheilen. Er kam zuerst zu den Friesen und sodann zu den
Hessen. Die Hoheit seiner Gestalt, die Feuerkraft seiner Worte, die
Liebe und Milde, die sein ganzes Wesen verklärte, zogen unwidersteh-
lich an. Die heidnischen Deutschen kamen schaarenweise aus ihren
Wäldern hervor, den gelehrten Fremdling zu hören, der ihre Sprache
so geläufig redete und die Sagen ihrer Väter kannte. Viele Heiden
ließen sich taufen, und zwei Brüder wurden von seinen Reden so
tief bewegt, daß sie ihm ein großes Stück Land, Namens Amöne-
burg, zum Geschenke machten, wo er dann eine Kirche und ein Kloster
erbaute. Darauf berief ihn der Papst nach Rom, weihte ihn zum
Bischof und sandle ihn wieder nach Deutschland zurück, um das an-
gefangene Werk der Bekehrung weiter fortzusetzen. Er kam abermal
nach Hessen, wo es noch viele Heiden gab. Bei Geismar traf er
eine Eiche von ungewöhnlicher Größe, die dem Gott des Donners
geweiht und ein Gegenstand der höchsten Verehrung war. Boni-
facius beschloß sie umzuhauen und ließ sich durch die Drohungen der
Götzenpriester, die ihr Heiligthum schützen wollten, nicht abschrecken.
Sie glaubten, daß der Donnergott selbst seine Blitze auf den Frev-
ler herabschleudern werde und standen in scheuer Erwartung umher,
als der heilige Mann selbst eine Axt ergriff und die Eiche fällte.
Als sie aber sahen, daß ihm Nichts widerfuhr, entsagten sie ihren
unmächtigen Göttern und ließen sich taufen. Aus dem Holz der
Eiche aber ließ Bonisacius eine kleine Kapelle erbauen. Im Be-
griffe, die Bekehrung der Sachsen mit dem regsten Eifer zu be-
treiben, vernahm Bonisacius die traurige Nachricht, daß die Friesen
nach dem Tode ihres Bischofs Wilibrod vom Glauben abgefallen
Reiser, der Nolksschüler i. d. Obcrklafse. ?
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seien. Dies durchschnitt ihm das Herz; es waren ja diejenigen, die
er in seiner Jugend schon dem Herrn zugeführt hatte; diese konnte
er unmöglich verloren geben. Der 85jährige Greis griff also nach
dem Wanderstabe. „Der Tag meiner Wanderschaft ist nahe,"
sprach er zu ejnem seiner Schüler; „ich habe diesen Gang gewünscht,
und Nichts kann mich davon abhalten; darum laß Alles in Bereit-
schaft setzen und packe zu meinen Büchern das Todtentuch, welches
meinen allen Leib bedecken soll." Daraus zog er mit zehn Gefähr-
ten den Fluß hinab gegen Utrecht und predigte das Wort des leben-
digen Gottes. Noch hatte seine Stimme die alte Kraft und bald
waren mehrere Tausende für das Reich Gottes gewonnen. Da
kam der fünfte Iunius des Jahres 755. Bonifaeius stand eben
im Begriffe das heilige Opfer darzubringen, als eine Schaar be-
waffneter Friesen gegen die Zelte der Christen losstürmte, die sich
schnell zur Vertheidigung rüsteten. Da trat der Heilige mit seiner
Geistlichkeit vor sie hin, und ries: „Kinder! lasset ab vom Kampfe
und gedenket, daß das Wort Gottes uns gebietet, Böses mit Gutem
zu vergelten. Dieser Tag ist es, wonach ich mich schon lange ge-
sehnt habe, -und jetzt ist die Stunde unserer Befreiung gekommen."
Zu seinen geistlichen Gefährten sprach er: „Brüder! seid standhaft
und fürchtet nicht jene, die Nichts über die Seele vermögen, sondern
freuet euch in Gott und in Christo, der euch bei den Engeln Woh-
nungen bereitet. Beklaget nicht die eitlen Freuden dieser Welt, son-
dern vollendet ruhig den kurzen Gang des Todes, der euch in das
ewige Königreich einführt." — Ruhig erwartete er mit den Seini-
gen die wüthenden Heiden, und verklärten Angesichts empfieng er den
Todesstreich.
So hatte der Heilige die Marterkrone erhalten, die er längst
ersehnt hatte. An seinem Grabe trauerte die Kirche über den Tod
ihres treuesten Sohnes, und die Bekehrten weinten wie Kinder um
ihren liebsten Vater. Jetzt erhebt sich ein Denkmal auf der Stelle,
wo er seinen Tod fand, ein Zeugniß, daß noch nach tausend Jahren
die Enkel erkennen, was der Heilige den Vätern gethan. Die Saat
aber, die er gesäet, keimte und wuchs zum Segen und Heil der
Völker für alle kommenden Geschlechter.
33. Das Frankenreich.
Das fränkische Reich war bis zum Anfang des achten
Jahrhunderts sehr mächtig geworden. Es war dieses^ jedoch nicht
das Verdienst der Regenten selbst, von welchen besonders Childerich III.
als sehr schwach und geistesarm geschildert wird; es war vielmehr
die Kraft und Einsicht ihrer Hausmcier oder Minister, wodurch
das Reich sich auf eine so hohe Stufe der Macht und des Ansehens
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erhoben hatte. Von diesen fränkischen Hausmeiern sind besonders
Karl Martell und sein Sohn Pipin der Kleine berühmt ge-
worden und Beide waren zugleich auch mächtige Stützen der christ-
lichen Kirche.
Das fränkische Volk, seines untüchtigen Herrschers überdrüssig,
ries Pipin als König aus und Childerich wurde in ein Kloster
geschickt. Der neue König herrschte mit Ruhm und Glück, war ver-
ehrt von seinen Nachbarn und genoß die Liebe seiner Unterthanen
in vollem Maaße.
Zur Zeit seiner Regierung sielen die damals mächtigen Longo-
barden erobernd in das römische Gebiet ein. Der Papst verlangte
Hilft von dem Kaiser von Constantinopel, allein vergebens; da
wandte er sich an Pipin, der sogleich von dem Longobardenkönige
Aistulph alles Eroberte zurückfordern ließ, und als dieser trotzig
widersprach, sogleich gegen ihn zu Feld zog. Die Longobarden
wurden besiegt, und Pipin schenkte alles Land, das er ihnen abge-
nommen, dem römischen Stuhl. Als aber der oströmische Kaiser
dagegen Einsprache erhob, weil dieses Land hdas Eparchat) zuvor
ihm gehört hatte, das er aber aus des Papstes Anrufen nicht selbst
aus den Händen der Longobarden befreien mochte, so erklärte Pipin,
indem er die Schenkungsurkunde und die Schlüssel von 22 eroberten
Städten aus den Altar des heiligen Petrus niederlegte: „Nicht für
den Kaiser von Constantinopel habe ich diesen Feldzug. unternom-
men, sondern zu Ehren des heiligen Petrus und zur Sühnung meiner
Sünden."
So entstand der Kirchenstaat, indem dieser Schenkung später
noch mehrere beigefügt wurden und auch die Römer sich aus freiem
Willen unter die Hoheit des Papstes stellten.
34. Pipin der Kleine.
„Der Stärkste soll König der Starken seyn,
„Der Grösste Herrscher der Grossen!
„Nicht ziemt's, dass Jenem, so schwach und klein,
„Die mächtigen Recken Gehorsam weih’n;
„Zu Childerich sei er verstossen !“
So murmelt's frecher und frecher im Heer,
So höhnen die stolzen Vasallen.
„0 seht auf die Franken, ihr Völker, her,
„Der Kleine, der Kurze, ihr Fürst ist er,
„Wohl wird es euch herrlich gefallen!
„Seht, wenn er reitet auf mächtigem Gaul,
„Ein Aefflein auf hohem Kameele,
v
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„Reicht just sein Helmbusch dem Marschall an’s Maul
„Doch ist er auch klein, so ist er nicht faul
„Zu trotzigem, stolzem Befehle.“
Und wohl vernimmt’s der wack’re Pipin,
Bemerkt, wie die Grollenden flüstern,
Mit Murren folgend gen Welschland zieh'n,
Ihm säumig gehorchen und frevelhaft kühn
Sich mürrischer täglich verdüstern.
Und stark im Geiste, gewaltig und klug,
Erwägt er’s mit weisen Gedanken.
„„Sei heut’ des Weges, der Mühen genug,
„„Gehemmt der Schaaren gewaltiger Zug!
„„Errichtet zum Fechtspiel die Schranken!
„„Herbei gebracht den gewaltigen Leu!
„„Den Kämpfer will ich ihm stellen! —““
Wohl seltsam scheint die Bestellung und neu,
Und mit Neugier murmeln, es murmeln mit Scheu
Die trotzigen, stolzen Gesellen.
Rings wird der Platz mit Gittern umhegt,
Dahinter die Sitze der Ritter,
Erhaben des Königs Balkon. — Da frägt
Wohl Jeder, zu Unmuth und Sorgen erregt:
„Wie schwach doch, wie schwankend das Gitter I
„Ein Ruck mit der mächtigen Tatz, und es fällt,
„Und das Ungethüm sitzt uns im Nacken.
„Doch der dort oben, der winzige Held,
„Wohl hat er sich trefflich sicher gestellt,
„Zu schaun, wie die Krallen uns packen!“
Und der Leu wird gebracht im vergitterten Haus,
An der Schranke geöffnet das Pförtchen.
Und der Thiere König er schreitet heraus,
Und die Ritter erfasst nun Schrecken und Graus,
Und keiner redet ein Wörtchen.
Doch zweifelnd sieht sich der Löwe befrei n
Und reckt in der Freiheit die Glieder
Und schreitet getrost in die Schranken hinein
Und zeigt der Zähne gewaltige Reih n,
Laut gähnend, und strecket sich nieder.
101
Vom Balkon ruft Pipiu mit donnerndem Laut:
„„Ihr männlichen, trotzigen Krieger,
„„Da schauet ein Kampfspiel, ein würdiges, schaut!
„„Wer sich zu messen mit. Diesem getraut,
„„Den nenn’ ich den ersten der Sieger!““
Und ein Zischeln, ein Murmeln, ein Murren erklingt,
Dumpf nur im Beginnen und leise,
Bald, wie wenn, stärker und stärker beschwingt,
Mit wogenden Blüthen die Windsbraut ringt,
So sauset’s und brauset s im Kreise.
Und kecklich hervor tritt 6er har d^v o m Stern,
Der frechste der frechen Kumpane;
..Der Vortanz verbleibe dem König und Herrn!
„Auf, tanze denn, Hoheit, wir lassen dir’sgern;
„Herab von dem sichern Altane!“
„„So sei's!““ spricht Pipin, und sich schwingend im Satz
Springt der Kurze, doch markig und sehnig,
Vom Balkon herab auf den sandigen Platz.
„„Auf, Bruder Leu, auf, wetze die Patz'!
„„Auf, König, dich fordert ein König!““
Und schlägt ihn mit flacher Kling’ auf den Bug
Und erregt ihm den Grimm in der Seele.
Auf schnellt der Leu, wuthschauernd, im Flug,
Doch dringt, eh’ die Tatze, die zuckende, schlug,
Das Schwert durch den Rachen zur Kehle.
Und das Blut entsprudelt dem grausigen Schlund
Und über sich stürzt er und wendet
Drei-, viermal die Augen, rollend im Rund,
Drei-, viermal geisselt der Schweif den Grund,
Und er streckt sich und zuckt und verendet.
Stolz schaut der König im Kreise herum,
Und die Ritter athmen beklommen
Und blicken zu Boden, erstaunt und stumm,
Und der Hohe dreht still verachtend sich um; —
Kein Murren ward weiter vernommen.
(Streckfuß.)
102
35. Karl der Große.
Pipin starb zu Aachen im Jahre 768 und hinterließ das
Reich seinen beiden Söhnen Karl und Karlmann. Als aber
Letzterer schon im dritten Jahre nach des Vaters Tod gleichfalls
starb, wurde Karl der alleinige Regent der großen Monarchie.
Dieser Fürst ist einer jener außerordentlichen Männer, die unsere
Bewunderung rmd unsern Dank zugleich in Anspruch nehmen und
deren Fehler und Schwächen man bei ihren überwiegenden Verdien-
sten gerne vergißt. Schon seine äußere Gestalt gab den Herrscher
zu erkennen. Er maß sieben Fuß; sein Leib war vollkräftig und
ebenmäßig, sein Auge groß und lebhaft, seine Stirne breit, seine
Haare blond. Bei Tisch war er mäßig, und mehr als Speise und
Trank behagte ihm während des Mahles das Saitenspiel oder die
Vorlesung der Thaten alter Helden. In Führung der Waffen, im
Jagen, Reiten und Schwimmen galt er für den Besten der Franken.
Unablässig war er bemüht, sich und sein Volk auszubilden und seine
Kenntnisse zu vermehren; deshalb gieng er gerne mit gelehrten Män-
nern um und lernte selbst noch im Alter schreiben. Mit größter
^ Sorgfalt betrieb er die Erziehung der Jugend und legte nicht nur
* in Städten und Klöstern, sondern auch in Dörfern Schulen an, die
er öfters selbst besuchte, um sich von den Fortschritten der Schüler
zu überzeugen.
Als Karl nun einst bei einem solchen Besuche wahrnahm, daß
die Kinder der Reichen meistens faul und unwissend, die der Ar-
men aber fleißig und geschickt waren, stellte er diese zur Rechten
und jen-e zur Linken und sprach zu den Kindern der Armen:
„Ihr lieben, guten Kinder armer Leute, der allmächtige Gott
wolle euern Verstand und euern Fleiß segnen und vermehren! Fahret
fort wie ihr angefangen k>abt und lasset die Furcht Gottes in euern
Herzen wohnen, so will ich euch ein guter und gnädiger Herr seyn
und euch einst mit Gut und Ehrenstellen lohnen." Darauf wandte
er sich aber zürnend zu denen, die zur Linken standen und sprach
mit donnernder Stimme: „Ihr aber, ihr geputzten, zarten Herrlein,
die ihr auf den Glanz und den Reichthum eurer Eltern stolz seid
und den Müßiggang und andere Laster den Wissenschaften und der
Tugend vorzieht; bei dem König des Himmels! wofern ihr eure
Faulheit nicht bald durch Fleiß wieder gut macht, so werdet ihr an
mir einen strengen Richter finden."
Karl bewies sich als Regent besonders thatkräftig. Schon
früher hatten nämlich die neben den Franken wohnenden Sachsen
wiederholte Einfälle in das fränkische Reich unternommen; er hatte
sie deshalb mehrere Male hart gezüchtigt; aber dennoch erhoben sie
103
sich wieder gegen ihn, bis sie endlich, freilich erst nach 3Ojährigem
Kampfe, gänzlich unterworfen und zur Annahme des Christenthums
bewogen wurden.
So besiegte Karl auch die Longo Karden und vereinigte ihr
Land mit seinem Reiche; dann schlug er die Araber in Spanien
und machte das Land zwischen den Pyrenäen und dem Ebro zur
spanischen Mark. Die Juten in Norddeutschland wurden aus ihre
Halbinsel zurückgetrieben und die Eider als Grenze Deutschlands
festgestellt. Den rebellischen Herzog Thassilo von Bayern ent-
setzte Karl durch ein Gericht seiner Länder, zog'nachher gegen die
Awaren, die östlichen Nachbarn und Bundesgenossen der Bayern,
schlug sie bis hinter die Raab und Theiß zurück, nahm ihnen ein
großes Stück Land weg und bildete daraus die östliche Mark
(Oesterreich).
Nachdem Karl auf diese Weise ein Reich erworben hatte, das
vom Ebro in Spanien bis zur Weichsel und Theiß und von der
Tiber bis zur Nordsee reichte, ein Reich, das nicht weniger als
26,000 Quadratmeilen umfaßte und also doppelt so groß war als
das heutige Deutschland, zog er nach Rom, um den Papst Leo,
welchen die Römer vertrieben hatten, wieder einzusetzen. Als dies
geschehen war und der große Herrscher am Weihnachtsfeste in tiefster
Andacht an den Stufen des Altars aus den Knieen lag, ergriff der
Papst plötzlich eine kostbare goldene Krone, setzte sie ihm auf das
Haupt und erklärte ihn feierlich zum römischen Kaiser. „Langes
Leben und Sieg dem von Gott gekrönten Kaiser Karl! Lange lebe
der große und fromme römische Kaiser!" So ries laut jubelnd das
Volk, und der Papst führte den Kaiser unter den feierlichen Ge-
säugen der Priester auf einen prächtigen Thron und bezeugte ihm
mit allen Anwesenden Anerkennung und Verehrung. Theilnehmend
an der Ehre ihres großen Stammgenossen schworen alle gegenwär-
tigen Deutschen, daß sie ihn mit Gut und Blut bei seiner neuen
Würde schützen wollten, er aber sicherte ihnen dagegen ihre alten
Volksrechte und bürgerliche Freiheit zu.
Von dieser Zeit an regierte Karl noch 14 Jahre, stetsfort
bemüht, sein Volk glücklich zu machen. Ausgezeichnet als Krieger,
Regent, Mensch und Christ faßte er zuerst den großen Ge-
danken, die deutschen Stämme durch Religion, Gesetze und Re-
gierung zu vereinigen und sie zu einem großen, glücklichen
und geachteten Volke heranzubilden. Groß und ehrwürdig er-
scheint er aber vor Allem durch seinetiefeGottessurcht und Liebe
zur Religion. Mit wahrer Inbrunst pflegte er seiner Andacht.
Die Kirche besuchte er Morgens und Nachmittags, oft auch des
Abends. Während seiner Regierung veranstaltete er vierzig Ver-
sammlungen zur Bewahrung der heiligen Lehre und zur Aufrecht-
104
Haltung guter Zucht und Sitten. In seinem Rathe saßen jederzeit
die Bischöfe des Reiches. In seinem Testamente gedachte er nebst
der Armen auch der Kirche und schenkte ihnen zwei Dritttheile seines
gesammten Schatzes, seines Hausrathes und seiner Kostbarkeiten.
Er stiftete Klöster, die zur Verbreitung der Religion und Bildung
sehr Vieles beitrugen; er errichtete viele Bisthümer und jedes Blatt
seiner Geschichte beweist, wie sehr er bemüht war, seine Völker zum
wahren Glauben zu führen und ihre Wohlfahrt in jeder Richtung
zu fördern.
Als Karl das Ende seines Lebens nahe fühlte, berief er eine feier-
liche Versammlung der Großen des Reiches nach Aachen. Da,
nachdem er in der Kirche sein Gebet verrichtet hatte, ermahnte er
seinen Sohn Ludwig: Gott zu fürchten, sein Volk zu lieben wie
seine Kinder, den Armen Trost zu verschaffen. Recht und Gerechtig-
keit zu üben und selbst vor Gott und den Menschen unsträflich zu
wandeln. Unter Thränen versprach Ludwig alles dieses zu halten,
und Karl hieß ihn sich selbst die Krone aufsetzen und seines Ver-
sprechens stets zu gedenken.
Am 28. Januar 814 fühlte der große Kaiser, daß die letzte
Stunde seines Lebens nahe sei; er empfieng aus den Händen seines
Freundes, des Bischofs Hildebold, die heiligen Sterbsakramente.
Zum letzten Male erhob er die Hand, die so kraftvoll Schwert und
Scepter geführt hatte, das Kreuz auf Stirn und Brust zu zeichnen,
sprach leise die Worte des Psalms: „In deine Hände, o Herr, em-
pfehle ich meinen Geist!" und entschlief in dem Herrn im 72. Jahre
seines Alters.
In der Marienkirche zu Aachen wurde Karl begraben; im
vollen kaiserlichen Ornate auf einem goldenen Sessel sitzend, mit
einem Schwert umgürtet, das Haupt mit einer Krone geschmückt,
das Evangelienbuch auf dem Schooße und eine Pilgertasche an der
Seite hängend — so ward der glorreiche Kaiser in die Gruft ge-
senkt; aber er lebte fort in der Liebe und Verehrung des deutschen
Volkes, dessen Regenten in ihm fortan ein Vorbild erblicken mögen,
dem sie zum Wohle ihrer Völker nachahmen sollen.
Karl's Nachkommen, die Karolinger genannt, regierten bis zum
Jahre 911, wo sie ausstarben. Die Deutschen wählten einen frän-
kischen Herzog, Conrad I-, zum Könige. Seine Regierung war
kraftvoll, aber zu kurz, um die vielen Unordnungen, die sich seit
Karls des Großen' Tode im Reiche und unter den übermüthigen
Großen eingeschlichen hatten, abzuschaffen. Als er im Jahre 918
starb, forderte daher der edle Mann seinen Bruder Eberhard auf,
den biedern und weisen Herzog Heinrich von Sachsen, seinen
bisherigen Feind, zur Wahl zu empfehlen, weil er nur diesen für
fähig hielt unter den damals so schwierigen Verhältnissen das deutsche
105
Reich zu regieren. Heinrich wurde wirklich gewählt und die Ge-
sandtschaft, die ihm die Nachricht von seiner Erhebung auf den
deutschen Kaiserthron brachte, traf ihn, als er sich eben mit dem
Vogelfang beschäftigte, woher er auch den Beinamen „der Finkler"
oder „der Vogler" erhielt. Wir lernen ihn aus den folgenden Er-
zählungen näher kennen.
36. Heinrich der Vogelsteller.
Ballade.
Herr Heinrich sitzt am Vogelherd, recht froh und wohlgemuth;
Aus tausend Perlen blinkt und blitzt der Morgenröthe Gluth.
In Wies’ und Feld, in Wald und Au, horch, welch’ ein süsser Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtelschlag, die süsse Nachtigall.
Herr Heinrich schaut so fröhlich drein: „Wie schön ist heut die Welt!
„Was gilt’s, heut’ giebt’s ’neu guten Fang!“ — Er lugt zum Himmelszelt:
Er lauscht und streift sich von der Stirn das blondgelockte Haar;
„Ei doch! was sprengt denn dort hervor für eine Reiterschaar?“
Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt, es naht*der Waffen Klang;
„Dass Gott, die Herrn verderben mir den ganzen Vogelfang!
„Ei nun, was giebt’s?“ — Es hält der Zug vor’m Herzog plötzlich an;
Herr Heinrich tritt hervor und spricht: „Wen sucht ihr Herrn? sagt an!“
Da schwenken sie die Fähnlein bunt und jauchzen: „Unsern Herrn!
„Hoch lebe Kaiser Heinrich, hoch, des Sachsenlandes Stern!“
Sich neigend knien sie vor ihn hin und huldigen ihm still,
Und rufen, als er staunend fragt: „'S ist deutschen Reiches Will !“
Da blickt Herr Heinrich tiefbewegt hinauf zum Himmelszelt:
„Du gabst mir einen guten Fang; Herr Gott, wie dir’s gefällt!“ (Bogl.)
37. Heinrich I. und seine Gemahlin Mathilde. .
Heinrich I., geb. 876 und seit 918 König der Deutschen,
war nicht blos durch Klugheit, Thätigkeit und Tapferkeit
ausgezeichnet, sondern noch herrlicher durch Vaterlandsliebe,
Biederkeit und Frömmigkeit. Schon sein Aeußeres, eine schöne,
kräftige Gestalt, sprach für ihn; aber eine noch eindringendere Ge-
walt auf menschliche Gemüths hatte seine offene Geradheit
und seine zuvorkommende Freundlichkeit. In seinem Beginnen
war überall Kraft und Besonnenheit sichtbar, und dabei war er ein
Muster weiser Mäßigung: streng, wo Strenge nöthig war, aber nie
hart, wo er durch Güte zu seinem Zwecke gelangen konnte. Als
Beispiel führen wir nur Folgendes an:
Er war nur erst von den Sachsen und Franken, nicht aber
106
von den Schwaben, Bayern und Lothringern als König
anerkannt worden. So konnte es, ohne Entwürdigung der deutschen
Krone, nicht bleiben, und Heinrich fühlte, daß er mit der Königs-
würde auch die Verpflichtung übernommen habe, an der Eintracht,
Sicherheit und Wohlfahrt Deutschlands zu arbeiteu. Wie er nun
in der Folge Lothringen theils durch Waffengewalt, theils durch
gütliche Unterhandlungen wieder an Deutschland brachte, eben so
suchte er jetzt vor Allem Schwaben und Bayern zum Gehorsam zu
bringen. Der Herzog Burkard von Schwaben ward überrascht
und Heinrich wendete sich nun nach Bayern, wo Herzog Arnulf den
Königstitel angenommen und das feste Regensburg mit seinen Man-
nen besetzt hatte. Heinrich kam dahin, aber ehe er Gewalt brauchte,
suchte er das Herz des kräftigen Herzogs durch freundliches Zureden
zu gewinnen und lud denselben daher zu einer Unterredung ein.
Arnulf erschien, und Heinrich nannte ihn Bruder und Freund, er-
innerte ihn an die Gefahren, die innerer Zwiespalt dem ohnehin
von außen bedrohten Vaterlande bringen könnte, und bat ihn innigst,
abzustehen von aller Widersetzlichkeit und sich mit ihm zum Heil des
Vaterlandes zu vereinigen. „Dieß Heil," sagte er, ist mein einziges
Absehen, nicht aber mich zu erheben oder Jemand Etwas wegzu-
nehmen, am wenigsten dir." Diese treuherzigen Vorstellungen fan-
den Eingang. Arnulf anerkannte Heinrich als König, behielt da-
gegen sein Herzogthum und blieb zeitlebens der treueste Vasall.
Unermüdet thätig für das Beste Deutschlands zog er immer
umher und untersuchte mit eigenen Augen, was der Umänderung
und Besserung bcburftc Wie erfolgreich sein patriotischer Eifer war,
beweist die Ruhe, deren sich Deutschland unter ihm erfreute, der
Sieg über die Ungarn, den es durch ihn erhielt und der Wohlstand,
zu dem es durch seine weise Regierung emporstieg.
Aber auch in seinem Privatleben erscheint Heinrich höchst ach-
tungswürdig. Mit inniger Liebe war er seiner Gemahlin Ma-
thilde ergeben; seinen Kindern war er ein sorgsamer Vater,
seinen Freunden ein treuer Freund. Er war munter und ge-
sellig, liebte die Jagd, ein fröhliches Gastmahl und heitere Scherze;
aber nie verletzte er dabei seine Würde, nie verschwendete er seine
Güte an Unwürdige.
Unter seinen Söhnen schien ihm der kräftige Otto der Regie-
rung am fähigsten, und er empfoljl daher denselben den Fürsten
Deutschlands aus einer Versammlung zu Erfurt zu seinem Nach-
folger. Dies Werk der Vatcrliebe und Regentcnsorgfalt war sein
letztes auf Erden. Bald daraus starb er zu Memleben an der
Unstrut, 60 Jahre alt, werth der Thränen, die bei seinem Tode ge-
weint wurden, und des Nachruhms, der ihm unvergänglich blüht.
An dieses Gemälde reihen wir an:
107
38. Einige Züge aus dem Leben einer rdeln deutschen Frau.
Mathilde, die Gemahlin Heinrichs I., ist ihrer hohen
Tugenden wegen ein nachahmnngswürdiges Vorbild für Alle ihres
Geschlechtes; innige Liebe kettete sie an ihren Gemahl, tiefgefühlte
Ehrfurcht an Gott und mildthätiges Wohlwollen an die Armen.
Sanftmuth, Bescheidenheit und der reinste Christensinn leitete alle
ihre Handlungen. Die Veränderung des äußern Glanzes bewirkte
keine Veränderung in ihrem Innern; ja sie zeigte sich um so demü-
thiger, je höher sie stand. Ihren Unterthanen war sie mit mütter-
licher Liebe zugethan, und ihre Sanftmuth milderte die Hitze, die
zuweilen in ihrem Gemahl aufloderte. Selbst der Verbrecher fand
in ihr eine Fürsprecherin, und immer war sie tief bekümmert, wenn
einer zum Tode verurtheilt wurde.
Glücklich und in steter Liebe vereint hatte sie 27 Jahre mit
ihrem Gemahl verlebt, als ihr derselbe durch den Tod entrissen
wurde. Tief verwundete dieser große Verlust ihr zartes Herz; aber
sie ertrug ihn mit frommer Ergebung. Gebet und Thränen mil-
derten ihren Kummer, und an dem Todtenbette ihres Gemahls er-
mahnte sie ihre Söhne, nicht um vergängliche Würden und
Vorzüge zu streiten, sondern nach dem Ewigen zu ringen, Gott
zu fürchten und in Eintracht zu leben. — O hätte doch dies
liebevolle Wort einen bleibenden Eindruck auf das Herz der Söhne
gemacht! Wie sehr würden sie sich dadurch selbst geehrt, wie viel
Kummer ihrer frommen Mutter erspart haben!
Von ihren Söhnen war Otto schon früher zum König gewählt
worden, und Heinrich erhielt das Herzogthum Bayern. Beide wur-
den bald dadurch gegen ihre edle Mutter eingenommen, daß bos-
hafte Verläumder das Gerücht aussprengten, Mathilde besitze un-
geheure Schätze, die sie an Unwürdige verschleudere. Sie begeg-
neten daher ihrer Mutter mit Härte, und wollten sie sogar nöthigen,
ihren Wittwensitz in der Nähe von Quedlinburg zu verlassen und
in ein Kloster zu gehen; sie aber zog sich auf ihre Stammgüter in
Westphalen zurück und ertrug auch dieses Herzeleid mit Geduld.
König Otto hatte jedoch von dieser Zeit an keine Ruhe mehr.
Er versank in Traurigkeit und wurde von tiefster Reue ergriffen.
Endlich schrieb er an seine Mutter, flehte reumüthig um Vergebung
und bat sie zurückzukehren.
Hocherfreut über die Sinnesänderung ihres Sohnes und alles
Geschehene vergessend, machte sich Mathilde sogleich auf den Weg
und kam bis Grona bei Göttingen. Kaum hörte dies der König,
so ritt er ihr mit großem Gefolge entgegen. Als er die Gott-
geliebte von ferne sah, sprang er vom Pferde, gieng näher, warf
108
sich vor ihr zur Erde und rief: „O theure, hartgekränkte Mutter!
verhänge über mich welche Strafe du willst, nur laß mich Verge-
bnng finden." —' Die ehrwürdige Mutter war tief gerührt. Sie
beugte sich über ihn, hob ihn auf und bot ihm den Kuß des Frie-
dens, indem sie sprach: „Betrübe dich nicht, mein Sohn! das Herz
der Mutter hat dir längst vergeben, und Gott, der sich der Reuigen
erbarmt, wird auch dir verzeihen."
Als Herzog Heinrich hörte was geschehen war, eilte auch er
zu seiner Mutter und redete sie also an: „Ehrwürdige Frau, und
wenn es mir.erlaubt ist zu sagen, geliebteste Mutter, ich bekenne,
daß ich mich gegen eure mütterliche Güte schwer versündigt habe;
aber jetzt flehe ich um Verzeihung, die ich nicht verdiene. Ja ich
beschwöre euch bei dem Namen und der Seele meines Vaters, schenkt
mir wieder eure vorige Huld! — Ach, seit ich eure Liebe zum Zorn
gereizt habe, bin ich durch schwere Krankheit in große Gefahr ge-
kommen." — Als ihn Mathilde so weinen und flehen hörte, rief
sie unter Thränen, indem sie ihn in die Arme schloß: „Mein lieber
Heinrich, höre auf zu weinen, ich vermag solchen Bitten nicht zu
widerstehen! Der getreue Gott möge dir gnädig seyn! Ich liebe
dich wie vorher; denn ich weiß, daß nur feindseliges Zureden dich
gegen mich aufgebracht hat."
Mit schwerer Besorgniß sah Mathilde ihren Sohn Otto nach
Italien ziehen, denn sie gedachte fortwährend der Gefahren, die ihm
begegnen könnten. Allein ihre Angst wurde in Freude verwandelt,
denn Otto wurde Herr von Italien, empfieng zu Rom die Kaiser-
krone und kehrte glücklich über die Alpen zurück. Die hocherfreute
Mutter reiste ihm mit ihren Enkeln bis Köln entgegen, wo ihr
dritter Sohn Bruno Erzbischof war. Nachdem sie dort einige
glückliche Tage verlebt hatte, begleitete sie der Kaiser nach Nord-
hausen, wo sie indeß ein Kloster zu bauen angefangen hatte, das er
in seinen besonderen Schutz zu nehmen versprach. Nach sieben Ta-
gen nahm Otto von seiner Mutter Abschied. Beide fühlten, daß
sie sich in diesem Leben nicht wieder sehen würden. Am Morgen
des Scheidens giengen sie, nachdem sie sich lange mit einander be-
sprochen hatten, in die Kirche, um die Messe zu hören. Als diese
geendigt war, empfahl Mathilde ihrem Sohn noch einmal das an-
gefangene Kloster und die Armen, und der Kaiser versprach tief-
gerührt Alles, was sie verlangte, zu erfüllen.
Jetzt verließen Beide die Kirche und umarmten und küßten
einander unter vielen Thränen. Alle Anwesenden weinten mit ihnen.
An der Kirchthüre blieb Mathilde stehen und folgte mit den Augen
dem scheidenden Sohn. Nachdem er sein Pferd bestiegen hatte, kehrte
sie in die Kirche-zurück, warf sich auf die Stelle hin, wo er die
Messe gehört hatte und küßte weinend seine Spuren. Dieß sahen
109
einige Kriegsleute, die zurückgeblieben waren, und voll Rührung
meldeten sie es dem Kaiser. Sogleich sprang dieser vom Pferde
und eilte schluchzend in die Kirche zurück, wo er die fromme Mutker
noch an derselben Stelle weinend und betend fand. Er warf sich
neben ihr zur Erde und sprach: „O ehrwürdige Frau, womit soll
ich euch diese Thränen vergelten?" —- Beide konnten nur Weniges
reden. Endlich faßte sich Mathilde und sprach: „Was frommt's,
daß du länger weilst? Wir müssen uns' doch trennen und mehren
unsern Schmerz, statt ihn zu mindern. Zieh hin im Frieden des
Herrn! Du wirst mich nicht mehr in diesem Leben sehen. Alles,
was ich aus dem Herzen hatte, habe ich dir gesagt." Jetzt zog der
Kaiser fort; erst durch die Städte Thüringens, dann mit seinem
Sohn Otto II. nach Italien.
Von setzt an war die hohe Frau noch eifriger im Gebete und
Wohlthun. Sie aß nie mehr als was sie nothwendig brauchte, um
ihren Hunger zu stillen; alles Uebrige sandte sie den Armen. Im
Winter ließ sie sowohl in Häusern als auch unter freiem Himmel
des Nachts Feuer anzünden, damit sich Frierende erwärmen und
Verirrte zurecht finden könnten. Selbst der Thiere vergaß sie nicht
und ließ im Winter für Vögel Brodkrumen ausstreuen. Kurz, aus
Allem, was sie that, leuchtete ihr frommes und sanftes Herz hervor.
Nie sah sie Jemand erzürnt oder in bitterer Wallung, nie über die
Maßen lachen oder weinen; sie blieb sich stets gleich in Freundlich-
keit und Demuth.
Im Winter des Jahres 967 begann sie sich sehr unwohl zu
fühlen, und verlangte daher von Nordhausen nach Quedlinburg ge-
bracht zu werden, denn sie erklärte, daß dort, wo ihr Gemahl ruhe,
auch der Ort sei, wo sie ruhen und den letzten Tag erwarten müsse.
Am 14. März 968 schlug endlich ihre Todesstunde. Fromm und
sanft, wie sie gelebt hatte, war auch ihr Scheiden, und Thränen
und Wehklagen folgten ihr nach.
Edle Verklärte, mit Recht als Heilige verehrt, ewig blühe dir
Ruhm und Achtung! — Deine treue Liebe zu deinem Gemahl, dein
bescheidener Sinn, dein gottesfürchtiger, liebevoller Wandel sei ein
Beispiel für jede deutsche Frau, sie mag auf Thronen glänzen, oder
im Schatten der Niedrigkeit leben. Wäre dir auch das niedrigste
Loos zugefallen, immer würdest du ein Vorbild für Andere sehn
können; aber da du, eine Königin, auch die Tugenden der from-
men Hausfrau und Christin übtest, so kannst du auch denen
ein Vorbild seyn, die Seelengröße nur da ehren, wo sie mit äuße-
rem Glanze verbunden ist.
110
T
39. Otto der Große.
Heinrichs Sohn, Otto I., war seines großen Vaters würdiger
Sohn. Wie Heinrich bei Merseburg (933), so schlug auch Otto
die wiederkehrenden Ungarn 22 Jahre später aus dem Lechfelde bei
Augsburg, und zwar so entscheidend, daß sie sich nicht mehr nach
Deutschland wagten. Mehrere Große, und unter diesen selbst sein
Bruder Heinrich, hatten sich gegen Otto wiederholt empört; allein
sie wurden besiegt, und in folgender Erzählung ist uns ein schöner
Zug der Großmuth und brüderlichen Liebe des Kaisers aufbewahrt
worden.
40. Die Versöhnung.
1. Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glockenklang,
Der Orgel Stimmen brausen zum ernsten Chorgesang;
Es sitzt der Kaiser drinnen mit seiner Ritter Macht,
Voll Andacht zu begehen die heil’ge Weihenacht.
2. Hoch ragt er in dem Kreise, mit männlicher Gestalt,
Das Auge scharf wie Blitze, von gold’nem Haar umwallt;
Man hat ihn nicht zum Scherze den Löwen nur genannt,
Schon Mancher hat empfunden die löwenstarke Hand.
3. Wohl ist auch jetzt vom Siege er wieder heimgekehrt,
Doch nicht des Reiches Feinden hat mächtig er gewehrt;
Es ist der eig ne Bruder, den seine Waffe schlug,
Der dreimal der Empörung blutrotlies Banner trug.
4. Jetzt schweift er durch die Lande, geächtet, flüchtig hin,
Das will dem edlen Kaiser gar schmerzlich in den Sinn;
Er hat die schlimme Fehde oft bitter schon beweint.
„0 Heinrich, o mein Bruder, was bist du mir so feind!“
5. Zu Quedlinburg im Dome ertönt die Mitternacht,
Vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht;
Es beugen sich die Kniee, es beugt sich jedes Herz,
Gebet in heil ger Stunde steigt brünstig himmelwärts.
6. Da öffnen sich die Pforten, es tritt ein Mann herein,
Es hüllt die starken Glieder ein Büsserhemde ein, —
Er 'schreitet auf den Kaiser, er wirft sich vor ihm hin,
Die Knie' er ihm umfasset mit tiefgebeugtem Sinn.
111
7. „0 Bruder, meine Fehde, sie lastet schwer auf mir;
Hier liege ich zu Füssen, Verzeihung flehend, dir;
Was ich mit Blut gesündigt, die Gnade macht es rein,
Vergieb, o strenger Kaiser, vergieb, o Bruder mein!“
8. Doch strenge blickt der Kaiser den sünd'gen Bruder an :
„Zweimal hab' ich vergeben, nicht fürder mehr fortan!
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt,
Nach dreier Tage Wechsel, da fallt dein schuldig Haupt.“
9. Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich bleich,
Und Stille herrscht im Kreise, gleich wie im Todtenreich;
Man hatte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub,
Denn Keiner wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub.
10. Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt;
Das ew’ge Buch der Bücher, das hält er in der Hand;
Er liest mit lautem Munde der heil’gen Worte Klang,
Dass es in Aller Herzen wie Gottes Stimme drang:
11. „Und Petrus sprach zum Meister: Nicht so? genügt ich hab,
„Wenn ich dem sünd’gen Bruder schon sieben Mal vergab?“
Doch Jesus ihm antwortet: ,,,,Nicht sieben Mal vergieb,
„ „Nein, siebenzig Mal sieben, das ist dem Vater lieb!““
12. Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewusst,
Er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust;
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht,
Nie schöner ward begangen die h eil ge Weihenacht.
41. Die AreuMge.
Fromme Dankbarkeit gegen den Heiland der Welt hatte schon
in früheren Zeiten viele Christen veranlaßt, diejenigen heiligen Orte
zu besuchen, wo der große Lehrer und Erlöser der Menschheit ge-
lebt, gelehrt und gelitten hatte, wo der Sohn Gottes selbst in mensch-
licher Hülle umherwandelte, um Allen wohl zu thun, Alle selig
zu machen. So lange Palästina unter der Herrschaft der Oströmer
und Araber stand, konnten Wallfahrten nach dem heiligen Grabe
ungehindert vollzogen werden; als aber Syrien mit dem gelobten
Lande unter die Herrschaft der Türken kam, wurden die Pilger
grausam mißhandelt, und viele derselben starben vor den Thoren der
heiligen Stadt vor Hunger und Elend.
Von solchen Iammerseenen tief ergriffen, zog Peter, ein
französischer Priester und Einsiedler, nach Europa zurück und schil-
112
derte dem Papst mit den ergreifendsten Worten die Noth der Gläu-
bigen im heiligen Lande und die Bedrückungen, welche die Mutter
aller Kirchen dort erdulde. Der heilige Vater sandte den beredten
und von heiligem Eifer erfüllten Gottesmann aus, um überall, in
Städten und Dörfern zu erzählen und zu schildern, was er selbst
gesehen und gehört habe und berief nachher eine Kirchenversammlung
nach Clermont in Frankreich, welcher mehr als 200 Erzbischöfe
und Bischöfe und eine unzählige Menge von Geistlichen und Laien
beiwohnten. Der Papst saß auf einem hohen Throne unter freiem
Himmel, umgeben von seinen Cardinälen, und Peter der Einsiedler
stand an seiner Seite. Dieser schilderte hier noch ein Mal mit
feuriger Beredsamkeit die Noth und das Elend der Christen im
heiligen Lande, so daß alle Zuhörer tief ergriffen laut weinten und
schluchzten, und als darauf der heilige Vater die Anwesenden auf-
forderte, den Ungläubigen die heiligen Orte zu entreißen, da rief die
ganze Versammlung voll heiliger Begeisterung: „Gott will es!
Gott will es!" Viele Tausende erklärten sich sogleich bereit an dem
heiligen Kriege Theil zu nehmen, hefteten ein rothes Kreuz auf die
rechte Schulter und erhielten den Namen „Kreuzfahrer". Ueberall
wurde fetzt das Kreuz gepredigt, es entstand eine allgemeine
Bewegung unter den Christen des Abendlandes: das Zeichen des
Kreuzes trieb sie in den Krieg und durch dasselbe hofften sie zu siegen.
Im Jahr 1096 fand der erste Kreuzzug unter Anführung des
tapfern Herzogs von Niederlothringen, Gottfried von Bouillon*)
Statt. Er war ein schöner, kraftvoller Mann in der Blüthe seiner
Jahre, eine wahre Heldengestalt, voll Gottesfurcht und Menschen-
freundlichkeit, gewandt im Gebrauche der Waffen und voll tiefer
Einsicht. Ihn begleiteten seine Brüder Eustach und Balduin und
eine Menge von tapfern Grafen und Rittern; im Ganzen aber be-
theiligten sich an diesem Kreuzzuge gegen 600,000 Menschen. Unter
vielen Mühseligkeiten und großer Noth erreichten sie das gelobte
Land; aber viele Tausende waren dem erlittenen Ungemach unter-
legen. Hunger und Durst, die unerträgliche Hitze und ein Heer
von ansteckenden Krankheiten hatten einen großen Theil des Zuges
aufgerieben und beinahe hätte derselbe auch seinen vortrefflichen Füh-
rer verloren, der einem Pilger zu Hilfe eilte, welcher in einem Walde
von einem furchtbaren Bären angefallen worden war und um Hilfe
rief. Sobald nämlich die wilde Bestie den Herzog gewahr wurde,
stürzte sie auf ihn los und verwundete sein Pferd dergestalt, daß er
den Kampf zu Fuß unternehmen mußte. Mit aufgesperrtem Rachen
hatte das Ungeheuer schon den Herzog mit einer Tatze umfaßt, aber
mit starker Faust stieß ihm dieser das Schwert bis zum Griff in
*) Sprich Bullion, ohne das „n" deutlich hören zu lassen.
113
den Leib, wobei er sich jedoch selbst so schwer am Fuße verwundete,
daß er von dem großen Blutverlust erschöpft neben dem erschlagenen
Thiere niedersank. Auf den Hilferuf des Pilgers waren indessen
mehrere Kreuzfahrer herbeigeeilt, und unter allgemeinem Weheklagen
wurde der Herzog auf einer Tragbahre in das Lager zurückgebracht,
wo er nur langsam sich wieder erholte.
In Antiochien wurde das Kreuzheer von Feinden ringsum ein-
geschlossen und es entstand eine furchtbare Hungersnoth. Da wurde
in der Kirche des heiligen Petrus die Lanze aufgefunden, mit wel-
cher dem Heilande am Kreuze die Seite durchstochen worden war,
und welche in dieser Kirche vor dem Hochaltare, zwölf Fuß tief,
vergraben lag. Jetzt war Alles neu ermuthigt; in feierlicher Pro-
zession wurde die heilige Lauze umhergetragen und am andern Tage
das feindliche Heer angegriffen und geschlagen, wobei eine überaus
reiche Beute in die Hände der Christen siel. Siegreich drang jetzt
das Kreuzheer gegen Jerusalem vor, und als endlich der letzte Hü-
gel erstiegen war und die heilige Stadt vor den Blicken der Pilgrime
und Kreuzfahrer ausgebreitet lag, da warfen sich Alle aus die Kniee,
küßten die heilige Erde, indem sie dieselbe mit ihren' Thränen be-
netzten und sangen Danklieder und Psalmen zur Ehre des Erlösers.
Nun wurde die Stadt belagert. Da es aber an allen nöthigen
Werkzeugen fehlte und 40,000 Mann, die in der Stadt lagen, die
tapferste Gegenwehr leisteten, so schien es fast unmöglich, dieselbe zu
erobern; zudem litten die Christen Noth an Trinkwasser, während
die Hitze unerträglich war, und viele starben vor Ermattung. End-
lich, nachdem man mit unsäglicher Mühe aus der ganzen Umgegend
Holz zusammen gebracht hatte, um Thürme zu bauen, die man auf
Rädern gegen die Mauern schieben konnte, wurde ein allgemeiner
Sturm unternommen. Er blieb jedoch ohne Erfolg. Die Belagerten
warfen Balken und Steine aus die Angreifenden und überschütteten
sie mit brennendem Schwefel und siedendem Oel. Am andern Tag,
es war der 15. Juli 1099, wurde der Sturm erneuert. Sieben
Stunden hatte der Kampf gedauert, und die Christen wollten sich
ermattet und entmuthigt zurückziehen. Da gewahrte man auf dem
Oelberge einen glänzenden Ritter, der mit seinem Schilde gegen die
Stadt winkte. „Sehet da," rief Gottfried aus, „das ist die Hilfe
des Himmels! Auf denn, ihr Streiter des Herrn, Gott ist mit
uns!" Und mit diesen Worten ließ der fromme Held die Fall-
brücke von seinem hölzernen Thurme aus die Stadtmauer fallen und
war der Erste, der in die Stadt hinab sprang. Die Seinigen
sprangen ihm nach, von neuer Begeisterung ergriffen; mit unwider-
stehlichem Muthe bahnten sie sich den Weg zu den Thoren und
sprengten dieselben; das ganze Heer drang hinein und — Jerusalem
tvar erobert; in den Straßen und Häusern wüthete der Kampf noch
Reiser, der Volksschüler i. d. Oberklasse. 8
114
immer fort, und Niemand vermochte ihm Einhalt zu thun, bis die
Sieger des Mordens müde waren.
Barfuß und mit einem Pilgerhemde angethan begab sich Gott-
fried zum heiligen Grabe, küßte weinend die Stelle, wo der Erlöser
geruht hatte und überließ sich der inbrünstigsten Andacht. Er wurde
hierauf zum Könige von Jerusalem erwählt, allein der fromme
Held wollte keine Königskrone tragen, wo der Heiland der Welt
eine Dornenkrone getragen hatte und nannte sich voll ächtchrist-
licher Demuth nur „Beschützer des heiligen Grabes."
Die Türken ließen jedoch den Christen keine Ruhe und oft
kamen sie in große Noth. Von Europa aus zogen fast alljährlich
größere und kleinere Schaaren, theils Pilger, theils Krieger, nach
Jerusalem und diese ungerechnet zählt man sieben große Äreuzzüge.
Da aber unter den Kreuzheeren und ihren Anführern meistens Zwie-
tracht herrschte, so giengen die errungenen Vortheile wieder verloren,
und das Grab des Erlösers sammt dem heiligen Lande blieb nach
dem letzten Kreuzzuge wieder in den Händen der Ungläubigen.
42. Friedrich Barbarossa.
1152—1190.
0 schöne Zeit der Väter! wo Rothbart einst regiert,
Wo Deutschlands Schwert und Wage sein Heldenarm geführt;
Da war vom Vater Rheine bis an der Eider Sand,
Vom Belt bis zu den Alpen Ein deutsches Vaterland.
Da war der deutsche Name gefürchtet und geehrt;
Da galt die deutsche Treue, da schlug das deutsche Schwert,
Da beugten sich die Slaven vor Deutschlands Kaiserthron,
Da strahlte nah und ferne die deutsche Kaiserkron’.
Kaiser Konrad III., aus dem berühmten schwäbischen Geschlechte
der H o h e n st a u f e n, ein entschlossener, tapferer und biederer Mann,
führte das zweite Kreuzheer nach Palästina, konnte aber aller An-
strengungen ungeachtet nur wenig ausrichten und kehrte endlich miß-
muthig hierüber nach Europa zurück. Bald darauf starb er, nach-
dem er noch den deutschen Fürsten seinen Neffen Friedrich, der wegen
seines röthlichen Bartes „Rothbart" und von den Italienern
„Barbarossa" genannt wurde, zu seinem Nachfolger empfohlen
hatte. Friedrich zählte damals dreißig Jahre; Heldenblut floß in
seinen Adern und röthete sein edelgebildetes Antlitz, das gelbe Locken
umwallten; die Hoheit seiner Gestalt, das blitzende Feuer seiner
Angen, die Kraft der Stimme und der stolze Gang verkündeten den
gebornen Herrscher. Groß, voll eiserner Willenskraft und scharfen
Blickes war auch sein Geist. Dieser herrliche Held war nun deutscher
-
115
Kaiser; wie Karl der Große, den er sich zum Vorbild gewählt
hatte, wollte er mit voller Macht gebieten und an der Spitze der
ganzen Christenheit stehen, wobei er jedoch übersah, daß seine Zeit
eine andere geworden war.
Die italienischen Städte, besonders Mailand, waren sehr reich
und mächtig geworden, hatten nach und nach alle Rechte und Ein-
künfte des Kaisers an sich gerissen und benahmen sich als freie
Staaten, denen weder Kaiser noch Reich Etwas zu sagen hätten.
Friedrich war entschlossen, sie um jeden Preis zum Gehorsam zu
bringen und das kaiserliche Ansehen wieder herzustellen, was nur
nach schweren Kämpfen gelang, und wobei er oft in große Bedräng-
niß, ja selbst in Lebensgefahr gerieth, aus welcher er nur durch die
edelmüthigste Aufopferung eines seiner Begleiter gerettet wurde, wie
wir aus nachfolgender Erzählung entnehmen.
x
43. Treue gegen den Fürsten.
Der Kaiser Barbarossa
Zog hin in’s welsche Land,
Wo er statt Sieg und Ehre
Nur Leid und Unglück fand.
Da rief ein Ritter stehend
Und kniete hin vor ihn :
„Herr Kaiser, eine Gnade,
„Die werde mir verlieb n."
Bei Susa stehet einsam
Ein abgeleg’nes, Haus,
Es ruhet dort der Kaiser
Von seinen Nöthen aus.
„„Mein Reich/“1 sprach Barbarossa,
„„Das wird ein Grab bald seyn,
„ „Drum will ich gern gewähren,
„„Kann ich noch was verleih’n.“ "
Ach, wehe! Barbarossa,
Wer wies dir diesen Pfad?
Das Haus ist rings umstellet
Von Mördern und Verrath.
Es sprach der Wirth voll Reue:
„Wie ist es mir so leid!
„Ich wollte gern dich retten;
„Doch nun ist’s nicht mehr Zeit!"
„Das grösste,“ sprach der Ritter,
„Hast, Kaiser, du gewährt;
„Für dich den Tod zu leiden,
„Das ist’s, was ich begehrt."
Des Kaisers Purpurmantel
Hat er d rauf umgethan,
Und legte dann ihm selber
Des Dieners Kleider an.
Da sprach der Kaiser zornig:
„Verderben diesem Ort,
„Wo fallen soll ein Kaiser
„Durch feigen Meuchelmord.
„Gott schütz’ die deutsche Krone,
„Gott schütz’ die Seele mein !
„Und muss ich heute sterben,
„So soll’s in Ehren seyn.“
Der Kaiser gieng von danneh,
Den Wächtern rief er zu :
„Bin Barbarossa s Diener;
„Lasst ziehen mich in Ruh.“
„Die Herberg zu bereiten
„Ward ich vorausgesandt,
„Sein Nahen soll ich künden
„Daheim im Vaterland.“
116
Da liessen sie den Kaiser
Zum sichern Thor hinaus,
Sie selber aber brachen
Um Mitternacht in’s Haus.
Nicht wusste ja die böse,
Dass er gerettet war.
Gerettet durch die Treue,
Die litt den Opfertod,
Die kühn die Brust den Mördern
Für ihren Kaiser bot.
Sie traten vor den Ritter,
Der dort als Kaiser schlief;
Sie stiessen ihre Schwerter
Ihm in das Herz so tief.
Mit Kränzen deutscher Eichen
Schmück' ihn mein Vaterland!
Hartmann von Siebeneiche»,
So ist der Held genannt.
„Nun fahre heim du Kaiser!“
So rief die wilde Schaar.
Der Kampf mit den lombardischen Städten und ihr Uebermuth
hatten allerdings den Kaiser zu mancher Härte verleitet. Mit Stricken
um den Hals und Schwertern auf dem Nacken mußten die Consuln
und Adeligen von Mailand im Lager der Deutschen erscheinen und
den Kaiser fußfällig um Frieden bitten. Er setzte strenge Vögte über
sie und verfuhr überhaupt mit einer Willkür, die mehr an einem
alten Kaiser Roms, als an einem christlichen Fürsten zu entschul-
digen gewesen wäre. Selbst die Rechte der Kirche griff er an und
gerieth darüber mit dem Papste in Streit und endlich sogar in den
Bann. Wie aber ein edles Herz wohl fehlen, aber nicht lange in
Fehlern verharren kann, so erkannte auch Friedrich bald sein Un-
recht. Er suchte sich mit der Kirche auszusöhnen und wandte sich
deshalb an den Papst Alexander mit der Bitte, ihn vom Banne zu
lösen. Er hatte es tief empfunden, daß außer der Kirche kein Heil
sei, und dies hatte den Löwen zum Lamme umgewandelt. Der Papst,
edel und groß denkend, wie Friedrich selbst, äußerte, daß ihm Nichts
erwünschter sei, als von dem größten Helden der Christenheit den
Frieden zu empfangen, nur bitte er, daß er ihn auch den Lombarden
gewähre. Es geschah, und die ganze Christenheit frohlockte über die
Versöhnung ihrer Herrscher und das Ende des unseligen Zerwürfnisses.
Mit einem Male erscholl aus dem Morgenlande der Schreckens-
ruf, daß das heilige Kreuz, der König von Jerusalem und der Groß-
meister der Tempelritter in die Hände der Feinde gefallen, das
Christenheer zernichtet und Jerusalem durch den Sultan Saladin
erobert worden sei. Diese Iammerbotschaft ergriff alle christlichen
Gemüther, und Kaiser Friedrich rüstete sich unverzüglich zu einem
Kreuzzuge. Als man ihn bat, seines Alters eingedenk zu seyn und
seinen Sohn an die Spitze des Heeres zu stellen, erwiderte der alte
Held unwillig: „Ich habe, trotz meiner sieben und sechzig Jahre,
44. Der dritte Areuzzug.
117
noch Kraft genug, die Christenheit zu führen, wie es mein Beruf
erheischt." — Darauf schickte er einen Gesandten an den Sultan
Saladin und ließ ihm sagen, daß er ihn mit der unbezwinglichen
deutschen Ritterschaft überfallen werde, wenn er nicht alles geraubte
Land den Christen zurückgebe. Saladin erschrack; er fürchtete den
Kaiser und die Deutschen mehr, als die Franzosen und Eng-
länder; aber zur Herausgabe seiner Eroberungen konnte er sich '
dennoch nicht entschließen.
Zu Ostern des Jahres 1189 brach der Kaiser mit einem Heere
von 150,000 Streitern auf und zog durch Ungarn und das grie-
chische Kaiserreich nach dem Morgenlande. Die treulosen Griechen
wollten jedoch den Kaiser nöthigen, unverrichteter Sache wieder um-
zukehren; sie verderbten daher die Wege, vergifteten die Lebensmittel
und verrammelten die Gebirgspässe. Doch unaufhaltsam drang
Friedrich gegen Constantinopel vor und setzte bei Galipoli über
die Meerenge hinüber, wozu der gedemüthigte griechische Kaiser
Isaak die Schiffe liefern mußte. Von hier aus zogen sie bis
Laodicea in Kleinasien, wo der Kaiser dem ermüdeten Heere
einige Rasttage gönnte. Auch hier litten die Pilger eben so viel
durch die Böswilligkeit der Einwohner und die Ueberfälle zahlreicher
Räuberbanden, als durch die schlechten Wege und geringe Verkösti-
gung; aber die Wachsamkeit des Kaisers und die Tapferkeit seiner
Deutschen züchtigte bald die Räuber und verscheuchte sie. Hier wurde
manch' heldenmüthige That vollbracht. Als einst ein Mann aus
Schwaben, ein Bürger der Stadt Ulm, unter den von den Fein-
den Erschlagenen auch seinen Bruder fand, nahm er, entflammt von
Durst nach Rache, zehn andere seiner Waffenbrüder zu sich und
suchte so lange in den Waldungen, bis er die Mörder, zehn Grie-
chen, antraf, die sich auf eine kleine Insel geflüchtet hatten. Obwohl
es schwer war, zu ihnen hinüber zu kommen, und obgleich die Be-
gleiter des Schwaben erklärten, daß es thöricht sei, die Griechen
an diesem Orte anzugreifen, so ließ er sich dennoch nicht abhalten,
schwamm allein über das Wasser, siel über sie her, erschlug ihrer
neun und trieb den zehnten in die Flucht.
In dieser Gegend soll sich auch jene Großthat eines Schwaben
ereignet haben, welche uns ein vaterländischer Dichter in folgender
Weise erzählt:
45. Schwäbische Kunde.
Als Kaiser Rothbart lobesam
Zum heil'gen Land gezogen kam,
Da musst er mit dem frommen Heer
Durch ein Gebirge, wüst und leer.
118
5 Daselbst erhub sich grosse Noth,
Viel Steine gab’s und wenig Brod,
Und mancher deutsche Reitersmann
Hat dort den Trunk sich abgethan,
Den Pferden war's so schwach im Magen,
10 Fast musste der Reiter die Mahre tragen.
Nun war ein Herr aus Schwabenland,
Von hohem Wuchs und starker Hand,
Dess’ Rösslein war so krank und schwach,
Er zog es nur am Zaume nach,
15 Er hätt’ es nimmer aufgegeben
Und kostet's ihn sein eigen Leben.
So blieb er bald ein gutes Stück
Hinter dem Heereszug zurück;
Da sprengten plötzlich in die Quer
20 Fünfzig türkische Reiter daher,
Die huben an auf ihn zu schiessen,
Nach ihm zu werfen mit den Spiessen.
Der wack re Schwabe forcht sich nit,
siieng seines Weges Schritt vor Schritt,
25 Liess sich den Schild mit Pfeilen spicken
Und that nur spöttlich um sich blicken,
Bis Einer, dem die Zeit zu lang,
Auf ihn den krummen Säbel schwang.
Da wallt dem Deutschen auch sein Blut,
30 Er trifft des Türken Pferd so gut,
Er haut ihm ab mit Einem Streich
Die beiden Vorderfüss zugleich.
Als er das Thier zu Fall gebracht,
Da fasst er erst sein Schwert mit Macht,
35 Er schwingt es auf des Reiters Kopf,
Haut durch bis auf den Sattelknopf,
Haut auch den Sattel noch zu Stücken
Und tief noch in des Pferdes Rücken;
Zur Rechten sieht man wie zur Linken
40 Einen halben Türken herunter sinken. —
Da packt die andern kalter Graus,
Sie flieh'n in alle Welt hinaus,
Und Jedem ist’s, als würd ihm mitten
Durch Kopf und Leib hindurch geschnitten.
45 D rauf kam des Wegs 'ne Christenschaar,
Die auch zurück geblieben war,
Die sahen nun mit gutem Bedacht,
Was Arbeit unser Held gemacht.
119
Von denen hat1s der Kaiser vernommen,
50 Der liess den Schwaben vor sich kommen,
Er sprach: „Sag’ an, mein Ritter werth!
Wer hat dich solche Streich’ gelehrt?“
Der Held bedacht sich nicht zu lang:
„Die Streiche sind bei uns im S.chwang,
55 Sie sind bekannt im ganzen Reiche,
Man nennt sie halt nur Schwabenstreiche.“
' j; ' (Uh land.)
Auf seinem ferneren Zuge stieß der Kaiser plötzlich auf ein
türkisches Heer von 200,000 Mann; allein er verzagte nicht, son-
dern sprach den Seinigen mit wenigen, aber kräftigen Worten Muth
ein, und mit Begeisterung erinnerte Bischof Gerhard von Würz-
burg die Christen an die Thaten der Bekenner und Märtyrer und
stärkte sie im Glauben und Vertrauen auf Gott. Darauf empstengen
Alle das heilige Abendmahl und stürzten dann so ermuthigt und ge-
stärkt auf die Feinde, daß sie 10,000 von denselben erschlugen und
die Uebrigen nach allen Seiten hin flohen.
Jetzt beschloß Friedrich, das feste Jkonium anzugreifen, das
von 60,000 Mann vertheidigt wurde. Es entbrannte ein hart-
näckiger Kamps, und schon gaben Viele Alles verloren. Die Bi-
schöfe und Priester legten ihre Stolen um ihre Schultern als Zeichen
der Ergebung in den göttlichen Willen. Der Kaiser aber, dessen
Hcldcnseele keinen Kleinmuth kannte, rief mit strahlenden Augen und
erschütternder Stimme den reinigen zu: „Was zaudern wir und
jammern? Christus gebietet, Christus regiert, Christus
siegt! Folgt mir, meine Kampfbrüder, die ihr mit mir aus der
Heimat gezogen, um mit eurem Blute das himmlische Reich zu er-
kaufen !"
Hierauf tummelte er sein stattliches Roß und rannte mit seinen
Rittern gegen die Ungläubigen. Diese vermochten einem so gewal-
tigen Stoße nicht zu widerstehen und flohen; eine Menge Erschla-
gener deckte das Feld. Jubelnd zogen die Helden in Jkonium ein
und dankten des andern Tages Gott in einem feierlichen Hochamte,
wobei die Epistel gesungen wurde, in welcher der heilige Paulus
seiner Drangsale in Jkonium erwähnt. Unbeschreiblich war der
Jubel der Christen; denn so groß früher die Noth, so groß war
jetzt der Ueberfluß an Lebensmitteln aller Art, an Pferden, an Klei-
dern, an Gold und Silber. Die Beute war so groß, daß Jeder
der Kreuzbrüder reich wurde und aus Kaiser Friedrich allein 100,000
Mark Goldes trafen.
Jetzt war der Weg nach Syrien offen und Nichts mehr schien
den siegreichen Kaiser aufhalten zu können; allein im Rathschlusse
Gottes war es anders bestimmt. Als das Heer auf einer schmalen
120
Brücke den Fluß Saleph überschritt, wollte der Kaiser, dem dies
zu lange dauerte, den Fluß durchschwimmen; allein er wurde von
den reißenden Wellen mit unwiderstehlicher Gewalt ergriffen und
fortgeführt. Entseelt brachte man ihn an's User. Der Jammer
der Seinigen war unbeschreiblich, denn auf ihn, auf den erprobten
Feldherrn und Vater, hatten Alle ihr Vertrauen gesetzt; nach seinem
Tode könne ihnen kein Glück mehr blühen, so klagten Alle, und in
tiefster Trauer geleiteten sie die theure Leiche nach Antiochia, wo sie
dieselbe vor dem Altare in der Sankt Peterskirche beisetzten.
46. Rudolph von Habsburg.
Nach dem Aussterben der Hohenstaufen, aus welchem Geschlechte
sechs Kaiser über Deutschland regiert hatten, trat eine sehr traurige
Zeit für unser Vaterland ein, welches viele Jahre gar kein Ober-
haupt hatte. Diese Zeit, in welcher Unrecht und Gewalt mit eiser-
ner Faust herrschten, heißt das Zwischenreich oder Interreg-
num. Sollte das deutsche Reich nicht ganz zerfallen, so mußte
bald ein einsichtsvoller und kräftiger Regent Deutschlands Thron
besteigen, und zum Glück und Heil unseres Vaterlandes wurde end-
lich ein solcher in der Person des Grafen Rudolph von Habs-
burg, der große Stammgüter in der Schweiz besaß, gewählt. Er
war, wie seine Zeitgenossen sagten, ein Mann gerecht und fromm,
gütig und weise, geliebt von Gott und Menschen. Er besaß
alle jene Eigenschaften, welche erforderlich waren, das deutsche Reich
wieder im Innern zu ordnen und nach Außen zu Ansehen zu bringen.
Eine Begebenheit aus dem Leben dieses großen Mannes, welche wir
hier nachfolgen lassen, zeichnet uns seinen frommen und biedern Sinn
in der anziehendsten Weise.
47. Die Krönung Kaiser Rudolph's I.
1273, den 24. Okt.
Zu Aachen in dem Dome, da glänzt's in hellem Strahl
Von Gold und Edelsteinen, von Purpur und von Stahl.
Durch bunte Fenster schimmert der klare Sonnenschein,
Als wollt’ er sich am Glanze, den er vervielfacht, freu’n.
Zu Aachen in dem Dome, am strahlenden Altar,
Steht ernst, doch mild Herr Rudolph, in rothem Sammttalar.
Und unterm Sammte schimmert der Rüstung helles Gold,
Wie zwischen Purpurwolken der Sonne Goldstrom rollt.
Die Krone zu empfangen in stiller Majestät,
Des grossen Karol Krone, der edle Habsburg steht.
121
Und wie der fromme Bischof sie auf das Haupt ihm legt,
Und Jedem wohl vor Freude das Herz im Busen schlägt;
Da nah’n dem neuen König an dem Altare gleich
Die Bitter, Herrn und Fürsten, die kühren in dem Beich*),
Den Lehnseid ihm zu leisten, den Jeder gerne schwört,
Den Jeder schon im Herzen ihm freudig hat gewährt.
1 Und wie er will empfangen auf’s Scepter ihren Eid,
Da, sieh, das ist vergessen, ist nicht zum Dienst bereit.
Basch langt er nach dem Kreuze und nimmt es vom Altar,
Und reicht es mit den Worten des Reiches Fürsten dar:
„Dies Zeichen hat erworben das Heil der ganzen Welt,
„Das sei nun statt des Scepters, wenn’s euch, ihr Herrn, gefällt!“
Und es gefiel wohl Allen, und freudig schwuren All, —
D’rauf „Heil dem frommen König!“ ertönt’s mit Einem Schall.
(Frankl.)
Rudolph war vor Allem bemüht, das gesunkene kaiserliche An-
sehen Wieder herzustellen. Er nöthigte viele Große, die widerrechtlich
eingezogenen Reichsgüter wieder herauszugeben, verkündigte einen all-
gemeinen Landfrieden und strafte besonders die Raubritter mit
aller Strenge. In Schwaben ließ er 5, in Thüringen aber 66 Raub-
schlösser niederreißen, und 29 Räuber, die zu Ilmenau gefangen
wurden, hinrichten. Er schrieb an die deutschen Fürsten, daß es sein
Vorsatz sei, Ordnung und Ruhe in dem lang zerrütteten deutschen
Reiche wieder herzustellen und den Unterdrückten Schutz und Sicher-
heit wider die Gewaltthätigkeiten der Mächtigen zu verschaffen. Nun
richtete Rudolph seine Macht gegen den stolzen und mächtigen Otto-
k a r, König von Böhmen und Mähren und Herrn von Steyermark,
Kärnthen und Kram, der sich weigerte, ihn als Kaiser anzuerkennen.
Sein Uebermuth wurde jedoch hart gezüchtigt, indem er bei diesem
Anlasse Schlacht und Leben verlor. Böhmen und Mähren gab
Rudolph dem Sohne des Erschlagenen; Oesterreich aber, sowie
Steyermark und Krain verlieh er mit Einwilligung der Reichs-
fürsten seinen eigenen Söhnen Albrecht und Rudolph und wurde so
der Stammvater des österreichischen Kaiserhauses.
In seinem ganzen Betragen zeigte Rudolph die Einfachheit und
Leutseligkeit eines wahrhaft großen Mannes. Er gönnte auch Leuten
vom niedrigsten Stande Zutritt zu ihm. Als seine Diener einst
einen armen Mann, der zu ihm zu kommen suchte, abweisen wollten,
sagte er: „Bin ich darum König der Deutschen geworden, um mich
vor ihnen zu verbergen?" — Nur vor Schmeichlern befahl er die
*) Kühren, so viel als wählen, daher der Name Kurfürsten.
122
Thüre zu schließen;-„denn," sagte er, „sie sind Wölfe, die dem Esel
hinter den Ohren krabbeln, bis er einschläft, und dann ihn fressen." —
In frühern Jahren war er sehr auffahrend; späterhin aber zeigte
er eine seltene Mäßigung. Als seine Freunde ihn nun einmal darauf
aufmerksam machten, sagte er: „Es hat mich wohl oft gereut, was
ich in der Hitze that; nie aber, was ich mit Sanftmuth vollführte."
— Einst lag Rudolph mit seinen Rittern bei regnerischer Witterung
in der Nähe von Mainz im Felde. Ganz durchnäßt trat er in das
Haus eines Bäckers, um sich zu wärmen und seine Kleider etwas
zu trmknen. Die Bäckerin wies mit einer Masse von Schimpf-
und Schmähworten den ungebetenen Gast aus dem Hause; als er
nicht gieng, goß sie Wasser auf ein glühendes Kohlenbecken, um ihn
durch Rauch und Dampf zu vertreiben; ja am Ende griff sie gar
nach der Ofengabel. Rudolph lachte darüber und erzählte nachher
selbst im Lager, was ihm widerfahren war. Als man aber der
Bäckersfrau sagte, wer ihr Gast gewesen sei, erschrack sie sehr, suchte
den Kaiser auf und wollte Abbitte leisten. Rudolph ließ sie vor
sich kommen, und strafte sie blos dadurch, daß sie in Gegenwart
seiner Begleiter alle Scheltworte wiederholen mußte, die sie gegen
ihn gebraucht hatte, worauf er sie, herzlich lachend, entließ. — Sehr
genügsam war der große Kaiser in Speise und Trank. Als seine
Soldaten auf einem Zuge gegen den Grafen von Burgund über
Mangel an Lebensmitteln murrten, zog er eine Rübe aus einem
Ackerfeld, schälte sie und verzehrte sie im Angesichte des Heeres mit
den Worten: „Wo sich noch solche Speise findet, werden wir nicht
Hungers sterben; nur vorwärts! Haben wir den Feind besiegt, so
finden wir schon Vorräthe in seinen Kornhäusern." Auf seinem Zuge
nach Mähren litt das Heer großen Durst; nur für ihn hatten Einige
ein Gefäß voll Wasser gebracht. Er aber wies es zurück: „Ihr
alle habt mit mir gekämpft; ich will auch mit euch dürsten."
Diese Leutseligkeit und Herzensgüte, verbunden mit so vielen
andern Tugenden, die den großen Rudolph zierten, erwarben ihm
die ungetheilteste Liebe, und sein Scheiden wurde betrauert, wie der
Tod eines Baters.
48. Deutsche Treue.
Rudolphs Sohn Albrecht, ein finsterer, mißtrauischer und län-
dergieriger Fürst, war-seinem biedern Vater ganz unähnlich. Er
verwaltete auch das Erbe seines Neffen, Johann von Schwaben,
und verschob es so lange, dasselbe heraus zu geben, daß dieser end-
lich, hierüber auf's Höchste erbittert, seinen Oheim ermordete.
Albrecht hatte zwei Söhne, Friedrich und Leopold. Fried-
rich, der Aeltere, war in vieler Hinsicht ganz das Ebenbild seines
123
edeln Großvaters. Wie dieser zeichnete er sich durch große Anlagen
und liebenswürdige Eigenschaften aus. Dabei war er stattlich und
wohlgebaut und sein freundliches und ausdrucksvolles^Gesicht war
von reichlichen Locken umwallt, weßhalb er auch „Friedrich der
Schöne" genannt wurde. Schon nach seines Vaters Tode hatte er
sich um die Kaiserkrone beworben; da derselbe aber nicht in gutem
Andenken stand, mußte es auch der Sohn empfinden, und Heinrich
von Luxemburg wurde ihm vorgezogen. Als aber dieser nach
wenigen Jahren starb, wurde Friedrich zu Frankfurt am 19. Okt.
1314 wirklich zum Kaiser gewählt.
An dieser Wahl hatten jedoch nicht alle Kurfürsten Theil ge-
nommen, und diejenigen, die mit derselben nicht übereinstimmten,
wählten Tags daraus Ludwig von Bayern zum deutschen Reichs-
oberhaupte. Da nun keiner der beiden Kaiser seine Ansprüche aus-
geben wollte, so entspann sich zwischen ihnen ein langer Krieg, in
welchem endlich Friedrich von'Ludwig gefangen genommen und
auf dem festen Schlosse Trausnitz in enge Hast gesetzt wurde,
wo er fast drei Jahre schmachtete.
Inzwischen hatte Herzog Leopold, der seinen geliebten Bruder
zu befreien suchte, den Krieg eifrig fortgesetzt, und Ludwig gerieth
mehrere Male in die übelste Lage. Er suchte sich daher mit Fried-
rich auszusöhnen und ritt nach Trausnitz, wo er diesem unter der
Bedingung, daß er dem deutschen Throne entsagen und ihm, dem
Kaiser, gegen alle seine übrigen Feinde beistehen solle, die Freiheit
anbot; könne er aber diese Bedingungen nicht erfüllen, so solle Friedrich
sich wieder in die Gefangenschaft zurück begebeu. Friedrich versprach
dieses; beide empfieugen darauf das heilige Abendmahl und Friedrich
eilte frei zu den Seinigen zurück.
Hier aber fand er Manches anders, als er erwartet hatte.
Sein treues Weib hatte sich über sein Unglück blind geweint, und
sein Bruder war mit seinem Vertrag gar nicht einverstanden, weß-
halb er erklärte, daß er demselben nimmermehr beitreten werde.
Friedrich war also nicht im Stande, die Bedingungen zu erfüllen,
welche Ludwig gestellt hatte, und schon nahte die Zeit, in welcher er
versprochen hatte zurückzukehren. Im tiefsten Schmerze riß er sich
von den Seinigen los; obgleich man ihm beweisen wollte, daß sein
Versprechen erzwungen sei und daher nicht gehalten werden müsse,
so wollte er doch sein gegebenes Wort erfüllen als deutscher Mann
und als Fürst. Freiwillig eilte er in seinen Kerker zurück, der ihn
von Allem trennte, was ihm auf Erden lieb und theuer war —
— und stille tritt er zu Ludwig und überreichet sein Schwert:
„Treu wollt' ich mein Wort dir lösen, mir ward's vom Geschicke
verwehrt;
124
Statt Frieden bring' ich dir Botschaft von naher Kriegesgefahr;
So stell' ich denn 'hier auf's Neue mich willig den Banden dar."
Erstaunt betrachtet ihn Ludwig, das Aug von Rührung genäßt;
Dann stürzt er ihm an den Busen und liebend umschlingt er ihn fest:
„O Friedrich, fort mit dem Haffe! Sei fürder mein Bruder und Freund,
„Und sei'n wir auf Einem Throne, zwei Herrscher in Liebe vereint."
Von dieser Zeit an lebten die beiden Regenten wie Brüder mit
einander; sie aßen an Einem Tische, schliefen in Einem Bette,
hielten miteinander gemeinschaftlich Gericht, und wenn der Eine ab-
wesend war, so beschützte und behütete der Andere mit Sorgfalt und
Treue sein Land.
— Und bald durcheilte die Kunde das staunende Vaterland:
„Die beiden Kaiser umschlinge der traulichsten Freundschaft Band;
„Sie schlummern auf Einem Lager, sie wechseln die Becher beim
Mahl;"
Drum tönte vom Lobe der Treue die Hütt' und der Fürstensaal.
49. Kaiser Maximilian I.
1493-1519.
Nach einer 53jährigen Regierung hinterließ Ferdinand III. den
Thron seinem ritterlichen Sohne Maximilian I. Dieser war
ein ungemein thatkräftiger Mann. Ausgezeichnet durch ungewöhn-
liche Gaben des Körpers und Geistes, vereinigte er mit gewaltiger
Stärke und Gewandtheit die liebenswürdigsten Eigenschaften: Gnt-
müthigkeit, Freundlichkeit, Offenheit, Redlichkeit und heitern Sinn.
Ueberaus lebhaft, thätig, ruhmbegierig und bis zur Verwegenheit
kühn, fühlte er sich zu dem Manigfaltigsten hingezogen, am meisten
zu dem Außerordentlichen, Abenteuerlichen und Gefahrvollen. Er
hatte Vergnügen daran, mit der Gefahr zu scherzen und, gleich den
Helden des Alterthums, mit Ebern, Bären und andern wilden Thie-
ren zu kämpfen. Er war der kühnste Jäger und verfolgte die Gem-
sen und Steinböcke bis auf die höchsten Gipfel der Berge und
Felsen, wobei er einst auf der Martinswand oder dem Zierlberg an
der Straße nach Insbruck so sehr in Gefahr gerieth, daß Jeder-
mann seine Rettung für unmöglich hielt. Er hatte sich nämlich in
ungeheurer Höhe, bei der Verfolgung einer Gemse, so verstiegen,
daß er nicht weiter vorwärts noch rückwärts konnte. Man sah den
Kaiser, aber Niemand wußte ihm zu Hilfe zu kommen, auf die er
zwei Tage lang vergebens hoffte. Er bereitete sich zum Tode und
rief herab, daß man ihm das hochwürdigste Gut wenigstens von
ferne zeigen möchte, und er es geistigerweise als letzte Wegzehrung
empfangen könne. Das heilige Sakrament wurde in Prozession
125
herausgetragen; unter dem Schluchzen und Weinen der versammelten
Volksmenge empfieng der Kaiser den Segen und erwartete darauf
mit Ergebung seine letzte Stunde. Da trat plötzlich aus einer
Spalte der Felswand heraus ein Hirtenknabe, führte den Kaiser
durch die Spalte, die er zuvor nicht bemerkt hatte, hindurch, und
brachte ihn endlich wohlbehaltenen den Seinigen hinab, von denen
er mit Jubel empfangen wurde.
An Geschicklichkeit in ritterlichen Uebungen, wie an Gefühl für
ritterliche Ehre wich Max keinem seiner Zeitgenossen; aber eben so
sehr war er auch für Wissenschaften und Künste eingenommen. Er
verstand alle damals in Europa gewöhnlichen Sprachen und wußte
sich besonders im Lateinischen, Deutschen, Französischen, Italienischen,
Englischen und Böhmischen mit vieler Geläufigkeit auszudrücken.
Unter den Künsten liebte er vorzüglich Musik, Dichtkunst, Malerei
und Baukunst. Auch als Regent war er ungemein thätig. Er
schaffte das Faustrecht ab, theilte das deutsche Reich in 10 Kreise
und führte das Reichskammergericht ein, das unter feiner Regierung
allerdings wohlthätiger wirkte, als in späteren Jahren. Durch
seine eheliche Verbindung mit Maria, der Tochter Karls des Küh-
nen von Burgund, brachte er die reichen und betriebsamen Provin-
zen der Niederlande an sein Haus. Seinen Sohn Philipp ver-
band er mit der Erbprinzessin Johanna von Spanien, der Tochter
Ferdinands und Isabellens, wodurch in der Folge auch dieses
Land an Oesterreich kam. Auch Böhmen und Ungarn vereinigte
Maximilian mit seinen Erblanden, sowie das über 100 Jahre da-
von getrennt gewesene Tyrol. Mit Recht verdient er daher der
zweite Stifter des Hauses Oesterreich zu heißen; denn wie Ru-
dolph von Habs bürg, dem er überhaupt in Rücksicht auf Gut-
müthigkeit, Thätigkeit und Sorgfalt für das Wohl seiner Länder
glich, den ersten Grund zu der Macht dieses Hauses legte, so hat
Max dieselbe zu einer Hauptmacht Europas erhoben und verdient
daher den thatkräftigsten, einsichtsvollsten und tapfersten Regenten
aus dem österreichischen Kaiserhause beigezählt zu werden.
50 Deutsche Erfindungen.
Blicken wir auf die Völker aller Staaten Europas, fo finden
wir keine Nation, die sich in diesem Zeitraum so sehr gehoben hat,
als die deutsche. Künste und Wissenschaften waren in den letzten
Jahrhunderten bedeutend empor gekommen; die Städte waren reich,
darum entstanden prächtige Bauten, besonders jene herrlichen Tempel,
die wir noch jetzt als Meisterwerke deutscher Baukunst bewun-
dern, und welche sämmtlich im Mittelalter aufgeführt wurden. Die
Klöster pflegten die Mufik, Malerei und Bildhauerei, indem
126
sie Vieles aufwendeten, um den Gottesdienst durch würdige und er-
hebende Gesänge zu verherrlichen und ihre Kirchen durch kunstvolle
Gemälde und Statuen zu schmücken; zudem beförderten sie auch die
Wissenschaften, welche in den finstern und rohen Zeiten der
früheren Jahrhunderte allein in den Klöstern gepflegt wurden, denen
wir ausschließlich die Erhaltung derselben verdanken.
Auch durch nützliche Erfindungen zeichneten sich die Deutschen
schon im Mittelalter rühmlich aus. So erfand ein deutscher Mönch
schon um das Jahr 1000 die Rödernhreu, die natürlich noch sehr
unvollkommen waren, aber im Lause der nächsten Jahrhunderte
schon sehr verbessert wurden, und noch vor dem Schlüsse des fünf-
zehnten Jahrhunderts gab es schon eierförmige Taschenuhren, die
ein Nürnberger Uhrenmacher, Namens Peter Hele, erfunden hatte;
man nannte dieselben Nürnberger Eier, und sie waren allerdings
gegen unsere fetzigen Cylinderuhren noch sehr plump. Aber wie
würde dieser jedenfalls verdienstvolle Mann sich erst verwundern,
wenn er eines jener feinen und künstlichen Uhrwerke sehen könnte,
die man in unserer Zeit in den Knopf eines Ringes oder einer
Brustnadel einfügt? —
Eine weitere, sehr wichtige Erfindung der Deutschen ist die Be-
reitung des Papiers aus Leinwandlumpen, ans welche man schon
um das Jahr 1300 kam. Sodann erfand Jürgens in Brann-
schweig 1530 ein Werkzeug, das besonders deutschen Hausfrauen lieb
geworden ist, nämlich das Spinnrad. Auch die Kupferstecherknnst
sollen die Deutschen erfunden haben.
Die wichtigste und einflußreichste aller Erfindungen ist jedoch
unstreitig die Bnchdruckerknnst. Durch diese Kunst wurden Bücher,
die vorher mühsam abgeschrieben werden mußten, schnell vervielfältigt
und kamen um billigen Preis in Jedermanns Hände, während
früher z. B. eine geschriebene Bibel drei- bis vierhundert Gold-
gulden kostete. Schon zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts
kannte man die Formschneidekunst; man schnitt nämlich allerlei Hei-
ligenbilder auf hölzerne Täfelchen, bestrich sie mit Farbe und druckte
sie sodann auf Papier oder Pergament ab. Dieses Verfahren leitete
zuerst auf den Gedanken, Wörter, und zuletzt ganze Seiten verkehrt
in Holztafeln zu schneiden und abzudrucken; da man aber solche
Holztafeln nur zu Einem Buche brauchen konnte, so versuchte Jo-
hann Guttenb erg aus Mainz zuerst um'das Jahr 1440 die
einzelnen Buchstaben auf gleichlange buchene Stäbchen zu schnei-
den und daraus ganze Seiten zusammen zu setzen, die sodann mit
Dinte oder Lampenruß geschwärzt und abgedruckt wurden. So
konnte man nun schon die gleichen Buchstaben auch wieder zu jedem
andern Druck zusammen setzen; da sie aber leicht zerbrachen, so ver-
fertigte er später solche Buchstaben aus Metall. Um das Jahr 1456
127
erschien die Bibel in lateinischer Sprache in drei Bänden vollständig
gedruckt, und ein Jahr später waren auch die Psalmen gedruckt zu
haben. Bald folgten Bibelübersetzungen nach, deren es schon vor
Luthers Zeit 14 in hochdeutscher und 6 in plattdeutscher Mundart
gab. Und nun war das Thor geöffnet, durch welches Bildung und
Unterricht in alle Welt hinaus strömten. Die Wissenschaften wur-
den immer mehr Gemeingut, was bald den entschiedensten Einfluß
auf die Cultur des Volkes äußerte und eine höhere Geistesbildung
für spätere Zeiten vorbereitete.
Eine andere, gleichfalls wichtige und folgenreiche Erfindung ist
die des Schießpulvers. Ein Franziskanermönch, B e r t h o l d
Schwarz, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu Freiburg
in Baden lebte, beschäftigte sich gerne mit naturwissenschaftlichen
Versuchen. Als er nun einmal Schwefel, Salpeter und Kohlen in
einem Mörser stampfte und die Oeffnung theilweise mit einem Steine
bedeckt hatte, schlug er in der Nähe Feuer an, mit Stahl und Stein,
wie es damals gewöhnlich geschah. Da fuhr ein Funke in den nicht
vollständig bedeckten Mörser; die Masse entzündete sich und der Stein
flog mit einem fürchterlichen Knalle in die Höhe. Man kann sich
denken, wie der Mönch über dies unerwartete Ereigniß erschrocken
seyn mag! — Mit mehr Genauigkeit, aber auch mit viel mehr Vor-
sicht wiederholte er seine Versuche und machte sodann seine Erfin-
dung bekannt. Zuerst machte man mörserähnliche Röhren, bedeckte
sie mit großen Steinen oder schob diese in die Röhren hinein, worauf
man die Pulvermasse durch eine kleine, nahe am Boden ange-
brachte Oeffnung entzündete. Darauf verlängerte man die Röhren,
aus denen man Steine und später eiserne Kugeln von ungeheurer
Größe tausend Schritte weit schoß. So erfand man die Kanonen,
die zuerst zum Tragen eingerichtet waren, worauf man endlich auf
die Erfindung der Büchsen und Musketen kam, die man immer mehr
vervollkommnete, und die jetzt hauptsächlich, wie die Kanonen, im
Kriege angewendet werden, wodurch im Laufe der Zeiten eine völlige
Umgestaltung im Heer- und Kriegswesen entstanden ist.
51. Die Entdeckung Amerika's.
Eines der merkwürdigsten Ereignisse am Schluffe des Mittel-
alters ist die Entdeckung Amerikas, welche für diesen Erdtheil selbst,
so wie für Europa die wichtigsten Folgen hatte.
Schon in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts hatten
die Portugiesen aus der Westseite Afrika's große Entdeckungen ge-
macht, welche einen kühnen Seemann, Christoph Columbus
(geboren zu Genua um das Jahr 1447), auf den Gedanken brachte,
daß ein bequemerer Seeweg nach Ostindien zu finden seyn müßte,
128
wenn man quer durch das atlantische Meer gegen Westen segeln
würde. Anhaltendes Nachsinnen und die Vergleichung neuer Er-
fahrungen mit den Muthmaßungen alter Schriftsteller bestärkten ihn
in diesem Gedanken, wozu noch die Vermuthung kam, daß auf dieser
weiten Strecke wohl noch große und unbekannte Länder liegen könnten.
Um eine Entdeckungsreise in dieser Richtung unternehmen zu
können, suchte er die Unterstützung einer europäischen Macht, wandte
sich an seine Vaterstadt Genua, und als er hier kein Gehör fand
— an den König Johann 11. von Portugal. Hier aber wurde
sein Vertrauen auf eine schändliche Weise mißbraucht; ein Anderer
wurde heimlich zur Beschiffung des atlantischen Meeres ausgesendet,
und als dieser, erschreckt durch die unabsehbare Weite des Weges,
bald und fruchtlos zurückkehrte, so verwarf man seinen Plan als
thöricht und unnütz. Nun erst wendete er sich nach Spanien, wo
damals Ferdinand und Isabelle von Castilien gemeinschaftlich
regierten; aber auch hier wurde er mehrere Jahre mit leeren Ver-
sprechungen hingehalten. Endlich am 17. April 1492 schloß die
Königin einen Vertrag mit Columbus ab, in welchem ihm zugesagt
wurde, daß er (und nach ihm seine Erben) in allen Meeren, Inseln
und Ländern, die er entdecken würde, Oberadmiral oder Unter-
könig seyn und den zehnten Theil von dem reinen Gewinn,
den seine Entdeckungen einbringen würden, genießen solle.
Columbus erhielt nun drei unbedeutende und schlecht ausge-
rüstete Schiffe, die den Namen Santa Maria, Pinta und
Nigna führten und für 90 Mann auf 1 Jahr mit Lebensmitteln
versehen waren. Am 2. August zog er mit seinen Gefährten in das
Kloster Rabida, wo er mit ihnen beichtete, das heilige Abendmahl
genoß und Gott um das Gelingen seines Unternehmens anflehte.
Des andern Tages segelte er aus dem Hafen von Palos ab und
steuerte den canarischen Inseln zu, wo er schon anhalten mußte, um
seine schlechtgebauten Schiffe auszubessern. Als er aber von hier
an westwärts in ein noch unbekanntes und nie befahrenes Meer
hinein steuerte, hatte er nicht nur mit den Schwierigkeiten einer sol-
chen gefahrvollen Fahrt, sondern weit mehr mit der Aengstlichkeit
und Verzagtheit seiner Gefährten zu kämpfen, und es bedurfte all'
seiner Wachsamkeit, Standhaftigkeit, Gewandtheit und Menschen-
kenntniß, um die Kleinmüthigen zu ermuthigen und die Widerstreben-
den zu beschwichtigen. Er verbarg ihnen die Weite des Weges, den
sie zurücklegten, deutete ihnen die auffallenden Naturerscheinungen,
die sich ihnen zeigten, und ermunterte sie durch Aussichten auf große
Reichthümer, die sie am Ziel ihrer Reise finden würden. Als aber
die Fahrt sich immer weiter hinzog und kein Land sich ihnen zeigte,
da gieng ihre Aengstlichkeit in Wuth und Verzweiflung über; die
Bande des Gehorsams löseten sich aus, und unter mörderischen
129
Drohungen forderte die ganze Schiffsmannschaft, daß Columbus
augenblicklich umkehren lassen solle. Er verlangte dagegen, daß sie
ihm nur noch 3 Tage weiter folgen sollten und versprach, wenn sich
bis dahin kein Land zeige, wieder nach Europa zurück zu segeln.
Indessen wurde die Nähe des Landes immer gewisser. Das Senk-
blei erreichte den Grund des Meeres, die Züge der Vögel nahmen
zu, und unter denselben befanden sich viele Landvögel; man sah
Zimmerholz schwimmen, fieng einen Baumast mit ganz frischen,
rothen Beeren auf; die Luft ward milder und während der Nacht
veränderlich. Columbus befahl daher am Abend des 11. Oktobers
die Segel einzuziehen und genaue Wacht zu halten, um nicht un-
versehens an's Land getrieben zu werden. Kurz vor Mitternacht
bemerkte er in der Ferne ein Licht, und bald nach Mitternacht er-
schallte von der Pinta, die den übrigen Schiffen voraus war, das
Freudengeschrei: „Land, Land!" Mit Ungeduld erwartete die
ganze Mannschaft den Anbruch des Tages. Er erschien (es war
der 12. Oktober des Jahres 1492), und vor ihnen lag eine rei-
zende-Insel. Freude und Jubel, Beschämung und Reue erfüllten
das Schifssvolk. Auf ihren Knieen baten sie Columbus um Ver-
zeihung und sangen aus dankerfülltem Herzen das Danklied: „Herr,
Gott, dich loben wir!"
Mit festlichem Gepränge, fliegenden Fahnen und lautschallender
Kriegsmusik ruderten sie auf die Insel zu. Columbus betrat sie
zuerst. In einem reichen Kleide, mit bloßem Degen, schritt er an's
Land; seine Mannschaft folgte ihm, und alle kniekn nieder und küß-
ten den so lange ersehnten Boden. Darauf errichteten sie ein Kreuz,
dankten Gott für das Glück ihrer Reise und nahmen für die Krone
Spanien das neuentdeckte Land in Besitz.
Während dieses geschah, wurden sie von vielen Eingebornen
umgeben, die mit Verwunderung eine Begebenheit anstaunten, die sie
nicht begriffen und deren Folgen sie nicht ahneten. Aber auch die
Europäer waren voll Erstaunens über das viele Neue, das sie
sahen. Ganz andere Bäume, Stauden, Pflanzen, Thiere und Men-
schen, als sie in ihrer Heimath zu sehen gewohnt waren, fanden sie
hier. Die Insel, von den Einwohnern Guanahani genannt,
schien fruchtbar aber wenig angebaut zu seyn. Columbus nannte
sie San Salvador. Sie ist eine der lukayschen oder Ba-
hamas Inseln. Die Einwohner, gutmüthige Wilde, nackt, kupfer-
farbig und ohne Bärte, waren anfangs scheu und schüchtern, wur-
den aber bald mit den Spaniern vertraut, als ihnen diese Schellen,
Glaskorallen, Spiegel und andere Kleinigkeiten schenkten. Die Ein-
wohner schenkten ihnen dagegen rohe Lebensmittel und Baumwolle,
auch^Goldbleche, die sie als Zierrathen in der Nase trugen. Auf
die Frage, woher sie diese bekämen, wiesen sie nach Süden, und
Reiser, der Vvlksschülcr i. d. Oberklasse. 9
130
Columbus richtete nun seine Reise dorthin. Er entdeckte mehrere
kleine Inseln, dann die große Insel Cuba, und am 6. Dezember
Hayti, von ihm Hispaniola und später St. Domingo ge-
nannt. Hier zeigten sich Spuren von Reichthümern, aber noch nicht
das eigentliche Goldland. Mit Zustimmung der Einwohner, die er
durch Freundlichkeit gewann, legte er auf der Nordseite der Insel
eine kleine Festung an und ließ 38 Spanier in derselben zurück,
worauf er auf seinem letzten Schiffe, denn das Schiff Santa Maria
war gescheitert und mit der Pinta war Pinzo n, einer seiner Unter-
befehlshaber, heimlich durchgegangen — nach Europa zurückkehrte.
Die Rückreise war äußerst gefahrvoll; doch lief er endlich am
15. März 1493 glücklich in den Hafen von Palos ein, den er vor
7 Monaten und 11 Tagen verlassen hatte. Unter dem Geläute der
Glocken, dem Donner des Geschützes und dem lautschallenden Jubel
des Volkes stieg er an's Land. Sein Zug nach Barcellona, wo
damals Ferdinand und Isabella Hof hielten, glich einem Triumph-
zuge, und er wurde noch mehr angestaunt als die Menschen, Thiere,
Pflanzen und andere Erzeugnisse der neuen Welt, die er mit sich
brachte. Als er an den Hof kam und dem königlichen Paare ehr-
furchtsvoll knieend die Hand küssen wollte, erhob sich dasselbe vom
Throne, hob ihn ans und ließ ihn auf einen, für ihn bereit stehenden
Stuhl niedersitzen, was als die höchste Auszeichnung zu betrachten
war. Mit Anstand und edler Bescheidenheit erstattete er.umständ-
lichen Bericht von seiner Entdeckung, und als er geendigt hatte, knie-
ten der König und* die Königin nieder und dankten Gott. Sie be-
stätigten hieraus die, dem Columbus zugesagten Rechte, erhoben ihn
in den Adelstand und befahlen, was ihn am meisten freute, sogleich
eine größere Flotte auszurüsten, damit er bald auf weitere Ent-
deckungen auslaufen könne.
52. Karl V. und die Reformation..
Der Nachfolger des Kaisers Maximilian auf dem deutschen
Thron war sein Enkel, Karl V., ein Sohn Philipps von Spanien.
Er war der länderreichste Fürst seiner Zeit; von ihm konnte man
sagen, daß die Sonne in seinen Reichen nie untergehe.
Er war Kaiser von Deutschland, König von Spanien, Nea-
pel und Sicilien, Erzherzog von Oesterreich, Beherrscher der
Niederlande und des nördlichen Italiens und Herr von West-
indien, Peru und Mexiko in Amerika, welche reiche Länder
durch Columbus wenige Jahre früher für die Krone Spanien ent-
deckt worden waren, wie dies oben erzählt wurde.
Mit Kaiser Maximilian (1519) endet die Geschichte des
Mittelalters, die mit der großen Völkerwanderung 375 be-
131
gönnen hatte, und mit Karl V. beginnt die Geschichte der neue-
ren Zeit. Diese erzählt uns schon auf ihren ersten Blättern ein
ungemein folgenreiches Ereigniß, nämlich die Geschichte der Kirchen-
trennung oder Reformation, worüber wir hier das Wichtigste
anführen.
Schon in den ersten Zeiten des Christenthums hatte die Kirche
besonders auf solche Sünden, die in der Christengemeinde Aergerniß
gaben, gewisse Strafen gesetzt, durch welche solche öffentliche Ver-
gehungen auch öffentlich gesühnt und um so eher verhindert werden
sollten. Solchen Büßern war z. B. die Theilnahme an dem öffent-
lichen Gottesdienste versagt; sie mußten am Eingang der Kirche
stehen und flehten, in ein Bußkleid gehüllt, die Hineingehenden um
ihre Fürbitte an. Solche Kirchenbußen dauerten oft mehrere Jahre
lang, bisweilen wurden sie aber auch von dem Bischöfe nach-
gelassen, wenn der Büßende wahre, große Reue zeigte, woher
das Wort „Ablaß" entstand, oder die Bußzeit wurde abgekürzt,
oder es wurde dafür die Uebung guter Werke, wie Beten, Fasten'
oder Almosen geben aufgelegt. Auch denjenigen wurden Ablässe,
d. h. Nachlaß zeitlicher Strafen ertheilt, die gottgefällige Werke,
wie z. B. die Erbauung von Kirchen und Kapellen durch Beiträge
beförderten, und so ließ einst auch Papst Leo X. allen Jenen einen
Ablaß verkündigen, die zur Vollendung der herrlichen Peterskirche
in Rom einen Beitrag geben würden. Allerdings * gab es in jener
Zeit der Unwissenheit gar Viele, die über den »Ablaß eine ganz
irrige Ansicht hatten und glaubten, daß durch denselben die Sün-
denschuld selbst nachgelassen werde, was die katholische
Kirche niemals geglaubt und gelehrt hat.
Martin Luther (geboren zu Eisleben 1483), ein Augustiner-
mönch und damals Professor zu Wittenberg, schrieb 95 Sätze gegen
den Ablaß, sandte sie seinem Erzbischof zu, heftete sie an die Kirch-
thüre an und vertheidigte sie in seinen Predigten. Der Papst ließ
ihn durch seinen Gesandten zu Augsburg ermahnen, seinen Irr-
thümern zu entsagen, was Luther anfangs versprach; da aber seine
Lehre immer mehr Anhänger fand, so gieng er auch immer weiter
und verwarf endlich gar die heiligen Sakramente der Firmung,
Oelung, Priesterweihe-und Ehe. Der Papst erklärte in einer
Bulle eine Anzahl Sätze aus Luthers Schriften als Irrthümer und
bedrohte ihn mit dem Banne, wenn er während 60 Tagen die-
selben nicht widerrufen werde.
Luther war aber keineswegs zum Nachgeben bereit; er errichtete
vielmehr einen Scheiterhaufen und warf die Bannbulle sammt dem
kirchlichen Gesetzbuch in's Feuer.
Kaiser Kar! V., der wohl voraussah, daß diese Streitigkeiten
für das Wohl der Kirche und des Reiches gefährlich werden könnten,
132
ließ Luther auf einen Reichstag nach Worms vorladen, und hier
wurde er abermal aufgefordert, seine Irrthümer zu widerrufen. Er
erklärte, daß er das nicht thun könne, wenn man feine Lehre nicht
durch die heilige Schrift widerlege. Das war aber nicht möglich,
weil Luther die Bibel nach seinem Sinne willkührlich auslegte
und sogar einige Bücher derselben verwarf. Auch dem Ausspruche
eines Conciliums wollte Luther sich nicht unterwerfen, und daher
wurde er mit der Neichöacht belegt. Der Kurfürst von Sachsen
nahm ihn jedoch in Schutz und verbarg ihn lange Zeit auf der
Wartburg. Auf einem Reichstage zu Speier wurde nun verboten,
ferner im Kirchenwesen Etwas zu ändern, bis eine Kirchenversamm-
lung darüber entschieden haben werde. Gegen dieses Verbot prote-
stirten die Anhänger Luthers, und von da an nannte man sie
Protestanten.
Dies ist der Anfang der Reformation, die sich namentlich
im Norden Deutschlands immer weiter verbreitete und in der Folge
sehr beklagenswerthe Ereignisse und blutige Kriege veranlaßte. Fast
zu gleicher Zeit mit Lucher bewirkte auch Ulrich Zwingli in
Zürich eine Reformation, welcher auch Calvin von Genf beitrat.
Ihre Anhänger heißen R eformirte oder C alvinisten und finden
sich hauptsächlich in der Schweiz, in Frankreich und in den Nieder-
landen.
'53. Der dreißigjährige Krieg.
• ' 1618—1648.
Auf einem Reichstage, welcher 1530 zu Augsburg gehalten
wurde, ließen die Protestanten durch Luthers Freund Melanch-
th on ihr Glaubensbekenntniß vorlegen, welches von daher die Aug s-
burger Confession genannt wird. Da dieses in vielen Stücken
von den Lehren und Grundsätzen der katholischen Kirche abwich, so
wurde es verworfen, wodurch sich die Protestanten veranlaßt sahen,
zu Schmalkalden einen Bund zu Schutz und Trutz zu errichten, dem
der Kaiser seinerseits nachdrücklich entgegen trat; und erst nach vielen
Kämpfen kam es zu dem Abschluß des Religionsfriedens zu Augs-
burg, wodurch den Protestanten freie Religionsübung im Reiche ge-
stattet wurde (1555).
Diese Kämpfe waren aber nur das Vorspiel eines langen und
blutigen Krieges, der später zwischen beiden Partheien ausbrach und
30 Jahre lang mit solcher Erbitterung und Grausamkeit fortgesetzt
wurde, daß durch denselben unser ganzes Vaterland in das tiefste
Elend gerieth.
Kaiser Rudolph II. hatte nämlich in einem Majestätsbrief den
protestantischen Ständen und freien Städten das Recht zugestanden,
auf ihrem Grundeigenthum Kirchen und Schulen für die Angehörigen
133
ihrer ConMon bauen zu dürfen. Die Protestanten giengen hierin
aber bald weiter, als ihnen eingeräumt worden war, und erbauten
auf dem Gebiet des Erzbischofs von Prag und des Abts von Braunau
zwei Kirchen. Der Erzbischof und der Abt untersagten den Bau,
aber vergebens. Darauf ließ der Erzbischof, mit Bewilligung des
Hofes, die auf seinem Gebiet erbaute Kirche niederreißen, und der
Abt von Braunau ließ die dortige sperren. Dadurch wurden die
Protestanten auf's Höchste erbittert, drangen in das Schloß zu Prag
ein, warfen die kaiserlichen Räthe zum Fenster hinaus, kündigten
dem Kaiser den Gehorsam auf und drangen selbst m die österreichi-
schen Staaten ein.
In dieser gefahrvollen Zeit kam, nach dem Tode des Kaisers
Mathias, Ferdinand 11. auf den Thron. Dieser unterdrückte schnell
den Aufstand und verlangte durch das Restitutionsedikt (oder
Wiederherstellungsgesetz), daß die protestantischen Fürsten alle seither
eingezogenen katholischen Kirchengüter zurückgeben sollten. Die Pro-
testanten waren aber hiezu nicht geneigt, riefen den schwedischen
König Gustav Adolph um Hilfe an, und dieser landete bald
mit 15,000 Mann ausgesuchter Truppen in Deutschland. Er ver-
band sich mit den Protestanten und erhielt selbst von Frankreich
Unterstützung, woraus der Krieg mit der größten Heftigkeit fort-
geführt wurde. Schlachten um Schlachten wurden geschlagen; Städte
und Dörfer wurden eingeäschert, Mord und Raub waren überall
an der Tagesordnung. Zwei Drittheile der Bevölkerung Deutsch-
lands kamen während dieses unheilvollen Krieges durch das Schwert,
durch Seuchen, Hungersnoth und Elend aller Art um das Leben.
Die Fluren unseres unglücklichen Vaterlandes lagen öde; die einst
so wohlhabenden Städte waren verarmt; Handel und Gewerbe
lagen darnieder; Gottesdienst, Schulen und Iustizpflege hatten aus-
gehört; Noth und Elend waren allgemein: kurz, Deutschland stand
am Rand des Verderbens, und sein Wohl schien für alle Zukunft
vernichtet zu seyn.
Als Heerführer hatten sich in diesem Kriege auf Seite der Pr o te-
st anten nebst dem Könige Gustav Adolph, der in der Schlacht bei
Lützen, unweit Leipzig, das Leben verlor, Herzog Bernhard von Sachsen-
Weimar, kath olischerseits aber die Feldherren Wallenstein und
Tilly ausgezeichnet. Besonders aber ist es Letzterer, der durch seinen
Heldenmuth, seinen biedern Charakter und seine Frömmigkeit unsere
Hochachtung und Bewunderung in vollem Maaße in Anspruch nimmt.
Tilly war ein Mann von hagerer Statur mit derben Knochen,
eingefallenen Wangen, großer Nase und lebhaft blitzenden Augen.
Das graue Haar hieng ihm stets borstenartig über die gerunzelte
Stirne und um dm Kopf, auf dem er einen grauen, spitzigen Hut
trug, von welchem seitwärts eine rothe Straußseder über den Rücken
134
herab hieng. Sein Kleid und seine Beinkleider waren von grünem
Atlas nach spanischem Schnitt. Im Gürtel trug er blos eine Pi-
stole, in der Hand eine Reitgerte, und fast immer ritt er in der
Schlacht auf einem kleinen Grauschimmel. Als Feldherr war er
äußerst pünktlich und strenge; in seinem Leben sittlich, reli-
giös und mäßig. Er kannte keine Art von Wohlleben, trank nie-
'mals Wein, und Eigennutz, Stolz und Hochmuth waren ihm ganz
unbekannt. Als der Kaiser ihn für seine treuen Dienste irk den
Reichsfürstenstand erheben wollte, verbat er sich die Ehre und gab
dem Schreiber d<er Kanzlei 500 Thaler, damit er das Patent nicht
ausfertigen solle. Eine goldene, mit Diamanten besetzte Kette, die
er von der Regentin der Niederlande erhalten hatte, schenkte er so-
gleich dem Kloster Alt-Oetingen, und der Stadt Hamburg, die ihm
aus Dankbarkeit 1000 Rosenobel zustellen ließ, schickte er dieselben
unverweilt wieder- zurück.
Dies war der Held, dem man zwei Jahrhunderte lang un-
gerechter Weife die Grausamkeiten zur Last legte, die bei der Ero-
berung Magdeburgs (1631) begangen wurden, was jedoch un-
partheiische Geschichtsforscher neuerer Zeit glänzend widerlegten.
Seit dem Monate Dezember 1630 hielt nämlich Tilly Magde-
burg enge eingeschlossen und beschoß es fast täglich. In mehreren,
noch vorhandenen Briefen an den Administrator der Stadt, den
Markgrafen Christian Wilhelm, sowie an den Befehlshaber Falken-
berg und an den Magistrat hatte er zur Uebergabe aufgefordert und
selbst beigesetzt, daß die Stadt dadurch billige Bedingungen erlangen
und nur so einem sehr harten und traurigen Geschicke entgehen könne.
So schrieb er einmal an Falkenberg, der die Einwohner immer mit
falschen Nachrichten über die Ankunft des Schwedenkönigs täuschte
und dadurch zum Widerstände ermuthigte: Er werde bei so be-
schaffenen Dingen wohl selbst erwägen können, daß es weder christ-
lich noch billig, viel weniger vor Gott und dem Gewissen zu
verantworten sei, durch Rath und That dazu beizutragen, daß so
viele unschuldige Menschen in das äußerste Elend gestürzt werden
und Gut und Leben verlieren sollten. Als aber all' seine Mah-
nungen fruchtlos blieben, wurden am 20. Mai 1631, Morgens um
7 Uhr schnell die Sturmleitern angelegt; die Soldaten erstiegen die
Mauern, schlugen die obcnstehenden Wächter zurück; alle Kanonen
wurden gelöst, die Thore.eingeschlagen, und ehe noch die Bürger
sich zum Widerstände sammeln konnten, waren Tilly's Truppen
Meister der Stadt. Falkenberg, der vom Rathhause herbeieilte,
wurde gleich auf der Straße erschossen. Immer heftiger ward die
Wuth der Stürmenden, als sie aus allen Häusern Widerstand fan-
den und Gasse für Gaffe einzeln einnehmen mußten. Wer auf der
Straße sich blicken ließ, wurde niedergestochen; wie hungrige Tiger
135
brachen die Soldaten, besonders Pappenheim's wilde Wallonen, in
die Häuser- ein, durchsuchten jeden Winkel und verübten viele Gräuel.
Väter wurden vor den Augen der Kinder ermordet; Weiber wurden
in den Armen ihrer Männer erstochen, Kinder an den Wänden zer-
schmettert; Jungfrauen sprangen aus den Fenstern oder stürzten sich
in die Elbe. Um 10 Uhr sieng die Stadt an zu brennen, und das
Feuer trieb alle Einwohner auf die Straße, wo das Morden fort-
gesetzt wurde. Ein Sturmwind peitschte die Flammen nach allen
Richtungen hin; die Luft glühte und die Plünderer selbst mußten
sich eiligst auf die Wälle zurück ziehen. Nach 16 Stunden legte
sich der Brand; eine der ersten Städte Deutschlands lag in Asche,
nur der Dom, ein Kloster und einige Fischerhütten waren verschont
geblieben. Am dritten Tage hielt Tilly seinen Einzug. Als man
den Dom öffnete, fand man noch 1000 halbverhungerte Menschen
in demselben, Tilly ließ Brod unter sie austheilen und begnadigte
sogar die Prediger, welche das Volk während der Belagerung un-
ablässig zum Widerstände aufgehetzt hatten.
Es ist durchaus unwahr, daß Tilly das Morden und Brennen
gebilligt oder gar befohlen habe; dagegen spricht seine Gemüthsart
und sein Charakter. Auch suchte er bei der Plünderung Nichts für
sich, sondern nahm fliehende Waisen und schwache Greise in seinen
Schutz mit den schönen Worten: „Das sei meine Beute." Die
in der Stadt zerstreuten Soldaten waren in ihrer Wuth nicht mehr
zu zügeln, denn wer vermag den Tiger zu bändigen, wenn er einmal
Blut geschmeckt hat? Welche Macht vermag die entfesselte Leiden-
schaft zu bezwingen, die dem Meere gleicht, das die User durch-
brochen hat? Tilly mußte blos geschehen lassen, was er nicht hin-
dern konnte.
Nachdem dieser furchtbare Krieg eine Menge ähnlicher Schauer-
scenen, wenn auch in minder großem Maaßstabe, erzeugt hatte,
wurde endlich der von ganz Deutschland sehnlichst erwartete Friede
vermittelt, worüber man zuerst in Münster und später in Osna-'
brück unterhandelte, weßhalb derselbe der westphälische Friede ge-
nannt wird. Durch denselben wurde unter Anderem festgestellt, daß
die Protestanten gleiche Religionsübung und gleiche Rechte mit
den Katholiken erhalten und an Schweden die Insel Rügen
nebst einem Theil von Pommern abgetreten werden solle. Frank-
reich erhielt das Elsaß, und die Schweiz und die Nieder-
lande wurden als unabhängige Staaten erklärt.
54. Die Türken vor Wien (1683).
Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts eroberten die Tür-
ken Constantinopel. Von hier ans suchten sie ihre Macht nach allen
136
Seiten hin zu erweitern und bedrohten besonders Deutschland. Schon
im Jahre 1529 war Sultan Soleimann, ein gewaltiger Krieger,
bis nach Wien vorgedrungen und hatte die Stadt hart bedrängt,'
allein an der geistigen Ueberlegenheit und Wachsamkeit des Herzogs
Philipp von Bayern, der mit einer Besatzung von nur 16,000
Mann Wien vertheidigte, scheiterte des Sultans KriegsglüÄ. Nach-
dem er 30,000 seiner besten Krieger vor den Mauern der Stadt
verloren hatte, hob er die Belagerung auf, und Alles mit Feuer
und Schwert verwüstend, zog er sich nach Ungarn und von da in
sein Reich zurück.
In noch größere Bedrängniß wurde Wien versetzt, als die Tür-
ken den 14. Juli 1683 unter dem Großwessir Kara Mustapha
die Stadt abermals belagerten. Die Festungswerke waren in schlech-
tem Zustande; es fehlte an Mundvorrath, an Geschütz, und die Be-
satzung zählte blos 10,000 Mann, die jedoch unter ihrem wackern
Commandanten, Gras Rüdiger von Stahremberg muthig und
unverdrossen stritten. Als aber die Noth ans das Höchste gestiegen
war, eilten die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, der König
von Polen und der Herzog von Lothringen mit einem Heere
von 84,000 Mann herbei, schlugen die Türken und eroberten ihr
Lager mit einer Menge von Schätzen und Kriegsbedürfnissen, wie
dies in den nachfolgenden Gedichten umständlicher erzählt wird.
55. Die Befreiung Wiens.
1683 den 13. Sept.
1. Ein Falke späht vom Felsennest so weit, so weit in's Land,
Er späht nach Ost und späht nach West, hinab, hinauf den Strand.
2. Der Falke ist Gras Stahremberg hoch auf dem Stephansthurm;
Doch Türken nur und Türken nur sieht nahen er zum Sturm.
3. Da rief im Zorn er kummervoll: „Die Noth, die klag'ich Gott.
„Daß ihr mich so verlassen habt, dem argen Feind zum Spott!
4. „Nun pflanz' ick auf den Stephansthurm die heil'ge Kreuzessahn',
„Ihr Sinken klag' den Christen all', daß wir dem Falle nah'n.
5. „Und stürzt die Fahn' vom Stephansthurm, dann stehe Gott uns bei!
„Dann decke sie als Leichentuch den Stahremberger frei."
6. Der Sultan rief dem Stahremberg: „„Bei Allah! hör' mein Wort,
„„Die Fahne stürzt vom Stephansthurm, den Halbmond pflanz'
ich dort.
7. „„Ich mache Wien zur Türkenstadt, Sankt Stephan zur Moschee,
„„Entreiß'das Kind der MutterBruft, bring' Allen Leid undWeh.""
137
8. Der Sultan und der Stahremberg die sprachen fürder nicht;
Denn mit dem eh'rnen Feuermund das Feldgeschütz nun spricht.
9. Ach Stephan! heil'ger Gottesmann! sie warfen dich einst todt,
Wie bringen sie nun, ach! dein Haus durch manchen Wurf in Noth!
10. Jetzt ist. o Wien! dein bester Schild des Stahrembergers Brust;
Wie trifft so gut sein scharfes Sckwert, wie schwingt er es mit Lust!
11. Und neben ihm steht Kollonits, ein Bischof, gottersüllt.
Deß' milde Hand die Schmerzen all' der wunden Helden stillt.
12. Die Fahne auf dem Stephansthurm wohl sechzig Tage stand,
Es hielt sie fest der Stahremberg mit seiner treuen Hand.
13. Die Fahne auf dem Stephansthurm, zu wanken fängt sie an:
Was hilft, ach Gott! ein wunder Mann, wenn hundert Feinde
nah'n?
14. Die Fahne auf dem Stephansthurm, sie wankt, sie sinkt, sie bricht;
„Nun helf' uns Gott," ruft Stahremberg, „denn länger halt ich's
nicht!" '
15. Der Türke ruft in stolzer Lust: „„Allah! der Sieg ist dein!
„„Gefallen ist die Kaiserstadt! der Kaiserthron ist mein!""
Iti. Von Hörner- und Trompetenschall tönt plötzlich da ein Klang:
„Heil Kollonits, Heil Stahremberg!" so ruft ein Schlachtgesang.
17. Es tönt so froh und tönt so hell, als gieng's zu Tanz und Wein:
„Das ist die deutsche Ritterschaft von Elbe, Main und Rhein."
18. Es tönt so stark und tönt so tief wie Sturm am Felsenthor!
Von Oestreich rückt die Heldenkraft, der Leu von Bayern vor.
19. Es tönt wie wilde Meeresffuth, die hoch zum Strand sich hebt,
Sobiesky ist's, der Polenfürst, ein Held, der ewig lebt.
20. Der Türke rauft im Grimm sein Haar, von Rachedurst entbrannt,
Und mordet die Gefang'nen all' mit kalter Mörderhand.
21. Nun eilt, ihr Helden, eilt herbei, zum Kampf so hart und heiß;
Zu retten heut' die Christenheit, das ist des Kampfes Preis.
22. Ein Feuer war das Chriftenheer, von heil'gem Muth entbrannt,
So brach es auf die Türken ein, ein Blitz von Gott gesandt.
23. Der Lotharinger stritt voran, die Polen folgten nach;
Doch keiner zählt die Helden all' von jenem Ehrentag.
24. Die Türken standen muthig erst, sie wichen bald zurück,
Dann brach das Feuer durch sie durch, zu Rauch ward da ihr Glück.
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25. Ein weites, weites Leichcnfeld ward rings daS Donauthal;
Dort sank in Staub der Türken Stolz, dort steht ihr Todtenmal.
26. Bei Pauken- und Trompetenschall und Freudenfeuerschein,
So zieht geschmückt das Christenheer in's freie Wien nun ein.
27. Und noch steht auf dem Stephansthurm das Kreuz der Christenheit,
Zum Zeichen, wie vereinte Kraft die Kaiserstadt befreit.
(G. G ö r r e s.)
56. Der Bischof Kollonits.
'1683.
1. Wenn ein Berg zusammenstürzend in,dem Thal ein Haus verschlingt,
Wo die Mutter mit den Kindern schmachtend mit dem Tode ringt;
2. Wie dann Alle jauchzend eilen aus dem finstern Schreckensgrab,
Wenn die Rettung plötzlich nahte, die dem Licht sie wieder gab:
3. Also stürzten einst die Wiener aus den Thoren, jubelfroh,
Als in ihren höchsten Nöthen schmachbedeckt der Türke floh.
4. Eilten in das Türkenlager, wo die Schätze einer Welt
Ungezählet offen lagen in dem seidenen Gezelt.
5. Was des Menschen kühnstes Wünschen kaum ersinnt im Traum
der Nacht, *
Alles lag als Siegeöbeute offen hier in reichster Pracht.
6. Jeder nahm was ihn gelüstet auS den Schätzen sich zur Hand;
Manchem ward es schwer zu wählen, daß er lange sinnend stand.
7. Dieser nahm die schmucken Waffen, Säbel, Dolche, blitzcsgleich;
Jener sich Araberrosse, schlank und kühn und adelreich.
8. Dieser scid'ne Purpurstoffe, Steine, Perlen, Goldgewand;
Nach dem Roßschweif, nach den Fahnen griff des Feldherrn stolze
Hand.
9. Ambra, Balsam, Nosenwasser nahm der süße Weichling hin;
Rciherfächer, Moccabohnen, Wcihrauchduft erfreuten ihn.
10. Wie sich Jeder also gierig um die Beute riß und stritt,
Ernst und heilig da ein Bischof in des Lagers Mitte tritt.
11. Der gestärkt, gepflegt, getröstet Alle in der harten Zeit,
Und für sie die Brust geboten waffenlos dem Feind im Streit.
12. Ihm gebührte wohl die Krone, ihm der Beute reichster Theil,
Und sie riesen: „Wähle, wähle, dir verdanken wir das Heil."
13. Seinen Mantel, seine Arme breitete der Bischof aus:
„Kommet all' ihr Waisenkinder, kommt, ich wähl' euch mir heraus!
139
14. „Eure Väter, die Gefang'nen, mordete der Türke hier,
„Ihr, die liebsten aller Schätze, kommt, ihr Armen, kommt zu mir."
15. Als der Bischof dies gesprochen, milde und voll heil'ger Ruh':
Liefen froh dreihundert Kinder ihrem neuen Vater zu.
16. Und von dannen gieng der Bischof, der der Armuth sich vermählt,
Mit der-Beute, die er siegend aus den Schätzen sich erwählt.
Von nun an begann die Macht der Türken zu sinken. Treff-
liche Feldherrn, wie Herzog Carl von Lothringen, Max Ema-
nuel, Kurfürst von Bayern, vor Allen aber Oesterreichs großer
Held, Prinz Eugen von Snvoyen, führten die Christen von Sieg
zu Sieg. Schrecken kam über Constantinopel, als die Nachricht
einlief, daß der Kurfürst von Bayern das für unüberwindlich ge-
haltene Belgrad erstürmt habe, und Eugen's glorreiche Siege bei
Zeutha, bei Peterwardein und bei Belgrad belehrten die
stolzen Osmanen, daß die Zeit ihrer Herrschaft und Macht vor-
über sei.
57. Der spanische Erbfolgckrieg.
Glücklicherweise genoß Deutschland nach dem Abschlüsse des
westphälischen Friedens längere Jahre Ruhe, um sich von den Schreck-
nissen des Krieges erholen zu können. Allein auf einmal riß der
raubsüchtige König Ludwig XIV. von Frankreich, mitten im Frie-
den, ' bie Stadt Straßburg von Deutschland ab und verwüstete die
Gegenden der Rheinpfalz, um, wie er sagte, Frankreich durch
eine Wüste zu decken. Kaiser Leopold I. hatte zu gleicher Zeit
mit den Türken, die zum zweiten Mal Wien belagert hatten, blutige
Kämpfe und mußte daher den Franzosen die gemachten Eroberungen
größtentheils überlassen. Er schloß deshalb mit Ludwig einen 20jäh-
rigen Wassenstillstand, der indeß bald durch den spanischen Erb-
folgekrieg unterbrochen wurde.
Der König von Spanien, Karl II., war nämlich kinderlos ge-
storben und hatte aus Betreibung des ränkevollen französischen Kö-
nigs dessen Enkel Philipp zu seinem Nachfolger ernannt. Allein
Kaiser Leopold glaubte als Verwandter des verstorbenen Königs
gerechtere Ansprüche aus Spanien zu haben und machte diese sofort
auch geltend. Hiedurch entstand ein schwerer Krieg, in welchem
Bayern zu Frankreich hielt, wodurch der Kriegsschauplatz abermals
nach Deutschland verlegt wurde. Nach zwölfjährigem Kampfe wurde
endlich Friede geschlossen und bestimmt: daß Philipp Spanien be-
halten, dagegen aber Belgien, Mailand, Neapel und Sar-
dinien an Oesterreich abtreten solle.
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140
58. Der österreichische Erbfolgekrieg.
Mit Karl VI. erlosch die männliche Linie des h a b s b u r g-
österreichischen Hauses, aus welchem nach und nach 16 Kaiser über
Deutschland regiert hatten. Durch das österreichische Erbfolge-
gesetz hatte Karl seiner Tochter Maria Theresia, die mit dem
Großherzog Franz von Toskana vermählt war, den Besitz seiner
Länder zu sichern gesucht, und dieses Erbfolgegesetz war von fast
allen europäischen Regenten anerkannt worden. Dessenungeachtet
erhoben sogleich nach dem Tode des Kaisers die Kurfürsten von
Bayern und Sachsen Ansprüche auf die Thronfolge. Zugleich
forderte Friedrich II. von Preußen, unter Berufung auf alte
Rechte, vier schlesische Fürstenthümer und rückte bewaffnet in Schlesien
ein, und da auch noch Spanien und Sardinien Forderungen stellten,
so . war es dem Könige von Preußen ein Leichtes, im Frieden von
Breslau fast ganz Schlesien zu erhalten. Der Kurfürst von
Bayern hatte Böhmen eingenommen, Oberösterreich hatte ihm
gehuldigt und er war bereits zum Kaiser gekrönt worden.
In dieser Noth wandte sich Maria Theresia an die Ungarn.
Im Trauergewande, die apostolische Krone aus dem Haupte und
mit dem königlichen Schwerte umgürtet, erschien sie aus dem unga-
rischen Reichstage und schilderte auf's Eindringlichste ihre Noth.
Ihre Rede und ihre bedrängte Lage ergriffen die Herzen aller An-
wesenden. Wie zum Schwure zogen sie ihre Säbel, schwangen sie
empor und riefen: „Wir wollen sterben für unsere Königin Maria
Theresia!" Thränen erfüllten bei diesem Zurufe die Augen der
Königin, und diese Thränen erhöhten noch mehr die Begeisterung
der treuen Ungarn. Schon am folgenden Tage (d. 12. September
1741) wurde ein Aufgebot an die ganze Nation erlassen, und ehe
zwei Monate vergangen, standen zwei beträchtliche Heere zum Dienste
der Königin bereit.
Mit Zustimmung der Stände hatte.Maria Theresia ihren Ge-
mahl als Mitregenten angenommen. Dieser erschien daher ebenfalls
vor dem Reichstage und leistete in Gegenwart der Königin und der
Stände den Eid als Mitrcgcnt. Die Königin hatte ihr erst sechs
Monate altes Söhnlein, den nachmaligen Kaiser Joseph, aus dem
Arm, und als ihr Gemahl nach geleistetem Schwur ausrief: „Mein
Blut und Leben für die Königin und das Königreich Ungarn!" hob
Maria Theresia den lieblichen Knaben in die Höhe und zeigte ihn
der Versammlung, gleichsam deren Schutz für ihn erflehend. Neu
begeistert brachen bei diesem Anblick die Stände abermals in die
Worte aus: „Wir wollen sterben für unsere Königin und ihre Fa-
milie!" So stärkte der Anblick einer liebenswürdigen und hoch-
141
geachteten Königin und eines hilfsbedürftigen Kindes das Rechts-
gefühl eines biedern Volkes.
Jetzt nahm sich auch England der österreichischen Sache an,
und als auch Rußland sich für dieselbe erklärte, so erhielt sie im
Frieden zu Aachen alle ihre Erblande (mit Ausnahme von
Schlesien) zurück, und ihr Gemahl Franz 1. wurde zum Kaiser er-
wählt (1745).
Um das verlorne Schlesien wieder zu gewinnen, gieng Maria
Theresia ein Bündniß mit Sachsen und Rußland gegen Fried-
rich II. ein. Es entspann sich ein Krieg, der nach seiner Dauer
von 1756—1763 der siebenjährige genannt wird, einer Million
Menschen das Leben kostete und dennoch keiner der streitenden Mächte
eine Gebietsvergrößerung verschaffte. Nachdem Kaiser Franz 1.
1765 gestorben war, folgte ihm sein Sohn Joseph II. als deutscher
Kaiser, und nach dem Tode seiner Mutter, der großen Maria
Theresia, erhielt er auch die Alleinherrschaft über seine Erblande.
Ausgestattet mit trefflichen Naturanlageik und voll glühenden
Eifers für das Wohl seiner Völker, suchte er vielerlei Mißbräuche
abzuschaffen, hob die Todesstrafe und die Leibeigenschaft auf, ver-
besserte die Rechtspflege und wollte überhaupt das Gute; aber er
wollte es auf seine Weise und nach seiner Einsicht; dabei wählte
er nicht nur häufig die verkehrtesten Mittel, sondern er ließ sich in
seinem Feuereifer selbst zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen, in-
dem gar viele feiner Anordnungen tief in die religiösen und poli-
tischen Rechte und Freiheiten seiner Völker eingriffen. Diese erhoben
sich; die Ungarn wollten sich ihre Sprache und Sitten, die Belgier
ihre religiösen Einrichtungen nicht nehmen lassen, und in andern
Provinzen glimmte das Feuer unter der Asche. Da erkannte Jo-
seph, daß er geirrt und seine Lebensaufgabe verfehlt habe. Er
wandte sich an das tiefgekränkte Oberhaupt der Kirche, bat dasselbe
um Vermittlung, und der Papst schrieb an die Aufständischen; allein
es war zu spät, denn ganz Belgien war bereits in der Gewalt der
Aufrührer. Schlag auf Schlag traf nun den Kaiser; er selbst litt
an einer unheilbaren Krankheit, verlor seine geliebtesten Verwandten
durch den Tod und war unglücklich in seinen Kriegsunternehmungen.
Tief gebeugt durch all' Dieses fand er nur noch Trost in der Re-
ligion. Nachdem er längst schon jede Hoffnung zur Genesung auf-
gegeben hatte, verlangte er selbst bei vollem Bewußtseyn die heiligen
Sakramente. Trotz seiner körperlichen Entkräftung ließ er sich an-
kleiden, gieng, um feinen Glauben und feine Ehrfurcht gegen Gott
an den Tag zu legen, im vollen kaiserlichen Ornate dem hochwür-
digsten Gute entgegen und empfieng es mit allen Zeichen der innig-
sten Andacht. Er starb den 20. Februar 1790.
Ihm folgte sein Bruder Leopold II., Großherzog von Toskana,
142
»
wo er bisher mit väterlicher Weisheit regiert hatte; aber schon nach
zwei Jahren hinterließ er den Thron bem letzten deutschen Kaiser,
nämlich seinem Sohn, dem von seinen Völkern so sehr geliebten
Kaiser Franz II.
59. Kaiser Franz II. und die Leiche.
Linst zog zu Wien aus seinem Schloss, in früher Morgenstunde,
Der Kaiser Franz mit wen'gem Tross und machte seine Runde.
Und ihm begegnet an dem Thor ein ärmlich schwarzer Karren;
Drei Bretter sahen d’raus hervor, kaum werth sie einzuscharren.
Ein Klepper, der den Fuhrmann trug, ein magrer Hund zur Seite —
Das war der ganze Leichenzug, war alles Grabgeleite.
„Wer zieht so einsam hier zur Gruft durch Wien’s belebte Gassen?“
Voll Mitleid Franz der^Kaiser ruft, „im Tode so verlassen?“
„„Ach Herr, es ist ein armer Mann,““ der Knecht beginnt, — „„beim
Armen
„„Kommt es nicht auf’s Gefolge an, sein wird sich Gott erbarmen.
„„Er hatte Niemand auf der Welt, den Hund nur ihn zu lieben.
„ „Längst war sein einziger Sohn im Feld für Fürst und Land geblieben.““
Da sprach die Majestät: „Wohlan! er soll allein nicht gehen.
„Wenn Keiner folgt dem armen Mann, will ich zur Seit’ ihm stehen.“
Und d’raus geleitet bis zum Grab die schlechte Bahr’ des Armen
Der Kaiser und sein hoher Stab mit christlichem Erbarmen.
Und Alle, die den Kaiser seh n so hoch die Armuth ehren,
Auch Alle mit der Leiche geh n, das Grabgebet zu mehren.
Hätt'st, Armer, du geseh’n im Tod noch diese letzte Ehre,
Versüsst hätt’ vieler Jahre Noth dir eine Freudenzähre.
60. Die französische Revolution.
Uuter der 72jäHrigen, gewaltthätigen Regierung Ludwigs XIV.
hatte Frankreich den höchsten Gipfel von Macht und Glanz erstiegen;
allein die Prachtliebe dieses Königs, so wie seine vielen Kriege hatten
den Grund gelegt zu dem tiefen Verfall der Finanzen und des
Reiches, der unter seinem Urenkel, Ludwig XV., über Frankreich
herein brach und durch die Verschwendung und Sittenlosigkeit seines
Hofes noch vergrößert wurde. Mit einer Schuld von mehr als
4000 Millionen Franken belastet kam Frankreich an Ludwig XVI.,
143
einen gutmüthigen, wohlwollenden Regenten, welcher aber der Ver-
wirrung seines Reiches nicht gewachsen war. — Die große Schulden-
last war für das Land um so drückender, da die Vornehmen zu den
Bedürfnissen des Staates Nichts beitrugen und eine furchtbare
Theurung das Volk der größten Noth bloß stellte.
Diese Zustände veranlaßten endlich einen Aufruhr, und der
König, der sich im eigenen Lande nicht mehr sicher glaubte, entfloh,
wurde aber auf der Reise erkannt und nach Paris zurück gebracht,
wo man ihn gefangen setzte und ihm viele Mißhandlungen zufügte.
Ein Heer von Oesterreichern und Preußen rückte gegen Frank-
reich an; allein die Franzosen, welche selbst den Krieg wünschten,
wurden hierdurch noch mehr erbittert, und die Pariser erregten neue
Aufstände. Rasende Volkshaufen brachen die Gefängnisse auf und
mordeten die Gefangenen mit grausamer Wuth. Es wurde eine
Nationalversammlung zusammen berufen, die über die Angelegen-
heiten und das Schicksal Frankreichs berathen sollte, und diese er-
klärte gleich in ihren ersten Sitzungen das Königthum für ab-
geschafft und Frankreich als Republik.
Der König wurde des Verrathes am Vaterlande angeklagt und
endlich sogar zum Tode verurtheilt. Mit christlicher Ergebung be-
reitete er sich zu demselben vor und erhielt noch die Erlaubniß, sich
einen Priester zu wählen und von den Seinigen Abschied nehmen
zu dürfen. Es war ein erschütternder Auftritt, als der König nach
langer, leidensvoller Trennung seine Gemahlin und seine Kinder
wieder sehen durfte. In stummem Schmerze hielten sie sich um-
armt, bis endlich Ströme von Thränen den gepreßten Herzen Luft
verschaffte und Alle in lautes Wehklagen ausbrachen. Der König
beruhigte sie nach und nach, und es trat eine ruhige Unterredung
ein. Nach einer Stunde riß er sich von den Seinigen los und
versprach sie am andern Morgen, an seinem Todestag, noch einmal
zu sehen.
Des andern Tages stand der König in aller Frühe auf, hörte
mit innigster Andacht die heilige Messe, die sein Beichtvater im
Zimmer las, und empfieng das heilige Abendmahl. Indessen wurde
das Getümmel der blutdürstigen Menschen auf den Straßen immer
lauter und heftiger. Ludwig wollte jetzt von den Seinigen Abschied
nehmen; allein sein Beichtvater bat ihn dringend, es zu unterlassen
und sich und den Seinigen einen so furchtbaren Schmerz zu ersparen.
„Nun so sei es^denn!" seufzte er, „aber wie weh thut es meinem
Herzen, zu scheiden, ohne sie nür noch Einmal zu sehen!" Die
Wache trat ein, um ihn abzuholen; betend sank er vor seinem Beicht-
vater nieder und empfieng seinen Segen. „Nun bin ich bereit!"
sagte er und stieg mit seinen Begleitern die Treppe hinab, indem
er wehmüthig und sehnsüchtig nach dem Zimmer hinblickte, in welchem
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seine Familie gefangen saß. Auf der Straße wurde der König mit
seinem Beichtvater und zwei Bewaffneten in einen Wagen gesetzt,
welcher langsam zwischen vierfachen Reihen von Soldaten hinfuhr
und gegen 10 Uhr auf dem Hinrichtungsplatze ankam. Der König,
der auf dem ganzen Wege aus einem Buche die Gebete der Sterben-
den gebetet hatte, stieg auf das Blutgerüst, das von 15,000 Mann
Militär umgeben war, und entkleidete sich selbst; als aber die Henker
ihn binden wollten, wies er sie unwillig zurück und wollte es nicht
zugeben. Da trat sein Beichtvater zu ihm und sprach: „Auch Chri-
stus ließ sich für uns binden;" sogleich bot Ludwig willig seine Hände
den Henkern und sprach: „So bindet mich denn, damit ich den Kelch
bis auf die Neige trinke." Darauf rief er dem Volke zu: „Fran-
zosen! ich sterbe unschuldig, aber ich verzeihe den Urhebern meines
Todes und bitte Gott, daß mein Blut nie über Frankreich komme!"
Jetzt übertäubten Trommeln seine Worte; die Henker ergriffen ihr
Schlachtopfer und schleppten es unter das Fallbeil. Der Beicht-
vater kniete neben ihm nieder und ries: „Sohn des heiligen Lud-
wigs, steige hinauf gen Himmel!" Da siel das Fallbeil zischend
nieder, und das Haupt des unschuldigen Königs rollte über das
Blutgerüst. Es wurde dem versammelten Volke gezeigt und die
wüthende Menge rief in wilder Freude: „Es lebe die Nation! Es
lebe die Republik!" Einige stürzten herbei, um ihre Taschentücher in
das Blut des gemordeten Königs zu tauchen; Andere umtanzten
das Blutgerüste; die Besserdenkenden hielt der Schrecken gefesselt;
Niemand wagte es, eine Thräne zu vergießen oder Unwillen zu
äußern (1793).
Blutgierige, lasterhafte Menschen, unter diesen Maral, Danton
und Robespicrre, deren Namen die Geschichte mit Abscheu nennt,
beherrschten jetzt Frankreich mit grenzenloser Willkür.
Wer nicht ihren Grundsätzen huldigte, wurde hingerichtet. Vielen
wurden blos erdichtete Verbrechen vorgehalten, nur um einen
Vorwand zu haben, sie aus dem Wege zu schaffen und ihr Ver-
mögen einzuziehen. Verhöre wurden nur zum Scheine gehalten
und dauerten oft nur 4 Minuten; kurz, in dieser Schreckenszeit war
Niemand seines Lebens und seines Eigenthums sicher. Hundert-
tausende, unter diesen auch die Königin, fielen unter dem Mordbeil
entmenschter Machthaber, und Jammer und Schrecken wohnten in
Palästen und Hütten. Ja man verirrte sich endlich so weit, den
Glauben an Gott durch ein Gesetz abzuschaffen und, später ebenfalls
durch ein Dekret wieder einzuführen. Das war das Glück und
die gepriesene Freiheit der Franzosen!
145
61. Napoleon Bonaparlc.
Glücklicher als im Innern war Frankreich gegen auswärtige
Feinde. Unter der Anführung tüchtiger Generale errang es mehrere
glänzende Siege, besonders in Italien, so daß es endlich seine Gren-
zen beträchtlich erweiterte. Unter den Generalen zeichnete sich be-
sonders Napoleon Bonaparte aus, der so eben Aegypten erobert
hatte. Bald schwang er sich zum ersten Consul Frankreichs empor,
erhielt sodann diese Würde lebenslänglich und wurde endlich
1804 zum Kaiser der Franzosen und zum König von Italien
ausgerufen.
Vom Kriegsglück begünstigt, kannte seine Eroberungslust bald
keine Grenzen. Er schlug die Russen und Oesterreicher bei Auster-
litz, und Oesterreich mußte Venedig, Tyrol und Vorderöster-
reich abtreten, mit welchen Ländern Napoleon die Staaten seiner
Verbündeten: Württemberg, Bayern und Baden vergrößerte
und beide erstere zu Königreichen erhob.
Bald nachher errichtete er mit 16 Reichsfürsten den r h e i-
nischen Bund und erklärte sich zum Beschützer desselben. Hier-
durch sagten sich diese Fürsten von dem deutschen Reiche los,
und Franz II., der schon vorher den Titel eines Erbkaisers von
Oesterreich angenommen hatte, legte die deutsche Rcichskrone nie-
der (1806).
So fiel das heilige, deutsche Reich nach einer Dauer von
1006 Jahren aus einander, nachdem von Karl dem Großen
bis auf Franz II. 56 Kaiser über dasselbe regiert hatten.
Nun suchte Napoleon seine Macht auch dadurch zu vergrößern,
daß er seinen Brüdern eroberte Länder schenkte. Seinen Bruder-
Joseph machte er zum König von Spanien, dem jüngern Lud-
wig gab er Holland; seine Schwester Elise erhielt das Fürsten-
thum Lucca; sein Schwager Mürat wurde König von Neapel,
und als er in den Jahren 1806 und 1807 Preußen besiegt hatte,
mußte dieses das Land zwischen dem Rhein und der Elbe abtreten,
woraus das Königreich WestpHalen gebildet wurde, das Napoleon
seinem Bruder Hieronymus verlieh.
Nachdem der Kaiser der Franzosen Deutschland durch, viele
Feldzüge, Einquartierungen, Schlachten und Gewaltthätigkeiten aller
Art schwer heimgesucht hatte, wollte er auch Rußland demüthigen.
Er rückte daher 1812 mit einem Heere von fast einer halben Million
Menschen, mit Hilfstruppen aus fast allen europäischen Ländern in
das Königreich Polen ein und drang siegreich bis nach Moskau
vor. Allein die Russen hatten diese Stadt selbst angezündet, um
den Franzosen in dem bevorstehenden Winter den Aufenthalt daselbst
Reiser, der Volksschüler i. d. Oberklaffe. 10
146
unmöglich zu machen. Mangel an Lebensmitteln nöthigten Napoleon
mitten im strengsten Winter zum Rückzüge, auf welchem durch Kälte,
Hunger und die Wuth der Feinde fast das ganze Heer um-
kam. Ganze Reihen der armen, ausgehungerten, schlechtbekleideten
Soldaten blieben in dem ungeheuren Schnee stecken und erfroren.
Von 500,000 Kriegern brachte Napoleon kaum 40,000 nach Deutsch-
land zurück.
Jetzt glaubten die lang unterdrückten Deutschen, daß es endlich
an der Zeit sei, das Joch des Allgewaltigen abzuwerfen. Preu-
ßens König erließ einen Aufruf an sein Volk, das der deutschen
Sache die großartigsten Opfer brachte; er verband sich mit Ruß-
land und Schweden, welchem Bündnisse später auch Oester-
reich und Bayern beitraten, und nach mehreren Kämpfen wurde
endlich Napoleon in der dreitägigen Schlacht bei Leipzig vollständig
besiegt.
62. Die Bchlacht bei Leipzig,
am 16., 18. und 19. Okt. 1813.
Ström' hin. o Blut, und tobt, o Tod,
Für's Vaterland! — — — _
Klopstock.
Die Heere zieh’n durch’s Thal,
Vom breiten Strom begrenzt;
Im hellen Sonnenstrahl
Gewehr und Rüstung glänzt.
Es zittert vom trabenden Hufschlag der Pferde
Und rollenden Rädern dumpftönend die Erde;
Und mächtig schallt
Das Machtwort: ,,Halt!“
Und eingewurzelt steh n die Legionen
Und die Kanonen.
Nun gestalten sich die Glieder;
Muthig Brüder!
Bald beginnt die Schlacht;
Traut der hohem Macht!
Seht, mit lautem Klange
Nah’n die Feinde,
Muthig Freunde!
Folgt des Herzens Feuerdrange!
In dem wilden Schlachtgemenge
Weitert sich des Herzens Enge.
Horch! — Schon brüllt die Kanone
Mit dumpfem Tone! —
147
Lauter die Trommeln und Pfeifen schallen,
Aus tausend Köhren die Donner knallen,
Kugeln durcheilen geflügelt die Luft,
Und: „vorwärts!“ der greise Marschall ruft.
Kühner hinein in den Kugelregen
Jagen die Schaaren dem Tode entgegen.
Grässlich wüthet der Tod durch die Glieder!
Hunderte sinken getroffen nieder;
Arme, Beine und Schädel fliegen;
Rumpfe gethürmt zum Walle liegen:
Fürchterlich würget der Tod!
Weh! — weh ! —
Sie weichen, sie weichen!
Es sinken zersplittert
Germaniens Eichen! — —
Seht, es durchbrechen die Feinde die Glieder
Und werfen die deutschen Schaaren darnieder!
Vorwärts Freunde! — 0 weh’! auch mich —
Ha, die Wunde brennt fürchterlich!
Wehe dir, Deutschland! — Schon selT ich zur Linken
Die Fahnen sinken!
Horch! es schallet vom Wald die Parole*);
Es streifet das Gras des Reiters Sohle.
Das „Hurrah !“ schallt jauchzend ! Kampflustige Kosacken
Setzen die Lanzen dem Feind in den Nacken.
Muthig ihr Brüder!
• Der Sieg kehrt wieder.
Aufs Neue entgegen des Kampfes Gefahren
Stürzen ermuthigt die deutschen Schaaren.
Furchtbar entgegen — gleich zwei Gewittern,
Dass Berge erzittern,
Brüllen sich offene Feuerschlünde,
Und tödtender Schlangen grässlich Gewinde**)
Theilet, gleich Blitzen, die zitternde Luft,
Und abermal: „vorwärts!“ der Marschall ruft.
Da brechen die Reihen die muth’gen Husaren
Und werfen zurück der Feinde Schaaren.
Es klirret entblösst die Eisenbraut***);
Der Brave von Leichen den Wall sich baut.
*) Das Losungswort, an dem sich die Soldaten einer PartHei erkennen.
**) Feldschlangen — eine besondere Art von Kanonen.
***) Die Eisenbraut — das Schwert.
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Blutiger wird das Gemenge;
Der Tod würgt strenge!
Verwundete sinken in Haufen nieder,
Winden sich schmerzlich, — erstehen nicht wieder.
Räder und Pferde zermalmen die Armen,
Helfe euch Gott, er hat Erbarmen! — —
Blutroth sinkt die Sonne nieder;
Rastlos mordet noch der Tod;
Würgt die Reihen auf und nieder;
Blutig glänzt das Abendroth.
Siehe, die gallischen Adler, sie sinken!
Feinde entfliehen zur Rechten und Linken!
Nach, ihr Brüder! nach —
Rächet Deutschlands Schmach!
Streckte so Manchen die Kugel nieder:
Vergeltet wieder! —
Nun zur Ruh vom heissen Morden!
Schon entschieden ist die Schlacht;
Lasst sie flieh'n, die Räuberhorden,
Ihre Schmach bedeckt die Nacht.
Und herab vom Sternenzelte
Blickt des blassen Mondes Licht
Auf die Gräu'l im Todtenfelde,
Aber Ruhe bringt er nicht.
Wohl euch, die ihr ausgerungen! —
Für der Deutschen höchstes Gut
Ist uns Kampf und Sieg gelungen,
Nicht vergebens floss das Blut.
Hülle ob der Schauer-Scene,
Hülle, Mond, dein Angesicht!
Rinne, du, des Mitleids Thräne!
Nein, du schmäh’st die Mannheit nicht!
Möcht der grosse Würger*) sehen,
Was mein nasser Blick jetzt sieht;
Möcht’ der Schauer ihn umwehen,
Der mich schwarz und kalt umzieht —
*) Napoleon.
149
Und die Todesstimmen hören,
Röchelnd im Verzweiflungston,
Wie es tönt in Jammer-Chören,
Aechzend: „Vater! Mutter! Sohn!“
Doch, was würde er auch fühlen!
Eisern ist des Mörders Brust,
Kann mit Menschenleben spielen,
Mord und Tod ist seine Lust! — —
Nun, wohlan! er ist geschlagen,
Schmach und Schande ist sein Lohn;
Und des Korsen*) Siegeswagen
Zieht nicht mehr Thuisko’s Sohn**).
Freude glüh' in deutschen Herzen
Ob errungenem, theurem Gut!
Mag die Wunde immer schmerzen,
Mag auch Hiessen deutsches Blut!
Fest steht unsre Freiheit wieder,
Fest, wie Deutschlands Eichen steh n,
Und gefall’ne deutsche Brüder
Werden stolz herunter seh'n. (H. Reiser.)
Napoleon floh über den Rhein zurück. Mit ihrem ganzen
Heere eilten ihm die Verbündeten nach und zogen am 31. März in
Paris ein. Der französische Senat erklärte den Kaiser Napoleon
als abgesetzt; doch ließen ihm die Verbündeten noch die Insel
Elba als erbliches Fürstenthum. Damit nicht zufrieden, kehrte
er aber bald nach Frankreich zurück, erwarb schnell wieder einen
Anhang, griff die Preußen unter dem wackern Feldmarschall Blü-
cher nicht weit von Brüssel an und drängte sie zurück. Tags
darauf kam es aber bei Waterloo zur Hauptschlacht, wobei die
Tapferkeit des preußischen Heeres den Ausschlag gab. Napoleon
wurde besiegt und' von den Engländern als Gefangener auf die
afrikanische Felseninsel St. Helena abgeführt, wo er 1821 starb.
Frankreich erhielt wieder diejenigen Grenzen, die es 1790 hatte,
und mußte überdies 700 Millionen Franken Kriegssteuern bezahlen.
Aus dem Wiener-Congreß 1815 wurde Deutschland zu
einem aus 38 souverainen Staaten bestehenden Staatenbund er-
*) Der Korse — Napoleon, von seinem Vaterland Korsika so benannt.
**) Thuisko nannten die alten Deutschen ihren Stammvater.
150
klärt; die meisten Regenten erhielten die ihnen früher entrissenen
Länder wieder; Sachsen aber, dessen König zu lange an Napoleon
hieng, mußte einen großen Theil seines Landes an Preußen abtreten;
Oesterreich bekam die Lombardei, Jllyrien und Dalma-
tien, und so wurde endlich die Ruhe nach einer langen Reihe von
Jahren wieder hergestellt.
63. Die neueste Leit.
Von jetzt an genoß Deutschland lange Jahre die Segnungen
des Friedens. Handel und Gewerbe hoben sich wieder, und unser
theures Vaterland begann sich wieder aus der Armuth empor zu
arbeiten, in welche es durch die vielen Kriegsjahre gestürzt worden
war. Der steigende Wohlstand des Volkes führte aber auch nach
und nach die untern Volksklassen zur Ueppigkeit und Genuß-
sucht, sowie zu einem übertriebenen Lupus. Nur Wenige blieben
den einfachen Sitten unserer Voreltern treu, man suchte ein behag-
liches und bequemes Leben zu führen, kleidete sich über seinen Stand,
scheute die Arbeit und gieng dadurch aufs Neue der Verarmung
entgegen. Es regte sich an verschiedenen Orten ein Geist der Un-
zufriedenheit und Unruhe; man suchte den Grund der überhandneh-
menden Verarmung allein in den hohen Staatsabgaben und wollte
die eigene Schuld natürlich nirgends erkennen und zugestehen.
Als endlich im Februar des Jahres 1848 in Frankreich eine
neue Revolution ausbrach, erhoben sich auch die deutschen Völker.
Fast allgemein forderten sie von ihren Fürsten und Regierungen
Freiheit der Presse, allgemeine Volksbewaffnung und Ab-
schaffung des eigentlichen Militärs, Verminderung der
Abgaben u. s. w. Die meisten dieser Forderungen wurden ge-
währt; allein das Volk erwartete plötzliche Erleichterung, welche
bei der allgemeinen Creditlosigkeit nicht möglich war. Jetzt wurde
die republikanische Staatsform als die beste und beglückendste
gepriesen; aber man sprach nicht von jenen hohen Tugenden, welche
dem ächten Republikaner eigen seyn müssen, nämlich Uneigen-
nützigkeit, Redlichkeit, Selbstaufopferung für das Wohl
des Vaterlandes, Mäßigkeit und Arbeitsamkeit und vor Allem
Achtung und Gehorsam gegen das Gesetz. — Diese glänzen-
den Tugenden waren es, welche die Griechen und Römer in ihrer
Blüthezeit schmückten. Die Republik ist nicht ein wilder, gesetz-
loser Zustand, wie ihn so Manche herbeisehnten, um mit roher
Gewalt und blutbefleckter Hand das wohlerworbene Eigenthum An-
derer an sich reißen und ihre Laster ungestraft befriedigen zu können,
wie wir dieses mit Abscheu iu den Schreckenstagen Frankreichs wahr-
genommen haben. In Republiken muß das Gesetz wenigstens
151
eben so strenge beobachtet werden, als in Monarchien, denn ohne
gesetzliche Ordnung kann kein Staat bestehen.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann nichts Gutes sich gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrei'n,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeih'n.
Weh', wenn sich in dem Schooß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Freiheit und Gleichheit hört man schallen;
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr.
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden zieh'n umher.
Da werden Weiber zu Hyänen,
Und treiben mit Entsetzen Scherz:
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn. .
Dritter Abschnitt.
B e ter a ch t u n g e n über das Weltall.
1. Nie Sonne.
Wenn wir in einer sternhellen Nacht hinaustreten in die freie
Natur und unsere Blicke emporheben zum sternbesäeten Himmels-
gewölbe; wenn wir^uns verlieren im Anschauen und Betrachten all'
der großen und herrlichen Werke des unendlichen Weltraums und
152
der unbegreiflichen Wunder der Schöpfung: — wie klein und nichtig
erscheint uns der Mensch und sein Thun und Treiben! Wie unbe-
deutend finden wir selbst die Erde im Vergleich zu dem unbegrenz-
ten, mit Millionen von Himmelskörpern erfüllten Weltall! —
Wie beruhigend, wie erhebend und entzückend ist aber auch der
Gedanke, daß wir Kinder sind jenes allmächtigen Schöpfers, dessen
Wink alle diese Welten aus dem Nichts hervorrief, der ihnen ihre
Bahnen wies, in denen sie wandeln in ewiger Ordnung, gehalten
und geleitet durch unsichtbare Kraft! — Wie beseligend ist es, zu
wissen, daß Derjenige, ohne dessen Willen kein Stern aus seiner
angewiesenen Bahn weicht, auch um uns weiß und auch unsre Schick-
sale leitet mit weiser und allmächtiger Vaterhand! —
Wie bedauerlich ist es aber, wenn Millionen Erdenbewohner
unter dem wundererfüllten Sternenhimmel hinwandcln, ohne einen
andern Gedanken, ohne ein anderes Gefühl, als das des Wohl-
gefallens an dem Flimmern und Funkeln der vielen, schönen
Lichter über ihnen! Gleichgiltig ziehen sie vorüber an den größten
Wunderwerken der Natur und finden an unserm prachtvollen Tages-
gestirn, der Sonne, Nichts zu beachten als ihre Wärme, die ihre
Saaten reift.
Belehren wir also solche Menschen, die vielleicht niemals Ge-
legenheit hatten die Werke der Schöpfung näher kennen zu lernen,
damit auch sie inne werden die Größe und Allmacht ihres Gottes
und preisen ihren Vater, der über den Sternen thront.
Es ist der menschlichen Kunst gelungen, solche Fernröhren aus
mehreren Gläsern zusammenzusetzen, vermittelst welcher wir weit ent-
fernte Gegenstände tausend Mal größer und deutlicher erblicken, als
mit bloßen Augen. So können wir das weit von uns Entlegene
gleichsam näher an unser Auge heranziehen, und wie groß muß unser
Erstaunen werden, wenn auf diese Weise unser Blick auf fremden
Welten umherwandelt, da er bisher nur gewohnt war, die Land-
schaften und Gewässer auf Erden zu sehen! — wenn er dort eine
ganz andere Ordnung und Haushaltung wahrnimmt, als hier aus
Erden!
Schon längst bemerkte man durch jene Hilfsmittel, daß die
Sonne keineswegs, wie sie den bloßen Augen vorkommt, ein ein-
ziges Flammenmeer sei, sondern es zeigten sich dunkle Stellen darin,
wie Inseln in einem Ocean von Licht. Manche derselben bewegten
sich immer in gleich weitem Abstande von einander, von einer Seite
der Scheibe zur andern, und erschienen regelmäßig, nach immer gleicher
Zeit, auf der ersten Seite wieder, um genau den gleichen Gang zu
nehmen. Erst daraus erkannte mau nun offenbar, daß auch die
Sonne nicht stillstehe, sondern daß sie sich um sich selbst herum-
drehe. Bei noch sorgfältigerem Untersuchen nimmt man deutlich
153
»
wahr, daß, wenn die finstern Sonnenstellen sich beim Umdrehen
dieses Weltkörpers dem Rande der Scheibe nähern, noch ehe sie den
äußersten Saum erreichen, schon verschwinden unter der seitwärts
stehenden Lichtmenge. Folglich steht die Lichthelle der Sonne weit
höher als sie selbst. Ja, was noch merkwürdiger ist, zwischen dem
Lichtmeer, welches die Sonne umstrahlt, und zwischen dem strahlen-
losen Grund derselben, und selbst noch über diesem weit erhaben,
zeigt sich ein anderes, von beiden verschiedenes Wesen, das sich be-
wegt, abwechselnd, ungleich und von grauer Farbe ist. Wenn wir
von einem andern Stern aus unsere Erde betrachten könnten, wür-
den uns die Wolken, die unsern Erdball umziehen, wohl ebenso er-
scheinen, und wir dürfen daraus zuversichtlich schließen, daß auch die
Sonne mit Wolken umgeben sei.
Die Sonne, die uns eine ewigbrennende Feuerkugel zu seyn
scheint, hat nur nahe an der Erde eine so große Wärme, aber je
höher man sich in die Lüfte erhebt, je weiter hinauf man auf Berge
steigt, desto kühler wird die Luft und desto mehr nimmt alle Sonnen-
hitze ab, also, daß die Gipfel der höchsten Berge zuletzt mit Schnee
und Eis seit Jahrtausenden bedeckt sind.
Etwas Näheres zu erkennen von dem, was sich auf der Ober-
fläche der Sonne befinden mag, reichen die vollkommensten Sehrohre
nicht hin. Alles, was darüber gesagt wird, ist sicherheitslofe Muth-
maßung, da dieser von unserem Erdball ganz verschieden geformte
Himmelskörper viel zu weit von uns entfernt ist, um Etwas auf
demselben genauer unterscheiden zu können.
2. Der Merkur und die Venus.
Derjenige Planet, welcher der Sonne am nächsten steht, wird
Merkur genannt. Obgleich 8 Millionen Meilen von dieser entfernt,
ist er doch ihrem Strahleumeere zu nahe, als daß er genau be-
trachtet werden könnte. Dessenungeachtet hat man gefunden, daß er
ein ähnlich dunkler, gerundeter Körper wie die Erde sei, und, nach
seinen verschiedenen Stellungen zur Sonne, eben so ungleich mit zu-
und abnehmendem Lichte erscheine, wie unser Mond in den verschie-
denen sogenannten Vierteln. Auch ist aus verschiedenen Umständen
mehr als wahrscheinlich, daß wir mehr seine ihn umgebende, von
der Sonne bestrahlte Wollenumhüllung, als seinen festen Körper
selbst, erblicken, und daß jene Hülle wohl sehr dicht seyn möge.
Ein ähnliches Kleid trägt auch jener glänzende Weltkörper, wel-
cher nach dem Merkur der Sonne am nächsten steht; man nennt
ihn Venus, wohl auch Morgen- oder Abendstern, weil er
Abends zuerst mit seinem hellfunkelnden Licht am Himmel sichtbar
wird, oder, als der letzte am Morgen, unter dem Glanz der auf-
154
gehenden Sonne verschwindet. Den vorzüglichen Glanz, welchen er
hat, scheint er dem Zurückprallen der Sonnenstrahlen von seiner
Wolkenumgebnng zu verdanken, die uns auch hindert, die auf ihm
befindlichen größern Gegenstände mit einiger Klarheit wahrzunehmen.
Inzwischen läßt sich aus den angestellten Beobachtungen mit Wahr-
scheinlichkeit folgern, daß dort viel Aehnliches mit unserm Erdball
sei. Dort sind Morgen- und Abenddämmerungen, wie bei uns;
dort wechseln Tag und Nacht, wie auf unserm Erdball.
Wir erblicken die Venus durch das Fernrohr, gleich einer
Mondscheibe, zuweilen halb verdunkelt, sichelförmig, mit wachsenden
Hörnern, gleich wie unsern Mond. Aber wir erkennen noch mehr.
Dieser Weltkörper hat hohe Gebirge, denn man bemerkt nicht nur
von Zeit zu Zeit glänzende, kleine Hervorragungen von der Licht-
seite in die Nachtseite der Venus; also Erhebungen, die die Sonne
bestrahlt, wie dieß bei ihrem Auf- und Untergehen auch auf der
Erde an hohen Bergspitzen bemerkbar ist, während die tiefer lie-
gende Umgegend beschattet wird.
Eine Kanonenkugel, die in einer Sekunde 600 Fuß zurücklegt,
würde den Weg von der Sonne bis zur Venus in 18 Jahren
durchfliegen: das Licht braucht nicht ganz 6 Minuten.
Von der Sonne auf den Merkur braucht eine Kanonenkugel
nenn und ein halbes Jahr; das Licht legt diesen Weg in 3 Na-
nnten und 8 Sekunden zurück. Den Raum von der Sonne zur
Erde würde eine Kanonenkugel erst in 25 Jahren und 10 Monaten
zurücklegen, während das Licht in 8 Minuten von der Sonne zur
Erde gelangt.
3. Der Mars und die kleineren Planeten.
Keiner von allen Weltkörpern, die sich, wie der von uns be-
wohnte, um die Sonne schwingen, hat so viel Verwandtschaft mit
dem Erdball, als der Mars. Er ist demselben an Größe zwas
nachstehend, aber er ist von einem Dunstkreis und einem Wolken-
himmel umgeben, der sich, wie bei uns, bald dichter zusammenzieht,
bald aufklärt, bald verschwindet. Wie im Winter bei uns die gegen
Norden liegenden Länder mit einer weißblcndenden Schneedecke ver-
hüllt sind, die, je höher die Frühlingssonne steigt, wieder abschmilzt,
während die von der Sonne verlassenen Südgegenden des Erdbodens
ihren Winter haben: so erblickt man ganz das Gleiche an jener uns
benachbarten Weltkugel. Vom reinsten Widerglanze strahlen die
Nordgegenden derselben zu ihrer Winterzeit weiß wie Schnee. Je
höher aber die wiederkehrende Sonne rückt, je senkrechter ihre Strahlen
darauf niederfallen, desto mehr verkleinert sich die schimmernde Be-
deckung, und es bleibt davon nur noch ein mäßiger Punkt an der
155
äußersten Nordseite übrig, so wie auch bei uns am Nordpol daS
ganze Jahr hindurch ewiges Eis und unzerschmelzlicher Schnee
bleibt. Unterdessen ist die Südseite (eben so wie bei uns) winterlich,
weißglänzend geworden, bis in der folgenden Jahreshälfte die Sonne
kräftiger auf sie scheint.
Also sind auch auf jener Welt, die unsern bloßen Augen als
ein röthlich glänzender Stern aus einer 12 Millionen Meilen weiten
Ferne freundlich herschimmert, auch dort also Frühling, Sommer,
Herbst und Winter, Morgen- und Abendröthen, Regenschauer und
Schneegestöber, heitere und trübe Tage. Und wenn dort kein Wasser,
wie das unsrige, kein Schnee, wie der unsrige wäre, so sind doch
die Erscheinungen und ihr regelmäßiger Wechsel wunderbar dem
ähnlich, was wir auf Erden haben. Und für wen sollen diese
Jahreszeiten und all' die genannten Zustände geschaffen seyn? —
Welche Ahnungen erwachen in uns bei diesem Gedanken! — Wer-
den dort auch belebte Wesen wohnen — uns ähnlich? — O Gott!
allmächtiger Schöpfer, wie groß bist Du! Wie unergründlich ist
Deine Güte und Deine Macht! Mit frommen Schauern hebe ich
meine Augen in die Höhe und stammle mit dem Propheten: Wer
hat solche Dinge geschaffen? — Er, der sie Alle mit Namen ruft.
Vier kleinere Planeten, welche man erst seit den Jahren 1801
bis 1807 entdeckt hat, führen die Namen: Ceres, Pallas, Inno
und Vesta. Seit dem Jahre 1845 wurde ein größerer Planet,
der Neptun, und viele kleinere Wandelsterne, die man ihrer Klein-
heit wegen Planetoiden nennt, entdeckt. Man vermuthet, daß
dieselben sämmtlich Trümmer eines größeren Planeten seien.
Nicht ohne Entsetzen kann ich den Gedanken Hassen, daß diese
Körper Trümmer einer todten Welt seyn sollen, die durch des
Schöpfers Hand zermalmt durch die Räume des Himmels fliegen
und dem erstaunten Beobachter das Schauspiel eines Weltuntergangs
darbieten. Da fliegen sie, wie in Staub aufgelöst, durch die Un-
ermeßlichkeit, als ein erschütterndes Denkmal der Allgewalt dessen,
der aus dem Nichts Welten wie Blumen aufblühen und zu ihrer
Zeit welken läßt. Sie mahnen uns an die Vergänglichkeit unserer
eigenen Erde, wie unseres eigenen Körpers; denn ewig ist nur Gott,
der Herr und Schöpfer, der alle diese Welten in's Leben rief.
4. Der Jupiter und der Saturn.
Jenseits der eben genannten Welttrümmer schwebt der Jupiter,
der größte der Planeten um die Sonne. Sein Durchmesser ist fast
11, Mal größer, als der unserer Erde, und dennoch funkelt er, ob-
gleich hellen 'Lichtes, nur als mäßiger Stern am Nachthimmel, denn
er ist über 88 Millionen Meilen von uns, und über 104 Millionen
156
Meilen weit von der Sonne entfernt. Erst in 130 Jahren würde
eine Kanonenkugel mit der oben bezeichneten Geschwindigkeit diesen
Weg durchfliegen, während das laicht nur 42 Minuten Zeit dazu
braucht. Welche ungeheure Raume! — Sie können nur noch in
Zahlen gedacht werden, aber die Einbildungskraft verliert jeden
Maaßstab dafür.
Mit dem durch das Fernrohr bewaffneten Auge nimmt man
wahr, daß die Scheibe, oder vielmehr die Kugel des Jupiter von
6, 8 und mehreren schmälern oder breitern, dunklern oder Hellern
Banden, wie von Gürteln umwunden ist, die alle neben einander
liegen. Aber wer kann diese Erscheinung deuten? Sind es theilweise
stärkere oder schwächere Verdichtungen des Dunstkreises, oder ist es
der ungleiche Widerschein der Sonne an der Außenseite der Wol-
ken? — Allerdings sollte man es fast glauben, da sich diese Streifen
in ihrer Breite nicht gleich bleiben, und man auch bemerkt hat, daß
eines der dunkeln Bande anfangs ans einem dunkeln Fleck entsprang,
der sich allmühlig immer weiter ausdehnte, gleichwie bei uns aus
einem Wölkchen plötzlich ein ganz bedeckter Himmel werden kann.
Der Jupiter wird von vier Monden begleitet, welche alle,
gleich unserm Monde, ihm immer die gleiche Seite zukehren. Nur
derjenige, welcher jenem majestätischen Weltball am nächsten steht,
mag den Bewohnern desselben so groß erscheinen, wie der unsrige
unsern Augen; um die Hälfte kleiner sind ihnen die Scheiben des
zweiten und dritten ihrer Monde, und den vierten sehen sie nur
etwa den vierten Theil so groß, als den ersten. Dagegen muß den
Bewohnern dieser Monde der Jupiter selbst unendlich viel größer
erscheinen, als je^er andere Weltkörper, was sich aus den bekannten
Entfernungen dieser Körper von einander wohl berechnen läßt.
Weit hinter dem Jupiter stiegt der von 8 Monden begleitete
Saturn durch die Räume des Weltgebüudes, 179 Millionen Meilen
von uns, und gegen 200 Millionen Meilen von der Sonne ent-
fernt. Auch er ist, wie der Jupiter, von grauen oder hellweißen
Banden umzingelt, die in ihrer Breite, wie in ihrer Farbe sich zwar
immer, doch sehr langsam ändern.
Rings um die Mitte dieses Planeten breitet sich, wie ein un-
geheurer Ring, etwas Schwebendes aus, das sehr dünn und fein,
doch beträchtlich breit ist und von der Sonne erleuchtet wird. Dieser
vom Weltkörper abgesonderte, flache, dünne Ring, der seinen schmalen
innern Rand dem Saturn, den äußern aber den Monden desselben
zuwendet, ist wahrscheinlich ein fester Körper, denn er wirft, je nach-
dem er gegen die Sonne steht, einen Schatten aus den Weltball,
welchen er umschwebt. Er ist 5720 Meilen vom Saturn entfernt
und hat eine Dicke von ungefähr 100, und eine Flächenbreite von
beinahe 6000 Meilen.
157
Wir haben keine Vorstellung, weder von der Beschaffenheit,
noch von dem Anblicke dieses über dem Weltkörper wie Mondenlicht
glänzenden, ganze Sternbilder vom Aufgang bis zum Niedergang be-
deckenden Kreises. Unser Witz erstirbt, unsere Einbildungskraft fühlt
ihre Ohnmacht, und unser Verstand erkennt seine Unzulänglichkeit zu
weiterm Nachdenken und Grübeln. — Wir kennen Gottes Thaten,
und Nichts bleibt uns, als Erstaunen und Anbetung. Dieser Kreis
und sein Planet selbst, und alle seine 8 leuchtenden Monde empfangen
ein Helles Licht von der Sonne, und doch ist diese Sonne in so un-
geheurer Ferne, daß sie, mit menschlichen Augen von dort aus ge-
sehen, nur etwa den zehnten Theil so groß erscheinen würde, als bei
uns. So wie wir auf Erden denjenigen der Planeten kaum er-
kennen, welcher der Sonne am nächsten steht, so wird, von mensch-
lichen Augen vom Saturn aus die Erde betrachtet, diese fast gar nicht
mehr unter den Sternen erkannt und der Sonne zu nahe gefunden
werden.
5. Der Uranus und -er Neptun.
Beinahe 400 Millionen Meilen von der Sonne und 376 Mil-
lionen Meilen von uns ensernt durchläuft der Uranus seine Bahn,
wozu er 84 Jahre braucht und wonach also das längste unserer
Menschenalter dort nur ein einziges Jahr wäre *). Dort sind an-
dere Jahreszeiten, als die unsrigen, denn anders ist die Stellung
jenes Weltkörpcrs zur Sonne, als die Stellung aller übrigen Pla-
neten. Dort herrscht auf der einen Hälfte ein beinahe 40jähriger
Winter und eine beinahe 40jährige Nacht, während auf der andern
Hälfte ein ebeu so langer Swmmertag blüht. Die Sonne kann
vom Uranus aus gesehen, wegen der ungeheuren Entfernung, nur
als der größte unter den funkelnden Sternen erscheinen, und doch —
so gewaltig und wunderbar ist die Macht des Schöpfers, strahlt
die Sonne dort so hell, daß wir durch das Fernrohr nicht nur den
Uranus, sondern auch seine 6 Monde zurückglänzen sehen. Ob er
noch von mehreren Monden begleitet werde, wie einige Astronomen
behaupten, ist noch nicht mit Gewißheit erhoben.
Fast 400 Millionen Meilen hinter dem Uranus und 776 Mil-
lionen Meilen von der Sonne entfernt durchkreist der Neptun von
2 Monden begleitet und mit einem Lichtringe umgeben, seine un-
geheure Bahn, wozu er 227 unserer Jahre gebraucht. — Frage
nicht: woher will er Licht und Wärme nehmen? — Kannst du den
*) Die Schüler sollen berechnen, wie lange eine Kanonenkugel fliegen
müßte, um vom Saturn und Uranus zur Sonne oder zur Erde zu kom
men, wobei die bei andern Planeten angegebenen Verhältnisse als Maaßstab
dienen. Ebenso ist zu berechnen, wie lang? das Licht braucht, um von der
Sonne auf diese Planeten zu gelangen.
158
Abgrund göttlichen Reichthums durchschauen? — Ja wahrlich, so
Vieles der menschliche Verstand auch bis jetzt von der göttlichen
Weltordnung begriffen hat, so stehen wir doch immer nur am Ein-
gänge dieses geheimnißreichen und wundervollen T emp e ls, der allein
würdig ist, des Allmächtigen Wohnung zu seyn.
6. Die Kometen.
Außer den schon beschriebenen Himmelskörpern giebt es noch
andere, die man seltener am Himmel erblickt und die durch ihre
sonderbare Gestalt und Beschaffenheit, sowie durch ihren ungewöhn-
lichen Lauf die größte Aufmerksamkeit erregen. Man nennt diese
Sterne Kometen oder Schweissterne, weil sie gewöhnlich von einem
Lichtschweif begleitet sind, der sich bei manchem über einen großen
Theil des Himmels erstreckt, wie dies bei den Kometen von 1769
und 1858 der Fall war.
Die Kometen bewegen sich in außerordentlich lang-schmalen Bah-
nen um die Sonne, stehen derselben eine Zeit lang sehr nahe und
eilen nachher wieder weit über unsern Gesichtskreis hinaus, wodurch
sie sich für lange Zeit unserer Beobachtung entziehen. Dessen-
ungeachtet hat man den Lauf mehrerer Kometen genau berechnet
und ihre Umlaufszeit bestimmt. So hat der Sternkundige Halley
durch Beobachtungen und Forschungen herausgebracht, daß der Ko-
met von 1683 derselbe gewesen sei, welcher 1607 und 1531 sichtbar
war, und weil er sich demnach immer nach 75 bis 76 Jahren ge-
zeigthatte, so behauptete Halley, daß der gleiche Komet in den Jah-
ren 1759 und 1835 wieder erscheinen werde, was richtig geschah. <s
Da sich nun die Wiederkehr eines Kometen mit Sicherheit be-
rechnen läßt, wie dies bei dem genannten und mehreren anderen ge-
schehen ist, so folgt daraus, daß diese gewöhnlich so prachtvollen
Himmelskörper nicht — wie abergläubische Menschen gewöhnlich
glauben — ein allgemeines Unglück, Krieg, Theurung oder seuchen-
artige Krankheiten bedeuten. Betrachtet sic vielmehr als Zeugen der
Allmacht Gottes, als Boten, die seine Macht und Herrlichkeit ver-
künden.
Die meisten Kometen scheinen nicht aus einer festen Masse,
sondern aus einer bloßen Dunstkugel zu bestehen, denn man hat
schon Sterne, welche hinter einem Kometen standen, deutlich durch
denselben durchschimmern sehen. Es ist daher eine ganz ungegrün-
dete Furcht, wenn man glaubt, unsere Erde könnte einmal durch
einen Zusammenstoß mit einem Kometen zu Grunde gehen. Wäre
es auch wirklich möglich, daß sich zwei solcher Körper aus ihren
Bahnen begegneten, so könntt dies wohl dem Kometen Verderben
bringen, niemals aber unserer Erde selbst.
159 .
Die Bewegung der Kometen ist gewöhnlich um so schneller, je
näher sie der Sonne kommen. Der Komet, welcher 1811 den nächt-
lichen Himmel schmückte, durchlief in der Sonnennähe täglich eine
halbe Million Meilen, und dennoch behauptete ein Astronom, daß
er 510 Jahre zu seinem Umlauf nöthig habe, denn er soll derselbe
Komet seyn, der im Jahre 1301 beobachtet und beschrieben wurde.
Derselbe Sternseher hat auch berechnet, daß dieser Komet 25,000
Mal größer als die Erde und beinahe anderthalb millionenmal
größer sei, als der Mond. Sein Anblick war eben so prachtvoll,
als der des Kometen vom Jahre 1858, welches sich, wie das Jahr
1811, durch einen ungemein fruchtbaren Herbst und einen so herr-
lichen Nachsommer auszeichnete, daß im Oktober sogar die Frühlings-
blumen wieder hervor kamen, die Bäume wieder zu blühen anfiengen
und sich fremde Vögel aus allen Ländern sehen ließen, was wir
jedoch nicht gerade dem Kometen zuschreiben wollen.
7. Der Mond.
Der Mond, mit bewaffneten Augen betrachtet, stellt eine große,
helle, von der Sonne beleuchtete Scheibe dar, die einer geschmolzenen
und wieder hart gewordenen Schlacke mit vielen kleinen Löchern und
Anhöhen und ungleich helleren Stellen nicht unähnlich sieht. Große,
zusammenhängende, dunkle Gegenden, die ohne Zweifel tiefer liegen,
oder von einer Art sind, daß sie nicht viel Licht zurückwerfen können,
bedecken wohl den dritten Theil des Mondes. Ans diesen dunklern
Ebenen erheben sich Bergspitzen einzeln am Sonnenglanz, oder es
ziehen in meistens geraden Linien, nach verschiedenen Richtungen hin,
einzelne Gebirgsreihen, wie lichte Streifen, oder beträchtliche Land-
strecken treten in grauem Schatten, wie überschwemmte Inseln, her-
vor. Der größere Theil der uns zugewendeten Mondseite ist er-
habener, Heller und voll rundlicher Löcher, aus deren Finsterniß ge-
wöhnlich, wie ein Heller Punkt in der Mitte einer schwarzen Scheibe,
eine Bergspitze glänzend hervorragt, und fast alle jene Löcher haben
einen erhabenen, hellschimmernden Rand oder Kreis um sich. Diese
Kreise oder Einfassungen werfen, je nachdem die Sonne steht, Seiten-
schatten, aus denen ihre Höhe ermessen werden kann, und so erkennt
man sie als hohe Gebirge, welche ringförmig eine ungeheure Ver-
tiefung umkränzen. Jene kleinen Löcher werden, je nachdem die Sonne
steigt, bis in ihre untersten Tiefen erhellt; es sind ungeheure Ab-
gründe ^— viele Meilen weite Thäler, die sich oft über. 10,000 Fuß
tief einsenken und von sehr steilen Wänden eines Ringgebirges um-
schlossen sind, aus deren Mitte wieder ein einzelner sehr hoher Berg
hervor steigt. _ Manche Berge und Bergwände scheinen aus den
härtesten Massen zu bestehen, und es zeigen sich felsenähnliche Wände,
160
/
die an Bergen steil, wie eine Mauer, bis zu 9000 Fuß Höhe em-
porsteigen.
Das Schauspiel dieser göttlichen Einrichtung auf der Ober-
fläche des Mondes läßt sich nicht erklären. Wir sehen bei uns nichts
Aehnliches. Schon daß der Mondball nicht so, wie unser Erd-
ball mit einem dichten Dunstkreis oder einem Wolkenhimmel um-
geben ist, bedeutet uns, daß wir dort eine ganz andere Natur ver-
muthen müssen, als wir sie auf Erden haben, denn ohne Wolken
hätten wir keinen Regen, keinen Schnee und keinen Hagel. Sollten
jene Abgründe mit ihren erhöhten Rändern vielleicht ausgebrannte,
feuerspeiende Berge seyn? — Sie gleichen denen auf unserer Erde
einigermaßen; aber die größten Ocffnungen der unsrigen sind nur
wenige Tausend Fuß weit; dort hingegen sind es Thäler, in denen
unsre Fürstenthümer mit Städten und Dörfern Raum fänden.
Wenn der Mond, etwa wie die Erde, von Menschen bewohnt
ist, so werden sie, wenn sie unsere Erde zur Zeit des Neumondes
am Mittag betrachten, Europa, Asien und Afrika als einen
Hellen, zusammenhängenden Fleck erblicken, der auf allen Seiten von
einer dunklen Masse, dem Meere, umgeben ist. Nach 12 Stunden
aber stellt ihnen die Erde ein ganz anderes Bild dar; die alte Welt
ist verschwunden, und Amerika mit den Inseln des Südmeeres
liegt vor ihnen. Haben sie Fernröhren, wie wir, so können sie z. B.
Wien in der Größe sehen, wie uns der Jupiter erscheint. Die Erde
zeigt sich den Mondbewohnern überhaupt 13 Mal so groß, als wir
den Mond sehen, und diese gewaltige Lichtscheibe scheint ihnen fest
und unveränderlich am Himmel zu stehen. Dieses erhabene Schau-
spiel gilt jedoch nur denjenigen Mondsbürgern, welche auf der gegen
die Erde gewendeten Hälfte des Mondes wohnen; die andern wissen
Nichts davon, da sie ewig von der Erde abgewendet sind und sie
daher nie sehen können. Sie haben daher wohl auch keine Ahnung
von den herrlichen Erscheinungen, welche unsere Erde ihren Nachbarn
auf der andern Mondshälfte gewährt, wenn sie nicht etwa durch
Reisende, die von dieser Seite des Mondes zu ihnen kommen, da-
von Nachricht erhalten. Mit welchem Erstaunen werden sie solche
Erzählungen anhören! Mit welcher Begierde werden vielleicht Viele
nach den glücklichen Orten hinreisen, wo ihnen der Anblick dieser
für sie so wundervollen Erde gegönnt ist!
Fürwahr, der Herr ist groß in allen seinen Werken!
161
Vierter Abschnitt.
Das Wichtigste aus der Naturlehre.
Nutzen der Naturlchre.
Ihr sollt nun, liebe Kinder, über die verschiedenen Kräfte
und Wirkungen der Naturkörper näher unterrichtet werden,
was euch, wie ich hofse, vielen Nutzen gewähren und manche Freude
bereiten wird. Ihr werdet dadurch die Weisheit, Allmacht und
Güte Gottes in höherem Grade kennen lernen, als dies durch die
bloße Betrachtung der erschaffenen Dinge möglich ist, und dieses
wird gewiß eure Ehrfurcht, eure Verehrung und eure Liebe gegen
den allmächtigen, liebevollen Schöpfer der Natur vermehren und eure
Herzen mit Glauben und Vertrauen zu dem großen Weltenvater
erfüllen, der da waltet mit unendlicher Macht und Weisheit in allen
Werken der Schöpfung.
Diejenige Wissenschaft, welche uns mit den Wirkungen und
Kräften der Naturkörper bekannt macht, nennt man die Naturlehre.
Durch dieselbe lernen wir auch die verschiedenen Naturkräfte vor-
theilhaft benützen; sie zeigt uns, wie wir uns gegen die schäd-
lichen Wirkungen mancher Naturerscheinungen schützen können, und
indem sie uns über die Entstehung mancher'sonst gefürchteten Er-
scheinungen näher unterrichtet, schützt sie uns auch vor Furcht und
Aberglauben.
Ehe wir uns aber mit den Naturerscheinungen selbst beschäf-
tigen, müssen wir die Eigenschaften der Naturkörper näher kennen
lernen.
1. Die allgemeinen Eigenschaften der Körper.
1) Wenn wir von einem Körper sprechen, so verstehen wir dar-
unter ein Ding, das durch einen oder mehrere Sinne wahrgenom-
men werden kann. Jeder Körper nimmt einen Raum ein und da-
her sagen wir, jeder Körper hat eine Ausdehnung.
2) In demselben Raume, den ein Körper einnimmt, kann nicht
zugleich auch ein anderer seyn. Läßt man einen Stein in ein ganz
mit Wasser gefülltes Glas hinein fallen, so wird so viel Wasser
heraus fließen, als der Stein Raum braucht. Schlägt man einen
Nagel in ein Brett hinein, so werden ihm die Holzfasern ausweichen,
Reiser, der Volksschüler i. d. Obcrklasse. 11
162
und wo dann der Nagel ist, befindet sich kein Holz mehr. Der
Nagel hat also nicht das Holz durchdrungen; Nagel und Holz sind
nicht in gleichem Raume, das Holz ist dem Nagel ausgewichen;
denn wo einmal ein Körper ist, kann nicht zugleich ein anderer seyn,
und daher sagt nzan: Jeder Körper ist undurchdringlich.
3) Jeder Körper hat Zwischenräume oder Poren, obgleich
man diese nicht immer mit bloßen Augen sehen kann. An einem
Schwamm, im weichen Brod und am Käs kann man viele Oeff-
nungen wahrnehmen, die nicht mit dem gleichen Stoff ausgefüllt
sind, aus dem diese Körper bestehen; das sind große Poren. An
den harten Körpern, wie z. B. an den Edelsteinen, sind dagegen die
Poren so klein, daß man sie nur durch ein gutes Vergrößerungsglas
sehen kann. Quecksilber kann man durch Leder hindurchpressen, und
es zieht sich in Silber, Zinn und Blei wie in einen Schwamm
hinein, was nicht möglich wäre, wenn diese Körper keine Poren
hätten. Das Feuer dringt in die Zwischenräume der Metalle ein
und macht sie flüssig; die Fürbestofse dringen in die Poren der
Körper ein, welche man damit färbt, und so könnten wir manche
Körper nicht benützen und verarbeiten, wenn sie keine-Poren hätten.
Diese Eigenschaft der Körper nennen wir Porosität.
4) Alle Körper kann man in kleinere Theile zerlegen, und die
Theilbarkeit, welche allen Körpern eigen ist, geht bei einigen so
weit, daß wir uns veranlaßt sehen, in einem nachfolgenden Stücke
ausführlicher darüber zu sprechen. Mit einem Stückchen Karmin,
so schwer als ein Gerstenkorn, kann man z. B. mehrere Maaß
Wasser roth färben, es muß also in jedem Tröpfchen Wasser Etwas
von jener Farbe enthalten seyn. Mit einem Loth Gold kann man
einen 55 Stunden langen Silberdraht vergolden, den man in 2000
Millionen Theile zerschneiden kann, woran man die Vergoldung noch
deutlich sieht, und es ist also jenes Loth Gold in eben so viele sicht-
bare Theile getheilt worden.
5) Jeder Körper ist bewegbar, d. h. er kann durch eine innere
oder äußere Kraft veranlaßt werden, seinen Ort zu verlassen, wenn
nämlich diese Kraft stark genug ist, seinen Widerstand oder sein Be-
harrungsvermögen zu überwinden. Auch von dieser Eigenschaft wer-
den wir später ausführlicher sprechen.
6) Wenn man von der Trägheit der Körper spricht, so will
man damit sagen, daß jeder Körper so lange in Ruhe bleibe, bis
ihn eine Kraft in Bewegung setze. Ein Stoß nöthigt die Kugel,
auf einer ebenen Bahn fortzulaufen; die Reibung ans der Bahn
und der Widerstand der Lust bringen sie wieder zur Ruhe, welche
man auch das Beharrungsvermögen nennt. Lege ich z. B.
mein Messer ans ein Buch und schiebe dies langsam vorwärts, so
wird das Messer mitbewegt, weil ihm das Buch Bewegung mit-
163
theilt; ziehe ich aber das Buch sehr rasch heran, so bleibt das Messer
zurück und fällt herab, weil das Buch nicht Zeit hatte, dem Messer
Bewegung mitzutheilen und sein Beharrungsvermögen zu überwinden.
7) Alle Körper zeigen ein Bestreben, nach der Erde hin zu
fallen, weil sie alle von der Erde gleich stark angezogen werden.
Man hat sich durch viele Versuche überzeugt, daß z. B. ein Stein,
den man von einem Thurm herabfallen ließ, in der ersten Sekunde
15 Fuß, in der zweiten aber 3 Mal, in der dritten 5 Mal, und
in der vierten 7 Mal schneller fiel. In einem luftleeren Raum
fallen leichte und schwere Körper gleich schnell zu Boden, und es
kommt also hiebei nicht ans das besondere Gewicht der Körper
an. Wenn z. B. eine große gläserne Flasche oder eine Glasglocke
durch eine Luftpumpe luftleer gemacht wird und man läßt in der-
selben eine Flaumfeder und eine Bleikugel zu Boden fallen, so wird
man finden, daß dies von beiden Körpern mit gleicher Geschwindig-
keit geschieht, und dies ist eine Folge der allgemeinen Schwere der
Körper.
,8) Die einzelnen Theile eines Körpers halten sich untereinander
fest und lassen sich oft nicht ohne Mühe trennen. So halten';. B.
die Holzfasern um so fester aneinander, je härter das Holz ist.
Diese Eigenschaft nennt man den Zusammenhang oder die Cohäsion
der Körper, und sie ist, je nach dem Stoff, aus dem die Körper
bestehen, sehr verschieden. Da es nun für manchen Handwerker
nicht unwichtig ist, den Zusammenhang der Stoffe, die er verarbeitet,
zu kennen, so führen wir an, wie es einst ein Gelehrter machte, um
die Cohäsion verschiedener Metalle zu prüfen. Er ließ nämlich
gleich dicke Stäbchen aus denselben gießen und hieng nach und
nach so viel Gewicht daran, bis die Stäbchen von einander rißen,
und dies geschah
bei deutschem Eisen mit 1930 Psd., .
„ feinem Silber „ 1256 „
„ feinem Gold „ 578 „
„ englischem Zinn „ 110 „
„ englischem Blei „ 25 „
Diese Versuche bewiesen also, daß englisches Z inn über 4 Mal,
seines Gold über 23 Mal, feines Silber über 46 Mal und
deutsches Eisen über 77 Mal so viel Zusammenhang haben, als
englisches Blei.
Die hier beschriebenen 8 Eigenschaften finden wir bei näherer
Betrachtung'an jedem Körper, selbst wenn dies anfangs auch an-
ders scheint, und daher hat man sie allgemeine-Eigenschaften ge-
nannt. Außer diesen giebt eA auch noch solche, die man nur an
emzelnen Körpern wahrnimmt, und die eben deshalb besondere
Eigenschaften genannt werden. >.
164
2. Merkwürdige Beispiele von der ^Heilbarkeit der Körper.
Die meisten Naturkörper lassen sich in unglaublich feine Theile
zerlegen, wie dieses nachfolgende Beispiele beweisen:
In England hat man aus einem Pfund Wolle einen Faden
gesponnen, welcher 14 deutsche Meilen lang war. Rechnen wir nun
die deutsche Meile zu 24,000 Fuß, den Fuß zu 10 Zoll und einen
Zoll zu 10 Linien, und nehmen wir an, daß jede Linie dieses Fa-
dens nur in 10 Theilchen zerschnitten würde, so wäre derselbe in
336,000,000 sichtbare Theile getheilt worden. Ein Pfund Baum-
wolle lieferte einen Faden von 134,000 Ellen, welche eine Strecke
Weges von 11 ‘« Meilen betragen.
Ein einfacher Seidensadeu, wie er von der Seidenraupe kommt,
wiegt bei einer Länge von 360 Fuß nicht mehr als ein Gran (den
24Osten Theil eines Lothes, ungefähr so viel als ein Gerstenkorn);
wie unendlich viele sichtbare Theile müßte man demnach aus einem
einzigen Loth Seide machen können!
Noch größer ist die Theilbarkeit der Färbestofse. L>o färbt man
z. B. mit einer Unze oder 2 Loth Cochenille*) 10 Unzen Seide
hinreichend roth. Eine Unze Seide giebt einen Faden von 130,000
Fuß Länge; jeder Seidenfaden ist mindestens aus 40 einfachen Fä-
den zusammengesetzt, und aus jedem fußlangen, einfachen oder Kokon-
faden kann man wenigstens 1000 Theile machen, die unter dem Ver-
größerungsglasc noch alle roth erscheinen; in wie viele sichtbare
Theile ist demnach eine einzige Unze dieser rothen Farbe zertheilt
worden!!
Durch ein gutes Vergrößerungsglas oder Mikroskop kann man
sich überzeugen, daß der Faden einer Spinne aus 6000 andern
Fäden bestehe, daß der Schimmel am Brode ein Wald von
lauter Gewächsen und mit Thieren bevölkert sei, und daß ein Tropfen
Wasser oder Essig eine merkwürdige Anzahl von Thierchen enthalte,
die alle mit Schnelligkeit sich in ihrem Elemente bewegen. Jedes
dieser Thierchen nimmt Nahrung zu sich, und es muß gewiß unsere
Bewunderung erregen, wenn wir bedenken, wie sein die Nahrungs-
theile seyn müssen, die geeignet sind in die zarten Gefässe dieser Thier-
chen aufgenommen zu werden!
Der Moschus, ein bekanntes sehr kostbares Arzneimittel, das
wir von einem niedlichen Thiere aus dem südöstlichen Asien erhalten,
erfüllt, ohne etwas Merkliches von seinem Gewichte zu verlieren, ein
Zimmer Jahre lang mit seinem Dufte. Wir wissen nun, daß die
*) Die Cochenille (sprich Koschenill) $ ein kleines Insekt, das besonders
in Mexiko auf mehreren Cactus-Arten lebt, eine feine, rothe Farbe giebt und
daher ein wichtiger Handelsartikel ist.
165
Empfindung des Riechens dadurch entsteht, daß sich Theile von
irgend einem riechenden Körper ablösen, in unsere Nase fliegen und
durch Reizung der Geruchsnerven die Empfindung des Riechens ver-
anlassen. Wie ungeheuer fein müssen die Theilchen seyn, die sich
vom Moschus ablösen und Jahre lang ein Zimmer erfüllen, wäh-
rend doch so viele derselben durch die Bewegung der Luft, durch
Einathmen und andere Ursachen hinweggetragen werden! —
(R. nach SUßkind u. A.)
3. Bewegbarkeit der Körper.
Alle Körper sind bewegbar, und selbst unsere Erde befindet sich,
durch innere und äußere Kräfte veranlaßt, in fortwährender Be-
wegung. Wenn wir aber dennoch von unbeweglichen Körpern spre-
chen, so meinen wir solche, welche, so lange kein Anstoß von außen
kommt, an ihrer Stelle bleiben, oder solche, zu deren Fortbewegung
eS uns an hinreichender Kraft und an den erforderlichen Mitteln
gebricht. Zu den ersteren gehören alle leblose Körper. Doch kann
auch diesen eine solche Einrichtung gegeben werden, daß sie sich, wie
z. B. der Pendel an einer Uhr oder ein Dampfwagen so lange
fortbewegen, als die auf sie wirkende Kraft thätig ist.
Bei der Bewegung ist zweierlei zu beobachten, nämlich Raum
und Zeit. Bewegt sich ein Körper von einem Punkte nach einem
andern hin, fo wird die Richtung, die er hiebei beobachtet, durch
eine Linie bezeichnet; die Zeit, welche er zu feiner Bewegung durch
irgend einen Raum gebraucht, bestimmt die Geschwindigkeit, mit
der er sich bewegt. Alle Körper würden sich in gerader Linie fort-
bewegen, wenn sie nicht durch mannigfaltige Ursachen genöthigt wür-
den, ihre gerade Bahn zu verlassen. Ist diese Ursache eine gleich-
mäßig fortdauernde, so entsteht die kreisförmige oder Zirkelbewegung.
Schwingt man z. B. eine an einen Faden befestigte Kugel in der
Luft, fo wird sie durch die zurückhaltende Kraft genöthigt, sich im
Kreise zu bewegen; außerdem wird sie so lange in gerader Linie
fortfliegen, als die sich bewegende Kraft stark genug ist, sie fortzu-
treiben. Aus ähnliche Weise verhält es sich mit der Bewegung der
Erde; die Ursachen, welche sie von 'ihrer geraden Bahn ablenken,
find ihre Fliehkraft und die Anziehungskraft der Sonne.
In sofern alle Körper genöthigt werden können, ihre Stelle zu
verlassen, schreibt man auch allen Geschwindigkeit zu, nur daß diese
sehr verschieden ist. Eine Kanonenkugel durchläuft in einer Sekunde
einen Raum von 600 Fuß; die Erde legt in derselben Zeit 4 deutsche
Meilen zurück, während ein Lichtstrahl in einer Sekunde einen Raum
von 40,000 Meilen durchstiegt, und also den ungeheuren Weg von
166
der Sonne bis zur Erde (20 Millionen Meilen) in 8 Minuten 20
Sekunden zurücklegt *).
Von der Geschwindigkeit der Bewegung hängt zum Theil die
Gewalt ab, womit ein Körper ans einen andern wirkt. Ein schnell
vollführter Schlag ist empfindlicher als einer, der langsam geschieht;
eine kräftig geschwungene und hastig niederfallende Axt spaltet leichter
den Klotz u.s. w. Gleichförmig nennt man die Bewegung, wenn
ein Körper in gleichen Zeiten gleiche Räume durchläuft, ungleich-
förmig, wenn sie nach und nach schneller oder langsamer wird.
Gleichförmig ist die Geschwindigkeit des Pendels, des Schalles, des
Lichtes und der im Kreise sich bewegenden Körper. Beschleunigt
ist die Geschwindigkeit aller fallenden Körper, verzögert hingegen
bei allen den Körpern, welche durch einen Stoß oder Wurf in ge-
rader Linie fortbewegt werden; bei diesen wird die Bewegung desto
langsamer, je mehr sie sich ihrem Ende nähert, wie man an jeber
fortgerolltem Kugel bemerken kann. — Da zum Fortbewegen der
Körper eine verhältnißmäßige Kraft erfordert wird, so würde der
Mensch nur solche fortbewegen können, welche er mit seiner natür-
lichen Kraft zu bewältigen vermag, hätte er nicht Mittel ausfindig
gemacht, wodurch er seine Kräfte bedeutend verstärken kann. Diese
Mittel sind der Hebel, die Winde, die Walze und der Wagen.
Der Hebel besteht aus zwei Armen, einem längeren und einem
kürzeren. Durch gehörige Verlängerung des einen Armes läßt sich
mit einer verhältnißmüßig geringen Kraft eine sehr große Last heben.
Mit Hilfe desselben kann man selbst die stärksten Bäume aus der
Erde heben.
Das Gesetz des Hebels wendet man im gemeinen Leben viel-
fach an, ohne immer darauf Acht zu geben, ja ohne es zu kennen.
Die gemeinen Hebebäume, Hebeisen, Ruder, Messer, Scheeren, Zan-
gen, Bohrer und viele andere Werkzeuge wirken nach den Gesetzen
des Hebels oder sind selbst einfache oder zusammengesetzte Hebel, die
aber nach ihrer verschiedenen Einrichtung auch verschiedene Wirkungen
hervorbringen, was in Folgendem näher beschrieben wird.
4. Das Gesetz des Hebels.
1) Wenn ich eine große Last, etwa einen schweren Stein, aus
seiner Lage rücken möchte, so bringe ich eine Stange unter eine Ecke
desselben und unterstütze diese nahe an dem zu hebenden Steine mit
einem Stücke Holz. Drücke ich nun auf das andere Ende der
*) Rechnungsaufgabe: In wie vielen Jahren würde eine Kanonen-
kugel von der Sonne zur Erde gelangen, wenn sie in einer Sekunde 600 Fuß
zurücklegt, 24,000 Fuß eine Meile ausmachen und die Entfernung beider Kör-
per zu 20,000,000 Meilen angenommen wird?
167
Stange, so werde ich den Stein bewegen können, was mir mit freien
Händen nicht möglich wäre.
Eine solche Stange nennt man einen Hebel, und man merkt
sich an ihm 3 Punkte: 1) die Stelle, welche die Last bewegt;
2) den Drehpunkt, und 3) die Stelle, wo wir die Kraft
an w enden *).
2) Will der Zimmermann das Ende eines schweren Balken
ans ein Gerüst heben, so bringt er eine Stange unter denselben,
unterstützt diese am äußersten Ende mit einem Stücke Holz und faßt
den Balken mit dem Hebel so, daß derselbe näher an das unter-
stützte Ende, als gegen die Stelle hin zu liegen kommt, wo die
hebende Kraft angewendet wird. In diesem Falle werden die Punkte
1) und. L verwechselt, indem die äußerste unterstützte Stelle Dreh-
punkt wird.
Je näher nun die Last bei dem Drehpunkte liegt, und je
weiter sie von der Kraft entfernt ist, desto leichter wird sie
gehoben.
3) Die gewöhnliche Wage ist ebenfalls ein Hebel, bei wel-
chem der Drehpunkt genau in der Mitte liegt; bei der Schnell-
wage liegt derselbe ganz nahe an der Last. Daß eine solche Wage
eine schwere und eine leichte Seite hat, kommt daher, daß an
derselben zweierlei Drehpunkte angebracht sind.
4) Hebel, bei welchen der Drehpunkt zwischen der Last und
der Kraft liegt, wie das in dem unter Ziffer 1 angeführten Bei-
spiele und bei der Balken- und Schnellwage der Fall ist, heißen
zweiarmige Hebel; solche dagegen, bei welchen Last und Kraft
auf einer Seite des Drehpunktes liegen, wie in dem Beispiele unter
Ziffer 2, nennt man einarmige Hebel* **).
5) Aus der Einrichtung des Hebels können folgende Gesetze ab-
geleitet werden:
а) Sind Kraft und Last gleich weit vom Drehpunkt ent-
fernt (wie das bei der Balken- oder Schalcnwage der Fall ist),
so müssen Kraft und Last gleich groß seyn, um sich das Gleich-
gewicht zu halten.
б) So vielmal weiter die Kraft vom Drehpunkt entfernt ist,
als die Last, so vielmal weniger Kraft braucht man, um
die Last zu heben.
6) Auch der ausgestreckte menschliche Arm ist ein Hebel.
In der Schulter ist der Drehpunkt; was man in der Hand oder
I) Die angeführten Fälle werden durch Zeichnungen an der Wandtafel
versinnlicht und die 3 Punkte durch L, D, K (Last, Drehpunkt und Kraft) be-
zeichnet.
**) Diese und ähnliche Erklärungen wird der Lehrer durch einfache Zeich-
nungen an der Wandtafel deutlich machen.
168
in den Fingerspitzen hält, ist die Last, und ein Muskel, welcher
Schulter und Arm verbindet, ist die Kraft. Hier ist nun die Last
über 33 Mal so weit von dem Drehpunkte entfernt, als die Kraft.
Wer daher 10 Pfund in ausgestreckter Hand hält, muß 33 Mal
10 Pfund Kraft anwenden. Welche ungeheure Muskelkraft! —
Aber wie viel mehr muß erst Derjenige anwenden, der ein Gewehr
beim aufgesteckten Bajonett ansaßt und damit den Arm ausstreckt,
denn hier liegt die Last erst am Ende des Gewehrkolbens!
7) Gar viele Werkzeuge, die wir täglich gebrauchen, sind nach
den Gesetzen des Hebels eingerichtet, z. B. die Scheere, die Zange,
der Spaten, der Schiebekarren, die Wageuwinde u. s. w.
Nach den Gesetzen des Hebels wirkt auch die Rolle, eine
hölzerne oder metallene Scheibe mit einer Rinne, die sich um eine
Achse dreht. Sie wird gewöhnlich in einer Höhe befestigt, wie z. B.
in Scheuern und Waareu-Vorrathshäusern und dient dazu, um an
einem um die Rolle gezogenen Seile verschiedene Gegenstände in die
obern Räume eines Gebäudes hinaus zu ziehen.
Die einfache Rolle gewährt keine Kraftersparniß, da bei ihr
Kraft und Last gleich weit vom Drehpunkte entfernt sind; werden
aber mehrere bewegliche Rollen mit einer befestigten zusammengesetzt,
so wird die Last so vielmal um die Hälfte vermindert, als beweg-
liche Rollen vorhanden sind. Dieses ist bei den sogenannten Klo-
ben- oder Flaschenzügen der Fall. Denken wir uns einen sol-
chen, der aus einer unbeweglichen und 3 beweglichen oder
kraftersparenden Rollen besteht, so wird eine Last von 160
Pfund durch die erste bewegliche Rolle auf 80 Pfund, durch die
zweite aus 40 und durch die dritte auf 20 Pfund vermindert. Mit
letzterem Gewicht würde also eine Last von 160 Pfund im Gleich-
gewicht gehalten und mit nur wenig mehr Kraft gehoben werden.
5. Besondere Eigenschaften der Körper.
An einem Badeschwamm, an weichem Brod und an andern
ähnlichen Dingen bemerken wir so große Poren, daß man sie mit
bloßen Augen sehen kann, und solche Körper nennen wir lockere
Körper. Am Holz bemerken wir dagegen wenige und nur kleine
Zwischenräume, daher zählen wir das Holz zu den dichten Körpern.
Auch am Stein, besonders am Marmor, finden sich nur kleine
Poren, und wir können ihn daher ebenfalls dicht nennen; weil er
sich aber schwer oder gar nicht zusammendrücken läßt, zählen wir
ihn zu den harten Körpern.
Es leuchtet aber Jedermann von selbst ein, daß nicht alle Kör-
per weich, dicht, fest llder hart genannt werden können, und
daß man nur an einzelnen Körpern diese Eigenschaften wahrnimmt,
169
weßhalb man dieselben, im Gegensatz zu den früher kennen gelernten,
besondere Eigenschaften nennt.
Wachs läßt sich zusammendrücken, es ist also zusammen-
drückbar; Leder läßt sich auseinander strecken und ist demnach
ausdehnbar, und weil es dabei nicht leicht zerreißt, so nennen
wir es auch zähe. Fischbein und dünne Stäbe von manchen Holz-
arten lassen sich biegen ohne zu zerbrechen; sie sind also biegsam.
Diese Eigenschaft finden wir z. B. an einem Streifen von Glas,
an einer Siegellackstange oder Kreide nicht, und daher zählen wir
diese zu den spröden Körpern.
Ein mit Roßhaaren gepolsterter Sessel läßt sich bedeutend zu-
sammendrücken, nimmt aber seine vorige Gestalt wieder an, sobald
der Druck aufhört. Gummi elastikum kann man ebenfalls aus-
dehnen und es zieht sich nachher wieder zusammen. Diese Eigenschaft
nennt man Elasticität oder Federkraft, weil man sie vorzüg-
lich an den Federn von Uhren und Schlössern wahrnimmt.
Das Glas läßt die Lichtstrahlen durch sich hindurchfallen und
durch das Fenster sehen wir deutlich, was auf der Straße geschieht;
das Glas ist also durchsichtig. Wären aber die Fensterrahmen
mit Papier anstatt des Glases ausgefüllt, so würden wir wohl etwas
Helles gewahr werden, aber nicht sehen können, was auf der Straße
vorgeht; daher nennen wir Papier nicht durchsichtig, sondern
durchscheinend.
Wenn die Theile eines Körpers wenig Zusammenhang haben
und diesen leicht verlieren, also leicht getrennt werden können, wie
dies bei Wasser, Oel und ähnlichen Dingen der Fall ist, so nennen
wir sie flüssig. Ausdehnbare Flüssigkeiten, wie z. B.
Dämpfe, breiten sich, wegen ihrer Leichtigkeit, gewöhnlich nach
oben aus, wenn ihnen kein Hinderniß entgegen steht; auch lassen sie
sich in einen kleinern Raum zusammenpressen und dehnen sich nach-
her wieder in den vorigen oder einen noch größern Raum aus.
Auf dieser Eizenschast.beruht die große Kraft der Dampfmaschinen,
welche z. B. auf Dampfschiffen oft so hoch gesteigert wird, daß sie
der Kraft von mehreren hundert Pferden gleichkommt.
6. Dampfmaschinen und Eisenbahnen.
In einem offenen Gefässe kann Wasser nur bis zur Siedhitze
erwärmt werden. Wenn man aber Wasser in einem geschlossenen
Gefässe» erwärmt, so daß die gebildeten Dämpfe nicht entweichen
können: so nimmt die Hitze des Wassers immer zu, und die ein-
geschlossenen Dämpfe nehmen eine große Spannkraft an, er-
reichen endlich eine furchtbare Stärke und werden bei den Dampf-
maschinen angewendet. Die Wirkung einer Dampfmaschine ist
170
also Folge der großen Spannkraft des eingeschlossenen, sehr erhitzten
Wasserdampfes. Die Erzeugung dieses Dampfes geschieht in
einem eisernen Dampfkessel, dessen Form sehr verschieden ist. Damit
schnell eine große Menge Wassers in Dampf verwandelt werden
kann, so ist der Kessel ganz vom Feuer umgeben. Aus dem Dampf-
kessel wird der Dampf durch eine Röhre nach der Maschine geleitet.
Die Maschine ist entweder eine stehende, wie z. B. bei Dampf-
mühlen und Dampfschiffen, oder eine bewegliche, was bei den
Locomotiven der Eisenbahnen der Fall ist. Das Brennmaterial für
Dampfmaschinen ist in der Regel Steinkohle. Die Erfindung dieser
Maschinen ist für die Gewerbe von großer Wichtigkeit; sie ersetzen
Hunderttausende von Menschenhänden und Tausende von Zug- und
Lastthieren; sie machen den Schiffer von Wind und Strömung un-
abhängig; sie setzen Mühlen in Bewegung, wenn auch der Mühl-
bach versiegt oder aus den Grund gefroren ist; sie überwinden jede
Last mit Leichtigkeit und durch die Eisenbahnen jede Entfernung mit
großer Geschwindigkeit.
Ich will euch von den Eisenbahnen, welche als die wichtigste
Erfindung der neuesten Zeit angesehen werden müssen, in Kürze
Einiges erzählen. Die Eisenbahnen sind möglichst wagrechte Straßen,
auf welchen zwei künstliche, von Eisen gefertigte Geleise oder
Schienen fortlaufen, die in allen Punkten gleich weit von einander
abstehen. Diese Schienen ruhen in dem Einschnitte eiserner Sättel;
die Sättel aber sind auf Eichenholzschwellen befestigt, die quer unter
der Bahn liegen. Der Raum zwischen den Schienen ist so mit
Kies gefüllt, daß dieselben nur wenige Zoll hervorstehen. Bei der
Erbauung einer solchen Eisenbahn wird der Kostenaufwand oft sehr
vermehrt, weil man den Weg, so viel als möglich, wagrecht her-
stellen muß; denn man hat noch kein Mittel gefunden, den Dampf-
wagen und den ganzen schweren Bahnzug bei schneller, bedeutender
Steigung bergauf zu treiben, oder ihn bergab gehörig zu hemmen.
Bei dieser Herstellung müssen Hügel geebnet, unb Berge durchbrochen
werden (dadurch entstehen Tunnels); es müssen Vertiefungen aus-
gefüllt und tiefe Thäler mit Bogengängen, welche man Viadukte
nennt, überbaut werden Die Wagen, welche zur Fahrt auf solchen
Straßen bestimmt sind, haben gußeiserne Räder mit einem vorsprin-
genden Rande, durch welchen sie stets auf jenen Geleisen gehalten
werden. Der D amfw agen, auf welchem die Dampfmaschine sich
befindet, fährt voraus. Er ist ans Eisen gebaut und ruht auf den
Achsen der sechs Räder. Die zwei mittleren Räder werden durch
Dampf in Bewegung gesetzt; die vier andern rollen von selbst mit.
Die Maschine hat zwei Dampfwalzen, welche an der Unterseite des
Wagenkastens wagrecht liegen. An den Walzen find außen zwei be-
wegliche Stangen angebracht, welche die Welle der Mittelräder
171
drehen und dadurch bewirken, daß das Ganze fortrollt Soll es
stille stehen, so verschließt der Wärter die Röhre, durch welche der
Dampf in die Dampfwalze geht. Den größten Theil des Dampf-
wagens nimmt der Kessel ein. Sein Untertheil ist mit Wasser an-
gefüllt; oben füllen ihn die Dämpfe. Wenn die Dämpfe endlich
Kraft genug haben, so gelangen sie zur Dampfwalze und treiben
die Stange, welche Gelenke hat und mit den mittleren Rädern in
Verbindung steht, hin und her und versetzen dadurch die mittleren
Räder in drehende Bewegung. Die verbrauchten Dämpfe werden
in den Schornstein geleitet, durch den sie mit dem Rauch und der
Flammengluth abziehen. An den Dampfwagen ist ein Vorraths-
wagen angehängt, welcher die zur Beheizung nöthigen Steinkohlen
und auch heißes Wasser enthält. Nach diesem folgen die Personen-
wagen, auf denen sich oft Hunderte von Menschen befinden. Auch
Wägen zur Weiterschaffung der Thiere, Kaufmannsgüter und andern
Gepäcks sind angehängt. Und alle diese Wagen, von der einzigen
Dampfmaschine getrieben, fliegen so schnell auf der Eisenbahn dahin,
daß sie in einer Stunde oft 5 — 6 deutsche Meilen zurücklegen.
(Heunis ch.)
-7. Zusammenhang, Anhängung und Anziehung der üörper.
1) Diejenige Kraft, welche die Körpertheile aneinander festhält,
nennt man den Zusammenhang (oder die Cohäsion). Diese Kraft
wirkt besonders der Theilung der Körper entgegen und beruht auf
der Anziehungskraft, welche die Theile eines Körpers gegen-
seitig äußern.
2) Die Theile eines Wassertropfens hängen unter sich zusam-
men, haben also Cohäsion. Stecke ich aber die Hand oder ein
Stück Holz ins Wasser, so wird die Hand oder das Holz naß und
es zeigt demnach das Wasser eine größere Neigung, sich an feste
Körper anzusetzen, oder vielmehr es wird von s est en Körpern mehr
angezogen, wenn es mit solchen in Berührung kommt.
3) Die Erscheinung, daß flüssige Körper sich bei der Be-
rührung an feste Körper ansetzen, nennt man Anhängung (oder
Adhäsion) der Körper. Wenn z. B. ein Brett auf dem Wasser
schwimmt und so, wie es liegt, gerade in die Höhe gezogen wird,
so geschieht das viel schwerer, als wenn das Brett auf dem trockenen
Boden liegen würde.
4) Betrachtet man ein nicht ganz gefülltes Glas Wasser genau,
so wird man bemerken, daß das Wasser an den Wänden des Glases
herum etwas höher steht, als in der Mitte. Dasselbe bemerk man,
wenn man eine Glasscheibe in Wasser stellt; das Wasser zieht sich
an derselben etwas in die Höhe, und wird von dem Glase fest-
gehalten.
172
Hier ist also mehr als Anhängung — es ist ein Hinziehen
aus einer allerdings kleinen Entfernung, und diese Erscheinung nennt
man Anziehung (oder Attraction).
5) Durch diese verschiedenen Kräfte erklärt sich manche Erschei-
nung in der Natur. Daß z. B. ein Stück Holz nicht in Splitter
zerfällt, wird durch den Zusammenh ang (oder die Cohäsionj
verhindert; daß Quecksilber ans Zinn zerfließt und letzteres dadurch
naß gemacht wird, ist eine Folge der Anhängung (oder Adhä-
sion); daß aber zwei Gewitterwolken sich nähern, und daß die
Erde von der Sonne angezogen wird, bewirkt die Anziehungs-
kraft (oder Attraction).
Wenn ihr euch nun die hier gegebenen Erklärungen wohl ge-
merkt habt, so wird euch künftig in vielen Fällen von selbst klar-
werden, durch welche Kräfte diese oder jene Wirkung entstanden,
oder durch welche Ursachen irgend eine Erscheinung in der Körper-
welt veranlaßt worden sei, was für viele Verrichtungen im bürger-
lichen Leben nicht ohne Nutzen bleiben und euch bei manchem Ge-
schäfte förderlich seyn wird.
8. Die Gase.
Die Luft, welche ein sehr feiner, durchsichtiger, flüs-
siger und elastisch er Körper ist, enthält verschiedene Luftarten
oder Gase, die sich in der Natur auf verschiedene Weise entwickeln
und die man schon deshalb näher kennen soll, weil manche derselben
der Gesundheit sehr nachtheilig sind und oft sogar lebensgefährlich
werden.
Eine der merkwürdigsten Luftarten ist das Sanerstoffgas oder
die Lebenslust, welche sich im Sonnenscheine aus Bäumen und
andern Pflanzen entwickelt. Daher ist die Landluft so erfrischend
und gesund, denn sie wird auf dem Lande in größerer Menge er-
zeugt, als in Städten und deren Umgebung. Sie ist zum Leben
und zur Unterhaltung des Feuers durchaus nothwendig, und die
Luft, welche wir einathmen, muß daher immer eine angemessene
Menge von Sauerstoff enthalten, wenn sie der Gesundheit nicht
nachtheilig werden soll.
Das Wasserstoffgas oder die brennbare Luft wird oft künstlich
erzeugt und zur Füllung der Luftbälle benützt, weil es 15 Mal
leichter ist, als die gewöhnliche Luft. Sie taugt nicht zum Athmen,
sondern ist dem Leben gefährlich; dem Wachsthum der Pflanzen ist
sie dagegen sehr zuträglich. Es entwickelt sich mit Kohlenstoff
verbunden auch in Sümpfen und Morästen, sowie in Bergwerken
und heißt dann Kohlen-Wafferstoffgas. Es wird aber auch künst-
lich, meistens ans Steinkohlen bereitet und zur Beleuchtung der
173
»
Straßen und Zimmer benützt. Zu diesem Zweck werden «Steinkohlen
in einen eisernen Kasten gebracht und dieser einem starken Feuer
ausgesetzt. Wenn nun die Kohlen in dem Kasten zu glühen anfan-
gen, so entwickelt sich ans ihnen das Leuchtgas, das durch eine
Röhre in einen mit Wasser gefüllten Behälter geleitet und dadurch
von verschiedenen Bestandtheilen gereinigt wird. Nachdem dies ge-
schehen ist, wird das Gas in einen großen Behälter, den Gaso-
meter geführt, von wo aus dasselbe in eisernen Röhren in die
Straßen und Hauser geleitet wird. Die Röhren sind mit einem
Hahn verschlossen, bis man Licht braucht, das dann auch besonders
hell brennt und stark leuchtet, bis man den Hahn wieder schließt.
Wenn sich das Wasserstoffgas mit Phosphor verbindet, was
bei der Fäulniß solcher Körper geschieht, welche Phosphor enthalten,
so entsteht das Phosphor - Wasserftossgas, das sich selbst entzündet,
wenn es mit der gemeinen Luft in Berührung kommt. Es verur-
sacht ans diese Weise die Entstehung der Irrlichter, Feuerkugeln und
ftiegenden Drachen, die man deshalb meistens in Sumpfgegenden
und auf Gottesäckern wahrnimmt, weil sich dort dieses Gas häufig
entwickelt.
Das Stickgas ist ein Bestandtheil der gewöhnlichen Luft und
kommt in der Natur niemals unvermischt vor. Es taugt weder zum
Athmen, noch zum Brennen.
Das kohlensaure Gas, das man auch Lnftsiiure oder fixe
Luft nennt, entwickelt sich zur Nachtzeit aus den Pflanzen, und weil
es nicht ohne Gefahr eingeathmet werden kann, so ist es auch ge-
fährlich, viele Pflanzen in den Schlafzimmern aufzustellen. Dieses
Gas erzeugt sich ferner in tiefen Brunnen, verschlossenen Gewölben
und solchen Kellern, worin Getränke gähren, weßhalb man nur mit
größter Vorsicht in solche hinein gehen soll, wenn sie nicht zuvor
längere.Zeit geöffnet waren. Um sich zu überzeugen, ob die Luft
in einem solchen Raume ohne Gefahr eingeathmet werden könne,
hält man ein Licht an einem langen Stocke hinein. Brennt es
dunkel oder erlischt ganz, so darf man es nicht wagen hinein zu
gehen, ehe man die verdorbene Luft durch hineingegossenes siedendes
Wasser oder hineingeworfenes brennendes Stroh herausgetrieben hat.
Das atmosphärische Gas oder die gemeine Luft, die wir ge-
wöhnlich einathmen, ist aus Sauerstoff, Stickgas und koh-
lensaurem Gas zusammengesetzt. Durch das Feuer und das
Einathmen wird der in ihr befindliche Antheil von Sauerstoffgas
zersetzt; daher ist die ausgeathmete Luft zum Wiedereinathmen nicht
gesund, und da der Sauerstoff auch zur Unterhaltung des Feuers
nöthig ist, so brennen Lichter in solchen Räumen, wo viele Men-
schen beisammen sind, wie in Theatern und Wirthsstuben, nur trübe
und düster.
174
9. Beispiele von Erstickungen durch kohlensaures Gas.
1.
In dem Dorfe Gross-Enzersdorf in Niederösterreich hat sich fol-
gender Unglücksfall ereignet, welcher allen denjenigen zur nachdrück-
lichen Warnung dient, die in Keller zu gehen genöthigt sind, in wel-
chen sich gährende Getränke befinden.
Der Bauer Eichberger wollte eines Tages mit seinem Schwa-
ger Joseph List in seinen Keller gehen, in welchem sich mehrere
Eimer gährender Most, nebst mehreren Fässern Wein befanden. Bei-
den war nicht unbekannt, dass sich djurch die Gährung des Wein- und
Obstmostes in geschlossenen Kellern eine für das Leben höchst ge-
fährliche Luftart (kohlensaures Gas) entwickle, und dass daher solche
Keller zuvor eine Zeit lang geöffnet und die Luftsäure durch einen
Luftzug oder durch hineingeworfenes brennendes Stroh heraus getrie-
ben werden müsse. Da sie aber Eile hatten, so nahmen sie hiezu
nicht Zeit und glaubten auch, dass die Sache nicht so gefährlich seyn
werde. Es gesellte sich, während der Keller geöffnet wurde, noch
ein Nachbar zu ihnen, und List gieng zuerst in den Keller, kehrte aber
sogleich zurück, um frische Luft zu schöpfen. Durch diesen Versuch
ermuntert giengen nun beide Schwäger mit einander, während der
Nachbar vor der Thüre stehen blieb, um den Erfolg abzuwarten. Eich-
berger empfand aber bald ein Zusammenschnüren der Lunge und kehrte
noch auf der Kellerstiege zurück; als er aber seinen vorausgegange-
nen Schwager im Keller fallen hörte, wollte er demselben zu Hilfe
eilen, fiel aber auch selbst besinnungslos zu Boden. Als nun der
Nachbar weder Tritte noch Zeichen mehr aus dem Keller vernahm,
machte er Lärm, und in wenigen Minuten waren mehr als 30 Menschen
beisammen, von denen sich jedoch Niemand in den Keller wagen
wollte. In demselben Augenblicke fuhr ein junger Bauer aus einem
benachbarten Orte an dem Keller vorbei. Als er hörte was geschehen
sei, liess er Pferd und Wagen stehen und eilte zur Rettung der Ver-
unglückten in den Keller, kehrte aber ebenfalls nicht wieder zurück.
Auch der 22jährige einzige Sohn des Bauern Mayerhofer kam herzu
und hörte, dass sein Vetter Eichberger auch im Keller geblieben sei.
„Ich muss wenigstens diesen herauf holen,“ rief er aus, „wenn es
mir auch nicht gelingt, Alle zu retten!“ und mit diesen Worten eilte
auch er seinem Verhängnisse entgegen, denn in wenigen Sekunden
hörte man auch ihn fallen. Nun schafften die Anwesenden Brenn-
materialien und eine Windmühle herbei, um durch Wind und Feuer
die tödtliche Luft auszutreiben, und einige waren bemüht, den Keller
von Aussen aufzugraben, um Luft zu machen. Natürlich erfordern
aber solche Mittel so viel Zeit, dass in der Noth gar keine Hilfe von
175
denselben zu erwarten ist. Der dortige Gastwirth Grammel kam
nun auf den Gedanken, sich ein Seil um den Leib zu binden, welches
er Andern zu halten gab, damit sie ihn herausziehen könnten, wenn
sie ihn fallen hörten. Ein anderes Seil nahm er mit sich, um die
Verunglückten daran zu binden und sie so heraufziehen zu lassen. Der
Versuch gelang zwar; die vier Erstickten wurden nach einander
heraufgezogen, allein trotz der angewandten Mittel konnte keiner der-
selben mehr zum Leben gebracht werden.
2.
Unfern von diesem Dorfe ereignete sich ein ähnlicher Unglücks-
fall. Matthias Wasinger, ein unbemittelter Familienvater von
6 Kindern, wollte aus seinem Keller, wo eben der Most in Gährung
lag, ein gefülltes Fässchen heraufholen, um damit eine Schuld zu be-
zahlen. Er bat einen Nachbar, ihm zu helfen, und Beide giengen in
den Keller, aber Keiner kam wieder heraus. Als bald nachher ein
anderer Ortsbewohner den Wasinger suchte, fand man beide Männer
im Keller erstickt auf der Erde liegen, Keiner konnte mehr gerettet
werden, obgleich die zur Hilfe herbeieilenden Personen im Keller
keinen Schaden nahmen, wahrscheinlich weil derselbe indess eine
längere Zeit offen geblieben war und die durchziehende Luft das tödt—
liehe Gas hinausgetrieben hatte *).
10. Die Elektricität.
Mehrere Körper, wie z. B. Bernstein, Glas und Siegel-
lack ziehen, wenn sie zuvor mit der trockenen Hand oder einem
wollenen Lappen stark gerieben werden, kleine Papierstückchen, Säge-
späne und andere leichte Sachen an sich und stoßen sie nach einiger
Zeit wieder ab. Die Kraft, durch welche dies geschieht, nennt man
Elektricität, und die Körper, welche diese Kraft zeigen, elektrische
Körper.
Mehrere Körper, vorzüglich aber die Metalle leiten die Elek-
tricität leicht in andere Körper und werden daher Leiter ge-
nannt. Es giebt aber auch Körper, welche die Weiterleitnng der
Elektricität hindern, und diese nennt man Nichtleiter, wie z. B.
Seide, Glas und Siegellack. Eine Röhre von Metall, die
an seidenen Schnüren aufgehängt ist, kann mit Elektricität angefüllt
oder geladen werden; wenn ich aber derselben mit einem Finger-
knöchel nahe komme, so zeigt sich ein knisternder Feuerfnnke; ich
fühle ein Stechen im Finger, und die Röhre ist entladen, d. h. die
Elektricität ist herausgeleitet worden.
*) Die Rettungsversuche für solche Verunglückte sind im sechsten Ab-
schnitt Nr. 13 angegeben.
176
Durch eine Elektrisirmaschine kann die Elektrieität nach
Belieben erzeugt und zu verschiedenen Versuchen benutzt werden.
Eine solche Maschine besteht aus einer Glaskugel oder Glasscheibe,
die in einem Gestell schnell umgetrieben werden kann und sich dabei
zwischen zwei Kissen von Leder, die mit Zink, Quecksilber und Kreide
gefüllt sind, stark reibt und dadurch elektrisch wird. Ein Rohr, das
mit mehreren Spitzen oder einer Quaste von Goldfäden die Scheibe
berührt, saugt die erzeugte Elektrieität ein, und weil dasselbe auf
Glasfüßen steht oder in seidenen Schnüren hängt, so behält es diese
Kraft, bis ihm ein anderer Leiter nahe kommt, woraus es sich
immer mit einem stechenden, knisternden -Funken entladet.
Giebt man eine Kette oder einen Draht, der an dieser Röhre
befestigt ist, einer Person in die Hand, die auf einem Stuhl mit Glas-
füßen steht, so wird dieselbe ebenfalls elektrisirt. Ihre Haare richten
sich in die Höhe, und wo man sich ihr mit einem Fingerknöchel
nähert, an den Händen, an der Nase, an den Lippen, selbst an
den Augen fahren stechende Funken heraus, was man besonders im
Dunkeln auffallend sieht.
Um die Wirkungen der Elektricität noch zu verstärken, nimmt
man ein großes, weites Glas, belegt es innen und außen mit
Staniol oder Goldblättchen, so, daß nur der Rand einen Zoll breit
davon frei bleibt. Wo die Belegung aufhört, wird ein Pappen-
deckel eingefügt und mit Pech übergössen, worauf ein mit einem
Knopfe versehener Draht, der bis auf den Boden der Flasche reicht,
durch die Mitte.des Deckels gesteckt wird.
Will man nun diese Flasche mit Elektricität füllen, so setzt
man den Knopf des Drahtes durch ein kleines Kettchen mit dem
Rohr an der Maschine, welches man Leiter oder Conduktor
nennt, in Verbindung, wodurch die Flasche geladen wird. Wenn
nun mehrere Personen sich die Hände reichen und die erste faßt die
Flasche an, während die letzte den Knopf des Drahtes berührt, so
empfinden alle gleichzeitig einen Schlag in den Arm- und Handge-
lenken. Nähert man sich dem Knopfe mit dem Finger, ohne mit
der andern Hand die Flasche anzufassen, so zeigen sich kleine,
stechende Funken. Nimmt man einen gebogenen Draht, der in der
Mitte einen gläsernen Handgriff hat und an beiden Enden mit glatten
Kugeln versehen ist, und berührt mit einer Kugel die äußere Be-
legung des Glases, mit der andern aber den Knopf des Drahtes,
der durch den Deckel der Flasche geht, so fährt mit einem sehr
merklichen Knalle ein starker Funken heraus, und die Flasche ist
entladen.
Verbindet man mehrere solche Flaschen durch einen Draht öder-
em Kettchen, das man an den Kugeln der Flaschen befestigt, so hat
man eine elektrische Batterie, mit welcher man größere Wir-
177
lungert hervorbringen kann. Mit dem Funken aus einer solchen
Batterie kaun mau Pulver und Weingeist entzünden, Löcher durch
mehrfach zusammengelegte Papiere schlagen, Thiere todten und alle
Wirkungen des Blitzes nachahmen, wodurch mau sich überzeugt hat,
daß dieses die gleiche Kraft seyn müsse, welche sich in der Natur
durch Donner und Blitz äußert.
Kommt nämlich eine Wolke, in welcher sich viel Elektrieität
gesammelt hat, einer andern nahe, welche keine Elektrieität enthält,
so lockt diese einen elektrischen Funken ans der ersten heraus, wie
dieses durch einen Leiter bei einer Elektrisirmaschine geschieht. Einen
solchen Funken, der mit ungeheurer Kraft und Schnelligkeit durch
die Luft fährt und dieselbe auseinander treibt und erschüttert, nennen
wir Blitz, und den Knall, welcher daraus folgt, den Donner.
Trifft der Blitz ein Hans, so zerstört oder entzündet er das-
selbe, und um dies zu verhüten, werden manche Gebäude mit Blitz-
ableitern versehen. Man errichtet nämlich ans dem Dache mehrere
eiserne Stangen mit vergoldeten Spitzen und verbindet mit denselben
starke Drähte, die über das Gebäude hinlaufen und bis in die feuchte
Erde hinabreichen. Noch besser sind hiezu Kupferbleche, weil sie
nicht rosten. Trifft nun der Blitz ein solches Gebäude, so fährt er
an dem leitenden Drahte, ohne das Hans zu beschädigen, in die
Erde hinab. Die Blitzableiter müssen jedoch alle Jahre untersucht
werden, ob sich Eein Rost angesetzt habe, wogegen man sie durch
einen Firniß schützt, weil der Blitz an rostigen Stellen leicht ab-
springen und das Hans selbst beschädigen könnte.
11. Verhattungsregcln während eines Gewitters.
Um sich gegen die Gefahr, vom Blitze getroffen zn werden, mög-
lichst zu sichern, beobachte man folgende Vorsichtsmaßregeln:
1) Man stelle sich während eines Gewitters nicht nahe an Wände,
Kamine und Oefen, weil der Blitz, wie der elektrische Funke, gerne
schlechtere Leiter, dergleichen Holz und Steine sind, verläßt und in
bessere, wozu der menschliche Körper gehört, überspringt. Man
halte sich dagegen in der Mitte hoher, geräumiger Zimmer ans und
öffne ein Fenster oder eine Thüre, damit man nicht Gefahr laufe, in
der schwefeligen Lust zu ersticken, wenn der Blitz durch das Zimmer
fahren sollte.
2) Während eines Gewitters entferne man Metalle, wie z. B.
Ringe, Uhren, Schlüssel rc. von sich und halte sich auch" nicht an
solchen Stellen auf, wo viele Metalle bei einander liegen, oder mit
andern Körpern verbunden sind, wie an Herden, Oefen, Eisen-
gittern u. dgl.
Reiser, der Volksschüler i. d. OberNasse. 12 ~
178
3) Man lösche während eines Gewitters das Feuer in Herden
und Oefen aus, weil der Rauch und die durch Wärme verdünnte
Luft in den Schornsteinen dem Blitze leicht als Leiter dienen könnten.
4) Man bleibe während eines Gewitters zur Nachtzeit nicht im
Bette, denn die Erfahrung hat bewiesen, daß der Blitz schon öfter
das Bett entzündet und die Personen darin getödtet hat.
5) Wer sich während eines Donnerwetters auf dem Felde befindet,
darf nicht unter Bäumen, besonders nicht unter Eichen und Buchen,
Schutz suchen; auch unter Heu- und Getreidehaufen sich zu verber-
gen, ist gefährlich.
6) Die Erfahrung hat bewiesen, daß der Blitz gerne nach Ge-
wässern fährt, deswegen ist es nicht rathsam, auf Brücken, an Tei-
chen und Flüssen stehen zu bleiben, während ein Gewitter über
uns steht.
7) Starkes Laufen, Reiten und Fahren, wodurch ein Luftzug
entsteht und die Ausdünstung von Menschen und Thieren vermehrt
wird, ist ebenfalls gefährlich.
8) Wenn man sich während eines Gewitters auf der Straße be-
findet, so stelle man sich nicht unter eine Thüre, sondern gehe in
das Haus oder bleibe auf der Straße, weil der Blitz gewöhnlich
an den Wänden herabführt.
9) Wenn der Blitz irgendwo eingeschlagen hat, so gehe man
nicht sogleich an die getroffene Stelle; denn es geschieht nicht selten,
daß ein zweiter Schlag den gleichen Ort trifft. Hat der Blitz ge-
zündet, so glaube man ja nicht, daß sich das Feuer nicht wie jedes
andere Feuer löschen lasse.
10) Das Gewitterläuten ist sehr gefährlich, weil die Glocke
selbst, so wie der durch das Läuten veranlaßte Luftzug und die
Höhe des Thurmes den Blitz anziehen könnten. Zu einer Zeit, als
man noch während der ganzen Dauer eines Gewitters läutete, wur-
den in einem Zeiträume von 33 Jahren in Deutschland allein 386
Kirchthürme vom Blitze getroffen und 103 Personen während des
Lüntens getödtet.
12. Der Magnetismus.
In den Eisengruben und Bergwerken mancher Länder findet man
zuweilen einen aschgrauen oder schwärzlichen Stein, der gar wun-
derbare Eigenschaften zeigt. Wenn man ihm nämlich Eisen oder eisen-
haltige Körper nahe bringt, so werden sie durch eine unsichtbare Kraft
vollends zu ihm hingezogen und festgehalten, gleich als ob beide Körper
durch irgend eine klebrige Materie verbunden wären. Hängt man
einen solchen Stein, den man Magnet nennt, an einem Faden so auf,
daß er sich frei drehen kann, so wird er mit einem bestimmten Punkte
immer nach Norden, mit einem andern nach Süden zeigen.
179
Diese beiden Punkte nennt man daher Nord- und Südpol. Selbst
durch andere Körper hindurch äußert der Magnet seine Kraft; denn
wenn man Eisenfeilspäne auf ein Papier streut und mit einem Magnet
darunter hinstreift, so richten sie sich aus und folgen gleichsam jeder
Bewegung desselben. Auch Leder, Glas, Holz und andere Körper
hindern diese Anziehungskraft nicht, wenn sie nicht zu dick sind.
Auch zwei Magnete ziehen sich an, doch so, daß der Nord-
pol des einen den Südpol des andern zu sich hinzieht, während
zwei Nord- oder zwei Südpole sich abstoßen. Wird ein gewöhn-
liches Eisen, ein Messer, ein Drahtstück oder eine Nadel mit einem
Magnete bestrichen, so werden diese Dinge ebenfalls magnetisch.
Diese Kraft hat man zur Verfertigung eines sehr nützlichen
Instrumentes benützt, das besonders den Schiffern aus dem Meere
ganz unentbehrlich ist. Es ist. dies der Compaß, der aus einer
Magnetnadel besteht, die in der Mitte eine Vertiefung oder ein
Hütchen hat, womit sie so aus einem Stift sitzt, daß sie sich unge-
hindert herumdrehen kann. Diese Nadel befindet sich in einer Kapsel,
in welcher die Himmelsgegenden genau bezeichnet sind und die mit
einem Glas bedeckt ist. Da nun der Nordpol dieser Nadel immer
nach Norden zeigt, so sehen die Schisser an derselben genau bei
Tag und Nacht, bei Nebel und Regen, wenn ihr Schiss von seiner
Richtung abweicht, und durch eine kleine Drehung am Steuerruder
suchen sie dasselbe sogleich wieder in die vorige Richtung zu bringen.
Es ist dies das Geschäft des Steuermanns, der beständig am Steuer-
ruder sitzt und immer einen Compaß vor sich hat.
Ehe der Compaß erfunden war, konnte man nur solche Fahrten
auf dem Meere unternehmen, bei welchen man das Land nicht ganz
aus dem Auge verlor, da man sich sonst leicht der Gefahr ausge-
setzt haben würde, zu verirren. Zwar richteten die Schiffer damals
ihre Fahrten auch nach dem Stand der Gestirne; da aber diese nicht
immer sichtbar waren, so war auch dieses kein ausreichendes Mittel
für eine sichere Seefahrt. Erst nach Erfindung des Compafses, die
man übrigens schon den Phöniziern zuschreibt, waren demnach sichere
Seefahrten und besonders Entdeckungsreisen möglich. . Ohne diese
Erfindung wüßten wir sicher noch nichts von Amerika und Austra-
lien, und noch viel weniger hätte man eine Reise um die Welt un-
ternehmen können.,
13. Der Galvanismus.
Um die Elektricität zu erregen und wirksam zu machen, müssen
gewisse Körper, wie Glas, Siegellack oder Bernstein gerieben wer-
den. Es giebt aber auch Körper, welche schon durch Berührung
ähnliche Wirkungen äußern, wie elektrische Körper. Wenn man z. B.
eine Kupfermünze auf die Zunge und eine Silbermünze unter die
180
Zunge legt, so daß beide Münzen sich vorn berühren können, so
empfindet man einen sauren Geschmack auf der Zunge und sieht im
Dunkeln einen Funken vor den Augen. Diese Art von Elektricität
wird vorzüglich dadurch erzeugt, daß man zwei verschiedene Metalle
miteinander in Berührung bringt, wozu sich am besten Zink und
Silber oder Silber und Kupfer eignen.
Diese Naturkraft, welche man Galvanismus nennt, wurde
auf folgende Weise entdeckt:
Galvani, ein berühmter Naturforscher, hatte nämlich, um
die Wirkungen der Elektricität aus thierische Körper zu beobachten,
Froschschenkel von der Haut entblößt und an kupfernen Drähten an
einem eisernen Geländer zum Trocknen ausgehängt. Zufällig drückte
er dabei einen solchen Schenkel an das eiserne Geländer, und der-
selbe fieng an zu zucken. Er versuchte dies bei den andern ebenfalls,
und es zeigte sich die gleiche Erscheinung. Ein anderer Professor,
Namens Volta, dem Galvani diese Entdeckung mittheilte, erklärte
die Zuckungen der Froschschenkel für eine Folge der durch dieselben
hindurchströmenden verschiedenen Elektricitäten beider Metalle. Er
erfand zur Verstärkung dieser Kraft eine Säule, die aus Kupfer-,
Zink- und Filz sch eiben bestand, welche er so auf einander
legte, daß zu unterst eine Platte von Kupfer, dann eine solche von
Zink und auf diese eine in Salzwasser getauchte Filzscheibe zu liegen kam.
In gleicher Ordnung wurde die ganze Säule zwischen drei Glas-
stäben aufgebaut, um sie vor dem Umfallen zu sichern, und endlich
schloß das Ganze mit einer Zinkscheibe. Eine solche Säule wird nach
ihrem Erfinder eine Voltaische Säule genannt.
Wenn man nun an die oberste und unterste Platte einer solchen
Säule Metalldrühte anlöthet und dieselben so zusammen biegt, daß
sich die Enden beinahe berühren, so bemerkt man zwischen beiden
Drähten einen beständigen Funken. Bringt man einen Draht an
diese Stelle, so wird er heiß, sogar glühend, und einen dünnen Eisen-
draht kann man in etwas längerer Zeit sogar verbrennen. Biegt
man mit bloßen Händen beide Drähte auseinander, so empfindet man
eine eigenthümliche Erschütterung in den Hand- und Armgelenken,
die bei einer starken Säule sehr heftig werden kann. Die gleiche
Wirkung erfolgt, wenn man beide Drähte wieder zusammenbiegt.
Man hat den Galvanismus schon vielfach zur Heilung von
Krankheiten, wie z. B. der Lähmung und der Taubheit, benützt und
diese Kraft selbst zur Wiederbelebung von Scheintodten, von Er-
stickten und Ertrunkenen angewendet. Den wichtigsten Dienst leistet
jedoch der Galvanismus der Menschheit unstreitig durch seine An-
wendung beim Telegraphiren, wodurch wir unsere Gedanken
Solchen mittheilen können, die Hunderte von Meilen von uns ent-
fernt sind, und wobei wenige Minuten hinreichen, uns ihre Antwor-
181
ten wieder zu überbringen. Die nähere Einrichtung eiists Tele-
graphen oder Fernschreibers theilen wir euch in Folgen-
dem mit.
14. Der Telegraph.
Wenn man an eine Kupferplatte und an eine'Zinkplatte Kupfer-
drähte aulöthet und beide Platten in die feuchte Erde eingräbt, so
äußern die Drähte, wenn sie verbunden werden,- ganz auffallende
Wirkungen, die denjenigen gleichen, welche schon in der vorigen Be--
fchreibung angeführt wurden. Wenn man sie nämlich mit feuchten
Händen anfaßt und aufeinander reißen will, so fühlt man eine Er-
schütterung und ein stechendes Reißen in den Händen, und wenn es
dunkel ist, sieht man sogar einen keinen Funken von dem einen Ende
des Drahtes zum andern überspringen^ Windet man den Draht
um eine enge hölzerne Röhre, worin ein weiches Eisen steckt, so wird
dasselbe im Augenblick magnetisch und zieht ein anderes darunter
gelegtes Eisen an. Bringt man aber die Drähte auseinander, so
hört auch das erste Eisen auf magnetisch zu seyn und läßt das zweite
Eisen wieder fallen, zieht es aber sogleich wieder, an, wenn die
Drähte wieder, zusammengebracht werden.
Die Kraft, welche das Eisen auf diese Weise magnetisch macht,
nennt man den galvanischen Strom, welcher so lange wirkt, als
die beiden Drähte verbunden sind.
Diese Kraft benützt man nun, um entfernten Personen Zeichen
zu geben, deren Bedeutung man zum Voraus mit ihnen verabredet
und ausgemacht hat. Man führt nämlich solche Drähte, die an
Platten angelöthet sind, welche von einander entfernt in die Erde
eingegraben werden, von einer Stadt zur andern. In beiden Städten
geht der Draht durch ein Zimmer, in welchem sich der zu diesem
Zwecke angestellte Telegraphenbeamte aufhält. Vor ihm steht eine
Maschine, die einer etwas großen Pendeluhr gleich sieht. Will nun
der eine dieser Beamten dem andern Etwas mittheilen, so drückt er
aus eine Klappe, wodurch die Drähte auf so lange getrennt werden,
als der Druck dauert. Dadurch wird der galvanische Strom unter-
brochen und das zweite Eisen fällt von dem ersten Eisen ab, wel-
ches in diesem Augenblicke aufhört magnetisch zu seyn, und dadurch
entsteht ein Schlag auf den Tisch oder aus eine Glocke im Zimmer
des zweiten entfernten Telegraphisten; hört aber der Druck des ersten
Beamten auf die Klappe aus, so schließen sich die Drähte wieder
an einander an, und der Strom dauert fort, das erste Eisen in der
Spule wird wieder magnetisch und zieht das zweite wieder an. Nun
hat man aber die Einrichtung getroffen, daß statt des herabfallen-
den Eisens die erwähnte Maschine in dem Zimmer des entfernten
Beamten in Bewegung gesetzt wird. Von emem Rade wickelt sich
182
langsam ein Papierstreifen ab, auf den ein eiserner Stift Punkte
und Linien eindrückt, welche Buchstaben bedeuten. Drückt nämlich
z. B. der Beamte in Sigmaringen kurz und schnell auf seine Klappe,
so macht die Maschine im Zimmer des Beamten in Hechingen einen
Punkt; dauert der Druck aber länger, so macht die Maschine einen
kurzen Strich und aus solchen Punkten und Linien besteht das ganze
Alphabet, so, daß z. B. 1 Punkt 6, 2 Punkte i, 3 Punkte g,
1 Strich t, 1 Punkt neben einem Strich a u. s. w. bedeutet. Durch
Uebung läßt sich hierin eine solche Fertigkeit erwerben, daß ein
Telegraphist dem andern in einer Minute 17 Worte mittheilen kann,
die dieser eben so schnell liest und wieder beantwortet, wenn der
erste fertig ist. Geht die erhaltene Mittheilung einen Andern an, so
wird sie schnell zu Papier gebracht und diesem von dem Beamten
zugestellt.
So können in wenigen Minuten Nachrichten nach den entferntesten
Orten befördert werden, denn der galvanische Strom braucht keinen
Pulsschlag um einen Weg von 100 Meilen zu durchlaufen. Man
kann also mit Recht sagen, daß man in jetziger Zeit nicht nur mit
Blitzesschnelle, sondern mit dem Blitze selbst schreibe. Und welche
Vortheile gewährt nicht diese merkwürdige Erfindung in den verschie-
densten Umständen und Verhältnissen! — Da erhält z. B. von ferne
her ein Kaufmann die Nachricht, daß diese oder jene Waare bedeu-
tend aufgeschlagen habe, und er hält deshalb mit seinen Vorräthen
zurück, die er sonst viel niedriger verkauft haben würde, oder er kauft
zu billigen Preisen noch neue Vorräthe ein. Ein anderes Mal er-
hält ein Feldherr durch den Telegraphen eine Nachricht, von der
vielleicht sein Sieg über den Feind abhängt. Ist an einem Orte ein
gefährlicher Verbrecher entkommen, so eilt ihm die Nachricht davon
und die Beschreibung seiner Person nach allen Seiten hin voraus,
und die Polizei steht überall bereit , ihn in Empfang zu nehmen.
So war z. B. ein gewisser Taschendieb, der in Karlsruhe eine gol-
dene Uhr gestohlen hatte und mit dem Eisenbahnzuge nach Freiburg
fuhr, sehr unangenehm überrascht, als dort zwei Polizeimänner auf
dem Bahnhöfe schon auf ihn warteten, ihn arretirten und vor Ge-
richt führten, wo man ihn ohne Umschweife aufforderte, die Uhr
herauszugeben, die er heute Mittag in Karlsruhe gestohlen habe.
Der Telegraph ist also ein langer Arm, der den Verbrecher überall
erreichen kann; er ist ihm ebenso furchtbar, als der Häscher, der ihm
auf den Fersen ist, während er Manchem als ein freundliches Band
erscheint, das ihn auch in weiter Ferne mit dem Hause seiner Eltern
und Freunde verbindet, denen er im Falle der Noth jeden Augenblick
Nachricht von seinen Verhältnissen und seiner Lage geben kann.
183
15. Die Magdeburger Halbkugeln.
Otto von Guerike, Bürgermeister zu Magdeburg, erfand
um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts die Luftpumpe, ein
Werkzeug, womit man aus Flaschen und ähnlichen Gefäßen die Luft
herausziehen und demnach luftleer machen kann. Mit dieser Ma-
schine machte er viele, für die Naturlehre äußerst wichtige Versuche,
besonders über den Druck und die Schwere der Luft. — Er nahm
zwei kupferne Halbkugeln mit platten Rändern, die genau auf ein-
ander paßten und überdies mit Talg bestrichen wurden. Diese Halb-
kugeln waren außerhalb mit starken Ringen und einem Hahn ver-
sehen, an welchen die Luftpumpe angeschraubt und so die Luft aus
den Halbkugeln ausgezogen wurde. Nach diesem schloß er den Hahn
zu, damit die äußere Luft nicht wieder eiudringen konnte, und schraubte
die Luftpumpe ab. Die luftleeren Halkugeln wurden nun von der
äußern Luft so stark an einander gedrückt, daß die Kraft mehrerer
Menschen nicht hinreichend war, um sie von einander zu reißen.
Er hieng hieraus die Halbkugeln, die einen Fuß im Durchmesser
hatten, an einem Ringe aus und legte aus eine Wagschale, die auf der
entgegengesetzten Seite der Kugel ebenfalls an einem Ring befestigt
war, nach und nach immer mehr Gewicht, und es zeigte sich, daß
nicht weniger als 1557 Pfund erforderlich waren, um die Kugeln
aus einander zu reißen.
Wenn nun der Luftdruck auf eine Kugel von 1 Fuß Durch-
messer schon so viel beträgt, wie viel muß erst der Druck der Luft
auf den ganzen menschlichen Körper betragen! Man hat durch Unter-
suchungen gefunden, daß der Druck der Luft einer 32 Fuß hohen
Wassersäule das Gleichgewicht halte, wenn dieselbe in einer Röhre
eingeschlossen ist, welche man auf der einen Seite verschlossen hat,
damit kein Gegendruck Statt finden kann. Man weiß nun, daß ein
Kubiksuß Wasser 64 Pfund wiegt, wonach also eine Wassersäule von
32 Kubiksuß 2048 Pfund schwer ist. Wenn nun, wie die Aerzte
versichern, die Haut eines erwachsenen Menschen ungefähr 20 Qua-
dratsuß mißt, wonach 20 solche Wassersäulen auf derselben Platz
hätten, so muß der Luftdruck auf den Körper eines Menschen 40,960
Pfund betragen. Daß aber der menschliche Körper von einer sol-
chen Last nicht zerquetscht wird, verursacht blos der Gegendruck der
innern Luft, denn auch»die oben beschriebenen Halbkugeln, die zuvor
mit so großer Kraft zusammen gehalten wurden, fallen von selbst
auseinander, sobald wieder Luft in dieselbe gelassen und sonach der
Druck der äußern Luft durch den Gegendruck der innern aufgeho-
ben wird.
Durch den Druck der Luft erklärt sich auch die Erscheinung,
184
daß der Wein oder eine andere Flüssigkeit aus einem vollen Fasse
nicht anstaust, wenn der Hahn geöffnet wird, so lange sich oben
keine Oesfnung befindet, oder das Spundloch verschlossen bleibt. In
diesem Falle wird das Ausfließen des Weins durch den einseitigen
Druck der Luft verhindert. Wird aber das Spundloch geöffnet, so
kann die Luft auch von der entgegengesetzten Seite wirken; der Druck
der Luft wird durch Gegendruck aufgehoben, und der Wein ist durch
Nichts mehr verhindert, seiner Schwere zu folgen und aus dem Hahn
zu laufen. Aus der Wirkung des Luftdruckes beruht ferner auch
die Anwendbarkeit
des Hebers und Stechhebers.
Der gewöhnliche Heber ist eine umgebogene Röhre, wovon der
eine Schenkel länger ist, als der andere. Bringt man nun den kür-
zern Schenkel durch das Spundloch eines Fasses in die in demselben
befindliche Flüssigkeit und saugt an der.Münñung des herabhängen-
den längern Schenkels, so wird sich die ganze Röhre mit der Flüs-
sigkeit anfüllen und diese so lange aus dem längern Schenkel heraus-
laufen, als der kürzere unter die Oberfläche der Flüssigkeit im
Fasse reicht.
Durch das Saugen wird der Heber fast ganz luftleer, und die
äußere Luft drückt die Flüssigkeit iu die Röhre, so daß beide Schenkel
davon voll werden. Die Schwere der Flüssigkeit wirkt dem Luft-
druck entgegen und die der längern Säule, vermöge des größeren
Gewichtes am meisten. Zudem wird die Flüssigkeit in der Röhre
sich auch deshalb nicht trennen, weil gleichartige Theile eines Kör-
pers sich gegenseitig anziehen. Die Flüssigkeit läuft also aus dem
längern Schenkel heraus, während der Luftdruck die dadurch ent-
stehende Leere sogleich wieder durch den kürzern Schenkel mit der
Flüssigkeit ausfüllt *).
Der Stechheber ist eine gerade in der Mitte etwas bauchige
Röhre, welche unten und oben mit einer Oefsnung versehen ist.
Steckt man nun dieselbe durch das Spundloch in ein Faß mit Wein,
so wird sich das Gefäß so weit füllen, als man es in den Wein
eingetaucht hat. Verschließt man nun die obere Oeffnung mit dem
Daumen und hebt alsdann den Heber heraus, so wird Nichts heraus-
laufen, bis der Daumen oben weggehoben wird, woraus der Wein
in ein bereit gehaltenes Glas läuft. — Man braucht den Stech-
heber hauptsächlich dazu, um aus einem Weinfasse eine Probe aus
dem Spundloche auszustechen oder herauszrkheben, woher auch das
Werkzeug den Namen Stechheber erhalten hat.
*) Diese und ähnliche Erklärungen wird der Lehrer durch einfache Zeich-
nungen an der Wandtafel versinnlichen.
/
x
185
16. Verschiedene Naturerscheinungen.
Alle die wässerigen, öligen und schweslichten Dünste, welche von
der Erde und andern Körpern in die Höhe steigen, sammeln sich in
der Luft, die durch verschiedene Ursachen bald mehr verdichtet oder
verdünnt, bald kälter oder wärmer, bald feuchter oder trockener wird,
wodurch mancherlei Naturerscheinungen veranlaßt werden, die man
in wässerige, glänzende und feurige eintheilt.
Wässerige Naturerscheinungen haben ihren Entstehnngsgrnnd
darin, daß die Luft beständig eine Menge Wasser auflöst/das so-
dann als Dünste in die Höhe steigt und aus diesen erzeugen sich,
je nach der Beschaffenheit der Luft, Thau, Reif, Regen, Wol-
ken, Nebel, Schnee und Hagel.
Indem nämlich die aufsteigenden Dünste mit der kälteren Luft
in Berührung kommen, werden sie zusammengezogen und bilden in
der untern Luft den Nebel, in der Höhe aber Wolken. Fließen
die Dünste, woraus die Wolken bestehen, in Tropfen zusammen, so
entsteht der Regen. Wenn aus der Erde warme Dünste aufstei-
gen, die durch die kältere Luft zusammengezogen werden und sich
dann in Tropfen an Pflanzen und andere Dinge ansetzen, so nennen
wir diese Erscheinung Thau, und wenn der Thau gefriert, so ent-
steht daraus der Reif.
Bei einem hinreichenden Grad von Kälte gefrieren die Nebel-
theile, woraus die Wolken bestehen, und bilden Schneeflocken, die
sich mit ihren Eisspitzchen aneinander hängen. Auf ähnliche Weise
entsteht auch der Hagel, weil bei einem Gewitter durch plötzliche
Verdünnung der Lust manchmal in der Höhe schnell eine große Kälte
erzeugt wird.
Zu den glänzenden Naturerscheinungen gehören: die Mor-
gen- und Abendröthe, der Regenb ogen, Höfe um die Sonne
und um den Mond und die Nebensonnen und Nebenmonde.
Eine Morgen- oder Ab endröth e zeigt sich, wenn die Sonne
beim Auf- oder Untergang ihre Strahlen in solche Wolken wirft,
die mit Dünsten angefüllt und so beschaffen sind, daß sie nur rothe
Lichtstrahlen zurückwerfen. Auf ähnliche Weise entsteht auch der
Regenbogen, wenn nämlich die Sonne hinter uns steht und
ihre Strahlen in einer vor uns stehenden Regenwolke gebrochen
werden.
Höfe um die Sonne rmd den Mond zeigen sich, w?nn diese
Himmelskörper durch den mit vielen Dünsten erfüllten Luftkreis
deutlich gesehen werden, ihre Strahlen aber gebrochen in unser Auge
fallen. Gefrieren diese Dünste oder sind sie durch andere Ursachen
so dicht und eben geworden, daß sie die Bilder der Sonne oder des
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Mondes wie ein Spiegel auffangen können, so erblicken wir diese
Himmelskörper doppelt oder gar dreifach, was man Nebensonnen
und Nebenmonde nennt.
Zu der Entstehung der feurigen Naturerscheinungen geben die
Elektricität, ölige und schweflige Dünste und verschiedene Gase, die
sich in der Luft sammeln, Veranlassung.
DieIrrwische, Feuerkugeln und fliegenden Drachen
entstehen meistens in sumpfigen Gegenden und auf Gottesäckern, wo
sich aus faulenden Körpern Kohlenwasserstoffgas entwickelt, das sich
selbst entzündet, wenn es mit der gemeinen Lust in Berührung kommt.
Sie werden, wegen ihrer Leichtigkeit, von der Luft schnell hin- und
hergetrieben und haben furchtsame, abergläubische Leute schon oft in
große Angst versetzt.
Das Nordlicht ist für die Bewohner nördlicher Gegenden
eine besonders große Wohlthat, denn cs erhellt ihre langen Nächte
aus eine merkwürdige Weise. — Aus einer dunkeln Wolke steigen
flammende Strahlen auf, welche sich weit verbreiten und sich oft
schnell zurückziehen, um sogleich wieder hervorzuschießen. Diese pracht-
volle Erscheinung nimmt oft einen großen Theil des Himmels ein
und erhellt die Nacht durch ein wundervolles Licht. Es ist eine
Wirkung der Elektricität, die dort in großer Menge vorhanden ist
und sich der Erde niemals mittheilen kann, weil sie stets mit einer
Eisrinde bedeckt ist, welche die Weiterleitung hindert.
Von der Entstehung der Gewitter haben wir schon früher
gesprochen, und andere Naturereignisse habt ihr schon durch euer
früheres Lesebuch in der Mittelklasse kennen gelernt. Zwei der pracht-
vollsten Erscheinungen sollen jedoch in Folgendem näher beschrieben
werden.
17. Die.Wasserhose.
Die Wasserhose ist eine der großartigsten und furchtbarsten
Naturerscheinungen auf dem Meere. Sie zeigt sich häufig an der
Westküste von Afrika, so wie in der Nähe von Neuholland. Man
sucht den Entstehungsgrund dieser Erscheinung in dem elektrischen
Zustande der Atmosphäre, was besonders durch den Umstand Wahr-
scheinlichkeit erhält, daß sie nur bei warmer Witterung sich zeigt, in
der Regel von starken Blitzen begleitet ist, und daß in der Wasser-
säule selbst gewöhnlich ein elektrischer Lichtschein wahrgenommen wird.
Die Wasserhose bildet sich nicht immer auf die gleiche Weise,
doch ist. der Vorbote derselben gewöhnlich eine vollkommene Wind-
stille; dichtes Gewölk steigt am Himmel auf, und es bildet sich all-
mählig auf der Oberfläche des Meeres ein weißlicher Fleck, aus
welchem endlich eine Wassermasse, bald als trichterförmige Röhre,
bald in Gestalt eines Kegels aufsteigt, zu welcher sich eine andere
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Wassermasse, ebenfalls in Röhren- oder Kegelform herabsenkt. Nach-
dem die Erscheinung eine Weile stillgestanden, fängt sie an, sich unter
heftigem Brausen fortzubewegen, bis endlich die ganze Wassermasse
unter fürchterlichem Getöse in's Meer stürzt.
Ein Reisender, der auf einer Reise nach Australien diese merk-
würdige Naturerscheinung beobachtete, erzählt darüber Folgendes:
„Als wir uns bis aus 3 Seemeilen der Bay von Carpentaria
genähert hatten, gerieth das Meer auf einmal in eine stürmische Be-
wegung, so, daß das Wasser zu sieden schien. Unfern des Schisses
häufte sich das Meer zu einem kleinen Berge an und aus einer tief-
herabhängenden Wolke senkte sich eine mächtige Wassersäule dem-
selben entgegen; das Meerwasser hob sich trichterförmig weiter em-
por, vereinigte sich mit der Wassersäule, und vor uns stand eine
Wasserhose von einer Größe, wie sie die ganze Schiffsmannschaft
nie gesehen zu haben versicherte.
„Da jetzt eine gänzliche Windstille eingetreten war, so waren
alle Anstrengungen, das Schiff aus der Nähe der unheildrohenden
Erscheinung zu entfernen, vergeblich. Der Schissskapitän befahl nun,
mehrere Kanonen aus das furchtbare Meteor abzufeuern, um das-
selbe zum Zerplatzen zu bringen, allein die Schüsse blieben ohne
Wirkung, und uns blieb Nichts übrig, als uns unter das Verdeck
zu verbergen und alle Oeffnungen und Luken sorgfältig zu ver-
schließen, um nicht in's Meer geschleudert zu werden, wenn sich die
Wasserhose etwa auf das Schiff werfen sollte.
„Das Befürchtete geschah jedoch nicht. Die Wasserhose mochte
etwa 20 Minuten ohne merkliche Bewegung gestanden haben, als
sie von einem plötzlich entstandenen Sturmwind gegen das Land ge-
trieben wurde, dort Bäume entwurzelte, Hütten niederwarf und end-
lich beim Zerplatzen das Land weit umher überschwemmte und ver-
heerte, wovon wir uns nach unserer Landung noch hinlänglich über-
zeugen konnten?'
Die Wasserhose bewegt sich oft so langsam, daß ein Fußgänger
ihr folgen könnte, oft aber macht sie auch 7 — 8 Meilen in einer
Stunde. Bisweilen senkt und hebt sie sich abwechselnd, zeigt sich
inwendig hohl und gleicht in der Mitte einer schraubenförmig ge-
wundenen Röhre, in welcher man deutlich Wasser, Staub, selbst
-Stroh, Blätter u. s. w. aufsteigen sieht, fast so, wie sich der Rauch
in den Schornsteinen erhebt. Auf ihrem Wege hat sie unter andern
Verheerungen schon ganze mit Wasser gefüllte Teiche geleert und die
Fische umher gestreut. Auch Thiere und Menschen sind dadurch
schon in die Höhe gezogen und manchmal sogar wieder unverletzt
niedergesetzt worden. Manchem Schiffe im Meere hat sie schon den
Untergang bereitet; doch streicht sie auch mitunter unschädlich über
Schiffe hinweg, so daß sie blos eine tüchtige Wassermasse über selbige
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ergießt. Oft wird sie von starkem Getöse, mitunter von einem sau-
senden Laut, manchmal unter Blitzen oder sonst einem Leuchten be-
gleitet; auch hinterläßt sie bisweilen einen schweseligen Geruch.
Aehnliche Erscheinungen, wie die Wasserhose, giebt es auch auf
dem Lande. So sah man vor einigen Jahren an einem heißen
Iuniusnachmittage in der Gegend von Trier eine höchst auffallende
Erscheinung, die wir mit vollem Rechte eine Land Hose nennen
können.
Nach einem-starken Regen, während der Himmel noch ganz um-
zogen war, senkte sich plötzlich aus einer dichten, herabhängenden Wolke
eine leuchtende Masse ans den Boden herab. Diese glich einem feu-
rigen Rauche und hatte die Gestalt eines spitzigen Kegels. Die Er-
scheinung wurde mit großer Schnelligkeit fortgetrieben, richtete auf
ihrem Wege große Verheerungen an, und.stürzte sich endlich mit
einem lauten, prasselnden Geräusche in die Mosel, wo sie das Wasser
bis zu einer beträchtlichen Höhe aufwühlte. Von da zog sie mit
außerordentlicher Schnelligkeit noch eine Strecke von mehreren Tau-
send Fuß weiter, verwüstete Alles, was sie auf ihrem Wege traf,
und zerplatzte endlich mit bedeutendem Geräusch in der Luft.
18. Der Regenbogen.
Nützliches, Wohlthätiges und Unentbehrliches, was zur Nahrung,
zur Bekleidung und zum Obdach, überhaupt zur Erhaltung der
lebenden Geschöpfe gehört, finden wir in der ganzen Natur. Das
Wasser löscht unsern Durst; für uns wachsen allerlei Früchte, um
uns zu sättigen; wir finden Materialien zu unserer Bekleidung und
zum Bau unserer Wohnungen. Eine allmächtige Hand reicht uns
Alles dar, was wir bedürfen.
Aber auch Schönes, Großes und Herrliches hat Gott geschaffen,
was wir mit staunendem Entzücken betrachten, was unsere Bewun-
derung erregt und unsere Herzen mit Freude erfüllt. Der Glanz
des Sternenhimmels, die Morgen- und Abendröthe, die verschiedenen
Gestalten und Farben der Wolken, das schöne Grün der Wiesen
und Blätter an den Bäumen, die Blüthen und Blumen zeigen uns
eine Schönheit und Pracht, die uns rührt und bewegt und unsere
Seele zu Gott in dankbarer Anbetung erhebt, der sein großes
Schöpfungswerk so herrlich und unnachahmlich geschmückt hat. Der
mit Vernunft begabte Mensch ist es auf der Erde allein, der dies
Schöne, Erhabene und Göttliche empfinden und denken kann.
Zu diesen Schönheiten in der Natur, die wir zu gewissen Zeiten
wahrnehmen, rechnen wir auch den vielfarbigen Regenbogen. Man
muß staunen, wenn man bedenkt, daß er durch Regentropfen ent-
steht, in denen sich die Lichtstrahlen brechen, welche ihm diese ver-
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schiedenen Farben geben. Immer freuet ihr euch, wenn ihr den
großen, glänzenden Bogen über euch in der Luft ausgespannt erblickt,
der mit seinen beiden Enden die Erde berührt.
Wenn ihr darauf gemerkt habt, so erscheint euch der Regen-
bogen nur dann, wenn euch die Sonne im Rücken steht und
in den Regen vor euch ihre Strahlen fallen läßt. Immer also
der Sonne gegenüber zeigt sich der Regenbogen, des Abends in
Osten, des Morgens in Westen; im Süden nur im Winter, wenn
die Sonne niedrig steht. Er zeigt desto hellere Farben, je dunkler
die dahinterstehende Wolke ist. Es find nicht die Dünste der Wol-
ken, sondern wirkliche Tropfen, die ihn bilden. Die Hauptfarben
des Regenbogens find: violett, dunkelblau, hellblau, grün, hellgelb,
dunkelgelb und roth, außerdem aber zeigen sich noch alle Farben, die
durch den Uebergang von einer zur andern entstehen.
Bisweilen zieht sich um den Hauptregenbogen in gleich
weiter Entfernung von ihm ein Nebenregenbogen, dessen Far-
ben von jenem in verkehrter Richtung liegen. Seltener entsteht auch
ein dritter Regenbogen, dessen Farben wieder so auf einander folgen,
wie wir sie in dem Hauptregenbogen sahen. Der Nebenregenbogen
zeigt uns mattere Farben, und bei dem dritten sind sie am schwächsten.
Wenn eine Wolke nicht an allen Seiten regnet, so erblickt man
nur da Stücke von einem Regenbogen, wo Regentropfen niederfallen,
und diesen nennt man Regemgmlle.
Bei großen Wasserfällen, wo viele Dünste die Luft erfüllen,
sieht man ebenfalls, wenn man die Sonne im Rücken hat, vor sich
die schönsten Regenbogen, wie z. B. bei dem Niagarafall in Nord-
amerika, der Alles, was man sich in dieser Art Großes und Schönes
denken kann, weit übertrifft.
Wenn die Sonnenstrahlen von einer ruhigen, stillen Wasser-
stäche zurück in den niederfallenden Regen geworfen werden, so ent-
steht auch ein Regenbogen, doch mit dem Unterschiede, daß die Far-
ben in ihm gerade in verkehrter Richtung liegen.
Wenn das Meer stürmt und die Wellen in Tropfen und Dün-
sten aufstieben, dann erzeugen die Sonnenstrahlen oft zwanzig, dreißig
Regenbogen zugleich, deren Farbe gegen die Sonne gelb, gegen das
Meer blaßgrün ist.
Das Mondlicht in der Nacht bildet bisweilen auch Regenbogen;
sie sind aber sehr blaß und nur weiß oder gelb.
Alle Regenbogenfarben spiegeln sich des Morgens in den klei-
nen Thautröpfchen, welche funkelnden Sternchen gleichen und den
Fluren und Wiesen eine unnachahmliche Pracht leihen. Der kost-
barste Diamant funkelt dann nicht so schön, als diese Tropfen, von
denen die Pflanzen und Halme überstreut zu seyn scheinen.
Man sieht mit jedem Augenblicke einen neuen Regenbogen, weil
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die Regentropfen hinter einander in beständigem Fallen sind und die
Farben von immer neuen Tropfen gebildet werden; aber wir nehmen
diesen Wechsel nicht wahr, weil in die Stelle eines jeden fallenden
Tropfen wieder ein anderer tritt.
Steht man auf einer weit über den Horizont erhabenen Höhe,
oder der Regenwolke nahe genug, so erscheint der Regenbogen als
ein völlig runder Kreis. Je tiefer die Sonne des Morgens oder
am Abend steht, desto kleiner erscheint aus der Erde der Regenbogen;
je höher sie sich aber am Himmel erhoben hat, desto größer zeigt
sich uns das Stück vom Regenbogen.
Uns muß es genügen, die Werke unseres Schöpfers mit An-
betung und Bewunderung seiner Größe zu betrachten, wenn es'un-
serm schwachen Verstände auch nicht vergönnt ist, das Wie und
Warum zu begreifen. Das soll uns demüthig und bescheiden machen,
daß wir mit unserer Kinderweisheit nicht Prahlerei treiben,' denn
wie wenig ist das, was wir wissen, gegen das, was
wir nicht wissen! —
Fünfter Abschnitt.
Bilder und Beschreibungen aus der Naturgeschichte.
Ein großes, schönes Buch ist die Natur! •—
Von Gottes eig'ner Hand geschrieben
Zeigt jedes Blatt der ew'gen Güte Spur,
Und lehrt uns glauben, hoffen, lieben.
So lese Jeder, lese oft und viel
In diesem großen Meisterwerke!
Gewiß, dies Lesen führt zum Weisheitsziel,
Und giebt zu allem Guten Stärke.
1. Der Panther.
Am Kap hatte einer der Colonisten einen großen lebendigen
Parder gefangen und machte dies allen seinen Freunden bekannt, die
sich dann nach Landessitte an einem bestimmten Nachmittage in großer
Zahl bei ihm versammelten, um das Thier zu beschauen und Zeu-
gen von seinem Kampfe mit den Hunden zu seyn, die es zu Tode
191
beißen sollten. Nach vorhergegangener guter Bewirthung wurden
die Gäste zur Falle geführt, in welcher das Thier noch steckte, und
woraus es erst sehr vorsichtig herausgeholt werden mußte, um auf
den Kampfplatz gebracht zu werden. Diese Falle lag in der Tiefe
einer Bergschlucht und war von rohen Felsstücken ausgemauert, doch
so, daß zwei große, dem übrigen Gerölle ähnliche Felsen den Ein-
gang bildeten; sie war übrigens ganz wie eine gewöhnliche Mäuse-
falle beschaffen. Oben war dieselbe mit rohem Gebälk bedeckt, durch
dessen Zwischenräume man das schöne aber wüthende Thier be-
obachten konnte, und auf welches die Leute, die es jetzt fesseln soll-
ten, sich stellten.
Man suchte erst eine Pfote nach der andern in Schlingen zu
fangen, dann zog man es herauf und band ihm, unter entsetzlichem
Brüllen und vergeblichen Wüthen, die vier Beine aneinander. Hier-
auf begab sich Jemand hinein, der auch eine Schlinge über den Kops
des Thieres warf, mit deren Hilfe man es bald hervorzog und ihm
einen festen Maulkorb anlegte. Nun erst war man im Stande, es
nach dem Werft, so heißt bei allen Colonisten ein großer, freier
Platz zwischen dem Wohnhaus und den Wirthschastsgebänden, zu
schaffen, wo erst der eine Hinterlauf, den man zwischen der Hacken-
sehne und dem Unterschenkelbein durchstach, vermittelst eines Ringes
an einer Kette befestigt wurde, die in einen freistehenden Pfahl ein-
geklammert war. Nach und nach lösete man einen Riemen nach
dem andern und ließ das Thier endlich ganz frei an der Kette sich
bewegen. Es erlangte bald seine ganze Kraft und Geschmeidigkeit
wieder und gewährte in dem Wechsel seiner wilden Sprünge und
seiner behenden Seitenbewegungen in der That ein sehr schönes
Schauspiel.
Mehr kriechend als schleichend pflegt der Parder seiner Bente
nachzustellen, drückt den Bauch dabei fast auf die Erde, den Kopf
mit aufwärts gerichteten Augen zwischen die Vordertatzen ausgestreckt.
In dieser Lage bewegte er sich auch jetzt, und festgehalten von der
Kette, streckte er sich dabei so lang aus, daß man ein ganz anderes
Thier vor sich zu sehen glaubte. Dabei wand sich der Leib unauf-
hörlich seit- und auswärts, so daß man seine Bewegungen denen
einer kriechenden Schlange zu vergleichen geneigt war. Fest über-
zeugt, daß die vorher wohl untersuchte Kette nicht brechen könne,
wagten sich die Zuschauer ganz nahe hinzu und reizten ihn durch
Würfe mit kleinen Kieseln und andere Neckereien zum Aufspringen
und Brüllen. Darüber ward es Abend. Man berathschlagte, ob
man ihn jetzt den Hunden Preis geben sollte, die inzwischen sämmt-
lich in einem Stalle eingesperrt waren, und eben giengen die Meisten
hinweg, um den Kampf vorzubereiten, als plötzlich bei einem neuen
starken Ruck der Ring sich öffnete und der nunmehr freie Tiger
192
V
auf zwei der Zuschauer, die sich am vorwitzigsten genähert hatten,
unbändig losstürzte. Diese ergriffen in der größten Bestürzung die
Flucht und hörten schon das glücklicherweise etwas abgemattete Un-
gethüm dicht hinter sich schnauben, als ihre eigens mitgebrachten Hunde
an ihnen vorbei stürmten und ihm auch sogleich an Ohren und
Kehle fuhren. Den besten von ihnen, der ans der Reise vor Alter
einen Eckzahn verloren hatte, schüttelte er leicht von den Ohren und
tödtete ihn mit einem einzigen kräftigen Bisse nach dem Kopf. In-
dessen kamen auch die übrigen Hunde herbei, die ihn desto sicherer
packten, und von denen sich zwei in die Gurgel so verbissen, daß
der Parder in weniger als einer Viertelstunde, ohne weiter ein Lebens-
zeichen zu geben, erwürgt war. Bis dahin wehrte er sich, noch ver-
zweifelt mit seinen Krallen und verwundete noch einen Hund so
heftig, daß dieser ebenfalls am andern Tage starb. Bei dem Zer-
legen des Thieres fanden sich alle Muskeln am Halse zerbissen, aber
in dem Felle selbst, das äußerst zähe und von den dichten Haaren
geschützt ist, war auch nicht das kleinste Loch, und ein deutscher Rei-
sender, Lichtenstein mit Namen, welcher zufällig anwesend war,
kaufte dasselbe um den gewöhnlichen Preis von zehn Thalern.
2. Einiges über die Lebensweise des Löwen.
Der bemächtigt sieb seines Raubes fast allemal vermittelst
eines Sprunges, und zwar von der Stelle aus, wo er auf der Lauer
liegt; springt er aber fehl, so verfolgt er seine Beute nicht weiter,
sondern geht beschämt zurück und misst langsam Schritt für Schritt
die richtige Länge ab, um zu sehen, wie viel sein misslungener Sprung
zu kurz war.
Ein alter Hottentotte sah am Sonntagsflusse einen Lö-
wen in weiter Entfernung, der ihm zwei ganze Stunden nachfolgte.
Er schloss daraus mit Recht, dass der Löwe nur auf die Nacht warte,
um über ihn herzufallen. Da er die Art kannte, wie der Löwe seine
Beute fängt, so suchte er, statt seinen Weg nach Hause fortzusetzen,
eine Stelle auf, die oben flach und an der einen Seite steil und stei-
nigt war. Er liess sich am Rande des Abhangs nieder und sah zu
seinem nicht geringen Vergnügen, dass der Löwe auch da stand und
den Abstand betrachtete. Als es dunkel wurde, rückte der Hotten-
totte weiter vorwärts und nahm seinen Platz unterhalb des Randes
des Abhanges in einer Kluft. Um aber den Löwen zu täuschen,
steckte er seinen Hut und sein Pelzwamms auf seinen Stock und machte
damit um sich her einige Bewegungen. Es dauerte nicht lange, so
kam der Löwe wie eine Katze herangeschlichen, stürzte mit einem
mächtigen Sprunge auf die täuschende Figur los und •— mit dersel-
ben den Abhang hinunter. /
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Der Löwe spürt den Thieren nicht durch Hilfe des Geruches nach
und macht auch keine offenbare Jagd auf sie. Nur einmal hat man
ihn eine Gazelle jagen sehen, wozu ihn ohne Zweifel der Hunger
trieb. Er läuft sehr schnell und holt beinahe ein rasches Jagdpferd
ein. Seine Stärke ist ausserordentlich gross. Man hat ihn einst einen
Büffel fortschleppen sehen, den ihm aber die Bauern abjagten. Sie
fanden, dass er dem Thiere die Gedärme aus dem Leibe gerissen
hatte. Als er vom Walde aus bemerkte, dass sie das Fleisch fort-
trugen, sah er sich oft, und vermuthlich nicht ohne Verdruss, nach
ihnen um.
Den Büffel vermag der Löwe nur durch List zu bezwingen. Er
legt sich in Hinterhalt und lauert, bis sich eine bequeme Gelegenheit
findet, auf den Büffel loszuspringen und ihm seine Klauen an den Hals
zu setzen. Hierauf schlägt er das Thier mit seinen Tatzen in’s Ge-
sicht, schlingt sich um dessen Kopf herum, hält ihm mit den Vorder-
tatzen Maul und Nase so fest zu, dass es ersticken muss, oder zieht
es bei den Hörnern zu Boden und hält es so lange in dieser Stellung,
bis es von dem grossen Blutverluste stirbt. (Nach Binglei.)
3. Die Hunde auf dem Sankt Bernhard.
Das Kloster auf dem großen Bernhardsberge, im Kanton
Wallis, liegt nahe an der Spitze dieses Berges, an einem der
Hauptpässe aus der Schweiz nach dem Aostathäte in Pie-
mont. In diesen Gegenden wird der Reisende oft vom schlimm-
sten Wetter überfallen. Urplötzlich entstehen Stürme; die Straßen
werden unwegsam durch angehäufte Schneeberge; die Lawinen
stürzen mit Bäumen und Felsentrümmern von den Bergen in die
Thäler hinab. Die gastfreundlichen Mönche öffnen, ungeachtet ihres
geringen Einkommens, jedem Fremden ihre Thüre und nehmen jeden
Erfrornen, Ermüdeten, oder von der Finsterniß Ueberfallenen unter
ihr bequemes Obdach, zum frohen Mahle und in ihren angenehmen
Umgang auf. Aber darauf beschränkt sich ihre Aufmerksamkeit nicht
blos, sondern sie haben sich den gefährlichen Beruf auferlegt, die
vom plötzlichen Sturmwetter Ueberfallenen und Verunglückten auf-
zusuchen, da diese meistens ohne ihren menschenfreundlichen Beistand
umkommen würden.
Hiebei werden sie durch eine gewisse Gattung von eigens hiezu
abgerichteten Hunden unterstützt, deren außerordentlich scharfer Ge-
ruch schon manchen einsamen Reisenden, der bereits verloren schien,
rettete. Erstarrt durch Kälte, in Sorge wegen des verlornen rechten
Weges, fällt der Ermattete in tiefen Schlaf, und im Schneetreiben
wird ihn Niemand gewahr, als etwa die die Fährte genau kennen-
den Hunde, wenn auch ein solcher Erstarrter 10 oder mehr Fuß
Reiser, der Dolttschüler i. d. Oberklassc. 13
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unter dem Schnee liegt. Mit den Füßen scharren sie den Schnee
auf und heulen laut, um die Mönche und Laienbrüder zum Bei-
stände aufzufordern. Um den ermatteten und erstarrten Reifenden
schnell in's Leben zurückzurufen und stärken zu können, hat jeder von
diesen Hunden am Halse eine Flasche mit starkem Branntwein, und
sein Begleiter trägt einen warmen Ueberrock. Tressen diese Hunde
auch nicht immer einen Lebenden an, so entdecken sie doch die Leiche,
welche von ihren Freunden wieder erkannt werden kann, da die Ge-
sichtszüge in diesem kalten Klima wohl zwei Jahre nach dem Tode
noch kenntlich sind. — Einer dieser edeln Hunde, Barry genannt,
trug eine Medaille, weil derselbe das Leben von 22 Personen ge-
rettet hatte. Viele Reisende haben noch in den Jahren 1814 und
1815 diesen Hund gesehen und beim Wärmefeuer der Mönche die
Geschichte seines wohlthätigen Lebens gehört. Er starb im Jahre
1816 bei der Begleitung eines piemontesischen Postcouriers, der gern
baldmöglichst zu seiner, wegen seines langen Ausbleibens sich äng-
stigenden Familie zurückkehren wollte, so sehr ihm auch die Mönche
wegen des heftigen Sturmes davon abriethen.
Von Sehnsucht nach den Seinigen getrieben, ließ er sich nicht
aufhalten, und die menschenfreundlichen Mönche gaben ihm zwei Be-
gleiter nebst zwei Hunden mit. Aber kaum hatten sie das Kloster
verlassen, so wurden sie von zwei Lawinen bedeckt — und diese ver-
schütteten auch unten im Thale die Familie des armen Postillons,
die sich herausgewagt hatte, um dem Vater entgegen zu gehen.
Einer dieser nützlichen Klosterhunde soll einst eine von einer La-
wine verschüttete Mutter mit ihrem noch lebenden Knaben angetroffen
haben, und das gute Thier ruhete nicht eher, bis der Knabe aus
seinen Rücken stieg, damit er ihn in das Kloster zurücktragen konnte.
4. Azor.
In den ersten Jahren der Besitznahme von Algier durch die
Franzosen geschah es häufig, daß in der Nacht die Vorposten
auf eine unbegreifliche Weise überfallen und ermordet wurden. Die
Soldaten suchten daher herrenlose Hunde, die in allen muhameda-
nischen Städten zu Hunderten herumlaufen, an sich zu ziehen, um
sich derselben als Warner zu ihrem Schutze zu bedienen, und
wirklich leisteten diese Hunde bald den Soldaten vortreffliche Dienste,
indem sie bei Annäherung eines B eduineu in ein furchtbares Ge-
heul ausbrachen und so die nahe Gefahr und die Gegend, woher
sie kam, anzeigten.
Ein junger Soldat Namens B achard (sprich Baschar) hatte
eines Abends, als es schon dunkel war, mit seinem Hunde Azor
den äußersten Wachposten bezogen. Es dauerte nicht lange, so hörte
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man in derselben Richtung heftiges Hundegebell und darauf einen
Schuß, dem sogleich ein lautes Geschrei folgte. Ein Korporal mit
Mannschaft eilte unverzüglich dahin. Bald kamen sie auf dem Hü-
gel an, wo der Posten ausgestellt war, aber er war nirgends zu
sehen. „Ich sehe etwas Weißes," rief der Korporal, „das ist ein
Beduine!" Sogleich feuerte er sein Gewehr darauf ab, und ein
Araber wälzte sich, von der Kugel getroffen, am Boden. Man
suchte Bachard und fand bald seinen Leichnam ohne Kopf am Ab-
hange des Hügels liegen. Während die Soldaten diesen voll Ent-
setzen betrachteten, erregte ein furchtbares Bellen am Fuße des Hü-
gels ihre Aufmerksamkeit. Sie sahen Azor, den Hund Bachards,
der sich wüthend auf ciuen Araber stürzte, der ihrer Aufmerksamkeit
entgangen war. Der Araber wehrte sich mit seinem Schwerte gegen
den HmH und hatte ihm bereits mehrere Wunden beigebracht; allein
dieser schien sich wenig um Schmerz und Tod zu bekümnlern und
erneute muthig seine Angriffe. Mit einem verzweifelten Satz packte
er den Araber an der Kehle und warf ihn zu Boden. Jetzt mischte
sich das Schmerzensgeschrei des Mannes mit dem wüthenden Heulen
des Hundes. Man sah Beide übereinander rollen; bald war der
Araber wieder oben und zerfleischte mit seiner Waffe seinen Gegner;
bald war der Hund Sieger und sein Stöhnen ward unterbrochen,
indem er sich-bemühte, das Gesicht und die Kehle des Beduinen zu
zerreißen. Die Soldaten wollten dem Kampf ein Ende machen und
den Araber todten; schon waren die Hähne gespannt, und.sie schlu-
gen auf die hartnäckig Kämpfenden an, als der Korporal ausrief:
„Halt, es ist Azor, ihr könntet ihn todten; mit dem Bajonette, Ka-
meraden, .und Tod dem Beduinen!" Trotz ihrem schnellen Laufe
fandett sie, als sie hinkamen, den Araber ausgestreckt und ohne Leben.
Azor, obgleich furchtbar verwundet, zerrte beständig an einem Zipfel
des sorgfältig zusammengeknüpften Burnus des Arabers; er zerriß
ihn endlich, und der Kops Bachards, seines Herrn, rollte daraus hervor.
Azor, vom Blutverlust erschöpft, sank an der Seite seines über-
wundenen Gegners nieder. Ein junger Militärarzt, der sich bei der
Mannschaft befand, untersuchte seine Wunden; er fand sie nicht tödt-
lich,' aber die Pfote, die ganz zerquetscht war, mußte abgelöst wer-
den. Bachard wurde an dem Orte, wo er gefallen war, begraben.
Bald war er vergessen, und viele Truppen hatten indessen ihren
Aufenthalt in Algier gewechselt, nur Azor war von der Stadt nicht
wegzubringen. Jeden Abend, kurz vor 10 Uhr, gieng er aus und
legte sich auf das Grab seines ermordeten Herrn vor dem entfern-
testen Vorposten nieder. Um Mitternacht schlich er sich niederge-
schlagen auf seinen drei Pfoten nach Hause. Die Schildwachen
kannten ihn wohl; sie nannten ihn Azor, den Invaliden, und
alle präsentirten vor ihm das Gewehr.
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5. Der kluge Pudel.
Der Eigenthümer eines wohlabgerichteten Pudels gieng
einst mit einem Freunde durch einen Wald. Er ließ unterwegs den
Hund mehrere seiner Kunststückchen machen und versicherte, daß der-
selbe etwas Verlorenes auf eine ganze Stunde Entfernung suche
und wieder bringe. Als sein Freund dieses in Zweifel ziehen wollte,
zog der Herr des Pudels seinen Geldbeutel heraus, warf ihn in einen
nahen Busch und wanderte mit seinem Freunde weiter.
Als sie wohl eine Stunde zurückgelegt hatten, rief der Herr
seinem Pudel zu: „Phylap! such' Verlornes!" und der Hund
eilte, die Nase nahe am Boden haltend, mit der größten Schnellig-
keit zurück. *
Inzwischen kam ein Handwerksbursche denselben Weg. Ermüdet
setzte er sich neben einen Haselstrauch, um auszuruhen, und als er sich
vollends niederlegen wollte, erblickte er mit freudiger Ueberraschung
in dem Gesträuche den Geldbeutel, welchen der Herr des Pudels
dahin geworfen hatte. Er zählte das Geld, steckte es zu sich und
war seelenvergnügt über den glücklichen Fund.
Es dauerte nicht lange, so kam der Pudel zurück. Er näherte
sich dem Gebüsche und beroch dasselbe so wie den Handwerksbur-
schen von allen Seiten. Dieser schmeichelte dem schönen Thiere,
welches sich dieses willig gefallen ließ und sich endlich zu seinen
Füßen niederlegte.
„Was das doch heute für ein glücklicher Tag ist," sagte der
Wanderer zu sich selbst, „zuerst finde ich eine Börse mit 3 Thalern,
und nun läuft mir noch ein so schöner Hund zu, den ich vielleicht
gelegentlich theuer verkaufen kann;" denn daß er nach dem Eigen-
thümer dieser Sachen fragen wolle, siel dem unredlichen Menschen
nicht ein.
Er wanderte wohlgemuth weiter und blieb in dem nächsten
Dorfe über Nacht. Sein heutiges Glück hatte ihn übermüthig ge-
macht und er ließ sich nach einer guten Mahlzeit auch einen guten
Trunk schmecken, worauf man ihm endlich sein Schlafgemach anwies,
das sich zu ebener Erde befand.
Dem heißen Tage war ein herrlicher Abend gefolgt. Der Hand-
werksbursche öffnete ein Fenster, entkleidete sich hieraus und legte
sich zu Bette. Als der Pudel dies wahrnahm, faßte er schnell die
Beinkleider, worin die Börse seines Herrn befindlich war, und sprang
mit denselben zum offenen Fenster hinaus. Alles Rufen des Hand-
werksburschen war vergeblich,; er hatte das bloße Nachsehen für sich.
Der Herr des Pudels aber war nicht wenig verwundert, als er
spät in der Nacht seinen Hund mit einem Paar Hosen ankommen
197
sah, in welchen man beim Durchsuchen den weggeworfenen Geld-
beutel fand. H. R.
6. Die Tollwuth der Hunde.
Der Anfang der Toll- oder Hundswuth zeigt sich bei dem
Hunde durch eine gewisse Niedergeschlagenheit. Er sucht die Einsam-
keit, flieht Speisen und Getränke, brummt oder knurrt statt zu bellen,
läßt Ohren und Schwanz hängen und scheint in einem Taumel zu
seyn, der seine Schritte ungewiß macht. Fremde Personen fällt er
tückisch an;, gegen seinen Herrn behält er noch immer eine gewisse
Achtung und Liebe; noch ist sein Biß nicht tödtlich, aber die Wunde
ist doch schwerer zu heilen, als eine andere. Nimmt die Wuth zu,
so fängt der Hund zu keuchen an, streckt die Zunge heraus, schäumt
und flieht das Wasser. Bald taumelt er, als ob er im Schlafe
wäre; bald macht er einen Sprung und weicht dabei immer vom
geraden Wege ab. Seine Augen sind trübe und thränend, die
Zunge ist bleifarbig.. Jetzt ist er auch seinem Herrn gefährlich. Zu-
sehends wird er magerer, und die Wuth steigt, so wie er seinem
Tode, der nun kaum 2-4 Stunden noch entfernt ist, zugeht.
Diese Zeichen gehen besonders der den Haushunden eigenen
lausenden Wuth voran, doch verräth sich diese nicht immer durch
alle diese Zeichen. Weniger sichtbar sind die der fahrenden Wuth,
die häufiger bei dem Jagdhunde vorkommt. Weder ein Schaum
vor dem Rachen, noch ein gesenkter Schwanz verrathen sie, und die
Scheu vor dem Wasser bleibt zuweilen so ganz aus, daß der
wüthende Hund freiwillig schwimmt. Bei beiden Arten von Wuth
ist aber der Biß gleich gefährlich, er hat die fürchterlichsten Folgen
und fordert die schnellste Hilfe, wenn der unglückliche Verwundete
nicht durch dieselben Stufen der Wuth hindurchgehen soll.
Wird die Hilfe schnell geschafft, so wird die Krankheit höchst
selten gefährlich. Der geringste Biß, der auch nur die Haut leicht
ritzte, ohne daß Blut floß, die Berührung des Speichels oder der
begeiferten Werkzeuge, womit der Hund erschlagen wurde, kann die
traurigsten Folgen haben. Ja oft sollen sich die Folgen auch erst '
lange nach dem Bisse, z. B. bei großer Hitze oder bei dem Aus-
bruchs heftiger Leidenschaften zeigen. Die erste Erscheinung bei einem
Gebissenen ist Schmerz an der verwundeten Stelle, die bald schwillt.
Der Schmerz verbreitet sich immer weiter; Trägheit, unterbrochener
Schlaf, unwillkührliche Seufzer und Traurigkeit folgen. Die Zufälle
werden immer fürchterlicher. Qualvolle Herzensangst, gepreßter, von
Seufzern unterbrochener Athem und endlich die kalten Schauer, die
ihn beim Anblicke des Wassers und glänzender Körper ergreifen, die
Vermehrung der Angst und das heftigste Zittern, wenn nur der ge-
ringste Tropfen Feuchtigkeit die Zunge berührt, sind die deutlichsten
198
Zeichen der Wasserscheu. Eine schwarze, zähe Feuchtigkeit geht durch
Erbrechen von ihm. Das Fieber, die Hitze, das Irrereden ver-
mehren sich. Jetzt streckt der Unglückliche die rauhe Zunge heraus,
seine Stimme wird heiser, er gähnt häufiger, er lechzt vor Durst,
doch so wie man ihm Getränke reichen will, macht ihn meist die
Wasserscheu wüthend. In seinem Munde häuft sich der Speichel
und er fühlt einen unwiderstehlichen Reiz, ihn gegen die Umstehen-
den auszuwerfen. Fürchterlich knirscht er mit den Zähnen, eiskalter
Schweiß steht auf seinem Gesichte, er ist wüthend, und doch zeigt
sein Streben, Andern nicht zu schaden, sein Flehen, ihn nicht zu ver-
lassen, daß er seiner Vernunft noch mächtig ist. Endlich naht sich
unter Krämpfen und Engbrüstigkeit der unter diesen Umständen wün-
schenswerthe Retter — der Tod^ Bei der Zergliederung des Todten
findet man die Werkzeuge zum schlucken entzündet, den Magen voll
von einer zähen, galligen Feuchtigkeit, die Galle schwarz, die Schlag-
ader voll, die Blutader leer, den Herzbeutel, die Eingeweide, das
Gehirn, das Rückenmark trocken und das Blut so flüssig, daß es
kaum zum Gerinnen zu bringen ist. (21. B. Reichenbach.)
7. Der Maulwurf.
Unter allen Thieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maul-
wurf das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Gängen
unter der Erde nachgeht. Und an dem Einen ist's zu viel, wird
Mancher sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit
Maulwurfshügeln bedeckt sind, wie der Boden zerwühlt und durch-
löchert ist, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heimtückische
Thier unten an den Wurzeln weidet. Nun, so wollen wir denn
Gericht halten über den Missethäter.
Wahr ist es und nicht zu läugnen, daß er durch seine unter-
irdischen Gänge hin und wieder den Boden durchwühlt und ihm
Etwas von seiner Festigkeit raubt. Wahr ist es ferner, daß durch
die herausgestoßenen Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt und
die darunter liegenden Keime im Wachsthum gehindert, ja erstickt
werden können. Dafür ist jedoch in einer fleißigen Hand der Spaten
gut. Aber wer hat's gesehen, daß der Maulwurf die Wurzeln ab-
frißt? Wer kann's behaupten? Nun man sagt so: „Wo die Wur-
zeln der Pflanzen absterben, wird man auch Maulwürfe finden;
und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das auch nicht; folglich
thut's der Maulwurf." Der das sagt, ist vermuthlich derselbe, der
einmal so behauptet hat: „Wenn im Frühlinge die Frösche zeitig
quaken, so schlägt auch das Laub bei Zeiten aus; wenn aber die
Frösche lange nicht quaken wollen, so will auch das Laub nicht
199
kommen; folglich quaken die Frösche das Laub heraus." — Seht
doch, wie mau sich irren kann!
Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrener
Landwirth und Naturbeobachter, der sagt so: „Nicht der Maulwurf
frißt die Wurzeln ab, sondern die Quadten und Engerlinge, die
unter der Erde sind, aus welchen hernach die Maikäfer und anderes
Ungeziefer kommen. Der Maulwurf aber frißt die Quadten und
reinigt den Boden von diesen Feinden." Jetzt wird es also begreif-
lich, daß der Maulwurf immer da ist, wo das Gras oder die
Pflanzen krank find und absterben, weil die Quadten da sind, denen
er nachgeht und die er verfolgt. Und dann muß er's gethan haben,
was diese anstellen, und bekommt für eine Wohlthat, die er euch
erweisen will, des Henkers Dank. — „Das hat wieder Einer in
der Stube erfunden, oder aus Büchern gelernt der noch keinen
Maulwurf gesehen hat," werdet ihr sagen. Halt, guter Freund!
der das sagt, kennt den Maulwurf besser, als ihr Alle, H>ie ihr
sogleich sehen werdet! Denn ihr könnt zweierlei Proben anstellen,
ob er die Wahrheit sagt. Erstlich, wenn ihr dem Maulwurfe in
den Mund schauet; denn alle vierfüßigen oder Säugethiere, welche
die Natur zum Nagen an Pflanzenwerk bestellt hat, haben oben
und unten nur zwei einzige und zwar scharfe Vorderzähne und gar
keine Eckzähne, sondern eine Lücke bis zu den Backenzähnen. Alle
Raubthiere aber, ibelche andere Thiere fangen und fressen, haben
sechs und mehr spitzige Vorderzähne, dann Eckzähne auf beiden
Seiten und hinter diesen zahlreiche Stockzähne. Wenn ihr nun das
Gebiß eines Maulwurfs betrachtet, so werdet ihr finden, daß er
in der obern Kinnlade sechs und in der untern acht spitzige Vorder-
zähne und hinter denselben Eckzähne auf allen vier Seiten hat; und
daraus folgt: Er ist kein Thier, das an Pflanzen nagt, sondern
ein kleines Raubthier, das andere Thiere frißt. Zweitens: Wenn
ihr einem getödteten Maulwurfe den Bauch aufschneidet und in den
Magen schaut; denn was er frißt, muß er im Magen haben, so
werdet ihr, wenn ihr die Probe machen wollt, nie Wurzelfasern
oder so Etwas in demselben finden; aber immer die Häute von
Engerlingen, Regenwürmern und anderm Ungeziefer, das unter der
Erde lebt. Wie sieht's fetzt aus?
Wenn ihr also den Maulwurf recht fleißig verfolgt, so thut
ihr euch selbst den größten Schaden und den Engerlingen den größten
Gefallen. Da können sie alsdann ohne Gefahr eure Wiesen und
Felder verwüsten, wachsen und gedeihen, und im Frühfahr kommt
alsdann der Maikäfer, frißt euch die Bäume kahl, wie Beseureis,
und bringt euch zur Vergeltung auch des Kukuks Dank und Lohn.
So sieht's aus!
200
8. Kleine und große Geschöpfe.
Die kleinsten Vögel heißen Kolibri. Sie sind in Südamerika
daheim, haben wunderschöne Federn mit Gold- und Silberglanz,
legen Eierlein, die nicht größer sind als eine Erbse, und werden
nicht mit Schrot geschossen, sondern mit kleinen Sandkörnern, weil
sonst nichts Ganzes an ihnen bliebe. Neben ihnen wohnt eine Spinne,
die so groß ist, daß sie diese armen Thierlein wie Mücken fängt und
aussaugt.
Andern Respekt stößt der Lämmergeier seiner Nachbarschaft ein,
der in den Tyroler- und Schweizergebirgen daheim ist. Denn mit
seinen ausgespannten Flügeln bedeckt er eine Länge von 8—10 Fuß
und ist stark genug, Gemsen, Ziegen und Kinder anzupacken, zu
überwältigen und davon zu tragen.
Der größte unter allen Vögeln, die fliegen können, ist der
Kondor, ein Landsmann des Kolibri. Dieser mißt mit ausgespann-
ten Flügeln 16 Fuß; seine Flügelfedern sind einen Finger dick, also
daß man schön Fraktur damit schreiben könnte; und das Rauschen
seiner Flügel gleicht einem fernen Donner.
Aber der allergrößte Vogel ist der Strauß in den Wüsteneien
von Asien und Afrika, der aber wegen seiner Schwere und wegen
der Kürze seiner Fittige (Flügel) gar nicht fliegen kann, sondern
immer auf der Erde bleiben muß. Doch trägt er seinen Kopf 9—10
Fuß hoch in der Luft, kann weit llmherschauen und könnte, wie ein
guter Freund, neben einem Reiter auf seinem Roß, herlaufen und
mit ihm reden, wenn ihm nicht Vernunft und Sprache versagt
wären. — -
Das Spitzmäuslein, ebenfalls in Asien, wiegt ein halbes
Quentlein, und ist das kleinste unter allen bekannten Thieren, die
auf 4 Beinen gehen und ihre Jungen säugen. — Der Elephant
aber ist 12 —14 Fuß hoch, 15 —17 Fuß lang, wiegt seine 7000
Pfund, und ein fleißiger Schüler soll mir ansrechnen: Wie viel
Spitzmäuslein müßte man haben, die so schwer sind, als ein einzi-
ger Elephant? — Das kleinste Thierlein auf der Erde hat auch mit
dem stärksten Vergrößerungsglas^ wohl noch kein Mensch gesehen.
Aber das größte Thier ist der Walisisch, der bis zu einer Länge
von 120 Fuß wachsen kann und seine 1000 Centner und darüber
wiegt. (I. P. Hebel.);
9. Die Schwalben.
Die Schwalben sind ein wildes Volk, ein Räubervolk, schnelle
Flieger, fangen ihre Insekten nur in der Luft und fliegen hoch oben.
Schaarenweise tummeln sie sich lustig in großen Kreisen herum,
201
necken sich und spielen mit einander, können nicht singen, sondern
nur zwitschern, machen Nester aus Schlamm und mauern sie ordent-
lich an Dächer und Balken an, sind gerne bei Menschenwohnungen
und Menschen, lieben diese mehr als irgend ein Thier der untern
Klassen, und ziehen in Schaaren in wärmere Länder. Es ist, als
ob einzelne auf der Heimreise nicht auf die andern warten können
oder wollen; sie fliegen voran, kommen oft acht bis vierzehn Tage
vor den andern wieder bei uns an, daher das Sprüchwort: „eine
Schwalbe macht noch keinen Sommer," fliegen wieder fort, die an-
dern einzuholen, und kommen mit diesen dann wieder. Wenn sie
in voller Zahl da sind, ist es Sommer. Sie kündigen am Abend
durch ihre heiteren, lustigen Flüge, einander wie Buben herumtrei-
bend, heitere Witterung auf den folgenden Tag an. Kaum ein
Vogel kennt seinen Nestplatz alljährlich so sicher wieder. Die Zug-
kraft des Südens erweist sich an ihnen am allerstärksten, denn sie
ziehen bis nach Senegambien, im westlichen Afrika, ins rechte Son-
nen- und Glutland, wo die Sonne sticht und Alles verbrennen will.
Sie müssen reisen; je weiter, je lieber! Man hat sie auf dem Meer
bei tausend Meilen weit vom Lande angetroffen. Alles an ihnen
ist Zug, — Reiselust und Ortssinn. Wer ohne ihren Sinn fände
den Weg hin und her nach Afrika, nach Europa, nach Württemberg
oder Hohenzollern, ins alte Dorf oder Stadt und Nest? Wie wird
man aus dem äußern Anschauungsvermögen sich eine solche Erschei-
nung erklären können? Der Mensch mit dem vollkommensten An-
schauungsvermögen und Gedächtniß müßte unterwegs tausendmal
fragen.
Wie einzelne zu früh ankommen und sich in der Zeit verfehlen,
so verspäten sich auch einzelne. Sie bauen Nester für sich. Sie
bauen sie mit dem Schnabel, und dieser ist ihre Nadel, Scheere,
Zange und Kelle. Sie kneten Heu, Stroh und Schlamm zusam-
men. Den Schlamm holen sie in den Teichen, das Stroh in den
Straßen. In die Rundung legen sie Wolle oder Moos. und was
sie weiches für die zarte Jugend finden. Sie lieben die Jungen
sehr. Aus dem Nest auf die Straße heruntergefallen, holen sie
eins nach dem andern sorgfältig wieder herauf, und das Kindlein
weiß sich recht gut an die Mutter zu halten. Die Schwalben müssen
sich oft mit Sperlingen um den Besitz eines Nestes zanken; der
Sperling will ein schon fertiges Schwalbennest lieber in Besitz neh-
men, als ein eigenes bauen. Das sieht ihm gleich; er ist frech und
unverschämt, wenn auch nicht faul, und erndtet immer, wo er nicht
gesäet hat. Sie müssen auch oft mit der Uferschwalbe zanken, die
überaus streitsüchtig ist, und einen Vorwand zum Hader an der
Hecke abbricht. Man hat ja nur so lange Friede, als der Nach-
bar will.
202
10. Der Storch.
Der Storch, der im Süden überwintert, im Sommer bei uns
ist, kennt sein Land, sein Dorf, seinen Kirchthurm und sein altes
Nest wohl. Er kommt zuerst allein, visitirt das alte Nest, dann
reist er wieder ab und kommt mit seinem Weibchen. Sie bessern
das Nest, das von den Winterstürmen gelitten hat, wieder aus und
leben nun in treuer Liebe und Frieden mit einander, so daß sie
manche unfriedliche Ehe beschämen. Das Nest ist nur eine rohe
Lage von Reisern u. s. w., die Stimme des Storchs nur ein Klap-
pern mit dem Schnabel, sein Kops ist sonderbar geformt, und seine
Stirne hoch, sein Auge nicht ganz ohne Schlauheit, sein Gang ernst,
gravitätisch, sein ganzes Thun still, feierlich, abgemessen, steif. Sein
Flug ist schön, gewöhnlich langsam, ruhig, und nur dann rasch,
wenn er ein besonderes Ziel verfolgt. Es ist, als ob er durch die
Lüfte schwimme. Immer putzen sie sich, als große Freunde der
Reinlichkeit, was um so nöthiger ist, weil sich an ihrem weißen
Kleid alle Unreinlichkeit um so widriger herausstellt.
Mann und Weib brüten gemeinschaftlich; immer bleibt eins zu
Hause, entweder bei den Jungen, oder, wenn sie noch keine haben,
um das Haus zu bewachen. Ihr scharfes Auge beherrscht die ganze
Gegend. Keiner erlaubt einem andern sich in derselben ebenfalls
häuslich niederzulassen. Würmer, Insekten, Schnecken, Blindschlei-
chen, Mäuse, Fische frißt er sehr gern, Heuschrecken und Bienen
sind ihm nicht unangenehm, aber am liebsten sind ihm doch die
Frösche. Diese sticht er zuerst mit seinem Schnabel durch, wenig-
stens macht er sie durch Hineinstoßen in sie zur Flucht untüchtig,
denn durch ihre Pergamenthaut zu stechen ist ihm fast unmöglich;
junge Vögel will er auch. Oft klappern Mann und Weib und Junge,
plaudern und unterhalten sich mit einander, besonders klappern
letztere, wenn ihnen Nahrung gebracht wird.
Drei Dinge von ihnen sind mehr oder minder wunderbar: ihre
Kriege, ihre Gerichte, ihre verständige Art.
Alle Störche einer großen, weiten Gegend, z. B. des Rhein-
thals im Kanton St. Gallen, und die über dem Rhein oder in dem
gegenüberliegenden Vorarlberg erheben sich etwa einmal gegen ein-
ander zu einem blutigen Krieg, der sich nur mit dem Tod oder mit
dem Abzug der einen oder andern aus der Gegend endigt. Eine
Parthie muß das Feld räumen. Wahrscheinlich entsteht der Krieg
wegen der Nahrung, die sie einander verkümmern. Dann wird die
ganze Gegend unruhig, und Alles geräth in Aufruhr. Sie halten
aus beiden Seiten des Rheins auf Feldern großen Rath. Es muß
ein Aufgebot ergangen seyn. Sie plaudern viel mit einander, ver-
stehen einander. Einige reden besonders viel; es sind die ältesten;
203
»
die jungen schweigen. Der Krieg wird beschlossen. Die Vorarl-
berger in größerer Zahl erheben sich, fahren über den Rhein durch
die Luft einher und wollen die diesseitigen angreifen. Diese haben
den Angriff erwartet, erheben sich nun auch und fliegen ihnen ent-
gegen. Der Kampf wird in hoher Luft geführt. Die Waffe ist
der Schnabel. Sie stechen fürchterlich auf einander los. Blutig
und zerstochen ergreifen die Schweizer die Flucht. Die Vorarlberger
sind vollkommen Sieger und zerstören die Nester der geflohenen.
Allmählich jedoch kehren sie wieder zurück. Später entsteht wieder
Krieg, worin die Schweizer siegen.
Es ist auch wahrgenommen worden, daß die Störche bisweilen
vor ihrer Abreise gen Süden eine große Versammlung halten, einen
Kreis bilden, einer in der Mitte steht, viel geklappert und räson-
nirt wird, und endlich alle auf den in der Mitte losstürzen und ihn
durchbohren. Die Sache ist noch nicht aufgeklärt. Daß sie aber
etwas Außerordentliches thun, ist außer Zweifel.
Das dritte Auffallende ist ihre anständige Weise. In Seestädten
ziehen sie zwischen den Leuten auf den Straßen herum, stolziren
hin und her, und fordern von Jedem, der ihnen in den Weg tritt,
das Ausweichen. Sie ziehen von Markt zu Markt, von Brunnen
zu Brunnen, von Miststätten zu Miststätten, und suchen Fische,
Austern u. f. w. Noch mehr: bricht in einem Haus, auf dem sie
ihr Nest haben, eine Feuersbrunst aus, so tragen sie die Jungen,
wenn sie noch nicht fliegen können, auf dem Rücken fort, oder be-
netzen sich in einem Wasser, fliegen wieder in ihr Nest und schüt-
teln das Wasser von sich, und gelingt es ihnen nicht, die Jungen
zu retten, so breitet die Störchin ihre Flügel über ihre Jungen, um
sie zu schützen, und erleidet lieber mit ihnen den Feuertod, als daß
sie allein davon flöge, wie man dieß noch beim großen Brand in
Hamburg sah.
11. Die Schlangen.
Kein Theil der Naturgeschichte sollte dem Menschen unbekannt
bleiben; am allerwenigsten aber sollte man sich durch die Häßlichkeit
oder-Schädlichkeit eines Thieres abhalten lassen, es näher kennen zu
lernen; denn immer wird man, was für ein Theil es auch seyn
mag, Neues und Merkwürdiges erfahren. Auch von den Schlangen,
diesen verschrieenen Thieren, will ich doch zeigen, daß es möglich ist,
Etwas von ihnen zu erzählen, was merkwürdig und lehrreich ist
und gewiß Jeden begierig machen wird, noch mehr davon zu hören.
Du wirst wohl, mein lieber Leser, erst sehr wenige Schlangen
gesehen haben? Vielleicht eine Ringelnatter, die bei uns am gemein-
sten ist; oder die hübsche, braun glänzende Blindschleiche; oder viel-
leicht gar schon einmal eine giftige Kreuzotter? Nun, das wäre
204
*
schon genug, denn außer diesen und der gemeinen Otter oder Natter
würdest du schwerlich eine andere in Deutschland finden können.
„Gottlob!" wirst du vielleicht sagen. Nun gut, ich gebe dir Recht;
aber dann kennst du auch die Schlangen so wenig, als wenn der
versichern wollte, er kenne die Vögel, welcher doch keinen, als das
Huhn, die Gans, Ente, den Kanarienvogel und allenfalls den Spatz
gesehen hat. Was sagst du dazu, daß man schon über 220 ver-
schiedene Schlangenarten kennt, und daß man noch alle Jahre in
fremden Ländern neue dazu entdeckt? Einige Arten davon sind so
klein, daß du sie vielleicht für Negenwürmer halten würdest; auf der
Insel Cypern findet man eine Art davon, die wirklich auch so heißt,
in großer Menge. Man sieht ihren schnellen Bewegungen und ihren
muntern Sprüngen gern zu; denn sie ist ganz unschädlich, kaum
4 bis 6 Zoll lang und so dick, wie ein starker Bindfaden. Die
kleinen Augen, so groß, wie feine Pünktchen, würdest du kaum be-
merken, wenn sie dir nicht ein guter Freund zeigte.
Aber nun begleite mich einmal schnell in eine heißere Gegend
der Erde, nach dem mittleren Amerika, und laß dir erzählen, was
dort einmal geschehen ist. Achtzehn Spanier, die den ganzen Tag
über in der kühlen und feuchten Jahreszeit einen starken Marsch ge-
macht hatten, kamen einst am Abend in einen dichten Wald; ermüdet
von den Strapazen des Tages beschließen sie, daselbst zu übernachten.
Das dürre Laub, das den Boden Fuß hoch bedeckt, soll ihnen zum
Nachtlager dienen. Sie machen ein Feuer an, um die reißenden
Thiere zu verscheuchen und ruhig schlafen zu können; ermüdet setzen
sic sich auf einen umgeworfenen Baumstamm, der unter dem abge-
fallenen Laub hervorragte und dicht am Feuer liegt. Kaum haben
sie sich niedergesetzt und das Feuer geschürt, da wankt es unter ihnen;
siehe! der vermeinte Baumstamm ist eine Riesenschlange, die sich
fortbewegt. Der fürchterlichste Schrecken ergreift die Gesellschaft,
und Alles flieht vor dem Unthier mit wüstem Geschrei. So groß
ist die größte unter den Schlangen, daß man sie für einen Stamm
halten kann, der wenigstens 30 bis 40 Fuß laug und 1‘ 2 Fuß dick
ist. Zwischen diesem Riesen und jenem Zwerge unter den Schlangen
liegen nun alle anderen Arten in der Mitte, doch so, daß nur we-
nige die Länge von 10 bis 12 Fuß erreichen, und die einzige Rie-
senschlange, wie etwa der Elephant unter den Land- und der Wall-
fisch unter den Seethieren, die übermäßige Größe von 20 bis 30 Fuß
zuweilen, obgleich selten, noch übertrifft.
Aber du wirst dich, lieber Freund, wundern, daß die Schlange
anfangs so geduldig sich zum Sessel brauchen ließ? Hast du dir
vielleicht schon einmal den Magen überfüllt? Dann hast du sicher
gleich nach dem 'Essen eine Unbehaglichkeit bei dir verspürt, die dich
unfähig machte, sogleich etwas Vernünftiges mit deinem Verstand
205
vorzunehmen; und selbst dein Körper war nicht so zum Springen
und Hüpfen aufgelegt, als vor Tische. In einem ähnlichen Zustande,
nur in weit höherem Grade, mußte die Schlange gewesen seyn. Die
Kinnladen aller Schlangen öffnen sich so außerordentlich weit, daß
sie mit Leichtigkeit weit dickere Thiere, als sie selbst sind, verschlingen
können. Die Ringelnatter, die kaum einen Zoll im Durchmesser
hat, verschlingt Kröten und Frösche, die ihr dann wie dicke Knäuel
im Magen liegen. Die Riesenschlange, die bekanntlich durch ihre
große Muskelkraft den Schafen, Ziegen, Gazellen, ja selbst den
Ochsen die Knochen im Leibe zerknacken kann, indem sie sie um-
schlingt, schluckt diese Thiere ganz hinunter, ohne sie zu kauen, ob-
gleich ihre Zähne so groß wie die eines ordentlichen Hühnerhundes
sind. Keine Schlange zerkaut ihre Speise; ihre Zähne scheinen ihnen
nur zum Festhalten ihrer Beute zu dienen.
Aber was für ein Magen gehört nun wohl dazu, um ein nicht
zerkautes Rind mit Haut, Haaren und Knochen zu verdauen! Die
Wände des Magens mögen noch so hart und der Magensaft zur
Auflösung noch so scharf seyn: auf jeden Fall gehört eine große
Anstrengung der innern Theile des Thieres dazu; kein Wunder,
daß es von außen in eine Art von Starrsucht verfällt und ruhig
da liegt, wenn der ganze Leib von der Nahrung aufgeschwellt ist.
Begiebt sich nicht auch sogar der Tiger zur Ruhe, wenn das Ver-
dauungsgeschäft nach einer tüchtigen Mahlzeit in ihm anfängt, und
kauert sich der gefräßige Geier nicht auch in einen unförmlichen
Federklumpen zusammen, wenn er sich vollgestopft hat? Er sitzt
dann da, ohne zu sehen und zu hören, steckt seinen Kopf ganz in
die Schultern zurück, so daß alle nackten Theile seines Halses ver-
schwinden, und läßt die Flügel hängen, so daß sie ihm die Beine
verbergen; alle seine Federn starren daun von ihm weg.
Nicht alle Schlangen sind giftig; die giftigen aber stechen —-
das ist ausgemacht und gewiß — nicht mit der Zunge, wie viele
Leute glauben, sondern sie sprühen ihr Gift durch zwei besondere
Zähne aus. Diese sitzen vorne an der oberen Kinnlade, sind haken-
förmig gebogen, wie die Klauen der Katzen, und können, wie diese,
von der Schlange in eine Scheide zurückgezogen und wieder hervor-
gestoßen werden; sie sind hohl und haben an der Spitze ein Loch,
unten aber stehen sie mit einem Bläschen, in welchem das Gift be-
reitet^ wird, in Verbindung. Beißt nun die Schlange, so spritzt sie
zugleich durch jenes Loch an den zwei Giftzähnen das Gift in die
Wunde. Bei manchen Schlangen tobtet dieser Biß auf der Stelle,
bei andern erfolgt der Tod erst einige Zeit nachher; bei noch an-
dern bringt der Biß blos Geschwülste hervor oder tobtet nur zu-
weilen. Die Wilden essen selbst giftige Schlangen ohne Nachtheil,
wenn diese nicht etwa sich selbst gebissen haben.
206
12. Der Häring.
Der Häring bewohnt den ganzen nördlichen Ocean, insbeson-
dere jedoch das deutsche Nordmeer. Um Island, Spitzbergen und
Grönland, überhaupt jenseits des 67sten Grades sieht man ihn nicht.
Mit dem April schon zeigen sich die ersten Häringe, reichlicher
aber im Mai und Juni, wo sie Bänke oder Heere von 5 bis 6
Meilen Länge, 2 bis 3 Meilen Breite und einer ansehnlichen Tiefe
bilden. Ihre Menge erfüllt, so zu sagen, den Ocean, und einge-
worfene Lanzen bleiben zwischen ihnen stecken. So wie sie sich an die
Oberfläche erheben, gewährt ihre Menge einen prächtigen Anblick; ihre
Bewegungen verursachen ein Geräusch, wie das Plätschern des Regens.
■ Der Häringsfang war bei den Holländern schon im Jahre
1164 im Gange und erreichte im siebenzehnten Jahrhundert seine
größte Höhe, so daß er der rechte Arm und die Stärke des Landes
genannt wurde. Schon damals beschäftigte der Häringsfang fast
eine halbe Million Menschen und brachte jährlich 100 Millionen
Gulden ein. Durch dieses Geschäft wurden die kleinsten Knaben
mit der See vertraut und bildeten sich zu unerschrockenen, den Tod
verachtenden Matrosen.
Alle nordischen Länder, ja auch Frankreich und Spanien, neh-
men Antheil am Häringsfang; doch hat England das Meiste dieses
Erwerbszweiges, der selbst die Goldminen von Peru an Werth über-
trifft, an sich gerissen, und mit 1200 Fahrzeugen werden dort jedes
Jahr 50,000 Tonnen, also 50 Millionen Häringe, gefangen.
Die Fahrzeuge, deren man sich beim Häringsfang bedient, sind
sehr lang und werden von zwei Kriegsschiffen begleitet, welche so-
wohl zum Schutze, als auch zur Aufnahme von Kranken dienen.
Sobald die Häringe ankommen, werden große, oft 1200 Fuß lange
Netze ausgespannt, welche oben durch leere Tonnen gehalten, unten
aber mit Steinen beschwert sind, so daß sie durch das eingesogene
Wasser steif wie eine feste Wand stehen. Die von Hans gefertigten
halten nur ein Jahr, man macht sie daher jetzt von gelber per-
sischer Seide, welche doch wenigstens 3 Jahre halten. Die ankom-
menden Häringe gehen oft augenblicklich in diese Netze hinein, in
denen sie mit ihren breiten Kiemendeckeln hängen bleiben, und ge-
wöhnlich kann man schon nach zwei Stunden das Netz auswinden.
Die schnell sterbenden Fische werden herausgenommen, ihnen die
Kehle aufgeschnitten, die Kiemen und Därme herausgenommen und
sie dann vorläufig in Fässer mit Seewasser gethan. Darauf werden
sie ausgewaschen, in Salzsäcke gelegt und endlich bei ihrer Ankunft
ordentlich in Tonnen, mit Schichten Seesalz dazwischen, verpackt.
Werden, die Häringe geräuchert, so nennt man sie Pöcklinge. *
Der Häring ist eine gesunde Speise, ja man hat ihn wegen
207
des Reizes, den er verursacht, selbst als eine Art Heilmittel benützt,
und namentlich die Häringsmilch gegen die Luftrohrenschwindsucht
empfohlen. Wo er häufig gefangen wird und nicht eingesalzen wer-
den kann, benützt man seinen Thran und verwendet ihn auch oft als
Düngnngsmittel. (Nach F. S. Voigt.)
13. Die Bienen.
Sowohl die wilden, als auch die zahmen Bienen halten sich
in großen Gesellschaften zusammen, die aus etlichen tausend Mit-
gliedern bestehen; man nennt eine solche Gesellschaft einen Schwarm.
In jeder Gesellschaft befinden sich dreierlei Bienen, die nicht nur in
ihrer äußern Gestalt, sondern auch in ihrem innern Baue von ein-
ander verschieden sind. Die erste und vornehmste ist die Königin
lMutterbiene oder der Weisel), welche die ganze Gesellschaft zu-
sammenhält, und nach deren Tod oder Entfernung dieselbe in eine
gänzliche Unthätigkeit geräth und sich allmählig zerstreut, wofern
nicht ihre Stelle bald durch eine neue Königin ersetzt wird. Sie
ist zwar nicht die größte Biene, hat aber einen gestrecktern Leib, als
die übrigen, eine lebhaftere, etwas röthliche Farbe, kürzere Flügel,
die kaum den halben Hinterleib bedecken, hohe, braune Füße und einen
langen Stachel. Dieses Stachels bedient sie sich nur im äußersten
Nothfalle, wenn sie gedrückt oder sehr geneckt wird. Sonst kann
man sie ohne Gefahr auf der Hand herumkriechen lassen; denn da
von ihrem Leben das Wohl der ganzen Gesellschaft abhängt und
mit einem Stiche gewöhnlich auch d'er Verlust des Stachels und
der Tod verbunden ist: so hält ein geheimer Naturtrieb sie von
einem leichtsinnigen, für sie und ihr Reich gefahrvollen Gebrauche
ihrer Waffe zurück. So wenig aber ein Schwarm ohne eine Kö-
nigin bestehen kann, eben so wenig wird mehr als eine geduldet.
Sobald durch einen Zufall sich zwei oder mehrere in einem Stocke
einfinden, so entsteht gleich ein allgemeiner Aufruhr. Man nimmt
eine in Schutz und bringt die andern um, oder der Haufe theilt
sich und es bildet sich unter Anführung jeder einzelnen Königin ein
neues Reich. _ Die Ehrfurcht, welche die gemeinen Bienen gegen ihre
Kömgin bezeigen, ist außerordentlich. Ein ansehnliches Gefolg be-
gleitet sie überall, wo sie hingeht, und dieses scheint kein anderes
'Geschäft zu haben, als der Königin aufzuwarten. Die Begleiter
reichen ihr von Zeit zu Zeit Honig dar und putzen und streicheln
sie mit ihren Rüsseln. Und in welche Gegend des Stockes sie hin-
kommt, da verbreitet sie neues Leben und neue Thätigkeit; man ar-
beitet dann, beseelt durch die Königin, noch einmal so rasch.
Nächst der Königin sind die Drohnen oder die männlichen
Bienen zu bemerken, welche sich durch ihre Größe, woran sie alle
übrigen im Stocke übertreffen, leicht unterscheiden lassen. Sie haben
208
sehr große Augen, dir beinahe den ganzen Kopf einnehmen, kurze
Flügel, einen kürzeren und feineren Rüssel und gar keinen Stachel.
Von Ansehen sind sie viel rauher, als die andern, auch dicker, dabei
auch sehr träge. Sie fliegen selten aus; nur bei heißem Wetter
zur Mittagsstunde entfernen sie sich zuweilen eine kurze Zeit. Ihre
vornehmste Bestimmung ist, für die Forterhaltung des Schwarmes
zu sorgen. Endlich sieht man auch noch in einem Stocke eine Menge
kleinerer Bienen, wovon eine halb so schwer ist, als eine Drohne,
aber verhältnißmäßig längere Flügel und einen Stachel hat. Man
nennt sie Werk- oder Arbeitsbienen, weil sie allein alle Arbeit ver-
richten. Sie bauen die Zellen, machen Honig und Wachs, reinigen
die Wohnung und schaffen allen Unrath, todte Bienen, Würmer und
andere faulende Sachen hinaus. Ist ihnen ein Körper zu schwer,
so überziehen sie ihn mit Wachs, damit er durch seine Verwesung
die Luft nicht verunreinige. Ihres eigenen KotheS entledigen sie sich
außerhalb des Stockes. Andere halten an dem Flugloche Wache,
um gemeinschaftliche Feinde abzuhalten; wieder andere füttern die
Jungen u. s. w. Zu einem vollkommenen Schwarme gehören nun
ungefähr zwanzigtansend Arbeitsbienen, anderthalbtausend Drohnen
und eine Königin^ Wenn diese beisammen sind, so fangen sie an,
sich in irgend einer bequemen Höhle — die zahmen in den für sie
bestimmten Stöcken oder Körben '—• eine zweckmäßige Wohnung an-
zulegen, und zwar übernehmen, wie schon gesagt, blos die Arbeits-
bienen dies Geschäft. Die aus Wachs gefertigten Zellen bewohnen
nicht die Bienen, sondern sie ksaben eine doppelte Bestimmung; einige
dienen zur Aufbewahrung des Honigs, "andere zu Nestern für die
junge Brut. Auf einen Stock, welcher 50,000 Zellen enthält, rechnet
man 30,000 für den Honig, die übrigen sind für bie Brut bestimmt.
14. Der Seidenspinner.
Ihr habt doch gewiß schon von dem Seidenwurme gehört, von
dem unsre Seide kommt? Nun, das ist eben die Raupe, aus wel-
cher der Seidenspinner, eines der nützlichsten Infekten, entsteht.
Glaubt ja nicht, daß der Seidenspinner schön aussieht. Er ist
ein Nachtvogel, ungefähr einen Zoll lang und mit ausgespannten
Flügeln 2 Zoll breit. Er hat gelblichweiße Flügel mit 3 blaß-
braunen Streifen und kammartige Fühlhörner. Das Weibchen legt
in einigen Tagen 300—500 Eier, die so groß sind wie Hirsekörner.
Durch eine Wärme von 18—20 Graden werden diese Eier in
6—8 Tagen ausgebrütet. Die kleinen Räupchen, die erst weiß sind,
bann braun werden und zuletzt einen schwarzen Kopf bekommen,
wachsen schnell. Sie sind sehr gefräßig, wie alle andere Raupen,
rühren aber Nichts an, als die Blätter des weißen Maulbeerbaums,
209
wenigstens will ihnen nichts Anderes recht schmecken und zusagen.
Sie häuten sich 4—5 Mal, und zwar beinahe jede Woche einmal.
So lebt und frißt nun diese Raupe 6—7 Wochen lang. Fünf bis
acht Tage nach der letzten Häutung fängt sie endlich an, sich ein-
zuspinnen, was sie vorher dadurch zu erkennen giebt, daß sie nicht
mehr frißt, sondern mit Fäden im Munde und mit ausgerichtetem
Halse unruhig umher läuft, um einen Ort zu suchen, an dem sie
die Fäden befestigen kann. Hat die Raupe endlich diesen Ort, näm-
lich dürre Ruthen von Birken- oder andern Reisern gefunden, so klebt
sie zwei sehr feine Tröpfchen eines klebrigen Saftes an die Ruthen
-an, bewegt den Kopf hin und her und bringt so zwei sehr dünne
Fäden aus den Oeffnungen heraus, die sie geschickt mit den beiden
Vorderfüßen zu einem Faden zu verbinden weiß. Zuerst spinnt sie
ein weitläufiges, verworrenes und durchsichtiges Gewebe, aus wel-
chem Floretseide kardätscht wird.
Den zweiten Tag zieht sie die Fäden um sich herum und bildet
Len eigentlichen Kokon (d. h. Seidenhäuschen), in dessen Mitte sie
sich befindet. Ein solcher Kokon, der ziemlich die Größe und die
Gestalt eines kleinen Taubenei's hat, besteht aus einem einzigen
Doppelfaden, der 900 -1200 Fuß lang ist. Dies ist nun unsere
Seide, d-ie man nicht erst zu spinnen braucht, wie den Flachs oder
die Baumwolle, denn das hat ja die Raupe schon gethan. Man
darf nur 10—12 Kokons mit einander abhaspeln und sie zwirnen.
Läßt man aber der Puppe, die sich im Innern befindet, Zeit, sich
in einen Schmetterling zu verwandeln (wozu sie 14-20 Tage ge-
braucht), so durchbricht der Schmetterling seine Hülle, und der durch-
löcherte Kokon kann dann nicht mehr abgewunden und benutzt wer-
den. Um diesen Schaden zu verhüten, schiebt man die Kokons in
einen mäßig heißen Backofen, wo die Puppen ersticken, oder man
wirst sie in siedendes Wasser.
Das Vaterland der Seidenraupen ist China und Ostindien.
Dort leben sie auch wild auf Maulbeerbäumen, die ganz mit Ko-
kons behängen sind. Im Jahr 551 n. Chr. brachten zwei Mönche
den Seidenspinner mit nach Europa, indem sie die Eier desselben
in ihren hohlen Stöcken aufbewahrten. Gegenwärtig breitet sich
selbst in Deutschland der Seidenbau immer mehr aus. Allein bei
uns kann er nur in Zimmern betrieben werden und erfordert große
Mühe und Sorgfalt. (Jerrer und Reichenbach.)
15. Die Spinnen.
1.
Die Spinne ist ein verachtetes Thier; viele Menschen fürchten
sich sogar davor, und doch ist sie auch ein merkwürdiges Geschöpf
_ Reiser, der Volkèschülcr i. d. Oberklasse. 14
210
und hat in der Welt ihren Nutzen. Zum Beispiel: die Spinne
hat nicht zwei Augen, sondern acht. Mancher wird dabei denken,
da ist es keine Kunst, daß sie die Fliegen und Mücken, die an ihren
Fäden hängen bleiben, so geschwind erblickt und zu erhaschen weiß.
Allein das macht's nicht aus, denn eine Fliege hat nach den Unter-
suchungen der Naturkundigen viele hundert Augen, und nimmt doch
das Netz nicht in Acht und ihre Feindin, die groß genug darin sitzt.
Was folgt daraus? Es gehören nicht nur Augen, sondern auch Ver-
stand und Geschick dazu, wenn man glücklich durch die Welt kommen
und in keine verborgene Fallstricke gerathen will. — Wie fein ist
ein Faden, den eine Spinne mit der größten Geschwindigkeit von
einer Wand bis an die andere zu ziehen weiß! Und doch versichern
abermals die Natnrkundigen, daß ein solcher Faden, den man kaum
mit bloßen Augen sieht, wohl sechstausendfach zusammengesetzt seyn
könne. Das bringen sie so heraus: Die Spinne hat an ihrem
Körper nicht nur eine, sondern sechs Drüsen, aus welchen zu gleicher
Zeit Fäden hervor gehen. Aber jede von diesen Drüsen hat wohl
tausend feine Oeffnungen, von welchen keine umsonst da seyn wird.
Wenn also jedes Mal aus allen diesen Oeffnungen ein solcher Faden
herausgeht, so ist an der Zahl 6000 Nichts auszusetzen, und dann
kann man wohl begreifen, daß ein solcher Faden, obgleich so fein,
doch auch so fest seyn könne, daß das Thier mit der größten Sicher-
heit daran ans- und absteigen und sich in Sturm und Wetter darauf
verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Geschicklichkeit
dieser Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und
unverdrossenen Arbeit zuschaut, und amden großen, weisen Schöpfer
denken, der für Alles sorgt und solche Wunder in einem so kleinen
und unscheinbaren Körper zu verbergen weiß?
* 2.
Das mag Alles gut seyn, denkt wokfl Mancher, wenn sie nur
nicht giftig wären, und läuft davon oder zertritt sie, wo er eine
findet. Aber wer sagt denn, daß unsere Spinnen giftig seien? Noch
kein Mensch ist in unsern Gegenden von einer Spinne vergiftet wor-
den. Giebt es nicht hie und da Leute, die sie aufs Brod streichen
und verschlucken? Wohl bekomm's, wem es schmeckt! Auch sonst
thun diese Thierlein, die nur für die Erhaltung ihres eigenen Lebens
besorgt sind, keinem Menschen Etwas zu Leide. Im Gegentheil
leisten sie in der Natur einen großen Nutzen, den man aber, wie
es oft geschieht, nicht hoch anschlägt, weil jedes einzelne wenig dazu
beizutragen scheint. Es ist das Geringste, daß sie hie und da einer
Stubenfliege den Garaus machen. Für diese wäre noch anderer
Rath. Aber sie verzehren jährlich und täglich eine große Anzahl
anderer sehr kleiner Mücklein,- die uns durch ihre Menge erstaunend
211
beschwerlich und schädlich werden, und gegen welche man sich nicht
erwehren könnte, wenn sie überhand nähmen. Sind nicht manchmal
ganze Ackerfurchen mit Spinnengewebe überzogen und glänzen im
Morgenthau? Da geht manches Mücklein zu Grunde, das die auf-
keimende Saat vielleicht angegriffen und verletzt hätte.
Ein Gefangener machte einst in seinem einsamen Kerker eine
Spinne so zahm, daß sie seine Stimme kannte und allemal kam,
wenn er sie lockte und Etwas für sie hatte. Sie verkürzte ihm an
einem Orte, wo kein Freund zu ihm kommen konnte, manche trau-
rige Stunde. Aber als der Kerkermeister es merkte, brachte er sie
um's Leben. Was ist verabscheuungswürdiger, ein solches Thier,
das doch noch einem Unglücklichen einiges Vergnügen machen kann,
oder ein solcher Mensch, der dem Unglücklichen auch dieses Ver-
gnügen mißgönnt und zerstört? — Ein anderer Gefangener, der
sonst Nichts zu thun wußte, gab lange Zeit auf die Spinnen Acht
und merkte, daß sie auch Wetterpropheten seien. Bald ließen sie
sich sehen und arbeiteten, bald nicht. Einmal spannen sie träge, ein
andermal hurtig, lange Fäden oder kurze, einmal näher zusammen,
einmal weiter aus einander, so oder so, und endlich konnte er daran
erkennen, was für Wetter kommt, Sturm, Regen oder Sonnenschein,
anhaltend oder veränderlich. Also auch dazu sind sie gut, und
wenn sich Jemand verwundet hat und findet geschwind ein Spinnen-
gewebe, das er auf die blutende Wunde legen kann, so ist er doch
auch froh darüber. Wenn es rein ist, so kann es Blut und Schmer-
zen stillen. Wenn es aber voller Staub ist, so schmerzt es noch
mehr, weil der unreine Staub in die Wunde kommt.
3.
Eine gefürchtete Spinne, die Tarantel, lebt in dem untern
heißen Italien. Diese soll wohl den Menschen beißen und durch den
giftigen Biß krank und schwermüthig machen. Ein Mittel dagegen
soll ein gewisser Tanz seyn, die Tarantala genannt. Wenn die
Kranken die Musik dazu hören, so fangen sie an zu tanzen, bis sie
vor Müdigkeit umfallen,' und sind alsdann genesen. Es ließe sich
wohl begreifen, daß durch die heftige Bewegung das Gift aus dem
Körper herausgetrieben werde. Allein es ist doch, wie man für
gewiß weiß, viel Einbildung und Uebertreibung dabei und wohl
auch Betrug.
Ein anderes merkwürdiges Thier dieser Art lebt in Amerika und
heißt Buschspinne. Diese nimmt nicht mit Stubenfliegen und Mück-
lein vorlieb. Nein, den Kolibri's geht-sie nach, greift sie an und
zwingt sie, tödtet sie und saugt ihnen das Blut und die Eier aus.
Worüber soll man sich am meisten verwundern', über die große
Spinne oder über die kleinen Vögel? (I. P. Hebel.)
212
16. Die Schnecken.
Von den Schnecken, die zu der Klasse der Würmer gehören,
sind euch ohne Zweifel mehrere Gattungen bekannt. Ihr habt in
den Gärten eurer Eltern ganz kleine Schneckchen gesehen, die manch-
mal am Salat und an andern Pflanzen sitzen, dann wieder große
nackte, schwarze und braune, die an Wegen, in Hecken und in Wäl-
dern herumkriechen, und dann kleine und große Schnecken, die in
Schalen oder Gehäusen stecken, welche sie immer mit sich herum
tragm und in die sie sich ganz zurück ziehen können. Die letztere
Art nennt man Weinbergsschnecken. Sie werden besonders in
Süddeutschland gern gegessen, zu welchem Zwecke man sie den Som-
mer hindurch sammelt und in sogenannten Schnecken gärten ver-
wahrt. Es sind dies Behälter, die einem Frühbeete gleichen und
worin man die Schnecken so lange mit Kohl- und andern Blättern
füttert, bis sie sich im Herbste verkriechen und ihre Häuser schließen,
worauf man sie in Fässer packt und versendet.
Es ist bemerkenswert!), auf welche Weise dieses nnbehilfliche
Thier sein Haus vergrößert, wenn es ihm zu klein geworden ist.
Es bestreicht nämlich den Rand oder die Oefsnung desselben mit
einem klebrigen Schleim, den es ausschwitzt und der nach und nach
hart wird. Man kann diese neuangesetzten Ringe schon der Farbe
nach von dem alten Hause deutlich unterscheiden. Aus gleiche Weise
hilft es sich auch, wenn sein Gehäuse etwa durch einen Fall, einen
Druck oder Schlag ein Loch bekommen hat; in wenigen Tagen ist
es wieder zugewachsen. Auch in den Flüssen und Meeren giebt es
Schnecken, die theils in einschaligen, gewundenen Gehäusen stecken,
theils aber auch in zwei- und mehrtheiligen Schalen wohnen und
Muscheln genannt werden. Zu diesen gehören die Perlmutter-
und Perlenmuschel, so wie die Austern, die von vielen reichen
Leuten als seinschmeckende Leckerei verspeist werden. Mehrere andere
Seeschnecken und Muscheln sind ebenfalls eßbar; viele haben aber
auch so schön geformte und buntgefärbte, porzellanartige Schalen,
daß das Stück von manchem Sammler solcher Seltenheiten mit
mehreren Thalern bezahlt wird. #
17. Die Jnfusionsthierchen.
Es giebt, Die ihr schon öfter gehört habt, Instrumente, die
aus geschliffenen Gläsern so künstlich zusammengesetzt sind, daß sie
ganz kleine Gegenstände, die man durch dieses Instrument betrachtet,
ungeheuer vergrößern. Solche Instrumente nennt man Mikroskope,
und unter diesen vergrößert das Sonnenmikroskop am meisten. In
213
einem dunklen Zimmer wird dasselbe in eine Oeffnung des Fenster-
ladens so eingefügt, daß der durch dasselbe hereingelassene Sonnen-
strahl auf eine große gegenüberliegende Wand fällt, auf welcher auch
die in das Instrument gebrachten Gegenstände ungeheuer vergrößert
erscheinen, so, daß ein Haar wie ein Baumstamm erscheint. Bringt
man einen kleinen Tropfen faules Wasser unter das Mikroskop,
so bemerkt man in demselben eine Menge kleiner Thierchen von der
sonderbarsten Gestalt, von welchen man mit bloßem Auge nicht das
Geringste bemerkt. Ihr Leib ist nackt oder bei einigen auch mit
einer Art Schale oder Panzer umgeben. An allen bemerkt man
eine Mundöffuung, an welcher sich Wimpern befinden, wie an den
Augen der Menschen. Durch eine zitternde Bewegung dieser Wim-
pern, die auch als Werkzeuge zum Fangen und Festhalten dienen, trei-
ben sie Wasser in den Schlund. Bei einigen dieser Thierchen stehen
dergleichen Wimpern auf dem ganzen Leib; andere haben Borsten,
Hörnchen und Schnauzen. Sie können sich auf verschiedene Arten
bewegen, schießen oft schnell vorwärts, halten plötzlich an, kehren um
und weichen sich aus, drehen sich im Kreise, wälzen sich und können
sich verlängern, verkürzen, erweitern und verengern. Einige dieser
Thiere gleichen kleinen Kügelchen, andere sind fadenförmig, und noch
andere bilden Sterne oder Rüderchen. Sie vermehren sich theils
durch Eier, theils durch Zertheilung und Sprossenbildung. Sie ent-
stehen in faulendem Wasser und andern Flüssigkeiten, und bilden sich
auch im Buchbinderkleister, selbst wenn er Jahre lang vertrocknet
war und man warmes Wasser auf denselben gießt, weßhalb man
diese Thierchen Jnfusions- oder Ansgußthierchen nennt.
Wie unendlich klein müssen diese Thierchen seyn, deren Hunderte
sich in einem Wassertropfen bewegen! Wie klein müssen wir uns
ihre Körpertheile denken! Aber wo nehmen wir erst Worte her, um
die Feinheit der Säfte zu bezeichnen, welche die Eingeweide und
Gesässe dieser Thiere durchdringen! — Wie gering und nichtig sind
die größten Werke des Menschen gegen die unscheinbarsten Werke
des Schöpfers! —
18. Ueber die Vermehrung und Verbreitung der Pflanzen.
Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungskraft,
wie jeder aufmerksame Landwirth wohl am besten weiß. Daß eine
einzige Pflanze, so lange sie lebt, 1000 Samenkörner hervorbringen
kann, ist zwar schon viel gesagt; — nicht jede trägt's, aber es
ist auch noch lange nicht das Höchste, denn man hat schon an einer
einzigen Tabakspflanze 40,000 Körnlein gezählt, die sie in einem
Jahre zur Reife brachte. Man glaubt, daß eine Eiche 500 Jahre
leben könne. Aber wenn wir uns nun vorstellen, daß sie in dieser
214
langen Zeit nur fünfzig Mal Früchte trage, und jedes Mal in
ihren weitverbreiteten Aesten und Zweigen nur 500 Eicheln, so liefert
sie doch 25,000, wovon jede die Anlage hat, wieder ein solcher
Baum zu werden. Gesetzt, daß dieses geschehe, und es geschehe
dann bei jeder von dieser wieder, so hätte sich die einzige Eiche in
der zweiten Abstammung schon zu einem Walde von 625 Millionen
Bäumen vermehrt. Wie viel aber eine Million oder 1000 mal 1000
sei, glaubt man zu wissen, und doch erkennt es nicht Jeder. Denn
wenn ihr ein ganzes Jahr lang, vom 1. Januar bis 31. Dezember,
alle Tage 1000 Striche an eine große Wand schreibet, so habt ihr
am Ende des Jahres noch keine Million, sondern erst 365,000
Striche, und das zweite Jahr noch keine Million, sondern erst
730,000 Striche, und erst am 26. September des dritten Jahres
würdet ihr zu Ende kommen. Aber unser Eichenwald hätte 625
solcher Millionen, und so wäre es bei jeder andern Art von Pflan-
zen nach Proportion (d. h. nach Verhältniß) in noch viel kürzerer
Zeit, ohne an die zahlreiche Vermehrung durch Augen, Wurzel-
sprossen und Knollen zu gedenken. Wenn man sich also einmal über
diese große Kraft in der Natur gewundert hat, so hat man sich über
den großen Reichthum an Pflanzen aller Art nicht mehr zu wundern.
Obgleich viele tausend Körner und Körnlein alle Jahre von Men-
schen und Thieren verbraucht werden, viele tausend im Boden er-
sticken oder im Aufkeimen durch ungünstige Witterung und andere
Zufälle wieder zu Grunde gehen, so bleibt doch, Jahr aus Jahr-
ein ein erfreulicher und unzerstörbarer Ueberfluß vorhanden. Auf
der ganzen weiten Erde fehlt es nirgends an Gesäme, überall nur
an Platz und Raum.
Wenn jeder reife Kern, der sich von seiner Mutterpflanze ab-
löst, unter ihr zur Erde fiele, liegen bliebe und alle aus einander
lägen, so könnte keiner gedeihen; und wo vorher keine Pflanze war,
käme auch keine hin. Das hat die Natur vor unö bedacht und
nicht auf unsern guten Rath gewartet, denn einige Körner, wenn
sie reif sind, fliegen selbst durch eine verborgene Kraft weit aus-
einander, die meisten sind klein und leicht und werden durch jede
Bewegung der Lust davon getragen;- manche sind noch mit kleinen
Federchen besetzt, wie z. B. der Löwenzahn, dessen Samen die Kin- v
der zum Vergnügen auseinander blasen und so der Natur auch einen
kleinen Dienst thun, ohne es zu wissen; andere gehen in zarte, breite
Flügel aus, wie die Samenkörner von Nadelholzbäumen. Wenn
die Sturmwinde wehen, wenn die Wirbelwinde, die im Sommer
vor den Gewittern hergehen, Alles von der Erde aufwühlen und in
die Höhe führen; dann säet die Natur aus und ist mit Wohlthun
beschäftigt, während wir uns fürchten oder über sie klagen und
zürnen; dann fliegen, schwimmen und wogen eine Menge von un-
215
sichtbaren Keimen in der bewegten Luft herum, welche weit und
breit niederfallen und von dem nachfolgenden Staube bedeckt werden.
Bald kommt der Regen und befeuchtet diesen, und so wird's auf
Flur und Feld, in Berg und Thal auch wahr, daß Etliches auf
dem Wege ffertreten oder von den Vögeln des Himmels gefressen
wird, Etliches unter den Dornen zu Grunde geht, Etliches auf dem
trockenen Felsengrunde in der Sonnenhitze erstirbt, Etliches aber gut
Land findet und hundertfältige Frucht bringt. Ferner sind manche
Kerne für den Wind zu groß und zu schwer, aber sie sind rund
und glatt, rollen auf der Erde weiter, und werden durch jeden leich-
ten Stoß von Menschen oder Thieren fortgeschoben. Andere sind
mit umgebogenen Spitzen oder Häklein versehen, womit sie sich an
das Fell der Thiere oder an die Kleider der Menschen anhängen,
werden so fortgetragen und an einem andern Orte wieder weggestreift
oder abgelesen und ausgesäet, und der es thut, weiß es nicht oder
denkt nicht daran. Viele Körner gehen unverdaut und unzerstört
durch den Magen und die Gedärme der Thiere, denen sie zur Nah-
rung dienen sollen, und werden an einem andern Orte wieder ab-
gesetzt. So haben wir ohne Zweifel durch Zugvögel schon manche
Pflanze ans fremden Gegenden bekommen, die jetzt bei uns daheim
ist und guten Nutzen bringt. So gehen aus hohen Gemäuern und
Thürmen Kirsch- und andere Obstbäume auf, wohin gewiß kein Mensch
den Kern getragen hat. Noch andere fallen von den überhangenden
Zweigen in's Wasser, oder sie werden durch den Wind, sowie durch
Uebcrschwemmungen in die Ströme fortgerissen und weiter geführt
und an andern Orten durch neue Ueberschwemmungen wieder aus
dem Lande abgesetzt. Ja, einige schwimmen auch wohl auf den
Strömen bis in's Meer, erreichen das jenseitige Gestade und Heimen
sich alsdann in einer landfremden Erde ein. Es sind da und dort
schon Pflanzen als Unkraut ausgegangen, von denen man wohl
wissen kann, daß der Same dazu auf diese Art über das Meer ge-
kommen sei. Also müssen alle Kräfte und Elemente die wohlthätigen
Absichten des Schöpfers befördern: Schnee und Regen, Blitz und
Hagel, Sturm und Winde, die seine Befehle ausrichten.
(I. P. Hebel.)
19. Die Giftpflanzen..
Iß nicht, was du nicht kenn st!
Die Tollkirsche und die Einbeere.
An einem heißen Sommernachmittage machte Vater Hermann
mit seinen Kindern Adolph, Josephs und Rosa einen Spaziergang
in den Wald. Es gieng eine gute Strecke bergan, und da die Kin-
der gleich anfangs stark gelaufen waren, fühlten sie sich bald sehr
216
ermattet und klagten über Durst. Endlich erreichten sie den Wald,
wo cs schattig und kühl war; die Kinder liefen voraus, und plötz-
lich rief Adolph, welcher einige Schritte vorangeeilt war: „Kirschen,
Kirschen, kommt schnell herbei!" Da liefen die andern Kinder schnell
hinzu, und Alle wollten sich eilig über einen Strauch h^machen, der
voll großer, schwarzer Beeren hieng, die den schönsten und größten
Herzkirschen ähnlich sahen. „Rührt die Kirschen nicht an," rief der
Vater, indem er ebenfalls herbei lies, „sie würden euch den Tod
bringen, wenn ihr sie essen würdet, denn sie enthalten ein gefähr-
liches Gift. — „Sind es denn keine rechte Kirschen?" fragte der kleine
Joseph. — „Nein," erwiderte der Vater; „seht ihr denn nicht, daß
sie an keinem Baume, sondern an einem kaum mannshohen Strauche
sitzen? Es sind Tollkirsche!!, deren Genuß die schrecklichsten Schmer-
zen und zuletzt den Tod verursacht. Sehet euch nur den Strauch
genau an, damit ihr ihn künftig besser kennet und auch Andere vor
dem Genusse dieser gefährlichen Beeren warnen könnet. Ihr sehet,
die Blätter dieses Strauches sind länglich zugespitzt, was man
lanzettförmig nennt, weil ihre Form einer Lanze gleicht. Die
Blüthen,- welche im Juli erscheinen, sind gelbe, am Rande blau-
röthlich eingefaßte Glöckchen, und die Beeren, die daraus entstehen,
sehen anfangs braun aus und werden nachher schwarz."
„Und seht nur," fuhr der Vater fort, „da stehen noch andere,
ebenso gesährliche^Gewächse in der Nähe." Zugleich zeigte er mit
dem Stocke ans einige Pflanzen hin, die an einem dünnen, fußhohen
Stengel vier breite, zugespitzte Blätter trugen, über denen sich ein
zwei Zoll langer, dünnerer Stengel erhob, der eine einzige, blau-
schwarze Beere trug, die einer großen Schlehe glich. „Es ist dieses
die vierblätterige Einbeere," sagte der Vater, „und ihr Genuß er-
regt Erbrechen, Magenkrampf und viele andere schmerzhafte Zufälle."
„Aber, lieber Vater," sagte Adolph, „warum mag doch wohl
der liebe Gott solche giftige Pflanzen erschaffen haben?" — „Liebes
Kind," antwortete der Vater, „glaube nur immer, daß Alles, was
der Allweise und Allgütige geschaffen und angeordnet hat, auch stets
gut und weise seyn müsse, wenn wir Menschen das schon nicht
immer einsehen und begreifen können. Sieh, diese und viele andere
Giftpflanzen werden durch die Kunst der Aerzte in die wirk-
samsten Arzneimittel verwandelt, durch -welche oft die hartnäckigsten
Krankheiten geheilt werden. Wir Menschen aber können uns wohl
vor den gefährlichen Wirkungen dieser Pflanzen schützen; wir können
sie kennen lernen und ihren Genuß vermeiden, und ich werde euch
nach und nach alle bei uns vorkommenden Giftpflanzen zeigen und
beschreiben. Kinder aber, welche diese Pflanzen nicht kennen, sollen
sich immer nach dem Spruch richten: Iß nicht, was du nicht kennst!"
»
217
20. Giftige Schwämme.
Der 3Peg, den unsere kleine Reisegesellschaft eingeschlagen hatte,
zog sich jetzt durch ein Tannenwäldchen, in dem viele Schwämme
umherstanden. Die muntern Knaben sprangen lustig umher, rissen
einige Schwämme ab und warfen mit denselben, nach einander.
„Laßt das gut seyn!" rief ihnen der Vater zu, „ihr könntet euch
mit einem scharfen Pilze in die Augen treffen, wie das mir selbst
in meiner Jugend begegnete, und da würdet ihr wenigstens heftige
Schmerzen auszustehen haben." — „Sind denn etwa diese Schwämme
auch giftig?" fragte Gustav. — „Ja wohl, die meisten," erwiderte
der Vater.— „Aber ich habe doch gehört," sagte die kleine Rosa,
„daß man die Pilze kochen und essen könne." — „Allerdings ist dies
der Fall," entgegnete der Vater; „es giebt wohl auch unschädliche
und eßbare Pilze, wie z. B. den Kaiserling, den Honigtäub-
ling und mehrere Gattungen von Morcheln; aber diese hier sind
lauter Giftschwämme. Der Schwamm dort mit dem weißen
Strunk und dem hochrothen, weißgefleckten Hut heißt
Fliegcnblätterschwamm, weil man damit Fliegen tobtet, indem man
einige Stücke in Milch legt und diese für die Fliegen aufstellt. Man
muß aber Sorge tragen, daß keine Kinder dazu kommen können;
denn der Genuß dieses Giftes bewirkt schon nach ein Paar Stunden
Zusammenziehen der Kehle, Angst, Ohnmacht, Zittern, heftiges
Grimmen und oft schon nach 24 Stunden den Tod.
„Dort steht der Giftreizger oder Milchblätterschwamm. Er
ist ganz weiß und hat anfangs einen runden Hut, welcher aber
später halbkugelförmig und glatt wird. Seine Oberfläche, die sich
wie feines Pergament anfühlt, ist mit einem glänzenden Schleime
bedeckt.
„Fast ebenso gefährlich ist die Giftmorchel, die ihr hier seht.
Sie gleicht zuerst einem Hühnerei, bricht aber nachher in Lappen
auseinander. Wegen ihres häßlichen Ansehens und Übeln Geruches
wird sie jedoch nicht leicht gegessen.
„So, liebe Kinder, giebt es noch eine Menge giftiger Schwämme,
die von den eßbaren schwer zu unterscheiden sind. Man thut daher
besser, gar keine Schwämme zu essen, wenn man diese nicht sicher
und genau kennt. '
„Sollte aber Jemand unglücklicherweise giftige Schwämme ge-
nossen haben, so ist es gut, so schnell als möglich Brechen zu er-
regen, wie dies «mch bei andern Vergiftungen rathsam ist. Man
bezweckt dieses durch Kitzeln des Schlundes mit dem Bart einer
Feder oder mit dem Finger, oder man läßt viel laues Wasser trinken.
Kann man Brechweinstein haben, so giebt man 3 Gran in einem
4
218
Glase Wasser und wiederholt dies alle Viertelstunden, bis Erbrechen
erfolgt. Wenn die Pilze abgehen, ist Nichts mehr zu fürchten. Bei
heftigem Grimmen giebt man schleimige Getränke von Leinsamen
und Eibischwurzeln, läßt warme Milch trinken und tzgt Blutegel
an den Unterleib. Ist der Kranke betäubt, so macht man kalte Um-
schläge ans den Kops, giebt Fußbäder von Essig und läßt zur Ader."
21. Der Stechapfel, das Bilsenkraut und der Seidelbast.
Der Vater führte jetzt seine Kinder auf die Höhe des Berges,
wo man auf den Trümmern einer zerfallenen Burg eine prachtvolle
Aussicht auf die Umgegend genoß. Die Kinder freuten sich an dem
freundlich schönen und zugleich erhabenen Bilde, das ihnen die zu
ihren Füßen sich ausbreitende Landschaft darbot. Vor ihnen dehnte
sich ein langes Thal aus, welches ein ansehnlicher Fluß rauschend
durchströmte und das sich nach und nach in eine unabsehbare Ebene
verlor. Ueberall erblickte man freundliche Dörfer von Obstbäumen,
üppigen Fruchtfeldern und grünenden Wiesen umgeben. Zur rechten
Seite zog sich eine hohe Bergreihe hin, deren Scheitel mit dunkel-
grünen Wäldern besetzt war, während der Abhang den darauf gra-
senden Rinder- und Schafheerden die reichlichste Weide darbot. „Die
Welt ist aber doch recht schön!" rief der kleine Joseph aus. — „Ja,
ja," erwiderte Rosa, „wenn es nur keine giftige schlangen und
reißende Thiere auf der Erde gäbe und keine Giftpflanzen darauf
wüchsen!" — „Schlangen und reißende Thiere giebt es bei uns nicht,"
entgegnete Gustav, „und giftige Pflanzen lassen wir künftig unbe-
rührt!" — „Da hast du Recht, Gustav," fiel der Vater ein; „ich
habe euch schon gesagt, daß Alles in der Welt seinen Nutzen habe,
wenn wir kurzsichtige Menschen dies schon nicht immer einsehen.
Nachdem wir nun 'aber einmal angefangen haben, gefährliche Pflan-
zen kennen zu lernen, so wollen wir auch hier die sich darbietende
Gelegenheit benützen, unsere Belehrungen fortzusetzen.
„Seht ihr dort auf jenem Schutthaufen jene zwei bis drei Fuß
hohen Pflanzen mit den krautartigen Stengeln und den ungleich aus-
gezackten Blättern? Sie trägt weiße, trichterförmige Blumen und
bekommt grüne, stachlige Samenkapseln, die später braun werden
und den wilden Kastanien gleichen. Innerhalb sind sie in 4-Fächer
getheilt, welche den braunen, sehr giftigen Samen enthalten. Diese
Pflanze heißt der Stechapfel, und man muß besonders Acht geben,
daß Kinder nicht damit spielen und den Samen genießen, was unter
großen Schmerzen den Tod zur Folge haben witzle.
„Weniger gefährlich ist diese Pflanze hier, denn schon ihr
trauriges, widriges Ansehen und ihr unangenehmer Geruch halten
Jedermann ab, die Pflanze etwa in den Mund zu nehmen. Es
219
ist dieses das Bilsenkraut, das als Arzneimittel sehr gute Dienste
leistet. Es wird, wie ihr sehet, eine Elle hoch, hat wollige, aus-
gezackte Blätter und schmutziggelbe, mit dunkleren Aederchen durch-
zogene Blüthen. Die ganze Pflanze sondert eine fettige, unangenehm
riechende Feuchtigkeit ab, weßhalb man sie nicht gern berühren mag.
„Dort sehe ich auch noch ein kleines Sträuchlein, das mir selbst
einmal einen bösen Streich spielte. Es ist der Seidelbast mit sei-.
nen ruthenförmigen Stämmchen und den rothen Beeren daran. Ihr
habt seine schönen, blaßrothen Blüthen wohl noch nie gesehen, denn
sie kommen schon im Februar und Merz zum Vorschein und riechen
so angenehm, wie eine Hyazinthe. Noch als Knabe gieng ich ein-
mal durch den Wald und brach ein schönblühendes Zweiglcin von
dieser Pflanze ab, um es zu betrachten und daran zu riechen. Ich
wollte es mit nach Hause nehmen, und weil ich nicht wußte, daß
die Pflanze giftig sei, nahm ich sie in den Mund. Bald aber war
es mir, als ob ich Pfeffer im Munde hätte; ich mußte beständig
ausspucken und merkte jetzt erst, daß das Brennen in meinem Munde
von dieser Pflanze herrühre. Ich warf sie sogleich weg, bekam
aber den ganzen Mund voll Blasen, die erst nach ein Paar Tagen
wieder heilten.
„Wir wollen nun den Rückweg antreten," fuhr der Vater fort.
„Dort unten aus den Wiesen werden wir wohl Gelegenheit finden,
noch mehrere Giftpflanzen kennen zu lernen."
22. Der Gifthahnenfuß und die Schierlinge.
Im Thale angekommen, schlug der Vater einen Fußweg ein,
der unsere kleine Reisegesellschaft über viele Wiesen führte. Hier riß
der Vater eine Pflanze aus und ließ sie von den Kindern genau
betrachten. Sie war etwa anderthalb Fuß hoch, hatte einen starken,
hohlen Stengel, und die Wurzel bestand aus vielen weißen Fasern.
Die Blätter waren dreilappig und umfaßten unten am Stamme
die Aeste, welche kleine, blaßgelbe Blüthen trugen. „Seht, Kinder,"
sagte der Vater, „das ist der Gifthahnenfuß, von dem es bei uns
mehrere Arten giebt, die theils auf Aeckern, theils auf Wiesen oder
in Sümpfen wachsen. Der Saft dieser Pflanze bringt auf der Haut
Blasen hervor und kann, innerlich genommen, tödtlich wirken.
„Hier treffen wir auch den gefleckten Schierling," sprach der
Vater, indem er auf eine etwa 3 Fuß hohe Pflanze mit einem
fingerdicken, hohlen Stängel zeigte, der mit braunrothen Flecken be-
sprengt war. Betrachtet die Blätter," fuhr er fort, „sie gleichen
der Petersilie und sehen aus, als ob sie aus vielen kleinern Blätt-
chen zusammengesetzt seien. Nun wollen wir auch noch die Wurzel
sehen," sagte er, indem er die Pflanze ausriß und den Kindern die
220
gelbgraue, rübenförmige Wurzel zeigte. „Die Blüthen sind weiß,
wie ihr seht, und die kleinen Blüthen stehen in Dolden beisammen.
Die Thiere vermeiden es, durch ihren Instinkt oder Naturtrieb ge-
tütet, diese Pflanze zu berühren; nur die Ziegen fressen sie ohne
Schaden; den Menschen aber verursacht ihr Genuß heftige Schmer-
zen, oft auch Blindheit, Wahnsinn und Tod.
„Dort, an jenem sumpfigen Graben," fuhr der Vater fort,
„seht ihr eine ähnliche Pflanze, die noch gefährlicher ist, als diese.
Es ist der Wasserschierling, der auch Gistwüthcrich genannt wird.
Er hat sügenförmig gezähnte Blätter, hohle Stengel und, wie der
gefleckte Schierling, weiße Blüthen, welche Dolden bilden. Sie
haben einen scharfen, betäubenden Geruch, und alle Theile der Pflanze
enthalten einen scharfen,' giftigen Saft." Nun riß der Vater die
Pflanze aus, zeigte den Kindern die Wurzel und machte sie darauf
aufmerksam, daß sie der Sellerie ähnlich und daher auch schon mit
ihr verwechselt worden sei. Hierauf zerschnitt er sie der Länge nach
und zeigte, daß sie innerhalb Zellen und einen gelben Saft enthalte.
„Die Wurzel," setzte er bei, „ist der giftigste Theil des Wasser-
schierlings, und man kennt mehrere Fälle, in welchen ihr Genuß
einen sehr schmerzhaften Tod zur Folge hatte. So fand einmal
ein Mann in Nürnberg eine solche Wurzel und hielt sie für Sellerie,
die er sehr gerne aß. Er steckte sie daher in den kochenden Fleischtopf
und verzehrte sie zu Mittag. Auch seine Frau genoß davon; ihrem
Kinde aber wollte die Wurzel nicht schmecken. Mann und Frau
fühlten sich bald sehr unwohl, bekamen Kopsweh und unerträgliche
Leibschmerzen, woraus sich die heftigsten Krämpfe einstellten, und
nach 6 Stünden starben Beide. Das Kind, welches wenig genossen
hatte, wurde gerettet, blieb aber lange Zeit kränklich.
„Man muß besonders die Knaben vor diesen beiden Pflanzen
warnen," setzte der Vater bei, „da sip gerne mit diesen Stengeln
spielen." — „Ja, ja," sagte Gustav, „ich habe auch gesehen, daß
sie daraus Pfeifen machen." — „Das ist sehr gefährlich," erwiderte der
Vater, „denn wenn man die Pfeifen lange am Munde behält, entzün-
den sich die Lippen, der Mund schwillt an, und wenn man den Spei-
chel hinunter schluckt, können wohl noch schlimmere Folgen entstehen."
Nun begab sich die Reisegesellschaft nach Hause, und der Vater
versprach den Kindern, daß er ihnen morgen alle Giftpflanzen zeigen
werde, die man im Garten sehen könne.
23. Giftpflanzen im Garten, auf Wiesen und unter
dem Getreide.
Am Vormittage des folgenden Tages war der Vater durch
Bernfsgeschäfte verhindert, sich mit seinen Kindern zu unterhalten.
221
Nach dem Essen erinnerten sie ihn jedoch an sein Versprechen, und
Alle gicngen mit einander in den Garten. Hier wurde zuerst die
Petersilie durchsucht. Der Vater zog endlich eine Pflanze heraus
und sprach zu den Kindern: „Seht, diese Pflanze gleicht zwar der
Petersilie; wenn wir sie aber genauer betrachten, so finden wir, daß
die Blätter oben dunkler, unten aber hellgrün sind, während die
Blätter der Petersilie sauf beiden Seiten die gleiche Farbe haben.
Und da dieses Pflänzchen, welches man Gartenschierling oder Hans-
petersilie nennt, gerade blüht, so könnt ihr auch bemerken, daß von
den kleinen, weißen Blüthendoldcn drei lange, schmale Blättchen
herab hängen, was bei der Petersilie nicht der Fall ist. Das kannst
du dir besonders merken, mein Töchterchen," sagte der Vater zu der
kleinen Rosa; „wenn dich die Mutter wieder Petersilie holen heißt,
so untersuche genau, ob sich kein Schierling darunter befindet!
„Auch dieses Unkraut hier, mit den stachligen Stengeln und
Blättern, das mit seiner gelben Blume dem blühenden Salat gleicht,
und häufig in den Gärten vorkommt, ist eine Giftpflanze. Man
nennt sie den Gistsalat oder Giftlattich. Er enthält in allen Thei-
len einen scharfen Milchsaft, welcher sehr betäubend, lähmend, ja
sogar tödtlich wirkt.
„Nun kommen wir aber auch an Pflanzen, deren prächtige Blü-
then nicht vermuthen lassen, daß sie so schlimme Eigenschaften be-
sitzen. Sie gleichen den Menschen, welche sich gegen Jedermann
ungemein freundlich und gefällig zeigen, innerlich aber voller Falsch-
heit und Betrug sind.
„Da seht ihr z. B. den schönen rothen Fingerhnt mit seinen
prächtigen, purpurrothen, weißgetüpfelten Glocken. Er wächst in
einigen Gegenden Deutschlands wild, wie es bei uns auch einen
giftigen gelben Fingerhnt giebt. Man bereitet aus seinem giftigen
Safte auch wirksame Arzneimittel, die der Arzt in vielen Fällen gut
anzuwenden weiß.
„Da steht auch noch eine andere Zierpflanze," sagte der Vater,
„die ihr Alle wohl kennt." — „Ja wohl," fiel Joseph ein, „es ist
derblaue Eisenhnt; er wird aber doch wohl nicht giftig seyn?" —
„Allerdings ist er es," entgegnete der Vater, „und besonders ist es
die rübenförmige, braunschwarze Wurzel, die ein starkes Gift ent-
hält. Versuche es einmal, Gustav, die Pflanze näher zu beschreiben!"
Gustav. Der blaue Eiscnhut treibt 3 bis 4 Fuß hohe Stengel,
die stark mit tiefausgeschnittenen Blättern besetzt sind. Sie sind oben
dunkel-bunten aber hellgrün. Die schönen, blauen Blumen mit ihren
gelben Staubfäden haben die Form einetz Helms und stehen in einem
langen Busche beisammen. Die Wurzel ist braunschwarz, gleicht
einer Rübe und ist besonders giftig.
Vater. Das hast du gut gemacht, mein Sohn! — Nun
222
muß ich euch aber auch noch eine Giftpflanze nennen, die im Herbste
häufig als kleine, blaßrothe Tulpe auf unsern Wiesen blüht.
Rosa. Ich weiß schon, Vater, du meinst die Herbstzeitlose.
Vater. Ja freilich, mein Kind! Diese Pflanze blüht im
Herbste und treibt im folgenden Frühjahre lange, breite Blätter,
wie die Tulpen, und zwischen diesen Blättern bildet sich eine fingers-
lange, unten und oben zugespitzte Samenkapsel, die durch mehrere
Häute in Fächer abgetheilt ist und worin die Samenkörnchen liegen.
Joseph. Sind denn diese giftig?
Vater. Allerdings sind sie es, sowie auch die zwiebelförmige
Wurzel. Ich habe es selbst erlebt, daß Kinder in unserem Geburts-
orte mit den Samenkapseln dieser Pflanze spielten und den Samen
aßen. Sie wurden schwer krank, bekamen Grimmen und Leibschnei-
den, Brennen im Magen, und nachdem man ihnen viel lauwarme
Milch gegeben hatte, mußten sie sich erbrechen; doch starb eines
dieser unglücklichen Kinder schon nach zwölf Stunden.
Außer diesen giebt es noch mehrere Pflanzen, welche giftige
Eigenschaften besitzen, aber nicht so heftig wirken. Sie enthalten
meistens scharfe Milchsäfte, wie z. B. das Schöllkraut und die ver-
schiedenen Gattungen der Wolfsmilch. Mehrere andere sind minder
gefährlich oder schrecken durch ihren widrigen Geruch vom Genusse
ab, wie dies bei der stinkenden Ricßwurz der Fall ist. Den Taumel-
lolch oder Schwindelhaber müßt ihr jedoch noch kennen lernen. Er
gehört zu den Gräsern und wächst oft unter dem Getreide. Er
treibt eine Aehre, welche kleine, eirunde und etwas brcitgedrückte
Samen enthält, die sorgfältig vom Getreide gesondert werden müssen;
denn wenn sie mit demselben gemahlen werden, so erregt das aus
solchem Mehl bereitete Brod Schwindel, Kopfweh, Krämpfe, Zittern
und andere Uebel.
24. Die Mineralien.
Diejenigen Körper, welche weder Leben noch willkührliche Be-
wegung haben, die sich weder fortpflanzen noch ernähren und die
sich nur durch Anziehung und Anhäufung anderer Theile von außen
vergrößern, zählen wir zum Mineralreich und theilen sie ein in
Erden und Steine, Salze, brennbare Mineralien und
M etalle.
Von den verschiedenen Erdarten sind euch mehrere bekannt, wie
z. B. Lehm, Töpferthon, Sand und Kies, sowie die Garten-
erde und der Humus oder die Düngererde, welche aus ver-
westen Thier- und Pflanzenüberresten entsteht. Die Porzellan-
erde wird in China und Japan aus der Erde gegraben, bei uns
aber wird sie durch Mischung künstlich bereitet.
Auch die Steine sind sehr verschieden, wie z. B. Sand- und
/
/
223
Kalkstein, Marmor, Granit und Basalt. Die merkwür-
digsten Körper dieser Klasse sind die Edelsteine, wozu der karmin-
rote Rubin oder Karfunkel, der himmelblaue Saphir, der
violettrothe Spinell, der gelbe Topas, der grüne Smaragd
und viele andere gezählt werden. Der kostbarste Edelstein ist jedoch
der Diamant, welcher, wenn er geschliffen ist, in allen Farben
blitzt und funkelt, was man sein Feuer nennt; spricht man aber
von seinem reinen Wasser, so meint man damit seine Durchsichtigkeit.
Er ist so hart, daß ihn keine Feile angreift und man Glas damit
schneiden kann. Ein Diamant, der nur den 75sten Theil eines
Lothes oder ein Karat wiegt, kostet 90 Gulden, und der König von
Portugal besitzt einen Diamant, der auf 1300 Millionen Thaler
geschätzt wird und 1680 Karat schwer ist.
Zur zweiten Klasse der Mineralien gehören die Salze, das
Küchen-, Stein- und Seesalz, der Salpeter, der Alaun,
der Vitriol und der Borax, den man zum böthen der Me-
talle braucht.
Zu den brennbaren Mineralien gehören die Stein- und
Braunkohlen, dLr Bernstein, der Schwefel und das Bergöl,
welches an manchen Orten aus der Erde quillt und ununterbrochen
fortbrennt, wenn es angezündet wird. Auch der Graphit oder das
Reißblei gehört hieher. Man findet es in Böhmen, wo der
Zentner etwa 6 Gulden kostet \ das englische aber ist hundert Mal
theurer und giebt die feinsten Stifte zum Zeichnen.
Die vierte Klasse des Mineralreichs begreift die Metalle. Sie
unterscheiden sich durch ihre Schwere und einen eigenthümlichen Glanz
von andern Naturkörpern. Das Gold ist das kostbarste aller
Metalle; denn die Platina, welche jenes an Schwere übertrifft,
hat nur halb so viel Werth, und das Silber gilt 15 Mal weniger.
Man findet das Gold in Afrika, Amerika und Australien, sowie im
Ural und in Ungarn. Es ist so dehnbar, daß man mit einem zu
dünnen Blättchen geschlagenen Dukaten einen Reiter sammt dem
Pferde übergolden könnte.
Das Silber findet man in vielen europäischen Bergwerken,
wie z. B. in Sachsen. In Südamerika dagegen, namentlich zu
Potosi, giebt es Berge, die stellenweise ganz von gediegenem Silber
durchzogen sind.
Das Queksilber, das Kupfer, sowie Blei, Zinn, Zink
und andere Metalle findet man in mehreren europäischen Berg-
werken. Der Messing ist eine Mischung von Kupfer und Zink,
und das Glockeumetall besteht aus Kupfer und Zinn.
Nützlicher als alle die genannten Metalle ist das Eisen, wenn
es denselben auch an Werth weit nachsteht. Es findet sich als Erz
in fast allen Ländern der Erde; doch wird das schwedische Eisen
allgemein für das beste gehalten. In der allgemeinen Verbreitung
dieses unentbehrlichen Metalls erkennen wir deutlich einen Beweis
der Güte und Liebe des Schöpfers, der überall und in Allem für
feine Kinder sorgt und jedem Lande dasjenige zutheilt, was zum
Leben, sowie für die besondern Verhältnisse seiner Bewohner noth-
wendig ist.
Sechster Abschnitt.
1. Anleitung 3u einer zweckmäßigen Gesundheits- und
Krankenpflege.
Das unschätzbarste körperliche Gut ist eine feste und dauerhafte
Gesundheit. Sie ist eines der köstlichsten Geschenke des Him-
mels; denn nur der gesunde Mensch kann sich seines Lebens wahr-
haft freuen; nur der gesunde Mensch ist im Staude, seine Berufs-
pflichten gehörig zu verrichten und den Zweck seines Daseyns nach
jeder Richtung hin zu erreichen. Es ist daher doppelte Pflicht für
uns, Alles genau zu beobachten, was die Erhaltung unserer Ge-
sundheit fördert, und Alles sorgfältig zu meiden, was dieses kost-
bare Gut gefährden könnte. Viele kränkliche Menschen legten wohl
schon in frühen Jahren den Grund zu einem siechen Körper und zu
zahllosen körperlichen'Leiden, so wie auch Manche, die von Jugend
aus schwächlich und selbst oft kränklich waren, durch eine zweckmäßige
Lebensweise einen gesunden und manchmal sogar starken Körper
erlangt haben.
2. Von den Speisen.
Unmäßigkeit ist eine gefährliche Feindin der Ge-
sundheit. Ist der Magen zu sehr mit Speisen angefüllt, so können
die übrigen Werkzeuge, welche um ihn herum liegen, ihre Dienste
nicht gehörig verrichten; der Magen selbst wird geschwächt und ist
nicht im Stande, eine so große Masse von Speisen gehörig zu ver-
dauen. Man esse daher immer nur so viel, als zur Sättigung
nöthig ist, und nicht so lange, als noch Etwas in der Schüssel ist,
oder bis man nicht mehr essen kann. Dabei müssen die Speisen
mit den Zähnen wohl gekaut werden, ehe man sie hinunter schluckt,
denn es ist ein altes und wahres Sprichwort: „Gut gekaut ist
halb verdaut." Es ist sehr schädlich, die Speisen zu kalt oder
225
zu heiß zu genießen, denn daraus entstehen oft sehr hartnäckige
Magenübel und gefährliche Krankheiten.
. Obgleich Fleischspeisen nahrhafter sind, als Speisen aus dem
Pflanzenreiche, so ist es doch nicht rathsam, zu viele Fleischspeisen
zu genießen, weil dadurch das Blut zur Fäulniß geneigt wird und
die Säfte überhaupt eine gewisse Schärfe annehmen, was leicht Aus-
schläge, Fieber u. dgl. erzeugt. Besonders dürfen solche Menschen,
die an Flechten, Krätze, Kopfgrind und offenen Geschwüren leiden,
nicht zu viele Fleischspeisen, namentlich kein Schweine-, Gänse- oder
Entenfleisch genießen. Fettes Fleisch und fette Speisen überhaupt
erregen Ausstößen, Uebelkeit und Durchfall und erzeugen einen schwa-
chen Magen. Auch Kuchen, frischgebackenes, weiches Brod, Hefenback-
werk u. dgl. sind schwer verdaulich und schaden daher der Gesundheit.
3. Von den Getränken.
Das gesundeste Getränk, auf welches wir schon von der Natur
angewiesen sind, ist reines und frisches Quellw asser. Alle andern
Getränke, wie z. B. Wein, Bier und Branntwein, erhitzen das Blut
und sollen nur mäßig und selten, von Kindern aber niemals ge-
nossen werden. Am schädlichsten ist offenbar der Branntwein, selbst
für ältere Personen, und es ist gar nicht zu bezweifeln, daß er schon
für viele Tausende die Ursache eines früheren Todes geworden ist.
Wer gewohnt ist, alle Tage eine große Menge solcher Getränke
zu sich zu nehmen, ist ein Säufer oder Trunkenbold, und solche
Menschen verlieren nicht nur die Achtung ihrer Mitmenschen, sondern
auch die Achtung vor sich selbst, denn sie erniedrigen sich unter das
Thier, das sehten mehr genießt, als ihm gut ist. Sie werden be-
täubt und sprechen und handeln auf eine Weise, die sie vor Andern
lächerlich und verächtlich Macht.
Menschen, die sich leidenschaftlich dem Trünke ergeben, werden
gewöhnlich nicht alt. Schwindsucht, Schlagflüsse, Wassersucht und
manchmal auch der Säuferwahnsinn sind in vielen Fällen die Fol-
gen der Trunksucht.
Aeußerst nachtheilig ist auch der häufige Genuß warmer Ge-
tränke, weil sie die Verdauung schwächen und den Körper erschlaffen.
Aber am schädlichsten wirkt wohl ein kalter Trunk, wenn man er-
hitzt ist, und man kann nicht genug davor warnen, da ein solcher
nicht nur schwere Krankheiten, sondern selbst den Tod zur Folge
haben kann.
4. Von der Wohnung.
Eine trockene, helle und reinliche Wohnung ist eine Hauptbedin-
gung zur Erhaltung der Gesundheit. Hohe und geräumige Wohn-
Reiser, der VoUsschüler i. d. Obcrklassc. 15
226
l
und Schlafzimmer sind besonders zweckmäßig, weil in solchen die
Luft nicht so bald verdorben wird, als in engen, niedern Stuben.
Frische, reine Luft ist wahre Arznei für den Menschen, und daher
ist es nothwendig, alle Tage ein- bis zweimal die Fenster auf einige
Minuten zu öffnen, damit die verdorbene Luft hinaus und frische
dagegen herein ziehen kann.
In einem Zimmer, worin viele Menschen beisammen sind, ver-
dirbt die Luft bald, weil derselben durch das Athmen der Sauer-
stoff entzogen wird, ohne welchen sie zum Einathmen nicht mehr
tauglich ist. In einer niedern, mit Menschen angefüllten Stube
brennen auch die Lichter deshalb nicht Helle, weil die Luft verdorben
ist und wenig Sauerstoff enthält, welcher zum Brennen so noth-
wendig ist, als zum Athemholen.
Die Luft in einem Zimmer wird verdorben und für die Ge-
sundheit nachtheilig durch Kohlendämpfe, starkriechende Blumen, durch
das Trocknen und Bügeln der Wäsche, durch Feuchtigkeit, Staub
und Schmutz u. s. w. Besonders aber muß man sich hüten, srisch-
geweißte Zimmer zu Heizen und sich in denselben aufzuhalten oder
gar darin zu schlafen, was auch in Beziehung auf Zimmerböden,
die frisch ausgewaschen und noch nicht wieder ganz trocken geworden
sind, zu beobachten ist.
5. Von der Kleidung.
Die Kleidung darf nicht zu enge seyn und den Körper drücken
und pressen, weil dadurch der Blutumlauf gehindert wird. Kopf,
Hals und Brust bedecke man nur leicht, halte aber den Unterleib
und die Füße warm. Enge Stiefel und Schnürmieder sind beson-
ders nachtheilig, denn erstere verderben die Füße und letztere hindern
die gehörige Ausdehnung der Eingeweide der Brust und des Unter-
leibes, was von sehr schlimmen Folgen seyn kann.
Im Frühjahr und Herbste kleide man sich mehr warm als
leicht und hüte sich besonders, die Kleider abzulegen, wenn man er-
hitzt ist, indem der Schweiß dadurch unterbrochen wird, was immer
sehr schädlich ist und manchmal schwere Krankheiten verursacht. Eben
so gefährlich ist es, sich dem Zugwinde auszusetzen, besonders wenn
der Körper stark ausdünstet oder gar in Schweiß gerathen ist.
Kleider von kranken Menschen darf man niemals tragen, ohne
sie zuvor durch Waschen zu reinigen; war die Krankheit aber gar-
ansteckend, so ist es durchaus nicht rathsam, solche Kleider wieder zu
gebrauchen, und man thut am besten, wenn man dieselben verbrennt.
Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die Wäsche, denn rein-
liche Hemden, Betten und dergleichen sind eine wahre Wohlthat für
den Menschen und befördern sein Wohlseyn in hohem Grade.
227
6. Vom Schlafen.
Durch den Schlaf werden wir für -ie Arbeiten und Anstren-
gungen des kommenden Tages gestärkt. Um aber gut und sanft zu
schlafen, darf man sich nicht mit überfülltem Magen zu Bette legen
oder erhitzende Getränke genossen haben. Am ruhigsten schläft wohl
derjenige, der den Tag über fleißig gearbeitet hat und ein gutes
Gewissen mit zu Bette bringt.
Warme und niedrige Schlafgemächer sind nicht gesund, denn
in kühlen Zimmern wird man durch den Schlaf viel mehr erquickt
und gestärkt, als in warmen. Schlafzimmer und Betten müssen
fleißig gelüftet und letztere öfters an die Sonne gebracht werden,
damit sich nicht unreine Ausdünstungen in denselben sammeln und
endlich vielleicht gar zu Krankheiten Veranlassung geben.
Ohne die dringendste Nothwendigkeit sollten niemals Kinder bei
Erwachsenen oder mehrere Kinder in einem Bette schlafen, denn so
muß eines des Andern Ausdünstungen einathmen, und dabei kann
man nicht gesund seyn und nicht ruhig schlafen. Betten, in welchen
Kranke gelegen haben, müssen zuvor wohl gelüftet und ausgeklopft
werden, ehe wieder Jemand in denselben schläft. Ist die Krankheit
sehr bösartig gewesen, so muß man die Betten verbrennen oder tief
vergraben.
7. Von der Reinlichkeit.
Die Unreinlichkeit ist die Mutter vieler Krankheiten und erzeugt
besonders häufig bösartige Ausschläge. Wer sich vor solchen be-
wahren will, muß Gesicht, Hals und Hände täglich und öfters auch
die Füße und den übrigen Körper waschen. Dadurch ist es möglich,
daß die Haut frei ausdünsten kann, und sie wird, besonders durch
das Waschen mit kaltem Wasser, gegen die Einflüsse der Witterung
geschützt.
Das Baden in Flüssen und Seen ist daher ein vorzügliches
Mittel zur Erhaltung der Gesundheit. Um aber dabei auch die
möglichen Gefahren zu vermeiden, beobachte man folgende Verhal-
tungsmaßregeln :
1) Man bade nur dann, wenn man sich gesund und wohl fühlt.
2) Vor dem Baden darf man sich nicht durch starkes Laufen
oder durch eine andere Anstrengung erhitzt haben.
3) Man bade nicht, wenn man kurz zuvor viel gegessen hat.
4) Man suche solche Stellen zum Baden aus, wo keine Gefahr ist.
5) Es ist nicht rathsam, langsam in's Wasser zu gehen, son-
dern man muß sich mit dem ganzen Körper, so wie auch mit dem
Kopfe unter das Wasser tauchen.
228
6) Im Bade muß man nicht still sitzen, sondern sich stark be-
wegen oder schwimmen.
7) Nach dem Bade muß man nicht ruhen, sondern gemächlich
gehen.
Ein warmes Bad muß man nicht in einem kalten, sondern in
einem hinlänglich erwärmten Zimmer nehmen, indem sonst ein sol-
ches Bad mehr schaden als nützen könnte. Dasselbe hat man auch
bei Fußbädern zu beobachten, die bei Anhäufung des Blutes im
Kopse und in der Brust sehr heilsam sind.
8. Verschiedene Vorsichtsmaßregeln zur Erhaltung der
Gesundheit.
1) Pflanzen, welche zum Genusse bestimmt sind, untersuche man
genau, damit keine Giftpflanzen unter denselben genossen werden.
2) Man esse kein unreifes Obst oder unreife Kartoffeln, denn
sie erzeugen die Ruhr und andere schlimme Krankheiten.
3) Sehr fette, so wie scharf gesalzene und stark ge-
würzte Speisen sind ebenfalls ungesund.
4) Wer kupferne Geschirre zum Kochen oder zur Auf-
bewahrung von Speisen benützt, hat wohl daraus zu achten, ob die-
selben gut verzinnt seien. Saure Speisen dürfen niemals in
solchen Gefässen zubereitet werden, denn sie erzeugen Grünspan,
lösen das dem Zinn gewöhnlich beigemischte Blei auf und verwan-
deln es in Gift.
5) Wer sich erhitzt hat, hüte sich, auf den kalten Boden oder
in's Gras zu sitzen, oder wohl gar sich nieder zu legen; denn da-
von könnte man leicht an allen Gliedern gelähmt werden oder die
Gicht und Schwindsucht bekommen.
6) Wer bei großer Erhitzung brennenden Durst empfindet, darf
denselben nicht auf einmal löschen, sondern nur in kleinen Portionen,
mit Unterbrechungen, trinken. Gut ist es, wenn man das Wasser
eine kleine Weile im Munde hält, oder zuerst ein in Wasser ge-
tauchtes Stückchen Brod genießt.
7) Naß gewordene Kleider darf man nicht am Leibe behalten,
da dieses leicht Flüsse, Gliederreißen und Gicht erzeugen könnte.
8) Der gleichen Gefahr ist man ausgesetzt, wenn man an einer
feuchten Wand sitzt oder schläft, besonders wenn der Körper stark
ausdünstet, oder wenn man sehr warm hat.
9) Den Augen schadet blendendes, ungleiches und schnell ab-
wechselndes Licht. Man setze sich daher niemals so, daß das Ge-
sicht gegen eine von der Sonne beschienene, frisch geweißte Mauer
gerichtet ist, oder daß beim Lesen die Sonne auf das Buch scheint.
Auch die Bettstellen dürfen nie gegen die Sonne gerichtet seyn.
229
10) Dem Gehör schadet jeder unerwartete Schall oder Knall,
verdorbene Luft, Staub, vieler Schleim in der Nase, vieles Ohren-
schmalz und das Zusammendrücken der äußern Ohren durch Mützen
und Kopfbinden.
11) Dem Geschmack schadet der Genuß scharfer Speisen und
Gewürze und unmäßiges Wein- und Branntweintrinken.
12) Das Gefühl wird besonders durch beständige Uebung und
durch Reinhalten der Haut gesund erhalten.
13) Es ist sehr gefährlich, die von Kälte erstarrten Hände am
heißen Ofen oder am Feuer zu erwärmen. , Eben so schädlich ist
es, die Hände, die man so eben in kaltem Wasser gehabt hat, so-
gleich wieder in warmes zu stecken. >
14) Hat man das Kribbeln in den Händen, oder sind diese
durch den Frost empfindungslos geworden, so stellt man das ver-
lorne Gefühl am besten wieder dadurch her, daß man die Hände
mit Schnee reibt.
15) Den Zähnen schadet der Genuß warmer Getränke, heißer
Speisen, das Beißen auf harte Gegenstände, das Herumstochern in
denselben mit Messern, Gabeln und Nadeln u. s. w. Man reinige
alle Tage die Zähne mit lauwarmem Wasser und einer seinen Zahn-
bürste und reibe sie bisweilen mit feingepulverter Kohle.
16) Es ist eine sehr gefährliche Gewohnheit mancher Mädchen,
beim Nähen die Nadel in den Mund zu nehmen. Es hat sich schon
öfters ereignet, daß durch Husten, Nießen oder Lachen das Hinunter-
schlucken einer Nadel veranlaßt wurde, und daß dieses die traurig-
sten Folgen haben kann, läßt sich leicht denken.
17) Eben so gefährliche Folgen kann es haben, wenn man
Kinder mit Bohnen spielen läßt, da sie solche gern in den Mund
nehmen und die Bohnen von da leicht in die Luftröhre gerathen
können. Schon manche Kinder haben aus diese Weise das Leben
eingebüßt.
18) Mit fremden Hunden soll man niemals spielen, und es ist
sehr rathsam, herrenlosen Hunden aus dem Wege zu gehen, indem
man nicht immer' versichert seyn kann, ob solche Hunde nicht von
der Wuth befallen sind, die schon Seite 197 beschrieben worden ist.
Zu viel Vorsicht in diesem Stücke ist immer besser, als zu wenig.
9. Von dem Verhalten in Krankheiten.
Wer krank wird, der wende sich an den besten und gewissen-
v Haftesten Arzt und hüte sich wohl vor Quacksalbern und Pfuschern;
denn nur der eigentliche und geschickte Arzt ist im Stande, Krank-
heiten richtig zu erkennen und, wo möglich, zu heilen.
230
Quacksalber nennt man solche niedrige Betrüger, die sich rühmen,
alle Krankheiten schnell und glücklich heilen zu können, die aber da-
bei nicht die geringste Kenntniß von der innern Beschaffenheit des
menschlichen Körpers und von den Wirkungen der Arzneimittel haben.
Solche Menschen sind gewöhnlich gewissenlos genug, einen Kranken
so lange hinzuhalten und an ihm herumzupfuschen, bis die Hilfe
eines Arztes zu spät kommt und der Kranke verloren ist.
Man wende sich also gleich von Anfang an einen geschickten
Arzt und befolge seine Anordnungen genau und pünktlich. Das thun
aber leider nur wenige Kranke. Viele nehmen die verordnete Arznei
nicht nach Vorschrift, oder kehren sich nicht an das, was der Arzt
in Beziehung auf Essen und Trinken anordnet, sondern genießen was
sie gelüstet und suchen den Arzt zu hintergehen. Unter solchen Um-
ständen kann nun freilich auch der geschickteste Arzt wenig ausrichten,
da der Kranke selbst seine Heilung vereitelt, und gewiß, schon man-
cher Kranke mußte seine Unfolgsamkeit mit dem Tode büßen.
Wer einen Kranken zu Pflegen hat, soll mit demselben sanft
und liebreich umgehen und dafür sorgen, daß es still und ruhig um
ihn her sei. Viele Krankenbesuche, wodurch der Kranke in seiner
Ruhe gestört oder wohl gar zu vielem Reden veranlaßt wird, sind
höchst schädlich und sollen daher unterbleiben. Man sorge ferner
dafür, daß reine und trockene Luft in dem Krankenzimmer sei, doch
gebe man darauf Acht, daß beim Lüften des Zimmers kein Luftzug
entstehe und der Kranke sich nicht erkälte.
Muß man nothgedrungen zu Kranken gehen, welche an an-
steckenden Krankheiten leiden, so setze man sich nicht zu nahe zu ihnen
oder so, daß man ihre Ausdünstung oder ihren Athem einziehen
muß. Den Speichel schlucke man nicht hinunter, sondern werfe ihn
aus; auch ist es sehr zweckmäßig, bisweilen etwas Weinessig in den
Mund zu nehmen oder den Mund damit auszuspülen.
(Nach Wilmsen.)
10. Verhalten Hei Vergiftungen.
Schon oftssind Gifte aus dem Pflanzen- und Mineral-
reiche genossen worden, und das Leben vieler Menschen ist schon
durch solche Unglücksfälle gefährdet worden oder wirklich verloren
gegangen.
Die Vermuthung einer Vergiftung wird veranlaßt, wenn Je-
mand, der zuvor gesund und wohl war, plötzlich von großer Uebel-
keit befallen wird, Reiz zum Erbrechen fühlt, was zuweilen mit
großer Heftigkeit geschieht, und wobei gewöhnlich erstickende Be-
ängstigungen eintreten. Der Kranke empfindet ein heftiges Brennen
im Leibe; Magen und Gedärme krümmen sich fühlbar, und es ent-
231
stehen furchtbare Leibschmerzen mit manchmal blutigem Durchfall.
Der Puls geht unordentlich, das Herz schlägt wild, kalter Schweiß
rinnt von der Stirne, und das Gesicht wird aufgetrieben und leichen-
artig. Die Augen verlieren ihre Sehkraft und stehen hervor oder
sind dunkel im Anblicke; manchmal tritt völlige Blindheit ein. Die
Zunge schwillt auf, der Hals wird roth und der Kranke fühlt große
Entkräftung und zittert an allen Gliedern. Schwindel, Ohnmachten
und Sprachlosigkeit folgen nach. Aus dem Magen steigen übel-
riechende Dünste auf, der Unterleib wird ungewöhnlich aufgetrieben
oder eingezogen, und manchmal schwillt der ganze Körper und be-
kommt blaue Flecken.
Diese Kennzeichen finden sich allerdings nicht bei seder Vergif-
tung beisammen, sondern sind nach der Art des genossenen Giftes
verschieden. Es ist auch nicht Nöthig, dieses zu unterscheiden, son-
dern es ist hinreichend, daß man aus mehreren dieser Kennzeichen
eine etwaige Vergiftung erkennt, um die erforderlichen Rettungsver-
suche ungesäumt vorzunehmen.
Die Hauptaufgabe ist in solchen Fällen, das Gift so schnell
als möglich aus dem Leibe zu sclsaffen, was am sichersten durch
Erbrechen geschieht. Erbricht der Kranke sich von selbst, so sind
keine künstlichen Brechmittel nöthig, sondern man hat nur die Schärfe
zu mildern, indem man ihm warmen Gerstenschleim, Seifenwasser,
Milch mit frischem Oel, Milchrahm (das beste Hilfsmittel), rohe
zerklopfte Eier mit Milch oder wenigstens lauwarmes Wasser in
Menge trinken läßt, bis andere Mittel herbeigeschafft werden können.
Will das Erbrechen nicht erfolgen, so kitzelt man den Kranken
mit einer in Oel getauchten Feder im Halse und läßt ihn außerdem
die vorbenannten Flüssigkeiten trinken. Manchmal ist der Schlund
von der Schärfe des Giftes zusammengezogen und dadurch das
Schlucken erschwert. In diesem Falle giebt man dem Kranken Baumöl
mit Eidotter vermischt, welches, wenn er es eine Zeit lang im Munde
hält, doch endlich hinabgleitet und die Geschmeidigkeit des Schlundes
“ wieder herstellt.
Während man diese Mittel anwendet, wird der Arzt herbei-
gerufen, welcher sodann das weiter Erforderliche anordnet.
11. Rettung der im Wasser Verunglückten.
Hat man einen Verunglückten aus dem Wasser gezogen,
so wird er so schnell als möglich entkleidet und in trockene, warme
Decken oder in Kleider gehüllt, die eben Jemand ausgezogen hat.
Bei sehr warmer Witterung kann man die vorläufigen Rettungs-
versuche sogleich än Ort und Stelle vornehmen; ist dieses aber nicht
möglich, so wird der Verunglückte in das nächste Haus gebracht.
232
Eine kalte Stube, die nach und nach erwärmt wird, ist hiezu am
zweckmäßigsten. Hier wird der Verunglückte entkleidet, auf ein leicht
erwärmtes Bett gelegt, und zwar Kopf und Brust etwas erhöht,
doch darf der Kopf nicht vorwärts oder auf die Seite geneigt seyn.
Man reinigt den Mund mit den Fingern von Schleim, Schaum
und anderm Unrath und sucht den Körper nach und nach durch
wollene Decken, die man um Arme und Beine wickelt und unter
die Kniekehlen und Achselgruben bringt, zu erwärmen.
Da diese Decken bald wieder erkalten, so werden sie öfters
durch andere frisch erwärmte ersetzt. Inzwischen wird ein lau-
warmes Bad bereitet, in welches der Körper so gebracht wird, daß
blos das Gesicht frei bleibt. Nach und nach wird die Wärme des
Bades durch Zugießen von heißem Wasser allmählig erhöht. In
diesem Bade bleibt der Körper einige Stunden lang, während er
immer mit wollenen Tüchern sanft gerieben wird.
Hat sich ein solches Unglück zur Winterszeit ereignet und ist
ein Ertrunkener zugleich erfroren, so ist er wie jeder Erfrorene zu
behandeln. Daß man Ertrunkene nicht, wie ehedem häufig geschah,
auf den Kopf stellen, gewaltsam rütteln oder gar an den Füßen
aufhängen darf, ist jetzt allgemein bekannt.
' Es versteht sich wohl von selbst, daß man während diesen
Rettungsversuchen nach einem Arzte schicken muß, der sodann'die
weitere Behandlung des Verunglückten leiten wird.
12. Behandlung der Erfrorenen.
Erfrorene werden in ein kaltes Zimmer gebracht, entkleidet
und auf ein ^ager von ein Paar Hände hohem Schnee gelegt; hier-
auf bedeckt man den ganzen Körper, mit Ausnahme des Mundes
und der Nasenlöcher, ebenfalls mit Schnee, welcher etwas fest ge-
drückt, und wenn er an einer Stelle schmilzt, wieder ersetzt wird.
Fängt der Körper an auszuthauen, so wird er von einer Eisrinde
überzogen, die jedoch bald abschmilzt, worauf man ihn mit wollenen
Tüchern abtrocknet und in ein leicht erwärmtes Bett bringt, das
aber nicht in einer geheizten Stube stehen darf. Ueberhanpt merke
man sich, daß unter solchen Umständen die Wärme höchst schädlich
ist, ja sogar den Tod bewirken könnte, und daß daher solche Ret-
tungsversuche nur in einer kalten Stube vorgenommen werden dürfen.
Ist kein Schnee zu haben, so legt man den Erfrorenen in eis-
kaltes Wasser oder hüllt ihn in Tücher, die in kaltes Wasser ge-
taucht sind, und erneuert diese Umschläge, bis der Körper aufthaut.
Im Bette reibt man den Erfrorenen von allen Seiten mit
wollenen Tüchern. Bisweilen bleiben die Kinnbacken lange Zeit fest
geschlossen, in welchem Falle man sie unter den Ohren stark mit
233
Branntwein und Oel reibt. Erfolgt auch jetzt noch kein Athem-
holen, so läßt man durch einen kleinen Blasebalg vorsichtig Luft in
die Lungen. Kommt der Erfrorene wieder zur Besinnung, so giebt
man ihm lauwarmen Hollunderthee mit etwas Weinessig und Zucker,
umwickelt die Arme und Füße mit Wolle und Tüchern und läßt ihn
auch jetzt noch im kalten Zimmer im Bette liegen.
Huch erfrorene Glieder können dadurch wieder hergestellt
werden, daß man sie mit Schnee reibt oder in eiskaltes Wasser
steckt, bis sie wieder Empfindung erhalten. Hierauf legt man sich
in einem kalten Zimmer zu Bette, umwickelt die Glieder mit Wolle,
trinkt Hollunderthee und überläßt sich einige Stunden lang einem
gelinden Schweiße.
13. Behandlung der Erstickten.
Cs ist bekannt, daß nicht nur Rauch und Kohlendampf,
sondern auch verschiedene Dünste, z. B. in Kellern, wo Getränke
gähren, in Schachten und Stollen der Bergwerke, in alten
Brunnen und Gewölben, in frischgeweißten und ver-
schlossenen Zimmern u. s. w. plötzliche Erstickungen bewir-
ken können.
Hat man nun an irgend einem solchen Orte eine Verrichtung
vorzunehmen und man merkt Betäubung und Schwindel, so suche
man eiligst in die freie Lust zu kommen und wasche das Gesicht
mit Essig oder kaltem Wasser. Hat Jemand durch solche Ursachen
Empfindung und Bewußtseyn verloren, so bringe man ihn an die
freie Luft oder in ein luftiges Gemach, öffne die Inster und spritze
ihm, Nachdem er entkleidet worden ist, kaltes Wasser mit Essig ver-
mischt^ gewaltsam in's Gesicht und reibe Brust, Arme und Füße mit
einer in kaltes Wasser getauchten Bürste, bis ein Arzt herbeigeholt ist.
Die Ausdünstungen von Kloaken und Düngergruben werden da-
durch weniger schädlich, wenn derjenige, der sie zu reinigen hat, ein
in Essig oder Branntwein getauchtes Stück Schwamm oder Brod
in den Mund nimmt. Aus Kellern, Brunnen und Gewölben ver-
treibt man die verdorbene Luft durch hineingegossenes siedendes
Wasser, und man darf sich in solche erst dann hinein wagen, wenn
ein an einem langen Stabe hinein gehaltenes Licht (auf den Boden
gestellt, weil die verdorbene Lust sich zu Boden senkt) nicht erlischt.
Auch vom Blitze Getroffene werden gleich Erstickten be-
handelt, oder man gräbt ein Loch in frische Erde, legt den Ver-
unglückten hinein und bedeckt ihn bis an den Kopf mit frischer Erde,
worauf das Gesicht anhaltend mit Essig und Wasser bespritzt wird.
234
Siebenter Abschnitt.
1. Die wichtigsten Vorschriften über ein höfliches nnd
wohlanständiges Betragen.
Wohlanständigkeit, Feinheit der Sitten und eine ge-
wisse äußere Anmuth zeugen von einem gebildetenGeiste und
veredelten Herzen, wogegen Rohheit, Plumpheit und un-
anständiges Betragen sichere Kennzeichen einer vernachläs-
sigten Geistes- und Herzensbildung sind. Nur ein ver-
ständiges, gesittetes und wohlanständiges Betragen ist geeignet, uns
den Beifall und das Zutrauen unserer Mitmenschen zu erwerben
und zu erhalten, und weil hievon größtentheils unsere nützliche Wirk-
samkeit abhängt, so ist es dringende Nothwendigkeit, daß wir auf
unser Betragen die größte Aufmerksamkeit nnd Sorgfalt verwenden.
Allerdings machen unsere äußere Sitten nicht unsern innern Werth
aus, allein wir setzen hier voraus, daß auch unser Inneres, unsere
Denkungsart und unsere Grundsätze mit unserem äußeren Betragen
im Einklänge stehen.
Merken wir uns also folgende Regeln:
1) Reinlichkeit ist das erste Erforderniß des sogenannten
körperlichen Anstandes, denn es ist ein Beweis der Achtung, die wir
gegen Andere hegen, wenn wir reinlich und sorgfältig gekleidet vor
ihnen erscheinen und Alles von uns ferne halten, was Widerwillen
oder sogar Eckel erregen könnte. Man wasche daher täglich Hände,
Gesicht, Hals und Brust, reinige die Zähne, kämme die Haare und
beschneide, so oft es nöthig ist, die Nägel. Nie aber verrichte man
diese Geschäfte in Gegenwart von Andern. Immer sei man mit
einem Taschentuch versehen, vermeide aber, wenn man sich desselben
bedienen muß, ein zu großes, unangenehmes Geräusch. Muß man
den Speichel auswerfen, so sehe man sich nach dem Spuckkästchen
um oder bediene sich unbemerkt des Taschentuches hiezu. Daß es
unanständig ist, in Gegenwart von Andern in der Nase oder in den
Ohren herumzufahren und an den Nägeln zu kauen, braucht kaum
erwähnt zu werden.
2) Hat man Besuche zu machen, so versteht es sich von selbst,
daß man sorgfältig gekleidet und mit wohlgereinigten Schuhen in
ein fremdes Haus geht. Ehe man in das Zimmer tritt, klopft man
mit dem Finger an und wartet, bis man herein gerufen wird. In
vornehmen Häusern lasse man sich durch einen Diener melden. In
235
fremden Zimmern hüte man sich, zu weit vorzutreten, unaufgefordert
Hut und Handschuhe abzulegen, neugierig umherzuschauen oder wohl
gar Sachen in die Hand zu nehmen, um sie zu betrachten. Ist
Jemand im Schreiben begriffen oder es liegen geschriebene Sachen
umher, so darf man nicht vorwitzig und neugierig hinein sehen.
Wird man zum Sitzen eingeladen, so setze man sich aufrecht, ohne
anzulehnen oder gar mit dem Stuhle zu schaukeln. Ein weites
Ausstrecken der Füße, das Scharren mit denselben und das Kreuzen
der Füße um den Stuhlfuß sind unanständig. Sitzt man neben
Andern, so darf man Niemanden den Rücken zuwenden.
3) Befindet man sich in Gesellschaft, so rede man niemals
heimlich mit einem Andern, suche aber auch nicht durch zu lautes
Sprechen Aufmerksamkeit zu erregen und, wie man zu sagen pflegt,
das Wort an sich zu reißen. Man falle Niemanden in die Rede,
hüte sich vor zu lautem Lachen, vor gemeinen Ausdrücken und un-
geschliffenen Scherzen.
4) Vornehmeren Personen läßt man überall den Vortritt,
geht ihnen auf der Straße zur linken Seite oder nimmt sie, in
Gesellschaft von Mehreren, in die Mitte. Im Umgang mit
älteren Personen zeige man sich besonders aufmerksam und bescheiden
und lasse ihnen in Allem den Vorzug. Besonders hüte man sich
vor einem heut zu Tage so oft wahrnehmbaren Absprechen und
Besserwissenwollen, was jungen Leuten immer übel ansteht. Ist
man in irgend einer Sache anderer Ansicht, als ältere Personen, so
mache man seine Meinung mit der größten Bescheidenheit geltend.
5) Bei Begrüßungen, Verbeugungen und andern Höf-
lichkeitsbezeugungen richte man sich nach dem Beispiel solcher Per-
sonen, von denen man überzeugt ist, daß sie genau wissen, was die
gute Sitte verlangt.
6) Eine besondere Aufmerksamkeit verwende man auf die Sprache.
Man gewöhne sich von Jugend an in gutem, reinem Deutsch zu
sprechen. Was man spricht, sei klar, kurz und bestimmt. Man
spreche ruhig, mit Ueberlegung und Mäßigung, selbst auch dann,
wenn man beleidigt worden ist oder Jemanden etwas Unangeneh-
mes zu sagen hat. Das ist Beweis wahrer Bildung und bewahrt
zugleich vor mancher Reue. Nie überlasse man sich im Scherze
groben und beleidigenden Ausdrücken und Witzeleien,
nie dem unsinnigen Aberwitze'von Wortspielen und Lächer-
lichkeiten, wodurch man Andere kränken oder verletzen könnte!
7) Heiterkeit und Laune stehen jungen Leuten wohl; nie-
mals aber erniedrige man sich zum Possenreißer und Spaß-
vogel, über den man zwar lacht, den man aber auch zugleich ver-
achtet. Eine gewisse Würde der Sitten ist unumgänglich nothwendig,
um selbst der schätzbarsten Person Achtung zu verschaffen oder zu erhalten.
«
236
8) Man hüte sich vor aller Herrschsucht im Umgänge; denn
Leute, die Jedermann ihre Meinungen und Ansichten aufdringen
wollen, sind die unerträglichsten Geschöpfe; sie brechen die muntere,
lieblsche Unterredung ab, halten sie auf, lenken sie seitwärts und
prägen, wie ein großer Mann *) treffend sagt, ihre Meinung mit
Stolz als Siegel der Wahrheit auf. Sie kommen nicht zur
Wahrheit und wollen Andere nicht dazu lassen.
Jeder junge Mensch Prüfe sich am Abende, ob er heute eine
Ungezogenheit begangen, eine ungebührliche Rede geäußert, eine Unter-
haltung verdorben, eine Antwort gegeben oder sonst ein Betragen
gezeigt habe, mit dem Andere und er selbst nicht zufrieden seyn können.
Zur Uusreuudlichkeit ist uns die Rede nicht gegeben.
Bei Allem kommt es vorzüglich darauf an, daß unsere Rede
vollständig sei und etwas Ganzes bestimmt sage. Das, was man
sagen will, -rein, ganz bestimmt und doch artig und höflich zu sagen
und ein Ende in seiner Rede finden zu können, das ist der schöne
Ausdruck der Gesellschaft und des Umgangs. Er ist wie ein schöner
Edelstein, ein Kind der Natur, aber durch Kunst gefaßt, voll Sinnes,
voll Anmuth, voll inneren Werthes, lieblich und kostbar.
9) Noch mehr Aufmerksamkeit als der persönliche Umgang for-
dert die schriftliche Mittheilung. Ein hartes Wort kann
durch die Miene, mit der es gesagt wird, um Vieles gemildert wer-
den, was beim Schreiben wegfällt. Man besinne sich daher wohl
darüber, wenn man Jemanden etwas Unangenehmes schriftlich mit-
zutheilen hat, damit man nicht später harte, verletzende oder be-
leidigende Worte zu bereuen habe.
10) Schreibt man Briefe an vornehme Personen,,so
wählt man hiezu das feinste Papier und nimmt immer einen ganzen
Bogen. Oben, zu beiden Seiten und unten läßt man einen breiten
Raum und unterschreibt sich um so tiefer, je vornehmer die Person
ist, an die man schreibt. »
11) Briefen an hochgestellte Personen darf man keine
Nachschrift beifügen, keine weiter zu befördernden Briese einschlie-
ßen und niemals Empfehlungen au Geringere beisetzen. Ort und
Datum dürfen in solchen Briefen nicht oben, sondern nur linker
Hand am Schlüsse angebracht werden. Zum Verschließen solcher
Briefe nimmt man immer feines Siegellack, und nur an gute Be-
kannte dürfen Oblaten gebraucht werden.
12) Alle Briefe dieser Art schreibe man reinlich, mit guter,
schwarzer Dinte und erlaube sich keine Durchstriche oder Verbesse-
rungen, was eine Verletzung der Hochachtung wäre, die man einem
Höheren schuldig ist. Vor dem Siegeln reinige man die Schrift
*) I. G. v. Herder.
»
237
von allem Sande und lese den Brief noch einmal durch,,damit keine
Fehler in demselben stehen bleiben. Ist man über den Titel des-
jenigen, an den man schreibt, im Zweifel, so muß man sich bei
wohlunterrichteten Personen darnach erkundigen.
2. Goldene Regeln zur Beobachtung im geselligen Leben.
1) Halte auch in den geringsten Kleinigkeiten dein
Wort getreu und sei stets wahrhaftig in deinen Reden.
Nie kann man ein Recht oder erlaubte Ursachen haben, das Gegen-
theil von dem zu sagen, was man denkt, obgleich man Gründe oder
sogar manchmal die Verpflichtung haben kann, nicht Alles zu sagen,
was man weiss oder was in uns vorgeht.
2) Sei strenge, pünktlich, ordentlich, arbeitsam und
fleissig in deinem Berufe! Bewahre deine Papiere, deine Schlüssel
und Alles so, dass du jedes einzelne Stück auch im Dunkeln finden /
kannst. Vetfahre noch ordentlicher mit fremden Sachen! Verleihe
nie Bücher oder andere Dinge, die dir selbst geliehen worden sind-,
hast du von Andern dergleichen geborgt, so stelle sie zu rechter
Zeit wieder zurück, damit diejenigen, die dir gefällig waren, nicht
auch noch die Mühe haben, sie zurück zi* verlangen oder abholen
zu lassen.
3) Belästige Leute, mit denen du umgehst, nicht mit unnützen
Fragen, besonders wenn du befürchten musst, ihnen beschwerlich zu
fallen. Zeige niemals eine kindische und unwürdige Neugier und
frage nie nach Dingen, über welche Andere, vielleicht absichtlich, auf
eine unverständliche oder geheimnissvolle Weise sprechen.
4} Lerne Widerspruch ertragen! Sei nicht kindisch ein-
genommen von deinen Meinungen! Werde nicht hitzig, noch grob im
Zanke, auch dann nicht, wenn man deinen ernsthaften Gründen Spott
und Bitterkeit entgegen setzt! Du hast bei der besten Sache schon
halb verloren, wenn du nicht kaltblütig bleibst, und wirst wenigstens *
auf diese Weise nie Beifall finden.
5) ) Sprich niemals über die Fehler deiner Mitmenschen! Beurtheile
Niemanden mit Härte! Sei weder im Lobe noch im Tadel partheiisch
und kränke Niemanden durch unbescheidene Rüge seiner Fehler!
6) Sei verschwiegen, denn es ist ein grosser und gemeiner
Fehler, etwas Anvertrautes oder gar Geheimnisse von Andern bekannt
zu machen! Du schadest Andern und dir selbst dadurch, indem du
Achtung und Vertrauen verlierst.
7) Hoffe nicht durch Uebermuth und Spott, oder dadurch, dass
du Andere lächerlich machest, Bewunderung und Aufsehen zu
erregen. Ein solches Betragen macht immer veid)asst und sogar ver-
ächtlich.
238
8) Behandle deine Feinde mit Grossmuth J Beschäme Verläumder
durch Stillschweigen, und befleisse dich der Kunst, auch mit streit-
süchtigen und zänkischen Menschen in gutem Vernehmen zu stehen.
9) Nie soll man von Abwesenden Uebles reden, und geschieht
dies von Andern, so nehme man den Angegriffenen, wenn man kann,
in Schutz.
10) Bleibe deinen Freunden auch in der Noth treu und komme
ihren Bitten, wenn es dir möglich ist, edelmüthig zuvor; denn Eigen-
nutz ist der gewöhnlichste Grund, warum es so wenig wahre
Freunde giebt.
11) Verbreite nicht die üblen Urtheile, die du etwa in Gesell-
schaft über Jemanden gehört hast, damit du nicht für einen Zwischen-
träger und Schwätzer gehalten wirst.
12) Die so gemeine Sucht, verdienstvolle Männer herabzusetzen
und ihre Leistungen zu verkleinern, ist unedel und verräth Eitelkeit und
Neid. Eitle und lobgierige Menschen sind die unerträglichsten in der
Gesellschaft.
13) Aeussere keinen Stolz auf deine etwaigen Vollkommenheiten
und Vorzüge, und behandle Andere nicht mit Geringschätzung! Wenn
man fortdauernd bewundert werden soll, muss man mit der Aeusse-
rung seiner Vorzüge sparsam seyn und immer eine gewisse Eröff-
nung davon für morgen vorbehalten.
14) Unter bösen Menschen findet keine Freundschaft Statt. Es
ist leichter Freunde zu erwerben, als sie zu erhalten. Der Hilfe
seiner Freunde muss man sich nur in wichtigen Angelegenheiten be-
dienen. Wenn du nicht Gefahr laufen willst, Freunde zu verlieren, so
wünsche ihnen kein zu grosses Glück. Mache sie dir auch nicht zu
sehr verbindlich; denn die Last einer drückenden Verbindlichkeit ver-
wandelt oft Freundschaft in Feindschaft.
15) Der brave Mann handelt, seinem wahren Charakter gemäss,
mit unverfälschter Geradheit und Offenheit, und behauptet seine Selbst-
ständigkeit, mögen auch andere Menschen handeln, wie sie wollen.
Sein Gewissen ist die Richtschnur aller seiner Handlungen, und seinen
wohlgeprüften Grundsätzen bleibt er treu und richtet dieselben nicht
nach dem Urtheile der grossen Menge.
16) Es ist ehrenvoll, von Personen ungünstig beurtheilt zu wer-
den, welche alle braven Menschen verlästern.
17) Verbirg den Menschen deine Bravheit bis auf den Punkt,
wo sie veranlasst werden könnten, gegen dich boshaft zu seyn.
18) Wem seine wahre Ehre gleichgiltig ist, der verachtet die
Tugend; Männer von Ehre dulden daher nicht, dass man ehrenrührig
über sie scherze.
19) Lass dich nitz durch dein Glück zum Uebermuthe verführen;
dieser macht dich verhasst; beneidet wirst du ohnehin.
239
20) Es giebt keine grössere Herrschaft, als die Herrschaft über
sich selbst und seine Leidenschaften. Wer nie von einer Leiden-
schaft hingerissen wird, muss einen grossen Charakter besitzen. Jede
Leidenschaft drängt die Vernunft aus ihrem Gleise und führt uns zur
Reue. Willst du irgend einer Leidenschaft, die sich in dir erhebt,
Herr werden, so musst du so bald als möglich bemerken, dass sie
sich in dir erhebt. Im Zustande der Leidenschaft handle niemals selbst,
sondern lass Andere, welche kaltblütig und redlich sind, für dich
handeln.
Achter Abschnitt.
Belehrungen aus der Erdkunde,
l. Die Erde.
„Wer morgen früh um 4 Uhr ausstehen mag, 'darf mich aus
einem Spaziergange begleiten, aus welchem wir recht viel Schönes
sehen werden." So sprach Vater Richard zu seinen Kindern, die
darüber in lauten Jubel ausbrachen. Sie giengen eilfertig zu Bette,
um des Morgens desto früher munter zu seyn, und Jedes hatte
versprochen, die Andern zu wecken, wenn es etwa zuerst erwachen
sollte. Um 3 Uhr war Franz, der älteste Sohn, schon munter
und weckte seine Geschwister. Alle zogen sich rasch an, und da auch
der Vater schon früher aufgestanden war, als er selbst bestimmt
hatte, so war um halb 4 Uhr die ganze Gesellschaft auf dem Wege.
Die Reise gieng auf einen hohen Berg, nach welchem man eine
gute Stunde zu gehen hatte. Es war ein köstlicher Frühlings-
morgen, und die Kinder genossen schon auf dem Wege das hohe
Vergnügen, die Sonne aufgehen zu sehen. Als sie aber erst auf
der Höhe des Berges angekommen, waren, stieg ihre Ueberraschung
und ihr Erstaunen auf's Höchste, denn rings um den Berg her er-
blickte man nach allen Seiten hin so viele Dörfer und Städte, daß
das Auge sie nicht zählen konnte. Mitten durch das weite, grüne
Thal strömte ein starker Fluß, auf welchem ein Dampfschiff pfeil-
schnell dahin fuhr und mehrere kleinere Boote sich hin und her be-
wegten. An den Usern des Flusses lagen in lieblicher Frische die
freundlichsten Ortschaften, deren Thürme, von der Sonne vergoldet,
ihnen entgegen glänzten. Dichtbewaldete Berge zogen sich durch die
240
Landschaft hin, und so weit das Auge reichte, so weit dehnte sich
auch das schöne Gemälde aus. „Ach, Vater!" rief endlich die kleine
neunjährige Sophie, „aber hier sieht man gewiß die ganze Welt!"
Vater: O nein, liebes Kind ! Zur ganzen Welt gehört gar
viel. Wenn man sagt: „die Welt", so versteht man darunter
Sonne, Mond und Sterne, nebst der Erde, auf der wir
wohnen.
Sophie: Die ganze Erde meinte ich.
Otto: Hier sieht man freilich viele Orte, aber ich glaube
doch nicht, daß dies die ganze Erde ist, denn dieses Land, das wir
hier sehen, könnte man ja in ein Paar Tagen durchreisen.
Vater: Da möchtest du dich doch wohl irren, denn bis an
jene blauen Berge hin, die wir fast ringsum sehen, hätten wir we-
nigstens 15 bis 20 Stunden zu gehen, und das gäbe denn schon
einen ziemlichen Umkreis. Was du hier siehst, ist nur ein Theil
unseres Vaterlandes, und auch unser Vaterland ist wieder nur
ein Theil von einem größern Lande, das man Deutschland nennt.
Franz: Ja, und auch Deutschland ist wieder nur ein nicht
gar großer Theil von Europa, das weiß ich von der Schule her.
Sophie: Aber Europa ist doch die ganze Erde!
Franz: Ei Gott bewahre! Die Erde ist noch viel größer.
Otto: Das ist doch erstaunlich!
Vater: Ja wohl! Europa ist nur Ein Erdtheil, wie es
im Ganzen fünf giebt. Franz wird uns sagen können, wie sie heißen.
Franz: Die fünf Erdtheile heißen: Europa, Asien, Afrika,
Amerika und Australien.
Vater: Nun seht, Kinder! in all' diesen Erdtheilen könnt ihr
eine Menge solcher Berge treffen, wie ihr hier auf einem stehet;
auf vielen derselben könntet ihr noch weit mehr Städte und Dörfer
sehen, als hier. Wenn ihr aber auch uach und nach tausend Berge
besteigen würdet, so hättet ihr noch lange nicht Alles gesehen, was
auf der Erde ist.
Auf diese Weise unterhielt sich die kleine Reisegesellschaft noch
lange, genoß dabei die herrliche Aussicht und trat endlich ganz ver-
gnügt die Rückreise an.
2. Verschiedenheit der Erdbewohner.
Auf dem Heimwege hatten die Kinder noch eine Menge Fragen
an den Vater zu richten, denn ihre Wißbegierde war einmal geweckt,
und darum forschten sie immer weiter. „Sage mir doch, lieber
Vater," sagte Sophie, „sind denn in andern Erdtheilen auch Men-
schen wie wir?
Vater: Allerdings, was die Gestalt betrifft, sind sich die
241
Menschen auf der ganzen Erde gleich; nur der Hautfarbe nach
und wohl auch .sonst in einiger Rücksicht sind sie verschieden. Franz!
kannst du uns vielleicht sagen, wie die verschiedenen Menschenstämme
aussehen?
Franz: Ja wohl, lieber Vater! Wir selbst gehören zum kau-
kasischen oder weißen Menschenstamm; in Asien haben die
Menschen eine gelbe, in Afrika eine schwarze, in Amerika
eine rothe und in Australien eine kupferbraune Hautfarbe.
Otto: Das muß kurios aussehen — rothe, schwarze,
- gelbe und braune Menschen.
Sophie: Solche Menschen würde ich fürchten.
V. Unsere Hautfarbe kommt ihnen gerade so auffallend vor,
als die ihrige uns.
O. Woher mag es wohl kommen, daß die Menschen nicht auf
der ganzen Erde. eine gleiche Hautfarbe haben?
V. Das kommt hauptsächlich von dem Unterschied der Wärme
und Kälte in den verschiedenen Erdgegenden her. In Afrika zum
Beispiel, welches in jener Richtung liegt, wo die «sonne am Mittag
steht, ist es fast das ganze Jahr unerträglich heiß, und daher sind
die Menschen dort ganz schwarz.
S. Bei uns werden die Menschen im Sommer auch fast schwarz.
V. Du hast Recht, Sophie! das kommt von der gleichen Ur-
sache, und wenn es bei uns das ganze Jahr so heiß wäre, wie im
Sommer, so würde' uns am Ende die dunkle Hautfarbe auch bleiben.
S. Da bin ich doch froh, daß es wieder Winter wird.
Unter solchen Gesprächen kam die kleine Gesellschaft nach Hause.
Der Vater gieng an seine Geschäfte und versprach den Kindern, auf
den Abend ein Mehreres von der Beschaffenheit der Erde zu erzählen.
3. Die Erdtheile.
Am Abend erinnerten die Kinder den Vater sogleich wieder an
sein Versprechen. Er- nahm darauf eine Kegelkugel und sprach:
„Seht, Kinder ! Die Erde hat eine ähnliche Gestalt, wie diese ^ugel,
und nun will ich euch zeigen, wie die großen Länder, die man Erd-
theile nennt, aus der Oberfläche dieser Kugel liegen.
Der Vater machte nun mit der Kreide einen Fleck auf die
Kugel und sagte: Dieser Fleck bedeutet den Erdtheil, in welchem
wir wohnen, nämlich Europa. Hierauf zeichnete er einen zweiten
Fleck, und Franz, der aufmerksam zusah und in der Schule schon
Manches aus der Erdbeschreibung gelernt hatte, rief sogleich: „Das
ist Asien, der größte Erdtheil!"
V. Du hast Recht! Weißt du aber auch, wo Asien von uns
aus liegt?
Reiser, der Volksschüler i. d. Oberklasse. 16
242
Fr. Asien liegt von uns auS in der Richtung, wo uns die
Sonne aufgeht.
Der Vater zeichnete nun unterhalb Asien einen größern und
mehrere kleinere Flecke und viele Punkte und sprach: „Seht,
das sind Länder, die im Meere liegen und überall mit Wasser um-
geben sind; man nennt sie Inseln. Weißt du wohl, Franz, wie
derjenige Erdtheil heißt, den diese Inseln hier zusammen ausmachen?
Fr. Es ist Australien oder die Inselwelt.
Der Vater zeichnete hierauf unterhalb von Europa einen großen,
herzförmigen Fleck, welchen Franz sogleich für Afrika erklärte.
Nun wurde auch Amerika gezeichnet, und 'der Vater fragte sei-
nen ältesten Sohn, in welcher Richtung dieser Erdtheil liege.
Fr. Amerika liegt in derjenigen Erdgegend, wo die Sonne
untergeht.
V. Ihr wißt nun, Kinder, welche Lage die fünf Erdtheile
haben; nun seht ihr aber auch, daß zwischen denselben noch große
Räume sind, die kein Land enthalten, und wißt ihr wohl, mit was
diese Räume ausgefüllt sind?
O. Wenn kein Land da ist, so muß es wohl Wasser seyn.
V. Getroffen! das sind die verschiedenen Meere, die ihr auch
noch kennen lernen sollt.
O. Aber Vater! da wäre ja viel mehr Wasser als Land!
V. So ist es auch; die Meere sind'zusammen wohl zweimal
so groß, als alle fünf Erdtheile zusammen.
O. Das ist doch merkwürdig.
V. Du wirst in der Folge noch viel Merkwürdigeres erfahren,
wenn du die Erde näher kennen - lernst.
O. Ach! wenn ich nur schon recht viel davon wüßte!
V. Nur Geduld, lieber Otto! wer alle Tage nur Etwas lernt,
weiß in einem Jahre schon Vieles.
O. Also alle Tage Etwas, lieber Vater!
V. Alle Tage, wenn ich Zeit finde und ihr recht aufmerksam
seid. Nun müßt ihr auch noch die sogenannten vier Himmelsgegen-
den merken, weil von diesen in der Erdbeschreibung oft die Rede ist.
Man nennt nämlich die Gegend, wo die Sonne aufgeht. Morgen
oder Ost, jene wo sie untergeht Abend oder West; wo die Sonne
zur Mittagszeit steht, ist Mittag oder Süd, und diejenige Ge-
gend, welche dem Süden entgegengesetzt ist, heißt Mitternacht
oder Nord.
4. Die großen Meere.
Am folgenden Abend brachte der Vater einen Globns und
stellte ihn auf den Tisch, indem er sprach: „Hier habt ihr, liebe
Kinder, eine Abbildung unserer Erdoberfläche; hier könnt ihr deutlich
243
sehen, was Land und Wasser ist, welche Erdtheile aneinander stoßen
und welche getrennt liegen. Die farbigen Stücke stellen das Land,
die weißen aber das Wasser vor. Weißt du wohl, Franz, wie das
Meer heißt, das hier oberhalb von Europa, Asien und Amerika liegt?"
Fr. Es ist das Eismeer, und zwar das nördliche, weil dieser
oberste Punkt, um welchen das Eismeer herum liegt, der Nordpunkt
oder Nordpol heißt.
V. Wie heißt aber dieser Punkt, der auf der entgegengesetzten
Seite liegt?
Fr. Es ist der Südpol, und das Meer hier heißt das süd-
liche Eismeer.
V. Warum heißt man aber diese Gewässer die Eismeere?
Fr. Weil es in diesen beiden Erdgegenden so kalt ist, daß
das Meer größtentheils das ganze Jahr hindurch mit Eis be-
deckt ist.
V. Ganz recht! — Nun erinnert ihr euch auch noch, wie unser
Nachbar im letzten Herbst nach Amerika zog und wie die Nachbarin
so entsetzlich weinte, als sie bei uns Abschied nahm?
Soph. Das weiß ich wohl noch; sie sagte, daß sie sich so
sehr vor der Seereise fürchte.
V. Da hatte sie wohl Ursache, denn seht, zwischen Europa,
wo wir zu Hause sind, und Amerika, wohin der Nachbar aus-
wanderte, liegt ein großes Meer; über dieses mußten sie fahren,
und eine solche Fahrt kann immer 5 bis 6 Wochen dauern. Weißt
du, Franz, wie man dieses Meer nennt?
Fr. Es ist das atlantische Meer.
V. Durch dieses Meer müssen auch diejenigen Schiffe fahren,
die uns den Kaffee und die Gewürze aus Indien bringen. Sie
schiffen hier um Afrika herum und kommen dann — in welches
Meer, Franz?
Fr. In das indische Meer.
P. Richtig! In dieses Meer ragen hier zwei Landstriche herein,
welche Vorder- und Hi nt er in dien heißen; von diesen hat das
Meer seinen Namen. Nun aber sehet ihr hier noch ein großes
Meer zwischen Asien, Australien und Amerika.
Fr. Es ist der große Ocean oder das stille Meer.
V. Auch hier sehet ihr noch ein kleineres Meer, das zwischen
— oder wie man auch sagt — in der Mitte von Europa, Asien
und Afrika liegt und daher das mittelländische Meer heißt. Außer
diesen giebt es noch viele^kleinere Meere und Seen, die ihr
später kennen lernen sollet, wenn wir von den Länden: sprechen^
von welchen sie umgeben sind.
. 244
5. Größt und Eintheilung der Erde.
Erklärung der verschiedenen Kreislinien.
V. Die Erde, auf der wir wohnen, ist, wie ich euch schon
gesagt habe, dieser Maschine, welche man Globus nennt, ihrer Ge-
stalt nach ähnlich. Sie ist aber so groß, daß ein Reisender, welcher
täglich 5 Meilen zurücklegen würde, 1080 Tage zu wandern hätte,
wenn er mitten um dieselbe herumreisen wollte. Ein solcher Wan-
dersmann würde also beinahe 3 volle Jahre brauchen, bis er wieder
nach Hause käme, und dürfte sich obendrein nirgends aufhalten.
Aus diesem ist nun leicht zu berechnen, wie groß der Umfang der
Erde seyn muß.
O. Wenn man 1080 Tage lang reist und täglich 5 Meilen
macht, so giebt dies einen Weg von 5400 Meilen.
V. Ganz richtig! Das ist der Umsang der Erde. Denken
wir uns eine Linie, die mitten durch die Erde hindurch von einem
Pol zum andern gienge, so wäre das ihr Durchmesser, und zwar
der kleinste, weil die Erde an beiden Polen etwas abgeplattet oder
eingedrückt ist. Dieser Durchmesser beträgt 1716 Meilen. Unter
dem Aequator ist der Durchmesser 1721 Meilen lang. Ihr sehet,
daß dieser Globus durch eine Linie in zwei gleiche Theile (in
eine nördliche und eine südliche Erdhälfte) getheilt ist. Diese Linie
nennt man daher —
Fr. Den Gleicher oder Aequator.
V. Weiter entfernt vom Aequator sieht man zu beiden Seiten
desselben noch zwei etwas stärkere Linien, von welchen die obere
der Wendezirkel des Krebses, die untere der Wendezirkcl des
Steinbocks genannt wird. Weißt du wohl, Franz, warum diese
Kreise Wendezirkel heißen?
F. Die Erde dreht sich in 24 stunden Einmal um ihre Achse;
zugleich läuft sie aber auch alle Jahre auf einer 131 Millionen
Meilen langen Kreisbahn um die Sonne; während dieser Reise ist
der Nordpol der Erde immer einem gewissen Stern am Himmel
zugewendet, den man Polarstern nennt. Dadurch kommt die Erde,
der Sonne gegenüber, in verschiedene Stellungen, und zwar so, daß
in einem halben Jahre die nördliche, im andern Halbjahre aber
mehr die südliche Erdhälfte der Sonne zugekehrt ist, welche
z. B. am 21. Juni dem Wendekreise des Krebses, am 21. Dezem-
ber aber dem Wendekreise des Steindrucks gegenüber steht. Wenn
nun die Sonne mit einem dieser Kreise in gleicher Höhe steht, so
scheint sie dort immer wieder umzuwenden, und daher nennt man
diese Linien Wendekreise.
Der Vater stellte nun das Licht so, daß seine Flamme in
245
gleicher Höhe mit dem untern Wendekreise zu stehen kam und schob
zugleich den Globus in einem weiten, länglich runden Kreise um
das Licht herum, wobei der Nordpol immer einem weit vom Tische
entfernten Punkte an der Decke des Zimmers zugewendet blieb. Er
machte sodann die Kinder darauf aufmerksam, daß sich die Beleuch-
tung immer zwischen den beiden Polen hin- und herschiebe und da-
durch die verschiedenen Tageslängen veranlasse. Er zeigte ferner,
daß — weil mit der Abnahme der Beleuchtung auch die Ab-
nahme der Erwärmung für eine Erdgegend verbunden sei, auch
ein Wechsel der Jahreszeiten stattfinden müsse. Die Kinder be-
griffen leicht, daß in einem Halbjahre mehr der Nordpol, im an-
dern aber mehr der Südpol der Sonne zugekehrt sei, woraus her-
vorgehe, daß die Jahreszeiten auf beiden Halbkugeln einander ent-
gegengesetzt seyn müssen. Nachdem der Vater dieses hinreichend
mit Hilfe des Globus und des Lichtes erklärt und versinnlicht hatte,
sprach er weiter: „Ihr seht nun, daß die Sonne den Bewohnern
des Landstriches zwischen den beidewWendekreisen, welcher 705 Mei-
len breit ist, immer am geradesten gegenüber steht; daher ist hier
auch die Hitze am größten, und man nennt diesen Erdgürtel die
heiße Zone. Weiter entfernt von den Wendekreisen sehet ihr aber
noch zwei stärker gezeichnete Linien; man nennt sie Polarkreise.
Zwischen diesen und den Wendekreisen liegen nun ebenfalls zwei
Landstriche, und. Franz wird uns sagen können, wie man sie nennt.
Fr. Es sind die gemäßigten Zonen.
V. Wie nennt man aber die Erdgegrnden, welche innerhalb
der Polarkreise liegen?
Fr, Es sind die zwei kalten Zonen.
V. So ist's! — Nun seht ihr aber hier noch viele Kreise, die
alle mit dem Aeguator gl eich laufen und daher Parallel- oder
auch Breitenkreise genannt werden.
Fr. Man zählt diese Kreise vom Aeguator an auswärts und
abwärts, und kann nach denselben bestimmen, unter was für einem
Grad nördlicher oder südlicher Breite ein Ort liege. Jeder Kreis
wird zu dem Zwecke in 360 Grade eingetheilt.
V. Ganz recht! — Weißt du aber auch, wie diese Kreise hei-
ßen, die sich alle an den Polen durchkreuzen?
Fr. Diese Kreise nennt man Meridiane oder Mittagskreise,
weil alle Orte, die unter einem solchen Kreise liegen, zu gleicher
Zeit Mittag haben.
V. Ihr könnet euch überhaupt merken, daß diejenigen Orte
und Gegenden, die unter gleichen Meridianen, aber sehr weit
von einander entfernt liegen, g l e i ch e U h r, aber ungleicheJahres-
zeiten, solche Gegenden aber, die unter gleichen Parallel-
kreisen, jedoch weit von einander entfernt find, gleiche Jahres-
246
Zeiten, aber ungleiche Uhr haben. Nun sage uns, Franz, wozu
die Meridiane noch weiter dienen!
Fr. An den Meridianen werden die Längengrade abgezählt,
wie an den Parallelkreisen die Breitengrade. Man nimmt den-
jenigen Meridian, der mitten durch die Insel Island oder an der
Insel Ferro vorbeigeht, als den ersten an, und zählt.180 Grade
gegen Osten und 180 Grade gegen Westen, wonach es also eine
östliche und eine westliche Länge giebt. Einige Geographen zählen
aber auch um die ganze Erde herum. Nach diesen wäre also z. B.
der lote westliche Längengrad der 350ste Grad östlich.
6. Vas Meer als Grundfläche aller Höhen.
Otto hatte eine Karte von der Provinz, in welcher er wohnte,
sehr aufmerksam betrachtet. Er bemerkte bei manchen Orten und
Gebirgen Zahlen, deren Bedeutung ihm durchaus nicht erklärlich
war. Er fragte daher den Vater, warum denn diese Zahlen auf
der Karte stünden.
Vater: Diese Zahlen zeigen die höhere oder tiefere Lage
eines Ortes an; um aber diese genau bestimmen zu können, nimmt
man die Oberfläche des Meeres als Grundlage an, weil der Erd-
boden zu uneben und seine Höhe zu verschieden ist. Der Wasser-
spiegel des Weltmeeres wird also als die eigentliche Erdober-
fläche betrachtet und das Land mit seinen Gebirgen'nimmt man als
Hervorragungen — als eigentliche Höhen an.
Otto: Nun verstehe ich das schon. Wenn also hier steht
Rigi 5500, so hdißt das: der Rigibcrg erhebt sich 5500 Fuß über
das Meer. Aber sage mir, lieber Vater, was sind denn Niederun-
gen, Mittel- und Hochgebirge?
V. Niederungen sind Gegenden, die weniger als 500 Fuß
über dem Meere liegen; höher gelegene Stellen nennt man Mittel-
oder Stnfenland; Mittelgebirge reichen von 2000—6000 Fuß,
und Gebirge, welche diese Höhe übersteigen, werden Hochgebirge ge-
nannt. Zu diesen gehören auch die Gletscher.
Sophie: Was Gletscher sind, weiß ich wohl; das sind Berge,
auf welchen Schnee und Eis niemals schmelzen.
V. Die Höhe eines Berges, von welcher an der Schnee nie-
mals schmilzt, wird die Schneelinie genannt. Unter dem Aequator
reichen nur Gebirge, die über 15,000 Fuß hoch sind, über die
Schneelinie hinauf, während in Mitteleuropa schon 6000, und am
Eismeere sogar Höhen von 100 Fuß dieselbe erreichen. Die Glet-
scher richten manchmal durch Lawinen großen Schaden an.
Sophie. Was sind denn Lawinen?
Fr. Das will ich dir erklären, Sophie! —■ Manchmal lösen
247
#
sich auf den Höhen der Gletscher kleinere oder größere Massen von
Schnee ab; diese vergrößern sich, indem sie den Berg herab rollen,
zu furchtbaren Bällen, die man Lawinen nennt. Solche bedecken
öfters nicht nur einzelne Häuser, sondern auch ganze Dörfer im
Thale, sperren den Lauf der Flüsse und setzen dadurch ganze Ge-
genden unter Wasser, wodurch schreckliche Verwüstungen angerichtet
werden und nicht selten viele Menschen und Thiere zu Grunde gehen:
V. Ihr wißt nun das Nothwendigste, liebe Kinder, um den
folgenden Unterricht zu verstehen. Damit ihr euch aber auch künftig
aus die Lehrstunden vorbereiten und manche merkenswerthe Namen,
Zahlen und andere Sachen leichter behalten könnet, so habe ich das
Wichtigste für euch ausgeschrieben, und hoffe, daß ihr euch dasselbe
vor den jedesmaligen Unterrichtsstunden wohl einprägen werdet.
Mit diesem übergab der Vater den Kindern ein von ihm ge-
schriebenes Heft, worin folgende Beschreibungen enthalten waren.
Europa.
Von allen Erdtheilen ist Europa für uns der wichtigste, weil
er neben vielen andern Ländern auch unser Vaterland einschließt.
Obgleich dieser Erdtheil einer der kleinsten ist, so könnte man ihn
dennoch in 180,000 Stücke Land theilen, von welchen jedes 2 Stun-
den lang und 2 Stunden breit wäre, was man eine Omadratmeile
nennt. Er beherbergt mehr als 250 Millionen Menschen, und
wenn wir diese Zahlen mit der Größe und Volkszahl anderer Erd-
theile vergleichen, so stellt sich's heraus, daß Europa die dichteste
Bevölkerung enthält.
Betrachten wir zuerst die Grenzen dieses Erdtheils. Er ragt
im Norden in das Eismeer, im Westen in das atlantische,
im Süden in das Mittelmeer hinein, und ist also auf 3 Seiten
von Wasser umgeben; nur im Osten schließt er mit einem 360
Meilen langen Rücken an Asien an. Hier bilden das Uralgebirge,
der Uralflnß und das kaspische Meer die Grenzmarken, während
im Süden der Kaukasus, das.schwarze und mittelländische Meer,
im Westen der atlantische Ocean und im Norden das Eismeer
unsern Erdtheil als Naturgrenzen umschließen.
Machen wir nun eine Reise zu Wasser vom höchsten Norden
Europa's nach dem Süden, wobei wir die Theile der verschiedenen
Meere näher kennen lernen wollen! — Vom karischen Meer, im
höchsten Nordosten, fahren wir an der russischen Küste herab an
mehreren Meerbusen vorbei, umsegeln die Halbinsel Kanin und ge-
langen in das weiße.Meer, an welchem die Handelsstadt Archangel
248
liegt. Von hier aus umschiffen wir die Halbinsel Kola, fahren an
der schwedischen Küste hin und kommen endlich an dem Nordkap,
der nördlichsten Spitze Europa's, vorüber, von wo an wir unsern
Lauf südwestlich richten und durch das scandinavische Meer in die
Nordsee einlaufen. Da wir aber auch die Ostsee besuchen wollen,
so richten wir den Lauf unseres Schiffes östlich, fahren durch
das Skagerack in das Kattegat, von welchem drei Wasserstraßen,
der kleine und große Belt und der Sund, in die Ostsee führen.
Unser Lauf geht an der schwedischen Küste gegen Norden, an der
Insel Gothland und weiterhin an der Hauptstadt Stockholm vorüber
nach dem bottnischen Meerbusen, bis zur Stadt Tornea, wo wir
umwenden und an Finnland herab nach dem finnischen Meerbusen
steuern. Im Hintergründe desselben liegt auf einer Insel die starke
Festung Kronstadt, und am Ende des Meerbusens erblicken wir
die schöne russische Hauptstadt Petersburg. Wir ändern abermal
den Lauf unseres Schiffes, fahren zurück und besuchen noch den
rigaischen und nachher den danziger Busen, worauf wir uns auf
dem schon bekannten Wege wieder nach der Nordsee begeben.
Unsere Fahrt geht nun durch die Straße von Calais (sprich
Kalä), an dem Meerbusen von Biscaya vorüber, an der spani-
schen und portugiesischen Küste herab, und nun laufen wir
durch die Straße von Gibraltar in das Mittelmeer ein. Da wir
auf unserem Wege gerne Rom sehen möchten, so fahren wir durch
die Straße von San Bonifacio, zwischen den Inseln Corsika
und Sardinien hindurch und steuern durch das tyrrhenische Meer
gerade auf Rom los, wo wir landen, um alle Merkwürdigkeiten
dieser berühmten Stadt zu betrachten. Von hier aus segeln wir
nach Neapel, das unsere Neugierde ebenfalls anzieht; wir besteigen
den Vesuv, wenn er gerade ruhig ist, sodann laufen wir durch die
Straße von Messina in das jonische Meer ein. Gerne würden wir
auch durch das adriatische Meer hinauf steuern und der altberühm-
ten Stadt Venedig einen Besuch machen; das würde uns aber zu
lange aufhalten, und daher umsegeln wir das Kap Matapaii, Grie-
chenlands Südspitze, und richten unsern Laus nach dem Archipelagus
oder Jnsclmeer. Aus diesem führt uns die Dardauellenstraßc oder
der Hellespont in das Marmormeer, und wir könnten hier wohl
aussteigen, um die große und schöne Stadt Constantinopel näher
zu betrachten, die schon wegen ihrer herrlichen Lage und ihren vielen
Kuppeln und Thürmen einen so prächtigen Anblick gewährt. Wir
dürfen uns aber nicht aufhalten, da wir noch nicht am Ziele un-
serer Reise sind. Wir passiren daher die Straße von Constan-
tinopel oder deck thracischeu Bosporus, durchsegeln das schwarze
Meer, steuern rechts an der Halbinsel Krim vorüber und laufen
durch die Straße vyn Feodosia in das asowffche Meer ein, wo
249
wir bis zur Mündung des Don vordringen oder auch allenfalls
aus diesem Fluß noch eine gute Strecke landeinwärts fahren können.
Nun hört aber 'unsere Schifffahrt auf, und es bleibt uns keine
Wahl übrig, als die Rückfahrt anzutreten oder unser Schiff zu ver-
kaufen und durch Südrußland, Ungarn und Oesterreich auf
dem kürzesten Wege nach Hause zu reifen.
Hinsichtlich der Gebirge merken wir uns vorerst nur die größten
Gebirgszüge, da wir dieselben bei der Beschreibung der einzel-
nen Länder schon noch näher kennen lernen. Die höchsten, über die
Schneelinie hinausreichenden Gebirge find die Alpen in der Schw eiz
und Tyrol, die Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich,
die seandinavischen Gebirge zwischen Schweden und Norwegen,
und die Karpathen in Ungarn, welche jedoch nur mit einzelnen
Spitzen an die Schneelinie hinan reichen. — Die Sevennen durch-
ziehen das südliche Frankreich und die Apenninen streichen durch
ganz Italien hinab.
Die europäischen Flüsse werden bei den einzelnen Ländern
genannt.
Ulima, Produkte und Volksbildung.
Europa liegt auf der nördlichen Erdhälfte, größtentheils
in der gemäßigten Zone und hat also schon dieser Lage wegen
ein gemäßigtes Klima; allein die Nähe von Afrika, das wie ein
Ofen erwärmt, die vorherrschenden Westwinde und eine tausend-
jährige Bodenkultur geben Europa ein Klima, das weit milder ist,
als das in denjenigen Ländern von Nordamerika und Asien, die
unter dem gleichen Himmelsstriche liegen. — Die trockenen O st-
w in de kommen aus dem wasserarmen, kalt-trockenen Hochasien
herüber und bringen uns im Sommer Dürre, im Winter schnei-
dende Kälte. Der Südwind trügt die Glutwärme Afrika's weit
über Europa hin, während die Westwinde die Ausdünstungen
des atlantischen Oceans über Europa hinführen und daher
gewöhnlich Regen bringen. Die Nordwinde find immer kalt und
meistens trocken. . . >
Der Boden im Norden Europa's ist äußerst karg und
bringt höchstens Moose und Flechten hervor. > Gerste und
Hafer wüchsen nur bis zum 70sten Grad Nordbreite; etwas höher
hinauf sindet man auch noch kleine, krüppelhafte Birken; Fichten
und Tannen aber gedeihen nur bis zum 67sten, und Eichen nur
bis zum 61sten Breitengrade.
In Mitteleuropa dagegen baut man allerlei Gattungen
von Getreide, Flachs, Hanf, Hopfen, Obst und Wein.
Holz wächst in Menge.- Noch üppiger und fruchtbarer ist der
Boden in Südeuropa, wo die edelsten Weine, das feinste Obst,
,1
250
Pomeranzen, Citronen, Granatäpfel, Melonen, Feigen
und Oelbäume gedeihen. ' .
Unser Erdtheil ist reich an Mineralien, vorzüglich an Eisen
und Kupfer (in Schweden), Blei, Zinn und Steinkohlen
(in England), Quecksilber (in Spanien und Oesterreich); Salz
findet man sehr häufig. Silber giebt es in vielen Bergwerken,
Gold in Rußland und Oesterreich, Platina und Diamanten
' aber werden bis jetzt nur in Rußland gefunden.
Die meisten wilden und reißenden Thiere hat der kultivirte
Europäer ausgerottet und dagegen alle Gattungen Hausthiere
von den schönsten Arten und Formen gezogen. Das Wild ist zum
Besten des Landmanns fast überall sehr vermindert worden; da-
gegen sind die Flüsse und Meere reich an Fischen, und besonders
ernährt der Wallfisch- und Häringsfang viele Bewohner der
Nordküsten Europa's.
Europa ist der eigentliche Sitz des Christenthums. Im Sü-
den ist die katholische, im Binnen- und Nordeuropa die pro-
testantische und im Osten die griechische Kirche vorherrschend.
Außer diesen giebt es noch mehrere Sekten, die meisten in England
(Wiedertäufer, Quäcker, Methodisten), Herrnhuter in mehreren Län-
dern und Armenier in der Türkei.
Merkwürdig ist es, in welch' verschiedenem Maaße in den euro-
päischen Ländern für die Volksbildung gesorgt wird. In Deutsch-
land kommt durchschnittlich auf 5 bis 6 Einwohner 1 Schüler; in
England trifft es auf 17 und iw Frankreich auf 21 Menschen
Einen Schüler. Schlimmer steht cs in dieser Hinsicht in den meisten
italienischen Staaten, wo von 100 nur Einer, noch schlimmer
in Spanien, wo von 270 Einer, und am schlimmsten in Ruß-
land, wo von 700 Menschen nur Einer Schulunterricht erhält.
Nebst dem Ackerbau und der Viehzucht bilden Handel und
Gewerbe die Hauptnahrungsquellen der Europäer. Besonders aber
ist das Fabrikwesen in den letzten Iahrzehenten außerordentlich ver-
vollkommnet worden, und die Kraft einer einzigen Dampfmaschine
bewirkt jetzt mehr, als sonst tausend Hände. Handel und Fabriken
stehen in besonders hoher Blüthe in England und Frankreich,
sodann in den Niederlanden, in Deutschland und der
Schweiz, weniger in Rußland, Dänemark, Schweden und den übri-
gen europäischen Ländern.
Europa enthält folgende Staaten, welche wir der leichteren
Uebersicht wegen in Mittel-, Süd-, West-, Nord- und Ost-
europa eintheilen:
251
A. Mitteleuropa
umfaßt Deutschland mit den österreichischen und preußischen Neben-
ländern nebst der Schweiz.
B. Südeuropa.
1. Italien. 2. Die europäische Türkei. 3. Griechenland.
C. Westeuropa.
1. Portugal. 2. Spanien. 3. Frankreich. 4. Belgien. 5. Hol-
land. 6. England.
O. Nordeuropa.
1. Dänemark mit Island. 2. Schweden und Norwegen.
E. Osteuropa.
Rußland und Polen.
A. Mitteleuropa.
Deutschland.
Kein schöner Land als Heimat
Und meine Heimat nur!
Wie blüht der Baum so anders,
Wie anders Wald und Flur!
Von der steilen Greuzmauer, den Alpen im Süden, bis zu
den Niederungen der Ostsee hinab, in dem Herzen von Europa,
liegt Deutschland, das alte Germanien, unser Vaterland. Durch
seine glückliche Lage steht es in unmittelbarer Verbindung und Be-
rührung mit den bedeutendsten Ländern unseres Erdtheils. Zahl-
reiche schiffbare Flüsse und zwei Meere befördern seinen Handel, der
in der Gewerbsthätigkeit seiner Bewohner so wie in der Fruchtbar-
keit seines Bodens eine unversiegbare Quelle findet.
Ihr habt bisher Deutschland nur auf der Karte von Europa
gesehen, wo seine Lage gegen andere Länder am deutlichsten zu unter- ,
scheiden war. Jetzt wollen wir aber unser Vaterland auf einer
Karte betrachten, worauf dasselbe in einem viel größeren Maaß-
stabe abgebildet ist, so daß wir darauf schon viele Städte aufsuchen
können. Alle Städte und Dörfer aber, die in Deutschland liegen,
können auch hier nicht angegeben werden; denn dazu müßte man
eine Karte haben, die noch vielmal größer wäre. Die Gestalt
252
ober Figur des Landes werdet ihr auf beiden Karten einander
gleich finden. Nun sollt ihr es aber auch versuchen, Deutschland
auf eure Schiefertafeln abzuzeichnen, dann wollen wir sehen, welche
Länder und Meere an seinen Grenzen liegen, was ihr dann mit
Namen auf euren Zeichnungen angeben müßt. Es ist nicht geradezu
nothwendig, daß ihr bei solchen Schiefertafelzeichnungen ängstlich
jede Biegung der Grenzen zu treffen suchet; wir begnügen uns im
Anfang mit einem beiläufigen, auch nur etwas ähnlichen Bilde;
künftig aber, wenn ihr solche Karten auf Papier zeichnet, müssen
dieselben so genau als'möglich gemacht werden, und dieses Ver-
fahren werden wir bei allen Ländern, die ihr künftig kennen lernt,
einhalten.
Benennet nun noch einmal alle an Deutschlands Grenzen lie-
genden Länder und Gewässer!
Bodenform und Gebirge.
Wird auch die Schweiz gleichwohl nicht mit zu Deutschland
gerechnet, so ist dieselbe dennoch durch ihre Lage so enge mit un-
serem Vaterlande verbunden und so zu einem Natur ganzen ver-
einigt, daß wir sie bei dieser allgemeinen Betrachtung unseres Hei-
matlandes nicht wohl von demselben trennen können.
Von den steilen Bergwänden der bis zu 14,000 Fuß Höhe
hinanreichenden Alpen senkt sich das Land schnell bis zu einer Höhe
von 2000 Fuß herab; in Mitteldeutschland ist der Boden mehr wellen-
förmig und seine Höhe wechselt von 1000 bis zu 3000 Fuß. Gegen
die Nord- und Ostsee hin senkt sich der Boden so, daß er an man-
chen Orten durch Deiche oder Dämme gegen Meeresfluthen und
Stromgewässer geschützt werden muß.
Die Alpen ziehen von Südwesten aus durch die Schweiz,
Tyrol und Salzburg bis nach Kärnthen, Kram und Steyermark.
Viele ihrer Gipfel sind immer mit Schnee und Eis bedeckt, während
die Mitte und der Fuß solcher Gebirge mit Waldungen und den
üppigsten und kräftigsten Futterkräutern bekleidet ist.
Um Böhmen und Mähren her lagern der Reihe nach: der
Böhmerwald, das Fichtel-, Erz- und Riefengebirge, das Glatzer-
und mährische Gebirg und die kleinen Karpathen.
Der Schwarzwald steigt mit seinen schwarzgrünen, düstern
Tannenwaldungen, bei Basel anfangend, schnell zu seinen höchsten
Gipfeln, dem Feldberg und Bel gen, empor*) und zieht sich
durch Badxn nach Württemberg, wo er sich der rauhen Alp nähert,
die sich von der Neckarquelle bis zur Iaxt hinzieht. — Nörd-
*) Ersterer 4582, Letzterer 4370 Fuß hoch.
253
lich von dieser, zwischen dem Neckar und Main, liegt der Oden-
wald mit seinen Gipfeln, dem Katzenbuckel und Melibokus.
Nordöstlich von hier lagert der Spessart. — Zwischen der Lahn
und dem Main begegnen wir der waldreichen' Gebirgskette des
Tamms, dessen Abhänge gegen den Rhein und Main den obst- und
weinreichen Rheingau bilden. Südwestlich des Taunus, zwischen
Mainz und Trier, liegt der Hunsrück.
Duxch die sächsischen Herzogtümer hindurch erstreckt sich der
Thüringer Wald, welchem das Rhöngebirge westlich zur Seite liegt.
Südlich von Braunschweig erhebt sich der Harz mit seinem höchsten
Gipfel, dem Brocken oder Blocksberg (3500 Fuß hoch), und
zieht gegen Hannover hin, wo sich von ihm schöne waldreiche Berg-
züge nach Nordwesten ausbreiten und endlich in dem sandreichen
Flachland verlieren.
Brockenreise.
Die Sonne gieng auf. Die Nebel flohen wie Gespenster beim
dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und
vor mir schwebte die schöne Sonne, immer neue Schönheiten be-
leuchtend. Der Geist des Gebirges begünstigte mich ganz offenbar
und, ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht
Jeder sah. Aber auch mich sah der Harz^ wie mich nur Wenige
gesehen; in meinen Augenwimpern flimmerten eben so kostbare Per-
len, wie in den Gräsern des Thales. Morgenthau feuchtete meine
Wangen, die rauschenden Tannen schienen mich zu verstehen; ihre
Zweige thaten sich von einander, bewegten sich herauf und herab,
gleich stummen Menschen, die mit den Händen ihre Freude bezeugen,
und in der Ferne klang es wunderbar geheimnißvoll, wie Glocken-
geläute einer verlorenen Waldkirche. Man sagt, das seien die Heer-
denglöckchen, die im Harz so lieblich rein und klar gestimmt sind.
Nach dem Stande der Sonne war es Mittag, als ich auf
eine solche Heerde stieß, und der Hirt, ein freundlich blonder, junger
Mensch, sagte mir, der große Berg, an dessen Fuß ich stände, sei
der alte, weltberühmte Brocken. Viele Stunden ringsum liegt kein
Haus, und ich war froh genug, daß mich der junge Mensch einlud,
mit ihm zu essen- Wir setzten uns nieder zu einer Mahlzeit, die
aus Käse und Brod bestand; die Schäfchen erhaschten die Krumen;
die lieben, blanken Kühlein sprangen um uns herum, klingelten
schelmisch mit ihren Glöckchen und blickten uns vertraulich an mit
ihren großen, vergnügten Augen.
Wir tafelten recht königlich, nahmen darauf recht freundlichen
Abschied, und fröhlich stieg ich den Berg hinauf. Bald empfieng
mich eine Waldung himmelhoher Tannen, vor denen ich in jeder
Hinsicht Respekt habe. Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen
254
nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es- sich in der
Jugend sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen Granit-
blöcken übersäet, und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln
diese Steine umranken oder sprengen und mühsam den Boden suchen,
woraus sie Nahrung schöpfen können. Hier und da liegen die
Steine, gleichsam ein Thor bildend, über einander und oben darauf
stehen die Bäume, die nackten Wurzeln über jene Steinpforte hin-
ziehend, und erst am Fuße derselben den Boden erfassend, so daß
sie in der freien Luft zu wachsen scheinen. Und doch haben sie sich
zu jener gewaltigen Höhe emporgeschwungen, und, mit den um-
klammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester, als
ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des flachen Landes.
Auf den Zweigen der Tannen kletterten Eichhörnchen, und unter
denselben spazierten die gelben Hirsche. Wenn ich solch' ein liebes,
edles Thier sehe, so kann ich gar nicht begreifen, wie gebildete Leute
Vergnügen daran finden, es zu hetzen und zu tobten.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte
Tannengrün. Die Baumwurzeln bildeten eine natürliche Treppe.
Ueberall schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von
den schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern über-
wachsen. Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel. Hier
und da sieht man, wie das Wasser unter den Steinen silberhell hin-'
rieselt und die nackten Baumwurzeln und Fasern bespült. Wenn
man sich nach diesem Treiben hinabbeugt, so belauscht man gleichsam
die geheime Bildungsgeschichte der Pflanzen und das ruhige Herz-
klopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt das Wasser aus.
den Steinen und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Wasser-
fälle. Da läßt sich's gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wun-
derbar; die Vögel singen abgebrochene Laute; die Bäume flüstern
wie mit tausend Zungen, wie mit tausend Augen schauen uns die
seltsamen Bergblumen an; sie strecken die wundersam breiten, drollig
gezackten Blätter uns entgegen; die lustigen Sonnenstrahlen, die
sinnigen Kräutlein erzählen sich grüne Mährchen, es -ist Alles wie
verzaubert, es wird immer heimlicher und heimlicher.
Je mehr man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghaster
werden die Tannen; sie scheinen immer mehr und mehr zusammen zu
schrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rothbeersträucher und Berg-
kräuter übrig bleiben. Da wird es auch schon fühlbar kälter. Die
wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier erst recht sicht-
bar; diese sind oft von erstaunlicher Größe. Das Mögen wohl die
Spielbälle seyn, die sich die bösen Geister einander zuwerfen in der
Walpurgisnacht, wenn hier, wie die Volkssage lautet, die Hexen
ihre Tänze halten. In der That, wenn man die obere Hälfte des
Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die ergötzlichen
255
Blocksbergsgeschichten zu denken, welche der Aberglaube ausgeheckt
hat und die noch immer unter dem Volke leben.
Nachdem ich einen äußerst erschöpfenden Weg zurückgelegt hatte,
bekam ich endlich das Brockenhaus zu Gesicht, worüber ich sehr
erfreut war. Dieses Haus, das auf der Spitze des Berges liegt,
wurde erst 1800 vom Grafen Stollberg-Wernigerode erbaut-. Die
Mauern sind erstaunlich dick, wegen des Windes und der Kälte im
Winter; das Dach ist niedrig. Vor dem Haufe steht eine thurm-
artige Warte, und bei dem Hause liegen noch zwei kleine'Neben-
gebäude, wovon das eine in früheren Zeiten den Brockenbesuchern
zum Obdach diente. Von hier aus ficht man über 300 Ortschaften:
nördlich Lüneburg und Celle, westlich die Wilhelmshöhe bei Kassel,
östlich bis Brandenburg und südlich den Thüringerwald, und schon
aus diesen Angaben kann man sich einen Begriff von der groß-
artigen Aussicht machen, die man hier genießt, und welche alljähr-
lich eine Menge von Besuchern hieher zieht.
Die deutschen Ströme.
Mehr als 40,000 Bäche, 550 Flüsse und 60 schiffbare Ströme
durchschneiden Deutschland nach allen Richtungen und bilden gleich-
sam ein großes Wassernetz. Die meisten Flüsse wenden sich der
Nord- und Ostsee zu, während alles übrige Wasser in einem
langen Bette dem schwarzen Meere zueilt.
Der Rhein entspringt auf dem St. Gotthardsberge in der
Schweiz aus 3 Quellen, durchströmt das Becken des Bodensee's,
bildet bei Schaffhaufen, über eine hohe Felswand herabstürzend, den
berühmten Rheinfall, und nimmt auf feinem 190 Meilen langen
Laufe über 12,000 Nebenflüsse aus.
Obgleich der Main nicht zu den Hauptflüssen Deutschlands
gehört, da er sich nicht unmittelbar in's Meer ergießt, so verdient
er doch, feiner Wichtigkeit wegen, 'genannt zu werden. Durch ihn,
die Rcgnitz, den Lndwigskanal und die Altmühl in Bayern ist der
Rhein mit der Donau und also auch die Nordsee mit dem
schwarzen Meere verbunden. —
Die Donau, Deutschlands größter Strom, entspringt auf dem
Schwarzwalde. Ihr ganzes Stromgebiet, d. h. das Land, aus
welchem sie Zuflüsse erhält, ist 14,000 Q.M. groß. Nach einein
380 Merlen langen Laufe ergießt sie sich in 7 Mündungsarmen in
das schwarze Meer.
Die Elbe, aus dem Riesengebirge herabkommend, daher das
Riesenkind genannt, windet sich bogenförmig durch Böhmen, durch-
stießt die fruchtbaren Thallandschaften Sachsens und zieht in einem
155 Meilen langen Laufe durch das Flachland zur Nordsee hinab.
256
Die Weser bildet sich in dem norddeutschen Bergland aus der
Werra und Fulda. Sie durchschneidet aus ihrem Laufe die Weser-
gebirge und bildet dadurch das westphälische Thor. Ihr Lauf be-
trägt nur 70 Meilen; dessenungeachtet ist sie bei ihrer Mündung
in die Nordsee drei Meilen breit.
Die Oder, von den Sudeten kommend, durchfließt in einem
120 Meilen langen Bette Schlesien, Brandenburg und Pommern
und ergießt sich in die Ostsee.
Seitdem die Provinz Preußen zu Deutschland gerechnet wird,
ist auch die Weichsel, wenigstens eine Strecke lang, ein deutscher
Fluß. Sie kommt aus Polen und mündet ebenfalls in die Ostsee.
Deutschlands Klima und Produkte.
Das Klima unseres Vaterlandes ist nicht nur nach nörd-
lichen und südlichen Gegenden, sondern auch nach Bergen ulld
Thälern, Ebenen und Berglandschaften sehr verschieden.
Die Thäler, welche gegen Nordosten durch Gebirge geschützt sind,
haben ein milderes Klima, als ihre Umgebungen, und sind daher
dem Obst- und Weinbau besonders günstig, wie z.B. das Rhein-,
Main-, Neckar- und Donauthal. Fast ganz Deutschland ist
zum Getreidebau geeignet, vorzüglich aber das Flachland. In
den Berg ländern baut man viele Kartoffeln, Flachs, Hans,
und strichweise auch Hopfen. Die Viehzucht ist eine der Haupt-
nahrungsquellen der meisten deutschen Länder und reicht .von den
Meeresküsten bis zu den Alpen, wo dieselbe durch den üppigsten
Graswuchs und die kräftigsten Futterkräuter vorzüglich __ begünstigt
wird. Psprde gedeihen am besten an der Nord- und Ostsee, sowie
auch in Ungarn; Schafe und Ziegen im Berg- und Hügelland.
Die Gebirge sind reich an Metallen, weßhalb besonders in
Sachsen und Böhmen der Bergbau stark betrieben wird. Die mei-
sten deutschen Länder hüben reiche Waldungen, manche Gegenden
auch Steinkohlen- oder Torflager. An Salz ist kein Mangel.
Hinsichtlich der Gewerbsthatigkeit stehen die Deutschen kaum
einer andern Nation nach, und der Verkehr wird namentlich durch
Dampfschifffahrt und Eisenbahnen sehr erleichtert und gesteigert*).
*) Um- den Raum zu sparen, werden die Grenzen bei den Ländern nicht
beschrieben, da es ohnehin besser ist, dieselben von den Kindern selbst auf der
Karte aufsuchen und die Länder jedesmal auf die Schiefertafel oder, nach Er-
langter größerer Fertigkeit, auch auf Papier zeichnen zu lassen. ■— Die Be-
völkerungsverhältnisse werden nur in runden Zahlen, und bei Städten nur in
Tausenden ausgedruckt. Berlin 460, heißt also: Berlin hat 460,000 Ein-
wohner.
257
Deutsche Länder.
Deutschland enthält folgende Staaten:
A. Ein Kaiserthum, nämlich Oesterreich.
B. 5 Königreiche:
1. Preußen: 2. Bayern: 3. Sachsen; 4. Hannover;
5. Württemberg.
C. Ein Kurfürstentum, nämlich Hessen-Kassel.
E>. 7 Großherzogthümer:
1. Baden; 2. Hessen; 3. Luxemburg; 4. Sachsen-Weimar;
5. Oldenburg; 6. Mecklenburg-Schwerin und 7. Mecklen-
burg-Strelitz.
E. 8 Herzogtümer:
1. Koburg-Gotha; 2. Altenburg; 3. Meiningen-Hild-
burgbausen; '4. Nassau; 5. Braunschweig; 6. Holstein;
7. Änhalt-Bernburg; 8. Anhalt-Dessau mit Köthen.
E. 8 Fürstentümer:
1. Schwarzburg-Sondershausen; 2. Schwarzburg-Rudol-
stadt; 3. Reuß-Greiz; 4. Reuß-Schleiz; 5. Lippe-Detmold;
6. Lippe-Schauenburg; 7. Waldeck; 8. Liechtenstein.
G. Eine Landgrasschaft: Hessen-Homburg.
8. Vier freie Städte:
1. Frankfurt am Main; 2. Bremen; 3, Hamburg und
4. Lübeck.
Deutschland enthält also 35 selbstständige Staaten, von welchen
Oesterreich und Preußen zu den fünf Großmächten gehören.
Wir wollen nun, ohne einer besondern Einteilung zu folgen,
die deutschen Staaten der Reihe nach, im Süden anfangend, kennen
lernen, wobei aber auch die außer Deutschland liegenden Länder
des österreichischen und preußischen Staates beschrieben wer-
den, um einen leichter faßlichen Ueberblick dieser Monarchien möglich
zu machen.
I. Der österreichische Kaiserstaat.
Oesterreich besitzt ein Ländergebiet von 12,000 Q.M., worauf
beiläufig 36 Millionen Menschen leben. Diese gehören jedoch ver-
schiedenen Nationen an, und nur 12 Millionen Deutsche wohnen
in folgenden Ländern, welche Deutsch-Oesterreich ausmachen:
1. Das Erzherzogthum Oesterreich; 2. das Herzogthum Steyer-
mark; 3. das Königreich Jllyrien; 4. die Grafschaft Tyrol;
Reiser, der Volksschule! t. d. Oberklasse. 17
»
258
5. die Markgrafschaft Mähren mit Schlesien und 6. das König-
reich Böhmen. Nebst diesen Ländern, welche zusammen etwa so
groß sind als das Königreich Ungarn, gehören zu Oesterreich noch
folgende Länder außerhalb Deutschlands Grenzen: die Königreiche Ga-
lizien, Ungarn, Slavonien,Kroatien und Dalmatien, das.Moß-
sürstenthum Siebenbürgen, die Militärgrenze und Venetien.
Die rhätischen Alpen erfüllen mit ihren riesenhaften Massen
ganz Tyrol und ziehen als norische Alpen nach Steyermark,
und als karnische Alpen nach Illyrien, von wo aus sie'unter
dem Namen julische Alpen nach Dalmatien hinstreichen und
sich dort mit den dinarischen Alpen in Verbindung setzen. Böh-
men, Mähren, Ungarn und Siebenbürgen sind von
Gebirgen rings umschlossen und bilden eigentliche Kesselland-
schasten. Fruchtbare Thäler wechseln meistens mit weiten Ebenen,
reich bewaldeten Anhöhen und Gebirgen. Im Donauthale ist
das Klima sehr mild.
Die Erzeugnisse des Bodens sind sehr manigfaltig. An Ge-
treide, Obst und Wein haben mehrere Länder Ueberfluß; auch
giebt es Hopfen, Tabak, Flachs, Hanf und Holz. Salz
findet sich an vielen Orten, besonders aber im Salzburgischen
bei H allein, sowie im Salzkamm er gut bei Ischl und Hall-
stadt. Das merkwürdigste Salzbergwerk liegt in Galizien, bei
welchem Lande dasselbe näher beschrieben werden soll. An Metallen
ist der Kaiserstaat ebenfalls sehr reich, besonders an Eisen und
Kupfer. Eisenhütten trifft man vorzüglich in Steyermark, wo es
fast in allen Thälern hämmert und pocht. Gold und Silber
werden in Ungarn gefunden, und Illyrien liefert selbst das seltene
Quecksilber. Mehrere österreichische Länder haben vorzügliche
Rindvieh- und Schafzucht, und die ungarischen Pferde werden
selbst in entfernten Ländern gern gekauft.
Betrachten wir die.Bewohner der verschiedenen österreichischen
Länder, so giebt sich unter ihnen allerdings eine große Verschieden-
heit kund. Im Allgemeinen sind die Bewohner der deutschen Pro-
vinzen ein kräftiger, gutmüthiger Menschenschlag, voll Treue und
Biedersinn, und besonders zeichnen sich unter diesen die Wiener
durch ihre Heiterkeit und Freundlichkeit aus. Ihre Sprache klingt
äußerst gemüthlich. — Etwa 30 Millionen der Gesammtbevölkerung
bekennen sich zur katholischen Religion.
Die Oesterreicher sind ungemein' anhänglich an das Kaiserhaus,
wogegen aber auch die Regentenfamilie gewohnter Weise Jedem mit
Freundlichkeit.und Herablassung begegnet. Kaiser Franz II. wurde
wie ein Vater verehrt und lebt noch immer im Gedächtnisse des
Volkes, obgleich dasselbe mit gleich großer Liebe an seinem gegen- -
wärtigen Regenten Franz Joseph hängt.
259
Wir suchen nun die einzelnen Provinzen Oesterreichs aus der
.Karte auf, betrachten dieselben nach Form und Lage genau, zeich-
nen sie aus die Schiefertafeln, bestimmen die Grenzen, suchen
Flüsse, Gebirge und Städte auf und merken uns von Allem
das Wichtigste.
1) Im Erzherzogthum Oesterreich, das über 7W Q.M.
groß ist, wohnen etwa dritthalb Millionen Menschen. Von Ge-
lingen merken wir uns nur den Kahlenberg und denWiener-
wa'ld, von den Flüssen die Donau, den Inn und die Enns.
Wir suchen gegen Südwest den Traun-, Atter- und Hallstädter-
see auf, worauf wir sogleich auf die Hauptstadt des ganzen Kaiser-
staates losmarschiren, um dieselbe mit ihren Merkwürdigkeiten näher
kennen zu lernen. °
Wien.
Obgleich Wien fast eine halbe Million Einwohner zählt, so
giebt es doch noch größere Städte in Europa, wie z. B. London,
Paris, Constantinopel und Petersburg. In Deutschland
aber ist Wien die größte Stadt. Auch hinsichtlich seiner Lage kann
sich Wien mit Neapel, Lissabon, Stockholm und Constan-
tinopel nicht messen, und in München, Petersburg und an-
dern Städten trifft man auch schönere Gebäude als hier; dessen-
ungeachtet ist für uns Deutsche Wien dennoch die merkwürdigste
Stadt. Jahrhunderte lang war Wien der Sitz der deutschen Kaiser,
von welchen Viele in der Geschichte so merkwürdig geworden sind;
hier wurden aus dem Congreß im Jahr 1815 die Verhältnisse fast
aller europäischen und besonders der deutschen Staaten neu
geordnet; vor den Wällen dieser Stadt erlagen die übermüthigen
Türken zweimal der Tapferkeit der Christen, und so knüpft sich noch
manche Erinnerung aus der Geschichte an diese Stadt.
Wien ist die Residenz des Kaisers und der Sitz der Regie-
rung und eines Erzbischofs. Die eigentliche, alte Stadt ist
von 34 Vorstädten umgeben, von welchen die meisten schöner ge-
baut sind, als die innere Stadt, wo die Straßen sehr enge und
wegen der hohen Häuser auch sehr finster sind. Die Vorstädte
haben herrliche Gärten, Spaziergänge, große und angenehme Plätze
und Vergnügungsorte, schöne Paläste und luftige Straßen.
Unter den vielen merkwürdigen Gebäuden erwähnen wir zuerst
der kaiserlichen Burg, welche ein unregelmäßiges Viereck bildet
und drei Höfe einschließt. In den mit der höchsten Pracht aus-
geschmückten Sälen befinden sich kostbare Sammlungen von Ge-
mälden und andern Seltenheiten von großem Werthe. In der
Schatzkammer werden die Reichskleinodicn, bestehend in Krone, Scep-
ter, Schwert und Reichsapfel, nebst vielen andern Kostbarkeiten auf-
\
260
bewahrt. Hier sieht man auch den 139 Karat schweren Diamant
Karls des Kühnen, der 1V'4 Million Gulden werth seyn soll. —
In dem kaiserlichen Zeuqbause werden vielerlei Merkwürdigkeiten
gezeigt: unter diesen die Rüstung Attila's, des Hunnenkönigs, den
Koller Gustav Adolph's, welchen er an seinem Todestage bei
Lützen trug, und die große, 600 Zentner schwere Kette von 8000
Gliedern, mit welcher die Türken bei Ofen die Donau sperren
wollten. — Eines der schönsten Denkmäler alter Baukunst ist die
St. Stephanskirche. Sie ist 171 Schritte lang, 117 Schritte
breit, 76 Fuß hoch und ruht auf mächtigen, 5 Stockwerke enthalten-
den Gewölben. Die 3 untern werden nie geöffnet, die 2 obern sind
zu Todtengrüften eingerichtet, worin die Leichname nicht verwesen,
sondern vertrocknen. Der Thurm mißt 435 Fuß und enthält eine
10 Fuß weite und 367 Zentner schwere Glocke, die aus den Kano-
nen gegossen wurde, welche die Türken bei der Belagerung Wiens
1683 zurücklassen mußten.
Unter andern merkwürdigen Gebäuden zählen wir noch 130
schöne Paläste, 23 Klöster, 64 Kirchen und Bethäuser, das
Jnvalidenhaus, die Reiterkaserne, den 300 Schritte langen kai-
serlichen Marstall für 400 Pferde und die Porzellan-Manufak-
tur, welche in der Vorstadt Lichtenthal eine ganze Straße ein-
nimmt und 500 Menschen beschäftigt.
Das höchste Wohngebäude der Stadt ist das 7 Stockwerke
enthaltende Haus zur Weintraube. Das ehemalige Bürger-
hospital hat 10 Höfe und enthält 220 Wohnungen, welche jetzt
vcrmiethet sind und jährlich 80,000 Gulden eintragen. Das ist wohl
viel, allein der Palast des Fürsten von Stahremberg ist zu
300 Wohnungen eingerichtet und trägt jährlich 180,000 Gulden
Miethgeld. -Das allgemeine Krankenhaus enthält 111 Zimmer
mit 2000 Betten, und es werden jährlich mehr als 30,000 Kranke
in demselben verpflegt.
Erwähnenswerth ist besonders auch noch die Hofbibliothek,
eine Sammlung von mehr als 300,000 Bänden; eine Menge von
Büchern, die euch staunen machen würde, wenn ihr sie sehen könntet.
Nebst der Universität findet man in Wien noch eine Menge von
Unterrichtsanstalten für Künste und Wissenschaften, Indu-
strie-, Zeichnungs- und Musikschulen, Waisen-, Taub-
stummen- und Blind en anst alten, Kunsts ammlangen, meh-
rere Theater, mitunter von der Größe, daß 500 Menschen und
50 Pferde zugleich aus der Bühne auftreten können. Unter den zahl-
reichen Vergnügungsorten der Stadt ist der Prater der be-
rühmteste. Nahe bei Wien liegt das schöne kaiserliche Lustschloß
Schönbrunn.
Von andern Städten merken wir uns Linz, die Fabrikstadt
261
Salzburg, in einer Lage voll erhabener Naturschönheiten, sodann
das Salzwerk Hallein und den Badeort Gastein mit einem Berg-
werke. Hier stürzt die Krimmler Acke 2000 Fuß hoch herab und
bildet so den schönsten Wasserfall der österreichischen Lande. Unfern
liegt der 12,000 Fuß hohe Großglockner. Die Orte Aspern
und Enzersdarf sind 1809 durch Schlachten gegen die Franzosen
merkwürdig geworden.
2) Das Herzogthum Stepermark, von den fteyerischen
Alpen durchzogen und von den Flüsserz Enns, Mur, Drau
und S au bewässert, hat, wie schon oben bemerkt wurde, viele Berg-
werke und Eisenhämmer. Hier verfertigt man die vortreff-
lichen fteyerischen Sensen, Sicheln und andere ausgezeichnete Stahl-
waaren. Ackerbau, Viehzucht, Obst- und Weinbau sind hier in
gutem Zustande. Die Bevölkerung, welche eine Million beträgt, ist
fast durchaus katholisch.
Die Hauptstadt ist Grätz an der Mur und an der Eisen-
bahn von Wien nach Triest. Ihre Lage ist ungemein schön und
die Umgebung eben so anziehend. Aus dem Schloßberg mit seinen
herrlichen Anlagen versammeln sich die Vielen, welche fröhlich um
sich schauen, auf dem schönen Calvarienberge aber diejenigen, welche
die Blicke ernst in sich und auswärts richten wollen.
3) Das Königreich Jllyrien bildet mit Dalmatien den Haupt-
stützpunkt der österreichischen S eem acht. Im Norden wird es von
den Alpen durchzogen, und am adriatischen Meer streicht das trockene,
nackte Kalkgebirge, der Karst, hin. Im Norden.ist die Lust rauh
und die Winter dauern lang; im Süden herrscht ein mildes Klima,
und es wird oft unerträglich heiß. Viehzucht und Fischerei sind be-
deutend, und in den südlichen Thälern giebt es Wein, Oliven, Ci-
tronen und Pomeranzen. Der Bergbau geht auf Eisen, Blei, Alaun,
Quecksilber und Zinnober.
Die Hauptstadt ist Laibach, der Sitz' der Behörden und eines
Bischofs. Bedeutender und viel größer ist die See- und Handels-
stadt Triest (80).
Sie ist mit reizenden Landhäusern, Weinbergen, Feigen-, Ka-
stanien- und Oelbaumpflanzungen umgeben und gewährt dadurch
einen überraschenden Anblick. Der Werth der jährlich hier aus-
und eingeführten Waaren wird auf 100 Millionen Gulden geschätzt.
Jdria hat ein reiches Quecksilberbergwerk, das jährlich eine Aus-
beute von 3000 Zentnern gewährt. Merkwürdig ist die Magdale-
nengrotte bei Adelsberg, eine 7 Stunden lange Höhle mit meh-
reren Seitengängen, Nebenhöhlen und Schlünden. Unter dem Ein-
gang stürzt sich ein Fluß in den Berg hinein, kommt dann in be-
deutender Entfernung wieder zum Vorschein und verliert sich wieder
in Höhlen und Schlünden. Ueber einen solchen Schlund wölbt sich
262
eine natürliche, 70 Fuß lange Felsbrücke, von welcher die Besucher
brennendes Stroh hinabwerfen, um die ungeheuren Gewölbe zu be-
leuchten, in welche sich der Fluß mit entsetzlichem Getöse hinabstürzt.
Noch länger als diese Höhle ist die im Jahre 1818 entdeckte Fer-
dinandsgrotte.
In der Nähe des Cirknitzersees findet man in einem Berge
3 Höhlen übereinander. Die untere wird durch einen hineinfließen-
den Bach mit Wasser angefüllt; die beiden andern kann man be-
suchen, und in der obern befindet sich das Schloß Lueg.
4) Die Grafschaft Tyrol hat mit Illyrien gleiche Größe
(500 Q.M.), zählt aber nur 9/i0 Mill. E., wogegen dieses fast
anderthalb Millionen enthält. Throl ist ein Gebirgsland, das Berge
bis zu 12,000 Fuß Höhe enthält, wie z. B. den Orteter. Die
Einwohner sind rüstige Gemsenjäger, und ihre Iagdlust bringt sie
nicht selten in große Gefahr, wie dieses einst dem muthigen Kaiser
Maximilian begegnete( der sich auf der Martintzwand bei Ziert
so verstieg, daß ihn Jedermann für verloren hielt *). Auch die
Lawinen bringen oft große Gefahren über die Thalbewohner.
Die bedeutendsten Flüsse' des Landes sind: der Inn, die
Etsch und die Eisak; auch die Isar, der Lech, die Drau und
andere haben in den Tyrolerbergen ihre Quellen.
An Produkten liefert Tyrol Wein, Südfrüchte, Seide, Flinten-
steine, Kupfer, Eisen und Silber. Der Ackerbau ist in dem sehr
gebirgigen Lande natürlich nicht bedeutend, desto mehr aber die Vieh-
zucht. Von den Städten merken wir uns die Hauptstadt Innsbruck,
mit einem schönen Schlosse, und die reizend gelegene Stadt Trient,
woselbst in den Jahren 1545—1563 ein großes Concilium gehal-
ten wurde.
Die T y r o l e r.
Die Tyroler sind ein schöner Schlag Menschen von gutem
Wuchs und großer Körperkraft, und man sieht hier noch Greise
ohne alle Beschwerde bergauf und bergab steigen. Die Tracht der
Tyroler ist sehr hübsch, doch nicht allenthalben gleich. In den Haupt-
thälern trägt der Landmann gern schwarze, lederne Beinkleider, die
am Knie enden, grüne Hosenträger über der Weste und einen spitzen
Hut mit Bändern. Die Tyroler sind ein treuherziges und
biederes Volk, das Jeden, selbst den Kaiser duzt; sie sind fleißig
und genügsam, hochherzig und muthig, den größten Beschwerlich-
keiten und Gefahren gewachsen, freimüthig, scharfsinnig, fröhlich und
Freunde des Gesangs und der Musik; sie lieben ihre Berge und
Freiheiten über Alles und sind ungemein anhänglich an den Landes-
') Siehe Geschichte Seite 124.
263
fürsten und das Vaterland. Das bewiesen die treuen Tyroler be-
sonders damals, als Napoleon Oesterreich besiegt hatte und Tyrol
an Bayern verschenkte. Die biedern Tyrolerherzen konnten vom
alten Kaiserhause nicht lassen, und als 1809 die Franzosen in's Land
kamen, versammelte Andreas Hofer, der Sandwirth im Passeyerthale,
seine Landsleute um sich und wollte die Feinde vertreiben und das
Vaterland seinem angestammten Fürsten erhalten. Er mußte sedoch
der Uebermacht erliegen und verbarg sich in einer einsamen Senn-
hütte, wurde aber den Franzosen verrathen, von diesen gefangen ge-
nommen und nach Mantua in Italien abgeführt, wo der edle
Mann am 20. Februar 1810 erschossen wurde.
Hofer's Tod.
Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schaar;
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach, in Schmach
» und Schmerz,
Mit ihm das Land Tyrol.
Die Hände auf dem Rücken
Andreas Hofer gieng,
Mit ruhig festen Schritten,
Ihm schien der Tod gering;
Der Tod, den er so manches Mal
Vom Jselberg geschickt in's Thal
Im heil'gen Land Tyrol.
Doch als aus Kerkergittern
Im festen Mantua
Die treuen Waffenbrüder
Die Hand' er strecken sah,
Da rief er aus: „Gott sei mit
euch,
Mit dem verrathenen deutschen Reich
Und mit dem Land Tyrol!"
Dem Tambour will der Wirbel
Nicht unterm Schlägel vor,
Als nun Andreas Hofer
Schritt durch das finst're Thor.
Andreas, noch in Banden frei,
Dort stand er fest auf der Bastei,
Der Mann vom Land Tyrol.
Dort soll er niederknieen:
Er sprach: „Das thu' ich nit;
Will sterben, wie ich stehe,
Will sterben, wie ich stritt,
So wie ich steh' auf dieser Schanz'.
Es leb' mein guter Kaiser Franz,
Mit ihm sein Land Tyrol!"
Und von der Hand die Binde
Nimmt ihm der Korporal;
Andreas Hofer betet
Allhier zum letzten Mal.
Dann ruft er: „Nun, so trefft mich
recht!
Gebt Feuer! — Ach, wie schießt ihr
schlecht!
Ade, mein Land Tyrol!"
^ Die Abgeschlossenheit ihrer Thäler hat dazu beigetragen, den
Tyrolern Sprache, Sitten und heitern Sinn zu bewahren. Singen,
Pfeifen, Musik, Kampfspiele und Tanz gehören zu ihren vorzüglich-
sten Belustigungen. Bei jeder Arbeit pflegt der stets muntere und
fröhliche Tyroler zu singen und zu pfeifen; bei dem mindesten An-
264
lasse, zumal im Wirthshause, beginnt er mit den Füßen zu trappeln,
und wenn er etwas klimpern hört, das einer Musik ähnlich ist, mit
den Händen zu klatschen oder auf Schenkel und Knie zu schlagen.
Besondere Freunde des Gesanges sind die Bewohner der hohen
Alpen, deren Iodellieder selbst in der Ferne vielen Beifall finden.
Außer der Viehzucht, der Jagd und dem, wie schon erwähnt,
sehr beschränkten Ackerbau nähren sich viele Tyroler vom Hausir-
handel, und es giebt ganze Familien, die sich demselben widmen
und immer aus Reisen sind. Einige ziehen mit Kanarienvögelchen,
Andere mit Teppichen, Handschuhen, Hosenträgern und Cravatten,
noch Andere mit Citronen, getrocknetem Obst, Holzfiguren, Alabaster-
waaren u. dgl. in die Fremde und treiben diesen Handel entweder
aus eigene Hand oder in Gesellschaft.
5) Die Markgrafschaft Mähren mit Schlesien. Auch diese
Länder sind großentheils gebirgig, und nur im Süden finden
sich ausgedehntere Ebenen. Von zahlreichen Flüssen nennen wir
nur die Morawa oder March, von der das Land seinen
Namen hat. Die Oder und Weichsel, welche hier entspringen, ver-
lassen das Land bald, und Landseen von bedeutender Größe giebt
es nicht. Die Ebenen und Flächen, besonders in der sogenannten
Hanna, wo die stämmigen Hannakenbauern zu Hause sind, dürfen
zu den ergiebigen Gegenden gezählt werden. Neben der durch fette
Weiden unterstützten Rindviehzucht ist auch die Schafzucht von Be-
deutung, und selbst das Federvieh wird hier in solcher Menge ge-
zogen, daß viele Einwohner ihren Unterhalt aus dem Handel mit
Gänsen und Federn ziehen. Von Industriezweigen sind hauptsächlich
die Leinwandweberei und Tuchmachern zu nennen.
6) Das Königreich Böhmen ist durch die Natur selbst von seinen
Nachbarländern streng abgeschlossen. Von hohen Gebirgswällen um-
geben, bildet es eine große Kesselland sch äst, deren tiefster Punkt
sich da befindet, wo die Eg er sich mit der Elbe vereinigt. Blicken
wir in das Innere des Landes, so bemerken wir, daß fast jeder
Kreis wieder eine eigene Terrasse, ein eigenes Becken bildet, daß
Hoch- und Tiefebenen mit einander wechseln und sich so eine Manig-
saltigkeit der Bodengestaltung zeigt, von welcher man sich in ebenen
Gegenden keinen Begriff machen kann. Der Böhmerwald, das
Fichtel-,- Erz- und R i e sen g e b ir g, die Sudeten und das
mährische Gebirg umlagern das Land, welches mit Ausnahme
des Salzes Alles hervorbringt, was zu des Lebens Nothdurft und
Annehmlichkeit gehört. Das Klima ist angenehm und gesund; nur
im Norden ist es etwas rauh. Der böhmische Gewerbefleiß ver-
dient rühmlichst erwähnt zu werden. Die hier verfertigte Lein-
wand hat auch bei auswärtigen Hausfrauen einen guten Namen,
und Spitzengarn wird von solcher Feinheit gesponnen, daß
265
10,000 Ellen nur ein Loth wiegen. In der Glasfabrikation
haben es bekanntlich die Böhmen am weitesten gebracht, und es sind
gegenwärtig nicht weniger als 75 Glashütten und 22 Glasschlei-
sereien vorhanden.
Einen eigenthümlichen und überraschenden Eindruck macht Böh-
mens Hauptstadt Prag, besonders wenn wir sie mit Berlin ver-
gleichen, das'auf einer flachen, einförmigen Sandebene an der un-
scheinbaren Spree liegt. — Prag, in einem wechselreichen Hügel-
lande, zum Theil selbst auf Bergeshöhen erbaut, an den malerischen
Ufern der Moldau gelagert, ist hierin entschieden im Vortheil. Um
Berlin her zeigt sich die Natur des norddeutschen Tieflandes mit
seinen dunkeln Kieserwaldungen, — um Prag die schon süddeutsche
Natur, mit Wein- und Obstgärten. Die Straßen von Berlin alle
breit, regelmäßig und geradlinig, — in Prag dagegen kaum zwei
breite Straßen, alle andern krumm und eckig; in Berlin fast alle
Häuser wie Paläste, schön, freundlich, aber einförmig, ohne geschicht-
liche Erinnerungen, — in Prag viel rußige, alterthümliche Häuser,
unregelmäßig mit gewölbten Vorbauen und Laubengängen, die Pa-
läste aus ältester Zeit, kein Haus dem andern gleich, ein bunter
Wechsel; in Berlin Alles fein, abgeschliffen^ elegant, vornehm, —
in Prag viel Schmutz, an allen Ecken und Enden Fleisch- und
Semelbuden, Höckerweiber und dämpfende „Würstel".
Wie im lMnde, so zeigt sich auch im Charakter des Böh-
men noch mauigfach eine gewisse Natürlichkeit. Ein hervorstechender
Zug ist besonders seine unterthänige Höflichkeit. Wenn man z. B.
an den meisten Orten einander einfach „guten Morgen"-wünscht,
und der höfliche Sachse daraus einen „schönen guten Morgen"
macht, so kann es der Böhme dabei noch nicht bewenden lassen
und vollendet den Satz: guten Morgen wünsch' ich!" Damit noch
nicht zufrieden, muß aber gewöhnlich auch noch ein „gehorsamster
Diener" damit verbunden werden, und ein vollständiger Nachtgruß
lautet: „Gute Nacht wünsch' ich, Ihr gehorsamster Diener; schlafen
Sie wohl!"
Besonders höflich ist der Bauer seinem Gutsherrn gegenüber,
und er hat schon seinen Hut unter dem Arme, wenn er denselben
von Weitem erblickt. Muß er mit ihm sprechen, oder kommt er
sonst in seine Nähe, so begrüßt er ihn mit einem Handkuß. Diese
Sitte hat etwas Patriarchalisches und Zutrauliches, und ist viel
besser als das Kniebeugen der Polen. Ebenso höflich ist der
Böhme gegen die Geistlichkeit, welche er hoch in Ehren hält. Das
anziehendste Schauspiel bietet Böhmen in der Mischung zweier grund-
verschiedenen Nationen, die seine Bevölkerung bilden. Von 4V2
Millionen sind nämlich 2 Millionen Deutsche, die Uebrigen Cze-
chen (Tschechen). Wie zwei feindselige Elemente sind diese zwei
266
Völker oft zischend und brausend gegen einander gefahren, bis endlich
der Czeche erlag; aber seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat
er deshalb nicht ausgegeben.
Oesterreichs außerdeutsche Länder.
1) Ungarn mit einem Flächenraum von 3800 Q.M. und fast
12 Millionen Menschen, von den 150 Meilen langen Karpathen,
den steyerischen und kärnthner Alpen und von dem siebenbür-
gischen Erzgebirge umschlossen, ist, wie Böhmen, eine Kessel-
landschaft, die eine Ebene von 1200 Q.M. enthält, welche theils
sehr fruchtbar, theils auch mit großen Steppen und Morästen durch-
zogen ist. Die wichtigsten Flüsse des Landes sind die Donau,
Theiß und Drau. Von den vielen Seen sind der Neusiedler-
und Plattensee zu den beträchtlicheren zu zählen.
Ungarn ist ein schönes Land, über welches der gütige Schöpfer
seinen Segen in reichlichem Maaße ansgegosscn hat. Es bringt
Alles hervor, was zum Leben nöthig ist und dasselbe verschönt.
Von den Torffeldern am Fuße der Karpathen bis zu den Gold-
wäschereien des Bannats, von dem reichen Bergbau Niederungarns
bis zu den unerschöpflichen Steinsalzgruben in Oberungarn, von der
Pflege des Flachses im Norden bis zu dem Reisbau und der Sei-
den'zucht des Süden, von den Steinkohlengruben des Westen bis zu
den Traubenhügeln und Melonenfeldern des Osten: — überall sehen
wir ein reiches Produktennetz ausgespannt und überall das Füllhorn
des Natursegens ausgeschüttet.
Unter den Bewohnern des Landes, welche verschiedenen Volks-
stämmen angehören, sind die Deutschen die fleißigsten; die Ma-
gyaren dagegen, welche fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen,
scheuen jede anstrengende Arbeit. Sie tummeln gerne ihre Pferde
aus den weiten Ebenen und treiben ihr Vieh aus die grasreichen
Weiden; andere Geschäfte aber thun sie nur nothgedrungen. Sie
sind sehr lebhaft, leicht erregbar, vaterlandsliebend und tapfer, dabei
aber auch sehr hochmüthig und behandeln die Deutschen und Slaven
wegwerfend, manchmal sogar mit Verachtung.^
Preßburg ist die Krönungsstadt, Ofen aber die Haupt-
stadt des Ungarlandes; dieser gegenüber liegt Pesth (90), die größte,
volkreichste, schönste und civilisirteste Stadt Ungarns. Eine 1600 Fuß
lange und 37 Fuß breite Kettenbrücke führt über bie Donau und
dient als Verbindungsweg zwischen beiden Städten, die bloß durch
den hier sehr majestätisch dahinfließenden Strom getrennt sind.
2) Das Königreich Croatien, gegen 200 Q.M. groß und
eine halbe Million Einwohner zählend, ist durch die Drau von
Ungarn getrennt, hat ein mildes Klima und fruchtbaren Boden.
267
Die Croaten sind als gute, aber wilde, gefährliche und beutesüchtige
Krieger bekannt. Ihre Hauptstadt ist Agram.
3) Das Königreich Slavonien ist von beinahe gleicher Größe
und Beschaffenheit, wie Croatien. Bei größerer Betriebsamkeit
als dort, wird besonders viel Getreide und guter Wein erzeugt. Die
Hauptstadt ist Esiek.
4) Das Königreich Dalmatien ist ein langes Küstenland von
verschiedener Breite, das sich zwischen der Türkei und dem adria-
tischen Meere hinzieht. Das Klima ist sehr mild, aber der in den
Thälern sehr fruchtbare Boden wird nicht gehörig bebaut. Der
Hauptreichthum des Landes besteht in Wein und Südfrüchten. Die
Dalmatier sind schöne Leute, von starken Knochen und straffen
Sehnen. Sie trinken gern Wein, sind aber mäßig im Essen. Im
Kriege gleichen sie den Croaten und sind besonders kühne See-
soldaten.
5) Das Königreich Galizien und Lodomerien nebst der Bu-
kowina, ein Land, das an Größe und Bevölkerung Bayern über-
trifft, kam durch die Theilung Polens an Oesterreich. Hier ist das
Klima rauher, als in den oben angeführten Ländern; der Sommer
ist kurz, der Winter lang und streng. Dennoch bringt der im Gan-
zen fruchtbare Boden Getreide im Ueberfluß hervor, und der Reich-
thum an Salz ist unerschöpflich, denn hier findet sich das groß-
artigste Salzbergwerk der ganzen Erde, welches ihr durch folgende
Beschreibung näher kennen lernen sollt.
Die Salzwerke von Wieliczka.
Ein Reisender, der diese Salzwerke besucht hatte, erzählt Fol-
gendes: „Ich kam von Krakau nach Wieliczka (Wielischka), um
das dortige Bergwerk zu sehen, und wurde durch einen Bekannten
zu einem der beiden Eingänge geführt, die in der Stadt zur Ein-
fahrt in dgs Bergwerk bestimmt sind. In einer großen, stark mit
Eisen beschlagenen Tonne wurden wir 600 Fuß tief hinab gelassen.
Auf dem Boden angekommen stiegen wir aus und wurden von einem
Beamten, der uns begleitete, durch einen der vielen Gänge, die von
hier ausgehen, zu einer Treppe geführt, die aus 325 theils hölzer-
nen, theils aus Salzstein gehauenen Stufen bestand. Nachdem wir
diese zurückgelegt hatten, wobei uns die mitgenommenen Gruben-
lichter wohl zu Statten kamen, führte man uns durch einen Gang
zu dem eigentlichen Salzwerk. Auf einmal stand ich wie versteinert,
oder als wäre ich selbst zur Salzsäule geworden. Eine neue Welt
hatte sich vor uns aufgethan, deren Glanz und Pracht sich gar nicht
beschreiben läßt. Bor uns lag eine weite Ebene, mit Häusern,
Straßen, Fuhrwerken und Menschen bedeckt; Alles wimmelte und
268
drängte sich bunt durcheinander; es war das Bild einer belebten
Stadt, bedeckt mit ungeheuren Gewölben, die in Salzstein gehauen,
auf mächtigen Säulen von Salzsteinen ruhten. Eine Menge von
Lichtern beleuchtete diese unterirdische Welt, Lichter, deren Glanz von
den Salzsteinen, wie von Millionen Spiegeln, zurückstrahlte, und
Alles funkelte und flimmerte in den Feuersarben der mannigfaltig-
sten Edelsteine.
Wir kamen näher und betrachteten zuerst die ungeheuren Säu-
len, welche man als Stützen der Gewölbe angebracht oder beim
Aushauen stehen gelassen hatte. Sie hatten meistens die gefälligsten
Formen, waren aber, sowie auch die Gewölbe, von einander ver-
schieden. In manchen Hallen erblickt man verschiedene Figuren, die
meistens ein Werk der Natur sind. Da und dort hangen Hunderte
von Salzstücken in Eiszapsensorm herunter und schimmern und
schillern in allen Farben des Regenbogens. Da stehen Reihen von
Häusern, dort Gruppen von Hütten, die zusammen eine Bevölkerung
von 500 Menschen enthalten. Daß viele in diesen Erdschachten,
wo sie geboren sind, sterben, ohne das Tageslicht gesehen zu haben,
wie man mir früher erzählt hatte, erklärte der Bergbeamte, der uns
begleitete, für eine Unrichtigkeit; vielmehr versicherte er uns, daß
Alle täglich einmal in das Freie heraus müßten. Wir wurden in
eine Kapelle geführt, worin zur Zeit des Bergfestes und auch sonst
bisweilen Messe gelesen wird. Diese Kapelle mit Hochaltar, Kanzel
und all ihren Verzierungen, sowie die Wände und Gewölbe,.Alles
ist aus Salzstein gehauen. Eine Hauptstraße, die stets mit Wagen
bedeckt ist, welche die Salzstücke dahin bringen, wo sie in die Höhe
gewunden werden, führt mitten durch die mehr als eine Stunde
lange Ebene. Die Fuhrleute sind stets guter Dinge und gehen
singend, pfeifend und jauchzend neben ihren Wagen und Pferden ein-
her. Die Zahl der hier beschäftigten Pferde beläuft sich aus etwa 400,
und sie werden alle 14 Tage an das Tageslicht gebracht. Das wenige
Wasser in diesem Bergwerke ist salzig; es sammelt sich in einem
Teich, worüber ein Seil gespannt ist, an dem ein kleiner Kahn zum
Ueberfahren hin und her gezogen werden kann. Neben dem Teiche
ist ein aus Holz gebauter Saal, in welchem beim Bergfeste ge-
tanzt wird.
Die Bergleute arbeiten gewöhnlich mit Hacken, Hämmern und
Meiseln; während unserer Anwesenheit-wurden aber auch größere
Stücke mit Schießpulver gesprengt, worüber wir nicht wenig er-
schrocken, da der dadurch veranlaßte Knall das Rollen und Krachen
des stärksten Donners übertraf. Werden durch solche Explosionen
recht große Stücke losgemacht, so wird dies durch Pauken- und
Trompetenschall angekündigt. Die großen Stücke werden sodann
zerschlagen und fortgeschasst. Auf diese Weise gewinnt man in diesem
269
ungeheuren Salzwerke schon seit 600 Jahren.alljährlich durchschnitt-
lich an 600,000 Zentner Salz.
Nachdem wir all dies Thun und Treiben genug betrachtet
hatten, giengen wir wieder nach der großen Treppe zurück, die uns
nicht wenig ermüdete. Zum Auszugsplatz gelangt, bestiegen wir
wieder unsere Tonne. Auf ein gegebenes Zeichen wurden wir auf-
gewunden und erblickten endlich mit frohem Herzen Gottes liebe
Sonne über uns."
Die Gegend von Krakau und Wieliczka heißt Kleinpolen.
Reisen wir von hier aus weiter nach der Mitte des Landes, so
kommen wir nach der Hauptstadt Lemberg, die mit ihren 100,000
Einwohnern schon zu den großen Städten gehört. Weiterhin führt
uns unsere Reise durch einen Theil von Galizien, der Rothruß-
land heißt, worin die Stadt Halicz liegt. Noch weiter gegen
Süden kommen wir durch die Bukowina und stehen nach einer
beschwerlichen Gebirgsreise an den Grenzen von
6) Siebenbürgen, das, wie Ungarn, eine Kessellandschaft ist.
— Die transsylvanischen Alpen im Süden und Osten, die
Karvuthen im Norden und das siebenbür gische Erzgebirge
im Westen machen das Land zu einer natürlichen Festung, die nur
an 14 Stellen durch Engpässe zugänglich ist. Siebenbürgen ge-
währt durch die Abwechslung von Gebirgen und Thälern einen
herrlichen Anblick; es hat überaus fruchtbaren Boden, ist reich an
edlen Metallen und nutzbaren Mineralien und hat ein angenehmes
und gesundes Klima.
Klausenburg ist die Hauptstadt des siebenbürgischen Ungar-
landes, und nördlich vom Rothentburmpaß liegt Hermann-
stadt, die Hauptstadt im Lande der siebenbürgischen Sachsen.
7) Die Militargrenze ist ein schmaler, 700 Q.M. großer
Landstrich längs der türkischen Grenze, vom adriatischen Meer bis
zu den Karpathen. Sie wurde errichtet, um die räuberischen Ein-
fälle der Türken zu verhüten. Die Bewohner haben eine militä-
rische Verfassung, sind von allen Abgaben frei, müssen aber Tag
und Nacht die Grenzen bewachen. Jetzt haben sie hauptsächlich
darauf Acht zu geben, daß durch Reisende, welche aus der Türkei
kommen, die Pest nicht in die österreichischen Länder eingeschleppt werde.
8) Südlich von Jllyrien, am adriatischen Meere, finden wir
Venetien mit seiner wundervollen Hauptstadt Venedig (120), einer
Stadt, reich an Knnstschätzen und Merkwürdigkeiten aller Art. Keine
Stadt in der Welt hat eine so wundervolle Lage, als diese; denn
sie scheint dem zu Schisse ankommenden Fremden aus dem Meere
heraus gestiegen zu seyn. Sie ist nämlich aus 136 kleinern und
größern Inseln erbaut, die durch 450 Brücken mit einander ver-
bunden sind. 135 Kanäle durchschneiden die Stadt, wie anderwärts
270
die Straßen, und wie man auf diesen in Wagen und Karossen
fährt, so fährt man auf den Kanälen Venedigs in kleinen Schiffen,
die man Gondeln nennt. Venedig ist der Sitz der Regierung
für diesen Bezirk, den man hier Gnbernium nennt.
II. Das Fürstenthum Liechtenstein.
2 >/2 Q.M. und 6500 Ew.
Dieser kleine Bundesstaat liegt zwischen der Schweiz und Tyrol,
mit welchen Ländern es gleiche Landesnatur hat. Bedeutende Alpen-
arme ragen ans den benachbarten Ländern herein und erheben sich
bis zu 8000 Fuß Höhe, wie z. B. das Angsthorn und die Kim-
tz erspitze. Das Fürstenthum umfaßt die beiden Herrschaften Va-
duz und Scheltend erg mit 13 Dörfern nebst dem Hauptort
Vaduz oder Liechtenstein und erfreut sich einer sehr geordneten
Verwaltung. Außerdem besitzt der Fürst bedeutende Herrschaften in
Schlesien, welche unter österreichischer Oberherrschaft stehen und über
100 Quadratmeilen umfassen.
III. Das Königreich Bayern.
Bayern, die Heimat des alten Volksstammes der Böser,
liegt mit seinem Hauptlande an beiden Seiten der Donau. Zu
diesem gehört aber auch noch die Pfalz am Rhein, nach seiner Lage
Rheinbayern genannt. Hinsichtlich seiner Bodenoberflüche ist das
Hauptland ein großes Flachland, in welches südlich Zweige der
Alpen hereingreifen; östlich erstreckt sich der Böhmerwald und das
Fichtelgebirg; im Norden lagern die Rhöngebirge, bei Aschaffen-
burg der Spessart, zwischen Bamberg und Würzburg dehnt sich
der Steig er wald aus, und'in der Pfalz treffen wir das Hardt-
gebirge mit dem Donnersberge. Die Donau ist,» wie schon bei
Aufzählung der deutschen Ströme gesagt wurde, durch die Altmühl,
den Ludwigskanal und die Regnitz mit dem Main verbunden,
der in den Rhein mündet, wodurch für die Schifffahrt die Verbin-
dung des schwarzen Meeres mit der Nordsee vermittelt wird. Außer
diesen Flüssen sind der Lech, die Isar und der Inn die bedeutend-
sten. Die Bodenhöhe finkt bei Paffau ziemlich unter 900, und unter
Aschaffenburg sogar bis auf 325 Fuß herab. In den Hähern Berg-
gegenden herrscht ein kaltes und rauhes Klima mit strengen und
lange andauernden Wintern; in den niedriger gelegenen^Gegenden
ist es mild und warm, und es gedeihen besonders in Franken
und in der Pfalz Wein und feines Obst. Getreide, Kartoffeln,
Handelskräuter und guter Hopsen werden in Menge erzeugt. Salz
giebt es im Ueberfluß. Die Viehzucht ist sehr bedeutend und kommt
271
in den Alpengegenden der Schweizerwirthschaft nahe. Die Schaf-
und Schweinezucht wird ebenfalls stark betrieben. Neben dem Acker-
bau blühen aber auch Fabriken und Manufakturen, und viele baye-
rischen Kunsterzeugnifse haben einen weltberühmten Namen erlangt.
Bayern wird in folgende 8 Kreise eingetheilt:
1) Oberbayern mit der Hauptstadt
München,
einer der schönsten Städte Deutschlands (120). Prachtvolle Ge-
bäude, wozu die königliche Residenz, der leuchtenbergische Palast, die
Bibliothek, eine der größten in der Welt, mit 800,000 Bänden,
nebst vielen prächtigen Kirchen zu zählen sind, schmücken die Stadt.
Die Glyptothek, ein prachtvolles Gebäude, enthält die kostbarsten
Arbeiten berühmter Bildhauer alter und neuer Zeit, und in der
alten und neuen Pinakothek sind die ausgezeichnetsten Kunst-
werke der Malerei gesammelt. Die Wände der vielen Säle sind
von unten bis oben mit den vortrefflichsten Gemälden, von welchen
oft ein Einziges mit vielen Tausend Gulden bezahlt wurde, bedeckt.
Das Theatergebäude ist groß und schön. Merkwürdig sind auch
die bedeckten Gänge des sogenannten Bazars, einer Reihe von
Kaufläden am Hosgarten. Diese Gänge sind nämlich mit den schön-
sten Wandgemälden geschmückt, und dienen bei jeder Witterung dem
Spaziergänger zum Vergnügen, zur Unterhaltung und zur Beleh-
rung. Der Hofgarten, sowie der englische Garten sind be-
lebte Vergnügungöorte. Die vorzüglichsten Platze sind der Markt-
platz, der Max-Iosephsplatz, der Promenadeplatz, der
Maximilians-, der Karolinen- und der Ludwigsplatz.
Sehenswerth ist auch ein 100 Fuß hoher Obelisk, welchen König
Ludwig zum Andenken an die 40,000 Bayern, die im russischen
Feldzuge sielen, errichten ließ; noch merkwürdiger aber ist das auf
einem kleinen Hügel aufgestellte kolossale Bild der Bavaria aus
Gußeisen, 1560 Zentner schwer und mit dem marmornen Fußgestelle
102 Fuß hoch. Auf einer Treppe kaun mau im Innern des
Bildes bis in das Haupt hinauf steigen, worin 8 bis 10 Personen
Platz finden.
Außer einer berühmten Universität'besitzt München verschie-
dene Kunstschulen, Institute, Lehranstalten, Sammlungen und Ka-
binete für Kunst und Wissenschaft und steht, besonders was Kunst
betrifft, unter allen deutschen Städten obenan.
Wir haben schon oben der schönen Kirchen dieser Stadt er-
wähnt; wir wollen nun noch einige derselben näher kennen lernen.
Einen größern, ernsteren, zugleich aber ansprechenderen Eindruck
macht wohl keine der neueren Kirchen Münchens, als die Basilika
des hl. Bvnifazuis. Das Aeußere derselben ist einfach und gefällt
272
schon durch die Säulenreihe, durch die man in die mit reichen Ver-
zierungen geschmückten Thore tritt. Vier und sechzig graue, spiegel-
glatte Marmorsäulen theilen das Innere in ein Haupt- und je zwei
Nebenschiffe. Die Länge der Kirche beträgt 262, die Breite 124,
die Hohe 78 Fuß. Die Nische des Hochaltars, die Seitenaltäre,
sowie die ganze Länge der säulengetragenen Wände des Hauptschiffes
sind mit Freskogemälden geschmückt und stellen Begebenheiten aus
dem Leben des hl. Bonifazius und der Verbreitung des Christen-
thums in Deutschland dar. Ueber diesen Hauptbildern befinden sich
Szenen aus dem Leben und Wirken anderer Heiligen und Märtyrer
auf Goldgrund gemalt. Die Decke über den luftigen Balken des
Dachstuhles, der von innen vollkommen sichtbar ist, hat einen azur-
blauen Grund, der mit goldenen Sternen übersäet ist. Durch die
Erbauung dieser Kirche wurde nicht nur ein unvergleichliches Kunst-
werk geschaffen, sondern auch zu gleicher Zeit dem religiösen Be-
dürfnisse eines stets im Wachsen begriffenen Stadttheiles glänzend
genügt.
Die Ludwigskirche ist im mittelalterlich-italienischen Style
erbaut. Zwei in Pyramiden zulaufende, 229 Fuß hohe Thürme
schmücken dieselbe von Außen. Ueber eine breite Treppe gelangt
man in eine Vorhalle und von dieser durch 3 Thüren in das In-
nere. Der Hauptschmuck dieses Tempels find die Altar- und Decken-
gemälde. Ueber dem Hauptaltar zeigt sich dem Eintretenden in einem
63 Fuß hohen und 39 Fuß breiten Bilde die schreckhaft ergreifende
Darstellung des „jüngsten Gerichtes". Der Ernst und die
fürchterliche Majestät des Augenblicks, der über Lebende und Todte
gleiches Entsetzen verbreiten wird, ist die Grundlage dieses unschätz-
baren Kunstwerkes. Die Empfindungen der Gerechtigkeit, der
Strenge und Milde der Heiligen, die Seligkeit der Be-
gnadigten, die Verzweiflung der Verdammten sind in er-
schütternden Zügen dargestellt. Ueber diesem Bilde zeigt sich als
Deckengemälde die Schöpfung; über den beiden Seitenaltären er-
blickt man die Geburt und Kreuzigung Christi, und im
Querschiffe die Gemeinde der Heiligen.
Nicht so großartig, aber desto glänzender ausgestattet ist die
Allerheiligen-Kapelle. Den ganzen obern innern Raum bedecken
Wandgemälde auf Goldgrund. Sie umfassen die wichtigsten Be-
gebenheiten des alten und neuen Testamentes und die Grnndzüge
der christkatholischen Religion. Rings um das Innere laufen Gal-
lerten für den königlichen Hof, die auf reichverzierten Säulen von
polirtem Marmor ruhen. Einen besonders großen und ergreifen-
den Eindruck bewirken diese Räume bei Beleuchtung, die in den
goldübergoffenen Bögen und Wölbungen des Plafonds sich blendend
wiederspiegelt.
/
273
Mehrere andere schöne Kirchen der Stadt übergehend, eilen wir
über die Jsarbrücke hinüber in die Vorstadt Au hinaus, um auch die
dortige schöne Kirche zu betrachten. Die Höhe derselben beträgt bis
zum Thurmkreuze 270, die Länge 235, die innere Höhe der Wöl-
bung 83 Fuß. Der schönste Schmuck dieser Kirche sind 19 Fenster
von 52 Fuß Höhe und 13 Fuß Breite mit Darstellungen aus dem
Leben der heiligen Jungfrau. Diese köstlichen Glasgemälde, die in
den feurigsten Farben erglänzen, verbreiten ein angenehmes Däm-
merlicht in der Kirche selbst, das dem Gemüthe wunderbar zusagt
und ganz geeignet ist, den Menschen zur Einkehr in sich selbst, zur
geistigen Sammlung und zur Andacht zu stimmen.
Verlassen wir nun München mit seinen Prachtbauten und Kunst-
schätzen, worüber man ganze Bände schreiben könnte, und lernen
noch die weiteren Kreise des Landes mit den wichtigsten Städten
kennen!
2) Niederbaycrn hat Landshut zur Kreishauptstadt, in welcher
die schöne Domkirche mit einem 454 Fuß hohen Thurme merkwürdig
ist. Bei Passau, am Inn und an der Donau, finden wir in
der Nähe der Stadt über den Rothfluß eine Brücke, die von
einem Widerlager bis zum andern aus einem einzigen Bogen be-
steht, der 200 Fuß Weite hat.
3) In der Oberpfalz ist Regensburg die Hauptstadt. Sie
war einst wichtiger als jetzt, indem dort der deutsche Reichstag sei-
nen Sitz hatte, bis 1806, nach der Stiftung des Rheinbundes, das
deutsche Reich sich auflöste. Sehenswerth ist hier der Dom zu
St. Peter mit herrlichen Glasmalereien.
4) Schwaben. Die Hauptstadt Augsburg ist geschichtlich
Merkwürdig durch den Reichstag, der dort 1530 zur Schlichtung
der Religionsstreitigkeiten gehalten wurde, auf welchem die Pro-
testanten ihr Glaubensbekenntniß übergaben, das man deshalb die
Augsburger Confession nennt. Das Ralhhaus ist eines der schön-
sten in Deutschland; der sogenannte goldene Saal in demselben ist
110 Fuß lang und 52 Fuß hoch; er enthält eine werthvolle Samm-
lung von Gemälden. Zu den schönen Gebäuden gehören auch die
Domkirche und die Kirche zu St. Ulrich., Die Fuggerei besteht
aus vielen Gebäuden, von den reichen Grafen von Fugger dazu
erbaut, um armen Bürgern theils unentgeltich, theils gegen ge-
ringen Miethzins Wohnungen zu verschaffen.
5) Im Kreis Mittelfrankrn ist Ansbach die Hauptstadt.
Berühmter als diese ist jedoch Nürnberg (50), eine Stadt voll
Kunstfleiß. Sie ist die Heimat des Erfinders der Taschenuhren
(Peter Hele) und des berühmten Meistersängers Hans Sachs,
der Schuster und Dichter in Einer Person war und von sich selbst
zu sagen pflegte: „Ich mache Schuh' und Reime dazu!"
Reiser, der Volksschule« t. d. Odcrklasse. 18
274
6) In Oberfrauken ist Baireuth, eine schöne Stadt, der
Sitz der Kreisregierung. Bamberg ist geschichtlich bekannt als
Aufenthalt Heinrichs II., des Heiligen, und mehrerer deutscher Kaiser.
In der Nähe von Bmreuth sind die bekannten großen Muggen-
dorfer Höhlen, die oft von Reisenden besucht werden.
7) Unterfranken. Die Hauptstadt ist Würzburg, eine feste,
alte Stadt in dem fruchtbaren Mainthale, von herrlichen Weinber-
gen umgeben. Sie hat eine Universität und einen Bischofsitz, der
schon von dem hl. Bonifazius gegründet wurde. Das Schloß da-
selbst gehört zu den schönsten Palästen in Europa.
8) Rheinbayern oder die Rheinpfalz mit der uralten Stadt
Speyer. In dem überaus prächtigen Dome daselbst besinden sich
die Grabmäler von 8 deutschen Kaisern. Landan und Germers -
heim sind deutsche Bundesfestungen, und Zweibrücken war in
früherer Zeit die Residenz der Pfalzgrafen.
IV. Das Königreich Württemberg.
Württemberg, das in alter Zeit von den Sueven bewohnt wurde,
bildete damals einen Bestandtheil des Her'zogthums AUemannien
und gehörte zum fränkischen Reiche. Später kam es als Herzog-
thum Schwaben an die Hohenstaufen, und nach dem Fall dieses
berühmten Herrschergeschlechtes erhoben sich die Grafen von Würt-
temberg nach und nach zu bedeutender Macht. Gegen Ende des
15. Jahrhunderts wurde das Land zum Herzogthum erhoben.
Im 30jährigen Krieg entsetzlich verheert, gewann es jedoch bald
wieder antraft und Macht, erhielt später unter Friedrich I. die
Kurwürde und wurde endlich 1806 als Königreich erklärt.
Württemberg mißt 360 Q.M., worauf 1,800,000 Menschen
leben. Das ist nun schon ein merkwürdiges Verhältniß; denn wären
die Bewohner Württembergs im ganzen Lande gleich vertheilt, so
träfe es auf jede Geviertmeile 5000 Menschen, und das will schon
viel heißen, besonders wenn fast Alle vom Ertrage des Bodens
leben sollen, der hier nicht überall gleich fruchtbar ist. Da liegt
z. B. der Schwarzwald im Westen des Landes, ein Gebirg,
das wohl mächtige Tannen erzeugt, die in großen Flößen auf dem
Neckar und Rhein nach Holland geführt und zum Schiffbau ver-
wendet werden, was dem Lande alljährlich ein schönes Stück Geld
einbringt; dagegen ist aber der Ackerbau mehr beschränkt, obgleich
es auch fruchtbare Thäler giebt. Dann zieht sich auch die rauhe
Alp fast mitten durch das Land, und dieses Gebirg ist wohl reich
an Kalksteinen und Höhlen, aber auch nur die vorhandenen Thäler
sind dem Getreide- und Obstbau günstig, obgleich es Ausnahmen
giebt und sich auch auf den Höhen der Alp fruchtbare Felder sindeu.
Dessenungeachtet pflegt man Württemberg mit Baden den
275
„G arten Deutschlands" zu nennen, denn im Ganzen ist das
Land sehr fruchtbar, besonders das mittlere und untere Neckar-
thal mit den Seitenthälern, wo Wein, Obst und Getreide wohl
gedeihen. Auch das obere Neckarthal, die Gegend zwischen
Ravensburg und Weingarten, das obere Donauthal und
mehrere Gegenden am Fuße der Alp sind sehr ergiebig. Nebst
dem Getreide-, Wein-, Obst-, Hopfen-, Flachs- und Hanfbau ist auch
die Viehzucht sehr wichtig, und kein Land hat einen verhältnißmäßig
so großen Viehsland auszuweisen, als Württemberg. Der Werth
desselben wird zu 46 Millionen angeschlagen. Die Iudustrie ist
im Ganzen ausgezeichnet und in Folge des Anschlusses an den
deutschen Zollverein in stetem Fortschritte begriffen. Der Württem-
berger steht hinsichtlich seiner geistigen Anlagen und deren Ausbil-
dung keinem andern Volke nach. Er ist besonders fleißig und be-
triebsam und ergreift mit Eifer jeden Nahrungszweig, daher trifft
man auch in fast allen Ländern der Erde Württemberger an. Der
Handel, durch gute Landstraßen, Eisenbahnen und di^Schifffahrt auf
dem Neckar und dem Bodensee unterstützt, steht in ziemlicher Blüthe.
Die wichtigsten Handelsplätze sind: Stuttgart, Ulm, Heil-
bronn, Cannstadt, und Friedrichshafen als Stapelplatz für
den Handel nach der Schweiz.
Württemberg wird in folgende 4 Kreise eingetheilt:
1) in den Neckarkreis mit der Hauptstadt Stuttgart (50).
Sie liegt in einem, von Weinhügeln umschlossenen Thale am Nesen-
bache und ist die Residenz des Königs und der Sitz der hohen
Staatsbehörden. Die Stadt hat in neuerer Zeit durch Vergrößerung
und Verschönerung viel gewonnen. Zu den schönen Gebäuden sind
zu zählen: die Residenz, der Kronprinzenpalast, der Königsbau, die
Stiftskirche mit einer prächtigen Orgel, das Katharinenhospital, das
Theater, die neuen Kasernen und die Bibliothek. Sehenswerth sind
die schönen Parkanlagen und das königliche Lustschloß Rosenstein.
Unter diesem Schlosse hindurch führt die Eisenbahn durch einen
Tunnel nach Cannstadt, dem eigentlichen Stapelplatz für die Neckar-
schissfahrt. Handel, Wein- und Feldbau sind nicht unbedeutend und
die hiesigen Mineralquellen werden von vielen Badegästen besucht.
Ludwigsburg ist die zweite schön und regelmäßig gebaute Residenz-
stadt, mit einem prächtigen Schlosse und geschmackvollen Garten-
anlagen; auch ist daselbst eine Kriegsschule und eine Kanonengießerei.
Heilbronn ist eine zwar kleine, aber nicht unbedeutende Handels-
stadt; auch Schifffahrt und Weinbau sind von Belang. Bei dem
Städtchen Weinsberg erblickt man die Ruinen einer mittelalter-
lichen Burg, von welcher uns die Geschichte eine merkwürdige Be-
gebenheit aufbewahrt hat, die ich euch hier mittheilen will. Diese
Burg heißt nämlich
§276
Die Weibertreue.
Kaiser Konrad, der Hohenstaufe, hatte um die Mitte des 12.
Jahrhunderts die Stadt Weinsberg belagert und dieselbe so hart
bedrängt, daß sie sich endlich ergeben mußte. Vor der Uebergabe
baten nun die Frauen den Kaiser, daß er ihnen gestatten möchte,
frei abzuziehen und ihre liebsten Schätze mitzunehmen. Der Kaiser
gewährte diese Bitte, weil er, wie er sagte, nicht mit Frauen, son-
dern mit Männern Krieg führe, und diese gedachte er hart zu strafen.
Am Tage der Uebergabe öffneten sich nun die Thore und heraus
kam ein Zug von Frauen, deren jede ihren Mann aus den Schultern
trug. Der Kaiser wollte anfangs zürnen ob dieser List, und Viele,
die bei ihm waren, meinten, daß er sein Wort, nicht halten dürfe,
da sein Versprechen nicht so gemeint gewesen sei. Allein der edle
Konrad war anderer Ansicht und sprach: „Es geziemt dem deutschen
Manne nicht, sein Wort willkührlich zu deuten und zu drehen." So
begnadigte er Hann sämmtliche Einwohner, und seitdem wurde diese
Burg die „Weibertreue" genannt.
2) Im Schwarzwaldkreis ist Reutlingen die Hauptstadt.
Handel und Gewerbe sind auch hier sehr bedeutend. Reutlingen war
in frühern Zeiten eine freie Reichsstadt und hatte viel mit den
Herren von Württemberg zu kämpfen, die manchmal von ihrer be-
nachbarten Bergveste Achalm, die jetzt in Trümmern liegt, herüber-
kamen und die Stadt beunruhigten und angriffen. Aber auch die
Städter säumten nichts wenn sie dem Grafen und seinen Anhängern
schaden konnten. Einst, es war am 14. Mai 137.7, waren sie in
das Uracher Thal gezogen, verwüsteten die Gegend und trieben die
Heerden hinweg. Indessen hatte sich Graf Ulrich mit seinen Verbün-
deten in der Nähe der Stadt aufgestellt, um die Reutlinger bei ihrer
Seimkehr so übel als möglich zu empfangen. Mit Jauchzen und
esang rückten sie heran und ein heißer Kampf begann. Während
desselben brach aber auch ein Haufen zurückgebliebener Bürger aus
der Stadt heraus und —
— Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauser Wuth,
Heut will der Städter baden im heißen Ritterblut.
Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt!
Wie haben da die Färber so blutig roth gefärbt!
Mehr als 60 Ritter, unter diesen auch die Grafen von Zollern,
von Tübingen und von Schwarzenberg, zählte mau unter den Todten,
deren Ramm und Wappen man an den Fenstern des Rathhauses
zu verewigen suchte.
Ziehen wir von hier durch das Honauerthal aufwärts, so treffen
wir oberhalb Pfullingen in einem Berge die merkwürdige Nebel-
277
höhle, die einst dem vertriebenen Herzog Ulrich zum schützenden Auf-
enthalte diente und sich gleich, nachdem man die Treppe am Ein-
gang hinabgestiegen ist, kirchenhoch über den Besucher wölbt, 600
Fuß weit in den Berg hineinreichend. Die vorhandenen Tropf-
steine sehen von ferne mancherlei Bildern ähnlich, und wenn man
die Einbildungskraft ein wenig zu Hilfe nimmt, so kann man eine
Parthie mit einer Orgel, eine andere mit einer Kanzel, eine dritte
mit einem Marienbilde vergleichen u. s. w. Ein Paar Stunden
von hier entfernt liegt bei dem Dorfe Erp singen die fast eben so
große Karlshöhle, worin versteinerte Knochen, Kinnbacken und Zähne
von den großen, jetzt nicht mehr vorkommenden Höhlenbären ge-
funden wurden. Eine besondere Zierde des Honauerthales ist das
auf einen hohen Felsen im mittelalterlichen Style neu erbaute Schlöß-
chen Lichtenstein, das von unten gesehen eine ungemein schöne An-
sicht, und auf seinem Wartthurme eine herrliche Aussicht gewährt.
Tübingen, Universität und Oberamtsstadt am Neckar, hat ein
wohlerhaltenes, mittelalterliches Schloß mit einer Sternwarte, einer
zahlreichen Bibliothek und einem schönen Naturalienkabinet. In den
ungeheuren Kellern des Schlosses zeigt man einen aus Sandsteinen
gehauenen Brunnen, der bis unter das Bett des Neckars hinabreichen
soll. In einem andern Gewölbe liegt ein aus Balken verfertigtes
ungeheures Faß, das 286 Württembergische Eimer (zu 160 Maaß)
halten soll. Das Spundloch ist so groß, daß ein Mann hinein-
steigen kann, und im Innern dieses Riesenfasses kann man Kegel
schieben.
Röttenburg ist der Sitz des katholischen Landesbischofs
und seines Domkapitels.
3) Im Donaukreise ist Ulm, eine deutsche Bundesfestung,
die Hauptstadt. Hier treffen wir eine der größten Kirchen Deutsch-
lands, mit einem 337 Fuß hohen Thurme, der nach dem ursprüng-
lichen Plane beträchtlich höher werden sollte. Dieser Dom enthält
die größte Orgel in der Wett mit 100 Registern. Von hier aus
führt eine Eisenbahn nach Stuttgart, Augsburg und nach dem Bo-
densee. Friedrichöbafen, der Anfangspunkt der Württembergischen
Eisenbahn, liegt am Bodensee,, der sich hier mit seinen herrlichen
Umgebungen in seiner vollsten Schönheit darstellt, hat ein könig-
liches Lustschloß, einen Hasen und starke Dampfschifffahrt. Göp-
pingen, eine der gewerbsamsten Städte des Landes, hat mehrere
Fabriken.
4) Im Jaxtkreise ist Ellwangen, einst der Sitz des Landes-
bischoss, die Hauptstadt. Hall, wo die ersten Heller (Haller ge-
nannt) geprägt wurden, hat eine Saline. Anderthalb Stunden ent-
fernt liegt das Steinsalzbergwerk Wilhelms glück. Es ist 400
Fuß tief und die obern Schichten sind durch dicke Pfeiler, die man
278
deshalb stehen ließ, unterstützt, um die Gruben gegen den Einsturz
zu sichern. Gmünd besitzt ein Gymnasium, ein Blinden- und Taub-
stummen-Institut, ein Schullehrerseminar und eine Realschule. Unter
den 6 Kirchen zeichnet sich besonders die Kirche zum hl. Kreuz aus,
deren majestätisches Gewölbe auf 22 Säulen ruht.
In der Nähe von Gmünd treffen wir einen Berg, an wel-
chen sich eine Menge geschichtlicher Erinnerungen von großer Wich-
tigkeit anknüpfen lassen, und den wir deshalb hier näher beschreiben.
Der Hohenstaufen.
Im Königreich Württemberg, in der Mitte des schwäbischen
Landes, fast gleich weit vom Rhein, Lech und dem Bodensee ent-
fernt, erhebt sich der Hohenstaufen, ein kegelförmiger Berg, auf
dessen Gipfel einst das Stammhaus der schwäbischen Herzoge und
Kaiser gestanden. •
Weithin ist des Berges Haupt sichtlich, und du magst kommen
von welcher Richtung du willst, so beut es dir seinen kahlen Scheitel
entgegen. Es beherrscht eben so die Gegend und die niedern Berge,
wie die mächtige Regentenfamilie, die einst hier hausete, die niedern
Geschlechter und die Landschaften umher beherrscht hat. Der baum-
lose Gipfel des Berges gewährt eine herrliche Aussicht. Gegen
Süden übersieht man die rauhe schwäbische Alp mit ihren
begrünten Höhen oder zackichten Felsen; hinter ihr ragen in weiter,
bläulicher Ferne, wie Wolken am Horizont, die Schneegebirge
Tyrols und Helvetiens hervor. Gegen Westen erblickt man
die schönen Gegenden, die der Neckar durchströmt, das reiche
Württembergische Unterland,' das Schwarzwald-Gebirge und, dem
Auge nur bei dem hellsten Himmel sichtbar, die Berge Lothringens.
In einem schönen Halbkreise gelagert, von Nordwest bis Nordost,
von der Mündung des Neckars bis zum Ausfluß des Lechs, be-
grenzen die schwarzen limburgischen und fränkischen Wal-
dungen den Horizont und verhindern die weitere Aussicht. Dies
sind die äußersten Linien des Kreises, von dem dieser Berg der
Mittelpunkt ist. Aber innerhalb dieses Kreises, welch' eine bunte
Landschaft, welch' schönes Gemälde! wie abwechselnd Thal und
Berg, Wälder, Fluren und Flüsse! welche Menge von Höfen, Dör-
fern und Städten, die allenthalben bald mehr, bald minder versteckt,
mit ihren Thürmen und schimmernden Dächern und Zinnen einen
ungemein heitern Anblick gewähren. Ganz nahe, dem Anschein nach
nur einen Steinwurf weit, liegt am nördlichen Fuße des Berges
die Stadt Gmünd, ehemals ein Eigenthum des hohenstaufischen
Hauses, die aber nach Konradins unglücklichem Tode die Reichs-
freiheit sich erwarb. Eben so nahe, nur auf des Berges südlicher
279
Seite, breitet sich in einem fruchtbaren Thäte das schöne Württem-
bergische Städtchen Göppingen aus, das gleichfalls zu dem Be-
sitzthum der hohenstaufischen Familie gehörte. Das frohe Gefühl,
in das den Beschauer die lebendige Gegenwart versetzt, wird getrübt
bei dem Anblick so vieler in Trümmern liegender naher Bergschlösser,
die sich rings über die niedrigen Oerter erheben und wie Vasallen
um den sie alle überragenden Hohenstaufen herumstehen. Rech-
berg, Staufeneck, Helfenstein, Ramsberg, Scharfen-
st ein, Bern eck, Drachenstein waren ehemals die Sitze blühen-
der Geschlechter, deren Andenken zum Theil nun verweht ist. Noch
mehr drängt sich der Gedanke an die Vergänglichkeit aller mensch-
lichen Größe deinem Geiste auf, wenn du deine'nächsten Umgebungen
von diesem Standpunkte aus betrachtest; denn von dem Stamm-
hause der Hohenstaufen ist, bis auf ein kleines Stück Mauer, auch
die letzte Spur verschwunden und mit Gras und Disteln ist der
Schutt überwachsen. Einsame Ziegen weiden an den steilen Wän-
den des Berges und halbnackte Hirtenknaben tummeln sich auf der
luftigen Höhe, wo einst der mächtige Friedrich seine Jugend ver-
lebte. Im Bauernkriege 1525 wurde von dem Schlosse verbrannt,
was verbrennlich war. Die sieben Fuß dicke Ringmauer desselben,
zwei feste Thürme, der Buben- und Mannsthurm genannt, die
Thore und der Brunnen blieben stehen-und standen noch 1588, wo
Crusius sie sah und beschrieb. Seit jener Zeit wurden die Steine
von den benachbarten Bauern geholt, die Thürme niedergerissen, die
Brunnen verschüttet. Sie wühlten nach Schützen und fanden Men-
schenknochen, die sie verschleuderten. Die Natur selbst scheint hier
oben zu trauern über den Abgang der großen Familie, die hier
ihren Wohnsitz hatte. Menschenleer ist die Gegend, verlassen sieht
sich der Wanderer, und nur das Geläute der Heerden, oder einer
nahen Kirchenglocke dringt hin und wieder zu seinem Ohr.
Am südlichen Abhang des Berges liegt das Dorf Hohen-
staufen. In der alten Kirche desselben, die schon stand, als die
Stanfen Könige der Deutschen waren, ist eine kleine, niedrige Thür
gegen den Berg zu; über derselben befindet sich ein uraltes Wand-
gemälde, welches den Kaiser Friedrich Barbarossa in eiserner
Rüstung vorstellt; unter dem Bilde sind einige deutsche Reime,
welche sagen, daß Friedrich oft durch diese Thür in die Kirche ge-
gangen sei. Tiefer unter dem Dorfe, auf der Ebene, ist ein dichter,
großer Wald, in welchem ein Paar alte, ganz mit Moos überzogene
Eichen stehen; von ihnen geht die Sage unter den Landleuten, daß
sie aus den glanzvollen Zeiten des hohenstaufischen Geschlechts die
einzigen noch lebenden Ueberreste„seien.
Wenn diese Sage auch nicht wahr ist, so thut es doch dem
Gefühle wohl, sich in die Zeiten zu versetzen, da diese Bäume jung
280
waren, sich jene längst verschwundenen Menschengestalten zu denken,
wie sie in diesem Forste dem Eber auflauerten und den schnellen
Hirsch mit ihren Speeren fällten; es thut dem Gefühle wohl, Nach
einem so oft wiederholten Wechsel von Generationen, Zeiten und
Reichen eine Creatur, einen Eichbaum anzuschauen, der alle diese
Wechsel überlebt hat, der dem stolzen Menschen die Kürze der ihm
zugemessenen Zeit vorrückt und ihm zu sagen scheint:
„Dein Leben währet 70, wenn es hoch kommt 80 Jahre, und
„wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen;
„ich hingegen trotze der Zeit, und meine Blätter grünen für und für."
. (S. Ehrhardt.)
V. Das Großherzogthum Baden.
Am rechten Ufer des Rheinstromes, vom Bodensee bis zur
Neckar- und Taubermüudung, erstreckt sich Baden, ein durch
Fruchtbarkeit uüd Naturschönheiten reich gesegnetes Land voll lieb-
licher Thäler, Getreideauen und Weinhügel. — Auch dieses Land
gehörte in alter Zeit größtentheils zum allemannischen Herzogthum
und wurde nachher durch das fürstliche Geschlecht der Zahringer,
das von dem Grafen Bertholt» im Breisgau abstammte, bis zu
seinem jetzigen Umfange erweitert. Noch im Jahre 1801 betrug
die Größe von Baden nur 60 Q.M. Es erhielt aber in demselben
Jahre durch den Lüneviller Frieden einen Zuwachs von 52, und
1803 durch den Reichsdeputationshauptschluß eine abermalige Ver-
größerung von 20 Q.M. Noch bedeutender waren die spätern Er-
werbungen, so daß Baden gegenwärtig auf 280 Q.M. 1,400,000
Einwohner zählt. Die wichtigsten Flüsie des Landes sind: der
Rhein, der Neckar, die Kinzig,^Elz, Murg und Donau. Von
Gebirgen treffen wir hier im bilden den Schwarzwald, wäh^
rend im Norden der Odenwald in das Land hereiuragt. Der süd-
liche Theil Badens umfaßt einen Theil des Bodensees; zwei an-
dere Seen, der Mummelsee auf dem hohen Berge Seekopf und
der Schluchsee auf dem Feldberg sind ihrer hohen Lage wegen
merkwürdig, denn letzterer liegt 2800 Fuß über dem Meere, von wo
an dieser höchste Punkt des Schwarzwaldes bis zu einer Höhe von
4600 Fuß hinan steigt. An Produkten ist Baden ungemein reich,
denn es hat Ueberfluß an Wein, Obst, Tabak, Getreide, Flachs,
Hanf, Salz und Vieh. Holz ist so viel vorhanden, daß auf jeden
Einwohner ein Morgen Waldung gerechnet werden kann. An Acker-
feldern sind IV2 Millionen Morgen, Wiesen 440,000, Wei-
den 235,000 und Weinberge 60,000 Morgen vorhanden. In
den Gebirgen findet man Eisen, Blei, Zink, Silber und Kupfer,
und in dem Rhein auch etwas Waschgold.
281
Eintheilung und Städte.
1) Der Seekreis mit der Kreishauptstadt Konstanz. Sie
hat eine sehr schöne Lage an dem 17 Stunden langen und 3 bis 5
Stunden breiten Bodensee, der sehr fischreich ist und an einigen
Orten 1000 Fuß Tiefe hat. Die Stadt war in früheren Zeiten
mehr bevölkert als jetzt. In den Jahren 1414 bis 1418 wurde
hier eine große Kirchenversammlung gehalten, durch welche
Johannes Huß, als Irrlehrer, zum Tode verurtheilt und verbrannt
wurde. Ueberlingcn hat sehr besuchte FruKtmärkte. Von hier
nach Konstanz fährt man an der ungemein lieblich gelegenen Insel
Mainau vorüber, welche ein hübsches Schloß hat und durch eine
lange Brücke mit dem Lande verbunden ist. — Am Ende des Un-
tersees liegt das Städtchen Radolphzell. und unweit desselben
die durch Naturschönheiten ausgezeichnete Insel Reichenau mit einer
ehemaligen Benediktinerabtei und uralten Kirche, worin das Grab-
mal Kaiser Karls des Dicken sich befindet. — Bei dem Städt-
chen Stockach wurden 1799 die Franzosen von den Oesterreichern
geschlagen, wogegen diese aber im folgenden Jahre wieder bei Engen
und Möskirch von den Franzosen besiegt wurden. Bei Donau-
eschingen, der Residenz des Fürsten von Fürstenberg, ist der
Ursprung der Donauquelle, welche im Schloßhofe daselbst zuerst
sichtbar wird.
2) Der Oberrheinkreis. Die Hauptstadt und zugleich der
Sitz des Erzbischofs und Metropoliten der oberrheinischen
Kirchenprovinz ist Freiburg, eine Universitätsstadt in angenehmer
Lage und schöner Umgebung. Berühmt ist das in gothischem Style
erbaute Münster mit seinem 480 Fuß hohen Thurme. — In Neu-
stadt und andern Orten des Schwarzwaldes werden viele hölzerne
Uhren, sowie auch kleinere und größere Spieluhren verfertigt und
in alle Länder Europa's, ja selbst in andere Erdtheile versendet.
Man zählt über 700 Uhrenmacher im Gebirge, wo überhaupt viele
Holzarbeiten gemacht und auch seine Strohhüte verfertigt werden.
3) Der MittelrheinkrerS. Hier liegt Karlsruhe, die Haupt-
stadt des Landes und Residenz des Großherzogs (26). Die Stadt
ist sehr schön in Form eines Dreiecks angelegt, so daß die 11 Haupt-
straßen alle bei dem Schlosse zusammenlaufen. Zwei schöne'Kir-
chen, mehrere Paläste, ein schönes Theater, ein großartiger
Eisenbahnhof und mehrere andere sehenswerthe Bauten schmücken
die Stadt; eine Hauptzierde derselben ist der 430 Morgen große
Hofgarten mit Anlagen, die zu den schönsten in Deutschland gehören.
Raftadt mit einem schönen Schlosse, Gymnasium und Schullehrer-
seminar ist eine deutsche Bundesfestung und der Sitz der Kreis-
regierung und des Hofgerichtes. In der Nähe von Offenburg
282
wächst der berühmte Affenthaler Wein. Lahr hat viele Fabriken
und ist, bezüglich des Handels, eine der ersten Städte des Landes.
In Pforzheim werden sehr viele Goldwaaren verfertigt.
4) Der Unterrbeinkreis. Die Hauptstadt ist Mannheim.
Sie ist so groß als Karlsruhe, hat schöne Gebäude, wie z. B. das
Schloß mit einem herrlichen Garten, die Sternwarte, das Kauf-
haus, die Stückgießerei, das Zeughaus, das Theater, das Lyceum
und die sehr schöne Iesnitenkirche. — Die günstige Lage der Stadt
am Zusammenflüsse des Neckars und Rheins macht, daß in Mann-
heim nicht blos ein großer Holzhandel, sondern auch ein bedeutender
Handel mit Landespkodukten betrieben wird, und daß die fremden
Waaren, welche Süddeutschland bezieht, vielfältig dort ausgeladen
werden. Nebstdem fehlt es Mannheim, wie dem badischen Lande
überhaupt, nicht an Fabriken verschiedener Art; denn das Volk ist
regsam und die Bevölkerung für den bloßen Ackerbau zu dicht. Eine
zweite Universität des badischen Landes ist Heidelberg, woselbst sich
auch eine Forstschule befindet. Sehenswerth ist die schöne Neckar-
brücke und die Ruine des alten Residenzschlosses der ehemaligen
Pfalzgrafen bei Rhein, in dessen Keller das weitberühmte, 36 Fuß
lange und 24 Fuß hohe Weinfaß liegt.
VI. Das Königreich Sachsen.
Sachsen ist so groß als Baden, steht aber hinsichtlich seiner
Einwohnerzahl gleich mit Württemberg, und die Bevölkerung ist
also noch dichter als in jenem Staate. Nur die große Gewerbs-
thätigkeit, welche in Sachsen herrscht, macht es möglich, daß so viele
Menschen in diesem Lande Brod und Unterhalt finden können. So
würde z. B. das im südlichen Theile Sachsens liegende Erzgebirge
eine nur dünne Bevölkerung zu ernähren im Stande seyn, wenn
dieselbe von Viehzucht und Ackerbau leben müßte, während jetzt eine
zahlreiche Einwohnerschaft von Bergleuten, Leinewebern, Spitzen-
klöpplern und Strumpfwebern dort wohnt. Diese Leute haben nun
auch ein nicht gar glänzendes Loos; denn wenn es für die verfer-
tigten Waaren an Absatz fehlt und vollends gar Theurung eintritt,
so entsteht oft eine ungemein große Noth unter ihnen. Das ebenere
Land'an der Elbe und in der Gegend von Leipzig ist dagegen
fruchtbarer und versorgt größtentheils jene bergigen Gegenden mit
seinen Erzeugnissen. Die Gebirge Sachsens enthalten reiche Me-
tallschätze, weßhalb zahllose Bergwerke dieselben durchziehen. Die
reichen Silbergruben bei Freiberg, Schneeberg und Annabercs
werden schon seit mehreren Jahrhunderten bebaut. Die Hauptstadt
des Landes ist Dresden (90). Sie liegt an beiden Seiten der
Elbe, über welche eine 1400 Fuß lange und 36 Fuß breite schöne
283
Brücke führt, auf welcher man eine herrliche Aussicht in das Elb- ,
that genießt. Im königlichen Schlosse, vorzüglich aber in dem so-
genannten grünen Gewölbe, sind unschätzbare Sammlungen von Ge-
mälden und andern Kunstsachen. Auch der japanische Palast enthält viel
Sehenswerthes. Von schönen Gebäuden nennen wir nur die Frauen-
kirche und die katholische Hofkirche. Meißen hat eine berühmte
Porzellanfabrik, die ausgezeichnete Arbeiten liefert. Etwa 6 Stun-
den von Dresden, mitten in der sogenannten sächsischen Schweiz,
treffen wir eine Festung, die vielleicht zu deu merkwürdigsten der
Erde gehört; es ist ’ ,
Der Königsstein.
Am Ufer der Elbe erhebt sich eine ungeheure, majestätische Berg-
masse, deren untere Stufen sich im Nordwesten durch finstere Schluch-
ten mit niedrigeren Höhen verbinden, während die oberen die nächste
Umgegend hoch überragen und einen 150 Fuß hohen Felsenkranz
tragen, der ungefähr 3000 Schritte im Umfang hält. Der ganze
Bergfelsen erhebt sich über 1000 Fuß über den Spiegel der Elbe
und ist mit Festungswerken versehen, die schon durch ihre Lage jeder
feindlichen Macht Trotz bieten. Durch Gewalt ist diese Festung
nicht einzunehmen; denn der einzige Zugang zu derselben ist an drei
verschiedenen Orten zu vertheidigen; durch Hunger -ebenso wenig,
denn der Felsen hat oben ein Feld, auf welchem Nahrung genug
für die Mannschaft gewonnen werden kann, und einen Brunnen,
der bis unter das Bett der Elbe hinabreicht und über 1100 Fuß
tief ist. Napoleon wollte im Jahr 1813 den Versuch machen, den
Königsstein von dem gerade gegenüber liegenden Lilgenstein zu be-
schießen, allein es reichte keine Kugel hinüber. Als unüberwindliche
Festung ist im Kriege der K ö n i g s st e i n ein sicherer Zufluchtsort für
die Landesschätze, im Frieden aber die Wohnung von etwa 400 Men-
schen^ wovon 160 zur Besatzung gehören. Zwischen Felsen steigt
man in die Höhe hinauf, die außer zahlreichen Gebäuden, Gefäng-
nissen und Freiplätzen auch Gärten, eine Weinpflanzung und ein
Wäldchen trägt. Unter den Gebäuden ist die mit einem schönen
Marmoraltar und trefflichen Gemälden geschmückte Kirche besonders
zu erwähnen; ferner die achteckige Christiansburg mit Bilder-
galerie und reizender Aussicht; sodann das Zeughaus, die Pul-
verhäuser und Kasernen nebst den Staatsgefängnissen
und den stets für 3 Jahre angefüllten Provianthäusern.
Von den übrigen Städten des Königreichs ist Leipzig (60) be-
sonders wichtig. Von den drei Messen, die jährlich hier gehalten
werden, führt die Ostermeffe alljährlich wenigstens 10,000 Käufer
und Verkäufer hier zusammen. In den Häusern, Gewölben und
Buden beschäftigt sich die wogende Menschenmenge mit Kauf und
t
284
. Verkauf von Waaren aller Art. Diese Stadt ist der Mittelpunkt des
deutschen Buchhandels und zählt selbst über 120 Buchhändler. Es
erscheint wohl nirgends ein Buch, das nicht hier zu haben wäre.
Zur Meßzeit versammeln sich hier viele Hundert Buchhändler aus
allen Ländern in dem schönen Buchhändler- und Börsengebäude, wo
sie mit einander abrechnen. Leipzig ist auch geschichtlich merkwürdig
geworden durch die Schwedenschlacht 1631, noch mehr aber durch die
große Völkerschlacht gegen Napoleon 1813. Die Eisenbahn zwischen
Leipzig und Dresden gehört zu den befahrensten in Deutschland.
Als bedeutende Fabrifftädte sind zu nennen: Chemnitz, Bau-
tzen, Plauen und Reichenbach mit wichtigen Wollenwebereien.
In Schwarzenberg ist eine Drahtzieherei, in welcher Draht von
solcher Feinheit erzeugt wird, daß ein Zentner Eisen 582,000 Ellen giebt.
VII. Die thüringischen Länder.
Diese Länder, von denen immer eines durch das andere, sowie
durch sonstige kleinere Länder und Gebietstheile in mehrere Stücke
zerschnitten wird, liegen im Herzen Deutschlands, und es ist eine
große Aufmerksamkeit erforderlich, um dieselben genauer kennen zu
lernen. Sie bilden die langschmale Gebirgslandschaft Thüringens,
deren Boden wenig ergiebig ist und nur Kartoffeln, Flachs und
Holz hervorbringt, jedoch schöne Weiden hat. Die tiefern Thäler
und niederen Gegenden haben dagegen eine mildere Luft und frucht-
baren, wohlangebauten Boden. Der Thüringerwald, ein 15 Mei-
len langes Gebirg, zieht durch diese Länder hindurch, die sich von
Westen nach Osten folgendermaßen an einander anreihen:
1) Das Herzogthum Sachsen Meiningen-Hildburghausen
mit der Hauptstadt Meiningen.
2) Das Herzogthum Koburg-Gotha mit der Residenzstadt
Koburg.
3) ' Das Großherzogthum Weimar mit der gleichnamigen
Hauptstadt.
4) Das Herzogthum Sachsen-Altenburg mit der Residenz-
stadt Altenburg.
Zwischen diesen vier sächsischen Herzogthümern liegt
5) Das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt, und nörd-
lich von demselben, im Umfang der preußischen Provinz Sachsen,
breitet sich
6) Das Fürstenthum Schwarzburg-Sondershausen aus.
Weiter gegen Süden, im Osten an das Königreich Sachsen
grenzend, stnden wir die Fürstenthümer
7) Reuß-Greitz und
81 Reuß-Schleiz mit den gleichnamigen Hauptstädten.
285
Umschau auf dem Jnselsberg auf die Landschaften
Thüringens.
Wir besteigen jetzt einen Berg im Thüringerwalde, der im
ganzen Gebirge, wenn auch nicht der höchste, so doch der schönste ist.
Als einst, so geht die alte Mähr, das Land und die Gebirge um-
her mit ungeheurem Wasser bedeckt waren, da sah die Spitze des
Berges noch hervor, wie eine Insel aus dem Meere, und daher soll
der Berg seinen Namen Inselsberg haben. Noch jetzt, wenn
du aus dem Gipfel des Berges früh Morgens des Aufgangs der
Sonne harrest und deine Blicke über einen beträchtlichen Theil des
200 Q.M. großen Thüringens hinschweifen lässest, kann es dir be-
gegnen, daß du rings um dich ein weites Meer wogen siehst, nicht
von Wasser, sondern von Nebel. Aber wenn die Sonne das
Nebelmeer bezwungen und als Thau ausgegossen hat über die
Thäler, dann liegt glänzend und grünend eine weite, weite Gegend
um dich ausgebreitet, darin kannst du mehr als 150 Dörfer, Städte
und Schlösser erblicken.
Da glänzt in der aufgehenden Sonne Schloß Fried enstein
über der Stadt Gotha und weiterhin Erfurt mit seiner Festung,
von der die Kanonen drohen, und mit den Thürmen seines Doms,
aus denen eben der Morgen eingeläutet wird; da blickt ziemlich von
Norden her aus den grünumlaubten Bergen heraus die alte, graue
Wartburg zu dir herüber. Den Schneekopf und Beerberg
siehst du, die dem Inselsberg nach der einen Seite hin die Aussicht
versperren, weil sie selbst noch ein wenig höher sind, als er. Gegen
Süden siehst du den Dolmar bei Meiningen, die seltsamen
Gleichberge bei Römhild, und auch zum blauen Rhöngebirg
reicht dein Blick, wo der Bayernkönig regiert und aus dem hohen
Kreuzberge.Mönche im einsamen Kloster wohnen. Hast du scharfe
Augen, so kannst du dort im Norden, in weiter Ferne, in der gold-
nen Aue den Kyffhäuserberg erkennen, in dem, wie die Leute
sagen, der mächtige Kaiser Rothbart schon über 700 Jahre
lang am steinernen Tisch sitzt und schläft, und noch weiter hin zeigt
sich, wie eine Wollender hohe Brocken oder Blocksberg, auf
dem, wie das Märchen erzählt, in der Walpurgisnacht die Hexen
ihren Tanz und Spuck halten.
VIII. Die hessischen Länder.
Die alten Katten bewohnten ehemals nebst einem Theile von
Thüringen auch die jetzigen Hessenländer Kassel, Darmstadt
und Homburg. Sie hatten zuerst eigne Fürsten, kamen später zu
dem Thüringer Völkerbund und wurden nachher dem mächtigen
286
Frankenreiche einverleibt, während welcher Zeit Bonifazius auch hier
für die Ausbreitung des Christenthums thätig war. Von 1263 an
wurde Hessen ein Reichssürstenthum, das sich zu Anfang des 17ten
Jahrhunderts in die zwei Linien Kassel und Darmstadt theilte,
von denen Letzteres sich wenige Jahre nachher in die Linien Darm-
stadt und Homburg auflöste.
a) Das Kurfürstenthum Hessen-Kassel besitzt 208 Q.M.
und seine Bevölkerung belauft sich auf 750,000 Menschen. Der
Boden des Landes ist ziemlich hügelig und gebirgig; das Main-
th'al bei Hanau dagegen ist, sowie das Fuldathal bei Kassel,
sehr fruchtbar. Die Hessen sind arbeitsame, kräftige Leute, die noch
mehr von den Sitten und Trachten ihrer Voreltern beibehalten haben,
als dieses in andern deutschen Ländern der Fall ist, wo man sich
zum Nachtheil des häuslichen Wohlstandes zu sehr nach der Mode
richtet.
Die Hauptstadt Kassel (33) liegt an der schiffbaren Fulda,
nicht gar fern von da, wo sich diese mit der Werra vereinigt und
dann Weser genannt wird. Kassel ist eine der schönsten Städte
Deutschlands, mit herrlichen Plätzen und schönen Gebäuden, worunter
die Residenz, das Museum und die katholische Kirche zu bemerken
sind. Durch eine Lindenallee gelangt man zu der Sommerresidenz
W i l h e l m s h ö h e mit prachtvollen Anlagen und merkwürdigen
Wasserwerken. Auf einer bedeutenden Anhöhe steht nämlich ein 224
Fuß weites Gebäude, auf dessen ebenem Dache sich eine 96 Fuß
hohe Pyramide erhebt, die auf einem 11 Fuß hohen kupfernen Fuß-
gestelle die 31 Fuß hohe Statue des Herkules trägt. Werden nun
die Wasserwerke in Gang gesetzt, so stürzt sich das Wasser über das
mit 3 Absätzen versehene Gebäude von allen Seiten dergestalt herab, -
daß dasselbe ganz in Wasser eingehüllt erscheint, worauf sich dieses
in einem großen Becken sammelt. Am Fuße des Berges ist ein
Springbrunnen, der das Wasser in einer ungemein dicken Säule
100 Fuß in die Höhe wirft.
Von den übrigen Städten führen wir noch an: Fulda, wo
das Grab und das Evangelienbuch des hl. Bonifazius zu sehen
ist; Marburg mit einer Universität, einer schönen Kirche mit dem
Grabmal der hl. Elisabeth, und Hanau mit einem schönen Schloß
und Rathhaus. Zu Hessenkassel gehört auch die zwischen den säch-
sischen Herzogthümern gelegene Herrschaft Schmalkalden, wo von
den Protestanten 1531 der schmalkaldische Bund gestiftet wurde.
b) Das Großherzogthum Hessen-Darmstadt. Obwohl
dieses Land um V4 kleiner ist, als Kassel, so zählt es dennoch 100,000
Einwohner mehr als Jenes. Es ist im Ganzen auch fruchtbarer,
besonders die sogenannte Wetter au, und am Rhein gedeihen Wein,
Getreide und Obst in Menge; auch Schifffahrt und Handel sind
287
bedeutend. — Die Hauptstadt Darmstadt war zu Anfang dieses
Jahrhunderts noch ein unbedeutendes Städtchen, jetzt ist sie schon
so groß als Kassel. Durch die aus Baden herführende Eisen-
bahn steht sie mit allen größeren Städten Deutschlands in Verbin-
dung. Mainz liegt in einer schönen Gegend zwischen dem Rhein-
gau und der Pfalz. Auf einem freien Platz der Stadt steht das
Denkmal Johann Guttenberg's, dem wir die wichtigste aller
Erfindungen, die Buchdruckerknnst, verdanken, ohne welche wir eben
so unwissend seyn würden, als es solche Völker sind, die jetzt noch
keine oder nur wenige Bücher haben. Dann ist aber Mainz auch
noch wichtig als deutsche B und es festnn g, die besonders geeignet
ist, in einem etwaigen Kriege gegen Frankreich die Feinde aufzuhalten
und das Innere von Deuschland zu schützen.
e) Die Landgrafschast Hessen-Homburg ist nur 7 Q.M.
groß, zählt aber 25,000 Menschen, und besteht aus zwei abgeson-
derten Theilen. Die eigentliche Herrschaft Homburg ist von Nassau
und Oberhessen umgeben und hat ein besuchtes Mineralbad. Die
Herrschaft Meisenheim liegt am Hundsrück, auf dem linken Rhein-
ufer, in einer angenehmen und fruchtbaren Gegend.
IX. Das Herzogthum Nassau.
Nassau, eines der fruchtbarsten Gebirgsläuder Deutschlands,
liegt größtenteils auf dem Bergboden des Launus und Wester-
waldes. Die Thäler und Hügel, besonders am Rhein und an
der Lahn, sind reich an Obst- und Weinpflanzungen. Die warmen
Bäder des Landes sind weit berühmt. Die Hauptstadt und Winter-
residenz ist Wiesbaden mit besuchten Bädern und einem pracht-
vollen Kursaal. Andere wichtige Heilquellen und Badeorte
sind: Ems, Fachingen, Schwalbach, Selters, Geilnau und das
Schlangenbad. Millionen Krüge werden jährlich mit dem Wasser
dieser Heilquellen gefüllt und in alle Welt versendet. Andere Orte
haben ausgezeichneten Weinbau und liefern köstliche Weine, wie
z. B. Rudesheim, Sternberg, Gelsenheim, Hochheim und Gr
bach, vorzüglich aber der weitberühmte Johannisberg. Diez ll>at
eine Baumschule, worin man, neben allen andern Gattungen von
Obst, 1000 Sorten Aepfel und Birnen stndet.
X. Das Großherzogthum Luxemburg.
Dieses Land mit holländisch Limburg begreift 65 Q.M. mit
282,000 meistens katholischen Einwohnern. 'Es liegt an der Mosel
und wird vom Ardennenwald durchzogen. Landesherr ist der König
von Holland. Luxemburg, die Hauptstadt, liegt zum Theil auf
288
einem hohen Felsen, wo sich auch die starken und wichtigen Festungs-
werke befinden.
XI. Der preußische Staat.
Preußen, einer der kraftvollsten Staaten Europa's, liegt in
zwei Hauptmassen im nördlichen Deutschland. Die Hauptländer
Preußens nehmen das nordöstliche Flachland Germaniens einund
sind von zahlreichen Flüssen bewässert; der westliche Theil, oder
das Rh ein gebiet, liegt dagegen größtentheils auf dem deutschen
Mittelgebirgsland und besteht daher aus Berg- und Thallandschaften,
in welchen rauhe Gegenden mit fruchtbaren Landstrichen abwechseln.
Zum preußischen Staat gehören folgende Provinzen:
1. Die Provinz Preußen (früher Ost- und Westpreußen ge-
nannt); 2. Posen; 3. Pommern, 4. Brandenburg; 5. Schle-
sien; 6. wachsen; 7. Westphalen; 8. die Rheinprovmz und
9. die hohenzollernschen Lande.
Jede Provinz besteht aus mehreren Regierungsbezirken,
die in landräthliche Kreise eingetheilt sind. Von den Einwohnern
bekennen sich etwa 6 Millionen zur katholischen Religion (Rhein-
land, Posen, Hohenzollern, theilweise auch Westphalen, Schlesien,
Preußen und das südwestliche Sachsen), die größere Zahl ist evan-
gelisch. An der Spitze der katholischen Kirche stehen die Erz-
bischöfe von Köln, Gnesen und Posen, und 6 Bischöfe (zu Kulm,
Ermeland, Trier, Münster, Paderborn und Breslau). Für die
Geistesbildung sorgen 6Universitäten (zu Berlin, Greifswalde,
Königsberg, Breslau, Halle und Bonn), sowie eine Menge von
Gymnasien, Seminarien, höhere Bürgerschulen und mehr als 24,000
Volksschulen.
Die vorzüglichsten Produkte sind im Rheingebiet Wein, Obst
und Getreide. Letzteres baut man mit besonders günstigem Erfolg
in einigen Gegenden von Sachsen, Schlesien, an der Weichsel, in
Westphalen und in Hohenzollern. Bedeutend ist die Viehzucht, vor-
züglich die der Pferde, Rinder, Schafe und Schweine. Am Strand
der Ostsee findet man Bernstein; 21 Salinen liefern eine Menge
Salz und die zahlreichen Flüsse enthalten einen Ueberfluß an Fischen,
weßhalb man in einigen Gegenden ganze Fischerdörfer trifft. Die
Industrie ist in mehreren Provinzen in blühendem Zustande; Ma-
nufakturen und Fabriken werden durch die Vorsorge der Regierung
unterstützt und gefördert, und der Handel gewinnt immer mehr an
Umfang und Bedeutung.
Die Oberfläche des Bodens, sowie die Beschaffenheit des-
selben, ist in den preußischen Provinzen sehr verschieden. Am Rhein
erheben sich herrliche Berg- und Hügelreihen mit ihren weinbepflanz-
ten Abhängen und waldgekrönten Höhen. Im Süden von der Mosel
289
lagert der Hundsrück und nordwestlich die hohe Been; auf dem.
rechten Rheinufer treffen wir das malerische Siebengebirge, wäh-
rend ein Theil des Westerwaldes, das Rothhaargebirge, der
Haarstrang, das sauerländische und die Wesergebirge die Pro-
vinz Westp Halen durchziehen. Höher als alle diese Gebirge er-
hebt sich an der Westgrenze der Provinz Sachsen der Harz und
noch höher das Riesengebirge mit der 5000 Fuß hohen Schnee-
koppe an der südwestlichen Grenze Schlesiens. Im Norden des
Landes bietet der Boden wieder einen sehr manigfalttgen Anblick
dar, je nachdem fruchtbares Ackerland, Wiesen, Sandflächen, Wälder
und Gesträuche, Laub- und Nadelhölzer mit einander abwechseln.
Viele Flüsse, unter diesen der Rhein, die Weser, die Elbe, die
Oder, die Weichsel und Memel mit ihren Nebengewässern, bilden
ein großes Wassernetz, das zur Befruchtung des Landes beiträgt
und zugleich der Schifffahrt dient. Landseen zählt man im Gan-
zen 583.
Die ganze preußische Monarchie umfaßt auf 5100 Q.M. über
17 Millionen Menschen. Das Heer beträgt mit der Landwehr weit
über eine halbe Million.
Alles Weitere, was für uns von Wichtigkeit seyn könnte, wird
bei den einzelnen Provinzen aufgeführt.
1. Die Provinz Preußen.
1178 Q.M. — 2-/ - Mill. Ew.
4 Rcggsbez.: Königsberg, Gumbinnen, Danzig und Ma-
rienwerder.
Die Provinz Preußen besteht aus Ost- und Westp reu ßen,
welch' letzteres ehemals ein Theil des Königreichs Polen war, weß-
halb man auch jetzt noch unter der Bevölkerung mehr als eine
Viertelmillion Polen trifft. Der niedrige Boden ist meistens sandig
und morastig und enthält viele Landseen. Nur die Niederungen an
den Flüssen sind fruchtbar und daher auch wohl angebaut. Oft
werden aber auch diese Gegenden von den Flüssen überschwemmt
und verheert, so daß ein jahrelanger Fleiß den Schaden nicht ersetzen
kann. Durch ihre Lage ist diese Provinz hauptsächlich für den Handel
wohl gelegen. Die Ostsee macht tiefe Einschnitte in die Küste und
bildet dadurch das putziger Wiek, das frische Haff, in welches
sich der Pregel und zwei Arme der Weichsel ergießen — und das
kurische Hass, welches die Memel oder den Niemen aufnimmt.
Jedes dieser beiden Haffe ist durch eine Landzunge, die man Neh-
rung nennt, von der Ostsee getrennt. Der Fischfang, so wie der
- Gewiyn an Bernstein, der sowohl in der Ostsee, als in dem Bo-
den an der Küste gefunden wird, ist beträchtlich. <
Reiser, der LolkSschüler i. b. Oberklaffe. 19
290
Noch jetzt trifft man in den Wäldern häufig Wölfe an; Bären
verirren sich nur zuweilen aus Polen hieher; selten sieht man aber
das Elennthier, das dem Hirsche an Gestalt, dem Rind aber an
Größe ähnlich ist, und das vormals häufig in den Wäldern Preu-
ßens getroffen wurde.
Königsberg (84), eine schöne und große Stadt, ist die Haupt-
stadt der Provinz. Hier lausen jährlich viele Handelsschiffe aus
und ein, und der Handel zur See ist schon sehr beträchtlich; noch
bedeutender' aber ist derselbe zu Danzig, einer Stadt, die durch
ihre Lage an der Mündung d^' Weichsel in die Ostsee als See-
handelsstadt besonders begünstigt und auch als starke Festung wichtig
ist. Auch Memel, die nördlichste Stadt, und Elbing mit einem
Hafen, sind Handelsstädte. Thorn ist der Geburtsort'von Niko-
laus Copernikus, der zuerst unser jetziges Sonnen- und Pla-
netensystem aufstellte. Frauenburg am frischen Haff ist der Sitz
des Bischofs von Ermeland, und in Pelplin wohnt der Bischof
von Culm. Marienburg war einst der Aufenthalt der deutschen
Ordensritter, die im 13ten Jahrhundert 53 Jahre lang die
damals noch heidnischen Bewohner des Landes bekämpften und end-
lich zum Christenthnme bekehrten.
2. Die Provinz Posen.
537 Q.M. — 1,362,000 Ew.
Reggsbez. Posen und Bromberg.
Diese Provinz war ehemals ein'Theil des polnischen König-
reiches ; ein Drittheil ihrer Bevölkerung besteht noch jetzt aus Polen,
und im Allgemeinen leben hier wohl 70,000 Juden, die fast allen
Handel in Händen haben und Gastwirtschaften führen. Posen hat
keine Gebirge, nur Hügel, Ebenen und Niederungen; doch giebt es
hinlänglich Getreide, und an Wiesen und Waldungen fehlt es nicht.
Die Hauptstadt ist Posen mit Festungswerken und einer schö-
nen Domkirche. Der Erzbischof von Posen und Gnes en hat hier
seinen Sitz.
3. Die Provinz Pommern.
574 Q.M. — 11/5 Mill. Ew.
Reggsbez. Stralsund, Stettin und Köslin.
Pommern, das niedrig ebene Küstenland der Ostsee, ist nur
schwach bevölkert, nährt aber doch mit seinem theilweise kargen Sand-
boden seine Bewohner. Dabei bietet aber auch der Fischfang und
die Gänsezucht eine Nahrungsquelle; Feinschmecker wissen namentlich
die pommerschen Gänsebrüste zu schätzen. Zu Pommern gehören auch
die in der Ostsee liegenden Inseln Wollin, Usedom und Rügen,
291
welch' Letztere von ihren Kreidefelsen und Bergen aus herrliche Aus-
sichten auf den Wasserspiegel der Ostsee gewährt. Namentlich wird
der Rugard, ein Berg in der Nähe der Stadt Bergen, häufig
der Aussicht wegen besucht. Von demselben aus erblickt man Stral-
sund und einen großen Theil von Vorpommern mit vielen Dör-
fern und Städten, unter welchen man Greifswalde besonders deutlich
unterscheidet. Am Fuße des Berges selbst breiten sich fruchtbare
Felder und üppige Wiesen aus, über welche hin die Blicke sich nord-
ostwärts verlieren und endlich auf den vielen Erdzungen verweilen,
die sich, mit Gebüschen, Obstbäumen und Häusern bedeckt, oft weit
in die See hinein erstrecken.
Stettin ist die wohlgebaute, starkbefestigte Hauptstadt von
Pommern. Sie ist für Preußen ein wichtiges Thor, das seinen
Handel mit dem Auslande vermittelt und begünstigt. Die Stadt
besitzt 160 Schisse und steht im Handelsverkehr mit allen Ländern
der Erde. Stargard an der Posen-Stettin'schen Eisenbahn ist sehr
gewerbsam. In Pyriz, das einst eine Festung und noch früher
eine Burg der Wenden war, taufte Otto von Bamberg im Jahr
1124 die ersten 7000 Pommern. Im Jahr 1824 wurde daselbst
ein Denkmal zum Andenken an dieses Ereigniß errichtet. Stral-
sund, an der Meerenge Gellen, ist eine von Seen und Morästen
umgebene starke Festung, so wie auch Kolberg an der Persante.
Köslin am Fuße des Gollenberges hat wichtige Tuch- und Ta-
bakssabriken.
4. Die Provinz Brandenburg.
' 734 Q.M. - 2 i/6 Mill. Ew.
Reggsbez. Potsdam und Frankfurt an der Oder.
Der ebene, größtenteils mit Sand bedeckte Boden der Provinz
Brandenburg wird nur durch fleißigen Anbau fruchtbar gemacht.
Die Oder mit ihren Nebengewässern, der Warthe, Bober und
Neiße, schleicht langsam durch das Land, so wie auch die sumpfige
Havel und die träge Spree, an welcher die Hauptstadt Berlin
liegt. Die Landschaft ist daher einförmig und kahl. Flüsse und
Seen find dagegen sehr fischreich; die Schaf-, Schweine- und Bienen-
zucht ist bedeutend und die Industrie überall sehr in Flor.
Außer der Hauptstadt, welche unten weitläufiger beschrieben wird,
find folgende Städte wichtig: Potsdam (40), eine durchaus regel-
mäßig gebaute Stadt auf einer Insel der Havel. In der Garnisons-
kirche liegen die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. be-
graben. Das königliche Residenzschloß- ist ein prachtvoller Bau.
Brandenburg ist die älteste Stadt des Landes. Frankfurt an
der Oder, die Hauptstadt des zweiten Regierungsbezirks, hat wich-
tige Messen und starken Handel. Bei Zorndorf und Kunersdorf
292
fanden 1758 und 1759, und bei Dennewitz und Lukau 1813 be-
deutende Schlachten Statt.
Berlin.
Die Hauptstadt des preußischen Staates ist von der für kleine
Fahrzeuge schiffbaren Spree durchflossen und steht dadurch mit der
Elbe und Oder in fahrbarer Verbindung. Dazu kommen die Eisen-
bahnen nach Hamburg, Stettin und Leipzig, wodurch sie der
Nord- und Ostsee, sowie dem Innern von Deutschland nahe gerückt
ist. Doch ist Berlin nur insoweit Handelsstadt, als seine Größe
(460,000 Ew.) und seine Wichtigkeit als Hauptstadt eines ganzen
Landes es schon mit sich bringt. Denn wo viel verzehrt wird, da
muß auch viel Handel seyn, und wo viel Fremde einkehren, da können
Kauf und Verkauf nicht ausbleiben. Aber Berlin hat auch nicht
das altmodische Aussehen der alten Handelsstädte. Nur wenige
seiner Straßen sind enge und krumm, manche bestehen aus lauter
großartigen Häusern, eine ist sogar über eine Viertelstunde lang,
schnurgerade und dabei von ansehnlicher Breite. Eine andere nicht
viel kürzere ist mit einer Lindenallee besetzt und bietet also herrliche
Gelegenheit zum Spazierengehen innerhalb der Stadt. Berlin ist
reich an schönen Gebäuden aller Art. Der königliche Palast ist
zwar zum Theil alt, zum Theil neu, aber dennoch sehenswerth. An
der Stelle des abgebrannten Opernhauses ist ein neues, schöneres
gebaut worden. Was aber der Stadt vorzüglich zur Zierde ge-
reicht, sind die Standbilder der großen Helden des preußischen
Staates. Auf den öffentlichen Plätzen stehen diese Bildsäulen und
bringen dem Vorübergehenden jene Männer in Erinnerung, welche
im 7jährigen und in dem französischen Befreiungskriege Preußen
vom Untergänge retteten. In dem Zeughanse befinden sich zugleich
die in den Kriegen erbeuteten merkwürdigen Fahnen, Kanonen und
sonstigen Waffen. Daß man auch den gemeinen Soldaten jetzt mehr
Anerkennung zu Theil werden läßt, als sonst, wo die Invaliden
nach dem Kriege betteln gehen mußten, beweist das von mehr als
1000 Personen bewohnte Jnvalidenhaus, worin für die hilflosen,
im Kriege verstümmelten Soldaten Sorge getragen wird. — Von
Fabriken wollen wir nur an die vortreffliche Eisengießerei er-
innern, worin nicht nur Brücken mit Bogen und Geländern, sowie
Maschinen und Maschinentheile der verschiedensten Art, sondern auch
herrliche Bildsäulen und Brustbilder aus Gußeisen verfertigt werden.
Ja, die Kunst geht noch weiter und liefert die feinsten Schmucksachen
aus Eisen: Finger- und Ohrringe, Armbänder und Vorstecknadeln,
was man sonst nur aus Gold zu arbeiten pflegt. Im Durchschnitt
liefert diese Fabrik jährlich 10,000 bis 12,000 Zentner solcher Guß-
waaren, wovon die leichtesten nur den zehnten Theil eines Lothes,
293
die schwersten aber 40 Zentner wiegen. Auch die königliche Por-
zellanfabrik gehört zu den vorzüglichsten Europa's. Da werden
die feinsten Geschirre von den schönsten Formen verfertigt und ein
großer Theil davon vergoldet. Die Zahl der dabei beschäftigten
Menschen beträgt 400.
Noch berühmter ist die Berliner Universität. Sie zählt unter
allen Anstalten der Art die meisten Studmten und die zahlreichsten
Lehrer. Unter ihnen glänzen die ausgezeichnetsten Namen in ganz
Deutschland. Eine Bibliothek von mehr als 400,000 Bänden unter-
stützt die Bestrebungen der Gelehrten, und wer etwas Tüchtiges lernen
will, findet fast nirgends mehr Gelegenheit dazu, als in Berlin. —
Von den VergnügungsPlätzen der Berliner ist der bekannteste der
Thiergarten, ein großer, mit Spaziergängen und Fahrstraßen
durchzogener Park, worin Kaffeewirthschaften, Schaubuden und An-
stalten zu verschiedenen Spielen vorhanden sind. Eine große An-
nehmlichkeit dabei ist die, daß die Hauptallee des Nachts erleuchtet
wird, so wie denn überhaupt die nächtliche Beleuchtung der Stadt
sehr glänzend und vollständig ist. Man bedient sich dabei, wie jetzt
fast in allen größeren Städten, nicht mehr des Oels, sondern des
brennbaren Gases, welches aus einem Behälter in zahllose eiserne
Röhren geleitet wird. Durch einen Hahn kann man diese verschlie-
ßen und öffnen. Einmal angezündet, brennt das ausströmende Gas
mit einer sehr hellen, schönen Flamme fort, bis ihm die Nahrung
ausgeht.
5. Die Provinz Schlesien.
742 Q.M. — 3'/lt»Mill. Ew.
Reggsbez. Liegnitz, Breslau und Oppeln.
Reicher an Naturschönheiten, als die bisher beschriebenen Pro-
vinzen, ist die Provinz Schlesien. Hier treffen wir eine überraschende
Abwechslung von Gebirgen und Thälern, rauschenden Gebirgsbächen
und Wasserfällen neben majestätisch dahingleitenden Flüssen. Wiesen
und Felder wechseln mit schönen Obst- und Blumengärten; wein-
bepflanzte Hügelreihen unterbrechen weite Getreidefelder, und um-
fangreiche Laubwaldungen werden mit dunkeln Nadelholzwäldern
kräftig schattirt. Aber auch kahle Berg- und Felsenkuppen, hoch-
gelegene Bergseen, öde Sandgegenden, Sümpfe und Moorgründe
reihen sich in Schlesien aneinander. Im Südwesten der Provinz
finden wir die Sudeten mit dem Riesengebirge, dessen höchster
Punkt, die Schnee- oder Riesenkoppe, sich 5000 Fuß hoch erhebt.
Auf der rechten Seite der Oder liegt der schlesische Landrücken. —
Diese Gebirge enthalten reiche Lager von Blei, Zink, Kupfer, Galmei,
Alaun, Salpeter, Vitriol, Arsenik, Eisen und Steinkohlen. Die
Thäler sind fruchtbar und liefern Getreide und Flachs, besonders
294
an der Oder, die das Land der Länge nach durchströmt, und so
als die bequeme Wasserstraße für die Ausfuhr der Landesprodukte
und für die Einfuhr anderer Bedürfnisse, die von Stettin und
andern Handelsstädten herkommen, dient. Die Bewohner der Ge-
birgsgegenden, meistens Leineweber, sind, ihrer Geschicklichkeit un-
geachtet, manchmal schlimm daran, wenn der Verkauf der schönen
schlesischen Leinwand stockt oder die Preise der Nahrungsmittel stei-
gen, was gar oft große Noth in diesen Gegenden veranlaßt. Auch
die Bereitung von Wollentüchern beschäftigt wohl viele tausend Hände,
bringt aber hauptsächlich nur den großen Fabrikanten Gewinn.
Die Hauptstadt Breslau (118) ist eine große, aber alte Stadt,
die, von außen gesehen, wegen ihrer hohen Häuser und vielen Kirchen
einen bessern Eindruck macht, als wenn man sie im Innern be-
trachtet. Wichtig aber ist sie als Handelsstadt, da der Verkehr
durch die Oderschifffahrt, drei Eisenbahnen und viele Kunststraßen
ungemein erleichtert ist. Der hiesige Wollmarkt, welcher alljähr-
lich im Juni gehalten wird und wenigstens 3 Wochen dauert, zieht
viele Tausende von Käufern und Verkäufern hieher, und die Guts-
besitzer, welche große Quantitäten von Wolle zu verkaufen haben,
kommen nicht selten mit ihrer ganzen Familie nach der Stadt. Um
diese Zeit sind Gasthöfe und Privatwohnungen mit Fremden über-
füllt, und es werden nicht selten bis zu 40,000 Zentnern Wolle
verkauft. — Von den übrigeü Städten sind noch zu erwähnen:
Liegnitz an der Katzbach. In der Nähe ist Wahlstadt, wo Blücher
1813 die Franzosen besiegte. Görlitz ist eine hübsche Stadt mit
einer schönen Kirche und herrlichen Orgel.
, Das Riesengebirge.
Vor uns liegt das Riesengebirge mit seinen kahlen Kuppen,
die mit dunkeln Nadelwäldern bekränzt sind. Nirgends begegnet das
Auge einem freundlichen Dorfe; nur einzelne Wohnungen, Bauden
genannt, blicken, gleich den Sennhütten der Schweiz, von den Höhen
nieder. Die Bewohner dieser Hütten treiben hauptsächlich Viehzucht,
halten eine Menge von Kühen und Ziegen und wohnen theils nur
im Sommer, theils aber auch das ganze Jahr im Gebirge. Ihre
Wohnungm sind von Holz auf einem steinernen Sockel erbaut und
enthalten eine Wohnstube mit einem riesenhaften Kachelofen nebst
den nöthigen Tischen und Bänken. Nebenan befindet sich die Schlaf-
stube, und jenseits des Hauseingangs und der Küche ist der Stall.
Das große Schindeldach reicht auf der Hinterseite des Hauses bis
zum Boden herab und bildet auf diese Weise einen großen Behälter
für das Futter. Manchmal dient dieser Raum auch zu Schlafstellen
für Hausangehörige und Fremde. — Im Frühjahr wird das Vieh
aus dm Thälem zu Berge getrieben, wo es bis zum Herbste bleibt.
295
Während dieser Zeit macht man Butter und Käse für den eigenen
Gebrauch und zum Verkauf. Die hier bereiteten Kräuterkäse, denen
gepulverter Majoran, Salbei und ähnliche Gewürzkräuter beigemischt
werden, sind besonders beliebt.
Der lang andauernde Winter ist immer streng und bringt stets
eine Menge Schnee, der oft klaftertief die Berge bedeckt. Das ist
dann freilich eine langweilige Zeit für die Bewohner der Bauden,
denn sie sind oft Monate lang von allem Verkehr abgeschnitten. Oft
werden sie dermaßen eingeschneit, daß sie nur durch Oeffnungen im
Dache oder durch die Schornsteine aus ihren Wohnungen heraus-
kommen können, und wenn in einer Familie Jemand stirbt, so wird
die Leiche so lange im Schnee aufbewahrt, bis ein gelinderes Wetter
es gestattet, die Leiche zur Beerdigung in's Thal zu bringen. Auch
Lawinen sind im Riesengebirge nicht selten, doch sind sie nicht so
gefährlich, wie in der Schweiz. Im Sommer wechselt die Witte-
rung ungemein schnell, und es ist sich nicht darüber zu verwundern,
daß man in alter Zeit diese schnelle Veränderung des Wetters einem
Berggeiste, Rübezahl genannt, zuschrieb. Seine Launen mußten
gewöhnlich daran Schuld seyn, wenn Nebel und Regen, Wind und
Stürme im raschen Wechsel mit heiterer Witterung aufeinander folg-
ten. Furchtbare Gewitter entladen sich häufig an den Bergabhängen
und auf den Ebenen, treffen aber auch nicht selten die Berggipfel,
und man hat beobachtet, daß der Blitz fünf Mal in einer Stunde
in die Schneekoppe schlug.
6. Die Provinz Sachsen.
460 Q.M. — 12/z Mill. Ew.
Reggsbez. Magdeburg, Merseburg und Erfurt.
Sachsen ist eine der fruchtbarsten Provinzen Preußens und be-
steht sowohl aus altpreußischen als auch aus den 1815 von Sachsen
an Preußen gekommenen Ländern. Im Süden und Westen liegen
der thüringer Wald und der Harz, der übrige Theil des Landes ist
eine hochlicgende Ebene. Außer Getreide, Obst und Wein gehören
auch Steinkohlen, Salz, Eisen und Kupfer zu den Landesprodukten,
und das Silber zu gar vielen preußischen Thakern wurde in den
Mansfelder Bergen gewonnen.
Magdeburg (68), eine enge, unregelmäßige Stadt, ist als
Festung ersten Ranges wichtig; auch hat sie nicht unbedeutenden
Handel und Verkehr. Die von Otto I. gegründete Domkirche mit
dessen Grabmal ist sehenswerth. Hier wurde Otto'von Guerike,
der Erfinder der Luftpumpe, geboren. In der Schloßkirche zu
Quedlinburg sieht man das Grabmal des großen Kaisers Hein-
rich I. und seiner Gemahlin Mathilde. Erfurt, mit Festungs-
296
werken, ist ebenfalls wichtig und hat einen schönen Dom mit einer
Glocke, die 257 Zentner wiegt. In dem berühmten Dom zu Merse-
burg wird die Hand aufbewahrt, die der Gegenkönig Rudolph von
Schwaben in der Schlacht verlor. Hier schlug Heinrich I. 933 die
Ungarn. Wittenberg, eine ehemalige Universität, an welcher Lu-
ther lehrte, hat ein starkbefestigtes Schloß.
7. Die Provinz W e st p h a l e n.
368 Q.M. —1>/r Mill. Ew.
Reggsbez. Münster, Minden und Arnsberg.
Die Fruchtbarkeit dieser Provinz ist sehr verschieden. Manche
Strecken sind sandig und mit Heiden und Morästen bedeckt, wäh-
rend andere Gegenden, wie z. B. bei Münster und Paderborn, sehr
fruchtbar sind. Da die fleißigen Einwohner sehr genügsam ihr rauhes
Roggenbrod, den sogenannten Pumpernickel, verzehren, so reichen die
Erzeugnisse des Ackerbaus für sie wohl aus. Die Rindviehzucht ist
bedeutend, doch wird sie in einigen Gegenden von der Ziegenzucht
und im Allgemeinen von der Schweinzucht übertroffen. Die west-
fälischen Schinken sind weitberühmt. Der Bergbau liefert haupt-
sächlich Silber, Kupfer und sehr viel Eisen, eine unerschöpfliche Menge
Steinkohlen und Küchensalz. Gewerbefleiß und Fabriken in den ver-
schiedensten Gegenständen sind durch das ganze Land verbreitet. Viele
Bewohner der nördlichen Gegenden gehen nach den Niederlanden,
wo sie Torf stechen, bei der Erndte helfen und im Herbste mit ihren
Ersparnissen heimkehren. In manchen Gegenden findet man keine
Dörfer, sondern nur vereinzelte Höfe, von welchen mehrere zusam-
men eine Bauerschaft und mehrere Bauerschaften ein Kirchspiel bilden.
Hier findet man noch in Wohnung, Gebräuchen und Lebensart die
meisten Spuren von den ältesten deutschen Sitten.
Münster, die schönste Stadt der Provinz, ist der Sitz des Ober-
präsidenten der Regierung, sowie eines Bischofs und hat eine philo-
logische und theologische Fakultät. Hier wurde nach dem 30jähri-
gen Krieg zuerst über den abzuschließenden Frieden unterhandelt.
Minden ist ebenfalls der Sitz einer Regierung und hat eine sehr
schöne Domkirche. Die Umgegend ist reich an Steinkohlen. Eine
halbe Stunde von der Stadt ist das sogenannte westfälische Thor,
eine Gebirgsschlucht, welche die Weser durchströmt. Bei Paderborn,
in der Nähe des teutoburger Waldes, wurde einst W e d e k i n d, der
Sachsenherzog, von Karl dem Großen besiegt. Arnsberg, die Haupt-
stadt des dritten Regierungsbezirkes, treibt starken Handel mit Landes-
produkten und gehörte schon in alter Zeit zum Hans a bund. Iser-
lohn und mehrere andere Städte der Provinz haben bedeutende
Metallwaarenfabriken, und Bielefeld ist der Hauptort des westphä-
lischen Leinwandhandels.
297
8. Die Rheinprovinz.
487 Q.M. — 29/!o Mill. Einwohner.
Reggsbez. Mit, Düsseldorf, Aachen, Koblenz und Trier.
Die Rheinprovtnz liegt zu beiden Seiten des Rheins und ist,
mit Ausnahme des nördlichen Theils, fast überall gebirgig und von
verschiedener Fruchtbarkeit. Die ergiebigsten Gegenden trifft man
an der Sieg, an der Wupper und um Jülich, auch in den Thälern
der Mosel, Saar und Nahedie unfruchtbarsten liegen an der
Eifel und dem Hundsrnck. Neben den gewöhnlichen Erzeugnissen
des Bodens, Obst und Weinbau mit eingeschlossen, giebt es auch
hier große Steinkohlenlager und 31 Mineralquellen, von denen die
Schwefelquellen von Aachen und Burtscheid europäischen Ruf
haben. Die schönen Ufer des Rheins, der Mosel und der Ahr
werden von sehr vielen Reisenden besucht und bewundert. Rhein-
preußen ist der Hauptsitz der Gewerbsthätigkeit der ganzen Monarchie,
und der Handel wird allenthalben durch treffliche Straßen, durch
mehrere Eisenbahnen, durch die Schifffahrt auf dem Rheine und
dessen Nebenflüssen gefördert und steht in schönster Blüthe.
Die bedeutendste Stadt der Provinz und der Sitz des Erz-
bischofs ist Köln (100) mit Festungswerken und verschiedenen merk-
würdigen Bauten. Der Dom daselbst, obgleich noch nicht vollendet,
ist weltberühmt, und wir werden denselben unten noch näher be-
schreiben. Die Stadt gewährt, besonders vom rechten Rheinufer
aus, einen überraschenden Anblick, wenn man die Schiffbrücke, die
zahlreichen im Hafen liegenden Schiffe, sowie die ankommenden und
abfahrenden Dampfschiffe mit ihren in der Luft verschwimmendm
Dampffäulen überschaut. Koblenz, an der Mosel, ist die Haupt-
stadt der Verwaltung und der Sitz des Oberpräsidenten. Wichtige
Festungswerke umgeben die Stadt. Die Umgebung ist sehr schön
und durch die Dampfschifffahrt ungemein belebt. Auf dem rechten
Ufer des Rheins liegt auf einem 800 Fuß hohen Berg die Festung
Ehrenbreitstein.
Elberfeld, das allmählig mit Barmen und einigen Dörfern
zu einer Stadt verschmolzen ist, darf mit Recht als die gewerb--
samste Stadt der Provinz betrachtet werden. Aachen ist eine der
ältesten deutschen Städte. Sie ist die Krönungsstadt der alten
deutschen Könige. Karl der Große liegt in der von ihm daselbst
erbauten Münsterkirche begraben. Die warmen Bäder von Aachen
sind weltberühmt. Bonn, mit einer Universität, liegt in der Nähe
des Siebengebirges, und südwestlich von hier finden wir Zülpich,
wo der Frankenkönig Chlodwig im Jahr 496 eine große Schlacht
gegen die Allemannen gewann. In Gladbach und der Umgegend
ist die Kultur des Flachses, so wie die Leinwandfabrikation in höchster
298
Blüthe. Die Kunstwebereien in Bildern und Damast sind be-
rühmt. Mehr als 3000 Stühle sind für Baumwollenzeuge, und
gegen 600 Stühle für Seide, Sammt, Leinwand und Damast
in Bewegung. Das Pfund Flachs auf die feinste Art gesponnen
kostet oft 8—12 Thaler, soll aber alsdann so unglaublich sein seyn,
daß 240 Ellen nur ein Quentchen wiegen. Trier, ebenfalls eine
der ältesten Städte, ist der Sitz eines Bischofs. Merkwürdig ist
neben mehreren Kirchen das über 2000 Jahre alte schwarze Thor.
Kempen ist der Geburtsort des frommen Thomas von Kem-
pen (geboren 1388), welcher das vorzügliche Buch „von der
Nachfolge Christi" schrieb, das in fast alle europäische Spra-
chen übersetzt wurde. — Bei Griethhausen steht auf einem Hügel
das mit Cypressen umgebene Denkmal der Johanna Sebus,
welche als 17jährige Jungfrau bei einer großen Überschwemmung
des Rheins ihre kranke Mutter rettete, und als sie auch noch eine
in größter Gefahr schwebende Frau mit ihren Kindern retten wollte,
in den Fluthen ertrank. Ehre ihrem Andenken!
Der Dom zu Köln.
Es war im Jahre 1248, als der Erzbischof Konrad von
Hochsteden den Bau des Domes zu Köln begann, welcher der
großartigste und würdigste Tempel in Deutschland, ja der ganzen
Christenheit werden sollte. Er selbst hatte sein großes Vermögen
zu diesem Bau bestimmt, und die damals reichen Bürger der Stadt
steuerten freigebig zu dem frommen Unternehmen bei; auch brachten
die vielen Pilger, die aus entfernten Ländern zur Verehrung der
Reliquien der hl. drei Könige nach Köln kamen, reichliche Opfer-
gaben zusammen. Dennoch mußte endlich der Bau eingestellt wer-
den, weil man die Kosten nicht mehr bestreiten konnte, nachdem man
bis zum Jahre 1599 gearbeitet hatte, ohne den Bau auch nur zur
Hälfte vollendet zu haben.
Die Grundform des gewaltigen Domes ist das Kreuz. Seine
Länge beträgt 500, die Breite 231 Fuß. Das Gewölbe wird durch
100 Säulen unterstützt, die in 4 Reihen stehen. Diese Säulen sind
so kolossal, daß die mittleren 30 Fuß Umfang haben; bei ihrer
Höhe erscheinen sie aber dennoch schlank und vereinigen sich in der
Höhe mit den zunächststehenden in spitzigen Bogen. Bis jetzt ist
nur der 161 Fuß hohe Chor vollendet, während die Schiffe nur
die Hälfte ihrer Höhe erreicht haben. Die beiden Thürme sollen
nach dem ursprünglichen Bauplane die Höhe von 500 Fuß erreichen.
Allein einer derselben ist bis jetzt nur halb so hoch; der andere aber
erhebt sich kaum 20 Fuß über die Erde. Im höhern Thurme hängt
eine 225 Zentner schwere Glocke, welche von 12 Männern geläutet
wird. — In der goldenen Kammer der großen Sakristei zeigt man
299
unter andern Kostbarkeiten den silbernen Sarg des Erzbischofs Engel-
bert, und in der Kapelle der hl. drei Könige besindet sich der gol-
dene Sarg mit den Reliquien derselben. Die gemalten Fenster über-
treffen Alles, was man anderwärts von schönen Glasmalereien sieht.
Ein Verein, dem der König von Preußen alljährlich eine be-
deutende Summe zustellen läßt, und der auch sonst namhafte Bei-
träge erhält, sucht diesen Wunderbau weiter zu führen, und unsern
Nachkommen wird vielleicht das Glück zu Theil, denselben in seiner
Vollendung zu schauen.
9. Die hohenzollernschen Lande.
25 Q.M. — 67.000 Ew.
Theils auf der Höhe der rauhen Alp, größerntheils aber
am Fuße derselben, von Württemberg und Baden eingeschlossen,
liegen die Fürstenthümer Hohenzollern-Hechingen und Sigmaringen.
Der Boden des Landes ist im Allgemeinen, selbst auf den
Höhen der Alp, ziemlich fruchtbar und liefert daher an Getreide
mehr als den Bedarf. Im Donau- und Lauchertthal wird die
Viehzucht durch herrliche und gut bewässerte Wiesen begünstigt. In
mehreren Gegenden findet sich Eisenerz in Menge, das auf zwei
bedeutenden Schmelz- und Hammerwerken, Thiergarten und
Lauchertthal, verarbeitet wird. Außerdem sind auch mehrere
andere Fabriken vorhanden, und nahe bei Haigerloch findet sich ein
sehr ergiebiges Salzwerk.
Die Bewohner der hohenzollernschen Lande, dem Stamme der
Schwaben angehörend, haben großenteils den Charakter ihrer bieder-
herzigen Voreltern bewahrt. Sie sind ein kräftiges, arbeitsames
Volk,Z>as Sinn und Liebe für alles Gute zeigt.
Sigmaringen an der Donau, ehemals die Residenz des Lan-
desfürsten und gegenwärtig der Sitz der Regierung, hat ein Gym-
nasium und mehrere schöne Gebäude, worunter das Ständehaus,
der Prinzenbau und das Regierungsgebäude zu nennen sind. Gam-
mertingen, ein angenehm gelegenes Städtchen an der Lauch ert,
ist der Hauptort der ehemaligen spetischen Herrschaft. Trochtel-
fingen war zur Zeit des 30jährigen Krieges durch Mauern ge-
schützt und diente den Schweden längere Zeit zum Aufenthalt, von wo
aus sie die ganze Umgegend plünderten, brandschatzten und verheerten.
Bei Salmendingen finden sich die höchsten Punkte des Landes,
das Köbele, der Kornbühl, ein freistehender, kegelförmiger Berg
mit einer Kapelle, und der Schönberg, welcher bei dem sogenann-
ten Dreifürstenstein eine herrliche Aussicht gewährt. Hechingen ist
die ehemalige Residenz des Fürsten und gegenwärtig der Sitz des
Kreisgerichtes. Sehenswerth ist die schöne, in Form eines Kreuzes
300
erbaute Stadtkirche. In der Nähe der Stadt erhebt sich der Hohen-
zoller 800 Fuß über den Thalgrund. Dies war einst der Wohnsitz
des berühmten Geflechtes der Grafen von Hohenzollern, von wel-
chen auch die Könige von Preußen abstammen. Eine im mittel-
alterlichen Style neuerbaute Burg krönt das Haupt des königlichen
Berges, der sowohl durch seine Höhe als auch durch die herrliche
Aussicht, die er gewährt, die ganze Gegend beherrscht und deshalb,
so wie wegen der prachtvollen Bauten, die ihn zieren, häusig von
Fremden besucht wird.?
Schwabenheimat.
Ich lobe mir der Schwaben Gau,
Worin die Luft, der Himmel blau,
Wo stolz sich Eich' und Tanne hebt
Und Biedersinn im Herzen lebt.
Da rollt der Bach durch's grüne
Thal;
Die Gerste reift im Sonnenstrahl;
Froh singt das Vög'lein durch den
Wald,
Und 's Blümlein blüht gar ma-
nigsalt.
Wo zeigt sich reiner die Natur?
Wo blühet eine schön're Flur?
Wo ist euch wohl ein Land bekannt,
Als wie mein liebes Schwabenland?
Treu seiner Ehre, seinem Gott
Bleibt jeder Schwabe bis zum Tod;
Für seinen Fürsten, den er ehrt,
Schwingt er in starker Faust sein
Schwert.
Er liebt den Freund mit Biedersinn,
Giebt gern für ihn sein Alles hin,
Steht ihm in Glück und Unglück bei
Und bleibt ihm bis zum Tode treu.
Drum lob' ich mir der Schwaben
Gau,
Ein schönes Land, wohin ich schau!
O segne Gott mit Vaterhand
Das Schwabenvolk, das Schwa-
benland!
XII. Die Herzogthümer Anhalt.
48 Q.M. — 160,000 Ew.
Diese Länder werden von den preußischen Provinzen Sachsen
und Brandenburg eingeschlossen. Sie sind reich an Holz und be-
sonders in den östlichen Gegenden mit fruchtbarem Boden gesegnet.
Getreide, Obst und Flachs sind die Hauptprodukte.
Da im Jahr 1847 die Linie Anhalt Köthen mit dem Tode
des Herzogs erlosch, so bestehen nur noch die beiden Herzogthümer
Anhalt Dessau und Bernbnrg mit den gleichnamigen Hauptstädten.
XIII. Die Fürstenthümer Lippe und Waldeck.
a) Lippe Detmold, von Preußen, Hannover und Hessen ein-
geschlossen, ist ein dichtbevölkertes Ländchen. Die Hauptstadt Det-
mold hat unter anderem Guten auch eine Pflegeanstalt, worin jeder
301
Arme bis zum Kind herab Beschäftigung und jede nöthige Hilfe
findet. In der Nähe ist das Winseld in dem teutoburger Wald,
wo Hermann im Jahr 9 n. Chr. die Römer schlug.
b) Lippe Schauenburg liegt mehr nördlich am Wesergebirge
und Steinhuder Meer und ist nur halb so groß als Detmold. Es
ist ein fruchtbares, waldreiches Ländchen. Die Residenz ist Bücke-
burg. Auf einer kleinen, künstlich angelegten Insel im Steinhuder
Meer liegt die kleine Festung Wilhelmsstein.
e) Weiter südlich, zwischen Hessen-Kassel und Westphalen, liegt
das Fürstenthum Waldeck. Es hat meistens dürren, steinigen Boden
und nur in einigen Thälern ergiebiges Getreideland. Hieher gehört
auch die in einem von hohen Bergen eingeschlossenen engen Thale
liegende Grafschaft Pyrmont, mit dem gleichnamigen berühmten
Badeorte. Die Hauptstadt ist Arolsen.
XIV. Das Herzogthum Braunschweig.
72 Q.M. — 275,000 Ew.
Braunschweig war einst ein Theil des alten, mächtigen Sachsen-
reiches. Es liegt in 5 Gebietstheile zerschnitten zwischen Hannover
und Preußen und mit seinem größeren Landestheile am Harz. Der
Bergboden hat wenig Ackerbau, aber viel Holz und Eisenerz; da-
gegen haben die niedern Gegenden an der Aller und Oker frucht-
bare Getreidefelder und treffliche Viehzucht. Braunschweig, die Haupt-
und Residenzstadt, hat bedeutende Messen und starken Handel. Hier
erfand Jürgens 1534 das Spinnrad. Wolsenbüttel hat eine nam-
hafte Bibliothek. Bei dem Dorfe Rnbeland ist die große, von
Reisenden vielbesuchte
B aumanshöhle.
Um in diese zu gelangen, tritt man nach Ersteigung einer ziem-
lichen Anhöhe in eine thorähnliche Oeffnung und gelangt durch einen
mehr als 600 Fuß langen Gang zu einer kleinen, verschlossenen
Thür, welche durch einen Führer geöffnet wird und sodann in die
eigentliche Höhle führt. Diese ist einem gewölbten Saale ähnlich
und überall mit Tropfsteinen überdeckt, die man mit allerlei Figuren
vergleicht. Mit dieser Höhle stehen, die vielen Nebenhöhlen nicht
gerechnet, fünf andere, theils höher, theils tiefer liegende Höhlen in
Verbindung, in welche man aus Leitern gelangt. Hiebei muß man
jedoch vorsichtig seyn, da die Leitern von dem herabrröpselnden Wasser
ganz naß sind und man also leicht ausgleiten könnte. In der fünf-
ten Höhle find die schönsten Tropssteinbilder. Eines derselben wird
der Oelberg genannt, ein anderes gleicht einer Stadt, ein drittes
einer Kanzel, ein viertes und fünftes einer Orgel und einem Kirchen-
302
thor u. s. w. Bisweilen zündet man in diesen Höhlen ein benga-
lisches Feuer an, was eine wundervolle Wirkung macht, wie dieses
auch der Fall ist, wenn eine Musik hier spielt.
Diese Höhle wurde durch einen Bergmann entdeckt, der zu-
fällig in den ersten Gang gerieth und mit unsäglicher Mühe weiter
vordrang, um nach Erzen zu suchen. Plötzlich aber erlosch ihm sein
Licht und er tappte drei Tage und drei Nächte in diesen Höhlen
umher, ehe er den Eingang wieder finden könnte. Wenige Tage
nachher starb er von Angst, Hunger und Anstrengung erschöpft,
doch hatte er noch so viel Kraft und Besinnung, das Innere der
Höhle einigen Bekannten zu beschreiben, die sodann mit mehr Vor-
sicht seine Entdeckung verfolgten und diese Höhle, nach seinem Namen,
„Baumanshöhle" nannten. Nur tausend Schritte von dieser ent-
fernt liegt die eben so merkwürdige Bielshöhle.
XV. Das Königreich Hannover.
Hannover hat mit Württemberg die gleiche Einwohnerzahl, wäh-
rend es zweimal so groß ist, als jenes Königreich. Auch dieses Land
war ein Theil des alten Sachsenreiches und verdankt seine Kultur
Karl dem Großen, und in einer spätern Zeit, wie Braunschweig,
Heinrich dem Löwen. Im Jahr 1714 wurde der Kurfürst Georg
Ludwig, als Urenkel Jakobs l. von England, ans den britischen
Thron berufen, und so kam auch Hannover an England, wurde
jedoch durch eine eigene Regierung verwaltet. Als aber 1837 der
männliche Regentenstamm in England ausstarb und die Königin
Viktoria den Thron bestieg, wurde Hannover als selbstständiges
Königreich erklärt und der bisherige Vicekönig als König ausgerufen.
Hannover ist zum größten Theil Flachland, das durch 60 Meilen
lange Dämme gegen das Eindringen der Nordsee geschützt werden
muß; nur im Süden, am Harz ist es gebirgig. Der Boden ist
nur an den Ufern der Flüsse und des Meeres fruchtbar, im All-
gemeinen aber sandig und wenig ergiebig. Die rauheren Berg-
gegenden haben nur Reichthum an Wald und Wild, nebst Bergbau
auf Gold, Silber, Blei, Eisen und Salz. Die hügeligen Gegenden
dagegen, sowie das Marschland, haben Getreidebau und gedeihliche
Viehzucht.
Die zwar unregelmäßig gebaute, aber ziemlich ausgedehnte Haupt-
stadt und Residenz Hannover hat eine freundliche Lage, schöne Ge-
bäude und Plätze und wird zur Nachtzeit mit Gaslampen beleuchtet.
Goslar war einst der Aufenthalt deutscher Kaiser. Göttingen hat
eine Universität. In dem Rathhause zu Osnabrück wurde der west-
phälische Friede abgeschlossen. In dem schönen Dome daselbst wird
das Schachbrett und ein Stock von Karl dem Großen aufbewahrt.
303
XVI. Das Großherzogthum Oldenburg.
117 Q.M. - 280,000 Ew.
Oldenburg hat mit Hannover, von dem es größtentheits um-
schlossen ist, gleiche Beschaffenheit. Auch hier sind nur Küsten- und
Ufergegenden fruchtbar; das Innere aber ist dürres Haideland.
Durch einen Vertrag der Regierung mit Preußen erhielt Letz-
teres das Recht, seine Flotte in den Iahdebusen zu verlegen und
dort die erforderlichen Bauten aufzuführen, wozu an Preußen ein
Stück Land abgetreten wurde. Oldenburg mit starker Schifffahrt
ist die Hauptstadt des Landes.
XVII. Das Herzogthum Holstein.
175 Q.M. — 1/2 Mill. Ew.
Dieses Land gehört dem Könige von Dänemark, der als Her-
zog von Holstein Mitglied des deutschen Bundes ist. Der Boden
des Herzogthums ist eben und nicht ffehr ergiebig; dennoch baut man
Getreide für den Bedarf und außerdem Hanf, Flachs und Hülsen-
früchte. Die Viehzucht wird stark betrieben, und man erzeugt viel
Butter und Käse, womit ein bedeutender Handel getrieben wird.
Glücksstadt, eine gutgebaute Stadt in sumpfiger Gegend, treibt
Schifffahrt, Handel und Wallfischfang und besitzt 114 eigene Schiffe.
Altona, sehr nahe bei Hamburg, hat ebenfalls bedeutenden Handel
und Häringssang. Rendsburg ist eine feste Stadt an der Eider,
und Kiel hat eine Universität.
Die Ueberschwemmungen der Halligen.
An der Westküste des Herzogthums Schleswig liegen kleine
Inseln, Halligen genannt, welche während der häufig vorkommen-
den Ueberschwemmungen ein merkwürdiges, oft aber auch ein schauder-
erregendes Schauspiel darbieten. Wenn die Wogen des Meeres,
alles flache Land überfluthend, an den Werften hinaufsteigen und
an die Mauern und Fenster der Hütten mit ihrem weißen Schaum
anschlagen: da blicken denn diese Wohnungen aus der weiten, wogen-
den Fluth nur noch mit ihren Strohdächern heraus, und man glaubt
nicht, daß darunter sich menschliche Wesen bergen, daß Greise, Männer
und Frauen und Kinder unterdessen völlig ruhig um ihren Theetisch
Hersitzen und kaum einen flüchtigen Blick aus den umdrängenden Ocean
werfen. Manch fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte
schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig weg,
und die erstaunten Seeleute waren nicht wenig verwundert, wenn
sie auf einmal ein freundliches Kerzenlicht neben sich durch die Fen-
ster einer Stube oder Dachlücke schimmern sahen. Oft aber bricht
der Sturm zugleich mit der Fluth auf das bange Eiland ein. Die
304
Wasser steigen bis zu 20 Fuß über ihren gewöhnlichen Stand hinauf.
Die Wogen dehnen sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet
in immer neuen, langen Zügen seine volle, breite Gewalt gegen die
einzelnen Werste, um sie aus seiner Bahn wegzuschieben. Der
Erdhügel, der nur eine Zeit lang zitternd widerstand, giebt nach;
bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein Stück nach dem andern
ab und schießt hinunter. Die Pfosten des Hauses, welche die Vor-
sicht eben so tief in das Werft hinein senkte, als sie darüber her-
vorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer faßt sie, rüttelt sie.
Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe
hinauf auf den Boden; dann flieht er selbst nach, und hohe Zeit
war es; denn schon stürzen die Mauern, und nur noch einzelne
Ständer halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht.
Mit furchtbarem Siegesübermuth schalten die Wogen in dem untern
Theile des Hauses; sie werfen Schränke, Kisten, Betten, Wiegen
mit wildem Spiel durcheinander, schlagen sich immer freiern Durch-
gang , um Alles hinauszureißen auf den weiten Tummelplatz ihrer
unbändigen Kraft, und der Stützpunkte des Daches werden immer
weniger, des Daches, dessen Niedersturz rettungslos einer noch vor
wenigen Stunden in häuslicher Geschäftigkeit mit einander wirkenden,
oder im sanften Arm des Schlummers neben einander ruhenden
Familie ein schäumendes Grab bereitet. Aengstlich lauscht das Ohr,
ob nicht das Brausen des Sturmes abnehme; ängstlich pocht das
Herz bei jeder Erschütterung; immer enger drängen sich die Un-
glücklichen zusammen. In der Finsterniß sicht Keiner das entsetzens-
bleiche Angesicht des Andern; im Donnergeroll der tobenden Wogen
verhallt das bange Gestöhn; aber Jeder kann an seiner eigenen
Qual die marternde Angst seiner Lieben ermessen. Mit vcrzweif-
lungsvoller Todesgewißheit halten sich Eltern und Kinder umschlun-
gen; die Bretter unter ihren Füßen werden von der drängenden
Fluth gehoben; aus allen Fugen quellen die Wasser auf; das Dach
wird durchlöchert vom Wogensturz; ein irrer Mondstrahl dringt
durch die zerrissenen Wolken, fällt hinein in die Iammerscene, die,
von seinem bleichen, zuckenden Lichte beleuchtet, in all' ihrer Furcht-
barkeit erscheint und die angstverzerrten Gesichter einander zeigt. Da
kracht ein Balken! — Ein furchtbarer Schreckensruf! — Noch eine
martervolle Minute! — Noch eine! — Der Dachboden senkt sich
nach einer Seite; ein neuer Fluthenbcrg schäumt herauf, und--------
im Sturmgeheul verhallt der letzte Todesschrei. Die tückischen Wo-
gen schleudern einander Trümmer und Leichen zu. — Dennoch liebt
der Halligbewohner seine Heimat, liebt sie über Alles, und der aus
der Sturmfluth Gerettete baut sich nirgends sonst wieder an, als
auf dem Fleck, wo er Alles verlor, und wo er bald wieder Alles
und sein Leben mit verlieren kann.
305
XVIII. Die Großherzogthümer Mecklenburg.
Vor der Völkerwanderung wurde Mecklenburg von den Heru-
lern und Vandalen bewohnt. Heinrich der Löwe eroberte es, gab
es aber bald wieder seinem angestammten Fürsten Prebislav zurück,
welcher der Stammvater des jetzt noch regierenden Fürstenhauses
wurde. Im Jahr 1170 wurde das Land zum Fürstenthum er-
hoben und theilte sich 1701 in die beiden Linien Mecklenbckrg-
Schwerin, welche den größern Theil des Landes mit 230 Q.É
und V-r Mill. Menschen, und in Mecklenburg - Strclitz, welches
36 Q.M. mit 100,000 Ew. besitzt.
Beide Herzogthümer sind durchaus eben und theilweise sandig,
aber sehr fruchtbar. Eine Menge von Seen bringen Leben und
Abwechslung in die flachgelegene Landschaft, die überdies von vielen
wasserreichen Flüssen durchschnitten wird. Die Rindvieh- und Pferde-
zucht ist bedeutend; denn die Mecklenburger Pferde sind, wie die
Holsteiner, große, starke und ausdauernde Zugthiere. Weniger wichtig
ist die Industrie, wogegen der Seehandel hauptsächlich durch die
Städte Wismar und Rostock stark betrieben wird. Die Hauptstadt
ist Schwerin in schöner Lage an einem See; der Großherzog resi-
dirt jedoch zu Lndwigslust. Im Großherzogthum Strelitz ist
die Hauptstadt Neustrelitz, welche sehr schön in Form eines acht-
eckigen Sterns angelegt ist, so daß alle 8 Straßen von dem Marit-
platze aus nach den 8 Thoren zulaufen.
XIX. Die vier freien Städte.
Die vier freien Städte: Frankfurt am Main, Bremen, Ham-
burg und Lübeck bestehen als solche wieder seit dem Wiener Con-
greß 1815. Sie haben eine demokratische Verfassung und werden
durch einen Senat regiert. Die drei letzter» dieser Städte waren
schon 1241—1632 im Hansabund, den viele deutsche Städte zum
Schutze ihres Handels und ihrer Rechte errichtet hatten und der
nach und nach ungemein wichtig wurde.
а) Frankfurt a. M. zählt auf einem Gebiete von etwas mehr
als 2 Q.M. 70,000 Menschen, wovon 59,000 zu Frankfurt selbst
wohnen. Hier, in der' altberühmten Krönungsstadt der deutschen
Kaiser, ist der Sitz der Bundesversammlung. Handdl und Verkehr
nach Süden und Norden sind außerordentlich lebhaft. In dem
Rathhause-, „der Römer" genannt, fand ehemals die Wahl der
deutschen Kaiser Statt, und in der Domkirche wurden dieselben
gekrönt.
б) Bremen hat ein Gebiet von 5 Q.M. und 72,000 Ew.
Reiser, der DoUsschuler i. d. Obcrklasse. 20
306
Die Stadt selbst enthält 50,000 Menschen und liegt an beiden
Seiten der Weser. Handel und Verkehr, besonders mit Amerika,
sind außerordentlich wichtig, daher ist Bremen auch ein ungemein
stark benützter Einschiffnugsplatz für Auswanderer. Fremde be-
trachten hier mit größtem Interesse den Dom, die Börse und das
Rathhaus mit dem berühmten Rathskellör, worin die großen Stück-
sässer liegen, welche man „die Rose" und „die 12 Apostel" nennt.
e) Hamburg mit 6 Q.M. zählt aus seinem Gebiet 170,000 Ew.,
von welchen 137,000 die Stadt selbst bewohnen. Sie ist die erste
Httttdelsstavt Deutschlands^ liegt in einer unmuthigen Gegend und
besteht aus 11,000 Hausern. Durch den großen Brand vom 5. bis
8. Mai 1842 giengen über 4000 Gebäude zu Grunde; über 100
Menschen verloren dabei das Leben, und der dadurch veranlaßte
Schaden wurde-aus 90 Millionen Thaler angeschlagen. Dieses
gräßliche Unglück fand in allen Erdtheilen die regste Theilnahme,
und es wurden über dritthalb Millionen Thaler an freiwilligen Ga-
ben zur Unterstützung der armen Verunglückten eingesandt. Durch
den Wiederausbau des abgebrannten Theils der Stadt hat jedoch
dieselbe ein freundlicheres Ansehen erhalten. Die Michaelskirche ge-
hört zu den schönsten Bauwerken, und ihr 456 Fuß hoher Thurm
gewährt einen herrlichen Ueberblick über die Stadt. Das allgemeine
Krankenhaus enthält 200 Säle und Zimmer und hat Raum für
1000 Kranke. Neben den palastähnlichen Gebäuden der vielen rei-
chen Kaufleute giebt es hier aber auch noch Häuser mit sogenannten
Kellerwohnungen, in welche niemals ein Sonnenstrahl eindringt,
weil die Straßen sehr enge und die Häuser gewöhnlich 4 bis 6
Stockwerke hoch sind. Das Rath haus und die Börse, worin
die großen Handels- und Geldgeschäfte der Kaufleute abgemacht wer-
den, sind die großartigsten Gebäude der Stadt. Hamburg zählt
500 große Handelshäuser, 12,000 Großhändler, 300 Zuckersiedereien
und hat 200 eigene Schisse.
«n Lübeck, die nördlichst gelegene freie Stadt, hat das größte
Gebiet, dessenungeachtet aber die geringste Einwohnerzahl, indem auf
7 Q M. 53,000 Menschen, und von diesen mehr als die Hälfte in
der Stadt selbst wohnen. Diese, einst eine der wichtigsten Hansa-
städte, hatte damals eine drei Mal stärkere. Bevölkerung; sie macht
aber mit ihrer; zahlreichen Thürmen und Häusern immerhin einen
großartigen Eindruck. — Auch hier sind Handel und Gewerbsthätig-
keit in hoher Blüthe und werden durch regelmäßige Dampfschiff-
fahrteu nach Kopenhagen und Petersburg belebt. In Travemünde,
2 Meilen von Lübeck, ist der eigentliche Hafen mit einem Leucht-
thurme.
307
Die Schweiz.
Herrliches Land, dich grüß ich aus überwallender Fülle
Meines schwellenden Herzens! —- Dein felsiger Rücken
Trieft von hundert Strömen, die deinem Scheitel entstürzen;
Auf dir hauset Entsetzen und Grauen, in Wolken gehüllet;
Deine Pfade besucht der bleiche, starrende Schwindel!
L. Graf v. Stollberg.
Die Natur zeigt sich in Helvetien, wie die Schwei; von ihren
Ureinwohnern her genannt wird, in einer Größe und Manigfaltig-
keit, wie in keinem andern Lande von Europa. Mächtige Gebirgs-
ketten durchziehen die Schweiz in allen Richtungen, und gegen 400
Berge ragen mit ihren schneebedeckten Häuptern in die Wolken hinauf.
Die schauerlichsten Felsenschlnchten wechseln mit den üppigsten Thä-
lern, von klaren Alpenseen und silbernen Flüssen durchschnitten. Von
der schwindelnden Höhe der Alpen herab irrt der Blick von 'den
nahen, lieblichen Thälern voll freundlicher Städte und Dörfer bis
in die endlose Ferne, und kaum vermag das gierige Auge sich zu
sättigen an all dem Schönen, das sich ihm hier von allen Seiten
darstellt. Bis zu der außerordentlichen Höhe von 10,000 Fuß
ragen mehrere Berge empor; höher noch die Jungfrau und das
Schreckhorn (12,600); noch höher das Finsterarhorn (13,300);
bis zu einer Höhe von 14,200 Fuß erhebt sich aber der Monte
Rosa, der höchste Gipfel der Schweizer Alpen.
Nach 4 verschiedenen Meeren hin eilen die Wasser der Schweiz
und bilden auf ihrem Wege öfter die erhabensten Wasserfälle, wie
z. B. den Staubbach, den Aar- und Rheinfall, und mehrere durch-
fließen die großen Wasserbecken, welche die Natur am Fuße der
Alpen gebildet hat.
Der Staubbach.
Nicht weit von Unterseen, im Kanton Bern, öffnet sich ein
enges Felsenthal, das sich nach Südwesten zwischen den höchsten Ge-
birgen 5 Stunden lang fortzieht und seinen Namen Nruterbrun-
nenthal von den zahlreichen Bächen hat, die sich (über die Fels-
wände hinabstürzen. Die Kalkselsen zu beiden Seiten sind durch
eisenhaltige Bestandtheile manigfaltig gefärbt, in seltsame Gestalten
zerrissen, hier, und da mit Tannen und Laubholz bewachsen und
geben bei wechselnder Beleuchtung der Gegend ein höchst malerisches
Aussehen. Das Thal ist so enge, daß im Winter dasselbe täglich
nur eine halbe Stunde von der Sonne beschienen wird, und die
vielen Sturzbäche, welche sich von den hohen Felswänden herab in
die Lutsch ine ergießen, verursachen im Sommer, besonders nach
308
Gewitterregen, häufige Überschwemmungen. Die Bewohner des
Thales leben theils in zerstreuten Hütten, theils in dem kleinen Kirch-
dorfe Lauterbrunn, 3 Stunden von Unterseen.
Nahe bei dem Dorfe stürzt von dem P l e t s ch b e r g e der
Staubbach aus der ungeheuren Höhe von 900 Fuß herab. Bei
vollem Wasser fällt der Bach senkrecht von dem Felsen; aber ehe
er den Grund des Thales erreicht, löset ex sich größtentheils in
feinen Staub auf. Man muß das Schauspiel betrachten, ehe die
Schatten des Berges sich auf den Fall werfen, am besten in den
Vormittagsstunden, wo er von der Sonne herrlich beleuchtet wird.
Unten an dem majestätischen Falle bildet sich dann ein Regenbogen,
der in einiger Entfernung halbkreisförmig erscheint, und wenn man
sich ihm nähert, zu einem glänzenden Kreise wird.
Bei heftigem Winde zeigen sich eigenthümliche Erscheinungen.
Kommt er aus Süden, so weht er oft so mächtig gegen den Fall,
daß er ihn auf einige Minuten hemmt, oder er bildet Wolken von
der Dunstmasse, welche auf dem Falle liegt, und wirbelt sie in die
Luft empor. Im Winter widersteht die Schnelligkeit des Falles
einige Zeit dem Froste; bei zunehmender Kälte aber verwandeln sich
die Wassertropfen in Eiskügelchen und fallen wie Schlossen herab.
Ist endlich der ganze Bach gefroren, so gleicht e-r einem ungeheuren
Eiszapfen, der an der Felsenwand herabhängt und immer zunimmt,
bis er durch sein Gewicht auf die untern Eismassen, tosend wie
eine Lawine, herabstürzt.
* *
Der Rhein, vom St. Gotthard kommend, durchströmt den
Bodensee und eilt mit seinen Zuflüssen, der Thur, Aar, Neuß und
Limmat nach der Nordsee. Die Rhone entspringt aus denFurka-
Gletschern und geht durch den Genfersee und das südliche Frank-
reich zum Mittelmeer. Der Inn richtet seinen Lauf nach der
Donau und geht mit dieser in das schwarze Meer, während der
Ticino auf der Südseite der Alpen dem Adriameer zueilt.
In keinem Lande ist das Klima so verschieden, wie hier, da
dasselbe in dm südlichen Thälern Italiens Temperatur, auf den
Alpenhöhen aber nordische Kälte zeigt. Am Fuße der Alpen ge-
deihen fast überall Obst und Wein, auf der Südseite aber Ci-
tronen, Pomeranzen, Mandeln und Aprikosen. Die treff-
lichen Weiden befördern die Viehzucht, die (Holland ausgenommen) -
wohl nirgends ausgezeichneter zu finden ist; der Ackerbau dagegen
ist weniger erheblich. Die Industrie ist ungemein im Flor, und der
Kandel ist ein Hauptgrund der Wohlhabenheit, die hier mehr als
in andern Ländern allgemein ist.
Die Schweiz ist etwa so groß als Hannover oder zwei Mal
309
so groß als Württemberg, hat aber 24/10 Mill. Ew. und wird in
folgende 22 Kantone eingetheilt:
1. Luzern; 2. Zürich; 3. Bern; 4. Uri, mit dem Hauptort
Altdorf; 5. Schwyz; 6. Unterwalden; 7. Glarus; 8. Zug;
9. Freiburg; 10. Solothurn; 11. Basel; 12. Schaffhausen; 13. Ap-
penzell; 14. St. Gallen; 15. Graubündten, mit der Haupstadt
Chur; 16. Aargau, mit der Hauptstadt Aarau; 17. Thurgau,
mit der Hauptstadt Frauenfeld; 18. Tessin, mit der Hauptstadt
Bellinzona; 19. Waadt, mit Lausanne; 20. Wallis, mit der
Hauptstadt Sitten; 21. Neuenburg; 22. Gens.
B. Südeuropa.
Italien.
5800 Q.M. mit 25 Mill. Ew.
Italien bildet eine Halbinsel, die in der Form eines Stiefels
weit in das Mittelmeer hinein reicht. Seine großartigen Ereignisse
und Schicksale, die in frühesten Zeiten fast durchgängig mit Rom
verknüpft waren, haben wir schon durch die Geschichte der Römer
kennen gelernt. Italien wird im Norden durch die Alpen von
Deutschland und der Schweiz getrennt, und die Apenninen durch-
ziehen das Land nach seiner ganzen Länge. Der Vesuv bei Neapel
und der Aetna auf der Insel Sicilien sind zwei Vulkane, die
durch ihre Ausbrüche, wenn auch manchmal erst nach langen Jahren,
die, Bewohner der Umgegend in Angst und Schrecken versetzen. Das
Klima ist überaus mild und warm; im Sommer aber wird es
unerträglich heiß. Unter diesem Himmelsstriche giebt es Reiß,
Mais und Getreide aller Art, herrliche Südfrüchte, worunter man
Pomeranzen, Citronen, Sinaäpfel, Feigen u. dgl. begreift; ferner
zieht man Seidenwürmer; man pflanzt Baumwolle, und die Oliven-
bäßme liefern Baumöl in Menge.
Italien enthält die Länder Sardinien mit den schönen Städten
Turin und Genua; die Lombardei, mit der Hauptstadt Mai-
land; Venetien mit der Hauptstadt Venedig; die Herzogthümer
Parma und Modena, das Großherzogthum Toskana mit der schö-
nen Hauptstadt Florenz, ferner den Kirchenstaat mit der Haupt-
stadt Rom und das Königreich Neapel mit der großen und herr-
lich gelegenen Hauptstadt Neapel. Alle diese Staaten sucht jedoch der
ländersüchtige König von Sardinien unter seinem Szepter zu vereinigen.
Unter den vielen schönen und großen Städten Italiens ist die
wichtigste und merkwürdigste
310
Rom.
Wenn auch das jetzige Rom (mit 180) nur noch ein Schatten
jenes alten Roms ist, das mehr als eine Million Einwohner zählte
und ein ungeheures Weltreich beherrschte, so ist es dennoch eine der
merkwürdigsten Städte der Welt. Der Wanderer findet hier Sehens-
würdigkeiten in großer Menge, die seine Bewunderung erregen und
ihn in Staunen setzen. Unter 328 Kirchen ist die prachtvollste die
St. Peterskirche, welche über 100 Millionen Gulden gekostet hat.
Sie ist mir dem Vorbau 666 Fuß lang, 284 Fuß breit und bis
zur Spitze des Kreuzes auf der Kuppel 503 Fuß hoch. Unzähl-
bare Kunstwerke und 29 Altäre schmücken diesen unbeschreiblich herr-
lichen Tempel, und kein Banwerk der ganzen Welt kann einen all- -
gewaltigeren Eindruck auf den Beschauer machen, als dieses, beson-
ders wenn man mitten in der Kirche unter der Kuppel steht und
die kühne Wölbung und die schwindelnde Höhe derselben betrachtet.
Alles in diesem ungeheuren Raum ist wunderbare Harmonie, und
erst bei näherer Betrachtung einzelner Theile erstaunt man, sie so
viel größer zu finden, als es anfangs schien. Auch im Uebrigen
ist diese Kirche mit einer Pracht ausgestattet, die sich nicht beschrei-
ben läßt. Am schönsten erscheint das Aeußere -dieses Wunderbaues
am Vorabend des Festes von Sankt Peter und Paul, wo der-
selbe durch 4400 Lampen und 784 Fackeln beleuchtet wird.
Treffend bezeichnet Schiller die Herrlichkeiten dieser Stadt in
folgenden Worten:
Prächtiger, als wir in unserm Norden,
Wohnt der Bettler an der Engelspsorten:
Denn er sieht das ewig einz'ge Rom!
Ihn umgiebt der Schönheit Glanzgewimmcl,
Und ein zweiter Himmel in den Himmel
Steigt Sankt Peters wunderbarer Dom.
Ein anderes Staunen erregendes Gebäude ist der vatikanische
Palast, welcher 1080 Fuß lang und 720 Fuß breit ist, 22 Höfe
umschließt und 11,226 Zimmer enthält. In diesem riesenhaften Ge-
bäude befinden sich die kostbarsten Denkmäler des Alterthums und
der Kunst: die prachtvollsten Gemälde und die herrlichsten Statuen.
Die große Bibliothek zählt 300,000 Bände und 30,000 Handschrif-
ten. Die gewöhnliche Wohnung des Papstes ist der Qnirinal, ein
überaus herrlicher, mit vielen Knnstschätzen ausgestatteter Palast.
Die Engelsburg ist das wichtigste Festungswerk der Stadt. Weitere
merkwürdige Gebäude sind, neben vielen andern Tempeln, das Pan-
theon und die Kirche des hl. Johannes von Lateran, viele Paläste,
40 Klöster, die.Universität und die aus 34 Marmorblöcken zusam-
mengesetzte 141 Fuß hohe Trajanssäule.
311
. Neapel und der Vesuv.
Südlich von Rom, in einer ungemein schönen und reizenden
Gegend, an einem Busen des Mittclmeeres, liegt die prächtige Haupt-
stadt Neapel (380). Die Toledostrahe ist die schönste, denn
sie besteht beinahe aus lauter Palästen; mehrere andere dagegen
sind krumm und enge, und es fehlt anch nicht an unheimlichen, wmk-
lichen Gäßchen, in denen man am hellen Tage vor Taschendieben
nicht sicher ist. Auf den öffentlichen Plätzen ist bei Tag und "Nacht
ein ungeheures Getünimel von herumwogenden Menschen'masten, und
der staunende Fremdling wird von demselben, sowie durch das Rollen
der Karossen und das Geschrei der Berkäufer, welche Lebensmittel
und Waaren aller Art feilbieten, ganz betäubt. Unter den 230 Kir-
chen der Stadt ist der Dom, und unter den 150 Klöstern das der
hl. Clara vorzüglich bemerkenswerth. Die Wohnhäuser find hier
gewöhnlich 6 bis 8, ja sogar 10 Stockwerke hoch und haben ebene
Dächer, die gewöhnlich mit Blumentöpfen und Pomeranzenbäumen
besetzt sind und zu Spaziergängen benützt werden.
Die Umgebung Neapels ist das Reizendste, was die Natur
geschaffen hat. Auf einer Seite liegt der Berg Posilippo, mit
Pomeranzenwäldchen, Weinbergen und den herrlichsten Landhäusern
bedeckt; aus der andern ragt der Vesuv 3700 Fuß hoch empor,
was hier, am Meere, schon eine beträchtliche Höhe ausmacht. Auf
dem Scheitel desselben sicht man in den trichterförmigen Krater
hinab, der eine halbe Stunde im Umfange hat und mit 500 Fuß
hohen Wänden umgeben ist, die sich nach und nach aus Lava und
Schlacken gebildet haben. Wenn die Spitze des Berges nicht in
Rauch und Nebel gehüllt ist, so genießt man hier eine unvergleich-
liche Aussicht auf eine der schönsten Landschaften der Erde. — Von
Neapel führt eine herrliche Straße nach den Städten Herkulanum
und Pompeji, die im Jahr 79 durch einen Ausbruch des Vesuvs
zerstört und erst in neuester Zeit wieder ausgegraben wurden. Kein
Fremder versäumt es, von Neapel aus diese gleichsam ans dem
Grabe wiedererstandenen Städte zu besuchen, und es läßt sich wohl
denken, mit welchen Gefühlen man ihre todten Straßen und Ge-
bäude durchwandert und all' das Seltsame, Großartige und Außer-
gewöhnliche mit Aufmerksamkeit betrachtet und die Spuren der grau--
. senhaftcn Zerstörung wahrnimmt, welche die sorglose Bevölkerung
mitten in ihren Vergnügungen und Schwelgereien überraschte.
Nahe an dem Festlande von Italien liegt die Insel Sicilien,
mit der schönen und großen Hauptstadt Palermo, der Handelsstadt
Messina und dem feuerspeienden Berg Aetna, der fast 10,000 Fuß
hoch aufsteigt und neben seinem grausenvollen Krater die entzückendste
Aussicht auf die ganze Insel und einen großen Theil des Meeres darbietet.
f
312
Die Türkei und Griechenland.
Die große Halbinsel, welche neben Italien gegen Osten liegt,
umfaßt das alte Griechenland, das wir schon durch die Geschichte
kennen lernten. Im Jahre 1453 wurde es von den Türken er-
obert und bildete seitdem den Hauptsitz ihrer Macht, die in der
Mitte des 16ten Jahrhunderts den höchsten Gipfel erstieg, von da
an aber durch viele Kriege wieder tief herab sank. Das fruchtbare
Land, obgleich schlecht angebaut, liefert dennoch reichlich Getreide,
Reiß, Mais und Südfrüchte, nebst Wein und Tabak. Die Gebirge
enthalten edle Metalle und Marmor, und an Vieh ist kein Mangel.
Die türkischen Besitzungen in Asien messen 24,000 Q.M.,
und eben so groß sind auch die afrikanischen Länder, die unter
türkischer Oberherrschaft stehen.
Die Hauptstadt des türkischen Reiches ist Konstantinopel, von
den Türken St ambul und in alter Zeit Byzanz genannt (600).
Die Stadt hat mit den Vorstädten 24 Stunden im Umfange und
liegt in einer unvergleichlich schönen Küstengegend, an der 1000 Fuß
breiten Straße von Konstantinopel. Der Palast des Sultans gleicht
für sich schon einer Stadt und ist mit herrlichen Gärten umgeben.
Er hat einen ungeheuren Haupteingang, von welchem die Regierung
den Namen „hohe Pforte" erhalten hat.
Im Jahre 1821 haben sich die im Süden der Türkei woh-
nenden Griechen gegen die Herrschaft der Türken empört und ihre
Unabhängigkeit erkämpft. Seitdem bildet die Halbinsel M o r e a
nebst Livadieu mit einigen Inseln das Königreich Griechenland,
das auf 900 Q.M. nicht ganz eine Million Menschen zählt. Dies
ist der Uebcrrest des altberühmten Griechenlandes, das im Alter-
thum so mächtige Staaten und ein unerreichtes Heldenvolk in sich
schloß. Die Hauptstadt ist Athen; Korinth und Theben, diese einst
so wichtigen L-tädte, sind jetzt unbedeutende Orte, und von andern
ehemals berühmten Städten sind kaum noch Spuren zu finden.
6. Westeuropa.
Spanien nnd Portugal.
Beide Länder bilden eine Halbinsel, die Frankreich an Größe
gleichkommt. Von derselben besitzt Spanien 9000 Q.M. mit 15 Mill.
Menschen. Es ist durch die 50 Meilen lange Pyrenäen kette
von Frankreich getrennt und wird auch sonst vielfach von Gebirgen
durchzogen. Beide Länder sind stellenweise sehr fruchtbar und er-
zeugen besonders sehr feine und feurige Weine.
»
313
Merkwürdig ist das Klima und die Witterungsbeschaf-
fenheit dieser Halbinsel. Vom Mai bis zum Oktober fällt hier
beinahe niemals Regen, und der Himmel ist stets heiter und wolken-
leer. Die Hitze steigt in dieser Zeit auf einen so hohen Grad, daß
alle Gewächse verdorren. Das Laub hängt welk und traurig an
den Bäumen, und man sieht nirgends mehr einen grünen Gras-
halm. Es ist nicht möglich, in dieser Hitze zu arbeiten, und darum
wird es auch erst gegen Abend, wenn die Hitze nachläßt, lebhafter
auf den Straßen, wogegen man die heiße Tageszeit verschläft. —
Der Winter dagegen besteht in einem beständigen Regenwetter,
und selten fällt ein Flöckchen Schnee, das jedenfalls sogleich wieder
schmilzt. Während dieser Regenzeit kommen aber auch schon die
Frühlingspflanzen zum Vorschein, und im Februar und März hat
man schon frische Gemüse und das Korn schießt in Aehren. Wäh-
rend der Regenzeit wird es oft ziemlich kühl, wobei es sehr unan-
genehm auffällt, daß man fast nirgends einen Ofen findet, sondern
sich blos durch Kleider gegen Frost schützen kann.
Madrid (220) ist die Haupt- und Residenzstadt Spaniens.
Portugal mit 4 Mill. Ew. ist so groß als die Königreiche
Bayern und Württemberg zusammen. Die Hauptstadt ist Lissabon,
eine Stadt, die aus 50,000 Häusern und 300 Kirchen besteht (300).
Die Umgegend ist durch 7000 prächtige Landhäuser verschönert,
worin zur Sommerszeit die vornehmsten Familien der Stadt woh-
nen. Im Jahr 1755 wurde ein großer Theil der Stadt durch ein
furchtbares Erdbeben zerstört, ist aber jetzt um so schöner und regel-
mäßiger wieder aufgebaut.
Frankreich.
10,000 Q.M. mit 36 Mill. Ew.
Frankreich ist ein reichgesegnetes Land, das im Norden alle
Produkte Deutschlands, im Süden aber noch feinere Früchte: Po-
meranzen, Citronen, Mandeln," Feigen, Oliven, Kastanien und feine
Weine erzeugt. In den Fabriken herrscht große Thätigkeit, und die
schönen, seidenen Tücher, Silberstoffe, Baumwollenzenge, Galanterie-
und Modewaaren, welche man in Frankreich verfertigt, werden den
englischen vielfach vorgezogen.
Die Franzosen sind ein lebhaftes, kriegslustiges Volk, das jeden
Augenblick bereit ist, Gut und Blut für die Ehre und den Ruhm
feines Vaterlandes zu opfern. Ein stets zum Kampf bereites Heer,
eine Flotte, dieser englischen wenigstens gleichkommt, verbunden mit
einer bedeutenden innern Kraft und einer großen Opferwilligkeit des
Volkes, haben Frankreich den bedeutendsten Einfluß aus die übrigen
Staaten Europa's erworben.
314
Paris.
Eine der merkwürdigsten und wichtigsten Städte der Erde ist
Paris, die Hauptstadt Frankreichs, die jetzt wohl anderthalb Millio-
nen Menschen beherbergt. Ein ungewöhnliches Gewühl von Menschen
drängt sich hier stetsfort in den Straßen. Elegant gekleidete Herren
und Damen, Arbeiter und Bettler, Vornehme und Arme, fleißige
Leute und Müssiggänger, Fußgänger, Reiter und Kutscher, — Alles
füllt im buntesten Durcheinander die Straßen, die öffentlichen Plätze
und Vergnügungsorte, so daß man glaubt, es könne in ganz Paris
kein Mensch mehr zu Hause seyu. Obwohl auch hier unter 1200
Straßen manche krumm und winkelig sind, so findet man dagegen
auch wieder viele, die in geradester Linie mit den großartigsten Häu-
sern und Palästen besetzt sind. Die herrlichen Bauten, denen man
hier fin jeder Straße begegnet, die prachtvollen Kaufläden, die sich
in einer Straße oft zu Hunderten aneinander reihen, die wunder-
schönen Brücken, die großen, oft mit den schönsten Statuen besetzten
öffentlichen Plätze, sodann die reichen Kunstsammlungen und eine
Menge anderer Gegenstände beschäftigen das Auge des Fremden
Monate lang und setzen ihn alle Augenblicke in Staunen und Ver-
wunderung.
Die Königreiche Selgicn und Holland.
Beide Königreiche bildeten früher das Königreich der Nieder-
lande. Im Jahre 1831 riß sich aber der südliche Theil des Lan-
des von dem nördlichen los, wählte sich einen König und bildet
seitdem das Königreich Belgien, das aus 536 Q.M. 4'2 Mill.
Einwohner zählt, die größtenthcils der katholischen Kirche angehören.
Die Hauptstadt des Landes ist Brüssel. Antwerpen, Gent, Lüttich,
Meäicln und Brügge sind wichtige Fabrik- und Handelsstädte.
Das Königreich Holland ist so groß als Belgien, zählt aber
nur 3 Millionen Menschen. Es ist "ein Land ohne Berg und Wald
und liegt an manchen Stellen tiefer, als die Nordsee, gegen welche
es durch kostspielige Dämme geschützt werden muß. Holland hat
herrliche Wiesen und Weiden, und daher auch eine treffliche Vieh-
zucht, die nebst dem Härings- und Walfischfang und bedeutendem
Fabrikbetrieb eine Hauptnahrungsquelle der Einwohner bildet. Der
Handel und die Schifffahrt beschäftigen ebenfalls Tausende von Men-
schen; denn in fast allen Meeren trifft man holländische Schiffe an.
Die Residenzstadt des Landes ist Haag. GKßcr und wich-
tiger aber ist Amsterdam (225). • Sie ist der Sitz eines großarti-
gen Weltverkehrs und wird hierin nur von London übertroffen.
Der sumpfige Boden macht es hier nothwendig, daß vor Erbauung
315
eines Hauses immer zuerst eine Menge von Pfählen, wozu man
ganze Bäume verwendet, in den Boden eingerammt werden müssen,
um demselben Festigkeit zu geben. Das hiesige Rathhaus soll auf
14,000 solchen Pfählen ruhen.
Ebbe und Fluth.
Das Meer zeigt alle 6 Stunden eine merkwürdige Verände-
rung, indem das Wasser am Strande täglich zwei Mal fällt und
steigt, was man (V*bbe und Flnth nennt. Wenn die Fluth auf's
Höchste gestiegen ist, so ist hohe See, die eine halbe Stunde dauert.
In den folgenden 6 Stunden fällt das Wasser wieder, und die
Ebbe tritt ein und hält gleichfalls eine halbe Stunde an. Die O st-
see zeigt diese Veränderung nicht, wohl aber die Nordsee^Wenn
die Fluth die gewöhnliche Höhe übersteigt, so nennt man dies Spi'Ulg-
ftuth, gegen die man die niedrigen Küstengegcndcn der Niederlande
durch 20 Fuß hohe Dämme oder Deiche geschützt hat. Um aber
das Wasser aus den vielen Sümpfen ableiten zu können, hat man
die Dämme mit Pforten, Schleusen oder Sihlen versehen,
die so eingerichtet sind, daß das vom Lande der See zueilende Wasser
zur Zeit der Ebbe die Thore selbst aufdrücken kann, wogegen sich
dieselben schließen, wenn die Fluth wiederkehrt und gegen diesel-
ben drückt.
Zur Zeit der Ebbe bietet sich dem Auge ein interessantes
Schauspiel dar. Da nämlich das Wasser um 15 bis 20 Fuß fällt,
so scheinen die Dämme, Sandbänke und Pfahlrcihen riesenhoch zu *
wachsen, während die Schiffe mit dem Wasser hinabsinken, oft auf
dem Trocknen und manchmal halb auf die Seite zu liegen kommen,
so daß sie unser Mitleid erwecken. Der Meeresgrund tritt in man-
chen Gegenden, wo er nicht tief ist, weit hinein aus dem Wasser
hervor, und es kommen eine Menge Dinge zu Tage, die sonst die
Fluth bedeckt und verborgen hält. Da sieht mau z. B. Ueberbleibsel
eines gestrandeten Schiffes aus dem Wasser und Schlamm hervor-
ragen; dort gewahrt man hübsche Muscheln und verschiedene merk-
würdige Thiere, die man nicht recht in die 6 Klassen des Thier-
reichs einzureihen weiß, weil man sie eher für Kräuter, Sträucher
und Bäume, als für Thiere ansieht, und die daher auch die Ge-
lehrten, wegen ihrer großen Aehnlichkeit mit Gewächsen, Pflanzen-
thiere nennen und in Polypen, Korallenthiere, Quallen
oder Medusen und Strahlenthiere eintheilen. Ein solches
Pflanzenthier ist auch der euch bekannte Badeschwamm.
So wie das Wasser zu sinken beginnt und vom Strande zu-
rückweicht, kommen auch die armen Leute der Seestädte, die zer-
lumpten Kinder und die dürftigen Muschelsammler und Krabben-
oder Seekrebsfänger hervor und schleichen an den Bollwerken der
316
Häfen herum, um hier ihre Erndte zu halten, denn die schönen
Muscheln und Seeschnecken werden von Liebhabern gut bezahlt. In
der Lust herrscht zur Zeit der Ebbe ebenfalls reges Leben, denn die
Strandvögel: die Möven, die Störche und selbst die Schnepfen
machen sich heran und flattern und wandeln am Strande oder auf
den tiefgelegenen Inseln des Meeres, die man Lagunen nennt,
umher, um. auf Seegewürm Jagd zu machen. Wenn aber das
Wasser wieder zu steigen beginnt, so ergreift Alles eiligst die Flucht,
und die gesättigten Strandvögel setzen sich ruhig am Gestade nieder,
um ganz behaglich ihr reichliches Mahl zu verdauen.
Großbritannien.
5700 Q.M. mit 28 Mill. Ew.
Das britische Reich besieht aus den drei Königreichen Eng-
land, Schottland und Irland mit den umliegenden Inseln: den
Hebriden, Orkaden und Schettlandsinseln. Nebstdem besitzen die
Engländer die Insel Helgoland, nördlich von der Wesermündung,
die Festung Gibraltar^ in Südspanien und die Insel Malta mit
zwei kleinern Inseln südlich von Sizilien. Besonders wichtig sind
aber die englischen Besitzungen in den übrigen Welttheilen, die sich
aus 240,000 Q.M. mit 120 Millionen Menschen belaufen, wovon
wenigstens 100 Millionen auf Ostindien zu rechnen sind.
England ist ein Hügelland; Schottland ist gebirgig, und
Irland ist fast durchaus Flachland.
Da der Boden Englands von Natur nicht sehr fruchtbar ist,
so wird seine Ertragsfähigkeit durch künstliche Behandlung außer-
ordentlich gesteigert. Die Wiesen sind vorzüglich, daher ist die Rind-
vieh- und Schafzucht ausgezeichnet. Die englischen Pferde sind be-
rühmt. In den Meeren und Flüssen werden eine Menge Fische
gefangen, und das Mineralreich liefert Blei, Eisen, vorzügliches
Zinn und eine Menge Steinkohlen. Das Fabrikwesen steht in höch-
ster Blüthe, und der englische Handel verbreitet sich über alle Länder
der Erde.
London.
Wer hat nicht schon von der ungeheuren Weltstadt London ge-
hört! Wohl nirgends aus der Erde wohnen auf einem so gedrängten
Raume so viele Menschen beisammen, als hier; denn diese Stadt
beherbergt beinahe dritthalb Millionen Einwohner, also weit mehr,
als das Königreich Württemberg mit all' seinen Städten, Dörfern
und Flecken, und mehr als das Königreich Hannover, das doch
700 Q.M. groß ist. Die Stadt hat eine Länge von 8 Stunden
und ist 2 Meilen breit. Diesen Raum bedecken 300,000 Häuser,
317
und diese bilden nicht weniger als 14,000 Straßen und Gassen.
Damit ihr euch nun auch recht in diese großartigen Verhältnisse
hinein denken könnet, so will ich euch dieselben etwas umständlicher
beschreiben.
Der Fremde, der etwa nach London kommt, hat für's Erste
die Wahl unter 600 großen Gasthöfen, wo er wie ein Fürst
wohnen kann und auch fürstlich bedient wird, aber auch fürstlich be-
zahlen muß. Gefällt ihm dieses nicht und lvill er etwa sein Geld
sparen, so kann er in einem von den vorhandenen 750 andern
Wirthshäusern Quartier nehmen. Will er unter Tags eine Tasse
Kaffee oder Thee zu sich nehmen, so bieten 800 Kaffeehäuser Ge-
legenheit dazu. Hat er Lust, ein Glas Bier zu trinken, das übri-
gens hier von ganz eigener Beschaffenheit ist und dem Deutschen
nicht sehr mundet, so kann er ebenfalls mit sich darüber zu Rathe
gehen, in welches von den vorhandenen 5300 Bierhäusern er
eintreten will. Hat Jemand das Unglück krank zu werden, so hat er
wieder die Wahl, welchen von 14,000 Aerzten oder Wundärzten
er rufen lassen will. Für Erziehung und Unterricht sorgen 4000
Schulen, und wer Bücher kaufen will, findet bei 800 Buchhänd-
lern Gelegenheit dazu. Unter 300 Kirchen ist die Paulskirche die
schönste. Das Innere derselben ist im erhabensten Style gebaut.
Vier Kuppeln wölben sich, wie vier aneinanderhängende Tempel, um
den viel höhern mittlern Dom, der auf die prächtigste Weise aus-
geschmückt ist. Die Bank, wo die großen Geldgeschäfte abgemacht
werden und worin Massen von gemünztem Gold und Silber liegen,
ist ein sehr einfaches, aber schönes Gebäude. Viele andere schöne
Gebäude können wir hier, ohne weitläufig zu werden, nicht einmal
nennen. Zu den besondern Merkwürdigkeiten der Stadt gehört auch
der Tunnel, ein 1300 Fuß langer Weg, der unter der Themse
hindurch führt und statt einer Brücke dient. Die Herstellung des-
selben hat 6 Millionen Gulden gekostet.
Das Kapital, welches die hiesige Handelswelt im Umlauf hat,
wird auf 2000 Millionen Gulden geschätzt. Die Stadt hat 5000
eigene Schiffe, und jährlich laufen in den Hafen, worin sich oft
1000 Schiffe zugleich befinden, mehr als 13,000 Schiffe ein; zu-
dem fahren 40,000 Wagen mit Kaufmannsgütern ab und zu, und
eine Menge Waaren werden durch die nirgends so Vortheilhaft ein-
gerichteten Eisenbahnen versendet.
Nebst London müssen wir auch noch die großen Fabrikstädte
Liverpool, Manchester, Birmingham und Bristol anführen, wo
man für alle erdenklichen Industriezweige die großartigsten Einrich-
tungen trifft.
In Schottland ist Edinburg (200) die Hauptstadt. Die Neu-
stadt ist sehr schön gebaut; die Altstadt hat aber, wegen der 10 bis
318
12 Stockwerke hohen Häuser, finstere Straßen. Größer und schöner
ist Dublin, die Hauptstadt Irlands, das fast ganz von Katholiken
bewohnt ist.
0. Norde nropa.
Dänemark.
Größe mit Holstein 1040 Q.M. und 2>/z Mill. Ew.
Dänemark mit den deutschen Herzogthümern Schleswig und
Holstein hat einen fruchtbaren Boden, gute Viehzucht und treibt be-
deutenden Handel. Das Skagerack, das Kattegat, den großen
und kleinen Belt und den Sund haben wir schon durch die Be-
schreibung von Europa im Allgemeinen als Wasserstraßen zur Ver-
bindung der nördlichen Meere mit der Ostsee kennen gelernt. Am
Sund liegt die schöne Hauptstadt Kopenhagen (126).
»Zum Königreich Dänemark gehören auch die Faröer-Inseln,
sowie die weit entlegene Insel Island, welche so groß ist, als
Bayern, aber nur 70,000 Einwohner zählt, die trotz ihrer Armuth
vielen Werth auf den Unterricht ihrer Kinder legen. Die Insel
enthält 13 Vulkane, unter welchen der Hekla der bedeutendste ist.
Merkwürdig sind die Geiser oder heißen Quellen, die ihr Wasser
nach kurzen Pausen thurmhoch in die Höhe treiben.
Zunehmende Verminderung der Ostsee.
Es gehört zu den auffallendsten Erscheinungen rücksicht-
lich der Veränderungen, die sich auf unserem Erdkörper er-
geben , dass der Wasserstand der Ostsee seit lange her auf-
fallend niedriger geworden ist. Die alte Behauptung, dass sich
die Gewässer der Ostsee fortwährend vermindern und das feste
Land sich dagegen immer weiter ausdehne, wird durch die
neueren Beobachtungen vollkommen bestätigt Die Stadt Piteä,
die vor einigen Jahrzehnten noch hart am Meere lag, ist jetzt
3/4 Stunden von demselben entfeint. Zu Anfang unseres Jahr-
hunderts icar Luleä noch ane Seestadt; jetzt liegt sie eine
halbe Stunde landeinwärts. Die alte Stadt Lowisa, früher
einer der besten Ostseehäfen, liegt jetzt 1l/i Stunden vom Strande,
wie dieses auch bezüglich mehrerer Ortschaften, die früher am
Seeufer lagen, jetzt der ball ist.
W enn wir nun auch nicht mit dem Naturforscher Linné
glauben wollen, dass die Ostsee in 2000 Jahren gänzlich ver-
schwunden seyn werde, so bestätigen doch die neueren Erschei-
319
nungen, welche ganz mit den älteren übereinstimmen, dass der
Grund dieses Meeres beständig höher steigt und dessen Wasser-
masse sich in demselben Verhältniss vermindert; auch iverden
die sich in die Ostsee er giessenden Ströme immer seichter, die
an derselben liegenden Höfen versanden mehr und mehr und
werden demnach allmählig für die Schiffahrt unbrauchbar.
Den Angaben mehrerer Naturforscher zufolge ereignen sich
gleiche Erscheinungen am häufigsten in den dem Nordpol am
nächsten gelegenen Gegenden. Als Beweis kann man anführen,
dass vor 1500 Jahren Skandinavien noch eine lnseT
war. dass damals Finnland noch unter Wasser stand, und so
die Ostsee mit dem weissen Meere und mit dem Eismeer un-
mittelbar zusammenhing. (R. nach dem Pf.-M.)
Schweden und Norwegen.
Beide Länder sind hinsichtlich ihrer Bevölkerung Bayern gleich,
sind aber zehn Mal größer als dieses. Sie bilden eine ungeheuer
lange Felsenmasse, mit einem von Süden nach Norden lausenden
Gebirgsrücken, den man das Kiölxn- oder Tschölengebirg
nennt. Das Land hat viele Seen und Flüsse, welch letzteren hier
Elsen genannt werden, wie z. B. Göthaels, Dal elf, Umea-
elf u. s. w.
Die Landesprodukte bestehen hauptsächlich in Fischen, Holz und
gutem Eisen und Kupfer. In einzelnen Gegenden hält man Rind-
vieh, im Norden aber nur Rennthiere. In den Wäldern giebt es
Elennthiere, Bären, Wölfe, Hirsche, Eber und wildes Geflügel.
Der Winter dauert in diesen Gegenden 8 bis 9 Monate lang,
woraus, ohne Frühling, ein sehr heißer Sommer folgt, und dieser
bringt während eines Zeitraums von 3 Monaten alle Früchte zur
Reise. Inl Norden, wo der längste Tag. 2 bis 3 Monate dauert,
ist im Sommer die Sonne immer sichtbar, in der Mitte des Win-
ters giebt es dagegen nur Nachmittags eine schwache Dämmerung.
Stockholm (90), die Residenz- und Hauptstadt am Mälarsee,
hat schöne Häuser und Straßen, die der gutgelegenen Stadt ein
herrliches Ansehen geben. Vor dem Hafen liegen gegen 5000 Fel-
seninseln, die zur Befestigung der Stadt benützt sind. Christiania
ist die Hauptstadt und der Sitz des Statthalters von Norwegen.
Die Kälte am bothnischen Meerbusen.
Die Stadt Tornea, érzahlt ein französischer Reisender, bot bei
unserer Ankunft am 30. Dezember einen höchst schauerlichen An-
blick dar. Ihre kleinen Häuser waren bis an die Dächer in Schnee
320
begraben, der das Tageslicht, wenn es um diese Zeit überhaupt sol-
ches gegeben hätte, gänzlich hätte ausschliessen müssen. Der be-
ständig fallende Schnee verbarg meistentheils die Sonne, selbst in den
wenigen Augenblicken, wo sie sich Mittags über den Horizont er-
hoben hatte. Im Januar stieg die Kälte zu solcher Höhe, dass das
Thermometer, welches bei uns selten auf 26 Grad fällt, 37 Grad
unter dem Gefrierpunkt zeigte und der Weingeist gefror. Oefineten
wir die Thür eines warmen Zimmers, so verwandelte die äussere
Luft die innere augenblicklich in Schnee, der sich in weissen Wir-
beln herumdrehte. Wenn wir herausgiengen, hatten wir eine Em-
pfindung, als ob die Luft uns die Brust zerreissen wollte. Das Bre-
chen und Krachen des Holzes, aus welchem die Häuser gebaut sind,
setzte uns beständig wegen Zunahme der Kälte in Unruhe, weil die
Heftigkeit derselben es zerspalten zu wollen schien. Die Strassen
waren so leer, als wenn die ganze Stadt ausgestorben wäre. In
dieser Gegend sieht man oft Verstümmelte, die der Frost um einen
Arm oder ein Bein gebracht hat. Die Kälte wächst bisweilen so
plötzlich, dass sie denen, die ihr ausgesetzt sind, häufig den Tod
bringt. Nicht selten erheben sich auf einmal Stürme mit Schnee,
welche schreckliche Verheerungen in ihrem Gefolge haben. Die Winde
scheinen dann aus allen Weltgegenden zu wehen, und treiben die
Schneeflocken mit solcher Wuth umher, dass man nicht weiss, ob sie
von unten oder oben kommen, und im Augenblicke sind die nächsten
Gegenstände von einer undurchdringlichen Schneewolke eingehüllt.
Wehe dem, der von einem solchen Sturm auf den Feldern überfallen
wird! Seine Bekanntschaft mit der Gegend oder mit den Kennzeichen,
die er von den Bäumen hergenommen haben mag, kann ihm ¡Nichts
helfen. Er wird vom Schnee irre geführt, und jeder Augenblick,
jeder Schritt kann ihm den Tod bringen. (R. nach dem Pf.-M.)
Die Haushaltung der Lappländer.
Die Lappländer, welche das nördliche Schweden bewohnen,
sind ein Volk von sehr verkümmertem Wüchse, denn sie werden durch-
gängig nur zwischen 4 und 5 Fuß hoch. Sie wohnen in Zelten
von 6 bis 8 Fuß Hohe, die mit grober Leinwand oder mit Renn-
thiersellen bedeckt sind und an einer Seite einen Schlitz haben, durch
welchen man aus- und eingeht und der gewöhnlich von einer Renn-
thierhaut bedeckt ist. Blicken wir in ein solches Zelt hinein! —
Der Boden ist mit laubigen Birkenreisern bestreut, auf denen meh-
rere Rennthierhäute ausgebreitet sind. Der Hausvater und ein Paar
Kinder nebst drei jungen Hunden liegen auf dem Boden und scheinen
zu schlafen; die Frau aber steht an einem Kessel, der über einem
lustig brennenden Feuer in der Mitte der Hütte hängt und scheint
321
zu untersuchen, ob der Inhalt des Kessels, einige Stücke Rennthier-
fleisch und einige gedörrte Fische, hinlänglich gekocht seien. An einem
Querbalken hängt an zwei Stricken ein enges Säckchen, in welchem
ein kleines Kind bis an den Hals steckt und das die Mutter von
Zeit zu Zeit durch einen sanften Druck mit der Hand in eine schau-
kelnde Bewegung versetzt, um es in Schlaf zu bringen. Auf einigen
Querstangen in der Höhe stehen Käse zum Trocknen, und die Stan-
gen, welche das Gerippe der Hütte bilden, sind überall mit getrock-
neten Fischen und mit Rennthierfleisch behängen, das von der Menge
des Rauches, der sich zuerst überall in der Hütte verbreitet und
dann langsam durch eine Oeffnung in der Höhe hinauszieht, hin-
länglich durchräuchert wird.
Jetzt erwachen unsere Schläfer am Boden nach und nach. Der
Vater richtet sich auf, nimmt mit einem großen hölzernen Löffel
einen Fisch und ein Stück Rennthierfleisch aus dem Kessel heraus
und verzehrt beides mit großer Fertigkeit, worin er jedoch seine
Kinder und seine Frau, die desgleichen thun, nicht um Vieles über-
trifft. Die Ueberreste erhalten die Hunde.
Nach geendigter Mahlzeit tritt der Lappe aus der Hütte heraus
und läßt einen scharfen, gellenden Pfiff hören, worauf eine große
Heerde von Rennthieren, begleitet von mehreren Hunden, herbeieilt,
um gemolken zu werden, wobei die ganze Familie Hand anlegt.
Ist dies Geschäft vorüber, so werden die Hunde mit Milch und
Fleisch gefüttert', und die Thiere lagern sich um die Hütte her, bis
sie nach einigen Stunden der Hunger wieder auf die Weide treibt,
wobei sie beständig von den Hunden bewacht und gehütet werden.
Die Nahrung dieser nützlichen Thiere, die unsern Hirschen an Ge-
stalt sehr ähnlich sind, besteht aus Flechten und Moos, das sie mit
ihren Husen und Geweihen selbst unter dem tiefsten Schnee hervor-
scharren. Ohne selbst einer besondern Pflege zu bedürfen, versorgt
das Rennthier den Bewohner nördlicher Gegenden mit Allem, was
er nöthig hat. Er ißt sein Fleisch, trinkt seine Milch, und seine
Haut liefert ein gutes Pelzwerk, in das er sich kleidet, auf dem er
schläft und mit dem er seine Hütte bedeckt; die Sehnen dienen als
Zwirnfaden zum Nähen, und aus den Knochen schnitzt man Ge-
räthschaften.
Das Eismeer.
Man -denkt sich das Eismeer gewöhnlich als eine ebene,
ruhige Eisfläche, auf welcher es sich, die grimmige Kälte, die
dort herrscht, abgerechnet — ganz gefahrlos und sicher umher
wandeln lasse. Ganz anders berichten uns diejenigen Reisen-
den, die entweder auf den Walfischfang oder auf dieSee-
Reiser, der Volksschüler i. d. Oberklasse. 21
322
hundsjagd nach den nördlichen Küsten Europas schif[ten1
oder auf Entdeckungsreisen sich so weit als möglich auf das
Eismeer hineinwagten.
Aus weiter Ferne schon erblickt der Seefahrer meilengrosse,
thurmhohe, schwimmende Eismassen} schimmernd und strahlend
im Sonnenlichte, und der. Anblick derselben müsste ihm einen
hohen Genuss gewähren, wenn er keine Gefahr von diesen
schwimmenden Inseln zu fürchten hätte. Aber schrecklich ist das
Loos eines Schiffes, das zwischen zwei sich einander nähernde,
grosse Eismassen geräth, es wird zerquetscht und ist verloren,
wenn die umher treib enden Eisberge auf ihrem Zuge zusammen
stossen. Daher ist auch die Fahrt auf dem Eismeere so ge-
fahrvoll, und selten wagt sich ein Schiff so weit auf dasselbe
hinein, als es sonst geschehen könnte.
Immer weiter gegen Norden starren dem kühnen Seefahrer
feste Eisberge von ungeheurer Ausdehnung, gleich zackigen, oft
weit überhängenden Felswänden, entgegen. Schaaren weisser
Sturm- uqd Eisvögel flattern um sie her. Unter entsetzlichem
Krachen stürzen nicht selten die riesenhaften Gipfel dieser Eis-
felsen in das Meer und verursachen dadurch eine so heftige
Bewegung desselben, dass die plötzlich entstandenen Wellen
Kähne verschlingen und selbst für grosse Schiffe in beträcht-
licher Entfernung gefährlich werden.
' Gerade hier, wo man es am allerwenigsten vermuthet, ist
die Natur wunderbar thätig. In der kürzesten Zeit führt sie
die merkwürdigsten Bauwerke auf. Neben den unförmlichsten
Eisklumpen entstehen unendlich scheinende Reihen von kolos-
salen Säulen, die im Sonnenlichte wie Diamanten und Smarag-
den blitzen. Brücken wölben sich hoch in der Luft von Gipfel
zu Gipfel der eiszackigen Berge; schimmernde Gewölbe, von
mächtigen Pfeilern getragen, bedecken die Eingänge ungeheurer
Grotten und Höhlen, deren Inneres nie ein menschlicher
Fuss betrat; funkelnde Thürme erheben sich in der Ferne und
lassen die grossartigsten Städte dort vermuthen, wo man im
Nahen immer wieder die oft gesehenen Eiszacken findet, die
vielleicht im nächsten Augenblicke ihre Pracht unter lautem
Krachen und Donnern im Meere begraben. Alles Leben scheint
aus der Natur verschwunden, nur Se ehunde und Walrosse
lagern sich bisweilen in grossen Heerden auf den Eisfeldern,
schlafen auch wohl am Strande und werden sowohl von Eis-
bären, deren Aufenthalt diese Gegenden sind, als auch von
Robbenschlägern eifrig verfolgt. (r. nach dem Pf.-M.)
323
E. Osteuropa.
Rußland mit Polen.
Rußland, das größte und mächtigste Reich in Europa, umfaßt
mit Polen einen Flächenraum von 100,000 Q.M. mit 62 Millionen
Menschen. Rechnet man hiezu die dreimal so großen russischen Be-
sitzungen in Asien und-Amerika mit 5 Millionen Einwohnern,
so beherrscht Rußland gegenwärtig V? der ganzen bewohnten Erde;
denn Sibirien ist für sich schon um 100,000 Q.M. größer, als
unser ganzer Erdtheil.
Das europäische Rußland ist größtentheils Flach- und Tief-
land mit waldlosen Torfmooren im Norden und weiten Steppen
im Süden. In der Mittendes Landes finden sich Wälder, Getreide-
felder und Wiesen. An der Ostgrenze erstreckt sich das 300 Meilen
lange Uralgebirge; an der Südgrenze lagert der Kaukasus mit
16,000 Fuß hohen Gipfeln. Von den Flüssen sind die Wolga, der
Ural, der Don und der Dnieper die bedeutendsten.
Daß es im nördlichen Rußland sehr kalt ist, läßt sich wohl
denken. Gegen das Eismeer hin herrscht eine solche Kälte, daß die
Erde dort Nichts mehr als Moos und niedriges Gesträuch her-
vorbringt. Schon über Petersburg hinaus kommt das Getreide
nur in heißen Jahren zur Reife. In Südrußland dagegen ist es
sehr warm, und es giebt dort eine Menge von Getreide, Garten-
und Baumfrüchten, Wein und Tabak. Die Lebensmittel sind daher
dort gewöhnlich sehr wohlfeil. Die Flüsse, Seen und Meere liefern
Fische im Ueberfluß, und in den Wäldern giebt es Rennthiere, Elenn-
thiere, Zobel, Hermeline und andere Iagdthiere, darunter auch Bären
und Wölfe. Die Bergwerke im Ural liefern Gold, Platina, Silber,
Kupfer und Eisen; auch fehlt es nicht an Salz und Marmor.
Petersburg, Europa's regelmäßigste Stadt mit einer halben
Million Einwohner, ist die Hauptstadt des großen CzarenreicheS
und zugleich einer der wichtigsten Verkehrs- und Handelsplätze Euro-
pas. Sie gewährt mit ihren vielen Palästen einen herrlichen An-
blick. Die alte Hauptstadt ist Moskau mit der alten Residenz der
Ezaren, dem Kreml, mit mehreren Schlössern und Kirchen. Hier
findet man die größte Glocke in der Welt, 19 Fuß hoch und 20 Fuß
weit, mit einem Gewichte von 4300 Zentnern.
Der Großrusse in Kleinrußland.
Der größte Theil von Rußland, mit Moskau in der Mitte,
wird Großrußland genannt, während die Gegend von Kiew und
324
Pultawa die Ukraine oder Kleinrußland heißt. Diese Provinz
hat einen äußerst fruchtbaren Boden, herrliche, mit Rindvieh und
Schafheerden bedeckte Weiden und wird größtenteils von Kosaken
bewohnt.
Um des fruchtbaren Bodens willen siedeln sich nun auch manche
Großrussen hier an; allein dieses Land ohne Wald will ihnen-in
die Länge nicht gefallen, und die große Hitze, die hier herrscht, ist
ihnen weit unerträglicher, als die nordische Kälte. Ein Reisender
traf einst einen solchen Ansiedler in den südlichen Steppen und fragte
ihn, wie es ihm da gefalle. „Ach, Herr," antwortete er, „wem
kann es hier gefallen?" — „Ist denn euer Rußland besser?" fragte
der Reisende weiter. „Unser Rußland, unser Rußland! Warum
sollte es nicht besser seyn! Dort ist von Allem Etwas; hier ist
von Allem Nichts. In Rußland ist das Brod besser, das Land
besser, die Häuser besser, der Schnee besser, der Sommer, der
Winter und alle Jahreszeiten sind besser. Da sind Berg und Thal,
Wald, Wiese, Brunnen, Quellen, Flüsse — Alles in Fülle; Alles
wechselt ab, und Alles ist schön! Im Lande fließen schöne, große
Ströme und vor allen die herrliche Mutter Wolga mit ihren
Kindern. Die Wälder sind groß und prächtig. Die Eichen, die
Linden, Buchen, Tannen und Fichten — alle reichen bis zum Him-
mel. Und in den Bäumen singen Vögel von jeder Art, der Eine
so, der Andere so!" (Hier pfiff er gleich verschiedenen Vögeln.)
„Ach, und in den Wäldern welche Luft voll Wohlgeruch!" (Dabei
fächelte er sich Luft zu und athmete sie begierig ein, als ob es
Veilchenduft wäre.) „Und wie nahe dir das Alles! Sieh', hier ist
deine Hausthüre; du machst sie auf, trittst hinaus und bist gleich
mitten im Walde." (Hier faßte er mich an, als wäre ich die Haus-
thüre; er aber gieng an mir vorbei, einige Schritte in das Gras
hinein, als wenn es der Wald wäre.) „Welche herrliche Musik im
Walde!" fuhr er fort, „und wie die Sonne durch die Blätter
scheint! Und im Grase des Waldes blühen und reifen allerlei Bee-
ren um dich her: Erdbeeren, Herr, kleine, süße Himbeeren und
Brombeeren von jeder Art, Herr, so viele, als du nur wünschen kannst.
Du kannst dich niederlegen, wo du nur willst, und rund um dich
her pflücken, und du stehst nicht anders als satt wieder auf." (Da-
bei warf er sich in's Gras und rupfte rund umher die Halme, als
wenn'es Erdbeeren wären. Es fehlte wenig , so hätte er noch ge-
gessen, blos um mir zu zeigen, wie gut die russischen Erdbeeren
schmecken.)
„Auch Pilze sind in Rußland," fuhr er fort, „Pilze von allen
Sorten und in großer Menge. Man füttert bei uns die Schweine
damit; doch giebt es auch schöne Arten für die Menschen. Gras
und Heu, das ist noch das Einzige in diesem Steppenlande; überall
325
Gras und Nichts als Gras. Und selbst das Einzige, was sie haben,
wie schlecht ist es! Holzig, struppig und den größten Theil des
Jahres saftlos und vertrocknet. Bei uns giebt es auch Gras, aber
hoch bis zu meiner Bartspitze; — und was für Gras! Grünes,
saftiges, süßes; die Kühe werden ganz fett davon und so — so dick.
Seht, und in dem Allem mitten drin unser Moskwa, die präch-
tige, heilige Stadt mit tausend grünen Kirchenkuppeln und hundert
silbernen und goldenen Thurmspitzen! O, Rußland ist gewiß das
erste und beste Land weit und breit. Wenn wir jetzt in Rußland
wären, wie würden wir schön spazieren, bald an einem Bache, bald
in einem Gehölze und bald durch ein Dorf! Und hier müssen wir
mehrere Stunden, wie die Wachteln, schnurstracks im Grase hin-
streichen, bis wir unser HauÄ erreichen. Ueberall Gras und Ge-
strüppe! Die Sonne brennt uns auf den Kopf, und kein Baum
giebt uns Schatten; kein Hügel schützt uns gegen den Sturm, und
wenn uns auch die Zunge am Gaumen klebt, der Boden giebt uns
keine Beere zur Erfrischung."
Die übrigen Erdtheile.
Asien.
800,000 Q.M. und 550 Mill. Ew.
Asien, der größte Erdtheil, reicht vom Eismeer bis an den
Aequator und enthält also die kältesten und wärmsten, die er-
giebigsten und unfruchtbarsten Länder. In den nördlichsten Gegen-
den herrscht eine Kälte, bei welcher schon im September das Queck-
silber gefriert, eine Kälte, die nur der Mensch, der Eisbär und
einige andere Pelzthiere aushalten.
Die Hauptprodukte dieses Erdtheils sind an Mineralien: Eisen,
Magnetsteine, Kupfer, Blei, Gold und Silber (im Altai) und Salz.
Das Pflanzenreich liefert im Süden die edelsten Früchte, die feinsten
Gewürze und die schönsten Blumen. Hier flnden wir auch die
merkwürdigsten und stärksten Thiere, wie z. B. Elephanten, Büffel,
Löwen, Tiger, vielerlei Affen, Krokodile, Riesen- und Klapperschlan-
gen und eine Menge von andern Thieren, vor' denen man stets aus
der Hut seyn muß.
Wir wollen nun die wichtigsten Länder dieses Erdtheils auf-
zählen und mit ihren Hauptstädten auf der Karte aufsuchen.
1) Da liegt ein Land, welches anderthalb Mal so groß ist,
als ganz Europa und den ganzen Norden von Asien einnimmt. Es
heißt Sibirien und gehört zu Rußland, das seine Staatsverbrecher
326
hieher in die Verbannung schickt. Wegen seinem rauhen und kalten
Klima ist das Land nur von dritthalb Millionen Menschen bewohnt.
Die bedeutendsten Städte sind Tobolsk und Irkutsk. Südlich von
diesem Land liegt
2) China, wozu auch Tübet, Turfan, die Mongolei und
Mandschurei gehören. Es ist nach Rußland das größte Reich der
Erde, übertrifft aber dasselbe weit an VolksZahl; denn es enthält an
300 Millionen Einwohner, also beinahe ein Drittheil der ganzen
Menschheit. Unter 1600 Städten, die das Land enthält, ist die
Hauptstadt Peking dkd größte, denn sie hat so viele Einwohner,
als London.
3) Japan, ein großes, ans lauter Inseln bestehendes Reich,
hat Jeddo zur Hauptstadt, welche fast so groß ist, als Peking.
Die Japanesen sollen nach Berichten von Reisenden Ackerbau und
Viehzucht, sowie verschiedene Gewerbe und Künste sehr gut verstehen
und betreiben.
4) Hinter- und Vorderindien, gemeiniglich Ostindien genannt,
sind zwei große, dichtbevöllerte Länder, von welchen ein großer Theil
den Engländern gehört. Nebstdem enthält Hinterindien auch
das Birmanenreich und die Kaiserreiche Anam, Siam und Ascham.
Im Norden ist die Himelayakette mitten: 26,000 Fuß hohen
Dhawalagiri, dem höchsten Berg der Erde.
5) Turan oder die Bucharei wird von Hirtenvölkern oder No-
maden bewohnt und von einem Chan beherrscht, der zu Buchara
seinen Sitz hat. >
6) Persien oder Iran, einst unter Cyrus ein mächtiges Welt-
reich, hat Teheran zur Hauptstadt, worin der Schach oder Regent
des Landes wohnt.
7) Arabien ist ein großes Land, das im Süden sehr frucht-
bar ist, sonst aber mehrere große Wüsten enthält. Es ist das Vater-
land des Kaffee's, des Balsams, der Kamecle und Dromedare und
die Heimat der schönsten und flüchtigsten Pferde. Nach den Städten
Mekka und Medina, in welch letzterer Muh am ed begraben liegt,
wallfahrten die Muhamedaner sehr häufig. In der Wüste liegen
die Berge Sinai und Horeb.
8) Die asiatische Türkei enthält folgende Länder^
a") Kleinasien oder Natolien mit der Hauptstadt Smyrna;
d) Armenien mit der Stadt Erzerum und dem Gebirge Arra-
rat, auf dem Noah's 'Arche stehen blieb;
c) Mesopotamien und Kurdistan mit den Städten Mosul
und Bagdad und den Ruinen von Ninive und Babylon;
6) Syrien mit den Städten Antiochien und Aleppo.
Zu diesem Lande gehört auch 'das gelobte Land oder
327
Palästina.
Canaan, wie dieses Land in alter Zeit hieß, zählte in seiner
Blüthezeit auf 450 Q.M. 5 Millionen Menschen. Unter seinen
Gebirgen ist der Libanon seiner Cedern wegen berühmt. Sein
10,000 Fuß hoher Gipfel ist 10 Monate des Iähres hindurch mit
Schnee bedeckt. Ein anderer merkwürdiger Berg ist der Karmel,
der als ein Vorgebirg in das Mittelmeer hinaus ragt und in dessen
Höhlen die Propheten Elias und Elisäus wohnten. Das Land
wird der Länge nach vom Jordan durchströmt, der vom Libanon
kommt, den 7 Q.M. großen See Tiberias, Genesareth oder das
galiläische Meer durchfließt und im Süden in das todte Meer
mündet. — Dieses für uns so merkwürdige Land, worin unser Heil
gegründet und das große Werk unserer Erlösung vollbracht wurde,
war damals in folgende vier Provinzen eingetheilt:
1) Galiläa. Hier ist uns vor Allem Nazareth / als die
Vaterstadt Jesu, merkwürdig. Hier wurde seine Geburt der heiligen
Jungfrau durch den Engel verkündigt, und hier brachte der Erlöser
feine Jugcndjahre zu. Die Stadt liegt auf einem Berge, hat ein
geräumiges Kloster und zählt 10,000 christliche Einwohner. Sie ist
12 Meilen von Jerusalem entfernt.
An den Ufern des Sees liegt die Stadt Tiberias und fast
ganz im Norden Eapernaum, wo Jesus sich besonders gerne auf-
hielt und lehrte. Zwischen beiden liegt Magdala, der Geburtsort
der Maria Magdalena, und nördlich von da finden wir das Fischer-
dorf Betbsaida, in welchem die hl. Apostel Petrus, Andreas, Phi-
lippus, Johannes und Jakobus geboren wurden. Hier an den
Ufern des lieblichen Sees und in feiner Umgegend ist gleichsam der
Vorschauplatz des großen Erlösnngswerkes. Ueberall begegnet der
Reisende hier Stellen und Punkten, die ihm durch das heilige Evan-
gelium ehrwürdig geworden sind. Hier ist die Stelle des großen
Fischzugs; auf jenem Hügel hielt der göttliche Lehrer die Berg-
predigt; dort speiste Er das Volk, und auf dem Berg Tabor, der
sich zwischen Nazareth und Tiberias erhebt, wurde Er verklärt und
zeigte sich den entzückten Jüngern in seiner Herrlichkeit. Nördlich
vom Tabor erblicken wir Cana, die Vaterstadt des Apostels Si-
mon, wo Jesus seiitz erstes Wunder verrichtete, und südlich liegt
Nain, wo Er den Sohn der Wittwe vom Tode erweckte. Blicken
wir über die nördlichen Grenzen des Landes hinaus, so finden
wir am Ufer des Meeres die ehemaligen Hauptstädte Phöniziens:
Tyrus und Eydon, jetzt Sur und Said genannt und sehr un-
bedeutend. Zwischen beiden liegt Sarepta und mehr im Norden
die Handelsstadt Beyrut.
328
2) Samarla. Die Samariter wurden wegen ihrer Verbin-
dungen mit heidnischen Familien von den Juden gehaßt und ver-
achtet. Sie hatten deshalb ihren eigenen Tempel auf dem Berge
Garizim. Ihre Hauptstadt Samaria hatte eine Stunde im Um-
fang und lag aus einem Berge. Als die Einwohner durch Alexan-
der den Großen aus der Stadt vertrieben wurden, machten sie
Sichem, welches im alten Testament Sichar und jetzt Nablos
heißt, zur Hauptstadt. In der Nähe liegt Josephs Grab und der
Iakobsbrunnen, bei welchem Jesus mit der Samariterin sprach.
In Silo, drei Meilen von Sichem, befand sich drei Jahrhunderte
lang die Stiftshütte.
3) In Judäa finden wir die Hauptstadt Pal ästin a's, Je-
rusalem, die heilige Stadt, den Schauplatz des Erlösungswerkes
und des Opfertodes, den der Gottmensch für die sündige Mensch-
heit erlitt/ Die Stadt zählte damals 200,000 Bewohner und be-
herbergte zur Zeit des Osterfestes oft eine Million Menschen in
ihren Mauern. Sie.lag theils an, theils auf dem Berge Zion
und drei andern Hügeln und war mit einer dreifachen Mauer um-
geben, von welchen die erste durch 60, die zweite durch 14, und die
dritte durch 90 Thürme beschützt war. Aus Zion lag die Burg -
David's, der Palast drs Hohenpriesters, die Hauptwache und
das Staatsgefängniß; der Palast Salomon's zierte die untere
Stadt, und der Tempel schmückte den Berg Moria und war durch
einen unterirdischen Gang mit der Burg Antonia verbunden. Auf
der Ostseite der Stadt liegt der Oelberg.
Das jetzige Jerusalem ist nur ein Schatten seiner ehemaligen
Größe, und doch betritt jeder christliche Pilger die Stadt mit der
größten Ehrfurcht; denn er betritt den Staub, auf dem ehemals
sein Erlöser gewandelt. Sein Blick und sein Gang ist vor Allem
nach der Kirche des heiligen Grabes gerichtet, welche die hei-
ligste Stelle der Welt, — den Ort und die Erde umschließt, die
des Erlösers Blut trank, als er starb für die Sünden der Mensch-
heit! — Eine eigene Kapelle in dieser Kirche, worin beständig 200
Lampen brennen, schließt das Felsengrab ein, in welchem der Leich-
nam des Heilandes geruht hat. Auch außer der Kirche zeigt man
dem Pilger noch viele Stellen, welche durch das Leiden Jesu merk-
würdig geworden sind, und er wird es nicht versäumen, auch den
Oelgarten zu besuchen, wo das Leiden des G»tt men scheu begann.
'In dem Flecken Bethanien, nahe bei Jerusalem, wohnte La-
zarus mit seinen zwei Schwestern Maria und Martha. Vier Meilen
weiter östlich lag die Stadt Jericho, die jetzt zu einem unbedeuten-
den Dorf, Namens Ri cha, herabgesunken ist. Zwei Stunden südlich
von Jerusalem liegt das Städtchen Bethlehem mit christlichen Ein-
wohnern. An der Stelle des Stalles, wo einst Christus geboren
329
wurde, steht jetzt eine schöne Kirche, und ihr Hochaltar bezeichnet die
Stelle, wo einst der Herr der Welt in der Krippe lag. Weiter
südlich finden wir bei Hebron das Thal Mamre, wo einst Abra-'
ham wohnte.
4) Die Landschaft Peräa, jenseits des Jordans, bietet wenig
Interessantes für die biblische Geschichte; wenige Stunden aber von
der nördlichen Grenze dieser Landschaft liegt die jetzt gleichfalls zu
Syrien gehörige Stadt Damaskus, welche durch die Bekehrung
des Apostels Paulus merkwürdig geworden ist.
Das wunderbare Feuer zu Baku.
An der westlichen Küste des kaspischen Meeres liegt in einer
herrlichen Gegend, die seit alter Zeit wegen ihrer N ap h ta-Q u eil en
berühmte Stadt Baku. Das Naphta oder Berg öl Hiesst in dieser
Gegend an mehreren Orten in kleinen Quellen aus der Erde und ist
im reinen Zustande weiss von Farbe, sehr leicht und flüchtig und
höchst entzündbar. An mehreren Stellen dieser merkwürdigen Gegend
sieht man gelbbläuliche Flammen auf der Erde, die zur Nachtzeit um
Vieles grösser erscheinen, als am Tage. Ringsumher wohnen feuer-
anbetende Indianer (Gueber) in kleinen Wohnungen, die aus Steinen
oder Lehm gebaut sind. In jedem dieser Häuser befindet sich eine
kleine Kammer, in welcher eine Öeflhung in der Erde gelassen ist,
durch welche die brennbaren Dünste (oder Gase) aufsteigen und nach
Belieben angezündet werden können. Auch in den Lehmwänden,
welche die kleine Kammer einschliessen, befinden sich solch’ kleine
Oeffnungen, durch welche die brennbaren Dünste in die anstossenden
Gemächer geleitet werden. Gewöhnlich sind diese kleinen Kanäle ver-
schlossen; hat man aber Licht oder Feuer nöthig, so wird eine solche
Röhre geöffnet*und man hält ein brennendes Licht vor dieselbe, wo-
durch sich die herausströmenden Dünste sogleich entzünden und so lange
fortbrennen, bis man die Röhre wieder verschliesst. Will sich Jemand
seinen Kaffee oder eine andere Speise kochen, so wird die Bedeckung
einer Oeffnung in dem steinernen Fussboden aufgehoben, das heraus-
strömende Gas mit einem Lichte oder einem brennenden Stücke Papier
angezündet und der Kessel über die helllodernde Flamme gesetzt.
Ausser diesem Feuer, das gleich einem andern Feuer zündet und
verzehrt, sieht man besonders zur Herbstzeit in der Umgegend von
Baku noch ein anderes, das blos leuchtet. Oft scheint es nämlich,
als ob die Felder umher in hellen Flammen stünden und als ob das
Feuer in grosser Geschwindigkeit von den Bergen herab rolle. In
„warmen, dunkeln Nächten bemerkt man eine unzählige Menge Flammen
auf der Ebene, während die Gebirge dunkel bleiben. Bisweilen er-
füllt dieses Feuer das Lager der durch diese Gegend gehenden Kara-
330
wanen, zum grossen Schrecken der Pferde und Maulthiere. Dieses
Feuer, welches brennendes S ch w e f el w ass e r s to f fg a s zu seyn
scheint, woraus auch unsere Irrwische und Irrlichter bestehen — zün-
det nicht; denn das trockene Schilf und Gras bleibt unversehrt, ob-
gleich die ganze Gegend einem Flammenmeere gleicht.
(R. nach Lichtenberg.)
Afrika.
530,000 L.M, und 150 Will, Lw.
Afrika hängt im Osten nur durch einen schmalen Landstrich,
den man die Landenge von Suez nennt, mit Asien zusammen.
Würde diese durchstochen und das Mittelmeer mit dem rothen Meere
durch einen Kanal verbunden, so wäre Afrika eine Insel, und die
Europäer dürften nicht inehr diesen ganzen Erdtheil umschiffen, um
nach Ostindien zu kommen. Das Innere dieses Erdtheils ist noch
ziemlich unbekannt, obgleich mehrere europäische, Reisende dasselbe
seit vielen Jahren bereisten und zu erforschen suchten. Leiber haben
sie sich dabei überzeugt, daß in vielen Ländern noch der schmählichste
Sklavenhandel stattfindet, indem die Könige selbst ihre Unterthanen
verkaufen und — was noch schrecklicher ist — bei gewissen An-
lässen sogar ihren Götzen opfern.
Im Süden Afrika's wohnen die Kaffern, Hottentotten
und Buschmänner, und an den Küsten haben sich die Engländer,
Portugiesen und Franzosen angesiedelt. An der Nordküste liegt das
Sultanat Marokko und Fetz, ein sehr schönes und fruchtbares
Land. Die Hauptstadt Marokko, nahe am Atlasgebirge, hat groß-
artige Paläste und Moscheen oder türkische Tempel, schön eingerichtete
Bäder und Wasserleitungen, und in der großen Stadt Fetz treffen
wir das Eigene, daß jedes Handwerk seine eigene Straße hat.
Algier ist jetzt im Besitz der Franzosen, und die Länder Tunis
und Tripoli stehen unter der Herrschaft eines türkischen Pascha's.
Alle diese Staaten wurden früher, wohl nicht mit Unrecht, die
„R a u b st a a t e n" genannt, da sie größtentheils Seeräuberei trieben.
Südlich von diesen Ländern liegt Biledulgerid oder das Dattel-
land, welches an die 600 Meilen lange und 100 bis 200 Meilen
breite Wüste Sahara grenzt.
Eines der wichtigsten afrikanischen Länder ist
Aegypten.
Das ganze Land besteht aus einem einzigen, 112 Meilen langen
Thale, das vom Nil durchströmt wird. ^Dieser Fluß hat das Be-
331 .
sondere, daß er alle Jahre-zu einer gewissen Zeit austritt und das
ganze Land mit seinem Schlamme düngt, wodurch aber auch nicht
selten die Pest erzeugt wird. Nach der Ueberschwemmung wird ge-
säet, und da durch die Hitze, welche hier herrscht, alle Gewächse
schnell wachsen und reisen, so kann man alle Jahre zwei bis drei
Mal erndten.
Aegypten war schon in sehr früher Zeit ein geordneter Staat,
dessen Einwohner Ackerbau trieben, künstliche Bauten aufführten
und die Rechen- und Schreibekunst verstanden; doch schrieben
die Aegypter nicht mit Buchstaben, sondern mit Bildern und
Zeichen, und es war sehr schwer, ihre Schrift zu lesen und zu
verstehen. Von der Beharrlichkeit dieses Volkes in Ausführung
großer Bauwerke geben die Obelisken und Pyramiden Zeugniß,
von welchen wir schon in der Geschichte der Aegypter ausführlicher
gesprochen haben*).
Die Hauptprodukte dieses Landes sind: Reiß, Zucker, Kaffee,
Baumwolle und die Papyrusstaude, nebst einer Menge von Ge-
treide. Hier sind auch die Nilpferde und Krokodile zu Hause. Da
hier viel Geflügel gegessen wird, so werden die Hühner in besonders
dazu eingerichteten Oefen zu Tausenden ausgebrütet und verkauft.
Die jetzige Hauptstadt von Aegypten ist Kairo (260). Sie
hat im Allgemeinen nur geringe Lehmhäuser, und nur die Wohnun-
gen der Vornehmen sind schön. In der Umgegend finden sich viele
Pyramiden und die Ruinen der berühmten alten Hauptstadt Mem-
phis, wo einst Joseph lebte. Bei Luxor sieht man die ungeheuren
Ueberreste des alten Theben, das .einst 100 Thore hatte und mit
. seinen großartigen Bauten das ganze Thal ausfüllte. Alexandria,
einst eine Welthandelsstadt, 30 Mal größer als jetzt, liegt an der
Mündung des Nils und ist auch gegenwärtig noch der Stapelplatz
des auswärtigen Handels.
Südlich von Aegypten liegen die Länder Nubien und Habesch
oder Abyssinien, von Negern mit kohlschwarzer Hautfgrbe, wolligen
Haaren, aufgestülpten Nasen und dicken Lippen bewohnt, wie man
sie im mittleren Afrika gewöhnlich findet. Auf diese armen Men-
schen läßt der Vicekönig von Aegypten manchmal durch seine Sol-
daten förmlich Jagd mache«, um sie entweder selbst als Sklaven
zu gebrauchen oder zu verkaufen.
In diesen Ländern giebt es eine Menge von Löwen, Tigern,
Panthern und Hyänen. Auch der Elephant, das Nashorn, die Zi-
bethkatze, sowie Strauße und Affen sind hier zu Hause.
*) Die Geschichte der Aegypter S. 67 ist hier nachzulesen.
332
Die Sandstürme der Wüste Sahara.
Die Sahara, die grösste aller Wüsten, bedeckt, mit Ausnahme
von Aegypten, Nubien und der Berberei, ganz Nordafrika — einen
Flächenraum von nahezu 100,000 Q.M. — Aus dem unfruchtbaren
Sandboden erheben sich nur höchst selten grüne Plätze, die man
Oasen nennt, und auf denen man Wasser, Weiden und selbst Süd-
früchte findet. Die grössten derselben, wie z. B. Fessan, Darfur
und die grosse Oase sind bewohnt, und werden von grossen Reise-
gesellschaften, die man Karawanen nennt, öfters besucht.
Eine Beise durch die Wüste ist äusserst mühsam und gefährlich,
nicht nur wegen des Mangels an allen Lebensbedürfnissen, auch nicht
blos wegen der Gefahr, von herumschwärmenden Räuberhorden an-
gegriffen zu werden, sondern hauptsächlich wegen den furchtbaren
S a n d s t ü r.m e n, die sich nicht selten in dieser Wüste ereignen und
den Reisenden oft sehr gefährlich werden. Die Leiden und Müh-
seligkeiten einer Karawane während eines solchen Sturmes sind un-
beschreiblich. Der feine Sand der Wüste wird von der Luft mit der
grössten Heftigkeit aufgewühlt; es bilden sich gleichsam Sandwolken,
welche die Sonne verfinstern, so, dass man kaum zwei Schritte vor
sich sehen kann. Dabei steigt die Hitze zu einem unerträglich hohen
Grade; Menschen und Thiere werden vom brennendsten Durst gequält.
Die Pferde lassen die Zunge weit aus dem Halse hängen und bäumen
sich schnaubend. Nur das Kameel erträgt diese Beschwerden und Müh-
seligkeiten noch am leichtesten und bewährt auch hier seine Geduld
und Ausdauer. Der Araber jieunt es daher wohl mit Recht „das
Schiff der Wüste“. Da die Sandwirbel mit beispielloser Schnellig-
keit sich fortbewegen, so ist es mit dem schnellsten Pferde unmöglich,
ihnen zu entkommen. Erhebt sich ein entgegengesetzter Wind, so
ist die Gefahr bald vorüber, wo nicht, so müssen die Reisenden, wenn
die schreckliche Naturerscheinung zu lange anhält, verschmachten oder
ersticken. Im Jahre 1805 fand auf diese Weise eine Karawane von
2000 Menschen den Tod, und die Reisenden stossen häufig auf Ge-
rippe von Menschen und Thieren, welche als grausenerregende Denk-
mäler solcher Unglücksfälle noch halb im Sande begraben liegen.
Amerika.
750,000 Q.M. und 60 Mill. Ew.
Amerika, welches nebst vielen zu Australien gehörigen Insel-
gruppen die westliche Hälfte der Erde einnimmt, reicht vom Süd-
333
me er, 2000 Meilen lang, weit in die nördliche, kalte Zone hinein;
denn Niemand weiß, wo im Norden dieses Erdtheils Grenzen sind,
weil hier Eis und Schnee keine Untersuchungen mehr gestatten. Furcht-
bar ist die Gegend nach den Polen zu; Eis und überall Eis, das sich
alljährlich noch vermehrt. Grönlands Ostküste, die vor Jahrhun-
derten besucht und befahren wurde, ist jetzt mit einem sechs Meilen
breiten Walle von Treibeis umgeben, das sich nach und nach hier
festgesetzt hat. Unübersehbare Eisfelder treiben da und dort umher,
und mit entsetzlichem Krachen reißen sich große Stücke davon los.
Ein solches ungeheures Eisstück, das bei Grönland feststeht, ist
30 Meilen lang, und sein Glanz strahlt, wie der Schein eines Nord-
lichts, mehrere Meilen weit in das Meer hinaus. Häusig findet
-man nicht nur, daß der Wind einzelne Eisschollen aneinander treibtz
ganze Berge davon aufthürmt und Buchten und Bayen damit aus-
füllt, sondern feste, -dichte, 600 Ellen dicke Eisblöcke stehen fest wie
Felsen im Meere da und mögen wohl auf dem Grunde des Meeres
aufsitzen. Sturm und Strömungen treiben oftmals diese gewaltigen
Eismassen gegen andere; sie bersten mit donnerndem Krachen; sie
zermalmen den Walfisch oder das Schiff, das zwischen sie geräth,
wie eine Nußschale und stoßen das Treibholz so gewaltig aneinander,
daß es oft mitten zwischen dem Eise in Flammen geräth. Dieses
Treibholz ist eine unschätzbare Wohlthat Gottes für diese holzarmen
Gegenden. Es wird nämlich durch Stürme von den Küsten und
an den Ufern großer Ströme losgerissen und nach den nördlichen
Meeren Hingetrieben, wo es von den Küstenbewohnern in so großer
Menge aufgefangen wird, daß sie selten Mangel an Holz haben.
Welch ein Winter hier, wo Monate lang die Sonne nicht mehr
aufgeht, wo aber bei heller Luft Mond und Sterne so stark leuchten,
daß man ohne Licht arbeiten kann; wo in den allerkürzesten Tagen
der Mond nicht untergeht; wo die Nordlichter die Nacht in so
hellen Tag verwandeln, daß man ohne Anstrengung dabei lesen
kann! — — Und welch ein Sommer! — Ueber dem 64. Breiten-
grade geht schon die Sonne im Mai nicht mehr unter, und im Julius
wird die Macht der Sonnenstrahlen oft so gewaltig, daß selbst das
Pech schmilzt, womit die Fugen an den Schiffen verstrichen werden.
Man kann sich wohl denken, wie dürftig und verkümmert die
Erzeugnisse einer Gegend seyn müssen, in welcher schon unter
dem 60. Breitengrade alle Dünste in der geheizten Stube gefrieren
und als Eisnadeln und Schneeflocken niederfallen, wenn die Stuben-
thüre geöffnet wird und die kalte Luft von Außen hinein dringt! —
Selbst der Branntwein gerann hier einigen Reisenden in einer Stube,
die mit glühenden 24pfündigen Kugeln geheizt wurde, weil die Ofen-
hitze nicht ausreichte. Hier finden sich nur Walfische, Seehunde,
Walrosse, Stockfische und mehrere andere Arten von Fischen. Von
334
Vierfüßlern giebt es in den nördlichsten Gegenden nur Eisbären
und Eisfüchse. In Grönland giebt es keine Bäume und nur 76
Pflanzenarten, während doch das benachbarte Island schon 300
Arten zählt. Aus der Klasse der Vögel trifft man nur wilde Gänse,
Eidergänse, Adler und Falken, aber keine Singvögel. Es giebt hier
ferner Füchse, weiße Hasen, Hunde, die jedoch nur heulen, aber nicht
bellen, und noch ein hirschähnliches Thier, das ein durch die Kälte
verkrüppeltes Rennthier zu seyn scheint. Auch die Bewohner sind
in diesem rauhen und kalten Klima zwergartig geworden; denn der
Grönländer ist nicht größer, als bei uns ein zwölfjähriger Knabe.
Wohnlicher und milder ist Neuen.qland, ein ungemein großes
Land, welches durch die Basfinsbah und die Davisstraße
von Grönland getrennt ist. Im Süden des Landes liegen fünf
große Seen und der berühmteste Wassersall der Erde. Es ist dies
der Niagara, der bei einer Breite von 4730 Fuß an der höchsten
Stelle 167 Fuß hoch herabstürzt und den Donner seines Falles
meilenweit hören läßt.
Die nordamerikanischen Freistaaten.
Nach diesen Staaten ist gewöhnlich das Trachten der Aus-
wanderer gerichtet, und Hunderttausende unserer deutschen Brüder
haben dort schon eine neue Heimat gefunden. Viele Werden auch
künftig dort ein besseres Loos suchen, als ihnen hier, unverdient
oder durch eigene Schuld, zu Theil wurde. Viele finden sich
am Ziele ihrer Reise schrecklich getäuscht, denn nur Solche, die an
Arbeit und Entbehrungen gewöhnt sind, finden dort ein besseres
Auskommen. Amerika ist ein Land der Mühe und der Arbeit. Man
denke sich einen unermeßlichen Wald, halb so groß als Europa, in
dem die angebauten Landstriche mit ihren Städten und Dörfern,
wie Oasen in der Wüste, zerstreut liegen, und man hat ein rich-
tiges Bild von Amerika im Allgemeinen, obgleich manche Distrikte
sehr wohl angebaut sind, in welchem aber gerade deshalb kein armer
Auswanderer sich niederlassen kann.
In einem Lande, wo heute noch der dichteste Urwald den Bo-
den bedeckt, der dich künftig nähren soll, kannst du gewiß ohne an-
strengende Arbeit kein Fortkommen, viel weniger ein angenehmes
Leben erwarten; wenn du also die Arbeit scheuest und die An-
strengung fürchtest, so betritt es nicht. Willst du dorthin ziehen,
so mußt du den Vorsatz fassen, keine Gefahr zu scheuen, jedem Un-
gemach zu trotzen, allen möglichen Hindernissen entgegen zu streben
und fest nach dem Ziele zu ringen. Kannst du zu einem solchen
Vorsatze dich nicht erheben, so ertrage dein Schicksal und bleibe zu
Hause, und bist du hier so fleißig und sparsam, als du es in Amerika
seyn mußt, so wirst du auch hier dein Fortkommen finden..
335
Die Vereinigten Staaten enthalten größtentheils Ebenen,
welche von einigen dichtbewaldeten Gebirgen durchzogen sind. Der
Boden ist außerordentlich fruchtbar; aber alles kulturfähige Land
in bewohnten Gegenden ist bereits von Spekulanten aufgekauft, die
es nur zu hohen Preisen wieder abtreten.
In den nördlichen Staaten ist der Winter rauh und streng,
und auch im Sommer ist das Klima weniger mild, als in den-
jenigen europäischen Ländern, die mit denselben unter gleichen Breiten-
kreisen liegen. Die südlichen Staaten haben ein italienisches Klima.
Im Norden wird erst im Mai Alles grün, und bald darauf tritt
auch der Sommer ein. Im September herrscht die drückendste Hitze,
und im Oktober giebt es schon wieder Nachtfröste. Im Westen ist
das Klima überhaupt milder, als im Osten.
Man pflanzt in den Vereinigten Staaten alle europäischen
Obstarten, Baumwolle, Reiß, Getreide, Zucker und Tabak. In den
ungeheuren Wäldern leben viele Pelzthiere und verschiedenes Wild,
wie z. B. das Elennthier, der Waschbär, das Stinkthier, das Stachel-
schwein und der Jaguar. Im Süden sieht man viele Papageien
und Kolibri's. Viele Gegenden werden durch mancherlei Raubthiere
und giftige Schlangen unsicher gemacht.
In Calisornien und im Staat Karolina giebt es viel
Gold und in den Gegenden am Mississippi viel Eisen, Kupfer
und Blei.
Die südlichen Freistaaten haben Sklaven. Es find dies
Neger oder Schwarze, welche durch den schändlichen Menschenhandel
aus Afrika hieher geliefert und als Arbeiter an die Pflanzer ver-
kauft werden. Die englischen Colonisten beschäftigen sich hier mei-
stens mit Gewerben, Fabrikation und Handel; die Deutschen sind
dagegen die tüchtigsten Handwerker und Ackerbauer.
Unter den Hauptstädten der Vereinsstaaten ist die wichtigste
Neu-Ajork an der Mündung des Hudson (800s. Die Stadt
ist, wie fast alle neue Städte, schön und regelmäßig gebaut und
hat breite, ganz gerade Straßen. Sie ist Amerika's erste und volk-
reichste Handelsstadt und hat sehr viele prächtige Gebäude. Auch
Philadelphia am Delaware ist eine große und gewerbefleißige
Stadt, mit einer Universität und wissenschaftlichen Gesellschaften.
Baltimore ist, wie Neu-Aork, ein bedeutender Landungsplatz für
Auswanderer, hat einen guten Hasen, Eisenbahnen, viele Fabriken
und ist der Sitz eines katholischen Bischofs.
, Der Niagarafall.
Der Fall des Niagaraflusses in Nordamerika ist eine
der grossartigsten Naturscenen der ganzen Erde und erfüllt
336
den Beschauer dieses wundervollen Schauspiels mit Staunen und
Entzücken.
Der Niagara, der aus dem Ericsee entspringt, durch-
strömt zuerst ein weites Becken, wo er sich majestätisch ent-
wickelt. Die Höhen seines linken, sowie die Ebenen seines
rechten Ufers, und die Inseln, welche er umfängt, sind mit den
üppigsten Pflanzen geschmückt. Je näher man aber dem eigent-
lichen Wasserfalle kommt, desto unebener und unwegsamer wird
der Boden, und schon in weiter Ferne hört man den Donner
und das Geräusch der ungeheuren Wassennasse. Bei der Zie-
geninsel, eine ziemliche Strecke vor seinem Sturze, eilt der
Strom in mächtigem Zuge vorbei, und was hier in seine Wellen
geräth, ist unrettbar verloren. Der Strom erweitert sich zu
einer Breite von 4730 Fuss; sein Bett endigt sich plötzlich mit
einem jähen Abhang, und die unermessliche Wassermasse stürzt
sich aus einer Höhe von 167 Fuss in das mit Felsen und Klip-
pen bedeckte Thal hinab, Unter dem mächtigen Sturze erzittert
unaufhörlich die Erde; weithin hört man das schreckliche Ge-
töse und den ununterbrochenen Donner des fallenden Stromes,
und gleichsam in die' feinsten Dämpfe aufgelöst steigt ein Theil
des Wassers wie Bauch und Nebelwolken in die Luft empor,
die Umgegend in weitem Kreise unaufhörlich benetzend.
Auf weiten und mühevollen Umwegen gelangt man an den
Fuss des Wasserfalles, und gewahrt zwischen dem herabstür-
zenden Wasser und der felsigen Wand des Abhanges bedeutende
Höhlen; allein es ist höchst gefährlich unter dem ungeheuren
Wasserstrahle, der unten gegen die Felsenwand einen Bogen-
gang bildet — so weit vorzudringen, als nöthig ist, um in diese
Höhlen hineinbhcken zu können♦
Von unten gesehen zeigt sich der ungeheure Sturz beson-
ders grossartig, und nicht selten lässt die Sonne in den Dutist-
wolken, die aus dem tosenden Wasserkessel aufstäuben, die
Farben des Regenbogens erscheinen.
Kurz. alle Sinne des Zuschauers werden von dem fürch-
terlich schönen Schauspiel von Staunen, Angst und Bewun-
derung eingenommen, und erst in einiger Entfernung gelingt es
ihm, sich von seiner Betäubung zu erholen und sich ungelheilt
der Betrachtung dieses erhabenen Naturwunders zu überlassen.
(ß. nach Mebold.)
Das Goldland Californien.
An der Westgrenze der Vereinigten Staaten liegt cmt stillen
Ocean das bisher wenig bekannte Goldland Californien. Von
/
337
seinen Bergen strömt der S a c r a m e n t o und mündet in eine
Bay, welche einen der größten und sichersten Häfen der Welt
bildet. An dieser Bay liegt San Francisko, die Hauptstadt
des Landes. Die fruchtbare Umgegend erzeugt einen ungeheuren
Reichthum von Getreide und Bauholz und bietet üppige Weide-
plätze für Viehheerden. Das Klima ist nur an den Küstenland-
schäften schön und gesund. In dieses Land kam im Jahr 1846
ein Schweizer Namens Sutter. Er baute an einem Nebenflüsse
des Sacramento eine Sägmühle, wobei das herabstürzende Wasser
den Grund aufwühlte und große Körner gediegenen Goldes zu Tage
brachte. Mit Haft suchte Sutter sie. auf, suchte weiter und fand
immer mehr. Anfangs wollte er die Entdeckung für sich behalten;
aber das Gold fand sich in solcher Menge, daß er Gehilfen zum
Einsammeln haben mußte. Die Sache wurde dadurch bekannt, und
bald wimmelte es von Goldsuchern. Sie giengen den Flüssen nach
und fanden Gold im Bett und an den Usern des Sacramento und
seiner Nebenflüsse bis hinaus in die Schluchten der Berge und im
Sande der Ebene; denn die Flüsse bringen es aus den Erzadern
der Berge mit. Alles strömte nun dem Goldlande zu: die Arbeiter
liefen vom Felde weg, die Handwerker verließen ihre Werkstätten
und die Matrosen ihre Schiffe. Aus den Vereinsstaaten kamen
70 Schiffe mit Auswanderern an, und große Züge unternahmen
die Reise zu Lande.
Jetzt aber änderten sich Plötzlich alle Verhältnisse. Das Gold
verlor an seinem Werthe, während andere Gegenstände stiegen. Für
eine Flasche Branntwein oder einen Beutel mit Tabak bezahlten die
Goldgräber 15 bis 20 Thaler Gold. Ein Pfund geräuchertes
Fleisch kostete 2 Dollars oder 5 Gulden, und so steigerten sich die
Preise aller Bedürfnisse.
Das Gold ist von der feinsten Art und kommt hier in ver-
schiedener Menge vor. Mancher fand anfangs täglich für 100 bis
150 Thaler. Einer las in einer Viertelstunde 2‘/2 Pfund Gold
aus. Ein Anderer, der einen Reisenden begleitete, wusch, während
jener ruhte, Goldsand und hatte in 5 Minuten für etwa 3 Thaler
Goldkörner. Manchmal fand man auch Goldklumpen von 10 bis
12 Pfunden, und ein Goldgräber war so glücklich, einen solchen zu
finden, der auf 14,000 Thaler angeschlagen wurde. Man darf aber
nicht glauben, daß das Gold so^ ohne Müh? in Empfang genommen
werden könne; es verlangt vielmehr manche schwere Arbeit. Die
Leute holen mit einer Hacke den Schlamm vom Grunde des Wassers
herauf oder graben den Ufersand dicht am Rande des Stromes aus
und waschen denselben in hölzernen oder zinnernen Schüsseln oder
in großem Behältern. Bei wiederholtem Umrühren schwimmt so-
Reiser, der Volksschülcr i. t>. Oberklafsc. 22
338
dann der leichtere Sand oben und läßt sich abschöpfen. Der untere
Goldsand wird auf einem Brette oder Tuch getrocknet, und der
leichtere Staub läßt sich sodann durch einen Blasebalg wegblasen,
worauf blos die schwereren Goldkörner zurück bleiben.
Südamerika.
Das Land, welches von Südamerika zu Spanien ge-
hörte, war bis zum Jahr 1810 nicht viel kleiner, als Europa. Nach
einem langen Kampfe rissen sich diese Länder vom Mutterlande los
und bildeten 9 selbstständige Freistaaten, zu welchen auch Peru und
Quito, die höchstgelegenen und herrlichsten Länder, gehören. Die
lange Kette der Cordilleras zieht durch diese Länder bis nach
Patagonien hinab, wo der größte Menschenschlag zu Hause ist.
Unter den Bergen finden sich mehrere Vulkane, deren Aus-
brüche mit schrecklichen Erdbeben zusammen hängen, wodurch oft
ganze Berge zusammenstürzen. Hier begegnen wir'dem größten
Strom der Erde, dem Marannon oder Amazonenstrom, der
nach einem Lauf von 800 Meilen sich in einem 18 Meilen breiten
Bette in's Meer ergießt. Auf der 1500 Q.M. großen Ebene von
Quito herrscht ein ewiger Frühling; an der Küste aber regnet es
10 Monate lang beständig, und das unaufhörliche Gebrüll der
wilden Thiere wird während dieser Zeit stets von Donner und
Blitzen begleitet. Hier ist auch die Heimat des Vicunna-Scha-
fes, dessen seidenartige Wolle Tücher giebt, wovon die Elle über
20 Thaler kostet. In diesen Ländern wachsen auch die feinsten
Holzgattungen, die zu den schönsten Möbeln und musikalischen In-
strumenten verarbeitet werden, wie z. B. Cedern-, Mahagony-, Eisen-
und Ebenholz. Neben feinen Gewürzen, Vanille und Zucker, er-
halten wir aus diesen Ländern auch die Chinarinde, ein vortreffliches
Arzneimittel, wodurch schon Millionen Kranke geheilt wurden. Zu
diesem Allem kommen noch die großen Schätze, die man aus dem
Innern der Berge heraus holt, wie z. B. kostbare Edelsteine nebst
Gold und Silber, die man in gar vielen Bergwerken, besonders in
Peru zu Tage fördert.
Lima, die Hauptstadt Peru's (70), ist eine schöne, reiche Stadt.
Die 65 Kirchen, die man daselbst findet, strotzen von Gold, Silber
und Edelsteinen, und man kann sich wohl einen Begriff von dem
hier herrschenden Luxus machen, wenn man hört, daß die Kaufleute
der Stadt einmal eine Straße, durch welche der neue Vicekönig ein-
zog, durchweg mit Silberplatten belegen ließen.
Eben so reich an Gold, Silber und Diamanten ist das große
Kaiserthum Brasilien, das jedoch nur zum hundertsten Theile an-
gebaut und mit 6 Millionen Menschen bevölkert ist.
339
Die Hauptstadt ist Rio Janeiro (230).
Westindien besteht aus 350 Inseln, die fast alle den Euro-
päern gehören und also mit denselben in beständigem Verkehr stehen.
Es sind die Bahama-Jnseln nebst den großen und kleinen
Antillen.
Ein Prairienbrand.
„Ich wollte mit mehreren Freunden den lieblichen Spätherbst
benützen, um eine Reise durch die Prairie (eine ungeheure, mit hohem
Grase bewachsene Ebene) zu machen. Wir hatten bereits mehrere
Meilen zurückgelegt; die Sonne stand hoch im Mittag, und die ganze
unermeßliche Fläche lag schweigend vor uns, als wir von unsern
Pferden stiegen, um Mittagsruhe zu halten und einen Büffelbraten
zu verzehren, mit dem wir uns reichlich versorgt hatten.
„Während dieses geschah und wir gemüthlich von der Jagd
plauderten, wurden die Pferde auf einmal unruhig und suchten sich
loszureißen. Gabriel, unser Führer und Wegweiser, spähte auf-
merksam umher und rief: „Auf, auf, meine Herren! Die Prairie
steht in Flammen, und die Büffel jagen gegen uns heran!"
„Alle sprangen auf. Es galt das Leben! Nur die schnellste Eile
konnte uns retten. In einer Minute waren die Pferde gesattelt,
und in der zweiten jagten wir schon über die Prairie hin. Es be-
darf nicht des Antreibens der Pferde; der Naturtrieb lehrt diese
Thiere die drohende Gefahr erkennen, und von selbst thun sie das
Aeußerste, um sich durch die Flucht zu retten. Eine Stunde lang
jagen die geängstigten Pferde mit unverminderter Schnelligkeit fort;
da fühlen sie plötzlich, daß die Erde hinter ihnen zittert, und bald
schlägt das entfernte Gebrüll und Geheul und das todesängstliche
Geschrei zahlloser Thiere aus der Ferne an das erschreckte Ohr.
Immer schwerer und drückender wird die Luft, und eine Flamme,
ein Flammenmeer, rascher als der Wind, steigt auf am Horizonte
und kommt von Sekunde zu Sekunde näher. Flüchtiges Rothwild
aller Art schießt pfeilschnell an uns vorüber! Hirsche in Gesellschaft
von Löwen und Panthern springen über die Gründe; wie ein Traum-
bild fliegen Heerden von Elennthieren und Antilopen vorbei, und
dann rasen wieder die gestreckten Gestalten wilder' Pferde oder die
plumpen Massen von Büffeln über die Prairie.
„Die Pferde strengen jede Nerve an; mit der Schnelligkeit des
Sturmwindes tragen sie uns über die weite Ebene, und doch dünkt
es den geängstigten Gemüthern, als ob sie still ständen. Die Luft
verdichtet sich noch mehr; die Hitze drückt erstickend; lauter und ent-
setzlicher tönt das Geheul der wilden Bestien in unsere Ohren, und
so gräßlich, wie aus den Tiefen der Unterwelt klingt zuweilen das
Geschrei der Todesangst, so, daß die Pferde in ihrem tollen Laufe eine
✓
340
Sekunde erschreckt und zitternd stille halten, ehe sie der Schrecken
weiter jagt.
„Ein edler Hirsch fliegt an uns vorüber; seine Kraft ist ge-
brochen, und in wenigen Minuten liegt er todt am Boden. Aber
bald wälzt sich mit dem rauschenden Getöse des Wirbelwindes die
ungeheure Masse schwerer und unbehilflicherer Thiere nach. Büffel
und Pferde, Alles vermengt sich, eine ungeheure Heerde, Meilen
breit, Meilen lang, ein unermeßlicher Klumpen wälzt sich mit der
Schnelligkeit einer rollenden Kugel heran, jedes Hinderniß nieder-
tretend. Noch etwa eine halbe Stunde ist diese walzende Fleisch-
masse hinter uns; die Pferde sind fast erschöpft; wir sind verloren;
in wenigen Minuten werden wir zerstampft seyn!
„In diesem fürchterlichen Augenblick ertönt fest und gebieterisch
die helle Stimme des Führers Gabriel: „Herab von den Pferden!
Zwei mögen sie festhalten, die Andern ziehen schnell die Hemden ab!
Schnell!" Unwillkürlich gehorchen Alle. Gabriel zündet auf der
Pfanne seines Gewehrs ein Stück Zunder an, und bald lodert aus
Hemden und Tüchern, dürrem Gras und Büffeldünger ein mäch-
tiges Feuer empor, emsig geschürt und verstärkt durch neu hinzu-
getragene Haufen dürren Grases.
„Ein Beben der Erde, als ob sie in ihren Grundfesten wanke,
ein Angstgeheul, ein Gebrüll der Wuth und des Schmerzes verkün-
dete nun das Anrücken ddr schrecklichen Thiermassen. Schon konnten
wir ihre Hörner, ihre Füße unterscheiden; — das Feuer ist am Er-
löschen; die Flammen sinken zusammen! — Wer hat die Kraft, die
Besinnung, sie zu nähren? Sie rücken heran, die rasendgewordenen
Zehntauseude! Wie glänzend funkeln ihre Augen! Wie steht ihnen
der Schaum auf den triefenden Rücken! — Beugen sie aus? —
Springen sie dem Feuer seitwärts? —- Großer Gott, nein! —
Immer näher kommen sie, die sichern Todesboten! Der Augenblick,
wo wir zermalmt werden müssen, ist da! — Gräßlich, gräßlich!
„Ein Knall, ein gewaltiger Luftdruck, eine plötzlich aus dem
Feuer aufsteigende rothe Flamme, ein Gebrüll, als heulten Millionen
Büffel auf ein Mal! — Geht die Erde unter? Jede Sekunde er-
warteten wir die Hufe, die uns zertreten sollten; aber es geschieht
nicht; nur die Erde zittert; bebend erwarten wir den letzten Augen-
blick; aber er kommt nicht.
„Auf seine Büchse gelehnt überschaut Gabriel ruhig seine Lage.
Im Augenblick der höchsten Gefahr hatte er seine Flasche mit Brannt-
wein in's Feuer geworfen; sie war zerplatzt, und — zurück prallten
die zottigen Bestien vor den aufschießenden Blitzen der scharfen,
blauen Flammensäulen, und Hunderten derselben brachte die Stockung,
die durch das Zurückprallen veranlaßt wurde, den Tod. Ringsum
sahen wir Nichts, als die zottigen Mähnen der plumpen Ungeheuer;
341
kein Spalt war in der fliehenden Masse bemerklich, außer der schmalen
Linie, die sich geöffnet hatte, um das Feuer zu meiden. Wird diese
Linie offen bleiben oder sich schließen? Das Leben hängt davon ah.
Sobald ein Thier durch das immer niedriger brennende Feuer springt,
werden Tausende nachsetzen; alle Mühe und Besonnenheit Gabriels
wird dann zu Schanden, und wir sind dennoch verloren.
„Aber die-Vorsehung wachte über uns! — Allerdings wurden
uns die Sekunden, während die Thierhaufen rechts und links vor-
überflogen, zu martervollen Stunden, bis endlich die Reihen dünner
und dünner wurden und zuletzt nur noch die schwächern und er-
schöpfteren Thiere mühsam nachfolgen. Die erste Gefahr ist vorüber;
aber eine andere ebenso große nahet heran. Die ganze Prairie steht
in Flammen und die zischenden Fluthen des Feuers nahen mit furcht-
barer Schnelligkeit. Die Pferde haben wieder einigen Athem ge-
wonnen; darum frisch in die Sättel! Und gesagt von der Todes-
angst rasen Rosse und Reiter nun den Büffeln nach.
„Es war ein schrecklicher Anblick! Ein furchtbares Fcuermeer
wälzte sich prasselnd und knisternd von drei Seiten heran; eine dicke
Rauchwolkenmasse lag drückend darüber; die Hitze war erstickend; —
nur die Schnelligkeit der Pferde konnte uns retten. Wir jagten
fort und fort, verfolgt von den schrecklichen Flammenwirbeln. Da
gewahrten wir auf ein Mal, daß etwa eine Viertelstunde von uns
die unermeßliche Heerde einen tiefen Schlund erreicht hatte, den die
Thiere in ihrer Todesangst zu überspringen suchten, wobei Tausende
auf Tausende in den 300 Fuß tiefen Schlund stürzten.
„Immer geschwinder flog das Feuer heran, immer heftiger loder-
ten die Flammen, als wollten sie ihre Beute nicht fahren lassen.
Die Feuerwogen wirbelten über unsern Köpfen hin und erstickten
uns fast mit ihrer Hitze und ihrem schwarzen Rauche. Der Schlund
vor uns konnte allein uns retten oder auch begraben. Uns blieb
keine Wahl. Wir wagten den Sprung; wir setzten hinab und er-
reichten thurmtief den Boden. Allmählig aber kam Einer nach dem
Andern wieder zu sich selbst; Alle fühlten sich unverletzt; denn die
vielen tausend Thiere, die vor uns den Sprung gewagt hatten und
deren Leiber uns wie Kissen aufnahmen, hatten uns gerettet. Ueber
unsern Häuptern aber dauerte das Zischen und Prasseln des Feuers
fort, und schaudernd sahen wir zu den Flammen hinauf, die oben
am Rande des Abgrunds fortwütheten, sich bald senkten, bald wieder
aufloderten, als wollten sie nicht ruhen, bis alles Leben auf den
unermeßlichen Prairien vernichtet sei. Wir stiegen nun über den Berg
von Leichnamen herunter, der uns so wunderbar gerettet hatte, und
fanden weiter unten einen freien Platz, auf dem wir uns nieder-
ließen. Hier dankten wir Gott im brünstigsten Gebete für seinen
gnädigen Schutz und unsere wunderbare Erhaltung, und nachdem
342
wir hinlänglich ausgeruht hatten,' setzten wir unsere Reise in einer
andern Richtung fort."
Australien.
160,000 Q.M. und 2 >/2 Mill. Ew.
Australien oder Oceanien besteht aus einer großen und vielen
kleineren Inseln, von welchen immer mehrere zusammen eine Insel-
gruppe oder einen Archipel bilden. Sie haben ein warmes
Klima, das durch die Seeluft sehr gemäßigt wird. Unter seinen
Produkten hat man mehr als tausend vorher unbekannte Pflanzen
gefunden. Die Baumfrüchte sind nicht besonders schmackhaft und
bestehen in holzigen Birnen, die sich zuspitzen, und in Kirschen, deren
Steine auswendig sind. Cedern, Myrten und' Mahagonybäume
giebt es hier so zahlreich, daß man sie zum Bauen und zur Feue-
rung benützt. Eines der merkwürdigsten Thiere ist das Känguruh,
das theils dem Rehe, theils dem Eichhörnchen gleicht und an seinen
Sinterfüßen mit Vogelkrallen versehen ist. Von eben so auffallender
estalt sind der Ameisenigel und dcks Schnabelthier, wel-
ches einen Entenschnabel, am Fuße eine Giftkralle, am Leibe Haare
hat und Eier legt. Außerdem giebt es eine reißende Art von Hun-
den, fliegende Eichhörnchen, den Wombat, der — bei der
Größe des Dachses — dem Bären gleicht. Auch seltsame Vögel
finden sich hier, wie z. B. s ch w a r z e S ch w ä n e mit rothen Schnä-
beln, weiße Falken, schwarze Papageien und die prächtige
Mänura, deren Schweif einer Leyer ähnlich ist.
Außer den europäischen Ansiedlern leben hier zwei verschiedene
Menschcnstämme, die Malaien und die Papuas. Die Malaien
sind durch regelmäßige Formen, bräunliche Haut und langes, weiches
Haar ausgezeichnet. töte haben auf manchen Inseln, wo das Chri-
stenthum bis jetzt keinen Eingang gefunden hat, noch Menschenopfer
und essen Menschenfleisch. Dabei sind sie sehr rachsüchtig, heim-
tückisch und zum Stehlen geneigt. Sie sind geschickte Schiffer, bauen
Kähne und verfertigen allerlei Waffen, Geräthe und bunte Zeuge,
womit sie sich theilweise bekleiden; auch wohnen sie in Dörfern in
schlechtgebauten Hütten. Alle Malaien tätuiren sich, d. h. sie
ritzen genau gezeichnete Figuren am ganzen Körper in die Haut und
reiben sie mit einer gewissen Farbe ein, wodurch die Zeichnung für
immer sichtbar bleibt. Die Papuas haben eine dunkle, fast schwarze
Haut, gehen beinahe ganz unbekleidet, sind häßlich von Gestalt und
fast ganz ohne Geistesfähigkeit, ohne Gesittung und Religion. Sie
343
leben in Höhlen und auf Bäumen, wie Thiere, in Heerden beisam-
men und essen Menschenfleisch.
Die wichtigsten Inseln Australiens sind:
1) Die Insel Neuholland, welche Deutschland zehn Mal an
Größe übertrifft. Zu merken ist im Norden der große Carpen-
tart ab ns en und in Südost Botanybay, an welcher englische
Colonien liegen, die jetzt in blühendem Zustande sind. Aus Neu-
holland kommt die feinste Wolle, und man findet in den Bergen
viel Gold und andere Metalle. Die Hauptstadt Sidney hat eine
sehr schöne Lage, ist der Sitz des englischen Statthalters und hat
mehrere Bildungsanstalten und eine Sternwarte.
2) Neuguinea, das Vaterland der Paradiesvögel, ist sehr
stark bevölkert und zählt schon viele Christen.
3) Neuseeland hat schöne Alpenländer und ist, sowie Vandie-
mensland, von schöngestalteten und lernbegierigen Malaien bewohnt.
Außer diesen liegen noch viele Inselgruppen im großen
Ocean oder im stillen Meere zerstreut, wie z. B. die
Carolinen, die Ladronen oder Diebsinseln, die Gesellschafts-
und Freundschaftsinseln, der Fidschi-Archipel und die Sand-
wichsinseln, zu welchen auch die Insel Owaihi gehört, auf wel-
cher der Seefahrer Cook bei seiner dritten Reise um die Welt im
Jahr 1779 von den Eingeborenen erschlagen wurde. Auf vielen
dieser Inseln hat das Christenthum den heidnischen Götzendienst und
die gräßlichen Menschenopfer verdrängt, und wo einst, von Wahn
und Irrthum verblendet, Menschen einem Götzen zu Ehren ihre
Brüder schlachteten, leüchtet jetzt durch die Bemühung und Auf-
opferung gottbegeisterter Missionäre das Licht der reinen Christus-
lehre, das sich von Tag zu Tag weiter verbreitet.
Menschenopfer.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die gräßliche Sitte, Mensch en-
fleisch zu verzehren, wohi nirgends allgemeiner als in Australien, besonders
auf Neuseeland, Neukaledonien, auf den Salomonsinseln,
den neuen Hebriden und auf dem Fidschi-Archipel. Die Einwohner
von Nukahiva z. B. verzehrten nicht nur ihre Gefangenen, sondern — wo-
durch sie sich von beinahe allen bekannten Menschenfressern unterscheiden —
sie verzehrten zur Zeit einer Hungersnoth sogar ihre betagten Eltern, ihre
Kinder und ihre eigenen Weiber.
Auch Menschenopfer fanden ehedem häufig Statt und sind auch
jetzd nur von denjenigen Inseln verschwunden, auf welchen die Missionen Ein-
gang gefunden haben. Fiel der Anführer einer Parthei im Kampfe, so wurde
von den Gegnern die Auslieferung seines Leichnams verlangt, und hatte die
Parthei des getödteten Oberhauptes den Muth verloren, so wurde derselbe als-
bald den Feinden übergeben. War der Anführer verheirathet, so mußte auch
feine Frau ausgeliefert werden, und diese wurde mit dem Leichnam ihres
Mannes hinweggeführt und gelobtet. Die Leichname wurden sodann zubereitet,
344
auf einem Feuer gebraten und verzehrt. Die Häuptlinge, welche das Vorrecht
hatten, das Fleisch der Anführer ihrer Feinde zu essen, glaubten dadurch den
Muth ihrer Feinde zu erben und dem ihrigen beizugesellen.
Auf mehreren Inseln, wie z.B. auf dem Tonga-Archipel, war es
üblich, daß die Frau beim Tode ihres Mannes sich selbst opferte, indem sie
gewöhnlich einen Scheiterhaufen bestieg. Bei Festlichkeiten, allgemeinen
Krankheiten oder wenn ein König oder Häuptling schwer erkrankte, wurden
gewöhnlich Menschen geopfert. Die Oberpriester wählten diese Unglück-
lichen aus, und mitten in der Nacht umringte man das Haus des Schlacht-
opfers; man rief es heraus, und kaum hatte es die Schwelle seiner Hütte
betreten, so empfieng es den Todesstoß. Ein anderes Mal stürzten sich starke
Männer über einen solchen Unglücklichen her, der sich sodann gewöhnlich in
sein Schicksal ergab, sich niederlegte und ruhig den Schlag der Keule erwartete,
die ihm das Gehirn zerschmettern sollte. Aber nicht genug; die feindlichen,
heidnischen Gottheiten forderten noch mehr; denn der Glaube dieser verblen-
deten Insulaner lehrte, daß die Schmerzensangst, die Qualen eines leidenden
Wesens und der lange Todeskampf eines Unglücklichen das angenehmste Opfer
für die Gottheit seien; deshalb wurden die Schlachtopfer oft an die Bäume,
welche die Opferplätze umgaben, angebunden, mit stacheligen Stäben geschlagen,
mit tödtlicheu Wunden bedeckt, und starben erst nach langem Todeskampfe,
während ihr Schmerz- und Wuthgeheul zum Himmel aufstieg. — Unter man-
chen Stämmen herrschte, der gräßliche Aberglaube, daß man, um für einen
Kranken Genesung zu erlangen, einen Sklaven oder auch ein Kind opfern müsse.
Ein Oberpriester bezeichnete sodann das Opfer, welches öfters das eigene Kind
des Kranken oder eines nahen Anverwandten war.
Diese entsetzlichen, die Menschheit tief herabwürdigenden, das Gefühl em-
pörenden Sitten weichen endlich immer mehr und mehr den Segnungen des
Christenthums, das gottbegeisterte Missionäre unter den größten Aufopferungen,
Entbehrungen und Gefahren unablässig zu verbreiten bemüht sind. Viele der-
selben sind unter den Keulenschlägen verblendeter Heiden als Märtyrer gefallen,
aber der Eifer für die Verbreitung der Lehre Jesu und die Liebe zu ihren un-
glücklichen Mitmenschen führten immer wieder neue Glaubensboten in diese
Gegenden, und besonders den Deutschen und Franzosen gebührt der Ruhm,
dieses dornenreiche Feld mit Schweiß und Blm gedüngt zu haben. Alle Inseln,
in welchen das Chustenthum Eingang gefunden hat, haben sich mit ihren Ein-
wohnern auf eine Weise verändert, daß Reisende, welche dieselben früher be-
suchten, sie kaum wieder zu erkennen vermochten. Reinliche Häuser, freundliche
Dörfer mit stattlichen Gotteshäusern in ihrer Mitte erheben sich zwischen zierlich
angelegten Gärtchen, Obstwäldchen, wohlbebauten Feldern und Wiesen, und
diese Dörfer sind bewohnt von Menschen, die an Gesittung, Rechtschaffenheit
und Frömmigkeit manchen Europäer übertreffen. Ihr Beispiel wirkt überaus
günstig auf ihre wilden Nachbarn, und bei dem unermüdlichen Eifer zahlreicher
Missionäre steht zu hoffen, daß in einer nicht zu fernen Zeit auch die letzten
Spuren eines rohen Heidenthums aus diesen, von der Natur meistens so hoch-
gesegneten Inseln vollkommen verschwinden werden.
Geschichte des Königreichs Preussen.
. Das Stammland der preussischen Monarchie ist die Mark Bran-
denburg, welche vor der Völkerwanderung von den Longobar-
de n und Semnonen bewohnt wurde. Als diese ihre bisherige
Heimat verliessen und nach Süden zogen, nahmen die Wenden und
W i 1 z e n dieselbe in Besitz. Diese slavischen Volksstämme kamen
bald mit den umherwohnenden Sachsen in Streit; als aber diese
von Karl dem Grossen überwunden wurden, zwang er auch die Wen-
den zu einem Vergleich, in welchem sie das Christenthum anzuneh-
men und Tribut zu zahlen versprachen. Sie hielten jedoch ihr Ver-
sprechen nicht, und machten wieder Einfälle in das Sachsenland. Um
sie zur Ruhe zu bringen rückte später Kaiser Heinrich II. in ihr Land
ein und kam nach einem langen und beschwerlichen Zuge vor die
Stadt Brennabor, welche jetzt Brandenburg heisst; aber die H a-
v e 1 war hoch angeschwollen und die Umgegend so mit Sümpfen und
Morästen bedeckt, dass der Kaiser mit seinem Heere der Stadt nicht
nahen konnte. Plötzlich aber kam der Winter und belegte Fluss und
Sümpfe mit festem Eise, worauf die Wenden sich ergaben und ihr •
Versprechen, das sie Karl dem Grossen gegeben, erneuerten. Um aber
sicher zu seyn, dass dieses Versprechen gehalten werde, bestimmte
der Kaiser einen Landstrich zwischen der Havel und Elbe
zu einer Grenz- oder Markgrafschaft und setzte den Grafen Siegfried
von Merseburg als Markgrafen darüber, damit er die Wenden im
Zaume halten sollte. Dieser Landstrich, die Nordmark, Nord-
sachsen oder die wendische Mark ist das Stammland
der preussischen Monarchie.
Im 12. Jahrhundert setzte Kaiser Lothar Albrecht den B ä-
ren als Markgrafen ein. Dieser erbte von einem wendischen Könige
auch die M i 11 e 1 m a r k und nannte sich nachher Markgraf von
Brandenburg. Er gründete nebst andern Städten auch Berlin,
und seine Nachkommen regierten das Land bis zum Jahr 1320, wo
sie ausstarben. Nun kam Brandenburg an Fürsten aus dem baye-
rischen Hause, indem der damalige Kaiser Ludwig, der Bayer,
seinen 12jährigen Sohn Ludwig damit belehnte. Das Land kam in
eine bedrängte Lage, indem die bayerischen Fürsten in ihrer Geld-
noth viele Städte verpfändeten, sich um die Regierung nichts küm-
merten und meistens auswärts wohnten. Die Adeligen zogen unter
der Anführung des Herzogs Otto von Braunschweig im Lande umher
und raubten und plünderten nach Gefallen. Endlich zwang Kaiser
1
2
Karl IV., der schon früher Brandenburg zu einem Kurfürslenthum er
hoben hatte, den schwachen Kurfürsten, die Regierung gegen einen
geringen Gnadengehalt an seinen Sohn Wenzel abzutreten. Da
Wenzel aber später selbst Kaiser wurde, so gab er das Land seinem
Bruder Sigismund, der es endlich im Jahr 1415 um 400,000 Gold-
gulden an den Burggrafen von Nürnberg, Friedrich von Hohen-
zollern, verkaufte.
Burggraf Friedrich VI., der nun als Kurfürst von
Brandenburg Friedrich I. hiess, stammte aus dem altberühmten
Geschlechte der Grafen von Hohenzollern in Schwaben. Einer
seiner Ahnherren, Konrad I.. der jüngere Sohn des Grafen Rudolph
von Zollern, hatte vom Kaiser das Burggrafthum Nürnberg für treu-
geleistete Dienste erhalten.
Mit der Regierung der Hohenzollern begann eine glücklichere Zeit
für Brandenburg. Die Angelegenheiten des Landes wurden geordnet,
die Unruhen unterdrückt, und der Staat nahm zu an Umfang und
Wohlstand. Unter den frühern Kurfürsten ist besonders Albrecht,
der wegen seiner Tapferkeit Achilles, wegen seiner Klugheit aber
Ulysses genannt wurde, hervorzuheben Gegen die Nürnberger,
die ihm seine Rechte als Burggraf streitig machen wollten, gewann
er acht Schlachten. In einer derselben focht er allein gegen 16 Mann,
bis ihm die Seinigcn zu Hilfe kamen. Ebenso bemächtigte er sich
der Stadt Greifenberg, indem er von der Mauer in die Stadt sprang
und so lange focht, bis seine Truppen die Thore gesprengt hatten.
Unter dem Kurfürsten Sigismund, der die einzige Tochter des Her-
zogs Albrecht von Preussen zur Gemahlin hatte, kam dieses Herzog-
tum, sowie das Herzogthum Cleve durch Erbschaft an Brandenburg.
Den Grund zur wirklichen Grösse des Landes legte jedoch „der grosse
Kurfürst“ Friedrich Wilhelm, der 1640, also während des 3Ojüb-
rigen Krieges seinem Vater nachfolgte und bis 1688 regierte. Das Elend,
in welches dieser Krieg auch seine Länder gestürzt hatte, bekümmerte
ihn tief, und darum betrieb er um so eifriger die Vermittlung des
Friedens, in welchem er Pommern, das wenige Jahre zuvor an
Brandenburg gefallen war, an Schweden abtrat, wogegen er Magde-
burg, Halberstadt und Minden erhielt.
Von jetzt an war es die wichtigste Angelegenheit des grossen
Mannes, sein Land von den traurigen Folgen des Krieges zu heilen,
die Ordnung wieder herzustellen, den Volksunterricht zu fördern,
Handel und Gewerbe wieder zu heben und in jeder Richtung für das
Wohl seines Volkes zu sorgen. Er nahm 20,000 französische Flücht-
linge in sein Land auf, welche Kunst- und Gewerbefleiss nach Preussen
verpflanzten; eine Handelsgesellschaft wurde gegründet, der mühlroser
Schiffskanal angelegt, und mancherlei andere zweckmässige Einrich-
tungen und Anstalten, die jetzt rasch nach einander in’s Leben ge- *)
*) Achilles und Ulysses waren zwei griechische Helden, die sich
im Krieg gegen Troja — der erste durch Tapferkeit, der zweite durch
Weisheit — besonders ausgezeichnet hatten.
3
rufen wurden, legten den Grund zu Preussens späterer Grösse und
Wohlfahrt.
Auch als Krieger zeichnete sich der grosse Kurfürst aus. Der
eroberungssüchtige König von Frankreich, Ludwig XIV., hatte Versuche
gemacht, das Herzogthum Jülich, Cleve, Berg wegzunehmen, und defc
Kurfürst war dahier zur Vertheidigung seiner Erbländer an den Ehein ge-
zogen. Währenddem hetzte Ludwig die Schweden auf, und diese fielen
in Brandenburg ein, wurden aber von dem wackern Derflinger, der
es vom Schneidergesellen bis zum General gebracht hatte, übel em-
pfangen. Indessen eilte der Kurfürst mit seinem Heere herbei, und
bei Fehrbellin kam es zur Schlacht, in welcher die Feinde eine
bedeutende Niederlage erlitten. Während der Schlacht war der Kur-
fürst selbst in grosser Gefahr gewesen. Er ritt nämlich einen Schim-
mel, wodurch er den Schweden kenntlich war, die sofort ihr Geschütz
auf ihn richteten. Der Stallmeister Proben bemerkte dies, gab
unter einem Vorwände dem Fürsten seinen Rappen und bestieg selbst
den Schimmel, worauf die Feiude ihn für den Kurfürsten hielten, und
gleich nachher sank der treue Diener von einer Kugel durchbohrt vom
Pferde. In folgenden Versen ist die heldenmüthige Aufopferung des
edlen Frohen umständlicher geschildert.
Der grosse Kurfürst.
1640—1688.
I * r
1. Man fraget nach den Quellen des mächtig fluthenden Stroms;
Man fragt nach dem Erbauer des riesenhaften Doms ;
So höret, wer zum Baue den festen Grund gelegt,
ln dessen Höh’ wild Tiefe sich Licht und Leben regt!
2. Sein Name Friedrich Wilhelm, wie nennt ihn der so gut!
Wohl war er reich an Frieden, der auf dem Sieg beruht;
Ersehnter Helm den Schwachen, war ihm die Wehr willkommen,
Wenn’s Schlacht galt oder Wache zu seines Landes Frommen.
3. Als ringsum Krieg entbrannte, da ward der Held geboren (1620),
Der seines Landes Wunden zu heilen war erkoren;
Vom Sturm der Zeit gestählet, spiesH er als Knabe schon
Des Waldes Eber und Wölfe, der kühne Fürstensohn.
4. Da ihn mit zwanzig Jahren zum Throne Gott berief,
Weckt er des Volkes Thatkraft, die nutzlos, rühmlos schlief;
Man staunt des weisen Jünglings, man freut sich seiner Kraft,
Durch Beide, stets verbunden, er Wunder wirkt und schafft.
5. Das rege Holland hatt’ ihm viel Hand’ und Köpf gesandt,
Und Leben und Streben erfüllte Werkstatt und Ackerland;
Doch als nun die Franzosen nach deutschem Land gelüstet,
Da sah die Brandenburger der Rhein zuerst gerüstet.
4
6. Der Kurfürst glich dem Damme; an dem die Fluth sich bricht;
Den Reichsfeind abzuhalten, dünkt ihm vor Allem Pflicht,
Wiewohl der Schweden Raubsucht in seinem Land sich stillt,
Des Friedens Werke vernichtet und ihn mit Schmerz erfüllt.
7. Still harret er der Stunde, die gut zur Rache scheint,
Mit ihm ist Gott im Bunde, sind wack're Männer vereint,
Und eh’ der Schwed1 es ahnet, weckt’ er mit Kugeln ihn,
Und jagt den Ueberraschten rastlos bis Fehrbellin (1675).
8. nEilf steh’n jetzt wider sieben! Zurück ist das Geschütz !u
So warnen die Gen’rale. Ihm dünkt die Red’ unnütz.
„„ Wollt ihr die Feinde zählen, so thut es, wenn sie todt!
Folgt meinem Beispiel, Kinder !u “ Dies war sein einzig Gebot.
9. So sprengt’ auf weissem Rosse der kühne Fürst voraus,
Nie sahen bess’ren Streiter die Schweden in dem Strauss.
„Das ist der Fürst auf dem Schimmel, den nehmt euch aufs
Visir !u
Stallmeister Froben bemerkt es, verwünscht das kenntliche Thier.
10. „Lasst schnell die Pferd' uns tauschen! Der Schimmel stutzt
und scheut!
Ich will ihn schon gewöhnen, wie es mein Ami gebeuth
Da schwingt sich der Fürst auf den Rappen und jaget stracks
voran,
Doch um den edlen Reiter des Schimmels war’s gethan.
11. In’s Herz traf ihn die Kugel. Wie grausam und betrübt!
Er sinkt, der seinen Fürsten mehr als sich selbst geliebt.
Der treibt den Feind indessen im Sturm von Ort zu Ort,
Und selbst den Wrangel reisset der Schweden Flucht mit sich fort.
12. Nach sieben blutigen Stunden nennt er das Schlachtfeld sein,
Nach sieben heissen Tagen istfs Land von Feinden rein,
Vom grossen Kurfürst schallet und hallt es weit und breit;
Denn gross war er im Frieden, und gross war er im Streit.
( Wagner.)
Preussen unter seinen zwei ersten Königen.
Dem grossen Kurfürsten folgte 1688 sein Sohn Friedrich III.
Sein grosser Vater hatte ihm einen wohlgeordneten Staat, einen namhaften
Staatsschatz und ein Heer von 38,000 Mann wohlgeübter Truppen
hinterlassen. Der neue Kurfürst, der zwölfte, der über Brandenburg
herrschte, liebte Glanz und Pracht über Alles, und daher dachte er
sogleich darauf, sein Land, das ohnehin in so hohem Ansehen stand,
zu einem Königreiche zu erheben. Der deutsche Kaiser gab
5
hiezu seine Einwilligung, und darauf machte sich Friedrich mit seinem
ganzen Hofstaate auf den Weg nach Königsberg, um sich dort,
in der Hauptstadt von Preussen, krönen zu lassen. Man kann sich
einen Begriff machen von den grossartigen Anstalten, die hiezu ge-
troffen waren, wenn man bedenkt, dass 30,000 Pferde erfordert wur-
den, um alle Wagen, die zum Transport von Personen, Geräthschaften,
Kleidern, Mundvorräthen u. dgl. nöthig waren, nach Königsberg zu
bringen, was zu Anfang des Jahres 1701 geschah.
Am 15. Januar verkündigten prächtig gekleidete Beamte unter
Pauken- und Trompetenschall auf den Strassen der Stadt, dass das
bisherige Herzogthum Preussen zum Königreich erhoben und der
Fürst desselben König in Preussen sei. Nachdem man Tags darauf
in allen Kirchen Gott um Segen für König und Volk angefleht hatte,
stiftete Friedrich den schwarzen Adlerorden, und am 18. Januar wurde
die Krönung gefeiert. Die Vornehmsten des Landes hatten sich in
dem Krönungssaale versammelt; Alle waren prächtig gekleidet. Um
9 Uhr trat Friedrich in den Saal, in einem mit Gold gestickten Ge-
wände von Scharlach, das mit Diamantknöpfen besetzt war, von wel-
chen jeder 3000 Dukaten kostete. Um seine Schultern hieng der
prachtvolle Königsmantel aus rothem Sammet, auf welchem überall
goldgestickte Kronen und Adler zu sehen waren. Drei grosse, un-
gemein kostbare Diamanten dienten als Knöpfe. Friedrich liess sich
auf dem hiezu errichteten Königsthron nieder, setzte sich die Krone
auf und nahm sodann das goldene Scepter in die rechte und den
Reichsapfel in die linke Hand, worauf ihm alle Anwesenden huldigten.
Nun holte man die Königin ab, welcher der König die Krone auf-
setzte, und als sie sich auf den Thron niedergelassen hatte, empfieng sie
ebenfalls die Huldigung. Darauf bewegte sich der glänzende Zug nach
der Schlosskirche. Der Weg dahin war ganz mit rothem Tuche be-
legt, und zu beiden Seiten standen Soldaten in doppelten Reihen.
Dichtgedrängt stand das Volk; alle Fenster und Dächer waren mit
Menschen besetzt, die mit lautem Jubel das Königspaar begrüssten.
In der Kirche fand unter Gebeten und Gesängen die feierliche Sal-
bung statt, worauf der Zug wieder in das Schloss zurückkehrte. Hier
wurde das Volk mit Braten und Wein bewirthet; man warf goldene
und silberne Münzen, die eigens zum Andenken an diesen Tag ge-
prägt worden waren, unter die jubelnde Menge, und ein grossartiges
Feuerwerk beschloss die Feier dieses merkwürdigen Tages.
So trat also am 18. Januar 1701 das Kurfürstenthum
Brandenburg unter dem Titel Königreich Preussen in die
Reihe der wirklichen Monarchien ein, und Friedrich III. als Kur-
fürst erscheint von nun an als Friedrich l., König von Preussen.
Unter seiner Regierung fielen das Fürstenthum Neuenburg und
einige andere Herrschaften in der Schweiz an Preussen. Friedrich
starb im Jahr 1713 und hinterliess den Thron seinem Sohne
Friedrich Wilhelm I., der in vielen Stücken das Gegentheil
seines Vaters war. Er hasste die kostspielige Pracht des Hofes, und
seine Sparsamkeit setzte ihn bald in den Stand, die Schulden, die
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unter der Regierung seines Vaters gemacht worden waren, zu be-
zahlen. Während seiner Regierung kam Obergeldern, in der Rhein-
provinz, an Preussen, und für seine Theilnahme am nordischen Krieg
erhielt er Vorpommern und Stettin, nebst den Inseln Usedom
und Wollin. Er hielt viel auf das Militär und hatte eine grosse
Vorliebe für grosse Soldaten, die er oft um bedeutende Summen an-
werben liess. Sein Leibregiment bestand aus lauter riesengrossen
Männern. Friedrich Wilhelm starb 1740, und der Zustand, in dem
er sein Land hinterliess, zeigt, welch’ ein tüchtiger Regent er war.
Friedrich der Grosse.
Friedrich II. war von seinem Vater sehr strenge erzogen und
oft hart behandelt worden, weil er Bücher und Musik mehr liebte,
als das Soldatenleben, zu welchem man ihn fortwährend anhielt. Ge-
wiss aber hat diese strenge Erziehung Vieles dazu beigetragen, dass
Friedrich ein grosser Regent und Feldherr wurde, so dass ihn die
Geschichte mit vollem Rechte den Grossen oder auch den Ein-
zigen nennt.
Sein Vater hatte ihm ein schlagfertiges Heer von 70,000 Mann
und einen Schatz von mehr als 8 Millionen Thalern hinterlassen.
Bald nach seinem Regierungsantritte machte er Ansprüche auf vier
schlesische Fürstenthümer, welche damals Oesterreich im Besitz hatte.
Hierüber entstanden die beiden schlesischen Kriege von 1741—1745,
und im Frieden zu Breslau kam fast ganz Schlesien wirklich an
Preussen.
Dieser Verlust fiel jedoch Oesterreich schwer, und die damalige
Kaiserin Maria Theresia sah ohnehin mit grosser Besorgniss auf
die wachsende Macht Preussens ; sie schloss daher mit Russland
und Sachsen ein Bündniss gegen Friedrich; als dieser aber davon
Kunde erhielt, rückte er plötzlich in Sachsen ein und eröffnete so
einen Krieg, der sieben Jahre dauerte (1756 —1763).
In diesem grossen Kampfe entwickelte Friedrich, nur von Eng-
land und einigen Fürsten unterstützt, eine Feldherrngrösse, die selbst
seine Feinde in Erstaunen setzte. Mehr als halb Europa, nämlich
Oesterreich, Russland, das deutsche Reich, Schwe-
den und Frankreich standen ihm gegenüber, und dennoch verlor
er im Frieden von Hubertsburg nicht einen F uss breit Land und
bestand den schweren Kampf mit Riesenkraft, obgleich seine Sache
mehr als Einmal verloren schien.
Zur Ausführung seiner grossen Kriegsplane besass der König aus-
gezeichnete Generale, wie z. B. den unerschrockenen Feldmarschall
Schwerin, der in der Schlacht von Prag seine Soldaten mit der
Fahne in der Hand gegen den Feind führte, aber von einer Kar-
tätschenkugel niedergerissen wurde. Da war ferner der rüstige und
tapfere General Seidlitz, welcher das französische Heer bei Ross-
bach fast allein mit seinen Kürassieren auseinander sprengte und die
französischen Mittagstafeln noch gedeckt und mit warmen Speisen
7
besetzt fand. Zu diesen Braven gehört sodann auch der Husaren-
general Ziethen, ein biederer Haudegen ohne gelehrte Schulbildung,
.der aber vor dem Feinde mit seinem Schlachtplan bald fertig war,
wie dieses aus der folgenden Begebenheit zu entnehmen ist.
Ziethen *).
1760.
/
1. Der grosse König wollte gern seh’n,
Was seine Generale wüssten;
Da liess er an alle Briefe ergeh'n,
Dass sie gleich ihm schreiben müssten,
Was jeder von ihnen zu thun gedenkt,
Wenn der Feind ihn so oder so bedrängt,
2. Der Vater Ziethen, der alte Husar,
Besah verwundert den Zettel.
„Der König hält mich zum Narren wohl gar,u
(So flucht er) „was soll mir der Bettel?
„Husar, das bin ich, potz Element!
„Kein Schreiber oder verpfuschter Student.u
3. Da macht1 er auf einen Bogen Papier
Einen grossen Klex in der Mitten,
Rechts, oben, links, unten, dann Linien vier,
Die all’ in dem Klexe sich schnitten,
End jede endete auch in ’nem Klex,
So schickt er den Bogen dem alten Rex
4. Der schüttelt den Kopf gedankenvoll,
Fragt bei der Revue dann den Alten:
nZum Schwerenoth, Ziethen, ist er toll ?
„ Was soll ich vom Wische da halten ?u
Den Bart streicht sich Ziethen: „Das ist bald erklärt,
„ Wenn Eur’ Majestät mir Gehör gewährt.u
5. „Der grosse Klex in der Mitte bin ich,
nDer Feind — einer dort von den vieren, —
„Der kann nun von vorn oder hinten auf mich,
„Von rechts oder links auch marschiren.
„Dann rück’ ich auf einem der Striche da vor
n Und haue ihn, wo ich ihn treffe, aufs Ohr.u
6. Da hat der König laut aufgelacht
Und bei sich selber gemeinet: * **)
• *) Hans Joachim v. Ziethen war einer der tapfersten Kavallerie-Ge-
nerale Friedrichs. Er zeichnete sich besonders im siebenjährigen Kriege
durch glänzende Waisen thaten aus.
**) Rex — König.
8
„Der Ziethen ist klüger, als ich es gedacht,
„Sein Geschmier sagt mehr, als es scheinet.
„ Das ist mir der beste Reitersmann,
„Der den Feind schlägt, wo er auch rückt an.u (S all et.)
Friedrich’s Besuch in Lissa.
5. Dezember 1757.
Während des siebenjährigen Krieges hatte sich nach der Schlacht
bei L e u t h e n ein Theil der Oesterreicher nach dem Marktflecken
Lissa zurückgezogen, der etwa eine Stunde von Leuthen entfernt liegt.
Da aber dem Könige sehr daran gelegen war, noch denselben Abend
die dortige Brücke zu besetzen und zu sehen, wie weit der Feind
zurück gegangen sei, so ritt er mit seinem Gefolge auf Lissa zu und
nahm nur zwei Kanonen und den General Ziethen mit 12 Husaren
mit sich. Diese mussten voranreiten, um die Gegend auszuspähen,
und zwei Bataillone erhielten Befehl, von weitem nachzufolgen. So
kam der König nach Lissa. Er ritt in die Gasse hinein, wo Alles
still war; nur in den Häusern war viel Licht. Als er auf dem ge-
räumigen Platze vor dem Schlosse anlangte, sah man aus den Häusern
mehrere Oesterreicher mit Stroh kommen, die man sofort zu Gefange-
nen machte. Während der König noch mit diesen sprach, hatten an-
dere Oesterreicher die Preussen entdeckt und machten Lärm. Aus
allen Häusern wurde geschossen, und die Preussen erwiderten das
Feuer auf den Strassen; es entstand ein entsetzlicher Lärm; denn Alles
schrie und commandirte durch einander. Währenddem ritt der König
mit einigen Begleitern links über die Brücke, die nach dem Schlosse
führt, und stieg vor dem Schlossthore ab. Eben kamen viele öster-
reichische Generale und andere Offiziere, die durch das Schiessen auf-
geschreckt worden waren, mit Lichtern in der Hand die Treppe herunter-
gestürzt, um sich auf ihre Pferde zu werfen und davon zu jagen. Da
stiessen sie auf den König, den sie sogleich erkannten, und ein all-
gemeines „Ah!“ — war das Einzige, was sie im ersten Augenblicke
hervorbringen konnten. Er aber sagte ganz ruhig: „Guten Abend,
meine Herren! Gewiss haben sie mich nicht hier vermuthet; kann
man hier auch noch ein Unterkommen finden?“ Friedrich war hier
in keiner geringen Gefahr. Die feindlichen Offiziere brauchten nur
schnell entschlossen zu' seyn, so war er gefangen; aber sein durch-
bohrender Blick hatte sie so in Verwirrung gebracht, dass sie in de-
müthiger Stellung ihm die Treppe hinauf leuchteten und sich zu Ge-
fangenen ergaben. Zu Friedrichs Glück hatten seine Grenadiere in-
dessen den 5Ort eingenommen, sonst hätte die Sache doch noch sehr
schlimm für den König ablaufen können.
Friedrich als Regent.
Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges verwendete Friedrich
alle seine Regentensorgfalt darauf, sein Land von den Nachwehen des
9
Krieges zu heilen. Er befreite Schlesien, das sehr viel gelitten hatte,
auf sechs Monate, und das von den Russen verwüstete Pommern auf
zwei Jahre von allen Abgaben. Dagegen ersparte er durch seine ein-
fache Lebensweise jährlich fast eine Million Thaler an seinem eigenen
Haushalte. Er gab den Bauern die Militärpferde zur Besorgung des
Ackerbaues und liess Samenkorn aus seinen Vorrathshäusern vertheilen.
Die Hungerjahre 1770 und 71 waren in Preussen kaum fühlbar, weil
der König für grosse Kornvorräthe gesorgt hatte. Die Folgen einer
Ueberschwemmuug in Schlesien linderte er durch Verkeilung von einer
Million Thalern und liess in der Neumark 2000 abgebrannte Häuser
wieder aufbauen. Er beschränkte die Frohndienste, hob die Leib-
eigenschaft auf und unterstützte den Gewerbefleiss auf alle mögliche
Weise. Unter seiner Regierung wurden Sümpfe und Moräste ausge-
trocknet, Sandsteppen angebaut, der plauensche Kanal angelegt und
Militärbildungsanstalten gegründet. Zudem führte der grosse König
eine bessere Rechtspflege ein und gestattete jedem seiner Unterthanen,
seine Beschwerden schriftlich an ihn einzureichen. Bei der ersten
Theilung Polens 1772 kam Westpreussen, mit Ausnahme von Dan-
zig und Thorn, an Preussen.
Friedrich liebte und übte Künste und Wissenschaften und schrieb
selbst viele Werke in französischer Sprache, wogegen er eine wirkliche
Abneigung gegen die deutsche Sprache zeigte, die jedoch damals auch
erst als Schriftsprache ausgebildet wurde.
Einige Züge aus dem Leben Friedrichs II.
1) Eines Morgens bemerkte der König, dass eine Menge Volkes
sich um sein Schloss herdränge und mit grosser Aufmerksamkeit auf
einen gewissen Punkt hinblicke. Er fragte seinen Kammerdiener, was
das zu bedeuten habe, und dieser berichtete nicht ohne Scheu, dass
eine Schmähschrift auf den König an einer Ecke des Schlosses ange-
schlagen sei. Der König lachte und gab sogleich dem Kammerdiener
Befehl, das Blatt tiefer zu hängen, damit das Volk die Schrift mit
weniger Mühe lesen könne.
Weiter? — Nun, was weiter vorgieng, weiss ich eben selber nicht;
Sicher that der Kammerdiener streng und pünktlich seine Pflicht.
Und das Volk — es las bequemer nun des losen Spötters Witze,
Gieng und sprach, wie sonst, begeistert von dem guten, alten Fritze.
2) Ein verabschiedeter Offizier, der mit den Seinigen in die
äusserste Noth gerathen und noch immer ohne Unterstützung geblieben
war, hatte in der Verzweiflung eine Schmähschrift gegen Friedrich ver-
fasst. Sie war so bitter und beissend, dass der König hiedurch äusserst
aufgebracht wurde und eine Belohnung von 50 Friedrichsd’or auf die
Entdeckung des Verfassers setzte. Sogleich meldete jener Offizier sich
selbst bei dem Könige, gab sich als Verfasser an und bat um die ver-
2
10
sprochenen 50 Friedrichsd’or, weil er nur hiedurch seine in Hunger
und Elend schmachtende Familie retten könne. — Friedrich rief ihm
zu: „Fort aus meinen Augen! Nach Spandaul Dort sollt Ihr Euren
Lohn bekommen!“ — Dem Bestürzten wurde daraus ein verschlossenes,
königliches Schreiben an den Commandanten der Festung Spandau ein-
gehändigt, wo gewöhnlich die Staatsgefangenen hingebracht wurden.
Er gieng — man kann sich denken in welcher Gemüthsstimmung —
dahin ab, übergab das Schreiben, und es wurde ihm folgender Inhalt
desselben vorgelesen:
„Ich übergebe das Commando von Spandau dem Ueberbringer
dieses Befehls. Seine Frau und Kinder werden mit den 50 Fried-
richsd’or baldigst nachkommen. Friedrich.“
Man kann sich denken, wie freudig der kurz zuvor sö betrübte
und unglückliche Mann überrascht war.
3) Der alte General Ziethen speiste einst mit mehreren vor-
nehmen Herren beim König. Vornehme Herren sitzen in der Regel
lange bei Tische, und Ziethen, ein Greis von 80 Jahren, schlief daher
während des Gespräches ein. Einige der anwesenden Herren lächelten
und wollten sich über ihn lustig machen; allein der König sagte ganz
ernsthaft: „Wir wollen leise reden, meine Herren, damit wir ihn nicht
stören; er hat lange genug für uns gewacht.“
4) Friedrich hatte, wie oft geschah, anhaltend gearbeitet und sass
noch schreibend an seinem Pulte, als die Mitternachtsstunde schon ge-
schlagen hatte. Der hereintretende Kammerdiener erinnerte daran, dass
es schon spät und Zelt zur Ruhe sei. Der König sagte: „Ja, ich
will zu Bette gehen; weil aber das Geschäft, an welchem ich hier
gearbeitet habe, keinen Aufschub leidet, so muss Er mich morgen früh
um 4 Uhr wieder wecken. Ich werde dann noch schläfrig seyn, nicht
aufstehen wollen und Ihn wieder wegschicken; aber ich befehle Ihm,
sich nicht abweisen zu lassen, und erlaube Ihm, im Falle ich nicht
aufttehen sollte, mir die Bettdecke wegzuziehen. Hört Er! — beim
Verlust meiner Gnade!“ Kaum hatte es am andern Morgen vier Uhr
geschlagen, so trat der treue und furchtlose Diener herein ; der König
schlief sanft und fest; aber mit lauter Stimme weckte er ihn. Als der
König die Augen aufschlug, sagte er: „Ich habe mich anders ent-
schlossen ; ich will noch zwei Stunden schlafen ; komme Er um 6 Uhr
wieder!“ — „Majestät!“ sagte der Kammerdiener, „erinnern Sie sich
an Ihren gestrigen Befehl und an Ihre Drohung!“ — „Später,“ rief
Friedrich, „Er hört’s ja, ich will nicht!“ — „Majestät! Sie müssen,“
antwortete der unerschrockene Diener, und damit zog er ohne weitere
Umstände die Bettdecke hinweg. Nun stand der König auf, und als
er, noch schlaftrunken, gähnte und sich streckte, rief er aus: „Ach
Gott! wäre ich doch lieber ein Kriegsrath geworden!“
11
Friedrich Wilhelm II.
Friedrich der Einzige starb den 17. August 1786. Da er selbst
keine Kinder hatte, so folgte ihm der Sohn seines verstorbenen Bru-
ders, Friedrich Wilhelm II., dem er einen Staat von 3400 Q.M.,
einen Schatz von 70 Millionen Thalern und ein Heer von 200,000
Mann hinterliess. Auch unter seiner Regierung geschah manches Gute,
indem die drückenden Zollverhältnisse, die Accise und manches Lä-
stige im Militärwesen gemildert, die Handelsmonopole beschränkt, die
Landwirthschaft und das Gewerbewesen unterstützt, Kunststrassen an-
gelegt, Versorgungsanstalten gegründet, ein neues Gesetzbuch einge-
führt und manche zweckmässige Einrichtungen getroffen wurden.
Unter der Regierung Friedrich Wilhelms gewann Preussen durch
die zweite und dritte Theilung Polens einen Länder-
zuwachs von 1750 Q.M. nebst Danzig und Thorn. Hiezu kamen noch
die fränkischen Fürstenthümer Ansbach und Baireuth, welche der
kinderlose Markgraf gegen eine Leibrente an Preussen abgetreten hatte.
Friedrich Wilhelm II. starb 1797, und seine Krone kam an sei-
nen Sohn
Friedrich Wilhelm IN.
Eine Zeit schwerer Prüfung nahte für Preussen heran. Die Re-
volutionskriege Frankreichs griffen tief in das Wohl unseres deutschen
Vaterlandes ein, und als Napoleon den französischen Kaiserthron be-
stieg, wurde es um Nichts besser. Mehrere Jahre bewahrte Preussens
friedlich gesinnter Herrscher seinem Volke das theure Gut des Frie-
dens; allein der Uebermuth und die Ungerechtigkeiten des Franzosen-
kaisers nöthigten ihn dennoch, ihm endlich im Jahr 1806 den Krieg
zu erklären. Die darauf folgende Doppelschlacht bei Jena und
Auerstädt endigte mit einer Niederlage der Preussen, und nach
13 Tagen hielt Napoleon schon seinen Einzug in der Hauptstadt.
Einige Monate später fochten zwar die mit den Russen vereinigten
Preussen bei Ei lau mit mehr Glück gegen die Franzosen, wogegen
aber diese bei Friedland einen vollständigen Sieg über die Preus-
sen und Russen errangen. Im Frieden zu Tilsit (1807) musste der
König die Hälfte seines Gebiets, nämlich alle Länder westlich der
Elbe, mit 5 Millionen Einwohnern abtreten und 20 Millionen Thaler
Kriegssteuer bezahlen. Aber anstatt durch ein solches Unglück ent-
muthigt zu werden,' fühlten sich König und Volk angespornt zum
Rachekrieg gegen Napoleon. Maasslose Bedrückungen steigerten die
Erbitterung immer höher, und als Napoleons Kriegsmacht in Russland
durch Hunger und Kälte fast vernichtet worden war, so erhob sich in
den Herzen der Preussen neue Hoffnung für die Erhaltung und Rettung
des Vaterlandes. Als am 3. Februar 1813 der König sein Volk zu
den Waffen rief, da war unter den Preussen nur Eine Stimme, Ein
Gefühl, Ein Zorn und Eine Liebe, das Vaterland zu retten, Deutsch-
land zu befreien und den französischen Uebermuth einzuschränken.
Krieg wollten die Preussen, Gefahr und Tod wollten sie; den
12
Frieden fürchteten sie, weil sie von Napoleon keinen ehrenvollen
Frieden hoffen konnten. Alle wollten sich üben, rüsten, für das Vater-
land streiten und sterben. Jede Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf
schallte von Kriegslust und Kriegsmusik und war in einen Uebungs-
und Waffenplatz verwandelt; jede Schmiede war eine Waffenwerkstätte.
Rings wirbelt die Trommel im Preussenland;
Still liegt nur ein Hüttchen am b attischen Str and.
Was jammert das Weib d'rin bei Tag und bei Nacht?
Ihr Mann ist gefallen in heisser Schlacht.
Auch traf ihr die Kugel der Söhne zwei,
Der jüngste nur lebt und ihr Kummer dabei.
Und lebt dir ein Knabe, was härmst du dich bleich ?
O preise den Himmel! Noch bist du ja reich.
Doch horch, welche Töne dem Ufer entlang!
Das Weib schrickt zusammen, was macht ihr so bang ?
Sohn:
„Horch, Mutter! Wie qphallt es so mächtig und laut!u
Mutter:
„Mein Sohn, zur Kirche wohl führt man die Braut.“
S ohn:
„Nein, Mutter, das klingt nicht wie Hochzeitston
Mutter:
„So trägt man ’ne Leiche zu Grabe, mein Sohn !u
Sohn:
„Nein, nein! So klingt auch nicht Sterbegesang;
Schon kenne den Ton ich, schon hört' ich den Klang.
Als einst ich ihn hörte zum ersten Mal,
Da war’s für den Vater das Abschiedssignal.
Und als er zum andern getroffen mein Ohr,
Da folgten die Brüder dem werbenden Chor.
Nun ruft er zum dritten, er ruft es nun mir:
„„Die Andern sind todt, und die Reih’ ist an dir:uu
Die Reih’ ist an mir, das Gewehr in die Hand,
Zu fechten für Freiheit und Vaterland.
Hinaus denn, hinaus in des Kampfes Glut!
Lieb’ Mutter, leb’ wohl, bleib in Gottes Hut !u
Hin ziehet der Knabe, das Schwert er schwingt;
Ein hüllt sich das Weib, und die Trommel verklingt.
Was die Männer so unmittelbar unter den Waffen und für die
Waffen thaten, das that das zartere Geschlecht der Frauen durch stille
Gebete, inbrünstige Ermahnungen, fromme Arbeiten, freundliche Sor-
gen und Mühen für die Ausziehenden, Kranken und Verwundeten.
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Arme und Reiche brachten Geldsummen, Ohr- und Fingerringe, Silber-
geschirre, Kleidungsstücke, Betten, Verbandzeug, und eine schlesische
Jungfrau liess sich sogar ihr schönes Haar abschneiden und gab den
Erlös als Beitrag zur Ausrüstung der Freiwilligen oder zur Pflege
der Verwundeten. Männer und Frauen wetteiferten mit einander in
dem edlen Bestreben, dem Aufrufe des verehrten Landesvaters zu ent-
sprechen , und Preussen ist den übrigen Deutschen damals ein wür-
diger Vertreter und das erste Beispiel der Freiheit und Ehre gewor-
den. Die Begeisterung, welche Preussen bewegte, zündete aber auch
in dem ganzen übrigen Deutschland, ja über die deutschen Grenzen
hinaus; denn auch Oesterreich, Russland und Schweden
erklärten Frankreich den Krieg, und nach mehreren blutigen Schlachten
bei Lützen, Bautzen, Grossbeeren, an der Katzbach, bei
Kulm und Dennewitz, wurde endlich bei Leipzig das Joch
zerbrochen, das Napoleon den deutschen Völkern aufgelegt hatte.
Auf dem Friedenscongresse zu Wien 1815 erhielt Preussen nebst
seinen früher verlorenen Besitzungen % des Königreichs Sachsen,
das Grossherzogthum Berg, bedeutende Landstriche jenseits des Rheins
und das Grossherzogthum Posen. Im gleichen Jahre brachte es auch
Schwedisch-Pommern nebst der Insel Rügen durch Tausch gegen
Lauenburg an sich.
Das eiserne Kreuz.
Gestiftet für die Tapferen von 1813—1815.
Traulich geht der Sohn an Vaters Seite;
Regen Sinnes und voll Wissenslust
Fragt er sinnend, was der Schmuck bedeute
k Links, am bunten Band, auf Vaters Brust! —
„Sohn,“ beginnt der Vater, „dieses Zeichen
Darf an Sinn und Würde keinem weichen!
Denn vernimm.- vor mehr als fünfzig Jahren
t War das Vaterland in Schmach und Drang;
Aber schnell erstanden Heldenschaaren,
Als des Königs Losungswort erklang:
Unsers Feindes Uebermuth zu dämpfen,
Für den Thron, für’s Vaterland zu kämpfen.
Gott ist stark! Er gab uns das Geleite,
Gab uns gnadenvoll des Sieges Glück ;
Nach der Trauerfrist, nach schwerem Streite,
Kehrte Fried! und Segen uns zurück;
Und der König reichte dies den Siegern:
„Friedrich Wilhelm Preussens taps er*n Kriegern."
Christenmuth hat uns der Noth entrungen,
Darum hebt sich dieses Kreuz hervor,
Von dem Eichenlaube schön umschlungen;
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Ruhm und Freude strählen rings empor.
Doch der König, Vorbild seinem Heere,
Spricht: „Gott w ar mit uns, ihm sei die Ehr e!u
Mancher starb für’s gute Recht; das deutet
Dieses: „Aus erobertem Geschützt
Stürmend haben Preussen es erbeutet
Unter Kugeln und Kemonenblitz.
Auch die Zeit, wo wir den Feind vertrieben,
Ist zum Angedenken aufgeschrieben.
Selbst den König schmückt dies Ehrenzeichen.
Heil dem gütigen, dem edlen Herrn!
Nimmer wird der Preusse von ihm weichen,
Für ihn lebt er, für ihn stirbt er gern.
Segen ihm und Ehre seinem Namen!
Millionen rufen freudig: Amen!u
Preussische Helden.
Unter den vielen Braven, die sich in den Kriegen gegen Napoleon
auszeichneten, sind besonders die Generale Scharnhorst und Gnei-
senau, sowie Feldmarschall Blücher zu nennen. Scharnhorst,
der Sohn eines Landmannes, hat hauptsächlich das Verdienst der Um-
bildung des preussischen Heerwesens, indem er die Einrichtung traf,
dass mit jedem Vierteljahr Rekruten eingestellt, eingeübt und wieder
entlassen wurden, welche aber im Falle eines Krieges leicht in die
Reihen der Krieger eintreten konnten.
Gneisenau zeichnete sich besonders durch seine militärischen
Kenntnisse, seinen Muth und Scharfblick, sowie durch seine Entschlos-
senheit und besonnene Thätigkeit aus, so dass ihn Blücher, dem er
oft mit seinem Rathe beistand, seinen Kopf nannte, und es unterliegt
wohl keinem Zweifel, dass er an den Siegen des greisen Feldmarschalls
grossen Antheil hatte.
Blücher, seit 1813 Oberbefehlshaber der Armee, war durch seinen
Heldenmuth, seine Kampfbegier und Ausdauer bei den grössten Schwierig-
keiten, sowie durch seine Erbitterung gegen Napoleon besonders geeig-
net, diesen mit Nachdruck und Erfolg zu bekämpfen. Seine Thaten sind
weltbekannt; laut und dankbar wurde er als der Befreier Deutschlands
gepriesen. Seine Soldaten nannten ihn mit Liebe „Vater Blücher“,
und „Marschall Vorwärts!“ Sein König aber ernannte ihn zum
Fürsten von Wahlstadt und beschenkte ihn mit ansehnlichen
Gütern. Ein schöner Zug in Blüchers Charakter ist, dass er Andern
gerne die Ehre.zugestand, die ihnen bei seinen Unternehmungen ge-
bührte. So rief er einst bei einem festlichen Anlasse aus, als von sei-
nen Thaten die Rede war: „Wenn du mich hören kannst, Geist meines
Freundes'Scharnhorst, so sei du selbst Zeuge, dass , ich ohne dich
Nichts würde vollbracht haben.“ Als ihn die Professoren zu Oxford
15
durch Ertheilung der Doktorwürde ehren wollten, sagte er: »Nu, wenn
ich Doktor werden soll, so müssen sie den Gneisenau wenigstens zum
Apotheker machen; denn wir gehören einmal zusammen." Ein anderes
Mal, als in seiner Gegenwart von seinen Thaten gesprochen wurde,
sprach er: „Was ist es denn, das ihr rühmt? Es geschah durch meine
Verwegenheit, durch Gneisenau’s Besonnenheit und durch
des grossen Gottes Barmherzigkeit.“ Blücher starb im Jahre
1819, 77 Jahre alt. Sein Andenken wird in vielen Liedern gefeiert,
von welchen wir folgendes anführen.
1. Der Trompeten Schlachtgeschmetter
• Ruft hervor wie brausend Wetter
Die Husaren kämpf entbrannt.
Wie sie stink im Sattel sitzen,
Wie so kühn die Schwerter blitzen
ln der sieggewohnten Hand!
2. Hurrah! schallt’s aus tausend Kehlen,
Hurrah ! schallt’s aus tausend Seelen,
Als erscheint der Heldengreis,
Der nicht trefflich blos zu streiten,
Wie ein Vater auch zu leiten
Seine braven Krieger weiss.
3. „ Vorwärts, Kinder !u kommandirt er ;
„ Vorwärts, Kinder !u repetirt er,
Und es flieht und flieht der Feind
Von der Oder bis zum Rheine,
Von dem Rhein bis zu der Seine,
Und der Freiheit Sonne scheint.
4. Welcher Titel ziemt dem Helden,
Seinen Siegeszug zu melden
Recht bezeichnend aller Welt?
Diesen Titel soll er haben,
Den die Krieger selbst ihm gaben:
„Mar sch all Vorwärts“ heiss’ der Held !
5. Wer nur Grosses will erreichen,
Muss dem Marschall Vorwärts gleichen
ln der Losung, in der That.
„ Vorwärts !u lasst zum Ziel uns fliegen,
Allen Widerstand besiegen,
Wie einst unser Blücher that!
Züge aus dem Leben Friedrich Wilhelms HI.
Um die unter der Regierung seines Vaters entstandene Staatsschuld
von 22 Millionen Thalern wieder zu tilgen, sah sich Friedrich Wil-
helm veranlasst, die größtmöglichste Sparsamkeit im Staatshaushalte
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anzuordnen. Ebenso wurde aber auch sein eigener Hausbalt verein
facht, besonders als noch schwere Kriegsjahre die Noth des Landes
vermehrten. Die hochgesinnte Königin Louise, ein erhabenes Vor-
bild hoher Weiblichkeit, gieng hierin Allen mit einem leuchtenden
Beispiele voran, und ihre Einfachheit erhöhte nur um so mehr ihre
Liebenswürdigkeit. Das königliche Paar war überhaupt das schönste
Muster eines glücklichen, häuslichen Lebens, und der frühe Verlust
der edlen, frommen, von dem ganzen Lande hochverehrten Königin
schlug ihrem Gatten eine Wunde, die zeitlebens nie ganz vernarbte.
Der hohe Gerechtigkeitssinn des Königs, seine Sorgfalt für das
Wohl seiner Unterthanen, sowie der Eifer, mit welchem er sich den
Staatsgeschäften widmete, wurden allgemein anerkannt und ’erwarben
ihm die vollste Liebe seines Volkes. Von seinem Edelmuthe giebt
uns folgende Begebenheit das schönste Zeugniss:
Im Jahre 1828 brach der König einen Fuss. — In derselben Zeit
erhielt der Kriegsminister plötzlich die Meldung, dass ein gewisser
Offizier, der wegen seiner schriftlichen Angriffe auf den König zur
Festungsstrafe verurtheilt war, in Folge eines königlichen Befehls frei-
gelassen worden und nach seinen Gütern abgereist sei. Der Kriegs-
minister, welcher von Nichts wusste, war höchst bestürzt, denn er ver-
muthete einen verfälschten Befehl, da schon früher ähnliche Fälle vor-
gekommen waren. Er eilt daher zum König und trägt ihm diesen Fall
vor. Der König, noch krank, lächelt und spricht: „Es hat seine
Richtigkeit so. Vor einiger Zeit lag ich hier und konnte vor Schmer-
zen an meinem Fusse die ganze Nacht nicht schlafen. Da dacht’ich:
Wer mag dir wohl im Leben am feindseligsten begegnet und dich am
bittersten gekränkt haben? dem möchtest du wohl vergeben und ihm
eine Freude machen! — Jener Offizier fiel mir ein, und ich befahl,
ihn auf freien Fuss zu setzen."
Am 7. Juni 1840 starb der vielgeprüfte und geliebte König, und
die tiefe Trauer, welche sein Volk über seinen Tod unzweideutig an
den Tag legte, bewies, dass es seinen grossen Verlust richtig zu wür-
digen wusste.
Die königliche Leiche.
1840.
Was zieht mit hangen Schritten so schweigend durch die Nacht ?
Es wird des Königs Leiche in’s nahe Schloss gebracht.
Des Königs, der dem Volke in Noth und,in Gefahr
Ein Schutz, sowie im Frieden ein treuer Vater war.
Des Königs, dessen Milde man rühmte weit und breit,
ln dessen Krone glänzte die Perl’ „ Gerechtigkeit“.
Zwölf kampfergraute Krieger, sie tragen einen Sarg,
ln welchem man die Hülle des besten Königs barg.
Kein glänzendes Gepränge bezeichnet seine Bahn,
Doch aus dem treuen Volke schliesst Jeder gern sich an.
So wird langsamen Schrittes in stiller Mitternacht
Der König, wie er lebte, einfach zur Ruh gebracht.
17
Friedrich Wilhelm IV.
1840.
Nur die Tugenden, welche das preassische Volk an seinem neuen
Herrscher schon vor seiner Thronbesteigung kennen und schätzen ge-
lernt hatte, vermochte dasselbe über den Verlust seines edlen Vaters
zu trösten. Friedrich Wilhelm IV. war mit dem regsten Eifer er-
füllt für alles Wahre, Gute und Schöne; er liebte von Herzen alles
Hohe und Heilige; das Wohl seines Volkes war das Ziel seines
Strebens.
Ergreifend war besonders der Akt der Erbhuldigung am 15. Okt.
1840, und die Worte, die Friedrich Wilhelm bei diesem festlichen An-
lasse an das versammelte Volk richtete, kennzeichnen am deutlichsten
seine edle Gesinnung. „Ich gelobe,“ sprach Er, ,,Dh gelobe, Mein
Regiment in der Furcht Gottes und in der Liebe der Menschen zu
führen, mit offenen Augen, wenn es die Bedürfnisse Meiner Völker
und Meiner Zeit gilt, mit geschlossenen, wenn es Gerechtigkeit gilt.
In allen Stücken will Ich so regieren, dass man in Mir den echten
Sohn des unvergesslichen Vaters, der unvergesslichen Mutter erkennen
soll, deren Andenken im Segen bleiben wird von Geschlecht zu Ge-
schlecht!“ — Hierauf richtete der König an das Volk die Frage, ob
es Ihn bei seinem Vorsätze, Preussens Wohl zu fördern, unterstützen
wolle, indem er ausrief: „Wollen Sie in diesem Streben Mich nicht
lassen, noch versäumen, sondern treu mit Mir ausharren durch gute,
wie durch böse Tage — o ! dann antworten Sie Mir mit dem klaren,
schönsten Laute der Muttersprache, antworten Sie Mir ein ehrenfestes
Ja!“ — Da ertönte von allen Seiten des Kopf an Kopf gefüllten
Platzes ein freudiges, vieltausendstimmiges „Ja“, und der König fuhr
fort: „Die Feier dieses Tages ist wichtig für den Staat und die Welt;
Ihr „Ja“ aber war für Mich — das ist Mein eigen — das- lass ich
nicht — das verbindet uns unauflöslich in gegenseitiger Liebe und
Treue — das giebt Muth, Kraft und Getrostheit, das werde ich in
meiner Sterbestunde nicht vergessen! — Ich werde mein Gelübde
halten, so Gott Mir hilft. Zum Zeugniss hebe Ich Meine Rechte zum
Himmel empor! — Vollenden Sie nun die hohe Feier, und der be-
fruchtende Segen Gottes ruhe auf dieser Stunde!“
Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms brachte einer Menge von
Gefangenen Begnadigung, und sein tiefreligiöser Sinn gab sich bald
durch viele Einrichtungen und Gesetze kund, die auf Beförderung
öffentlicher Sittlichkeit und wahrer Religiosität abzielten. Schon die
ersten Jahre seiner Regierung bewiesen es, dass das Glück seiner
Unterthanen, sowohl in geistiger als materieller Beziehung sein einziges
Streben sei. Künste und Wissenschaften fanden an ihm
einen eben .so mächtigen Beschützer, als Handel und Gewerbe,
und eine wohlorganisirte Staatsverwaltung sichert dem preussischen
Staate Kraft und Festigkeit im Innern und Achtung gegen Aussen.
Die Unruhen in den Jahren 1848 und 49 führten Preussen eine
abermalige Gebietsvergrösserung herbei, indem die beiden stammver-
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wandten Fürsten von IlolienzoIIern-IIechingen und Sigmaringen
sich entschlossen , zu Gunsten der Krone Preussens ihren Souveraine-
tätsrechten zu entsagen, wodurch beide Fürstenthümer, die Stammlande
des preussischen Regentengeschlechtes, ebenfalls an Preussen kamen,
das gegenwärtig auf 5100 Q.M. über 17 Millionen Einwohner zahlt.
König Wilhelm I.
In seinen letzten Lebensjahren hatte König Friedrich Wilhelm
durch eine schwere Krankheit Vieles zu leiden. Sein Todestag, der
2. Januar des Jahres 1861, verbreitete eine tiefe Trauer über das Land,
und diese war der schönste und vollgültigste Beweis der Liebe und
Verehrung, die dem guten Könige von seinem Volke allgemein gezollt
wurde. Mit ebfcn so grossem Vertrauen blickt aber auch das preus-
sische Volk auf seinen neuen Herrscher, den König Wilhelm I,
der, als Bruder des ohne Kinder verstorbenen Königs, demselben in
der Regierung nachfolgte und diese schon während der Krankheit des
Königs geführt hatte. Die Gerechtigkeitsliebe und Regentenweisheit,
sowie die Thatkraft und Entschiedenheit, die das Volk an seinem er-
habenen Herrscher bereits kennen gelernt hatte, erfüllte dasselbe mit
hoher Zuversicht, und — geleitet von einem weisen Regenten, beschützt
durch ein überaus zahlreiches und mächtiges Kriegsheer, blickt es muthig
und ohne Zagen jeder Gefahr entgegen, währenddem neben einem
musterhaften Staatshaushalte Künste und "Wissenschaften, Gewerbe,
Handel und Landwirthschaft, gepflegt durch die höchste Sorgfalt der
Regierung, einen stets erfreulicheren Aufschwung nehmen. Stark im
Innern und gegen Aussen behauptet Preussen eine achtunggebietende
und einflussreiche Stellung unter den fünf Grossmächten Europa’s, und
die Ueberzeugung, dass der preussische Staat diese Macht und Grösse
nur der Weisheit und Thatkraft seiner Regenten verdanke,
knüpft die Bande der Liebe, Treue und Anhänglichkeit immer fester,
welche Fürst und Volk umschlingen.
Besonders erhebend wirkten die Worte, die König Wilhelm I.
bei seiner Thronbesteigung an sein Volk richtete und fanden in Aller
Herzen einen freudigen Nachhall:
„Meine Hand soll das Wohl und das Recht Aller in allen Schich-
ten der Bevölkerung hüten ; sie soll schützend und fördernd über ihrem
reichen Leben walten!“
„Es ist nicht Preussens Bestimmung, dem Genuss der erworbenen
Güter zu leben. In der Anspannung seiner geistigen und sittlichen
Kräfte, in dem Ernst und der Aufrichtigkeit seiner religiösen Gesin-
nung, in der Vereinigung von Gehorsam und Freiheit, in der Stärkung
seiner Wehrkraft liegen die Bedingungen seiner Macht; nur so vermag
es seinen Rang unter den Staaten Europa’s zu behaupten.“
,,Ich halte fest an den Traditionen Meines Hauses, wenn Ich den
vaterländischen Geist Meines Volkes zu heben und zu stärken Mir
vorsetze. Ich will das Recht des Staates nach seiner geschichtlichen
Bedeutung befestigen, und ausbauen und die Institutionen, welche König
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Friedrich Wilhelm IV. in’s Lehen gerufen hat, aufrecht erhalten. Treu
dem Eide, mit welchem Ich die Regentschaft übernahm, werde Ich die
Verfassung und die Gesetze des Königreiches schirmen. Möge es Mir
unter Gottes gnädigem Beistände gelingen, Preussen zu neuen Ehren
zu führen!“
Auf diese königlichen Worte fest vertrauend, blicken wir freudi-
gen Muthes der Zukunft entgegen, und mit der Hoffnung auf die stets
wachsende und sich mehrende Wohlfahrt Preussens vereinigen wir in
unsern Herzen den innigen Wunsch:
Gott segne d*e n König und das Vaterland!
Dem Könige.
1.
Heil dir im Siegeskranz,
Herrscher des Vaterlands,
Heil, König, dir! *
Fühl’ in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Vater des Volks zu seyn!
Heil, König, dir.
2.
Nicht Ross, nicht Reisige
Sichern die steile Höh’
Wo Fürsten steh’n;
Liehe des Vaterlands,
Liebe des freien Manns
Gründen den Herrscherthron
Wie Fels im Meer.
3.
Heilige Flamme glüh’,
Glüh’ und erlösche nie
Für’s Vaterland,
Wir Alle stehen dann
Muthig für einen Mann,
Kämpfen und bluten gern
Für’s Vaterland.
4.
Handlung und Wissenschaft
Hebe mit Muth und Kraft
Ihr Haupt empor!
Krieger- und Heldenthat
Finde ihr Lorbeerblatt
Treu aufgehoben dort
An deinem Thron.
5.
Sei König Wilhelm hier
Lang deines Volkes Zier,
Der Menschheit Stolz!
Fühl’ in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Vater des Volks zu seyn!
Heil, König, dir!
Preussenlied.
i.
Ich bin ein Preüsse! Kennt ihr meine Farben?
Die Fahne weht mir weiss und schwarz voran!
Dass für die Freiheit meine Väter starben,
Das deuten, merkt es, meine Farben an.
Nie werd' ich bang verzagen;
Wie Jene, will ich’s wagen.
Sei’s trüber Tag, sei’s heisrer Sonnenschein,
Ich bin ein Preusse, will ein Preusse seyn!:,:
i
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2.
Mit Lieb’ und Treue nah’ ich mich dem Throne,
Von welchem mild zu mir ein Vater spricht;
Und wie ein Vater treu mit seinem Sohne,
So steh’ ich treu mit ihm und wanke nicht.
Fest sind der Liebe Bande;
Heil meinem Vaterlande!
Des Königs Ruf dringt in das Herz mir ein:
Ich bin ein Preusse, will ein Preusse seyn.
3.
Nicht jeder Tag kann glüh’n im Sonnenlichte,
Ein Wölkchen und ein Schauer kommt zur Zeit;
Drum lese Keiner mir es im Gesichte,
Dass nicht der Wünsche jeder mir gedeiht.
Wohl tauschten nah und ferne
Mit mir gar Viele gerne;
Ihr Glück ist Trug und ihre Freiheit Schein;
Ich bin ein Preusse, will ein Preusse seyn.
4.
Und wenn der böse Sturm mich wild umsauset,
Die Nacht entbrennet in des Blitzes Glut;
Hat’s doch schon ärger in der Welt gebrauset,
Und was nicht bebte, war des Preussen Muth.
Mag Fels und Eiche splittern,
Ich werde nicht erzittern;
Es stürm’ und krach’, es blitze wild darein:
Ich bin ein Preusse, will ein Preusse seyn.:,:
5.
Wo Lieb’ und Treu’ sich so dem König weihen,
Wo Fürst und Volk sich reichen so die Hand;
Da muss des Volkes wahres Glück gedeihen,
Da blüht und wächst das schöne Vaterland.
So schwören wir auf’s Neue
Dem König Lieb’ und Treue!
:,:Fest sei der Bund! Ja schlaget muthig ein!
Wir sind ja Preussen, lasst uns Preussen seyn! :,:
Anhang.
Jugen-lieder.
1. Frühlingsleben.
1.
:,:Alle Vögel sind schon da,
Alle Bögel alle!:,:
:,: Welch ein Singen, Musicir'n,
Pfeifen, Zwitschern, Tllillerir'n!
Frühling will nun einmarschir'n,
Kommt mit Sang und Schalle.:,:
2.
:,:Wie sie alle lustig sind,
Flink und froh sich regen!:,:
:,: Amsel, Drossel, Fink und Staar
Und die ganze Vogelschaar
Wünschen dir ein frohes Jahr,
Lauter Heil und Segen.:,:
3.
:,:Was sie uns verkündet nun,
Nehmen wir zu Herzen.:,:
:,: Wir auch wollen lustig seyn,
Lustig wie die Vögelein,
Hier und dort, feldaus, feldein,
Singen, springen, scherzen!:,:
2. Der Mai.
1.
Alles neu macht der Mai,
Macht die Seele frisch und frei.
Laßt das Haus, geht hinaus,
Windet einen Strauß!
Rings erglänzet Sonnenschein/
Duftend pranget Flur und Hain.
Vogelfang, Hörnerklang
Tönt den Wald entlang.
2.
Wir durchziehen Saaten grün, •
Haine, die ergötzend blüh'n,
Waldespracht, neü gemacht
Nach des Winters Nacht.
Dort im Schatten an dem Quell,
Rieselnd, munter, silberhell,
Klein und Groß ruht im Moos,
Wie im weichen Schoos.
3.
Hier und dort, fort und fort,
Wo. wir ziehen, Ort für Ort,
Alles freut sich'der Zeit,
Die verschönt, erneut.
Wiederschein der Schöpfung blüht,
Uns erneuend im Gemüth.
Alles neu, frisch und frei
Macht der holde Mai.
3. Gott weiß Alles.
1.
Weißt du, wie viel Sterne stehen
An dem blauen Himmelszelt?
Weißt du wie viel Wolken gehen
Weithin über alle Welt?
Gott der Herr hat sie gezählet,
Daß ihm auch nicht Eines fehlet
:,: An der ganzen großen Zahl.:,:
2.
Weißt du, wie viel Mücklein spielen
In der heißen Sonnenglut?
Wie viel Fischlein auch sich kühlen
In der Hellen Wasserflut^?
Gott der Herr rief sie mit Namen,
Daß sie all' in's Leben kamen,
:,:Daß sie nun so fröhlich sind.:,:
3.
Weißt du, wie viel Menschen heute
Fröhlich ans der Erde geh'n?
Und wie viel des Kummers Beute,
Bangend um Errettung fleh'n?
Gottes Auge ruht auf Allen,
Und wo wir auch immer wallen,
:,:Hält er uns in treuer Hut.:,:
lur ipiosfv.tscr
Schi<»H,chfoi,*c
' -fVA'-l
4. Morgengruß auf der Reise.
1.
Die Sonn' erwacht;
Mit ihrer Pracht
Erfüllt sie die Berge, das Thal.
O Morgenluft,
O Waldesduft,
O goldener Sonnenstrahl!
2.
Der Vögel Chor
Jauchzt froh empor
Im Feld und auf sonnigen Höh'n.
Im Morgenthau
Glänzt Wald und Au;
Wie ist doch dj.e Welt so schön!
3.
Du Gott und Herr!
Wie licht und hehr
Zeigst du dich auf jeglichem Pfad.
Wohin wir geh'n,
Wohin wir seh'n,
Strahlt hell deine Macht und Gnad'!
4.
Mit frommem Sinn
Zieh'n wir dahin:
Dir, Vater, dir woll'n wir uns weih'n!
Wer bieder ist,
Dich nie vergißt,
Deß Werk, es wird wohl gedeih'n.
5. Sternhelle Nacht.
i.
Gottes Pracht am Himmelsbogen
Ist in Sternen aufgezogen.
Welch ein heilig stiller Chor!:,:
Daß dein Herz dir größer werde,
Blicke von der kleinen Erde
:,: Zu dem ew'gen Glanz empor.:,:
Kannst du noch dein Auge senken,
Deines armen Lebens denken,
:,:Und was irdisch dich betrübt?:,:
Der den Flammenkranz gewunden,
Hat dich seiner werth gesunden,
:,:Jst ein Vater, der dich liebt.:,:
3.
Aus der Sterne Millionen,
Aus den glanzerfüllten Zonen
:,:Hat er seinen Thron erbaut.:,:
Seiner Wolken lichte Heere,
Seiner Sonnen Flammenmeere
:,:Wandeln, wo dein Auge schaut.:,
4.
Seine Liebe spricht den Segen,
Daß auf ihren ew'gen Wegen
:,:Nie dein Auge sie vergißt.:,:
Allem Daseyn, allem Wesen
Hat er diesen Trost gegeben.
:,:Halleluja, daß du bist!:,:
6. Sängerlied.
1.
Ohne Sang und ohne Klang,
Was wär' unser Leben?
Freude unser Leben lang
Müssen diese geben.
Sagt, was kürzet unsern Gang
Auf der Pilgerreise?
Einzig Lieder und Gesang
Aecht nach deutscher Weise.
2.
Wenn euch guter Muth entflieht,
Will Nichts recht gelingen,
Dürft ihr nur sofort ein Lied
Froher Weise singen.
Sicher kehrt, was ihr vermißt,
Bald in's Herz euch wieder.
Was der Thau den Fluren ist,
Sind der Seele Lieder.
3.
Lerchen aus der hohen Luft,
Nachtigall'n in Wäldekn,
Schwalben aus der Mauerklnft,
Wachteln in den Feldern:
Alle lassen frei und froh
Ihre Lieder klingen;
Damm laßt uns immer so,
Bis an's Ende singen!
7. Der Abend.
i.
Willkommen, o seliger Astend,
Dem Herzen, das froh dich genießt;
Du bist ja so kühlend, so labend,
Drum sei uns recht herzlich gegrüßt!
2.
In deiner erfreulichen Kühle
Vergißt man die Leiden der Zeit,
Vergißt man des Mittages Schwüle
Und ist nur zum Danke bereit.
3.
Im Kreise sich liebender Freunde,
Gelagert im schwellenden Grün,
Da segnen wir fluchende Feinde
Und lassen in Frieden sie zieh'n.
4.
Willkommen, o Abend voll Milde,
Du schenkst den Ermüdeten Ruh',
Verschönerst hier uns're Gefilde
Und lächelst uns Seligkeit zu!
8. An die Abendsonne.
1.
Gold'ne Abendsonne,
Wie bist dn so schön!
Nie kann ohne Wonne
Deinen Glanz ich seh'n.
2.
Schon in zarter Jugend
Sab ich gern nach dir,
Und der Trieb zur Tugend
Glühte mehr in mir —
3.
Wenn ich so am Abend
Staunend vor dir stand
Und, an dir mich labend,
Gottes Huld empfand.
4.
Doch von dir, o Sonne!
Wend' ich meinen Blick
Mit noch größ'rer Wonne
Auf mich selbst zurück.
5.
Schuf uns ja doch beide
Eines Schöpfers Hand,
Dich im Strahlenkleide,
Mich im Staubgewand.
9. Sommerlied.
i.
Freude wirbelt in den Lüften,
Wonne lächelt auf der Flur,
Und in balsamreichen Düften
Haucht Entzücken die» Natur.
2.
Milder glänzt der reine Himmel
Ueber der.geschmückten Au;
Zarter Würmchen Lustgewimmel
Säuselt durch den Morgenthau.:,:
3.
Summend suchen ems'ge Bienen
Ihren holden Nektarsaft,
Und die Blumen zollen ihnen
:,: Ihrer Kelche süße Kraft.:,:
Wie so schön ist diese Erde,
Alles, o wie freudenvoll!
Dankt es ihm, er sprach: „Es werde!
:,: Menschen bringt ihm euren Zoll. :
5.
Linde Maienlüfte wallen
Durch der Bäume sanftes Grün
Tändelnd von den Blumen allen
:,:Zu der sanften Rose hin.:,:
6.
Selig, wem aus Himmelshöhen
Rührung in den Busen dringt!
Selig, wen ein göttlich Wehen
:,:Hin zu sausten Thränen zwingt!:,
10. Der Gesang.
1.
Solo: Laßt die Töne klingen
Immer wohlgemut!)!
Laßt uns fröhlich singen,
Singen ist ja gut.
Ehor: Laßt uns fröhlich rc. rc.
2.
Solo: Fromm und freudig singen
Giebt gar schönen Klang,
Und so soll es klingen
Unser Leben lang!
Chor: Und so soll es rc. rc.
3.
Solo: Klinget, Lieder, klinget,
Klinget immerdar!
Hört in Freude singen
Uns're kleine Schaar!
Chor: Hört in Freude singen rc. rc.
11. Der Morgen im Gebirge.
1.
Sieh, der Himmel strahlet -
Hell und roth wie Gluth!
:,:Der so schön ihn malet,
Gott! o Gott ist gut!:,:
2.
Wie im goldnen Schimmer
Das Gebirge ruht!
Schweigend spricht es immer:
Gott, o Gott ist gut! :,:
3.
Sieh der Felsenquelle
Purpurhelle Fluth!
Ruft nicht jede Welle:
Gott, o Gott ist gut!:,:
4.
Aus goldgrünen Blättern
Plppt des Hänflings Brut,
:,:Tönt des Alten Schmettern:
Gott, o Gott ist gut!:,:
5.
Und der Hirtenknabe,
Schön, wie Milch und Blut,
:,: Singt, gestützt am Stabe:
Gott, o Gott ist gut!:,:
6.
Auf, mein Herz> und schlage
Froh und auch voll Muth!
:,:Jeder Pulsschlag sage:
Gott, o Gott ist gut!:,:
12. Gottes Treue.
Melod.: ManteUieb.
1.
:,:Es steht im Meer ein Felsen,
Die Wellen kreisen herum;:,:
:,: Die Wellen brausen am Felsen,
Doch fällt der Fels nicht um;
Doch fällt rc. rc.:,:
2.
:,: Ein Thurm ragt übernt Berge
Und schaut in's Thal hinab.:,:
:,:Die Winde rasen am Berge,
Doch fällt kein Stein herab;
Doch stillt rc. rc.:,:
3.
:,: Es zeucht einher ein Wetter
Und rasselt an dem Baum;:,:
:,: Zur Erde sinken wohl Blätter,
Doch eisern steht der Baum:
Doch eisern rc. rc.:,:
4.
:,: Des Höchsten ew'ge Treue
Steht fester, denn Fels und Thurm,:,:
:,: Und grünt und blüht auf's Neue
Und trotzt dem rasenden Sturm;
Und trotzt rc. rc.:,:
13. Das Waldhorn.
1.
Wie lieblich hallt durch Busch und Wald
:,: Des Waldhorns süßer Klang!:,:
Der Wiederhall im Eichenthal
:,:Hallt nach so lang, so lang.:,:
2.
Und jeder Baum im weiten Raum
:,: Dünkt nns wohl noch so grün!:,:
Es wallt der Quell wohl noch so hell
:,: Durch's Thal dahin, dahin.:,:
3.
Und jede Brust fühlt neue Lust
:,: Beim frohen Hörnerton!:,:
Es flieht der Schmerz aus jedem Herz
:,:Sogleich davon, davon.:,:
14. Mailied.
1.
Da kommt ja der liebliche Mai
Mit Blüthen und Knospen herbei!
* Schon finget die Lerche,
Schon klappern die Störche,
Schon mahnet des Kukuks Geschreis
Genießet, genießet den lieblichen Mai!
Die Blüthenzeit eilet, sie eilet vorbei.
2.
Es grünet nnd duftet der Hain;
Die Luft ist belebend und rein.
Schon hüpft auf der Weide
Das Schäfchen vor Freude; _
Es meckern die Lämmer darein:
Genießet, genießet den schattigen Hain,
Eh' Stürme die Blätter, die Blätter
zerstreu'n!
3.
Hoch woget und wallet das Feld,
Bon goldenen Saaten erhellt.
Den Segen erblickend
Singt laut und entzückend
Voll Hoffnung die fröhliche Welt:
Genießet, genießet das wogende Feld,
Bald werden die Garben, die Garben
4.
So raubet, was heut uns erfeut,
Schon morgen die flüchtige Zeit!
Genossen, genossen,
Wenn Freuden uns sprossen,
Damit uns der Aufschub nicht reut!
Genießet, genießet die Freuden noch heut'
Und bindet die Flügel, die Flügel der
Zeit!
15. Der Pilger.
Melod.: Lorelei.
1.
Der Pilger aus der Ferne
Zieht seiner Heimat zu;
Dort leuchten seine Sterne,
Dort sucht er seine Ruh'!
Sein Sehnen geht hinüber,
Der Leib fällt in das Grab;
Die Blumen wachsen drüber,
Die Blumen fallen ab.
2.
In Königsstädten schimmert
Des Goldes reiche Pracht,
Und morgen sind zertrümmert
Die Städte und die Macht.
Die Ströme zieh'n hinunter
Jn's wogenreiche Meer;
Die Wellen geh'n d'rin unter,
Man sieht sie nimmermehr.
3.
Der von dem Honigseime
Der Ewigkeit geschmeckt,
Der Pilger ist daheime,
Nur wenn das Grab ihn deckt.
Drum weckt ihn auch hienieden
Das Heimweh früh und spät;
Er sucht dort oben Frieden,
Wohin sein Sehnen geht.
16. Prüfungslied.
1.
An diesem Tag erscheinen wir
Mit Ruhm^nnd Preis und Dank;
In dieser Schule, Gott, vor Dir
Hör' unsern Lobaesang!
Von Dir kommt Weisheit und Verstand,
Von Dir der Wahrheit Licht,
:,:Du machst uns mit uns selbst bekannt
Und lehrst uns uns're Pflicht!:,:
2.
Du lässest gute Schulen blllh'n
Zum Glück für Welt und Staat,
Läß'st gute Menschen da erzieh'n,
Führst sie den Tugendpfad.
Du bildest sie zum Dienst der Welt,
Läß'st ihren Fleiß gedeih'n,
:,:Um nützlich einst, wo Dir's gefällt,
In jedem Stand zu seyn.:,:
3.
Laß uns're Schulen fernerhin
Der Weisheit Tempel seyn!
Laß Gottesfurcht und frommen Sinn
Ihr Ruhm bei Allen seyn.
Beglücke uns're Obrigkeit!
Belohn' der Lehrer Treu'!
:,:Gieb, daß noch in der Ewigkeit
Die Schulzeit uns erfreu'!:,:
17. Die flüchtige Zeit.'
1.
Morgen ist nicht heut';
Flüchtig ist die Zeit;
Jeden Augenblick
Wechselt dein Geschick.
2.
Freude winkt dir heut';
Pflücke, was sie beut!
Morgen steht ihr Stern
Dir vielleicht schon fern.
3.
Heut' ist's Zeit zur Saat;
Lerne, Sohn, sonst naht
Ohne Frucht und Zier
Einst die Erndte dir.
18. Ermunterung.
1.
Ueb' immer Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab.
2.
Dann wirst du wie auf grünen Au'n
Durch's Erdenleben geh'n;
Dann wirst du ohne Furcht und Grau'n
Dem Tod in's Auge sehm.
3.
Dann wird die Sichel und der Pflug
In deiner Hand so leicht!
Dann singest du beim Wasserkrug,
Als wär' dir Wein gereicht.
4.
Dem Bösewicht wird Alles schwer,
Er thue, was er thu';
Das Laster treibt ihn hin und her
Und läßt ihm keine Ruh'.
5.
Der schöne Frühling lacht ihm nicht,
Ihm lacht kein Aehrenfeld;
Er ist auf Lug und Trug erpicht
Und wünscht sich nichts als Geld.
6.
Der Wind im Hain, das Laub am
Baum
Saust ihm Entsetzen zu.
Er findet nach des Lebens Traum
Im Grabe keine Ruh'.
7.
D'rum übe Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab.
19. Gebet.
1.
:,:O Du Heiliger, Allbarmherziger!
Herr und Schöpfer der Welten!:,:
:,: Laß uns Dir nahen, Segen em-
psahen!
Hilf uns, hilf uns, Jehova!:,:
2.
:,:O Du Heiliger, Allbarmherziger k
Wir auch sind Deine Kinder.:,:
:,:O sei uns freundlich, sei Du uns
gnädig!
Hilf uns, hilf uns, o Vater!:,:
3.
:,:O Du Heiliger, Allbarmherziger!
Jesu, Heiland der Menschen!:,:
:,: Du Freund der Kinder, Retter der
Sünder!
Hilf uns, hilf uns, o Jesu!
4.
:,:O Du Heiliger, Allbarmherziger!
Geist der Liebe und Wahrheit!:,:
:,:Wollst uns regieren,izum Vater führen!
Hilf uns, hilf uns, o Tröster!:,:
5.
:,:O Du Heiliger, Allbarmherziger!
Vater, Mittler und Tröster!:,:
:,: Woll'st uns erhalten, Uber uns
walten!
Gieb uns, gieb uns den Frieden!:,:
20. Lied der Freude.
Chor:
Freu't euch des Lebens, weil noch das
Lämpchen glüht;
Pflücket die Rose, eh' sie verblüht.
1.
Man schafft so gern sich Sorg' und
Müh',
Sucht Dornen auf und findet sie
Und läßt das Veilchen unbemerkt,
Das uns am Wege blüht. Freu't rc.
2.
Wenn scheu die Schöpfung sich verhüllt
Und laut der Donner ob uns brüllt,
So lacht am Abend nach dem Sturm
Die Sonne doppelt schön! Freu't rc.
3.
Wer Neid und Mißgunst sorgsam flieht,
Genügsamkeit im Gärtchen zieht,
Dem schießt sie schnell zum Bäum-
chen auf,
Das gold'ne Früchte trägt. Freu't rc.
4.
Wer Redlichkeit und Treue übt
Und gern dem ärmern Bruder giebt,
Da siedelt sich Zufriedenheit
So gerne bei ihm an. Freu't rc.
5.
Und wenn der Pfad sich furchtbar engt,
Und Mißgeschick uns plagt und drängt,
So reicht die Freundschaft schwesterlich
Dem Redlichen die Hand. Freu't rc.
6.
Sie trocknet ihm die Thränen ab
Und streut ihm Blumen bis in's Grab!
Sie wandelt Nacht in Dämmerung
Und Dämmerung in Licht. Freu't rc.
7.
Sie ist des Lebens schönstes Band:
Schlagt, Brüder, traulich Hand in
Hand!
So wallt man froh, so wallt man leicht
In's bess're Vaterland! Freu't rc.