126 49. Der Löwe. Das Katzengeschlecht zeigt das Raubthier in höchster Vollendung. Ausgerüstet mir furchtbarer Stärke und seltener Schärfe der Sinne, voll List und Gelenkigkeit, dauernd im Lauf, unerreicht im Sprung, nicht zu sättigen in ihrem Blutdurst, sind sie recht eigentlich die Würger der Thierwelt. Ihre Formen, die bei unserer Hauskatze in schmei¬ chelnder Verkleinerung auftreten, vereinigen die weichste Geschmeidigkeit mit der zähsten Spannkraft. Der gestreckte Leib, jeder Windung fähig, hat auch in der lebhaft bunten Farbe und in der meist geringelten, gefleckten Zeichnung durchaus das Schlangenartige, welches dem Charak¬ ter dieser Thiere so sehr entspricht. Die schleichend gekrümmten Füße ber¬ gen unter dichtem Haar die hervorschnellenden Krallen. Der Kopf ist kurz, fast gerundet, das Ohr klein, das Auge leuchtend, die Zunge mit scharfen Warzen besetzt. Ein langer, ringelnder Schweif erhöht den Aus¬ druck wilder Schönheit und dient zum Theil sogar als Waffe. Das Gebiß zeigt oben 4, unten 3 Backenzähne, vor denen ein messerschärfer- dreizackiger Reißzahn steht. Die großartigste Gestalt dieser Gruppe ist der Löwe (Felis leo), seit uralten Zeiten als König der Thiere gefeiert. Muth, wenn auch nicht Großmuth, Stolz und Besonnenheit scheinen ihn über die Katzen¬ natur zu erheben. Es ist die Majestät des Schreckens und der Ge¬ walt, die ihn umgiebt. — Im Sumpfrohr, „wo Gazellen und Giraffen trinken," in einsamer, buschiger Felsenkluft hat er sein Lager. Dort liegt er während des Tages meist im Schlaf. Weckt ihn die Abenddämmerung, dann richtet das stolze Thier sich auf, und nun erschallt jenes Gebrüll, das die Heerden heulen macht, und vor dem der Beduin im fernen Zeltdorf erschrocken verstummt. In der That kommt nichts aus dem weiten Reich der Töne diesem Laute gleich, welcher den Muth und die Kraft des Muthigsten und Kräftigsten verkün¬ det. Erst dumpf röchelnd, fast seufzend, schwillt er bald in langgezogenen Stößen an, bis er zuletzt donnergewaltia die Luft erfüllt. Rad „Don¬ ner," nennt deshalb auch der Araber das Löwengebrüll, und seine Sprache, sonst so überreich an Naturbezeichnungen, hat dafür nur dieses einzige Wort. Sobald der erste Ton erdröhnt, bergen die Thiere der Wildniß sich angstvoll oder versuchen zu fliehen, denn sie wissen, daß der Löwe jetzt über meilenweite Strecken seinen Raubzug beginnt. Durch die dichteste Finsterniß glüht sein stieres Auge her; von Minute zu Minute nähert sich sein Gebrüll; endlich in einem ungeheuren Sprunge setzt er über die 6 Fuß hohe Wand des Pferchs, packt das Schaf, das Maul- thier, das Rind, und ehe noch die Wächter im Zelte sich aufraffen, ist er mit der Bente verschwunden. Wo er der Heerde nicht näher zu kom¬ men vermag, belauert er den Eber, jagt er die Antilope, oder er schleicht der Karavane oder dem räuberischen Kabylen nach. Oft folgt ihm in scheuer Ferne das Geheul des Schakals, der von den Resten des Königs¬ mahles sich sättigt. Daß der Löwe den Menschen nicht angreife, ist Fabel; wenigstens wagt bei Nacht kein Araber allein und ohne Waffen sein Lager zu ver¬ lassen. Katzenartig streckt er sich zum Sprunge, der bis zu einer Weite von 40 Fuß seines Zieles sicher ist, und mit Einem Schlage seiner Pranken hält und zerreißt er das galopierende Pferd samt dem Reiter.