Die hochdeutsche Schriftsprache als Umgangssprache. 699 Die hochdeutsche Schriftsprache als Umgangssprache. Wie schon beinerkt, ist die hochdeutsche Schriftsprache auch die Um¬ gangssprache der Gebildeten, wenigstens die Sprache des öffentlichen Lebens in fast ganz Deutschland geworden. Früher war dies keineswegs der Fall; denn in Niederdeutschland galt noch lange das Niederdeutsche als Sprache vor Gericht und in Kirchen und Schulen, nachdem das Hochdeutsche schon Schriftsprache geworden war; in den meisten Reichs¬ städten wurde die heimathliche Mundart fast bei allen Gelegenheiten an¬ gewandt, und in Baiern w), Oesterreich und der Schweiz verspürt man noch jetzt wenig von einer gebildeten Sprache, sondern hört oft in den vornehmsten Gesellschaften die gemeinste Mundart, in der Regel schlechter, als die reinere Mundart der Landleute; eben so ist die Mark Branden¬ burg, namentlich Berlin, berüchtigt wegen des schlechten Hochdeutschen, das dort gesprochen wird, eine desto widerlichere Erscheinung, da gerade in dieser Stadt die Einwohner sich der feinsten Bildung rühmen, und tut Besitz der besten Sprache zu sein glauben. In Mitteldeutschland, na¬ mentlich in Sachsen *'"*), wird von allen Gebildeten durchaus ein Hoch¬ deutsch gesprochen, daö der Schriftsprache am nächsten kommt; aher kei¬ neswegs kann man zugeben, daß in Sachsen das Hochdeutsche am reinsten und besten gesprochen werde, und gerade weil die obersächsische Mgndart der Schriftsprache am nächsten kommt, übt dieselbe desto inehr Einfluß auf die Aussprache der letztern aus. Daher kann man mit Recht behaup¬ ten, daß das Hochdeutsche da am reinsten gesprochen werde, wo es ur¬ sprünglich gar nicht zu Hause ist, nämlich in mehreren norddeutschen Gegenden, namentlich in Holstein ttnb Metten bürg; denn hier übt die heimathliche Mundart wenig oder gar keinen Einsiuß auf die gebildete Sprache aus. Gewöhnlich führt man Hannover und Braunschweig mit an als Sitze der besten Aussprache, was aber nicht ganz zugegeben werden kann, indem hier alle Gauiuenlaute, namentlich k und g, zu weich aus¬ gesprochen werden, und alle s zn scharf, so daß diese Gegenden gerade keinen Vorzug vor Meißen haben. Uebrigens versteht es sich, daß bei allen streitigen Punkten Gesetz und Entscheidung aus Hochdeutschlanl) geholt werden müssen und niemals aus Niederdeutschlaud. *) Versteht sich kn Altbakern. Vtü) Aber auch hier mit Ausnahme der Residenz Dresden,