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von
Theodor Colshorn «nd Karl Goedeke.
Aus den Quellen.
Theil.
Hauover.
Carl Rumpler.
1859.
(
ffiiitii, laß dir gefallen
Diese» kleine Hau»;
©röste kann man bauen,
Mehr kommt nicht heran».
Goethe.
Werke 1840. IV, 68.
Schrift und Druck von Fr. Culrmann.
V o r w o r t.
Unser lesebuch soll vor allem kindlich sein, von jener kind-
lichkeit, die dem redlichen nie entfliegt; kindisches bringt es nicht
eine zeile. es ist ferner durchweg deutsch und soll durch lesen
in die deutsche literatur einführen: von ihren bedeutenderen er-
scheinungen alter und neuer zeit, so weit sie für das jugendliche
alter sich eignen, wird man jede vertreten sehen, unser Stand-
punkt ist wie unser bekenntnis: protestantisch, und von ihm haben
wir die auswahl getroffen, diese ist eine selbständige aus den
quellen: an keiner stelle sind wir durch eine andere Sammlung
zur aufnähme oder weglaszung eines Stückes bestimmt.
Was die anordnung anbetrifft, so haben wir das ausgewählte
material in drei theile gebracht: der erste ist für das alter von
acht bis elf, der zweite für das von zehn bis dreizehn, der dritte
für das von zwölf bis fünfzehn jähren berechnet, die lesestücke
steigen vom leichteren zum schwereren auf, was indes innerhalb
desselben theils nur im allgemeinen erstrebt ist: es waltete ein
höherer gesichtspunkt vor, und dieser war, die stücke so zu ver-
binden, dasz prosa und poesie sich gegenseitig durchdringen, sich
gegenseitig heben und erhellen möchten, man wird leicht finden,
dasz alles in genauem Zusammenhang steht und auf eine einzige
schnür gereiht ist. wir freuen uns, aus der deutschen literatur
haben schöpfen zu können: sie ist so reich, dasz sich das material
jedesmal ungesucht dargeboten hat.
Die gleichmäszige durchführung der interpunktion rührt von
uns her. die Orthographie dagegen haben wir mit unserm freunde,
dem Verleger, vereinbart und consequent durchführen laszen, ohne
innerhalb der gesteckten grenzen die Schreibung der schriftsteiler
zu beeinträchtigen, in betreff der fremdwörter hat dem corrector
Heyse’s fremdwörterbuch, im übrigen die anleitung zur deutschen
rechtschreibung gedient, die das hanoversche oberschulcollegium hat
veranstalten laszen. auf die groszartigste philologische Schöpfung
des neunzehnten Jahrhunderts, auf die historische Sprachforschung,
haben wir einstweilen in den grimm’schen lesestücken nur leise
hindeuten wollen.
Da wir einen genau entworfenen plan genau befolgt haben,
werden wir wesentliche änderungen nicht vorzunehmen haben.
Hanover und Celle.
december 1858.
Colshorn und Goedeke.
1.
Wandersmann und Lerche.
Bon Hey.
Fünfzig Fabeln.
W. Lerche, wie früh schon flie-
gest du
Jauchzend der Morgensonne zu!'
L. 'Will dem lieben Gott mit Singen
Dank für Leben und Nahrung bringen,
Das ist von Alters her mein Brauch;
Wandersmann, deiner doch wohl
auch?'
Hamburg. Nr. 18-
Und wie so laut in der Luft sie
sang,
Und wie er schritt mit munterm Gang,
War es so froh, so hell den zwein
Im lieben klaren Sonnenschein.
Und Gott, der Herr imHimmel droben,
Hörte gar gern ihr Danken und
Loben.
2.
Das Gebet.
Von Colshorn.
Vergl. Rückcrt 'Die Weisheit des Brahmanen' 4. Aufl. Leipzig 1857. S. 280.
Ein frommer Mann stand eines Abends in seiner Kammer
und betete. Bald darauf schlief er ein. Da erschien ihm ein Engel,
der hatte ein großes Buch in der Hand und sprach: <Lies.' Der
Mann laö und sah, daß sein Gebet mit goldenen Buchstaben ein-
getragen war; aber mitten im Gebet befand sich ein dicker schwarzer
Strich. Da fragte er den Engel: 'Warum hast du denn gerade
die schönste Stelle fortgelassen?' Der Engel antwortete: Ms du
eben an diese Stelle kamst, gieng dein Freund im Mondenschein am
Fenster vorbei; da betetest du lauter, damit er es hören sollte. Wir
dürfen aber nur das ins Buch des Lebens schreiben, was Menschen
nicht erfahren haben.'
3.
Vom frommen Kinde.
Aus Goethe'S Götz von Berlichingen.
• Werke. Stuttgart und Tübingen 1840. IX, 16.
Karl. Ich bitte dich, liebe Tante, erzähl mir das noch einmal
vom frommen Kind; 's ist gar zu schön.
Colshorn u. Gddeke's Lesebuch I.
1
Maria. Erzähl du mir's, kleiner Schelm; da will ich hören,
ob du Acht giebst.
Karl. Wart e biß, ich will mich bedenken. — Es war einmal
— ja — es war einmal ein Kind, und fein’ Mutter war krank;
da gieng das Kind hin —
Maria. Nicht doch. Da sagte die Mutter: Liebes Kind —
Karl. Ich bin krank —
Maria. Und kann nicht ansgehn —
Karl. Und gab ihm Geld und sagte: Geh hin, und hol dir
ein Frühstück. Da kam ein armer Mann —
Maria. Das Kind gieng; da begegnete ihm ein alter Mann,
der war — nun, Karl!
Karl. Der war — alt —
Maria. Freilich! der kaum mehr gehen konnte, und sagte:
Liebes Kind —
Karl. Schenk mir was; ich habe kein Brot gessen gestern
und heut'. Da gab ihm's Kind das Geld —
Maria. Das für ein Frühstück sein sollte.
Karl. Da sagte der alte Mann —
Maria. Da nahm der alte Mann das Kind —
Karl. Bei der Hand und sagte — und ward ein schöner
glänzender Engel und sagte: — Liebes Kind —
Maria. Für deine Wohlthätigkeit belohnt dich Gott durch
mich: welchen Kranken du anrührst —
Karl. Mit der Hand — es war die rechte, glaub' ich.
Maria. Ja.
Karl. Der wird gleich gesund.
Maria. Da lief das Kind nach Haus und konnt' vor Freuden
nichts reden.
Karl. Und fiel seiner Mutter um den Hals und weinte vor
Freuden —
Maria. Da rief die Mutter: Wie ist mir! und war — nun,
Karl!
Karl. Und war — und war —
Maria. Du giebst schon nicht Acht! — und war gesund.
Und das Kind curierte König und Kaiser und wurde so reich, daß
es ein großes Armenhaus bauete.
4.
Von den Engeln.
-Bon Löwenstein.
Kindergarten. Berlin 1846. S. 86.
tlun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wie schön die guten Engel sind!
3
Sie sind so hell von Angesicht,
Als Erd' und Himmel im Frühlingslicht,
Sie haben Augen gar blau und klar
Und ewige Blumen im goldigen Haar,
Und ihre raschen Flügelein,
Die sind von silbernem Mondenschein.
Bei Tag und Nacht
Schweben die Engel in solcher Pracht.
Nun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wie die Englein fliegen leis und lind!
So leis, als der Schnee vom Himmel fällt,
So leis, als der Mond zieht über die Welt,
So leis, als der Keim aus der Erde sprießt,
So leis, als der Duft durch die Lüfte fließt,
So leis, als vom Baume weht ein Blatt,
So leis, als das Licht über Land und Stadt, —
So leis und lind
Fliegen die Englein, mein liebes Kind.
Nun laß dir erzählen, mein liebes Kind,
Wozu die guten Engel sind!
Wo ein Armer betet in seiner Noth,
Da bringen sie in das Haus ihm Brot,
Wo beim kranken Kinde die Mutter wacht,
Da nehmen des Kindleins sie in Acht,
Und wo in Gefahren ein Guter schwebt,
Wo jemand weinet, jemand bebt, —
Dahin geschwind
Gehen die Englein, mein liebes Kind!
Und willst du, mein Kind, die Englein sehn —
Das kann auf der Erde wohl nicht geschehn;
Doch wenn du hier lebest fromm und rein,
Wird stets ein Engel um dich sein,
Und wenn sich dereinst dein Auge bricht.
Du nicht mehr erwachst zum Tageslicht:
Dann wirst du ihn schaun; er winkt dir still,
Dann folg ihm, wohin er dich führen will.
Im Himmelsscheiu
Wirst du dann selber ein Engel sein!
5.
Ä.n sein liebes Söhnlein Hänschen.
Von vr. Martin Lnthcr.
Werke. Wittenberg 1558. IX, 412a.
Gnad und Friede in Christo. Mein liebes Söhnchen! Ich sehe
gern, daß dn wohl lernest imd fleißig betest. Thu also, mein
Söhnchen, und fahre fort; wenn ich heimkomme, so will ich dir einen
1"
4
schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiß einen hübschen lustigen
Garten, da gehen viel Kinder innen, haben güldene Nöcklein an
und lesen schöne Äpsel unter den Bäumen, und Birnen, Kirschen,
Spillings) unb Pflaumen, singen, springen und sind fröhlich, haben
auch schöue kleine Pferdlein mit güldenen Zäumen und silbernen
Sätteln. Da fragt ich den Mann, des der Garten ist, wes die
Kinder wären. Da sprach er: ‘(§8 sind die Kinder, die gern beten,
lernen und fromm sind.'
Da sprach ich: ^Lieber Mann, ich hab auch einen Sohn, heißt
Hänschen Luther; möcht er nicht auch in den Garten kommen, daß
er auch solche schöne Äpfel und Birnen essen möchte und solche feine
Pferdlein reiten und mit diesen Kindern spielen?' Da sprach der
Mann: Wenn er gern betet, lernet und fromm ist, so soll er auch
in den Garten kommen, Lippus und Jost auch; und wenn sie
alle zusammenkommen, so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten
und allerlei Saitenspiel haben, auch tanzen und mit kleinen Arm-
brüsten schießen.'
Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen
zugerichtet, da hiengen eitel güldene Pfeifen, Pauken und feine silberne
Armbrüste. Aber es war noch frühe, daß die Kinder noch nicht
gessen hatten; darum konnte ich des Tanzes nicht erharren und
sprach zu dem Mann: <Ach lieber Herr, ich will flugs hingehen
und das alles meinem lieben Söhnlein Hänschen schreiben, daß er
je fleißig bete, wohl lerne und fromm sei, ans daß er auch in diesen
Garten komme; aber er hat eine Muhme, Lene, die muß er mit-
bringen.' Da sprach der Mann: <Es soll ja sein, gehe hin und
schreibe ihm also.'
Darum, liebes Söhnlein Hänschen, lerne und bete ja getrost,
und sage es Lippus und Josten auch, daß sie auch lernen und beten;
so werdet ihr mit einander in den Garten kommen. Hiemit sei dem
lieben allmächtigen Gott befohlen, und grüße Muhme Lene und
gieb ihr einen Buß?) von meinetwegen.
Anno MDXXX.
Dein lieber Baker
Martin ns Luther.
6.
Versuchung.
Von Reinick.
Deutscher Jugendkalender f. 1851. S. 45.
Gar emsig bei den Büchern Da lacht herein durchs Fenster
Ein Knabe sitzt im Kämmerlein, Der lust'ge, blanke Sonnenschein
i) eine Art Pflaumen, unten und oben etwas zugespitzt wie eine Spindel oder Spille.
-) Buß mundartl. für Kuß.
5
Und spricht: 'Lieb Kind! du sitzest hier?
Komm doch heraus und spiel bei mir!'
Den Knaben stört es nicht,
Zum Sonnenschein er spricht:
'Erst laß mich fertig sein!'
Der Knabe schreibet weiter,
Da kommt ein lustig Vögelein,
Das picket an die Scheiben
Und schaut so schlau zu ihm herein.
Es ruft: 'Komm mit! derWald ist grün,
Der Himmel ist blau, die Blumen
blühn!'
Den Knaben stört es nicht.
Zum Vogel kurz er spricht:
'Erst laß mich fertig sein!'
Der Knabe schreibt und schreibet,
Da guckt der Apfelbaum herein
Und rauscht mit seinen Blättern
Und spricht: 'Wer wird so fleißig sein?
Schau meine Äpfel! Diese Nacht
Hab' ich für dich sie reif gemacht!'
Den Knaben stört es nicht,
Zum Apfelbaum er spricht:
'Erst laß mich fertig sein!'
Da endlich ist er fertig;
Schnell packt er seine Bücher ein
Und läuft hinaus zum Garten.
Juchhe! Wie lacht der Sonnen-
schein !
Das Bäumchen wirft ihm Äpfel zu,
Der Vogel singt und nickt ihm zu.
Der Knabe springt vor Lust
Und jauchzt aus voller Brust;
Jetzt kann er lustig sein!
7.
Ämalie und Gustav.
Bon Löhr.
Plaudereien, hcrausg. o. Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. I, 28-
Mürrisch saß der kleine Gustav vor seiner Hausthüre und
sah zur Erde. Der große Türk, des Nachbars Hllnd, hatte ihm
ein Stück Kuchen weggenommen, welches er eben verzehren wollte,
und darüber grollte er nun.
<Denke nicht mehr an den Kuchen, lieber Gustav!' sagte seine
Schwester Amalie zu ihm, <du bekommst ihn doch nicht wieder!
Komm, wir wollen spielen!'
^Jch mag nicht spielen,' antwortete ihr Gustav sehr verdrießlich,
spiele du allein.'
^Gustav, lache einmal mit mir,' sagte nach einem Weilchen Amalie,
die ihren Bruder so gern wieder ausgeräumt machen wollte.
^Dummes Mädchen, so laß mich doch; ich will ja mit dir nichts
zu thun haben!' antwortete Gustav murrend. Amalie wurde nicht
verdrießlich darüber, daß Gustav schimpfte; sie sann hin und her,
wie ste ihren Gustav aufheitern wollte, aber es siel ihr nichts bei.
Willst du ein schönes Vogelnest sehen?' fragte sie ihn nach
einigen Augenblicken; aber Gustav antwortete ihr gar nicht.
Was fang ich doch nur an,' dachte sie, üun Gustav vergnügt
zu machen?'
Amalie gieng ins Haus und holte Gustav'S Trommel und
trommelte im Hose herum. Hurtig kam Gustav in den Hof. <Laß
meine Trommel!' rief er ärgerlich, <die Trommel ist mein!' Aber Amalie
hörte nicht darauf.
6
Gustav wollte ihr die Trommel abnehmen, aber Amalie entlief
ihm; sie lies in den Garten.
‘Gieb mir meine Trommel wieder,' rief Gustav immerfort, indem
er ihr nachlief. ‘2m,' antwortete Amalie, ‘wenn du freundlich sein,
wenn bn mein Vogelnest sehen, wenn du mit mir spielen willst.'
Gustav verfolgte Amalien. Eben, wenn er glaubte, fetzt sei er
ihr ganz nahe lind könne ihr die Trommel abnehmen, entsprang
sie ihm schäkernd und lachend.
Gustav vergaß unter dem Nachsetzen seinen Verdruß immer
mehr; und wie Amalie sich endlich ums Gartenhaus mit ihm herum
jagte, da steng er endlich »an zu lachen. Husch war nun Amalie
ins Gartenhaus hinein, ohne daß es Gustav bemerkt hatte.
Nachdem Gustav noch einmal ums Gartenhaus gelaufen war,
so wurde er wohl gewar, daß Amalie nicht mehr lief. ‘Wo bist
du denu, Malchen?' rief er freundlich.
‘Tererum, tererum!' gieng's im Gartenhausc.
‘Aha!' sprach Gustav, ‘bist du ins Gartenhaus hinein gehuscht?
Wart, nun sollst du mir nicht entkommen.'
Gustav gieng ins Gartenhaus. ‘Nun gieb mirs Trommclchen,
liebes Malchen,' sagte er. Amalie reichte ihm mit der einen Hand
die Trommel, und wenn er zugreifen wollte, so kitzelte sie ihn mit
der andern. Da steng Gustav nun an, recht herzlich zu lachen, und
Amalie lachte mit ihm.
‘Siehst du,' sagte Amalie jetzt, ‘daß ich dich wieder lustig ge-
macht habe? Willst du men mein Vogelnest sehen?'
Gustav ließ sich das Vogelnest nun gern zeigen, und beide
Kinder spielten alsdann sehr vergnügt im Garten.
8.
Die spielenden Hunde.
Von Löhr-
Plaudereien, herausg. v. Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. I, 100.
Ein Hühnerhund, der bei dem Herrn, bei welchem er war,
sehr wenig zur Jagd gebraucht wurde, suchte sich auf dem Hofe
so gut zu unterhalten, als es angieng. Er spielte und jagte sich
vorzüglich mit zwei Möpsen herum, die demselben Herrn angehörten.
Eines Tages nahm er ein kleines, etwa einer halben Elle
langes Stöckchen unb warf es mit dem Maule in die Höhe ltnb
steng es wieder. Dieses Spiel hatte ihn einige Minuten belustigt,
als "es die beiden Möpse gewar wurden und ihm das Stöckchen
zu nehmen sich bemühten. Nun ließ der Hühnerhund das Stöckchen
auf die Erde fallen, und in dem Augenblicke, da einer von den
Möpsen zugreifen und es aufnehmen wollte, sprang er zu, nahm
cs auf und lief den Hof einigemale im Kreise herum, und die
7
Möpse verfolgten ihn. Dann legte er, und immer wieder in der-
selben Gegend des Hofs, wo er vorher mit dem Stöckchen gespielt
hatte, dasselbe an die Erde, ohne es erst vorher in die Höhe ge-
schnellt ju haben, legte die Vorderfüße ans die Erde und den Kopf
dazwischen und erwartete in dieser Lage den Augenblick, wo die
Möpse nach dem Stöckchen griffen, und erschnappte es allzeit eher,
als sie, lief dann wieder im H^st herum und ließ sich von den
Möpsen verfolgen.
Aus diese Weise spielten die Hunde über eine halbe Stunde.
Die Möpse, die des Laufens nicht so gewohnt waren, wurden eher
müde, als der Hühnerhund, und legteil sich hin, um auszuruhen.
Der Hühnerhund trieb noch einige Minuten das vorige Spiel, warf
das Stöckchen in die Höhe und fieng es wieder. Das Stöckchen
schien dem Thiere durch das Vergnügen, das es ihm verschafft
hatte, lieb geworden zu sein; er ließ es nicht etwa gleichgültig auf
dem Hofe liegen, sondern trug es in seine Hütte, gleichsam, um es
für künftige Fälle aufzubewahren.
9.
Vom Väuuilein, das andere Blätter gewollt.
Von Rüikert.
Ges. Gedichte. Bd. I. 5- Ausl. Erlangen 1840- S. 485. — Gedichte. Bd. I. Erlangen 1836- S. 481.
Es ist ein Bäumlcin gestanden im
Wald,
In gutem und schlechtem Wetter;
Das hat von unten bis oben halt
Nur Nadeln gehabt statt Blätter;
Die Nadeln, die haben gestochen,
Das Bäumlein, das hat gesprochen:
'Alle meine Kameraden
Haben schöne Blätter an,
Und ich habe nur Nadeln,
Niemand rührt mich an;
Dürft' ich wünschen, wie ich wollt',
Wünscht' ich mir Blätter von lauter
Gold.'
Wie's Nacht ist, schläft das Bäum-
lein ein,
Und früh ist's aufgewacht;
Da hatt' es goldene Blätter fein,
Das war eine Pracht!
Das Bäumlein spricht: 'Nun bin ich
stolz;
GoldncBlätter hat keiilBaum imHolz.'
Aber wie es Abend ward,
Gieng der Jude durch den Wald,
Mit großem Sack und großem Bart,
Der sieht die goldnen Blätter bald;
Er steckt sic ein, geht eilends fort
Und läßt das leere Bäumlein dort.
Das Bäumlein spricht mit Grämen:
'Die goldnen Blättlein dauern mich;
Ich muß vor den andern mich schämen,
Sie tragen so schönes Laub an sich;
Dürft' ich mir wünschen noch etwas,
Sv wünscht' ich mir Blätter von helleni
Glas.'
Da schlief das Bänmlein wieder ein,
Und früh ist's wieder aufgewacht;
Da hatt' es glasene Blätter fein,
Das war eine Pracht!
Das Bäumlein spricht: 'Nun bin ich
froh;
Kein Baum im Walde glitzert so.'
Da kam ein großer Wirbelwind
Mit einem argen Wetter,
8
Der fährt durch alle Bäume geschwind
Und kommt an die glasenen Blätter;
Da lagen die Blätter von Glase
Zerbrochen in dem Grase.
Das Bäumlein spricht mit Trauern:
Mein Glas liegt in dem Staub,
Die andern Bäume dauern
Mit ihrem grünen Laub;
Wenn ich mir noch was wünschen soll,
Wünsch' ich mir grüne Blätter wohl.'
Da schlief das Bäumlein wieder ein,
Und wieder früh ist's aufgewacht;
Da hatt' es grüne Blätter fein,
Das Bäumlein lacht
Und spricht: 'Nun hab' ich doch Blätter
auch,
Daß ich mich nicht zu schämen brauch'.'
Da kommt mit vollem Euter
Die alte Geiß gesprungen;
Sie sucht sich Gras und Kräuter
Für ihre Jungen;
Sie sieht das Laub und fragt nicht
viel,
Sie frißt es ab mit Stumpf und
Stiel.
Da war das Bäumlein wieder leer,
Es sprach nun zu sich selber:
'Ich begehre nun keiner Blätter
mehr,
Weder grüner, noch rother, noch
gelber!
Hätt' ich nur meine Nadeln,
Ich wollte sie nicht tadeln.'
Und traurig schlief das Bäumlein
ein,
Und traurig ist es aufgewacht;
Da besieht es sich im Sonnenschein
Und lacht und lacht!
Alle Bäume lachen's aus;
Das Bäumlein macht sich aber nichts
draus.
Warum hat's Bäumlein denn ge-
lacht,
Und warum denn seine Kameraden?
Es hat bekommen in einer Nacht
Wieder alle seine Nadeln,
Daß jedermann es sehen kann;
Geh 'naus, sieh's selbst, doch riihr's
nicht an.
Warum denn nicht?
Weil's sticht.
10.
Das hirtenbüblein.
von den brüdern Grimm,
märehen 7. aufl. Göttingen 1857. II, 283.
Ls war einmal ein liirtenbübchen, das war wegen seiner weisen
antworten, die es auf alle fragen gab, weit und breit berühmt, der
könig des landes hörte auch davon, glaubte es nicht und liesz das
bübchen kommen, da sprach er zu ihm: ‘kannst du mir auf drei
fragen, die ich dir vorlegen will, antwort geben, so will ich dich
ansehen wie mein eigen kind, und du sollst bei mir in meinem
königlichen schlosz wohnen.’ sprach das büblein: 'wie lauten die
drei fragen?’ der könig sagte: 'die erste lautet: wie viel tropfen
wasser sind in dem Weltmeer?’ das hirtenbüblein antwortete: ‘herr
könig, laszt alle flüsse auf der erde verstopfen, damit kein tröpflein
mehr daraus ins meer läuft, das ich nicht erst gezählt habe, so
will ich euch sagen, wie viel tropfen im meere sind.’ sprach der
könig: ‘die andere frage lautet: wie viele sterne stehen am himmel?’
das liirtenbübchen sagte: ‘gebt mir einen groszen bogen weisz
9
papier’, und dann machte es mit der feder so viel feine punkte dar-
auf, dasz sie kaum zu sehen und fast gar nicht zu zählen waren,
und einem die äugen vergiengen, wenn man darauf blickte, darauf
sprach es: ‘so viel Sterne stehen am himmel, als hier punkte auf
dem papier; zählt sie nur.’ aber niemand war dazu im stand, sprach
der könig: ‘die dritte frage lautet: wie viel Secunden hat die
ewigkeit?’ da sagte das hirtenbüblein: ‘in Hinterpommern liegt der
Demantberg, der hat eine stunde in die höhe, eine stunde in die
breite und eine stunde in die tiefe; dahin kommt alle hundert jähr
ein vögelein und wetzt sein schnäblein daran, und wenn der ganze
berg abgewetzt ist, dann ist die erste Secunde von der ewigkeit
vorbei.’ — sprach der könig: ‘du hast die drei fragen aufgelöst
wie ein weiser und sollst fortan bei mir in meinem königlichen
schlosse wohnen, und ich will dich ansehen wie mein eigenes kind.’
/
11.
Gott weiß.
Von Hey.
Noch fünfzig Fabeln. Gotha. S. 18.
^Veißt du, wie viel Sterne stehen
An dem blauen Himmelszelt?
Weißt du, wie viel Wolken gehen
Weithin über alle Welt?
Gott der Herr hat sie gezählet,
Daß ihm auch nicht eines fehlet
An der ganzen großen Zahl.
Weißt du, wie viel Mücklein spielen
In der Hellen Sonnenglut?
Wie viel Fischlein auch sich kühlen
In der Hellen Wasserflut?
Gott der Herr rief sie mit Namen,
Daß sie all' ins Leben kamen,
Daß sie nun so fröhlich sind.
Weißt du, wie viel Kinder frühe
Stehn aus ihren Bettlein auf,
Daß sie ohne Sorg' und Mühe
Fröhlich sind im Tageslauf?
Gott im Himmel hat an allen
Seine Lust, sein Wohlgefallen,
Kennt auch dich und hat dich lieb.
12.
Zwei Räthsel.
a.
Von Bürger.
Musenalmanach. Götttngen 1797. S- 114.
Verfertigt ist's vor langer Zeit,
Doch mehrentheils gemacht erst hellt.
Höchst schätzbar ist es seinem Herrn,
Und dennoch hütet's niemand gern.
10
b.
Aus Arendt s Räthsclbuch. Hannover 1846. S. 176.
Du einer Bauerschenke saß,
Die Erste, die die Zweite aß;
Da kam das Ganze auch herein,
Und gleich fieng alles an zu schrein.
13.
Häuschen Schlau.
Von Lessing.
Schriften, hcrausg. von Lachmann. Berlin 1838. I, 13.
'Es ist dach sonderbar bestellt/
Sprach Hänschen Schlau zu Vetter Fritzen,
'Daß nur die Reichen in der Welt
Das meiste Geld besitzen.'
14.
Uom Hunde im Wasser.
Nach Äsop von Luther.
Werke. Wittenberg 1558- IX, 456b.
Es lief ein Hund durch einen Wasserstrom uild hatte ein
Stück Fleisch im Maule. Als er aber den Schemen *) vom Fleisch
im Wasser siehet, wähnet er, es wäre auch Fleisch, unb schnappet
gierig darnach. Da er aber das Maul anfthat, entfiel ihm das
Stück Fleisch, und das Wasser führet's weg. Also verlor er beide,
das Fleisch und den Schemen.
Lehre: Wer zuviel haben will, der behält ztiletzt nichts.
15.
von König Rudolfs grauem Rock.
Von Christoph Lehman.
Chronica der freien Reichsstadt Speyer. Frankfurt a. M. 1662- S. 633.
König Rudolf von Habsbnrg pflegte sich wie ein gemeiner
Bürgersmann zu kleiden. Als König Ottokar das Königreich
Böhmen und die Landschaft Mähren zu Lehen hat empfangen
wollen, hat er sein Hofgesinde mit stattlichem Schmuck ausstaffiert
und sich selbst mit Gold, Edelgefiein und kostbarer Kleidung
prächtig geziert. König Rudolf ist von den Seinen vermahnt
) Abbild, Schatten.
11
worden, daß er sich gleichfalls königlich schmücken solle. Er hat
daraus zur Antwort gesagt: <Der König in Böhmen hat oft
meinen grauen Nock ausgelacht uub verspottet; jetzo ist die Zeit,
daß der graue Nock seiner wieder spotten kann. Der Deutschen
Lob besteht ans guter Rüstung und nicht in Kleidern.' Als da-
her der König von Böhmen im Lager erschienen ist, hat König
Rudolf sein gewöhnlich Kleid, einen grauen Nock, angethan und
sich in seinem Zelt aus eine ^schlechte Bank gesetzt. Indem König
Ottokar in seinem köstlichen schmuck sich vor dem römischen König
auf die Knie niedergelassen, hat man das Zelt allenthalben ge-
öffnet, daß jedermann den Vorfall gesehen, imb es ist im ganzen
Volk ein Gelächter darüber entstanden, daß der in Gold und köst-
lichem Zierrath vor dem schlechten grauen Nock zu Füßen ge-
legen hat. Solches ist geschehen am 25. November 1276 auf einer
Heide an der Donau.
16.
Sehet die Lilien auf dem Felde.
Von Spitta.
Psalter und Harfe 19. Ausl. Leipzig 1856 I, 90.
iöu schöne Lilie auf dem Feld,
Wer hat in solcher Pracht
Dich vor die Augen mir gestellt,
Wer dich so schön gemacht?
Wie trägst du so ein weißes
Kleid
Mit gold'nem Staub besät,
Daß Salomonis Herrlichkeit
Vor deiner nicht besteht!
Gott hob dich aus der Erde Grund,
Hat liebend ans dich Acht,
Er sendet dir in stiller Stund'
Ein Englein bei der Nacht.
Das wäscht dein Kleid mit Thau
- so rein
Und trocknet's in dem Wind
Und bleicht es in dem Sonnenschein
Und schmückt sein Blumenkind.
Du schöne Lilie auf dem Feld,
In aller deiner Pracht
Bist du zum Vorbild mir gestellt,
Zum Lehrer mir gemacht.
Du schöne Lilie auf dem Feld,
Du kennst den rechten Brauch,
Du denkst: der hohe Herr der Welt
Versorgt sein Blümchen auch.
17.
Die weiße Lilie.
Von Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Aufl. Erlangen 1810. S. 141-
Hie weiße Lilie ist freilich vor allen meine Lieblingsblume
und scheint mir die schönste in der Welt, weil auch jemand anders
ans die Lilien aus dem Felde als aus das herrlichst Bekleidete
hingewiesen hat. Sie wächst ursprünglich in den Gebirgen und
Thälern des gelobten Landes und Arabiens wild, ist aber wenigstens
12
feit den Zeiten der Kreuzfahrer nach Europa in die Gärten gekommen.
Alle ihre Theile find heilsam, stillen Schmerzen und Entzündungen,
heilen Geschwülste und Geschwüre; auch soll der Saft der Zwiebeln,
mit Brotteig gemischt, Wassersüchtige geheilt haben. Aus den
gebratenen Zwiebeln kann man ein nahrhaftes Mus bereiten.
18.
Das Llchrenfeld.
Von Hoffinann v. F.
Die Kinderwelt- Mainz 18L3. S. 142.
Ein Leben war's im Ährenfeld,
Wie sonst wohl nirgend ans der Welt:
Musik und Kirmes weit und breit,
Und lauter Lust und Fröhlichkeit.
Die Grillen zirpten früh am Tag
Und luden ein zum Zechgelag:
'Hier ist es gut, herein! herein!
Hier schenkt man Thau und Blüten-
wein !'
Der Käfer kam mit sein-er Frau,
Trank hier ein Maßlein kühlen Thau,
Und wo nur winkt' ein Blümelein,
Da kehrte gleich das Bienchen ein.
Den Fliegen ward die Zeit nicht lang,
Sie summten manchen frohen Sang;
Die Mücken tanzten ihren Reihn
Wohl auf und ab im Sonnenschein.
Das war ein Leben rings umher,
Als ob es ewig Kirmes wär';
Die Gäste zogen aus und ein
Und ließen sich's gar wohl dort sein.
Wie aber geht es in,der Welt?
Heut' ist gemäht das Ährenfeld,
Zerstöret ist das schöne Haus,
Und hin ist Kirmes, Tanz und
Schmaus.
19.
Die Kornähren.
Von Chr. v- Schmid.
Kurze Erzählungen. München 1848- S. 32-
Ein Landmann gieng mit seinem kleinen Sohn Tobias ans
den Acker hinaus, um zu sehen, ob das Korn bald reif sei.
Water! wie kommt'8 doch', sagte der Knabe, "daß einige Halme
sich so tief zur Erde neigen, andere aber den Kops so aufrecht
tragen? Diese müssen wohl recht vornehm sein; die andern, die
sich so tief vor ihnen bücken, sind gewiß viel schlechter?'
Der Vater psiückte ein paar Ähren ab und sprach: "Sieh,
diese Ähre hier, die sich so bescheiden neigte, ist voll der schönsten
Körner; diese aber, die sich so stolz in die Höhe streckte, ist ganz
taub lind leer.'
Trägt einer gar so hoch den Kops,
So ist er wohl — ein eitler Tropf.
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20.
Ñas Weizenkorn.
Bon Fr. Ad. ñrummachcr.
DaS Täubchen 3- Aufl. Düsseldorf. S. 17, 18 u. 23.
S'eht einmal dies Körnlein an. Es ist ein Weizenkorn und
ein bißchen Mehl, aber kein Leben darin, wie es scheint. Leglls
ins Land und thut ein wenig Erde darauf, so scheinlls gar todt
und begraben. Nun laßt aber des lieben Gottes Sonne darauf
scheinen und seinen Thau darauf fallen; da wird's nicht lange
säumen, sondern bald mit einem rothen Häubchen und grünen
Wämschen über seinem Grabe hinausäugeln; und wenn alles gut
geht, wird es mit der Zeit ein stattlicher Halm werden, und oben
daran eine krause Ähre mit dreißig, vierzig, fünfzig solcher Körn-
lein. So hättet ibr schon, wemlls gemahlen wäre, einen Beitrag
zu einem Milchbrötchen. Aber es geht nun alle Nechenklinst au
diesem Exempel zu Grunde. Denn, gebt Acht, jetzt sagt dies
Körnlein: ^Einmal eins ist eins!' und da Halls Recht; und, gebt
Acht, wemlls so gegangen ist, wie gesagt, es ist eine Ähre daraus
worden, so sprichlls: ^Einmal eins ist dreißig, vierzig!' und da
Halls abermals Recht; aber mit der Rechenkunst islls ans und vorbei.
Im Himmel, Kinder, ist ein viel anderes Rechnen, als auf
Erden, und unser lieber Herr, da er auf Erden wandelte, hat auch
ganz anders gezählt und gerechnet, als die anderen Menschen.
Denkt ihr an die zwei Scherflein, die da machen einen Heller?
Als die Wittib sie hineinlegte, sagte er, sie habe mehr gegeben,
als alle, die vor ihr eingeleget. — Wenn ihr's noch nicht be-
greifet, so werdet ihr es mit der Zeit schon verstehen lernen. Alles
hat seine Zeit.
Aber seht euch doch noch einmal das Weizenkörnlein an.
Siehlls nicht aus, wie Gold? Wie, wemlls Gold wäre, und alle
Weizen- und Roggenkörnlein wären Gold und trügen eitel goldene
Ähren, wenn man sie säete! Ei, das wäre eine schöne Sache,
wenn euch hungerte und hättet die harten Gvldkörner zwischen
den Zähnen! Nein, ein Weizenkörnlein ist bester; es ist ein Le-
ben darin und kann wachsen und gedeihen und viel Frucht bringen.
Legt ihr dies Körnlein in ein gut Land, so bringlls, wie gesagt,
eine Ähre mit vielen Körnlein; und nehmet ihr diese und machlls
wieder so, bekommt ihr mit der Zeit ein ganz Ackerfeld; und so
könnte es fortgehen bis ans Ende der Welt, und hättet bald
nicht Säcke genug, den Weizen zu lassen. — Schaut ihr nun.
warum unser Herr sein Wort nicht mit Gold und Silber, sondern
mit einem Weizenkorn vergleicht? <Das aber in ein gutes Land
fiel, trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigsältig, etliches
dreißigfältigll
14 •
21.
Der Sauer und sein Sind.
Bon Sturm.
Gedichte. Leipzig 1850. S. 48. — 2. Auch. 1854. S. 44.
Der Bauer steht vor seinem Feld Da kommt sein Knabe hoch beglückt,
Und zieht die Stirne kraus in Mit bunten Blüten reich beladen;
, Falten: Im Felde hat er sie gepflückt,
'Ich hab' den Acker wohl bestellt, Kornblumen sind es,Mohn undNaden;
Auf reine Aussaat streng gehalten; Er jauchzt: 'Sieh, Vater, nur die
Nun seh' mir eins das Unkraut an! Pracht!
Das hat der böse Feind gethan.' Die hat der liebe Gott gemacht.'
22.
Luisens Änsgang.
Von Löhr.
Plaudereien, herausgegeben von Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. II, 16.
Dier Wochen hatte, die arme Luise krank gelegen, und erst seit
zwei Tagen durfte sie außer dem Bette sein.
Heute sollte das Kind, nach den langen vier Wochen zum
erstenmal, wieder in den Garten; — der Tag war heiter, und die
Luft warm und mild.
Von ihren Eltern geführt, geht sie matt und langsam dem
Garten zu; aber sie ist auch traurig und still.
Mannn so still, Kind?' fragt die Mutter. "£)u hast ja lange
dich nach dem Garten gesehnt und freust dich doch jetzt nicht.'
Mutter, ich kann nicht!' antwortet Luise. 'Ach, meine schönen
Levkoien und Nelken werden wohl alle hm sein! Es hat sie ja
keiner gewartet.'
Das Kind kommt in den Garten, kommt an ihr Beet und
erstaunt und freut sich. Das Beet ist so rein von allem Unkraut;
die Nelken und die Levkoien stehn in voller Blute, und die erster«
sind an kleine Stäbe sorgfältig aufgebunden; kein Pflänzchen ist
vertrocknet, fein© ist eingegangen; man sieht es noch, daß sie be-
hackt und begossen sind!
D ihr schönen Blumen!' ruft Luise; llvcr hat euch gewartet!' --
Sie sieht den Vater an und die Mutter. — Vater und Mutter
lächeln.
Water, du?' fragt das Kiud. Der Vater sagt: Mein!'
Mber du, Mutter?' — Much nicht!' antwortet sie.
Aber nicht weit von ihr steht Wilhelm, Luisens Bruder; seine
Augen glänzen vor Freude, und sein Entzücken kann er nicht
verbergen. Luise sieht ihn an. W, nun weiß ich's! Lieber Gärtner!'
sagt sie und fällt dem Bruder in die Arnie.
Seit diesem Tage wartete Wilhelm Luisens Blumen immer
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so sorgsam, als wären's die seinen; und seit dieser Zeit gab Luise
immer die schönstcu Blumen des Beetes dem Bruder!
23.
O süße Mutter!
Von Rülkert. (Gekürzt.)
Gesammelte Gedichte. Bd. III. 2.
CD süße Mutter,
Ich kann nicht spinnen,
Ich kann nicht sitzen
Im Stüblein innen
Im engen Haus;
Es stockt das Rädcheit,
Es reißt das Fädchen,
O süße Mutter,
Ich muß hinaus.
Der Frühling gucket
Hell durch die Scheiben;
Wer kann nun sitzen,
Wer kann nun bleiben
Und fleißig sein ?
Aufl. Erlangen 1839. S- 32.
O laß mich gehen
Und laß mich sehen,
Ob ich kann fliegen
Wie Vögelein.
O laß mich sehen,
O laß mich lauschen,
Wo Lüftlcin wehen,
Wo Büchlein rauschen,
Wo Blümlein blühn.
Laß sie mich pflücken
Und schon mir schmücken
Die braunen Locken
Mit buntem Grün.
24.
Leben und Tod.
Von Fr. Ad. Krummacher.
„ Parabeln 7. Aufl. Essen 1840. II, 89.
Dorten war ein frommes liebevolles Mädchen. Alle, die sie
kannten, liebten sie, vor allen ihr Bruder Edmund, ein kleiner
Knabe, und sie war ihm nicht minder zugethan von Herzen.
Plötzlich wurde Dorchen krank, und Edmund war sehr bekümmert
um ihrer Schmerzen willen. Denn es kam nicht in sein Herz,
daß sie sterben könnte, und er hatte niemals einen Todten gesehen
und wußte noch nicht, was Tod und Sterben sei.
Als nun Dorchen voll Schmerz ans dem Bettchen lag, ge-
dachte Edmund, was sie erfreuen möge, und gieng auf das Feld,
Blumen zu suchen. Denn er wußte, sie liebete die Blumen.
Aber während er hinausgieng, war Dorchen gestorben, und
man hatte ihr ein weißes Sterbekleid angelegt.
Da trat Edmund in das Kämmerlein, wo sie lag. Und er
zeigte von ferne die Blumen; aber das Mägdlein sah sie nicht an.
Da rief er: Wiehe, Dorchen, was ich dir bringe!' Aber sie hört'
es nicht. Nun trat Edmund näher mrd sah das Mägdlein an und
sprach: Wie schläft! Ich will ihr die Blumen auf die Brust legen,
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damit sie sich freue, wenn sie erwacht. Dann wird sie sageu:
Das hat Edmund gethan!'
Also that er auch leise und lächelte. Darauf gieng er zur
Mutter und sprach: 'Ich habe Dorchen Blumen gepflückt, solche,
die sie am meisten liebet vor allen. Aber sie schläft. Da hab'
ich die Blumen auf ihre Brust gelegt, damit sie sich freuet, wenn
sie erwachet.'
Die Mutter aber weinete und sprach: 'Ja, sie schläft wohl,
aber sie erwachet nicht wieder.'
Da sagte Wilhelm: 'Wenn sie schläft, wie sollte sie denn nicht
erwachen?'
So sprach der Knabe. Aber die Mutter konnte ihm nicht
antworten. Denn sie verhüllete ihr Haupt und verbarg ihre
Thränen.
Der Knabe aber verwunderte sich des und sprach: 'Mutter,
was weinest du?'
25.
Die drei Schwestern.
Volkslied.
Aus Colshorn's Dichterwald 3. Ausl. Hannover 1856. S- 75.
Es fielen drei Sterne vom Himmel herab,
Sie fielen wohl auf eines Königs Grab,
Dem König dem starben drei Töchterlein ab.
Die eine die starb des Abends ab,
Die andre die starb um Mitternacht,
Die dritte, da der Tag anbrach.
Die erste die ward mit Rosen bedeckt,
Die andre die ward mit Nelken besteckt,
Die dritte die ward mit Dornen gespickt.
Die erste bekam einen goldenen Sarg,
Die andre bekam einen silbernen Sarg,
Die dritte bekam einen hölzernen Sarg.
Sie faßten sich all' drei wohl an die Hand
Und giengen wohl aus ihres Vater Land
Und kamen den schmalen Weg hinan;
Da begegnet' ihnen ein weißer Mann.
'Ach Seelchen, ach Seelchen, wo wollt ihr hin?'
'Wir wollen nach dem Himmel hin.'
'Der Himmel der ist zugeschlossen,
Da könnt ihr nicht hineinkommen.'
Und als sie vor die Himmelsthür kamen,
Da klopften sie so leise an.
Sanct Petrus sprach: 'Und wer ist hier?'
'Es sind drei arme Seelen dafür.'
'Die zwei die will ich lassen herein,
Die dritte soll davor bestehen bleiben.'
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«Ach liebster Herre, warum soll ich denn allein
Vor der Himmelsthür bestehen bleiben?'
'Wenn andre Kinder zur Schule gegangen,
So hast du vor dem Spiegel gestanden,
Dein Haar gebrüllt, dein Haupt geschmückt.'
Da gieng die dritte wieder zurück
Und kam nun auf den breiten Weg;
Da begegnet' ihr ein schwarzer Mann.
'Ach Seelchen, ach Seelchen, wo willst du hin?'
'Ich will nach der Höllen hin.'
'Die Hölle die ist aufgeschlossen,
Da kannst du wohl hineinkommen.'
Und als sie vor das Höllenthor kam,
Da klopfte sie so grausam an.
Der Teufel sprach: 'Wer ist denn hier?'
'Es ist eine arme Seele dafür.'
Da kam ein böser Geist hervor,
Der nahm sie herein ins Höllenthor
Und setzte sie auf einen glühenden Stuhl,
Gab ihr einen glühenden Becher in die Hand,
Danach ihr Mark und Ader zersprang.
Da fieng sie an zu schrein und sprach:
'O weh, o weh meiner Mutter Hand,
Die mich nicht nach der Schule zwang!
O weh, o weh meines Vaters Hand,
Der mich nicht nach der Kirche zwang!
O weh, o weh mein bunter Rock,
Der mich hier nach der Hölle lockt!
O weh, o weh meines Kutschers Pferd,
Das mich hier nach der Hölle fährt!'
26.
Das tliränenkrüglein.
Jacob Grimm’s mythologie 2. ausgäbe. Güttingen 1844. s. 884.
inner jungen frau war das einzige kind gestorben; sie weinte
über alle maszen und konnte sich nickt zufrieden stellen, jede
nacht lief sie hinaus auf das grab und jammerte, dasz es die
steine hätte erbarmen mögen, in der nacht vor dem dreikönigsfeste
sah sie Perchtha1) nicht weit von ihr vorüber ziehen; da gewarte
sie, den andern hindern hinterdrein, ein kleines mit einem ganz
durchnäszten hemdchen angethan, das in der hand einen krug
mit wasser trug und matt geworden den übrigen nicht folgen konnte ;
ängstlich blieb es vor einem zäune stehn, den Perchtha überschritt
und die andern hin der überkletterten. die mutter erkannte in
diesem augenblick ihr kind, eilte hinzu und hob es über den zäun.
während sie es so in den armen hielt, sprach das kind : ‘ach wie
') Bertha, frau Holle.
Cotshorn u. ©bbete’S Lesebuch I.
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wann sind mutterhände! aber weine niclit so sehr, du weinst
mir meinen krug sonst gar zu schwer und voll; da sieb, ich habe
mir mein ganzes hemdchen schon damit beschüttet.’ da weinte sich
die mutter noch einmal herzlich aus und hörte dann zu weinen auf.
27.
Lrühlingsgesptnster.
Von Sturm.
Gedichte. Leipzig 1820. S. 62. - 2. Aufl. 1854. S. 58.
3<* saß noch spät in meinem Zimmer,
Studierend bei der Lampe Schimmer,
Uitd ob mein Auge mild' und matt,
Wandt' ich doch emsig Blatt um Blatt.
Da klopft' es plötzlich an mein Fenster;
Ich glaube zwar nicht an Gespenster,
Doch weil gar hoch mein Fenster war,
Schien mir das Klopfen wunderbar.
Ich spähte in die nächt'gen Räume,
Der Mond schien freundlich durch die Bäume,
Tief unten schlug die Nachtigal,
Sonst tiefes Schweigen überall.
Doch kaum saß ich zu lesen nieder,
So klopft' es auch vernehmlich wieder;
Weit macht' ich nun die Fenster ans
Und ließ den Klopfern freien Lauf.
Und plötzlich schwärmten durch das Fenster-
Zwei braune surrende Gespenster; —
Maikäfer waren's, die's verdroß,
Daß ich im Zimmer mich verschloß,
Daß ich mich über Büchern härmte,
Genießend iricht wie sie durchschwärmte
Die linde, weiche Maiennacht
Doll Blütendust und Sterncnpracht.
28.
Die nickende Mutter.
Von Nückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. "
Aie Kinderspielen nachts am Tisch,
Die Mutter strickt;
Der Kinder Augen blicken frisch,
Die Mutter nickt.
Die Äpfel stehn noch auf dem Tisch,
Und jeder blickt
'. Erlangen 1838. S. 162.
Die Kindlein an verführerisch;
Die Mutter nickt.
Ein purpurstreif'ger, mit Gemisch
Von Gold gestickt,
Lacht einem gar zu zauberisch;
Die Mutter nickt.
19
Da streckt es nach dem goldnen Fisch
Die Hand geschickt;
-Nehm' ich ihn?'fragt es schmeichlerisch;
Die Mutter nickt.
Und eines folgt dem andern risch,
Und jedes spickt
Sich seine Tasche räuberisch;
Die Mutter nickt.
Die Vögel räumen ab den Tisch,
Und alles pickt
Und fürchtet sich vor keinem Wisch;
Die Mutter nickt.
Der Vater fragt gebieterisch,
Ob das sich schickt;
Die Knaben doch antworten frisch:
-Die Mutter nickt.'
29.
Das zahme Mäuschen.
Von Löhr.
Plaudereien, herausgeg. von Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. I, 16.
Herr Wilhelm pflegte sich des Sommers gewöhnlich auf dem
Laitde aufzuhalten, wo er ein großes Haus besaß.
Eines Sommers fand er auf dem geräumigen Saal, den er
bewohnte, ein Mäuschen, welches ziemlich dreist überall umherlief.
Wenn du allein bist', dachte Herr Wilbelm, ‘so kann ich es ja
wohl leiden, daß du hier dich lustig machst und deine Nahrung
suchst, es ist ja Platz genug für mich und dichz sind aber mehrere
von deiner Art da, so muß die Falle herbei.'
Herr Wilhelm merkte bald, daß die Maus keine Gesellschaft
hatte, und so stellte er denn dem kleinen Thiere nicht nachz er
freute sich sogar über die Lebhaftigkeit und Munterkeit, mit welcher
das kleine Geschöpf alle Winkel durchsuchte.
Weil er das Thier nickt verfolgte, so wurde es täglich dreister.
Es kehrte sich nach einiger Zeit gar nicht daran, daß Herr Wilhelm
im Saale war, oder etwa darin auf- und abgiengz es kam ihm
sogar, wenn er au seinem Tische schrieb, dicht an die Füße, ohne
durch die Bewegungen, die er beim Schreiben machte, schüchtern
zu werden.
Neben dem Schreibtische, an welchem Herr Wilhelm arbeitete,
stand ein Gestelle mit einigen Büchern und eine offne Zuckerdose.
Das Mäuschen hatte die Zuckerdose bald ausgespürt und kam
nun jeden Abend, um von dem Zucker zu naschen. Sonderbar
war es, daß es niemals am Tage über die Dose gieng, wiewohl sie
doch beständig offen stand.
Nach einiger Zeit schloß Herr Wilhelm die Dose und legte
der Maus ein einzelnes Stückchen Zucker hin, das sie auch richtig
jeden Tag verzehrte. Sie lies dabei hin und her und guckte zu-
weilen hinter dem Gestelle vor, auf Herrn Wilhelms Tisch.
Jetzt legte Herr Wilhelm nur ein ganz kleines Stückchen
Zucker auf den gewöhnlichen Ort und ein größeres ans die Ecke
des Tisches, an welchem er schrieb. Sobald'es Abend war, kam
20
das Mäuschen; es fraß das kleine Stückchen Zucker; cs fand auch
das größere Stück, es sprang keck auf den Tisch und sah eine
Zeit lang Herrn Wilhelm mit hellen Augen an, machte sich dann
über den Zucker her, benagte ihn mit scharfen Zähnen und ver-
zehrte ihn.
Seit dieser Zeit wurde das Stück Zucker alle Abend auf
den Tisch gelegt, und sobald Herr Wilhelm mit seinem Lichte am
Tische saß und schrieb, so stellte sich pünktlich das Mäuschen ein,
knabberte an dem Zucker, lief auf der Ecke des Tisches umher, sah
Herru Wilhelm furchtlos an, sprang auf das Gestelle, dann lvieder
auf den Tisch, um den Zucker weiter zu verzehren, lief auch wohl
in dem Saal umher, kam bald wieder und ließ sich nicht im
mindesten stören. Doch blieb cs, so oft es auf dem Tische war,
immer in einer gewissen Entfernung von dem Papier, auf welchem
Herr Wilhelm schrieb.
Herr Wilhelm hatte sein Vergnügen an dem kleinen kecken
Geschöpfe und hoffte es noch so zahm und zutraulich zu machen,
daß es aus seiner Hand fressen sollte. Aber diese Freude hatte er
nicht. Der große graue Hauskatcr, der überall umherschlich, fand
eines Tages die Thüre des Saals auf, schlich sich hinein, sieng
das Mäuschen, welches nicht schnell genug zu seinem Loche kommen
konnte, und fraß es.
Herr Wilhelm hätte eine Hand voll Geld darum gegeben,
hätte er das kleine Thier wieder haben können. Es war ihm
immer, als fehlte ihm etwas, wenn er am Abend an seinem Tische
saß und schrieb. — Noch lange hernach erzählte er zuweilen seinen
Freunden von dem zahmen und zutraulichen Mäuschen.
30.
Mäuschen.
Von Hey.
Fünfzig Fabeln. Hamburg. Nr. 28.
Frau. ^Räuschen, was schleppst
du dort
Mir das Stück Zucker fort?'
M. 'Liebe Frau, ach vergieb,
Habe vier Kinder lieb;
Waren so hungrig noch.
Gute Frau, laß mir's doch.'
Da lachte die Frau in ihrem Sinn
Und sagte: 'Nun Mäuschen, so lauf
nur hin!
Ich wollte ja meinem Kinde so eben
Auch etwas für den Hunger geben.'
Das Mäuschen lief fort, o wie
geschwind!
Die Frau gieng fröhlich zu ihrem
Kind!
21
31.
Der Spihhund.
Von Colshorn.
Musterstiuke. Hannover 1850. II, 8.
Ein Spitzhund ließ sich's wohlschmecken bei einer üoüen
Schale Milch. Ein hungriges Manschen kam herzu unb bat um
ein Almosen.
'Pack dich', sprach Spitz, 'es mundet mir selber gar zu prächtig!'
Und dabei jagte er die Bettlerin in ihr nahes Loch.
Während er aber voll Eisers davor lag und kratzte und
schnoperte, schlich Miezchen herbei, leerte das Gesäß und kletterte
rasch auf eine Leiter.
Da batte Spitz das Nachsehen und mußte sich den Bart wischen;
Miez aber schnurrte: 'Geiz bestraft sich selbst!'
32.
Drei Jchöppenstüdter Streiche.
Von Kuhn und Schwartz.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 1818. S. 113—150-
1.
Bürgermeister und Superintendent ;u Jchöppcnstädt werden sparsam.
Der Bürgermeister und der Superintendent zu Schöppenstädt
haben aus eine Zeit ein Pferd zusammen gehabt, weil sie fanden,
das käme ihnen viel billiger zu stehen, als zwei; denn das fräße
doch nur Hafer und Heu für eins, und wenn sie jeder eins hätten,
so fräßen doch die für zwei. Und da hatten sie ganz recht. Die
Sache gieng auch ganz gut; denn wenn der Superintendent zur
Kirche wollte, so kam er erst während des Lieds, und der Bürger-
meister ritt voran und schickte ihm das Pferd zurück; und wenn
der Bürgermeister znm Rathhaus ritt, saß der Superintendent zu
Hause und brauchte kein Pferd. Nun kam'S aber mal, daß beide
auf einen Tag nach Brannschweig mußten; da war guter Rath
theuer. Lange sannen sie hin und her; aber endlich fiel doch dem
Bürgermeister ein Ausweg ein, und der wurde sogleich betreten:
er stieg nämlich mit dem rechten, der Superintendent mit dem
linken Fuß in den Steigbügel, sie gaben sich die Hände übers
Pferd hinüber und ritten so mit einem Fuß im Bügel nach
Brannschweig, während ihr anderer Fuß lustig im Kothe nebenher
trabte. Und das war sehr weise; denn so wurde jedem tun?, ein
Stiefel beschmutzt, während, wenn der eine gelaufen, der andere
geritten wäre, jenem doch beide Stiefel kothig gewordett sein würden.
22
2.
Sie Schöppcnßädter verschreiben ein Gewitter.
In einem Sommer hatte es mal gar lange nicht in Schöppen-
städt geregnet, so daß den Bürgern bange wnrde, die Ernte möchte
misrathen, unb sie beschlossen daher, nach Brannschweig zu schicken,
denn da wüßte man doch Rath für alles, um sich ein Gewitter
511 verschreiben. Zu dem Ende schickten sie eine alte Frau ab, die
auch glücklich nach Brannschweig kam und dort von den Braun-
schweigern , die ihre Leute kannten, eine Schachtel erhielt, in
welcher, wie sie ihr sagten, das Gewitter wäre. In dieser Schachtel
aber, die ziemlich groß war, befand sich ein ganzer Bienenschwarm,
und als sie nun mit derselben nach' Schöppenstädt zurückgieng,
fiengen die Bienen, da es sehr heiß war, in der Schachtel gewaltig
an zu summen, lind der Frau wnrde ganz angst und bange, denn
sie hatte oft genug gehört, daß das Gewitter auch zuweilen einsehlage,
und sie fürchtete jetzt, daß es ans einmal losbrechen und sie erschlagen
könnte. Als sie daher ans die Höhe vor der Stadt kam, öffnete
sie die Schachtel ei» wenig, um dem Gewitter, dem es, wie sie
dachte, drinnen zu heiß sei, etwas Luft zu machen; denn sie meinte,
es wird ja wohl für Schöppenstädt genug übrig bleiben, lvir sind
ja dicht vor. Aber kaum hatte sie den Deckel etwas gehoben, da
flog der ganze Schwarm heraus und zurück nach Brannschweig,
und so viel sie auch rufen mochte: ^Gewitter, Gewitter! hierher,
nach Groß-Schöppenstädt!’ das Gewitter flog fort und kam nicht
wieder.
3.
Wie die Schöppenstadter ihren Herzog empfangen.
Einmal hat der Herzog nach Schöppenstädt kommen wollen,
und man hat daher anfragen lassen, womit man ihm aiifwarten
könne; da hat er gesagt, er Wünsche ein kleines rstbaieliiEEiit zu
haben. Da war Schöppenstädt in Noth; alles wnrde herbeigeholt,
was einigermaßen gelehrt war, aber keiner konnte das Räthsel
lösen; endlich fiel einem klugen Kopf ein, es möchte ein französisch
Wort fein, darum schickte man nach Wolfenbüttel und ließ in aller
Eile ein Wörterbuch holeii, iind da ergab sich, daß das Wort
^Abkühlung' bedeute. Nun war großer Jubel, und als der Herzog
jur Stadt kam und eben um die Ecke nach dem Markt biegt, da
spritzen ihm drei große Feuerspritzen ihre volle Ladung entgegen,
unb die Schöppenstädter jubelten unb freueten sich und meinten,
ein so schönes refraichissement möchte er wohl iioch nicht bekommeii
haben.
23
33.
Misverstand.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 5. - SchatzkLstlein. Stuttg. u. Tüb. 1816. S. 115.
Jm Neunziger Krieg, als der Rhein ans jener Seite von
französischen Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreis-
soldaten besetzt war, ries ein Franzos zum Zeitvertreib zu der
deutschen Schildwache herüber: *Filu! Filu!' Das heißt auf gut
deutsch ^Spitzbube'. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts
so Arges, sondern meinte, der Franzose frage: Wie viel Uhr?'
und gab gutmüthig zur Antwort: ^Halber vieri.'
34.
Der Papagei.
Von Rückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. III.
lDaswardieSchlacht vonWaterloo,
Die Schlacht von Bellalliangs,
Die klang so laut, die klang so froh,
So ungestümen Klangs.
Daswardie SchlachtvonWaterloo,
Die Schlacht von Bellalliangs;
Da klang's doch nur dem Briten
froh,
Nur froh dem Deutschen klang's.
Es wohnt' ein Franzmann nah
dabei,
Dem klingt es noch im Ohr.
Der hatt' auch einen Papagei,
Der sprach so laut zuvor.
Der Papagei sprach mancherlei,
Französisch Tag und Nacht.
So laut noch sprach der Papagei
Am Tage vor der Schlacht.
Und als die Schlacht so laut nun
sprach,
Da schwieg der Papagei;
!. Aufl. Erlangen 1839. S. 147.
Und als er wieder sprach hernach,
Sprach er nur einerlei. '
Der Franzmann sprach: ‘Bonjour,
mein Matz;'
Der Papagei sprach: ‘Bum!'
Der Franzmann sprach: ‘Bon soir,
mein Schatz;'
Der Papagei sprach: ‘Bum!'
‘Und weißtdu Weiternichts als Bum,
So bleibe lieber stumm!'
Der Papagei blieb doch nicht stumm,
Der Papagei sprach: ‘Bum!'
‘Und sagst du mir noch einmal Bum,
Den Hals dreh' ich dir um.'
‘Bum!' da dreht' er den Hals ihm um,
Und er sprach sterbend: ‘Bum!'
Nun ist der Franzmann doch nicht
frei;
Noch ruft in jeder Nacht
Ihm sein erwürgter Papagei
Den Nachhall von der Schlacht.
35.
Die Jchlacht bei Nostbach.
Von Becker.
Weltgeschichte 7. Ausgabe. Berlin 1837. X, 289-
Es war un Herbst 1757, un siebenjàhrigen Kriege. Friedrich
der ©rose tratte nut zweiuudzwanzigtausend Mann ein feste8 Lager
unweit Weitzensels bei dein Dorfe Rvsibach bezvgen. Hier schien
2 4
cs den Franzosen und dem Reichsheer leicht, das kleine Häuflein
einzuschließen; denn sie waren dreimal so zahlreich und hatten
daher weiter keine Sorge, als daß der König ihnen entrinnen
möchte. Am Morgen des fünften November brachen sie auf und
fiengen an die Preußen zu umgehen. Friedrich blieb ganz ruhig in
seinem Zelte und setzte sich am Mittag noch ebenso ruhig 31t Tische,
während die ganze Gegend von der lustigen Feldmusik der auf-
marschierenden Franzosen erklang. Diese erstaunten über die
Trägheit der Preußen, weil sie deren Schnelligkeit noch nicht
kannten. Erst um zwei Uhr gab Friedrich den Befehl, die Zelte
abzubrechen, und plötzlich stand jeder Soldat an seinem Platze.
Durch ein meisterhaftes Manöver wußte Friedrich seine Bewegungen
dem Feinde so lange 511 verbergen, bis es Zeit zum Angriff war.
Alls einmal erdonnerten die Hügelvon dem fürchterlichsten Kartätschen-
fener der preußischen Batterien; Prinz Heinrich griff die französische
Infanterie in ihrer rechten Flanke an, und Seydlitz, der Hauptheld
dieses Tages, schlug mit der Reiterei die feindliche in die Flucht und
fiel sodann dem Fußvolk in den Rücken. Die fast unglaubliche
Überraschung machte die Verwirrung unter den Angegriffenen
vollkommen. Das Reichsheer ergriff bei den ersten Kanonenschüssen
die Flucht, die Franzosen hielten sich etwa anderthalb Stunden.
Das Feuer des Fußvolks dauerte keine halbe Stunde. Die ein-
brechende Dunkelheit allein rettete die Fliehenden von ihrem gänzlichen
Untergange. Doch setzte man ihnen noch am folgenden Tage nach
und bekam über siebentausend gefangen, unter denen neun Generale
und dreihnndertnndzwanzig andere Officiere waren. Viele sollen
erst am Rheine Halt gemacht haben. Auf dem Schlachtfelde
erbeuteten die Sieger dreiundsechzig Kanonen und zweinndzwanzig
Fahnen und Standarten. Nur einundneunzig Todte und zwei-
hnndertviernndsiebzig Verwundete kostete ihnen diese lustige Schlacht.
Ganz Deutschland jubelte über diesen Sieg, und Friedrich gieng
mit seinem begeisterten Heere nach Leipzigs
36.
Der gute Kamerad.
Bon Uhland.
Gedichte 8. Aufl. Stuttgart und Tübingen 1834. ©. 296. — 1853. S. 246.
Ach hatt' einen Kameraden,
Einen bessern findest du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er gieng an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär's ein Stück von mir.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad'.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!
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37.
Die treuen ö rüder.
Von Schmid.
Kurze Erzählungen. München 1848- S. 126.
Jur Zeit der Ernte kamen zwei rüstige Jünglinge ans dein
Gebirge herab in das ebene Land, wo es an Arbeitern fehlte, und
sagten zu einem Bauer: 'Wir beide wollen Ellch die ganze Ernte-
zeit hindurch helfen, Euer Getreide herein zu bringen, wenn Ihr
uns die Kost und zehn Thaler Lobn gebt.'
'Zehn Thaler ist zu viel,' sagte der Bauer; 'ich meine, zehn
Glllden wären mehr als genug.' 'Nein/ sagten die Jünglinge, 'es
müssen gerade zehn Thaler sein; mit weniger ist uns nicht geholfen.
Wollt Ihr uns nicht so viel geben, so bieten wir unsre Dienste
einem andern all.'
'Wozu habt ihr denn so viel Geld nothwendig?' fragte der
Baller. 'Seht,' sagten sie, 'wir haben zu Hause einen jünger»
Brnder, der bereits vierzehn Jahre alt ist. Ein geschickter Wagner
will ihn in die Lehre nehmen, verlangt aber durchaus zehn Thaler
Lehrgeld. So viel Geld aber weiß unser alter Vater nicht anfzu-
bringen. Da haben wir zwei ältere Brüder uns denn verabredet,
dieses Geld zu verdienen.'
'Nun wohl,' sagte der Bauer, 'wegen eurer brüderlichen Liebe
will ich ench zehn Thaler geben, wenn ihr so steißig arbeitet, daß
ich damit zufrieden sein kann.'
Die beiden Brüder arbeiteten an den heißen Erntetagen
unermüdet im Schweiße ihres Angesichtes; sie waren morgens am
frühesten ans und legten sich abends am spätesten zlir Ruhe.
Als die Ernte glücklich eingebracht war, bezahlte der Baller
ihnen die zehn Thaler unb sprach: 'Ihr habt euren Lohn redlich
verdient, und da gebe ich jedem von euch noch einen Thaler darüber.'
Wenn Geschwister einig leben,
Treulich sich zu helfen streben:
Kann es etwas Schon'res geben?
38.
Oev hund und der Sperling-.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. I, 299.
Lin Schäferhund hatte keinen guten herrn, sondern einen,
der ihn hunger leiden liesz. wie er’s nicht länger bei ihm aushalten
konnte, gieng er ganz traurig fort, auf der strasze begegnete ihm
ein sperling, der sprach: ‘bruder hund, warum bist du so traurig?’
antwortete der hund: ‘ich bin hungrig und habe nichts zu fressen.’
da sprach der sperling: ‘lieber bruder, komm mit in die stadt, so
26
will ich dich satt machen.’ also giengen sie zusammen in die
stadt, und als sie vor einen fleischerladen kamen, sprach der sperling
zum hunde: ‘da bleib stehen, ich will dir ein stück fleisch herunter
picken,’ setzte sich auf den laden, schaute sich um, ob ihn auch
niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem
stück, das am ran de lag, bis es herunter rutschte, da packte es
der hund, lief in eine ecke und frasz es auf. sprach der sperling:
‘nun komm mit zu einem andern laden, da will ich dir noch ein
stück herunter holen, damit du satt wirst.' als der hund auch
das zweite stück gefressen hatte, fragte der sperling: ‘bruder
hund, bist du nun satt?’ ‘ja, fleisch bin ich satt’, antwortete er,
‘aber ich habe noch kein brot gekriegt.’ sprach der sperling:
‘das sollst du auch haben, komm nur mit.’ da führte er ihn an
einen bäckerladen und pickte an ein paar brötchen, bis sie herunter
rollten, und als der hund noch mehr wollte, führte er ihn zu einem
andern und holte ihm noch einmal brot herab, wie das verzehrt
war, sprach der sperling: ‘bruder hund, bist du nun satt?’ ‘ja’,
antwortete er, ‘nun wollen wir ein biszchen vor die stadt gehen.’
Da giengen sie beide hinaus auf die landstrasze. es war
aber warmes weiter, und als sie ein eckchcn gegangen waren,
sprach der hund: ‘ich bin müde und möchte gerne schlafen.’ ‘ja,
schlaf nur,’ antwortete der sperling, ‘ich will mich derweil auf
einen zweig setzen.’ der hund legte sich also auf die strasze und
schlief fest ein. während er da lag und schlief, kam ein fuhrmann
heran gefahren, der hatte einen wagen mit drei pferden und hatte
zwei fässer wein geladen, der sperling aber sah, dasz er nicht
ausbiegen wollte, sondern in der fahrgleise blieb, in welcher der
hund lag; da rief er: ‘fuhrmann, thu's nicht, oder ich mache dich
arm.’ der fuhrmann aber brummte vor sich: ‘du wirst mich nicht
arm machen,’ knallte mit der peitsche und trieb den wagen über
den hund, dasz ihn die rüder todt fuhren, da rief der sperling:
‘du hast mir meinen bruder hund todt gefahren, das soll dir
karre und gaul kosten.’ ‘ja, karre und gaul,’ sagte der fuhrmann,
‘was könntest du mir schaden!’ und fuhr weiter, da kroch der
sperling unter das wagentuch und pickte an dem einen spuntloch
so lange, bis er den spunt losbrachte: da lief der ganze wein
heraus, ohne dasz es der fuhrmann merkte, und als er einmal
hinter sich blickte, sah er, dasz der wagen tröpfelte, untersuchte
die fässer und fand, dasz eins leer war. ‘ach, ich armer mann!’
rief er. ‘noch nicht arm genug,’ sprach der sperling und flog
dem einen pferd auf den köpf uüd pickte ihm die äugen aus. als
der fuhrmann das sah, zog er seine hacke heraus und wollte den
sperling treffen; aber der sperling flog in die höhe, und der
fuhrmann traf seinen gaul auf den köpf, dasz er todt hinfiel, ‘ach,
ich armer mann!’ rief er. ‘noch nicht arm genug,’ sprach der
sperling, und als der fuhrmann mit den zwei pferden weiter fuhr,
kroch der Sperling wieder unter das tu eh und pickte den spunt
auch am zweiten fasz los, dasz aller wein herausschwankte, als
es der fuhrmann gewar wurde, rief er wieder: ‘ach, ich armer
mann!’ aber der Sperling antwortete: ‘noch nicht arm genug,’
setzte sich dem zweiten pferd auf den köpf und pickte ihm die
äugen aus. der fuhrmann lief herbei und holte mit seiner hacke
aus; aber der sperling flog in die höhe: da traf der schlag das
pferd, dasz es hinfiel, ‘ach, ich armer mann!’ ‘noch nicht arm
genug,’ sprach der sperling, setzte sich auch dem dritten pferd
auf den köpf und pickte ihm nach den äugen. der fuhrmann
schlug in seinem zorn, ohne umzusehen, auf den sperling los, traf
ihn aber nicht, sondern schlug auch sein drittes pferd todt. ‘ach, ich
armer mann!’ rief er. ‘noch nicht arm genug,’ antwortete der
sperling, ‘jetzt will ich dich daheim arm machen,’ und flog fort.
Der fuhrmann muszte den wagen stehen lassen und gieng voll
zorn und ärger heim. ‘ach,’ sprach er zu seiner fr au, ‘was habe
ich unglück gehabt! der wein ist ausgelaufen, und die pferde sind
alle drei todt.’ ‘ach, mann,’ antwortete sie, ‘was für ein böser
vogel ist ins haus gekommen! er hat alle vögel auf der weit
zusammengebracht, und die sind droben über unsern weizen her-
gefallen und fressen ihn auf.’ da stieg er hinauf, und tausend und
tausend vögel saszen auf dem boden und hatten den weizen auf-
gefressen, und der sperling sasz mitten darunter, da rief der fuhr-
mann: ‘ach, ich armermann!’ ‘noch nicht arm genug,’ antwortete
der sperling, ‘fuhrmann, es kostet dir noch dein leben,’ und flog
hinaus.
Da hatte der fuhrmann all sein gut verloren, gieng hinab in
die stube, setzte sich hinter den ofen und zwar ganz bös und
giftig, der sperling aber sasz drauszen vor dem fenster und rief:
‘fuhrmann, es kostet dir dein leben.’ da griff der fuhrmann die
hacke und warf sie nach dem sperling; aber er schlug nur
die fensterscheiben entzwei und traf den vogel nicht, der sperling
hüpfte nun herein, setzte sich auf den ofen und rief: ‘fuhrmann,
es kostet dir dein leben.’ dieser, ganz toll und blind vor wüth,
schlägt den ofen entzwei, und so fort, wie der sperling von einem
ort zum andern fliegt, sein ganzes hausgeräth, spieglein, bänke,
tisch, und zuletzt die wände seines hauses, und kann ihn nicht
treffen, endlich aber erwischt er ihn doch mit der band. da
sprach seine fr au: ‘soll ich ihn todt schlagen?’ ‘nein,’ rief er,
‘das wäre zu gelind, der soll viel mörderlicher sterben, ich will
ihn verschlingen!’ und nimmt ihn und verschlingt ihn auf einmal,
der sperling aber fängt an in seinem leibe zu flattern, flattert
wieder herauf, dem mann in den mund; da streckt er den köpf
heraus und ruft: ‘fuhrmann, es kostet dir doch dein leben.’ der fuhr-
mann reicht seiner frau die hacke und spricht: ‘frau, schlag mir
den vogel im munde todt.’ die frau schlägt zu, schlägt aber fehl
28
und schlägt dem fuhrmann gerade auf den köpf, so dasz er todt
hinfällt, der Sperling aber fliegt auf und davon.
39.
Pferd und Sperling.
Von Hey.
Fünfzig Fabeln. Hamburg. Nr. 13.
Sp. Pferdchen, du hast die Krippe voll;
Giebst mir wohl auch einen kleinen Zoll,
Ein einziges Körnlein oder zwei;
Du wirst noch immer satt dabei.'
Pf. Mimm, kecker Vogel, nur immer hin,
Genug ist für mich und dich darin.'
Und sie aßen zusammen, die zwei,
Litt keiner Mangel und Noth dabei.
Und als dann der Sommer kam so warm,
Da kam auch manch böser Fliegenschwarm;
Doch der Sperling fleug hundert auf einmal,
Da hatte das Pferd nicht Noth und Qual.
40.
Der gefangene Sperling.
Von Löhr.
Plaudereien, herausg. v. Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. I, 71.
Awei große Weinstöcke standen vor Herrn Ehrfelds Hanse.
Die Weiilstöcke brachten fast in jedem Jahre eine Menge großer,
reifer und wohlschmeckender Trauben, von welchen aber Herr Ehrfeld
die allerwenigsten 51t kosten bekam. Es fanden stch nämlich immer
unverschämte Gäste ein; — Sperlinge waren es, die die reifsten
Beeren auffraßen, viele, die noch nicht reif waren, anpickten und,
wenn sie ihnen illcht schmeckten, sitzen ließen, Stroh und Federn
zwischen das Lallb schleppten und einen gewaltigen Lärm und
Gezwitscher machten.
Einer von den Sperlingen hatte sogar ein Nest zwischen dem
Laube des Weinstocks und zwischen der Wand gemacht und war
von der guten Nahrung ganz fett geworden. Er hatte sein Plätzchen
so gut gewählt, daß dicht vor seinem Neste eine große Traube hieng,
welche er mit seinem Schnabel erreichen konnte.
Herr Ehrfeld hätte das Nest des Sperlings leicht zerstören
können; er konnte es mit der Hand bequem erreichen, wenn er
das oberste Stubenfenster aufmachte: aber er hatte,.eigentlich an
dem fetten und dreisten Vogel sein Wohlgefallen. Überdies hatte
29
er sich vorgenommen, ihn lebendig zu fangen. ‘Es ist der Haupt-
spitzbube unter allen/ sagte Herr Ehrfeld, ‘er lockt die andern durch
sein Zirpen und Zwitschern herbei und ladet sie ein, an seinem
Schmause Theil zu nehmen, und ich werde ihn gewiß beschleichen?
Gottlieb und Karl, und Lottchen und Minchen sreueten sich schon
darauf, den Sperling zu sehen.
An einem trüben Abend, an welchem es stark regnete, setzte
sich Herr Ehrfeld einen Käfich zurechte und machte dann leise, leise
das Oberfenster auf, nachdem er allen Kindern befohlen batte, recht
still ;u sein. Jetzt griff er mit der Hand zum Fenster hinaus und
streckte die Hand langsam immer weiter und weiter aus. ‘Zirp, zirp!"
schrie es auf einmal, und alle Kinder fiengen an zu jubeln und zu
jauchzen. ‘Jetzt hat ihn der Vater!" riefen sie alle, ‘jetzt hat er ihn!"
Der Vater hatte den Vogel wirklich und steckte ihn in den
Käfich. Alle Kinder stellten sich um den Käfich herum und besahen
sich den Vogel so aufmerksam, als ob er ein großes seltenes Wunder-
thier wäre.
‘Ist Er gefangen, Herr Spatz?" sagte Gottlieb.
‘Ei, warum zwitschert Er denn nicht?" rief Karl.
‘Willst bn nicht etwa Weinbeerchen haben?" fragte ihn schelmisch
das kleine Minchen.
Der arme Sperling saß indessen ganz still iinb ängstlich da.
Er wußte nicht, wie ihm geschehen war. Die Lichter in der Stube,
die Kinder um ihn her, ihr Lärmen, ihr Jauchzen und Hüpfen,
alles verwirrte das kleine Geschöpf.
‘Na," sagte nach einer kleinen Weile Herr Ehrfeld, ‘jetzt wollen
wir den Gefangenen in eine dunkele Kammer stellen unb morgen
Gericht über ihn halten! Damit er aber doch nicht hungern darf,
will ich ihm zu fressen und zu sausen geben."
Herr Ehrseld füllte ihm das Freßkästchen und das Trink-
näpfchen und stellte den Vogel weg.
‘Was wird der Vater doch mit dem Gefangenen machen?"
fragten am andern Morgen die Kinder unter einander.
‘Er wird ihn doch nicht todt machen?" sagte Minchen. ‘Wie
kannst du das glauben, kleine Närrin," antwortete Lottchen; ‘der
einzige Sperling würde auch viel helfen!"
‘Und der Vater ttjut das auch niemals," setzte Karl hinzu.
Der Vater kam eben, indem die Kinder noch darüber sprachen,
was mit dem Vogel werden sollte, von seiner Stube herunter.
‘Sollen wir den Gefangenen holen?" schrien ihm die Kinder
entgegen. ‘Holt ihn!" antwortete der Vater, und alle liefen fort
und brachten den Sperling.
Der Vater stellte den Sperling auf einen Tisch.
‘Nun, Herr Spatz!" redete der Vater den Gefangenen an, ‘jetzt
endlich hätten wir Ihn denn. Wie unverschämt hat Er sich immer
aufgeführt! Da half kein Rufen, fein Scheuchen und Klopfen am
30
Fenster; Er fraß immer drauf las und bat auch nach du andern
Diebe Gaste und machte obendrein mit ihnen einen greulichen
Spektakel. Womit kann Er sich entschuldigen? — Nicht?'Er kann
sich nicht entschuldigen? Nun, sieht Er, so wollen wir Ihm beim
die diebische Kehle mit einem Faden zusammenschnüren und Ihn,
den andern Spitzbuben zum Exempel, vor dem Fenster anfhenken.'
<Ach Vater!' riefen bittend die Kinder, Gas wirst du doch nicht
thun!' und waren sehr betreten über den Vorsatz, den armen Sper-
ling zu erwürgen.
"Nun,' fuhr der Vater fort, Weil er so seist ist, so können wir
ihn auch rupfen und braten; es wird einen ganz erträglichen Bissen
geben!'
CD nein! Vater, o nein,' baten die Kinder, llodtmachen mußt
du das arme Thier gar nicht.'
Warum nicht?' fragte der Vater; chat es uns nicht bestohlen?'
‘D, es versteht es ja nicht besser,' sagte Karl.
<Das arme Thier will ja auch leben,' setzte Gottlieb hinzu.
<Die andern Sperlinge würden darum nicht wegbleiben, wenn
du ibn auch todt machtest,' sprach Lottchen.
Glnd sieh auch nur, wie angst ihm gewesen sein muß,' sagte
Minchen; Ger arme Sperling hat ja kein Körnchen von seinem
Futter angerührt!'
Mnn gut,' fuhr der Vater fort zum Sperling zu reden, Weil
du denn so ein armer Lump bist, der es nicht besser versteht, und
nicht anders leben kannst und schon so viele Angst ausgestanden
hast, so soll dir das Leben geschenkt sein. Aber Strafe muß sein;
was sollen wir mit dir machen?'
Glimm eine Schere,' sagte Lottchen, Gerstutze ihm die Flügel,
und laß ihn in der Stube umher laufen.'
<Das müßte ich verbitten,' fieng die Mutter an, die bisher ruhig
und lächelnd zugehört hatte, ohne sich in das Gespräch zu mischen,
Gas müßte ich verbitten; euer Sperling würde alles beschmutzen.'
Mnd dann,' setzte der Vater hinzu, Gabt ihr wohl nicht an Hinzen
gedacht, der würde ihn mit seinen Krallen schön zurichten.'
<Ah, das ist wahr,' sagten die Kinder, Ga wäre dem Sperling
wenig geholfen, daß wir ihm das Leben ließen, wenn ihn der Kater
auffräße. — Nein, laß ihn lieber ganz fliegen.'
»Aber soll er uns denn alle Weinbeeren fressen?' fragte der
Vater.
Die Kinder wußten auch da Rath. Wir haben ein großes
Netz auf dem Boden,' sagten sie, Gas wollen wir über die Wein-
stöcke ziehen, dann kann kein Sperling weiter hinzu. Sollen wir
ihn fliegen lassen, Vater?'
Der Vater, der mit dem Anfhcnken und Braten des Sper-
lings ohnehin nur gescherzt hatte, erlaubte es ihnen.
31
«Aber hier zum Feuster wollen wir ihn nicht wieder hinaus-
siiegen lassen/ sagten die Kinder, 'er säße uns sonst gleich wieder in
den Weintrauben? ^ t t
Die Kinder trugen den Vogel bis ans äußerste Ende des
Gartens. Hier öffneten sie den Kästch. 'Tschitsch ! tschitsch P rief der
Sperling, der eilig dnrch die Luft flog, und die Kinder jubelten
und riefen ihm frendig nach.
41.
Das Meislein.
AuZ Goctbr'8 Gvk von SBersicfuinieti.
Werkr. Stuttgart und
Es sieng ein Krmb' ein Bögclein,
Hin! Hm!
Da lacht er in den Käfich 'nein,
Hm!Hm!
So! So!
Hm!Hm!
Der freut sich tränn so läppisch,
Hm! Hm!
Und griff hinein so täppisch,
übingcn 1840. IX, 94.
Hm!Hm!
So! So!
Hm!Hm!
Da flog das Meislein auf ein Haus,
Hm!Hm!
Und lacht den dummen Bliben aus.
Hm!Hm!
So! So!
Hm! Hm!
42.
Der kluge Pudel.
Don Reichenbach.
Vlllksnaturgcschrchte. Neue Auslage. Leipzig 1854. I, 95.
Vor einem Hotel in Paris stand ein kleiner Schuhputzer, der
einen großen schwarzen Pudel hatte. Das Talent des Pudels,
seinem Herrn Arbeit zu verschaffen, war einzig in seiner Art: er
trat nämlich mit seinen zottigen Pfoten irgendwo in den Koth und
setzte sie dann dem ersten Besten, der vorbeigieng, auf die Füße.
Der kleine Savohard war gleich bei der Hand, den Schaden zu
verbessern, rückte den Schemel vor und machte Anstalt, den Schuh
oder Stiefel zu putzen, wofür ihm der Lohn nicht entgieng. Wäh-
rend der Beschäftigung verhielt sich der Pudel ruhigz sobald'Äer
der Schemel wieder leer war, sieng er sogleich das vorige Spiel
an, tauchte die krause Pfote emsig in die Gosse und benetzte die
Vorübergehenden. So fehlte es nie an Kunden. Die Geschicklich-
keit des Pudels und die Artigkeit seines jungen Gebieters, der sich
der ganzen Dienerschaft des Hotels gefällig bewies, gaben Anlaß
zu manchem Späßchen, ja beide erhielten gleichsani eine Berübmt-
heit, die ihnen nicht unbelohnt blieb. Auch stoffen ihnen ans dem
32
Hotel gute Bissen von der Dienerschaft zu. — Ein angesehener
Engländer lernte den Hund kennen und wollte ihn kaufen. Der
Eigenthümer wollte sich nicht dazu verstehen; doch der Umstand,
daß die Polizei diesen kleinen Unfug des Stiefelputzers und seines
Hundes nicht länger dulden wollte, wozu von der andern Seite
noch kam, daß der Engländer dein armen Knaben fünfzehn Gold-
stücke für das Thier bot, gab den Ausschlag, und so mußte der
Pudel mit seinem reichen Herrn über den Kanal nach London
wandern. — Verlassen, traurig und wenig beschäftigt, steht der
kleine Savoyard vor dem Hotel. Aber Freude über Freude be-
mächtigt sich seiner, als der zottige Freund plötzlich auf ihn zuge-
sprungen kommt und ihm seine treue Anhänglichkeit und gegen-
seitige Freude beweist. Nun blühete der Verkehr des Stiefelputzers
von neuem auf, und die Polizei drückte ein Auge über die un-
erlaubten Mittel zu. Die Art und Weise, wie das Thier über den
Kanal zurückgekommen war, blieb ein Räthsel.
43.
Pudel.
Von Hey.
Fünfzig Fabeln. Hamburg. Nr. 29.
‘Iß) er hat hier die Milch genascht?
Hätt' ich doch den Dieb erhascht!
Pudel, wärst denn du es gar?
Pudel, komm doch! ei fürwahr,
Einen weißen Bart hast du;
Sag mir doch, wie geht das zu?'
Die Hausfrau sah ihn an mit Lachen:
'Ei Pudel, was machst du mir für Sachen?
Willst wohl gar noch ein Naschkätzchen werden?'
Da hieng er den Schwanz bis auf die Erden
Und heulte und schämte sich so sehr.
Der naschet wohl so bald nicht mehr.
44.
Sarry.
Von Lenz.
Naturgeschichte 3. Auslage. Gotha 1851. I, 232.
Ueber den großen St. Bernhard führt ein sehr betriebener
Bergpaß aus Wallis nach Italien. In dem öden hohen Felsen-
thale, von mit ewigem Schnee bedeckten Felsen umschlossen, steht
die höchste menschliche Wohmlng in der alten Welt, das Kloster
33
des heiligen Bernhard. Hier wohnen zehn bis zwölf fromme Mönche,
deren einziges Geschäft cs ist, die Reisenden unentgeltlich zu be-
wirten und ihnen alle Hülse angedeihen zu lassen. In den acht
oder neun Monaten des Jahres,' wo Schnee, Nebel, Ungewitter
und Schneelawinen den Weg sehr gefährlich machen, streifen diese
Geistlichen oder ihre Diener täglich umher, um Verirrte aufzusuchen
oder Versunkene §u retten. Schon viele Jahre her bedienen sie sich
zur Rettung der Verunglückten auch besonders abgerichteter großer
Hunde. Diese gehen entweder allein aus oder werden von den
Mönchen mitgenommen. Sobald der Hund einen Verunglückten
ausgewittert hat, kehrt er in pfeilschnellem Laufe zu seinem Herrn
zurück und giebt durch Bellen, Wedeln und unruhige Sprünge
seine gemachte Entdeckung kund. Dann wendet er um, immer
zurücksehend, ob man ihm and) nachfolge, und führt seinen Herrn
nach der Stelle hin, wo der Verunglückte liegt. Oft hängt man
diesen Hunden ein Fläschchen mit Branntwein oder andern stärkenden
Getränken und ein Körbchen mit Brot um den Hals, um es einem
ermündcten Wanderer zur Erquickung darzubieten. Ein solcher
Hund war Barry. Zwölf Jahre lang war er unermüdet thätig
und treu im Dienste der Menschheit, und er allein hat in seinem
Leben mehr als vierzig Menschen das Leben gerettet. Der Eifer,
den er hierbei bewies, war außerordentlich. Nie ließ er sich an
seinen Dienst mahnen. Sobald der Himmel sich bedeckte, Nebel
sich einstellten, oder die gefährlichen Schneegestöber sich von weitem
zeigten, so hielt ihn nichts mehr im Kloster zurück. Nun strich er
rastlos und betienb umher und ermüdete nicht, immer und immer
wieder nach den gefährlichen Stellen zurückzukehren und zu sehen,
ob er nicht einen Sinkenden halten oder einen Vergrabenen hervor-
scharren könnte, und konnte er nicht helfen, so setzte er in unge-
heuren Sprüngen nach dem Kloster hin und holte Hülfe herbei.
Als er kraftlos und alt war, sandte ihn der Prior nach Bern, wo
er starb und in dem Museum ausgestellt wurde.
45.
8er Bauer und sein Sohn.
Nach B. Waldig von Gellert.
Fabeln und Erzählungen. 2. Theil 2. Ausl. Leipzig 1751- S- 30.
Ein guter dummer Bauerknabe,
Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,
Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe,
Recht dreist zu lügen, wiederkam,
Gieng kurz nach der vollbrachten Reise
Mit seinem Vater über Land.
Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
Log auf die unverschämtste Weise.
ColShorn u. Gddeke's Lesebuch I.
3
34
Zu seinem Unglück kain ein großer Hund gerannt.
'Ja, Vater,' rief der unverschämte Knabe,
'Ihr mögt mir's glauben oder nicht,
So sag' ich's Euch und jedem ins Gesicht,
Daß ich einst einen Hund bei--------Haag gesehen habe,
Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt,
Der--------ja, ich bin nicht ehrenwerth,
Wenir er nicht größer war, als Euer größtes Pferd.'
'Das,' sprach der Vater, 'nimmt mich Wunder,
Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn.
Wir, zum Exempel, gehn jetzunder,
Und werden keine Stunde gehn,
So wirst du eine Brücke sehn,
(Wir müssen selbst darüber gehn,)
Die hat dir manchen schon betrogen;
(Denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein,)
Auf dieser Brücke liegt ein Stein,
An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
Und fällt und bricht sogleich ein Bein.
Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen.
'Ach,' sprach er, 'lauft doch nicht so sehr.
Doch wieder auf den Hund zu kommen,
Wie groß sagt' ich, daß er gewesen wär?
Wie Euer größtes Pferd? Dazu will viel gehöre».
Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr;
Allein das wollt' ich wohl beschwören,
Daß er so groß als mancher Ochse war.'
Sie giengen noch ein gutes Stücke;
Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt' es anders sein!
Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
Er sah nunmehr die richterische Brücke
Und fühlte schon den Beinbruch halb.
'Ja, Vater,' fieng er an, 'der Hund, von dem ich redte.
War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte,
So war er doch viel größer, als ein Kalb.'
Die Brücke kommt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen!
Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind.
'Ach Vater!' spricht er, 'seid kein Kind
Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen.
Denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen,
Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind.'
46.
Der lügenhafte Hirt.
Nach Äsop von Meißner.
Äsopische Fabeln. Leipzig. S. 16.
Ein junger Hirt hatte die Unart, seine Mitgenossen oft nn-
nöthig in Angst zu versetzen. <Ein Wolf! ein Wolf!' rief er dann
35
überlaut, und wenn alle Hirten nun herbeieilten, stand er ganz
ruhig da und lachte.
Einigemal gelang es ihm; aber bald kam es dahin, daß nie-
mand mehr ihm glaubte. Und siehe, gerade da brach wirklich ein
Wolf in seine Hürden ein. 'Zu Hülfe, meine Brüder, zu Hülfe!
Ein Wolf! wahrhaftig ein Wolf!' schrie er ängstlich seinen Nachbarn
zu. Sic hörten ihn an, blieben ruhig in ihren Hütten, und un-
versehrt konnte der Wolf die Hälfte seiner Schafe erwürgen.
Flieh Lügen sorgfältiger, als Feuer!
47.
Sprüche.
IAit Gott fang an, mit Gott hör auf;
Das ist der schönste Lebenslauf.
Rede wahr und thue recht;
Wer da lügt, dem geht es schlecht.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht,
Und wenn er auch die Wahrheit spricht.
Ein junger Lügner, ein alter Dieb;
Drum sei dir stets die Wahrheit lieb.
Wer lügt, der stiehlt, wer stiehlt, der lügt;
Das ist ein Sprichwort, das nicht trügt.
Vor fremdem Gut bewahr die Hände,
Sonst nimmt's einmal ein schlimmes Ende.
Versprechen und Halten
Steht fein bei Jungen und Alten.
Unschuld und ein gut Gewiffen
Sind zwei sanfte Ruhekissen.
Lerne Ordnung, liebe sie;
Sie erspart dir Zeit und Müh.
Lust und Liebe zum Dinge
Macht Mühe und Arbeit geringe,
Reinlichkeit sei deine Freude;
Sie ziert mehr, als Sammt und Seide.
Was du nicht willst, das man dir thu,
Das füg auch keinem andern zu.
3
36
48.
Der fechtende Handlnerksburfchc in Änklam.
Von Hebcl.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 34.
Jm August des Jahres 1804 stand in der Stadt Anklam in
Pommern ein reisender Handwerksbursche an einer Stubenthürc
und bat um einen Zehrpfennig ganz fleißig. Als stch niemand
sehen ließ noch rührte, öffnete er leise die Thür und gieng hinein.
Als er aber eine arine und kranke Witwe erblickte, die da sagte,
sie habe selber nichts, so gieng er wieder hinaus.
Lieber Leser, denke nicht, der hat's lassen drauf ankommen,
ob jemand in der Stube ist, hat seinen Zehrpfennig selber wollen
nehmen; sonst mußt du dich schämen und in deinem Herzen einem
edeln Menschen Abbitte thun. Denn der Handwerksbursche kam
nach ungefähr fünf Stunden wieder. Die Frau rief ihm zwar
entgegen: 'Mein Gott, ich kann Euch ja nichts geben; ich selbst lebe
von anderer Menschen Milde und bin jetzt krank!' Allein der edle
Jüngling dachte bei sich selber: 'Eben deswegen.' Anständig und
freundlich trat er bis vor den Tisch, legte aus beiden Taschen viel
Brot daraus, das er unterdessen gesammelt hatte, und viele auf
gleiche Art gesammelte kleine Geldstücke. 'Das ist für Euch, arme
kranke Frau,' sagte er mit sanftem Lächeln, g'eng wieder fort und
zog leise die Stubenthürc zu.
Die Frau war die Witwe eines ehemaligen braven Unter-
officiers, Namens Laroque, bei dem preußischen Regiment von
Schönfeld.
Den Namen des frommen Jünglings aber hat ein Engel im
Himmel für ein andermal aufgeschrieben. Ich kann nicht sagen,
wie er heißt.
49.
Die Gutthat.
Von Geliert.
Fabeln und Erzählungen. 2. Theil 2. Aufl. Leipzig 1751. S. 73.
Ulk rühmlich ist's, von seinen Schätzen
Ein Pfleger der Bedrängten sein
Und lieber minder sich ergehen,
Als arme Brüder nicht erfreun!
Beaten fiel heut ein .Vermögen
Bon Tonnen Golds durch Erbschaft zu.
'Nun,' sprach sie, 'hab' ich einen Segen,
Von dem ich Armen Gutes thu.'
Sie sprach's. Gleich schlich zu seinem Glücke
Ein siecher Alter vor ihr Haus
37
Und bat, gekrümmt auf seine Krücke,
Sich eine kleine Wohlthat ans.
Sie ward durchdrungen von Erbarmen
Und fühlte recht des Armen Noth.
Sie weinte, gieng und gab dem Armen
Ein großes Stück verschimmelt Brot.
50.
Erica.
Von Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Ausl. Erlangen 1840. S. 148.
Das Heidekraut mit seinen rosenrothen Blütlein und dicht
aneinander gedrängten ungestielten Blättlein, die am Stengel heraus
vier Reihen bilden, ist durch ganz Deutschland gar überaus häufig
in Wäldern und auf Heiden, dient dem Vieh zur Streu, den
Schafen in manchen weidearmen Ländern zum Futter und giebt
den Bienen viele Nahrung in seinen Blüten, daher auch' da, wv
viel Heidekraut wächst, die meiste Bienenzucht und der beste Honig
ist. Von dem Samen nährt sich im Winter mancher kleine Vogel,
und man sagt, daß in solchen Jahren, wo ein recht strenger Winter
eintritt, das Heidekraut vorher immer ganz ungewöhnlich häufig
blühe und Samen ansetze. So wird auch für die kleinen Vögel
schon im voraus, noch ehe der strenge Winter kommt, die nöthige
Nahrung besorgt, und in unseres Gottes großem Haushalten wird
nicht einmal ein Thierchen übersehen, geschweige ein Mensch.
51.
Im JFmnt.
Volkslied. (Gekürzt.)
Erlach: Die Volkslieder der Deutschen. Mannheim 1835. III, 501.
Hüpft ein Vöglein, singt mir zu:
'Freude! holde Freude!
Kuß und Sang, ein Paradcis
Auf dem grünen frischen Reis,
Unter Blüten roth und weiß
Auf der grünen Heide.'
Fließt ein Bächlein, rauscht mir zu:
'Freude! holde Freude!
Muutre Schwätzer lustig ziehn
In die Wiesen saftig grün,
Oder wo die Sträucher blühn
An der grünen Heide.'
Fliegt ein Biensein, summt mir zu:
'Freude! holde Freude!
Hohes Fest und süßes Mahl,
Honigblüten ohne Zahl,
Duft im warmen Sonnenstrahl
Auf der grünen Heide.'
38
52.
Die Linde.
Bon Vöhr.
PlaudcreN», hecausg. v. Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. II, 92.
Eduard, Christian, Amalie und Justine waren in dem Garten
ihres Nachbars. Der Nachbar grub eine junge Linde aus, die
nicht mehr ganz klein war. 'Wer von euch will den Baum?'
fragte der Nachbar die Kinder, — 'es ist ein schöner Stamm!'
'Ich mag ihn nicht,' antwortete Eduard, 'es wächst ja nichts
darauf!' ‘D, wenn nichts darauf wächst,' riesen Amalie und
Christian, 'da wollen wir ihn auch nicht.'
'Geben Sie den Baum mir,' sagte Justine; 'der Vater soll
mir ein Plätzchen geben, wo ich ihn pflanzen kann.'
Justine bekam den jungen Lindenbaum, und ihr Vater wies
ihr eine Stelle im Garten an, wo sie denselben sich könnte hin-
pflanzen lassen.
Das Mädchen frcnete sich über ihren Baum und half mit
allem Eifer ihn pflanzen. 'Ei,' rief sie, Mein schöner Baum!'
'Bist du nicht eine kleine Närrin!' sagte Eduard, 'der Baum
trägt dir im Leben kein Obst!'
'Du giebst uns wohl von deinen Äpfeln und Birnen,' neckten
sie Christian und Amalie, 'wenn dein Baum wird groß sein?'
'Was habt ihr doch?' antwortete Justine. 'Wenn der Baum
auch kein Obst bringt, wenn er nur groß und grün wird, so bin
ich zufrieden.'
Der Baum wuchs zusehends. Die Geschwister neckten immer
noch Justine über den unfruchtbaren Baum; aber der Baum blieb
ihr sehr lieb.
Einige Jahre hatte der Baum gestanden, als Justine mit ihren
Eltern und Geschwistern an einem Sommerabende noch spät im
Garten war.
'Was riecht denn hier so lieblich?' sagten die Kinder und zogen
den süßen Duft mit Wohlgefallen ein. — Sie fragten den Vater,
woher der schöne Geruch käme.
'Geht nur an Jnstinens Linde,' antwortete dieser, 'da werdet
ihr's finden!'
Die Kinder giengen zur Linde. Je näher sie kamen, je lieb-
licher und stärker roch es. — Es war Jnstinens Linde, von welcher
der Geruch ausgieng! Der junge Baum hieng überall voll Blüten;
während des Tags waren die Blüten aufgebrochen, und jetzt durch-
dnfteten sie den ganzen Garten.
'O mein schöner, lieber Baum!' rief Justine entzückt; — 'seht
ihr, er trägt wohl auch etwas, was euch gefällt!'
Am zweiten Tage war der Nachbar da. Justine führte ihn
zu ihrem Lindenbäumchen, und ihre Geschwister begleiteten sie.
39
«Sehn Sie/ sagte Jllstine, «das ist der Banm, den Sie mir einmal
geschenkt haben!'
Der Nachbar freute sich, daß der Banm schon so voll blühe.
Jetzt aber hörten die Kinder Mich ein Summen und wußten nicht,
woher das kommen möchte.
«Ihr wißt'ö nicht?' sagte der Nachbar. «Seht doch nur in
den Lindenbaum hinein!'
Die Kinder sahen in freu Baum. Es war eine ganze Welt
voll Bienen im Baume, die aus den Blüten den süßen Saft aus-
sogen.
Den Kindern gestel das fröhliche Leben, das Summen unb
Arbeiten der kleinen Geschöpfe, und Justine wurde ihr Bäumchen
noch lieber. «Ja kommt nur, ihr lieben Bienen,' rief sie, ümd holt
euch allen Saft aus den Blüten; wir hören euch gern so summen!'
Im nächsten Jahre, im Herbste, kam der Nachbar mit einem
Teller, auf welchem zwei Honigscheiben lagen; die Kinder sahen
den Honig mit großen Augen an.
«Liebe Justine/ sprach der Nachbar, «die hast meine Bienen im
vorigen Jahr so freundlich auf deine Linde eingeladen; beut habe
ich Honig geschnitten, unb die Bienen, die sich m deinem Baume
so oft ein Leckermäulchen gemacht haben, haben mir es strenge be-
fohlen, dir diese Scheiben zu bringen, damit, wenn die Linde wieder
blüht, sie wieder kommen dürfen.'
Justine dankte dem Nachbar freundlich; und den Bienen,
die so dankbar und klug waren, wurde die Erlaubnis gegeben,
immer zu kommen, wenn der Banm blühe.
Justine bat die Mutter, ben Honig unter alle zu theilen. Die
Mutter that es und gab Semmel dazu. Die Kinder aßen den
lieblichen Hvnig. Drei Tage hatten sie genug daran — und lobten
den Baum und die Bienen unb vor allem die gütige Schwester,
die so willig getheilt hatte.
«Wir haben deinem Baum Unrecht gethan,' sprach Eduard;
«er trägt wohl etwas: Honig trägt er; wir wollen ihn den Honig-
baum nennen!'
«Ja/ riefen alle, «den Honigbaum wollen wir ihn nennen,
wenn es Justine so will!'
Justine wollte es gern. — «Das freut mich/ sagte sie, «daß
mein Baum doch etwas trägt, was ihr gern eßt.'
Mit jedem Jahre wuchs der Baum zusehends.
Wie bte Kinder beinahe erwachsen waren, war es schon ein
großer Baum geworden. Der Vater hatte eine Bank um den
Stamm desselben machen lassen. Man saß unter dem Schatten
des Baumes; man erfrischte sich in seiner Kühlung bei der Hitze
des Tages, unb man aß des Abends unter seinen Zweigen Milch
und Butterbrot; man sog den Duft seiner Blüten ein; mail hörte
mit Wohlgefallen die Bienen auf seine» Blüten stimmen und die
40
Vögel in seinem dichten Lande zwitschern. Alle Gartennachbarn
freuten sich ans die Zeit seiner Blüte; denn sie genossen auch den
lieblichen Dust, welcher sich weit umher verbreitete.
Eduard, Christian, Amalie und Justine sprachen nach vielen
Jahren noch oft von den vorigen Zeiten, wo der Baum gepflanzt
war, wo Justine von ihnen war geneckt worden, und wie gut der
Honig des Nachbars geschmeckt hatte; und allen war der Baum
sehr wcrth, der doch nichts trug.
53.
Die Siene und der Lenz.
Von Arndt.
Gedichte. Leipzig 1840. S. 81.
siehst du dein goldnes Röckchen an?
Die goldnen Stiefel auch?
O Bienchen, Vöglein wohlgemuth,
Mit leichtem Sinn und leichtem Blut,
Was locket dich das Sonnenlicht?
Was lockt dich Blütcnhauch?
Was summst du lustig hin und her?
Hast nie des Spiels genug?
Der Lenz ist kurz, du süßes Kind!
Dich zieht der Strom, dich nimmt der
Wind,
Dich bringet um den Blumcnraub
Der Menschen List und Trug.
Wohl zieh' ich an den goldnen Rock
Und kleid' in Gold den Fuß,
Leicht ist mein Blut und leicht mein
Sinn,
In Freuden ich geboren bin;
Drum locket mich das Sonnenlicht
Und Blumenliebesgruß.
'Der Lenz ist kurz, das Leben schnell,
Drum flieg' ich schnell dahin;
Mein Frühlingsschein, mein Blumcn-
spiel,
In jedem Kelch mein Bettchen kühl,
Auf jeder Flur mein Leben bunt —
Drob trag' ich frohen Sinn.'
O Bienchen, Vöglein wohlgemuth!
O süßes Frühlingskind!
Horch! horch! wie klagt die Nachti-
gal
Im Erlenbusch mit Trauerschall!
Auch sie im Lenz geboren ist,
Doch nur auf Trauren sinnt.
'Wohl höre ich die Nachtigal,
Ihr Klagen fromm und still;
Sie ist die schmcrzenvolle Frau,
Ihr Traucrkleid ist dunkelgrau;
Doch sprich, warum ich trauren soll,
Weil sie nicht froh sein will?
'Sieh her, wie bebet Strauch und
Laub
Im jungen Sonnenschein!
Wie küssen sich die Blumen lieb
Und locken: 'Kleiner Honigdieb,
Komm, sammle Blumenliebeskost;
Denn dieser Lenz ist dein!"
O Böglcin! Vöglein wohlgemuth,
Mit goldnem Flügelpaar!
O leichtes Leben frommer Brust!
Zieh mich zum Lenz, zu seiner
Lust,
Und mache mir mit Liebesglanz
Die trüben Augen klar.
41
54.
Erdbeere.
Von Colshorn.
Deutsche Mythologie. Hannover 1853. S. 355.
Der Mai erschien in voller Herrlichkeit, und alles freute sich
der Wärme und deö Thaus. Das Sausen der hohen Eichen und
Buchen und das Brausen der schlanken Tannen und Fichten, ver-
mischt mit der Vöglein fröhlichem Gezwitscher, belebte den Wald.
Ephen spielte vergnügt im Sonnenschein und ergötzte sich am
Schatten seiner tief ausgeschnittenen Blätter; selbst das Moos be-
schallte gern seine Schildchen im Spiegel des Thaus, unb Mai-
blume hörte freudig das feine Geläute ihrer silbernen Glöckteiil,
wenn der Wind sie hin- und herschwang. Alles, alles freute sich.
Nur Erdbeere weinte. Denn lliemand achtete ihrer Blätter,
mochten sie auch noch so sein gesägt lind seidig glänzend sein, 11116
niemand ihrer weißen Blllmeilkronen, unb wenn auch zwanzig
Männlein ulld mehr noch mit gelben Köpfchen herauslugten.
Bienchen allein tröstete und sprach von Geduld und Hoffilung.
Und Erdbeere hoffte unb harrte.
Und siehe, ihr Fruchtboden drängte sich immer mehr hervor,
ward ffeischig und saftig und röthete sich nach und nach. Und
Erdbeere hoffte und harrte.
Die Sonne sandte glühende Strahlen herllieder, Maibllime
war längst welk und entblättert; da stand Erdbeere freudig da,
mit vielen köstlicheil Beeren beladen, eine lloch röther und würziger,
als die aildere. Nlln drängte sich alles heran: Eichhörncheil bat
für seine Kleinen, Ameise speiste selber, uild noch spät abends steckte
Glühwurm sein Laternchen all und flog herbei, um zu schaueil und
zli naschen. Erdbeere aber behielt die besten Früchte zllrück und be-
deckte sie sorgsam mit ihren Blättern.
Eines Morgens kam ein herzig Mägdlein hinzu. Das trug
ein feines Körbchen und suchte Erdbeeren; denn es hatte eine kranke
Mutter und wollte sic erquicken. Da zitterte Erdbeere vor Wvnile
uild freute sich, daß ein frischer Morgenwind ihre Blätter empor-
hob und ihre vollglüheil6en Beeren zeigte, die röther waren als
Purpur uild lieblich wie die Morgenröthe. Unb das Mägdlein
sammelte und dankte mit jubelndem Herzen und labte die kranke
Mutter mit der vollen süßen Ladling.
Erdbeere aber wächst seitdem jahraus, jahrein bescheiden fort,
röthet und reift ihre edle Beere am warmen Strahl der Soilne
uild ergllicket Menschen lind Vieh durch ihre balsamische Frucht.
42
55.
Lrühlingslied.
Von Hölty.
Gedichte, herausg. von Voh, 3.
^lieLuft ist blau, das Thal ist grün,
Die kleinen Maienglockcn blühn,
Und Schlüsselblumen drunter;
Der Wiesengruud
Ist schon so bunt
Und malt sich täglich bunter.
Königsb. u. Leipzig 1833. S. 172.
Drum komme, wem der Mai gefällt,
Und schaue froh die schöne Welt
Und Gottes Vatergüte,
Die solche Pracht
Hervorgebracht,
Den Baum und seine Blüte.
56.
Lrühlingsglocken.
Von Reinick.
Lieder. Berlin 1841. S. 1. — Vergl. 2. Miniaturausgabe 1852. S. 62.
Schneeglöckchen thut läuten:
Kling — ling — ling!
Was hat das zu bedeuten? —
Ei, gar ein lustig Ding!
Der Frühling heut' geboren ward,
Ein Kind der allerschönstcn Art;
Zwar liegt es noch im weißen Bett,
Doch spielt es schon so wundernett.
Drum kommt, ibrVögel, aus demSüd
Und bringet neue Lieder mit!
Ihr Quellen all'
Erwacht im Thal!
Was soll das lange Zandern?
Sollt mit dem Kinde plaudern!
Maiglöckchen thut läuten:
Bim — bam — bam!
Was hat das zu bedeuten? —
Frühling ist Bräutigam,
Macht Hochzeit mit der Erde heut'
Mit großer Pracht und Festlichkeit.
Wohlauf denn, Nelk' und Tulipan,
Und schwenkt die bunte Hochzeitsfahn';
Du Ros und Lilie, schmückt euch fein,
Brautjungfern sollt ihr heute sein;
Ihr Schmetterling'
Sollt bunt und flink
Den Hvchzeitreigen führen;
Die Vögel musicieren.
Blauglöckchen thut läuten:
Bim — bim — bim!
Was hat das zu bedeuten? —
Ach, das ist gar zu schlimm!
Heut' Nacht der Frühling scheiden
muß,
Drum bringt man ihm den Abschieds-
gruß:
Glühwürmchen ziehn mit Lichtern hell,
Es rauscht derWald,esklagtderQuell,
Dazwischen singt mit süßem Schall
Aus jedem Busch die Nachtigal
Und wird ihr Lied
Sobald nicht müd',
Ist auch der Frühling schon ferne;
Sie hatten ihn alle so gerne!
57.
Jm Frühlinge.
Von Sturm. .
Gedichte. Leipzig 1850. S. 97. - 2- Aufl. 1854. S- 89.
Het Frühling kam, derFrühling rief -Wär' euer Schlaf auch «och so tief,
Vom Berg ins Thal hinunter: Ihr Schläfer, werdet munter!'
43
Da regten tausend Keime sich
Und wurden stark und stärker
Und dehnten sich und streckten sich
Und sprengten ihre Kerker.
Da traten Blätter zart und weich
Aus kleinen braunen Wiegen,
Um schüchtern an den schlanken Zweig
Sich innig anzuschmiegen.
Da sprang Schneeglöckchen pfeil-
geschwind
Aus seinem grünen Bette;
Es glaubte schon das schöne Kind,
Daß es verschlafen hätte.
Da öffneten sich allzumal
Die Särge der Winterschläfer;
Da spielten in der Sonne Strahl
Die Mücken und die Käfer.
Da wurden auch die Veilchen wach,
Die tief im Grase wohnen,
Und bunte Primeln folgten nach
Und weiße Anemonen.
Da fieng mein Herz zu klopfen an
So schmerzlich und so bange;
Ein Strom von bittern Thränen
rann
Heiß über meine Wange.
Der Lieben hab' ich still gedacht,
Die grüne Hügel decken,
Und die der Lenz mit seiner Macht
Nicht kann vom Schlaf erwecken.
58.'
Das Aanarienvögelchen.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7- Ansg. Essen 1840- I, 130.
Ein kleines Mädchen, Namens Karoline, hatte ein allerliebstes
Kanarienvögelchen. Das Thierchen sang vom frühen Morgen bis an
den Abend und war sehr schön, goldgelb mit schwarzem Häubchen.
Karoline aber gab ihm zu essen Samen und kühlendes Kraut,
auch zuweilen ein Stückchen Zucker und täglich frisches klares
Wasser.
Aber plötzlich begann das Vögelchen zu trauern, und eines
Morgens, als Karoline ihm Wasser bringen wollte, lag cs todt
in dem Käfich.
Da erhob die Kleine ein lautes Wehklagen um das geliebte
Thier und weinete sehr. Die Mutter des Mägdleins aber gicng
hin und kaufte ein anderes, das noch schöner war an Farben und
ebenso lieblich sang wie jenes, und that es in den Käfich.
Allein das Mägdlein weinete noch lauter, als es das neue
Vögelchen sah.
Da wunderte sich die Mutter sehr und sprach: (Mein liebes
Kind, warum weinest du noch und bist so sehr betrübt? Deine
Thränen werden das gestorbene Vögelchen nicht in das Leben rufen,
und hier hast bit ein anderes, das nicht schlechter ist, denn jenes!'
Da sprach das Kind: "Ach, liebe Mutter, ich habe unrecht
gegen das Thierchen gehandelt und nicht alles an ihm gethan,
was ich sollte und konnte?
^Liebe Lina,' antwortete die Mutter, Kn haft sein ja sorgfältig
gesiegt!'
44
^tch nein ,’ erwiderte das Kind, üch habe noch knrz vor
seinem Tode ein Stückchen Zucker, das du mir für dasselbe gäbest,
ihm nicht gebracht, sondern selbst gegessen.' So sprach das Mädchen
mit betrübtem Herzen.
Die Mutter aber lächelte nicht über die Klagen des Mädchens;
denn sie erkannte wohl nnd verehrte die heilige Stimme der Wahrheit
in dem Herzen des Kindes.
^Ach', sagte sie, 'wie mag dem undankbaren Kinde zu Muthe
sein am Grabe der Eltern!'
59.
Das Am- am Grabe der Mutter.
Volkslied.
Erlach: Die Volkslieder der Deu
äfft sanft in deinem Kämmer-
lein,
Schläfst tief in süßer Ruh;
Ach, Mutter, liebste Mutter mein.
Laß mich doch auch ins Kämmerlein!
Ach, schließe doch nicht zu!
Ich möchte ja so gern bei dir,
Dein Kindlein wieder sein;
Ist gar zu kalt und stürmisch hier,
jen. Mannheim 1835. IV, 462-
Bei dir ist's warm, 's ist still bei dir,
Ach, laß mich, laß mich ein!
Nahmst sonst so gern mich zu dir
> hin,
Reicht'st mir so gern die Hand;
Ach, sieh, wie ich verlassen bin,
Nimm mich doch diesmal auch mit
hin
Ins schöne Himmelsland! **
60.
Hand wächst aus dem Grabe.
Von Kuhn nnd Schwartz.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 18-16. S. 44.
In der Kirche Lunow, Dreiviertelmeile von Oderberg, zeigt
man eine abgehauene ganz vertrocknete Hand, die zusammengeballt
ist und eine Ruthe zwischen den Fingern hält. Sie rührt von
einem Sohne her, der gottloserweise einmal seinen Vater geschlagen;
aber das hat Gott selber gestraft, denn als er nun starb und
begraben war, da ist ihm die Hand aus dem Grabe gewachsen,
und so oft man sie mich wieder eingegraben hat, immer ist sie
wieder herausgewachsen. Endlich hat man sie mit Ruthen gestrichen
und gemeint, nun werde sie unter die Erde zurückkehren; allein
das hat alles nichts geholfen, und darum hat man sie zuletzt
abgehauen, die Ruthe, mit der sie gepeitscht, ihr in die Fällst gesteckt
und zur ewigen Warnling gottloser Kinder in der Kirche ju Lunow
aufbewahrt.
45
61.
Gottesacker.
Bon ©enjjet.
Zerstreute Gedichte.
Auf dem Gottesacker in langen Reihn,
Bedeckt mit Blumen und grünem Gras,
Stehn viele Hügel groß und klein;
Sag, Vater, was bedeutet das? —
'In diesen Bettchen, weich und nett,
Bringt der liebe Gott seine Menschen zu Bett
Und deckt mit Blumen und Rasen sie zu,
Damit sie da schlafcu iu guter Ruh.
Er deckt sie zu vor Regen und Wind,
Er bringt sie zu Bett, wenn sie müde sind;
Denn jeder Mensch ist sein liebes Kind.
Einst kommt ein Morgen schön und klar —
Darüber vergeht noch manches Jahr —,
Da feiert Gott droben ein prächtiges Fest,
Wo er dann auch Menschen zum Himmel einläßt:
Dann hebt er auf all' die grünen Decken,
Um endlich die lieben Kinder zu wecken.
Und wer dann Vater und Mutter recht liebte.
Durch Ungehorsam sie nie kränkt' und betrübte,
Den nimmt Gott in den Himmel hinein;
Da wird seine Freude ohn' Ende sein.'
62.
Die kranke Mutter.
Von Lohr.
Plaudereien, herauSg. von Vilmar. Marburg 1850. I, 120.
Frau Gutfeld war in einer Nacht plötzlich krank geworden;
sie hatte einen heftigen Kopfschmerz, empfand einen unerträglichen
Durst, den sie mit allem Trinken nicht stillen konnte, und hatte
abwechselnd bald große Hitze, bald so starken Frost, daß sie mit
den Zähnen klapperte.
Da ihre Kinder am Morgen aufstanden und in die Stube
traten, wie wunderten sie sich, die gute Mutter im Bette zu finden
und vor dem Bette den Ärzt zn sehen, der nach allem fragte, was
die Krankheit angieng!
Wist du denn krank, liebe Mutter?' fragte Elise, die älteste
Tochter der Frau Gutseld, und die Mutter nickte, statt der Antwort
mit dem Kopfe.
Der Arzt verordnete einen Trank, den Frau Gutfeld einnehmen
sollte. Bei seinem Weggehen sagte er zu den Kindern, daß sie ja stille
sein und keinen Lärm und Getöse machen möchten; denn das alles
würde sonst der Mutter empfindlich sein, weil sie starkes Kopfweh hätte.
^Ach, wir wollen gerne stille sein,' sprach Elise, <wenn die
Mutter nur wieder gesund wird!' — <Jch will mein Steckenpferd
46
und meine Trommel wegstellen, will's gleich in die Kammer thun,'
sagteAlexander; und die kleineMariespraeh -/Ich will gewiß nicht lärmen)
Die Krankheit der guten Mntter dauerte einige Wochen. In
dieser Zeit lernten die Kinder einsehen, wie nöthig ihnen die Mutter
sei, woran sie vorher kaum gedacht hatten. Da saßen Elise,
Alexander und Marie oft freu ganzen Vormittag, ehe sie ordentlich
angezogen wurden; denn der Vater hatte nothwendige Geschäfte
außerhalb des Hauses, und die Magd war ebenfalls mit Arbeiten
beschäftigt, die sich nicht aufschieben ließen; — das Frühstück, das
Mittagsbrot und das Abendessen kamen selten zu rechter Zeit aus
den Tisch; denn niemand wußte alles so gut anzuordnen und
einzurichten, wie die Mutter; niemand wußte so genau, wo jede
Sache aufgehoben war, und im ganzen Hause war eine Unordnung
und eine Unruhe, welche alle bemerkten; — selbst der Vater war
nicht im Stande, das zu verhüten, so sehr er sich auch um alles
bekümmerte, und überdem war er auch so traurig und niedergeschlagen.
Wenn die Kinder sonst etwas haben oder etwas wissen wollten,
so wandten sie sich gleich an die Mutter; aber an wen sollten sie
sich jetzt wenden? Der Vater hatte entweder für die Mutter zu
sorgen, oder mit seinen andern Arbeiten zu thun, lind die Magd
nahm sich ihrer sehr wenig an.
Da wünschten nun die Kinder herzlich, daß die Mlitter bald,
bald wieder gesund werden mochte, und doch nicht bloß darum
allein; sondern alle diese Kleinen hatten die Mutter herzlich lieb.
Elise schlich an das Bette und fragte leise: Mas machst dck, Mutter?'
Alexander saß ganze Stunden ans einem Orte ganz stille, und
Marie nahm ihr Stühlchen, trug es ans Bette der Mutter hin,
setzte stch daraus und legte ihr Köpfchen ans das Bette und fragte:
^Stehst du bald wieder auf, liebe Mutter?'
Die Mutter konnte nur wenig antworten, so schwach war
sie; sie streichelte und liebkosete die Kinder mit ihrer matten Hand
und sah sie traurig an.
Eines Tages war die Mutter kränker, als sonst; der Vater
war viel betrübter, und der Arzt hatte bedenklich den Kopf geschüttelt.
Da ließ Frau Gutseld alle ihre Kinder ans Bette kommen und
sagte mit schwacher und oft unterbrochener Stimme:
«Kinder, ich werde vielleicht sterben, und dann wird euch keiner
wieder so lieb haben, wie ich, ausgenommen der Vater. Ach!
seid folgsam und lernt alles Gute, und'thut niemals etwas Böses —
unfr denkt fleißig an Gott, der nur die guten Menschen lieb haben
kann. Versprecht mir das, Kinder!'
Die Mutter streckte ihre Hand aus, indem sie das sagte, —
und die Kinder beugten sich über die Hand der Mutter wehmüthig
nieder, benetzten die liebe Hand, die sie so oft gepflegt und gewartet
hatte, mit ihren heißen Thränen und konnten vor lautem Schluchzen
kein Wort sprechen.
47
Viel trauriger, als die übrigen Tage, gieng dieser Tag den
Kindern vorüber. Mehreremale kam der Arzt, befühlte den Puls,
fragte, ob sich etwas geändert hätte in der Krankheit, unb sagte
weiter nichts, und der Vater kam fast keinen Augenblick von dem Bette
der Mutter weg; auch die folgende ganze Nacht wachte er an ihrem Bette.
Dies war die glückliche Nacht, in welcher die Krankheit der
Mutter nachließ. Erst hatte ste einige Stunden in dem heftigsten
Schweiße gelegen, dann war ste eingeschlafen und schlief bis an den
Morgen. Die Kinder waren schon früh um ihr Bette versammelt und
warteten auf den Augenblick ihres Erwachens; der Vater hatte
ihnen weiter nichts sagen können, als daß die Mutter gut und
ruhig geschlafen habe.
Die Mutter erwachte. Wie ist dir, Mutter?' fragten Vater
und Kinder zugleich. ^Gottlob', antwortete die Mutter, ^gottlob, ich
habe schön geschlafen; mir ist um vieles besser!'
Das war der erste fröhliche Tag nach so vielen traurigen.
Der Vater sah heiter aus; die Mutter sprach mehr; der Arzt sagte,
wie er kam: Mun denk ich, soll alles gut gehen;' die Kinder sprachen
schon lauter mit einander, und die Todtenstille, die in dem Hause
bisher gewesen war, hörte auf.
Mit jedem Tage wurde die Mutter sichtbar stärker und
vergnügter, und wie sie zum erstenmale wieder ans dem Bette
gieng, was hatten da alle für eine Freude! Vater und Mutter
und Kinder schienen einander tausendmal lieber 511 haben, als
vorher. ■— Nun kam wieder Ordnung und Fröhlichkeit in das
Hans, und die Kinder saßen von jetzt an nie mehr so stumm und
traurig, wie bisher.
63.
Vas Gebet.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7. Ausg. Essen 1840- I, 180.
Cornelia war die Freude und der Stolz ihrer Eltern. Denn
sie war schön von Gestalt, wie ein Lichtstrahl, und ihre Wangen
blüheten, gleich der jungen Rose, wenn sie ziem erstenmal dem
Thaue sich öffnet. Dazu war ihre Seele so still und klar, wie ein
Frühlingsmorgen, der über den blühenden Thälern schwebet und den
fröhlichen Tag verkündet.
Noch hatte Cornelia des Lebeils Ernst und Mühe nicht
erkannt, und die Tage ihrer Jugend waren heiter. Aber stehe!
da erkrankte die Mutter, nachdem ste ein Knäblein geboren, und sie
lag darnieder viele Tage lang und ermattete sehr; benn das Fieber
tvar heftig, also, daß es ihr die Sinne zerrüttete. Da durchwachte
das Mägdlein die Nächte an dem Bette der kranken Mutter und
labte sie und wandelte um sie her mit leiser Sorgfalt und verholenen
Ängsten.
48
Und am siebenten Tage wurde das Fieber heftiger als zuvor,
und es war eine Stille im Kämmerlein und ein heimliches Weinen.'
Denn ein jeglicher glaubte sie dem Tode nahe.
Aber mit der Nacht kam der langersehnte Schlummer und
erquickte die Mutter, und das Leben kehrte zu ihr zurück. Und
Cornelia saß am Bette und hörte ihren Odem die ganze Nacht,
und ihre Seele war ängstlich in Hoffnung.
Als nun der Tag erschien, da schlug die Mutter die Augen
auf und sprach: Mir ist wohl, ich werde genesen!' — Und sie"aß
und trank und schlummerte von neuem.
Da ward es dem Mägdlein wunderlich im Herzen vor Freude.
Und Cornelia gieng leise ans dem Kämmerlein und hüpfte hinaus
in das Feld und stieg ans einen Hügel zur Zeit der Dämmerung.
Hier stand ste, bewegt von mancherlei kämpfenden Gefühlen des
Schmerzes und der Hoffnung. Da stieg die Morgenröthe empor
und umstrahlte ihr Antlitz, und Cornelia gedachte des neuen Lebens
der Mutter nach dem erquickenden Schlummer, und der Angst, die
sie empfunden. Aber sie vermochte nicht länger die Fülle der
Empfindung im Herzen zu fasten ; sie kniete nieder auf die Blumen
des Hügels und neigte ihr Antlitz, und ihre Thränen vereinigten
sich mit dem Thaue des Himmels.
Daraus erhob sie ihr Haupt und kehrte zurück in die Heimat
und in das Kämmerlein der Mutter. Und Cornelia war schöner
und lieblicher als zuvor. Denn sie hatte mit Gott geredet.
64.
Ein gutes lrccept.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832- III, 148. — Schatzkästlcin. Stuttg. u. Tüb. 1816. S- 282.
In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohlthätiger
Monarch, wie jedermann weiß; aber nicht alle Leute wissen, wie
er einmal der Doctor gewesen ist und eine arme Frau curiert hat.
Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: 'Kind, hol mir
einen Doetor, sonst kann iciffs nimmer aushalten vor Schmerzen.'
Das Büblein lief zum ersten Doctor und zum zweiten, aber keiner
wollte kommen; denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten
einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Thränen, die
wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen
Leuten ans der Erde. Als er aber zum dritten Doctor aus dem Wege
war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche
an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen Herrn,
ob er gleich nicht wußte, daß es der Kaiser ist, und dachte: 'Ich
will's probieren? 'Gnädiger Herr,' sagte er, 'wolltet Ihr mir nicht
einen Gulden schenken? Seid so barmherzig!' Der Kaiser dachte:
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«Der faßt's kurz und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal
bekomme, so brauch ich nicht sechzigmal um den Kreuzer zu betteln.'
«Thut's ein Käsperleiu oder zwei Vieruudzwauziger nicht auch?'
fragt ihn der Kaiser. Das Bübleiu sagte: Mein,' und offenbarte
ihm, wozu er das Geld benöthigt sei. Also gab ihm der Kaiser
den Gulden und ließ sich genau von ihm beschreiben, wie seine
Mutter heißt, und wo sie wohnt, unb während das Büblein zum
dritten Doctor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe
Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer
Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also daß
man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht expreß darum
ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ibr Stüblein kam,
und sah recht leer und betrübt darin aus, meint sie, es ist der
Doctor, und erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm
dabei sei unb sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: 'Ich
will Euch dann jetzt ein Recept verschreiben,' und sie sagte ihm, wo
des Bübleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Recept unb
belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn
das Kind heim kommt, und legte es auf den Tisch. Als er aber
kaum eine Miaute fort war, kam der rechte Doctor auch. Die
Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte, er sei auch der
Doctor, und entschuldigte sich, es sei schon so einer dagewesen
und hab ihr etwas verordnet, und sie habe nur auf ihr Büblein
gewartet. Als aber der Doctor das Recept in die Hand nahm
unb sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für einen
Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht
wenig und sagte zu ihr: 'Frau,' sagte er, 'Ihr seid einem guten
Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch sünsnndzwanzig
Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, unb unten dran
steht: Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster
und Herzsalbe und Augentrost hätte ich Euch nicht verschreiben
können.' Da that die Frau einen Blick gegen den Himmel und
konnte nichts sagen vor Dankbarkeit unb Rührung, unb das Geld
wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt aus-
bezahlt, und der Doctor verordnete ihr eine Mixtur, und durch
die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt ver-
schaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden
Beineu. Also hat der Doctor die kranke Frau curiert, unb derKaiser die
arme, unb sie lebt uoch und hat sich nachgehends wieder verheirathet.
65.
Wohlthun.
33cm Claudius.
Asmus 2c. Wandsbecker Bote 4. Aust. Cannstatt 1835. VII, 60.
Wohlthaten, still und rein gegeben,
Sind Todte, die im Grabe leben,
Cvishorn u. Gbdeke's Lesebuch I.
4
50
Sind Blumen, die im Sturm bestehn,
Sind Sternlein, die nicht untergehn.
66.
Morgenlnndischer Spruch.
Gcrlach: <Die heilige Schrift.' V. Bd. 3. Aust. Berlin 1843. S. 44.
Thust du was Glites, so wirf cs ins Meer;
Weiß es der Fisch nicht, so weiß cö der Herr.
67.
(Linkchr.
Bon Uhland.
Gedichte. Stuttg. u. Tüb. 1853- S. 60.
töei einem Wirte, wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich-eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste;
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das beste.
Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.
- Nun fragt' ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt' er den Wipfel.
Gesegnet sei er allezeit
Bon der Wurzel bis zum Gipfel.
68.
Der fromme Älfred.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Das Täubchen 3 Ausl. Düsseldorf. S- 8—37.
&. Der Schiffer.
Eg war einmal ein Haus, ja gottlob! es steht noch da und
ist ein schönes großes Schloß und hat zwei Türmchen und viel
Fenster. Und in dem großen Hause wohnte eine liebe fromme
Mutter, die war eilte Gräfin und hatte einen lieben Sohn, der
hieß Alfred und war meist bei der Mutter; denn der Vater hatte
viele Geschäfte. Und Alfred war ein Knabe mit schönen Augen
und guter Gestalt und seiiles Alters neun Jahre oder zehn.
Eines Morgens sagte die Mutter: 'Nimm dein Morgenbrot
und verzehr es im Garten. Zugleich aber siehe zu, ob etwa der
Nachtwind einen Blumentopf umgeworfen, und richte ihn auf.'
Und Alfred that nach den Worten seiner Mutter und gieng hinaus;
und die Blumen dufteten, und die Nachtigallen sangen rings
umher.
Alfred hatte einige Blumentöpfe aufgerichtet und wollte nun
über die Brücke gehen und im Schatten am Weiher sein Frühstück
essen. Und als er mitten auf der Brücke war, schauete er auf
den Weiher iinb sahe darin ein Täubchen wie einen Kreisel aus
dem Wasser sich umher dreheii.
'Wie ist das Täubchen doch da hineingekommen?'
Ich will es euch, so gut ich weiß, erzählen. Seht, die alten
Tauben waren ausgeflogen aufs Feld, und da hatte sich unser
Täubchen auch herausgemacht^auf den Taubenschlag und hat mit
feinen rothen Äugelchen in die weite Welt hineingeschaut. Da
hat es die liebliche Frühlingsluft gerochen lind die Blüten und
grünen Felder gesehen, unb wie die Alten darüber hin und her
schwebten, uiid dabei hat's gedacht: 'Wärest bn doch auch dabei!'
und hat die beiden kleinen Fittiche ausgebreitet und die gelben
Füßchen angezogen und ist einer oder zwei Handbreit hoch aufgefahren,
und da es wieder anfö Brettchen gekommen, hat's vermuthlich
gesagt: 'Gelt, ich kanu's auch!' Nun ist seine Lust immer größer
und größer geworden, und die Gefahr immer kleiner; husch! da
hat es den Schlag nicht mehr unter den Füßen und schwebte
zwischen Himmel und Erde und wurde vom Winde hin und her
getrieben, mib ist ihm wohl grün und gelb vor den Angen geworden.
Aber zu spät. Da liegt's nun im Weiher und zappelt und muß,
wenn keine Hülfe kommt, elendiglich ertrinken. — Habt indes nur
guten Muth, Kinder; das Täubchen hält sich oben.
Alfred, wie gesagt, war mitten auf der Brücke und sah das
Täubchen wie einen Kreisel auf dem Wasser sich umher drehen.
In größter Eile lief er daher zurück an das Ufer; aber der Kahn
war weit rucken im Teiche, und ehe er ihn holen konnte, das
Täubchen gewiß ohne Rettung verloren. Was sollt'er nun thun?
Er sah sich um, und siehe, in der Nahe stand ein rundes Kübel,
aus welchem die Mägde die Bleichleinwaud begossen hatten. 'Ha,'
dachte Alfred, 'dies soll mein Schisslein werden!' und machte sich
mit aller Kraft heran und rollte das Faß in den Weiher, daß die
Wellen hochaus ihm ins Gesicht spritzten. Zum Glücke fand er
auch noch einen langen Stecken in der Nähe, und dieser mußte
zum Ruder uni) Steuer dienen. Und nun gieng's rasch hinein
ins brechliche, schwankende Fahrzeug und ward hurtig abgestoßen.
Ich merke, das gefällt euch, und doch wird's euch ein bißchen
bange dabei ums Herz. Das kommt, ibr liebet den Alfred, weil
er sich so muthig für das Täubchen in Gefahr begiebt, und darum
4*
52
sorget und fürchtet ihr seinetwegen. Ihr möchtet ihn wohl gern
mit euren Blicken begleiten und helfen, wenn ihr's nur könntet.
Nun, was meint ihr, sollte der liebe Gott nicht können und thun,
was ihr nicht vermögt unb doch wünscht? — Wenn ihr die rechten
Augen dazu habt, könnt ihr das Faß ohne Sorge fortschweben
sehen aus dem Wäger.
Aber wie, denkt ihr, muß der lieben Mutter um das Herz sein,
da sie ihren Alfred mitten ans dem tiefen Weiher schweben und
schwanken sieht! — Sie war nämlich in ein oberes Zimmer des
Schlosses hinaufgegangen unb hatte sich an das Fenster begeben,
um in die grünende und blühende Frühlingslandschaft einen Blick
zu thun; da sah sie ihr geliebtes Kind mitten ans dem Weiher,
aber auch das Täubchen sah sie, worauf er zusteuerte. Welche
Angst, welch ein Schreck mag ihr Mutterberz ergriffen haben!
Ei, nicht doch, Kinder. Es fiel ihr sogleich ein liebes Gvttes-
wort ein, das ihrem Herzen oftmals ein Trost gewesen war, nämlich
das Wort, ihr wisset wohl, wer es von den Kindern gesagt hat:
'Ihre Engel schauen immerdar das Angesicht meines Vaters im
Himmel,' und noch ein anderes Gotteswort: 'Der Herr behütet die
Einfältigen und lässet es den Frommen gelingen.' — So schaut sie
heimlich und ohne Sorge von dem hohen Erker des Schlosses
hinunterz Alfred aber wußte nicht, daß die Mutter ihn sähe.
So ruderte und schob nun Alfred mit großer Anstrengung
ans das Täubchen los und wischte sich oft am Ermel den Schweiß
vom Gesichte. Das Täubchen aber wurde immer matter und
matter, und seine Kreise immer kleiner und kleiner; aber dem Knaben
wuchs die Kraft und der Muth.
Endlich war cs ihm gelungen; Alfred hatte sein Ziel erreicht.
Da neigte er sich vorsichtig und leise in seinem wackelnden Boote,
streckte die Hand hinaus, faßte das Täubchen und zog cs ans den
Wellen. Das arme Thierchen zitterte wie ein Espenblatt und
hatte sein Schnäbelchen offen und die Augen zu und war wie
sterbenskrank. ES läßt sich leichtlich denken, der Schreck und die
Reue und dazu die Angst und das kalte Wasser. Damit ließ sich
fürwahr nicht scherzen.
Als Alfred solches sah, jammerte ihn des kranken Tänbckens;
aber er wußte auch sogleich guten Rath. Er legte sein Schiss vor
Anker, nämlich sein Ruder und Steuerstab mußte jetzt auch sein
Anker werden und, in den Boden befestigt, das Schifflein halten.
Die Liebe ist ebenso klug, als sie stark ist, und weiß aus nichts
etivas und aus allem allerlei zu machen. Da nun das Schifflein
stand, nahm er das Täubchen und streichelte ihm das Wasser aus
den Federn, daß sie ganz glatt wurden und so trocken als möglich,
und dann that er sein Hemdekräglein mit der linken Hand aus-
einander und schob das Täubchen mit der rechten hinein in den
Busen und knöpfte zu. Da saß es nun an seinem Herzen wie in
53
einem gewärmten Bettchen, und nur das gelbe Schnäbelein guckte
heraus, nämlich daß es Athem holen konnte. Wenn'ö nicht gar
zu krank und verstürzt war, daß eS darauf hätte nkerken können,
hätt' es Alfred's Herz mögen klopfen hören.
Da Alfred nun sah, daß alles gut war, lichtete er den Anker
und machte ihn wieder zum Ruder lind steuerte, landwärts. Die
Mutter sahe dem allen heimlich zu unb schlug kein Auge von ihm;
Alfred aber wußte nicht, daß ihn die Mutter sähe.
Nachdem Alfred glücklich ans Land gekommen war, setzte er
sich aus eine Bank und zog ganz sanft und leise das Täubchen
ans seinem Busen, und stehe, es guckte schon ganz anders aus den
röthlichen Äuglein unb keuchte nicht mehr mit geöffnetem Schnabel.
Alfred war voll Freude unb setzte das Täubchen auf die Garten-
bank; aber da siel es aus die Seite und lag und blinzelte ihn
gurig an. 'Ah,' sagte der Knabe, 'ich sebe wohl, was dir fehlt.
Es ist kein Wunder, daß dir die Benutzen noch so wackeln!'
Nun fühlte er in seine Taschen, aber die waren leer. Da
besann er sich und sprang mit dem Täubchen nach der Brücke und
fand sein Morgenbrötchen, welches er, als er das Täubchen im
Weiher sah, hingelegt und vergessen hatte. Er nahm es unb
lief wieder znr Gartenbank. Darauf biß er ein Stückchen von
dem Semmelbrote und kanete es ganz fein und weich, so daß es
wie ein Brei-- wurde. Und nun steckte er das Schnäbelchen des
Täubchens in seinen Mund; denn also hatte er gesehen, daß die
alten Tauben es mit den Jungen machen, und so wollte er auch
mütterlich sein bei dem Täubchen. Und siebe, das Täubchen
schnäbelte und aß frisch und munter, denn es hatte lange Zeit
nichts'genossen; und seine Augen wurden wacker. Desgleichen
Alfred's Augen, den Taubenäuglein gegenüber, wurden auch wacker;
denn er selbst hatte auch noch nichts gegessen und war hungrig
und aß nun auch und ließ es sich schmecken. Also theilten sie beide
ihr Morgenbrot, und die Mutter sah alles heimlich unb lächelte;
aber Alfred wußte nicht, daß die Mutter ihn sähe.
^ Darnach, als sie beide satt geworden, wickelte Alfred das
Täubchen in sein Sacktüchlein, also daß das Köpfchen heraussah,
und trug es und machte sich aus den Weg nach dem Schlosse.
Die Mutter aber war schon hinuntergekommen und saß in dem
Gartensaab und harrete des Knaben; denn sie hatte ihn sehr lieb
und fetzt beinahe noch lieber, weil er eine muthige That gethan,
und daß er nicht vorübergegangen war vor der Noth des Täubchens.
Zwar zweifelte sie nicht, daß solches in ihm sei; aber es freuete
sie doch, das Samenkörnlein mit Augen zu sehen, und meinte,
es könne nicht alleine bleiben, und ihr Mutterherz war voll Dank-
sagung und Gebet.
Mittlerweile war Alfred auf dem Schloßhof angekommen; da
sprang ihm sein kleiner Hund, der hieß Getreu, fröhlich entgegen
54
und hüpfte bellend um ihn her und au ihn hinaus, gleichsam als
wüßte er, was seinem jungen Herrn begegnet sei, und als freut'
er sich mit ihm und sonderlich auch über die Ehre und Liebe, die
er einem Geschöpf von seiner Art angethan. Ja, Kinder, man kaun
so eigentlich nicht wissen, wie weit die Thiere denken und empfinden
mögen. Das weiß ich aber, daß dem Alfred sein Hündlein anhieug,
wie eine Klette, und trauerte, wenn er nicht daheim war.
Die Mutter hörte schon am Gebell, daß Alfred nicht mehr ferne sei.
Da trat er in den Saal und trug sein Täubchen und zeigte es
voll Freude der lieben SDlutter. Darauf begann er zu erzählen,
wie es dem Täubchen und ihm ergangen, unb wie er so glücklich
gewesen, es ans dem Wasser zu retten. Denn er that nichts, das
er vor der Mutter verborgen hätte. Die freundliche Mutter aber
ließ ihn erzählen und freuete sich mit ihm, als er nun das Tüchlein
ausbreitete, und das Täubchen frisch und gesund auf den Beincheu
stand und sich streckte und umherschaute; da freuete sich auch Alfred
mit großer Freude.
"Aber mein lieber Sohn,' sagte darauf die Mutter, 'fürchtetest
du keine Gefahr, als du dich in dem schwankenden Kübel auf das
Wasser wagtest? Du weißt, es ist tief und gefährlich.'
'Das ist wohl wahr,' antwortete Alfred, 'aber, liebe Mutter,
so wäre ja das Täubchen ertrunken, also konnte ich daran nicht
denken. Ich habe mich auch gar nicht gefürchtet.'
Darauf sprach die Mutter mit sanfter lieblicher Stimme:
'Alfred, ich habe deine gefährliche Schifffahrt von ferne gesehen;
da ich aber deinen Willen sogleich erkannte, mich dessen gefreut.'
^L>ie zog ihn 511 sich und drückte ihn an ihre Brust und sprach:
'Gott segne dich, mein lieber Alfred! Mögest du einst nicht weniger
thun, um Menschen zu retten.'
Ich merke wohl, das Mutterwort geht euch zu Herzen, als
ob ihr es hörtet. Was meint ihr, wie muß es dem lieben Alfred
zu Herzen gegangen sein, da es frisch und lebendig aus dem Herzen
der Mutter über ihre Lippen kam? Ein solch frommes Mutter-'
wort ist wie ein Gotteswortz beim was stände dem Herzen Gottes
nähn, als ein Mutterherz? Darum wundert euch nicht, wenn
Alfred nun des Wörtleins nimmer los werden kaun, und es ihm
zugleich ein Gotteswort und ein Mutterwort wird und bleibet.
b. Der Jäger.
Zuletzt seid ihr in einem gräflichen Saal gewesen; aber, macht
euch gefaßt, der Alfred wird uns jetzt irgendwo hinführen,
wo es ein wenig anders aussieht. Nun, das muß also sein aus
dieser Welt; es können nicht überall Paläste und weiche Polster-
stühle stehn und schöne Spiegeltische, es wär' auch langweilig.
So ein Hüttchen mit einem Strohdach und meinetwegen einem
Storchnest oben darauf nimmt sich auch lieblich aus, vor allem,
55
trenn ein paar schattige Bäume die Arme darüber ausbreiten,
tmd fromme Menschen darin wohnen, und ein paar rothbäckige
Kinder heraus lugen. Der liebe Gott hat den Armen neben dem
Reichen geschaffen', und er kann jenem auch wohl, wie er gesagt
hat, sein Wasser und sein Brot segnen. Dazu ist auch unser
Herr, obwohl er reich ist, arm geworden. Daran sollten wir
billig denken, so oft wir ein armes Hüttlein sehen und arme Leute
darinnen.
Aisred trug von nun au das Wort seiner lieben Mutter in
seiner jungen Seele, und so wuchs es mit ihm auf und nahm zu.
Von nun an besaß er nichts mehr alleine und freuete sich nicht
mehr alleine. Sein Taschengeld war nicht ganz so kitapp, wie
das euere, ibr köunt's wohl denken; aber ihr müßt auch nicht
meinen, als ob er damit überschüttet worden wäre. Es hatte in
dem gräflichen Hatise alles sein Maß und Ziel ttach der Ordnung.
Aber Alfred war sparsam und genügsam unb gewöhnt an wenig
Bedürfnisse. Hatte er ja doch eine weise nnö liebe Mutter! Darum
blieb ihm jederzeit übrig für andere, die es bedurften. Und solche
wußte er auf eigite Weise auszuftnden, also daß manche, denen
er in heimlicher Noth geholfen, von ihm sagten: 'Er hat ein Herz,
wie ein Engel, und Augen, wie ein Engel.' Kinder, die Liebe ist
aus Gott, darum hat sie Adlersangen und siehet sofort die Striemen
und Wundenz und Öl und Wein hat sie auch immer bei sich.
So giengen nun etliche Jahre hin, und mau durfte wohl von
Alfred sagen, wie von dem Knaben Samuel: 'Er nahm zu und
war angenehm bei dem Herrn und bei den Menschen.'
Eines Tages nun, es war schon spät im Herbste, gieng er
auch hinaus und trug seine Jagdflinte, die ihm sein lieber Vater
zum Geburtstage geschenkt hatte, und eine Weidetasche und ein
grünes knappes Jagdkollet. Das ftanb ihm wohl an, denn er
war mm ein Knabe, schon nahe dem Jüngling, schlank und von
guter Gestalt unb schönen Augen, und er spähete nach den Weihen
unb Habichten und anderm Raubgevögel. Es war aber ein kalter,
stürmischer Herbsttagz doch ließ er sich dieses nicht kümmern, sondern
wandelte rüstig immer iveiter bis in den Eichwald.
Als er hier unter einem Baume stand, vernahm er von ferne
ein Brechen wie voit dürren Reisern und dazu einen Gesang von
zwei Stimmen, die sangen:
'Wer nur dm lieben Gott läßt walten
Und hoffet auf ihn allezeit,
Den wird er wunderlich erhalten
In allem Kreuz und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut,
Der hat auf keinen Sand gebaut.'
Das klang dem Alfred gar eigen und lieblich in die Ohren;
er setzte sein Gewehr nieder und lehnte sich an die Eiche und horchte.
Bald ein Brechen und Krachen des dürren Reisigs, und dauti
56
wieder ein LiederverS; zuweilen beides zusammen. 'Ei,' dachte er,
'woher solches in diesem stillen Walde und bei dem rauhen Wetter?
Das müssen arme Kinder guter Eltern sein.' Es dursten aber die
armen Leute zur Herbstzeit in den Wald gehen und trockne Reiser
sammeln. Nun machte sich Alfred auf nnb gieng dahin, von wannen
er den Laut vernommen, und fand einen Knaben und seine Schwester,
ein Mägdlein, die hatten schon jedes ein Bündel Reisholz ge-
sammelt, und Alfred stand nahe bei ihnen, als sie fein gewar
wurden. Da stutzten sie, als sie den jungen schönen Jäger sahen.
Er aber grüßte sie freundlich und fragte nach ihrem Beginnen.
Der Knabe antwortete, daß sie Reiser sammelten zur Feuerung für
den kommenden Winter. Da sagte Alfred: 'Friert euch nicht? ihr
seid so gar dünn bekleidet, und es ist kalt heute.' Denn ihre Kleidung
war ärmlich von dünnem Seinen und vielfältig geflickt, jedoch
reinlich. 'Ja,' antwortete der Knabe, 'wir haben's nicht anders;
und wenn man arbeitet, wird man schon warm.'
'Wer hat euch das Lied gelehrt, das ihr sauget?' fragte nun
Alfred; und die Kinder antworteten: 'Die blinde Großmutter.' —
'So!' sagte Alfred, 'habt ihr auch noch eine Großmutter? Wer
sind denn eure Eltern?' —'Unser Vater,' sagten sie, 'ist der Leinweber
drüben am Brink; aber er lieget krank und kann nichts verdienen.' —
'So seid ihr wohl arm, ihr guten Kinder?' sagte Alfred mit sanfter
lieblicher Stimme, indem er sie anblickte. Die Kinder aber sahen
auch ihn an mit offenen Augen und schwiegen still.
Dann schied Alfred von ihnen, nachdem er sich des Weges
erkundigt, von wannen sie gekommen. Und da er gieng, vernahm
er abermals den Gesang von ferne.
Da nun Alfred das Häuslein am Brink gefunden hatte, trat
er hinein, als um den Weg 511 erkunden und sich auszuruhen.
Die Frau setzte ihm sogleich einen Stuhl neben dem Feuer und
wischte ihn ab mit der Schürze und legte einige Reiser Hinze:
und bat das junge Herrchen, sich ein wenig auszuruhen und zu
trocknen. Denn Alfred war naß, nnb es hatte geregnet, und er
weigerte sich nicht, legte sein Gewehr ab und setzte sich und schaute
die Großmutter an, die blinde, die stille da saß uiid heiter aussah.
Alfred aber freute sich heimlich, daß er alles so nett und reinlich
fand in dem Hüttchen, obwohl in großer Armuth.
Darauf begann er nnb fragte, ob der Hausvater nicht daheim
sei. 'Ach,' sagte die Frau, 'Gott erbarm's, der liegt seit sechs
Wochen am Fieber, und mit ihm all' unser Verdienst und Brot-
erwerb, und nun kommt der Winter. Es schickt sich wohl nicht,'
fuhr sie fort, 'baß ich meinen Mann rühme; aber es giebt ^viele
Meilen in die Runde Feinen fleißigern und geschickteren Sehr:
Sie,, er ist in Schlcsingen gewesen, da hat er gelernt und kann
Damast weben wie gemalt; das kann ich Ihnen sagen. Aber was
hilft es nun, da er krank ist? So kommen wir jeden Tag weiter
57
zurück, und ich habe schon manches müssen verstoßen. Das geht
einem auch bart an das Herz. Aber wenn der Mann nur wieder
gesund wäre! Und da äst uns die vorige Woche,' fuhr sie weinend
fort, Ms ob kein Unglück alleine käme, auch die einzige Kuh gefallen.
Ach! wir wissen nicht, wie? Wir haben sie gewartet und gepflegt
wie ein saugend Kind. Und die Kinder wollen doch gerne essen,
und da haben wir uns mit genauer Noth ein Zicklein angeschafft.
Aber was ist das unter so vielen? unb dazu ist der Winter vor
der Thür. Aber, wenn nur der Vater wieder gesund wäre!' —
sagte sie und verhüllete weinend ihr Angesicht in ihre Schürze.
Es war eine Stille; da fleug die blinde Großnuttter an:
'Man halte nur ein wenig stille
Und sei doch in sich selbst vergnügt,
Wie unsers Gottes Gnadenwille,
Wie sein' Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns ihm hat auserwählt,
, Der weiß auch gar wohl, was uns fehlt.'
Dem Jüngling erschien die Blinde, als sie solches mit besonderer
Stimme und Heiterkeit sagte, wie eine Prophetin. Er sah sie an
mit einem Gefühl von Ehrfurcht und schwieg.
Nach einem Weilchen fragte er die Frau, ob sie einen Arzt
brauchten. Sie antwortete, sie sei einmal hingewesen unb habe
die Arznei ans der Apotheke mitgebracht,' aber es habe nichts
geholfen. 'Ach,' sagte sie, sivie könnten wir das atishalten? die
theure Medicin! Und die Hausmittel wollen auch nicht anschlagen.
Und das bare Geld — — Ach Gott, man weiß wohl, wenn der
Mann nichts verdient! Und der Winter ist vor der Thür,
und die Kinder sind nackend, wie die jungen Schwalben-----------------
Gott erbarm's — wenn der Mann nur wieder gesund wäre!'
Die alte Blinde sagte leise für sich: ^Setzet die Vögel unter dem
Himmel an, sie säen nicht, auch ernten sie nicht und sammeln
nicht in die Scheune; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Seid ihr nicht viel mehr, denn sie!' Dann fuhr sie fort:
'Er hat noch niemals was versehn
In seinem Regiment,
Und was er thut und läßt geschehn,
Das nimmt ein gutes End.'
Es erfolgte abermals eine Stille. Darnach bat Alfred die
Frau, ihn zu ihrem kranken Mann zu führen. Sie that es; er
lag im Fieber und wollte, als er den jungen Jäger sah, sein Haupt
entblößen. Aber Alfred wehrte ihm und sagte, der Arzt solle zu
ihm kommen, und für Arznei sei auch gesorgt. Es scheine das
kalte Fieber; das sei bald geheilt; er möge nur guten Muth haben
und Gott vertrauen. Da war der Kranke getröstet.
Als nun Alfred mit der jetzt auch beruhigten Frau des Lein-
webers aus der Krankenkammer wieder ans die Diele trat, siehe,
da kamen die beiden ältesten Kinder eben aus dem Walde zurück
58
und warfen die schweren Bündel von ihren Häupten znr Erde.
Und als sie den schlanken Jäger, der im Walde so freundlich mit
ihnen geredet, hier in der Hütte sahen und von ihm begrüßt wurden,
machteil sie große Augen und verwunderten sich. Dann giengen
sie zil der Großmiltter imb erzählten ihr heimlich, während Alfred
mit der Mutter redete, von dem freundlichen schönen Jäger, lind
was er mit ihnen geredet; und sie mußten der Großmutter alles
genau beschreiben, von seiner Gestalt und Anseheil und Kleidung.
Und als das Mägdlein sagte: Mr siehet aus wie ein Engel!'
sagte lächelnd die Großmutter: Ms mag ja wohl einer sein, wie
der Azarias, der in des blinden Tobias Halls gekommen. Wie
der liebe Gott Engel 511 Menschen, so kann er auch wohl Menschen
zll Engelil machen. Er will für euren kranken Vater sorgen, daß
er bald genese.'
Als" mm Alfred mit der Mlltter ausgeredet hatte, warf er
seine Jagdtasche um die Schlilter uild faßte das Gewehr lind stand
zllm Weggehen gerüstet. Darauf sprach er zu deil beiden ältesten
Kinderu: ^Könnet ihr »loch wohl eine halbe Stunde Weges mit
mir gehen; oder seid ihr ermüdet voll der Arbeit?' — ‘D, wohl
zwei Stunden Weges,' sagten die Kiilder, und die Mutter winkte
ihnen, daß sie sich wüschen und ein wenig ordentlich machten.
Daraus sagte Alfred: ^Sie sollen, weiln sie wieder heimkommen,
einiges mitbringen, zur Erquickung des Kranken, nnb wenn er
nun gellesen wird, da darf man Ilicht allerlei genießeil. Und daß
es elich llicht ganz an barem Gelde fehle, so habet hier einiges!’
Und darauf gab er, was er bei sich hatte; es waren aber ein
Thaler nnb dreizehn Groschen. Ulnd der Webstuhl,' sagte er, sioll
allch schon bald wieder in Gang kommen. Seid nllr getrost!'
Als Alfred solches sagte, ficng die Mutter an zu weiilen nnb
zu danken. Die bliilde Großmutter aber hob die Hände in die
Höhe llild sprach: Dab' ichs llicht gesagt, wenil die Noth am
größten, ist der Herr am nächsten.
'Er räumt aus unsern Wegen weg
Des Unglücks scharfe Stein'
Und schafft, daß unsre Bahn und Steg
Fein schlicht und eben sein.
Er führt uns über Berg und Thal,
Und wenn's nun rechte Zeit,
So führt er uns in seinen Saal
Zur ew'gen Himinelsfreud!'
Als aber die Mlltter llicht aufhörte zll danken, sagte Alfred:
<Wie sönnt Ihr solch Aufhebens machen von einer Kleinigkeit, die
mir llichts kostet? Ist beim die Liebe so gar selten unter den
Menschen? Das wolle Gott verhüten!'
Darauf trat der Jüngling zu der blinden Großmutter und
setzte seiil Gewehr vor ihr nieder, faßte ihre rechte Haild und sprach
mit kindlicher Stimme: Mutter, ich bitte Euch, gebt mir Eliren
59
Segen!' — Da hub die Blinde ihre dunklen Augen gen Himmel
und sprach: Wohlan, mein Sohn, sei getrost und sei gesegnet!
Der Herr wird dich segnen und behüten und sein Angesicht über
dich leuchten lassen \mb geben dir Frieden.' Dann, nach einem
Weilchen, sagte sie: Min Jäger sollst du nicht werden, sondern ein
Fischer: du wirst Menschen sahen. Gehe hin in Frieden!'
Alfred, tief ergriffen von den Worten der Alten, wandte sich
schnell und verließ die Hütte; ihm folgten die beiden Kinder. Er
aber wandelte schweigend und in sich gekehrt, bis sie auf die Höhe
kamen; da begann er freundlich zu reden mit den Kindern.
Die Großmutter indessen, als er fort war, saß still und mit
gefaltenen Händen, wie betend, und ihre Lippen regten sich.
Die Frau aber bewegte sich in dem Hause voll Freude und trat
dann zu der Mutter unb sagte: ‘D, welch ein feiner junger Herr,
wie ein Engel. Er sah nicht aus, wie ein Jägerbursche; ach,
wenn es wohl gar der junge Herr vom Schlosse wär', von dem
die armen Leute so voll Rühmens sind! — Und habe ich recht
gehört, liebe Mutter, Ihr nanntet ihn du!' — Maß dich das nicht
kümmern, Elisabeth,' antwortete freundlich die Blinde, ssiehe! wenn
ein Engel des Himmels, oder der Herr selbst zu uns ins Haus
käme, wie sollte ich ihn denn anders nennen?'
Mittlerweile näherte sich Alfred dem Schlosse, und die Mutter
sah ihn von weitem mit den Kindern und sagte scherzend:
kommt Alfred von der Jagd und bringt von seinem Wildpret.'
Bald, nachdem er den Kindern zu essen und zu trinken hatte geben
lassen, war er bei der Mutter. Alles wurde nun nach der Ordnung,
wie ein jegliches geschehen, erzählt unb dann, was zu thun sei,
klüglich berathen. Es ist gar nicht nöthig, daß ich euch alles und
jedes haarklein erzähle. Denn ihr wisset'ö, die Liebe bleibet nicht
bei dem Halben, sondern das Wörtlein llrlles' ist ihr eigen
und angenehm; sie siehet alles, sie höret alles und thut alles;
und wenn sie die beiden letzten Groschen gegeben, sagt sie: Mch
komme wieder.' Also wurde der kranke Leinweber, Arzt und Arznei,
die Nacktheit, der Kinder und der Winter vor der Thür, kurzum,
alles was Noth that, in genaue Obacht genommen und berechnet
und darnach hurtig beschickt. Ich könnte euch ailch noch vieles
erzählen von einer lieben Schwester Alfred's, die hieß Adelheid und
hals zu allem, was Alfred that, und pflegete die beiden Kinder
und holte von ihren Kleidern herbei. — Aber sie ist schon längst
nicht mehr auf Erden, sondern im Himmel, bei den*heiligen Engeln.
Nachdem nun die Kinder sich ausgeruhet und satt gegessen
und getrunken hatten, und der Schneidermeister dagewesen war,
ihnen das Maß zu nehmen, bekamen sie jedes einen Korb zu tragen,
der Knabe unb das Mägdlein, wohl so schwer, wie die Holzbündel,
die sie aus dem Walde geholt. Und nun gieng's zurück über
Berg und Thal, und sie sangen abermals, wie im Walde, doch in
60
einem andern Ton: ‘20er nur den lieben Gott läßt walten!' und
kamen heim.
Jetzt, ich seh' es euch mi, hättet ihr wohl gern, daß ich end)
erzählte, wie es, da die Kinder heim kamen, in der Hätte geworden.
Aber daraus wird nick)tsz iä) sage mir folgendes: als die Kinder
erzählten, wie es ihnen ergangen, nnd die Mntter nun die Körbe
anfthat und in dem einen allerlei Speisevorrath für Kranke und
Gesunde iiub in dem andern mancherlei Hülle und Decke für den
Winter vorfand und der blinden Mntter und dem kranken Mann
Stück für Stück, als wär' es ein Auskauf, zurief, und wie nun
ein Loben und Danken und Weinen und Verstummen geschah,
unb die alte blinde Lerä)e ihre Liederverse dazu wirbeltez ich sage,
davon will ick) end) nicht erzählen. Ihr möchtet mir mid) in das
Weinen kommen unb dann wohl gar meinen, ihr hättet and) euer
Sd)erflein beigetragen.
Nur eins will id) nicht verschweigen. Nad) etlid)en Tagen,
als Alfred's Mntter und Adelheid alles nod) weiter erkundet hatten,
sagte sie zn ihrem Sohne: ‘Du hast uns beinahe alles vorab weg-
genommen, Alfred; aber, wir haben's zusammen überlegt, dod) ist
uns nod) eins übergeblieben.'
Daß ich's kurz sage: nach etlid)en Tagen guckte eine_ mildjs
gebende schöne Kuh, mit schwarzem Kopf und weißer Blässe, ans
dem Stalle ans die Diele hinaus, und das Zicklein war nun and)
vergnügt, daß es Gesellsehast hatte; denn es war Raumes genug
für beide.
Und siehe, es währte nid)t lange, da hörte man zu jeder Tages-
zeit, wenir man am Brink vorübergieng, die Garnwinden und
Spulen rasseln und den Webstnhl knarren, und dazwischen tönten:
‘Befiehl du deine Wege' und ‘Wach ans mein Herz nnb singe' und
andere lieblid)e Lieder unb Weisen.
Und als der Frühling wiederkehrte, wurde and) die alte Groß-
mutter erlöset von ihrer Blindheit dnrd) einen sanften Tod und
ward sehend im Himmel. Aber ihr Segeir blieb bei ihren Kindern
und Kindeskindern, desgleichen and) bei Alfred, den sie ihren
Söhre genannt hatte.
69.
Sprüche.
Ehrlich währt am längsten.
An Gottes Segen
Ist alles gelegen.
Treue Hand
Geht durchs ganze Land.
Wer nicht arbeiten will,
soll auch nicht essen.
Morgenstunde
Hat Gold im Munde.
61
Handwerk hat goldnen Boden.
Ackerwerk,
Wackerwerk.
Wohlschmack
Bringt Bettelsack.
MeinSprüchleinist:'AufGottvertrau,
Arbeite brav und leb genau.'
Alles hat seine Zeit!
Nach Regen
kommt Sonnenschein.
Es gehen viele Wege
nach Darbstädt und Mangelbnrg.
Selber ist der Mann!
Kunst
Macht Gunst.
Das Sitte
Behalte.
Heute mir,
Morgen dir.
Hochmuth kommt vor dem Fall.
Glück und Glas —
Wie bald bricht das!
Der Mensch denkt,
Gott lenkt.
70.
Gotlvertranen.
Volkslied, mitgetheilt von Gddeke.
Elf Bücher deutscher Dichtung. Leipzig 1849. II, 366.
Wer weiß, woraus das Brünnlein quillt,
Daraus wir trinken werden?
Wer weiß, wo noch das Schäflein geht,
Das für uns Wolle träget?
Wer weiß, woraus das Körnlein wächst,
Das uns zur Nahrung dienet?
Wer weiß, wer uns den Tisch noch deckt,
Der uns den Körper weidet?
Wer weiß, wer uns den Weg noch zeigt,
Darauf wir wandern müssen?
Wer weiß, wo wohl das Bettlein steht,
Darin mich Gott einleget?
Wer weiß, wannehr der Tod wohl kommt,
Der uns zum Richter führet?
Ach, treuer Vater, das weißt du,
Dir ist ja nichts verborgen.
Und wenn's auch heute nicht geschieht,
Geschieht es doch wohl morgen.
Ihr Sorgen weicht, laßt uns in Ruh;
Denn Gott wird für uns sorgen.
71.
Wir sin- des Herrn.
Von Spitta.
Psalter und Harfe. Bd. II. 8- Sfusi. Leipzig 1854. S. 96-
Wir sind des Herrn, wir leben oder sterben!
Wir sind des Herrn, der einst für alle starb!
62
Wir sind des Herrn und werden alles erben!
Wir sind des Herrn, der alles uns erwarb!
Wir sind des Herrn! So laßt uns ihm auch leben,
Sein eigen sein mit Leib und Seele gern
Und Herz und Mund und Wandel Zeugnis geben,
Es sei gewißlich wahr: Wir sind des Herrn!
Wir sind des Herrn! So kann im dunklen Thale
Uns nimmer graun, uns scheint ein Heller Stern,
Der leuchtet uns mit ungetrübtem Strahle;
Es ist das theure Wort: Wir sind des Herrn!
Wir sind des Herrn! So wird er uns bewahren
Im letzten Kampf, wo andre Hülse fern;
Kein Leid wird uns vom Tode widerfahren,
Das Wort bleibt ewig wahr: Wir sind des Herrn!
72.
Gottes Treue.
Bon I. 2f. v. Meyer.
Zerstreute Gedichte.
Es steht im Meer ein Felsen,
Die Wellen kreisen herum:
Die Wellen brausen am Felsen;
Doch fällt der Fels nicht um.
Ein Turm ragt überm Berge
Und schaut in das Thal hinab:
Die Winde rasen am Berge;
Doch fällt kein Stein herab.
Es zeucht daher ein Wetter
Und rasselt am starken Baum:
Zur Erde sinken wohl Blätter;
Doch eisern steht der Baum.
Des Höchsten ewige Treue
Steht fester, denn Fels und Turm,
Und grünt und blühet aufs neue
Und trotzt dem rasenden Sturm.
73.
Das Erdbeben in Lissabon.
1. November 1755.
Von Lenz.
Naturgeschichte 2. Aust. Gotha 1846. V, 302.
Mau hatte nicht leicht einen schönern Morgen gesehen, als
den des 1. November 1755. Die Sonne schien mit ihrem vollen
Glanze, der Himmel war völlig rein und klar, und nicht das
geringste Anzeichen von irgend einem Naturereignisse zu spüren,
das eine so blühende, reiche, bevölkerte Stadt zu einem Schau-
platze der slirchtbarsten Schrecknisse, der ärgsten Verwüstung machen
sollte. Zwischen neun und zehn Uhr dieses schönen Morgens saß
ein Engländer am Schreibtische, eben einen Brief beendigend, als
ein Papier, sein Tisch eine Bewegung machte, die ihn ziemlich
63
überraschte. Indem er noch nachsann, was denn wohl die Ursache
davon wäre, erzitterte das Haus von oben bis unten, unter der
Erde bebte ein Donner, als ob sich ein Gewitter iu großer Ferne
entlüde, es ließ sich ein furchtbares Geprassel hören, als ob alle
Gebäude in der Stadt zusammenstürzten. Auch das Hans des
Engländers ward so erschüttert, daß die obersten Stockwerke ein-
stürzten, und die Zimmer, welche er bewohnte, hin und her
schwankten, so daß alles Geräth umfiel, und es Mühe kostete, sich
auf den Füßen zu erhalten. Die Mauern wankten hin und her,
borsten an mehreren Stellen, und aus deu Fugen stürzten große
Steine heraus. In derselben Zeit verfinsterte sich der vorher so
heitere Himmel, so daß sich kein Gegenstand mehr genau erkennen
ließ. Endlich erhellte sich die Nacht wieder, die Gewalt der Stöße
ließ nach, der Engländer blickte umher, und das erste, was ihm
in die Augen fiel, war eine Mutter, die mit einem Kinde ans
dem Boden saß, bleich, mit Staub bedeckt, zitternd wie Espenlaub.
Er fragte sie, wie sie hierher gekommen; allein die furchtbare
Bestürzung gestattete ihr keine Antwort. Das arme Weib richtete
nur die Frage an ihn, ob dies nicht das Ende der Welt bedeute.
Zugleich klagte sie, daß ihr der Athem fehle, und bat um einen
Trunk Wasser. Der Engländer gieng in ein Nebenzimmer, wo
er ein großes Gefäß mit Trinkwasser hielt, das in Lissabon ziemlich
selten ist; allein es war zerbrochen, und so sagte er ihr, daß sie jetzt
daran nicht denken möchte, ihren Durst zu löschen, das Haus
würde über ihren Köpfen zusammenstürzen, sobald ein zweiter Erdstoß
käme, und sie beide unter den Trümmern begraben; sie sollte sich
an seiieen Arm hängen, er würde suchen, sie an einen sichern Ort
zu geleiten. Sie giengen auf die Straße, welche nach dem Tajo
führt. Überall war sie von Trümmern bedeckt \mb hier und da
bis znm zweiten Stockwerk gesperrt. Es war unmöglich, darüber
fortzukommen, und so versuchte er einen andern Weg zu gewinnen,
was unter tausend Gefahren geschah. Er hals erst dem Weibe über
einen großen Hansen von Trümmern, dann bat er sie, ihn los-
zulassen, um mit Händen und Füßen den Weg über einen zweiten
zu finden, und kaum hatte er einen Schritt vorwärts begonnen,
als eine Steinmasse von oben herab ans sie und das Kind stürzte,
so daß beide im Augenblicke zerschmettert waren. Er hatte jetzt eine
lange, enge Straße zu durcheilen, zu deren beiden Seiten die Häuser
vier bis fünf Stock hoch waren. Die meisten stürzten eben zusammen
oder waren schon in Trümmern, von denen bedeckt Todte, Sterbende,
Verwundete überall umherlagen. Es schien nicht möglich, hier
mit dem Leben davonzukommen, und er wünschte nur, gleich tödtlich
getroffen zu werden. Doch eilte er so schnell als möglich fort und
kam glücklich den Höllenpfad hindurch. Da stand er ans dem
freien Kirchhofe der St. Paulskirche und staunte den ungeheuren
Haufen Trümmer an, zu welchem sie zusammengesunken war.
64
Noch vor wenig Minuten konnte sie für ein Meisterstück der Bau-
kunst gelten, welches Maler unb Bildhauer wetteifernd geschmückt
hatten. Jetzt sah man eine ungeheure Steinmasse, unter welcher
Hunderte stöhnten und röchelten, die, vor den Altären kniend,
zerschmettert worden waren. Kaum hatte er sich ein wenig voll
seinem Schrecken erholt, kaum ein wenig Athem geschöpft, als er
nun über die Trümmer nach den Ufern des Tajo schritt, um so
weit als möglich von allen Gebäuden entfernt zu sein, wenn ein
neuer Stoß des Erdbebens die Mauern erschütterte. Er gelangte
glücklich hin und fand eine große Menge Menschen. Der Schrecken
des Todes lag auf ihren Gesichtern, und sie riefen kniend Gottes
Barmherzigkeit an. Der Engländer kniete in der Angst seines
Herzens neben ihnen und betete so eifrig, als irgend einer. Mitten
unter dem Gebete kam der gefürchtete zweite Stoß, der nicht viel
weniger heftig war, als der erste, und den Ruin der' schon
erschütterten Häuser vollendete. Das Geschrei: 'Barmherzigkeit,
mein Gott!' war allgemein, und vom Katharinenberge herüber,
der doch ziemlich fern war, konnte man es ebenso vernehmlich
hören, denn aus ihn hatten sich ebenfalls Tausende gerettet. Der
Stoß war so heftig, daß man sich kaum auf den Beinen erhalten
konnte. Allein zugleich drohete jetzt eine neue Gefahr. Das Meer
war bis zum tiefsten Grunde aufgerührt. 'Die See bricht herein!
Wir sind alle verloren!' hörte man ans allen Seiten. In der
That sah der Engländer kaum nach der Mündung des Flusses
hin, als er auch warnahm, wie er sich hob und anschwoll, und
ein Wasserberg heranzurollen schien, obgleich kein Wind sich regte.
Brüllend nnb schäumend wogte das zürnende Element daher, und
alles floh heulend und schreiend, ihm zu entgehen; doch mancher
ward die Bellte der empörten Fluten; und viele entkamen ihnen
nur mit genauer Noth. Dem Engländer gelang die Rettung nur
dadurch, daß er einen Baumstamm fand, welcher auf der Erde
lag; er klammerte sich an ihn fest, bis die Flut, was ebenfalls
äußerst schnell geschah, in ihr Bett znrückgieng. Alls der See
wogte, so weit das Auge schweifen konnte, eine Menge Schiffe
auf und ab unb stießen mit einander zusammen, als ob der heftigste
Sturm wüthete. Eillige drehteil sich im Kreise herum, wie von
einem Wirbel ergriffeil; große Boote wareil limgeschlageil; mit
einemmale aber versank die mächtige Ufermaner lind alle Menschen,
die ans ihr sicher fußen ,;n können geglaubt hatten. Die Boote
und Fahrzelige aber, welche daselbst gelandet wareil nnb auf denen
so viele Rettung gesucht hatten, wurden 511 gleicher Zelt eine Bellte
des Meeres. Von der Malier war späterhin auch nicht eine Spnr
mehr zll finden. Kurze Zeit nachher kam ein dritter Erdstoß, doch
minder stark. Das Meer wogte gleichfalls wieder herail; aber
lioch schiieller trat es zurück. Mehrere Schiffe blieben auf dem
Trockileil sitzen. Wie weit das Erdbeben ins Meer hinausgieng,
\
sann man daraus abnehmen, daß ein Schiffseapitän vierzig Stunden
von der Küste entfernt einen Stoß fühlte, der ihn anfangs fürchten
ließ, er wäre auf einen Felsen gerathen. Nach den drei Hauptstößen
bebte übrigens die Erde noch an sechs Tage fort, und als man
endlich, nach zurückgekehrter Ruhe, Erkundigung über die Opfer
dieses Erdbebens einzog, fand man, daß mehr als sechstausend
Menschen das Leben verloren hatten.
74.
Pförtners Morgenlied.
Bon Schiller.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1838. VI, 225.
verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
Die Sonne kommt mit Prangen
Am Himmel aufgegangen,
Sie scheint in Königs Prunkgemach,
Sie scheinet durch des Bettlers Dach,
Und was in Nacht verborgen war,
Das macht fie kund und offenbar.
Lob sei demHerrn undDank gebracht,
Der über diesem Haus gewacht,
Mit seinen heil'gen Scharen
Uns gnädig wollt' bewahren.
Wohl mancher schloß die Augen schwer
Und öffnet sie dem Licht nicht mehr;
Drum freue sich, wer, neu belebt,
Den frischen Blick zur Sonn' erhebt!
75.
Unglück der Stadt Leiden.
Bon Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 5. — Schatzkästlein. Stuttg. u. Tüb. 1846. S. 120.
Diese Stadt heißt schon seit undenklichen Zeiten Leiden und
hat noch nie gewußt, warum, bis am 12. Jänner des Jahrs 1807.
Sie liegt am Rhein in dem Königreich Holland und hatte vor
diesem Tag elftausend Häuser, welche von vierzigtausend Menschen
bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die größte Stadt
im ganzen Königreich. Man stand an diesem Morgen noch auf,
wie alle Tage; der eine betete sein <Das walt Gott/ der andere
ließ es sein, und niemand dachte daran, wie es am Abend aus-
sehen wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver
in der Stadt war. Man aß zu Mittag und ließ sich's schmecken,
wie alle Tage, obgleich das Schiff noch immer da war. Aber als
nachmittags der Zeiger auf dem großen Turm auf halb fünf
stand — fleißige Leute saßen daheim und arbeiteten, fromme Mütter
wiegten ihre Kleinen, Kaufleute gieugen ihren Geschäften nach,
Kinder waren beisammen in der Abendschule, müßige Leute hatten
lange Weile unb saßen im Wirtshaus beim Karteuspiel und Wein-
krug, ein Bekümmerter sorgte für den andern Morgen, was er
essen, was er trinken, womit er sich kleiden werde, und ein Dieb
Kolshorn u. Gbdeke'S Lesebuch I. 5
66
steckte vielleicht gerade einen falschen Schlüssel in eine fremde
Thüre,—und plötzlich geschah ein Knall. Das Schiss mit seinen sie-
benzig Fässern Pulver bekam Feuer, sprang in die Ln ft, und in einem
Äugenblick — ihr könnt's nicht so geschwind lesen, als es geschah —
in einem Augenblick waren ganze lange Gassen voll Häuser mit
allem, was darin wohnte und lebte, zerschmettert und in einen
Steinhaufen zusammengestürzt oder entsetzlich beschädigt. Viele
hundert Menschen wurden lebendig und todt unter düsen Trümmern
begraben oder schwer verwundet. Drei Schulhäuser giengen mit
allen Kindern, die darin waren, zu Grunde, Menschen und Thiere,
welche in der Nähe des Unglücks auf der Straße waren, wurden
von der Gewalt deö Pnlvers in die Lust geschleudert nnb kamen
in einem kläglichen Zustande wieder auf die Erde. Zum Unglück
brach auch noch eine Fenersbrunst aus, die bald an allen Orten
wüthete, und konnte fast nimmer gelöscht werden, weil viele Vorraths-
hänser voll Ol und Thran mit ergriffen wurden. Achthundert
der schönsten Häuser stürzten ein oder mußten nieder gerissen werden.
Da sah man denn auch, wie es am Abend leicht anders werden
kann, als es am frühen Morgen war, nicht nur mit einem schwachen
Menschen, sondern auch mit einer großen und volkreichen Stadt.
Der König von Holland setzte sogleich ein namhaftes Geschenk ans
jeden Menschen, der noch lebendig gerettet werden konnte. Auch
die Todten, die aus dem Schickt hervorgegraben wurden, wurden
aus das Rathhaus gebracht, damit sie von den Ihrigen zu einem
ehrlichen Begräbnis konnten abgeholt werden. Viele Hülfe wurde
geleistet. Obgleich Krieg zwischen England und Holland war, so
kamen doch von London ganze Schisse voll Hülfsmittel nnb große
Geldsummen für die Unglücklichen, und das ist schön — denn der
Krieg soll nie ins Herz der Menschen kommen. Es ist schlimm
genug, wenn er außen vor allen Thoren und vor allen Seehäsen
donnert.
76.
Das GewrtterH.
S3un Schwab.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1829. II, 369. — 4. Ausl. 1851. S- 197.
Erahne, Großmutter, Mutter und Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl —
Kind Wie wehen die Lüfte so schwül!
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich Das Kind spricht: 'Morgen ist's
schmückt, Feiertag,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt Wie will ich spielen im grünen Hag,
’) Ssm 30. Juni 1828 schlug der Blitz in ein von zwei armen Familien bewohntes
Haus der würtcmbergischen Stadt Tuttlingen urid tödtcte von zehn Bewohnern desselben
vier Personen weiblichen Geschlechts, Großmutter, Mutter, Tochter und Enkelin, die erste
71, die letzte 8 Jahr alt. S. Schwab. Merkur 8- Jule 1828, Nr. 163.
4
Wie will ich springen durch Thal
und Höhn,
Wie will ich pflücken viel Blumen
schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!' —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Die Mutter spricht: 'Morgen ist's
Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag,
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
Das Leben, es hat auch Lust nach
Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!' —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Großmutter spricht: 'Morgen ist's
Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das
Kleid,
67
Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
Wohl dem, der that, was er sollt'!' —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
Urahne spricht:'Morgen ist's Feier-
tag,
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen
schwer,
Was thu' ich noch auf der Welt?' —
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Schlag mit einander getroffen
sind;
Vier Leben endet ein Schlag —
Und morgen ist's Feiertag.
77.
Das Wetter.
Von Fr. Ad. Krnmmacher.
Parabeln 7. Aufl. Essen 1846. Il, 91.
Nach langer ängstlicher Erwartung war das fernher drehende
Wetter wirklich herbeigekommen und stand über dem Thale, wie
sestgemauert zwischen der Bergkluft. Der Tag wurde zur Nacht,
der Himmel war ein Feuerofen, und der Donner brach unaufhörlich,
bald wie ein langgezogener Posauncnhall, bald wie ein zerreißendes
Schmettern, krachend durch die Wolken, daß die Pfosten des Hauses
erbebten. Es war, als ob der Tag des Gerichts erschiene.
Der Vater stand am Fenster, wie in Flammen, und rief dem
Donner sein Hallelujah entgegen: <Die Himmel erzählen die Ehre
Gottes, und die Veste verkündigt seiner Hände Werk. — Der Herr
ist groß, und sein Name ist groß. — Der Gott der Ehren donnert ;
die Stimme des Herrn gehet mit Macht; die Stimme des Herrn
gehet herrlich; die Stimme des Herrn hauet wie Feuerflammen.—
Barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Treue ist der
Herr, Herr. — Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in
mir ist, seinen heiligen Namen........'
Solche Worte redete der Vater des Hauses und stand von
Feuerflammen umgeben, und sein Angesicht leuchtete.
Die Mutter aber lag von ferne mit verhülltem Haupte aus
den Knien und zitterte, und neben ihr das älteste Töchterlein hielt
sie fest umschlossen mit ihren Armen.
68
In der Mitte stand der Sohn, ein Jüngling, ernst und
schweigend an die Wand gelehnt. -
Die beiden Kleinen aber saßen an einem niedrigen Tischlcin
auf ihren Bänkchen und spielten, allerlei redend, das Mägdlein
mit der Puppe, der Knabe mit den Thieren aus seiner Noahsarche.
Zuletzt erhob sich ein starker Wind, cö fiel ein heftiger Regen,
und das Wetter zog brausend vorüber, und rings duftete das
crquicfte Gefild.
78.
Wind und Wolke.
Von Colshorn.
Des Mägdleins Dichterwald 3. Aufl. Hannover 1856. S. 8.
Wvlke: du wilder Gesell, was that ich dir,
Daß du mich umhertreibst für und für?'
Wind: 'Mußt heute noch viele Meilen fliegen!
Dort hinter den blauen Bergen liegen
Große Gebreiten mit Menschen und Thier,
Die durstig sind. Dahin eilen wir.'
Der Wind entfaltete seine Flügel,
Trug sausend die Wolke über die Hügel
Und über die Berge aufs durstige Land,
Zog drauf die Schwingen ein und verschwand.
Die Wolke strömte nun göttlichen Segen;
Und alles jauchzet nach ihrem Regen:
Die Bäume strecken sich hoch hervor,
Die Blumen schauen fröhlich empor;
Erquickte Böglein zwitschern und singen,
Das Wild und die Lammlein hüpfen und springen;
Der Mensch lenkt dankend Augen und Herz
Zum Bater des Regens himmelwärts.
Und als die Wolke vorüber gezogen,
Da schmückt sie ein herrlicher Regenbogen.
79.
Das Äehrenfeld.
Von Fr. Ad. Knimmacher.
Parabeln 7. Anfl. Effen 1840- I, 237.
In der stillen Wohnung eines frommen Landmannes hatte
eine böse Seuche gewüthet und ihn selber sammt seinem Weibe und
vier Kindern ans das Krankenbette geworfen. Zwei Kinder wurden
ein Raub der grimmigen Seuche, sein ältester Sohn lind ein
Mägdlein, die Stütze der Mutter. Dabei war die Arbeit des Feldes
zurückgegangen, und der letzte Sparpfennig verzehrt.
Aber endlich genas der Landmann, und erbeschloß, das erstemal
ans seinen Acker zu gehen, den er so lange nicht gesehen hatte.
69
Als er nun hinausgehen wollte mit seinem Weibe, siehe, da
erhob sich ein Gewitter, und es blitzte und donnerte sehr, und es
siel ein starker Regen, unb sie harreten, bis es vorüberzöge.
Darauf, als der Donner stille ward und der Regen aufhörte,
sprach der Landmann: "Wohlan, jetzt wollen wir gehen. Der
Geruch des Feldes wird desto lieblicher sein nach der langen Dürre.'
Und als sie nun hinaustraten zu dem Kornfelde, das schon
Ähren gewonnen hatte, kam ihnen der Geruch des Feldes frisch
und lieblich entgegen, und fern am blauen Himmel hieng wetter-
leuchtend das zerrissene Gewölk, und hinter dem dunklen Gewölk
flössen glänzend und in langen Streifen die Sonnenstrahlen herab.
Die jungen Ähren und Halme aber senkten ihre Häupter, beschwert
von den perlenden Tropfen, nnb das Gras stand mit frischem
Glanze bekleidet.
Da faßte der Landmann die Hand seines'Weibes und blickte
gen Himmel in das leuchtende Gewölk und den Lichtstrom und
sprach: ^Ach, Herr, auch uns hast du ein Wetter gesendet; — o, so
laß uns auch sein, wie dieses Ährenfeld. Wir giengen und weineten;
ach! laß uns auch edlen Samen tragen, damit wir mit Freuden
unsere Garben bringen mögen!'—Also betete der Landmann, und
sein Weib weinete und sprach: <Amen! Ja, es sei so!'
Und beide kehrten getröstet zur Wohnung zurück. .
80.
Schiffahrt.
Von
Gesammelte Gedichte. Bd. VI.
ÜJie ein Schifflein auf dem Meer,
Schwebt das Leben überm Tod,
Oben, unten, ringsumher
Von Gefahren stets umdroht.
Eine schwache Bretterwand
Trennet dich von deinem Grab;
Erlangen 1838. S. 268.
Eines Hauches Unbestand
Wiegt dich schaukelnd auf und ab.
Seien Lüfte noch so klar,
Sei die Tiefe noch so still;
In Gefahr ist immerdar,
Wer durchs Leben schiffen will.
81.
Der Rabe Noah's.
Von Herder.
Werke, herausg. oon Müller. Tübingen 1807. IX, 37.
Äengstlich blickte Noah umher aus seinem schwimmenden
Kasten und wartete, bis die Wasser der Sündflut fielen. Kaum
sahen der Berge Spitzen hervor, als er alles Gefieder um sich
70
rief. 'Wer,' sprach er, 'unter euch will Bote sein, ob unsre Rettung
nah ist?'
Da drängte sich vor allen der Nabe hervor mit großem Geschrei;
er witterte nach seiner Lieblingsspeise. Kaum war das Fenster
geöffnet, so flog er hin und kehrte nicht zurück. Der Undankbare
vergaß des Retters und seines Geschäfts; er hieng am Aase.
Aber die Rache blieb nicht ans. Noch war die Lust von
giftigen Dämpfen voll, und schwere Dunste hiengen über den
Leichen; die benebelten ihm sein Gesicht und schwärzten seine
Federn.
Zur Strafe seiner Vergessenheit ward ihm auch sein Gedächtnis
wie sein Auge düster; selbst seine nengebornen Jungen erkennet
er nicht und genießt an ihnen keine Vatersrende. Erschrocken über
ihre Häßlichkeit, flieht er hinweg und verlässet sie. Der Undankbare
zeugt ein undankbar Geschlecht; entbehren muß er des schönsten
Lohns, des Dankes seiner Kinder.
82.
Oie Taube Noah's.
£3ou Herder.
Werke, hereiusg. von Müller. Tübingen 1807. IX, 38.
Ä-cht Tage hatte der Vater der neuen Welt ans die Wiederkunft
des trägen Naben gewartet, als er anss neue seine Scharen um
sich ries, Kundschafter auszuwählen. Schüchtern flog die Taube
ans seinen Arm und bot sich an zur Sendung.
'Tochter der Treue,' sprach Noah, 'du wärst mir wohl eine
Dienerin guter Botschaft; wie aber willst du deine Reise thun
und dein Geschäft vollenden? Wie, wenn dein Flügel ermattet,
und dich der Sturm ergreift und wirst dich in die trübe Welle
des Todes? Auch scheuen deine Füße Schlamm, und deiner Zunge
widert unreine Speise.'
'Wer,' sprach die Taube, 'giebt dem Müden Kraft, und Stärke
genug dem Unvermögenden? Laß mich, ich werde dir gewiß eine
Dienerin guter Botschaft.'
Sie entflog und schwebete hin und her, und nirgend fand sie,
wo sie ruhen könnte — als schnell der Berg des Paradieses sich vor
ihr erhob mit seinem grünenden Wipfel. Über ihn hatten nichts
vermocht die Wasser der Sündflnt; und der Taube war die Zuflucht
zu ihm nnverboten. Freudig eilete sie und flog hinan und ließ
demüthig sich am Fnß des Berges nieder. Ein schöner Ölbanm
blühete da: sie brach ein Blatt des Baums, eilte gestärkt zurück
und legte den Zweig ans des schlummernden Noah Brnst.^
Er erwachte und roch daran den Geruch des Paradieses.
Da erquickte sich sein Herz; das grüne Friedensblatt erquickte
71
die Semigen, bis ihm sein Netter selbst erschien, bekräftigend der
Taube gute Botschaft.
Seitdem dann ward die Taube Dienerin der Liebe und des
Friedens. Wie Silber glänzen ihre Flügel, sagt das Lied; ein
Schimmer noch vom Glanz des Paradieses, das sie auf ihrer
Wanderschaft erquiitc.
83.
Der (!) f 11) a u in.
- Von Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Ausl. Erlangen 1840. S. 88.
Der Ölbaum wächst freilich bei uns in Deutschland nicht
ans den Bergen und Feldern, in andern, wärmeru Ländern aber
desto häufiger. Das ist wohl einer der nützlichsten und wichtigsten
Bäume für manche Länder! Seine schmalen, fast weidenartigen
Blätter und seine kleinen Blüten haben freilich kein sehr schönes
Ansehen; er ersetzt aber durch seine guten Eigenschaften, was ihm
an Schönheit abgeht. Alan preßt aus den Früchten, die so groß
sind, wie kleine Kirschen, und die bei ihrer Reife, gegen den Herbst
hin, sich schwarz färben, das gute Baumöl, das in den Ländern,
wo der Ölbaum wächst, fast überall statt Schmalz und Butter
an die Speise gebraucht wird; die Früchte kann man aber auch,
mit Salz und Pfeffer eingemacht, effen. Das Holz ist denn auch
eine der schönsten Holzarten, die man sich denken kann, sieht aus
wie marmoriert „und wie mit Landschaften bemalt. Da im Winter
1709 so viele Ölbäume in Frankreich erfroren waren, kam viel
solch schönes Holz zu uns, und die Liebhaber von schönen Möbeln
so wie die künstlichen „Schreiner haben oft gewünscht, daß doch
wieder einmal so viel Ölbaumholz in Handel und Wandel kommen
möchte. Wir aber wollen das nicht wünschen. Denn obgleich die Leute,
denen die Ölbäume gehören, weit von uns weg„ wohnen, so wird
es ihnen doch eben so wehe thun, wenn ihre Ölbäume erfrieren,
als uns, wenn unsere Weinstöcke und Kirschbäume erfrieren.
84.
Fünf Mthsel.
a.
Drei Worte giebt ein R und E,
Ein doppelt N, ein O und D:
Das eine brüllt, das andere sticht.
Dem dritten fehlt's an Kälte nicht.
b. .
liTit K nährt's,
Mit M gährt'ö,
Mit P fährt's,
Mit R zerfrißt es Stahl und Wehr,
Und ohne Kopf zieht's kalt einher.
72
^ch labe mit einem B,
Ich schade niit einem D,
Ick labe mit einem K,
Ich schade mit einem H,
Nie bleib' ich mit einem V zurück,
Mit Z entstell' ich den Blick.
d.
Ein doppelt T,
Ein kleines E,
Ein R und O
Die stell' ich so,
Wie's klingt lind paßt,
Und sieh, du hast,
Was süße schmeckt,
Was manchen schreckt;
Auch lebt's im Fluß,
Stirbt oft vom Schuß.
6.
Mit M umschließt es manchen
Garten,
Mit D trotzt cs der Zeiten Lauf,
Mit B muß es des Feldes warten,
Mit L stehn Jäger oft darauf.
85.
Nie Räthsel der Elfen.
Von Rückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. III, 2- Ausl. Erlangen 1839. S. 189.
^ie Elfen sitzen im Felsenschacht,
Vertreiben mit Reden die lange Nacht.
Sie legen sich luftige Räthsel vor,
Die, wenn sie nicht Gold sind, doch klingen im Ohr.
Und wie ein Windzug dazwischen geht,
So sind sammt den Elfen die Räthsel verweht. —
Welch Gold entstammt dem Erdschacht nicht?
Ich hörte von goldenem Sonnenlicht.
Wer borgt sein Silber von fremdem Gold?
Der Mond, der ob unseren Häuptern rollt.
Wo quillt die Thrän' aus härtester Brust?
Der Quell im Fels ist mir wohl bewußt.
Wo strömt ein Strom, da kein Strombett ist?
Der Negenstrom, der in Lüften fließt.
Wo ist auf dem Fluß die breiteste Brück'?
Das Eis ist gebaut aus Einem Stück.
Die Flut, die im stetesten Takt sich bewegt?
Das Blut, das im Herzen des Menschen schlägt.
Wer trauert in seinem buntesten Kleid?
Das ist der Baum zu des Herbstes Zeit.
Wer hat tausend Augen und sieht sich nicht?
Der Strauch, der sie treibet und weiß es nicht.
Wer sah nie von innen sein eigenes Haus?
Die Schnecke, und kommt doch niemals heraus.
Wo hat man den Kleinsten zum König gemacht?
Der Zaunkönig wird ausgelacht.
Wo tritt der Schwache den Starken nieder?
Den Erdboden des Menschen Glieder.
Was ist stärker als der Erdcngrund?
Das Eisen, denn cs macht ihn wund.
73
Was ist stärker als Eisen und Stahl?
Das Feuer schmelzt sie allzumal.
Was ist stärker als Feuersglut?
Die feuerlöschende Wasserflur.
Was ist stärker als Flut im Meer?
Der Wind, der sie treibt hin und her.
Und was ist stärker als Wind und Lust?
Der Donner; sie zittern, wenn er ruft.
Wer ist mächtiger als der Tod?
Wer da kann lachen, wenn er droht.
Und wer, wenn die Erde bebt, kann stehn?
Wer nicht fürchtet unterzugehn.
Warum fließt das Wasser den Berg nicht hinauf?
Weil's berguntcr hat leichtern Lauf.
Warum trägt Kürbße der Eichbaum nicht?
Daß sie dir nicht fallen aufs Angesicht.
Wozu hat der Gaul vier Füße empfahn?
Damit er mit vieren stolpern kann.
Und warum sind die Fische stumm?
Weil sie sonst würden reden dumm.
Wer löset alle Räthsel auf?
Wer immer was weiß, das sich reimet drauf.
Und warum schweig' ich jetzo still?
Weil ich nichts weiter hören will.
86.
Dornröschen.
von den brüdern Grimm,
märeben 7. aufl. Göttingen 1857. I, 251.
Vor Zeiten war ein könig und eine königin, die sprachen jeden
tag: ‘ach, wenn wir doch ein kind hätten!’ und kriegten immer
keins. da trug sich zu, als die königin einmal im bade sasz, dasz
ein frösch aus dem wasser ans land kroch und zu ihr sprach:
‘dein wünsch wird erfüllt werden; ehe ein jähr vergeht, wirst du
eine tochter bekommen.’ was der frösch gesagt hatte, das geschah,
und die königin gebar ein mädchen, das war so schön, dasz der
könig vor freude sich nicht zu lassen wuszte und ein groszes fest
anstellte, er ladete nicht blosz seine verwandte, freunde und be-
kannte, sondern auch die weisen frauen dazu ein, damit sie dem
kind hold und gewogen wären, es waren ihrer dreizehn in seinem
reiche; weil er aber nur zwölf goldene teller hatte, von welchen
sie essen sollten, so muszte eine von ihnen daheim bleiben, das
fest ward mit aller pracht gefeiert, und als es zu ende war, be-
schenkten die weisen frauen das kind mit ihren wundergaben: die
eine mit tilgend, die andere mit Schönheit, die dritte mit reiehthum
und so mit allem, was auf der weit zu wünschen ist. als elfe ihre
Sprüche eben gethan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein.
74
sie wollte sich dafür rächen, dasz sie nicht eingeladen war, und
ohne jemand zu grüszen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter
stimme: ‘die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten jähr an
einer spindel stechen und todt hinfallen.’ und ohne ein wort weiter
zu sprechen, kehrte sie sich um und verliesz den saal. alle waren er-
schrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren wünsch noch übrig
hatte, und weil sie den bösen sprach nicht aufheben, sondern nur
ihn mildern konnte, so sagte sie: ‘es soll aber kein tod sein, son-
dern ein hundertjähriger tiefer schlaf, in welchen die Königs-
tochter fällt.’
Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern be-
wahren wollte, liesz den befehl ausgehen, dasz alle spindein im
ganzen Königreiche sollten verbrannt werden, an dem mädchen
aber wurden die gaben der weisen trauen sämmtlich erfüllt; denn
es war so schön, sittsam, freundlich und verständig, dasz es jeder-
mann, der es ansah, lieb haben muszte. es geschah, dasz an dem
tage, wo es gerade fünfzehn jähr alt ward, der König und die
Königin nicht zu haus waren, und das mädchen ganz allein im
schlosz zurückblieb, da gieng es aller orten herum, besah stuben
und Kammern, wie es bist hatte, und kam endlich auch an einen
alten türm. es stieg die enge Wendeltreppe hinauf und gelangte
zu einer kleinen thüre. in dem schlosz steckte ein verrosteter
sehlüssel, und als es umdrehte, sprang die thüre auf, und sasz da
in einem kleinen stübchen eine alte trau mit einer spindel und
spann emsig ihren flachs, ‘guten tag, du altes mütterchen,’ sprach
die Königstochter; ‘was machst du da?’ ‘ich spinne,’ sagte die alte
und nickte mit dem köpfe, ‘was ist das für ein ding, das so lustig
herumspringt?’ sprach das mädchen, nahm die spindel und wollte
auch spinnen, kaum hatte sie aber die spindel angerührt, so gieng
der zauberspruch in erfüllung, und sie stach sich damit in den
finger.
In dem augenblick aber, wo sie den stich empfand, fiel sie
auf das bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen schlaf,
und dieser schlaf verbreitete sich über das ganze schlosz: der
König und die Königin, die eben heim gekommen waren und in
den saal getreten waren, fiengen an einzuschlafen, und der ganze
hofstaat mit ihnen, da schliefen auch die pferde im stall, die
hunde im hose, die tauben auf dem dache, die fliegen an der wand,
ja, das teuer, das auf dem lierde flackerte, ward still und schlief
ein, und der braten hörte auf zu brutzeln, und der koch, der den
Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den haaren ziehen
wollte, liesz ihn los und schlief, und der wind legte sich, und auf
den bäumen vor dem schlosz regte sich kein blättchen mehr.
Rings um das schlosz aber begann eine dornenhecke zu
wachsen, die jedes jähr höher ward und endlich das ganze schlosz
umzog und darüber hinaus wuchs, dasz gar nichts mehr davon zu
75
sehen war, selbst nicht die sahne auf dem dach. es gieng aber
die sage in dem land von dem schönen schlafenden Dornröschen,
denn so ward die königstochter genannt, also dasz von zeit zu
zeit königssöhne kamen und durch die hecke in das schlosz dringen
wollten, es war ihnen aber nicht möglich, denn die dornen, als
hätten sie bände, hielten fest zusammen, und die jünglinge blieben
darin hängen, konnten sich nicht wieder los machen und starben
eines jämmerlichen todes. nach langen langen jähren kam wieder
einmal ein königssohn in das land und hörte, wie ein alter mann
von der dornenhecke erzählte, es sollte ein schlosz dahinter stehen,
in welchem eine wunderschöne königstochter, Dornröschen genannt,
schon seit hundert jähren schliefe, und mit ihr schliefe der könig
und die königin und der ganze hofstaat. er wuszte auch von seinem
groszvater, dasz schon viele königssöhne gekommen wären und
versucht hätten, durch die dornenhecke zu dringen, aber sie wären
darin hängen geblieben und eines traurigen todes gestorben, da
sprach der jüngling: ‘ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und
das schöne Dornröschen sehen.’ der gute alte mochte ihm ab-
rathen, wie er wollte, er hörte nicht auf seine werte.
Nun waren aber gerade die hundert jähre verflossen, und der
tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte, als
der königssohn sich der dornenhecke näherte, waren es lauter grosze
schöne blumen, die thaten sich von selbst auseinander und lieszen
ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm thaten sie sich wieder
als eine hecke zusammen, im schloszhof sah er die pferde und
scheckigen jagdhunde liegen und schlafen, auf dem dache saszen
die tauben und hatten das köpfchen unter den flügel gesteckt,
und als er ins haus kam, schliefen die fliegen an der wand, der
koch in der küche hielt noch die band, als wollte er den jungen
anpacken, und die magd sasz vor dem schwarzen huhn, das sollte
gerupft werden, da gieng er weiter und sah im saale den ganzen
hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem throne lag der
könig und die königin. da gieng er noch weiter, und alles war
so still, dasz einer seinen athem hören konnte, und endlich kam
er zu dem türm und öffnete die thüre zu der kleinen stube, in
welcher Dornröschen schlief, da lag es und war so schön, dasz
er die äugen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab
ihm einen kusz. wie er es mit dem kusz berührt hatte, schlug
Dornröschen die äugen auf, erwachte und blickte ihn ganz freundlich
an. da giengen sie zusammen herab, und der könig erwachte und
die königin und der ganze hofstaat und sahen einander mit groszen
äugen an. und die pferde im hof standen auf und rüttelten sich,
die jagdhunde sprangen und wedelten, die tauben auf dem dache
zogen das köpfchen unterm flügel hervor, sahen umher und flogen
ins seid, die fliegen an den wänden krochen weiter, das feuer in
der küche erhob sieh, flackerte und kochte das essen, der braten
76
fieng wieder an zu brutzeln, und der koch gab dem jungen eine
ohrfeige, dasz er schrie, und die magd rupfte das huhn fertig, und
da wurde die hochzeit des königssohns mit dem Dornröschen
in aller pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr ende.
87.
Barbarossa.
Von Nückert-
Gesammelte Gedichte. Bd. III.
iJer alte Barbarossa,
Der Kaiser Friederich,
Im unterird'schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt;
Der Tisch ist marmelsteinern.
Worauf sein Haupt er stützt.
2. Aufl. Erlangen 1839. S- 319.
Sein Bart ist nicht von Flachse,
Er ist von Fenersgltlt,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.
Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug' halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
<Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herstiegen um den Berg.
'Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Berzaubert hundert Jahr.'
88.
Friedrich Rothbart auf dem Ayffhäuser.
a.
Von den Brüdern Grimm.
Deutsche Sagen. Berlin 1816 u. 1818- I, 29-
Von diesem Kaiser gehen viele Sagen im Schwange. Er soll
noch nicht todt sein, sondern bis zum jüngsten Tage leben, auch
kein rechter Kaiser nach ihm mehr aufgekommen sein. Bis dahin
sitzt er verholen in dem Berg Khsshausen, und wenn er hervor-
kommt, wird er seinen Schild hängen an einen dürren Baum, da-
von wird der Baum grünen und eine beßrc Zeit werden. Zuweilen
redet er mit den Leuten, die in den Berg kommen; zuweilen läßt
er sich auswärts sehen. Gewöhnlich sitzt er ans der Bank an dem
runden steinernen Tisch, hält den Kopf in der Hand und schläft;
mit dem Haupt nickt er stetig und zwinkert mit den Augen. Der
Bart ist ihm groß gewachsen, nach einigen durch den steinernen
Tisch, nach mibern um den Tisch herum, dergestalt, daß er drei-
mal um die Nundung reichen muß bis 511 seinem Aufwachen; jetzt
aber geht er erst zweimal herum.
Ein Bauer, der aus dem Dorf Reblingen Korn nach Nord-
hausen fahren wollte, wurde von einem kleinen Männchen in den
Berg geführt, mußte sein Korn ausschütten und stch dafür die Säcke
mit Gold füllen. Dieser sah nun den Kaiser sitzen, aber ganz mt=
beweglich. — Auch einen Schäfer führte ein Zwerg hinein, da
stand der Kaiser ans und fragte: Wiegen die Naben noch um den
Berg?' Und auf die Bejahung des Schäfers rief er: Mun muß
ich noch hundert Jahre länger schlafen.'
b.
Von Kuhn und Schwartz.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 1848. Seite 217 — 221.
In den Kyffhäuser ist Kaiser Friedrich der Nothbart ver-
wünscht, der sitzt mit all seinen Rittern und Knappen um einen
großen Tisch, durch den sein Bart hindurch gewachsen ist. Unten
im Berg ist's herrlich, und alles strahlt von Gold und Edelstein,
und ob's allch eine unterirdische Höhle ist, so ist's doch hell drin
wie am sonnigsten Tage; die prächtigsten Bäume und Sträucher
stehen da, und mitten durch dies Paradies fließt ein Bach, wenn
man aus dem eine Hand voll Schlamm nimmt, so wird er so-
gleich pures Gold. Hier jagt nun ein Reiter zu Pferde fortwährend
auf und ab; andere aber sagen, er sitze auf einem Hahn.
Einmal fängt bei einer Hochzeit auf einem Dorfe in der Nähe
des Kyffhänsers der Wein an zu fehlen; da sagt der Brautvater
zu dem Mädcheu: <Geh hin und hole noch Wein.' Als sie nun
fragt, woher sie ihn holen solle, sagt er: Mnn, woher sonst, als
vom Kyffbäuser!' Da geht sie hinauf, und als sie oben ankommt,
sitzt am offenen Berge ein ganz weißes Fräulein, des Kaisers Ans-
geberin, die fragt nach ihrem Begehr; als sie ihr das sagt, spricht
sie, sie solle nur mitkommen, und geht mit ihr in den Berg. Als
sie da nun eintritt, sieht sie sich in einem großen Raum, in dem
stehen zahllose Pferde, die scharren und rasseln mit den Ketten, daß
es einen gewaltigen Lärm giebt, und in den Krippen ist kein Heu,
sondern es sind große Dornwasen aufgesteckt, von denen fressen sie.
Weiterhin aber sitzt ein steinalter Mann mit langem weißen Bart,
der ist durch den Tisch gewachsen, und an den Wänden herum
liegt der Wein in großen Fässern aufgespeichert; davon füllt das
Fräulein ihr den Krug und führt sie dann wieder hinaus. Draußen
aber hat sie ihr gesagt, sie solle nicht wieder kommen. Als sie aber
heim gekommen ist, da ist's der herrlichste Wein gewesen, den man
78
jemals gekostet, und ob's gleich nur ein Krug gewesen, so hat der
Wein darin doch gar nicht abnehmen wollen.
Kommen einmal Musikanten von einer Hochzeit und ziehen über
den Khffhäuser nach Hause. Ist so ein recht Toller unter ihnen,
der sagt: 'Hört, ihr Gesellen, haben wir so viel gespielt, wollen wir
auch noch dem alten Ka-iser Friedrich eins aufspielen.' Da wollen's
die andern zwar erst nicht thun, da sie müde sind; aber er redet
ihnen doch so lustig zu, daß sie zuletzt allsammt anstimmen. Als
sie fertig sind, tritt ein Fräulein hervor, bringt ihnen schönen
Dank vom alten Kaiser und verehrt jedem von ihnen zum An-
denken einen Pferdekopf. Den sah noch jeder von ihnen staunend
an, als das Fräulein schon wieder verschwunden war, und nun
schalten sie auf den Tollen, daß er sie so schnöden Lohnes halben
aufgehalten, und warfen ihre Pferdeköpfe weit von sich. Der
Tolle aber war lustig wie immer, behielt den seinen und sagte:
'Jst's nichts weiter, so giebt's doch daheim einen Spaß mit meiner
Alten!' Und so zogen sie denn nach Hause, wo der Tolle seiner
Frau den Pferdekops heimlich unter§ Kopfkissen legte und, als sie
niedern Morgens aufwachte, zu ihr sagte: 'Gucke mal hin, was
ich dir Schönes mitgebracht; das hat mir der alte Rothbart ver-
ehrt!' Da hob sie das Kopfkissen auf, und nun dachte er, sie
würde recht erschrecken; aber sie zog einen großen Goldklumpen
hervor, so schwer, daß sie ihn kaum heben konnte.
Einem Sauhirten fehlte alle Tage mittags um zwölf Uhr
eine Sau, und nachts um dieselbe Zeit war sie auch nicht,, im
Stall. Da geht er ihr einmal nach und findet sie an einer Öff-
nung des Berges; in diese geht er hinein und kommt in einen
Saal, wo der Kaiser am Tische fitzt und alles von Gold und
Edelsteinen glänzt. Sogleich tritt auch des Kaisers Ausgeberin
hervor, die winkt ihm, daß er sich von den Schätzen nehmen solle,
und da tritt er an den Tisch heran und steckt sich alle Taschen
voll. Als er aber wieder hinausgehen will, ruft sie ihin nach:
'Vergiß das Beste nicht!' unb damit meinte sie eine Blume, die
auf dem Tische lag; aber er achtete nicht darauf und gieng hinaus,
und wie er eben hinaustrat, schlug der Berg hinter ihm zu und
klemmte ihm die Ferse ab, so daß er jämmerlich hat dran sterben
müssen.
Ein Bauer wollte einmal mit Getreide nach Nordhausen fahren,
da trat, als er beim Khffhäuser vorbeifuhr, ein greises Männchen
an ihn heran, das fragte ihn, wo er denn hin wolle; als er nun
sagte, daß er zu Markte fahren wolle, da fragte es ihn, ob er
nicht mit ihm kommen wolle, er solle auch guten Lohn haben.
Das ließ sich der Bauer gefallen; das Männchen gieng voran,
und der Bauer folgte ihm mit seinem Wagen. Darauf kamen sie
an ein großes Thor, durch das fuhr er, und darauf gieng's immer
weiter und weiter in den Berg hinein, bis sie endlich an ein großes
79
Schloß kamen, wo das greise Männchen dem Bauer den Wagen
und die Pferde abnehmen ließ und ihn in einen großen Saal
führte, der herrlich erleuchtet und voll von Leuten war, so daß es
dem Bauer da ganz wohl gefiel. Endlich aber sagte das greise
Männchen, es wäre nun Zeit, daß er heimgienge, beschenkte ihn
reichlich und führte ibn wieder hinaus, wo er auch seinen Wagen
und seine Pferde wieder erhielt. Aber als er nun zu Hause an-
kam, da machte seine Frau große Augen, weil sie ihn längst für
todt gehalten; denn er war gerade ein Jahr lang fortgewesen.
c.
Bon Büsching.
Volkssagm, Märchen und Legenden. Leipzig 1812- S- 324— 333.
Vor vielen, vielen Jahren gieng einst ein ganzer Schwarm
Knaben ans Kelbra auf den Kysshänser, mn da Nüsse zu pflücken.
Sie gehen in die alte Burg, kommen an eine Windeltreppe, steigen
hinaus und finden ein kleines Gemach mit schönen achteckigen,
rothen und blauen Fenstern. In der einen Ecke liegt eine Spindel
mit Flachs, in der andern ein Haufe Flachsknoten. Bon diesen
Knoten nimmt jeder der Knaben einen Hutkopf voll, und so laufen
sie lustig hinunter und streuen ans dem Wege die Flachsknoten
ans. Als die Knaben nach Kelbra kommen, ist es schon Abend-
brotszeit. Der ärmste unter ben Knaben findet seine Eltern gerade
beim Tischgebet. Er nimmt seinen Hut ab, und klingend fällt
etwas Glänzendes auf die Erde und bald noch ein Stück und noch
ein Stück und noch sieben andere. Die Mutter läuft hinzu, und
stehe! es waren goldene Flachsknoten. Die Nachbarinnen liefen
herzu, die wunderbaren Flachsknoten 511 sehen. Den folgenden Tag
gieng ganz Kelbra ans den Kysshänser, alle suchten, aber keiner
fand die rothen und blauen Fensterscheiben, keiner die aufgehäuften
goldnen Flachsknoten.
In Tilleda wohnte ein armer, aber frommer Tagelöhner.
Seine Tochter war Braut von einem ebenso dürftigen und red-
lichen Handwerker. Morgen sollte die Hochzeit sein. Die Gäste
waren eingeladen; aber kein Mensch hatte daran gedacht, daß im
ganzen Hause nur ein Topf, eine Schüssel und zwei Teller waren.
Was machen wir?' sprachen alle, und keiner wußte Rath. Endlich
sagte der Vater: Mi, geht auf den Kysshänser; vielleicht leihet euch
die Prinzessin alles? Das Brautpaar geht hin. Vor der Öff-
nung des Berges steht die Prinzessin. Sie nahen sich ihr mit
Knipen und Bücklingen und bringen ihr Anliegen schüchtern vor.
Die Prinzessin lächelt und befiehlt zu folgen. Sie giebt ihnen nun
erst zu essen, und dann packt sie ihnen eigenhändig einen großen
Tischkorb voll Teller, Schüsseln, Lössel u. s. w. Hans unb Grete
bedanken sich, versprechen, morgen alles unversehrt zurückznliefern
80
und auch etwas Reisbrei und Hochzeitkucheu mitzubringen. Wie
eilten sie, nach Tilleda zu kommen, so schwer auch der zugedeckte
Tischkorb war! Aber wie wurde ihnen, als sie ein ganz neues
TiÜeda vor sich sahen! An der Stelle, wo ihres Vaters Hütte
siehen mußte, fanden sie einen großen Ackerhof. Kein Nachbarhaus
war ihnen mehr kenntlich z kein Baum, kein Garten war mehr da,
wo sie sonst dergleichen gesehen hatten. Lauter fremde Menschen,
die sich um das Brautpaar versammelten und es mit eben der
Verwunderung und Nengierde ansahen, als dieses die Gaffenden
betrachtete. Sie setzten ihren Korb an die Erde unb überlegten
ihr Schicksal. Da kam der Prediger. Grete gieng ans ihn zu,
klagte, daß sie beide wie verrathen unb verkauft unter den Leuten
wären, erzählte ihm, daß sie gestern auf den Kyffhäuser ge-
gangen seien, und machte ihn mit dem ganzen Abenteuer bekannt.
Der Prediger nahm darauf das Brautpaar mit in sein Haus,
schlug das Kirchenbuch nach lind fand, daß sie gerade zweihundert
Jahre in dem Kyffhäuser gewesen waren.
Ein Bergmann, der stell und fromm für sich lebte, gieng einst
am dritten Ostertage auf den Kyffhäuser. Da fand er an der
hohen Warte einen Mönch sitzen mit einem langen weißen Bart,
der ihm bis auf die Knie reichte. Als dieser den Bergmann sahe,
machte er ein großes Buch zu, worin er las, unb sagte freundlich
zu ihm: <Komm mit mir zum Kaiser Friedrich, der wartet schon
seit einer Stunde aeef uns. Der Zwerg hat mir schon die Spring-
wurzel gebracht.' Dem Bergmann eiste es über den ganzen Körper;
doch der Mönch sprach ihm so tröstlich zu, daß er ganz freudig
mitgieng und ihm versprach, keinen Laut hören zu lassen, es möchte
auch kommen, was käme. See giengen nun auf einen freien Platz,
der ringsum mit einer Maeeer umschlossen war. Da machte der
Mönch einen großen Kreis mit seinem Kreemieestabe unb schrieb
wunderbare Zeichen in ben Sand. Dann las er lange und laut
Gebete aus dem großcie Buche, die der Bergmann aber nicht ver-
staeed. Endlich schlug er mit seinem Stabe dreimal aeef die Erde
unb rief: <Thue dich aeef!' Da entsteht unter ihren Füßen ein
deempfes Getöse, wie bei einem fernen Gewitter; es zittert unter
ihnen die Erde, unb nun sinkt der Bergmaien sammt dem Mönch,
der seine Hand umfaßt hat, mit dem Boden, so weit der Kreis
umzeicheect war, ganz sanft in die Tiefe hieeab. Sie treten hin-
unter, und der Boden steigt wieder langsam hinaeef. Nun waren
sie in eieeem großen Gewölbe. Der Möeech geht mit festem Schritt
voran, der Bergmann mit zitternden Knien hinterher. So gehen
sie einige Gänge hindurch, bis es anfängt ganz dunkel um sie her
zu werden. Bald aber finden sie eine ewige Lampe unb sehen,
daß sie sich in einem geräeemigen Kreuzgang befinden. Der Mönch
steckt hier zwei Fackeln an für sich und seinen Begleiter. Sie
gehen fort, und mit einemmale stehen sie vor einem großen eisernen
81
Kirchenthor. Der Mönch betet, hält die Springwurzel, vor der
alle bezauberten Riegel aufspringen, an das Schloß und ruft:
‘.öffne dich, Thur!' Und mit Donnerkrachen springen alle die eisernen
Riegel und Schlösser von selbst ans, und sie sehen vor sich eine
runde Kapelle. Der Boden war spiegelglatt, wie Eis, und wer
nicht keusch und züchtig gelebt hatte, so sagte nachmals der Mönch
dein Bergmann, brach hier beide Beine und kam nie zurück. Die
Decke und die Seitenwände des runden Gewölbes flimmerten und
flammerten beim Schein der Fackeln. Große Zacken von Krystall
und von Diamanten hiengen da berab, und zwischen ihnen noch
größere Zacken von gediegenem Golde. In der einen Ecke staub
ein goldner Altar, in der andern ein goldnes Taufbecken auf
silbernem Fuß. Ter Mönch winkte nun seinem Begleiter, gerade
in der Mitte stehen 511 bleiben, und gab ihm in jede Hand eine
Fackel. Er selbst gieug zu einer ganz silbernen Thür, klopfte drei-
mal mit dem Krummstabe au, und die Thür sprang mif. Der
Thür gerade gegenüber saß auf einem golduen Thron der Kaiser
Friedrich, nicht etwa aus Stein gehauen, nein! wie er leibte und
lebte, mit einer goldnen Krone auf dem Kopfe, mit dem er be-
ständig nickte, indem er die großen Augenbrauen zusammenzog.
Sem langer rother Bart war durch den steinernen Tisch, der vor
ihm stand, dnrchgeioachsen und reichte ihm bis auf die Füße herab.
Dem Bergmann vergieng Hören und Seben über den Anblick.
Endlich kam der Mönch zurück und zog seinen Begleiter schwei-
gend fort. Die silberne Pforte schloß sich selbst wieder zu; das
eiserne Thor schlug mit schrecklichem Geprassel hinter ihnen zu-
sammen. Als sie den Kreuzgang hindurch wieder in die vordere
Höhle kamen, senkte sich langsam der kreisrunde Boden herab.
Beide traten darauf und wurden sanft in die Höhe gehoben. Oben
gab der Mönch dem Bergmann zwei kleine Stangen von einem
unbekannten Erz, welche er aus der Kapelle mitgebracht hatte, und
welche seine Urenkel noch jetzt zum Andenken aufbewahren.
89.
Uon des Kaisers Bari.
Gcdlchlk 5. Aufl. Berlin 1Ö46- S.
Äm Schank znr goldnen Traube
Da saßen im Monat Mai
In blühender Rosenlaube
Guter Gesellen drei.
Ein frischer Bursch war jeder,
Der eine am Gurt das Horn,
Colshvru u. Äüdeke's Leseiiuch I.
303. - 39. Aufl. 1855. S. 245.
Der zweit' am Hut die Feder,
Der dritte mit Koller und Sporn.
Es trug in funkelnden Kannen
Der Wirt den Wein auf den Tisch,
Lustige Reden sie spannen
Und sangen und tranken frisch.
6
82
Da war auch einer drunter,
Der grüne Jägersmann,
Vom Kaiser Rothbart munter
Zu sprechen hub er an:
'Ich habe den Herrn gesehen
Am Rebengcstade des Rheins,
Zur Messe wollt' er gehen
Wohl in den Dom nach Mainz.
'Das war ein Bild, der Alte,
Fürwahr von Kaiserart!
Bis auf die Brust ihm wallte
Der lange braune Bart.'
Ins Wort fiel ihm der zweite,
Der mit dem Federhut:
Mi, Freund, bist du gescheite?
Dein Märiein ist nicht gut.
'Auch ich hab' ihn gesehen
Auf seiner Burg im Harz,
Am Söller that er stehen,
Sein Bart, sein Bart war schwarz!'
Da fuhr vom Sitz der dritte,
Der Mann mit Koller und Sporn,
Und in der Zänker Mitte
Rief er in hellem Zorn:
'So geht mir doch zur Höllen,
Ihr Lügner! Glück zur Reis'!
Ich' sah den Kaiser zu Kölle»,
Sein Bart war weiß, war weiß!'
Das gab ein grimmes Zanken
Um Weiß und Schwarz und Braun;
Es sprangen die Klingen, die blanken,
Und wurde scharf gehaun.
Verschüttet aus den Kannen
Floß der viel edle Wein,
Blutige Tropfen rannen
Aus leichten Wunden drein.
Und als es kam zum Wandern,
Gieng jeder in zornigem Muth,
Sah keiner nach dem andern,
Und waren sich jüngst so gut. —
Ihr Brüder, lernt das eine
Aus dieser schlimmen Fahrt:
'Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine,
Nicht um des Kaisers Bart.'
90.
Schwäbische Kunde.
Don Uhland.
Gedichte. Stuttgart u. Tübingen 1853. S. 326.
1815- S. 237. - 1820. ©. 335. - 1826. - 1829. - 1831. - 1833. - 1834 rc.
Ä-ls Kaiser Rothbart lobesam
Zum heil'gen Land gezogen kam,
Da mußt' er mit dem frommen Heer
Durch ein Gebirge wüst und leer.
Daselbst erhub sich große Noth,
Viel Steine gab's und wenig Brot,
Und mancher deutsche Reitersmann
Hat dort den Trunk sich abgethan.
Den Pferden war's so schwach im
Magen,
Fast mußt' der Reiter die Mähre tragen.
Nun war ein Herr aus Schwabenland,
Von hohem Wuchs und starker Hand,
Des Rößlein war so krankund schivach,
Er zog es nur am Zaume nach,
Er hätt' es nimmer aufgegeben,
Und kostet's ihm das eigne Leben.
So blieb er bald ein gutes Stück
Hinter dem Heereszug zurück;
Da sprengten plötzlich in die Quer
Fünfzig türkische Reiter daher,
Die huben an, auf ihn zu schießen,
Nach ihm zuwerfen mit den Spießen.
Der wackre Schwabe forcht' sich nit,
Gieng seines Weges Schritt für Schritt,
Ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken
Und that nur spöttlich um sich blicken,
Bis einer, dem die Zeit zu lang,
83
Auf ihn den krummen Säbel schwang.
Da walltdem Deutschen auch fern Blut,
Er trifft des Türken Pferd so gut,
Er haut ihm ab mit einem Sireich
Die beiden Vorderfüß' zugleich.
Als er das Thier zu Fall gebracht,
Da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
Er schwingt es auf des Reiters Kopf,
Haut durch bis auf den Sattelknopf,
Haut auch den Sattel noch zu Stücken
Und tief noch in des Pferdes Rücken;
Zur Rechten sieht man wie zur Linken
Einen halben Türken heruntersinken.
Da packt die andern kalter Graus,
Sie fliehen in alle Welt hinaus,
Und jedem ist's, als würd' ihm mitten
Durch Kopfu. Leib hindurchgeschnitten.
Drauf kam des Wegs 'ne Christenschar,
Die auch zurückgeblieben war,
Die sahen nun mit gutem Bedacht,
Was Arbeit unser Held gemacht.
Von denenhat's der Kaiservernommen,
Der ließ denSchwaben vor sich kommen,
Er sprach: 'Sag an, mein Ritter werth!
Wer hat dich solche Streich' gelehrt?'
Der Held bedacht' sich nicht zu lang:
'Die Streiche sind bei uns im Schwang,
Sie sind bekannt im ganzen Reiche,
Man nennt sie halt nur Schwaben-
streiche!'
91.
Deutsche Herzhaftigkeit.
Von Dittmar.
Lkbensspiegel. Berlin 1821. II, 59.
Als Kaiser Friedrich I. im Jahr 1158 Mailand belagerte,
ritt eines Tages ein stolzer Mailänder auf das deutsche Lager zu
und sprach den Deutschen Hohn, als seien sie in ritterlichen Übungen
ganz unerfahren. Er forderte den Tapfersten von ihnen zum
Kampfe aus, tummelte sein Roß vor ihren Augen sehr ring-
fertig herum und zeigte ihnen seine Gewandtheit. Die Deutschen
sahen nach ihrer gewöhnlichen Kaltblütigkeit ihm lange zu, ohne
daß sich einer vom Fleck geregt hätte. Einige hielten es gar nicht
der Mühe werth, ihre Waffen gegen diesen Prahler zu ergreifen,
und andere hielt der Gedanke zurück, daß es, ihn zu überwinden,
eben keine allzu große Ehre, aber überwunden zu werden, eine
Schande sein würde; und so blieben sie alle ruhig. Allein diese
Ruhe machte den Mailänder nur noch verwegener; er legte sie
für Furcht und Feigheit aus und höhnte und spottete nur immer
ärger.
Endlich aber konnte der junge Graf Albrecht von Tyrol die
Unverschämtheit des Italieners nicht länger aushalten. Er setzte
sich, ohne sich zu rüsten, zu Rosse, nahm, unbewappnet, wie er
war, nur Schild und Lanze zu sich, sprengte den Prahler an,
streckte ihn mit dem ersten Stoße zu Boden und ließ ihn, ohne
ihn zu tobten, weil er sich dessen schämte, liegen, ritt zu den
Seiaigen zurück und erwähnte der ganzen Sache mit keinem Worte.
Er war ein gar bescheidener Herr, dieser Graf Albrecht, und
that lieber brav handeln, als von sich sprechen.
/
6
84
92.
^rinrid) der Vogler.
Non
Balladen, Romanzen, Sagen und
ijeri' Heinrich sitzt am Vogelherd
Recht froh und wohlgemuth,
Aus tausend Perlen blinkt und blitzt
Der Morgenröthe Glut.
In Wies u. Feld u. Wald u. Au,
Horch, welch ein süßer Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtelschlag,
Die süße Nachtigal!
HerrHeinrich schaut so fröhlich drein:
'Wie schön ist heut' die Welt!
Was gilt's? heut' giebt's 'neu guten
Fang!'
Er lugt zum Himmelszelt.
Er lauscht u. streicht sich von derStirn
Das blondgelockte Haar;
'Ei doch! was sprengt denn dort herauf
Für eine Reiterschar?'
Der Staub wallt auf, der Hufschlag
dröhnt,
Es naht der Waffen Klang;
Logt.
Legenden. Wien 1846. S- 52.
'Daß Gott! die Herrn verderben mir
Den ganzen Vogelfang!
'Ei nun! was giebt's ?' — Es hält
der Troß
Vorm Herzog plötzlich an;
Herr Heinricb tritt bei vor und spricht:
'Weil sucht ihr da, sagt an!'
Da schwenken sic die Fähnlein bunt
Und jauchzen: 'Unsern Herrn!
Hoch lebe Kaiser Heinrich! hoch
Des Sachsenlandes Stern!'
Dies rufend, knien sie vor ihn hin
Und huldigen ihm still
Und rufen, als er staunend fragt:
"S ist deutschen Reiches Will'!'
Da blickt Herr Heinrich tiefbewegt
Hinauf zum Hinimelszclt:
'Du gabst mir einen guten Fang!
Herr Gott, wie dir's gefällt!'
93.
Heinrich der Vogelsteller schlägt die Ungarn.
Bon Luden.
Geschichte deZ ocatfchkii Volks. Gotha. Bd. VI, 1831. S-390-
Gegen den Frühling des Jahres 933 erhielt Heinrich, zuerst
durch das Gerücht, bald durch Briefe, die Nachricht, daß die Ungarn
im Anzuge waren. Also bald traf er seine Anstalten. Er befahl
den Grafen, ihre Scharen zu verstärken und daö ganze Heer an
einem bestimmten Orte zlt vereinigen. Alsdann begab er sich selbst zu
dem Heere, führte dasselbe vorwärts, schlug an einer schicklichen Stelle
ein Lager aus und erwartete den Feind. Die Ungarn zogen heran z
der König jedoch hielt sich ruhig im Lager und vermied die Schlacht.
Er wollte die Seinigen zuvorderst an den Anblick unb die Weise
der Ungarn gewöhnen. Eben deswegen ließ er auch einige Reiter-
geschwader leichte Gefechte, mit den Ungarn bestehen, um sich „selbst
und um die Seinigen zu überzeugen, daß die Feinde keine Über-
legenheit hätten. Endlich führte er das Heer aus dem Lager heraus
und stellte es in Schlachtordnung. Hieraus schickte er eine Abthei-
lung von Thüringern zu Fuße, nur von wenigen Reitern begleitet,
85
gegen den Feind, um denselben zu reizen und znm Angriff auf das ge-
ordnete Heer in seiner günstigen Stellung zubewegen. Inzwischen er-
mahnte er die Senngen zur Tapferkeit nur mit dem einen Worte, sie
möchten an ihre alte Tugend denken. Mit dieser Ermahnung be-
gann der Kampf. Derselbe wurde hart und furchtbar. Mehr als
einmal schwankte der Sieg. Der linke Flügel 6er Deutschen, vom
Grafen Hoger geführt, erschlug eine so große Menge der Barbaren,
daß dieselben in die wildeste Flucht zu gerathen schienen, und daß
die Sieger mit Ungestüm nachsetzten auf ein ungünstiges Gelände.
Dadurch geriethen die Deutschen selbst in Unordnung, und nun
sammelten sich plötzlich die Ungarn und stellten die Schlacht mit
solcher Wuth wieder her, daß die Dentscken zur Flucht genöthigt
wurden. Heinrich jedoch sandte den Bedrängten die nöthige Hülfe.
Sv hielt sich die Schlacht. Endlich, nach langem Kampf, entschied
sich der Sieg für die Deutschen. Die Ungarn jedoch, die es fühlten,
daß diese Schlacht der Anfang großer Unfälle für sie sein würde,
stritten wie in Verzweifelung. Also geschah, daß ihre Anführer er-
schlagen wurden, daß ihre Feldzeichen verloren giengen, daß die
meisten den Tod fanden, daß nur wenige ohne Wunden blieben.
Der Sieg war vollkommen; denn auch das Lager der Ungarn mit
allem Geräth und Gezeug, mit allem Raub und aller Beute siel
in die Hand der Deutschen. Das Heer wurde von solcher Be-
geisterung ergriffen, daß es den König Heinrich als-Kaiser begrüßte.
Und so wie sich die Botschaft von dem Siege verbreitete, gieng ein
großer Jubel der Dankbarkeit lind Verehrung durch alle deutschen
Gaue. Er selber aber, der siegreiche König, gab Gott die Ehre,
der ihm auch dieses Glück gewährt hatte, und blickte mit dankbarer
Bescheidenheit auf die Ersüllllng seines theuersten Wunsches.
94.
Heinrich der Uogler.
Von Klopstock.
Oden- Hamburg 1771 S. 111. — Leipzig 1798.
Der Feind ist da, die Schlacht be-
ginnt;
Wohlauf zum Sieg herbei!
Es führet uns der beste Mann
Im ganzen Vaterland!
Heuv fühlet er die Krankheit nicht;
Dort tragen sie ihn her.
Heil,Heinrich, Heil dir, Held undMann
Im eisernen Gefild!
Sein Antlitz glüht vor Ehrbegier
Und herrscht den Sieg herbei;
S-hon ist um ihn der Edlen Helm
Mit Feindesblut bespritzt.
I, 75. - Werke. Leipzig 1823-1830. I, 62.
Streu furchtbar Strahlen um dich
her,
Schwert in des Kaisers Hand,
Daß alles tvdtliche Geschoß
Den Weg vorübergeh'!
Willkommen, Tod fürs Vaterland!
Wenn unser sinkend Haupt
Schön Blut bedeckt, dann sterben wir
Mit Ruhm fürs Vaterland.
Wenn vor uns wird ein offnes Feld,
Und wir nur Todte sehn
Weit um uns her, dann siegen wir
Mit Ruhm fürs Vaterland.
86
Dann treten wir mit hohem Schritt
Auf Leichnamen daher;
Dann jauchzen wir im Siegsgeschrei,
Das geht durch Mark und Bein!
Uns preist mit frohem Ungestüm
Der Bräut'gam und die Braut;
Er steht die hohen Fahnen wehn
Und drückt ihr sanft die Hand —
Und spricht zu ihr: «Da kommen sie,
Die Kriegesgötter, her;
Sie stritten in der heißen Schlacht
Auch für uns beide mit!'
Uns preist, der Freudenthränen voll,
Die Mutter und ihr Kind;
Sie drückt den Knaben an ihr Herz
Und steht dem Kaiser nach.
Uns folgt ein Ruhm, der ewig bleibt,
Wenn wir gestorben find,
Gestorben für das Vaterland
Den ehrenvollen Tod!
95.
Seltene Treue.
Von Kohlrausch.
Deutsche Geschichte 3. Aufl. Elberfeld 1819. I, 299.
Ludwig von Baiern und Friedrich von Östreich stritten um
die deutsche Königskrone. Viele Gegenden wurden mit Feuer und
Schwert verwüstet, bis im Jahre 1322 bei Mühldorf in Baiern
ein entscheidendes Treffen erfolgte. Friedrich ließ sich unvorsichtig
in dasselbe ein, ohne seinen Bruder Leopold zu erwarten, der ihm
mit Hülfe zuzog; die Schlacht dauerte von Sonnenallfgang zehn
Stunden lang. Friedrich selbst focht ritterlich in vergoldeter Rüstung
vor seiner Leibwache und trug den blinkenden Reichsadler auf seinem
Helme, lim Mittagszeit aber machte Ludwig's erfahrener Feld-
hauptmann, Seifried Schweppermaun ans Nürnberg, eine Schwen-
kung, wodurch die Östrcicher Sonne, Staub und Wind ins
Gesicht bekamen; lind zu gleicher Zeit fiel ihnen der Burggraf von
Nürnberg mit fünfhundert Reitern in den Rücken. Dieser Haufe
führte, die Feinde zu täuschen, östreichische Fähnlein und Kriegs-
zeichen, so daß Friedrich und die Seinen glailbten, Herzog Leopold
komme im entscheidenden Augenblicke zu Hülfe. Als sie aber ihres
Irrthums inne wurden, da kam Flucht und Unordnung unter sie;
Friedrich selbst und sein Bruder Heinrich wurden gefangen. Er
wurde nach dem festen Schlosse Traußnitz in der Oberpfal; gebracht.
Ludwig war nun alleiniger Herr in Deutschland; allein Fried-
richs Bruder Leopold und andere Fürsten wollten ihn nicht an-
erkennen, sondern setzten den Krieg gegen ihn fort; dazu kam, daß
der Papst Johann XXII. ihn in den Bann that, weil er dem Herzog
von Mailand gegen ihn beigestanden hatte. Daher beschloß Ludwig,
sich mit dem Hause Östreich auszusöhnen; er gieng zu dem ge-
fangenen Friedrich nach dem Schlosse Traußnitz und schloß einen
Vertrag mit ihm, in welchem Friedrich allen Ansprüchen auf die
Königswürde entsagte und noch andere harte Bedingungen ein-
gieng; dann entließ Ludwig ihn der Gefangenschaft. Friedrich
wandte nun seinerseits alle Mittel an, den Vertrag in Erfüllung
87
zu bringen, that durch öffentliche Schreiben im Reich seine Ab-
dankung kund nnd ermahnte jedermann zur Unterirerfnng gegen
Ludwig. Aber weder der Papst noch Leopold glaubten sich durch
den Vergleich gebnnden, sondern führten die Feindschaft gegen
Ludwig auf alle Weise fort. Da faßte Friedrich einen Entschluß,
der seinen Namen in die ehrenvolle Reihe derer stellt, benen die
Treue und das Manneswort über alles gegolten: statt sich vom
Papste seines Eides entbinden zu lassen, wie es ihm angeboten
wurde, gieng er selbst liach Müilchen uni) stellte sich freiwillig in
die Gefangenschaft zurück.
Dieser Edelrnuth und diese Treue rührten seinen bisherigen,
gleich edlen Gegner so sehr, daß er ihn mit offenen Armen auf-
nahm, ihn als stillen besten Freund hielt, mit ihm an eiilem
Tische aß nnd in einem Bette schlief. Und dann theilten sie die
Oberherrschaft in Deutschland so mit einailder, daß sie sich un-
verbrüchliche Treue schwurell, einer den andern Bruder llannte,
beide den Namen eines deutschen Königs führten, beide gleichen Theil
an der Negierling des Reichs hatten unb in der Vorsehung des einen
oder des aildern Namens bei Urkllnden von Tage zu Tage wechselten.
Der Papst Johann, der die deutsche Weise ilicht kannte, und
dem solche Trelle unerhört vorkam, schrieb an ben König Karl von
Frankreich, dem dieselbe nicht weniger neu sein mochte, diese nn-
glalibliche Frelindschast und Vertraulichkeit sei ihm aus Deutsch-
land selbst durch ein 'sicheres Schreibeil gemeldet wordeil.
Und die beiden Könige hielteil die Trelie auch bis an Friedrichs
Tod 1330.
96.
Ieifritd Ichmeppcrinnnn.
Von Oclckers.
Gedichte 2. Aufl. Leipzig 1848. S. 93.
Es ritt ein wackrer Streiter
Zu Nürnberg aus dem Thor;
Doch ragte just der Reiter
Zu Roß nicht hoch empor.
Drob lachten sein die Recken:
Wom Mann ist keine Spur,
Wo mag der Ritter stecken?
Man sieht den Helmbusch nur!'
Wie saß er stolz zu Pferde,
That nicht die Feinde schcun!
Ihr Herrn, ich fürcht', es werde
Euch euer Spott gereun.
Seht seines Schwertes Schimmer
Hell leuchten durch die Schlacht!
Am besten lacht doch immer,
Wer just am letzten lacht!
Ritt still und keck von dann.
Sollt seinen Namen hören,
Der ließ sich das nicht stören,
Dem Baier Ludwig ließen
Sie dort das blut'ge Feld.
Er hieß Herr Schweppermann!
Gen Mühldorf mußt' er reiten,
Wie ward von ihm gepriesen
Da war 'ne heiße Schlacht,
Herr Schweppermann, der Held!
'Sagt, wer wobt würd'ger streitet,'
iv Ml. UV V/Vipv ^ Vt/iuuyiy
Da that er bester streiten
Denn alle, die gelacht.
Sprach er, 'in diesem Krieg?
Er hat allein bereitet
Uns den ruhmvollsten Sieg!'
88
Doch noch dem heißen Trabe
Gob's auf der ganzen Flur
Schier weiter nichts zur Labe
Als wenig Eier nur.
Herr Ludwig sprach: 'Bekommen
Soll männiglich ein Ei;
Doch meinem Held, dem Frommen,
Gehören billig zwei!'
That Schweppermann sich heben
Im Sattel hocherfreut;
Der kleinste Ritter eben,
Der ward der größte heut'!
Gen Nürnberg ritt er heiter;
Da ging ein froh Geschrei:
'Ein Ei gebt jedem Reiter,
Dem fronrmen Schweppermann zwei!'
97.
EUengröße.
Von Fröhlich.
Fabeln 2- Aufl. Aarau 1829. S. 42. — Vcrgl. Ges. Schriften. Fraucnfeld 1833- I, 23»
Die Pappel spricht zum Bäumchen: Nicht eine leere Stange.'
'Was machst du dich so breit Was!' ruft die Pappel stolz,
Mit den geringen Pfläumchen?' 'Ich bin zwar eine Stange,
Es sagt: 'Ich bin erfreut, Doch eine lange, lange!'
Daß ich nicht bloß ein Holz,
98.
Der Zaunkönig.
Von Lenz.
Naturgeschichte 3. Auf. Golha 1851- II, 119.
Der Zaunkönig, Schneekönig oder Banmschlüpfer ist oben rost-
braun, vom Rücken bis zum Schwanzende mit schwärzlichen Qner-
bindenz unten ist er weißlich rostgran, mit dunkelbraunen Wellen
und einigen weißen Punkten unter dem Schwänze. Die Länge
beträgt etwas über oder unter vier Zoll. Dieser allgemein be-
kannte Zwerg lebt in Europa häufig ganz nahe an menschlichen
Wohnungen, zumal wenn Wasser dabei ist, in Zäunen, Holzstößen,
unter Ufern u. s. w., kriecht auch durch immer offne Löcher ins
Innere der Häuser, besonders im Winter. Er lebt aber auch im
tiefen Walde, wo sich feuchte Schluchten finden, vorzüglich im
Fichtenwalde. So klein er ist, bleibt er doch, geschützt dilrch sein
dichtes, weiches, langes Gefieder, im Winter da und weiß sich, in-
dem er alle Löcher dnrchkeiecht, recht glit zu ernähren. Meist tracht
er sein Wesen tief in der Nähe des Bodensz aber wenn er singt,
dann setzt er sich zuweilen ans eine Banmspitze oder einen Dach-
giebel. Sein Lockton klingt 'zerrr, zerrr!' der Gesang ist bedeutend
baut, hat einige Ähnlichkeit mit dem des Kanarienvogels und er-
schallt bei schönem Wetier selbst mitten im Winter. Wenn er recht
eifrig singt, breitet er auch zuweilen den Schwanz fächerförmig aus,
ja im Käfich legt er sich dann auch wohl platt auf die Erde und
reitet zugleich auch die Flügel ans. Beim Hüpfen trägt er ge-
89
wöhnlich den Schwanz ganz hoch, wie ein stolzer Hahn. Seine
Nahrung besteht aus kleinen Kerbthieren, deren Eiern und Larven,
im Herbste auch zum Theil aus schwarzen und rothen Holunder-
beeren nebst einigen kleinen Sämereien. Er nistet jährlich zwei-
mal, legt sein Nest meist in Löchern an, baut es dicht aus Moos
mit mauselochähnlichem Eingang und legt sechs bis elf weiße, roth
punktierte Eier. Für die Gefangenschaft taugt er nicht.
99.
F i n b o ij r.
Von Gruppe.
Gedichte. Berlin 1835.
Finboge war ein Knabe, der galt für dnmm zu Haus;
Er schlief vom Morgen bis Abend und schlief doch niemals aus;
Zwischen dem Aschenhaufen und dem Feuerherd
Lag er gestreckt am Boden und schnarchte wie ein Pferd.
Es stolperten, die da giengen, über seine Füße fort,
Und wenn sie ihn auch traten, er rührte sich nicht vom Ort;
Doch aß er desto bester, so wie er nur erwacht,
Drum hat es auch Finboge zu großer Kraft gebracht.
Nun sollt' er Kämpfer werden: man gab ibm ein altes Schwert,
Er ward mit rostigem Helme uiid schwerem Schild bewehrt.
Auch ward er erst gebadet, bevor er gieng von Haus:
Was schallt' er da klar und munter aus seinen Augen heraus!
Sein erstes Abenteuer das war ein großer Bär,
Der lag und wälzte faul sich über dem Wege quer.
Finboge sprach: 'Steh auf, Bär, versuche dich mit mir,
Denn das ist besser als liegen im Wagengleise hier.'
Der Bär hob sich ein wenig und sah Finbogen an
Und legte sich wieder nieder. Finboge sprach: 'Wohlan,
Bin ich dir zu stark bewaffnet, so leg ich ab den Helm
Und setze den Schild hier nieder: mm komm, steh auf, du Schelm!'
Da setzte der Bär sich aufrecht, doch schüttelt' er den Kopf
Und legte sich wieder nieder. Finboge sprach: 'Du Tropf,
Willst du, wir sollen gleich sein, leg ich auch ab mein Schwert;
Doch nun steh auf, mich dünket dein Fell des Kämpfens werth/
Der Bär stand auf; sie standen zlim Kampf, Mann gegen Mann:
Es sträubten sich die Borsten des Bären grimmig an;
Finboge faßt' ihn schleunig und drückt' ihn also stark,
Daß er in den Rückenwirbeln ihm brach das Rückenmark.
90
100.
Der gemeine ftiiifcbär.
Von Reichcnbach.
Volks,laturgeschichte. Slrat Ausl. Leipzig 1854. I, 59.
Her Bär hat eine gewölbte Stirn und eine braune Farbe,
kommt jedoch auch braun mit Silberglanze, gelblich, graulich iinb
schwarz vor. Sein Pelz ist in der Jugend wollig. Die Ohren
sind kurz und rund, die Augen klein, der Hals ist kurz und dick,
die Beine sind mittelmäßig lang und plump, die Zehen mit starken,
scharfen Krallen versehen. Die Länge beträgt sechstehalb Fuß. —
Er lebt in den Gebirgen und Wäldern Nordamerikas, einzeln auch
noch in der Schweiz, Tyrol, den Karpathen und Pyrenäen, so
wie in einem großen Theile Asiens. Des Nachts geht er auf
Nahrung aus, die im Frühjahr vorzüglich in jungem Grase, Ge-
treide und Klee besteht, später mehr in Thieren und im Herbste
wieder mehr in Pflauzenstosfen, z. B. Obst. Auch Honig liebt
er sehr. Im Herbste wird er sehr fett, und zu Anfange des Win-
ters zieht er sich in eine Hohle zurück, die er zuvor mit Moos,
Heu u. s. w. ausgepolstert hat, und in der er bald schlafend,
bald wachend zubringt, je nachdem kalte oder gelinde Temperatur
ist. Selten geht er jedoch dann bei gelinder Witterung auf Nah-
rung aus, bei weitem öfter aber, um zu trinken. Daß die Bären
das Fett aus den Tatzen saugen, ist ebenso wenig wahr, wie daß
die Dachse es aus ihrer Tasche saugen. Die Bären, namentlich
die jungen, klettern auch nach Obst und Honig auf Bäume.
— Im Januar bekommt die Bärin zwei Junge, welche anfangs
blind und sehr plump sind und von der Mutter muthig gegen
die raubgierigen Angriffe des Männchens und gegen andere Feinde
vertheidigt werden. Im Februar häuten sich die nackten Fußsohlen,
und dann wagt sich der Bär nicht weit von seiner Hohle hinweg.
— Das Fleisch, vorzüglich das der Jungen, wird gegessen. Das
Fett ist gesund und dient als Speise, Öl und Arznei. Die Bären-
haut giebt ein vorzügliches Pelzwerk. Durch seine Raubgier wird
er aber sehr gefährlich. — *Deu alten Deutschen galt der Bär für
den König der Thiere, und in der deutschen Thiersage nimmt er
ursprünglich die Stelle des Löwen ein. Der Bär wurde nebst
Wolf und Fuchs mit Scheu betrachtetz er war dem Donar, dem
gewaltigen Donnergott, geweiht, und der Bär spielt auch am
Himmel eine große Nolle. Noch hielt man dafür, daß Bärenblut
stark mache.* — Von den vielen Anekdoten, die noch heute vom
Bären im Volke von Mund zu Mund gehen, können hier nur
wenige Platz finden.
Der Bär liebt, wie wir schon bemerkten, den Honig sehr und
sucht in hohlen Bäumen den Vorrath auf, den die Bienen ge-
sammelt haben. Da er ein guter Kletterer ist, so steigt er auf Hobe
91
Bäume, wenn er ein Bienennest oben in den Löchern wittert.
Herab steigt er immer rücklings, mit den hinteren Tatzen voran; oft
macht er sich's bequemer: er deckt mit den Vordertatzen den Kopf
und stürzt sich wie das Faulthier herab. — Ein Bauer hatte in einer
sehr alten und hohlen Eiche einen Bienenschwarm aufgefunden,
unb da er demselben von unten nicht beikommei^ konnte, stieg er
hoch aus den Baum hinauf. Als er au der Öffnung war, wich
der Moder unter seinen Füßen, und er glischte in den hohlen
Stamm bis an die Erde hinab. Da war er nun wie in der Mause-
falle gefangen: die Höhlung im Stamme war so glatt und moderig,
daß er stch nirgends anhalten, noch festen Fuß fassen konnte, um
in die Höbe und aus dem Stamm heraus zu gelangen, so sehr er
sich auch bemühte. Nachdem er schon mehrere Stunden wie ein-
geklammert in dem Loche gesteckt hatte, bekam er — von einem
Baren Besuch. Dieser hatte deu Honig im hohlen Baume aus-
gewittert. Er war aus denselbeu hinaus geklettert und rücklings
in die Höhle bis zu dem Bauer hinab, dem gar schlimm dabei zu
Muthe war. Doch der Bauer ermannte sich uiib wollte diesen
unerwarteten Besuch zu seiner Rettung benutzen. Wie der Bär,
der wohl Honig, aber keinen Menschen in der Höhle gesucht hatte,
mit dem Hintertheile dem Bauer nahe genug war, faßte ihn dieser
mit kräftiger Hand beim Balge. Der Bär erschrak und hielt sich
für gefangen: umdrehen konnte er sich nicht, um zu sehen, was
hinter ihm vorgieng z er war also nur auf seine Rettung bedacht
und eilte aus allen Kräften wieder auswärts aus dem Loche. Der
Bauer ließ den Bären nicht mehr los. Dieser stemmte sich mit
seinen Tatzen nicht wenig an, um mit dem, was hinten an ihm
hieng, vorwärts zu gelangen, und so schleppte er den Bauer aus
dem hohlen Stamme bis oben an den Eingang, wo dieser schnell
den Bären losließ, mit den Händen einen Ast ergriff, sich festhielt
und festen Fuß faßte. Als der Bär seinen Hinterleib von der Last
frei fühlte, steckte er den Kops zwischen die Vordertatzen, stürzte
sich vom Baume, herab und lies eilig davon. Der Bauer stieg
ganz gemach anet) herab und ließ sich die Lust uach Honig auf
lange Zeit vergeben.
Ein Oberjägermeister zu Riga hatte einst einen Bären ge-
fangen, welcher erst drei Monate alt war. Er behielt ihn einige
Tage bei sich im Zimmer, fütterte ihn mit Honig und Brot, und
bald war das Bärchen ganz zahm. Da wollte er sich einen herr-
lichen Spaß machen. Er lud seine Freunde mit ihren Frauen zìi
einer mit zartem Bärenfleisch gefüllten Pastete ein. Man war
lustig und froh bei Tische. Nach mehreren anderen Speisen wurde
die sehr große Bärenpastete ausgetragen. Einer non der Gesellschaft
übernahm es, die Pastete ju zerlegen Wie er den Deckel abhob,
steckte der junge Bär seinen Kops heraus und beäugelte die ganze
Gesellschaft. Dann stellte er sich auf seine Hintertatzen, schnaubte
92
mit der Nase nach allen Seiten, sprang ans der Pastete und lief
über die ganze lange Tafel mit solcher Vorsicht, daß er weder ein
Glas umstieß, noch einen Teller berührte, und er sprang zuletzt dein
Oberjägermeister in den Schoß. Hier erhielt er für seine gute
Aufführung eine Semmelscheibe zur Belohnung. Man kann sich
vorstellen, was für eine Miene die anwesenden Frauen bei dem
Aiiblick dieses zottigen Gastes machten. Mehrere sprangen mit
Eiitsetzeii vorn Tische auf, andere stießen einen gewaltigen Schrei
ans, welches alles den Spaß iroch vergrößerte. Bald wurden alle
mit dem drolligen Bärchen vertraut; selbst die Frauen näherten
sich zutraulich demselben und bewirteten den kleinen Gast mit Back-
werk, Rosinen iind Mandeln, die sich Jsegriminchen sehr gut schmecken
ließ. Damit man diese Geschichte ganz glaubwürdig finde, muß
noch bemerkt werden, daß die Pastete über eine große blecherne
Schachtel gemacht war, in welcher das Bärchen saß, irnd daß man
diesem, damit er sich darin ruhig verhielte, seine Leibspeise, einen
Teller voll Honig, hirrgesetzt hatte, wobei er sich, ohire heraus zu
wollen, recht gütlich that, bis der Teller leer war.
Ein Herzog von Lothringen hatte einen Bären, der war gleich-
falls sehr zahm und wurde in einem Stalle gehalten. Ein armer
elternloser Savoyardenknabe, der durch verschiedene kleine Dienst-
verrichtungen sich seinen Unterhalt mühsam erwarb und keine be-
stimmte Wohnung batte, wußte eines Abends, da er vor Kälte
ganz starr war, kein anderes Nachtlager zu fiirden, als in dem
warmen Stalle des Bären, indem es ihm fast schon gleichgültig
war, durch Kälte oder durch die Krallen des Bären umzukommen.
Doch der ehrliche Bär that ihm nichts zu Leide. Nachdem sich
der Knabe auf das Stroh niedergelegt hatte, beroch ihn der Bär
von allen Seiten, nahm ihn zwischen die Vordertatzen und drückte
ihn sanft an die Brust, wie um ihn zu erwärmen. Der Knabe
schlief die ganze Nacht ruhig, und am folgenden Morgen ließ ihn
der Bär ungehindert wieder fortgehen. Die freundschaftliche Anf-
nahme, die der Knabe bei dem Bären gefunden, hatte ihm so gut
gefallen, daß er alle Abende zum nämlichen Nachtquartier zurück-
kehrte, und der Bär wurde ihm in der Folge so gut, daß er ihm
oft Äpfel, Brot oder sonst etwas von seiner Mahlzeit aufhob.
Eines Abends bekam der Bär sehr spät sein Futter, und der
Wärter erstaunte nicht wenig, als er den Savoyarden, der fast
schon eingeschlafen war, bei ihm fand. Der Wärter rief mehrere
Hofleute "herbei, und alle waren Zeugen der Freundschaft des Bären
gegen den Knaben, indem der Bär nicht zuließ, daß der Knabe in
seiner Ruhe gestört würde.
So gut sich dieser Bär gegen den kleinen Savoyarden be-
tragen hat, so ist doch nicht anzurathen, den zahmen Bären zu
trauen. In Pesth hatte ein Kaffeesieder einen jungen zahmen
Bären im Hose an der Kette. Kinder warfen ihm oft Äpfel,
93
Birnen, Brot und dergleichen vor. Eines Tages hatte der sieben-
jährige Sohn eines Kochs demselben einen Apfel entgegen gebalten,
und ein anderer, sehr unbesonnener Knabe schob jenen ans un-
verzeihlichem Muthwilleu so nahe an den Bären hin, daß ihn dieser
erreichen konnte. Der Bär fuhr grimmig ans ihn los, schlug ihn
mit der Vordertatze 511 Boden, biß ihm einen Arm ab, verletzte
ihm ein Auge und wurde ihn ganz zerfleischt haben, wenn aus
sein Jammergeschrei nicht augenblicklich Leute herbeigekommen wären,
den Bären geschlagen und endlich mit einem Flintenschuß erlegt hätten.
Schon Schubert hat angemerkt, daß man am Bären so
reckt sehen kann, wie der Jähzorn dumm und blind macht, indem
man den Bären oft durch seinen dummen Jähzorn fängt. So
hängt man z. B. einen schweren, oft mit langen Stacheln be-
schlagenen Klotz an einem Seile so an den Ast eines Baumes auf,
daß er dicht vor dem Bienenloche am Stamme des Baumes schwebt.
Wenn nun der Bär auf den Baum zum Bienenloche klettert, so
schlägt er mit der Tatze den Klotz zurück, damit er mit der Schnauze
in das Bienenloch gelangen kann. Der Klotz jedoch schwingt sich
in seine vorige Lage zurück, und der Bär giebt ihm eiikdn noch
heftigeren Säflag, damit er weiche. Je heftiger aber der Bär den
Klotz wegschlägt, desto stärker sind die Stöße, wenn er zurückfällt,
und diese treffen gewöhnlich den Bären auf den Kopf, sobald er
die Schnauze in das Bienenloch hineinsteckt. Der einfältige Bär
geräth dadurch in den heftigsten Zorn und wirst den Klotz mit
größter Gewalt weg, bis der Klotz im Zurückfallen ihn so gewaltig
aus den Kopf schlägt, daß er betäubt vom Baume herabfällt. Aber
unten haben die Jäger schon früher spitzige Pfähle eingerammt,
auf welchen sieb der Bär spießt. — Oder man legt in hügeligen
Gegenden den Bären, wo sie ihre Gänge haben, Schlingen in den
Weg, woran Seile mit einem schweren Klotze befestigt sind. Wenn
nun der Bär gravitätisch fortschreitet, so geräth er mit dem Kopfe
und Halse in die Schlinge, zieht sie zu lind bemerkt mit Verdruß,
daß ihn der schwere Klotz im Fortgehen hindert. Da geht er er-
grimmt auf einen Berg, ergreift in wüthendem Zorn mit den
Vorderfüßen den Klotz und wirst ihn den Berg hinunter, Natürlich
reißt ihn der Klotz mit hinab. Hat der Bär durch diesen Sturz
sich nur wenig beschädigt, so steigt er den Berg wieder hinan und
wiederholt in dummem Jähzorn das Hinabwerscn des Klotzes so
lange, bis er selbst ganz zerschellt liegen bleibt.
10t.
Der Einsiedler und der Lär.
Nach Pilpal von Meißner.
Äsopische Fabeln. Leipzig. S. 271.
Ein Einsiedler hatte sich einen jungen Bären aufgezogen und
durch Futter, Schläge und manche Blühe ihn so zahm wie einen
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Hund gemacht. Ost brachte er nun seinem Erzieher ein ansehnliches
Stück Wildpret heim, trug Holz und Wasser herbei und bewachte
seine Hütte; kurz, er leistete ihm Dienste von aller Art.
Einst an einem Sommertage lag der Einsiedler im Grase
dahingestreckt und schlief. Neben ihm saß sein Bär und wehrte die
Fliegen ab, die scharenweise den Greis umschwärmten. Vorzüglich
quälte ihn eine; wohl zehnmal hatte der Bär sie fortgejagt, und
immer kam sie wieder.
Jetzt, als sie abermals auf die Wange des Schlafenden sich
setzte, rief der Bär unwillig mi3: Warte! warte! ich will dich
das Wegbleiben lehren!' Bei diesen! Worte ergriff er einen großen
Stein, zielte richtig und zerschmetterte die Fliege, aber freilich mit
ihr auch — den Kopf des armen Alten.
Lehre. Wähle der keinen einfältigen und rohen Freund.
102.
Der Zaunkönig- und der bär.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. II, 87.
Zur Sommerzeit gierigen einmal der bar und der wolf im wald
spazieren, da hörte der bär so schönen gesang von einem vogel
und sprach: ‘bruder wolf, was ist das für ein vogel, der so schön
singt?' ‘das ist der könig der vögel,’ sagte der wolf, ‘vor dem
müssen wir uns neigenes war aber der Zaunkönig, ‘wenn das
ist,’ sagte der bär, ‘so möcht’ ich auch gerne seinen königlichen palast
sehen; komm und führe mich hin.’ ‘das geht nicht so, wie du
meinst,’ sprach der wolf, ‘du muszt warten, bis die frau königin
kommt.’ bald darauf kam die frau königin und hatte futter im
schnabel, und der herr könig auch, und wollten ihre jungen ätzen,
der bär wäre gerne nun gleich hinterdrein gegangen, aber der
wolf hielt ihn am ermel und sagte: ‘nein, muszt warten, bis herr
und frau königin wieder fort sind.’ also nahmen sie das loch
in acht, wo das nest stand, und trabten wieder ab. der bär aber
hatte keine ruhe, wollte den königlichen palast sehen und gieng
nach einer kurzen weile wieder vor. da waren könig und königin
richtig ausgeflogen; er guckte hinein und sah fünf oder sechs
junge, die lagen darin, ‘ist das der königliche palast?’ rief der bär,
‘das ist ein erbärmlicher palast! ihr seid auch keine königskinder,
ihr seid unehrliche kinder.’ wie das die jungen Zaunkönige hörten,
wurden sie gewaltig bös und schrien: ‘nein, das sind wir nicht,
unsere eitern sind ehrliche leute ; bär, das soll ausgemacht werden
mit dir.’ dem bär und dem wolf ward angst, sie kehrten um und
setzten sich in ihre löcher. die jungen Zaunkönige aber schrien
und lärmten fort, und als ihre eitern wieder futter brachten, sagten
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sie: ‘wir rühren kein fliegenbeinchen an, und sollten wir verhungern,
bis ihr erst ausgemacht habt, ob wir ehrliche kinder sind oder
nicht: der fyär ist da gewesen und hat uns gescholten.’ da sagte
der alte könig: ‘seid nur ruhig, das soll ausgemacht werden,’ flog
darauf mit der fr au königin dem baren vor seine höhle und rief
hinein: ‘alter brummbär, warum hast du meine kinder gescholten?
das soll dir übel bekommen, das wollen wir in einem blutigen
krieg ausmachen.’ also war dem baren der krieg angekündigt,
und ward alles vierfüszige gethier berufen: ochs, esel, rind, hirsch,
reh, und was die Erde sonst alles trägt der Zaunkönig aber berief
alles, was in der luft fliegt; nicht allein die vögel grosz und klein,
sondern auch die mücken, hornissen, bienen und fliegen muszten
herbei.
Als nun die zeit kam, wo der krieg angehen sollte, da schickte
der Zaunkönig kundschafter aus, wer der commandierende general
des feindes wäre, die mücke war die listigste von allen, schwärmte
im wald, wo der feind sich versammelte, und setzte sich endlich
unter ein blatt auf den bäum, wo die parole ausgegeben wurde,
da stand der bär, rief den fuchs vor sich und sprach: ‘fuchs, du
bist der schlauste unter allem gethier, du sollst general sein und
uns anführen, ‘gut,’ sagte der fuchs, ‘aber was für zeichen wollen
wir verabreden?’ niemand wuszte es. da sprach der fuchs: ‘ich
habe einen schönen langen buschigen schwänz, der sieht aus fast
wie ein rother federbusch; wenn ich den schwänz in die höhe
halte, so geht die sache gut, und ihr müszt darauf losmarschieren;
lasz ich ihn aber herunterhängen, so lauft, was ihr könnt.’ als
die mücke das gehört hatte, flog sie wieder heim und verrieth
dem Zaunkönig alles haarklein.
Als der tag anbrach, wo die schiacht sollte geliefert werden,
hu! da kam das vierfüszige gethier dahergerennt mit gebraus, dasz
die Erde zitterte; Zaunkönig mit seiner armee kam auch durch die
luft daher, die schnurrte, schrie und schwärmte, dasz einem angst
ward, und giengen sie da von beiden seiten an einander, der
Zaunkönig aber schickte die hornisse ab, sie sollte sich dem fuchs
unter den schwänz setzen und aus leibeskräften stechen, wie nun
der fuchs den ersten stich bekam, zuckte er, dasz er das eine bein
aufhob, doch ertrug er’s und hielt den schwänz noch in der höhe;
beim zweiten stich muszt’ er ihn einen augenblick herunterlassen;
beim dritten aber konnte er sich nicht mehr halten, schrie und
nahm den schwänz zwischen die beine. wie das die thiere sahen,
meinten sie, alles wäre verloren, und fiengen an zu laufen, jeder
in seine höhle; und hatten die vögel die schiacht gewonnen.
Da flog der herr könig und die frau königin heim zu ihren
hindern und riefen: ‘kinder, seid fröhlich, eszt und trinkt nach
herzenslust; wir haben den krieg gewonnen.’ die jungen Zaun-
könige aber sagten: ‘noch essen wir nicht; der bär soll erst vors
96
nest kommen und abbitte thun und soll sagen, dasz wir ehrliche
kinder sind.' da flog der Zaunkönig vor das loch des baren und
rief: ‘brummbär, du sollst zu meinen hindern gehen und abbitte
thun und sagen, dasz sie ehrliche kinder sind; sonst sollen dir die
rippen im leib zertreten werden.’ da kroch der bär in der gröszten
angst hin und that abbitte. jetzt waren die jungen Zaunkönige
erst zufrieden, setzten sich zusammen, aszen und tranken und
machten sich lustig bis in die späte nacht hinein.
103.
Zigeunerleben.
Bon Goethe.
Werke. Stuttg. u. Tüb. 1810 I, 124. IX, 123. XXXIV, 114.
Nacht. Wilder Wald.
Zigeunerinnen beim Feuer kochen.
Zige un er mutter.
Jin Nebelgerieftl, im tiefen Schnee,
Im wilden Wald, in der Winternacht,
Ich hörte der Wölfe Hnngergeheul,
Ich Hörle der Eulen Geschrei.
Alle.
Wille wau wau man!
Wille wo wo wo!
Eine.
Wito hu!
Z i g e u n e r m u t t e r.
Mein Mann, der schoß eine Katz' am Zaun,
Der Anne, der Hex', ihre schwarze liebe K-atz'z
Da kamen des Nachts sieben Werwöls zu mir,
Waren sieben Weiber vom Dorf.
Alle.
Wille wau'wau wau!
Wille wo wo wo!
E i n e.
Wito hn!
Zigeuner m ir tte r.
Ich kannte sie all', ich kannte sie wohl,
Tie Anne, die Ursel, die Käth',
Die Lise, die Barbe, die Ev', die Beth z
Sie heulten im Kreise mich an.
A l l e.
Wille wau wau wau!
Wille wo wo >vo!
97
Eine.
Wito hu!
Zigeu nermutter.
Da nannt' ich sie alle bei Namen laut:
Was willst du, Anne? was willst du, Beth?
Da rüttelten sie sich, da schüttelten sie sich
Und liefen und heulten davon.
Alle.
Wille wau wall wan!
Wille wo wo wo!
Ein e.
Wito hu!
Zigeuner mutt er. Flick das Strohdach über der Grube,
Tochter, giebt heut' Nacht noch Regen genug.
(Knab' kommt.)
Mutter. Brauner Sohn, schwarzer Sohn, kommst dtt?
was bringst du?
Knab'. Einen Hamster, Mutter, da! zwei Feldmaus.
Mutter. Will sie dir abziehen unb braten, und sollst ein’
Kapp' haben von den Fellchen.
Knab'. Ich bin naß durch und durch.
Mutter. Wärme dich am Feuer, trockue dich.
Knab'. 'S ist Thauwetter. Zwischen die Felsen klettert' ich,
da kam der Strom; der Schneestrom schoß mir um die Bein';
ich watet' und stieg unb watet'.
Mutter. Die Nacht ist sinster.
Knab'. Ich kam herab ins tiefe Thal, sprang auf das Trockne;
längs dem Bach schlich ich her; das Irrlicht saß im Sumpfgebüsch;
ich schwieg und schaudert' nicht und gieng, vorbei.
Mutter. Du wirst dein Vater, Junge! Ich fand dich hinterm
dürren Zaun, im tiefen November, im Harz. — Du blut'st?
Knab'. Hamster hat mich bissen.
Mutter. Hol mir dürr Holz, daß das Feuer loh brennt,
wenn dein Vater kommt.
(Zigeunerhauptmann, drei Gesellen kommen.)
Hauptmann. Hört ihr den wilden Jäger?
Erster Zigeuner. Er zieht grad' über uns hin.
Hanptmann. Wie die Hunde bellen! Wau! Wau!
Zweiter Zigeuner. Die Peitschen knallen.
Dritter Zigeuner. Die Jäger jauchzen holla ho!
Mlltter. Bringt ja des Teufels sein Gepäck!
Hanptmann. Haben im Trüben gefischt.
Sticks. Ein' wullen Deck' hab' ich, ein Paar Stiefel und
Zunder und Schwefel.
Mutter. Ist alles pudelnaß; wollen's trocknen, gebt her!
Zigeunerin. Wo habt ihr den kleinen Jungeil, meinen SBolf?
Colshorn u.Gödeke's Lesebuch I. * nr
98
(W o l f kommt.)
Zigeunerin. WaS hast du, Wolf?
Wolf. Einen Hasen, da, und einen Hahn, einen Bratspieß,
ein Bündel Leinewand, drei Kochlöffel und einen Pferdzaum.
Zigeunerin. 'Seht ihn an! Haare wie ein Dornstrauch,
Augen wie 's Irrlicht auf der Heide. Meine See? freut sich, wenn
ich ihn seh'. Seine Zähn' wie Elfenbein. Bei seiner Gebiwt
drückt' ich ihm das Nasbcin ein. Wie er stolz und wild sieht und
reißend wie ein Wolf in der Gefahr. Und Künste kann er wie
der Ält'ste. Er macht, daß dem Jäger die Büchs versagt, daß 's
Wasser nit löscht, daß 's Feiler nit brennt, und versteht Warzen
und Hühneraugen zu vertreiben und Reiter 51t verführen, daß sie
meinen, sie wären beisammen, und sind weit aus einander.
Zigeuner mutter. Wärmt ellch!
Haupt mann. Es friert uns nicht, gierigen wir nackend nild
bloß. Es schauert uns nicht vorm Schneegestöber, wenn die Wölfe
heulen und Spenstcr krächzen, wenn 's Irrlicht kommt und der
feurige Mann. Gebt was 511 essen!
Zigeunermutter. Da kommt's! Igel und Feldmäns,
Hasen lind Hamster, Wiesel lind Enten, Brot und Wein.
104.
Oer Zigeunerkönig.
Von Pfau.
Schad's Musenalmanach.
Es schrillen die Fahnen, es pfeift
der Sturm,
Der Zigeunerkönig sitzt im Turin.
Sie wollen ihil hängen die nächste
Nacht,
Doch der Zigeuner singt und lacht:
'Giggerigi! du rother Hahn!
Es wehet im Wind sein schwarz-
kraus Haar,
Es blitzt sein pechschwarz Angenpaar;
Seine Hosen sind wie Feuer so roth;
Er spricht: Mit mir hat's keine
Noth —
Giggcrigi! du rother Hahn!
'Ihr sollt mir nicht krümmen ein
Haar zu Leid,
Ihr sollt mir nicht rühren eilt' Fält'
ani Kleid.
Ich setze den Rath und den Henker
in Ruh,
Wnrzburg 1853. 0. 384.
Ich verbrenn' euch den Strick lind
den Galgeit dazu —
Giggcrigi! du rother Hahn!
'Du Krämervolk, du gierige Brut,
Wohl bekomm' dir das rvtheZigeuner-
blut!
Wach ans und flieg, du rother Hahn,
Stimm deinen gellenden Wcckrufan —
Giggcrigi! du rother Hahn!
'Auf die Häuser stolz, auf die
Giebel jäh,
Hui! schwing dich hinan, hinauf und
kräh!
Mit den Flügeln schlag einen glü-
henden Reif,
Die Dächer peitsch mit feurigem
Schweif —
Giggcrigi! du rother Hahn!'
Da klettert die Flamme durch Thür
und Thor
99
An allen vier Ecken der Stadt empor.
DieGlvckenheulen von Turm zuTurm,
Der Zigeuner ruft und kräht in den
Strirm:
'Giggerigi! du rother Hahn!
'Willkommen, du lieber, feuriger
Gast,
Der hoch in den Lüsten schwelgt und
praßt;
Du bist dem Zigeuner freundlich gesellt,
Wir jauchzen allbeid' so frei durch
die Welt —
Giggerigi! du rother Hahn!
'Tief unten wimmelt der Ameisen-
hauf —
Das rennt die Straßen wohl ab,
wohl auf,
Das schafft und scharrt, rmd wir
lachen sie aus:
Dem Zigeuner verbrennt weder Hof
noch Haus —
Giggerigi! du rother Hahn!'
Und Giebel um Giebel fällt und
kracht,
Es flieht der Rath, es flicht die Wacht.
Bald wird der Turm des Feuers
Raub,
Der Zigeuner macht sich aus dem
Staub —
'Giggerigi! du rother Hahn!'
Und als er war durchs brennende
Thor,
Steht er noch einmal still davor:
'Du Brut! das war mein Henker-
schniaus,
Jetzt bau dir neu deinSchneckenhaus—
Giggerigi! du rother Hahn!'
105.
Das Samenkorn.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7. Ausg. Essen 1840. H, 256.
Iween Wanderer zogen gemeinsam über Land, imb als sie un-
terloeges ausruheten in einer Herberge, erscholl plötzlich das Geläut
der Glocken und ein Geschrei, daß eine Fenersbrnnst sei in dem
Dorfe. Da sprang der eine Wanderer ans, warf seinen Stab und
Bündel von sich, um eilends zu Helsen. Der andere aber hielt ihn
zurück und sprach: ^Weshalb sollten wir hier verzögern? Sind
nicht Hände genug zum Helfen; was kümmert uns die Fremde?'
Aber jener hörte nicht auf die Rede, sondern lief hinaus zu
dem brennenden Hause; nun folgte der andere langsam und siand
und sah zu von ferne. -
Vor dem brennenden Hause aber staub eine Mutter wie erstarrt
und rief: Meine Kinder, meine Kinder!'
Als der Fremdling solches hörte, sprang er in das brennende
Haus zwischen den krachenden Balken, und die Lohe schlug um
ihn her. Das Volk aber rief: <Der ist verloren!'
Als man nun harrete eine Weile, siehe, da trat er hervor
mit versengtem Haar und trug zwei Kindlein aus den Armen und
brachte sie der Mutter. Da umarmte sie die Kinder und fiel dem
Fremdling zu Füßen. Dieser aber hub sie ans und tröstete sie.
Unterdes stürzte das ganze Haus zusammen.
Als nun beide, der Fremdling und sein Gefährte, zur Herberge
zurückkehrten, sagte dieser: <Aber wer hieß dich solch kühnes Wagestück
beginnen?'
100
Jener antwortete und sprach: <Er, der mich heißet das Samen-
korn in die Erde legen, daß cs verwese und neue Frucht bringe.'
^Abcr wie?' sagte der andere, üvenn nun des Hauses Trümmer
dich begraben hätten'. . .
Da lächelte jener und sprach: <So war' ich selbst das Sa-
menkorn.'
106. '
Aussaat.
Bon KNtke.
Gedichte. Berlin
^er Sämann streut die reiche Saat
Still hoffend in die lockre Erde;
Sein ist der Wille, sein die That,
Gott weiß, ob sie entkeimen werde.
Ja, hoffe still lind streue fort,
Streu aus mit nimmer müden
Händen;
Ob sie verweht, ob sie verdorrt,
1852. S. 12.
Du darfst dein Säen drum nicht
enden.
Und frag nicht, wann ein Frühliugs-
blick
Die Saat dir reift mit lindem Lichte;
Denn Gott vollendet dein Geschick —
Dein ist die Saat, sein sind die
Früchte.
107.
Oer Mantel.
Von Schund.
Kurze Erzählungen. München 1848. S. 98.
Einige Soldaten kamen zur Zeit des Krieges in ein Dorf
und verlangten einen Wegweiser. Cln armer Taglöhner sollte mit
ihnen gehen. Es war sehr kalt und schneiete und wehete entsetzlich.
Er bat die Bauern flehentlich, ihm einen Mantel zu leihen. Allein
sie gaben ihm kein Gehör. Nur ein fremder alter Mann, der
dtirch den Krieg aus seiner Heimat vertrieben worden war und
in dem Dorfe sich kümmerlich als Schmiedsknecht nährte, erbarmte
sich des Tagwerkerö und gab ihm seinen alten Mantel.
Die Soldaten zogen fort, und sieh! am späten Abend kam
ein junger, schöner Ofstcier in prächtiger Uniform und mit einem
Ordenskreuze an der Brust in das Dorf geritten und ließ sich zu
dem alten Manne führen, der dem Wegweiser den Mantel geliehen
hatte. Der glltherzige Greis that, als er den Ofstcier erblickte,
einen lauten Schrei. D Gott! das ist ja mein Sohn Rudolf!'
rief er, eilte auf ihu zu und umfaßte ihn mit beiden Armen.
Rudolf hatte vor mehreren Jahren Soldat werden müssen
uild war wegen seiner vorzüglichen Geistesgaben, wegen seiner
Rechtschaffenheit und Tapferkeit Ofstcier geworden. Er hörte nichts
mehr von seinem Vater, der vormals in einem angesehenen Markt-
stecken Schmiedemeister gewesen war. Allein der Sohn hatte den
101
alten Mantel ersannt und aus der Erzählung des Wegweisers sich
überzeugt, daß sein Vater nunmehr iu diesem Dorfe sich aufhalte.
Vater und Sohn weinten vor Frenden, und alle Leute, die
umher standen, weinten mit. Rudolf blieb die ganze Nacht hin-
durch bei seinem Vater, unterredete sich mit ihm bis an den frühen
Morgen, gab ihm, bevor er weiter ritt, viel Geld und versprach
ihm, ferner für ihn zu sorgen.
Die Leute aber sagten: <Weil der alte Manu so barmherzig
war, so hat sich Gott auch über ihn erbarmt nnb ihn seinen Sohn
wiederfinden lassen, der it;n ans aller Noth errettet.'
Wcr sich erbarmet fremder Noth,
Den segnet auch der liebe Gott.
108.
Oie Einladung.
Von Knapp.
Gedichte. Auswahl. Stuttgart und Tübingen 1854. S. 529.
Ein frommer Landmann in der Kirche saß,
Den Text der Pfarrer aus Johanne las
Am Ostermontag, wie der Heiland rief
Dom Ufer: 'Kindlein, habt ihr nichts zu essen?'
Das drang dem Landmann in die Seele tief,
Daß er in stiller Wehmuth dagesesseir.
Drauf betet er: 'Mein liebster Jesu Christ!
So fragest du? O, wenn du hungrig bist,
So sei am nächsten Sonntag doch mein Gast
Und halt an meinem armen Tische Rast.
Ich bin ja wohl nur eiu geringer Mann,
Der nicht viel Gutes dir bereiten kann;
Doch deine Huld, die dich zu Sündern trieb,
Nimmt auch an meinem Tische wohl fürlieb.'
Er wandelt heim und spricht sein herzlich. Wort
An jedem Tag die ganze Woche fort.
Am Samstagmorgen läßt's ihn nimmer ruhn.
'Frau,' hebt er au, 'nimm aus dein bestes Huhn,
Bereit es kräftig, fege Flur und Haus,
Stell in die Stub' auch einen schönen Strauß;
Denn wisse, daß du einen hohen Gast
Auf morgen Mittag zu bewirten hast!
Putz unsre Kinderlein, mach alles rein:
Der werthe Gast will wohl empfangen sein.'
Da springen alle Kinderlein heran:
'O Vater, wer? wie heißt der liebe Mann?'
Die Mutter fragt: 'Nun, Vater, sage mir,
Gar einen Herren ludest du zu dir?'
Der Vater aber lächelt, sagt es nicht,
Und Freude glänzt in seinem Angesicht.
Am Sonntag ruft der Morgenglockenhall;
Zum lieben Gotteshause ziehn sie all',
102
Und immer seufzt der Vater innerlich:
'O, liebster Jesil, komm, besuche mich!
Du hast gehungert; ach, so möcht' ich gern
Dich einmal speisen, meinen guten Herrn!'
Wie die Gemeine drauf nach Hanse geht,
Die Mutter bald am Herde wieder steht,
Das Huhn ist weich, die Suppe dick und fett;
Sie deckt den Tisch, bereitet alles nett,
Trägt auf und denkt beim zwölften Glockenschlag:
'Wo doch der Gast so lange bleiben mag?'
Es schlägt auch eins. Da wird's ihr endlich bang:
'Sprich, lieber Mann, wo weilt dein Gast so lang?
Die Suppe siedet ein, die Kinder stehn
So hungrig da, und noch ist nichts zu sehn.
Wie heißet denn der Herr? Ich glaube fast,
Daß du vergeblich ihn geladen hast!'
Der Vater aber winkt den Kinderlein:
'Seid nur getrost! er kommt nun bald herein.'
Drauf wendet er zum Himmel das Gesicht
Und faltet zum Gebet die Hände, spricht:
'Herr Jesu Christe, komm, sei unser Gast,
Und segne uns, was du bescheret hast!'
Da klopft es an der Thiire. Seht, ein Greis
Blickt matt herein, die Locken silberweiß:
'Gesegn' ench's Gott! Erbarmt euch meiner Noth!
Um Christi willen nur ein Stücklein Brot!
Schon lange bin ich hungrig umgeirrt;
Vielleicht, daß mir bei euch ein Bissen wird.'
Da eilt der Vater: 'Komm, du lieber Gast!
Wie du so lange doch gesäumet hast!
Schon lange ja dein Stuhl dort oben steht;
Komm, labe dich, du kommst noch nicht zn spät.'
Und also führet er den armen Mann
Mit Hellen Augen an den Tisch hinan.
Und 'Mutter, sich doch! seht, ihr Kinderlein,
Den Heiland lud ich vor acht Tagen ein.
Ich wußt' es wohl, daß, wenn man Jesum lädt,
Er einem nicht am Haus vorüber geht.
O, Kinder, seht! in diesem Ärmsten ist
Heut' unser Gast der Heiland Jesus Christ.'
109.
Der arme und der reiche.
von den briidern Grimm,
mär eben 7. aufl. Göttingen 1857. II, 1.
Vor alten zeiten, als der liebe gott noch selber auf erden
unter den menschen wandelte, trug es sich zu, dasz er eines abends
müde war, und ihn die nacht überfiel, bevor er zu einer herberge
kommen konnte, nun standen auf dem weg vor ihm zwei häuser
103
einander gegenüber, das eine grosz und schön, das andere klein
und ärmlich anzusehen, und gehörte das grosze einem reichen,
das kleine einem armen manne, da dachte unser herr gott: ‘dem
reichen werde ich nicht beschwerlich fallen; bei ihm will ich über-
nachten.’ der reiche, als er an seine thüre klopfen hörte, machte
das fenstcr auf und fragte den fremdling, was er suche, der herr
antwortete: ‘ich bitte um ein nachtlager.’ der reiche guckte den
wandersmann von liaupt bis zu den füszen an, und weil der liebe
gott schlichte kleider trug und nicht aussah, wie einer, der viel
geld in der tasche hat, schüttelte er mit dem köpf und sprach:
‘ich kann euch nicht aufnehmen, meine kammern liegen voll kräuter
und samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine
thüre klopft, so könnte ich selber den betteistab in die band
nehmen, sucht euch anderswo ein auskommen.’ schlug damit sein
fenster zu und liesz den lieben gott stehen, also kehrte ihm der
liebe gott den rücken und gieng hinüber zu dem kleinen haus.
kaum hatte er angeklopft, so klinkte der arme schon sein thürchen
auf und bat den wandersmann einzutreten, ‘bleibt die naebt über
bei mir,’ sagte er, ‘es ist schon finster, und heute könnt ihr doch
nicht weiter kommen.’ das gefiel dem lieben gott, und er trat
zu ihm ein. die frau des armen reichte ihm die band, liiesz ihn
willkommen und sagte, er möchte sich’s bequem machen und
fürlieb nehmen; sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben
sie von herzen gerne, dann setzte sie kartoffeln ans feuer, und
unter der zeit, derweil sie kochten, melkte sie ihre ziege, damit sie
ein wenig milch dazu hätten, und als der tisch gedeckt war, setzte
sich der liebe gott nieder und asz mit ihnen, und schmeckte ihm
die schlechte kost gut, denn es waren vergnügte gesichter dabei,
nachdem sie gegessen hatten, und Schlafenszeit war, rief die frau
heimlich ihren mann und sprach: ‘hör, lieber mann, wir wollen
uns heute nacht eine streu machen, damit der arme wanderer sich
in unser bett legen und ausruhen kann; er ist den ganzen tag
über gegangen, da wird einer müde.’ ‘von herzen gern,’ antwortete
er, ‘ich will’s ihm anbieten,’ gieng zu dem lieben gott und bat
ihn, wenn’s ihm recht wäre, möcht’ er sich in ihr bett legen und
seine glieder ordentlich ausruhen. der liebe gott wollte den
beiden alten ihr lager nicht nehmen; aber sie lieszen nicht ab,
bis er es endlich that und sich in ihr bett legte: sich selbst aber
machten sie eine streu auf die erde. am andern morgen standen
sie vor tag schon auf und kochten dem gast ein frühstück, so gut
sie es hatten, als nun die sonne durchs fensterlein schien und der
liebe gott aufgestanden war, asz er wieder mit ihnen und wollte
dann seines weges ziehen, als er in der thüre stand, kehrte er
sich um und sprach: ‘weil ihr so mitleidig und fromm seid, so
wünscht euch dreierlei; das will'ich euch erfüllen.’ da sagte der
arme: ‘was soll ich mir sonst wünschen, als die ewige Seligkeit,
104
und dasz wir zwei, so lang wir leben, gesund dabei bleiben und
unser notbdürftiges tägliches brot haben; fürs dritte weisz ich mir
nichts zu wünschen.’ der liebe gott sprach: ‘willst du dir nicht
ein neues haus für das alte wünschen? ‘o ja/ sagte der mann,
‘wenn ich das auch noch erhalten kann, so wäre mir s wohl lieb.’
da erfüllte der herr ihre wünsche, verwandelte ihr altes haus in
ein neues, gab ihnen nochmals seinen segen und zog weiter.
Es war schon voller tag, als der reiche aufstand, er legte
sich ins fenster und sah gegenüber ein neues reinliches haus mit
rothen ziegein, wo sonst eine alte hütte gestanden hatte, da
machte er grosze äugen, rief seine frau herbei und sprach: ‘sag
mir, was ist geschehen? gestern abend stand noch die alte elende
hütte, und heute steht da ein schönes neues haus, lauf hinüber
und höre, wie das gekommen ist.’ die frau gieng und fragte den
armen aus; er erzählte ihr: ‘gestern abend kam ein wanderer, der
suchte nachtherberge, und heute morgen beim abschied hat er
uns drei wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, gesundkeit in diesem
leben und das nothdürftige tägliche brot dazu und zuletzt noch
statt unserer alten hütte ein schönes neues haus.’ die frau des
reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem manne, wie alles ge-
kommen war. der mann sprach: ‘ich möchte, mich zerreiszen und
zerschlagen, hätte ich das nur gewuszt! der fremde ist zuvor
hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn
aber abgewiesen.’ ‘eil dich,’ sprach die frau, ‘und setze dich auf
dein pferd, so kannst du den mann noch einholen, und dann
muszt du dir auch drei wünsche gewähren lassen.’
Der reiche befolgte den guten rath, jagte mit seinem pferd
davon und holte den lieben gott noch ein. er redete fein und
lieblich und bat, er möcht’s nicht übel nehmen, dasz er nicht gleich
wäre eingelassen worden, er hätte den schlüssel zur hausthüre
gesucht, derweil wäre er weggegangen; wenn er des weges zurück
käme, müszte er bei ihm einkehren, ‘ja,’ sprach der liebe gott,
‘wenn ich einmal zurück komme, will ich es thun.’ da fragte der
reiche, ob er nicht auch drei wünsche thun dürfte, wie sein nachbar.
ja, sagte der liebe gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht
gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen, der reiche
meinte, er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem glück
gereiche, wenn er nur wüszte, dasz es erfüllt würde, sprach der
liebe gott: ‘reit heim, und drei wünsche, die du thust, die sollen
in erfüllung gehen.’
Nun hatte der reiche, was er verlangte, ritt heimwärts und
beug an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte, wie er sich
so bedachte und die zügel fallen liesz, fieng das pferd an zu
springen, so dasz er immerfort in seinen gedanken gestört wurde
und sie gar nicht zusammen bringen konnte, er klopfte ihm an
den hals und sagte: ‘sei ruhig Liese;’ aber das pferd machte aufs
105
neue männercken. da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz
ungeduldig: ‘so wollt’ ich, dasz du den hals zerbrächst!’ wie er
das wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die erde, und
lag das pferd todt und regte sich nicht mehr; damit war der erste
wünsch erfüllt, weil er aber von natur geizig war, wollte er das
satteizeug nicht im stich lassen, schnitt’s ab, hieng’s auf seinen
rücken und muszte nun zu fusz gehen. ‘du hast noch zwei
wünsche übrig,’ dachte er und tröstete sich damit, wie er nun
langsam durch den sand dahin gieng, und zu mittag die sonne
heisz brannte, ward’s ihm so warm und verdrieszlich zu muth; der
sattel drückte ihn auf den rücken, auch war ihm noch immer nicht
eingefallen, was er sich wünschen wollte, ‘wenn ich mir auch alle
reiche und schätze der weit wünsche,’ sprach er zu sich selbst,’ so
fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weisz
ich im voraus; ich wili’s aber so einrichten, dasz mir gar nichts
mehr übrig zu wünschen bleibt.’ dann seufzte er und sprach: ‘ja,
wenn ich der bairische bauer wäre, der auch drei wünsche frei
hatte, der wuszte sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht
viel hier, und zweitens so viel hier, als er trinken könnte, und
drittens noch ein fasz hier dazu.’ manchmal meinte er, jetzt hätte
er es gefunden; aber hernach schien’s ihm doch zu wenig, da
kam ihm so in die gedanken, was es seine fr au jetzt gut hätte, die
säsze daheim in einer kühlen stube und liesze sich’s wohlschmecken,
das ärgerte ihn ordentlich, und ohne dasz er’s wuszte, sprach er so
hin: ‘ich wollte, die säsze daheim auf dem sattel und könnte nicht
herunter, statt dasz ich ihn da auf meinem rücken schleppe.’ und
wie das letzte wort aus seinem munde kam, so war der sattel von
seinem rücken verschwunden, und er merkte, dasz sein zweiter
wünsch auch in erfüllung gegangen war. da ward ihm erst recht heisz,
er fieng an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in eine
kammer hinsetzen und auf etwas groszes für den letzten wünsch
sinnen, wie er aber ankommt und die stubentkür aufmacht, sitzt
da seine fr au mittendrin auf dem sattel und kann nicht herunter,
jammert und schreit, da sprach er: ‘gieb dich zufrieden, ich will
dir alle reichtkümer der weit herbeiwünschen; nur bleib dasitzen.’
sie schalt ihn aber und sprach: ‘was helfen mir alle reichtkümer
der weit, wenn ich auf dem sattel sitze; du hast mich darauf
gewünscht, du muszt mir auch wieder herunter helfen.’ er
mochte wollen oder nicht, er muszte den dritten wünsch thun,
dasz sie vom sattel ledig wäre und heruntersteigen könnte; und
der wünsch ward alsbald erfüllt, also hatte er nichts davon als
ärger, mühe, schcltworte und ein verlornes pferd; die armen aber
lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges ende.
lOG
110.
Legende.
Von Colshorn.
Vergl. BruderPhilipp'S Marienlcben, herausg. von H.Rückcrt. Quedlinburg 1853. S. 112.
Als Christus etwa neun Jahr alt war, gieng er einmal am
Sabbath mit andern Kindern anfs Feld, um zu spielen. Auf dem
Felde aber lag vieler frischer Lehm; iinb die Kinder vertrieben sich
die Zeit damit, daß sie aus dem Lehm kleine Vögel bildeten. Doch
keiner machte sie so schmuck und schlank, wie das heilige Kind.
Als die Kinder noch so harmlos spielten, kam ein alter Jude
daher mit langem Bart und dickem Stock; der schalt und sprach:
Warum entheiliget ihr den Sabbath? Wollt ihr machen, das;
ihr fortkommt!' Christus trat ihm sauft entgegen und antwortete:
Wir spielen ja nur.' Da wurde der Jude noch zorniger und
sprach: <Du bist gerade-der Allerschlimmste; aber wartet, ich will
eurem Spiel ein Ende machen!'
Damit erhob er den dicken Stock und gieng aus die Vögel
los, um sie zu zerschlagen und zn zertreten. Doch Christus kam
ihm zuvor, klatschte in die Händchen und rief: <Prrr!' Und siehe!
alle die kleinen Vögel wurden lebendig und flogen davon und
sangen und zwitscherten. Der Jude erschrak und schlich beschämt
nach Hanse; die Kinder aber spielten fröhlich weiter.
111.
Legende vom Hufeisen.
Von Goethe.
Werke. Stuttg. u- Tüb. 1810. II, 224. — Schillcr's Musenalmanach f. 1798. S- 144.
Als noch, verkannt u. sehr gering,
Unser Herr auf der Erde gieng,
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,
Liebt' er sich gar über die Maßen,
Seinen Hof zu halten aufder Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer bester und freier spricht.
Er ließ sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heiligen Munde hören;
Besonders durch Gleichnis u. Exempel
Macht' er einen jeden Markt zum
Tempel.
So schlendert' er in Geistes Nlih
Mit ihnen einst einem Städtchen zn,
Sah etwas blinken auf der Straß',
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zn Sanct Peter drauf:
'Heb doch einmal das Eisen äus!'
Sanct Peter war nicht aufgeräumt,
Er hatte so eben im Gehen geträumt,
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt:
Denn imKopf hat das keineSchranken;
Das waren so seine liebsten Gedanken.
Nun war der Fund ihm viel zu
klein,
Hätte müssen Krön' und Zepter sein;
Aber wie sollt' er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und thut, als hätt' er's nicht gehört.
Der Herr, nach seiner Langmuth, drauf
Hebt selber das Hufeisen auf
Und thut auch weiter nicht der-
gleichen.
Als sic nun bald die Stadt erreichen,
Geht er vor eines Schmiedes Thür,
107
Nimmt von dem Mann drei Pfennig
dafür.
Und als sie über den Markt nun
gehen,
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
Kauft ihrer, so wenig oder so viel,
Als man für einen Dreier geben will,
Die er sodann nach seiner Art
Ruhig im Ermcl aufbewahrt.
Nun gieng's zum andern Thor
hinaus,
Durch Wies und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen bloß;
Die Sonne schieß die Hih' war groß,
So daß man viel an solcher Statt'
Für einen Trunk Wasser gegeben
hätt'.
Der Herr geht immer voraus vor
allen,
Läßt unversehens eine Kirsche fallen.
Sanct Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldner Apfel wär';
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr nach einem kleinen Raum
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Wonach Saitct Peter schnell sich bückt.
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit :
'Thät'st du zur rechten Zeit dich regen,
Hätt'st du's bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding' wenig acht't,
Sich um geringere Mühe inacht.'
112.
Marienblume.
Von Colshorn.
Deutsche Mythologie. Hannover 1853- S. 356.
Als Christus drei Jahr alt geworden war, wollte seine Mllttcr
ihm einen Geburtstagkranz winden. Weil es aber um Weihnachten
draußen keine Blumen giebt, auch im gelobten Lande nicht, imb
in Nazareth keine gemachte Blumen 511 kaufen waren, so verfertigte
Marie selber dergleichen. Ein Blumlein nun zeichnete sich vor allen
aus durch seine stille Pracht. Zu diesem hatte sie eilt Stückchen
prächtig goldgelber Seide genommen, das ihr tioch von David
her geblieben war, und in dasselbe dicke Fäden weißer Seide ein-
gereiht, Faden an Faden;'und weil sie bei Befestigung derselben
mit der Nadel sich verletzt hatte, waren feine Blutstrahlen hervor-
gespritzt und hiervon einige Fäden roth angelaufen, was das
Knäbleiu so ganz eigen bewegte.
Als aber der Winter vergangen itnb der Regen weg und
dahin war, und nun mit des Lenzes Ankunft die Blumen im
Laude hervorkamen, der Feigenbaum Knoten gewanit, die Weiu-
stöcke Augen erzeugteit, lind die Turteltaube sich hören ließ im
Laude; da nahm Christus die zarte Pflanze mit ihrem einköpflgen
Schafte, ben eirunden gekerbten Blättern imb der Blume mit
gelber Scheibe imb weißen und rothen Strahlen und pflanzte
sie ins Thal um Nazareth, ergriff alsdann ftüien goldenen Trink-
becher, den ihm die Weisen des Morgeitlands geschenkt hatten,
lief zu einer nahen Quelle, begoß sie und hauchte sie au. Da
wuchs sie uild ward eine der vvllkommeilsten aller Pflanzen und
überzog alle Wclttheile und stickte Wieselt nnb Triften mit reizendem
Schmelze und blüht nun unaufhörlich fort von da an, wo der
108
Schnee vergeht, bis dahin, wo er wieder fällt, und kommt, pflückt
man sie hundertmal, unverdrossen hundertmal wieder.
Der Mensch aber nahm von ihr und faßte seine Blumenbeete
mit ihr ein, woselbst die weißen Strahlen von den rothen fast
verdrängt wurden, und er nennt sie Gänseblümchen, Maßliebchen,
Tausendschönchen und Bellis perennis; am liebsten aber hört sie
sich Marienblume nennen.
113.
Marienwürmchen.
Volkslied.
DcS Knaben Wunderhorn von Arnim und
^Marienwürmchen, setze dich
Auf meine Hand, auf meine Hand,
Ich thu dir nichts zu Leide!
Es soll dir nichts zu Leid geschehn,
Will nur deine bunten Flügel sehn,
Bunte Flügel meine Freude!
Marienwürmchen, fliege weg!
Dein Häuschen brennt, die Kinder
schrein,
Sv sehre, wie sv sehre!
Brentano. Heidelb. u. Franks. 1803. I, 235.
Die böse Spinne spinnt sie ein:
Marienwürmchen, flieg hinein,
Deine Kinder schrein so sehre!
Marienwürmchen, fliege hin
Zu Nachbars Kind, zu Nachbars
Kind,
Sie thun dir nichts zu Leide;
Es soll dir da kein Leid geschehn,
Sie wollen deine bunten Flügel sehn,
Und grüß sie alle beide!
114.
Sonnen Käfer.
Von Lenz.
Naturgeschichte 3. Ausl. Gotha 1852. III, 255-
SNan nennt diese niedlichen Käserchen, insbesondere den bekann-
testen unter ihnen, den Siebenpnnkt, auch Marienkäfer, Mnhkühchen,
Herrgvttökälbchen u. s. w. Sie thun nirgends Schaden', stiften
dagegen viel Nutzen, indem ihre sehr beweglichen Larven ans aller-
hand Pflanzen hernmklettern und einzig von Blattläusen leben.
Die Käser nähren sich von derselben Speise, nehmen aber weit weniger
zil sich. Man sieht letztere, deren es sehr viele Arten giebt, fast
allenthalben herumkriechen, zuweilen auch stiegen, und findet sie
selbst mitten im Winter in Häusern, wo sie entweder in der warmen
Stube herumlaufen, oder bei warmen Tagen und Sonnenschein
auch an die Fenster kalter Theile des Hauses kriechen. Mit
beginnendem Frühjahr sind sie allenthalben, erstarren bei eintretender
Kälte und laufen kurz darauf beim Sonnenschein wieder neben
dem Schnee herum. Um einzelne Pflanzen oder Gewächshäuser
von Blattläusen zu befreien, kann man nichts Besseres thun, als
die Larven oder, wenn man diese nicht findet, die Küferchen selbst
109
hineinzusetzen. Greift man letztere an, so ziehen sie gewöhnlich
Beine und Fühlhörner an sich und stellen sich todt; zugleich lassen
sie ans jedem Kniegelenk einen gelben, eigenthümlich riechenden
Tropfen treten.
115.
Hang und Zwang.
Von Fröhlich.
Fabeln 2. Aufl. Aarau 1829. S. 27. — Vergl. Ges. Schriften. Frauenfeld 1853. I, 22-
In Nacht und Schacht beisammen Ich bin dir gleich, nicht nur Ver-
lag wandt.' —
Der Diamant und Kieselstein, Der aber sagt: Mur in der Noth
Und aufdesBergmannsHaminerschlag Wird dir ein Fünklein blasses Roth;
Gab auch der Kiesel Funkenschein. Stets brennt des Edelsteines Pracht,
Da sprach er zu dem Diamant: Im Sonnenschein und in der Nacht.'
Much mir ist Farbenglanz und Tag;
116.
Glimmer.
Von Lenz,
Naturgeschichte 2. Aufl. Gotha 1846. V, 48.
Die Farbe ist silberweiß, goldgelb, grau, grün, violet, braun,
schwarz. Den silberweißen nennt man auch Katzensilber, den gelben
Katzengold. Schlägt man mit dem Hammer darauf, so entdeckt
man leicht, daß es kein Silber oder Gold ist; denn diese lassen sich
durch Schläge dehnen, Glimmer zerbricht. In Sibirien giebt es
im Granit einzelne große Tafelil von Glimmer; diese führen den
Namen Marienglas. Das meiste Marienglas liegt ohne Ordnung
im Gestein, und schone Scheiben finden sich nur sehr einzeln. Sind
sie für den Gebrauch zu dick, so werden sie mit zweischneidigen
Messern dünner gespalten und dienen nun als Fensterscheiben.
Sie sind zwar nicht so durchsichtig wie Glas und krümmen sich
gern; aber sie zerbrechen auch nicht so leicht, weswegen sie namentlich
für Laternen und Kriegsschiffe gesucht werden, weil Glasscheiben
an letzteren durch die Kanonenschüsse platzen. In dem höheren
Norden Sibiriens dienen Marienglas und Fischblase im Sommer
allgemein zu Fensterscheiben; allein im Winter müssen sie doch her-"
aus, weil die entsetzliche Kälte sie sprengen würde, und statt ihrer
werden dann Eisscheiben eingesetzt und mit Wasser, das alsbald
zu Eis gefriert, luftdicht festgeklebt. Dünne, wasserhelle Blättchen
des Marienglases wendet man bei uns an, um kleine Insekten
für Sammlungen darauf zu klebeu. Den schönen und guten
Streusand, welchen man nach seiner Farbe Gold- und Silber-
110
strensand nennt, macht man aus Glimmer, indem man ihn etwas
glüht nnd dann zerstößt.
117.
Diamant und Smaragd.
Bon Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Aufl. Erlangen 1840. S. 34 und 35.
lDer Diamant ist ein gar wundervoll glänzender und so
harter Stein, daß ihm selbst die beste englische Feile nichts anhaben
kann. Er zeigt sich öfters acht- oder zwölfflächig gestaltet oder
krystallisiert. In Deutschland findet man ihn nicht, cs müßte ihn
denn einer verloren haben; sondern er kommt aus Ostindien und
Brasilien, so wie in neuester Zeit auch aus den russischen Ländern
am Uralgebirge. Die vornehmen Leute haben welche in Ringen,
die Glaser haben welche, ganz kleine, jitm Glasschneiden. Ein
Diamant, der ein Karat wiegt und ganz schön ist, kostet gegen
neunzig Gulden, wenn er aber zwei- und dreimal so viel wiegt,
kostet er vier- nnd neunmal so viel, nnd einer, der ein Loth schwer
ist, hat einen Werth von mehr als einer halben Million. Und
dennoch besteht dieser theure Stein, den die Menschen so gar hoch
in Werth halten, aus nichts als ans reiner Kohle, und man kann
den Diamant, so hart lind fest er ist, im Brennpunkt eines großen
Brennspiegels oder schon im Schmelzosenfcuer verflüchtigen und
verbrennen nnd also der Welt Kostbarkeit in Rauch verwandeln.—
Der Smaragd ist wohl der prächtigste Stein in der Welt. Er
steht, wenn er recht schön ist, so rein grün aus, daß die frischesten
grünen Blätter nnd Frühlingswiesen neben ihm gelblichgrün er-
scheinen. Der edelste Smaragd findet sich in Südamerika und in
Oberegypptcn. Ein schöner Smaragd, der ein Karat wiegt, kostet
achtzehn bis zwanzig Gulden, ein zwölf Karat schwerer gegen
fünfzehnhundert Gulden. Er wächst in sechsseitigen Säulchen.
Die vier Gräser.
Gesammelte Gedichte.
Ich sah an einem Raine
Vier Gräser stehn gebückt,
Mit einem Edelsteine
Jedes vom Thau geschmückt.
Und drei davon zu neigen
Begannen sich im Tanz,
Um ihr Juwel zu zeigen
In buntem Farbenglanz.
Von Rnlkert.
Bd. V. Erlangen 1838. S. 305.
Die eine ließ den blauen,
Die andre den Rubin,
Und die den gelben schauen,
Für Onyx hielt ich ihn.
Allein die vierte Schwester
Stand still und unverwandt;
Mir schien ihr Stein ein bester
Farbloser Diamant.
311
119.
Die Graser.
Von LeuniS.
Synopsis der drei Naturreiche. Hannover 1817. II, 441.
Die Gräser sind die wichtigsten aller Pflanzen; mit ihrer
Cultur gieng von jeher der Wohlstand und die Cultur der Völker
ans der nördlichen Erdhälfte Hand in Hand. Sic bilden die
Grundlage des Ackerbaues und der Viehzucht; ohne sie ist keine
Landwirtschaft möglich, mit ihnen ist selten eine unmöglich, iveil
sie vielen Thieren das Hanptsnttcr und vielen Millionen von Men-
schen das tägliche und Hanptnahrungsmittel liefern. Man zieht
die Gräser theils auf Wiesen, theils als Getreide auf Feldern und
nennt diese letzteren Gräser, so lvcit sie für den Menschen als Nah-
rung bestimmt sind, Cerealien, tveil sie nach der Meinung der
Alten unter bcm Schutze der Ceres standen. Bei den Cerealien
ivird die höchste Ausbildung des stärke- und kleberreichen Samens
erzielt, so wie bei den Wiesengräsern jene des Krautes, dessen Znckcr-
und Gummigehalt mit der völligen Reife meist verschwindet, daher
beide auf verschiedenen Entwickelungsstufen geerntet tverden. Ans
dem Samen der ersteren bereitet man Brot, Bier, Branntlvein,
Essich re. Der zuckerhaltige Schleim des Zuckerrohrs liefert ben
größten Tbeil unsers Zuckers. Einige Grasarten sind deshalb als
die nützlichsten Gewächse in den Ländern, tvelche wir belvohnen,
schon seit den ältesten Zeiten iin großen angeballt. Über die wich-
tigsten derselben bemerken wir, daß man nach Süden hin Weizen
in der Schweiz noch bis §u einer Höhe von 3400, Hafer bis 3500,
Roggen bis 4600 unb Gerste bis 4800 Fllß anbaut, und daß nach
Norden hin, in Norwegen und im westlichen Lappland, Weizen
noch bis zum 64., Hafer bis zum 65., Roggen bis zum 67. und
Gerste bis zum 70. Grade angebauet wird. Die Samen des
Taumellochs werden für giftig gehalten; alle übrigen Grassainen
sind unschädlich.
Ans den Gräsern leben so viele Jnsekteil, daß alle feldpolizei-
lichen Maßregeln, alle Gesetze nicht gegen sie schützen könnten, wenn
die Gesetze der Natur, die immer gilt, immer vorsehend sind, hier
liicht neben dem Übel zugleich die Abhülfe in deil Vögeln gegeben
hätten. Von diesen verzehrt zwar z. B. ein einziger Sperling
jährlich über einen halben Scheffel Roggen; er vernichtet aber da-
gegen^anch als Ersatz durchschnittlich in einer Woche 3360 Larven
nild Insekten, so daß selbst manche Körnerfrcsser mehr nützen als
schaden. Eigentliche Insektenfresser jedoch sind die Schwalben und
viele unserer besten gefiederten Sänger.
112
120.
Das Veilchen.
Von Goethe.
Werke. Stuttg. u. Tüb. 1828- 1,180. - 1840.
Ein Veilchen auf der Wiese stand
Gebückt in sich und unbekannt,
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin
Mit leichtem Schritt und munterm
Sinn
Daher, daher,
Die Wiese her und sang.
4,143. — Vergl. Jrrs ll, Stck. 3, S. 182.
'Ach!' denkt das Veilchen, 'wär' ich
nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach nur eiu kleines Weilchen,
Bis mich dach Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
Ein Viertelstündchcn lang!'
Ach! aber ach! das Mädchen kam
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut' sich noch:
'Und sterb' ich denn, so sterb' ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füßen doch.'
121.
Heidenröslein.
Von Goethe.
Werke. Stuttg.u. Tüb. 1828.1,17. - 1840. I, 12. — Bergt Herders Volkslieder. 1779. II, 151
A'ah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah' zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach: 'Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!'
Röslein sprach: 'Ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich,
Und ich will's nicht leiden.'
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach
'S Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach, v
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt' es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.
122.
Die Liedlingsblumen.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7. Ansg. Essen 1840- I, 106-
Gustav, Hermann und Alwina, die blühenden Kinder eines
Gutsbesitzers, wandelten an einem schönen Frühlingstage ans das
11
Feld. Die Nachtigallen und Lerchen sangen, und die Blumen
entfalteten sich im Thau und in den milden Strahlen der Morgen-
sonne.
Die Kinder aber blickten voll Freude umher und hüpften von
einem Hügel zum andern und flochten sich Blumenkränze. Auch
priesen sie in Liedern die Herrlichkeit des Lenzes und die Liebe des
allmächtigen Vaters, der die Erde mit Gras und Blumen be-
kleidet, rnrd besangen die Blumen, von der Rose die ans dem
Strauch wächset, bis ans das Veüchen, das im Verborgenen blühet,
und das Heideblümchen, an welchem die Bienen saugen.
So erschien der Frühling des Lebens und des Jahres in
lieblichem Bunde.
Darauf sprachen die Kinder untereinander: ^Lasset einen jeden
von uns sich ein Blümchen wählen, das sein Liebling sei vor an-
dern!' Und sie freueten sich ihres Vorsatzes und sprangen in das
Feld, sich die Lieblingsblümchen zu suchen. <Dort in der Laube
kommen wir wieder zusammen!' riefen sie.
So wandelten die drei Kinder in Eintracht ihre verschiedenen
Wege, um das Schöne zu sammeln. Eine liebliche Blnmenlese!
Bald erschienen sie wieder alle drei auf dem Wege zur Laube.
Jedes trug einen vollen Strauß seiner gewählten Lieblingsblumen
in der Hand. Als sie sich einander erblickten, hielten sie die Blumen
hoch empor und jauchzten laut ans vor Freude. Darnach traten
sie in der Laube zusammen und beschlossen einmüthig und sprachen:
Mnn soll ein jeder sagen, warum er sich diese erwählt hat!'
Gustav, der ältere, hatte sich das Veilchen erkoren. ^Setzet,'
sprach er, <es blühet und duftet in bescheidener Stille zwischen
Moos und Halmen, und sein Wirken ist so verborgen, wie das
leise Kommen und Segnen des Frühlings. Aber es wird von den
Menschen geehrt und geliebt und in schönen Liedern besungen, und
jeder trägt ein Sträußlein, wenn er vom Felde kommt, und nennt
das schöne Veilchen das ersigeborne Kind des Lenzes und das
Blümchen der Bescheidenheit. Darum hab' ich es mir zu meinem
Blümchen erkoren?
Also sagte Gustav und reichte Hermann und Alwina einige
seiner Blumen. Diese aber empfiengen sie mit inniger Freude.
Denn es waren nun auch die Blümchen des Bruders.
Da trat Hermann hervor mit seinem Blumenstrauß. Es war
die zarte Feldlilie, die unter den kühlen Schatten des Wäldchens
wächset und ihre Blütenglöckchen, wie Perlen aneinander gereiht
und weiß wie Sonnenlicht, erhebet. 'Sehet,' sprach er, 'dieses
Blümchen hab' ich mir erwählt. Denn es ist ein Bild der Un-
schuld und des reinen Herzens; auch verkündet es mir die Liebe
dessen, der den Himmel mit Sternen lind die Erde mit Blumen
schmückt. — Ward nicht die Lilie des Feldes vor andern Blumen
gewürdiget, Zeugnis zu geben von der Vaterliebe dessen, in dem
Colshorn ii. Gödeke'S Lesebuch I. g
114
alles lebet und webet? Sehet, darum hab' ich die kleine Lilie mir
zu meinem Lieblingsblümchen erkoren!'
Also sprach Hermann und reichte seine Blümchen dar. Und
die beiden andern empfiengen sie mit frommer Freude und Ver-
ehrung. Und so ward das Blümchen geheiligt.
Da kam auch Alwina, das fromme liebliche Mädchen, mit
ihrem gesammelten Blumenstrauß. Es war das blaue zarte Ver-
gißmeinnicht. <Schet, ihr lieben Knaben/ sprach das holde Mädchen,
Kiese Blümchen hab' ich an dem Bächlein gefunden! — Nicht
wahr, sie glänzen, wie ein Helles Sternchen am Himmel, und spie-
geln sich in dem klareil Gewässer, an dessen Rande sie wachsen,
und das Bächlein stießet nun schöner lind wie bekränzt dahin.
Darllm ist es allch das Blümchen der Liebe und Zärtlichkeit, unb
ich hab' es mir zum Liebling erkoreil lind geb' es euch beiden.'
So gab sie es deil Brüdern mit einem Kuß, und die Brüder
bansten mit einem Kuß. Und die Schlitzengel der Kiilder lächelten
dem lieblicheil Bllllde der Unschuld.
So waren die Lieblingsblumen erkoren. Da sprach Alwina:
Wir wollen in zwei Kränze sie stechten itnb den lieben Eltern sie
weihen!'
So stochten sie zwei Kränze von bcn schönen Blumen und
trugen sie zu den Eltern und erzählten ihr ganzes Beginnen und
die Wahl ihrer BUnncil.
Da sreueten sich die Eltern ihrer guten Kinder unb sprachen:
<Ein lieblicher Kranz! Liebe, Unschuld unb Bescheidenheit in ein-
ander verschlungen! Sehet, wie das eine Blümcheil das andere
hebet und verschönert, und so bilden sie gemeinsam die schönste
Blumenkrone!'
"Aber es fehlet noch eines,' antworteten die Kinder und be-
kränzten mit gerührter Dankbarkeit ben Vater und die Mutter.
Da wurden die'Eltern bewegt vor Frellde und umarmten
die Killder herzlich unb sprachen: <Ein solcher Kranz ist doch herr-
licher, deiul Fürstenkronen!'
123.
Zwei Räthsel.
Von Rückert.
Gesammelte Gedichte.
a.
S. 198.
Eine nennt im Garten sich
Wie am Himmel die vielen,
Nickt und neigt sich, wenn mit ihr
Die Gleichgcnannten spielen.
Bd. V. Erlangen 1838.
b.
S. 204.
(Sie trägt ein bittres Laub,
Sie trägt viel süße Kräuter;
Auf ihr geht, unter ihr,
Die Kuh mit vollem Euter.
115
124.
Ein Slick auf die Manzemvelt.
Bon Lenz-
Naturgeschichte 3- Ausl. Gotha 1854. IV, 81-
Laßt uns in diesen wohlumzäunten, freundlichen, stillen Garten
eintreten! Da ist für Leib und Seele zugleich gesorgt. Denn seht,
die herrlichsten Kirschen winken uns schon in voller Reife entgegen,
und hier die Himbeeren und dort die Stachelbeeren. Welche La-
bung,' welch unvergleichlicher Geschmack! Und wie die Kinderchen
schmunzeln, die an den Stachelbeerbüschcn sitzen und sich's so wohl
behagen lassen, daß sie die ganze Welt über ihrem Geschäfte zu ver-
gessen scheinen! Und dorr der reiche Segen an Apfel-, Birn- und
Pflaumenbäumen! Das wird eine Lust werden! Und wenn erst
von der herbstlichen Sonne die unzähligen Trauben an jener Wand
mit Purpurfarbe gemalt sind! Im Paradiese kann's nicht schöner
sein; denn sehet, dort, rings um den grünen Rasenteppich, der von
den Tropfen des Springbrunnens bethaut wird, blühen und duften
auch die herrlichsten Blumen, deren jede einzelne ein Wunderwerk
Gottes ist. Und horch, indem ein Lüftchen weht, hör ich ein Säu-
seln in ihren Blättern; sie scheinen uns nickend zu grüßen itnb
freundlich näher zu winken. Sagt an, ihr holden Wesen, ihr
schonen Kinder Gottes, hat euch der gütige Schöpfer Sinn und
Sprache verliehen? Er hat es nicht; aber er gab dem Menschen
Phantasie, und diese gab euch Deutung und Sprache. In euch
sieht sie das Bild des menschlichen Lebens; denn ihr sprosset empor,
blühet, tragt Früchte, welket dahin und sterbt. Verödet, kalt und
schaurig ist die Stätte des Grabes; aber bald wehen die Lüfte
lauer, hoch und laut von Himmelshohn erklingt das Anserstehungs-
licd der Lerche, und ihr erwacht zu neuem Leben, hebt euch aus
dem Staube empor, und rings umgeben euch wieder die trauten
Genossen der Vergangenheit. Freundliches Bild der Auferstehung,
dich feiert der Dichter, indem er spricht:
'Siehe, die Bilder des Lebens verglühn
Schnell, wie die duftenden Blumen verblühn;
Aber des Lenzes verjüngendem Blick
Kehren sie schöner und milder zurück.
Herzen auch sinken zum Schlummer darnieder,
Doch sie erwachen und lieben sich wieder.'
Und wenn wir nun einzelne Blumen betrachten wollen, so
fällt unser Blick zuerst auf die Rose, die herrlichste von allen, das
reizende Sinnbild der Liebe, so hold, so wunderschön. Aber wie?
sie hat Dornen? Die hat sie wohl, ja; doch sie verwundet nur
die Hand, jene das Herz. Aber dort die liebliche Immortelle, die
hat keine Dornen, welket nicht und ist das Sinnbild ewiger Treue.
Hier die Aster deutet auf ein Wiedersehen jenseit der Sterne; die
8 *
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Kornblume dort in ihrem einfadj himmelblauen Gewände scheint
zn sagen: "Seid einfach, fromm und sanft, so sollt ihr die Freuden
des Himmels genießen.' Die Fenernelke mit ihrem brennenden
Roth ist das Sinnbild glühender Sehnsucht, die weiße Lilie sanfter
Unschuld, die Nachtviole des stillen, vernichtenden Kummers, die
Päonie der prahlenden Eitelkeit. Mit den immergrünen Zweigen
der Mirte schmücken sich Braut und Bräutigam, wenn sie ein-
ander am Altar ewige Treue geloben. Mit den Zweigen des Lor-
beers werden Sieger und Dichter bekränzt. Was das Jelänger-
jelieber andeutet, sagt euch sein Name. Wandeln wir jetzt etwas
weiter in die schattigen, mit Rasenplätzen abwechselnden' Stellen
des Gartens, so finden wir die hohe, mächtige Eiche, wie sie ihr
gewaltiges Haupt bis in den Himmel erhebt. Sie ist das erhabene
Bild eines großen, mächtigen und biedersinnigen Volkes, des deut-
schen Volkes. Jener Ephen, welcher ihren Stamm umringt, ist
das Sinnbild unerschütterlicher Treue, und dieses Immergrün in
ihrem Schatten das Sinnbild stiller, aber unvergänglicher Freund-
schaft. Doch siehe, wie wir uns nach dem Immergrün bücken,
so findet sich noch im Verborgenen ein kleines, dunkelblaues, süß
duftendes Blümchen. Es ist ein Veilchen, das Sinnbild der Be-
scheidenheit. Aber dort, am Rande der Quelle, da sehe ich ein
anderes blaues Blümchen, das möchte wohl mancher dem Veilchen
und allen Blumen und allen Schätzen der Welt vorziehen, wenn
es ihm, als Vorbote künftigen Glücks, von geliebter Hand darge-
boten würde. Es ist so hold und lieblich, und in seinem klaren,
himmelblauen, seelenvollen Auge stehen deutlich die Worte: "Vergiß
mein nicht!' Schon viele Herzen hat es beglückt; aber e8 hat auch
viele zerrissen, wenn es, in Thränen gebadet, als Bote ewiger
Trennung gesandt wurde. — Aber giebt cs nicht auch ein Pflänzchen,
das uns an unsere verstorbenen Lieben erinnern könnte? Laßt
uns hier links den Laubengang hinab, bis §u jener lichteren Stelle
gehen; dort wollen wir an dem einsamen, umschatteten, grünen
Hügel verweilen; seinen Rücken deckt ein weißer Stein, und über
diesen ragt ein schwarzes Kreuz empor, auf dessen Spitze sich eben
ein schwarzer, weißgesäumter Schmetterling niedergelassen hat. Vor
dem Hügel steht zu jeder Seite in einem schwarzen Gefäße ein
Cypressenbäumchen, und hinter diesen steht ein Halbkreis von
-Trauerweiden. Ein wehmüthiges Säuseln schwebt durch ihre
Blätter, trauernd hangen ihre Zweige zur umdunkelten Erde herab,
während unser Auge durch die Zwischenräume das lichte Blau des
Himmels erblickt, in dem >vir uns einst am Auferstehungstage
wiederfinden sollen. Unter dem Hügel ruhen die Gebeine eines
schönen, hoffnungsvollen Knaben. Er war freudig empor geivachsen,
hatte mancherlei gelernt; aber mit Gottes Natur hatte ihn nie-
mand bekannt gemacht. Da gieng er einstmals in den Wald, um
Erdbeeren zu pflücken, fand ein Stämmchcn mit prächtigen, aber
117
giftigen, dunkelpurpurrothen Beeren, die aussahen, wie Kirschen,
griff zu, verzehrte sie und ward nach wenigen Tagen in dieses
Grab gesenkt.
125.
Der Schierling.
Von Seidl.
Natur und Herz. Stuttgart 1853. S. 86.
^er Lenz hat seine Blumenscharcn Das liebe Gänseblümchen sticket
Hinansgesendet in die Welt, Die grüne Flnr mit Perlen weiß,
Sie eifern, ihn zu offenbaren Vorläufer der Zyanen, blicket
Auf Berg und Au, in Thal und Feld. Aus junger Saat der Ehrenpreis.
Da blühn die Primeln knapp an
Rosen
Bei Veilchen mit und ohne Duft,
Da lauscht der Lenzsafran in Moosen,
Ob bald der erste Kukuk ruft.
Da reihn sich an Levkoienglocken
Bifolien mit zartem Blau.
Und laue Zephyrküß' entlocken
Die Vogelmilch der Brust der Au.
Das Gvldenmilzkraut streckt sein
Köpfchen
Aus seiner Blätterhalskrans her,
Das Leberkraut gleicht blauen Tröpf-
chen,
Entthaut dem blauen Himmelsmeer.
Es ist ein liebliches Gedränge,
Ein lebensvolles Farbenspiel,
Und nicht ein Blümchen in der Menge
Erscheint entbehrlich und zu viel.
Der Schierling selbst mit fleck'gem Stengel
Gehöret mit zum großen Chor:
Er stellt im Kreis der Blnmenengel
Den düsteren gefallnen vor.
126.
Bilsenkraut und Teufelsapfel.
Von Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Aust. Erlangen 1840- S. 121 u. 125.
Das Bilsenkraut verräth schon durch seinen häßlichen Gerlich
und durch die traurige brault geaderte schmutzig gelbliche Farbe
seiner Blüten, wes Geistes Kind es sei. Denn es ist ein ziemlich
giftiges Kraut, das zur Noth auch wohl einen tödten könnte, wenn
er viel von dem schwarzen Samen genießen wollte. Aber ordentlich
angewendet ist Ertract so wie Pflaster daraus auch eine herrliche
Arznei, welche Schmerzen stillt, Krämpfe lindert und Schlaf macht.
In Rußland thun sich die Leute ans Schabernack manchmal eine
solche Pflanze in die Badestuben oder aus die Ofen. Dann wer-
118
den die Menschen, die in einem solchen Zimmer sind, wie toll.
Das ist aber gar kein seiner Spaß!
Der Tenselsapfel oder Stechapfel ist uod) viel schlimmer. Das
Bilsenkraut sucht sich doch wenigstens nicht bei den Leuten durch
eine schöne Farbe einzuschmeicheln, sondern sagt es einem schon
durch seine Farbe, daß es kein sehr umgängliches Gemüs sei; aber
dieser häßliche Stechapfel hat eine so schöne weiße große Blüte,
daß man t>ou weitem fast meinen könnte, es stünde eine Lilie da.
Die Fruchtkapsel ist mit Stacheln bedeckt, fast wie bei der Roß-
kastanie, und inwendig liegen kleine schwarze Samenkörner, welche
eins der abscheulichsten, tückischsten Gifte sind, die es in der Welt
giebt, weil sie die edelsten Kräfte im Menschen angreifen und einen
viehischen Wahnsinn erzeugen. Dennoch hat sich der Mensch auch
schon aus diesem giftigen Gewächs ein Heilmittel gegen Raserei,
fallende Sucht uub heftiges Zucken der Glieder bereiten gelernt.
Man sagt, daß der Stechapfel durch die Zigeuner, die ihn mi3
den Morgenländern mit sich brachten, bei uns eingeführt wor-
den sei.
127.
krüthsel.
Von Güll.
Kmderhcimat von Güll u. Pocci. Stuttgart 1846. S. 220-
Ulli er ist so klug, wer ist so schlau? 'S ist innen gelb und außen blau,
Dem schüttl'ich was vom Bäumchen! Hat mitten drin ein Steinchen.
128.
Die pstaumen.
Von Schmid.
Kurze Erzählungen. München 1843. S. 21-
Die Frau von Halden besuchte einmal mit ihren vier Kin-
dern den Großvater in seinem schönen Garten. Der Großvater
brachte auf einem Nebenblatte vier Pstaumen, die gelb wie Gold
uitb so groß wie Eier waren. Erbedauerte, daß nicht mehrere reis
seien. <Jhr mögt indes selbst zusehen,' sprach er im Scherze, üvie
ihr vier Pstaumen unter fünf Personen austheilt, ohne daß in der
Rechnung ein Brlich vorkommt?
‘D, das will ichsagte Lotte, die älteste Tochter; Pur bitte
ich mir aus, daß ich gleich- und ungleichbenannte Zahlen ein wenig
unter einander mengen darf?
Sie nahm die vier Pstaumen und sprach: Wir zwei Schwe-
stern und eine Pstaume machen zusammen drei; meine zwei Brüder
119
und eine Pflaume machen auch drei; diese zwei Pflaumen ltub
eure Mutter sind zusammen abermals drei. So geht alles gerade
und ohne Bruch auf.'
Lottens Geschwister waren mit dieser Theilung sehr zu-
frieden. Die erfreute Mutter aber bestand darauf, jedes der Kinder
solle eine Pflaume bekommen, und der Großvater brachte Lotten
noch überdies einen schönen Blumenstrauß. 'Denn', sagte er,
<Lottcheus sinnreiche Rechnung macht ihrem Witze sehr viel, ihrem
kindlichen Herzen aber noch mehr Ehre.'
Verstand und Witz gefallen sehr,
Ein edles Herz unendlich mehr.
129.
Der Knabe und sein Vater.
Bon Pfcffcl.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802 — 1810. II, 117.
Ein Schüler aß, wie viele Knaben,
Die Datteln für sein Leben gern,
Und um des Guten viel zu haben,
So pflanzt' er einen Dattelkern
In seines Vaters Blumengarten.
Der Vater sah ihm lächelnd zu
Und sagte: 'Datteln pflanzest du?
O Kind, da mußt du lange warten!
Denn wisse, dieser edle Baum
Trägt oft nach zwanzig Jahren kaum
Die ersten seiner süßen Früchte.'
Karl, der sich dessen nicht versah,
Hielt ein und rümpfte das Gesichte.
Mi,' sprach er endlich zum Papa,
'Das Warten soll mich nicht verdrießen;
Belohnt die Zeit nur meinen Fleiß,
So kann ich ja dereinst als Greis,
Was jetzt der Knabe pflanzt, genießen.'
130.
Die Pfirsiche.
Von Krummacher.
Parabeln 7. Ausl. Essen 1840. I, 63.
^Ein Landmann brachte aus der Stadt fünf Pfirsiche mit,
die schönsten, die man sehen konnte. Seine Kinder aber sahen diese
Frucht zum erstenmal. Deshalb wunderten und freuten sie sich
sehr über die schönen Äpfel mit den röthlichen Backen und zartem
r
120
Flaum. Darauf vertheilte sie der Vater unter seine vier Knaben,
und eine erhielt die Mutter.
Am Abend, als die Kinder in das Schlaflämmerlein, giengen,
fragte der Vater: 'Nun, wie haben euch die schönen Äpfel ge-
schmeckt?'
'Herrlich, lieber Vater,' sagte der Älteste. 'Es ist eine schöne
Frucht, so säuerlich und so sanft von Geschmack. Ich habe mir
den Stein sorgsam bewahrt und will mir daraus einen Baum
erziehen.'
'Brav!' sagte der Vater, 'das heißt haushälterisch auch für die
Zukunft gesorgt, wie es dem Landmann geziemt?
'Ich habe die meinige sogleich aufgegessen,' rief der Jüngste,
'und ben Stein fortgeworfen, und die Mutter hat mir die Hälfte
von der ihrigen gegeben. O, das schmeckte so süß und zersckmilzt
einem im Munde?
'Nun,' sagte der Vater, 'du hast zwar nicht sehr klug, aber
doch natürlich und nach kindlicher Weise gehandelt. Für die Klug-
heit ist auch noch Raum genug im Leben?
Da begann der zweite Sohn: 'Zch habe den Stein, den der
kleine Bruder fortwarf, gesammelt und aufgeklopft. Es war ein
Kern darin, der schmeckte so süß, wie eine Nuß. Aber meine
Pfirsich hab' ich verkauft und so viel Geld dafür erhalten, daß ich,
wenn ich nach der Stadt komme, wohl zwölfe dafür kaufen kann?
Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: 'Klug ist das
wohl, aber — kindlich wenigstens und natürlich war es nicht.
Bewahre dich der Himmel, daß du kein Kaufmann werdest!'
'Und du, Edmund?' fragte der Vater. — Unbefangen und
offen antwortete Edmund: 'Ich habe meine Pfirsich dem Sohn un-
sers Nachbars, dem kranken Georg, der das Fieber hat, gebracht.
Er wollte sie nicht nehmen. Da hab' ich sie ihm auf das Bette
gelegt und bin hinweggegangen?
'Nun!' sagte der Vater, 'wer hat denn wohl den besten Ge-
brauch von seiner Pfirsich gemacht?'
Da riefen sie alle drei: 'Das hat Bruder Edmund gethan!' —
Edmund aber schwieg still. Und die Mutter umarmte ihn mit
einer Thräne im Auge.
131.
Die Aprikosen.
Von Löhr.
Plaudereien, herausgeg. von Vilmar. Marb. u. Leipzig. 1850. II, 14-
Emilie hatte einen Groschen von der Mutter bekommen, sich
Aprikosen zu kailfen. 'Die sollen mir schmeckerl!' ruft Emilie und
sucht sich ein Körbchen.
121
Sie hängt das Körbchen an den Arm und hüpft fröhlich
damit zur Obsthändlerin, die nicht weit von ihrem Hause saß.
Vor der Bude der Obsthändlerin steht eine Frau mit ihrem
Kinde und besieht sich die Birnen und kauft einige, um, wie sic
sagt, ein Mittagsesseu daraus zu kochen. Ihr Kind steht dicht
neben ihr und sieht mit sehnsuchtsvollen Augen die schönen gelben
Aprikosen an, welche die Obsthändlerin in ihren schönsten Korb
gelegt hatte.
Das Kind zupft die Mutter heimlich und leise an dem Nock,
sieht die Mutter bittend an und zeigt mit einem Finger auf die
Aprikosen. Die Mutter sieht ihr Kind wieder an und zuckt die
Achseln. 'Sie sind zu theuer für uns!' sagt die Mutter zu dem
Kinde. Mur eine! liebe Mutter,' sagt das Kind leise und bittend.
Die Mutter sucht in allen Taschen, und Emilie merkt wohl, daß
die arme Frau dem Kinde gern eine Aprikose gekauft hätte, aber
kein Geld mehr haben mochte^ denn die Frau suchte, und fand
nichts. Emilie hatte sich indessen Aprikosen in ihr Körbchen geben
lasten, und jede Aprikose, die die Obsthändlerin in Emiliens Körbchen
legte, verfolgte das kleine Mädchen mit großen Augen. Emilie
sah das wohl, und es dauerte sie.
'Hast du nichts gefunden?' fragte das Mädchen jetzt die
Mutter ganz traurig, und die Mutter antwortete mit einem Kopf-
schütteln.
Eben will die Mutter mit dem Kinde fortgehen. Sie nimmt
an die eine Hand das Kind, welches mit zurückgewandtem Gesichte
noch nach den Aprikosen sieht, nnb greift mit der andern Hand
nach dem Korbe, in welchem die gekauften Birnen waren.
Indem die Frau nach dem Korbe greift, nimmt Emilie hasiig
ihre Aprikosen nnb schüttet sie in den Korb der Frau. 'Iß die!'
sagt Emilie und eilt schnell davon.
Die Mutter kann vor Erstaunen, und das Kind vor Freuden
nichts sagen, und wie sie danken wollen, ist Emilie längst fort.
132.
vom schlafenden Apfel.
Bon Reinick.
Deutscher Jugendkalendcr f. 1850. S. 30.
Am Baum, im grünen Blättchen
Hoch oben sich ein Apfel wiegt,
Der hat so rothe Bäckchen,
Man sieht's, daß er im Schläfe liegt.
Es hat ihn so gebeten;
Glaubt ihr, der wäre aufgewacht?
Er rührt sich nicht im Bette,
Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht.
Ein Kind steht unterm Baume,
Das schaut und schaut und ruft hinauf:
'Ach Apfel, komm herunter!
Hör endlich doch mit Schlafen auf!'
Da kommt die liebe Sonne
Am Himmel hoch daher spaziert.
'Ach Sonne, liebe Sonne,
Mach du, daß sich der Apfel rührt!'
122
Die Sonne spricht: Warum nicht?'
Und wirft ihm Strahlen ins Gesicht,
Küßt ihn dazu so freundlich;
Der Apfel aber rührt sich nicht.
Nun schau! da kommt ein Vogel
Und setzt sich auf den Bauni hinauf.
‘®i Vogel, du mußt singen;
Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!'
Der Vogel wetzt den Schnabel
Und singt ein Lied so wundernett
Und singt aus voller Kehle;
Der Apfel rührt sich nicht im Vett.
Und wer kam nun gegangen?
Es war der Wind, den kenn' ich schon,
Der küßt nicht, und der singt nicht,
Der pfeift aus einem andern Ton.
Er stemmt in beide Seiten
Die Arme, bläst die Backen auf
Und bläst und bläst; und richtig,
Der Apfel wacht erschrocken auf —
Und springt vom Baum herunter
Grad in die Schürze von dem Kind;
Das hebt ihn auf und freut sich
Und ruft: 'Ich danke schön, Herr Wind!'
133.
Goethe's Mutter an ihre lieben Enkelein.
Briefe der Frau Rath. Leipzig 1855. S. 8-
Den 13. Januar 1786.
Liebe Enkelein!
Es freut mich, daß Euch mein Christgeschenk Vergnügen ge-
macht hat; ich höre aber auch das ganze Jahr von Eurer lieben
Mutter, daß Ihr geschickte und gute Mädel seid. Bleibt so, ja,
werdet alle Tage noch besser, so wie Ihr größer werdet; folgt
Euern lieben Eltern, die es gewiß gut mit Euch meinen: so macht
Ihr uns allen Freude, und das ist denn gar hübsch, wenn für
alle Mühe, die Eure Erziehung kostet, Eure Eltern, Großmutter
und übrigen Freunde Freude an Euch haben! — Ihr müßt den
Bruder Eduard jetzt hübsch laufen lernen, damit, wenn das Früh-
jahr kommt, er mit Euch im Garten herumspringen kann. Das
wird ein Spaß werden! Wenn ich bei Euch wäre, lehrte ich Euch
allerlei Spiele, als Wöge! verkaufen,' <Tnchdiebes,' 'Pvtzschimper
Potzschemper' imb noch viele andere; es ist für Kinder gar lustig,
und Ihr wißt ja, daß die Großmutter gern lustig ist und gerne
lustig macht.
Nun, Gott erhalte Euch in diesem Jahre gesund, vergnügt
und munter; das wird von Herzen freuen
Eure
treue Euch liebende Großmutter
Elisabeth Goethe.
123
134.
Das Hahnenfchlagen.
^ Bon Lvhr.
Plaudereien, herauSg. von Vilmar. Mark. u. Leipzig. 1650. Il, 107.
Herr Steinhorst erhielt mit seiner Familie von seinem Bruder
eine Einladung aufs Land. 'Ich will meinen Lellten ein Fest geben/
sagte er, 'ein Hahnenschlagen, aus der großen Wiese; die Leute
haben mir fleißig gearbeitet!'
Steinhorst's Kinder wußten nicht, was ein Hahnenschlagen sei,
und baten den Onkel um Erklärung. 'Kommt nur/ sagte der
Onkel, 'ihr werdet cs sehen!'
Die Kinder sahen es. An dem bestimmten Tage waren sie
mit ihren Eltern beim Onkel.
Der Onkel führte, sie alle ans eine große Wiese, die ringsum-
her mit Weidcnbäumen umpflanzt war. Hier waren viele junge
Ballersleute versammelt unter den Bäumen und hatten ihre besten
Kleider unb Jacken an. Vor den Bäumen war eine junge grüne
Tanne in die Erde gesteckt. Der Wipfel war mit einem großen
seidnen Tuche behängt, und die Zweige mit rothen und grünen
Bändern geputzt. Am Fuß der Tanne lag ein Dreschflegel, und
ihr gegenüber, in einer Entfernung von hundert Schritten etwa,
stand ein großer Topf ans einem Brette.
Die Kinder wußten nicht, was das werden sollte. 'Onkel, was
soll der Topf?' fragen sie. — 'Da steckt eben der Hahn/ antwortet
der Onkel; 'wer den Hahn mit dem Dreschflegel trifft, der be-
kommt das Tuch und die Bänder um die Tanne.'
'O der arme Hahn!' rufen die Kinder, 'da wird er ja todt
geschlagen!'
Die Kinder bitten den Onkel, er solle den Hahn herauslassen,
es wäre ja gut genug, wenn der Topf getroffen würde — es sei
das kein hübsches Spiel!
'Laßt-ihr den Hahn nur/ antwortet der Onkel, 'es wird ihm
wohl nicht viel geschehen, außer daß er ein wenig Angst aus-
stehen muß.'
Die Kinder errathen nicht, wie das zugehen soll, und zittern
für den Hahn. Indessen geht das Spiel an.
Ein junger Bauer wird vorgeführt, und nun werden ihm die
Augen verbunden, und der Dreschflegel wird ihm in die Hand gegeben.
Er geht tanzend auf die Gegelld zu, wo der Topf stand, und die
Musikanten, die unter den Weidenbäumen mit Hörnern und Geigen
stehen, spielen dazu.
Jetzt sahen erst die Kinder, worauf es bei diesem Spiele an-
kam; denn sie hatten nicht gedacht, daß die Augen würden ver-
> bunden werden.
Der junge Baller gieng anfangs in gerader Richtung auf den
124
Topf zu; aber er verlor diese Richtung bald und kam weit links
ab und weit über den Topf hinaus. Da blieb er still stehen, hob
den Dreschflegel hoch auf und that einen gewaltigen Schlag —
auf den Nasen. Die Mustk hörte gleich nach dem Schlage auf,
und von allen Seiten erhoben die Zuschauer ein lautes Gelächter.
Es wurde ein anderer vorgeführt. Die Augen wurden ver-
bunden, der Dreschflegel wurde in die Hand gegeben; die Musik gieng
an, und der Mensch gieng auf den Topf los, schlug und — traf
ebenfalls den Rasen, und wie er das Tuch von den Augen riß,
fand er, daß er zwanzig Schritte zu weit rechts war.
Die Musik schwieg stille, und das Gelächter erhob sich anstatt
derselben.
Achtzehn junge Bauersleute wurdeu auf diese Weise vorge-
führt, und alle achtzehn fehlten: der eine kam weit über die
Stelle des Topfs hinaus, der andere war lange noch nicht daran;
dieser war zu viel rechts, ein anderer zu viel links, und manche
waren so ziemlich im Kreise herumgegangen und standen mit dem
Gesicht wieder nach den Weiden zu, von welchen sie ausgegangen
waren. Alle schlugen fehl, und wie sie geschlagen hatten, so fehlte
fast niemals das Gelächter; nur bei denjenigen war es etwas
schwächer, die nur um einen oder zwei Schritte gefehlt hatten. —
Gerade bei diesen war den Kindern um den Hahn am meisten
bange gewesen.
Mer bekömmt nun das Tuch und die Bänder?' fragten die
Kinder. Moch keiner!' antwortete der Onkel; ‘e3 geht nun wieder
von neuem an, und es kann wohl noch zwei-, dreimal so gehen!'
Jetzt kam ein Mensch, der vorher nicht mitgeschlagen hatte;
er hatte eine Schürze vor unb hatte bisher Kuchen und Bier unter
die jungen Leute ausgetheilt: es war der Aufwärter, der dafür
sorgen mußte, daß es an nichts fehle.
Die Augen hatte er sich verbunden und den Dreschsiegel ge-
nommen. Er gieng gerade auf den Topf los, aber es gieng keine
Munk dabei. — Er war dicht am Topfe; — er hob den Flegel
in die Höhe, die Kinder zitterten für das Leben des Hahns! Aber
plötzlich wandte sich der Mann, lind die Kinder erholten sich von
ihrer Angst; — jedoch wie viel fürchteten sie mehr, da sie sahen,
daß er mit seinem hoch aufgehobenen Flegel dicht vor den Zu-
schauern stand und eben zuschlagen wollte!
Die Kinder wollten laut aufschreien und konnten nur vor
Schrecken nicht; denn eben schlug er zu und traf glücklicherweise
niemand.
<Sind das Leute?' rief eins von den Kindern, das am ersten
wieder so viel Athem bekam, um sprechen zu können. ^Die Lmte
gehen nicht einmal weg; — wenn sie der Mensch nun getroffen
hätte!'
Merkst tu es denn nicht,' sagte der Onkel, Kaß das bloß Spaß
125
war? Dieser Mann schlägt gar nicht mit und kannte hinter
seinem Tuche ganz gnt sehen. — Jetzt aber wird cs gleich wieder
von vorne angehen?
Es gieng and) wirklich wieder an, und es gieng fast ebenso,
wie das erstemal; die meisten kamen weit von der Stelle ab, wo
der Topf stand. — Die Kinder glaubten schon, es würde niemand
den Topf treffen, und freuten sich heimlich darüber; denn da könne
dem Hahn doch nichts zu Leide geschehen.
Jetzt kam einer, — er schien recht weit von der Gegend des
Topfs hinweg zu gehen; aber plötzlich wandte er sich, gieng gerade
auf den Topf zu, hob den Flegel und' schlug, und der Topf krachte
unb lag in Scherben zertrümmert. — Die Zuschauer jauchzten!
Die Kinder hatten gezittert, jetzt meinten sie, sei der Hahn
ohne Rettung verloren; sie wunderten sich darum um so mehr, da
sie keinen Hahn sahen.
‘Wo ist denn der Hahn?' fragten sie den Onkel; aber sie hatten
keine Antwort nöthig, denn eben kam eine Frau, hob das Brett
auf, auf welchem der Topf gestanden hatte, zog den Hahn unter
demselben hervor und streichelte und liebkosete das Thier.
‘Da hat er also in einem Loche gesteckt!' riefen freudig die
Kinder; ‘mm gefällt uns das Spiel noch einmal so schön!'
Das seidene Tuch wurde nun von der Tanne herabgenommcn
und dem, der so glücklich traf, auf die rechte Achsel gesteckt; die
Bänder schmückten die andere Achsel und den Hut.
Jetzt fieng ein Tanz an unter den Landleuten. Jünglinge
und Mädchen tanzten Paar unb Paar. Der, der den Preis ge-
wonnen hatte, voran, die übrigen hintendrein.
Die Musikanten spielten liistig, die Landleiite jauchzten, und
der Aufwärter gab fleißig Kuchen und Bier herum.
135.
Der h a h n e n k a m p f.
von den brüdern Grimm,
deutsche sagen. Berlin 1816 u. 1818. II, 104'
Zu einer zeit kam Karl der grosze auf sein sclilosz bei
Kempten zu seiner gemahlin Hildegard, als sie nun eines tages
über tische saszen und mancherlei von der vorfahren regierung
redeten, während ihre söhne Pipin, Karl und Ludwig darneben
standen, hub Pipin an und sprach: ‘mutter, wann einmal der
vater im himmel ist, werde ich dann könig?’ Karl aber wandte
sich zum vater und sagte: ‘nicht Pipin, sondern ich folge dir nach
im reich.’ Ludwig aber, der jüngste, bat beide eitern, dasz sie
ihn doch möchten lassen könig werden, als die kinder so stritten,
sprach die königin: ‘euren zwist wollen wir bald ausmachen; geht
126
hinab ins dorf und laszt euch jeder sich einen bahn von den bauern
geben.’ die knaben stiegen die bürg hinab mit ihrem lehrmeister
und den übrigen schillern und holten die bahne, hierauf sagte
Hildegard: ‘nun laszt die bahne auf einander los! wessen bahn im
kämpfe siegt, der soll könig werden.’ die vögel stritten, und Lud-
wigs bahn überwand die beiden andern, dieser Ludwig erlangte
auch wirklich nach seines vaters tode die herrschaft.
136.
Die Niesen und die Zwerge.
Bon Rückert.
©cf. Gedichte. Bd. III. 2. Ausl. Erlangen 1839. III, 480.
(§s gieng die Riesentochter, zu Haben einen Spaß,
Herab vom hohen Schlosse, wo Vater Riese saß.
Da fand sie in dein Thale die Ochsen und den Pflug,
Dahinter auch den Bauern, der schien ihr klein genug.
. Die Riesen und die Zwerge!
Pflug, Ochsen und den Bauern, es war ihr nicht zu groß,
Sie faßt's in ihre Schürze und trug's aufs Riesenschloß.
Da fragte Vater Riese: ‘Was hast du, Kind, gemacht?'
Sie sprach: ‘Ein schönes Spielzeug hab' ich mir hergebracht.'
Die Riesen und die Zwerge!
Der Vater sah's und sagte: ‘Das ist nicht gut, mein Kind!
Thu es zusammen wieder an seinen Ort geschwind.
Wenn nicht das Volk der Zwerge schafft mit dem Pflug im Thal,
So darben auf dem Berge die Niesen bei dem Mahl.'
Die Niesen und die Zwerge!
137.
Das riesenspielzeug.
von den brüdern Grimm,
deutsche sagen. Berlin 1816 u. 1818. I, 24.
Im Elsasz auf der bürg Nideek, die an einem hohen berg
bei einem wasserfall liegt, waren die ritter vorzeiten grosze riesen,
einmal gieng das riesenfräulein herab ins thal, wollte sehen, wie
es da unten wäre, und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem
wald gelegenes ackerfeld, das gerade von den bauern bestellt ward.
es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den pflüg, die
pferde und leute an, das ihr alles etwas neues war, ‘ei,’ sprach
sie und gieng herzu, ‘das nehm’ ich mir mit.’ da kniete sie nieder
zur erde, spreitete ihre schürze aus, strich mit der hand über das
seid, fieng alles zusammen und that’s hinein, nun lief sie ganz ver-
127
gnügt nach haus, den felsen hinaufspringend, wo der berg so jäh
ist, dasz ein mensch mühsam klettern musz, da that sie einen
schritt und war droben.
Der ritter sasz gerad am tisch, als sie eintrat, ‘ei, mein
kind,’ sprach er ‘was bringst du da? die freude schaut dir'ja aus
den äugen heraus.’ sie machte geschwind ihre schürze auf und
liesz ihn hineinblicken, ‘was hast du so zappeliges darin?’ ‘ei
vater, gar zu artiges spielding! so was schönes hab ich mein leb-
tag noch nicht gehabt.’ darauf nahm sie eins nach dem andern
heraus und stellte es auf den tisch: den pflüg, die bauern mit
ihren pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor
freude in die bände, wie sich das kleine wesen darauf hin und
her bewegte, der vater aber sprach: ‘kind, das ist kein Spielzeug,
da hast du was schönes angestiftet! geh nur gleich und trag’s
wieder hinab ins thal.’ das fräulein weinte, es half aber nichts,
‘mir ist der bauer kein Spielzeug,’ sagte der ritter ernsthaftig, ‘ich
leid’s nicht, dasz du mir murrst; kram alles sachte wieder ein und
trag’s an den nämlichen platz, wo du’s genommen hast, baut der
bauer nicht sein ackerfeld, so haben wir riesen auf unserm felsen-
nest nichts zu leben.’
138.
Dcr Spiklinaim.
Von Rückcrt.
Gesammelte Gedichte. Bd. I. 5. Ausl. Erlangen 1840. S. 491.
iöet Spielmann stimmt seine Geigen
Und spricht zu ihr:
‘Du sollst dein Kunststück zeigen,
Komm, geh mit mir!'
Der Spielmann geht mit ihr vor ein Schloß;
’S ist Nacht, der Spielmann sidelt drauf los.
Der Spielmann sagt: ‘'S ist nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
Vor dem Schloß ist ein Garten,
Mit Bäum' und Pflanzen;
Die können die Zeit nicht erwarten
Zu tanzen.
Der Spielmann fidelt vor dem Schloß,
Die Bäume tanzen alle drauf los.
Der Spielmann spricht: ‘'S ist nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
Im Garten ist ein Weiher,
Darin sind Fisch';
Die hören auf das Geleier
Und tanzen frisch.
1 ‘28
Der Spielmann sidelt vor dem Schloß,
Die Bäum' und die Fische tanzen drauf los.
Der Spielmann spricht: "S ist noch nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
Im Schlosse drin sind Mäuse,
Der Spielmaitu spielt auf,
Die Mäuse hören leise,
Sie wachen auf.
Der Spielmann sidelt vor dem Schloß;
Bäume, Fisch' und Mäuse tanzen draus los.
Der Spielmann spricht: "S ist noch nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
Im Schloß sind Tisch' und Bänke,
Die werden wach,
Sie kommen aus dem Gelenke
Und tanzen nach.
Der Spielmann sidelt vor dem Schloß;
Bäume, Fische, Mäuse, Bänke tanzen drauf los.
Der Spielmann spricht: "S ist noch nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
'Sind denn keine Menschen vorhanden?'
Der Spielmann spricht:
'Ich spiele mich schier zu Schanden,
Sie hören nicht.
Bäume, Fische, Mäuse, Bänke tanzen drauf los.
Wollen die Menschen nicht aus dem Schloß?'
Der Spielmann spricht: "S ist noch nicht genug,
Ich muß fideln noch einen Zug.'
Da wird das Schloß auf einmal ganz
Lebendig,
Es stellt sich auf die Spitz' und tanzt
Unbändig.
Der Spielmann spielt, es tanzt das Schloß,
Die Menschen schlafen noch immer drauf los.
Der Spielmann spricht: "S ist noch nicht genug.
Ich muß sideln noch einen Zug.'
Da tanzt das Schloß, bis in Stücken cs geht
Mit Krachen;
Nun hören cs endlich die Menschen im Bett
Und erwachen;
Sie hören den Spielmann spielen vorm Schloß
Und tanzen nun auch mit dem andern Troß.
Der Spielmann spricht: 'Nun ist es genug;
Doch will ich fideln noch einen Zug.'
Warum denn noch einen?
'Wegen des Männleins in der Gans.'
Muß das auch an den Tanz?
'Wird gleich erscheinen.'
129
139.
Das Männlein in der Gans.
Von Rückcrt.
Gesammelte Gedichte. Bd. I. 5. Äusl. Erlangen 1810. S. 194.
Ha8 Männlein gieng spazieren einmal
Auf dem Dach; ei seht doch!
Das Mannlein i.st hurtig, das Dach ist schmal,
Gieb Acht, es fällt noch.
Eh fich's versieht, fallt's vom Dach herunter
Und brickt den Hals nicht; das ist ein Wunder.
Unter dem Dach steht ein Wasserzuber,
Hinein fällt's nicht schlecht;
Da wird es naß über und über,
Ei, das geschieht ihm recht.
Da kommt die Gans gelaufen,
Die wird's Männlein saufen.
Die Gans hat's Männlein 'nuntergeschluckt,
Sie hat einen guten Magen;
Aber das Männlein hat sie doch gedruckt,
Das wollt' ich sagen.
Da schreit die Gans ganz jämmerlich;
Das ist der Köchin ärgerlich.
Die Köchin wetzt das Messer,
Sonst schneidt's ja nicht:
‘■Die Gans schreit so, es ist nicht besser,
Als daß man sie sticht;
Wir wollen sie nehmen und schlachten
Zum Braten auf Weihnachten.'
Sie rupft die Gans und nimmt sie aus
Und brat sie;
Aber das Männlein darf nicht 'raus,
Versteht sich.
Die Gans wird eben gebraten;
Was kann's dem Männlein schaden?
Weihnachten kommt die Gans auf den Tisch
Im Pfännlein;
Der Vater thut sie 'raus und zerschneid't sie frisch.
Und das Männlein?
Wie die Gans ist zerschnitten,
Kriecht's Männlein aus der Mitten.
Da springt der Vater vom Tisch auf,
Da wird der Stuhl leer;
Da setzt das Männlein sich drauf
Und macht sich über die Gans her.
Es sagt: 'Du hast mich gefressen,
Jetzt will ich dafür dich essen.'
Colshorn u. Gödeke's Lesebuch I.
9
130
Da ißt das Männlein gewaltig drauf los,
Als wären's seiner sieben;
Da essen wir alle dem Männlein zuin Trotz,
Da ist nichts über geblieben
Von der ganzen Gans, als ein Tätzlein,
Das friegelt dort hinten die Kätzlein.
Nichts kriegt die Mans,
Das Märlein ist aus.
Was ist denn das?
Ein Weihnachtsspaß;
Aufs Neujahr lernst
Du, was?
Den Ernst.
140.
Daumesdick.
von den brüdern Grimm.
märeben 7. aufl. Göttingen 1857. I, 194.
t'
/s war ein armer bauersmann, der sasz abends beim berd
und schürte das feuer, und die frau sasz und spann, da sprach
er: ‘wie ist’s so traurig, dasz wir keine kinder haben! es ist so
still bei uns, und in den andern häusern ist’s so laut und lustig/
‘ja,’ antwortete die frau und seufzte, ‘wenn’s nur ein einziges wäre,
und wenn’s auch ganz klein wäre, nur daumens grosz, so wollt’
ich schon zufrieden sein; wir hätten’s doch von herzen lieb.’ nun
geschah es, dasz die frau ein kind gebar, das zwar an allen
gliedern vollkommen, aber nicht länger als ein daumen war. da
sprachen sie: ‘es ist, wie wir es gewünscht haben, und es soll un-
ser liebes kind sein,’ und nannten es nach seiner gestaltDaumesdiek.
sie lieszen’s nicht an nahrung fehlen, aber das kind ward nicht
gröszer, sondern blieb, wie es in der ersten stunde gewesen war;
doch schaute es verständig aus den äugen und zeigte sich bald
als ein kluges und behendes ding, dem alles glückte, was es
anfieng.
Der bauer machte sich eines tages fertig, in den wald zu
gehen und holz zu fällen; da sprach er so vor sich hin: ‘nun
wollt’ ich, dasz einer da wäre, der mir den wagen nachbrächte,
‘o vater,’ rief Daumesdick, ‘den wagen will ich schon bringen,
verlaszt euch drauf, er soll zur bestimmten zeit im walde sein.’
da lachte der mann und sprach: ‘wie sollte das zugehen; du bist
viel zu klein, um das pferd mit dem zügel zu leiten.’ ‘das thut
nichts, vater, wenn nur die mutter anspannen will; ich setze mich
dem pferd ins ohr und rufe ihm zu, wie es gehen soll.’ ‘nun,’
antwortete der vater, ‘einmal wollen wir’s versuchen.’ als die
stunde kam, spannte die mutter an und setzte Daumesdick ins
131
ohr des pferdes, und dann rief der kleine, wie das pferd gehen
sollte, ‘jüh und joh! hott und har!’ da gieng es ganz ordentlich
als wie bei einem meister, und der wagen fuhr den rechten weg
nach dem walde. es trug sich zu, als er eben um eine ecke bog,
und der kleine ‘har, har!’ rief, dasz zwei fremde männer daher
kamen, ‘mein,’ sprach der eine, ‘was ist das? da fährt ein wagen,
und ein fuhrmann ruft dem pferde zu und ist doch nicht zu sehen.’
‘das geht nicht mit rechten dingen zu,’ sagte der andere, ‘wir
wollen dem karren folgen und sehen, wo er anhält.’ der wagen
aber fuhr vollends in den wald hinein und richtig zu dem platze,
wo das holz gehauen ward, als Daumesdick seinen vater erblickte,
rief er ihm zu: ‘siehst du, vater, da bin ich mit dem wagen, nun
hol mich herunter.4 der vater faszte das pferd mit der linken und
holte mit der rechten sein söhnlein aus dem ohr, das sich ganz
lustig auf einen Strohhalm niedersetzte, als die beiden fremden
männer den Daumesdick erblickten, wuszten sie nicht, was sie vor
Verwunderung sagen sollten, da nahm der eine den andern beiseit
und sprach: ‘hör, der kleine kerl könnte unser glück machen,
wenn wir ihn in einer groszen stadt für geld sehen lieszen; wir
wollen ihn kaufen.’ sie giengen zu dem bauer und sprachen:
‘verkauft uns den kleinen mann, er soll’s gut bei uns haben.’
‘nein,’ antwortete der vater, ‘es ist mein herzblatt und ist mir für
alles gold in der weit nicht feil.’ Daumesdick aber, als er von
dem handel gehört, war an den rockfalten seines vaters hinauf
gekrochen, stellte sich ihm auf die Schulter und wisperte ihm ins
ohr: ‘vater, gieb mich nur hin, ich will schon wieder zurückkom-
men.’ da gab ihn der vater für ein schönes stück geld den beiden
männern hin. ‘wo willst du sitzen?’ sprachen sie zu ihm. ‘ach, setzt
mich nur auf den rand von eurem hüt, da kann ich auf und ab
spazieren und die gegend betrachten und falle doch nicht herunter.’
sie thaten ihm den willen, und als Daumesdick abschied von seinem
vater genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort, so giengen
sie, bis es dämmerig ward; da sprach der kleine: ‘hebt mich ein-
mal herunter, es ist nöthig.” der mann nahm den hüt ab und
setzte den kleinen auf einen acker am weg ; da sprang und kroch
er ein wenig zwischen den schollen hin und her, dann schlüpfte
er plötzlich in ein mausloch, das er sich ausgesucht hatte, ‘guten
abend, ihr herren, geht nur ohne mich heim,’ rief er ihnen zu
und lachte sie aus. sie liefen herbei und stachen mit stocken in
das mausloch, aber das war vergebliche mühe: Daumesdick kroch
immer weiter zurück, und da es bald ganz dunkel ward, so muszten
sie mit ärger und mit leerem beutel wieder heim wandern.
Als Daumesdick merkte, dasz sie fort waren, kroch er aus
dem unterirdischen gang wieder hervor, ‘es ist auf dem acker in
der finsternis so gefährlich gehen,’ sprach er, ‘wie leicht bricht
einer hals und bein!’ zum glück stiesz er an ein leeres schnecken-
9*
132
haus, ‘gottlob,’ sagte er, ‘da kann ich die nacht sicher zubringen,’
und setzte sich hinein, nicht laug, als er eben einschlafen wollte,
so hörte er zwei männer vorüber gehen, davon sprach der eine:
‘wie wir’s nur anfangen, um dem reichen pfarrer sein geld und
sein silber zu holen?’ ‘das könnt’ ich dir sagen,’ rief Daumesdick
dazwischen. ‘was war das?’ sprach der eine dich erschrocken,
‘ich hörte jemand sprechen.’ sie blieben stehen und horchten; da
sprach Daumesdick wieder: ‘nehmt mich mit, so will ich euch
helfen.’ ‘wo bist du denn?’ ‘sucht nur auf der erde, und merkt,
wo die stimme herkommt,’ antwortete er. da fanden ihn endlich
die diebe und hoben ihn in die höhe. ‘du kleiner wicht, was
willst du uns helfen!’ sprachen sie. ‘seht,’ antwortete er, ‘ich
krieche zwischen den eisenstäbeu in die kammer des pfarrers und
reiche euch heraus, was ihr haben wollt.’ ‘wohlan,’ sagten sie,
‘wir wollen sehen, was du kannst.’ als sie bei dem pfarrhaus kamen,
kroch Daumesdick in die kammer, schrie aber gleich aus leibes-
kräften: ‘wollt ihr alles haben, was hier ist?’ die diebe erschraken
und sagten: ‘so sprich doch leise, damit niemand aufwacht.’ aber
Daumesdick that, als hätte er sie nicht verstanden, und schrie
von neuem: ‘was wollt ihr? wollt ihr alles haben, was hier ist?’
das hörte die köchin, die in der stube daran schlief, richtete sich
im bette auf und horchte, die diebe aber waren vor schrecken
ein stück wegs zurück gelaufen; endlich faszten sie wieder muth
und dachten: ‘der kleine kerl will uns necken.’ sie kamen zurück
und flüsterten ihm zu : ‘nun mach ernst, und reich uns etwas heraus.’
da schrie Daumesdick noch einmal, so laut er konnte: ‘ich will
euch ja alles gebep, reicht nur die bände herein.’ das hörte die
horchende magd ganz deutlich, sprang aus dem bett und stolperte zur
thür herein, die diebe liefen fort und rannten, als wäre der wilde
jäger hinter ihnen; die magd aber, als sie nichts bemerken konnte,
gieng ein licht anzuzünden, wie sie damit herbei kam, machte
sich Daumesdick, ohne dasz er gesehen wurde, hinaus in die
scheune; die magd aber, nachdem sie alle winkel durchgesucht
und nichts gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu bett und
glaubte, sie hätte mit offenen äugen und obren doch nur geträumt.
Daumesdick war in den heuhälmchen herumgeklettert und
hatte einen schönen platz zum schlafen gefunden; da wollte er sich
ausruhen, bis es tag wäre, und dann zu seinen eitern wieder heim
gehen, aber er muszte andere dinge erfahren! ja, es giebt viel
trübsal und noth auf der weit! die magd stieg, als der tag graute,
schon aus dem bett, um das vieh zu füttern, ihr erster gang war
in die scheune, wo sie einen arm voll heu packte, und gerade
dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief, er schlief
aber so fest, dasz er nichts gewar ward und nicht eher aufwachte,
als bis er in dem maul der kuh war, die ihn mit dem heu auf-
gerafft hatte, ‘ach gott,’ rief er, ‘wie bin ich in die Walkmühle
133
gerathen!’ merkte aber bald, wo er war. da hiess es aufpassen,
dass er nicht zwischen die zähne kam und zermalmt ward, und
hernach musste er doch mit in den magen hinabrutschen, ‘in dem
stübchen sind die fenster vergessen,’ sprach er, ‘und scheint keine
sonne hinein; ein licht wird auch nicht gebracht.’ überhaupt
gefiel ihm das quartier schlecht, und was das schlimmste war, es
kam immer mehr neues heu zur thüre hinein, und der platz ward
immer enger, da rief er endlich in der angst, so laut er konnte :
‘bringt mir kein frisch futter mehr, bringt mir kein frisch futter
mehr!’ die magd melkte gerade die kuh, und als sie sprechen
hörte, ohne jemand zu sehen, und es dieselbe stimme war, die sie
auch in der nacht gehört hatte, erschrak sie so, dass sie von
ihrem stühlchen herabglischte und die milch verschüttete, sie lief
in der grössten hast zu ihrem heim und rief: ‘ach gott, herr
pfarrer, die kuh hat geredet.’ ‘du bist verrückt,’ antwortete der
pfarrer, gieng aber doch selbst in den stall und wollte nachsehen,
was es da gäbe. kaum aber hatte er den fusz hineingesetzt, so
rief Daumesdick aufs neue: ‘bringt mir kein frisch futter mehr,
bringt mir kein frisch futter mehr!’ da erschrak der pfarrer selbst,
meinte, es wäre ein böser geist in die kuh gefahren, und hiess sie
todten, sie ward geschlachtet, der magen aber, worin Daumesdick
steckte, auf den mist geworfen. Daumesdick hatte grosse mühe,
sich hindurch zu arbeiten, doch brachte er es so weit, dass er
platz bekam; aber als er eben sein haupt herausstrecken wollte,
kam ein neues Unglück, ein hungriger wolf lief heran und ver-
schlang den ganzen magen mit einem schluck. Daumesdick verlor
den muth nicht; ‘vielleicht,’ dachte er, ‘lässt der wolf mit sich
reden,’ und rief ihm aus dem wanste zu: ‘lieber wolf, ich weiss
dir einen herrlichen frasz.’ ‘wo ist der zu holen?’ sprach der
wolf. ‘in dem und dem haus, da musst du durch die gösse hin-
einkriechen und wirst kuchen, speck und wurst finden, so viel du
essen willst,’ und beschrieb ihm genau seines vaters haus. der
wolf liess sich das nicht zweimal sagen, drängte sich in der
nacht zur gösse hinein und frasz in der vorrathskammer nach
herzenslust. als er sich gesättigt hatte, wollte er wieder fort;
aber er war so dick geworden, dass er denselben weg nicht wieder
hinaus konnte. darauf hatte Daumesdick gerechnet und fieng
nun an, in dem leibe des wolfs einen gewaltigen lärm zu machen,
tobte und schrie, was er konnte, ‘willst du stille sein,’ sprach der
wolf, ‘du weckst die leute auf.’ ‘ei was,’ antwortete der kleine,
‘du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig machen,’
und fieng von neuem an, aus allen kr ästen zu schreien, davon
erwachte endlich sein vater und seine mutter, liefen an die kammer
und schauten durch die spalte hinein, wie sie sahen, dass ein wolf
darin hauste, liefen sie davon, und der mann holte die axt, und die
frau die sense. ‘bleib dahinten,’ sprach der mann, als sie in die
134
kammer traten, ‘wenn ich ihm einen schlag gegeben habe, und er
davon noch nicht todt ist, so muszt du auf ihn einhauen und ihm
den leib zerschneiden.’ da hörte Daumesdick die stimme seines
vaters und rief: ‘lieber vater, ich bin hier, ich stecke im leibe
des wolfs.’ sprach der vater voller freuden: ‘gottlob, unser liebes
kind hat sich wieder gefunden,’ und hiesz die frau die sense weg-
thun, damit Daumesdick nicht beschädigt würde, danach holte er
aus und schlug dem wolf einen schlag auf den köpf, dasz er todt
niederstürzte; dann suchten sie messer und schere, schnitten ihm
den leib auf und zogen den kleinen wieder hervor, ‘ach,’ sprach
der vater, ‘was haben wir für sorge um dich ausgestanden!’ ‘ja,
vater, ich bin viel in der weit herumgekommen; gottlob, dasz ich
wieder frische luft schöpfe!’ ‘wo bist du denn all gewesen?’ ‘ach,
vater, ich war in einem mauseloch, in einer kuh bauch und in
eines wolfes wanst; nun bleib ich bei euch.’ ‘und wir verkaufen
dich um alle reichthümer der weit nicht wieder,’ sprachen die
eitern, herzten und küszten ihren lieben Daumesdick. sie gaben
ihm zu essen und trinken und lieszen ihm neue kleider machen,
denn die seinigen waren ihm auf der reise verdorben.
141.
H ü t ch f n.
Bon Kopisch.
Gedichte. Berlin 1836. S. 91. — Allerlei Geister. Berlin 1818. S. 111.
*Dch bin ein Geist und geh' herum und heiße mit Namen Hütchen;
Wer früh aufsteht und fleißig ist, bekommt von mir ein Gütchen!
Husch, hin und her,
Die Kreuz und Quer!
Die ganze Stadt ist ledern,
Liegt bis ans Ohr in Federn!
Doch horch, da klingt pink Pauk, pink pank bei einem Nagelschmiede,
Und seine Tochter singt dazu aus einem frommen Liede!
Gesegnet seid,
Ihr guten Leut'!
Wie fleißig beide sitzen!
Die Tochter klopfest Spitzen!
Nun macht der Schmied viel Nägel sich — die Stange nimmt kein Ende;-
Die Tochter mißt die Spitzen nach — o Wunder! auch kein Ende! —-
‘Seid fröhlich heut,
Ihr guten Leut';
Die Früh aufs segnet Hütchen
Mit seinem 3aub rrüthchen.’
135
142.
Die Zwerge im perl berge.
Don Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S- 168.
Vor langer, langer Zeit stand am Perlberge eine kleine Hütte,
und in der Hütte lebte ein fremder Mann mit seiner Frau und
einem Töchterlein. Rings um die Hütte lag auch ein großer
Garten mit vielen Obstbqumen; weil aber in dem Garten ein
tiefer Teich war, kam das Kind nur selten hinein. Einst gieng es
wieder gegen den Herbst, und die Äpfel und Birnen waren reif;
da sprach der Vater zu dem Töchterchen: 'Komm, wir wollen den
großen Birnbaum abkriegen? Während nun jener pstückte und
schüttelte, gieng das Kind aus der Gartenthür und stieg den Hügel
hinan; als die Eltern es vermißten, suchten sie cs im Teiche und
überall und suchten es den ganzen Tag, fanden es aber nicht.
Gegen Abend kehrte es heim und batte ein Stückchen Kuchen in
der Hand, von dem es eifrig aß. Als sie es fragten, wo cs ge-
wesen sei, antwortete es: 'Auf dem Berge, bei den kleinen Kin-
dern? Am folgenden Tage wollte der Vater einen großen Apfel-
baum abnehmen und gieng wieder mit der Tochter in den Garten.
^Diesmal aber soll sie dir nicht wieder entschlüpfen!' dachte er und
behielt sie lange sorgfältig im Auge; und sie entschlüpfte ihm doch
auf den Hügel. Auf dem Baume saßen nämlich mitten unter den
rothen Äpfeln viele weiße Blüten, und während er die betrachtete,
vergaß er des Kindleins. Wieder suchten sie es den ganzen Tag,
ohne es stnden zu können, und als es gegen Abend heimkehrte, hatte
es ein großes Stück Kuchen auf der Hand, das gab es den Eltern,
da es selber satt war; es hatte aber auch viele schöne Spielsachen,
die waren alle von Gold, und diese behielt es für sich selber und
nahm sie mit in sein kleines Bett. Aus ihre Frage, wo es gewesen
sei, antwortete es: 'Aus dem Berge, bei den kleinen Kindern?
Am folgenden Tage wollte der Vater Zwetschen schütteln und
nahm das Kind wieder mit; und diesmal hatte er besser Acht.
Zwar saß ein wunderschöner Vogel auf dem Baume und sang,
wie sonst fein Vogel singen konnte; der Vater aber ließ sich nicht
bethören: er hörte nicht weiter auf den Vogel, sondern sah auf
das Kind. Und als es au© dem Garten war, schlich er sachte
hinterher, und als es auf dem Hügel war, sah er, wie eine steine
Thür aufgethan wurde, aus der es Heller strahlte, als die Soniie.
Eben wollte das Kiiid eine feine Hand ergreifen, die hcrauslangte;
da faßte er es an unb schlug mit seiner Faust auf die Hand, daß
es drinnen schrie und jammerte. Nun setzte er sich auf die Knie
und schaute hinab, und welch eine Pracht! Ein großer Saal war
da unten, und zahllose Zwerge saßen an einer güldenen Tafel und
schmausteii aus güldeuem Geräth. 'Da ist das Gold billig!’ dachte
er, nahm das Kind auf den Arm und holte einen blanken Spaten,
136
grub mit demselben um die kleine Thür die Erde weg und stieg
hinab. Weil aber die Zwerge ihn jämmerlich durchbläneteu, eilte
er wüthend nach Hause und setzte einen Kessel voll Wasser auf
das Feuer, und als es siedend heiß war, goß er's von oben in
den Saal. Das war ein Gewinsel.da unten! In der Nacht
wurde es laut am Perlberge: die Zwerge zogen weg und zerstörten
ihrem Vertreter den Garten und die Felder. Die übrigen Leute
aber, die von den Zwergen viel Gutes genossen hatten, merkten
kaum den Abzug derselben, als sie herbeieilten und baten und
bettelten,, jene möchten bleiben. Das geschah nun freilich nicht;
doch ließen sich ein Schuster, ein Schneider, ein Schmied, ein
Bäcker und manche andere endlich bewegen, so lange zu bleiben,
bis die Menschen, für die sie bisher immer gearbeitet hatten, ihnen
die Künste abgelernt hätten. Aber die meisten konnten das Leben
auf Erden und die menschliche Kost nicht vertragen und starben
früh hinweg; einige machten sich bei Nacht und Nebel aus dem
Staube, und mir wenige hielten langer Stand, unter diesen der
Schmied, der hundertundsechzig Jahr alt wurde.
143.
Die Trommelmustk.
Von Kopisch.
Allerlei Geister. Berlin 1818. S. 69.
íjjanS Pumperfährtzur Stadt— hi!ho! — was kommtda aus dem Büschchen?
Klein Männchen kommt herausgeschwirrt so mrinter wie ein Fischchen:
'Wo fährst du hin?' 'ZurStadt, hi! ho!' 'Waswillst du da?' 'Waskaufen!'
'Was kaufst du denn?' 'Zur Hochzeit was!' 'Hei! wie die Pferde laufen!
Lad mich doch ein!' 'Das wär' mir recht!' 'Ich laß mich auch nicht lumpen,
Ich bring' dir dann zur Hochzeit mit von Gold einen großen Klumpen?
'Aha! brr, brr! steh, Schimmel, steh! Das wär' ja sehr manierlich!
Wie groß?' 'Wie dort dein dicker Kopf!' 'Das nenn' ich reputierlich!
Bring, Männlein, bring, und nicht zu spät; du bist mir sehr willkommen?
'Hans Pumper, noch eins! Was wird dazu für Tanzmusik genommen?'
'Die schönste Mlisik, die beste Musik soll um die Ohren klingen.
Ja Trommelmusik und Paukenmiisik: da wollen wir eins springen!'
'Wie schad! leb wobl!' 'Warum?' 'Leb wohl, nun mußt du mir's erlassen.
Was ich versprach: die Trommelmusik, die will für mich nicht passen!'
Da huscht es fort. — 'So komm doch nur!' 'Nein, nein, ich muß dir sagen:
Die grobe Musik, die Trommelmusik, die kaun ich nicht vertragen!'
144.
Die Zwerge im Erbsenfelde.
Von Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1851. S- 99.
Eni Bauer hatte ein Feld Erbsen, das wurde ihm jede Nacht
bestohlen unb zertreten; er mochte Wache stellen, so viel er wollte,
alles lvar vergebens. Eines Tages klagte er dies seinem Nachbar,
137
und der erwiderte-. 'Das thun gewiß die Zwerge! Mach einmal
ein langes Seil und zieh eS rings um das Erbsenfeld, dann
knalle Plötzlich mit der Peitsche und klappere und lärme; so eilen
sie fort, und dabei fällt gewiß dem eenen und dem andern die
Nebelkappe ab; dann kannst du sie sehen.' Der Bauer that noch
desselbigen Tages, wie der Nachbar gerathen hatte; und als er
des Nachts mit seinen Leuten knallte und klapperte und lärmte,
da stürzten die Zwerge Hals über Kopf aus dem Erbsenfelde, und
ber der Gelegenheit verloren mehrere von ihnen die Kappe vom
Kopf und wurden gefangen genommen. Sie bettelten und siebten,
der Bauer möge sie doch loslassen, er aber wollte iiicht hören;
da versprachen' sie ihm eiidlich ein ganzes Fuder Gold, er müsse
aber vor Sonnenaufgang kommen und es holen. Der Vorschlag
gefiel dem Bauern, iind er ließ sie los bis auf einen, welchen er
fragte: 'Wann geht denii eigentlich bei end) die Sonne auf?' Der
Zwerg wollte erst nicht Rede steheii; da er aber nicht aiiders fort
sollte, so antwortete er eiidlich: 'Um zwölf.' Der Bauer ließ ihn
los iliid sagte: 'Danke schöii! werde mich ziir rechten Zeit einsindeii!'
redete indes in den Wiiid; denn aiich der letzte Zwerg war gleich
den übrigen verschwiiiideii wie der Blitz. Niiii eilte der Baiier
mit den Knechten iiach Haus uub fuhr mit einem vierspännigen
Wagen hin nach dem Felsen, wo die Zwerge hausten. Als er
draußen anhielt, hörte er, ivie siedrinnen spielten liub dabei sangen:
'Dat is gut,
Dat is gut,
Dat dat Büerken dat nich weit,
Dat de Sunne üm twölwe upgeit!'
Der Bauer lachte, daß er's doch wlißte, imb pochte an. Sie
öffneten, und als er sich nun deiinoch zu rechter Zeit gemeldet
hatte, zeigten sie ihm ein abgeschundenes Pferd; das solle er auf-
laden und mitnehmen. Ärgerlich darüber, daß sie ihn angeführt
hätten, fluchte er und wollte es liegen lassen; doch besann er sich
und dachte: 'Sollst wenigstens ein Stück abhauen und deinen
Hunden geben!' Er that es; als er aber zu Hallst ankam und
die Hunde füttern wollte, da hatte er einen großen Goldklumpen
auf dem Wagen. Schnell fuhr er wieder hin, um das andere
auch zu holen; doch alles war verschwunden, Höhle und Pferd, und er
mußte leer nach Haus zurück, hatte indes immerhin so viel Gold,
als er mit seinen Kindern und Kindeskindern nur gebrauchen wollte.
Ein anderer Bauer hatte mit einem Zwerg den Bund gemacht,
daß der Bauer jeden Tag dem Zwerg eine dicke, volle Schote schnei-
den, der Zwerg dafür des Bauern Vieh fett machen wollte. Eine
Zeit lang gieng alles gilt. Einst aber mußte eine Magd die Schote
schileiden, und als diese den Zwerg auslachte, weil er die Schote
auf die Schulter warf und sie kaum tragen konnte, da erschien der
Zwerg nimmer wieder, imb das Vieh magerte ab und starb.
138
145.
Dlis Hklryeimännchen.
Von Kopisch.
Allerlei Geister. B.rlin 1818- S- 88.
war zu Köln es doch vordem
Mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul—man legte sich
Hinauf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,
Ehe man's gedacht,
Die Männlein und schwärmten
Und klappten und lärmten
Und rupften
Und zupften
Und hüpften und trabten
Und putzten und schabten —
Und eh' ein Faulpelz noch erwacht,
War all' sein Tagewerk — bereits
gemacht!
Die Zimmerleute streckten sich
Hin auf die Spän' und reckten sich;
Indessen kam die Geisterschar
Und sah, was da zu zimmern war:
Nahm Meißel und Beil
Uub die Säg' in Eil';
Sie sägt-n und stachen
Und hieben uitd brachen,
Berappten
Und kappten,
Visierten wie Falken
Und sehten die Balken;
Eh' sich's der Zimmermann versah —
Klapp, stand das ganze Haus — schon
fertig da!
Beim Bäckermeister war nicht Notb,
Die Heinzelmännchen backten Brot.
Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich —
Und ächzten daher
Mit den Säcken schwer
Und kneteten tüchtig
Und wogen es richtig
Und hoben
Und schoben
g Und fegten und backten
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im
Chor:
Da rückte schon das Brot, — das
neue, vor!
— Gedichte. Berlin 1836. D- 98.
Beim Fleischer gieng es just so zu:
Gesell und Bursche lag in Ruh.
Indessen kamen die Männlein her
Und hackten das Schwein die Kreuz
und Quer.
Das gieng so geschwind,
Wie die Mühl' im Wind:
Die klappten mit Beilen,
Die schnitzten an Speilen,
Die spülten,
Die wühlten
Und mengten und mischten
Und stopften und w.sel ten.
That der Gesell die Augen auf —
Wapp! hieng die Wurst da schon
im Ausverkauf!
Beim Schenken war cs so: es
trank
Der Küfer, bis er niedersank,
Am hohlen Fasse schlief er ein,
Die Männlein sorgten um den Wein
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
Und schwenkten
Und senkten
Und gossen und panschten
Und mengten und manschten.
Und eh' der Küfer noch erwacht —
War schon der Wein geschönt und fein
gemacht!
Einst hatt' ein Schneider große
Pein:
Der Staatsrock sollte fertig sein;
Warf hin das Zeug und legte sich
Hin auf das Ohr und pflegte sich.
Da schlüpften sie frisch
In den Schncidertisch
Und schnitten und rückten
Und liähten und stickten
Und faßten
Und paßten
Und strichen und guckten
Und zupften und ruckten.
Und eh' mein Schneiderlein erwacht —
139
War Bürgermeisters Rock bereits ge-
macht!
Neugierig war des Schneiders Weib
Und macht sich diesen Zeitvertreib:
Streut Erbsen hin die andre Nacht,
Die Heinzelmännchen kommen sacht;
Eins fahret nun aus,
Schlägt hin im Hans,
Die gleiten von Stu'en
Und plumpen in Kufen,
Die fallen
Mit Schallen,
Die lärmen und schreien
Und vermaledeten!
Sie springt hiitunrer auf den Schall
Mit Licht: husch, husch,husch, husch! —
verschwinden all !
O weh, nun sind sie alle fort,
Und keines ist mehr hier am Ort!
Man kann nicht mehr wie sonsten
ruhn,
Man mt,ß nein alles selber thun!
Ein jeder muß fein
Selbst fleißig sein
Und kratzen und schaben
Und rennen und traben
Und schniegeln
Und biege!«
Uitd klopfen und backen
Uitd kochen und backen.
Ach, daß es noch wie damals wär'!
Doch kommt die schöne Zeit nicht
wieder her!
146.
Zweig Lehnort.
Ben Colshorn. °
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S. 83.
Ein Bauer war ohne seine Schuld sehr heruntergekommen,
so daß er nicht mehr ein noch aus wußte; drum gierig er hin,
kaufte sich für seinen letzten Kreuzer einen Strick, lief damit in
den Wald und wollte sich am ersten besten Baume aufhängen.
Als er so au den Bäumen aufschaute, begegnete ihm ein kleiner
wohlgekleideter Zwerg und fragte ihn: "Was hast du denn im
Sinn, daß du immer so bedenklich an allen Bäumen aufsiehst?'
Der Bauer erzählte ihm sein Unglück, und daß er sich jetzt er-
hängen wolle; da aber trat der Zwerg zu ihm und sagte: 'Das
ist ein häßlicher Tod' Höre, ich will dir einige htindert Thaler
llehuen;'') arbeite dich damit durch, und wenn du wieder im
Wohlstände bist, bring mir das Geld wieder. Geh dann nur
dort in den Berg, klopfe dreimal an den Felsen und rufe dreimal
den Namen ^Lehnort;' so will ich herauskommen und dir das
Geld abnehmen.' Der Bauer voller Freude nahm das Geld mit
Tank an, gieng damit nach Hallst, arbeitete treu und fleißig und
brachte es in klirzer Zeit so weit, daß er nicht nur seine Schulden
abbezablte, sondern sogar in Wohlstand kam.
Als er das Geld, welches ihm der Zwerg geliehen, auch
wieder erübrigt hatte, gieng er in den Berg, klopfte dreimal an
den Felsen und rief mit fauter Stimme: 'Lehnort! Lehnort!
Lehuort!' Alsbald öffnete sich der Fels, ein kleines Männchen
kam heraus, und das sprach zu ihm: 'Lehnort ist gestorben ni d
hat vor seinem Tode bestimmt, wenn bu das Geld brächtest, so *)
*) leihen.
140
sollten wir es nicht annehmen, sondern es dw für immer schenken;
denn du habest immer so fleißig gearbeitet und seiest in allen
Dingen so treu gewesen.' Indem bas Männchen noch mit ibm
redete, sah er, wie sie Lehnort in einem gläsernen Sarge wegtrugen;
hinter dem Sarge gierigen lauter kleine Männchen mit' langen
schwarzen Röcken; auf dem Deckel saßen vier weiße Täubchen,
zwei zu den Häupten und zwei zu den Füßen; und der Fußboden
war von Moos, die Wände glänzten von lauter Gold und Edel-
steinen, und alles Hausgeräth war mit schwarzem Flor behängen.
Traurig darüber, daß er seinen Wohlthäter nicht mehr sprechen
konnte, gieng der Bauer nach Hause, lebte aber mit seiner Familie
glücklich und zufrieden, half manchem Nothleidenden, und alle
dankten dem Zwerge noch in seinem Grabe.
147.
Die Zwerge.
Von Strauß.
Gedichte. Bielefeld 1841. S. 198.
war die Zeit so lieblich, der Tag so froh uitd klar,
Als noch mit jedem Morgen der Zwerge bunte Schar
Stieg aus den Bergesklüsten herab in Wies und Feld!
Wie haben sie so traulich den Menschen sich gesellt!
Da schadete kein Regen, kein Hagel dem Getreid';
Die klugen Zwerge wußten's, sie schnitten's vor der Zeit.
Sie schafften in den Feldern, in Haus und Hof und Stall,
Und Menschen, Vieh und Früchte gediehen überall.
Da droben an der Wiese, noch steht der Ahorn da,
Wo man auf schwankem Aste die Zwerglein sitzen sah;
Dort saßen sie im Schatten, die kleinen Gesellen treu,
Wenn drunten die Mäher wandten das frische dust'ge Heu.
'S ist über Nacht geschehen, daß man zersägt den Ast;
Er hieng nur noch am Stamme, ihn hielt ein Streiflein Bast.
Arglos am Morgen kamen die Kleinen allzugleich;
Sie klommen auf den Ahorn und sprangen auf den Zweig.
Da ist der Bast gerissen, der Ast erkracht und fällt;
Die treuen Zwerglein stürzen gar jämmerlich ins Feld.
Wer mochte da sich freuen, der das mit angesehn?
Wer mochte da noch lachen? Und dennoch ist's geschehn.
Sie aber raffen eilig sich von dem Boden auf
Und heben Händ' und Stimmen erzürnt zum Himmel auf:
'O dort der blaue Hiinmel, wie ist er hoch und hehr,
Und o wie groß die Untreu! Heul' hier — und nimmermehr!'
So riefen sie und giengcn. Da ist die Zeit ergraut.
Es bringt nicht Heil noch Segen, was dort der Landmann baut;
Die Saaten hageln nieder, und Scheun' und Stall sind leer.
Die treuen Zwerge schieden und kehren nimmermehr.
141
14s.
Die Zwerge im Gübichenstein.
Von Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S- 73.
Vor alten Zeiten gab es einen Berg Gübichenstein, welcker
von Zwergen bewohnt wurde, und wenn Menschen hinaufstiegen,
vermochten sie nicht wieder herunterzukommen, sondern mußten
oben verhungern oder wurden, wenn sie eingeschlafen waren, des
Nachts ins Thal geworfen, wo sie dann ganz zerschmettert an-
kamen. Einst gieng der einzige Sohn eines Försters mit mehreren
seiner Freunde ans die Jagdz sie kamen ans dies und das zu
sprechen, unter anderem auch auf den Gübichenstein, und daß
daselbst schon so mancher sein Leben habe einbüßen müssen. Ter
Försterssvhn, der schon vielerwärts in der Welt gewesen war,
glaubte nicht an diese Geschichten und hatte große Lust, auch
einmal den Berg zu besteigen. Die Freunde riethen ihm ab, so
viel sie nur konnten, erzählten ihm von manchen Leuten, die ihren
Vorwitz hatten mit dem Leben bezahlen müssen, und setzten hinzu:
^Schone du.doch deines jungen Lebens, damit du deinem braven
Vater, der alles an dich gewandt hat, in seinem Alter hülfreich
zur Seite stehen kannst;' er aber antwortete: <Seid unbesorgt;
ich kann gut klettern und komme schon wieder berab.' Während
des kamen sie an den Gübichenstein, und aller Bitten und Vor-
stellungen ungeachtet erstieg der junge Försterssohn den Berg mit
leichter Mühe, und als er oben war, spottete er seiner Freunde:
^Jhr seid ja so klein wie Vögel und wie Mäuse, und ich bin so
groß, so groß!' Lange indes spottete er nicht; denn gleich nach-
her, als er wieder herunter wollte, fand er zu seinem und zu aller
Schrecken, daß er wie festgewurzelt war und sich nicht rühren
noch regen konnte. Das war ein Jammer! Dringend bat er
seine Freunde: ^Schießt mich herab, damit ich hier nicht verhungere
oder^nach langer Qual morgen früh zerschmettert unten liege!'
die Freunde konnten sich dazu kein Herz fassen und riefen ihm zu:
Wersuch doch alles Mögliche, um wieder loszukommen; dreh dich
nach links und nach rechts und nach allen Seiten, so wird es
doch gehen F Er versuchte auch alles; aber seine Kräfte reichten nicht
ans und wurden mit jedem Augenblick geringer und waren endlich
ganz dahin. Als es Abend wurde, und sie einander nur noch
hören, nicht aber mehr sehen konnten, bat er die Jagdgenossen:
"Begeht euch nach meinem Hause, theilt meinem armen Vater das
Vorgefallene mit und saget ihm, er habe mir immer nur Liebes
und Gutes erwiesen, so möge er denn kommen und mich herunter-
schießen, sobald der Mond aufgegangen; denn ich habe hier große
Angst und viele Schmerzen!'
Als die Trauerbotschaft an hen alten Förster kam, da jammerte
er und seufzte und weinte nach seinem einzigen Sohne, und er
142
betete zu Gott, er möge ihn doch nicht so allein in dieser Welt
gehen lassen, sondern ihm den geliebten Sohn noch einmal wieder
schenken. Weil er aber merkte, daß dies sein Bitten und Weh-
klagen vergeblich war, nahm er sein Gewehr von der Wand, lud
eine neue Kugel hinein und gieng in den Wald, dem Gübichensteine
zu. Anfänglich schien der Mond; bald aber erhob sich ein
fürchterliches Gewitter: die Blitze fahren links und rechts in die
Eichen, und der Donner brüllte ohne Unterlaß, und je näher der
Förster dem Berge kam, um so schauerlicher wurde das Unwetter.
Dicht beim Gübichenstein begegnete ihm ein eisgraues Männchen
mit einem langen weißen Bart; als das sein Jammern und
Klagen horte, fragte es ihn um die Ursache desselben. Der Förster
erwiderte: ‘Was hülfe es, wenn ich dir's sagte! Du könntest
mir doch nicht helfen.' Das Männchen schmunzelte und meinte,
das könne man doch immer nicht wissen, und hörte nicht eher ans
mit Quälen, als bis der alte Förster die Geschichte von seinem
Sohne erzählte, und wie derselbe stets so gehorsam gewesen, jetzt
aber seiner Lust gefolgt unh auf den Gübichenstein gestiegen sei;
‘nun stehe ich einsam und verlassen ans der Erde, wein einziger
Trost ist jetzt auch dahin!' Das Männchen war ganz gerührt,
als der alte brave Mann so jammerte, uiib sagte: ‘©ei ruhig;
vielleicht kann dem Sohne doch noch geholfen werden.' ‘Ach nein!'
entgegnete der Förster, ‘wir wissen es nur zu gut, Hülfe ist hier
nicht mehr zu erwarten; von dort oben ist noch niemand lebendig
zurückgekehrt! So will ich denn hin und den Sohn herunter-
schießen , damit er nicht verhungert oder nach langer Qual ins
Thal geworfen wird!' Sofort war das graue Männchen ver-
schwunden, und als der Förster am Gübichenstein ankam, blitzte
und donnerte es noch viel heftiger als zuvor, und im Schein der
Blitze sah er seinen Sohn, wie er hoch oben händeringend um
Hülfe ssehte. Der Vater rief ihn bei Namen, und als der Un-
glückliche die treue Stimme hörte, bat er um Vergebung für
seinen Ungehorsam und rief: ‘O schieß mich herab, mein Vater! o
schieß mich herab!' Der alte Förster vermochte kein Wort mehr hervor-
zubringen, die Besinnung vergieng ih>n, er legte an, wollte abdrük-
ken —; da plötzlich wurde er von allen Seiten und überall so heftig mit
Dornen gehauen und geschlagen, daß er nichts anfangen konnte,
sonderir unverrichteter Sache und blutig nach Hanse gehen nnißte.
Die Nacht brachte er mit Jammern und Weinen hin, und als er
am Morgen wieder hingieng, um zu sehen, was ans seinem Sohne
geworden sein möge, da fand er weder oben noch unten eine Spur
von ihm. Und er kehrte heim und härmte und grämte sich.
Der Sohn war aber noch einmal glücklich gerettet. Das
eisgraue Männchen war nämlich der Zwergkönig gewesen, und
dieser, gerührt von den Thränen des alten braven Försters, erstieg
mit mehreren seiner Unterthanen den Berg, gierig zum Försters-
143
söhn, der in Todesangst dastand, und sprach: 'Von Rechtswegen
müßte es dir so ergehen wie allen übrigen; doch mich dauert dein
armer Vater, und deshalb will ich dir für diesmal das Leben
schenken, wenn du mir versprichst, den Berg nie wieder zu betreten,
auch dafür zu sorgen/ daß keiner hier nach Falken oder sonstigen
Thieren schießt.' Der Försterssohn betheuerte eS, und nun gebot
der Zwergköilig einem seiner Diener: 'Tragt ihll unbeschädigt
hinunter.' Es geschah also, unb der Försterssohn wunderte sich
mir, wie ein so kleines Männchen, das noch llicht ein Viertel so
groß war wie er, ihn mit so lelchter Mühe hiiliinter tragen
könne; und er hatte sich noch nickt allsgewlliidert, da waren sie
schon unten- Weil es noch Nacht war, nahm ihn der Zwerg-
könig, mit in den gläsernen Berg. Hier war alles prächtig ans-
geschmückt: die wnnderschöllstell Teppiche bedeckten deil Fußboden,
die Wäilde waren von hellem Glas, in der SOtittc des Zimmers
stalld ein Glastisch, itnb die Betten waren von Moos; alles übrige
aber glänzte von Gold und Silber. Der Zwergkönig unterhielt
sich lailge mit dem Försterssohn, bat ihll nochmals, er möge doch
dafür sorgen, daß keiner auf seinen Berg oder in der Nähe des-
selben schieße; 'denn/ sagte er, 'wenn mail viel danach oder hier
in der Gegend schießt, so bröckelt immer etwas von dem Berge
ab, uild wenn der Berg ilicht mehr ist, so ist auch mein König-
reich llicht mehr; auch können wir ben Knall der Gewehre nicht
aushalten. Darum bin ich so strenge damit.' Jetzt klopfte der
Zwergkönig mit einem feinen Glasglöckchen an ben Tisch, da kamen
ganz fleine Zwerge, welche die Köche vorstellten, mit weißen
Schürzen und trugen die wohlschmeckendsten Speiseil auf den Tisch,
und Wein lind allerlei Getränke, unb als sie gegessen und ge-
trnnken batten, brachte ihn der Zwergköllig zli Bett. Hier schlief
er ruhig bis an ben Morgen; dann weckte jener ihn, gab ihm
viel Gold- rlild Silbersachen itnb sprach: 'Thue den Armen Gutes
ulld halte deill Versprecheil.'
Als der Försterssohn nach Hanse kam, fand er feinen Vater
in tiefer Betrübilis; aber ungemein groß war die Frelide, als er
den liebeil Sohn gefimb vor sich erblickte, unb auch die Freunde
jauchzten nnb sangen. Der Sohn erzählte nnn, wie er wieder
vom Berge gekommell sei, lind was er habe versprechen müssen;
llird er hielt Wort, nnb fein Vater und die Freunde waren dem
Zwergkönig allch gefällig; ebenso wurde die Försterei voil jetzt an
iloch nichr als vorher ein großer Segen für die Arnleil. Unb sie
lebten noch lange glücklich und vergnügt mit einailder, der Vater,
der Sohn nnb die Freunde, lind der alte Förster hatte an dem
jungen den bestell Trost lind die beste Stütze, und als bald her-
llach eine junge Försterin ins Hans kam, da hatte er eitel Frelide
und Wonne bis an seinen Tod.
144
149.
Des kleinen Volkes Neberfahrt.
Allerlei Geister.
'Ateh auf, steh auf! Es pocht
ans Haus!'
'Tipp tipp!' Wer mag das sein?'
Der alte Fährmann geht hinaus;
'Tipp tipp!' Wer mag das sein?'
Nichts sieht er, halb nur scheint der
Mond;
Die Sache dünkt ihn ungewohnt! —
Da flüstert es fein:
‘D Fährmann mein,
Wir sind ein winzig Völkelcin
Und haben Weib und Kindelein.
Fahr über uns, die Müh ist klein,
Und jedes zahlt sein Hellerlein;
Es lärmt zu sehr im Lande,
Wir wollen zum andern Strande!
'Unheimlich wird's an diesem Ort,
Es gellt hier zu viel Hammerschlag
Und schießt u. trommelt fort u. fort,
Die Glocken läuten Tag für Tag.' —
Der Fährmann steigt in seinen Kahn:
'Ich will euch fahren, kommt heran!
Werft ohne Betrug
Das Geld in den Krug!' —
O welchen Lärm vernahm er da,
Obwohl er nichts am Ufer sah;
Er wußte nicht, wie ihm geschah.
Es klang wie fern und war doch
nah,
Zehntausend kleine Stimmchen,
Biel feiner als die Jmmchen.
Der Schiffer ruft dem Knechte sein;
Er kommt. Die kleinen Wesen schrein:
'Zertritt uns nicht, wir sind so klein;'
Da mußt' er wohl behutsam sein!
Tück tück! siel's in den Krug hinab,
Wie jeder seinen Heller gab.
Pirr! trippelt's heran
Und stapft zum Kahn
Und ächzt wie mit Kisten und Kasten
schwer,
Rückt, drückt und schiebt sich hin und
her,
Weint, ruft und zankt sich überquer,
Es drängt und zwängt sich immer
mehr:
1848. S. 6b.
'Fahr ab, der Kahn will sinken.
Fort! eh' wie all' ertrinken!'
Der Schiffer stößt vom Ufer los,
Und als er jetzo drüben war,
Geht au das Schiff mit leichtem
Stoß.
'Auh!' schrie die ganze kleine Schar,
In Ohnmacht fiel da manche Frau,
Das hörte man am Ton genau.
Nun dappelt's hinaus
Mit Katz' und Maus,
Mit Kind und Kegel und Stuhl
und Tisch,
Mit Kisten und Kasten und Feder-
wisch.
Es war ein Lärmen und ein Gemisch
Von Ruf und Zank und Stillgezisch!
Nichts siehtman;doch amSchalle
Hört man, hinaus sind alle.
Noch holt er wieder neue Schar;
Die lärmt hinaus: er fährt zurück.
Als dreißigmal gefahren war.
Läßt nach im Krug das Tück, Tück,
Tück.
Er fährt den letzten Theil zum Strand;
Der Mond geht unter am Himmels-
rand,
Doch dunkelt es nicht;
Was glänzt so lickt?
Am Strand gehn tausend Lichter klein,
Wie von Jvhanniswürmelein.
Da rafft der Knecht am Uferrain
Erdboden in den Hut hinein,
Setzt auf und kann nun schauen
Die Männlein und die Frauen.
O, welche Wunder er nun sah:
Der ganze Strand war all bedeckt;
Sie liefen mit Laternchen da,
Von Gras und Blumen oft versteckt,
Und trugen Kindlein wunderhold
Und Edelstein und rothes Gold.
'Hei,' denket der Knecht,
'Das kommt mir recht!'
Und langt begierig aus dem Kahn
Am Uferrande weit hinan;
i
145
Da merket ihn ein kleiner Mann,
Der fängt ein Zeterschreien an!
Puh, puh! sind aus die Lichte,
Verschwunden alle Wichte!
Drauf flvg es her wie Erbsen klein:
Es mochten kleine Steinchen sein,
Die warfen sie mit großer Pein
Und ächzten mühsam hinterdrein!
'Es sprühet immer mehr wie toll!
Fort, fort von hier; der Kahn wird
voll!'
Sie wenden geschwind
Herum wie der Wind
Und stoßen eilig ab vom Land
Und fahren in Angst sich fest im Sand,
Bald rechter Hand, bald linker Hand,
Und immer ruft es nach vom Strand:
'Das Fliehn war euer Glücke,
Sonst kamt ihr nie zurücke!'
150.
ñie Zwerge im Schalks- und im Wohldenberge. H
Bon Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S. 114.
Der Schalksberg zwischen Ettenbüttel und Wilsche, nahe bei
Gilde an der Aller, ist jetzt ein kleiner Maulwurfshügel; früher
aber war er ein hoher und schlanker Berg, in welchem das Volk der
Zwerge hauste. Damals lebte hier noch kein Mensch, und das
gefiel den Zwergen; denn nun konnten sie ihr Wesen ungestört
treiben und über oder unter der Erde verweilen, wie's ihnen eben
behagte. Hub sie ließen sich's gar wohl sein, hatten alle Tage
Sonntag und mitten in der Woche Festtag, aßen und tranken,
spielten und tanzten; zu Zeiten indessen schmiedeten sie auch, und
noch jetzt finden sich häufig Schlacken von Steinkohlen, die sie
dabei verbraucht habeu. Als der erste Hirt in diese Gegend kam,
fand er rings um deu Berg nichts als Erbsenfeldcr, und von
innen ertönte unausgesetzt die lieblichste Musik; wenn jedoch seine
Schafe den Erbsenfeldern nahe kamen, fuhren sie jedesmal zu-
sammen, als wenn sie insgeheim gezwickt würden, und auch der
Hund sieng mehrmals zu schreien an und wollte nicht wieder in
die Nähe. Es zogen aber immer mehr Menschen hierher, legten
Dörfer an und trieben ihre Hantierung; dabei- kamen sie denn mit
den Zwergen sehr häufig in Berührung, die bald freundlich, bald
feindlich war, wie sich s eben machte. Vorzüglich grollten die
Unterirdischen über das laute Treiben der Menschen, und diese
hinwider über die vielen Diebstähle, die von jenen verübt wurden,
so daß ^es an Neckereien und ernsten Feindseligkeiten nicht fehlte.
Doch oftmals leisteten sie einander auch hülsreiche Hand, und wo
die Menschen gefällig gegen die Zwerge waren, zahlten's diese mit
rothem Golde. So war einmal eine arme fromme Dicnstmagd
mit der Reinigung des Hauses beschäftigt; als sie den Kehricht auf
den Schutthaufen werfen wollte, fand sie in der Schaufel einen
feinen Brief, der an sie gerichtet war. Sie stellte den Besen an
die Wand und las; und in dem Briefe wurde sie aufgefordert,
daß sie doch morgen bei einem Zwergkinde Gevatter stehen möge;
‘) In der Lüneburger Heide.
Colöhorn n. Gödeke's Lesebuch I.
10
146
es solle ihr Schade nicht sein. Sie wollte es nicht gern thun,
die Herrschaft aber erwiderte, sie dürfe es nicht abschlagen, denn
sonst gehe e8 ihr nicht gut. So gieng sie des Nachts hin, denn
aus die Zeit war sie bestellt; um zwölf öffnete sich der Berg, und
so beklommen sic gewesen war, so vergnügt wurde sie nun; denn
da unten war's gar prächtig, alles war eitel Gold, und alle waren
freundlich und gefällig gegen sie. Als sie dem Kinde einen Namen
gegeben hatten, legten sie's in eine goldene Wiege, und die Spiel-
leute mußten so lauge blasen, bis es wieder eingeschlafen war; als-
dann wurde aufs schönste gegessen und getrunken und hierauf bis
an den Morgen auf einer großen Wiese gesungen uttb getanzt.
Als sie müde waren, wollte das Mädchen wieder" nach Hause; die
Zwerge indes baten so lange, bis sie einwilligte, noch drei Tage
dazubleiben, und alle drei Tage war lauter Lust und Freude. Als
sie endlich heimgieng, beschenkten die Zwerge sie aufs reichste und
sagten, die goldene Wiege solle ihr für ewige Zeiten aufbewahrt
bleiben; nun öffneten sie den Berg und entließen sic. Die Magd
gieng nach Hause, nahm den Besen von der Wand, um aufs neue
die Diele zu fegen. Aber siehe! das Haus war ganz anders wor-
den während der drei Tage, die Diele war ganz anders, die Kühe
hatten andere Stimme und andere Farbe, auch ihr guter Schimmel
war fort, und als die Menschen kamen, kannte sie keinen, alle
hatten andere Sprache und andere Moden, und auch von ihr
wußte niemand; sie erzählte der Herrschaft alle Umstände, aber nie-
mand erinnerte sich derselben, und alle staunten sie an. Nun lebte
in Gilde ein alter Schäfer, der selber nicht wußte, >vie alt er war,
und kein Mensch wußte es; als der von dem Mädchen hörte, kam
er herüber itnö sagte aus, sein Großvater habe ihm erzählt, daß
zur Zeit, als dessen Vater klein gewesen, ein Mädchen zu den
Zwergen gegangen und nicht heimgekehrt sei; ^es müssen etwa drei-
hundert Jahre sein/ schloß er. In dem Augenblick war das
Mädcken ein steinaltes Mütterchen geworden, stel um nnö war
todt. ' Der Schalksberg ist jetzt fast ganz zerstört, die Zwerge sind
fortgezogen; aber die Wiege haben sie mit Gold angefüllt zurück-
gelassen. Schon viele haben nach ihr gesucht und gegraben, keiner
hat sie gefunden; einst jedoch wird ein Schweinehirt, der letzte
Verwandte der Magd, des Weges mit seiner Heerde treiben, eine
Sau wird die Wiege auswühlen, und der Hirt wird für einen
Theil des Goldes in Ettenbüttel eine Kirche mit einem Turme
bauen lassen, der größer sein wird, als der Andreasturm in Braun-
schweig, nämlich gerade so hoch, als der Schalksberg früher ge-
wesen ist; die goldene Wiege wird er dem Könige schenken und mit
dem übrigen Gelde gemächlich leben bis an seinen Tod.
Daß aber die Zwerge ausgezogen sind, hat seinen Grund im
folgenden. In der Heide umher wohnten viele Riesen, und wenn
diese sich schon mit den Menschen nicht gut stallen konnten, so
147
lebten sie mit den Zwergen erst recht wie Katze und Hund. Einst
hatten die Zwerge einen schlafenden Niesen geneckt itnb ihm in
jedes Nasloch einen großen Stein gesteckt. Als er davon er-
wachte, sah er eben noch, wie die Männchen in den Schalksberg
schlüpften. Eins, zwei, drei war er dort, konnte aber nicht hinein,
weil er zu groß war. Da blies er die Steine gegen den Berg,
daß derselbe zerbrach und weit umherstob, unb fortwährend blies
der Niese, bis der Berg verwehet war, und würde alle Zwerge
vernichtet haben, wenn mcht ein Gewitter gekommen wäre und ihn
getödtet hätte. Zn der nächsten Nacht kam ein granes Männchen
zu einem Fischer, der an der Aller wohnte und eben seine Netze
ausgespannt hatte, und fragte ihn, ob er in der folgenden Nacht
wohl mit seinem Kahne dicht beim Schalksberge über den Fluß
hin- und herfahren wolle; es solle sein Schade nicht sein. Der
Fischer verwunderte sich zwar über das Ansinnen, willigte aber
doch endlich ein und war in der nächsten stacht mit seinem Kahne
am Schalksberge. Das graue Männchen war schon dort, sprang
in den Kahn, und mit ihm huschte es vom User ins Fahrzeug,
bis dasselbe fast sinken wollte. Da mußte der Schiffer überfahren
und gleich wieder leer zurück; so gieug es bis zur Morgendämme-
rung: der Kahn war hinüber stets voll bis zum Sinken, und der
Fischer sah doch nichts als das eine graue Männchen; nur hörte
er hüben und drüben und neben sich ein leises Gesumme und Ge-
pluster. Als eben die Sonne aufgehen wollte, sprach das Männchen,
welches der Zwergkönig selber war: 'Jetzt ist's genug; dein Lohn
liegt im Kahne. Willst du nun wissen, was du übergefahren hast,
so steh über meine linke Schulter.' Der Fischer that es und er-
blickte die große Wiese ganz voll kleiner Kerlchen, welche mit aller-
hand beladen waren und die Richtung nach dem Wohldenberge
eingeschlagen hatten , der etwa zwei Stunden von dort entfernt
ist. Als jetzt die Sonne aufgieng, sah der Fischer plötzlich nichts
mehr; die Zwerge waren weg, und ihr König war auch verschwun-
den. Als jener in seinen Kahn stieg, lag in der einen Ecke
ein großer Haufen ausgebrannter Kohlen; erzürnt über das schnöde
Fährgeld, warf er sie in die Aller und erzählte seiner Frau die
ganze Geschichte. Diese aber, klüger als er, antwortete: 'Die
hättest du nicht wergwerfen sollen! das ist alles Gold gewesen!'
Schnell giengen sie nach dem Kahne, und richtig! was noch da
war, waren lauter blanke Goldstücke, nnd sie sammelten deren noch
immerhin so viele, daß sein dreieckiger Hut bis oben voll wurde;
von den weggeworfenen fanden sich nachher einige im Netze, nnb
sie waren, wvsür der Schisser sie alle im Kahne gehalten hatte.
Von der Zeit an lebten nun die Zwerge im Wohldenberge.
Dieser Hügel in einer nach Norden und Osten hin fast endlosen
Ebene liegt zwischen Leiferde und Dalldorf, hart am Wege vom
ersteren Dorfe nach Meinersen, und beherrscht, obgleich er winzig
10*
148
genug ist,.die ganze Umgegend. Diese ist eben so unfruchtbar wie
er selber i von Westen unb Norden her begrenzen ihn Sandstächen,
auf denen cs fast nur Heidekraut und verkrüppelte Fichten und
Wacholder giebt; nach Süden und Osten hin befinden sich freilich
Felder, sie tragen indes mehr feuerfarbenen Klatschmohn als näh-
rendes Getreide; den Fuß des Hügels selber umgiebt ein Kranz
von Birken und Fichten nebst einigen knorrigen Eichen, und der
Gipfel trägt Heide, Ginster und niedriges Gestrüpp. Eben so
traurig sah es auch vor der Ankunft der Zwerge ans, ja noch
trauriger, weil die Gegend auch noch nicht von Menschen bewohnt,
und deshalb nirgends ein Fruchtfeld zu sehen war. Das sollte
anders werden! Die Zwerge nämlich leiteten von der Ocker Wasser-
adern unterhalb der Erde hierher; eine derselben stießt noch heute
und heißt der *Twargborn,' die übrigen haben sie vor ihrem Ab-
züge verstopft. Dazu erwärmten ihre unterirdischen Feuer den
Boden, und diese Wärme in Verbindung mit jener Feuchtigkeit
machte die Erde äußerst fruchtbar. Das sah zuerst ein Jägers-
mann, der sich hierher verirrt hatte, und als die Kunde davon sich
verbreitete, zogen sich die Hirten und Ackerbauer in die Gegend lind
wurden hier ansässig. Von jener ersten Zeit spricht man noch jetzt
mit großer Begeisterung: die Saaten standen so dicht und kräftig,
<daß man ein Wagenrad daran aufwälzen konnte;' die Wiesen und
Weiden fanden nirgends ihres Gleichen; die halbverwittertcn Eichen
sollen noch ans jener Zeit stammen, und die ganze Gegend war
ein wahres Paradies. Und lange lebten Menschen und Zwerge
im Frieden bei einander, standen einander in allen Nöthen treulich
bei, liehen sich gegenseitig Geräth, und die einen luden die anderen
zu Festlichkeiten und Schmausereien. Besonders gut standen sich
die Landbebauer dabei: hatten sie morgens einige Stunden ge-
ackert, so stand das Frühstück in einem Henkeltopfe bereit; mittags
schaffte eine unsichtbare Hand abermals eine Mahlzeit, und zer-
brach ein Spaten oder ein anderes Ackerwerkzeug, so besserten die
Zwerge es sofort aus, ohne sich's bezahlen ju lassen. Dazu be-
wahrten sie diese Gegend auch vor Überschwemmung und Hagel-
schlag, und beim Einheimsen waren sie gleichfalls unermüdet ge-
schäftig, so daß die Arbeiter oft, wenn sie sich zur Mittagszeit in
den Schatten gelegt hatten, nachher nichts mehr zu thun fanden.
Für alles dies hatten sie nur die eine Bitte, die sie aber immer
dringend wiederholten, man möge in der Nähe des Berges ruhig
sein, nicht mit Peitschen knallen und nicht laut kreischen; die
Menschen erfüllten diese Bitte lange Zeit sehr gewissenhaft, und
so gieng's in Freude und Frieden viele Jahre.
Da begab sich's, daß die Leute in Leiferde eine große Glocke
auf ihren neuen Kirchturm brachten, und das war der erste Stein
des Anstoßes; denn die Zwerge konnten das Geläute nicht ver-
tragen und mußten sich stets die Ohren zuhalten. Erst baten sie,
149
man möge die Glocke ruhen lassen; als dennoch geläutet wurde,
rückten sie in Masse gegen die Kirche und warfen mit Steinen
hinauf, um die Glocke herunter- oder den Turm einzuwerfen.
Auch das gelang ihnen nicht, und nun begannen die Plackereien:
sie verwirrten das Getreide und traten es nieder, machten die
Pferde und die weidenden Heerden fluchtig, verstopften die Brunnen,
erschreckten die Wanderer, die Frauen und die Kinder; vorzüglich
aber stahlen sie alles, was sie nur brauchen »konnten, nnb sogar
kleine Kinder. Die Menschen ließen's ihrerseits auch nicht an
Neckereien fehlen: wenn z. B. im Berge gespielt und getanzt wurde,
schlichen sich die Burschen hinzu und knallten plötzlich dermaßen
mit ihren Peitschen, daß den Zwergen Hören nnb Sehen vergieng,
und sie heulend aus einander stoben; wenn jene einen derselben
einfiengen, trieben sie Kurzweil mit ihm, daß der arme Schelm vor
Angst nicht zu bleiben wußte. Oft indes gieng's wieder fried-
licher her; kurz, es wurde ein Verhältnis, wie's im Schalksberge
stattgefunden hatte, bald feindlich und bald freundlich. Doch es
sollte schlimmer kommen!
Der reichste Bauer in Leiferde hatte nach und nach alle Lan-
dest um den Wohldenberg an sich zu bringen gewußt und war
sehr glücklich darüber, weil dort, wo jetzt gar nichts wachst, da-
mals alles am besten wuchs. Er selber lebte friedlich mit den
Zwergen, da er einsah, wie gut er sich dabei stand. Nun hatte
er aber einen einzigen Sohn, das war ein roher Gesell; nachdem
dieser herangewachsen war, brachte er den alten Vater durch Kum-
mer unter die Erde und war nun selber Herr. Es dauerte nicht
so lange, da hatte er sich mit allen Menschen entzweiet; denn er
war ebenso ungefällig als hochmüthig, und wenn er sich einen
neuen Feind erworben hatte, spottete er seiner und zugleich aller
anderen Menschen, ja Gottes selber, und pochte aus seine 'Lehns-
leute/ die Zwerge. Doch einen Zwerg kann man sich noch leichter
entfremden als einen Menschen, unb wäre es der krausköpfigste;
das sollte auch der unnütze Bauer nur zu bald und zu seinem
großen Schaden erfahren. Eines Tages ackerte er am Berge, und
die Zwerge brachten ihm wie gewöhnlich ein tüchtiges Morgen-
brot. Als er den ersten Bissen genossen hatte, schieil es ihm zu
schlecht; er schüttete es deshalb auf die Erde und rief: 'Habt ihr
mir Schweinefutter gebracht, will ich euch wieder Schweiuefutter
schenken! Bringt mir besseres Essen, ihr Halunken!' und dabei
knallte er mit der Peitsche, daß es den ganzen Berg durchpfiff.
Als die Zwerge den Topf nicht wieder füllten, er mochte be-
fehlen, 'so viel er wollte, knallte und schimpfte der Tollkopf noch
wilder als zuvor. Davoil wurden die Pferde wild, nnb als er
die Zügel ergriff, um sie durchs Gebiß zu bändigen, wurde ihm
der Strang vor den Händeil abgeschnitten, nnb die Pferde liefen
in alle Welt; und das statten die erbosten Zwerge gethan. Als
150
auch des Mittags und am andern Morgen keine Speise erschien,
wurde er gar snchswild und schrie: Wringt mir mein Essen, ihr
krummbeinigen und dickköpfigen Hunde, und bringt mir leckeres,
oder euch soll alle der Teufel holen! Kann's von euch verlangen;
denn ihr seid meine Lehnsleute, und ich lasse euch nur aus Ver-
gunst da in eurem Erdklumpen wühlen!' Es kam indes kein
Essen, und als er sich müde geeifert hatte und sich unter einen
Busch legte, krochen« zahllose Migöntjen' (rothe Ameisen) herzu,
zerstachen ihn am ganzen Leib und Leben und krochen ihm sogar
in Nase und Mund; und das hatten die erbosten Zwerge gethan.
Am dritten Morgen nahm der Bauer seine Gänseklapper und be-
gab sich mit zwei Tagelöhnern in aller Frühe an den Wohlden-
bcrg. Als auf sein Befehlen und Drohen wieder keine Speise er-
schien, umzogen die drei den ganzen Berg: der eine pfiff auf dem
Finger, so grell er nur vermochte, der andere knallte aus Leibes-
kräften mit der großen Peitsche, und der dritte klapperte dazu so
eifrig, daß ein wahrer Höllenlärm wurde. Die Zwerge drinnen
im Berge wußten nicht zu bleiben vor dem entsetzlichen Getöse;
keiner indes kam zum Vorschein von ihnen: sie hatten einen an-
dern Racheplan erdacht. Des Nachts erhob sich ein fürchterliches
Gewitter, und am andern Morgen wunderte sich das Gesinde, daß
der Bauer gar nicht aufstand; sie begaben sich endlich in seine
Kammer, und siehe! er lag wie todt im Bette. Nachdem sie ihn
durch Rütteln und Reiben wieder zu sich gebracht hatten, erzählte
er denn, wie er des Nachts aufgewacht sei und sich nicht habe
rühren noch regen können; Rlle Glieder waren mir gelähmt, und
mit Entsetzen fühlte ich, wie unausgesetzt dicke kalte Kröten durch
mein Gesicht und über meinen Leib krochen.' Während er noch
erzählte, kam die Magd herein und berichtete, daß auch die meisten
Thiere gelähmt und geblendet seien, und der Feldhüter trat ein
und fügte hinzu: <Älle deine Felder sind während der Nachtzeit
zertreten und verheert, die Quellen verstopft und unsichtbar ge-
worden, und der ganze Wohldenberg ist verödet.' Jeder rieth gleich
auf die Zwerge; und sie hatten's auch gethan. Doch hierbei hatten
sie es keineswegs bewenden lassen.
In dem benachbarten Dorfe Volkse am Ufer der Ocker, un-
fern der Stelle, wo man sich in Ermangelung einer Brücke noch
jetzt muß übersetzen lassen, wohnte dazumal ein Fischer, der seinen
geräumigen Kahn nicht nur zum Fischfang, sondern vornehmlich
auch dazu benutzte, gegen Erlegung eines Fährgeldes Wanderer
über den Fluß zu fahren. Zu dem kam um die Mittagsstunde
des Tages, an welchem der Bauer den fürchterlichen Lärm ge-
macht hatte, ein graues Männchen und sprach traurig zu ihm:
^Willst bit mir nicht auf diese Nacht deinen Kahn borgen?' <Warum
nicht?' erwiderte der Fischer; üvenn du gut bezahlst und ihn ehrlich
wiederbringst!' Das Männchen versprach es, füllte dem Fischer
151
einen Napf mit Gold an und sagte: < Schau aber nicht aus nach
uns; sonst geht's nicht gut.' Damit war es weg. — Mit der
Nacht kam ein so starkes "Gewitter, wie die Leute stch keines zweiten
zu erinnern wußten: der ganze Himmel schien fortwährend zu
brennen, und der Sturm wehte mit schrankenloser Macht. Der
ehrliche Fischer hörte nicht aus ju beten und schloß auch das graue
Männchen mit in sein Gebet. Wenn sich's nur nicht aus den
Fluß gewagt hat!' meinte er, vergaß seines Versprechens unb schaute
durch ein Astloch, das stch zufällig in einem Ständer befand, nach
der Ocker aus. Hilf Himmel, was mußte er da sehen! Mitten
durch die schäumenden Wogen fuhr sein Kahn, zahllose Zwerge
saßen in ihm, und an beiden Ufern wimmelte es von grauen
Männchen.' Das alles sah er beim Schein eines schrecklichen
Blitzes; mehr jedoch sah er nicht: derselbe Blitz stel dicht neben
ihm nieder, ein gewaltiger Donner betäubte ihn für die ganze
Nacht, und als er wieder ins Bewußtsein zurückkehrte, stand die
Sonne hoch am klaren Himmel, der Fluß lag ruhig da, und sein
Kahn auch. Hier entdeckte er keine Spur des nächtlichen Un-
wetters, und nur das schone rothe Gold überzeugte ihn, daß es
nicht etwa ein Traum gewesen sei; noch mehr aber bezeugt ihm
draußen ein einziger Blick aus den nahen Wohldenberg die trau-
rige Geschichte: alle Eichen waren zerschmettert, alle freundlichen
Anlagen vernichtet, und die ganze Umgebung lag so öde da, wie
sie's noch jetzt ist. Ein einziger Weg an der Westseite war der
Zerstörung entgangen, und er heißt der ^Twargstieg' bis auf den
heutigen Tag; eine einzige Quelle war unverstopft geblieben, die,
wie schon bemerkt, noch jetzt der ^Twargborn' genannt wird und
auf viele Meilen im Umkreise das beste Wasser haben soll. Die
Zwerge waren verschwunden, niemand weiß, wohin, und nim-
mer kehren sie wieder. — Nach einem andern Erzähler soll der
Bauer am Morgen nach der Gewitternacht vom Blitz erschlagen
auf dem Acker gefunden worden sein, der Henkeltopf zerbrochen
nehen ihm.
151.
Die Elfenkönigin.
Von Matthiffon.
Gedichte. Stuttgart 1822- S- 26-
Was unterm Monde gleicht
Uns Elfen flink und leicht?
Wir spiegeln uns im Thau
Der sternenhellen Au,
Wir tanzen auf des Baches.Moos,
Wir wiegen uns anr Frühlingssprvß
Und ruhn in weicher Blumen Schoß.
- 15. Ausi. Zurich 1851- S. 77.
Jhr Elfen auf ben Hohn,
Jhr Elfeit an ben Secn,
Zuin thaubeperlten Grnn
Folgt enrer Konigin!
3m silbergrauen Spinnwebkranz,
Umftimmert vvn des Gluhwurms
Glanz,
Hcrbei! herbei! zum Mondscheintanz!
152
Ein Schleier, weiß und fein,
Gebleicht im Sternenschein
Auf kühler Todtcngruft,
Umwall' euch leicht wie Duftl
Durch Moos und Schilf, durch Korn
und Hain,
Bergauf, thalab, Waldaus, feldein,
Herbei! Herbei! zum Ringelreihn!
Uns wölbt der Nessel Dach
Ein sichres Tanzgemach;
Ein weißer Nebelflor
Umschleiert unser Chor,
Wir kreisen schnell, wir schweben
leicht!
Ein finstres Gnomenheer entsteigt
Dem Erdenschoß und harft und geigt.
Herbei! herbei! zum Tanz
Im grauen Spinnwebkranz!
Schnell rollt der Elfen Kreis
Im zirkelrunden Gleis!
Wo ist ein Fuß, der nimmer glitt?
Wir Elfen fliehn mit Zephyrschritt,
Kein Gräschen beuget unser Tritt!
152.
Sneewittchen.
von den brüdern Grimm,
märeben 7. aufl. Göttingen 1857. I, 264.
Ls war einmal mitten im winter, und die Schneeflocken fielen
wie federn vom kimmel herab, da sasz eine königin an einem
fenster, das einen rahmen von schwarzem ebenholz hatte, und nähte,
und wie sie so nähte und nach dem schnee aufblickte, stach sie
sich mit der nadel in den finger, und es fielen drei tropfen blut
in den schnee. und weil das rothe im weiszen schnee so schön
aussah, dachte sie bei sich: ‘hätt’ ich ein kind so weisz wie schnee,
so roth wie blut und so schwarz wie das holz an dem rahmen!'
bald darauf bekam sie ein töchterlein, das war so weisz wie schnee,
so roth wie blut und so schwarzhaarig wie ebenholz und ward
darum das Sneewittchen H genannt, und wie das kind geboren
war, starb die königin.
Über ein jähr nahm sich der könig eine andere gemahlin.
es war eine schöne frau, aber sie war stolz und übermüthig und
konnte nicht leiden, dasz sie an Schönheit von jemand sollte über-
troffen werden, sie hatte einen wunderbaren spiegel, wenn sie
vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
‘spieglein, spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land?’
so antwortete der spiegel:
‘frau königin, ihr seid die schönste im land.’
da war sie zufrieden, denn sie wuszte, dasz der spiegel die Wahr-
heit sagte.
Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner,
und als es sieben jähr alt war, war es so schön, wie des klare *)
*) Schneeweiszcben.
153
tag, und schöner, als die Königin selbst, als diese einmal ihren
spiegel fragte:
‘spieglein, spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land ?'
so antwortete er:
‘frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr.’
da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor neid. von
stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das herz
im leibe herum, so haszte sie das mädchen. und der neid und
hochmuth wuchsen wie ein unkraut in ihrem herzen immer höher,
dasz sie tag und nacht keine ruhe mehr hatte, da rief sie einen
jäger und sprach: ‘bring das Kind hinaus in den wald, ich will’s
nicht mehr vor meinen äugen sehen, du sollst es todten und mir
lunge und leb er zum warzeichen mitbringen.’ der jäger gehorchte
und führte es hinaus, und als er den hirschlanger gezogen hatte
und Sneewittchens unschuldiges herz durchbohren wollte, fieng es
an zu »weinen und sprach: ‘ach, lieber jäger, lasz mir mein leben;
ich will in den wilden wald laufen und nimmermehr wieder heim
kommen.’ und weil es so schön war, hatte der jäger mileiden und
sprach: ‘so lauf hin, du armes Kind.’ ‘die wilden thiere werden
dich bald gefressen haben,’ dachte er, und doch war’s ihm, als
wär’ ein stein von seinem herzen gewälzt, weil er es nicht zu todten
brauchte, und als gerade ein junger frischling gesprungen kam,
stach er ihn ab, nahm lunge und leber heraus und brachte sie
als warzeichen der Königin mit. der koch muszte sie in salz
kochen, und das boshafte weih asz sie auf und meinte, sie hätte
Sneewittchens lunge und leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem groszen wald mutterseelig
allein, und ward ihm so angst, dasz es alle blätter an den bäumen
ansah und nicht wuszte, wie es sich helfen sollte, da fieng es an
zu laufen und lief über die spitzen steine und durch die dornen,
und die wilden thiere sprangen an ihm vorbei, aber sie thaten
ihm nichts. es lief, so lange nur die füsze noch fortkonnten,
bis es bald abend werden wollte; da sah es ein kleines häuschen
und gieng hinein, sich zu ruhen, in dem häuschen war alles klein,
aber so zierlich und reinlich, dasz es nicht zu sagen ist. da stand
ein weisz gedecktes tischlein mit sieben kleinen tellern, jedes teller-
lein mit «einem löffelein, ferner sieben messerlein und gäblein,
und sieben becherlein, an der wand waren sieben bettlein neben
einander aufgestellt, und schneeweisze laken darüber gedeckt.
Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, asz von jedem
tellerlein ein wenig gemüs und brot und trank aus jedem becher-
lein einen tropfen wein; denn es wollte nicht einem allein alles
wegnehmen, hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein
bettchen, aber keins paszte: das eine war zu lang, das andre zu
154
kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen,
befahl sich gott und schlief ein.
Als es dunkel geworden war, kamen die herren von dem
häuslein, das waren sieben zwerge, die in den bergen nach erz
hackten und gruben, sie zündeten ihre sieben lichtlein an, und
wie es nun hell im häuslein ward, sahen sie, dasz jemand dar-
in gewesen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung,
wie sie es verlassen hatten, der erste sprach: ‘wer hat auf mei-
nem stühlchen gesessen ?' der zweite: ‘wer hat von meinem tellerchen
gegessen?’ der dritte: ‘wer hat von meinem brötchen genommen?’
der vierte: ‘wer hat von meinem gemuschen gegessen?’ der fünfte:
‘wer hat mit meinem gäbelchen gestochen?’ der sechste: ‘wer hat
mit meinem messerchen geschnitten?’ der siebente: ‘wer hat aus
meinem becherlein getrunken?’ dann sah sich der erste um und
sah, dasz ans seinem bett eine kleine dälle war; da sprach er:
‘wer hat in mein bettchen getreten?’ die andern kamen gelaufen
und riefen: ‘in meinem hat auch jemand gelegen.’ der siebente
aber, als er in sein bett sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin
und schlief, nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen
und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben lichtlein und
beleuchteten Sneewittchen, ‘ei, du mein gott! ei, du mein gott!’
riefen sie, ‘was ist das kind so schön!’ und hatten so grosze freude,
dasz sie es nicht aufweckten, sondern im bettlein fortschlafen lieszen.
der siebente zwerg aber schlief bei seinen gesellen, bei jedem eine
stunde, da war die nacht herum.
Als es morgen war, erwachte Sneewittchen, und wie es die
sieben zwerge sah, erschrak es. sie waren aber freundlich und
fragten: ‘wie heiszt du?’ ‘ich heisze Sneewittchen,’ antwortete es.
‘wie bist du in unser haus gekommen?’ sprachen weiter die zwerge.
da erzählte es ihnen, dasz seine Stiefmutter es hätte wollen um-
bringen lassen, der jäger hätte ihm aber das leben geschenkt, und
da wär’ es gelaufen den ganzen tag, bis es endlich ihr häuslein
gefunden hätte, die zwerge sprachen: ‘willst du unsern haushält
versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst
du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben,
und es soll dir an nichts fehlen.’ ‘ja,’ sagte Sneewittchen, ‘von
herzen gern,’ und blieb bei ihnen, es hielt ihnen das haus in
Ordnung: morgens giengen sie in die berge und suchten erz und
gold, abends kamen sie wieder, und da muszte ihr essen bereit
sein, den tag über war das mädchen allein, da warnten es die
guten Zwerglein und sprachen: ‘hüte dich vor deiner Stiefmutter,
die wird bald wissen, dasz du hier bist; lasz ja niemand herein.’
Die königin aber, nachdem sie Sneewittchens lange und leb er
glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder
die erste und allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
‘spieglein, spieglein an der wand,
155
wer ist die schönste im ganzen land?’
da antwortete der Spiegel:
‘frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den bergen
bei den sieben zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.'
da erschrak sie, denn sie wuszte, dasz der Spiegel keine Un-
wahrheit sprach, und merkte, dasz der jäger sie betrogen hatte,
und Sneewittchen noch am leben war. und da sann und sann sie
aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht
die schönste war im ganzen land, liesz ihr der neid keine ruhe.
und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich
das gesicht und kleidete sich wie eine alte krämerin und war
ganz unkenntlich, in dieser gestalt gieng sie über die sieben
berge zu den sieben zwergen, klopfte an die thüre und rief: ‘schöne
wäre feil! feil!’ Sneewittchen guckte zum fenster heraus und rief:
‘guten tag, liebe fr an, was habt ihr zu verkaufen?’ ‘gute wäre,
schöne wäre,’ antwortete sie, ‘Schnürriemen von allen färben,’ und
holte einen hervor, der aus bunter seide geflochten war. ‘die ehr-
liche frau kann ich hereinlassen,’ dachte Sneewittchen, riegelte die
thüre auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen, ‘kind,’ sprach
die alte, ‘wie du aussiehst! komm, ich will dich einmal ordentlich
schnüren.’ Sneewittchen hatte kein arg, stellte sich vor sie und
liesz sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die alte
schnürte geschwind und schnürte so fest, dasz dem Sneewittchen
der athem ausgieng, und es für todt hinfiel, ‘nun bist du die
schönste gewesen,’ sprach sie und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur ab en dz eit, kamen die sieben zwerge
nach haus; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Snee-
wittchen auf der erde liegen sahen; und es regte und bewegte
sich nicht, als wäre es todt. sie hoben es in die höhe, und weil
sie sahen, dasz es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnür-
riemen entzwei: da fleug es an, ein wenig zu athmen, und ward
nach und nach wieder lebendig, als die zwerge hörten, was ge-
schehen war, sprachen sie: ‘die alte krämerfrau war niemand,
als die gottlose Königin; hüte dich und lasz keinen menschen her-
ein, wenn wir nicht bei dir sind.’
Das böse weib aber, als es nach haus gekommen war, gieng
vor den spiegel und fragte:
‘spieglein, spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land?’
da antwortete er wie sonst:
‘frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den bergen
bei den sieben zwergen
ist noch tausendmal schöner als ihr.’
156
als sie das hörte, lief ihr alles blut zum herzen, so erschrak sie;
denn sie sah wohl, dasz Sneewittchen wieder lebendig geworden
war. ‘nun aber,’ sprach sie, ‘will ich etwas aussinnen, das dich
zu gründe richten soll,’ und mit hexenkünsten, die sie verstand,
machte sie einen giftigen kämm. dann verkleidete sie sich und
nahm die gestalt eines andern alten weibes an. so gieng sie hin
über die sieben berge zu den sieben zwergen, klopfte an die thüre
und rief: ‘gute wäre feil! feil!’ Sneewittchen schaute heraus und
sprach: ‘geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen.’ ‘das
ansehen wird dir doch erlaubt sein,’ sprach die alte, zog den gif-
tigen kämm heraus und hielt ihn in die höhe. da gefiel er dem
kinde so gut, dasz es sich bethören liesz und die thüre öffnete, als
sie des kaufes einig waren, sprach die alte: ‘nun will ich dich ein-
mal ordentlich kämmen.’ das arme Sneewittchen dachte an nichts
und liesz die alte gewähren; aber kaum hatte sie den kämm in die
haare gesteckt, als das gift darin wirkte, und das mädchen ohne
besinnung niederfiel, ‘du ausbund von Schönheit,’ sprach das bos-
hafte weih, ‘jetzt ist’s um dich geschehen,’ und gieng fort, zum
glück aber war es bald abend, wo die sieben Zwerglein nach haus
kamen, als sie Sneewittchen wie todt auf der erde liegen sahen,
hatten sie gleich die Stiefmutter in verdacht, suchten nach und
fanden den giftigen kämm, und kaum hatten sie ihn herausge-
zogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vor-
gegangen war. da warnten sie es noch einmal, auf seiner hüt zu
sein und niemand die thüre zu öffnen.
Die königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
‘spieglein, spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land?'
da antwortete er wie vorher:
‘frau königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen über den bergen
bei den sieben zwergen
ist doch noch tausendmal schöner als ihr.’
als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor zorn.
‘Sneewittchen soll sterben,’ rief sie, ‘und wenn es mein eignes
leben kostet.’ darauf gieng sie in eine ganz verborgene einsame
kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen
apfel. äuszerlich sah er schön aus, weisz mit rothen backen,
dasz jeder, der ihn erblickte, lust danach bekam; aber wer ein
Stückchen davon asz, der muszte sterben, als der apfel fertig war,
färbte sie sich das gesicht und verkleidete sich in eine bauers-
frau, und so gieng sie über die sieben berge zu den sieben zwer-
gen. sie klopfte an; Sneewittchen streckte den köpf zum fenster
heraus und sprach: ‘ich darf keinen menschen einlassen, die sieben
zwerge haben mir’s verboten.’ ‘mir auch recht,’ antwortete die
bäurin, ‘meine äpfel will ich schon los werden, da, einen will ich
157
dir schenken.' ‘nein,’ sprach Sneewittchen, ‘ich darf nichts an-
nehmen.’ ‘fürchtest du dich vor gift?’ sprach die alte, ‘siehst du,
da schneide ich den apfel in zwei theile; den rothen backen isz
du, den weiszen will ich essen.’ der apfel war aber so künstlich ge-
macht, dasz der rothe backen allein vergiftet war. Sneewittchen
lästerte den schönen apfel an, und als es sah, dasz die biiurin
davon asz, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die band
hinaus und nahm die giftige hälfte, kaum aber hatte es einen bissen
davon im munde, so fiel es todt zur erde nieder, da betrachtete
es die königin mit grausigen blicken und lachte überlaut und
sprach: ‘weisz wie schnee, roth wie blut, schwarz wie ebenholz!
diesmal können dich die zwerge nicht wieder erwecken.’ und als
sie daheim den Spiegel befragte:
‘spieglein, spieglein an der wand,
. , wer ist die schönste im ganzen land?’
so antwortete er endlich:
‘frau königin, ihr seid die schönte im land.’
da hatte ihr neidisches herz ruhe, so gut ein neidisches herz ruhe
haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach haus kamen, fanden Snee-
wittchen auf der erde liegen, und es gieng kein athem mehr aus
seinem mund, und es war todt. sie hoben es auf, suchten, ob sie
was giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die haare,
wuschen es mit wasser und wein; aber es half alles nichts: das
liebe kind war todt und blieb todt. sie legten es auf eine bahre
und setzten sich alle siebene daran und beweinten es, und weinten
drei tage lang, da wollten sie es begraben; aber es sah noch so
frisch aus wie ein lebender mensch und hatte noch seine schönen
rothen backen, sie sprachen: ‘das können wir nicht in die schwarze
erde versenken,’ und lieszen einen durchsichtigen sarg von glas
machen, dasz man es von allen seiten sehen konnte, legten es
hinein und schrieben mit goldenen buchstaben seinen namen dar-
auf, und dasz es eine königstochter wäre, dann setzten sie den
sarg hinaus auf den berg, und einer von ihnen blieb immer dabei
und bewachte ihn. und die thiere kamen auch und beweinten
Sneewittchen, erst eine eule, dann ein rabe, zuletzt ein täubchen.
Nun lag Sneewittchen lange lange zeit in dem sarg und ver-
weste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe; denn es war
noch so weisz als schnee, so roth als blut und so schwarzhaarig
wie ebenholz. es geschah aber, dasz ein königssohn in den wald
gerieth und zu dem zwergenhaus kam, da zu übernachten, er sah auf
dem berg den sarg und das schöne Sneewittchen darin und las,
was mit goldenen buchstaben darauf geschrieben war. da sprach
er zu den zwergen: ‘laszt mir den sarg, ich will euch geben, was
ihr dafür haben wollt.’ aber die zwerge antworteten: ‘wir geben
ihn nicht um alles gold in der weit.’ da sprach er: ‘so schenkt
158
mir ihn , denn ich kann nicht leben, ohne Sneewittchen zu sehen,
ich will es ehren und hochachten wie mein liebstes.’ wie er so
sprach, empfanden die guten Zwerglein mitleiden mit ihm und
gaben ihm den sarg. der königssohn liesz ihn nun von seinen
dienern auf den schultern forttragen, da geschah es, dasz sie
über einen strauch stolperten, und von dem schüttern fuhr der
giftige apfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem
hals. und nicht lange, so öffnete es die äugen, hob den decke! vom
sarg in die höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig,
‘ach gott, wo bin ich?’ rief es. der königssohn sagte voll
freude: ‘du bist bei mir,' und erzählte, was sich zugetragen hatte,
und sprach: ‘ich habe dich lieber als alles auf der weit; komm
mit mir in meines vaters schlosz, du sollst meine gemahlin werden.'
da war ihm Sneewittchen gut und gieng mit ihm, und ihre hochzeit
ward mit groszer pracht und herrlichkeit angeordnet.
Zu dem fest wurde aber auch Sneewittchens gottlose Stief-
mutter eingeladen, wie sie sich nun mit schönen kleidern ange-
than hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
‘spieglein, spieglein an der wand,
wer ist die schönste im ganzen land?’
der spiegel antwortete:
‘frau konigin, ihr seid die schönste hier,
aber die junge königin ist tausendmal schöner als ihr.’
da stiesz das böse weib einen fluch aus, und ward ihr so angst,
so angst, dasz sie sich nicht zu lassen wuszte. sie wollte zuerst
gar nicht auf die hochzeit kommen; doch liesz es ihr keine
ruhe, sie muszte fort und die junge königin sehen, und wie sie
hineintrat, erkannte sie Sneewittchen, und vor angst und schrecken
stand sie da und konnte sich nicht regen, aber es waren schon
eiserne pantoffeln über kohlenfeuer gestellt und wurden mit zangen
herein getragen und vor sie hingestellt, da muszte sie in die
rothglühenden schuhe treten und so lange tanzen, bis sie todt zur
erde fiel.
153.
Hier NiitHfol.
Von Nückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. V. Erlangen 1838.
a.
S. 195.
Es ist, Worin das Wasser fließt.
Es ist, worauf die Bllline sprießt;
Es ist, worauf bei Tag und Nacht
Der müde Mensch die Ruh genießt;
Und gleichnisweise nennst du so
Auch das, was dich im Tod umschließt.
b.
S. 203.
Als der Weise saß beim Wein,
Rief er: ‘Knabe, höre!
Das hier darf nicht offen sein,
Daß unö der nicht störe,
Da ich heute dir allein
Und dem Wein gehöre.'
159
c.
S. 199.
Äus drei Theilen ist's geflochten;
Ist es stark, so hält es.
Doch cs kommt ein Hauch dazwischen,
Und vom Himmel fällt es.
cl.
S. 199.
illlit drei Lauten schreibt man es,
Daß ein Laut es werde;
Schieb einen vierten stummen ein,
So wird's zu stummer Erde.
154.
Aannitv erstatt.
Bon Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 50- — Schatzkastlcin. Stuttg, u. Tüb. 1846. S-172.
Uta Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen
und Gundelfingen so gut als in Amsterdam, Betrachtungen über
den Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und
zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel
gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber ans
dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in
Amsterdam durch den Irrthum zur Wahrheit und zu ihrer Er-
kenntnis. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt voll
prächtiger Hällscr, wogender Schiffe unb geschäftiger Menschen ge-
kommen war, fiel ihm sogleich ein großes unb schönes Hans in
die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen
bis nach Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete
er mit Verwunderung dies kostbare Gebäude, die sechs Kamine ans
dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als
an des Vaters Haus daheim die Thür. Endlich konnte er sich
nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. <Gnter Freund,'
redete er ihn an, ckönnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt,
dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tuli-
panen, Sternenblumen und Levkoien?' — Der Mann aber, der
vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun hatte unb zum Unglück ge-
rade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende
von der holländischen, nämlich nichts, sagte klirz und schnanzig:
^Kannitverstan,' tmb schnurrte vorüber. Dies war nun ein
holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und
heißt auf deutsch so viel, als: <Jch kann Euch nicht verstehn.'
Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes,
nach dem er gefragt hatte. <Das muß ein grundreicher Mann sein,
der Herr Kannitverstan,' dachte er und gieng weiter. Gaß aus
Gaß ein kam er endlich au den Meerbusen, der da heißt: Het Ey,
oder anst deutsch: das Ipsilon. Da stand nun Schiff an Schiff,
und Mastbaum an Mastbaum, und er wußte anfänglich nicht, wie'
er es mit seinen zwei einzigen Augen dnrchfechten werde, alle diese
Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich
160
ein großes Schiff [eine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem
ans Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde.
Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und
nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere heraus-
gewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer
darunter. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich
einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der
glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an das
Land bringe. <Kannitverstau,' war die Antwort. Da dachte
er: Daha, schaut's da heraus? Kein Wunder, wem das Meer
solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut solche
Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die
Fenster in vergoldeten Scherben.' Jetzt gierig er wieder zu-
rück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an,
was er für ein armer Teufel sei unter so viel reichen Leuten in
der Welt. Aber als er eben dachte: <Weuu ich's doch nur auch
einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kauuitverstan es hat,' kam
er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Bier
schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz über-
zogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten,
daß sie einen Todten in seine Rübe führten. Ein langer Zug von
Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar
und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der
Ferne läutete ein einsames Glöckleiu. Jetzt ergriff unsern Fremd-
ling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vor-
übergeht, wenn er eine Leiche sieht, und blieb mit dem Hut in
den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte
er sich an den Letzten vom Zug, der eben in der Stille ansrechnete,
was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Ceutuer
um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat
ihn treuherzig um Exeüse. <Das muß wohl auch ein guter Freund
von Euch gewesen sein,' sagte er, Kein das Glöckleiu läutet, daß
Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht.' <Kannitverstan!' war
die Antwort. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar große
Thränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und
wieder leicht ums Herz. <Armer Kauuitverstau,' rief er aus, llvas
hast du nun von allem deinem Reichthum? Was ich einst von
meiner Armuth auch bekomme: ein Todteukleid und ein Leintuch,
und von all deinen schönen Blumen vielleicht ein Rosmarin auf
die kalte Brich, oder eine Raute.' Mit diesen Gedanken begleitete
er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis aus Grab, sah den
vermeinten Herrn Kauuitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte
und ward von der holländischen Leicheupredigt, von der er kein
Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die
er nicht Acht gab. Endlich gierig er leichten Herzens mit den an-
dern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch
161
verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn
es ihm wieder einmal schwer fallen wallte, daß so viele Leute in
der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den
Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein
reiches Schiff und an sein enges Grab.
155.
Vor den Thüren.
Von Rückert. (Gekürzt.)
Gesammelte Gedichte. Bd. III. 2. Ausl. Erlangen 1839. 0 . 208.
Ich habe geklopft an des Reichthums Haus;
Man reicht' mir 'neu Pfennig zum Fenster heraus.
Ich klopfte leis an der Ehre Schloß;
'Hier thut man nur auf dem Ritter zu Roß.'
Ich habe gesucht der Arbeit Dach;
Da hört' ich drinnen nur Weh und Ach.
Ich suchte das Haus der Zufriedenheit;
Es kannt' es niemand weit und breit.
Nun weiß ich noch ein Häuslein still,
Wo ich zuletzt anklopfen will.
Zwar wohnt darin schon mancher Gast,
Doch ist für viele im Grab noch Rast.
156.
Der Pilger.
Von Schmid.
Erzählungen für Kinder. Rotweil. Nr. 45.
In einem schönen Schlosse, von dem schon längst kein Stein
auf dem andern geblieben ist, lebte einst ein sehr reicher Ritter.
Er verwandte sehr viel Geld darauf, sein Schloß recht prächtig
auszuzieren; den Armen aber that er wenig Gutes.
Da kam nun einmal ein armer Pilger in das Schloß und
bat um Nachtherberge. Der Ritter wies ihn trotzig ab und sprach:
^Dieses Schloß ist kein Gasthaus.' Der Pilger sagte: 'Erlaubt
mir nur drei Fragen, so will ich wieder gehen? Der Ritter sprach:
^Auf diese Bedingung hin mögt Ihr immer fragen. Ich will Ellch
gerne antworten?
Der Pilger fragte ihn nun: 'Wer wohnte doch wohl vor
Euch in diesem Schlosse?' 'Mein Vater!' sprach der Ritter. Der
Pilger fragte weiter: 'Wer wohnte vor Eurem Vater da?' 'Mein
Großvater!' antwortete der Ritter. 'Und wer wird wohl nach
Euch darin wohnen?' fragte der Pilger weiter. Der Ritter sagte:
*So Gott will, mein Sohn?
Colshorn u.Gödeke's Lesebuch I.
11
162
'Nun,' sprach der Pilger, 'wenn jeder nnr seine Zeit in die-
sem Schlaffe wohnet, und immer einer dem andern Platz macht;
was seid ihr denn anders hier, als Gäste? Dieses Schloß ist also
wirklich ein Gasthaus. Verwendet daher nicht so viel, dieses Hans
so prächtig auszuschmücken, das Glich nnr kurze Zeit beherberget.
Thut lieber den Armen Giites, so bauet Ihr Euch eine bleibende
Wohming im Himmel.'
Der Ritter nahm diese Worte zil Herzen, behielt den Pilger
über Nacht imb wurde von dieser Zeit au wohlthätiger gegen die
Armen.
Die Herrlichkeit der Welt vergeht;
Nur, was wir Gutes thun, besteht.
157.
Die Vätergruft.
Bon Uh land.
Gedichte 5. Ssuff. Stuttgart u. Tübingen 1831. S. 218. — 31. Sfusi. 1Q54.
1815. —1820. - 1826. - 1829. - 1833. - 1834 (2 mal). - 1835. - 1836. - 1837. - 1839
1840. — 1841. - 1842. - 1843 (2 mal) u. — 1853. © 196.
, Es gierig wohl über die Heide
Zur alten Kapell' empor
Ein Greis im Waffengeschmeide
Und trat in den dunkeln Chor
Die Särge seiner Ahnen
Standen die Hall' entlang,
Aus der Tiefe that ihn mahnen
Ein wunderbarer Gesang.
Wohl hab' ich euer Grüßen,
Ihr Heldengeister! gehört.
Eure Reihe soll ich schließen:
Heil mir! ich bin es werth.'
Es stand an kühler Stätte
Ein Sarg noch ungefüllt,
Den nahm er zürn Ruhebette,
Zum Pfühle nahm er den Schild.
Die Hände that er falten
Aufs Schwert und schlummert' ein.
Die Geisterlaute verhallten;
Da möcht' es gar stille sein.
158.
8ns bessere Land.
Bon Schmid. (Gekürzt.)
Kurze Erzählungen. München 1848. Nr. 99.
Ein Vater und eine Mutter lebten mit ihren zwei Kindern
auf einer rauhen Insel des weiten Weltmeers, wohin sie durch
Schiffbrnch gerathen waren. Wurzeln und Kräuter dienten ihnen
zur Nahrung, eine Quelle war ihr Trank, und eine Felsenhöhle
ihre Wohnung. Oft tobten auf der Insel furchtbare Stürme und
Gewitter.
Die Kinder konnten sich's nicht mehr denken, wie sie auf die
Insel gekommen waren; sie wußten nichts mehr von dem großen
163
festen Lande; Brat, Milch, Obst, und was es dort sonst noch
Köstliches giebt, waren ihnen unbekannte Dinge geworden.
Da landeten eines Tages in einem kleinen Schifflein vier
Mohren an der Insel. Die Eltern hatten eine große Freude und
hofften nun von ihren Leiden erlöst zu werden. Das Schisslein
war aber zu klein, alle zugleich auf das feste Land hinüber zu
bringen, — und der Vater wollte die Fahrt zuerst wagen.
Mutter und Kinder weinten, als er in das schwache, bretterne
Fahrzeug stieg, und die vier schwarzen Männer ihn fortführen
wollten. Er aber sagte: ^Weinet nicht! Drüben ist es besser,—
und ihr alle kommt ja bald nach!'
Als das Schifflein wieder kam und die Mutter abholte, wein-
ten die Kinder noch mehr. Aber auch sie sagte: ^Weinet nicht!
In dem bessern Lande sehen wir uns alle wieder!'
Endlich kam das Schifflein, die zwei Kinder abzuholen. Sie
fürchteten sich sehr vor den schwarzen Männern und zitterten vor
dem furchtbaren Meere, über das sie hinüber sollten. Unter Furcht
und Zittern näherten sie sich dem Lande.
Aber wie freuten sie sich, als ihre Eltern am Ufer standen,
ihnen die Hände boten, sie in den Schatten hoher Palmbäume
führten und aus dem blumigen Rasen sie mit Milch, Honig und
köstlichen Früchten bewirteten. <O wie thöricht war unsere Furcht!'
sagten die Kinder; üncht fürchten, foubeni freuen hätten wir uns
sollen, als die schwarzen Männer kamen, uns in das bessere Land
abzuholen?
Der Christ soll Tod und Grab nicht scheuen,
Er darf sich auf den Himmel freuen:
Ihn führet Gottes Vaterhand
Hinüber in das beßre Land.
159.
Scheiden.
Volkslied.
Nach Feuchterslcbcn: Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1836. S. 5.
Es ist bestinimt in Gottes Rath, Und hat Gott Liebes dir beschert,
Daß man vom Liebsten, was man hat, Und hältst du es recht innig werth,
Muß scheiden, Das deine:
Wiewohl doch nichts im Lauf der Welt Es wird nur wenig Zeit wohl sein,
Dem Herzen, ach! so sauer fällt Da läßt es dich so gar allein;
Als Scheiden, ja Scheiden. Dann weine, ja weine!
So dir geschenkt ein Knösplein was, Nun mußt du mich auch recht ver.
So thu es in ein Wasserglas; « - stehn,
Doch wisse: Nun mußt du mich auch recht verstehn!
Blüht morgen dir ein Röslein auf, Wenn Menschen aus einander gehn,
Es welkt wohl schon die Nacht darauf; So sagen sie: >Auf Wiedersehn!'
Das wisse, ja wisse! Auf Wiedersehn!
11
164
160.
Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth.
Von Schubert.
Altes und Neues. Leipzig und Erlangen 1817—1844. Bd. III.
Die kleine Rosina war das einzige Kind sehr armer, aber
gottesfürchtiger Eltern. Der Vater lebte als Tagelöhner zu Nickern,
in der Pfarrei Leckwitz bei Dresden. Er hatte zwar ein eigenes
Häuslein, aber nichts darinnen, als was seine Hände von Tag zu
Tag, von Woche zu Woche erwarben, so viel, als eben z>ir Nah-
rung und Kleidung für ihn und die Seinen hinreichte. Aber diese
seine fleißigen Hände hatten nicht bloß gelernt zu arbeiten, sondern
auch sich gern zum Gebet zu falten. Er betete oft und aus Herzens-
gründe mit den Seinen, denn er war fromm. Dieser gute Vater
war erst dreißig Jahr alt, da führte ihn Gott zum Krankenlager,
von welchem er nicht wieder aufstand. Die Krankheit dauerte
etliche Wochen. Der Pfarrer Gerber und sein Sohn besuchten ihn
oft in seinen letzten Tagen, um ihn zu trösten und zu stärken.
Ihm selber war der Trost nicht so von Nöthen, als seiner armen
Franz denn er war ruhig und Gott ergeben, die Frau aber sollte
von dem lieben Manne und Versorger scheiden, und es war weder
Geld noch Brot in dem Hause, als was mitleidige Seelen ins
Haus brachten. In dieser Zeit der Leiden war das Töchterlein
des Tagelöhners, damals noch nicht acht Jahr alt, den armen
Eltern zum besondern Trost. Wenn der Seelsorger weg war,
blieb das Kind an des Vaters Bette sitzen, sang ihm Lieder vor
und betete ihm die Sprüche, die es vom Pfarrer gehört oder in
der Schule gelernt hatte.
Der Vater starb. Die Witwe trauerte sehr um ihren frommen,
fleißigen Ehemann und weinte oft viel. Da tröstete das Mägdlein
immer die Mutter, wenn sie diese so weinen sah, mit schönen Trost-
sprüchen aus der heil. Schrift, die sie in der Schule gehört hatte,
oder mit Versen aus guten christlichen Liedern, zum Beispiel aus
dem kinderfrommen Liede des Hans Sachs: Warum betrübst du
dich, mein Herz,' mit dem Vers: <Ach Gott, du bist noch heut so
reich, als du gewesen ewiglich; mein Trauen steht zu dir,' und
mit dem Vers aus Paul Gerhardt's Liede: ^Schickt uns Gott ein
Kreuz zu tragen, dringt herein Angst und Pein, sollt ich drum
verzagen?' Oder sie sagte zu der sorgenden Mutter: Diebe Mut-
ter, weinet nur nicht, wir wollen recht beten und arbeiten; wenn
ich aus der Schule komme, will ich fleißig Strohhüte flechten; der
liebe Gott wird uns nicht verlassen.'
So vergieng fast ein Jahr nach des Vaters Tode, die Witwe
hielt mit ihrem einigen Kinde sparsam und treulich Haus, und beide
hatten durch Gottes Segen keinen Mangel. Das Mägdlein gierig
fleißig zur Schule, flocht nach der Schule ebenso fleißig Stroh zu
löo
Hüten; seine einzige äußerliche Unterhaltung und Freude war eine
Henne, die sich die kleine Waise vom Küchlein auferzogen und mit
ben abgesparten Brotkrumen ernährt hatte. Eines Tages, in der
Erntezeit, geht die Mutter zu einem Bauer in dem nächsten Dorfe,
um bei diesem Hafer rechen zu helfen; das Mägdlein aber geht
nach seiner Gewohnheit in die Schule und setzt sich, sobald es nach
Hause gekommen, vor die Thüre seiner Hütte hin, um Stroh zu
Hüten zu flechten. Da kommt ein Nachbarmädchen von zwölf
Jahren, ein Kind von sehr wilder Art, und will Rosinen nöthigen,
mit ihr herumzuspringen und Muthwillen zu treiben. Die kleine
fromme Waise will das nicht. Hierüber erzürnt, reißt das stärkere
Nachbarmädchen sie zu Boden und kniet ihr auf den Leib, bis das
Kind vor Schmerzen laut aufschreit. Als die Mutter abends'von
der Arbeit nach Hause kommt, klagt ihr die Kleine, was ihr ge-
schehen sei. Die Mutter aber meint, es werde ihr wohl nicht viel
Schaden gethan haben, und geht mit dem Kinde schlafen. Am
Morgen aber klagt dieses sehr über Schmerz in seinem Leibe, kann
schon nicht mehr aufstehen, und auch durch die von einem guten
Arzte in Dresden verordneten Arzneimittel werden die Schmerzen
nicht gelinder, sondern immer nur größer. Da bittet das Mägd-
lein seine Mutter, sie solle ihm doch den Seelsorger holen lassen,
daß er mit ihr bete wie mit ihrem Vater, denn sie werde sterben.
Die Mutter sagt: 'Mein liebes Kind! wen hätte dann ich? Du
bist noch mein Trost. Du wirst ja nicht sterben wollen!' Das
Kind antwortet: 'Liebe Mutter! Gott muß Euer Trost sein, ver-
traut nur ihm. Wisset Ihr nicht, wie wir singen: 'Weil du mein
Gott und Tröster bist, dein Kind wirst du verlassen nicht'? Lasse
mir nur den Herrn Pfarrer holen.'
Die Mutter erfüllte denn des Kindes Wunsch; der Pfarrer
kam. Das arme Waislein bezeugte eine große Freude über des
Seelsorgers Gegenwart, betete sehr herzlich, ja wahrhaftig brünstig
und gab dem Pfarrer zu erkennen, daß es ein innig beständiges
Verlangen nach dem Himmel habe. Da fragte die Mutter aber-
mal: 'Liebes Kind, warum willst du denn so gerne sterben? du bist
ja noch so jung.' Das Kind antwortete: 'Es ist ja im Himmel
besser; dort kommeich zu meinem lieben Herrn Jesus, und Ihr wer-
det schon auch nachkommen. Indessen lobe ich mit meinem Vater
den lieben Gott und den Herrn Jesum. Weinet Ihr nur nicht
um mich.'
Die Krankheit währte bis an den neunten Tag. Der Pfarrer
Gerber und sein Sohn besuchten in dieser Zeit das selige Kind oft.
Ja wahrhaftig selig, schon auf seinem Lager der Schmerzen. Denn
sie fanden es immer betend und wie es glaubensfroh seine Mutter
tröstete, dabei mitten in den sehr großen Schmerzen der Entzün-
dung geduldig und still wie ein Lämmlein. Am Tage vor seinem
Ende sagte es zu seiner Mutter: 'Der Herr Pfarrer hat mich so
166
oft besucht und mit mir gebetet, und Ihr habt nichts, das Ihr ihm
geben könnt. Ach, schenkt ihm doch meine Henne, wenn ich todt
bin, und ich fasse ihn bitten, er soll immer damit sürlieb nehmen.'
Am neunten und letzten Tage der Krankheit waren etliche
christliche Nachbarinnen bei dem Mägdlein. Da bittet dieses, man
solle ihm doch das Lied vorstngen: ^Wie schön leuchtet der Morgen-
stern.' Und als das Lied säst zu Ende, schläft das Kind darüber
sanft und süß ein.
Seliges Kind! wäre mein Herz wie dein Herz, so treu, so
ohne Falsch; wäre einst mein Ende wie dein Ende! — Ja, von
solchen Seelen heißt es i <Diese sind Jungfrauen und folgen dem
Lamme, wohin es geht!'
161.
Dr. Luther bei dem Tode seines Leuchen.
Von Sturm.
Gedichte. Leipzig 1850. S. 218- — 2. Aufl. 1854. S. 207.
Ä-ls Luther's Lenchen krank zum Tode lag,
Da saß er an des Kindes Bett und sprach:
'Ich habe sie sehr lieb, doch ist's dein Wille,
Nimm, Herr, mein Kind, ich will dir halten stille.'
Und eine Thräne trocknet er geschwind
Und spricht zu seinem Töchterchen: "Mein Kind,
Mein liebes Lenchen, in des Himmels Höhn,
Wohnt auch ein Vater, willst du zu ihm gehn?
Du bliebst wohl gern bei mir und ziehst auch gern
Zu jenem Vater, unser aller Herrn?'
Und Lenchen drauf: 'Ja, Vater, wie Gott will!'
Der Doctor Luther aber weinte still
Und sprach: 'Der Geist ist willig, aber ach!
Du liebes, liebes Kind, das Fleisch ist schwach!'
Und schwieg und fuhr dann fort: 'Mein Gott, vergieb,
Ich hatte wohl mein Kind zu lieb, zu lieb!'
Und wie er wieder nach dem Lenchen schaut,
Da lag es todt als bleiche Himmelsbraut;
Die Mutter aber stand, ein Schwert im Herzen,
Und weinte überlaut; da sprach mit Schmerzen
Der Luther: 'Liebes Weib, o halte stille
Doch unserm Herrgott, gnädig ist sein Wille!
Bedenke nur, wohin dein Kind gekommen:
Der Heiland hat es in sein Reich genommen;
Es ward erfüllt, was du im Traum geschaut:
Die Engel holten sich bie Himmelsbraut.'
Und als nun in dem Sarg sein Lenchen lag,
Da sah er's lange an und sprach:
'Du li.bes Kind, wie wohl ist dir geschehn!
Bald ruft der Herr, dann wirst du auferstehn
Zur ew'gen Seligkeit, zur Himmelswonne
167
Und leuchten wie ein Stern, ja wie die Sonne.
Im Geiste bin ich fröhlich, doch das Herz
Ist trauervoll, das Scheiden macht ihm Schmerz.
Es ist doch wunderbar, es fest zu wissen,
Daß sie in Frieden ruht, und trauern müssen.'
Und als das Volk kam, um mit ihm zu klagen
Und Leuchen nach der Ruhestatt zu tragen,
Ries er gefaßt: 'Laßt euer Trauern sein.
Zum Himmel schickt' ich eine Heil'ge ein.
Ich gab sie ihm, wie er sie mir gegeben;
Wer also stirbt, der hat das ew'ge Leben.'
Und als sein liebes Lenchen lag im Grabe,
Setzt er die Grabschrift ihr als Liebesgabe:
^Hier schlaf ich, voctor ssuther's Töchterlcin,
Ruh' mit allen Hril'gen in meinem Lcttcicin,
Die ich in Sünden ward geboren,
Hätt' ewig müssen sein verloren,
Aber ich leb' nun und hab's gut,
Herr Christ erlöst mit seinem ülut.'
162.
I.n ein nkttgebornes bind.
Bon Pseffel.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802—1810. VII, 62.
Weinend grüßtest du das Erdenrund;
Lächelnd küßte dich der Freunde Mund:
Lebe so, daß du einst beim Erblassen
Lächelnd mögest weinende Freunde verlassen.
163.
Die drei grünen zweige.
von den brüdern Grimm,
märeben 7. aufl. Göttingen 1857. II, 475.
Es war einmal ein einsiedler, der lebte in einem walde an
dem fusze eines berges und brachte seine zeit in gebet und guten
werken zu, und jeden abend trug er noch zur ehre gottes ein
paar ebner wasser den berg hinauf, manches thier wurde damit
getränkt und manche pflanze damit erquickt; denn auf den anhöhen
weht beständig ein kalter wind, der die luft und die erde austrocknet,
und die wilden vögel, die sich vor den menschen scheuen, kreisen
dann hoch und suchen mit ihren scharfen äugen nach einem
truuk. und weil der einsiedler so fromm war, so gieng ein engel
gottes, seinen äugen sichtbar, mit ihm hinauf, zählte seine schritte
und brachte ihm, wenn die arbeit vollendet war, sein essen, so
wie jener prophet auf gottes geheisz von den raben gespeiset
16v
ward, als der einsiedler in seiner frömmigkeit schon zu einem
hohen alter gekommen war, da trug es sich zu, dasz er einmal
von weitem sah, wie man einen armen sünder zum galgen führte,
er sprach so für sich hin: ‘jetzt widerfährt diesem sein recht.’
abends, als er das wasser den borg hinauf trug, sah er den engel
nicht, der ihn sonst begleitete, und der brachte ihm auch nicht seine
speise, da erschrak er, prüfte sein herz und bedachte, womit er
könnte gesündigt haben, weil gott also zürne; aber er wuszte es
nicht, da asz und trank er nicht, warf sich nieder auf die erde
und betete tag und nacht, und als er einmal in dem walde so
recht bitterlich weinte, hörte er ein vöglein, das sang so schön
und herrlich; da ward er noch betrübter und sprach: ‘wie singst
du so fröhlich ! dir zürnt der herr nicht, ach, wenn du mir sagen
könntest, womit ich ihn beleidigt habe, damit ich busze thäte, und
mein herz auch wieder fröhlich würde!' da fieng das vöglein an
zu sprechen und sagte: ‘du hast unrecht gethan, weil du einen
armen sünder verdammt hast, der zum galgen geführt wurde,
darum zürnt dir der herr; er allein hält gericht. doch wenn du
busze thun und deine sünde bereuen willst, so wird er dir ver-
zeihen.’ da stand der engel neben ihm und hatte einen trockenen
äst in der hand und sprach: ‘diesen trockenen äst sollst du so
lange tragen, bis drei grüne zweige aus ihm horvorsprieszen, aber
nachts, wenn du schlafen willst, sollst du ihn unter dein haupt
legen, dein brot sollst du dir an den thüren erbitten und in dem-
selben hause nicht länger als eine nacht verweilen, das ist die
busze, die dir der herr auflegt.’
Da nahm der einsiedler das stück holz und gieng in die weit
zurück, die er so lange nicht gesehen hatte, er asz und trank
nichts, als was man ihm an den thüren reichte; manche bitte aber
ward nicht gehört, und manche thüre blieb ihm verschlossen, also
dasz er oft ganze tage lang keinen krumen brot bekam, einmal
war er vom morgen bis abend von thüre zu thüre gegangen,
niemand hatte ihm etwas gegeben, niemand wollte ihn die nacht
beherbergen; da gieng er hinaus in einen wald und fand endlich
eine angebaute höhle, und eine alte frau sasz darin, da sprach
er: ‘gute frau, behaltet mich diese nacht in euerm hause.’ aber
sie antwortete : ‘nein, ich darf nicht, wenn ich auch wollte, ich
habe drei söhne, die sind bös und wild; wenn sie von ihrem raub-
zug heim kommen und finden euch, so würden sie uns beide um-
bringen.’ da sprach der einsiedler: ‘laszt mich nur bleiben, sie
werden euch und mir nichts thun,’ und die frau war mitleidig und
liesz sich bewegen, da legte sich der mann unter die treppe und
das stück holz unter seinen köpf, wie die alte das sah, fragte
sie nach der Ursache; da erzählte er ihr, dasz er es zur busze
mit sich herum trage und nachts zu einem kissen brauche, er habe
den herrn beleidigt, denn als er einen armen sünder auf dem
1B?>
gange nach dem gericht gesehen, habe er gesagt, diesem wider-
fahre sein recht, da fieng die fr au an zu weinen und rief: ‘ach,
wenn der herr ein einziges wort also bestraft, wie wird es meinen
söhnen ergehen, wenn sie vpr ihm im gericht erscheinen.’
Um mitternacht kamen die rauher heim, lärmten und tobten,
sie zündeten ein feuer an, und als das die höhle erleuchtete und
sie einen mann unter der treppe liegen sahen, geriethen sie in
zorn und schrien ihre mutter an: ‘wer ist der mann? haben wir’s
nicht verboten, irgendjemand aufzunehmen?’ da sprach die mutter:
‘laszt ihn, es ist ein armer sünder, der seine schuld büszt.’ die
räuber fragten: ‘was hat er gethan?’ ‘alter,’ riefen sie, ‘erzähl
uns deine sünden.’ der alte erhob sich und sagte ihnen, wie er
mit einem einzigen wort schon so gesündigt habe, dasz gott ihm
zürne, und er für diese schuld jetzt büsze. den räubern ward von
seiner erzählung das herz so gewaltig gerührt, dasz sie über ihr
bisheriges leben erschraken, in sich giengen und mit herzlicher
reue ihre busze begannen, der einsiedler, nachdem er die drei
sünder bekehrt hatte, legte sich wieder zum schlafe unter die treppe,
am morgen fand man ihn todt, und aus dem trocknen holz, auf
welchem sein haupt lag, waren drei grüne zweige hoch empor
gewachsen. also hatte ihn der herr wieder in gnaden zu sich
aufgenommen.
164.
Der Engel und dns Kind.
Bon Areiligrath.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1838- S. 281. — 8. Anst. 1845. S. 357.
Ein Engel stand an einer Wiege;
Sein Antlitz war von Strahlen hell.
Es war, als ob die eignen Züge
Er schimmern sah' in einem Quell.
‘Kind, das mir gleicht,' so sprach
der Engel,
‘Fleuch auf mit mir zum ew'gen Licht!
Die Erde bietet dir nur Mängel;
Komm! deiner würdig ist sie nicht!
*‘Aus ihr erblühst du nur zu Leide,
Selbst ihre Wonne drückt die Brust;
Wie klagendjauchzt ausihrdieFreude,
Und Seufzer hat auf ihr die Lust.
‘KeinFest aufihr,das ohne Sorgen!
' Es gab noch keinen Sonnentag,
Der Bürge ward beim nächsten Morgen
Für Sturmeswehn und Wetterschlag!
‘Und sollte je der Gram sich setzen
Auf diese reine, stille Brau?
Und bleichte je mit bitterm Ätzen
Die Zähre dieses Auges Blau?
‘Nein! folge mir, daß ich dichtrage,
Wo brennend Sonn' um Sonne rollt!
Der Himmel schenkt dir gern die Tage,
Die du vertrauern hier gesollt!
‘Laß keine Thräne sie vergießen,
Die dich genannt ihr einzig Glück;
Laß deinen letzten sie begrüßen
Wie deinen ersten Augenblick!
‘Laß ihre Stirn es nicht verkünden,
Daß hier im Haus ein Auge brach!
O komm! Wer hingeht ohneSünden—
Sein letzter ist sein schönster Tag!'
Und, schüttelnd seine weißen Schwin-
gen,
Auf zu der Gottheit ew'gem Thron
Erhub er sich mit süßem Klingen....
Du arme Mutter !...TvdtdeinSohn!
170
\
165.
Der frühe Tod.
Von Herder.
Werke. Tübingen 180?. IX, 89.
frühmorgens gieng ein Mädchen in den Garten, sich einen
Kranz zn sammeln aus schönen Rosen. Sie standen alle noch in
ihrer Knospe da, geschlossen oder halbgeschlossen, des Morgenthaues
duftende Kelche. "Roch will ich euch nicht brechen,' sagte das
Mädchen. ^Erst soll euch die Sonne öffnen: so werdet ihr schöner
prangen und stärker duften?
Sie kam am Mittage und sah die schönsten Rosen vom Wurm
zerfressen, vom Strahl der Sonne gebeugt, erblaßt und welkend.
Das Mädchen weinte über ihre Thorheit, und am folgenden Morgen
sammelte sie sich ihren Kranz früh.
Seine liebsten Kinder ruft Gott früh aus diesem Leben, ehe
der Strahl der Sonne sie sticht, ehe der Wurm sie berühret. Das
Paradies der Kinder ist eine hohe Stufe der Herrlichkeüz der
gerechteste Fromme kann sie nicht betreten: denn seine Seele ist
besteckt gewesen.
166.
Die Kapelle.
Von ilhland.
Gedichte 5. Aufl. Stuttgart und Tübingen 1831- S- 16. — 1853. S- 13.
Groben stehet die Kapelle, Stille sind die frohen Lieder,
Schauet still ins Thal hinab, Und der Knabe lauscht empor.
Drunten singt bei Wies und Quelle Droben bringt man sie zu Grabe,
Froh und hell der Hirtenknab. Die sich freuten in dem Thal;
Traurig tönt das Glöcklein nieder, Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Schauerlich der Leichenchor; Dir auch singt man dort eininal.
167.
Märchen von der unke.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. II, 96.
Ls war einmal ein kleines kind, dem gab seine mutter jeden
nachmittag ein schüsselchen mit milch und weckbrocken, und das kind
setzte sich damit hinaus in den hof. wenn es aber aufieng zu
essen, so kam die hausunke aus einer mauerritze hervor gekrochen,
senkte ihr köpfchen in die milch und asz mit. das kind hatte
seine freude daran, und wenn es mit seinem schüsselchen da sasz,
und die unke kam nicht gleich herbei, so rief es ihr zu:
‘unke, unke, komm geschwind,
komm herbei, du kleines ding,
sollst dein bröckchen haben,
an der milch dich laben.’
171
da kam die unke gelaufen und liesz es sich gut schmecken, sie
zeigte sich auch dankbar, denn sie brachte dem kinde aus ihrem
heimlichen schätz allerlei schöne dinge, glänzende steine, perlen
und goldene spielsachen. die unke trank aber nur milch und liesz
die brocken liegen. da nahm das kind einmal sein löffelchen,
schlug ihr damit sanft auf den köpf und sagte: ‘ding, isz auch
brocken.’ die mutter, die in der küche stand, hörte, dasz das
kind mit jemand sprach, und als sie sah, dasz es mit seinem
löffelchen nach einer unke schlug, so lief sie mit einem scheit
holz heraus und tödtete das gute thier.
Von der zeit an gieng eine Veränderung mit dem kinde vor.
es war, so lange die unke mit ihm gegessen hatte, grosz und
stark geworden, jetzt aber verlor es seine rothen backen und
magerte ab. nicht lange, so fieng in der nacht der todtenvogel
an zu schreien, und das rothkehlchen sammelte zweiglein und blätter
zu einem todtenkranz, und bald hernach lag das kind auf der bahre.
168.
Aindcrgrablicd.
Von Rückcrt.
Gesammelte Gedichte. Bd. VI. Erlangen 1838. S. 167.
Au bist vergangen, eh ich's ge-
dacht,
Wie eine Blume verblüht über Nacht.
fc Wie eine Slum’ über Nacht verblüht,
Auf die umsonst der Frühthau sprüht.
Es sprüht umsonst der frühe Thau,
Wie auf dich meiue Thränen lau.
Es sprühn meine Thränen lau auf
dich,
Und du bist nicht erwacht für mich.
Und du bist nicht für mich erwacht,
Meine Blume, verblüht über Nacht.
169.
Tod und Begräbnis.
Von Jacobs.
Alwin und Theodor 5. Aust. Leipzig 1817. S. 25—30.
^it der Nachbarschaft des Landhauses, welches der Vater
Alwin's lind Theodor's besaß, wohnte ein trefflicher Mann, der
ein einziges Kind hatte, einen Knaben von neun Jahren. Dieser
kam oft zu den Kindern herüber, wenn sie mit ihren Eltern auf
dem Lande waren, und sie liebten sich gegenseitig von ganzem
Herzen. Denn sie waren alle drei gilt geartet, und selten störte
ein Zwist die Fröhlichkeit ihrer kleinen Spiele.
Dieser Knabe ward krank. Ein schleichendes Fieber verzehrte
seine Kräfte, und alle Hülfe der Ärzte vermochte nichts. Täglich
nahm seine Schwäche zrr, rmd alle Hoffnung der Seiuigeu hieng
nur noch an dem heißen Wunsche seiner Rettung.
172
Mehrmals schon hatte er während der Krankheit nach seinen
kleinen Freunden gefragt und sie zu sehen gewünscht. Aber sie
waren noch in der Stadt. Endlich kam die Zeit, wo sie auf das
Land hinauszogen, und da sie hier von Karl's Krankheit und seinem
Verlangen nach ihnen hörten, baten sie den Vater um die Er-
laubnis, den Kranken besuchen zu dürfen.
Ehe sie gierigen, hielten sie mit einander Rath, wie sie ihn
erfreuen wollten, und jeder wählte von seinem Spielzeuge aus,
was er für das schönste hielt. <Ach, er hat Blrrmeu so gern/
sagte Theodor. <Ich hole ihm von meinen Hyazinthen / sagte
Alwin; und nun liefen sie noch in den Garten und pflückten ihre
schönsten Blrrmeu, und jeder barrd einen Strauß. Mit diesen
Gaben giengen sie mm in das Haus des tödtlich Erkrankten.
Der Arme lag in feinem Bette. Mit einer Wange ruhte er
ans der Hand; seirre blonden Lockerr bedeckten die andre. Als er
die bekannte Stimme seiner kleirren Frerrnde hörte, wendete er die
freundlicherr Augerr rrach ihnen tun, und eine schwache Nöthe flog
über seirr blaffeS Gesicht. Alwin und Theodor traten zu beiden
Seiten des Bettes, und jeder faßte eine ffeincr heißen Hände.
Daun legten sie die Geschenke, die sie mitgebracht hatten, schweigend
vor ihm bin. Er nickte ihnen dankend mit den Augenwimpern
zu; seirre Lippen bewegten sich leise; aber man hörte nicht, was er
sprach. Das Spielzeug nahm er nicht in die Hand, aber die
Blumen erfreuten ihn. Mehrmals griff er nach ihnen, nahm sie
irr die Höhe, betrachtete sie mit innigem Wohlgefallen, legte sie hin
urrd nahm sie wieder.
Plötzlich verlangte er mit Heftigkeit, aufzristeherr, arrs Fenster,
um die grünen Bäume zu sehen. Mau hob ihn aus dem Bette;
er versuchte den Fuß auf den Boden zu setzen rrnd einige Schritte
zrr thun; aber umsonst: kraftlos sank er sogleich in die Arme seines
Vaters zurück. Dieser trug ihn zum Fenster hin. Da hob der
Knabe die Hellen Augen zum Himmel empor und freute sich der
zarten zerfließenden Wolken und der grünen Bäume, in deren Schat-
ten er so oft gesessen hatte. Einige Augenblicke darauf verlangte er
wieder nach seinem Bette.
Jetzt sielen einige Strahlen der untergehenden Sonne auf die
Wand des Zimmers'. Karl wünschte sein Bett dorthin zurück zu
haben. Die Eltern erfüllten seinen Wunsch, und die Kleinen
waren geschäftig, gn helfen und das Bett zu rücken, wie es dem
Kranken recht war.
Da nun die Sonnenstrahlen auf das Bett fielen, wurde sein
Angesicht immer heiterer, und er sah die Umstehenden lächelnd an.
Seine Arme hatte er vor sich hingestreckt, so daß sie von der Sonne
beschienen wurden.
Diese sank immer tiefer, und der Abend wurde immer schöner.
Da faßte der Knabe Alwinen sanft bei der Hand und zog ihn zu
173
sich, und indem er seinen Arm um den Nacken schlang, sagte er
mit leiser Stimme: <Jch sterbe mit der Sonne; aber sag es dem
Vater und der Mutter nicht.'
Die Mutter hatte aber doch die leisen Worte ihres sterbenden
Lieblings gehört. Sie warf sieb neben seinem Bette auf die Knie,
küßte ihn unter tausend Thränen und verhüllte ihr Gesicht.
Weine nicht, liebe Mutter,' sagte der Sterbende, üch bin nicht
mehr krank.'
<Jch werde ja nicht im Grabe bleiben,' setzte er einige Augen-
blicke daraus mit kaum vernehmlicher Stimme hinzu. ^Du hast
es mir oft gesagt. Und wenn du auch gestorben bist, und der
Vater auch, dann kommen wir im Himmel alle zusammen und
sterben nicht wieder.'
Als er dieses gesagt hatte, lag er einige Aiigeublicke ganz
ruhig und sah still und freundlich vor sich hin. Dann richtete er
sich plötzlich aus, sank ebenso schnell zewück und war todt. Die
letzten Strahlen der untergehenden Sonne zuckten auf seinem
blassen, lächelnden Angesicht.
Die Kinder kamen weinend und schliichzend nach Hause und
erzählten ihrem Vater den ganzen traurigen Hergang. Lange
waren sie still und in sich gekehrt. Aber sie batten ein heiteres
Bild von dein Tode bekommen, und so oft sie jetzt feiner gedachten,
stellte er sich ihnen in der Gestalt ihres verstorbenen Freundes vor.
Zwei Tage darauf war die Beerdigung. Alwin und Theodor
giengen hinaus, und ihr Vater war neben ihnen.
Es war einer der ruhigen Morgen, wo alle Lüftchen ihren
Athem zurückhalten, wo der Thau unbeweglich auf dem zarten
Halme blitzt, und alles mit stiller Erwartung dem Aufgange der
Sonne entgegen sieht.
Viele Menschen waren aus dem Gottesacker versammelt und
erwarteten den Leichenzug. Die meisten hatten den Knaben gekannt
und rühmten ihn und erzählten einander, wie folgsam' seinen
Eltern, wie gut gegen alle Hausgenossen, wie wißbegierig und klug
er gewesen sei. Manche weinten über ihn, und alle beklagten die
kinderlosen Eltern.
Jetzt kam der Sarg. Karl's Vater gieng weinend neben
ihm ber. . ^
Äm Grabe öffnete man den Sarg. Der Todte schien zu
schlafen; sein Gesicht war rubig und heiter. Kein Zug kündigte
Schmerzen an. In leinen gefalteten Händen hielt er den Strauß,
der ihu in seiner letzten Stunde erfreut hatte.
Die Kinder traten hinzu und sahen alles. Theodor weinte
und schluchzte; Alwin bückte sich aus den Todten und küßte ihn
leise. Niemand konnte sich der Thränen enthalten, der den Schmerz
der Kinder sah.
Jetzt wurde der Sarg in die Grube gelassen, die Erde rollte
174
auf ihn hinab, bald erhob sich der kleine Hügel über ihm. Die
Sonne gieng in unbeschreiblicher Herrlichkeit auf und vergoldete
das neue Grab: aber die Angen dessen, der darunter schlief, öffneten
sich nicht inehr, die Schönheit des anbrechenden Morgens und des
sinkenden Abends zu sehen. Unbemerkt zogen nun heitre und
trübe Tage über seinem Halipte hinweg, und er achtete des Regens
riicht, der auf seinen Hügel siel, unb der Sonnenstrahlen nicht,
die ihn trockneteir unb wärmten. Er sah nicht mehr die frohe
und emsige Geschäftigkeit der Menschen, nicht mehr die goldenen
Sterne und den sanften Schimmer des Mondes. Die Blumen
des Frühlings blühten nicht mehr für ihn, und die Früchte des
Herbstes reiften ihm nicht. Ihm waren die nnverwelklichen Blüten
des Himmels aufgegangen. In den Gefilden der Seligen psiückte
er schönere Kränze, mit denen nur die Frommen und Gelten sich
schmücken.
Dem dunkeln Schoß der heil'gen Erde
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen nach des Himmels Rath;
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los. *)
170.
Psalter und Harfe. Bd. I.
Ä-m Grabe stehn wir stille
Und säen Thränensaat,
Des lieben Pilgers Hülle,
Der ausgepilgert hat.
Von Spitta.
Ausl. Leipzig 1854. <3- 155-
Ihn hat nun als den Seinen
Der Herr dem Leib entrückt,
Und während wir hier weinen,
Ist er so hoch beglückt.
Er ist nun angekommen,
Wir pilgern noch dahin,
Er ist nun angenommen,
Der Tod war ihm Gewinn.
Er trägt die Lebenskrone
Und hebt die Palm' empor
Und singt vor Gottes Throne
Ein Lied im höher» Chor.
Er schaut nun, was wir glauben,
Er hat nun, was uns fehlt,
Ihm kann der Feind nichts rauben,
Der uns versucht und quält.
Wir armen Pilger gehen
Hier noch im Thal umher,
Bis wir ihn wiedersehen
Und selig sind, wie er.
l) Aus Schillcr's Glocke.
175
171.
Der sterbende Vater.
, Von Schmid.
Erzählungen. München 1848. Nr. 97.
Ein guter Vater war sehr krank und dem Tode nahe. Ta
rief er noch am letzten Morgen seines Lebens seine Kinder an sein
Sterbebette zusammen und ermahnte sie zu allem Guten; besonders
aber befahl er ihnen, den christlichen Unterricht immer fleißig zu
besuchen und mit Aufmerksamkeit anzunehmen.
‘Siebe Kinder!' sprach er, sich habe fünfzig Jahre lang gelebt
und in dieser Welt viele Freuden genossen; die reinsten, seligsten,
ja wahrhaft himmlischen Freuden aber hat mir die Religion ge-
währt; siebewahrte alle meine irdischen Freuden rein, erhöhte und
veredelte sie. Dies bezeuge ich vor Gott.
'Ich habe fünfzig Jahre gelebt und in dieser Welt vieles
gelitten und manchen harten Kamps zu bestehen gehabt; in allen
Leiden aber habe ich den besten Trost und die sicherste Stütze
einzig in unsrer heiligen Religion gesunden. Ties bezeuge ich vor
Gott.
'Ich habe fünfzig Jahre gelebt, bin öfters dem Tode nahe
gewesen, ja ich werde jetzt den Abend sicher nicht mehr erleben,
und bezeuge es aus Erfahrung und vor Gott: nur die göttliche
Kraft der Religion kann dem Tode seine Schrecken benehmen; nur
der heilige Glaube an unsern Erlöser kann uns Muth und
Stärke geben, den wichtigen Schritt in die Ewigkeit getrost zu
thun und vor Gottes Richterstubl zu erscheinen.
'Bestrebt euch daher, ihn, unsern göttlichen Erlöser, recht
kennen zu lernen und seine heiligen Lehren zu befolgen: so werdet
ihr Gott wohlgefällig sein, zufrieden leben und einst selig sterben.'
Die Kinder vernahmen diese Worte unter heißen Thränen.
Der Vater starb in der nächsten Stunde; die Kinder aber bewahrten
seine letzten Worte ihr Leben lang in ihrem Herzen, befolgten sie
und lernten nun auch aus Erfahrung, daß sie die lautere Wahrheit
seien.
Gottes Wort führt uns den Weg zum Heil;
Wer ihm folget, wählt dos beste Theil.
172.
Lei dem Grabe meines Vaters.
Von Claudius.
Asmus rc. Wandsb. Bote. Hamb. 1775. I u. 11,231. — Werke4. Ausl. Stuttgart 1834. 1,111.
Friede >ei um diesen Grabstein her! Wie ein milder Stern aus bessern
Sanfter Friede Gottes! Ach, sie haben Welten!
Einen guten Mann begraben, Und ich kaun's ihm nicht vergelten,
Und mir war er mehr; Was er mir gethan.
Träufle mir vonSegen, dieserMann, Er entschlief; sie gruben ihn hier ein.
176
Leiser, süßer Trost, von Gott gegeben, Freundlich wird erwecken! — Ach,
Und ein Ahnen von dem ew'gen Leben sie haben
Duft' um sein Gebein — Einen guten Mann begraben,
Bis ihn Jesus Christus, groß und Und mir war er mehr,
hehr,
173.
Die Auferstehung.
Von Klopstock.
Werke. Leipzig 1804. VII,
Äufcrstehn, ja auferstehn wirst du,
Mein Staub, nach kurzer Ruh!
Unsterblichs Leben
Wird, der dich schuf, dir geben!
Halleluja!
Wieder aufzublühn, werd' ich gesät;
Der Herr der Ernte geht
Und sammelt Garben,
Uns ein, uns ein, die starben!
Halleluja!
Tag des Danks, der Freuden-
thränen Tag,
Du meines Gottes Tag,
Wenit ich im Grabe
133. - 1821. vii, 103.
Genug geschlummert habe,
Erweckst du mich!
Wie den Träumenden wird's dann
uns sein!
Mit Jesu gehn wir ein
Zu seinen Freuden;
Der müden Pilger Leiden
Sind dann nicht mehr!
Ach, ins Allerheiligste führt mich
Mein Mittler dann, lebt' ich
Im Heiligthume
Zu seines Namens Ruhme.
Halleluja!
174.
Zwiebel und Knoblauch.
Von Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Au fl. Erlangen 1840. S. 140.
Nie Zwiebel und den Knoblauch, mit Blütchen, die schirm-
artig, in einer Dolde, beisammen stehen, kann sich jeder von seiner
Mutter zeigen lassen. In Egypten schmecken die Zwiebeln freilich
besser, als hier bei uns, gar nicht so scharf, sondern lieblich wie
Nußkern. Dort ißt man sie roh und gebraten, und auch die
Türken sind so sehr an diese Speise gewöhnt, daß sie sagen, sie
möchten nicht einmal im Himmel sein, wenn es dort keine Zwiebeln
zu essen gäbe. Ich denke aber, wer einmal ordentlich in den
Himmel käme, der würde dort gerne Zwiebeln und Knoblauch ver-
gessen und ilvch mehr dazu, und die Kinder Israel hätten sich in
der Wüste auch nicht so uilgeberdig gestellt wegen der Zwiebeln
und des Knoblauchs, wenn sie verstanden hätten, sich in ihrem
Gott zu freuen.
177
Vor einigen Jahren entdeckte man einmal in der ganz zu-
sammengetrockneten Hand einer egyptischen Mumie eine ganz ver-
dorrte, kaum mehr erkennbare Zwiebel. Da machte man mit dieser
den Versuch, feuchtete sie an und bemerkte in kurzem, daß sie anfieng,
ein wenig auszukeimen. Man brachte sie nun in den Boden, und
siehe! die Zwiebel, die doch gewiß seit länger als zweitausend
Jahren mit dem Menschenleichnam begraben und verdorrt war,
lebte wieder auf, grünte und schlug aus. Solche Aufersiehungs-
kräfte hat Gott in den armseligen Leib einer egyptischen Zwiebel
gelegt; sollte er sie in andere Leiber, die fd)on bei ihrem Leben viel
reicher sind an Wundern, als die Zwiebel, nicht auch haben legen
können?
175.
Der Schmetterling und die Ephemere oder Tagstiege.
Von Pfeffcl.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802—1810. X, 17.
Iffllit einer Ephemere fand
Ein Schmetterling an eines Baches Rand
Auf seiner Kreuzfahrt sich zusammen.
'Sei, Base, mir gegrüßt! Aus welchem fremden Land,'
Rief er ihr zu, 'magst du wohl stammen?' —
'Was fremd! ich lebe ja,' sprach sie, 'mein langes Leben
Vom Kind bis zur Matrone hier.'
'Jst's möglich! jeden Tag, den uns die Götter geben,'
Versetzt der Schmetterling, 'besuch ich dies Revier
Und sah dich nie.' Jetzt schlug die Uhr im Flecken.
Die Ephemere bebt. 'Zum drittenmale schon,'
Erseufzet sie, 'vernimmt mein Ohr den Donnerton.
Er rufet mich ins Grab.' — 'Verbanne deine Schrecken;
Schon tausendmal vernahm ich ihn.' —
'Schon tausendmal! wo denkst du hin?
So alt ist kaum die Welt.' — 'Dein Wort in Ehren,
Allein du schwatzest wie ein Kind.
Mein gutes Mütterchen, laß dich belehren,
Daß dort im Flecken Thiere sind,
Die viele Sommer lang die Glocke schlagen hören.' —
'Versteh ich deine Sprache recht,
So nähret diese Flur ein glückliches Geschlecht,
Das niemals stirbt.' — 'Dann hätt' ich dich belogen.
Nicht doch! der Tod ist aller Los.
Erst heute hab ich noch auf dem bcblümten Moos,
Das ihre Gräber deckt, mir Nektar eingesogen.' —
'Sie sterben, sagst du, Freund; ist das auch ihr Geschick,
So müßt' ich nicht, warum das meine härter wäre.
Früh oder spät; im letzten Augenblick
Ist beides eins.' ....Hier starb die Ephemere.
Toltzhorn u. Gödeke'8 Lesebuch I.
12
178
176.
Der Tadici,gröber.
Von A. Lüben.
Lesebuch von Lüben und Nacke 2. Ausl. Leipzig 1853. III, 47.
Eit dem Todten grab er bezeichnet man Käfer, welche die
merkwürdige Gewohnheit haben, todte Thiere, wie Maulwürfe,
Mäuse, kleine Vögel, Frösche, Kröten und dergleichen, §11 begraben.
Legt man im Sommer ein solches Tbier oder ein Stückchen faules
Fleisch auf lockere Erde, so kann man schon nach kurzer Zeit beob-
achten, wie sie dies schwierige Geschäft ausführen. Geleitet durch
ihren feinen Geruchssinn, kommen sie von allen Seiten herbei-
geflogen, untersuchen die Erde und scharren sie, wenn sie dieselbe
locker genug finden, mit ihren kräftigen Vorderbeinen in dem Grade
unter der Leiche weg, daß diese mehrere Zoll tief versinkt und zuletzt
gar nicht mehr von oben zu sehen ist. Wie sie sich zu Helsen
wissen, wenn der Boden unter dem todten Thiere zu hart ist,
erzählt ein schweizer Jnsektenkenner folgendermaßen.
^Jch trat einst an einem schönen Maitage in meinen Garten
bei Winterthur und bemerkte in einem der Wege eine todte Maus
ausgestreckt, die sich von Zeit zu Zeit hin lind her bewegte. Als
ich sie mit dem Stocke umwendete, erblickte ich einen Todtengräber,
der ohne Zweifel durch sein Bemühen, dieses Thier zu begraben,
jene Bewegung bewirkt hatte. Auch ließ er sich durch mich in
seinem Vorbaben keinesweges irre machen, sondern fuhr emsig
fort, sein Todtengräberamt zu treiben, welches ihm jedoch, aller
Anstrengung ungeachtet, nicht gelingen wollte, weil der Boden
festgestampft und zugleich mit grobem Kiessande überschüttet war.
Endlich schien er es aufgeben zu wollen, er verließ die Maus
und lief eine ziemlich weite Strecke im Wege fort. Nach einigem,
wie mich däuchte, ganz zwecklosen Hin- und Herlaufen wendete
er sich seitwärts nach einem Gartenbeete. Kaum spürte er hier
lockern Boden, als er sofort sein voriges Scharren wieder begann,
und da dieses Bier weit besser von Statten gieng, so sah ich ihn
bald geraden Weges nach der Maus zurückkehren, die er nun
durch Zerren, Stoßen und Schieben fortbringen §n wollen schien.
Allein sein Bemühen war ohne Erfolg, und nach manchem ver-
gebens wiederholten Versuche flog er endlich plötzlich auf und da-
von. Somit glaeibte ich nichts gelvisser, als daß er das ganze
Unternehmen völlig aufgegeben habe. Allein wie groß war mein
Erstaunen, als ich ihn nach wenigen Augenblicken mit drei oder
vier anderen seines Gleichen zurückkehren sab. Wie verabredet,
krochen alle augenblicklich unter den todten Körper, der nachher
ansieng, mobil zu werden, und auf dem Rücken der Käfer zwar
langsam, aber geraden Weges nach jenem Gartenbeete sich fort-
bewegte. Als der sonderbare Leichenzug aus der Stelle, wo der
Käfer zuvor gescharrt hatte, angelangt war, gieng die Bestattung
179
des Leichnams förmlich vor sich. Immer tiefer senkte er sich in
den-Boden ein; endlich erschienen sämmtliche Todtengräber auf der
Oberfläche, und in großer Schnelligkeit war das Grab bald zu-
gescharrt, worauf sie theils davon flogen, theils aber sich in das
Grab verkrochen.'
Spießt man ein todtes Thier ans ein Stück Holz und steckt
dies mit dem untern Ende in die Erde, so unterwühlen die Todten-
gräber diese Stütze so lange, bis sie umfällt, und versenken dann
den Leichnam.
Der Zweck dieser beschwerlichen Arbeit ist, ihrer jungen Nach-
kommenschaft eine gefüllte Speisekammer zu bereiten. Ist nämlich
das Werk vollendet, so kommen die Käfer wieder an die Ober-
fläche und paaren sich; daraus begeben sich die Weibchen abermals
in die Erde, legen etwa dreißig Eier an das begrabene Fleisch und
sterben einige Zeit nachher. Die Verwandlung geht wie bei andern
Käfern vor sich, dauert jedoch nicht Jahre lang, sondern ist in
sechs Wochen vollendet.
Jedenfalls erweisen sich die Todtengräber dadurch, daß sie das
Aas verscharren, als nützliche Thiere, die man muthwilligerweise
nicht todten muß.
177.
Die l-ebensreit.
von äsn drücisrn Grimm,
märchen 7, aufl. Göttingen 1857. II, 354.
Als gott die weit geschaffen hatte und allen creaturen ihre
lebenszeit bestimmen wollte, kam der esel und fragte: ‘herr, wie
lange soll ich leben?’ — ‘dreiszig jähre,’ antwortete gott; ‘ist dir
das recht?’ — ‘ach, herr,’ erwiderte der esel, ‘das ist eine lange
zeit. bedenke mein mühseliges dasein: von morgen bis in die
nacht schwere lasten tragen, kornsäcke in die mühle schleppen,
damit andere das brot essen, mit nichts als mit schlagen und
fusztritten ermuntert und aufgefrischt zu werden! erlasz mir einen
theil der langen zeit.’ da erbarmte sich gott und schenkte ihm
achtzehn jähre, der esel gieng getröstet weg, und der hund er-
schien. ‘wie lange willst du leben?’ sprach gott zu ihm, ‘dem
esel sind dreiszig jähre zu viel, du aber wirst damit zufrieden
sein.’ ‘herr,’ antwortete der hund, ‘ist das dein wille? bedenke,
was ich laufen musz, das halten meine füsze so lange nicht aus;
und habe ich erst die stimme zum bellen verloren und die zähne
zum beiszen, was bleibt mir übrig, als aus einer ecke in die
andere zu laufen und zu knurren?’ gott sah, dasz er recht hatte,
und erliesz ihm zwölf jähre. darauf kam der affe. ‘du willst
wohl gerne dreiszig jähre leben,’ sprach der herr zu ihm, *du
brauchst nicht zu arbeiten, wie der esel und der hund, und bist
12*
180
immer gnter dinge.* ‘ach, herr,’ antwortete er, ‘das sieht so aus,
ist aber anders, wenn’s hirsenbrei regnet, habe ich keinen löffel.
ich soll immer lustige streiche machen, gesichter schneiden, damit
die leute lachen, und wenn sie mir einen apfel reichen, und ich
beisze hinein, so ist er sauer, wie oft steckt die traurigkeit hinter
dem spasz! dreiszig jähre halte ich das nicht aus.' gott war gnädig
und schenkte ihm zehn jähre.
Endlich erschien der mensch, war freudig, gesund und frisch
und bat gott, ihm seine zeit zu bestimmen, ‘dreiszig jähre sollst
du leben,’ sprach der herr, ‘ist dir das genug?’ ‘welch eine kurze
zeit!’ rief der mensch, ‘wenn ich mein haus gebaut habe, und
das feuer auf meinem eigenen herde brennt; wenn ich bäume ge-
pflanzt habe, die blühen und fruchte tragen, und ich meines lebens
froh zu werden gedenke: so soll ich sterben! o herr, verlängere
meine zeit.' ‘ich will dir die achtzehn jähre des esels zulegen,’
sagte gott. ‘das ist nicht genug,’ erwiderte der mensch. ‘du
sollst auch die zwölf jähre des hundes haben.’ — ‘immer noch zu
wenig.’ — ‘wohlan,’ sagte gott, ‘ich will dir noch die zehn jähre
des affen geben, aber mehr erhältst du nicht.’ der mensch gieng
fort, war aber nicht zufrieden gestellt.
Also lebt der mensch siebenzig jähr. die ersten dreiszig
sind seine menschlichen jähre, die gehen schnell dahin; da ist
er gesund, heiter, arbeitet mit lust und freut sich seines daseins.
hierauf folgen die achtzehn jähre des esels, da wird ihm eine last
nach der andern aufgelegt: er musz das körn tragen, das andere
nährt, und schlüge und tritte sind der lohn seiner treuen dienste.
dann kommen die zwölf jähre des hundes, da liegt er in den
ecken, knurrt und hat keine zähne mehr zum beiszen. und wenn
diese zeit vorüber ist, so machen die zehn jähre des affen den
beschlusz. da ist der mensch schwachköpfig und närrisch, treibt
alberne dinge und wird ein spott der kinder.
178.
Vas menschliche Leben.
Bon vr. Martin Luther.
Werke 2. Aufl. Hamburg 1827. III, 159.
Der Knabe.
íí&etn Leben fängt mit Thränen an,
Mit Thränen muß es sich auch schließen.
Was ich nun davon sagen kann,
Ist nichts als lauter Thränengießen.
Der Jüngling.
Ehrwürd'ger Greis, ich frage frei,
Sag an, was doch das Leben sei.
181
Der Alte.
Mit Schmerz gieng an mein Lebenslauf,
Mit Schmerz hört er auch wieder auf.
179.
Sprüche.
ÄHie man glaubt, so lebt man;
Wie man lebt, so stirbt man;
Wie man stirbt, so fährt man;
Wie man fährt, so bleibt man.
Wenn ich komme, bin ich hier;
Wenn ich braue, hab' ich Bier;
Wenn ich backe, hab' ich Brot;
Wenn ich sterbe, bin ich todt.
Laß regnen, weil es regnen mag;
Das Wasser will seinen Lauf,
Und wenn es ausgeregnet hat,
So hört's von selber auf.
Deutscher Sinn ist Ehrenpreis,
Deutsches Herz Vergißmeinnicht,
Deutsche Treue Augentrost.
Sprich, was wahr ist,
Trink, was klar ist,
Iß, was gar ist.
Fröhlich in Ehren,
Mag niemand verwehren.
Friede ernährt,
Unfriede verzehrt.
Ein Gast ist wie ein Fisch:
Er bleibt nicht lange frisch.
Geld genommen,
Um Freiheit gekommen.
Schweig, leid' und vertrag;
Dein Unglück niemand klag.
Thäten wir nur, was wir sollten,
Thäte Gott auch, was wir wollten:
Weil wir nicht thun, was wir sollen,
Thut auch Gott nicht,was wir wollen.
Ich lebe, weiß nicht, wie lang;
Ich sterbe, weiß nicht, wann;
Ich fahre, weiß nicht, wohin:
Mich wundert,daß ich noch fröhlich bin !
Da wir tranken unsern Trank.
Da wir sangen unsern Sang,
Da wir trugen unser Gewand:
Da stund es wohl in unserm Land.
Kommt der Dieb zum Eide,
Und der Wolf zur Heide:
Gewonnen Spiel für beide.
Pflügen und nicht säen,
Lesen und nicht verstehen —
Ist bald müßig gehen.
Eile
Mit Weile.
Sehr fröhlich: gefährlich;
Sehr traurig: beschwerlich.
DenGeizhals und ein fettesSchwein
Sieht man im Tod erst nützlich sein.
Geld das ist weder bös noch gut;
Es liegt an dem, der's brauchen thut.
Schweigen das ist die Kunst;
Klaffen bringt Ungunst.
Denk nichts, was nicht alle Leute wissen dürfen;
Rede nichts, was nicht alle Leute hören dürfen;
Thu nichts, was nicht alle Leute sehen dürfen.
182
180.
Parabel.
Von Rückcrt.
Ges. Gedichte. Bd. I. 5. Aufl. Erlangen 1840. S. 51. — Frauentaschenb. f. 1823. S. 352.
Esgieng ein Mann im Syrerland,
Führt' ein Kamel am Halfterband.
Das Thier mit grimmigen Geberden
Urplötzlich anfieng scheu zu werden
Und that so ganz entsetzlich schnaufen,
Der Führer vor ihm mußt' entlaufen.
Er lief und einen Brunnen sah
Don ungefähr am Wege da.
DasThier hört er im Rücken schnauben,
Das mußt' ihm die Besinnung rauben.
Er in den Schacht des Brunnens kroch,
Er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeerstrauch
Aus des geborstnen Brunnens Bauch,
Daran derMann sich fest that klammern
Und seinen Zustand drauf bejammern.
Er blickte in die Höh' und sah
Dort das Kamelhaupt furchtbar nah,
Das ihn wollt' oben fassen wieder.
Dann blickt' erin den Brunnen nieder;
Da sah am Grund er einen Drachen
Aufgähnen mit entsperrtem Rachen,
Der drunten ihn verschlingen wollte,
Wenn er hinunter fallen sollte.
So schwebend in der beiden Mitte
Da sah der Arme noch das dritte.
Wo in die Mauerspalte gieng
Des Sträuchleins Wurzel, dran er
hieng,
Da sah er still ein Mäusepaar,
Schwarz eine, weiß die andre war.
Er sah die schwarze mit der weißen
Abwechselnd an der Wurzel beißen.
Sie nagten, sausten, gruben, wühlten,
Die Erd' ab von der Wurzel spülten
Und wie sie rieselnd niederrann,
Der Drach' im Grund aufblickte dann,
Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde
Der Strauch entwurzelt fallen würde.
Der Mann in Angst und Furcht
und Noth,
Umstellt, umlagert und umdroht,
Im Stand des jammerhaften Schwe-
dens,
Sah sich nach Rettung um vergebens.
Und da er also um sich blickte,
Sah er ein Zweiglein, welches nickte
Vom Brombeerstrauch mit reifen
Beeren;
Da konnt' er doch der Lust nicht wehren.
Er sah nicht des Kameles Wuth
Und nicht den Drachen in der Flut
Und nicht der Mäuse Tückespiel,
Als ihm die Beer' ins Auge fiel.
Er ließ das Thier von oben rauschen
Und unter sich den Drachen lauschen
Und neben sich die Mäuse nagen,
Griff nach den Beerlein mit Behagen,
Sie bäuchten ihn zu essen gut,
Aß Beer' auf Beerlein wohlgemuth,
Und durch die Süßigkeit im Essen
War alle seine Furcht vergessen.
Du fragst: Wer ist der thöricht'
Mann,
Der so die Furcht vergessen kann?'
So wiß, o Freund, der Mann bist du;
Vernimm die Deutung auch dazu.
Es ist der Drach' im Brunnengrund
Des Todes aufgesperrter Schlund;
Und das Kamel, das oben droht,
Es ist des Lebens Angst und Noth.
Du bist's, der zwischen Tod und Leben
Am grünen Strauch der Welt mußt
schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
Dich sammt den Zweigen, die dich
tragen,
Zu liefern in des Todes Macht,
Die Mäuse heißen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl verborgen
VomAbend heimlich biszumMorgen,
Es nagt vom Morgen bis zum Abend
Die weiße, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und Wust
Lockt dich die Beere Sinnenlust,
Daß du Kamel die Lebensnoth,
Daß du im Grund den Drachen Tod,
Daß du die Mäuse Tag und Nacht
Vergissest und auf nichts hast Acht,
Als daß du recht viel Beerlein haschest.
Aus Grabes Brunnenritzen naschest.
183
181.
Wunderbare Ledensrettung.
Von Fr. Jacobs.
Die Feierabende in Mainau. Leipzig 1820. I, 44 — 2 Ssufl. 1843. S. 33.
Ich mochte etwa zehn Jahr alt sein, etwas mehr oder weniger,
da schickte mich meine Mutter in den Keller, um einen Krug Wein
heraufzuholen; denn es war eben die Erntezeit, und der Wein sollte
den Schnittern ans das Feld gebracht werden. Ich war immer
frohen Gemüths und sprang fast mehr, als ich gieng; und da ich
mich in dem dunkeln Keller fürchtete und mir Herz machen wollte,
sprang und tanzt' ich noch ärger als sonst. Nun ist Harrach, wo
ich geboren bin, auf alte Schachte gebaut, die aber seit Jahren
verfallen sind. Um den ganzen Ort liegt das Gestein des einge-
gangenen Bergwerks, und in manchen Häusern sind halb offene
Gänge, die man zum Theil zu Kellern eingerichtet hat. Auch
unser Haus war auf einen Schacht gebaut, was aber niemand
wußte, oder woran niemand dachte; — ich weiß es nicht. — Da
ich nun so herzhaft sprang und eben den Krug, der in der Ecke
stand, ergriffen hatte, that sich die Erde unter mir auf, und ich
sank — ich weiß selbst nicht mehr, wie — hinab. Ich hätte mich
vielleicht halten können; aber ich wollte den Krug nicht fahren
lassen, den ich in der Hand hielt, und so fuhr ich wohl Hauses
hoch in die Tiefe und wäre in den Abgrund hinabgestürzt, hätte
nicht ein Haken, der zur Befestigung der Fahrten gedient haben
mochte, meine Nocke ergriffen. Da ich beim Hinabstürzen entsetzlich
schrie, hörte meine Mutter, die eben in der Küche beschäftigt war,
mein Angstgeschrei und kam mit einein Lichte herbei gelaufen; un£>
da sie die Öffnung sah und mich nicht fand, auch auf ihr Rufen
keine Antwort bekam, mußte sie wohl glauben, ich sei iu der Tiefe
umgekommen.
Meine Mutter hat mir öfters erzählt, der Schrecken habe sie
so außer sich gesetzt, daß sie mir fast nachgestürzt iväre. Es sei
ihr dunkel vor den Augen geworden; sie habe sich kaum ans ihren
zitternden Knien halten können: aber der Gedaiike, daß doch viel-
leicht noch Rettniig möglich sei, habe ihr wieder Kraft gegeben.
Sie eilte die Treppe hinauf und rief um Hülfe; aber niemand
hörte sie, da alles ans dem Felde war.' Erst da sie die Straße
hinab lief und immer ängstlich schrie, hörten einige Nachbarinnen
das Unglück, liefen herzu, sahen händeringend in den Schacht hinab
und wußten keine Hülfe.
Ich hatte beim Fallen das Bewußtsein verloren, und ich wäre
nur gar zu glücklich gewesen, wenn es nicht eher, als nach meiner
Rettung, zurückgekommen wäre. Aber ich kam nach einiger Zeit
wieder zu mir selbst. Wo ich war, wußte ich nicht; aber ich fühlte,
daß ich zwischen Himmel und Erde schwebte, und daß ich vielleicht
184
in dem nächsten Augenblicke in die bodenlose Tiefe hinab stürzen
könnte. Ich war in einer so unbeschreiblichen Angst, daß ich kaum
wagte zu schreien; da ich aber Stimmen über mir und ein er-
bärmliches Wehklagen hbrte, bat ich um Gotteswillen, mir zu helfen.
Da schwieg das Wehklagen einen Augenblick, fleug aber dann nur
noch heftiger an. Denn da ste hörten, daß ich noch lebte, und
doch keine Hülfe wußten, wurde ihr Jammer noch größer. Ich aber
sank, da mir keine Hülfe erschien, in meine vorige Betäubung zurück.
Au Rath fehlte es nicht, denn jedermann gab den seinigen;
aber es zeigte sich immer gleich, daß nicht viel damit anzufangen
war. Sie versuchten Stricke hinabzulassen; aber diese erreichten
mich nicht, Stangen noch weniger. Und wie hätte ich mich auch
an einer Stange oder einem Stricke festhalten können, ohne in
einer solchen Höhe wieder hinabzugleiten? Endlich hatten sie doch
einen alten Bergmann herbeigerufen, der etwas besser Bescheid
wußte. Er steng damit an, die Öffnung behutsam 311 erweitern,
schasste dann eine Winde herbei, an die er einen Eimer befestigte;
aber so sehr man auch eilte, gieng doch viele Zeit hin. Ängstlich
sahen die Umstehenden den Zurüstungen ;u; viele beteten laut,
und in den fürchterlichen Augenblicken der Besinnung, die von Zeit
zu Zeit meine Ohnmacht unterbrachen, hörte ich einzelne Worte
von Sterbeliedern und Gebeten in Todesgefahr, die ich nur all-
zu wohl aus meinem Gesangbuche kannte. Endlich war die Winde
aufgestellt, der Eimer befestigt, und der alte Mann stieg, mit einem
Lichte auf der Mütze, in den Eimer, nachdem er vorher erklärt
hatte, es könne ja sein, daß er mich beim Hinabfahren mit fort-
risse. Langsam und vorsichtig wurde der Eimer hiuabgewunden.
Ich sah das brennende Licht, und es war mir, als ob ein Stern
vom Himmel zu mir herabfliege und Hülfe brächte. Über mir war
Todtenstille. Ohne zu wissen, was ich that, drückte ich mich, so
sehr ich konnte, an die feuchte Wand, von der sich kleines Gestein
ablöste und widerhallend in die Tiefe rollte. Mein ängstliches
Stöhnen bezeichnete den Ort, wo ich mich befand. Jetzt fieng der
alte Mann an, mir Trost zuzusprechen; er hoffe mich nun mit
Gottes Hülfe zu retten; ich solle nur nicht verzagen. Schon sah
ich den Eimer über mir schweben; dann näher und immer näher:
aber die Öffnung war so eng, daß er nicht neben mir vorbei konnte.
Mein Netter gab also ein Zeichen, daß man oben mit dem Winden
inne halten solle, und reichte mir einen Strick mit einer Schlinge;
in diese griff ich hinein und hob mich ein wenig in die Höhe.
Schon konnte ich mit einer Hand den schwebenden Eimer berühren,
dann auch mit der andern. In diesem Augenblicke rissen die Fäden,
an denen ich bis jetzt so wunderbar gehangen hatte. Der Eimer
schwankte; aber ich hieug schon an den Händen meines Retters.
Er hob mich zu sich hinein und rief: ^Danket Gott da oben; ich
habe das Kind!'
185
Ich saß nun auf dem Schoße des Bergmanns in dem Eimer,
und als dieser hinaufgewunden wurde, war das erste, was mir
einfiel, da ich mich in Sicherheit sah, der schöne Krug, der mir
beim Hinabfallen aus den Händen geglitten war. Ich fieng an,
bitterlich zu weinen. <Was weinst du denn, Kind?' sagte der alte
Mann; Ks hat nun keine Gefahr mehr; wir sind gleich oben.' —
<Ach, der Krug! der Krug!' sagte ich, immer schluchzend; Kr war
ganz neu und unser schönster!'
Jetzt kamen wir an den Rand der Öffnung. Meine Mutter
lag mit ausgebreiteten Armen darüber her und langte nach mir.
Mein Retter hielt mich ihr hin. Mit zitternden Händen faßte sie
mich unter den Armen und zog mich zu sich. Alle Umsteheuden
jubelten; alle wollten mich herzen: aber meine Mutter gab mich
nicht vom Arm. Sie hatte mich immer lieb gehabt, die gute
Mutter; aber von dieser Zeit an wurde ich recht ihr Augapfel.
Ich durfte sie nickt verlassen, und wenn sie sich den ganzen Tag
mit mir beschäftigt hatte, glaubte sie doch, ihrer Pflicht noch nicht
genug gethan §u haben.
Ich habe nachher mehr als einmal von der Mutter gehört,
daß, als sie die Worte des Bergmanns: ^Danket Gott da oben;
ich habe das Kind!' vernommen, es ihr erst wie ein großer Sckrecken
durch das Herz gefahren sei; dann hätte sie es gar nictjt für
möglich gehalten und wäre niedergefallen mit dem Gesicht auf
die Erde und hätte nur weinen können. Als aber das Licht
wieder in die Höhe gestiegen sei, und sie ihr Kind bei dem schwa-
chen Schein erkannt und lebendig gesehn habe, wäre es ihr ge-
wesen, als thäte sich der Himmel auf mit aller seiner Herrlichkeit.
Sie habe diesen seligen Augenblick auch nie wieder vergessen, son-
dern Gott täglich dafür gedankt.
Meine Mutter war eine sehr fromme Frau und stand auch
deshalb bei der ganzen Nachbarschaft in großem Ansehn. Gott
hat ihr mancherlei Prüfungen auferlegt; aber nie habe ich sie
kleinmüthig gesehn oder murren hören. Sie sagte oft ju uns
Kindern, sie hätte in allen ihren Leiden recht deutlich Gottes Vater-
liebe erkannt; denn alle wären- zuletzt zu ihrem Segen ausge-
schlagcn. Der Schreckenstag aber, wo sie mich verloren unk wie-
der erhalten, habe sie erst recht in dem Glauben an Gottes Güte
bestärkt und befestigt.
182.
Are Schatzgräber. *
Von Bürger.
Gedichte, herausg. von Reinhard. Güttingen 1796. II, 127.
Ein Winzer, der am Tode lag,
Rief seine Kinder an und sprach:
186
'In unserm Weinberg liegt ein Schatz;
Grabt nur darnach!' — 'An welchem Platz?' —
Schrie alles laut den Vater an.
'Grabt nur!' . . O weh! da starb der Mann.
Kaum war der Alte beigeschafft,
So grub man nach aus Leibeskraft.
Mit Hacke, Karst') und Spaten ward
Der Weinberg um und um gescharrt.
Da war kein Kloß, der ruhig blieb;
Man warf die Erde gar durchs Sieb
Und zog die Harken kreuz und quer
Nach jedem Steinchen hin und her.
Allein da ward kein Schatz verspürt,
Und jeder hielt sich angeführt.
Doch kaum erschien das nächste Jahr,
So nahm man mit Erstaunen war,
Daß jede Rebe dreifach trug.
Da wurden erst die Söhne klug
Und gruben nun jahrein, jahraus
Des Schatzes immer mehr heraus.
183.
Die sieben Stäbe.
Von Schmid.
Kurze Erzählungen. München 1848. S. 106.
Ein Vater, hatte sieben Söhne, die öfters mit einander un-
eins wurden. Über dem Zanken und Streiten versäumten sie die
Arbeit. Ja, einige böse Menschen hatten im Sinne, sich diese
Uneinigkeit zu Nutzen zu machen, um die Söhne nach dem Tode
des Vaters um ihr Erbtheil zu bringen.
Da ließ der ehrwürdige Greis eines Tages alle sieben Söhne
zusammen kommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusam-
men gebunden waren, und sagte: 'Demjenigen von euch, welcher
diesen Bündel Stäbe entzwei bricht, zahle ich hundert große Tha-
ler bar.'
Einer nach dem andern strengte alle seine Kräfte an, und
jeder sagte nach langem vergeblichen Bemühen: 'Es ist gar nicht
möglich.'
'Und doch,' sagte der Vater, 'ist nichts leichter.' Er löste den
Bündel ans und zerbrach einen Stab nach dem andern mit ge-
ringer Mühe. 'Ei,' riefen die Söhne, 'so ist es freilich leicht, so
könnte es ein kleiner Knabe!'
Der Vaters aber* sprach: 'Wie es mit diesen Stäben ist, so
ist es mit euch,'meine Söhne. So lange ihr fest zusammen haltet,
werdet ihr bestehen, und niemand wird euch überwältigen können.
J) Hacke mit zwei Zähnen.
187
Wird aber das Band der Eintracht, das ench verbinden soll, aus-
gelöst, so geht es euch, wie den Stäben, die hier zerbrochen auf
dem Boden umher liegen.'
Das Haus, die Stadt, das ganze Land
Bestehet durch der Eurtracht Band.
184.
Der Ichutzgeist.
Bon Südow.
Zerstreute Gedichte.
Noch spät in der herrlichen Somniernacht
Stund der Graf auf des Schlosses Altan
Und wies in der Kunde der Sternenpracht
Die staunenden Knaben herzlich an
Und lockte so aus der Kindheit Schranken
Der Gottheit ernsten, erhabnen Gedanken.
'Hoch über des Himmels gestirntem Haus
Wohnt, der euch all' eure Freuden schenkt;
Und wer ihm vertrauet, der hat's voraus,
Daß er im Unglück des Lieblings gedenkt.'
Er sprach's — und schied. — 'Schlaft wohl, ihr Lieben,
Schon ziehet der Nachtbauch kalt von drüben.' —
Im oben Flügel der gothischen Burg,
Drei Zimmer weit von der Knaben Gemach,
Blieb der Graf die Nacht hindurch
Und sehnt' und weint' der Gattin nach:
'Ich gab sie, mein Gott, dir mit Schmerzen,
Nur meine Kinder laß meinem Herzen!'
Und horch! — dort drüben im Kämmerlein
Rust's laut den ältern beim Namen: 'Emil!'
Schnell rafft er sich auf: 'Soll's der Vater sein?
Oder täuscht mich des Traumes Spiel?'
Er macht indes sich aus dem Bette
Zum Vater, ob er gerufen hätte. —
'Ich rief dich nicht! des Schläfers Sinn
Bethörte der luftigen Träume Spiel!'
Doch kaum warf der Knabe sich wieder hin,
So rief's von neuem: 'Emil! — Emil!' —
Und abermals lief er hin: 'Ich wette,
Daß mich der Vater gerufen hätte? —
'O, nicht doch, mein Lieber, dich äfft der Sturm,
Im Wipfel der alten Ulm erwacht,
Und Wächterruf, der laut vom Turm
Verkündet so eben die Mitternacht. —
188
Der Donner rollt, — wie das Wetter leuchtet!
Geh! hülle dich ein, die Nachtluft feuchtet!'
Der Knabe gehorcht und schleicht zurück
Und weckt den Bruder und weint und spricht:
'Der Vater ruft mich im Augenblick,
Und da ich komme, weiß er's nicht! —
Sei wach, Bruder Wilhelm, mir graut allein!
Gieb Acht! Bleib munter mit mir im Verein!'
Und Stille herrscht durch den düstern Saal,
Und draußen der pfeifenden Winde Spiel;
Und horch! — jetzt ruft es zum drittenmal
Und länger und lauter: 'Emil! — Emil!'
Da eilten zum Vater die beiden Brüder:
'Hier sind wir; riefst du nicht eben wieder?' —
Der Graf erschrickt und starret sie an,
Ihm schauert es kalt durchs Gebein:
'Nun wohl, meine Kinder, die Nacht fortan
Sollt ihr nicht mehr entfernt von mir sein!'
Er reißt sic herauf mit ahnenden Blicken,
Sie an sein klopfendes Herz zu drücken.
Und als er sie beide so sanft umschloß,
Da stürzte die Deck' in der Knaben Gemach,
Und ftcrchtbar bebte das alte Schloß,
Der Staub in Wolken wälzte sich nach,
Und tief in den Trümmern der wüsten Stätte
Lag zerschmettert das kaum verlaßne Bette.
185.
Der Einsturz.
Bon Jacobs.
Kleine Erzählungen des Pfarrers von Mainau. 2. Aufl. Leipzig 1844. S. 61.
Ein altes Gebäude sollte abgetragen werden, um ein neues
aufzuführen; da es aber mürber war, als man geglaubt hatte, so
geschah es, daß während der Arbeit ein großer Theil mit gewal-
tigem Getöse zusammenbrach. Der Boden umher bebte; dichte
Wolken von Staub erfüllten die Luft; alles umher war mit Ber-
gen von Schutt bedeckt. Von den Arbeitern war niemand be-
schädigt.
Während aber diese bestürzt und staunend in den Ruin hin-
einsahen, drang eine junge Frau mit Angstgeschrei über die Schutt-
haufen und durch das Staubgewölk nach der offnen Straße vor,
ohne sich darum zu kümmern, daß man ihr zurief, auch die
noch stehende Wand drohe den Einsturz, und sie werde von den
überhängenden Balken erschlagen werden. Einer Wahnsinnigen
189
ähnlich, rief sie ohn' Unterlaß: "Mein Kind! mein Kind! Wo ist
mein Karl? Erbarm' es Gott, er ist erschlagen!' — Dann sich an
die Nächststehenden wendend, schrie sie ihnen zu: Werst den Schntt
weg; um Gotteswillen, grabt, sucht! Er lebt vielleicht noch. Rettet,
rettet mein Kind!'
Bei diesem mütterlichen Angstgeschrei lief alles zusammen.
Einige der Arbeiter erinnerten sich nun allerdings, daß sie eenen
Knaben hatten umherlausen sehn; sie hatten aber nicht aus ihn
geachtet. Und nun meinten sie, er könne wohl zu Schaden ge-
kommen sein; aber unter welchem Schutthaufen er stecke, könne
niemand sagen; auch sei uichts zu thun, da auch das, was noch
stehe, jeden Augenblick einzustürzen drohe.
Die Verzweiflung der Mutter kann niemand beschreiben.
Der vermißte Knabe war aber nicht umgekommen. Als die
Staubwolke sich verzog, und man wieder Heller sehen konnte, er-
schien er in seinem bunten Röckchen, mit Staub überpudert, auf
der Brüstung eines Fensters der noch stehenden Wand und sah
furchtlos und neugierig in die Verwüstung hinab. Und da er
seine Mutter erblickte, rief er ihr zu: "Mutter, Mutter, siebe doch,
wie groß ich bin, und wo ich stehe, und hole mich; ich kann so
allein nicht wieder hinunter.'
Da erstand ein Jubel ohne Gleichen. Alle Blicke richteten
sich nach dem Knaben hin, und die Mutter hätte der freudige
Schrecken fast zu Boden geworfen. Zitternd vor Angst und Freude,
lief sie nun zurück über die Schutthügel, klimmte die halbzertrüm-
merten Stiegen hinauf, und mit allsgebreiteten Armen sieng sie
den Knaben auf, der ohne Kenntnis der Gefahr sich ihr lachend
entgegen warf.
Das Gerücht voil diesem Ereignisse verbreitete sich durch die
Stadt, und den ganzen Tag kamen Leute zu der Stelle, um das
Fenster zu sehen, wo der Knabe so keck und wohlgemuth gestanden
hatte. Was ihm den Tod gedroht hatte, gereichte ihm zum Glück.
Denn da man erfuhr, daß er eine vaterlose Waise, seine Mutter
aber eine arme Frau sei, traten einige wohlthätige Familien zu-
sammen und nahmen sich der Mutter und des Kindes an. Und
der Knabe wurde gut erzogen und ward ein geschickter Maurer,
der manches Haus baute, wobei er denil oft Gelegenheit hatte an
das zu denken, was ihm als Knaben begegnet war.
186.
Der Netter.
Bon Pfeffcl.
Poetische Versuche. 4. Ausl. Tübingen 1802 — 1810. !, 182.
Don einem Weih verfolgt, entrann
Ein Haselhuhn in eine Höhle;
190
Da sprang ein schlimmerer Tyrann,
Ein rascher Fuchs, ihm an die Kehle.
Doch schnell macht es ein Jäger frei:
Sein Hund, der ihm die Spur verrathen,
Zerriß den Fuchs, er schoß den Weih
Und ließ das gute Hühnchen — braten.
187.
Das beschützte Lamm.
Von Lesfing.
Schriften, herauZg. von Lachmann. Berlin 1838- I, 146.
Hylax, aus dem Geschlechte der Wolfshunde, bewachte ein
frommes Lamm. Ihn erblickte Lykodes, der gleichfalls an Haar,
Schnauze und Ohren einem Wolfe ähnlicher war, als einem Hunde,
und fuhr auf ihn los. 'Wolf,' schrie er, 'was machst du mit
diesem Lamme?' — 'Wolf selbst!' versetzte Hylax — die Hunde
verkannten sich beide; — 'geh; oder du sollst es erfahren, daß ich
sein Beschützer bin!'
Doch Lykodes will das Lamm dem Hylax mit Gewalt neh-
men, Hylax will es mit Gewalt behaupten, und das arme Lamm
— treffliche Beschützer! — wird darüber zerrissen.
188.
E r d e n l o s.
Von Fröhlich.
Fabeln 2. Aufl. Aarau 1829. S. 172. —
Aus Thälern, grün in Klee,
Entflohen auf zum Schnee
Die Gems und ihre Kinder. —
'Zwar ist der Weidung minder,'
Sagt sie, 'um Eis und Schnee; '
Doch süße Kräuter sprießen
Hier in der reinen Luft,
Vergl. Ges. Schriften. Frauenfeld 1853. I, 183.
Und keine Luchse schießen
Herab aus Baum und Kluft.
Hier sind wir alle freier
Als drunten in dem Thal.'
Sie sagt's — der Lämmergeier
Stürzt auf sie wie ein Strahl.
189.
-
Der C> ol - adler.
Von Reichenbach.
Volksnaturgeschichte. Neue Aufl. Leipzig 1854. I, 323.
Der bekauuteste Adler, derjenige, den man oft den König der
Vögel nennt, ist der Stein-, Gold- oder gemeine Adler.
191
v
Seine Füße sind bis an bie Zehen hellfarbig befiedert und
die Zehen mit drei großen Schildern versehen; die Nasenlöcher
liegen schief, und der Schnabel ist bw unter die Angen gespalten.
In der Ruhe erreichen die Flügelspitzen noch nicht das abgerundete
Ende des Schwanzes. Die Farbe des Gefieders ist mehr oder
minder braun, der Hinterkopf gelbbraun, die obere Hälfte des
Schwanzes weiß, und das übrige schwarz. Der Schnabel ist horn-
farbig blau und an der Spitze schwarz, die dicke Wachsbaut
gelb. Das Auge ist gelb. Die Zehen sind gelb, und die starken,
sehr gekrümmten, spitzigen Klanen schwarz. Das Männchen sieht
wegen seiner dunkleren Farbe in der Ferne ganz schwarz ans, und
man nahm daher sonst zwei Arten an, einen braunen und einen
schwarzen. Beide sind aber eine Art und nicht einmal Spiel-
art zu nennen. Man glaubt, der Goldadler sei der Steinadler
im vollkommenen Gefieder. Das Männchen ist 23/4 Fuß, das
Weibchen 3% Fuß lang; die Flügelweite des Weibchens beträgt
71/. Fuß.
Dieser Adler lebt in großen Wäldern unb besonders in waldigen
Gebirgen von ganz Europa, dem nördlichen Asien und Amerika.
In Deutschland durchstreift er im Winter die Felder, im Sommer
aber lebt er in einsamen Wäldern und Gebirgen. In der Schweiz
wohnt er aus den Alpen. In seiner Näbe liebt er Flüsse und Seen.
Er hat einen hohen, majestätischen Flug; langsam in Kreisen
schwebend, ohne Flügelbewegnng, erhebt er sich himmelan, so hoch,
wie fast kein anderer Vogel, so hoch oft, daß er kaum noch gesehen
werden kann. In den niedern Lnstregionen ist sein Flug schwim-
mend, mit langsamen Flügelschwingungen abwechselnd, wenn er
aber auf Bente stößt, rasch und ungestüm. Diese Bente kann er
bei der Schärfe seines Auges ans großer Ferne erspähen; und hat
er sie einmal erspäht, so schießt er mit der Schnelligkeit eines Blitzes
herab, so daß es schwer ist, ihm zu entgehe». Überall Gefahr ah-
nend, ist er scheu und vorsichtig in hohem Grade. Er liebt die
Einsamkeit; doch sieht man sehr oft, auch außer der Brutzeit,
Männchen und Weibchen beisaminen, zuweilen beide sogar gemein-
schaftlich jagen.
Schon im März baut dieser Vogel sein Nest, das auch Horst
heißt. In den Wäldern des nördlichen Deutschlands findet man
sein Nest auf uralten Eichen und Kiefern; im südlichen Deutsch-
land und in der Schweiz befindet es sich aber gewöhnlich in einer
Spalte von unerfteiglichen Felsen. Es ist groß und flach, ans
dürren Zweigen unkünstlich gestockten und inwendig mit Heidekraut,
Wolle, Haaren u. s. w. ausgefüllt. Die ziemlich großen Eier sind
weiß mit kastanienbraunen kleinen und größeren Flecken und in der
Regel drei bis vier an der Zahl; dock findet man gewöhnlich nur
zwei Junge in einem Neste. Diese sind anfangs weißwollig und
werden von den Alten mit Fleisch gefüttert, das sie ihnen ans den
192
Rand des Nestes hinlegen. Auch vertheidigen die Alten sie tapfer
gegen die Feinde. Werden sie in ihren Nestern nicht gestört, so
kommen sie gewöhnlich im andern Jahre wieder.
Manche Völker zähmen den Steinadler und richten ihn zur
Jagd auf Antilopen, Hasen re. ab. Durch seine Räubereien thut
er oft großen Schaden; daher bezahlt man in cultivierten Ländern
dem Jäger für die abgelieferten Beine oder Fänge eines den Jagden
und der Wildbahn so nachtheiligen Vogels ein gutes Lösegeld.
Vom schüchterneu Reh bis zur schnellfüßigen Maus, vom schwer-
fälligen Trappen bis zum harmlosen Rebhuhn ist nichts vor seinen
Klauen sicher; Hirsch- unb Rehkälber, Frischlinge, Lämmer und
junge Ziegen, Hasen und Kaninchen, sogar Füchse, Dachse und
Katzen bluten unter seinen Räuberklauen. Wenn er nichts von
alle diesen auftreiben kann, so nimmt er auch wohl mit einem
Hamster oder Maulwurf, einer Ratte oder Maus fürlieb. Er soll
auch, vorzüglich wenn er Junge hat, zuweilen Kinder von zwei
Jahren und darüber wegschleppen, auch Schlangen fressen; Fische
dagegen raubt er nie, dazu eignen sich seine Füße nicht. Die Hasen
sind seine Lieblingsspeise; überhaupt scheint er das Fleisch vier-
füßiger Tbiere dem der Vögel vorzuziehen. Er ist stark genug,
einen erwachsenen Hasen eine ziemliche Strecke mit sich fortzu-
tragen. Unter den Vögeln verfolgt und erhascht er vorzugsweise
die größeren, als Trappen, wilde Gänse, Kraniche, Störche, Fa-
sanen, Auer- und Birkhühner, auch wilde Enten, von zahmem
Gessügel Gänse, Enten, Pfauen, Puter- und Haushühner. Be-
sonders liebt er das Fleisch der Gänse; wenn aber diese, so wie
die Enten, das Wasser erreichen können, so retten sie sich durch
blitzschnelles Untertauchen. Angeschossene verfolgt er auf freiem
Wasser so lange, bis sie durch zu oft wiederholtes Untertauchen ihre
Kräfte ganz erschöpft haben nnb so endlich doch seine Beute werden
müssen. Die Rebhühner verfolgt er so lange, bis sie ermüdet sich
im Sitzen ergreifen lassen.; denn im Fluge sind sie ihm zu schnell.
Dem Wanderfalken jagt er zuweilen seine gemachte Beute ab und
nimmt Besitz davon, daher man ihn auch wohl einmal eine Taube
speisen sieht, die er aber nur auf diese Weise bekommen kann, da
anet) die Tauben zu flüchtig für ihn sind, um sie sich selbst fangen
zu können. Die erhaschten Thiere frißt er öfters schon an, ehe er
sie tödtet, und läßt sich durch ihr jämmerliches Geschrei darin nicht
stören. Im Winter geht er sehr gern aufs Aas.
Muth, Kraft, Raubgier, Gewandtheit und Klugheit blicken
aus allen seinen Handlungen hervor; aus seinem wilden, trotzigen
Blicke schoil leuchtet das Bewußtsein und das Vertrauen eigeiler
Stärke, flirchtbar allen Geschöpfen, die ihm hierin ilicht überlegen
sind. Seille plötzliche Erscheinung, bemerkt ein sorgsamer Beob-
achter, verbreitet Furcht und Eirlsetzen unter den Vögeln und unter
den Säugethieren, zumal wenil er, übermüthig genug, seine hell-
193
tönende Stimme erschallen läßt. Diese klingt chia, hin!' oder
‘gügat)P Erst im verwichcnen Frühjahr, wo ich mich in einem großen
Bruche in der Nähe ansehnlicher Wälder befand, schwebte maje-
stätisch ein Steinadlerpaar über mir und ließ, meiner Ohnmacht,
es mit der Büchsenkugel zu erreichen, spottend und mit einander
spielend, seine Stimme hören, und hier bemerkte ich, daß zwischen
den Stimmen beider Gatten ein merklicher Unterschied stattfand,
der aber mehr im Ton als in der Modulation lag und stich nicht
gut durch Worte versinnlichen läßt. Beim Angriff hörte ich zu-
weilen auch ein hastiges ^Keck! keck! keck!' von ihm. Diese Töne
und sein Erscheinen verbreiten Todesschrecken über alle Geschöpfei
die zahmen Gänse erheben ein gräßliches Geschrei und lausen oder
stiegen dem ersten besten Wasser zu, um sich durch Untertauchen zu
retten z die Hasen eilen nach dem nächsten Gebüsch, um sich ver-
stecken zu können; selbst das größere Wild erzittert und sucht sein
Heil in der Flucht.
*Des Adlers echter Name ist Aar; Adler ist aus dem zusammen-
gesetzten Adel-Aar hervorgegangen.*
190.
Lied aus Wilhelm Cell.
Von Schiller.
The.iter. Bd. V. Tübingen 1807. S. 5. — Werke. Stnttg. u. Tüb. 1838. VI, 5.
Fischerknabc.
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen
Wie Flöten so süß/
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
'Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh' ihn herein.'
Hirt.
Ihr Matten, lebt wohl,
Ihr sonnige Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.
Colöhorn u. Gödekc's Lesebuch I.
194
Ihr Matten, lebt wohl,
Ihr sonnige Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
Alpenjäger.
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindligem Weg;
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis;
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den Füßen ein nebliges Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr;
Durch den Riß nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.
191.
Wilhelm Teil.
von den brüdern Grimm,
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. II, 227.
Ls fügte sich, dasz des kaisers landvogt, genannt der Geszler,
gen Uri fuhr; als er da eine zeit wohnte, liesz er einen stecken
unter der linde, da jedermann vorbei gehen muszte, richten, legte
einen hüt darauf und hatte einen knecht zur wacht dabei sitzen,
darauf gebot er durch öffentlichen aufruf, wer der wäre, der da
vorüber gienge, sollte sich dem hüt neigen, als ob der herr selber
zugegen sei; und übersähe es einerund thäte es nicht, den wollte
er mit schweren buszen strafen, nun war ein frommer mann im
lande, hiesz Wilhelm Teil, der gieng vor dem hüt über und neigte
ihm keinmal; da verklagte ihn der knecht, der des hutes wartete,
bei dem landvogt. der landvogt liesz den Teil vor sich bringen
und fragte, warum er dem stecken und hüt nicht neige, als doch
geboten sei. Wilhelm Teil antwortete: ‘lieber herr, es ist von
ungefähr beschehen; dachte nicht, dasz es euer gnad so hoch
achten und fassen würde; wär ich witzig, so hiesz ich anders dann
der Teil.’ nun war der Teil gar ein guter schütz, wie man sonst
keinen im lande fand, hatte auch hübsche kinder, die ihm lieb
waren, da sandte der landvogt, liesz die kinder holen, und als
sie gekommen waren, fragte er Tellen, welches kind ihm das aller-
liebste wäre, ‘sie sind mir alle gleich lieb.’ da sprach der herr:
‘Wilhelm, du bist ein guter schütz, und find’t man nicht deins
gleichen; das wirst du mir jetzt bewähren; denn du sollst deiner
195
kinder einem den apfel vom haupte schieszen. thust du das, so
■will ich dich für einen guten schützen achten.’ der gute Teil er-
schrak, fleht’ um gnade, und dasz man ihm solches erliesze, denn
es wäre unnatürlich; was er ihn sonst hiesze, wolle er gern thun.
der vogt aber zwang ihn mit seinen knechten und legte dem
kinde den apfel selbst aufs haupt. nun sah Teil, dasz er nicht
ausweichen konnte, nahm den pfeil und steckte ihn hinten in sein
göller, den andern pfeil nahm er in die band, spannte die
armbrust und bat gott, dasz er sein kind behüten wolle, zielte
und schosz glücklich ohne schaden den apfel von des kindes haupt.
da sprach der herr, das wäre ein meisterschusz; ‘aber eins wirst
du mir sagen: was bedeutet, dasz du den ersten pfeil hinten ins
göller stieszest?’ Teil sprach: ‘das ist so schützen gewohnheit.’
der landvogt liesz aber nicht ab und wollte es eigentlich hören;
zuletzt sagte Teil, der sich fürchtete, wenn er die Wahrheit offen-
barte, wenn er ihm das leben sicherte, wolle er’s sagen, als das
der landvogt gethan, sprach Teil: ‘nun wohl! sintemal ihr mich
des lebens gesichert habt, will ich das wahre sagen,’ und fleug
an und sagte: ‘ich hab es darum gethan, hätte ich des apfels
gefehlt und mein kindlein geschossen, so wollte ich euer mit dem
andern pfeil nicht gefehlt haben.’ da das der landvogt vernahm,
sprach er: ‘dein leben ist dir zwar zugesagt; aber an ein ende
will ich dich legen, da dich sonne und mond nimmer bescheinen,’
liesz ihn fangen und binden und in denselben nachen legen, auf
dem er wieder nach Schwitz schiffen wollte, wie sie nun auf dem
See fuhren Und kamen bis gen Axen hinaus, stiesz sie ein grau-
samer starker wind an, dasz das schiff schwankte, und sie elend
zu verderben meinten; denn keiner wuszte mehr dem fahrzeug
vor den wellen zu steuern, indem sprach einer der knechte zum
landvogt: ‘herr, hieszet ihr den Teil aufbinden, der ist ein starker,
mächtiger mann und versteht sich wohl auf das weiter; so möch-
ten wir wohl aus der noth entrinnen.’ sprach der herr und rief
dem Teil: ‘willt du uns helfen und dein bestes thun, dasz wir
von hinnen kommen? so will ich dich heiszen aufbinden.’ da
sprach der Teil: ‘ja, gnädiger herr, ich wili’s gerne thun und ge-
traue mir’s.’ da ward Teil aufgebunden und stand an dem Steuer
und fuhr redlich dahin; doch so lugte er allenthalben auf seinen
vertheil und auf seine armbrust, die nah bei ihm am boden lag.
da er nun kam gegen einer groszen platte — die man seither
stets genannt hat ‘des Tellen platte’ uüd noch heut bei tag
also nennet —, däucht es ihn zeit zu sein, dasz er entrinnen
konnte, rief allen munter zu, fest anzuziehen, bis sie auf die platte
kämen, denn wann sie davor kämen, hätten sie das böseste über-
wunden. also zogen sie der platte nah, da schwang er mit ge-
walt, als er dann ein mächtig stark mann war, den nachen, griff
seine armbrust und that einen sprang auf die platte, stiesz das
13*
196
schiff von ihm und liesz es schweben und schwanken auf dem see,
lief durch Schwitz schattenhalb,J) bis dasz er kam gen Küsznach
in die hohle gassen; da war er vor dem herrn hingekommen und
wartete sein daselbst. und als der landvogt mit seinen dienern
geritten kam, stand Teil hinter einem staudenbusch und hörte
allerlei anschlage, die über ihn giengen, spannte die armbrust
auf und schosz einen pfeil in den herrn, dasz er todt umfiel,
da lief Teil hinter sich über die gebirge gen Uri, fand seine
gesellen und sagte ihnen, wie es ergangen war.
192.
Hin) und Kunz.
Von Lessing.
Schriften, hcrausg. von Lachmann. Berlin 1833- I, 7.
Hinz. Was doch die Großen alles essen!
Gar Vogelnester, eins zehn Thaler werth.
Knnz. Was? Nester? Hab' ich doch gehört,
Daß manche Land und Leute fressen.
H i nz. Kann sein! kann sein, Gevattersmanu!
Bei Nestern fiengen die denn an.
193.
Gewalt.
Nach Äsop von Luther.
Werke. Wittenberg 1558. IX, 456 b.
Es gefetteten sich Rind, Ziege und Schaf zum Löwen und
zogen mit einander auf die Jagd in einen Forst. Da sie nun
einen Hirsch gefangen und in vier Theile gleich getheilet hatten,
sprach der Löwe: 'Ihr wisset, daß ein Theil mein ist als eures Ge-
sellen; das andere gebührt mir als einem Könige unter den Thieren;
das dritte will ich haben darum, daß ich stärker bin und mehr
darnach gelaufen und gearbeitet habe,- denn ihr alle drei; wer aber
das vierte haben will, der muß mir's mit Gewalt nehmen.' Also
mußten die drei für ihre Mühe das Nachsehen und den Schaden
zu Lohn haben.
Lehre. Fahre nicht hoch; halt dich zu deines Gleichen. Es
ist mit großen Herren nicht gut Kirschen essen; sie werfen einen
mit den Stielen. *)
*) an der Schattenseite, im dunkeln gebirg.
197
194.
Der Aal.
Bon Mises.
Gedichte. Leipzig 1811.
^er Aal ist mir der liebste Fisch;
Käm' heute einer doch zu Tisch!'
So sprach ein Bischof an dem Rhein.
Es hört's der Aal, stellt gleich sich ein
Und wind't und krümmet sich gar sehr
Ob der ihm angethanen Ehr',
Im Herzen denkend: 'Sicherlich
Mit Schot' und Erbs tractiert man
mich!'
Empfangen ward er feierlich.
'Wie gieng's nun bei der Tafel?
sprich!' —
Statt daß der Aal die Schoten fraß,
Der Bischof selbst ihn dazu aß. —
Wenn Große loben dich und laden,
So sprich: 'Ich danke, Euer Gnaden!'
195.
Katze und maus in Gesellschaft.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. I, 6.
Iflne katze hatte bekanntschaft mit einer maus gemacht und
ihr so viel von der groszen liebe und freundschaft vorgesagt, die
sie zu ihr trüge, dasz die maus endlich einwilligte, mit ihr zu-
sammen in einem hause zu wohnen und gemeinschaftliche wirt-
schaft zu führen, ‘aber für den winter müssen wir Vorsorge tra-
gen, sonst leiden wir hunger,’ sagte die katze; ‘du, mäuschen,
kannst dich nicht überall hinwagen und geräthst mir am ende in
eine falle.’ der gute rath ward also befolgt und ein töpfchen mit
fett angekauft, sie wuszten aber nicht, wo sie es hinstellen sollten;
endlich nach langer Überlegung sprach die katze: ‘ich weisz keinen
ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die kirche, da getraut sich
niemand etwas wegzunehmen; wir stellen es unter den altar und
rühren es nicht eher an, als bis wir es nöthig haben.’
Das töpfchen ward also in Sicherheit gebracht; aber es dauerte
nicht lange, so trug die katze gelüsten danach und sprach zur
maus: ‘was ich dir sagen wollte, mäuschen, ich bin von meiner
base zu gevatter gebeten; sie hat ein söhnchen zur weit gebracht,
weisz mit braunen flecken, lasz mich heute ausgehen und besorge
du das haus allein.’ 'ja, ja,' antwortete die maus, ‘geh in gottes
namen; wenn du was gutes issest, so denke an mich; von dem
süszen rothen wein tränk’ ich auch gerne ein tröpfchen.’ es war
aber alles nicht wahr: die katze hatte keine base und war nicht
zu gevatter gebeten. sie gieng geradeswegs nach der kirche,
schlich zu dem fettöpfchen, fleug an zu lecken und leckte die
fette haut ab. dann machte sie einen spaziergang auf den dächern
der stadt, besah sich die gelegenheit, streckte sich hernach in der
198
sonne aus und wischte sich den hart, so oft sie an das fettöpfchen
dachte, erst als es abend war, kam sie wieder nach haus. ‘nun,
da bist du ja wieder,’ sagte die maus,, ‘du hast gewisz einen lusti-
gen tag gehabt.’ ‘es gieng wohl an,’ antwortete die katze. ‘was
hat denn das kind für einen namen bekommen?’ fragte die maus.
‘Hautab,’ sagte die katze ganz trocken. ‘Hautab!’ rief die maus,
‘das ist ja ein wunderlicher und seltener name; ist der in eurer
familie gebräuchlich?’ ‘was ist da weiter?’ sagte die katze, ‘er ist
nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine pathen heiszen.’
Nicht lange danach überkam die katze wieder ein gelüsten,
sie sprach zur maus: ‘du muszt mir den gefallen thun und noch-
mals das hauswesen allein besorgen; ich bin zum zweitenmal zu
gevatter gebeten, und da das kind einen weiszen ring um den
hals hat, so kann ich’s nicht absagen.’ die gute maus willigte ein,
die katze aber schlich hinter der Stadtmauer zur kirche und frasz
den fettopf halb aus. ‘es schmeckt nichts besser,’ sagte sie, ‘als
was man selber iszt,’ und war mit ihrem tagewerk ganz zufrieden,
als sie heimkam, fragte die maus: ‘wie ist denn dieses kind ge-
nannt worden?’ ‘Haibaus,’ antwortete die katze. ‘Haibaus! was
du sagst! den namen habe ich mein lebtag noch 'nicht gehört; ich
wette, der steht nicht in dem kalender.’
Der katze wässerte das maul bald wieder nach dem lecker-
werk. ‘aller guten dinge sind drei,’ sprach sie zu der maus, ‘da
soll ich wieder gevatter stehen; das kind ist ganz schwarz und
hat blosz weisze pfoten, sonst kein weiszes haar am ganzen leib,
das trifft sich alle paar jähr nur einmal: du lässest mich doch
ausgehen?’ ‘Hautab! Haibaus!’ antwortete die maus, ‘es sind so
kuriose namen, die machen mich so nachdenksam.’ ‘da sitzest du
daheim in deinem dunkelgrauen flausrock und deinem langen haar-
zopf,’ sprach die katze, ‘und fängst grillen; das kommt davon,
wenn man bei tage nicht ausgeht.’ die maus räumte während der
abwesenheit der katze auf und brachte . das haus in Ordnung; die
naschhafte katze aber frasz den fettopf rein aus. ‘wenn erst alles
aufgezehrt ist, so hat man ruhe,’ sagte sie zu sich selbst und kam
satt und dick erst in der nacht nach haus. die maus fragte gleich
nach dem namen, den das dritte kind bekommen hätte, ‘er wird
dir wohl auch nicht gefallen,’ sagte die katze, ‘er heiszt Ganz aus.’
‘Ganzaus!’ rief die maus, ‘das ist der allerbedenklichste name, ge-
druckt ist er mir noch nicht vorgekommen. Ganzaus! was soll
das bedeuten?’ sie schüttelte den köpf, rollte sich zusammen und
legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die katze zu gevatter bitten;
hals or der winter herangekommen und drauszen nichts mehr zu
afindenwar, gedachte die maus ihres vorraths und sprach: ‘komm,
katze, wir wollen zu unserm fettopf gehen, den wir uns aufge-
spart haben; der wird uns schmecken-’ ‘ja wohl,’ antwortete die
199
katze, ‘der wird dir schmecken, als wenn du deine feine zunge zum
fenster hinaus streckst.’ sie machten sich auf den weg, und als
sie anlangten, stand zwar der fettopf noch an seinem platz, er
war aber leer, ‘ach,’ sagte die maus, ‘jetzt merke ich, was ge-
schehen ist, jetzt kommt’s an den tag; du bist mir die wahre
freundin! aufgefressen hast du alles, wie du gevatter gestanden
hast: erst haut ab, dann halb aus, dann . . .’ ‘willst du schweigen!’
rief die katze, ‘noch ein wort, und ich fresse dich auf.’ ‘ganz
aus’ hatte die arme maus schon auf der zunge; kaum war es her-
aus, so "that die katze einen satz nach ihr, packte sie und schluckte
sie hinunter. — siehst du, so geht’s in der weit.
196.
Das Kätzchen.
Bon Pfeffel.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802 — 1810. X, 39-
Ein unerfahrnes Kätzchen sah
Zum erstenmal den Mond in vollem Lichte prangen
Und sprach entzückt zum Großpapa:
‘Sieh an der Decke dort den schönen Käse hangen.
O, hätten wir ihn doch!' — ‘Ei lerne, blöder Fant,'
Versetzt der Großpapa, ‘fürs erste Mäuse fangen;
Die find uns näher bei der Hand.'
197.
Der Lome und die Maus.
Nach Äsop von Meißner.
Fabeln. Leipzig. S. 125.
Eine kleine Maus wagte es, über einen schlafenden Löwen
hinweg zu laufen; er erwachte und erhaschte sie. — ‘D, schone
meiner!' bat sie; ‘denn welche Ehre könnte es wohl dein starken,
tapfern Löwen bringen, wenn er ein so ohnmächtiges Geschöpf er-
würgte?' — Großmüthig gab er ihr die Freiheit wieder.
Wenige Tage daraus gerieth er in die Netze eines Jägers.
So sehr er sich loszureißen bemühte, er verwickelte sich immer nur
noch stärker. Sein Brüllen war fürchterlich; alle übrigen Thiere
flohen: aber die Maus eilte herbei, sah ihren Wohlthäter in Ge-
fahr, machte sich stracks an das Garn, zernagte die Knoten des-
selben und befreite in kurzer Frist ihren edelmüthigen Erhalter.
200
■
198.
Der Wanderer, der Tiger und das Krokodil.
Von Pfeffel.
Poetische Versuche 4. Aust. Tübingen 1802— 1810. VII, 65.
Ein Waller traf auf seiner Bahn
Am glühenden Mittag
In Said einen Tiger an,
Der in der Sonne lag.
Er will entflichn, des Niles Rand
Versperrt' ihm links den Weg,
Und rechts ließ eine Felsenwand
Nur einen schmalen Steg.
Er wandte zitternd sich zurück,
Da schwang sich aus dem Rohr
Ein Krokodil mit wildem Blick
Und offnem Schlund empor.
Hier rettet weder Muth noch Witz.
Der Greis sank auf das Moos,
Und schäumend stürzte, gleich dem Blitz,
Der Tiger auf ihn los.
Doch plötzlich riß das Krokodil,
Es nahm den Greis kaum war,
Den Tiger mit sich in den Nil.
Gefahr vertreibt Gefahr.
199.
Der Hai.
Nach Funke und Schubert.
Funke: Naturgesch. 7. Ausl. Leipzig 1827. S. 314. — Schubert: Lehrb. d. N. S. 248.
Die Haifische, deren es mehr als dreißig Arten giebt, sind die
gewaltigsten Naubthiere der Meere unb der Schrecken aller Leben-
digen innerhalb derselben. An Gefräßigkeit übertreffen sie fast alle
Thiere der Schöpfung. Ihr Magen scheint unersättlich: sie ver-
schlingen alles, was ihnen vorkommt, selbst Leder, Lumpen und
sogar Eisen. Des Fraßes wegen folgen sie den Schissen, denn sie
riechen, daß da gar viele lebendige Wesen drinnen sind, die sie gerne
fressen möchten; und sie verschlucken dann alles, was man hinaus-
wirft, z. B. ein ganzes todtes Pferd auf einmal, auch Fässer, todte
Menschen, die „man auf ein Brett gebunden ins Meer wirft, sammt
dem Brett. Öfters sangen die Matrosen sie so, daß sie ein Stück
Fleisch oder ein todtes Thier an einem Anker befestigen; der Fisch
verschlingt das mit sammt dem Anker, und wird dann ans Schiff
gezogen und getödtet. Die Haifische sind den Tauchern und Perlen-
fischern, sowie den Matrosen, die das Unglück haben, ins Meer zu
fallen, schreckliche Feinde: Taucher und Perlenfischer kommen oft
nicht wieder, weil ein Hai sie verzehrt hat, und fällt einmal ein
Matrose ins Wasser, so ist oft gleich ein solcher Vielfraß bei der
Hand, der ihm ein Bein oder einen Arm abbeißt, auch ihn ganz
verschlingt. Denn der Nachen ist ungeheuer groß, unb der Schlund
sehr weit; so weiß man Fälle, daß ein Mensch zwar von den vielen
dreieckig spitzigen Zähnen, die im Nachen wie Blätterreihen über
201
einander liegen und bei manchen Gattungen aufgerichtet und nieder-
gelegt werden können, schlimm verwundet, aber doch noch am Leben
erhalten worden ist, wenn man das Thier rasch, etwa mit einer
Kanonenkugel, getödtet hat. Des Nachts glänzen diese ^Thiere,
was einer phoöphorartigen Materie zuzuschreiben ist, die sich auf
der Haut befindet.
Unter allen der furchtbarste ist der Riesenhai, auch Menschen-
fresserhai oder Menschenfresser genannt. Das ist ein ungeheures
Geschöpf, nicht selten dreißig Fuß lang und zuweilen zehntausend
Pfund schwer. Er sieht oben grau, unten weiß ans und hat in
jeder Kinnlade sechs oder sieben Reihen dreieckiger Zähne, die zwei
Zoll lang, an den Rändern sägenartig ausgezackt, beweglich und
so weiß wie Elfenbein sind. Mit diesen mörderischen Waffen ver-
bindet er eine riesige Stärke, eine Kühnheit und Unbändigkeit, die
alle Vorstellung übersteigt. Von der Weite seines Schlundes kann
man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, daß ein er-
wachsener Mensch mit Leichtigkeit hindurch geht, und daß durch
den anfgeknebelten Nachen eines getödteten Menschenfressers große
Hunde bis in den Magen hinab kriechen, um die unverdauten
Überbleibsel hervorzuholen. Kein Seethier nimmt es mit dem
Menschenfresser auf; alles flieht ihn wie die Hölle. Er hält sich
meistens in der Tiefe ans und kommt nur des Raubens wegen her-
auf. Eine Bente wittert er in großer Entfernung; den Schiffern
stellt er so eifrig nach, daß er sogleich aus der Tiefe heraufkommt,
wenn er Menschen reden oder ihr Schiff brausen hört. Die Sklaven-
schiffe werden stets von einer Menge solcher Meerungeheuer aus
der ganzen Fahrt begleitet: ’tiefe wissen es schon, daß viele von
den Unglücklichen ihr Leben unterwegs einbüßen lind über Bord
geworfen werden. Mit Heißhunger schnappen sie die todten Kör-
per auf und verschlingen sie; aber mit gleicher Gier fallen sie auch
über lebende Personen her, die von ungefähr ins Meer stürzen. Der
geschickteste Schwimmer kommt hier selten mit dem Leben davon,
noch seltener, ohne wenigstens einen Arm oder ein Bein eingebüßt
zu haben. Bei Marseille fand man einst einen Hai, welcher einen
geharnischten Mann im Leibe hatte. Ein Matrose, der von einer
Fregatte ins Meer siel, ward sogleich von einem Hai verschlungen.
Der Kapitän ließ in demselben Augenblick auf das Ungeheuer eine
Kanone abbrennen; sie traf, und der Fisch gab in der Angst den
Verschluckten noch lebend, aber etwas beschädigt wieder von sich.
Nachher zog dieser Matrose mit dem nämlichen Haiflsch, der ihn
schon im Nachen gehabt hatte, umher; er hatte ihn ausstopfen
lassen und stellte ihn für Geld zur Schau aus. Einst badeten meh-
rere Matrosen neben einem Schiffe; andere gaben Acht, ob etwa
ein Hai sich nähere. Dies geschah, und alle stürzten ins Boot.
Auch des letzten Mannes Leib war schon über Bord, als ihm das
Ungeheuer ein Bein abbiß, woran er verblutete. Ergrimmt stürzte
202
ein Freund des Getödteten mit einem langen Messer ins Meer und
erwartete das Unthier. In dem Augenblick, wo dasselbe ihn ver-
schlingen wollte, tauchte er unter, stieß dem Fisch das Messer wie-
derholt in den Leib, und der aufgesperrte Mund schloß sich. Fürchter-
lich peitschte der Hai mit dem Schwanz, allein er war besiegt.
Das Meer, das vor Alters einmal die Erdoberfläche bedeckt
hat, muß ungleich größere Seeriesen dieser Art enthalten haben;
denn man findet versteinerte Zähne, welche siebzig Fuß langen Hai-
fischen müssen angehört haben.
200.
Treuer Tod.
Von Scheurlin.
Gedichte 2. Ausgabe. Ansbach 1852. S. 126.
Ich nahm ihn in die Arme,
Die Augen schloß er sacht; —
Ob er, ob ich geschieden? —
Wir lagen beid' in Frieden,
Und tief auf uns die Nacht.
Drauf deckt' ich ihn mit Rasen,
So wie er mir gebot,
Und blies mit hellen Zähren
Ihm übers Grab zu Ehren:
'Wohl starb er treuen Tod.'
Als wir nun heimwärts zogen —
Die Fahne flog im Wind —
Da jauchzten Väter, Brüder,
Da drängte durch die Glieder
Ein Weib mit ihrem Kind.
Sie forschte rings und winkte
Mit Augen thränenroth;
Das Herz schier wollt' mir brechen,
Ich blies — nicht konnt' ich sprechen—:
'Wohl starb er treuen Tod.'
Wir zogen mit einander,
Hornist und Musketier,
Bier Arme, wenn wir stritten,
Zwei Füße, wenn wir schritten,
Ein Herz, wenn im Quartier.
Wir hielten fest zusammen,
Was immer mochte sein;
Sobald mein Horn sich rührte,
Da focht und da marschierte
Der Brave hinterdrein.
Bis auf das Feld von Lützen,
Da traf die Kugel recht,
Da lag in seinem Blute
Der treue und der gute,
Der tapfre Landesknecht —
Und sprach: 'Daß Gott genade,
Mir kommt die letzte Noth!
Nun deck mich zu mit Rasen
Und thu das Lied mir blasen:
'Wohl starb er treuen Tod."
201.
Die Schlacht bei Fehrbellin.
1675.
Von Grube.
Charakterbilder auS der Geschichte und Sage 3. Aufl. Leipzig 1851. in, 200.
Während der große Kurfürst mit seinem Heere in Franken
lag, rückten die Schweden in Pommern und in die Mark Branden-
burg ein und erpreßten in beiden Provinzen die größten Kriegs-
203
steuern. Der Kurfürst brach mit seinen Brandenburgern zu An-
fang des Iunius 1675 plötzlich aus, eilte mit schnellen Märschen
nach Magdeburg, gieng bei Nacht über die Elbe und stand vor
Rathenow,,, da mau ihn noch tief in Franken glaubte. Schrecklich
war die Überraschung der in Rathenow befindlichen Schweden,
als sie Plötzlich von allen Seiten sich angegriffen sahen. Die mei-
sten wurden niedergehauen, die andern wollten nach Havelberg
flüchten, wo Wrangel's Hauptquartier war. Auch die in Branden-
burg und der Umgegend liegenden Schweden brachen dahin auf;
aber der Kurfürst ließ ihnen durch vorangeschickte Reiter alle Brücken
abbrechen. Der Prinz von Hessen-Homburg sollte mit sechzehn-
hundert Reitern den siebentausend achthundert Mann starken Feind
zum Stehen bringen, aber nicht eher losschlagen, als bis der Kur-
fürst selber nachgekommen sei. Bei Fehrbellin machen die Schweden
Halt und nehmen eine gute Stellung ein. Prinz Homburg, von
seinem Mntbe verleitet, greift an, wird aber bald gänzlich umzingelt.
Der Kurfürst hat sein Fußvolk dahinten lassen müssen und ist noch
eine Meile entfernt. Nun geht alles in Sturmschritt vor, fast
eine Meile in vollem Lauf. Schnell übersieht der Kurfürst die
Stellung, postiert aus einen noch unbesetzten Hügel sein Geschütz,
und dieses donnert in den Feind. Der Kurfürst macht dem Prinzen
Lust, kommt aber unter das Geschütz seiner eigenen Kanonen. Die
Kugeln schlagen dicht um ihn her, man zielt auf ihn und seinen
weißeil Schimmel. Da bietet ihm sein Stallmeister Frobenius sein
eigenes Pferd, und wenige Augenblicke, nachdem er selbst das fürst-
liche Pferd bestiegen, fnift er, von einer schwedischen Stückkugel
getroffen, todt herab. Die Schweden bringen wüthend gegen den
Hügel und das Brandenburger Geschütz; schon wanken einige
Scharen, als der Kurfürst herbeieilt, sich selbst an die Spitze etlicher
Schwadronen stellt, die keine Officiere mehr haben. Muth!' ruft
er, üch, euer Fürst, nun euer Hauptmann, will siegen oder ritter-
lich mit euch sterben!' Da werfen die kräftigen brandenburgischeu
Arme die Feinde auf allen Seiten, und Wrangel nimmt seinen
Rückzug nach Fehrbellin. Alles Geschütz und Gepäck wird eine
Bellte der Sieger.
Es war eine denkwürdige Schlacht. Von der Beute gab der
Kurfürst zweitauftlld Wageil und unzählig Vieh dem schwer mit-
genommenen Landvolk. In Berlin mit Jllbcl empfangen, hielt
Friedrich Wilhelm vor allem einen Dankgottesdienst, wozu er den
Tert angab, Jerem. XX, 11: <Der Herr ist bei mir, wie ein
starker Held; darum werden meine Verfolger fallen!' Den Glück-
wünschendeu sagte er: <Es ist Gottes Wille, der hat es gethan!'
204
202.
Wie schön leuchtet der Morgenstern!
Des alten Dorfschulmeisters liebstes Lied.
Von Sturm.
Gedichte. Leipzig 1850. S. 221. — 2. Aufl. 1854. S. 211.
tDie schön leuchtet der Morgenstern!
Hab' doch kein andres Lied so gern!
Mit Thränen füllt sich jedesmal
Mein Auge, spiel' ich den Choral.
'S war damals, als der alte Fritz
Noch stritt um Schlesiens Besitz,
Hier in den Schluchten lag sein Heer,
Der Feind dort auf den Höhn umher.
Da sah's im Dorf gar übel aus,
Die Scheuern leer, kein Brot im Haus,
Im Stalle weder Pferd noch Kuh,
Und vor dem Feind die Furcht dazu.
So hatt' ich eben eine Nacht
Mit Seufzen und Gebet durchwacht
Und stieg beim ersten Morgengraun
Den Turm hinauf, um auszuschaun,
Wie's draußen ftünd; 's war still umher,
Und ich sah keine Feinde mehr.
Da zog ich still mein Käpplein ab,
Dem lieben Gott die Ehre gab.
Horch! plötzlich trabt's ins Dorf herein,
Der Himmel woll' uns gnädig sein!
Ein alter Schnauzbart jagt im Trab
Nach meinem Haus, dort steigt er ab;
Kaum bin ich unten, schreit er: 'Laus,
Schließ mir geschwind die Kirche auf!'
Ich bat: 'Bedenkt, 's ist Gottes Gut,
Was man vertraut hat meiner Hut,
Und Kirchenraub bestraft sich schwer.'
Doch er schrie wild: 'Was schwafelt Er?
Flink aufgeschlossen, sonst soll Ihn! —'
Schon wollt' er seinen Säbel ziehn,
Da dacht' ich bang an Weib und Kind
Und öffnete die Kirch' geschwind
Und trat dann zagend mit ihm ein;
Mein Weib schlich weinend hinterdrein.
Er gieng vorüber am Altar,
Hinauf dann, wo die Orgel war;
Da stand er still: 'Gesangbuch her!
Hier den Choral da spielet Er,
Und daß Sie brav die Bälge tritt!
Marsch! vorwärts jetzt und zögert nit!'
Ich fieng mit einem Borspiel an,
Wie ich's mein Lebetag gethan.
Da fiel der Alte grimmig ein:
'Was soll mir das Geklimper sein?
205
Hab' ich's denn nicht gesagt dem Herrn:
Wie schön leuchtet der Morgenstern!'
"S ist nur das Vorspiel!' 'Dummes Zeug!
Was spielt Er den Choral nicht gleich?'
So spielt' ich denn, weil er's befahl,
Ganz ohne Vorspiel den Choral;
Der alte Schnauzbart sang das Lied,
Ich und mein Weib wir sangen mit.
Das Lied war aus, still saß der Mann,
Ein heißer Strom von Thränen rann
Ihm übers braune Angesicht,.
Die funkelten wie Demantlicht.
Dann stand er auf und drückte mir
Die Hand und sprach: 'Da, nehmt das hier
Es war ein großes Thalerstück,
Ich wies das Geld beschämt zurück,
Er aber rief: 'Was soll das, Mann?
Bei Gott, cs klebt kein Blut daran!
Gebt's an die Armen in dem Ort.'
Drauf giengen wir zusammen fort,
Und noch im Gehen sprach er weich:
'Kein Lied kommt diesem Lied mir gleich,
Es hat mich in vergangner Nacht
Zum lieben Gott zurück gebracht.
'S rief gestern Abend der Major
Vor unsrer Front: 'Freiwill'ge vor!
'S soll ein verlorner Posten stehn
Dem Feinde nah, dort auf den Höhn;
Hat keiner Lust, hat keiner Muth?'
Das trieb mir ins Gesicht das Blut:
'Da müßten wir nicht Preußen sein!'
Ich rief's und trat rasch aus den Reihn;
Drei meiner Söhne folgten mir:
'Gehst du, so gehen wir mit dir!'
So zogen wir nach jenen Höhn,
Um dort die ganze Nacht zu stehn.
Es blitzte hier, es krachte da,
Es war der Feind uns oft so nah,
Daß er uns sicherlich entdeckt,
Wenn uns nicht droben der versteckt.
Ja, Mann, ich hab' so manche Nacht
Im Feld gestanden auf der Wacht,
Doch war mir nie das Herz so schwer, — :
'S kam nur von meinen Jungens her;
Ihr habt ja Kinder, — nun da wißt
Ihr selbst, was Vaterliebe ist.
Drum hab' ich auch emporgeblickt
Und ein Gebet zu Gott geschickt;
Und wie ich noch so still gefleht,
Da war erhört schon mein Gebet;
Denn leuchtend gieng im Osten fern
Auf einmal auf — der Morgenstern,
Und mächtig mir im Herzen klang
206
Der längst vergcßne fromme Sang;
Hätt' gern gesungen gleich das Lied,
Doch schwieg ich. weil's uns sonst verrieth.
Zugleich fiel mir auch manches ein,
Was anders hätte sollen sein,
Bor allem, daß ich d'ieses Jahr
Noch nicht im Gotteshause war.
Das inachte mir das Herz so schwer,
Das war's, das trieb mich zu euch her.'
Der Alte sprach's. bestieg sein Pferd
Und machte munter Rechtsum kehrt.
Seht! drum hab' ich das Lied so gern:
'Wie schön leuchtet der Morgenstern'
Und spiel' noch heute jedesmal
Ganz ohne Vorspiel den Choral,
Und wenn ich spiel', sitzt immerdar
Mir dicht zur Seite der Husar,
Ich höre seinen kräft'gen Baß,
Und da — wird mir das Auge naß.
203.
Die Weiber von Weinsberg.
Von Christoph Lehman.
Chronica der freien Reichsstadt Speyer. Frankfurt a. M. 1662. S. 193.
Änno 1140 hat der Herzog Welf in einem Treffen viel der
Seinen verloren und sich kümmerlich durch die Flucht in Weins-
berg zurück gerettet; hierauf hat Kaiser Konrad III. die Stadt so
schwer belagert, daß der Herzog sammt den Seinen sich hat auf
des Kaisers Gnad ergeben müssen; auch hat der Kaiser gedrohet,
die Stadt mit Feuer und Schwert zu zerstören. Des Herzogs Ge-
mahlin aber hat einen Ausweg aus der Gefahr erfunden. Sie hat
nämlich durch Gesandte den Kaiser gebeten, ihr und den andern
Frauen zu erlauben, so viel, als eine jede tragen könne, ungehindert
in Sicherheit zu bringen. Dies Begehren hat der Kaiser gern und
williglich gestattet. Indem man nun dieses Auszugs im Lager
gewartet, ist die Herzogin sammt den anderen Frauen der Fürsten,
Grafen, Herren, adelichen und bürgerlichen Personen aus der Stadt
daher gezogen kommen und haben ihre Männer ans dem Rücken
mit großer Bemühung getragen. Im Lager hat niemand anders
können gedenken, denn des Herzogs Gemahl und deren Gefährtinnen
würden ihren Schmuck nebst Geld und Kleinodien retten; des
listigen Handels hat sich niemand versehen. Der Kaiser aber, nach-
dem er ans hohem Verstand der Weiber Treuherzigkeit dergestalt
erwogen, daß sie ihre Männer über alles Geld und für ihren
höchsten Schatz lieb und werth gehalten, hat solche Tragfahrt der-
maßen zu Gemüth geführt, daß ihm das Gesicht mit Thränen über-
207
flössen ist, und er hat 'deshalb den Fraueil nicht allein hierum
groß Lob gesprochen, sondern sie auch im Lager zu Gast behalten,
sich über solche Sache höchlich erlustigt, der Stadt die Bedrängnis
erspart und mit Herzog Welf Frieden gemacht. Herzog Friedrich
und andere haben zwar diese Treue der Weiher zum Betrug des
kaiserlichen Versprechens gedeutet und den Kaiser vermahnt, solche
Arglist nicht gelingen zu lassen; denen ist aber derselbe mit dieser
runden Antwort begegnet, es sei gar nit ziemlich, daß der König
sollte etwas versprechen und nicht halten. — Als hernach ein
Herzog von Florenz iu gefährliche Krankheit gefallen ist und diese
Geschichte von ungefähr gelesen hat, hat ihm der Weiber List imb
Treue dermaßen Herz und Leib erfrischet, daß er davon allein,
ohne alle Arznei gesund worden ist.
204.
Die Tabakspfeife.
Von Pfeffel.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802 — 1810. II, 101.
^ott grüß Euch, Alter!— schmeckt
das Pfeifchen?
Weist her! — Ein Blumentopf
Von rothem Thon, mitgoldnen Reif-
chen? —
Was wollt Ihr für den Kopf?' —
O Herr, den Kopf kann ich nicht
lassen!
Er kommt vom bravsten Mann,
Der ihn, Gott weiß es, einem Bassen
Bei Belgrad abgewann.
Da, Herr, da gab es rechte Beute!
Es lebe Prinz Eugen!
Wie Grummet sah man unsre Leute
Der Türken Glieder mähn. —
'Ein andermal von Euren Thaten;
Hier, Alter, seid kein Tropf,
Nehmt diesen doppelten Dukaten
Für Euren Pfeifenkopf.' —
Ich bin ein armer Kerl und lebe
Von meinem Gnadensold;
Doch, Herr, den Pfeifenkopf, den gebe
Ich nicht um alles Gold.
Hört nur: einst jagten wir Hu-
saren
Den Feind nach Herzenslust,
Da schoß ein Hund von Janitscharen
Den Hauptmann in die Brust.
Ich heb' ihn flugs auf meinen
Schimmel —
Er hätt' es auch gethan —
Und trag' ihn sanft aus dem Ge-
tümmel
Zu einem Edelmann.
Ich pflegte sein. Vor seinem Ende
Reicht er mir all sein Geld
Und diesen Kopf, drückt mir die Hände
Und blieb im Tod noch Held.
Das Geld mußt du dem Wirte
schenken,
Der dreimal Plündrung litt,
So dacht' ich, und zum Angedenken
Nahm ich die Pfeife mit.
Ich trug auf allen meinen Zügen
Sie wie ein Heiligthum,
Wir mochten weichen oder siegen,
Im Stiefel mit herum.
‘208
Vor Prag verlor ich auf der Streife
Das Bein durch einen Schuß,
Da griff ich erst nach meiner Pfeife
Und dann nach meinem Fuß.
‘Schön, Vater, Ihr entlockt mir
Zähren.
O sagt, wie hieß der Mann,
Damit auch mein Herz ihn verehren
Und ihn beneiden kann.'
Man hieß ihn nur den tapfern
Walter:
Dort lag sein Gut am Rhein ....
‘Das war mein Ahne, lieber Alter,
Und jenes Gut ist mein.
‘Kommt, Freund, Ihr sollt bei mir
nun leben!
Vergesset Eure Noth:
Kommt, trinkt mit mir von Walters
Reben
Und eßt von Walters Brot.'
Nun top! Ihr seid sein wahrer Erbe!
Ich ziehe morgen ein,
Und Euer Dank soll, wenn ich sterbe,
Die Türkenpfeife sein.
205.
Glück und Unglück.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 38. - Schatzkästlem. Stuttg. u. Tüb. 18l6. S- 157.
Auf eine so sonderbare Weise ist Glück im Unglück und Un-
glück im Glück noch selten beisammen gewesen, wie in dem Schicksal
zweier Matrosen in dem letzten Seekrieg zwischen den Russen und
Türken. Denn in einer Seeschlacht, als es sehr hitzig zugieng,
die Kugeln sausten, die Bretter und Mastbaume krachten, die Fener-
brände flogen, da und dort brach auf einem Schiff die Flamme
aus und konnte nicht gelöscht werden. Es muß schrecklich sein,
wenn man keine andere Wahl hat, als dem Tod ins Wasser ent-
gegen zu springen, oder im Feuer zu verbrennen. Aber unsern
zwei russischen Matrosen wurde diese Wahl erspart. Ihr Schiff
fleug Feuer in der Pulverkammer und flog mit entsetzlichem Krachen
in die Luft. Beide Matrosen wurden mit in die Höhe geschlendert,
wirbelten unter sich und über sich in der Luft herum, fielen nahe
hinter der feindlichen Flotte wieder ins Meer hinab und waren
noch lebendig undunbeschädigt, und das war ein Glück. Allein
die Türken fuhren jetzt wie Drachen auf sie heraus, zogen sie wie
nasse Mäuse aus dem Wasser und brachten sie in ein Schiff; und
weil es Feinde waren, so war der Willkomm kurz. Man fragte
sie nicht lange, ob sie vor ihrer Abreise von der russischen Flotte
schon zu Mittag gegessen hätten oder nicht, sondern man legte sie
in den untersten feuchten und dunkeln Theil des Schiffes an Ketten,
und das war kein Glück. Unterdessen sausten die Kugeln fort,
die Bretter und Mastbäume krachten, die Feuerbrände flogen, und
paff! sprang auch das türkische Schiff, ans welchem die Gefangenen
waren, in tausend Trümmern in die Luft. Die Matrosen flogen
mit, kamen wieder neben der russischen Flotte ins Wasser herab,
209
wurden eilig von ihren Freunden hinein gezogen und waren noch
lebendig, und das war ein großes Glück. Allein für diese
wiedererhaltene Freiheit und für das zum zweitenmal gerettete
Leben mußten die guten Leute doch ein theures Opfer geben, näm-
lich die Beine. Diese Glieder wurden ihnen beim Lvsschuellm von
den Ketten, als das türkische Schiff auffuhr, theils gebrochen, theils
jämmerlich zerrissen und mußten ihnen, sobald die Scklacht vorbei
war, unter dem Knie weg abgenommen werden, und daS war
wieder ein großes Unglück. Doch hielten beide die Operation
aus und lebten in diesem Zustand noch einige Jahre. Endlich
starb doch einer nach dem andern, und das war nach allem, was
vorhergegangen war, nicht das Schlimmste.
Diese Geschichte hat ein glaubwürdiger Manu bekannt gemacht,
welcher beide Matrosen ohne Beine selber gesehen und die Erzäh-
lung davon aus ihrem eigenen Munde gehört hat.
206.
Der Schmied von Aachen.
Von Smets.
Gedichte, vollständige Sammlung. Stuttgart und Tübingen 1840.
Eraf Wilhelm war's von Jülich, rauflustig gar und schlimm,
Der hielt auf Aachens Bürger noch einen alten Grimm.
Und als er sicher glaubte die Stadt in Dämmrungsruh,
Da zog mit seinen Mannen er rüstig auf sie zu.
Wohl von den Warten riefen die Wächter auf zum Streit;
Doch wollt' es nicht viel nützen, das Heer war schon zu weit.
Er stürmte durch die Thore, es hielt ibn uichts mehr auf,
Und drang schon bis zum Markte im raschen Siegeslauf.
Doch plötzlich wird er stutzig, er zaudert und erschrickt,
Wie er das Werk gewaret, das Bürgerzorn beschickt.
Er sieht, wie sie sich mühen mit Stangen, Art und Beil
Die Häuser einzureißen, nicht scheuend Speer und Pfeil.
Sie wollten ihm verrammen die Weg' so hier wie dort,
Und wird er nicht erschlagen, soll er nicht lebend fort.
Da sprengt' er, was er konnte, mit seiner Söhne zween,
Er wähnt', zum Jakobsthore, da könnt' er noch entgehn;
Doch als er war gekommen ans Stift der weißen Fraun,
Da ist grad' gegenüber ein Schmiedehaus zu schaun.
Der Schmied mit seinem Hammer hervorrennt kalt und keck,
Schlägt todt die drei zusammen wohl auf demselben Fleck —
Und geht zur Schmied' gelassen und schürt der Esse Brand;
Das war der Schmied von Aachen, sein Nam' ist nicht genannt.
Colshoru u. Göbeke's Lesebuch I.
14
210
207.
Der Commandant und die badischen Jäger in Hersfeld.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 41. — Schahkästleiu. Tübingen 1846. S. 160.
Folgende Begebenheit verdient, daß sie im Andenken bleibe;
und wer keine Freude daran hat, den will ich nicht loben.
Im Winter 1807, als die französische Armee und ein großer
Theil der bundsgenossischen Truppen in Polen und Preußen stand,
befand sich ein Theil des badischen Jägerregiments in Hessen und
in der Stadt Hersfcld aus ihren Posten. Denn dieses Land hatte
der Kaiser im Anfang des Feldzugs eingenommen und mit Mann-
schaft besetzt. Da gab es nun von Seiten der Einwohner, denen
das Alte besser gefiel, als das Neue, mancherlei Unordnungen, und
es wurden besonders in dem Ort Hersfeld mehrere Widersetzlich-
keiten ausgeübt, und unter andern ein französischer Ofsicier ge-
tödtet. Das konnte der französische Kaiser nicht geschehen lassen,
während er mit einem zahlreichen Feind im Angesicht kämpfte, daß
auch hinter ihm Feindseligkeiten ausbrachen, und ein kleiner Funke
sich zu einer großen Feuersbrunst entzündete. Die armen Ein-
wohner von Hersfeld bekamen daher bald Ursache, ihre unüberlegte
Kühnheit zu bereuen. Denn der französische Kaiser befahl, die
Stadt Hersfeld zu plündern und alsdann an vier Orten anzu-
zünden und in Asche zu legen. Dieses Hersfeld ist ein Ort, der
viele Fabriken und daher auch viele reiche und wohlhabende Ein-
wohner und schöne Gebäude hat; und ein Menschenherz kann wohl
empfinden, wie es nun den armen Leuten, den Vätern und Müt-
tern zu Muthe war, als sie die Schrcckenspost vernahmen; und
der arme Mann, dem sein Hab und Gut ans einmal ans dem Arm
konnte weggetragen werden, war jetzt so übel dran, als der reiche,
dem man es auf vielen Wagen nicht wegführen konnte; und in
der Asche sind die großen Häuser auf dem Platz und die kleinen
in den Winkeln auch so gleich, als die reichen Leute und die armen
Leute aus dem Kirchhof. Nun, zum Schlimmsten kam es nicht.
Auf Fürbitte der französischen Commandanten in Cassel und Hers-
feld wurde die Strafe so gemildert: es sollten zwar nur vier
Häuser verbrannt werden, und dies war glimpflich; aber bei der
Plünderung sollte es bleiben, und das war noch hart genug. Die
unglücklichen Einwohner waren auch, als sie diesen letzten Bescheid
hörten, so erschrocken, so alles Muthes und aller Besinnung be-
raubt, daß sie der menschenfreundliche Commandant selber ermahnen
mußte, statt des vergeblichen Klagens und Bittens die kurze Frist
zu benutzen und ihr Bestes noch geschwind ans die Seite zu
schaffen. Die fürchterliche Stunde schlug; die Trommel wirbelte
ins Klaggeschrei der Unglücklichen. Durch das Getümmel der
Flüchtenden und Fliehenden und Verzweifelten eilten die Soldaten
211
auf ihren Sammelplatz. Da trat der brave Commandant von
Hersseld vor die Reihen seiner badischen Jäger, stellte ihnen zuerst
das traurige Schicksal der Einwohner lebhaft vor die Augen und
sagte hieraus: ^Soldaten! die Erlaubnis, zu plündern, sängt jetzt
an. Wer dazu Lnst hat, der trete heraus aus dem Glied.' So
sprach der Commandant z und wer jetzt ein Glas voll Wein hat
neben sich stehen, der trinke es aus, zu Ehren der badiscken Jäger.
Kein Mann trat au8 dem Glied. Nicht einer! Der Ausruf wurde
wiederholt. Kein Fuß bewegte sichz und wollte der Commandant
geplündert haben, so hätte er müssen selber gehen. Aber es war
niemand lieber als ihm, daß die Sache also ablief, das ist leicht
zu bemerken. Als die Bürger das erfuhren, war es ihnen zu
Muthe, wie einem, der aus einem schweren Traum erwacht. Ihre
Freude ist nicht zu beschreiben. Sie schickten sogleich eine Gesandt-
schaft an den Commandanten, ließen ihm für diese Milde und Groß-
muth danken und boten ihm ans Dankbarkeit ein großes Geschenk
an. Wer weiß, was mancher gethan hätte! Aber der Comman-
dant schlug dasselbe ab, und sagte, er lasse sich keine gute That
mit Geld bezahlen. Mur zum Andenken von euch,' setzte er hinzu,
Krbitte ich mir eine silberne Münze, aus welcher die Stadt Hersseld
vorgestellt ist, und der heutige Austritt. Dies soll das Geschenk
sein, welches ich meiner künftigen Gattin aus dem Kriege mit-
bringen will.' — Dies ist geschehen im Februar des Jahres 1807z
und so etwas ist des Lesens zweimal werth.
208.
Die halbe Flasche.
Von Simrock.
Gedichte. Leipzig 1844. S. 322.
beschlagen war die blut'ge Schlacht,
Den Walplatz räumte Schwedens Macht,
Die Dänen freuen sich des Sieges.
Doch sind der Opfer viel des Krieges,
Beisammen liegen Freund und Feind,
Der grimme Tod hat sie vereint;
Wer aber noch ein Glied mag rühren,
Den wird sein wunder Nachbar spüren:
Erbittert kämpfen zwischen Leichen
Halbtodte fort, bis sie erbleichen.
Unter der heilen Sieger Zahl
War auch ein alter Korporal,
Von Ruhm bedeckt und Feindesblut,
Doch schier verschmachtet in der Glut
Des Tages: heiß war's hergegangen,
Und heißer Durst hält ihn befangen.
14
212
Die Zunge klebt ihm fest am Gaum,
Umsonst durchspäht er rings den Raum
Nach einem Labetrunk; da schaut
Er neben sich und jubelt laut:
Aus eines todten Dänen Tasche
Blickt eine weingefüllte Flasche.
Die hebt er durstig an den Mund
Und öffnet schon den trocknen Schlund,
Da hört er einen Schweden schrein,
Dem eine Kugel nghm das Bein:
'Mir her, beim Himmel, hab Erbarmen!
Ich sterb'!' — Ihn jammerte des Armen,
Und gleich, der eignen Noth vergessen,
Hat er den Raum zu ihm durchmessen,
Reicht ihm den Trank mit milder Hand.
Da hat der Schweb' den Feind erkannt,
Und Grimm tritt an des Dnrstes Stelle.
Undankbar schießt der Mordgesclle
Die Flinte nach dem Korporal,
Der sich erbarmt hat seiner Qual.
Doch diesen schützt ein guter Geist,
Der die Kugel andre Wege weist:
Lebendig steht er vor dem Feind,
Der sich ein Kind des Todes scheint.
'Das hast du nicht umsonst gethan,'
Fährt ihn der Däne zürnend an;
Die Flasch' er rasch zum Munde hebt
Und schlürft und schlürft, bis er begräbt
Die Flasche halb in seinem Magen:
'Den Lohn hast du davon getragen,
Siehst du, mit deinem dummen Schießen.
Du solltest sie erst ganz genießen,
Deinen Wunden zu einer Salbe;
Nun aber kriegst du nur die halbe.'
Was von den beiden war geschehn,
Ein Dänenhauptmann hat's gesehn;
Dem König eilt es der zu melden,
Bald lohnt ein Adelsbrief den Helden:
'Und eine Flasche halb mit Wein
Gefüllt, das soll sein Wappen sein.'
209.
Der Husar in kleine.
Von Hebcl.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 68- — Schahkästlein 1816. S. 193.
Als im Anfang der französischen Revolution die Preußen
mit den Franzosen Krieg führten und durch die Provinz Champagne
213
zogen, dachten sie auch nicht daran, daß sich das Blättlein wenden
könnte, und daß der Franzos im Jahre 1806 nach Preußen kommen
und den ungebetenen Bestich wett machen werde. Denn nicht
jeder führte sich auf, wie es einem braven Soldaten in Feindes-
land wohl ansteht. Unter anderen drang damals ein brauner
preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines
friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel
war, unb viel Geldeswerth, zuletzt auch noch das schöne Bett mit
nagelneuem Überzug, und mishandelte Mann und Frau. Ein
Knabe von acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen
Eltern nur das Bett wieder gebeu. Der Husar stößt ihn un-
barmherzig von sich. Die Tochter laust ihm nach, hält ihn am
Dollman fest und sieht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie und
wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen
Raub. Nach Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt
sich in der Stadt Neiße in Schlesien, denkt nimmer daran, was
er einmal verübt hat, und meint, es sei schon lange Gras dar-
über gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die
Franzosen rücken in Neiße ein; ein junger Sergeant wird abends
einquartiert bei einer braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der
Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich aus und scheint guter
Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant nicht
zum Frühstück. Die Frau denkt: er wird noch schlafen, und stellt
ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen
wollte, gieng sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die
Thüre auf und will sehen, ob ihm etwas fehlt.
Da saß der junge Mann wach und ausgerichtet im Bette,
hatte die Hände in einander gelegt unb seufzte, als wenn ihm ein
groß Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh
hätte, oder so etwas, und sah nicht, daß jemand in der Stube ist.
Die Frau aber gieng leise auf ihn zu und fragte ihn: ^Was ist
Euch begegnet, Herr Sergeant, und warum seid Ihr so traurig?'
Da sah sie der Mann mit einem Blick voll Thränen an und sagte,
die Überzüge dieses Bettes, in dem er heute Nacht geschlafen
habe, haben vor achtzehn Jahren seinen Eltern in Champagne an-
gehört, die in der Plünderung alles verloren haben und ;u armen
Leuten geworden seien, und jetzt denke er an alles, und sein Herz
jei voll Thränen. Denn es war der Sohn des geplünderten
Mannes in Champagne, und kannte die Überzüge noch, und die
rothen Nameusbuchstabcu, womit sie die Mutter gezeichnet hatte,
waren ja auch noch daran. Da erschrak die gute Frau und sagte,
daß sie dieses Bettzeug von einem braunen Husaren gekauft habe,
der noch hier in Neiße lebe, und sie könnte nichts dafür. Da
stand der Franzose auf und ließ sich in das Haus des Husaren
führen und kannte rhn wieder.
^Denkt Ihr noch daran,' sagte er zu dem Husaren, üvie Ihr
214
vor achtzehn Jahren einem unschuldigen Mann in Champagne
Hab lind Gut und zuletzt auch noch das Bett ans dem Hause
getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein
achtjähriger Knabe um Schonung anflehte; und an meine Schwester?'
Anfänglich wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe
bekanntlich im Krieg nicht alles, wie es soll, und was der eine
liegen laste, hole doch ein anderer, und lieber nimmt man's selber.
Als er aber merkte, daß der Sergeant der nämliche sei, dessen
Eltern er geplündert unb aushandelt hatte, und als er ihn an
seineSchwester erinnerte,versagteihm vor Gewissensangstund Schre-
cken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen aus die zitternden
Knie nieder und konnte nichts mehr herausbringen, als Pardon!
dachte aber: <Es wird nicht viel helfen.'
Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: <Jetzt wird der Franzos
den Husaren zusammenhauen,' und freut sich schon darauf. Allein
das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das
Herz bewegt ist und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch
keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und ver-
ächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand,' und will
nicht Böses mit Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch
und sagte: <Daß du mich mishandelt hast, das verzeihe ich dir.
Daß du meine Eltern mishandelt und zu armen Leuten gemacht
hast, das werden dir meine Eltern verzeiheil. Daß du ineine
Schwester in den Brunnen geworfen hast und ist nimmer davon
gekommen, das verzeihe dir Gott.' — Mit diesen Worten gieng er
fort, ohne dem Husaren das Geringste zu Leide §u thun, und es
ward ihm wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zu
Muth, als wenn er vor dem jüngsten Gericht gestanden wäre und
hätte Feinen guten Bescheid bekommen. Denn er hatte von dieser
Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach einem Viertel-
jahr gestorben sein.
Merke: Man muß in der Fremde nichts thun, worüber man
sich daheim ilicht darf finden lassen.
Merke: Es giebt Unthaten, über welche kein Gras wächst.
210.
Die Gottesmauer.
Von Rücker t.
Gesammelte Gedichte. Bd. III. 2. Ausl- Erlangen 1839. S. 438.
l(D Mutter, wie stürmen die Flocken vom Himmel,
Es wird uns in Schnee noch begraben.
Und mehr noch als Flocken im Dorf ein Gewimmel
Von Reitern, die reiten und traben.
Hätten wir nur Brot im Haus,
215
Macht' ich mir so viel nicht draus, 4
Im Quartier ein Paar Reiter zu haben.'
'Es nachtet, o Kind, und die Winde sie wiithen,
Geh, schließe die Thür und die Laden;
Gott wird vor dem Sturme der Nacht uns behüten
Und auch vor den Feinden in Gnaden.
Kind, ich bete, bete mit:
Wenn uns Gott der Herr vertritt,
So vermag uns der Feind nicht zu schaden.'
‘D Mutter, was soll nun das Beten und Bitten?
Es kann vor den Reitern nicht helfen.
Horcht, Mutter, die Reiter, sie kommen geritten,
O hört, wie die Hündelein helfen.
Geht zur Küch' und rüstet Ihr,
Wenn sie kommen ins Quartier,
Euch, so gut es will gehn, zu behelfen.'
Die Mutter sitzet und geht nicht vom Orte,
Der Keller ist leer und die Küche;
Sie hält sich gm letzten, am einzigen Horte,
Sie betet beim Lämplein im Buche:
'Eine Mauer um uns bau,
Daß davor den Feinden grau'.'
Sie erlabt sich am tröstlichen Spruche.
'O Mutter, den Reitern zu Rosse zu wehren,
Wer wird da die Mauer uns bauen?
Sich lassen die Reiter, wohin sie begehren,
Vor Wällen und Mauern nicht grauen.'
'Kind, bedenk als guter Christ:
Gott kein Ding unmöglich ist,
Wenn der Mensch nicht verliert das Vertrauen.'
Es betet die Mutter, es lachet der Knabe,
Er horcht an verschlossener Pforte,
Er höret die Reiter, sie reiten im Trabe,
Es rennen die Bauern im Orte.
Thüren krachen dort und hie.
'Jetzt gewiß, jetzt kommen sie
Auch an unsre, der Mutter zum Torte.'
Nichts kommt an die Thür, als des Windes Gebrause,
Ein Wehen und Weben und Wogen.
Die Reiter, vertheilet von Hause zu Hause,
Vor diesem vorübergezogen.
Stiller wird es dort und hier.
'Alle, scheint's, sind im Quartier,
Und wir sind um die Gäste betrogen.'
^Kind, möge dich Gott für den Frevel nicht strafen.
Daß Glaube dein Herz nicht bewohnet.
Mit Reue bitt' ab ihm, und lege dich schlafen;
216
Er Lat mein Vertrauen belohnet.'
Mi, der Vetter Schultheiß hat
Wohl, wie er schon manchmal that,
Aus besonderer Gunst uns verschonet.'
Einschlummert der Knabe mit weniger Ruhe,
Die Mutter mit vollem Vertrauen.
Drauf ist er schon wiederum auf in der Frühe,
Den Abzug der Reiter zu schauen.
Wie er auf das Thürleiu zieht,
Sieht er, stauut, und staunt und sieht,
Daß der Himmel doch Mauern kann bauen.
Das hat nicht der Vetter, der Schultheiß, gerichtet:
Die Diener des Himmels, die Winde,
Sie haben im Stillen die Mauern geschichtet
Statt Steinen aus Flocken gelinde.
Eine Mau'r ums Häuslein ganz
Steht gebaut aus schnee'gem Glanz,
Zum Beweis dem ungläubigen Kinde.
Da muß es der Mutter nun sagen der Knabe,
Er weckt sie vom Schlaf mit der Kunde.
Da hört er die Reiter, sie ziehen im Trabe,
Und möchte sie sehen zur Stunde.
Doch zur Straf' es ihm geschieht,
Daß er nicht die Reiter sicht,
Denn die Mauer, sie steht in die Runde.
Da macht es die Mutter zur Strafe dem Knaben,
Den Weg durch die Mauer zu brechen.
Da muß er nun schaufeln, da muß er nun graben;
Und als er mit Hauen und Stechen
Durch ist, sind die Reiter fort,
Und die Nachbarn stehn am Ort,
Die sich über das Wunder besprechen.
211.
Der Krieg.
Von Jacobs.
Alwin und Theodor 5- Aufl- Leipzig 1817- S. 12-
In den ersten Tagen des Mais führte ein Vater seine Kinder
Alwin und Theodor in das Freie hinaus. Der Weg gieng eine
lange Allee hinab, an deren Ende ein öffentlicher Garten lag. In
seinen weitgeöffneten Thüren sahen ste schon von fern ein buntes
Gewühl von Menschen, welche aus- und eingiengen, und eine lustige,
aus dem Innern schallende Musik lud die Spazierenden ein, an
den Vergnügungen des Gartens Theil zu nehmen.
Es war ein Sonntag, und eine Menge vergnügter Menschen
vergaß hier die Arbeiten und Mühen der vergangenen Tage. Viele
217
spazierteil müßig in den breiten Gängen ans uub ab und genossen
den lauen Abend, der ans dem frischeil Laube und den Blüten
der Bäume süße Düfte hervorlockte. Männer wandelten mit ihren
Frauen, und vor ihnen hüpften ihre Kinder oder tummelten sich
in fröhlicher Verwirrung auf den Grasplätzen umher. Alle schienen
von einem Geiste friedlicher Eintracht und ruhigen Genießens be-
seelt. Die feierlichen Töne, die sie umzogen, die heitern Strahlen
der Abendsonne und die anmuthigen Düfte, die alis taufenb Blu-
men emporstiegen, schienen alle Gemüther erheitert und in ein
süßes Vergessen ihrer Sorgen gewiegt zu haben.
Allmählich verlor sich die größere Menge, und die laute Musik
verstummte. Da erscholl aus einem Gebüsche zur Seite eine Doppel-
pfeife, die von Zeit zu Zeit durch einen einfachen und rührenden
Gesang unterbrochen wurde. Die meisten von denen, die noch
in dem Garten zurückgeblieben waren, eilten jetzt neugierig nach
jener Gegend hin, und Alwin und Theodor waren nicht unter
den letzten. Sie fanden auf einem Nasenplatze einen Knaben
sitzen, welcher zwei kleine Pfeifen blies und zur Abwechselung da-
zwischen sang.
Das Lied, das er sang, war ein Lob des Friedens. Er wie-
derholte es mehrmals; aber immer, wenn er gegen das Ende kam,
wurde seine Stimme dumpfer imb dumpfer, bis sie endlich bei ben
letzten Worten ganz zu erlöschen schien. Das Lied lautete so:
'Der Friede wandelt auf Berg und Thal
Und singet fröhliche Lieder;
Ihn geleitet die Lerch' und die Nachtigal,
Ihm brüllen die Heerden im heimischen Stall:
Kein Hälmchen tritt er nieder.
Der Sämann den Samen in Acker legt,
Der Friede mit herzlicher Hand ihn pflegt.
'Die Früchte strahlen am schattigen Baum
Und ziehen die Zweige zur Erde;
Die Füße der Kelternden färbet der Schaum,
In Scheunen und Böden gebricht es an Raum,
Und zehnfach vermehrt sich die Heerde;
Wer ist es, der allen den Segen schafft?
Es ist des Friedens befruchtende Kraft.
'Es jagt der Soldat nach dem tückischen Glück
Und wüthet im wilden Verderben;
Doch kehrt er öfters den sehnenden Blick
Vom Schlachtfeld zur friedlichen Heimat zurück
Und will im Frieden sterben.
Unterm moosigen Dach, in der Ruhe Schoß
Preist er des Friedens beglückendes Los.
'Der Friede führt die Braut zum Altar
Und ladet zu fröhlichen Tänzen;
Er schützet und schirmet der Kinder Schar
218
Und läßt des rüstigen Greises Hatir
Vom weißen Reife glänzen;
Und sinket der Greis in die Erd' hinab,
Bekränzt ihm der Friede sein stilles Grab.'
Wer einmal gekommen war, blieb stehen linb hörte. Der
Knabe schien etwas über zwölf Jahre alt zu sein. Seine heitre
Bildung gefiel jedermann; unb er selbst sah die Umstehenden un-
befangen und tlnschnldig mit großen blauen Augen an. Neben
ihm lag ein grauer Hund, dem er von Zeit zu Zeit liebkoste.
Sein Anzug war ärmlich, aber rein, und seine Bewegungen hatten
eine gewisse natürliche Anmuth, die jedermann wohlgesiel. Man
wollte wissen, wer er sei, wo er herkomme, und wem er angehöre.
<Jch komme weit her vom Rhein,' antwortete er, üvo meine
arme Mutter wohnt. Ich ziehe umher, um etwas zu verdienen.'
Diese Worte erregten die Neugierde der Umstehenden noch
mehr. Man verlangte seine Geschichte zu hören. Er schwieg einige
Augeirblicke; dann legte er seine Flöten bei Seite, drückte den
Hund fester an sich und erzählte, mit gefalteten Händen, folgender-
maßen :
<Jch komme ans der Pfalz, wo mein armer Vater Land-
wirtschaft trieb. Wir bewohnten ein feines Hans, nicht weit vom
Fluß, und einen Garten dabei; auch einen kleinen Weinberg hatten
wir dicht am Wasser, außerdem auch Pferde und Kühe und alles,
was wir wünschten. Gar oft sagte mein Vater: Vnsre Nachbarn
ftitb zwar reicher, aber gewiß nicht vergnügter, als wir. Denn
wir sind zufrieden mit dem, was Gott uu3 beschert, und begehren
nicht mehr, als wir haben.'
<Das war vor den; Kriege, da gieng uns alles zu Glück.
Als aber die Kriegsunruhen anfiengen, siengen auch meiner Eltern
Sorgen an. Wir hörten oft von bösen Thaten, die verübt wor-
den waren, und daß man niemand schone, weder Alt noch Jung.
Auch kamen viele Flüchtlinge vom andern Ufer bei uns durch,
mit wenigen Habseligkeiten. Die erzählten schauderhafte Dinge und
machten uns sehr bange, und oft sahen wir schreckliche Feuerzeichen
von brennenden Dörfern am Himmel. Wir giengen mit Furcht
zu Bette und standen mit Sorgen auf; denn alles Unglück, das
wir sahen und hörten, drohte uns ebenfalls.
^Endlich sieng die Noth auch in unsrer Gegend an. Es kamen
oft Soldaten zu uns, bald Freunde, bald Feinde. Aber sie waren
alle gleich und verlangten immer dies und das. Sie sagten zwar,
der Krieg würde für uns geführt, damit es uu§ wohl gienge; aber
dabei nahmen sie uns alles, was wir hatten, und wenn wir ihnen
alles gegeben hatten, wußten sie uns doch feinen Dank.
Mines Tages hörten wir ein gewaltiges Kanonenfeuer, und
gegen Abend hieß es, der Feind sei geschlagen und ziehe sich mit
großer Eile ins Thal herab. Mit tödtlicher Angst sahen wir der
Ankunft des fliehenden Feindes entgegen. Mein Vater gieng nicht
zu Bette, sondern verwahrte das Haus und erwartete den Erfolg.
<Früh, vor Tages Anbruch, als ich noch schlief, wurde mit
großem Ungestüm an das Hans geschlagen. Ich fuhr erschrocken
aus und sah durchs Fenster einen Trupp Reiter, welche Anstalten
machten, die Thüren aufzusprengen. Da öffnete ihnen mein Vater
gutwillig — denn es waren ihrer zu viele, um sie abzuhalten —
und fragte sie recht höflich, was denn ihr Begehren sei. Da ver-
langten sie Geld, aber viel und schnell, und einige zogen die Säbel,
andre spannten die Pistolen gegen ihn und drohten ihn zu er-
morden, wenn er sich einen Augenblick bedächte.
«Ich war unter der Zeit hinausgelaufen und bat meinen Vater,
ihnen doch alles zu geben. Ta schwang einer von den wilden
Reitern lachend seinen Säbel über mir, um mich in Furcht zu
setzen; aber ein anderer, der vom Pferde gestiegen war, faßte mich
freundlich beim Kinn und stachelte mir den Kopf und -sagte mir,
ich sollte mich nicht fürchten. <Jch fürchte mich nicht/ antwortete
ich, <aber um Gotteswillen thut nur dem Vater nichts!'
Mein Vater war in das Haus gegangen, um Geld zu holen.
Während der Zeit behielten sie mich und die Mutter in Verhaft.
Einige stießen schreckliche Worte aus und drohten uns mitzunehmen
oder ums Leben zu bringen.
Mun brachte mein Vater eine Summe Geldes, ich weiß nicht,
wie viel, und gab es ihnen. Aber sie waren nicht aufrieben und
fluchten entsetzlich, und einige stiegen schon ab, um selbst zu snchen.
Aus einmal hörte man Kanonenschüsse in der Nähe. Da er-
schraken sie, stiegen hastig wieder ans und jagten mit ihrer Beute
auf und davon.
Ms sie weg waren, dankten wir alle Gott, daß nichts Schlim-
meres geschehen war. Aber mein Vater war still, und meine Mutter
weinte. Sie hat mir nachher gesagt, das Unglück habe ihr geahnt,
das uns bevorstand.
Wiele Reiter und Fußgänger eilten den ganzen Tag über
vorbei, und keiner hielt sich auf, bis gegen Abend drei Reiter auf
unsern Hof kamen und mit Ungestüm Geld verlangten.
Mein Vater eilte hinaus, um ihnen zu sagen, daß er nichts
mehr habe, und hielt uns zurück, ihm zu folgen. Wir horchten
aber an der Thür und hörten einen schrecklichen Wortwechsel. Da
liefen wir hinaus, als der Lärm so arg wurde, um meinem armen
Vater zu Hülfe zu kommen. In dem Augenblick schwang ein
Reiter den Säbel über ihn und nannte ihn eineil Hund, lind ein
anderer drückte sein Gewehr gegen ihn ab; und wir sahen meiilen
Vater in seinem Blute fallen.'
Der Knabe hielt bei diesen Worteil inne; Thränen rollten
über seine Wangen, nild alle Umstehenden waren gerührt.
Ms meiile Mlltter das große Unglück sah,' fuhr er nach einem
220
kurzen Stillschweigen fort, ‘warf sie sich über meinen armen Vater
her lind schrie und weinte, bis ihr die Stimme vergieng. Da
glaubte ich, sie fei auch todt, unb fetzte mich neben sie und wollte
auch sterben.
‘£)te Reiter waren unterdessen in das Haus gegangen und raff-
ten zusammen, was sie fanden. Dann ritten sie eilends davon,
als es schon ganz dunkel war, und kümmerten sich nicht weiter
UM uns.
‘Ich wußte nicht, was ich thun sollte. Ich wollte in die Nach-
barschaft laufen und Hülse suchen; aber ich war in einer so großen
Angst, daß ich nicht fort konnte. Ich konnte nur rufen und schreien,
und das hörte niemand; denn unser Haus lag einzeln.
‘Endlich kam es mir vor, als ob meine Mutter wieder Athem
holte. Ich rief sie mit lauter Stimme, und sie schlug die Augen
aus und fragte, wo sie wäre.
‘Ich konnte vor Freude nicht antworten, und auch vor Trau-
rigkeit nicht; denn die Thränen erstickten meine Worte. Aber ach!
in dem Augenblick schlug die Flamme aus dem Dache unsers
Hauses empor.
‘Meine Mutter raffte sich auf und wollte in das brennende
Haus hinein. Aber ich hielt sie fest und ließ sie nicht los, denn
sie wäre gewiß in den Flammen umgekommen. Das Haus stand
mit einemmal in vollen Flammen. Es kamen einige Leute her-
bei, um §u helfen; aber alle Hülfe war umsonst: das Haus
brannte nieder, und wir hatten nichts gerettet, als was wir au
uns trugen.
‘Nun versammelten sich viele Leute um uns und beklagten
unser Unglück. Und jeder erzählte etwas, das ihm begegnet war,
der eine dies, der andere das; denn cs war niemand verschont
geblieben. Aber umgekommen war doch niemand, als mein armer
Vater.
‘Als der Morgen anbrach, war meine Mutter sehr krank;
denn wir waren die ganze Nacht unter freiem Himmel gewesen,
und noch wußten wir nicht, wo wir uns hinwenden sollten.
Meine Mutter faß immer neben meinem todten Vater unb hielt
mich fest auf ihrem Schoß; damit sie mich auch nicht verlöre,
sagte sie.
‘Da kam eine arme Witwe aus der Nachbarschaft, der
mein Vater in bessern Zeiten einiges Gutes gethan hatte. Die
bat meine Mutter aufzustehen unb mit in ihre Hütte zu gehen.
Sie wollte alles mit uns theilen, sagte sie, was sie in ihrer Ar-
muth hätte.
‘Den andern Tag begruben sie meinen Vater, und der Pfarrer
predigte au dem Grabe und sagte, mein Vater wäre nun im
Hinunel; denn er hätte Gott gefürchtet und geliebt. — Und das
221
ist auch gewiß wahr; denn mein Vater war fromm und that allen
Menschen Gutes.
'Da alle weg waren, blieb ich allein auf dem Gottesacker und
weinte und rief meinen Vater mit Namen; und dann betete ich
und nahm mir vor, auch so gut zu werden, wie er. So saß ich
lange auf dem Grabe und konnte nicht weg. Der Hund lag
neben mir und sah mich traurig an; und da mußte ich noch mehr
weinen, wenn ich dachte, wie lieb mein Vater das treue Thier
gehabt hatte?
Bei diesen Worten legte der Knabe sein Gesicht ans den
Kopf des Hundes und drückte ihn fest dagegen. Dann fuhr
er fort:
'Meine Mutter war mm lange krank, und wir lebten sehr
kärglich. Unsre gute Wirtin hatte nur wenig, und meine Mutter
konnte nichts verdienen.
'Da ich nun sah, daß sie immer betrübt war und sich härmte,
weil wir der armen Frau zur Last sielen, sagte ich eines Tages
zu ihr: Webe Mutter, Ihr seid so traurig, daß wir nichts haben
und nichts verdienen können. Aber seid nur getrost! Kann ick
nicht Doppelpfeife spielen und allerlei Lieder singen? Ich will mich
ans die Reise begeben und Musik machen, wie der blinde Nepo-
muk, der sonst immer mit seinem Enkel hierher kam; so seid Ihr
eine Sorge los, und ich denke etwas zu verdienen. Dann komme
ich wieder zurück und bringe Euch mit, was ich erworben habe?
Meine Mutter antwortete nichts; ich aber schickte mich zur
Reise an, bat meine Wirtin um etwas Brot, rief den Hund unb
wollte hinaus. Da die Mutter nun sah, daß es mein Ernst war,
wollte sie mich nicht fortlassen, sondern schalt mich und stritt und
bat. Da war gerade ein alter Nachbar zugegen, dem die Sol-
daten auch alles genommen hatten; der sagte: 'Laßt ihn ziehen,
Mutter! Es hat wohl mancher brave Mann so angefangen.
Gott wird ihn behüten? — Und da ich auf meinem Vorhaben be-
stand, sagte sie endlich unter vielen Thränen: 'Nun, so gehe in
Gottes Namen! Ich will für dich beten, daß dir kein Unglück be-
gegne, und daß du gut bleibst?
'Da gab ich ihr die Hand und gieng fort; und es sind nun
schon zwei Monate, daß ich herumziehe und Musik mache, und noch
ist mir nichts Übles begegnet. Ich habe mir schon einiges gespart,
und wenn es noch mehr ist, kehre ich wieder nach Hause zurück
und erfreue meine arme Mutter, die wohl manche Sorge um mick
haben mag?
Mit diesen Worten endigte der Knabe seine Geschichte und
zog ein kleines Beutelchen heraus, das er mit Wohlgefallen wog
und zwischen beide Hände drückte. Alle Umstehenden zeigten sich
freigebig und liebkosten dem Knaben und lobten ihn. Da trat
unter der Menge ein ältlicher Mann hervor, der ein ansehnliches
222
Vermögen besaß und seine Kinder verloren hatte. Der faßte den
Knaben bei der Hand unb sagte: "Willst dn mit mir kommen?'
Der Knabe sah ihn mit großen Augen an und sagte: "Ich
will Euch so viele Lieder spielen, als ich weiß?
Der Mann lächelte und gieng mit dem Knaben weg. Bald
darauf erfuhr man, daß er ihn sammt seiner Mutter zu sich ge-
nommen hatte und für beide Sorge trug.
212.
Der tolle Hund.
Bon Pscffel.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802 — 1810. I, 141.
flieht, Leute, flieht den tollen Hund!'
So rief zu Nero's Zeit ein Rudel blasser Jungen,
Die mit genauer Noth des Unthiers Wuth entsprungen.
Die Warnung sprang von Mund zu Mund
Durchs halbe Rom. Es lief, was laufen konnte.
Ein rascher Veteran, der auf dem Markt sich sonnte,
Blieb ruhig stehen, wie er stund.
Das Thier kam auf ihn los. Mit seinem Knotenstecken
Schlug er auf einen Hieb ihm das Genick entzwei
Und sprach zum frohen Volk: 'Was floht ihr? Feiger Schrecken
Macht euch von keinem Wüthrich frei;
Den Schädel müßt ihr ihm zerschmeißen,
Alsdann erst hört er auf zu beißen.'
213.
Das schlimmste Thier.
Von Lessing.
Schriften, hcrauSg. von Lachmann. Berlin 1838- I, 22-
‘Ü$ie heißt das schlimmste Thier mit Namen?'
So fragt' ein König einen weisen Mann.
Der Weise sprach: 'Von wilden heißt's Tyrann,
Und Schmeichler von den zahmen.'
214.
Timur, der Mongole.
1370—1405 n. Ehr.
' Von Becker.
Weltgeschichte 7. Aufl. Berlin 1836-1838. VI, 151—154. (Gekürzt.)
Timur, gewöhnlich Timur lenk') d. i. der lahme Timur ge-
nannt, ist wohl der blutigste unter allen Tyrannen. Bei seinem *)
*) Verderbt in Tamerlan.
223
Volke hieß er auch 'der große Wolf,' 'der Herr der Zeit' und 'der
Eroberer der Welt.' Das Blut von Huuderttauseudeu sließeu zu
lassen, war seine Wonne, unb sein wilder Ehrgeiz hatte keinen
andern Zweck, als die unersättliche Lust des Eroberns und Herr-
schens; in der schonungslosesten Nachsucht und in der wildesten
Barbarei Übertraf er auch den entsetzlichen Dschingischan.
Durch außerordentliche Tapferkeit und Herrscherklugheit schwang er
sich auf den Thron von Dschgatai, und Samarkand ward $u seinem
Herrsch ersitz erhoben. Aber dieser Krone fügte er noch sechsund-
zwanzig andere hinzu, die seine Beute wurden in den fünfund-
dreißig Jahren seiner Negierung und seiner Kriegszüge, aus welchen
er die Völker von der chinesischen Mauer bis zum Mittelmeer,
vou Moskau bis an die Grenzen Egyptens unterwarf: wie nur
ein Gott, solle auch nur ein Herrscher auf Erden sein, sagte Timur.
Verheerte und entvölkerte Länder, zerstörte Städte und Schädel-
pyramiden waren die Denkmäler, die er zurückließ. Nachdem die
persischen Mongolen unterworfen waren, machten die Einwohner
einer Stadt einen Aufstand; Timur ließ zweitausend derselben
lebendig über einander schichten und statt Bausteine mit Lehm
und Kalk zu Türmen ausmauern. Eine andere Stadt wagte
gleichfalls Empörung; da gab Timur Befehl zur Wiederbesetzuug
mit stürmender Hand, zur Plünderung und zum allgemeinen Blut-
bad der Rache. Jeder Soldat ward zur Lieferung einer bestimmten
Anzahl von Köpfen aufgeboten; viele aber waren zuletzt von Blut
und Beute so übersättigt, daß sie die vorgeschriebenen Köpfe lieber
kauften. Nach der geringsten Angabe waren es siebzigtausend
Erschlagene, die hier den Rache- und Blutdurst des Wütherichs
befriedigen mußten. Auch über den Indus richtete der Mongole seine
blutig stammende Laufbahn, und noch ehe daselbst eine Schlacht
geschehen war, schleppte das Heer schon über hunderttausend Ge-
fangene mit sich. Bei Delhi erwartete sie Mahmud II. mit der
gesammelten Reichsmacht. Als der Anblick seiner Kriegselephauten
auf den Gesichtern der Hindusklaven freudige Erwartungen zeigte,
befahl Timur, sie sämmtlich niederzuhauen, und eine Stunde kostete
mehr als Huuderttausenden das Leben. Noch größer war das
Gemetzel in der darauf folgenden Schlacht, in welcher die Mon-
golen, trotz hartnäckiger Gegenwehr und trotz des betäubenden
Lärms der indischen Glocken und Trompeten und der Becken-
schläge, die von den Rücken der Elephanten herab ertönten, ihre
Feinde niedermähten. Delhi ivurde geplündert, von den über-
lebenden Einwohnern schleppte jeder Mongole so viel Sklaven
fort, als er wollte, und gemeine Soldaten zogen wohl mit fünf-
hundert davon. Von den rauchenden Trümmern, die er an Delhi's
Stelle hinterließ, eilte Timur gen Merut, eroberte es und ließ die
ganze Bevölkerung lebendig schinden. Nach einem ebenso blutigen
Rückzüge wurde Siwas, damals eine der bevölkertsten Städte
224
Kleinasiens, erstürmt, und furchtbar waren die Frevel, welche auch
diese Einnahme bezeichneten, besonders die Todesmartern, welche
den gefangenen Christen angethan wurden. Viertausend armenische
Reiter, welche große Tapferkeit bei der Vertheidigung gezeigt hatten,
sollten lebendig begraben werden. Der Kopf wurde ihnen zwischen
die Schenkel gebunden, je zehn in eine Grube gerollt, diese mit
Brettern und dann erst mit Erde bedeckt, daß die Todesqual sich
länger hinziehe. Von hier wandte sich Timur nach Aleppo unb
drang siegreich in die Stadt z vierzehn Tage dauerte die Plünderung
und Zerstörung. Auch Damaskus wurde erobert, Feuer in die
Gebäude geworfen, und alle zahlreichen Kunstwerke wurden gleich-
falls ein Raub der Flammen. Nach der Erstürmung von Irak
mußte jeder Mann des Heeres einen Kops liefern, wenn er seinen
eigenen behalten wollte z so konnten neunzigtausend Schädel zum
Siegesdenkmal aufgerichtet werden. Bei Angora im alten Galatien
stieß Timur mit einem andern wilden Eroberer, der Bajazeth
hieß, zusammen; die beiden Heere mochten zusammen wohl eine
Million Menschen zählen. Auch hier blieb Timur nach gräßlichem
Gemetzel Sieger. Drei Jahre nachher jedoch, 1405, inachte der
Tod seinem blutigen Leben ein Ende; er starb ans einem Zllge
gegen China.
215.
Nie Dogge und der Schöps.
Bon Pseffel.
Poetische Versuche 4 2tufl. Tübingen 1802 — 1810. V, 90.
Einst fiel ein schlimmer Wolf durch einer Dogge Muth.
Kaum lag entseelt der Schächer auf der Erde,
So nahte blökend sich die frohe Heerde.
Die Schafe wälzten sich in des Erschlagnen Blut;
Die Böcke tanzten einen Siegesreigen.
Die Dogge nur sah in gesetzter Ruh
Dem ekelhaften Schauspiel zu.
'Wie,' rief ein Schöps, 'du kannst bei unserm Feste schweigen?
Er starb ja doch durch dich, der reißende Despot.'
'Pfui,' sprach der Hund, 'er ist ja todt.'
216.
Der Tiger und der Wolf.
Von Pseffel.
Poetische Versuche 4. Ausl. Tübingen 1802—1810. IV, 193.
3um Tiger sprach der Wolf: 'Sieh jenen fetten Stier,
Von einem Kind bewacht, am Bache weiden;
Freund, hättest du die Wahl, wen kiestest du von beiden
225
Zu deinem Abendschmaus?' — 'Ich würde dir,'
Versetzt der Tiger, 'gern den Büffel überlasten
Und wählte mir den Buben.' — 'Willst du spaßen?'
Rief Jsegrimm; 'das Kind und sein Papa
Sind keinen Ochsen werth.' — 'Allein des Knaben Zähren,'
Fiel ihm der Tiger ein, 'ha, Vetter! diese wären
Mir Nektar und Ambrosia!'
Wer Böses thut, um Vortheil zu erjagen,
Folgt knechtisch dem gemeinen Hang;
Wer Böses thut aus bloßer Lust zu plagen,
Der buhlt mit Satan um den Rang.
217.
Der Königstiger.
Nach Lenz und Reichcnbach.
Lenz: Naturgeschichte I, 303. — Reichcnbach: BolkSnaturgeschichle I, 119-
Von allen Raubthieren ist der Tiger das fürchterlichste. Er
ist sechs bis sieben Fuß lang, drei bis vier Fuß hoch, und die größte
Länge des Schwanzes beträgt drei Fuß. Der Leib ist länger als
bei dem Löwen, die Brust ist weniger stark und der ganze Körper
schmäler. Die Grundfarbe des Tigers ist ein schönes Braungelb,
das nach dem Bauche hin heller wird und endlich in ein reines
Weiß übergeht. Rein weiß sind auch die Innenseiten der Füße,
ein Fleck über jedem Auge, die Innenseiten der Ohren, die Wangen
und die Lippen. Über diese Grundfarbe laufen von der dunkeln
Rückenlinie unregelmäßige schwarze Querstreifen herab, welche schon
an der Nasenwurzel beginnen und endlich am Schwänze Ringel
bilden; der gelblichwetße Schwanz hat fünfzehn schwarze Ringe.
Die Pupille des Auges ist rund, die Iris grünlich- oder bräunlich-
gelb; die Ohren sind abgerundet. Seinen Aufenthalt nimmt der
Tiger im Dickicht der Wälder, im Gebüsch, im Schilfe, im hohen
Grase, oft ganz in der Nähe menschlicher Wohnungen; hier liegt
er vorzüglich kurz vor dem Aufgang oder nach dem Untergang der
Sonne auf der Lauer. Die Tigerin bekommt je zwei bis drei
Junge, die man zähmen kann. Kaiser Heliogabal ließ zahme Tiger
vor seinen Wagen spannen, um den Bacchus besser vorstellen zu
können. Ein Richter begab sich, wie glaubwürdige Reisende ver-
sichern, noch vor wenig Jahren täglich nach dem Gerichtspalast in
einem von zwei Tigern gezogenen Wagen; diese Thiere waren so
gezähmt, daß man sie wie ein Paar Droschkenpserde leiten konnte.
Aus dem 13. Jahrhundert wird von einem Tatarenfürsten be-
richtet, der zahme Tiger gebrauchte, um wilde Schweine, Esel,
Bären, Hirsche rc. zu fangen. Sie wurden in Käfichen auf Karren
geführt, und es war wunderbar, mit welcher Wuth und Schnellig-
Colshorn u. Gödeke's Lesebuch I. iz
226
feit sie das Wild fiengen. Bei großen Festen lag dem Fürsten ein
zahmer Tiger zn den Füßen. In Menagerien vertragen sich diese
Thiere oft auch sehr gut mit Hunden, wie zahlreiche Fälle bewei-
sen. — Das Vaterland des Tigers umfaßt das südliche Asien vom
Indus bis zu seinem östlichen Ende, viele Gegenden Mittelasiens
vom Kaukasus bis zum östlichen Ende.
Ist der Tiger auch nicht blutgieriger, nicht mordlnstiger, als
alle anderen Katzenarten, ja, zeigt er auch dieselbe Art 511 spielen
und zu schmeicheln, wie diesez so wird er doch durch seine Größe
weit furchtbarer, um so mehr, da er nicht, wie der Löwe, nur die
Ränder der Wüsten, sondern vielmehr zahlreich ben3üt;nte Gegenden
besucht. Seine Kraft ist ungeheuer, sein Gebrüll fürchterlich, tiuö
sein finsterer Blick stößt Entsetzen ein. In weiten Sprüngen stürzt
er ans Menschen und Thiere los, reißt sie nieder und sättigt sich
zuerst mit dem Blute der Erwürgten. Die Wunden, die er dabei
mit den großen scharfen Klauen seinen! Opfer schlägt, sind zuweilen
gegen fünf Zoll tief und so gefährlich, daß auch ein den Tatzen
dieses Thiers entrissener Mensch nur selten vom Tode errettet, noch
seltner aber gänzlich geheilt werden kann. Die Muskelkraft ist so
groß, daß er selbst ein Pferd mit einem einzigen Schlage nieder-
zustrecken und fortzuschleppen und mit einem Menschen im Rachen
leicht davonzulaufen vermag; er wagt daher, seiner Stärke sich
bewußt, Büffel, Pferde, junge Elephanten u. s. w. anzugreifen und
selbst mit ausgewachsenen Elephanten zn kämpfen, obgleich er letztere
nie angreift: ein ausgewachsener Elephant schlendert den Tiger,
der etwa ihm ans den Kopf gesprungen ist, unter seine Füße, kniet
auf ihn und zerquetscht ihn, oder giebt ihm einen Stoß mit dem
Fuße, der ihm die Rippen zerbricht und ihn vielleicht zwanzig
Schritte weit fortschleudert. Antilopen, Affen und andere kleinere
Thiere verschmäht der Tiger aber auch nicht; ebenso wenig den
Menschen, von denen er oft aus ganzen Scharen seinen Mann
heraus bolt: so riß einst beim Marsche eines englischen Reitertrnpps
ein Tiger einen Reiter aus den Reihen vom Pferde herab und lief
mit ihm so schnell davon, daß man ihn nicht einholen konnte. Im
gesättigten Zustande ist er träge und feig, und leicht ist er dann
in Schrecken zn setzen und von seinem Angriffe abzuhalten. So
suchte einst ein Schütz nach einem Hasen und bog dabei zufällig
einen Busch ans die Seite; da sah er zu seinem Entsetzen einen
eben erwachenden Tiger, der ihn mit grimmigem Blicke ansah.
Der Mann sprang zurück; der Tiger erhob sich langsam und ent-
fernte sich, wie es schien, unwillig. Im Busche fand man einen
halb verzehrten Ochsen. Auch Unerwartetes verjagt ihn. Einst saß
eine Gesellschaft Engländer im Schatten eines Gebüsches, als sich
ein Tiger zeigte, der durch das Gehölz herbei geschlichen und schon
zum Sprunge bereit war; eine Dame öffnete rasch ihren Sonnen-
schirm und fuhr ihm daniit nach dem Gesicht, und der Tiger wich
227
zurück. Bei einer Tigerjagd stürzte ein Engländer von einem
Elephanten herab und fiel auf den Tiger; dieser, darüber erschrocken,
entfloh. Auch den festen, unverwandten Blick des Menschen, des
Herrn der Schöpfung, vermag der Tiger ebenso wenig zu ertragen,
als ein anderes Nanbthier. Ein englischer Offieier in Indien be-
gab sich in ein nicht weit vom Lager entferntes Geröhricht und
stieß Plötzlich auf einen Tiger. Beide blieben wie eingewurzelt
stehen. Der Offieier hatte keine Waffe, mit der er den Kampf hätte
wagen können; er hatte aber gehört, daß sich selbst dieses Thier
zurückziehe, wenn man ihm fest in die Augen blicke. Er that dies.
Nach kurzer Zeit wurde der Tiger unruhig, machte eine Seiten-
bewegung und suchte ihn von hinten zu erschleichen. Der Offieier
aber machte fortwährend Front gegen seinen Gegner, der sich stets
vor seinem Blick zu scheuen schien, zuweilen ins Dickicht sprang,
dann aber wieder von einer andern Seite erschien. Dies dauerte
fast eine Stunde, bis endlich der Tiger das Feld räumte, und der
Offieier glücklich entkam. — Auch vor der Maus soll der Tiger
eine große Furcht haben. Ein Berichterstatter erzählt darüber fol-
gendes. Wir hatten Gelegenheit, die Eigenthümlichkeiten des Tigers
recht bequem an einem schönen Thiere zu beobachten. Es war in
einen Käfich gesperrt, der mitten im Hofe frei stand lind so ge-
räumig wie ein Zimmer von gewöhnlicher Größe war, so daß es
darin Sätze und Sprünge nach Gefallen machen konnte. Es ver-
zehrte täglich ein Schaf, manches Stück Fleisch ungerechnet, was
ihm gelegentlich noch zilgeworfen wurde. Unsere jungen Leute be-
lustigten sich bisweilen damit, den Tiger zil necken; dann stürzte er
sich gegen das Gitter seines Käfichs mit einem Gebrüll, daß die
Pferde in den nahe gelegenen Ställen vor Schreck zitterten iind
kläglich wieherten. Die Neckereien, durch die man ihn reizte, waren
verschiedener Art: bald stach man ihn mit einem zugespitzten Stocke,
bald tantalisierte man ihn, indem man ihm ein Stück Fleisch vor-
hielt, das maii wieder zurückzog, ehe er es fassen konnte; aber unter
allem das Unangenehmste war ihm, wenn man eine Maus in sei-
nen Käfich laufen ließ. Nie kann eine verzärtelte Dame beim An-
blick einer Spinne mehr erschrecken, als dieses herrliche Thier bei
dem Anblick des kleinen Nagethieres. Am meisten belustigte es,
wenn man die Maus mit dem Schwänze an das Ende eines
Stockes band und sie so ihm ganz nahe vor die Nase hielt. So-
wie er sie^bemerkte, war er mit einem Satze auf der entgegen-
gesetzten Seite; wenn man die Maus auf ihn zutrieb, so kroch er
in einen Winkel und drückte sich fest gegen die Gitterstäbe an; er
zitterte, schrie unb schien von so großer Angst gefoltert zu werden,
daß er endlich unser Mitleid erregte und wir nufer Spiel auf-
gaben. Manchmal jedoch wollten wir ihn zwingen, an die Stelle
zu gehen, wo die Maus sich befand, die nicht ahnte, welchen
Schrecken sie erregte, und ganz unbesorgt umherlief, um Krümchen
15*
228
jit benagen: es kostete stets große Mühe, ihn in Bewegung zu
setzen, und kaum gelang es uns durch einen in seiner Nähe ange-
zündeten Schwärmer; aber dann machte er, statt geradeaus zu
gehen oder auch einen Umweg um den Gegenstand seiner Furcht
zu nehmen, einen so hohen Sprung, daß er mit dem Rücken säst
die Decke seines Käfichs berührte. — Die Niesen und die Zwerge!
Mannigfaltig ist die Art, sich dieser grimmigen Räuber zu
bemächtigen: man stellt Selbstschüsse mit vergifteten Pfeilen auf,
oder errichtet in der Nähe von dem Orte, wohin der Tiger den
Nest seiner Beute getragen hat, ein Schießzelt, um aus demselben
ihn, wenn er bei einbrechender Nacht zurückkehrt, mit einem Kugel-
regen zu empfangen re. Am seltsamsten ist aber wohl die Weise,
wie man sich in den nördlichen Provinzen Ostindiens desselben
bemächtigt. Nachdem die Spur eines Tigers gefunden ist, gesellen
sich nämlich die Bewohner zusammen, pflücken Blätter und be-
streichen dieselben mit einer Art Vogelleim; sodann streut man sie
auf dem Wege, den das Thier betreten muß, so aus den Boden,
daß die klebrige Seite oben liegt. Sobald der Tiger aus eins dieser
Blätter tritt, so beginnt er seine Bemühungen, es wieder zu ent-
fernen: er bewegt sich immer heftiger, erst mit den Füßen, dann
mit dem ganzen Körper, und bedeckt sich dadurch immer mehr mit
Blättern, bis er sich wüthend niederwirft und fürchterlich brüllend
sich wälzt, wobei er sich nur immer noch mehr einhüllt und Augen,
Ohren und Nase sich verklebt; in diesem Zustande wird er alsdann
von den herbeieilenden Menschen leicht erschossen. Die meisten
Tiger aber werden von einzelnen kühnen Schützen und auf großen
Treibjagden erlegt. Zu solchen Tigerjagdeu werden von den in-
dianischen Fürsten oft viele Tausende von Menschen, theils zu Fuße,
theils zu Pferde, theils auf Elephanten, beordert; 1683 rückte ein
Kaiser von China einmal mit 60,000 Manu und 100,000 Pferden
zur Jagd aus. In einem bestimmten Bezirke werden große, hohe
Garne aufgestellt, zwischen welchen in gewissen Entfernungen auf
Bäumen oder Pfählen Schießtürmchen angebracht sind; da hinein
begeben sich die besten Schützen, um von hieraus auf Tiger und
andere Raubthiere schießen zu können. Dann wird ringsum, gegen
die Garne hin, das dürre Gras und Gebüsch angezündet und zu-
gleich sämmtliche Mannschaft um den Ort aufgestellt, welche, in
dichten Gliedern vorwärts schreitend, unter dem fürchterlichsten Lärm,
schreiend, trommelnd und schießend, das Wild gegen die Garne
hintreibt.
Nachrichten und Geschichten von Tigern imb Tigerjagden sind
in zahlloser Menge vorhanden. In Griechenland hat man erst
nach Alexanders des Großen Tode einen Tiger zu sehen bekommen;
in Rom hat Pompejus den ersten zahmen in einem Käfiche gezeigt.
Am schlimmsten haust er gegenwärtig noch in Vorderindien: dort
raubt er nicht nur au fast allen waldreichen Strom- und Meeres-
229
ufern in Menge, sondern ist auch, wo die Gegend nicht sehr stark
bevölkert ist, noch Herr über den Menschen. Die Einwohner da-
selbst sind nämlich weder kräftig noch muthig, und das hat wohl
den Tiger so stech gemacht; auch fehlt es ihnen an manchen Orten
noch an Feuerwaffen. Die Dornenhecken, welche alle Dorfbe-
wohner dort um ihre Wohnungen zur L>chntzwehr pflanzen, reichen
nicht immer hin, die hungrigen Bestien zurückzuweisen, und sich
nachts in ihren Dörfern, besonders aber im Freien zu schützen,
dazu haben sie weiter nichts als brennende Fackeln, die der Tiger
wie alles Feuer allerdings scheuet; daneben flehen die arg bedräng-
ten Menschen ihre Götter um Hülse au, oder bitten den Tiger
selbst lim Mitleid, indem sie ihn ‘Onset’ nennen. Wie wenig aber
das alles schützt, mag man daraus ersehen, daß die Tiger einst
binnen zwei Jahren aus einer einzigen Ortschaft achtzig Einwohner
aus der Mitte der Hütten weggeschleppt und verzehrt hatten, und
viele Ortschaften ganz von Menschen verlassen unb Lager der Tiger
geworden waren. Besonders schlimm ergeht es denjenigen Völker-
schaften, welche allein vom Ertrage der Wälder leben und beim Ein-
sammeln den grimmigen Tigern gar nicht entgehen können; am übel-
sten sind aber die Hirten dran, die sehr häufig sammt ihren Heerden
vernichtet werden. Die Posten in Indien sind meistentheils durch
Fußgänger bedient, und diese Briefträger würden ohne ihr Geleit
von Lanzenträgern und lärmschlagenden Trommlern, zu denen an
den gefährlichsten Stellen noch einige Fackelträger kommen, nie sicher
sein, und dennoch werden sie oft weggeschleppt. Selbst bei nächt-
lichen Truppenmärschen sind dort die Gefahren ganz eigener Art:
so wurden von einem Korps einst in einer Nacht drei Schild-
wacheil von Tigern gefressen, unb unzählige Nachzügler werden
stets deren Bellte. Huliger spornt sie an, selbst mitten in Reiter-
hausen einzufallen: als einst ein Cavallerietrupp bei Fackelschein
ritt, sprang ein Tiger herzu unb streckte eins der Pferde mit einem
Schlage zu Boden; aus dein Marsche eines Lillieilregiments stürzte
ein solches Thier mtf ein Kamel und brach ihm gleichfalls mit
einem Schlage den Schenkel, lind dem Bedienten eines Reiter-
ossteiers riß ein Tiger unterwegs das halbe Gesicht weg. Wer
deshalb in Jndieil ein solches Ünthier erlegt, erhält eine Beloh-
nung von etwa fünf Thaleril.
Eiil Herr, Namens Johnson, reiste in Gesellschaft eines Freun-
des für einige Tage ans die Jagd; die Diener waren mit vier
Ochsen vorail und wohl bewaffnet. Plötzlich hörten die beiden
Herreil ein furchtbares Gebrüll, dem ein gellendes Angstgeschrei
folgte. Sie spornten ihre Pferde und erreichteil die Dieiler in dem
Augenblick, als ein Tiger über eine nahe Anhöhe rannte, einen
treuen Diener Johnsoiüs in seinem Rachen sortschleppeild. Das
Thie^ war plötzlich hervorgestürzt, hatte ben Diener beim Schenkel
ergriffen und war mit ihm, den Kops aus der Erde hlnschleisend,
230
davon gesprungen, und dies alles war so schnell geschehn, daß kein
Widerstand möglich gewesen. Johnson sprengte mit geladener Flinte
zu Pferde den Spuren des Tigers nach; diese bestanden aus dem
Blute und den Haaren des armen Dieners und führten über eine
englische Meile weit. Plötzlich sah er etwas unter einem großen
Busche liegen, sprengte hin, fand aber nicht den Tiger, sondern die
Überreste des halb aufgezehrten Dieners. Wie unglaublich groß
die Zahl der Tiger noch immer in Ostindien sei, erhellt aus John-
sons Angabe, daß ein einziger Privatmann, ein Richter, allmählich
nicht weniger als dreihundertundsechzig erlegt hatte.
Aus dem Jahr 1792 erzählt ein Reisender folgendes Unglück.
<Wir stiegen auf einer Insel ans Ufer, um Wildpret zu schießen,
wovon wir zahllose Heerden, so wie auch Tiger sahen. Wir setzten
unsre Jagd bis drei Uhr fort, worauf wir uns an der Seite eines
Gebüsches niederließen, um auszuruhen. Hier vernahmen wir ein
Brüllen, das dem Donner glich, und ein ungeheurer Tiger fiel so-
gleich über unsern unglücklichen Freund her, packte ihn und lief
mit ihm in das Gebüsch zurück, und als er ihn durch die dicksten
Gebüsche und zwischen den Bäumen hintrug, so gab alles, was
ihm in den Weg kam, seiner außerordentlichen Stärke nach. Eine
Tigerin gesellte sich zu ihm und folgte ihm nach. Wir alle waren
vor Schrecken ganz außer uns. Ich schoß auf den Tiger. Er
schien beunruhigt zu werden. Meine Gefährten schossen ebenfalls,
und bald darauf kam unser unglücklicher Freund wieder bei uns an
und war ganz im Blute gebadet. Alle ärztliche Hülfe war ver-
geblich: nach vierundzwanzig Stunden gab er'den Geist auf. Wir
machten gerade ein großes Feuer an, als jenes Unglück geschah;
die Anzahl der Eingebornen, die sich bei un8 befanden, bestand in
zehn Personen, und dennoch hatte sich der Tiger nicht abhalten
lassen. Kaum waren wir mit unserm Fahrzeuge von dem Un-
glücksufer abgefahren, so kam auch die Tigerin wieder zum Vor-
schein und war ganz toll vor Wuth. Sie blieb auf dem Strande
stehen, so lange wir sie sehen konnten.'
In einem Circus war mit vielen anderen wilden Thieren auch
ein Tigerpaar zur Schau aufgestellt. Eines Mittags gieng der
Wärter, wie gewöhnlich, zum Essen, in der Meinung, daß seine
vierfüßigen Schauspieler wohlbehalten in ihren Käfichen wären.
Es war aber nicht so. Der Käfich, welcher den Tiger und die
Tigerin enthielt, war in baufälligem Zustande, so daß das wilde
Paar losbrach. Während ihr Wärter schmause, dachten Herr
und Frau Tiger, komme ihnen gleichfalls eine Mahlzeit zu. Dem-
gemäß, und da sie frei waren, warfen sie ihre Augen in dem Ge-
bäude umher, wie ein Schmarotzer in einer Garküche, und ersahen
sich ein hübsches Lama zu ihrem Mittagsschmaufe. Bei Annähe-
rung des Tigerpaares wurde das Lama scheu und grunzte laut
auf. Das half nicht; der eine von der Tigerfamilie sprang ihm
231
an die Gurgel, warf es nieder und zapfte im Augenblick die Hals-
ader an. Die beiden Thiere schlürften nun mit großer Behaglich-
keit und in herzlicher Eintracht das Blut des armen Lamas, das
von diesen beiden katzenartigen Trunkenbolden bald auSgesogen
war. Zu gleicher Zeit hatte der Wärter auch sein Mittagsmahl
beendigt, sein Gläschen getrunken und rauchte seine Eigarre, als
er wieder hereintrat und fand, was hier vorgieng. Anfangs war
er erschrocken, aber fein Muth verließ ihn nicht. Er wagte sich in
den Kreis mit einer Schlinge, die er den beiden Bestien über den
Kopf werfen wollte, während sie den letzten Tropfen Bluts noch
aus dem Lama sogen. Die Tigerin, welche ihre Mahlzeit eher
beendigte, als ihr Gemahl, drehte sich herum, als der Wärter gerade
im Begriff war, sie zu sangen, und machte Anstalt, auf ihn lvs-
zuspringen, wie die Katze, wenn sie eine Maus erblickt. Der Wärter
fühlte das Gefährliche seiner Lage; aber mit großer Geistesgegen-
wart zog er sich hinter seinen Elephanten zurück, der von der an-
dern Seite des Schauplatzes dem Austritt mit Gleichmuth zu-
schaute. Die Tigerin gab ihren Vorsatz nicht aus: sie machte einen
Satz nach dem Wärter, als er vor dem Elephanten vorüber gieng;
aber gerade in diesem Augenblick stieß das kluge Thier, welches,
wie es schien, die Gefahr seines Wärters bemerkte, seinen Rüffel
mit der Schnelligkeit eines Pfeiles aus und schleuderte die Tigerin
nach dem andern Ende der Bühne. Ein wunderlicher Tumult er-
hob sich plötzlich im Saale. Alle Paviane und Meerkatzen ras-
selten die Stangen hinan, und allen jagten die zornfunkelnden Augen
der erbosten Tigerin Schrecken ein, den Elephanten, welcher seinen
Rüssel nach seiner Heldenthat zierlich wieder einzog, und den Löwen
ausgenommen, der in seinem Käsick wie ein Hund aus den Hinter-
pfoten saß lind mit großer Würde und Gemüthsruhe darein schaute.
Der Wärter kam nun hinter dem Elephanten hervor, und indem
er sich seinem Rüssel näherte, murmelte er einige Worte, welche
das gescheite Thier richtig verstand. Der Elephant entfaltete seinen
Rüssel, der Wärter setzte sich barauf und wurde im Augenblick aus
den Rücken seines Retters gehoben. Unter der Zeit hatte sich die
Tigerin von der Schlappe, die sie erhalten, wieder erholt und
machte aufs neue Anstalt, nach dem Wärter 511 springen, der ans
dem Rücken des Elephanten saß. Der Elephant gewarte es und
nahm dagegen seine Maßregeln. Aufs neue machte die Tigerin
einen Satz nach dem Manne, und von neuem legte sich der Ele-
phant mit seinem Rüssel ins Mittel und schleuderte die Tigerin
zum zweitenmal bis ans fernste Ende des Circus. Dieser Schlag
verwundete die Tigerin in der Seite, unb da sie fand, daß ein
Versuch, des Wärters Pulsader anzuzapfen, vergeblich war, so
kroch sie mit dem, was sie davon getragen, in den Käsich. Wäh-
rend dies vor sich gieng, hatte der Tiger angefangen sich umzu-
schauen, um zu sehen, was für Kurzweil er sich nun machen könne.
232
Indem er den Kopf voll dem Lama aufrichtete, war das erste, daS
i-hm in die Augen fiel, der Löwe, der mit Stolz und Gleichmuth
in seinem Käfich saß. Der Tiger zeigte seine Zähne, der Löwe
schüttelte leise seine Mähne. Der Tiger sprang mit großer Wuth
auf den Käfich zu, iildem er eine Klaue durch zwei Stangen durch-
klemmte; in demselben Augenblicke aber machte der Löwe einen
Griff nach des Tigers Vordertatze, packte sie fest mit seinen Zäh-
nen, zog das ganze Bein in den Käfich hinein und hielt ihn,
bis der Wärter die Gelegenheit ersah, sich von dem Rücken des
Elephanten herabschwang, mit seiner Schlinge auf den Tiger zlckief
und ihn in einem Augenblick festband. Nachdem dies geschehen
war, ließ der Löwe seinen Fang großmüthig los, und der Wärter
schleppte deil Tiger nach seinem Käfich. So wurde durch eine selt-
same Verkettung vvil Umständen, in welchen der Verstand und der
Rüssel des Elephanten nicht weniger, als die Zähne und die Ge-
müthsart des Löwen eine wesentliche Nolle spielten, der Wärter
aus den Klauen des Tigers und der Tigerin erlöst.
218.
Der Kampf der Riesenschlange mit dem Tiger.
Von Rückert.
Brahmanische Erzählungen. Leipzig 1839. S- 365. (Gekürzt.)
An einem Morgen sahn wir nach den Palmen wieder,
Da war's, als hieng' ein Ast vom höchsten Gipfel nieder;
Ein Ast, der wunderbar sich auf- und niederzog,
In Schlangenwindungen sich hin- und widerbog.
Als den Verschlingungen wir zugesehen lange,
Erkannten wir, es sei die Königsriesenschlange.
An Dicke wie ein Mann und sechzig Fuß an Länge,
So schätzten wir, daß sie von oben niederhänge.
In Lüften war der Schweif, verhüllt von Palmenlaub,
Der Rachen erdenuah, weit ausgethan zum Raub,
Weit ausgethan zum Raub ohnmächt'ger kleiner Thiere,
Die ihr Verhängnis trieb zu diesem Jagdreviere.
Sie schien, am Zorngebrüll des Tigers war's zu hören,
Zu schmälern seine Jagd und sein Geheg zu stören.
Da trat er, wie zum Kampf gerüstet, selbst hervor,
Und jene ringelte sich in sich selbst empor.
Doch als grad unter ihr er hob den stolzen Nacken,
Schoß sie ihr Haupt herab, von hinten ihn zu packen.
Er krampfte sich zrirück, als sie mit einem Biß
Ein ungeheures Stück vom bunten Fell ihm riß.
Daran hielt sie ihn fest, ließ dann von oben nieder
Stets mehr und mehr von sich und schnürt' ihm alle Glieder.
In ihrem Rachen ward des seinigen Geheul
Erstickt, und athemlos preßt' ihn der Riesenknäul.
Zu schwach doch, daß ihr Druck allein den Feind zermalme,
233
Zog sie zur Hülfe bei den Schaft der Kokospalme.
Sie zog zum Schaft hinan den Tiger, und ein Krach
War hörbar, als sie ihm die ehrnen Rippen brach.
Am Boden lag er nun, sie aber kampfesmatt
Zog sich, um auszuruhn, hinauf ins Palmenblatt..
Einwürgend hatte sie den Tag vollauf zu thun,
Darüber Nacht es ward, und wir sie ließen ruhn.
Am dritten Morgen war herbeigeströmt die Schar
Von Weib und Greis und Kind; vorbei ist die Gefahr.
Da lag die Siegerin, die starre, schlaffe, matte,
Die an dem Siegesmahl sich übernommen hatte.
Sie mochte sich getraun, den Tiger ohne Graun
Zu todten, aber nicht, den Todten zu verdaun.
219.
Die Schlangen.
Bon Schubert.
Lehrbuch der Naturgeschichte 12. Aufl. Erlangen 1810. S. 301.
Die Schlangen, welche sich von den übrigen Amphibien dllrch
ihren fußlosen, mit Schuppen bedeckten Körper unterscheiden, sind
unter allen Amphibien mit Recht für den Menschen die ekelhaftesten,
denn es sind für ihn auch die gefährlichsten. Außerdem, daß es
unter ihnen welche giebt, die große Thiere, z. B. Stiere, wie viel
mehr Menschen verschlingen können, sind auch viele von ihnen so
giftig, daß ihr Biß nach wenig Minuten tödten kann. Dieses
Gift ist in eigenen Drüsenbläschen oben und hinter den hohlen,
gebogenen, wie Katzenkrallen vorschiebbaren und zurückziehbaren Gift-
zähnen enthalten. Die Schlangen, besonders die giftigen, haben
meist einen häßlichen, zum Theil etlvas moschusartigen Geruch.
Manche, besonders die ungiftigen, haben sehr bunte, mannigfaltige
Farben.
Die Klapperschlange, die sich durch häutige, dürre, glieder-
weise in einander gefügte Klappcrstücke am Schwänze unterscheidet,
ist eine der abscheulichsten und furchtbarsten unter allen Schlangen,
und es ist nur gut, daß sie so weit von uns, in Amerika und
Afrika, lebt. Sie wird zuweilen — doch in den bewohnten Gegenden,
wo man sie immer mehr ausrottet, seltner — sechs Fuß lang und
achtzehn Zoll im Umfang gefunden. Ihre tückischen Augen funkeln
wie glühende Kohlen im Finstern, die schwarze gespaltene Znnge
bewegt sich immer hin und her. Sonst ist die Farbe des Thieres
traurig und häßlich grau. Jedes Jahr setzt sich am Schwänze
ein neues Klapperstück an. Alte Colonisten in Amerika erinnern
sich, daß sie sonst welche mit einnndvierzig Klapperstücken gesehen
haben; jetzt findet man sie nur noch mit zwölf in der Nähe der
Colonien. Zum Glück verräth sich die Nähe dieses furchtbaren
Thieres, dessen Biß einen Menschen in wenig Minuten tödten kann,
theils durch den abscheulichen Geruch, den eine solche Schlange
234
von sich giebt, noch mehr aber durch das klappern des Schwanzes
bei jeder Bewegung. Ist es aber nasses Wetter, dann klappert sie
nicht und ist so am gefährlichsten. Zuweilen werden wohl Menschen,
die von Klapperschlangen gebissen waren, durch die Anwendung
der besten Mittel wieder geheiltz aber sie behalten dann für immer
an den gebissenen Theilen Schmerzen, die von Zeit zu Zeit heftig
wieder kommen, auch bleibt eine Schwäche zurück. Die Klapper-
schlangen vermehren sich sehr stark, und die Kolonisten, die zwar
manche, besonders wenn sie im Winter scharenweise in ihren Löchern
erstarrt liegen, umbringen, würden nicht im Stande sein, sich ihrer
großen Anzahl zu erwehren, wenn nicht ivahrscheinlich diese Thiere,
wie alle bösen Thiere, unter einander selbst oft uneins wären, sich
bissen und dadurch gegenseitig vergifteten und tödteten, und wenn
nicht die Sumpfvögel und andere Thiere, sagar das zahme Schwein,
viele vertilgen hülfen. Denn in einem Weibchen hat man oft
über siebzig lebendige Junge angetroffen. Nach älteren und neueren
Nachrichten soll diese Schlange wirklich eine gleichsam bezaubernde
oder betäubende Eigenschaft ^egen kleine Thiere, von denen sie
lebt, ausüben, wodurch diese immer näher zu ihr hingezogen und
so leicht von ihr verschlungen werden.
Die Riesenschlange ist schon viel buntfarbiger, auch nicht
giftig, wie die Klapperschlange; aber ich möchte doch keine in meinem
Haufe haben imb noch weniger eine anbeten, wie manche abgöttische
Völker thun, die gerade nur das sklavisch ehren, was sie fürchten
müssen, nicht, wie wir, den Gott, der uns liebt, und den wir
wieder lieben. Denn sie wird in den heißen Ländern, in denen ihre
Heimat ist, manchmal gegen dreißig Fuß lang und so dick, daß schon
Reisende, die durch Grasgegenden kamen, wo eine solche Schlange
in der kühlen Zeit der Regenmonate erstarrt da lag, sie für einen
Baumstamm hielten, aber freilich erschrocken genug davon flohen,
wenn sie bemerkten, daß sich der vermeintliche Baumstamm zu be-
wegen anfieng. Denn diefe gefräßige Schlange frißt nicht bloß
Menschen, sondern auch große Thiere und würgt sie in ihren
weiten Rachen hinunter. Wenn sich aber eine solche Schlange
recht satt gefressen hat, dann liegt sie einige Zeit ganz still und
kann sich, wie gelähmt, gar nicht bewegen. Dann suchen sie die
Neger oder Indianer auf und schlagen sie todt, ziehen ihr das
bunte Fell ab und genießen das Fleisch, das so fett sein und so
schmecken soll, wie Schweinefleisch. Übrigens lassen sich auch zu
andern Zetten die Neger und Indianer mit der Riesenschlange in
siegreiche Kämpfe ein.
Die Natter hat am Rücken kleine, am Bauche größere und
breite Schuppen, die bis zum After ungetheilt, hinter dem After
aber immer in zwei getheilt sind. Von dieser Thiergattung leben
besonders in den schönen Palmenländern, wo es so tausendfältige
bunte Blumen, herrliche Früchte und kostbare Edelsteine giebt,
235
so viele furchtbar giftige Arleu, deren Biß iu wenig Mmuten
tobtet, daß einem schon dies allein jene schonen Länder gar sehr
verbittern kann. Denn wenn man oft seine Hand nach einer
prächtigen Blume oder Frllcht ausstreckt, oder sich auf einen smaragd-
grünen Nasen niedersetzen will, da schießt eine giftige 'schlänge
heraus und nimmt alle Freuden sammt dem Lebeil selber weg.
Ja, nicht einmal in seinem eigenen Hause ist man davor sicher,
und jene Schlangen verbergen sich selbst in den Schlafkammern,
fahren plötzlich, wenn man eine Thür öffnet, auf einen herein,
verstecken sich selbst unter den Bettstellen. Darum will ich denn
doch lieber in meinem Lande bleiben, wo es zwar keine Palmeu-
und Bananenfrüchte, aber doch auch nicht so viele giftige Schlan-
gen, Scorpioieen und Tiger giebt, unb es ist doch gut, daß jedes
Land seine Freliden, aber and) jedes in demselben Verhältnis seine
Plage hat, und daß, wo viel Luft, auch viel Last ist. Freilich ist
auch die Furcht vor giftigen Schlangen zu überwinden, und in de;»
Ländern, wo es die vielen giftigen Arten giebt, gewöhnen sich die
Menschen am Ende so sehr daran, daß ein Missionär, der aus
den Nicobarinseln wohnte, mit seinen dicken Lederstiefeln, einem
Stocke mit einem Stachel und einem großen Filzhut bewaffnet,
ordentlich auf den Fang der giftigen Schlangen, die er für Na-
turalieuliebhaber in Europa sammelte, wie auf eine Luftjagd aus-
gieng. Er reizte die Schlange mit dem Stocke zum Zorn z wenn
diese dann aus deu Stock lossprang, hielt er seinen großen Filz-
hut wee einen Schild hin, die Schlange biß wüthend hinein, und
nun riß er ihr die krummen Giftzähne, die ganz locker in den
Kinnladen stehen und sich in den Filz verwickelt batten, heraus
uud brachte das Thier um.
220.
Räthsel.
Von Schiller.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1838. I, 351.
Rmter allen Schlangen ist eine
Auf Erden nicht gezeugt,
Mit der an Schnelle keine,
An Wuth sich keine vergleicht.
Sie stürzt mit furchtbarer Stimme
Auf ihren Raub sich los.
Vertilgt in einem Grimme
Den Reiter und sein Roß.
Sie liebt die höchsten Spitzen,
Nicht Schloß, nicht Riegel kann
Vor ihrem Anfall schützen;
Der Harnisch — lockt sie an.
Sie bricht wie dünne Halmen
Den stärksten Baum entzwei;
Sie kann das Erz zermalmen,
Wie dicht und fest es sei.
Und dieses Ungeheuer
Hat zweimal nur gedroht:
Es stirbt im eignen Feuer;
Wie's tobtet, ist es todt!
236
221.
Die weisze schlänge.
von den brüdern Grimm.
märeben grosse ansg. Göttingen 1857. I, 93. — 1812. — 1819. — 1837. — 1840._
1843. — 1850. I, 105.
Ls ist nun schon lange her, da lebte ein König, dessen Weis-
heit im ganzen lande berühmt war. nichts blieb ihm unbekannt,
und es war, als ob ihm nachricht von den verborgensten dingen
durch die luft zugetragen würde. er hatte aber eine seltsame
sitte. jeden mittag, wenn von der tafel alles abgetragen und nie-
mand mehr zugegen war, muszte ein vertrauter diener noch eine
schüssel bringen, sie war aber zugedeckt, und der diener wuszte
selbst nicht, was darin lag, und kein mensch wuszte es, denn der
König deckte sie nicht eher auf und asz nicht davon, bis er ganz
allein war. das hatte schon lange zeit gedauert, da überkam eines
tages den diener, der die schüssel wieder wegtrug, die neugierde,
dasz er nicht widerstehen konnte, sondern die schüssel in seine
Kammer brachte. als er die thür sorgfältig verschlossen hatte,
hob er den deckel auf, und da sah er, dasz eine weisze schlänge
darin lag. bei ihrem anbliek konnte er die lust nicht zurück-
halten, sie zu kosten; er schnitt ein Stückchen davon ab und steckte
es in den mund. kaum aber hatte es seine zunge berührt, so
hörte er vor seinem fenster ein seltsames gewisper von feinen
stimmen, er gieng und horchte, da merkte er, dasz es die Sper-
linge waren, die mit einander sprachen und sich allerlei erzählten,
was sie im felde und walde gesehen hatten. der genusz der
schlänge hatte ihm die fähigkeit verliehen, die spräche der thiere
zu verstehen.
Nun trug es sich zu, dasz gerade an diesem tage der Königin
ihr schönster ring fort kam, und auf den vertrauten diener, der
überall zugang hatte, der verdacht fiel, er habe ihn gestohlen,
der König liesz ihn vor sich kommen und drohte ihm unter hefti-
gen scheltworten, wenn er bis morgen den thäter nicht zu nennen
wüszte, so sollte er dafür angesehen und gerichtet werden, es
half nichts, dasz er seine Unschuld betheuerte, er ward mit keinem
bessern bescheid entlassen, in seiner unruhe und angst gieng er
hinab in den hof und bedachte, wie er sich aus seiner noth helfen
könne, da saszen die enten an einem flieszenden wasser friedlich
neben einander und ruhten, sie putzten sich mit ihren schnäbeln
glatt und hielten ein vertrauliches gespräch. der diener blieb
stehen und hörte ihnen zu. sie erzählten sich, wo sie heute mor-
gen alle herumgewackelt wären, und was für gutes futter sie ge-
funden hätten; da sagte eine verdrieszlich: ‘mir liegt etwas schwer
im magen, ich habe einen ring, der unter der Königin fenster lag,
in der hast mit hinunter geschluckt.’ da packte sie der diener
gleich beim kragen, trug sie in die Küche und sprach zum koch:
237
‘schlachte doch diese ab, sie ist wohlgenährt.’ ‘ja,’ sagte der koch
und wog sie in der band, ‘die hat keine mühe gescheut sich zu
mästen und schon lange darauf gewartet, gebraten zu werden.’
er schnitt ihr den hals ab, und als sie ausgenommen wurde, fand
sich der ring der königin in ihrem magen. der diener konnte
nun leicht vor dem könige seine Unschuld beweisen, und da dieser
sein unrecht wieder gut machen wollte, erlaubte er ihm, sich eine
gnade' auszubitten, und versprach ihm die gröszte ehrenstelle, die
er sich an seinem hose wünschte.
Der diener schlug alles aus und bat nur um ein pferd und
reisegeld, denn er hatte lust, die weit zu sehen und eine weile
darin herumzuziehen, als seine bitte erfüllt war, machte er sich
auf den weg und kam eines tags an einem teich vorbei, wo er
drei fische bemerkte, die sich im rohr gefangen hatten und nach
wasser schnappten, obgleich man sagt, die fische wären stumm,
so vernahm er doch ihre klage, dasz sie so elend umkommen
müszten. weil er ein mitleidiges herz hatte, so stieg er vom pferde
ab und setzte die drei gefangenen wieder ins wasser. sie zappelten
vor freude, streckten die köpfe heraus und riefen ihm zu: ‘wir
wollen dir’s gedenken und dir’s vergelten, dasz du uns errettet
hast.’ er ritt weiter, und nach einem weilchen kam es ihm vor,
als hörte er zu seinen füszen in . dem sand eine stimme. er
horchte und vernahm, wie ein ameisenkönig klagte: ‘wenn uns
nur die menschen mit den ungeschickten thieren vom leibe blie-
ben! da tritt mir das dumme pferd mit seinen schweren hufen
meine leute ohne barmherzigkeit nieder!’ er lenkte auf einen
seitenweg ein, und der ameisenkönig rief ihm zu: ‘wir wollen
dir’s gedenken und dir’s vergelten.’ der weg führte ihn in einen
wald, und da sah er einen rabenvater und eine rahenmutter, die
standen bei ihrem nest und warfen ihre jungen heraus, ‘fort mit
euch, ihr galgenschwengel!’ riefen sie, ‘wir können euch nicht
mehr satt machen, ihr seid grosz genug und könnt euch selbst
ernähren.’ die armen jungen lagen auf der erde, flatterten und
schlugen mit ihren fittichen und schrien: ‘wir hülflosen kinder,
wir sollen uns selbst ernähren und können noch nicht fliegen!
was bleibt uns übrig, als hier hungers zu sterben !’ da stieg der
gute jüngling ab, tödtete das pferd mit seinem degen und über-
liesz es den jungen raben zum futter. die kamen herbeigehüpft,
sättigten sich und riefen: ‘wir wollen dir’s gedenken und dir’s
vergelten.’
Er muszte jetzt seine eigenen beine gebrauchen; und als er
lange wege gegangen war, kam er in eine grosze stadt. da war
groszer lärm und gedränge in den straszen, und kam einer zu
pferde und machte bekannt, die königstochter suche einen gcmahl,
wer sich aber um sie bewerben wolle, der müsse eine schwere
aufgäbe vollbringen, und könne er es nicht glücklich ausführen,
238
so habe er sein leben verwirkt, viele hatten es schon versucht,
aber vergeblich ihr leben daran gesetzt, der jüngling, als er die
königstochter sah, ward von ihrer groszen Schönheit so verblendet,
dasz er alle gefahr vergasz, vor den könig trat und sich als freier
meldete.
Alsbald ward er hinaus ans meer geführt und vor seinen
äugen ein goldener ring hinein geworfen, dann hiesz ihn der
könig diesen ring aus dem meeresgrund wieder hervor zu holen
und fügte hinzu: ‘wenn du ohne ihn wieder in die höhe kommst,
so wirst du aufs neue hinab gestürzt, bis du in den wellen um-
kommst.’ alle bedauerten den schönen jüngling und lieszen ihn dann
einsam am meere zurück, er stand am ufer und überlegte, was
er wohl thun sollte; da sah er auf einmal drei fische daher
schwimmen, und es waren keine andere, als jene, welchen er das
leben gerettet hatte, der mittelste hielt eine muschel im munde,
die er an den strand zu den füszen des jünglings hinlegte, und als
dieser sie aufhob und öffnete, so lag der goldring darin, voll
freu de brachte er ihn dem könige und erwartete, dasz er ihm den
verheiszenen lohn gewähren würde, die stolze königstochter aber,
als sie vernahm, dasz er ihr nicht ebenbürtig war, verschmähte
ihn und verlangte, er sollte zuvor eine zweite aufgäbe lösen. sie
gieng hinab in den garten und streute selbst zehn säcke voll hirsen
ins gras. ‘die musz er morgen, eh die sonne hervorkommt, auf-
gelesen haben,’ sprach sie, ‘und darf kein körnchen fehlen.’ der
jüngling setzte sich in den garten und dachte nach, wie es mög-
lich wäre, die aufgäbe zu lösen; aber er konnte nichts ersinnen,
sasz da ganz traurig und erwartete, bei anbrach des morgens zum
tode geführt zu werden, als. aber die ersten Sonnenstrahlen in den
garten fielen, so sah er die zehn säcke alle wohl gefüllt neben
einander stehen, und kein körnchen fehlte darin, der ameisen-
könig war mit seinen tausend und tausend anreisen in der nacht
angekommen, und die dankbaren tliiere hatten den hirsen mit
groszer emsigkeit gelesen und in die säcke gesammelt, die kö-
nigstochter kam selbst in den garten herab und sah mit Ver-
wunderung, dasz der jüngling vollbracht hatte, was ihm aufgegeben
war. aber sie konnte ihr stolzes herz noch nicht bezwingen und
sprach: ‘hat er auch die beiden aufgaben gelöst, so soll er doch
nicht eher mein gemahl werden, bis er mir einen apfel vom bäume
des lebens gebracht hat.’ der jüngling wuszte nicht, wo der bäum
des lebens stand; er machte sich auf und wollte immerzu gehen,
so lange ihn seine beine trügen; aber er hatte keine hoffnung,
ihn zu finden, als er schon durch drei königreiche gewandert
war und abends in einen wald kam, setzte er sich unter einen
bäum und wollte schlafen; da hörte er in den ästen ein geräusch,
und ein goldner apfel fiel in seine band. zugleich flogen drei
raben zu ihm herab, setzten sich auf seine knie und sagten: ‘wir
239
sind die drei jungen raben, die du vom Hungertod errettet hast; als
wir grosz geworden waren und hörten, dasz du den goldenen apfel
suchtest, so sind wir über das meer geflogen bis ans ende der
weit, wo der bäum des lebens steht, und haben dir den apfel ge-
holt.’ voll freude machte sich der jüngling auf den heimweg und
brachte der schönen Königstochter den goldenen apfel, der nun
keine ausrede mehr übrig blieb, sie theilten den apfel des lebens
und aszen ihn zusammen: da ward ihr herz mit liebe zu ihm er-
füllt, und sie erreichten in ungestörtem glück ein hohes alter.
222.
Unter den Palmen.
Von FrciligratH.
Erdichte 8. Ausl. Stuttgart und Tübingen 1845- S. 256.
iHflüfjnen flattern durch die Büsche; tief im Walde tobt der Kampf.
Hörst d» aus dem Palmendickicht das Gebrüll und das Gestampf?
Steige mit mir auf den Teekbaum! Leise! daß des Köchers Klingen
Sie nicht aufschreckt! Sieh den Tiger mit dem Leoparden ringen!
Um den Leichnam eines Weißen, den der Tiger überfiel,
Als er schlief auf dieses Abhangs scharlachfarb'gem Blumenpfühl,
Um den Fremden, seit drei Monden unsrer Zelte stillen Bürger,
Der nach Pflanzen gieng und Kasern, streiten die gescheckten Würger.
Weh, kein Pfeil mehr kann ihn retten! schon geschlossen ist sein Aug'!
Roth sein Schlaf, gleichwie die Blume auf dem Fackeldistelstrauch!
Die Vertiefung auf dem Hügel, drin er liegt, gleicht einer Schale,
Voll von Blut, und seine Wange trägt des Tigers Klauenmale.
Wehe, wie wird deine Mutter um dich klagen, weißer Mann! —
Geifernd fliegt der Leoparde den gereizten Tiger an;
Aber dessen linke Tatze ruht auf des Erwürgten Leibe,
Und die rechte hebt er drohend, daß den Gegner er vertreibe.
Siehe, welch ein Sprung! — Der Springer hat des Todten Arm gefaßt;
Zerrend flieht er, doch der andre läßt nicht von der blut'gen Last.
Ringend, ungestüm sich packend, stehn sie auf den Hinterpranken,
Aufrecht zwischen sich den starren, mit emporgerafften Blanken.
Da — o sieh, was über ihnen sich herabläßt aus dem Baum,
Grünlich schillernd, offnen Rachens, an den Zähnen gist'gen Schaum! —
Riesenschlange, keinen einz'gen lässest du den Raub zerreißen!
Du umstrickst sie, du zermalmst sie — Tiger, Leoparden, Weißen!
223.
Cm Wettrennen mit Wötfen.
Aus dkm Ausland 1852.
Während des Winters 1844, erzählt ein Reisender, hielt ich
mich in dem nördlichen Theile von Maine auf und hatte Muße
240
genug, um einen großen Theil meinet Zeit den wilden Vergnü-
gungen dieses noch so wenig angebauten Landstriches widmen zu
können. Keine derselben zog mich mehr an, als das Schlittschuh-
laufen. Die einsamen tiefen Seen dieses nördlichen Staates, die
bei der strengen Kälte des dortigen Winters viele Monate lang
vollständig zugefroren sind, bieten dem Liebhaber jener Unterhal-
tung- ein weites Feld dar. Oft band ich meine rostigen Schlitt-
schuhe unter und flog dahin, den blinkenden Strom hinauf, daß
meine Pulse höher klopften im Vollgennß dieses männlichen Ver-
gnügens. Auf einer dieser Epeursiouen begegnete mir ein Abenteuer,
an das ich noch jetzt mit Granen zurückdenke.
Ich hatte das Halis meines Frelindes gerade vor Einbruch
der Dämmerung verlassen, um eine kurze Strecke den herrlichen
Kennebeck hinaufzulaufen, der dicht an der Thür vorbeifließt. Der
Abend war schön und klar. Der Vollmond schaute herab von
seinem luftigen Sitze und warf seine Strahlen auf die frostigen
Tanilen, welche das Ufer einfaßten, ein wahres Feenbild. Die
ganze Natur lag da in jener Stille, die sie bisweilen anzunehmen
liebt; Wasser, Erde und Luft schienen in die tiefste Ruhe versenkt.
Ich war etwa zwei Meilen deil Fluß hinaufgelaufen, als ich
an eine Stelle kam, wo ein kleiner Bach einmündete; in diesen
bog ich ein, um seinen Lauf zu erforschen. Hundertjährige Föhren
und Schierlingstannen wölbten sich über ihm zusammen und bil-
deten einen immergrünen Böge», der im winterlichen Kleide glitzerte
mld funkelte; alles war dunkel unter diesem Bogen, aber ich war
jung uild ftlrchtlvs, und als ich in dieses künstliche Gebilde des
ewigen Urwaldes hineinblickte, hüpfte mein Herz vor Lust. Mein
wildes Hurrah schallte durch den Wald, und ich lauschte dem Echo,
das wieder und wieder hallte, bis alles in tiefes Schweigen ver-
sank. Nur hin und wieder streifte ein einsamer Nachtvogel mit
seiner Schwinge an eine schlanke Eiche.
Die mächtigen Fürsten des Waldes standen da, wie wenn
nichts sie beugen könne, als die Zeit. Ich dachte daran, wie oft
wohl der indianische Jäger sich hinter diesen Bäumen verborgen,
wie oft sein Pfeil an diesem Bache den Hirsch dlirchbohrt haben,
unb wie oft sein wildes Siegeshalloh hier erschallt sein möge. Ich
beobachtete die Eulen, wie sie vorüber flatterten, und hielt meinen
Athem an, um ihrem fernen Gekreisch ju lauschen.
Plötzlich erschallte ein Ton, der aus dem Eise zu meinen Füßen
zll kommen schien. Erst lallt unb furchtbar, endigte er in ein
einziges langes Geheul; ich erblaßte: nie zlivor „hatte mein Ohr
einen solchen Ton gehört; ich hielt ihn für etwas Überirdisches, für
ein Getöse, hervorgebracht von einem Bewohner der Hölle, — so
unnennbar wild erklang er mir in dieser tiefen Einsamkeit. Jetzt
hörte ich die Zweige am Ufer knistern wie von dem Tritte eines
Thieres; das Blut schoß mir in den Kopf zurück mit so heftigem
241
Andrang, daß mir die Haut brannte, und ich fühlte wenigstens
die Erleichterung, daß ich es mit Dingen van irdischem Ursprung
zu thun habe, nicht von geisterhaftem, wie ich mir erst eingebildet.
Meine Energie kehrte zurück, und ich blickte um mich nach Ver-
theidigungSmittelw Der Mond schien durch die Öffnung, durch
welche ich in das Walddunkel eingetreten war, und da mir dies als
das beste Rettungsmittel erschien, schoß ich wie ein Pfeil darauf
los; die Entfernung betrug kaum dreihundert Fuß, und schwerlich
möchte die Schwalbe die Schnelligkeit meiner verzweifelten Flucht
übertreffen; als ich aber meine Augen nach dem Ufer wandte,
konnte ich zwei dunkle Gegenstände bemerken, die mit einer Ge-
schwindigkeit durch das Unterholz dahinhuschten, welche die meinige
fast um das Doppelte übertraf. All dieser Geschwindigkeit und
dem kurzen Gebell, das sie gelegentlich allsstießeil, erkailllte ich
plötzlich, daß es zwei der vielgesürchteteu grauen Wölfe seien.
Nie zllvor war ich mit eülem dieser Thiere zusammenge-
rathen; nach der Beschreibung aber, die man mir von densel-
ben gegeben, verspürte ich wenig Lust, ihre Bekailntschaft zu
machen. Ihre unzähmbare Wildheit unb die unermüdliche Kraft,
die ein Theil ihrer Natur zu sein scheint, machen sie jedem Rei-
senden furchtbar, der von der Nacht überfallen wird. Wtit
ihrem langen Galopp, der des Hllndes tiefen Haß und des Jä-
gers Feuer ermüden kann,' verfolgen sie ihre Belite, unb nichts
als der Tod kann sie davon trennen. Die Büsche, welche das
Ufer eiilfaßtell, stogen mit der Schllelligkeit des Blitzes an mir
vorüber, als ich auf meiner Flllcht dahinschoß. Fast hatte ich den
Ausgang auS dem Balniigewölbe erreicht, lloch eine Sekunde, und
ich würde verhältnismäßig in Sicherheit gewesen sein, als meine
Verfolger am Ufer unmittelbar über mir erschienen, wo es sich
etwa zll einer Höhe von zehn Fuß erhob. Es war feine Zeit zum
Überlegen; ich bog meinen Kopf nieder unb jagte vorwärts. Die
Wölfe sprangen; aber sie hatten sich in meiner Geschwiildigkeit ver-
rechnet unb sprangen hinter mich, während ihre gehoffte Beute hin-
aus auf die Fläche des Stromes glitt.
Der Instinkt leitete mich auf den Weg nach Hause. Die
leichten Schneeflocken wirbelten ans von den Eiseil meiner Schlitt-
schuhe, lind ich war jetzt meinen Verfolgern etwas voraus, als ihr
wildes Geheul mir sagte, daß sie bereits wieder hinter mir her seien.
Ich sah mich nicht um, ich fühlte weder Besorgnis noch Freude;
ein Gedanke nur an die Heimat, an die freudigeil Gesichter, die
meiner Rückkehr warteten, an ihre Thränen, wenn sie mich nie
wieder sehen sollten, durchzuckte mich momentan, und dann wandte
sich die ganze Energie meines Geistes und Körpers allein und aus-
schließlich meinem Entkommen zu. Ich war vollständig zu Hause
aus dem Eise. Manchen Tag hatte ich auf den Schlittschuhen zu-
gebracht, nie aber daran gedacht, daß sie einst das eülzige Mittel
Colöhor» u. Gbdeke's Lesebuch I. Itz
242
zu meiner Errettung sein würden. In jeder halben Minute sagte
mir das Gebell meiner Verfolger, daß sie mir dicht auf den Fersen
seien. Sie kamen näher und näher; ich hörte die Tritte ihrer
Füße ans dem Eise und glaubte auch schon ihren tiefen Athem
boren zu können. Jeder Nerv und jeder'Muskel meines ganzen
Baues war aufs alleräußerste angespannt.
Die Bäume längs dem User schienen zu tanzen in dem un-
gewissen Lichte, und es begann bereits in meinem Gehirn zu wirbeln;
die Hetzjagd wurde unerträglich, die Töne meiner Verfolger waren
grauenerregend; da plötzlich brachte mich eine unwillkürliche Bewe-
gung aus meiner Richtung. Die Wölfe dicht hinter mir, außer
Stande anzuhalten oder zu wenden, glitten aus, sielen und rutsch-
ten noch eine gute Strecke weiter. Ihre Zungen hiengen lang hin-
aus aus dem blutigen Nachen, ihr weißes Gebiß funkelte, ihre
dunkle, scheckige Brust war mit Schaum bedeckt, und als sie an
mir vorüber glitten, sprühten ihre Allgen, unb sie stießen ein Ge-
heul der Wuth uild des Ingrimms aus. Plötzlich tauchte der
Gedanke in mir auf, dieses zufällige Ereignis systematisch zll be-
nutzen, um ihneil zil entgegen, das heißt, "thuen fortwährend aus-
zubiegen, so oft sie mir zll nahe kommen würden, indem die Bil-
dung ihrer Füße sie verhinderte, aus dem Eise anders als in gerader
Liilie zu laufen.
Sofort handelte ich ilach diesem Plan. Die Wölfe, sobald
sie ihrer Füße wieder Herr waren, wandten sich von neuem gegen
mich. Die Jagd wurde wieder auf eine Strecke von etwa sechzig
Fuß den Strom hiilallf erneliert. Bereits innren sie mir wieder
dicht im Rücken, als ich einen Bogen beschrieb und meine Verfol-
ger vorbei passieren ließ. Ein wildes Geheill begrüßte meine Schwen-
kung, und die Wölfe glitten abermals auf ihren Hinterfüßen da-
hin, ein vollständiges Bild der Hülflosigkeit uub der ohnmächtigen
Wuth. So gewann ich nahe an dreihllndert Fuß bei jeder Wen-
dung. Zwei- oder dreimal wiederholte ich das Manöver, uub mit
jedem Augenblick wurden die Wölfe wüthender, aber auch matter.
Ich war gerettet. Ich befand mich jetzt dem Hause gegenüber,
und eine Koppel Hirschhunde, allfmerksam gemacht durch das Ge-
räusch, stürzte wüthend aus ihrer Hütte hervor. Die Wölfe„hiel-
ten an in ihrem tollen Lauf und wandten sich nach kurzer Über-
legung zur Flucht. Ich beobachtete sie, bis ihre bitnfein Gestalten
über einem benachbarten Hügel verschwanden. Dann nahm ich
meine Schlittschuhe ab und gierig dem Hause zll, mit Gefühlen,
die man sich besser vorstellen, als beschreiben kann.
Also lautet der völlig glaubwürdige Bericht eines Reisenden,
der einen großen Theil seines Lebens in den Urwäldern Amerikas
zugebracht hat.
243
224.
Der weiße Hirsch.
Von Uhland.
Gedachte. Stuttgart u. Tübingen 1853. S. 301.
Es giengen drei Jäger wohl auf die Birsch,
Sie wollten erjagen den weißen Hirsch.
Sie legten sich unter den Tannenbaum,
Da hatten die drei einen seltsamen Traum.
Der erste.
Mir hat geträumt, ich klopf' auf den Busch,
Da rauschte der Hirsch heraus, husch husch!
Der zweite.
Und als er sprang mit der Hunde Gekläff,
Da brannt' ich ihn auf das Fell, piff paff!
Der dritte.
Und als ich den Hirsch auf der Erde sah,
Da stieß ich lustig ins Horn, trara!
So lagen sie da und sprachen, die drei,
Da rannte der weiße Hirsch vorbei.
Und eh die drei Jäger ihn recht gesehn,
So war er davon über Tiefen und Höhn.
Husch husch! piff paff! trara!
225.
Der Tag eines Jägers.
Von Falkmann.
$ Stilistisches Elementarbuch 3- Aust. Hannover 1831. S. 105.
Raum beginnt der Octobertag zu dämmern, so wird cs in
der Försterei lebendig; die Läden gehn auf, dem Schornstein
entquillt eine dicke Rauchsäule, und aus der rasselnd geöffneten
Hausthür springen bellend ein paar Hühnerhunde bervor. Bald
ist das Frühstück drinnen verzehrt, und der Förster tritt mit seinen
Burschen, im kurzen Jagdklcide, die blanken Gewehre nebst der
Weidtasche um die Schultern, aus der Wohnung. Sie schreiten
rüstig durch den dicken Morgennebel, der sich in Tropfen an ihre
Haare und Kleider hängt. Erst geht es zu den Dohnen in dem
Unterholze, das jene nach Osten offene Höhe bedeckt. Man findet
reichliche Beute in ihnen, und ein Knecht trägt einen Korb voll
Krammtsvögel nach Hanse. Jetzt beginnt in der angrenzenden
Feldmark ein Treiben. Jener mit Haselstanden und Schlehdorn
bewachsene Hügel wird umstellt. Laut ertönt durch die herbstlich
16 *
244
rauhe Luft das Geschrei und das Klappern der aufgebotenen
treibenden Landleute, vermischt mit dem Klaffen der Hunde und
ihrer Führer kunstverständigem Zurufe. Aufgeschreckt auS ihrem
Lager, stürzen verschiedene Hasen hervor, Schüsse fallen, Hunde
springen hinzu, und das erlegte Wild belastet bald, ausgelveidet,
die Taschen der Jäger. Nachdem nun noch zwei andere Dickichte
abgesucht worden sind, sammelt sich alles neben einer alten Eiche,
um unter dem heiter gewordenen Himmel ein Mahl von Butter-
brot nebst Wurst und Schinken, gewürzt mit einem Schluck ge-
brannten Wassers, zu verzehren. Man unterhält sich dabei von
den Vorfällen des Morgens, lobt den einen Schuß, tadelt den
andern, und auch Tiras und Waldmann, die schnellsten und ge-
schicktesten unter den Hunden, erhalten ihren gebührenden Ruhm.
Dann steht der geschäftige Förster auf, sendet einen Theil seiner
Begleiter mit den geschossenen Hasen nach Hanse und verfügt sich
mit dem andern wieder in den Wald, um kürzlich errichtete
Klaftern zu besehen und neue Bäume mit dem Waldhammer zu
diesem Zwecke anzuschlagen. Einige Köhler erscheinen und zahlen
für das empfangene Holz; Arme aus der Gegend erhalten auf
ihre Bitte Erlaubnis, Reisig aufzusuchen oder dürres Laub nach
Haus zu tragen. So vergeht der Nachmittag, und bald ist es
Zeit, den Rückweg anzutreten. Nachdem der Jäger erst einen
Trunk aus dem Hubertusquell, unter jenem mit Nothtannen be-
wachsenen Felsen, gethan und in der Nähe desselben der Fährte
eines Ebers nachgespürt hat, erschallt das Horn und ruft zum
Abzüge. Unterwegs rauscht plötzlich aus einem Kartoffelfelde ein
Volk Rebhühner empor, — es knallt, und sechs Stück vermehren
die Beute des Weidmanns. Fruchtlos bleibt indes sein Lauern
auf Schnepfen dort in den Erlenbüschen aus dem Moore. Ist
der Nebel am Abend nicht stark genug wiedergekehrt, oder hat
sonst eine Störung statt gefunden; nran bekommt keinen dieser
Vögel zum Schusse. Doch zufrieden mit dem Ertrage des Tages,
führt der Förster seine Leute völlig heim. Als sie wieder an der
Thür des einsamen Waldhauses stehen, verhüllt schon dichtes
Dunkel die Erde; aber gastlich leuchten die hellen. Fensterchen.
Bald sitzt, nach eingenommener Abendmahlzeit, der Förster am
wärmenden Ofen und hört behaglich dem Winde zu, der in den
Wipfeln der Ulmen saust, und dem Geschrei der in ihnen horsten-
den Eulen.
226.
Das N e h.
Non Schulze.
Sämmtliche poetische Schriften. Leipzig 1819. III, 162.
Durch die Thäler und überdie Höhn Von der Wiese, von Busch und Baum
Flieh'ichsoleichtwiedesWindesWehn; Streif' ich diethauigenTropfenkaum.
245
Duftige Blätter und schwellendes
Grün
Pflück' ich mir ab im Vorüberfliehn,
HolevomBach mirdenkühligenTrank,
Bade die Glieder, so glattund schlank.
Quelle, wie rieselst du rasch im Hain!
Hole das flüchtige Reh doch ein!
Quelle, wie blitzest du licht und klar!
Lichter noch blitzet mein Augenpaar!
Frühlingssäuseln und Mvrgenstrahl
Spielen so lustig in Wald und Tbal;
Wie sie spielen, so spiel' ich auch
Mit den Gesellen durch Busch und
Strauch.
Lieber Jäger, o laß uns gehn,
Mochten gern mehr von der Welt
noch sehn.
Lebten noch gar zu kurze Zeit,
Thaten ja keinem noch was zu Leid!
Hast du ein Bübchen, so bring's
herbei.
Wo wir spielen so frisch und frei.
Daß dich das blühende Bübchen küßt,
Freuet sich, daß du ein Jäger bist!
227.
Das lieh.
Bon Wunderlich.
Charakt. u. Betracht, a. d. Thicrwelt. Langensalza 1853. S. 12.
Es ist in der That nichts lieblicher, als an einem schönen
Frühlings- oder Sommermorgen hinaus in das grüne Waldrevier
zu wandern, mit offnen Augen, gesunden Sinnen und frommem
Herzen die Sprache des Waldes zu verstehen und das Treiben
und Thun seiner Bewohner zu belauschen. So habe ich oft da
gesessen, wo der Gießbach aus tiefer un5 schroffer Seitenschlucht
herabschäumt und stch in den Waldbach ergießt, habe von hier
aus den Habicht, der auf dürrem Aste saß, und den Falken auf
hoher Felsenspitze beobachtet, das Morgenlied der kleineren, gefie-
derten Waldsäuger verstanden, vor allem aber die muntern Rehe
und stolzen Hirsche in ihrem Thun unb Spiel belauscht. — Stille,
heilige Wald stille herrscht um mich. — Doch horch! jetzt knackt eS
in den Zweigen. Ein Nehbock, erst mit halbem Leibe sichtbar,
tritt aus dem Waldesduukel. Das Haupt mit seinem kräftigen,
doch nicht vielzackigen Geweih ist keck emporgerichtet; die großen,
hellen, blauen Augen rollen nach allen Seiten, beobachten alles,
lauschen aufmerksam und horchen, ob auch alles sicher und ohne
Gefahr sei. Er zieht sich wieder zurück, kommt noch einmal, prüft
noch einmal, und nun erst giebt er den Seinen das Sicherheits-
figual. Im Nu ist die Ricke mit ihren beiden Kälbchen ihm
zur Seite, und in muntern Sprüllgen geht es hiilab ins Thal,
hinab aus die bethautc Waldwiese. In den drolligsten, muth-
willigsten Sätzen umkreisen die netten, weißgefleckten Zicklein die
Mutter, entfernen sich dann von ihr mit Blitzesschnelle, und im
Nu sind sie wieder da, tändeln mit ihr, werfen sich nieder, zu
saugen. In allen ihren Bewegungen zeigt sich eine Leichtigkeit,
in ihrem Laufe eine Flüchtigkeit, die Staunen erregt. Bald
kommen noch mehrere der muntern Thiere hinzu; schon ist ein
240
ganzes Rudel beisammen. Da aber schlagen die Hunde des in der
Nähe weidenden Hirten an; im Nu ist der Hause auseinander.
In wilden Sprüngen setzen sie durch die Fichtenschonung; berg-
auf, bergab geht die Flucht. Sie schrecken ein Nudel Hirsche
ans, das dort in der Birkenniederung äste. Die Hirsche schauen
stolz um sich und werfen die Geweihe. Sie erkennen mit geübtem
Feldherrnblick, daß keine Gefahr vorhanden, und traben ruhig dem
Quell, der dort durchs Moos sickert, zu, um ihren Morgentrunk
zu schlürfen. Einige der Flüchtlinge stehen, sammeln sich und trinken
in respektvoller Entfernung ans demselben Quell; andere schießen
und - klettern weiter. Für ihren heitern Jugendsinn ist es dort
nichts in der feuchten, sumpfigen Niederung, unter den himmel-
ragenden Ästen finsterer Eichen und Buchen; sie lieben mehr die
lichten Schläge, die an Saatfelder stoßen. Spielend jagen sie
weiter, ans den freien Wiesenplatz hinauf, wo die Morgensonne die
Gräser golden malt und die Thautropfen zu Diamanten stempelt.
Uber haben sich die zarten Thiere nicht 511 weit entfernt, zu weit
verirrt? Die Luft ist hier kalt, trotz der wärmenden Sonnen-
strahlen, das Gras nicht weich und saftig, wie unten ans der
blumigen Waldwiese. Es vermischt sich dieses schon mit dem
Kraute der rothen und blauen Landbeere, die aus lockerem Ge-
stein hervorwächst; und dort — ja dort verschwindet es ganz
vor dem Moose, das üppig die riesigen Steinblöcke überwuchert.
Wie behende die muntern Thiere auch zwischen den Steinblöcken
hindnrchschlüpfen: drüben wächst nur violettes Heidekraut, der
Wald wird zu Kniewnchs. Die Rehe stehen, stutzen und starren
wie Kinder, die sich cutS Muthwillen oder Furcht lveit aus dem
Kreise ihrer Spielplätze entfernt haben, das starre, nackte Felsen-
geklüft an; sie kehren um, fliegen den Abhang hinunter, bis die
weißen Birken sie aufnehmen. In der That, ein munteres, ge-
wecktes und schönes Thier ist das Neb, in seinem ganzen Wesen,
in allen seinen Bewegungen ein höchst zierliches Geschöpf. Seine
vollen, glänzenden Augen beseelt eine Frische und ein Feuer, das
ganz mit seinen raschen Bewegungen und seiner Leichtigkeit im
Springen übereinstimmt.
Doch eS war auch hohe Zeit, daß sich die Thierchen im Dickicht
verbargen; denn von drüben herüber tönt schon das weithin
schallende Jagdhorn, wird vernommen der beutelustige Troß der
Weidmänner; mit Angst und Strecken vernehmen die friedlichen
Waldbewohner die bellende, sie aufspürende und hetzende Meute.
Das Getös kommt näher und näher. Jetzt kracht ein Schuß;
jetzt noch einer; es fällt ein dritter. Das Echo giebt sie ver-
zehnfacht zurück, rmd aus dem Dickicht stürzt ein majestätischer
Hirsch, setzt über Gebüsch und Gräben, das Geweih hinten über-
gelegt, seine Fährte tränkt sein Schweiß, die Zunge ist lang her-
ausgestreckt. Doch jetzt kracht es wieder, — er stürzt tödtlich ge-
247
treffen nieder und verendet. Dvch das Reh, listiger und flüchtiger
als der Hirsch, läßt durch die Flüchtigkeit feines Laufes bald den
ihn verfolgenden Hund hinter sich. Es weiß durch mannigfaltige
Umwege, verdoppelte Krenzsprünge den Hund irre zu führen,
macht mitten im Laufe einen starken Absprnng zur Seite, duckt
sich wie ein Hase nieder und läßt die ganze Meute seiner aufge-
hetzten, bellenden Feinde vorüberziehen.
Die Jungen hat die Nicke im Gestrüpp verborgen und zeigt
sich lieber selbst dem Jäger, um nur die Feinde davon abzulenken z
doch bald kehrt sie auf weiten Umwegen unversehrt zu denselben
jiirücf und überläßt dem Bocke das weitere Spionieren. Stößt
diesem etwas unvermuthet auf, so stutzt er im ersten Augenblick,
ist dann aber blitzschnell davon und warnt die Seimgen durch
ein Pfeifen, welches er dreimal wiederholt, und das weithin schallt.
Diese Schnelligkeit und Listigkeit mag viel dazu beitragen, daß
seine Art an vielen Orten noch vorkommt, wo der Hirsch schon
längst ausgerottet ist; denn man stndet das Neh in ganz Europa,
die nördlichsten Gegenden desselben ausgenommen. Jung anser-
zogen, sind die Rehe allerliebste Geschöpfe; allein die Böcke nur
so lange, bis sie ein tüchtiges Gehörn ausgesetzt haben, wo sie sich
fühlen und mit ihrem Geweih zu stoßen versuchen.
228.
0 Ulaldmahnung.
Bon Buddeus.
Harse und Lehcr. Hannover 1854. S. 21. — Hier mit d. Mscrpt. verglichen.
^hr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Im Walde da fließt euch kein perlender Wein,
Da sprudelt nichts Goldnes für lustige Prasser,
Da strömt mit das feindliche häßliche Wasser.
Ihr könnt es nicht leiden — es bringt kein Gedeihn! —
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Dort ladet zum Sitzen kein Sopha euch ein;
Die Felsen sind Stühle, und Svphas die Matten;
Auch giebt es da Mäuse und Schlangen und Ratten —
Gott hat diese Thiere geschaffen zur Pein! —
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Da stehn keine Bücher in staubichtem Schrein;
Nur Blätter und Blumen, nur Vögel, die flöten,
Nur Quellen, die rauschen, des Waldes Propheten —
Die laden nicht eben zum Studium ein! —
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
248
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Da giebt's keinen Spieltisch, nicht Oper nnd Reihn;
Nur Vogelconcerte und Wasser, die brausen,
Nur Käfergesumme und Wipfel, die sausen;
Das ist zu gewöhnlich — dabei schläft man ein! —
Ihr reist in die Wälder? Ei lasset es sein!
Doch wollt mit Gewalt ihr, so mag es denn sein!
Nur nehmt euch ein Herz mit ins Grüne hinein.
Auf Blätter und Blumen steht allher geschrieben
Nur himmlischer Friede, süßinniges Lieben.
Mit dem Wald muß das Herz in Einklang sein,
So tragt ihr den Himmel heraus und hinein.
229.
A.11 das Eichhorn.
Don Rückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. IV. Erlangen 1837. S. 270. (Gekürzt.)
ifsllbfeurig gcmantelter Königssohn
Im blühenden grünenden Reiche!
Du sitzest auf ewig wankendem Thron
Der niemals wankenden Eiche —
Und krönest dich selber — wie machst du es doch
Anstatt mit goldenem Reife.
Mit majestätisch geringeltem, hoch
Emporgetragenem Schweife.
Die Sprossen des Frühlings benagt dein Zalch,
Die noch in der Knospe sich ducken;
Dann klimmest du laubige Kronen hinan,
Dem Vogel ins Nest zu gucken.
Du lässest hören nicht einen Ton,
Und doch es regt sich die ganze
Kapelle gefiederter Musiker schon,
Dir aufzuspielen zum Tanze.
Dann spielest du froh zum herbstlichen Fest
Mit Nüssen, Büchelu und Eicheln
Und lässest den letzten schmeichelnden West
Den weichen Rücken dir streicheln.
Die Blätter haften am Baum nicht fest,
Den fallenden folgst du hernieder
Und trägst, sie staunen, zu deinem Nest
In ihre Höhen sie wieder.
Du hast den schwebenden Winterpalast
Dir köstlich zusammen gestoppelt;
Dein wärmstoffhaltendes Pelzwerk hast
Du um dich genommen gedoppelt.
Dir sagt's der Geist, wie der Wind sich dreht,
Du stopfest zuvor ihm die Klinzen
249
Und lauschest behaglich, wie's draußen weht,
Du frohster verzauberter Prinzen!
230.
Der merkwürdige Schuß.
Von Kolshorn.
Musterstücke. Hannover 1849 — 1851. I, 90.
Ver Herr von Selbselbo zu Fiselfasel und Wünmellvummel
war ein großer Jagdliebhaber, aber, wie das nicht selten bei-
einander ist, ein schlechter Schütz. Freilich, wenn man ihn hörte,
gab's auf hundert Meilen im Umkreise seines Gleichen nicht.
Stundenlang konnte er von seinen Jagdstücken erzählen, und da
nulßte immer sein Bedienter hinter ihm stehen, damit er ihn im
Fall der Noth zum Zeugen aufrufe. Meine Herren,' sagte er
einst in einer Gesellschaft, <vor acht Tagen hab' ich doch vielleicht
den merkwürdigsten Schuß in meinem ganzen Leben gethan.
Stellen Sie Sich vor, ich schoß einen Sechzehneilder durch den
rechten Hinterlauf und durchs rechte Gehör. Was sagen Sie
dazu, meine Herren?' Es entstand natürlich eine allgemeine
Heiterkeit. ^Johann,' rief nun der Herr von Selbselbo §n Fisel-
fasel und Wimmelwnmmel, ^Johann, du bist dabei gewesen; du
kannst es bezeugen.' <Ja, ja,' sagte Johann, ‘e8 könnte einem
freilich unglaublich vorkommen; aber es hat seine Nichtigkeit.
Sehen Sie, meine Herren, das gieng also zu mit dem Schuß i
der Hirsch kratzte sich, mit Verlaub von Ihren Gnaden, gerade
hinterm Ohr, als mein Herr llach ihm schoß.' Jetzt lachte die
Gesellschaft noch viel mehr; Johann aber flüsterte seinem Herrn
zu: Min andresmal müssen's aber der gnädige Herr nicht so
weit auseinander lügen; sonst bring' ich's nicht gut zusammen?
231.
Der große Krebs im Mohriner See.
Nach einer Volkssage von Kopisch.
Allerlei Geister. Berlin 1848. S. 205.
Uta Stadt Mohrin hat immer Acht,
Kuckt in den See bei Tag und Nacht:
Kein gutes Christenkind erleb's,
Daß los sich reiß' der große Krebs!
Er ist im See mit Ketten geschlossen unten an,
Weil er dem ganzen Lande Verderben bringen kann!
Man sagt, er ist viel Meilen groß
Und wendt sich oft, und kommt er los,
So währt's nicht lang, er kommt ans Land,
Ihm leistet keiner Widerstand;
250
Und weil das Rückwärtsgehen bei Krebsen alter Brauch,
So muß dann alles mit ihm zuriickegehen auch.
Das wird ein Rückwärtsgeben sein!
Steckt einer was ins Maul hinein,
So kehrt der Bissen, vor dem Kopf,
Zurück zum Teller und zum Topf!
Das Brot wird wieder zu Mehle, das Mehl wird wieder Korn —
Und alles hat beim Gehen den Rücken dann nach vorn.
Der Balken löst sich aus dem Haus
Und rauscht als Baum zum Wald hinaus;
Der Baum kriecht wieder in den Keim,
Der Ziegelstein wird wieder Leim,
Der Ochse wird zum Kalbe, das Kalb geht nach der Kuh,
Die Kuh wird auch zum Kalbe, so geht es immerzu!
Zur Blume kehrt zurück das Wachs,
Das Hemd am Leibe wird zu Flachs,
Der Flachs wird wieder blauer Lein
Und kriecht dann in den Acker ein.
Man sagt, beim Bürgermeister zuerst die Noth beginnt,
Der wird vor allen Leuten zuerst ein Päppelkind.
Daun muß der edle Rath daran,
Der wohlgewitzte Schreiber dann;
Die erbgeseßne Bürgerschaft
Verliert gemach die Bürgerkraft.
Der Rector in der Schule wird wie ein Schülerlein,
Kurz eines nach dem andern wird Kind und dumm lind klein.
Und alles kehrt im Erdenschoß
Zurück zli Adam's Erdenkloß.
Ain längsten hält, was Flügel hat:
Doch wird zuletzt auch dieses matt,
Die Henne wird zum Küchlein, das Küchlein kriecht ins Ei,
Das schlägt der große Krebs dann mit seinem Schwanz entzwei.
Zum Glücke kommt's wohl nie so weit!
Noch blüht die Welt in Fröhlichkeit;
Die Obrigkeit hat wacker Acht,
Daß sich der Krebs nicht locker macht;
Auch für dies arme Liedchen wär' das ein schlechtes Glück:
Es lief' vom Mund der Leute ins Tintenfaß zurück.
232.
Hans Clauert's Lügenmärchen
oder:
Wie man die Kinder vom Schlaf ermuntert und wacker macht.
Hans Clawerts Werckl. Hist., beschrieb, durch Bartholomeum Krüger. 1591.
Vergl. Colßhorn's Märchen u. Sagen. Hannover 1854. S. 193.
Hans Clauert pflegte oftmals von sich selber zu sagen:
'Als ich ein kleines Kindlein war und oftmals ersähe, daß
251
unsere Nachbarskinder aus dem Holze kamen und junge Vöglein
nach Haus brachten, die sie aus den Nestern genommen hatten;
gedacht' ich auch einmal in den Wald zu gehen unb Vogelnester
zu suchen. Da ich aber in den Wald kam, sah ich ein kleines
Vögelein ans einem Baum sliehen. Ich gieng hinzu; da sand
ich ein so kleines Löchlein, daß ich kaum einen Finger hinein-
bringen mochte, und als ich den Finger hineinsteckte, siel ich mit
dem ganzen Leib in den Baum hinab. Darunter fand ich einen
Teich, darein gebratene Fische giengen, und über dem Teiche war
ein Butterberg, darvon die Butter durch den warmen Sonnen-
schein herab auf die gebratenen Fische troff. Derselben Fische aß
ich mich so satt, daß ich ans dem Baume nicht wieder kommen
konnte, lief derhalben heim, holte eine Barte und hieb mich aus
dem Baum heraus. Doch war mir's leid, daß ich der gebra-
tenen Fisch' nicht etliche mit mir genommen, darvon ich hätt'
rühmen mögen. Da aber trug sich's zu, daß am Wege ein
großer Hausen Tauben saß; darunter warf ich, daß die Federn
so dick blieben liegen, daß ich meine Barte nicht wiederstnden
konnte. Ich lies eilends nach Hans, holte Feuer und zündete
die Federn an; da verbrannte die Barte, und der Stiel blieb
liegen. Weil ich also zu meinen Eltern nicht wieder kommen
durfte, begab ich mich aus die Wanderschaft und kam zu einem
Brunnen. Da hätte ich gerne getrunken, wußte doch nicht, worin
ich Wasser schöpfen sollte; aber derweil ich noch ein junges und
kleines Kind war, besann ich mich nicht lange, nahm den halben
Theil meiner Hirnschalen vom Kopf herab, schöpfte Wasser darein
und trank daraus. Es schmeckte mir auch das Wasser so wohl,
daß ich darüber entschlief; und da ich erwachte, war es fast Abend
worden. Dessen erschrak ich sehr, lief ganz unbesonnen darvon und kam
in ein Dorf. Da drosch ein Bauer die Erbsen aus dem Balken, und
das Stroh siel herab, die Erbsen aber blieben auf dem Balken lie-
gen. Dessen verwunderte ich mich sehr und fragte den Bauern, wie
solches käme, daß die Erbsen auf dem Balken blieben; woraus er
mich fragte, wie ich mit dem halben Kopfe daher käme. Da
gedacht' ich erst an meine Hirnschale, lief alsbald zurück, fand
sie auch und sieben Enteneier darin. Dieselbeil legte ich unter
eine Henne und ließ sie ausbrüten; da ward ein Pferd daraus,
sieben Meilen lang. Mit demselben verdiente ich viel Geld;
denn wenn die Leute über Land reisen wollten und am
Kopf aufsaßen, und das Pferd sich nur umwandte, so waren
sie vierzehn Meilen weg. Einsmals hatte ich etliche vom Adel
gedinget, die gern eilends wären an ihren bestimmten Ort gewesen;
und als sie fast hin waren, trug sich's 51t, daß das Pferd sich
abermals umwandte unb die Edelleute noch eins so weit zurück
brachte, als wo sie zuvor sich aufgesetzt hatten, derhalben sie vor
Zoril mein Pferd mitten entzwei hauen thäten. Dem wußte ich
252
nicht besser zu helfen, als daß ich Weiden nahm und band das
Pferd damit wieder zusammen. Die Weiden bekleideten in dem
Pferde und wuchsen so sehr, daß ein ganzer Wald auf dem
Pferde ward, daß auch die, so darauf ritten, Sommerzeit in
kühlem Schatten saßen, wodurch mir das Pferd hernach viel mehr
erwarb als zuvor; und gegen den Winter ließ ich die Weiden all-
jährlich verhauen und kaufte ans demselben Holze so viel Geld,
daß ich auf den heutigen Tag noch einen Zehrpfennig habe. Sonst
wäre ich längst zum Bettler worden.'
Das war er nämlich.
Solchergestalt pflegte Hans Clauert auch wohl sagen:
*Als ich einmal zu Wittenberg war, gedacht' ich zu meinen
anten Freunden gen Leipzig zu wandern; und da ich jenseit
Remberg in die diebische Heiden kam, war der Schnee so groß,
daß ich wieder umzukehren Willens war. Jedoch ersähe ich einen
Steig, der wohl gebahnet und betreten war; demselben folgete ich
nach, der Hoffnung, er würde mich wieder zum rechten Wege
bringen. Als ich aber nicht weit fürbaß gegangen war, fand ich
einen ganzen Haufen Leute bei einander sitzen, die hatten Gesottenes
und Gebratenes, auch bei sich eine Tonne Bier stehen und hielten
Mahlzeit, hießen auch mich niedersitzen und gaben mir Essen und
Trinken. Ich sahe sie für Jäger an, weil sie ihre Pferde an die
Bäume geheftet hatten. Da aber alles ausgegessen und ausge-
trnnken war, stießen sie den einen Boden ans der Tonnen, ergriffen
mich und sprachen, ob ich lieber sterben oder in die Tonne steigen
wollte; daraus ich wohl vernahm, daß es Räuber waren. Was
sollt' ich armer gefangener Tropf machen, ich mußte unter zweierlei
Bösem das beste erwählen, stieg in die Tonne und ließ mich ver-
spunden. Dabrun solches geschehen, sprangen sie auf ihre Pferde
und ritten darvon und ließen mich also in der Tonnen liegen. Dar-
ein verhorchte ich die ganze Nacht, bis des andern Morgens die
hungerigen Wölfe kamen und die Knochen auffraßen, so die Räuber
weggeworfen hatten. Da griff ich zum Spundloch hinaus und
erhaschte den einen Wolf beim Schwanz und hielt denselben mit
beiden Händen gar fest. Er lief vor Schrecken durch das hohe
Heidenkraut und schleifte mich mit der Tonne hinter sich her, bis
ich endlich einen Fuhrmann erhörte; ben schrie ich an und bat
um Errettung, unb er kam mir treulich zu Hülfe, schlug den Wolf
mit einem eisernen Flegel zu Tode und die Tonne entzwei, darinnen
ich lag. Also ward ich errettet. Und dem Wolfe zogen wir die
Haut abe, verkauften sie zu Wittenberg und bekamen so viel Geld
dafür, daß ich meinestheils noch hentigestags darvon zu zehren
habe.'
253
233.
Romanze von den Schneidern.
Volkslied.
DcS Knaben Wundcrhorn v. Arnim u. Brentano. Heidelberg u. Frankfurt 1806. l, 32b.
Es sind einmal drei Schneider gewesen,
O je, es sind einmal drei Schneider gewesen,
Sie haben ein Schnecken sür ein Bären angesehen,
O je, o je, o je!
Sie waren dessen so voller Sorgen,
O je, sie waren dessen so voller Sorgen,
Sie haben sich hinter ein Zaun verborgen,
O je, o je, o je!
Der erste sprach: 'Geh du voran,'
O je, der erste sprach: 'Geh du voran,'
Der andre sprach: 'Ich trau' mich nicht vor/
O je, o je, o je!
Der dritte, der war wohl auch dabei,
O je, der dritte, der war wohl auch dabei,
Er sprach: 'Der srißt uns alle drei,'
O je, o je, o je!
Und als sie sind zusammenkommen,
O je, und als sie sind zusammenkommen,
So haben sic das Gewehr genommen,
O je, o je, o je!
Und da sie kommen zu dem Streit,
O je, und da sie kommen zu dem Streit,
Da macht ein jeder Reu und Leid,
O je, o je, o je!
Und da sie auf ihn wollten hin,
O je, und da sie auf ihn wollten hin,
Da gieng es ihnen durch den Sinn,
O je, o je, o je!
'Heraus mit dir, du Teurelsvieh,
O je, heraus mit dir, du Teurelsvieh,
Wenn du willt haben einen Stich.'
O je, o je, o je!
Der Schneck, der streckt die Ohren heraus,
O je, der Schneck, der streckt die Ohren heraus,
Die Schneider zittern, es ist ein Graus.
O je, o je, o je!
Und da der Schneck das Haus bewegt,
O je, und da der Schneck das Haus bewegt,
So haben die Schneider das Gewehr abgelegt.
O je, v je, o je!
254
Der Schneck, der kroch zum Haus heraus,
O je, der Schneck, der kroch zum Haus heraus,
Er jagt die Schneider beim Plunder hinaus.
O je, o je, o je!
234.
So machen ste's.
Volkslied.
Simrock: Die deutschen Volkslieder.
UDie machen's die Schneider?
So machen sie's.
Hier ein Läppchen, da ein Läppchen,
Giebt dem Jungen auch ein Käppchen:
So machen sie's, so machen sie's.
Frankfurt a. M. 1851. S. 130.
Wie machen's denn die Brauer?
So machen sie's.
Sie machen ein bißchen Wasser warm,
Das giebt ein Bier, das Gott erbarm':
So machen sie's, so machen sie's.
Wie machen's denn die Schuster?
So machen sie's.
Sie ziehn das Leder in die Länge;
Hernach sind doch die Schuh' zu enge:
So machen sie's, so machen sie's.
Wie machen's denn die Wirte?
So machen sie's.
Sie nehmen die Kreide in die Hand
Und schreiben's doppelt an die Wand:
So machen sie's, so inachen sie's.
Wie machen's denn die Müller?
So machen sie's.
Die Mühle geht die Klipp die Klapp
Das beste Mehl in unsern Sack:
So machen sie's, so machen sie's.
Wie machen's
So machen sie's.
Sie siehir da an
Und hobeln grün
So machen sie's,
Wie machen's denn die Metzger?
So machen sie's.
, Am Abend schlachten sie eine alte Geiß,
Am Morgeir ist's gut Hammelsieisch:
So machen sie's, so machen sie's.
denn die Schreiner?
der Hobelbank
i Holz zu dem Schrank:
so machen sie's.
235.
Wie ein Schneider von Einer Elle Tuch fünf Viertel
gestohlen hat.
Von Ernst Meier.
Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852. S. 164.
Diese Geschichte scheint zwar lügenhaft uitb ganz un-
glaublich, ist aber doch wahr. — Da ist einmal frühmorgens ein
Schneider zum Ausnähen in ein Haus gekommen, und als er ins
Zimmer getreten unb noch niemand da gewesen ist, hat er die Elle
Tuch, welche die Hausfrau ihm zurecht gelegt hatte, genommen
und in seinen Sack gesteckt und nach Hmw gebracht z dann ist er
wieder gekommen und hat die Frall gefragt: Mas soll ich nähen?'
255
Hat die Frau ihm geantwortet: 'Ich hab's schon hergerichtet!' und
sucht und sucht und sieht am Ende, daß kein Tuch mehr da ist.
'Ach du liebe Zeit!' hat sie da ausgerufen, 'das Tuch ist fort! ach
saget doch, saget doch nur meinem Hausen nichts davon, meinem
Mann, sonst schlägt er mich zu Tod!' 'Seid nur ruhig, Frau!'
hat der Schneider da gesagt; 'ich hab grad eine Elle Tuch zu
Haus, die will ich holen.' Da hat er die Elle wieder gebracht
und der Frau heimlich verkauft und hat dann ihrem Mann eine
Weste daraus geschnitten, hat aber nur drei Viertelellen dazu ge-
braucht und das vierte Viertel wieder in seinen Sack geschoben,
also, daß er in Wahrheit von einer einzigen Elle Tuch fünf Viertel-
ellen gestohlen hatte; und der Hans merkte nichts davon.
236.
Schneiderburg.
Bon Platen.
Werke. Stuttgart u. Tübingen 1847. I, 62. — Lyrische Blätter. Leipzig 1821- S> 135.
Ein Schneider stink mit der Ziege
sein
Behauste den Krempenstein,
Sah oft von der felsigen Schwelle
Hinab zu der Donauwelle,
In reißende Wirbel hinein.
So saß er oft, und so sang er dabei:
'Wie leb' ich sorgenfrei!
Meine Ziege, die nährt und letzt mich,
ManchLiedchen klingt und crgetztmich,
Fährt unten ein Schiffer vorbei!'
Doch ach, die Ziege, sie starb, und ihr
Rief nach er: 'Wehe mir!
So wirst du mich nicht mehr laben,
So muß ich dich hier begraben,
Im Bette der Donau hier?'
Doch als er sie schleudern will hinein,
Verwickelt, o Todespein!
Ihr Horn sich ihm in die Kleider,-
Nun liegen Zieg' und Schneider
Tief unter dem Krempcnstein!
237.
Der Müller und die Frösche.
Von Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S- 176.
Es war einmal ein Müller, der hatte eigentlich gar kein Herz:
stehlen wie er hat wohl noch niemand gekonnt; doch noch schlimmer
war es, chaß er Kalk und andere unverdauliche Sachen unter daS
Mehl mischte und die armen Leutlein mit Hunden vom Hofe hetzte.
Einst kam ein lahmer Mann auf seinen Krücken in die Mühle ge-
hinkt, streckte die zitternde Hand aus und bat um ein Stücklein
Brot. Der Müller fluchte, riß dem Unglücklichen die Krücken weg,
warf ihn in eine Kiste voll grober Kleie und wälzte ihn um und
um; und als er ihn bis anfs Blut gepeinigt hatte, gab er ihm
256
die Krücken wieder und trieb ihn vom Hofe, indem er ihn mit einer
Peitsche um die kranken Beine schlug. Der Bettler weinte helle
Thränen, unb die sah Gott der Herr vom hohen Himmel. Als
der Wütherich in seine Mühle zurückkehrte, stand das Gewerke still;
er sah nach, und siehe! zahllose Fröschlein wimmelten im Bach und
auf der Wiese und hatten das Wasser ausgetrunken bis ans den
letzten Tropfen. Weil aber niemals Wasser wiederkam, die Frösch-
lein tranken es immer weg, raffte der Müller seine Schätze zu-
sammen, zog weit, weit in ein anderes Land und kaufte sich eine
andere Mühle. Kaum jedoch gehörte die Mühle ihm, so waren
wieder zahllose Fröschlein da und tranken das Wasser ans bis auf
den letzten Tropfen; und wohin er sich wenden mochte, der Frösch-
lein wurde er nimmer ledig, und nie wieder hat er ein weißes
Mehl gemahlen, unb endlich ist er verhungert und hat also ein
jämmerliches Ende genommen.
238.
ft ä t \) I* 11.
Bon Rückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. V. Erlangen 1838. S. 196.
Äorn wird in ihnen rein, gemacht,
Und eines giebt mit ihnen acht;
Doch wer mit ihnen Wasser schöpft,
Der hat Erstaunliches vollbracht.
239.
Die Mühle.
Bon Falkmann.
Stilistisches Elementarbuch 3. Aufl. Hannover 1831. S. 82.
Wie schön windet sich dieser klare Bach durch das dichte, von
Blumen dnrchduftete, von Nachtigallen belebte Gebüsch! Ich will
seinen unmuthigen Krümmungen folgen, neugierig, zu sehn, wo-
hin sie den Wanderer führen werden. — Aber welches Geräusch
schallt in mein Ohr! Hat ein Wasserfall den ebenen Lauf meines
Baches unterbrochen und den stillen, plätschernden zu diesem Brau-
sen genöthigt, das ich immer stärker vernehme? Nein! ich sehe es,
die Menschen haben den Sohn des Berges zlir Dienstbarkeit ge-
zwungen, er muß ihnen eine Mühle treiben und ihnen ihr Korn
zum Brote mahlen. Seht, hier schließen ihn statt der blumigen
Ufer schon schnurgerade Mauern ein. Durch jenen hölzernen Ka-
sten ziehend, besucht er seine Mitgefangenen, die Fische. Dort aber
hemmt eine Querwand von Balken und Brettern seinen Lauf,
257
und nur durch einzelne, von seinem Beherrscher, dem Müller, ge-
öffnete Stellen darf er hinabspringen aus die Schaufeln des unten
stehenden gewaltigen Rades, um es herumzudrehen durch sein Ge-
wicht und durch seinen Fall. Seht! die durchsichtig grüne Flut
ist in einen sprudelnden Silberstrom verwandelt, der, alles umher
benetzend und bestäubend, sich zwischen den alterschwarzen, moosbe-
deckten Speichen der neuen Freiheit zudräugt, die ihm dort unten
in der sonnigen Aue winkt. Aber welche Bewegung, welches Getöse
erregt der Sprung des Baches hier in diesem Gebäude! Ich trete
hinein und sehe, daß das rastlos kreisende Rad seine gewaltige
Welle durch die Grundmauer des Hauses streckt und in dessen un-
term Geschoß vermittelst der hölzernen Zacken eines kleinern Rades
eine dicke Eisenstauge, die sich in der Decke verliert, in Schwung
setzt. Ich steige in das obere Stockwerk, und nun zittert der Bo-
den unter mir von dem Kreisläufe eines mächtigen, in diesem run-
den Kasten verborgenen Steines. Ich sehe die bräunlich-gelbe Kör-
nerflut auS einem andern, schwebenden Kasten, dessen beweglicher
Boden durch einen vom schwingenden Steine geschüttelten Stab in
steter Bewegung gehalten wird, immer neu zufließen. Tort ist
ein drittes Behältnis, das der schüttelnde Beutel mit milchweißem
Mehle füllt, während aus seinem Ende die gröbere Kleie strömt.
Wie rasselt es, wie klopft es überall! Wie stäubt ein feiner Mehl-
staub ini ganzen Hause umher und pudert dem Müller und seinen
Gesellen Gesicht und Kleider! Horch, da erschallt ein Glöckchen!
Der Lehrbnrsch springt zu unb gießt neues Korn in jenes Hangende
Gefäß. Zn gleicher Zeit öffnet der Gesell die Thüre des Mehl-
kastens und füllt jener wartenden Dirne den Sack mit dem zarten
Marke des Weizens. Vor der Thüre sangen eben zwei Esel mit
neuem Vorrathe von Getreide an, und die Mahlgäste, denen sie
gehören, treten grüßend in die Mühle.
240.
Der todte Müller.
Von Kerner.
Dichtungen 3. Ausl. Stuttgart und Tübingen 1831. I, 18.
Die Sterne überm Thale stehn,
Das Mühlrad nnr man höret.
Zum kranken Müller muß ich gehn,
Er hat den Freund begehret.
Ich steig' hinab den Felsenstein,
Es donnert dumpf die Mühle,
Und eine Glocke tönt darein:
*Die Arbeit ist am Ziele!'
In Müllers Kammer tret' ich nun:
Starr liegt des Greisen Hülle,
Es stockt sein Herz, die Pulse ruhn,
Und draußen auch wird's stille.
Die treuen Lieben weinen sehr,
Süll bleibt sein Herz und kühle;
Die Wasser fließen wohl daher,
Still aber steht die Mühle.
Colshorn u. Gödeke's Lesebuch I.
17
258
241.
Warum das Mecrwasser salzig ist.
Bon Colshorn.
Märchen und Sagen. Hannover 1854. S. 173.
Es war einmal ein lieber, wackerer Knabe, der hatte weiter
nichts auf Erden als eine blinde Großmutter ujib ein helles Ge-
wissen. Als er nun aus der Schule war, wurde er Schiffsjunge
und sollte seine erste Reise antreten. Da sah er, wie alle seine
neuen Kameraden mit blankem Gelde spielten, und er hatte nichts,
auch nicht den geringsten Mntterpfennig. Darüber war er traurig,
und er klagte es der Großmutter. Sie besann sich erst ein wenig,
dann humpelte sie in ihre Kammer, holte eine kleine alte Mühle
heraus, schenkte sie dem Knaben und sprach: Menu du zu dieser
Mühle sagst:
Mühle, Müble, mahle mir
.Die und die Sachen gleich allhier!'
so mahlt sie dir, was du begehrst) und wenn du sprichst:
Mühle, Mühle, stehe still,
Weil ich nichts mehr haben will!'
so hört sie auf zu mahlen. Sag aber nichts davon, sonst ist es
dein Unglück!' Der Junge bedankte sich, nahm Abschied und gieng
aufs Schiff. Als nun wieder die Kameraden mit ihrem blanken
Gelde spielten, stellte er sich mit seiner Mühle in einen dunkeln
Winkel und sprach:
Mühle, Mühle, mahle mir
Rothe Dukaten gleich allhier!'
da mahlte die Mühle lauter rothe Dukaten, die fielen klingend in
seine lederne Mütze. Und als die Mütze voll war, sprach er nur:
Mühle, Mühle, stehe still,
Weil ich nichts mehr haben will!'
da hörte sie auf zu mahlen. Nun war er von allen Kameraden
der reichste; und wenn es ihnen an Speise fehlte, indem der Schiffs-
hauptmann sehr geizig war, sprach er nur:
Mühle, Mühle, mahle mir
Frische Semmeln gleich allhier!'
so mahlte sie so lange, bis er das andere Wort sagte; und was
er auch sonst noch begehrte, alles mahlte die kleine Mühle. Nun
fragten ihn die Kameraden wohl oft, woher er die schönen Sachen
bekomme; doch da er sagte, er dürfe es nicht sagen, drangen sie
nicht weiter in ihn, zumal er alles ehrlich mit ihnen theilte.
Es dauerte aber nicht lange, da bekam der böse Schiffs-
hauptmann Wind davon, und das war Wasser ans seine Mühle.
Eines Abends rief er den Schiffsjungen in die Kajüte und sprach:
<Hole deine Mühle und mahle mir frische Hühner!' Der Knabe
259
gieng und holte einen Korb voll frischer Hühner. Damit jedoch
war der gottlose Mensch nicht zufrieden: er schlug den armen Jun-
gen so lange, bis dieser ihm die Mühle holte und ihm sagte, was
er sprechen müsse, wenn sie mahlen solle; den andern Spruch aber,
wenn sie aufhören solle, lehrte er ihn nicht, und der Schiffshanpt-
mann dachte auch nicht daran, ihn darum zu fragen. Als der
Junge gleich nachher allein auf dem Verdeck stand, gieng der Haupt-
mann ;u ihm und stieß ihn ins Meer und dachte nicht daran, wie
viel Sorge und Mühe er Vater und Mutter gemacht hatte, und
wie die blinde Großmutter auf seine Rückkehr hoffte; daran ge-
dachte er nicht, sondern stieß ihn ins Meer und sagte, er sei ver-
unglückt, und meinte, damit sei alleZ abgethan! Hierauf gieng er
in seine Kajüte, und da es eben an Salz fehlte, sagte er 511 der
kleinen Mühle:
Mühle, Mühle, mahle mir
Weiße Salzkörner gleich allhier!'
da mahlte sie lauter weiße Salzkörner. Als aber der Napf voll
war, sprach der Schissshanptmann: Ginn ist's genug!' doch sie
mahlte immerzu, und er mochte sagen, was er wollte, sie mahlte
immerzu, bis die ganze Kajüte voll war. Da faßte er die Mühle
an, um sie über Bord zu werfen, erhielt aber einen solchen Schlag,
daß er wie betäubt zu Boden siel. Und sie mahlte immerzu, bis
das ganze Schiss voll war und zu sinken begann, und ist nie
größere Noth auf einem Schiffe gewesen. Zuletzt faßte der Schiffs-
hauptmann sein gutes Schwert und hieb die Mühle in lauter-
kleine Stücke; aber siehe! aus jedem kleinen Stück wurde eine
kleine Mühle, gerade wie die alte gewesen war, und alle Mühlen
mahlten lauter weiße Salzkörner. Da war's bald ums Schiff
geschehen: es sank unter mit Mann und Maus und allen Mühleil.
Diese aber mahlen unten am Grunde noch immer lauter weiße
Salzköruer, und wenn du ihnen nun auch den rechten Spruch
zuriefest, sie stehen so tief, daß sie es nicht höreil würden. Siehe,
davoli ist das Meerwaffer so salzig.
242.
Gestrafte Nngenügjauikeit.
Don Rückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. III. 2. Ausl. Erlangen 1839. S. 479.
Es war das Kloster Grabow im Lande Usedom,
Das nährte Gott vorzeiten aus seiner Gnade Strom.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Es schwammen an der Küste, daß es die Nahrung sei
Den Mönchen in dem Kloster, jährlich zwei Fisch' herbei.
Sie hätten sich sollen begnügen!
17
260
Zwei Störe, groß gewaltig; dabei war das Gesetz,
Daß jährlich sie den einen sicngen davon im Netz.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Der andre schwamm von dannen bis auf das andre Jahr,
Da bracht' er einen neuen Gesellen mit sich dar.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Da fiengen wieder einen sic sich für ihren Tisch;
Sie fiengen regelmäßig jahraus, jahrein den Fisch.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Einst kamen zwei so große in einem Jahr herbei;
Schwer ward die Wahl den Mönchen, welcher zu fangen sei.
Sie hätten sich sollen.begnügen!
Sie fiengen alle beide; den Lohn man da erwarb,
Daß sich das ganze Kloster den Magen dran verdarb.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Der Schaden war der kleinste, der größte kam nachher:
Es kam nun gar zum Kloster kein Fisch geschwommen mehr.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Sie hat so lange gnädig gespeiset Gottes Huld;
Daß sie nun des sind ledig, ist ihre eigne Schuld.
Sie hätten sich sollen begnügen!
243.
8 alz und brot
segnet gott.
von den briidern Grimm,
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. II, 360.
Es ist gemeiner brauch unter uns Deutschen, dasz der, welcher
eine gasterei hält, nach der mahlzeit sagt: ‘es ist nicht viel zum
besten gewesen, nehmt so fürlieb.’ nun trug es sieh zu, dasz ein
fürst auf der jagd war, einem wild nacheilte und von seinen die-
nern abkam, also dasz er einen tag und eine nacht im walde her-
umirrte. endlich gelangte er zu einer köhlerhütte, und der eigen-
thümer stand in der thüre. da sprach der fürst, weil ihn hun-
gerte: ‘glück zu, mann! was hast du zum besten?’ der kühler ant-
wortete: ‘ick hebbe gott un allewege wohl (genug).’ ‘so gieb
her, was du hast,’ sprach der fürst, da gieng der kühler und
brachte in der einen hand ein stück brot, in der andern einen
teller mit salz; das nahm der fürst und asz, denn er war hungrig,
er wollte gern dankbar sein, aber er hatte kein geld bei sich;
darum lüste er den einen Steigbügel ab, der von silber war, und
gab ihn dem kühler; dann bat er ihn, er müchte ihn wieder auf
den rechten weg bringen, was auch geschah.
261
Als der fürst heim gekommen war, sandte er diener aus, die
muszten diesen kühler holen, der kühler kam und brachte den
geschenkten Steigbügel mit; der fürst hiesz ihn willkommen und
zu tische sitzen, auch getrost sein: es sollt ihm kein leid wider-
fahren. unter dem essen fragte der fürst: ‘mann, es ist diese
tage ein herr bei dir gewesen; sieh herum, ist derselbe hier mit
über der tafel?’ der kühler antwortete: ‘mi ducht, ji sünd et wol
sülvest,’ zog damit den Steigbügel hervor und sprach weiter: ‘will
ji düt dink wedder hebben?’ ‘nein,’ antwortete der fürst, ‘das soll
dir geschenkt sein, lasz dir’s nur schmecken und sei lustig.’ wie
die mahlzeit geschehen und man aufgestanden war, gieng der fürst
zu dem kühler, schlug ihn auf die schulter und sprach: ‘nun,
mann, nimm so fürlieb, es ist nicht viel zum besten gewesen.’
da zitterte der kühler; der fürst fragte ihn, warum, er antwortete,
er dürfte es nicht sagen. als aber der fürst darauf bestand,
sprach er: ‘och herre! äse ji säden, et wäre nig vale tom besten
west, do stund de düfel achter ju!’ ‘ist das wahr,’ sagte der
fürst, ‘so will ich dir auch sagen, was ich gesehen, als ich vor
deine hütte kam und dich fragte, was du zum besten hättest, und
du antwortetest: ‘gott und allgenug!’ da sah ich einen engel gottes
hinter dir stehen, darum asz ich von dem brot und salz und war
zufrieden; will auch nun künftig hier nicht mehr sagen, dasz nicht
viel zum besten gewesen.’
244.
Die Stammfrau der Mantagnauis.
Aus dem Festkalender von Pocci und Görres.
München und Wien.
iDurcfy die Städte der Lombarden
Zog die deutsche Kaiserin;
Sie zu grüßen, eilten Fürsten,
Herrn und Grafen zu ihr hin.
Wie sie selbst in Gold und Perlen
Strahlten in der reichsten Pracht;
Also strahlten auch die Gaben,
Die sie Bertha dargebracht.
Bei dem Dorfe Montagnana
Trat zur Schar, so reich geschmückt,
Eine Bäu'rin alt und dürftig,
Trug ein Kleid, schon oft geflickt.
Vor der Kais'rin kniet sie nieder
In dem ärmlichen Gewand,
Und von Garn ein leichtes Knäulchen
Legt sie in der Fürstin Hand.
II, Heft 10. Nr. 5-
Gar verächtlich däuchte manchen
Dieses ärmliche Geschenk,
Und sie lachten ob der Einfalt,
Ihrer Schätze eingedenk.
‘Nimm, o nimm,' so sprach die Alte,
‘Meine Gabe gnädig hin,
Wenig bring' ich, doch mein Bestes,
Bertha, edle Kaiserin!
‘Hab' voll Liebe dran gesponnen,
Wie ich's konnte, rein und fein;
Daß die Armut dich beschenke,
Wdll' die Gnade mir verleihn!'
Lächelnd sprach die edle Fürstin:
‘Nimm den besten Dank von mir!
Denn vor allen andern Gaben
Schmückt die deine reiche Zier.
262
'Was der Armut Fleiß gesponnen,
Was die Liebe mir verehrt,
Mehr als Gold und Edelsteine
Ist mir diese Gabe werth.
'Wagt, ihr Herrn, in dieser Schale
Eures Gaben reiche Pracht!
Keine wird das Garn aufwiegcn,
Das die Alte mir gebracht.
'Zum Gedächtnis nimm den Faden,
Und so viel er rings umspannt,
Schenkt die Kaiserin deiner Liebe
Als dein freies eignes Land!
Also sprechend zu der Alten,
Zog die deutsche Kaiserin
Durch die Städte der Lombarden
Ihre Straße fröhlich hin.
Und in reichem Segen sproßte
Herrlich das geschenkte Land,
Das der Faden treuer Liebe
Jener Alten einst umspannt.
Und es ehret sie als Mutter
Hoch ein adelich Geschlecht;
Alle Montagnanis preisen
Noch die Spinnerin mit Recht.
245.
Landgraf Philipp und die bauersfrau.
von den brüdern Grimm,
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. II, 355.
Landgraf Philipp pflegte gern unbekannterweise in seinem
lande umher zu ziehen und seiner Unterthanen zustand zu forschen,
einmal ritt er auf die jagd und begegnete einer bäuerin, die trug
ein gebund leinengarn auf dem köpfe, ‘was tragt ihr, und wohin
wollt ihr?’ frug der landgraf, den sie nicht erkannte, weil er in
schlechten kleidern einher gierig, die frau antwortete: ‘ein gebund
gärn, damit will ich zur stadt, dasz ich es verkaufe und die
Schätzung und Steuer bezahlen kann, die der landgraf hat lassen
ausschreiben; des garns musz ich selber wohl an zehn enden ent-
rathen,’ sprach sie und klagte erbärmlich über die böse zeit, ‘wie
viel Steuer trägt es euch?’ sprach der fürst, ‘einen ortsgulden,’
sagte sie. da nahm er seinen seckel, zog so viel heraus und gab
ihr das geld, damit sie ihr gärn behalten könnte, ‘ach, nun lohn’s
euch gott, lieber junker,’ rief das weib, ‘ich wollte, der landgraf
hätte das geld glühend auf seinem herzen!’ der leutselige fürst
liesz die bäuerin ihres weges ziehn, kehrte sich gegen sein gesinde
um und sprach mit lachendem munde: ‘schaut den wunderlichen
handel! den bösen wünsch hab ich mit meinem eigenen geld
gekauft.’
246.
Lob der Lautheit.
Von Lessing.
Schristen, herauög. von Lachmann. Berlin 1833. I, 51.
Faulheit, jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen. —
O------wie-------sau-------er------
wird es mir,------
Dich------nach Würden-------zu be-
singen!
Doch ich will mein Bestes thun;
Nach der Arbeit ist gut ruhn.
Höchstes Gut! wer dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben--------
Ach!-------ich------gähn'--------ich
-----werde matt-------
Nun -------so--------magst du -
mir's vergeben,
Daß ich dich nicht singen kann;
Du verhinderst mich ja dran.
247.
Die traurige Geschichte vom dummen Hänschen.
Bon Löwenstein.
Kindergarten. Berlin 1846. S. 114,
Hänschen will ein Tischler werden, ist zu schwer der Hobel;
Schornsteinfeger will er werden, doch das ist nicht nobel;
Hänschen will ein Bergmann werden, mag sich doch nicht bücken;
Hänschen will ein Müller werden, doch die Säcke drücken;
Hänschen will ein Weber werden, doch das Garn zerreißt er.
Immer, wenn er kaum begonnen, jagt ihn fort der Meister.
Hänschen, Hänschen, denke dran,
Was aus dir noch werden kann!
Hänschen will ein Schlosser werden, sind zu heiß die Kohlen;
Hänschen will ein Schuster werden, sind zu hart die Sohlen;
Hänschen will ein Schneider werden, doch die Nadeln stechen;
Hänschen will ein Glaser werden, doch die Scheiben brechen;
Hänschen will Buchbinder werden, riecht zu sehr der Kleister.
Immer, wenn er kaum begonnen, jagt ihn fort der Meister.
Hänschen, Hänschen, denke dran,
WaS aus dir noch werden kann!
Hänschen hat noch viel begonnen, brachte nichts zu Ende;
Drüber ist die Zeit verronnen, schwach sind seine Hände.
Hänschen ist nun Hans geworden, und er sitzt voll Sorgen,
Hungert, bettelt, weint und klaget abends und am Morgen:
'Ach, warum nicht war ich Dummer in der Jugend fleißig?
Was ich immer auch beginne — dummer Hans nur heiß' ich.
Ach, nun glaub' ich selbst daran,
Daß aus mir nichts werden kann!'
248.
Jungfer Margareth.
Von Sturm.
Harfe und Leyer. Hannover 1854- S. 210. Hier mit dem Mscrpt. verglichen.
^as war die träge Margareth, die wollte die Hand nicht regen;
Da mußte die alte Mutter allein wischen, waschen und fegen.
Das war die eitle Margareth, die putzte sich schon am Morgen;
Da mußte die alte Mutter allein Küche und Keller besorgen.
Das war die schöne Margareth, die thät den Burschen gefallen;
Sie tanzten und kosten gern mit ihr, doch nahm sie keiner von allen.
264
Das war die verlassene Margareth, es kamen und gierigen die Jahre,
Vorbei war Putz und Spiel und Tanz, die Mutter lag auf der Bahre.
Das ist die hungrige Margareth, sie mag die Hand nicht rühren,
Dort kommt sie mit dem Bettelsack und bettelt vor den Thüren.
249.
Frau Holle.
von den brüdorn Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. I, 133.
Line witwe hatte zwei töchter, davon war die eine schön
und fleiszig, die andere häszlich und faul. sie hatte aber die
häszliche und faule, weil sie ihre rechte tochter war, viel lieber,
und die andere muszte alle arbeit thun und der aschenputtel im
hause sein, das arme mädchen muszte sich täglich auf die grosze
strasze bei einem brunnen setzen und muszte so viel spinnen, dasz
ihm das blut aus den fingern sprang, nun trug es sich zu, dasz
die spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den
brunnen und wollte sie abwaschen: sie sprang ihm aber aus der
band und fiel hinab, es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte
ihr das Unglück, sie schalt es heftig und war so unbarmherzig,
dasz sie sprach: ‘hast du die spule hinunter fallen lassen, so hol
sie auch wieder herauf.’ da gieng das mädchen zu dem brunnen
zurück und wuszte nicht, was es anfangen sollte; und in seiner
herzensangst sprang es in den brunnen hinein, um die spule zu
holen, es verlor die besinnung, und als es erwachte und wieder
zu sich selber kam, war es auf einer schönen wiese, wo die sonne
schien und viel tausend blumen standen, auf dieser wiese gieng es
fort und kam zu einem backofen, der war voller brot; das brot
aber rief: ‘ach, zieh mich ’raus, zieh mich ’raus, sonst verbrenn’
ich; ich bin schon längst ausgebacken.’ da trat es herzu und
holte mit dem brotschieber alles nach einander heraus, danach
gieng es weiter und kam zu einem bäum, der hieng voll äpfel
und rief ihm zu: ‘ach, schüttel’ mich, schüttel’ mich, wir äpfel
sind alle mit einander reif.’ da schüttelte es den bäum, dasz die
äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr
oben war; und als es alle in einen hausen zusammen gelegt hatte,
gieng es wieder weiter, endlich kam es zu einem kleinen haus,
daraus guckte eine alte frau; weil sie aber so grosze zähne hatte,
ward ihm angst, und es wollte fortlaufen, die alte frau aber rief
ihm nach: ‘was fürchtest du dich, liebes kind? bleib bei mir;
wenn du alle arbeit im hause ordentlich thun willst, so soll dir’s
gut gehn, du muszt nur acht geben, dasz du mein bett gut machst
und es fleiszig aufschüttelst, dasz die federn fliegen, dann schneit
es in der weit; ich bin die frau Holle.’ weil die alte ihm so gut
265
zusprach, so faszte sich das mädchen eiu herz, willigte ein und
begab sich in ihren dienst, es besorgte auch alles nach ihrer
Zufriedenheit und schüttelte ihr das bett immer gewaltig auf, dasz
die federn wie Schneeflocken umher flogen; dafür hatte es auch
ein gutes leben bei ihr, kein böses wort und alle tage gesottenes
und gebratenes, nun war es eine zeit lang bei der frau Holle,
da ward es traurig und wuszte anfangs selbst nicht, was ihm fehlte;
endlich merkte es, dasz es keimwek war; ob es hier gleich viel
tausendmal besser gieng als zu haus, so hatte es doch ein ver-
langen dahin. endlich sagte es zu ihr: ‘ich habe den jammer
nach haus kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten
geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich musz wieder
hinauf zu den meinigenf die frau Holle sagte: ‘es gefällt mir,
dasz du wieder nach haus verlangst, und weil du mir so treu
gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinauf bringen.’ sie
nahm es darauf bei der band und führte es vor ein groszes tkor.
das thor ward aufgetkan, und wie das mädchen gerade darunter
stand, fiel ein gewaltiger goldregen, und alles gold blieb an ihm
hängen, so dasz es über und über davon bedeckt war. ‘das
sollst du haben, weil du so fleiszig gewesen bist,' sprach die frau
Holle und gab ihm auch die spule wieder, die ihm in den brun-
nen gefallen war. darauf ward das thor verschlossen, und das
mädchen befand sich oben auf der weit, nicht weit von seiner
mutter haus, und als es in den hof kam, sasz der hahn auf dem
brunnen und rief:
‘kikeriki,
unsere goldene jungfrau ist wieder hie.'
da gieng es hinein zu seiner mutter, und weil es so mit gold
bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufge-
nommen.
Das mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als
die mutter hörte, wie es zu dem groszen reichthum gekommen
war, wollte sie der andern, häszlichen und faulen tochter gerne
dasselbe glück verschaffen, eie muszte sich an den brunnen setzen
und spinnen; und damit ihre spule blutig ward, stach sie sich in
die finger und stiesz sich die band in die dornhecke, dann warf
sie die spule in den brunnen und sprang selber hinein, sie kam,
wie die andere, auf die schöne wiese und gieng auf demselben
pfade weiter, als sie zu dem backofen gelangte, schrie das brot
wieder: ‘ach, zieh mich ’raus, zieh mich ’raus, sonst verbrenn’ ich;
ich bin schon längst ausgebacken.’ die faule aber antwortete:
‘da hätt’ ich lust, mich schmutzig zu machen,’ und gieng fort. bald
kam sie zu dem apfelbaum, der rief: ‘ach, schütte!’ mich, schüttel’
mich, wir äpfel sind alle mit einander reif.’ sie antwortete aber:
‘du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den köpf fallen,’
und gieng damit veiter. als sie vor der frau Holle haus kam,
266
fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren groszen zähnen schon
gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. am ersten tag
that sie sich gewalt an, war fleiszig und folgte der frau Holle,
wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele gold, das
sie ihr schenken würde; am zweiten tag aber fieng sie schon
an zu faulenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie morgens
gar nicht aufstehen, sie machte auch der frau Holle das bett
nicht, wie sich’s gebührte, und schüttelte es nicht, dasz die federn
aufflogen. das ward die frau Holle bald müde und sagte ihr
den dienst auf. die faule war das wohl zufrieden und meinte, nun
würde der goldregen kommen, die frau Holle führte sie auch zu
dem thor ; als sie aber darunter stand, ward statt des goldes ein
groszer kessel voll pech ausgeschüttet. ‘das ist zur belohnung
deiner dienste,’ sagte die frau Holle und schlosz das thor zu. da
kam die faule heim und war ganz mit pech bedeckt, und der bahn
auf dem brunnen, als er sie sah, rief:
‘kikeriki,
unsere schmutzige jungfrau ist wieder hie.'
das pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, so lange sie lebte,
nicht abgeben.
250.
Ein Frie-Hofsgang.
Von Vogl.
Balladen, Romanzen, Sagen und Legenden. Wien 1846. S. 313.
$eim Todtengräbcr pocht es an:
‘Mach auf, mach auf, du greiser Mann!
«Thu auf die Thür und nimm den Stab;
Mußt zeigen mir ein theures Grab!'
Ein Fremder fpricht's, mit strupp'gem Bart,
Verbrannt und rauh, nach Kriegerart.
‘Wie heißt der Theure, der Euch starb
Und sich ein Pfühl bei mir erwarb?'
‘Die Mutter ist cs, kennt Ihr nicht
Der Marthe Sohn mehr am Gesicht?'
‘Hilf Gott, wie groß! wie biaun gebrannt!
Hätt' nun und nimmer Euch wkannt!
‘Doch kommt und seht; hier ist der Ort,
Nach dem gefragt mich Euer Wort.
‘Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein,
Nun Euer todtes Mütterlein.'
Da steht der Krieger lang' und schweigt,
Das Haupt hinab zur Brust geneigt.
Er steht und starrt zum theuren Grab
Mit thränenfeuchtem Blick hinab.
Dann schüttelt er sein Haupt unt spricht:
‘Ihr irrt, hier wohnt die Todte nicht;
267
Wie schloß' ein Raum, so eng und klein,
Die Liebe einer Mutter ein!'
251.
Friedrich mit dem gebissenen backen.
von den brüdern Grimm.
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. II, 350. »
Landgraf Albrecht in Thüringen, der unartige, vergasz aller
ehlichen lieb und treue an seinem gemahl und hätte die land-
gräfin gerne mit gift vergeben, konnte aber nicht dazu kommen;
verhiesz also einem eseltreiber, der ihm auf der Wartburg täglich
das küchenkolz zuführte, geld, dasz er ihr nachts den hals brechen
sollte, als ob es der teufel gethan hätte, als nun die dazu be-
stimmte zeit kam, ward dem eseltreiber bange, und er gedachte; ‘ob
ich wohl arm bin, hab ich doch fromme, ehrliche eitern gehabt;
soll ich nun ein schalk werden und meine fürstin todten V endlich
muszte er daran, wurde heimlich in der landgräfin kammer ge-
leitet; da fiel er vor dem bette zu ihren füszen und sagte: ‘gnadet,
liebe fraue!' sie sprach: ‘wer bist du?’ er nannte sich, ‘was hast
du gethan, bist du trunken oder wahnsinnig?’ der eseltreiber
antwortete: ‘schweiget und rathet mir! denn mein herr hat mir
euch zu todten geheiszen; was fangen wir jetzo an, dasz wir beide
das leben behalten?’ da sprach sie: ‘gehe und heisz meinen hof-
meister zu mir kommen.’ der hofmeister gab ihr den rath, sich
zur stunde aufzumachen und von ihren hindern zu scheiden, da
setzte sich die landgräfin bei ihrer söhnlein bette und weinte; aber
der hofmeister und ihre frauen drangen in sie, zu eilen, da es
nun nicht anders sein konnte, gesegnete sie ihre kinder, ergriff
das älteste, namens Friedrich, und küszte es oftermal; und aus
sehnlichem mütterlichen herzen bisz sie ihm in einen backen, dasz
er davon eine narbe bekam, die er zeitlebens behalten, daher
ihm auch erwachsen, dasz man ihn genennet: Friedrich mit dem
gebissenen backen, da wollte sie den andern söhn auch küssen;
das wehrte ihr der hofmeister und sprach: ‘wollt ihr die kinder
umbringen?’ sie sprach: ‘ich hab ihn gebissen, wann er grosz wird,
dasz er an meinen jammer und dieses scheiden gedenkt.’
Also nahm sie ihre kleinode und gieng aufs ritterhaus, wo
sie der hofmeister mit einer frauen, einer magd und dem esel-
treiber an seilen das fenster hinab liesz. noch dieselbe nacht
flüchtete sie auf den Kreinberg, der dazumal dem hersfelder abt
hörte; von da liesz sie der amtmann geleiten bis nach Fulda,
der abt empfieng sie ehrbarlich und liesz sie sicher geleiten bis
nach Frankfurt, wo sie in einem jungfrauenkloster herberge nahm,
268
aber schon im folgenden jähre vor jammer starb. sie liegt zu
Frankfurt begraben.
252.
Das Erkennen.
Von Vogl.
Balladen, Romanzen, Sagen und Legenden. Wien 1816. S. 303.
Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand,
Kommt wieder heim ans dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt;
Bon wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt?
So tritt er ins Städtchen, durchs alte Thor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft hatte der Becher die beiden vereint.
Doch sieh — Freund Zollmann erkennt ihn nicht,
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter wandert nach kurzem Gruß
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.
Da schaut aus dem Fenster sein Schätze! fromm,
'Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!'
Doch sieh — auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter geht er die Straß' entlang,
Ein Thränlcin hängt ihm an der braunen Wang'.
Da wankt von dem Kirchstcig sein Mütterchen her,
'Gott grüß' Euch!' — so spricht er und sonst nichts mehr.
Doch sieh, — das Mütterchen schluchzet voll Lust:
'Mein Sohn!' — und sinkt an des Burschen Brust.
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug' hat ihn doch gleich erkannt.
253.
Die gute Mutter.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 248.
Dm Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rück-
zug aus Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine
Mutter in der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war,
und von dem sie lange nichts erfahren hatte, und ihr Herz hatte
daheim keine Rübe mehr. <Er muß bei der Rheinarmee sein,' sagte
sie, ülnd der liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wird mich zu
ihm führen,' und als sie ans dem Postwagen zum St. Johannis-
thor in Basel heraus und an dell Rebhäusern vorbei ins Sund-
269
gau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Gemüther
sind, die Theilnehmung und Hoffnung bedürfen, und die Schweizer
ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, wa3 sie auf den
Weg getrieben hatte. 'Find ich ihn in Colmar nicht, so geh ich
nach Straßburg, sind ich ihn in Straßburg nicht, so geh ich nach
Mainz.' Die andern sagten das dazn und jenes, und einer fragte
sie: 'WaS ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?' Da wurde
sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte
wohl Major sein, oder so etwas, weil er immer brav war, aber
sie wußte es nicht. 'Wenn ich ihn nur finde,' sagte sie, 'so darf
er auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn.' Zwei Stunden
herwärts Colmar aber, als schon die Sonne sich zu den clsässer
Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern
rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Straße
standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuß, und die Generale
und Obersten standen vor dem Lager beisammen, diseurierten mit
einander, und eine junge weißgekleidete Person von weiblichem Ge-
schlecht und feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren
Armen ein Kind. Die Frau im Postwagen sagte: 'Das ist auch
keine gemeine Person, daß sie nahe bei den Herren steht. Was
gilt's, der, wo mit ihr redet, ist ihr Mann.' Der geneigte Leser
fängt allbereits an, etwas zu merken; aber die Frau im Postwagen
merkte noch nichts. Ihr Mutterherz hatte noch keine Ahnung, so
nahe sie an ihm vorbeigefahren war, sondern bis nach Colmar
hinein war sie still uub redete nimmer. In der Stadt im Wirts-
haus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahlzeit saß, und die
Reisegefährten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr Herz
erst recht zwischen Bangigkeit nnb Hoffnung eingeengt, daß sie jetzt
etwas'von ihrem Sohn erfahren könnte, ob ihn niemand kenne,
und ob er noch lebe, und ob er etwas sei, und hatte doch den
Muth fast nicht, zu fragen. Denn es gehört Herz dazu, eine Frage
zu thun, wo man das Ja so gerne hören möchte, und das Nein
ist doch möglich. Auch meinte sie, jedermann merke es, daß es ihr
Sohn sei, nach dem sie frage, nnb daß sie hoffe, er sei etwas ge-
worden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die Suppe
brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Nocke fest und fragte ihn: 'Kennt
Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von einem ge-
hört, so und so?' Der Diener sagt: 'Das ist ja unser General, der
im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag gegeffen,' und
zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm wenig Gehör
darauf, sondern meinte, es sei Spaß; der Diener ruft den Wirt.
Der Wirt sagt: 'Ja, so heißt der General.' Ein Officicr sagte
, auch: 'Ja, so heißt unser General,' und auf ihre Fragen
antwortete er: 'Ja, so alt kann er fein, und ja, so sieht er aus
und ist von Geburt ein Schweizer.' Da konnte sie sich nicht mehr
halten vor innerer Bewegung und sagte: 'Es ist mein Sohn, den
270
ich suche;' und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig
einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham.
Denn sie schämte sich, daß sie eines Generals Mutter fein sollte,
vor so vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber
der Wirt sagte: Wenn das so ist, gute Frau, so laßt herzhaft Eure
Bagage abladen von dem Postwagen und erlaubt mir, daß ich
morgen iit aller Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch
hinausführe zu Eurem Herrn Sohn in das Lager.' Am Morgen,
als sie in das Lager kam und den General sah, ja so war es ihr
Sohn, und die junge Frau, die gestern mit ihm geredet hatte, war
ihre Schwiegertochter, und das Kind war ihr Enkel. Und als der
General seine Mutter erkannte und seiner Gemahlin sagte: 'Das
ist sie/ da küßten und umarmten sie sich, und die Mutterliebe und
die Kindesliebe, und die Hoheit und die Demuth schwammen in
einander und gossen sich in Thränen ans, und die gute Mutter
blieb lange in ungewöhnlicher Rührung, fast weniger darüber, daß
sie heute die Ihrigen fand, als darüber, daß sie sie gestern schon
gesehen hatte. — Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld
regne zwar nirgends durch das Kamin herab, aber nicht zweihundert
Franken nähme er darum, daß er nicht zugesehen hätte, wie die
gute Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück sah; lind ich
sagte: 'Es ist die schönste Eigenschaft weit aus im menschlichen
Herzen, daß es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige
unverhofft wieder zusammenkommen, und daß eS allemal dazu
lächeln oder vor Rührung mit ihnen weinen muß, nicht ob cs will.'
254.
Räthsel.
Von MiseS.
Gedichte. Leipzig 1841.
Ein weißer Vogel kommt geflogen,
Geflogen über Meer und Land,
Bei Tag und Nacht ist er gezogen,
Da greif' ich ihn mit meiner Hand.
Nun heb nur an dein Lied zu singen!
Ich harrte lange schon darauf. —
Er schweigt; da brech' ich, ihn zu zwingen,
Ihm seinen rothen Schnabel auf.
255.
Goethe's Mutter an ihre lieben Enkelein.
a.
Briefe der Frau Rath. Leipzig 1855. S- 10.
Den 14. October 1789.
Liebe Luise!
Daß Dir das überschickte Buch Freude gemacht hat, ist mir
sehr lieb ; ich wünsche nichts so sehr, als Dir und Deinen lieben
271
Geschwistern immer ein kleines Vergnügen verschaffen zu können.
Daß Du meine gut gemeinten, aber sehr gekritzelten Briefe so werth
hältst, daß Du sie so wohl aufhebst, freut mich gar sehr; denn Schreiben
ist eben so eigentlich meine Sache nicht, und meine Briefe haben,
wenn ich nicht ganz besonders dazu aufgelegt bin, gar oft weder
Muster noch Geschick. Desto mehr schmeichelt es mir, daß Du sie
so viel werth hältst, um sie aufzuheben. Ja, wenn ich so schön
schriebe, wie meine Luise! Potzfischchen! da sollte die ganze Thristenheit
Briefe von mir erhalten. Nun nun, jeder hat so seine eigene
Gabe, und wenn ich in den langen Winterabenden bei Glich wäre,
wollte ich mein Licht schon leuchten lasten und Euch durch anmutbige
Geschichten, schöne Märlein die Zeit so vertreiben, daß es eine
Art und Schick haben sollte. Jetzt muß ich noch an die liebe Julie
schreiben. Lebe also für diesmal wohl und behalte lieb
Deine
treue Großnuitter
Elisabeth Goethe.
b.
Briefe der Frau Rath. Leipzig 1855. S. 11.
Den letzten Tag im Jahre 1792.
Liebe Enkelein!
An Euch alle ist dieser Brief gerichtet; wollte ich jedem von
Euch sein liebes Schreiben einzeln beantworten, so möchte mir die
Zeit mangeln, und Ihr müßtet lange auf meine Danksagung
für die Freude, so Ihr mir durch Eure lieben und herzlichen Briefe
gemacht habt, warten. Liebe Kinder! das Christgeschenk kann Euch
unmöglich mehr Freude gemacht haben, als mir Eure Briefe.
Sagt selbst, was mir tröstlicher und erquickender sein könnte, als
Enkel zu habeu, die so dankbar gegen mich sich betragen, die so
liebevoll meiner gedenken, die mit warmem Gefühl trotz der Ent-
fernung mich so lieben und ehren. Liebe Enkelein! machet mir in
dem kommenden Jahr ebenso viele Freude, wie im zu Ende gehenden;
behaltet mich in gutem Andenken, nehmet auch in diesem Jahr so
wie an Alter, also auch an allem, was Eure lieben Eltern, mich
und alle guten Menschen erfreuen kann, immer mehr und mehr
zu; so wird Gott Euch segnen, unb alle, die Euch kenlien, werden
Euch lieben und hochschätzen, — besonders aber diejenige, die
beständig war, ist und bleibt
Eure
Euch herzlich liebende Großmutter
Elisabeth Goethe.
272
256.
Ein alter deutscher Spruch.
Mitgetheilt von Herder.
Werke.
Befiehl dich Gott,
Sei stark in Noth,
Bedenk den Tod,
Gieb Armen Brot.
Tübingen 1807. VIII, 511.
Der Wett Geschmeiß,
Dich stets entreiß;
Mit höchstem Fleiß
Den Herren preis.
Erduld und leid,
Und keinen neid,
Fleuch Krieg und Streit,
Hab Acht der Zeit.
In Freud und Scherz,
In Leid und Schmerz
Dein Sinn und Herz
Gedenk' aufwärts.
Auf dich selbst schau,
Nicht allen trau,
Auf Gunst nicht bau,
Sei nicht genau.
Halt deinen Btlnd,
Regier den Mund,
Hüt dich vor Sünd
Und bösem Fund.
Halt dich fein rein,
Sei gern allein,
.Laß andre sein,
Getreu es mein'.
Wer solches liebt,
Daran sich übt,
Wird nicht betrübt,
Gott Freude giebt.
257.
Frau Mildheim.
Von Lohr.
Plaudereien, herausgeg. von Dilmar. Marburg 1850. II, 33.
Ein Greis und ein kleiner Knabe kommen an einem schwulen
Erntetage au das Hau8 der Frau Mildheim und setzen sich matt
und erschöpft auf die Bank, welche vor dem Hause war.
Frau Mildheim kommt aus ihrem Hause, und der Greis bittet
sie um eine kleine Gabe.
Frau Mildheim erkundigt sich und hört, daß der Greis eine
weite Reise vor hat. Er will mit dem Knaben, der sein Enkel ist,
zu einem Bruder. <Jch hoffe,' sagt er, 'dort ein Plätzchen zu finden,
wo man mich alten, schwachen Mann aufnimmt und den Knaben,
dessen Eltern todt sind, erzieht. Ich bin.nicht im Stande, den
armen Jungen zu nähren; ich kann mich selbst nicht mehr erhalten!
Ach, wer nur erst hin wäre!'
Frau Mildheim nimmt den Greis und den Knaben in eine
Strebe, damit sie ausruhen können; sie läßt ihnen zu essen und
zu trinken reichen, und beide erholen sich, und der Knabe sagt zu
dem. Greis: Mun kann ich wieder marschieren, Großvater!'
' Beim Weggehen giebt Frau Mildheim dem Greis noch einiges
Geld, damit er unterwegs sich mit dem Knaben erquicken könne.
273
Mit Vergnügen haben die Kinder der Frau Mildheim gesehen,
wie die Mutter beit Alten und den Knaben gepflegt und be-
schenkt hat.
Einige Stunden darauf kommen zwei andere Menschen, ein
rüstiger Mann mit einer Zither und ein starker Jüngling mit einer
Geige, und wollen vor dem Hause der Frau Mildheim spielen, um
dafür Geld zu bekommen; sie hatten schon vor vielen Häusern
gespielt.
'Ich gebe nichts,' ruft Frau Mildheim den Leuten zu, und
diese gehen weiter.
Die Kinder wundern sich, daß die Mutter diese Leute abweist.
<Warum giebst du den armen Leuten nichts?' fragt eins von den
Kindern.
'Es wäre Unrecht,' antwortet die Mutter, 'diesen Leuten zu
geben: es sind Faulenzer. Wenn sie arbeiten wollten, so hätten
sie jetzt in der Ernte genug zu thun!'
Indem die Mutter so sprach, kam ein Knabe mit einer großen
Baßgeige aus dem Rücken, die er kaum tragen konnte. Man sah
wohl, daß er gu den beiden Größer» gehörte, die eben hatten
spielen wollen.
'Das sind schlechte Menschen!' sagten die Kinder. 'Der
schwache arme Junge muß das Schwerste tragen, unb sie haben
sich das Leichteste genommen!'
258.
Der heilige Graal.
Von Friedländer.
Norddeutsche Jugendzeitung. I, Nr. 35.
^er König Artus von Engelland
Sitzt an der Tafelrunde;
Der Becher geht von Hand zu Hand
Und von der Hand zum Munde.
Es weckt der feur'ge Rebensaft
Manch gutes Wort voll Ernst u. Kraft,
Wie's ziemt der edlen Ritterschaft,
Zu guter Stell' und Stunde.
Und nur der Zauberer Merlin,
Der weiseste der Weisen,
Bleibt still und stumm; es reizen ihn
Nicht Wein, noch leckre Speisen.
Er sitzet still, er fitzet stumm;
NurziehtdieStirn sich krausu. krumm,
Wenn ihre Thaten rings herum
Die Helden rühmend preisen.
ColShorn u. Eödeke's Lesebuch I.
Der König schaut ihm ins Gesicht
Und spricht: 'Du Licht der Welten,
Es scheinen unsre Thaten nicht
Dir eben viel zu gelten.
Allein wer ist, der Größres thut?
Verspritzen wir mit hohem Muth
Für Gott u. Recht nicht unser Blut?
Willst du uns darum schelten?'
Antwortet drauf der kluge Greis:
'Will schelten nicht, noch loben;
Euch rühmt der weite Erdenkreis,
Euch kennt der Himmel droben.
Doch eures Ruhmes künft'ges Los,
Ob euer Thun auch wahrhaft groß,
Ob nicht die Frucht des Irrthums bloß,
Ihr sollt es selbst erproben!
18
274
Durch meines Zaubers hohe Macht
Erschuf ich diese Schale,
Aus einem einzigen Smaragd
Geschnitten zum Pokale.
Und rühmet sich ein tapfrer Held,
Derweil er sie in Händen hält,
Nur einer That, die Gott gefällt,
Füllt sich's im Heilgen Graale;
'Füllt sich mit einem Labetrnnk,
Der stammt aus bessern Zonen;
Er ist des Himmels höchster Dank,
Die Tugend zu belohnen;
Denn jedem, der den Trank geleert,
Ist höchstes Erdenglück beschert.
Und jenseits wird es ihm gewährt,
In Gottes Schoß zu wohnen.'
So sprichtMerlin. Die Ritter schaun
Umher mit frohen Mienen;
Glaubt jeder doch voll Selbstvertraun
Den Preis längst zu verdienen.
Nur, welche aus der Thaten Reih'
Am meisten gottgefällig sei,
Bedenken sie; — doch einerlei!
Genügend scheint die kleinste ihnen.
Herr Perzival steht auf alsbald-,
Ein Manne, weit gepriesen:
'Bekämpft hab' ich im nahen Wald
Den ungeschlachten Riesen.
Ihr wißt, wie groß und stark er war;
Ich achtete nicht der Gefahr,
Ich schlug ihn, und wie immerdar
Hab' ich mich brav erwiesen.'
Sagt's und bezweifelt nimmermehr,
Daß nicht der Trank sich zeige;
Doch ach! cs bleibt die Schale leer.
Auch nicht die kleinste Neige.
Merlin spricht: 'Nie that er ein Leid ;
Du schlugst ihn nur aus Eitelkeit!
Und solches Werk wär' gottgeweiht?—
Geh in dich, Thor, und schweige!'
Sogleich erhebt sich Held Roland,
Spricht also donnertönig:
'Mit dieser meiner starken Hand
Stets dient' ich meinem König.
Und unter seines Zepters Macht
Hab' ich in mancher heißen Schlacht
'Manch'unbezwung'nes Volk gebracht
Und halte cs ihm fröhnig.'
Sagt's und bezweifelt nimmermehr,
Daß nicht der Trank sich zeige;
Doch ach! es bleibt die Schale leer,
Auch nicht die kleinste Neige.
Merlin spricht: 'Glaubst du, wahn-
berückt,
Daß Gottes Gnade den beglückt,
Der frech ein edles Volk erdrückt? —
Geh in dich, Thor, und schweige!'
Das Kleinod faßt Herr Lanzelot:
'Mir ist der Preis beschieden!
Mein Thun weiht' ich dem ew'gen
Gott,
Und nicht für Lohn hienieden.
Vertilget hab' ich ganz und gar
Mit Feu'r u. Schwert die freche Schar
Ungläub'ger Heiden, und, fürwahr,
Nie geb' ich ihnen Frieden!'
Sagt's u. bezweifelt nimmermehr,
Daß nicht der Trank sich zeige;
Doch ach! es bleibt die Schale leer,
Auch nicht die kleinste Neige.
Merlin spricht: 'Meinst du ungescheut.
Daß Gott an Götzendienst sich freut,
Der Menschen ihm zum Opfer beut? —
Geh in dich, Thor, und schweige!'
Er schweigt, und alles schweigt voll
Scheu;
Wer mag sich noch erfrechen,
Wenn solche Thaten eitel Spreu,
Von seinem Thun zu sprechen?
Der König fragt, den Blick gesenkt:
'Wenn diese Männer Gott gekränkt,
Wer ist's denn, dem er Gnade schenkt,
Nach seines Worts Versprechen?'
Und jeder fraget dergestalt,
Und lächelnd winkt der Weise:
Da thut sich auf ein kleiner Spalt
Der Thür, und leise, leise
Schleicht, wie beschämt, einMägdelein,
Des Königs Kind, zur Thür herein,
Duckt sich, will nicht gesehen sein
Und birgt sich in dem Kreise.
Voll Zorn ruft ihr der König zu:
'Du böse Dirne, sage,
Warum doch giebst tagtäglich du
Mir gleichen Grund zur Klage?
Was ist's ? Was treibet dich vom Tisch,
275
Warum verschmähst du Fleisch u. Fisch,
Der Schüsseln köstliches Gemisch,
Nun schon so viele Tage?
"Und mehr noch! Unterm Kleid
versteckt
Trägst von den Speisen allen
Du, was dem leckern Gaum nicht
schmeckt,
Verächtlich in die Hallen.
Dort streust du wohl, du schlimmes
Kind,
Die Gottesgabe in den Wind!
Vermeinst du, daß das Thaten sind.
Die Gott dem Herrn gefallen?'
Erröthend tief dasMägdlein spricht:
"Mein Vater und mein König!
Wohl thu' ich, wie du sagst; doch nicht
Die Gottesgabe höhn' ich.
Wie nähm' ich gern von Fleisch u. Fisch,
Der Speisen köst iches Gemisch!
Doch mein Gelüst besieg' ich frisch,
Und nicht dem Gaumen fröhn' ich.
"Ich brauchte ja, so alt ich bin,
Noch niemals zu entbehren;
Da denk' ich nun in meinem Sinn,
Das kann ich selbst mich lehren.
Den Armen, die da draußen stehn
Und um ein Stücklein Brotes flehn,
Mag's denen einmal besser gehn; —
Das wird mir Gott nicht wehren!'
Des Zaubrers Auge glänzet hell;
Das Kind berührt die Schale;
Und siehe! ein lebend'ger Quell
Entsprudelt dem Pokale.
Es spricht Merlin: "Die größte That
Vollbringt, wer sich besieget hat.
Gesegnet seist du früh und spat;
Trink aus dem Heilgen Graale!'
Das Mägdlein schaut nicht auf,
noch um,
Und ohne viel Besinnen
Trägt sie die Schale, lächelnd, stumm,
Den Armen zu, von hinnen.
Merlin spricht: "Du hast Recht, o
Maid!
Beglückt bist du für alle Zeit
Und wirst die ew'ge Seligkeit
Auch ohnedies gewinnen!'
259.
Der Iahn.
Von Jacobs.
Oie Feierabende in Mainau 2. Ausl. Leipzig 1813. S. 318.
Ein deutscher Prinz machte eine Reise mit seinem Vater und
seinen Brüdern. Unterwegs bekommt er Zahnweh. Ein Wund-
arzt wird geholt und räth zum Ansziehn. Der Prinz erschrickt;
aber da ihn sein Vater bei der Hand nimmt und ihm Muth ein-
spricht, ist der Zahn ausgezogen, eh er's gedacht hat. Als Schmerz-
geld wird ihm ein großer Thaler geschenkt.
Den Tag darauf kehren sie in einem armen Städtchen ein.
Der kleine Prinz springt im Garten herum. Da kommt ein armer
Mann und stellt ihm sein Elend höchst beweglich vor. Da schenkt
ihm der Prinz seinen Thaler. Nun kommen auch noch andre
Arme, und der Prinz giebt einem jeden etwas, so lange sein Wochen-
geld reicht. Wie nun das alle war, kommt noch eine arme blinde
Fr aut, gebückt, mit einem Stocke, woran ein keines Mädchen sie
führ, und stellt dem Prinzen ihr Elend gar kläglich vor. Der
sticht und sucht; aber seine Taschen sind leer. Da sagt er der
Frau, daß sie warten soll, läuft zu seinem ältern Bruder und
18*
276
bittet ihn um einen Thaler. Der wundert sich und sagt: "Du
hast ja einen.' — "Ja, der ist fort.' — "Aber wie willst du
mich denn wieder bezahlen? Du bist mir so noch Geld schuldig? —
"Sei deshalb ohne Sorgen,' antwortet der kleine Prinz. "Ich
lasse mir morgen wieder einen Zahn ansreißen, da bekomm' ich
gewiß wieder einen Thaler dafür.'
Nun, und was that der ältere Prinz?
Ja, der schenkte ihm den Thaler.
Und der Zahn?
Den wird er wohl behalten haben.
260.
Des fremden Rindes heiliger Christ.
Von Nückert.
Gedichte. Bd. I. 5. Aufl.
Es läuft ein fremdes Kind
Am Abend vor Weihnachten
Durch eine Stadt geschwind,
Die Lichter zu betrachten.
Die angezündet sind.
Es steht vor jedem Haus
Und steht die hellen Räume,
Die drinnen schaun heraus,
Die lampenvollen Bäume;
Weh wird's ihm überaus.
Erlangen 1840. S. 75.
Ein jeder Vater lenkt
Den Sinn auf seine Kinder;
Die Mutter sie beschenkt,
Denkt sonst nichts mehr noch minder;
Ans Kindlein niemand denkt.
*£) lieber heilger Christ,
Nicht Mutter und nicht Vater
Hab' ich, wenn du's nicht bist;
O, sei du mein Berather,
Weil man mich hier vergißt.'
Das Kindlein weint und spricht:
"Ein jedes Kind hat heute
Ein Bäumchen und ein Licht
Und hat dran seine Freude,
Nur bloß ich armes nicht.'
'An der Geschwister Hand,
Als ich daheim gesessen,
Hat es mir auch gebrannt;
Doch hier bin ich vergessen,
In diesem fremden Land.
"Läßt mich denn niemand ein?
Ich will ja selbst nichts haben,
Ich will ja nur am Schein
Der fremden Weihnachtsgaben
Mich laben ganz allein.'
Es klopft an Thür und Thor,
An Fenster und an Laden;
Doch niemand tritt hervor,
Das Kindlein einzuladen;
Sie haben drin kein Ohr.
Das Kindlein reibt die Hand;
Sie ist von Frost erstarret;
Es kriecht in sein Gewand
Und in dem Gäßlein harret,
Den Blick hinausgewandt.
Da kommt mit einem Licht
Durchs Gäßlein hergewallet
Im weißen Kleide schlicht
Ein ander Kind; wie schallet
Es lieblich, da es spricht:
"Ich bin der heil'ge Christ,
War auch ein Kind vordessen,
Wie du ein Kindlein bist;
Ich will dich nicht vergessen,
Wenn alles dich vergißt.
"Ich bin mit meinem Wort
Bei allen gleichermaßen;
Ich biete meinen Hort
So gut hier auf den Straßen,
Wie in den Zimmern dort.
277
«Ich will dir deinen Baum,
Fremd Kind, hier lassen schimmern
Auf diesem offnen Raum,
So schön, daß die in Zimmern
So schön sein sollen kaum.'
Da deutet mit der Hand
Christkindlein auf zum Himmel,
Und droben leuchtend stand
Ein Baum voll Sterngewimmel
Vielästig ausgespannt.
So fern und doch so nah,
Wie funkelten die Kerzen!
Wie ward dem Kindlein da,
Dem fremden, still zu Herzen,
Das seinen Christbaum sah!
Es ward ihm wie ein Traum;
Da langten hergebogen
Englein herab vom Baum
Zum Kindlein, das sie zogen
Hinauf zum lichten Raum.
Das fremde Kindlein ist
Zur Heimat nun gekehret
Bei seinem heil'gen Christ;
Und was hier wird bescheret,
Es dorten leicht vergißt.
261.
Der kleine Dcrgmannsknabe.
Von Schubert.
Altes und Neues. Leipzig 1817—1841- Bd. I, 22.
'Was ich thue, daè weiht du jetzt nicht, du wirst es aber Hernachmals erfahren.' Joh. 13, 7.
Johann Gottlob Anger war zìi Ober-S. bei S>, im sächsi-
schen Erzgebirge, im Jahr 1768 geboren. Er war der jüngste
Sohn einer herzlich guten, aber armen Bergmannsfamilie. Als in
den Jahren 1771 und 1772 die Theurung und der Mangel, be-
sonders in dem armen sächsischen Erzgebirge, sehr groß war, reichte
das, was seine Eltern durch ihre Arbeit verdienten, nicht mehr
hin, um sie und ihre vielen Kinder zu sättigen. Wie damals in
vielen tausend armen Hütten, legten sich auch in der armen Hütte
der guten, siillen Bergmannsfamilie Eltern und Kinder an den
meisten Abenden hungernd und nach Brote weinend, und doch auch
immer wieder gestärkt und aufrecht erhalten durchs gemeinschaft-
liche Gebet und Vertrauen zu Gott, auf ihr armes Lager. Die
Noth gab damals den armen Menschen gar viele vorher nie ver-
suchte Mittel, sich zu sättigen, an die Hand, wovon manche wohl
sehr traurig waren. Einige buken sich eine Speise aus Kartoffeln-
schälern und andern als unbrauchbar für die Küche weggeworfenen
Abgängen, die sie vor den Häusern der etwas wohlhabenderen
Bauern und Bürger aus dem Staube auflasen; andre suchten
wohl, so lange sie noch Kräfte zum Gehen oder auch nur Fort-
kriechen hatten, ihre Speise an noch traurigeren Orten. Je mebr
die Theurung zunahm, desto seltner wurde auch die Gelegenheit,
etwas zu verdienen; denn üb einigen Gegenden wollten die meisten
Bauern und Bürger keine Tagelöhner und Handarbeiter mehr
dingeil, weil sie nicht im Stande waren, ihnen Brot 511 geben.
278
Der Winter von 1770 auf 71 war wohl recht jammervoll.
Die Noth nahm immer zn, überall, wo man hinsähe, traurige,
bleiche Gesichter, die einander gegenseitig den Muth nur noch mehr
benahmen, statt zu stärken; aus der Gasse sahe man abgezehrte
oder auch krankhaft geschwollene, hungernde Kinder, die nicht, wie
sonst, muthig kindlich herumliefen, sondern schlichen und ganz stille
waren; dazu war auch in dem traurigen Winter der Himmel fast
immer trübe llind neblicht, eine,, fast beständige feuchte Kälte. Am
Abend brannte wohl in den Ösen der armen Hütten das Feuer
wie sonst, aber es war nichts, gar nichts da, >vas die Mutter ans
Feuer setzen konnte; die kleinern Kinder zogen den Tischkasten her-
aus, wo sollst iu besseren Zeiten das übrig bleibende Brot gelegen
hatte, und seichten hinter dem alten Gebetbuch nach alten Bröckchen,
die sich vielleicht da noch verhalten hatten, aber sie fanden nichts,
denn es war schon lange kein Brot hineingekommen, weil nichts
übrig blieb, und die Mutter hatte scholl öfters deu Tischkasten ganz
umgestürzt und die gefundenen Brosamen den kleinsten Kinderil
zusammengekehrt und gegeben. Wenn sie denn gar nichts fanden,
weinten die Kleinen, während das größere Töchterchen begierig an
dem Tuche leckte, worinileil die Mutter gesteru Mebl geholt hatte,
und der größere Knabe den hölzernen Öeller abschabte, worauf
der Mehlbrei gewesen war, bis der Vater, der auch vor Hunger
matt war, traurig sagte: Mun ihr Kinder, laßt uns das Abend-
gebet mit eiilander beten und zu Bette gehen!'
Wenn dann am Morgen die Kleinen wieder aufwachten, und
die Mutter konnte ihnen keine Milch geben, weil die Ziege schon
lange alls Noth verkauft oder geschlachtet war, da schaute sie wohl
manchmal tiefsehnend aus dem Fenster hiilaus, wenn wieder ein
Sarg vorbeigetragen wurde, und dachte: ^Selig, glücklich sind die,
die in dem Herrn sterben; denn sie werden ruben von ihrer Ar-
beit, ruhen von ihrem Elend, in der tiefen stillen Kammer, wo sie
nicht hören mehr und versagen müssen die Bitte der unschuldigen
hungernden Kinder.'
Als auch die arme Bergmannsfamilie ihren reichlichen Antheil
an der Noth zu tragen hatte, da gab das Mitleid und die zärtliche
Liebe der Mutter ein Mittel ein, wie sie ihren jüngsten, liebsten Sohn,
den zweijährigen Johann Gottlob, von dem Hungertod, dem ein so
zartes Kind leicht wäre ausgesetzt gewesen, retten konnte. Sie trug
nämlich den Knaben täglich hin zn einem Bäcker und ließ ihn in der
Nähe des Backofens, während sie aufs Tagelohn gieng, stundenlang
sitzen, damit er den nahrhaften Dampf des frischen Brotes ein-
athme. Die mitleidige, aber selber arme und an Kindern reiche
Bäckersfrau gab dann dem Kleinen wohl zuweilen auch einige Bissen.
So wurde öer Knabe jenen Winter hindurch, wo so unzählig viele
arme Kinder von seinem zarteil Alter starben, beim Leben erhalten.
Da nun der Frühling 1771 wieder kam, und die Wiesen
279
wurden wieder munter, faßten die Armen auch wieder Muth und Hoff-
nung. Die Eltern der Bergmannsfamilie giengen nach Tagelohn,
die größeren Kinder mit ihnen, die kleineren wurden angewiesen,
außen aus den Wiesen Primeln, aufknospende Scabiosen und andre
Kräuter zusammen zu lesen, die sie dann in der Apotheke ver-
kaufen sollten. Da war einmal der kleine, noch nicht dreijährige
Johann Gottlob ganz allein auf der Wiese und suchte Scabiosen.
Die Sonne verbarg sich schon hinter dem Berge, ihn hungerte
sehr, er wollte so gern nach Hause zur Mutter, und doch kam
keines seiner Geschwister ihn abzuholen. Da sieht er einen Post-
boten vorbeigehen. Er glaubt, es sei der nämliche Mann mit
gelbem Nock und zinnernem Brustschild, der beinahe täglich von
S. aus durch Ober-S. und dann bei seiner Eltern Hause vorbei
gieng, und hinter dem er wohl öfters schon, aus kindischer Freude
au dem gelben Rocke und zinnernen Brustschild, ein Stückchen
Weges darein gelaufen war. Der Kleine läuft auch jetzt hinter
dem Manne im gelben Rock kindlich arglos drein und glaubt, der
soll ihn an das Haus seiner Eltern führen. Er bemerkt es nicht,
daß der Postbote einen ganz andern Weg geht, statt im Thal hin-
unter den Berg hinauf, statt gegen Osten nach Westen.
Der zarte Knabe läuft, so gut er kaun, mck dem Postboten,
der nach der Art dieser guten, wortlosen Menschen kein Wort zu
ihm spricht, bis zur Abenddämmerung. Da geht der Postbote in ein
Wirtshaus hinein iinb ißt etwas. Der Kleine setzt sich, jenem
sehnsüchtig zusehend, ihm gegenüber. Da reicht ihm der Postbote
ein gutes Stück von seinem Brot und Käse und fragt ihn, wo er
hin wolle. Der Kleine sagt: Mach Ober-S? — 'Da bist du,'
sagt jener, 'weit davon; von da nach S. ist's zwei Stunden, du
bist ja hinter mir drein immer gerade von Ober-S. weggelaufen,
statt hin? Darüber fängt nun der kleine Junge bitterlich an zu
weinen, der Postbote nimmt sein Felleisen iinb sagt zu ihm: 'Jetzt
bleib nur da, bis ich morgen wieder komme; dann will ich dich
wieder mit nach S. nehmen?
Der arme Junge, der sich in der Wirtsstube unter lauter
fremden Gesichtern sieht, weint den ganzen Abend nach der Mutter
und schläft endlich auf der Ofenbank ein. Am andern Morgen,
da niemand auf das Kind achtet, läuft es, seine welken, für die
Mutter gepflückten Scabiosen noch immer fest in der Hand haltend,
fort. Am Mittag speist und erquickt ihn eine mitleidige Bauern-
familie reichlich, am Abend wieder, und da er immer noch nach
seinem S. fragt und immer hört, es sei ein paar Stunden dahin,
läßt er sich's endlich in kindlicher Unüberlegtheit gefallen, so den
Tag über zwischen den grünen Feldern und blühenden Bäumen
herum zu laufen und am Mittag utib Abend doch immer seine
Mahlzeit bei mitleidigen Menschen zu stnden; er wirft die welken
Scabiosen aus der Hand und weint nur noch am Abend, wenn
280
er zuweilen in Häusern ist, wo ihn die Leute nicht so freundlich
ansehen, nach der Mutter.
So wandert der Kleine, der durch sein hübsches Gesicht und
sein gar gutes, treuherzig blickendes Auge, so wie, wenn man ihn
darum fragt, durch seine treuherzige Erzählung überall Mitleiden
weckt, eine ziemlich lange Zeit von Ort zu Ort. Bald pflegen
seiner mitleidige Bauern, oder eine gute Predigersfrau reinigt und
erquickt ihn, wohlmeinende Edelfrauen geben ihm Geld und Kleider.
Geld zwar achtet er anfangs nicht, sondern giebt es andern armen
Kindern; da er aber einmal von diesen bemerkt, daß man auch
gutes, weißes Brot an Bäckerläden haben kann, wenn man dem
Bäcker Geld giebt, lernt er nach und nach auch den Werth dieses
Almosens kennen.
Endlich kommt er in eine, ihm damals sehr groß und prächtig
scheinende Stadt, wahrscheinlich Zwickau. Die große Theurung
im Gebirge hatte damals viele Arme nach den Städten hingezogen,
die am Tage ihren Bissen Brot vor den Thüren der mitleidigeren
Bürger suchten und bei Nacht außen vor der Stadt schliefen. Der
Kleine hatte bisher noch nie eigentlich gebettelt, sondern, wenn ihn
hungerte, sich immer nur vor die Thüren still hingestellt und ge-
wartet, bis man ihn anredete und ihn zum Essen einlud; unter
die Hansen der Almosen stehenden Armen gemischt, lernte er aber
nun auch von diesen, um Almosen bitten. Dem kleinen, zarten,
treuherzigen Knaben gab jedes reichlich, und er brachte gewöhnlich,
wenn er nicht über dem Spielen mit andern armen Kindern das
Almosenbitten vergaß, am Tage über so viel zusammen, daß er
nur den geringsten Theil des empfangenen Brotes zu essen ver-
mochte. Da nahm er denn am Abend seinen ganzen Vorrath an
Brot und Geld und gieng in der Vorstadt in eine Hütte, die ihm
die ärmste schien und wo viele hungrige Kinder waren, denen gab
er sein ganzes Brot und Geld und hatte dafür in der Hütte sein
Obdach. So wurde er wirklich — denn das mitgebrachte Almosen
ward immer reichlicher, weil der Kleine und seine ihm stückweise
abgefragte Geschichte in der Stadt immer bekannter wurde —
gerade in der Zeit des größten Mangels der wirkliche Erhalter
und rettende Engel einiger ganz armen und kinderreichen Familien,
die entweder zu schüchtern waren, um selbst Almosen zu erstehen,
oder nicht das Glück hatten, so viel zu bekommen, wie der kleine
Bergmannsknabe.
Auf jene Weise erhielt sich und andre der verirrte Knabe
während der ganzen Zeit der großen Theurung, die indessen im
höheren Erzgebirge von Monat §u Monat so heftig zugenommen
hatte, daß an der ans dieser Noth entstehenden Seuche ungemein
viele arme Familien ganz ausstarben, und viele arme Hütten ihre
ganzen Bewohner verloren. Nachdem er lange in der Stadt und
dann auch, da er aus Liebe zur Veränderung sie verließ, außer
281
ihr feinen täglichen Unterhalt gefunden, reichlicher als jemals in
der armen Hütte seiner Eltern, kommt er einmal an einem Herbst-
abend, da eben die Sonne über den Türmen einer auf der nahen
Anhöhe liegenden Stadt untergehen wollte, auf eine Berghöhe,
von der er unten im Thal ein Dorf mit einer kleinen Kirche liegen
steht. Das Dorf und die Kirche kommen ihm so bekannt vor,
und, nun schon dreister geworden, fragt er einen Bauer, der auf
der Auhöhe ackert, wie der Ort hieße. Der antwortet: <Ober-S.'
Da läuft der Kleine, vor Freude außer sich, den Berg hinunter
und kommt noch in der Dämmerung ins Dorf. Er findet gar
bald. die wohlbekannte, liebe Hütte seiner Eltern, klopft an der
Thüre an, aber die ist und bleibt verschlossen. Aber an der hintern
Seite des Häuschens, nach oben, befand sich ein Laden, der ge-
wöhnlich— denn Diebe fürchtet ein armer guter Bergmann nicht —
immer offen stund. Auch jetzt war er geöffnet, und der Kleine
kletterte hinauf, wie er sonst öfters seine älteren Brüder hatte hin-
aufklettern sehen. Aber innen im Haus war alles still, und der
Knabe, der glaubt, es schlafe schon alles, legt sich auch gauz
still in einen auf dem Boden stehenden offnen Kasten, worinnen
alte Kleider und Lumpen lagen. Zum erstenmale wieder in dem
Hause seiner lieben Mutter, erwacht er am andern Morgen über-
aus froh und heiter, springt herunter, öffnet Hausthüre uud Fen-
sterläden und sieht sich nun im ganzen Hause um. Aber das ist
still und leerz das Bette, wo sonst seine Mern innen schliefen,
war nicht mehr da, aus sein Rusen antwortet niemand. Endlich
kommt ein Nachbar, verwundert, wer in dem einsamen Hause feil
Da der den Kleinen erkennt, sagt er: *Du böses Kind, wo bist du
gewesen? Deine Eltern und deine Geschwister bis auf eine Schwester
sind alle an der Noth und an der Seuche gestorben, und die
Sorge um dich hat deine Mutter noch in ihrer letzten Stunde
bekümmert.'
Da fängt der arme Junge bitterlich au zu weinen, daß er
seine Mutter, von der er ja gar nicht gerne weggelaufen war,
nicht mehr sehen soll, und daß er sie so betrübt hat. Aber der
ihn bisher so wunderbar aus der sehr wahrscheinlichen Todesge-
fahr gerettet, wunderbar bei der Hand geführt und genährt hatte,
der sorgte nun anch ferner für ihn, erweckte ihm ein mitleidiges
Herz, das sich seiner im Leiblichen sowohl wie im Geistlichen annahm,
und dnrch noch gar viele merkwürdige, aber nicht hierher gehörige
Lebensführungen wurde der Knabe das, was er jetzt ist, ein lieber,
frommer, mit allen Gottesführungen zufriedener Bergmann, dem
man es ansieht und anmerkt, daß er Christum kennt und liebt.
282
262.
Der Jüngling.
Von Geliert.
Fabeln und Erzählungen 2. Ausl. Leipzig 1751. II, 101. — Werke 1769. I, 194-
Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört,
In der der Segen wohnen sollte,
Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte.
"Dort/ sprach er oft, "sei dir dein Glück beschert!'
Er nahm die Reise vor und sah schon mit Vergnügen
Die liebe Stadt aus einem Berge liegen.
"Gottlob!' fieng unser Jüngling an, *
"Daß ich die Stadt schon sehen kann;
Allein der Berg ist steil. O, wär' er schon erstiegen!' —
Ein fruchtbar Thal stieß an des Berges Fuß.
Die größte Menge schöner Früchte
Fiel unserm Jüngling ins Gesichte.
"£)!' dacht' er, "weil ich doch sehr lange steigen muß,
So will ich, meinen Durst zu stillen.
Den Reisesack mit solchen Früchten füllen.'
Er aß und fand die Frucht vortrefflich von Geschmack
Und füllte seinen Reisesack. —
Er stieg den Berg hinan und fiel den Augenblick
Beladen in das Thal zurück.
"O Freund!' rief einer von den Höhen,
"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.
Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt;
Und du nimmst dir noch eine Bürde mit?
Vergiß das Obst, das du zu dir genommen;
Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen.
Steig leer, und steig beherzt, und gieb dir alle Müh;
Denn unser Glück verdienet sie.' —
Er stieg und sah empor, wie weit er steigen müßte;
Ach Himmel! ach! es war noch weit.
Er ruht' und aß zu gleicher Zeit
Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte.
Er sah bald in das Thal und bald den Berg hinan;
Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an.
Er sinnt.' Ja, ja, er mag es überlegen.
"Steig/ sagt' ihm der Verstand, "bemüh dich um dein Glück!'
"Nein/ sprach sein Herz, "kehr in das Thal zurück;
Du steigst sonst über dein Vermögen.
Ruh etwas aus, und iß dich satt,
Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat!'
Dies that er auch. Er pflegte sich im Thale,
Entschloß sich oft zu gehn und schien sich stets zu matt.
Das erste Hindernis galt auch die andernmale.
Kurz, er vergaß sein Glück und kam nie in die Stadt.
Dem Jüngling gleichen viele Christen.
Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt
Und sehn darauf nach ihren Lüsten
283
Und nehmen ihre Lüste mit.
Beschwert mit diesen Hindernissen,
Weicht bald ihr träger Geist zurück,
Und auf ein sinnlich Glück beflissen,
Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück.
263.
Ein Stück Welt und ein Stück Himmelreich.
Von Kart Stöber.
Der Erzähler aus dem Altmühlthalc. Stuttgart 1851. S. 19 — 58- (Gekürzt.)
Gegenwärtig giebt es in Mehren nur einen Pfarrer, iinb
der steht unter dem Krummstab des Bischofs in Eichstädt. Bald,
nachdem die sünfundneunzig Sätze von der Kirchenthüre ans durch
ganz Deutschland gelaufen waren, schnell, als würden sie aus einer
Hand in die andere geworfen, wie Ziegelsteine, die vom Wagen
genommen und in den tiefen Grundbau zu einer Kirche hinabge-
reicht werden, gab es daselbst längere Zeit zwei Pfarrer, einen
protestantischen und einen katholischen.
Der protestantische Pfarrer predigte eines Sonntags nicht über
das Evangelium, sondern über den Text: 'So ermahne ich nun,
meine Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber
begebet zum lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Opfer, welches
sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellet euch nicht dieser
Welt gleich, sondern verwandelt euch durch die Verneuerung eures
Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, der
wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.' Denn die gnä-
dige Frau im Schloß, die dem Gottesdienst beiwohnte, wollte den
Tag darauf mit ihrem Gemahl nach Augsburg reifen und den
Winter daselbst zubringen. Und diese Frau, welche schon den
Karneval in Venedig und Rom mitgemacht hatte, verstand gar
wohl, was der Prediger mit der Silbe <Welt' sagen wollte.
Aber des Pfarrers Tochter Regina verstand ihren Vater nicht.
Denn sie war über Mohren noch nicht weiter hinausgekommen,
als die Sperlinge, um derer willen man bekanntlich die Wander-
bücher nicht erfinden hat. Deswegen fragte sie über Tisch, was
denn die Welt wäre.
Ihr Vater antwortete: <Bei uns in Möhren sieht man zwar
nur ein klein wenig Welt; aber wenn wir heute unsern Abend-
spaziergang um das Dorf machen können, will ich dir doch ein
oder das andere Stück davon zeigen, zumal hellte Kirchweih ist.'
Der protestantische Pfarrer wohnte aus dem Kirchhof; die
Kirche aber steht nicht mitten im Dorf, sondern neben draußen,
und deshalb durften Vater und Tochter nur ein paar Schritte
über ihre Thürschwelle hinausthun, und sie wandelten schon an
284
einer langen Hecke hin, wovon ein Acker mit Gartenrecht um-
geben war.
In der Hecke war eine Schar Sperlinge, aus jedem Neste,
jo das Jahr über im Dorfe gebaut worden war, wenigstens einer
oder zwei, wo nicht mehr. Abseits von dem großen Schwarm
saßen etliche Alte. Sie schauten bald mit dem einen und bald mit
dem andern Auge hinaus ins Blaue und ließen von Zeit zu Zeit
einen warnenden Laut hören, schüttelten aber dabei den Kopf, wie
der Nachtwächter in Tummelstatt, wenn er vor dem Goldenen
Löwen ruft:
<Zwöls Uhr ist das Ziel der Zeit,
Mensch, bedenk die Sterblichkeit!'
und drinnen in der Stube singen die Herren Studenten:
<Jch hab' mein' Sach' auf nichts gestellt:
Juchhe!'
Im großen Schwarm selbst waren fünf oder sechs, die hatten
ein Loch in den herrschaftlichen Getreidekasten gefunden und sich
im Weizen überfressen, daß ihnen die Kröpfe bersten wollten. Sie
gaben's ganz wohlfeil, verdrehten die Augen, als wäre es ihr
Letztes, gähnten einander gewaltig an, kratzten sich hinter den
Ohren und beschlossen, sobald es ihnen ein wenig leichter wäre,
an die Schloßmauer hinauszufliegen und sich mit einem Blättchen
Wermut den Magen wieder einzurichten. — Die übrigen aber
waren lustig und guter Dinge. Etliche mit besonders dicken
Köpfen schwatzten und lachten mit einander über die Maßen; und
hätten der Pfarrer und sein Töchterlein die Nogelsprache ver-
standen, so hätten sie hören können, in welche Kröpfe ein guter
Theil von ihren jungen Zuckererbsen und Frühweichsein gekommen
wäre. — Andere rauften mit einander aus Leben und Tod, näm-
lich die Schloßspatzen und die Dorsspatzen. Jene hatten gesungen:
<Die Bauernspatzen allzumal,
Die halten die Mahlzeit vor'm Stall.'
und diese hatten geantwortet:
<Die Herrenspatzen allzumal,
Die dürfen auch nicht in den Saal.'
Vom Singen aber war es zum Raufen gekommen, und die Federn,
die sie für den Winter hätten brauchen können, flogen herum,
wie die Pappelwolle im Sommer. — Wieder andere tanzten selbst
einen Dreher aus den Weißdornzweigen oder schauten einer Kohl-
meise zu, die als Seiltänzerin aus dem Walde in das Dorf ge-
kommen war. — Da rauschte es aus einmal zwischen dem Pfarrer
und seiner Tochter hin, wie der Flügel einer Windmühle. Es
war der Sperber, der einen von den lustigen Gesellen packte und
mit ihm auf die nächste Weide am Bach flog, wo er ihn rupfte
und verspeiste.
Regina erschrak und fragte erstaunt: Was ist das?' Ihr
285
Vater antwortete ruhig, als wäre gar nichts Besonderes vorge-
fallen: <Das ist die Welt' — und gieng weiter.
Die Spaziergänger gelangten an die andere Seite des Dorfs
unb setzten sich auf einen Eichenblock, der in dem Schatten einer
hohen Hecke lag. Unmittelbar hinter der Hecke spielten zwei Kinder,
ein Mädchen, das die Kindsmagd machen mußte, und ein Knäblein
von noch nicht zwei Jahren. Denn man hatte sie in den Garten
hintergeschickt, weil der Vater krank darnieder lag und die Mutter
zu dem Doctor gegangen war. — Das Mägdlein aber sagte zu
ihrem Bruder: *Da, Sepperle, habe ich dir ein Kreuz hergesteckt,
da kniest du schön nieder und betest, daß' die Mutter bald wieder-
kommt und bringt dir etwas mit. Derweil geh' ich dadort zu
meinem Krenz und thu beten, daß der Herrgott unsern Vater
wieder gesund macht.'
Als Regina diese Worte hörte, stieg sie auf den Block, stellte
sich aus die Zehen, damit sie über die Hecke in den Garten hin-
ein schauen könnte, und sah nun, wie das Büblein ans die nackten
Knie siel, weil sein Rock zu kurz war. Er betete aber nicht dieses
oder jenes Gebetlein, ließ auch seine Hände nicht beisammen, son-
dern patschte damit einmal über das andremal und wälschte etwas
dazu, was Gott und seine heiligen Engel besser verstehen, als das
Menschenohr. Seine Schwester aber machte es schon besser. Sie
setzte sich auf ihre Fersen, ließ die Hände ruhig beisammen und
rief: ^Lieber Herrgott, mach den Vater wieder gesund. Die Mutter
hat gesagt, sie will dich in der Kirche auch recht schön drum bitten.'
Als Regina dies und anderes, was im Garten drinnen ge-
schah, sah und hörte, zog sie ihren Vater mit der einen Hand zu
sich hinauf, und mit der andern deutete 'sie über die Hecke hinweg,
als wollte sie sagen: <Schau doch, was dies ist!'
Der Vater antwortete leise, um die Kinder nicht zu beschreien:
*Das ist ein Stück von dem Reiche Gottes' — und machte sich
dann mit seiner Tochter auf den Heimweg.
Also ließ der Pfarrer von Möhren seine Tochter ein Stück
von der Welt und ein Stück vom Himmelreich sehen.
264.
Christus hat dem Tode die Macht genommen.
Von Spitta.
Psalter und Harfe. Bd. I. 18- Aufl. Leipzig 1854. S- 153-
Ä^enn meine letzte Stunde schlägt, Was wär' ich dann, was hätt' ich
Mein Herz hört auf zu schlagen, dann,
Wenn man ins stille Grab mich legt Wär' mir die Thür nicht aufgethan
Nach all' den lauten Tagen: Zum sel'gen Himmelreiche?
286
Mich labst mit froher Kunde,
Daß du für den, der an dich glaubt,
Dem Tode seine, Macht geraubt;
So muß ich ja verzagen.
Nun aber, weil du mein, ich
dein,
Kann ich getrost entschlafen.
Dein heiliges Verdienst ist mein,
Schützt mich vor allen Strafen,
Du hast ja meinen Tod gebüßt
Und dadurch meinen Tod versüßt
Zu einem sel'gen Heimgang.
Drum bei dem letzten Glockenklang
Sei du mir, Herr, zur Seite,
Und gieb mir bei dem Todesgang
Dein frendliches Geleite,
Damit die letzte Erdennoth
Nicht eine Krankheit sei zum Tod,
Vielmehr zum ew'gen Leben.
265
Die Weisheit.
Von Günther.
Gedichte 6 Aufl. Breslau und Leipzig 1764. S- 42.
3Öie Weisheit ruft uns täglich zu: 'Wer Ohren hat, der höre!
Ich bin die Mutter aller Welt und schenke Glück und Ehre;
Ich war, eh etwas wirklich war vom Anfang vor der Erden,
Durch mich ließ auch das Wort des Herrn aus nichts dies alles werden.
'Da alle Dinge noch vorlüngst in ihrem Wesen schliefen,
Eh Wasserbrunnen, Quell und Meer noch um den Erdkreis liefen.
Eh noch ein Berg und Hügel stand, eh Sonn' und Sterne brannten,
Und eh die großen Ströme noch ihr Ziel und Ufer kannten:
'Da war ich Weisheit schon bereit, da half ich mit regieren,
Der Herr gebrauchte meinen Rath, sein Absehn auszuführen;
Ich lebte, spielte, schuf mit ihm und hatte mein Ergetzen,
Das ganze menschliche Geschlecht in Fried und Ruh zu setzen.
'Darum gehorcht und folgt auch nun, ihr Kinder, meinen Wegen!
Ich führ' euch in das Paradies, ich bring' euch Lust und Segen;
Seid weise, liebt und hört die Zucht und wacht vor meiner Thüre,
Damit ein ewig Wohlergehn der Arbeit Ende ziere.
'Wer mich erlanget und behält, der findet selbst das Leben,
Der Herr wird ihm sein Vaterherz mit Wohlgefallen geben;
Wie flieht der eiteln Freuden
Schwarm,
Wenn sich der Tod läßt schauen!
Sie überlassen, schwach und arm,
Den Menschen seinem Grauen.
Das Blendwerk ird'scher Eitelkeit
Verschwindet vor der Wirklichkeit
Im Angesicht des Todes.
In unverhülltcr Schreckgestalt
Tritt vor uns unsre Sünde,
Und von den Augen fällt alsbald
Der Selbstverblendung Binde;
Wir sind dann ganz auf uns be-
schränkt,
Und alles in und an uns lenkt
Den Blick auf unser Elend.
Wenn d u dann nichtmeineigen bist
In meiner letzten Stunde,
Wenn du dann nicht, Herr Jesus
Christ,
• 287
Wer aber mich verlacht und höhnt, wird an der Seele sterben
Und dadurch, daß er mich verschmäht, den ärgsten Tod erwerben.'
So ruft, so schreit die Weisheit noch, und niemand will es merken.
Herr, dessen Sohn die Weisheit ist, laß mein Gemüthe stärken,
Damit mich nicht der eitle Schein geschminkter Thorheit blende,
Noch von dem Kreuze deines Sohns, der wahren Weisheit, wende.
266.
Alles zum Outen.
Von Karl Stöber.
Der Erzähler aus dem Altmühlthale. Stuttgart 1851- S- 11*).
Rabbi Akiba war einmal auf der Reife und hatte einen Esel,
einen Hahn und eine Laterne bei sich. Auf dem Esel ritt er, der
Hahn saß hinter ihm, und die Laterne hieng dem Lastthier um
den Hals. So kam er in ein Städtlein und wollte darin über-
nachten; aber er fand keine Herberge, wo noch Raum für ihn ge-
wesen wäre, und wie er zu dem einen Thore hinein gekommen
war, staubig und müde, mußte er zu dem andern wieder hinaus,
obgleich der Abendstern schon am Himmel stand. Der Esel schüttelte
mit dem Kopfe; aber der Rabbi sprach: 'Was Gott thut, das ist
wohlgethan,' und gieng hin, in dem Walde zu übernachten. Den
Esel band er an einen Baum, den Hahn setzte er aus einen Ast,
die Laterne hängte er an einen Zweig und zündete die Kerze an,
damit er sogleich in dem heiligen Gesetz lesen könnte, wenn er des
Nachts erwache. Denn er gieng nie ohne dasselbe aus. Aber
kaum hatte er sein Haupt in den Mantel gehüllt und war ein-
geschlafen, siehe, da kam der Löwe und fraß den Esel, und der
Marder erwürgte den Hahn, und der Wind riß das Thürlein
der Laterne auf und löschte das Licht darin aus. Das war alles
sehr traurig, und eins schlimmer als das andere; aber der Rabbi
verneigte sich tief und bezeugte abermals: 'Was Gott thut, das
ist wohlgethan.' Und er hatte Recht. Denn in der Nacht über-
fielen die Feinde das Städtlein und plünderten es. Wäre Akiba
darin gewesen, so würde es bei ihm geheißen haben: 'Mitgefangen,
mitgehangen;' und hätte das Licht gebrannt, oder der Hahn ge-
kräht, oder der Esel geschrien, so würde ihn die Horde auf ihrem
Rückzüge bemerkt und noch ärmer als um einen Esel und einen
Hahn gemacht haben. Denn der Rabbi kam von dem Begräbnis
seines Vaters und hatte sein Erbtheil bei sich, einen kostbaren Ring
an seinem Finger und einen Beutel mit goldenen Byzantinern an
seinem Gürtel.
*) Vergi. Herder: Werke. Tübingen 1807. IX, 84.
288 •
267.
Die Wachtel und ihre Kinder.
Von Langbein.
Sämmtliche Schriften. Stuttgart 1835. IV, 316.
wallte das goldene Weizenfeld
Und baute der Wachtel ein Wohngezelt.
Sie flog einst früh in Geschäften aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
'Ach, Mutter, wir schweben in großer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Der Weizen ist reif, die Mahd muß geschehn,
Geh, bitte die Nachbarn, ihn morgen zu mähn."
sagte die Wachtel, 'dann hat es noch Zeit;
Nicht flugs sind die Nachbarn zu Diensten bereit.'
Drauf flog sie des folgenden Tages aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
'Ach, Mutter, wir schweben in neuer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Uns ließen die treulosen Nachbarn im Stich;
Geh rings nun zu unsern Verwandten und sprich:
'Wollt ihr meinen Vater recht wohlgemuth sehn,
So helfet ihm morgen sein Weizenfeld mähn!"'
sagte die. Wachtel, 'dann hat es noch Zeit;
Nicht flugs ist die Sippschaft zur Hülfe bereit.'
Drauf flog sie des folgenden Tages aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
'Ach, Mutter, wir schweben in höchster Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Gieng heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Uns ließen auch unsre Verwandten im Stich;
Ich rechne nur einzig auf dich und auf mich.
Wir wollen, wenn morgen die Hähne krähn.
Selbander uns rüsten, den Weizen zu mähn."
'Ja,' sagte die Wachtel, 'nun ist's an der Zeit;
Macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit!
Wer Nachbarn und Vettern die Arbeit vertraut,
Dem wird nur ein Schloß in die Luft gebaut;
Doch unter dem Streben der eigenen Hand
Erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand.'
Die Wachtel entfloh mit den Kindern geschwind,
Und über die Stoppeln gieng tags drauf der Wind.
289
268.
Der Sperling1 und seine vier Kinder.
^ von den brüdcrn Grimm.
märchen 7* aufl. Göttingen 1857. II, 289. — 6. aufl. 1850. II, 332.
Ein sperling hatte vier junge in einem Schwalbennest, wie
sie nun fliick sind, stoszen böse buben das nest ein, sie kommen
aber glücklich in windbraus davon, nun ist dem alten leid, weil
seine söhne in die weit kommen, dasz er sie nicht vor allerlei
gefahr erst verwarnet und ihnen gute lehren gegeben habe.
Aufn herbst kommen in einem weizenacker viel Sperlinge zu-
sammen; allda trifft der alte seine vier jungen an, die führt er
voll freuden mit sich heim, ‘ach, meine lieben söhne, was habt
ihr mir den sommer über sorge gemacht, dieweil ihr ohne meine
lehre in winde kämet; höret meine worte und folget eurem vater
und sehet euch wohl vor: kleine vöglein haben grosze gefährlich-
keit auszustehen!’ darauf fragte er den ältern, wo er sich den
sommer über aufgehalten, und wie er sich ernähret hätte, ‘ich
habe mich in den gärten gehalten, räuplein und würmlein gesucht,
bis die kirschen reif wurden.’ ‘aeb, mein söhn,’ sagte der vater,
‘die schnabelweid ist nicht bös, aber es ist grosze gefahr dabei;
darum habe fortan deiner wohl acht, und sonderlich, wenn leut in
gärten umher gehn, welche lange grüne Stangen tragen, die in-
wendig hohl sind und oben ein löchlein haben.’ ‘ja, mein vater,
¿wenn dann ein grün blättlein aufs löchlein mit wachs geklebt wäre?’
spricht der söhn. ‘wo hast du das gesehen?’ — ‘in eines kauf-
manns garten,’ sagt der junge, ‘o mein söhn ,’ spricht der vater,
‘kaufleut, geschwinde leut! bist du um die weltkinder gewesen,
so hast du Weltgeschmeidigkeit genug gelernt; siehe und brauch’s
nur recht wohl und trau dir nicht zu viel?
Darauf befragt er den andern: ‘wo hast du dein wesen ge-
habt?’ ‘zu hose,’ spricht der söhn. ‘sperling und alberne vöglein
dienen nicht an diesem ort, da viel gold, sammet, seiden, wehr,
harnisch, sperber, kauzen und blaufüsz sind; halt dich zum rosz-
stall, da man den hafer schwingt, oder wo man drischet, so kann
dir’s glück mit gutem fried auch dein täglich körnlein bescheren.’
‘ja, vater,’ sagte dieser söhn, ‘wenn aber die stalljungen hebritzen
machen und ihre maschen und schlingen ins stroh binden, da bleibt
auch mancher behenken.’ ‘wo hast du das gesehen?’ sagte der
alte, ‘zu hof, beim roszbuben.’ — ‘o, mein söhn, hofbuben, böse
buben! bist du zu hof und um die herren gewesen und hast keine
federn da gelassen, so hast du ziemlich gelernet und wirst dich
in der weit wohl wissen auszureiszen; doch siehe dich um und
auf: die wölfe fressen auch oft die gescheiten hündlein.’
Der vater nimmt den dritten auch vor sich: ‘wo hast du dein
heil versucht?’ — ‘auf den fahrwegen und lnadstraszen habe ich kübel
ColZHorn ü. ©Bbeic’9 Lesebuch I. |Q
290
und seil eingeworfen und da bisweilen ein körnlein oder gräuplein
angetroffen.’ ‘dies ist ja,’ sagt der vater, ‘eine feine nahrung;
aber merk gleich wohl auf die schanz und siehe fleiszig auf, son-
derlich wenn sich einer bücket und einen stein aufheben will, da
ist dir nicht lang zu bleiben.’ ‘wahr ist’s,’ sagt der söhn, ‘wenn
aber einer zuvor einen wand- oder handstein in busen oder tasche
trüge?’ — ‘wo hast du dies gesehn?’ — ‘bei den bergleuten, lieber
vater, wenn sie ausführen, führen sie gemeinlich handsteine bei sich.’
— ‘bergleut, werkleut, anschlagige leut! bist du um bergburschen
gewesen, so hast du etwas gesehen und erfahren.
fahr hin und nimm deiner Sachen gleichwohl gut acht,
bergbuben haben manchen Sperling mit kobold umbracht.
Endlich kommt der vater an jüngsten söhn: ‘du; mein lie-
bes gackennestle, du warst allzeit der alberst und schwächest,
bleib du bei mir; die weit hat viel grober und böser vögel, die
krumme Schnäbel und lange krallen haben und nur auf arme vög-
lein lauern und sie verschlucken: halt dich zu deinesgleichen und
lies die spinnlein und räuplein von den bäumen oder häuslein, so
bleibst du lang zufrieden.’ — ‘du, mein lieber vater, wer sich
nähret ohn andrer leut schaden, der kommt lang hin, und kein
sperber, habicht, aar oder weih wird ihm nicht schaden, wenn er
zumal sich und seine ehrliche nahrung dem lieben gott all abend
und morgen treulich befiehlt, welcher aller wald- und dorfvöglein
schöpfer und erhalter ist, der auch der jungen räblein geschrei
und gebet höret; denn ohne seinen willen fällt auch kein sperling
oder schneekünglein J) auf die erde.’ — ‘wo hast du dies gelernt?’ —
antwortet der söhn: ‘wie mich der grosze windbraus von dir weg-
risz, kam ich in eine kirche, da las ich den sommer die fliegen
und spinnen von den fenstern ab und hörte diese sprüch pre-
digen; da hat mich der vater aller Sperlinge den sommer über er-
nährt und behütet vor allem Unglück und grimmigen vögeln.’ —
‘traun! mein lieber söhn, fleuchst du in die kirchen und hilfest
spinnen und die sumsenden fliegen aufräumen und zirpst zu gott
wie die jungen räblein und befiehlst dich dem ewigen schöpfer;
so wirst du wohl bleiben, und wenn die ganze weit voll wilder
tückischer vögel wäre.
denn wer dem herrn befiehlt sein sach,
schweigt, wartet, betet, thut gemach,
bewahrt glaub und gewissen rein,
dem will gott schütz und heiser sein.’
schnee- oder Zaunkönig, s. nr. 98.
291
269.
Das eine thun und das andere nicht lassen.
Bon Rückert.
Die Weisheit des Brahmanen. Leipzig 1837- III, 217. — 4. Ausl. 1857.
Aer Wandrer im Gebirg verlor die rechten Steige
Und blickt umsonst umher, wer ihm dieselben zeige.
Doch ein Einsiedler sitzt vertieft dort in Gebeten,
Und fragend nach dem Weg, kommt er zu ihm getreten.
Da hebt der fromme Mann, und spricht dazu kein Wort,
Den Finger himmelan und betet schweigend fort.
Es spricht der Wandersmann: 'Ich weiß, daß durch Gebet
Und Weltentsagung dort der Weg zum Himmel geht.
'Doch jetzo möcht' ich den zum nächsten Dorfe wissen;
Wenn du die Kunde hast, so laß mich sie nicht missen.'
Da wiegt der fromme Mann, und spricht dazu kein Wort,
Das Haupt verneinend ernst. Der Wanderer geht fort —
Und denkt: 'Was könnt' es wohl dem frommen Manne schaden,
Wenn er bewandert wär' auch in der Erde Pfaden?'
270.
Geduld.
Von Spitta.
Psalter und Harfe. Bd. I, 18. Ausl. Leipzig 1854. S. 125.
Es zieht ein stiller Engel
Durch dieses Erdenland,
Zum Trost für Erdenmängel
Hat ihn der Herr gesandt.
In seinem Blick ist Frieden
Und milde, sanfte Huld,
O folg ihm stets hienieden,
Dem Engel der Geduld!
Er führt dich immer treulich
Durch alles Erdcnleid
Und redet so erfreulich
Von einer schönern Zeit.
Denn willst du ganz verzagen,
Hat er doch guten Muth;
Er hilft das Kreuz dir tragen
Und macht noch alles gut.
Er macht zu linder Wehmuth
Den herbsten Seelenschmerz
Und taucht in stille Demuth
Das ungestüme Herz.
Er macht die finstre Stunde
Allmählich wieder hell,
Er heilet jede Wunde
Gewiß, wenn auch nicht schnell.
Er zürnt nicht deinen Thränen,
Wenn er dich trösten will;
Er tadelt nicht dein Sehnen,
Nur macht er's fromm und still.
Und wenn in Sturmestoben
Du murrend fragst: 'Warum?'
So deutet er nach oben,
Mild lächelnd, aber stumm.
Er hat für jede Frage
Nicht Antwort gleich bereit,
Sein Wahlspruch heißt: 'Ertrage,
Die Ruhstatt ist nicht weit!'
So geht er dir zur Seite
Und redet gar nicht viel
Und denkt nur in die Weite,
Ans schöne, große Ziel.
19
292
271.
Armuth und demuth fuhren zum himmel.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. II, 472.
Es war einmal ein königssohn, der gieng hinaus in das seid
und war nachdenklich und traurig, er sah den himmel an, der
war so schön rein und blau; da seufzte er und sprach: ‘wie
wohl musz einem erst da oben im himmel sein!’ da erblickte er
einen armen greisen mann, der des weges daher kam, redete ihn
an und fragte: ‘wie kann ich wohl in den himmel kommen?’ der
mann antwortete: ‘durch armuth und demuth. leg an meine zer-
rissenen kleider, wandere sieben jähre in der weit und lerne ihr
elend kennen; nimm kein geld, sondern wenn du hungerst, bitt
mitleidige herzen um ein Stückchen brot, so wirst du dich dem
himmel nähern.1 da zog der königssohn seinen prächtigen rock
aus und hieng dafür das bettlergewand um, gieng hinaus in die
weite weit und duldete grosz elend, er nahm nichts als ein wenig
essen, sprach nichts, sondern betete zu dem herrn, dasz er ihn
einmal in seinen himmel aufnehmen wollte, als die sieben jähre
herum waren, da kam er wieder an seines vaters schlosz; aber
niemand erkannte ihn. er sprach zu den dienern: ‘geht und sagt
meinen eitern, dasz ich wiedergekommen bin.’ aber die. diener
glaubten es nicht, lachten und lieszen ihn stehen, da sprach er:
‘geht und sagt’s meinen brüdern, dasz sie herab kommen; ich
möchte sie so gerne wieder sehen.’ sie wollten auch nicht, bis end-
lich einer von ihnen hingieng und es den königskindern sagte;
aber diese glaubten es nicht und bekümmerten sich nicht darum,
da schrieb er einen brief an seine mutter und beschrieb ihr darin
all sein elend; aber er sagte nicht, dasz er ihr söhn wäre. da
liesz ihm die königin aus mitleid einen platz unter der treppe an-
weisen und ihm täglich durch zwei diener essen bringen, aber der
eine war bös und sprach: ‘was soll dem bettler das gute essen!'
behielt’s für sich oder gab’s den bunden und brachte dem schwachen,
abgezehrten nur wasser; doch der andere war ehrlich und brachte
ihm, was er für ihn bekam, es war wenig, doch er konnte davon
eine zeit lang leben; dabei war er ganz geduldig, bis er immer
schwächer ward. als aber seine krankheit zunahm, da begehrte
er das heilige abendmahl zu empfangen, wie nun in der kirche
die gemeinde um den tisch des herrn steht, fangen von selbst alle
glocken in der stadt und in der gegend an zu läuten, der geist-
liche geht nach der kirche zu dem armen mann unter der treppe,
so liegt er da todt, in der einen hand eine rose, in der andern
eine lilie, und neben ihm ein papier, darauf steht seine geschichte
aufgeschrieben.
AIs er begraben war, wuchs auf der einen seite des grabes
eine rose, auf der andern eine lilie heraus.
293
272.
Die Stalllatern.
Von Hermann Lingg.
Gedichte 3- Ausl. Stuttgart u. Augsburg 1857. S- 85-
iüler muß denn nur gestorben sein? An jedem Abend hat die Magd
Was ist heut Nacht dem Licht geschehn? Dem Knecht ein Licht darein gesteckt;
Die Fenster schaun so traurig drein, Der Wirt hat tags zuvor gesagt,
Man kann vor Dunkelheit kaum gehn. Um vier Uhr wird ein Gast geweckt.
Zerbrochen ist, man sagt's nicht gern, Erloschen ist des Fuhrmanns Stern,
Die alte, gute Stalllatern'. Die alte, gute Stalllatern'.
Sie leuchtete jahrein, jahraus Sie gieng nicht aus, sie war noch
Bei Sturm und Schnee mit seltnem auf,
Glanz, Und kam ein Fremder noch so spät;
Vom Hof zum Stall, vom Stall zum Sie sprach zum Hausknecht: 'Spring
Haus, und lauf,
Sie leuchtete sogar zum Tanz. Gieb Acht, daß nichts in Brand geräth;
Sie war ein Fabrikat aus Bern, Halt auch von Wurf und Stößen fern
Die alte, gute Stalllatern'. Die alte, gute Stalllatern'.'
Sie kannten Pferde, Geiß' und Kuh',
Sie schien auf Barren, Streu und Trog;
Im ganzen Wirtshaus war's nur sie,
Die niemals einen Gast betrog.
Die alte, gute Stalllatern',
Sie ist dahin; gut Nacht, ihr Herrn.
273.
Die Todten uh r.
Don Karl Stöber.
Der Erzähler aus dem Altmühlthale. Stuttgart 1851. S. 411-
Die Todtenuhr, welche der freundliche Leser schon picken hörte,
wenn er in seiner Stube oder Schlaskammcr allein war, ist keine
Uhr, sondern der Holzwurm. Jedoch schadet es nicht, wenn man
sich zu jedem Pick, den der Wurm hören läßt, einen Buchstaben
denkt, bis ein ganzer Satz daraus wird, dergleichen Westelle deiil
Haus' oder <Eins ist noth' oder ^Bedenke dein Ende' und andere
sind. — Wie aber der Holzwurm jahraus und jahrein sein trockenes
Brot, nämlich die Sägespäne, ißt, die er selbst mit seinen Zangen
macht, und nichts dazu trinkt und doch nicht verdurstet, das haben
die Naturforscher schon herausgebracht. Sie haben nämlich ge-
funden, daß in jedem Pflanzenstoff zweierlei Waffer ist, eins, das
man durch Pressen und Aufhängen in der Lllst herausbringen
kann, wie der Papierer aus seinem Papier, und ein anderes, sest-
gewordenes, das man nur durch Verbrennen herausbringen kann.
Nimmt man z. B. ein leinenes Tischtuch, das zehn Pfund wiegt.
294
und hängt's einen ganzen Tag in die Sonne, oder bringt's unter
die stärkste Presse, die man hat, so könnte leicht einer wetten, es
wäre kein Tropfen Wasser mehr darin. Und doch müßte er seine
Wette an den Scheidekünstler verlieren. Denn der thäte es in
ein Ding gleich einer fest verschlossenen Weinflasche, schürte Feuer
darnnter unb brächte noch wenigstens vier Pfund Wasser heraus.
Und ebenso würde er selbst ans dem hölzernen Tisch, der fünfzig
Pfund schwer ist, zweiundzwanzig Pfund Wasser heraus nöthige».
Das kann aber der Magen des Holzwurms, der von dem Schöpfer
dazu eingerichtet ist, noch besser als der Scheidekünstler, und Gott
der Herr reicht also auch ihm das Wasserkrüglein, nur auf eine
andere Weise, als dem durstigen Wanderer an dem Brunnen oder
nitf dem Kirschbaum oder vom Weinstock.
274.
Ein goldenes Äbece.
Simrock: Die deutschen Sprichwörter.' Frankfurt a. M.
5lme» ist des lieben Gottes großes Siegel. — Bete, als hülfe
kein Arbeiten; arbeite, als hülse kein Beten. — Christus läßt wohl
sinken, aber nicht ertrinken. — Demuth ist eine Mutter der Ehre.
— Ehre geht den Ehren vor. — Freundschaft ist des Lebens Salz.
— Gedanken sind zollfrei, aber nicht höllenfrei. — Haß und Neid
macht die Hölle weit. — <Ich!' sagt der Narr. — Rehre jeder vor
seiner Thür! — Leidenschaft schafft Leiden. — Mäßigkeit ist die
beste Arznei. — Noth bricht Eisen. — Ordnung regiert die Welt.
— Probieren geht über über Studieren. — Oner durch geht nicht
allemal au. — Neben ist Silber, Schweigen ist Gold. — Scham
hindert Schande. — Tugend ist der beste Adel. — Nndank ist der
Welt Lohn. — Vom Verräth er frißt kein Rabe. — Weisheit ist
des Lebens Auge. — Laß dir kein X für ein U machen. — Zu-
friedenheit ist der größte Reichthum.
275.'
Nie wiedergefundene Tochter.
Von Fr. Jacobs.
Die Fecerabeude in Mainau. Leipzig 1820. I, 220. — 2. Ausl. 1843- S. 158.
Herr Saladin, ein Kaufmann in Paris, hatte unter andern
Kindern ein Töchterchen, ein zartes, schönes Kind und das jüngste
von allen. Eines Tages hat es seine Wärterin spazieren geführt,
und weil eben ein großer Festtag war, hatte sie ihm seine besten
Kleider angezogen und auch ein goldenes Kettchen um den Hals
gehängt. Beim Nachhansegehn trifft es sich, daß der Wärterin
295
ein Bekannter in den Weg kommt, mit dem sie in ein tiefes Ge-
spräch geräth, und während dieser Zeit macht sich das Kind von
ihrer Hand los, um mit Bequemlichkeit das Spielzeug zu besehn, wo-
mit die Fenster eines Kramladens aufgeputzt waren. Es war dies auf
einem Platze, wo mehrere Straßen ansliefen, eng und winklicht und
wieder von Gäßchen durchschnitten, wie es eben in dem alten Laby-
rinthe von Paris ist. Aus einmal entsteht ein Lärm itnb Geschrei.
Flüchtige Pferde, die sich von einem Wagen losgerissen haben und
einen Theil des Zeuges hinter sich Herschleppen, was sie noch wüthen-
der macht, kommen durch eine enge Straße herbeigerennt und gerade
auf die Wärterin zu, die in dem Augenblick nur an ihre Sicher-
heit denkt und in die nächste Straße flieht. Auch das Kind flieht
in tödtlicher Angst, aber in eine andere Straße, und als sich beide
von dem erstell Schreckeil erholt hatten, waren sie weit ausein-
ander. Und nun fängt für beide eine neue Angst an. Die Wär-
terin läuft nach der vorigen Stelle zurück, ruft, fragt; aber in dem
Getümmel und Strömen der Menschen hat niemand auf das Kind
geachtet. Das Kind seinerseits läuft immer gerade aus und weint
vor sich hin, und wie es so eine Weile gelaufen ist, kommt ein altes
Weib gerade darauf zu, nimmt es auf den Arm nnb sagt: «Find'
ich dich endlich, Schätzchen; ich habe dich schon lang gesucht,' und
läuft mit dem weinenden Kinde so schnell sie nur kann davon, so
daß jedermann meint, die Alte sei eben des Kindes Wärterin. Die
war es aber freilich nicht; sondern die rechte Wärterin war nach
vielem Hin- und Herlaufen nach Hause gegangen, in der ungewissen
Hoffnung, das Kind würde vielleicht auch schon da angekommen sein.
Da es sich nun aber nicht so fand, so könnt ihr euch vorstellen, wie
groß der Schrecken der Eltern war. Alles machte sich im Hanse
auf die Beine und lief und suchte; aber während sie nach der einen
Seite liefen, war das Weib mit seiner Beute nach einer andern
gelalssen, und da sie eine öde Gegend der Stadt erreicht hatte,
fieng sie an das Kind ausznziehn, erst das goldne Kettchen, das es
am Halse trug, dann das feine Muselinkleid mit neuen feibnen
Bändern gebunden; ja, sie war im Begriff ihm ailch das Hemd
zu nehmen und es dann seinem Schicksale Preis zu geben, wo es
vielleicht in der Kälte der Nacht umgekommen wäre; aber das
Kind schrie so jämmerlich, daß die ruchlose Näuberin bemerkt zu
werden fürchtete und mit ihrem Raube entlief. Das unglückliche
Kind stand nun allein und unbekleidet auf der öden Stelle, und
schon brach die Dämmerung ein, und es wußte nicht, wo es hin
sollte, sondern blieb immer auf demselben Platz und schrie bald
nach seiner Wärterin, bald nach Vater ittib Mutter. Da kam ein
lahmer Bettler auf seiner Krücke und sah das jammernde Kind
und fragte es, warum es denn so weine. Da sagte es, cs wolle
nach Hanse; aber wo das Hans war, wußte es nicht, auch nicht,
wie sein Vater hieß. Der Bettler dachte: <Das Kind kann mir
296
ja betteln helfen; für ein so hübsches Geslchtchen giebt mancher
ein paar Kreuzer mehr. Vielleicht lassen es auch die, denen es an-
gehört, aufsuchen, und dann setzt es wohl für den ehrlichen Finder
ein gutes Trinkgeld ab? Er nahm also das Kind bei der Hand,
das vor Furcht und Kälte zitterte, und sagte: <Sei nur still, Mäus-
chen, ich will dich nach Hause zu deinem Papa bringen? Da
wurde dem Kinde wohl und weh, denn es fürchtete sich vor dem
bärtigen Manne. Indes lief es mit. Da er es aber in ein kleines
verfallenes Häuschen brachte und drei oder wier elende Stiegen
hinauf auf den Boden kletterte, wollte das Kind nicht fort, son-
dern schrie immer: l-Aber da wohnt ja mein Papa nicht? Der Bettler
zog es mit Gewalt fort, fuhr es auch mit rauher Stimme an und
drohete ihm mit der Krücke, wenn es mucksen würde. Niin kam
es, still in sich hinein weinend, in einen elenden Verschlag, wo das
Fenster mit Papier zugeklebt war, und ein schmutziger Tisch nebst
einem zerbrochenen Schemel stand. Auf der Erde lag altes Stroh
zum Lager; darauf ließ er das Kind iiiederlegeii; es konnte aber
liicht einschlafen. Und da es sich hin und her warf, fragte es der
arme Mann, ob es vielleicht Hunger hätte, und gab ihm eine harte
Brotrinde aus seiner Tasche. Da nagte das Kind daran und
schlief darüber ein. Am andern Morgen brachte der Bettler dem Kinde
einen häßlichen Kittel, den er irgendwo geborgt haben mochte, und
da er ihm etwas zu lang war, riß er unten einen Fetzen ab, so
daß es nun noch lumpiger aussah. Und nun gierig er mit dem
Kinde nach der neuen Brücke, die über die Seine geht, und wo
täglich die halbe Stadt hinüber und herüber zieht. Hier setzte sich
der Bettler auf einen Stein, und das arme Kind mußte sich neben
ihn stellen, und wenn jemand vorüber gieng, der so aussah, als
ob er etwas geben könnte, mußte es die Hand hinhalten und sagen:
<Prie, prie, ayez pitie d’un pauvre estropie? d. h.: Witte, bitte,
erbarmt euch eines armen Krüppels? Viele giengen vorbei und
achteten es nicht; mancher gab auch wohl einen Sous und mochte
sich über das artige Gesichtchen in dem groben Kittel wundern;
aber was cs damit für eine Bewandtnis habe, darnach frug keiner.
Denn jeder hat da mit seinen eigenen Geschäften vollauf zu thun
und hat selten viel Zeit, sich um andere zu bekümmern. Es kamen
auch einige Ausrufer, die verlorene Sachen ausriefen, und der
Bettler spitzte sein Ohr: aber die suchten goldene Petschafte, Ringe,
Shawls und dergleichen; Kinder suchte keins. So vergieng eine
Stunde nach der andern, und das Kind wurde müde; und wie
es so auf dem Ecksteine saß, lehnte es sich mit dem Köpfchen an
den armen Mann und schlief ein.
Herr Saladin hatte nun die ganze Nacht kein Auge zugethan,
llnd seine Frau ebenso wenig, und niemand im ganzen Hause;
und sie warteten nur, bis der Tag anbrach, um ihre Nachsuchungen
fortzusetzen. Denn bis nach Mitternacht waren sie mit Laternen
297
umhergezogen. An allen Schlagbäumen und Hauptwachen forsch-
ten sie, und den Polizeidienern versprachen sie Geld, wenn sie das
Kind aufspürten. Die aber hatten das geputzte Kind in Gedanken,
wie es ihnen beschrieben Wierde, nicht das in dem zerrissenen und
schmutzigen Kittel. Da nun wieder alles Forschen vergebens war,
meinten sie endlich, das Kind könnte in den Fluß gefallen sein.
Ganz traurig und mit beklommenem Herzen gieng Herr Saladin
an dem Ufer hin und dachte an den Jammer seiner Frau, und
wie die Dämmerung anbrach, kam er an die neue Brücke, wo der
Bettler saß, und das schlafende Kind auf dem Steine neben ihm.
Und schon hatte er dem armen Manne im Vorübergehn ein Drei-
sonsstück in den Hut geworfen, da rief das Kind im Schlafe: ‘Ah
Maman, ma chère Maman!’ und schlief immer fort. Die bekannte
Stimme fuhr Herrn Saladin durchs Herzz er sah hin und er-
kannte in den schmutzigen Lumpen die Gestalt feiner Sophie. So-
gleich riß er sie in die Höh, nahm sie auf den Arm nnb weckte
sie mit seinen Küssen auf. Was das Kind für Augen mackte, da
es seinen Vater wieder sah, könnt ihr euch denken. Es schlang
seine beiden Ärmchen um seinen Hals, drückte unb küßte ihn und
wollte ihm gar nicht wieder vom Arm herab. Herr Saladin zögerte
auch nicht lange an dieser Stelle, sondern nachdem er von dem
Bettler erfahren, wie er zu dem Kinde gekommen — das übrige
erzählte die kleine Sophie in der Folge selbst — und ihm ein
schweres Goldstück zum Geschenk gegeben hatte, eilte er mit seiner
lieben Bürde aus dem Arme nach Hause, wo die jammernde Mutter
auf dem Sopha lag und mit immer steigender Angst die Rückkehr
ihrer Diener und ihres Mannes erwartete. Dieser sprang, ohne
daß ihn jemand bemerkte, mit wenigen Sätzen die Treppe hinauf,
öffnete leise die Thür und ließ Sophien hinein, während er selbst
aus der Schwelle stehen blieb. Die Freude der Mutter und den
Jubel im ganzen Hause will ich nicht beschreiben. Und auch in
dieser Nacht schliefen nicht viele Augen in Herrn Saladins Hause;
aber diesmal aus Freude über die Rückkehr des geliebten Kindes.
Daß die unvorsichtige Wärterin einer besseren und aufmerksamereil
Platz machen mußte, könnt ihr leicht glauben. Böse zwar hatte
sie’s nicht gemeint. Aber Unachtsamkeit im Bereis ist auch ein
grobes Unrecht.
276.
Iiegfried's Ichwert.
Bon iihland.
Erdichte. Stuttgart und Tübingen 1853. S. 330.
^ung Siegfried war ein stolzer Knab',
Gieng von des Vaters Burg herab.
298
Wollt' rasten nicht in Bakers Haus,
Wollt' wandern in alle Welt hinaus.
Begegnet' ihm manch Ritter werth
Mit festem Schild und breitem Schwert.
Siegfried nur einen Stecken trug,
Das war ihm bitter und leid genug.
Und als er gieng im finstern Wald,
Kam er zu einer Schmiede bald.
Da sah er Eisen und Stahl genug,
Ein lustig Feuer Flammen schlug.
‘D Meister, liebster Meister mein!
Laß du mich deinen Gesellen sein!
Ulnd lehr' du mich mit Fleiß und Acht,
Wie man die guten Schwerter macht!'
Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt,
Er schlug den Amboß in den Grund.
Er schlug, daß weit der Wald erklang
Und alles Eisen in Stücke sprang.
Und von der letzten Eisenstang'
Macht' er ein Schwert, so breit und lang.
Mun hab' ich geschmiedet ein gutes Schwert,
Nun bin ich wie andre Ritter werth.
'Nun schlag' ich wie ein andrer Held
Die Riesen und Drachen in Wald und Feld.'
277.
Soldatenfritze.
Aus einer Zeitschrift.
So wurde ein munterer, kecker, rüstiger Knabe,. der Sohn
eines Unterofficiers in preußischen Diensten, genannt, tind zwar
erstens, weil sein Vater Soldat war, zweitens, weil er selber immer
gern den Soldaten spielte, iinb drittens, weil er mit seinem Vor-
namen Fritz hieß. Soldatenfritze war in der ganzen Stadt Bran-
denburg bekannt, und er nahm es nicht übel, wenn man ihn mit
jenem Namen rief, vielmehr schmeichelte es ihm, weil er in der
That durch und durch so recht ein Soldatenkind war.
Als er sein dreizehntes Jahr erreicht hatte, brach mit Frank-
299
reid) ein Krieg aus, und die preußischen Regimenter mußten an
den Rhein marschieren, auch das Regiment, in welchem Soldaten-
fritzens Vater Unterosficier war. Er nahm Abschied von Weib und
Kind, ermahnte seinen Zungen, während seiner Abwesenheit hübsch
fleißig und ordentlich zu sein, und trollte mit der Bagage ab.
Soldatensritze wäre gern mitgegangen, aber der Vater wollte es
nicht zugeben, weil er doch noch gar zu jung und schwach sei.
Ein halb Jahr vergieng, ohne daß die zurückgelaffene Familie
unsers Unterofflciers ein Wörtlein von dem Entfernten horte. End-
lich aber kam eines Morgens ein Brief an, welcher lauter gute
Nachrichten und unter anderm auch die Meldung brachte, daß der
Unterosficier mittlerweile zum Range eines Feldwebels emporge-
stiegen sei.
<Aber was hilft mir das alles,' stand in diesem Briefe. Won
der Ehr' allein wird man nicht satt, und etwas anderes zum Esten
findet man kaum. Wenn ich nur einmal eine einzige Metze von
unsern schönen Kartoffeln hätte; hei, die sollten schmecken! Hier
am Rhein müssen wir manchmal drei Tage hintereiuanderweg hun-
gern, daß einem die Schwarte knackt, und eine rechtschaffene Kar-
toffel ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen - seit ich von daheim
fort bin.'
Diese Stelle im Briese schnappte Svldatenfritze auf und ver-
gaß darüber beinahe, sich über die Beförderung seines geliebten
Vaters zu freuen. Es grummelte und kränkte ihn, daß der Vater
keine gute Kartoffeln hatte und hungern mußte, während der Keller
daheim mit den schönsten Zuckerkartosseln angefüllt war von oben
bis unten, und er grübelte darüber nach, wie er wohl dem Vater
eine Freude machen und ihm einen Mund voll guter Kartoffeln
verschaffen könne.
Mutter,' sagte er, <gieb mir ein Säckchen; ich trage dem Vater
ein paar Metzen hinaus.'
<Juuge, du bist nicht bei Troste!' antwortete die Mutter lachend.
Meinst du, es war' ein Spaß, so ein hundert Meilen mit dem Kar-
toffelsacke auf der Schulter zu laufen? Schlag dir das aus dem
Sinn, kleiner Hansnarr!'
Das war bald gesagt, aber nicht so bald befolgt. Soldateu-
fritze konnte die Kartoffeln niä)t aus dem Kopse los werden, und
wo er gieng und stand, dachte er sich den Vater, wie er mit Sehn-
sucht nach der Heimat blickte und sich nur eine einzige Metze von
den schönen Kartoffeln aus der Heimat wünschte. Selbst des
Nachts ließ ihm dieser Gedanke keine Ruhe, und oft fuhr er aus
dem Schlafe auf, indem er laut ries: Water, du sollst und mußt
deine Kartoffeln haben!'
Ein paar Wochen giengen so hin, und die Mutter wunderte
sich des Todes über ihren närrischen Jungen, der über die Kar-
löffeln ordentlich blaß und mager wurde. Doch glaubte sie, er
300
würde sich die Grille mit der Zeit wohl noch aus dem Kopfe schla-
gen. Eines Morgens aber, es war im Spätsommer unb die Sonne
kaum aufgegangen, gieng sie in Soldatenfritzens Bodenkammer,
um den Jungen zu wecken imb zur Arbeit anzutreiben, und siehe
da, das Bett stand leer, und Soldatenfritze war verschwunden.
Mi, wo mag der Junge nur stecken?' murmelte die Mutter,
mismuthig ben Kopf schüttelnd. Mewiß ist er schon wieder in den
Tannenwald hinaus, um Eichhörnchen zu sangen. Ich muß ihn
wahrhaftig ein wenig strenger halten, denn seit der Vater fort
ist, geht alle Tage mehr Gehorsam und Zucht verloren!'
Ohne sich weiter nach dem kleinen Burschen umzuschauen,
gieng sie an ihre Geschäfte, bereitete das kärgliche Mittagsbrot,
trug es ans und meinte, nun müsse der Fritze ans alle Fälle kom-
men, denn die Eßstunde hatte er sein Lebtage noch nicht versäumt.
Aber die Glocke schlug zwölf, sie schlug eins, zwei, und der Junge
kam nicht. Da wurde der Mutter bange; sie lief hinaus und
fragte die Nachbarn, ob sie den Fritz nicht zufällig gesehen hätten.
Niemand wußte etwas von ihm, bis endlich ein alter Wegebessercr
sich erinnerte, ihn am Morgen schon vor Sonnenaufgang mit einem
Säckchen ans der Schulter gesehen zu haben.
Mch, der Blitzjunge!' rief die Mutter ans und schlug vor Ver-
wunderung die Hände über dem Kopfe zusammen. <Der ist fort,
dem Vater nach, und bringt ihm Kartoffeln ins Lager. Na, das
ist mir eine schöne Geschichte.'
Sie lief nach Hause, suchte in seinem Schubkasten und fand,
daß Fritzens Sonntagskleider fehlten, auch ein kleiner Sack, den
er schon vor ein paar Tagen von ihr erbettelt hatte.
Mw ist richtig fort!' seufzte sie, und die hellen Thränen rannen
ihr aus den Augen. Mein, was der Junge für Streiche macht!
Gott behüte und bewahre ihn! Wenn er nur glücklich hinkommt,
dann will ich noch nichts sagen; aber so ohne allen Abschied fort-
zulaufen, das ist doch zu arg!'
Die arme Mutter weinte zum Herzbrechen, und nur erst die
Vorstellung, wie sich der Vater über die Ankunft des Buben freuen
werde, vermochte es, ihren Kummer in etwas zu lindern. Da sie
überdies nicht Mittel noch Wege wußte, den kleinen Schelm wieder
zu erwischen, so ergab sie sich endlich geduldig in ihr Schicksal und
hoffte zu Gott, daß er die anhängliche Liebe des Kleinen zu sei-
nem Vater durch einen guten Erfolg seines Vorhabens belohnen
werde.
Mittlerweile rannte Soldatenfritze in seinem Sonntagsstaate
fröhlich und wohlgemnth dem Rheine zu. Den Weg dahin kannte
er so eigentlich nicht, aber die ungefähre Richtung war ihm be-
kannt, da er den Schulmeister darum befragt hatte, und so, meinte
er, könne eö ihm auf keine Weise fehlen, das Ziel seiner Reise zu
erreichen. Geld hatte er nicht und glaubte auch nicht, cs nöthig
301
zu haben. Wo du hinkommst, werden dir die Leute wohl ein
Stückchen Brot geben/ dachte er. ‘$)u brauchst ja nur zu erzählen,
daß du zum Vater willst, um ihm Kartoffeln zu bringen; das wird
den Leuten schon recht sein. Und wie wird sich der Vater freuen,
wenn ich zu ihm komme! Das wird ein Jubel werden! Habe
ich ihm doch die schönsten Kartoffeln aus dem ganzen Keller aus-
gesucht!'
Die Kartoffeln trug er richtig in einem kleinen Sacke aus
der Schulter, und obgleich der Tag heiß war, drückte ihn die
Last doch nicht, denn die Liebe zum Vater machte sie ihm leicht.
Um Mittag, gerade als daheim die Mutter aus ihn lauerte,
kam er in einem großen Dorfe an, kehrte ins erste beste Wirts-
haus ein, setzte sich keck mif die hölzerne Bank an den Tisch und
wischte sich ben Schweiß ab. Es waren viele Gäste in der Stube,
ein alter Invalide mit einem Stelzbein dabei, die schauten den
frischen Buben mit dem Sacke groß an. Der Wirt kam ans ihn
zu und fragte ihn, wer er sei, und woher er käme, und wohin
er wolle.
<Ei/ sagte der Junge, üch bin der Soldatenfritze aus Bran-
denburg und will an den Rhein zum Vater und will ihm ein
Gericht Kartoffeln bringen, weil er sich's so sehr gewünscht hat?
Was willst du, Junge?' fragte der Invalide, indem er auf-
stand, zu Fritzen hinschritt und ihn mit einem verwunderten Blicke
maß von oben bis unten.
Mnn, an den Rhein will ich/ antwortete Soldatenfritze.
Wein Vater ist Feldwebel geworden, aber er macht sich nichts dar-
aus, weil er keine Kartoffeln hat, und darum will ich ihm welche
bringen und habe ihm die schönsten ausgesucht. Hier im Sacke
stecken sie drin.'
M, du verwetterter Junge!' rief der Invalide, indem er seinen
langen weißen Schnanzbart strich, ffag' an, du Blitzbnbe, ob das
dein Ernst ist,. und erzähle 'mal ordentlich deine Geschichte, damit
ein verständiger Mann klug daraus werden kann.'
Soldatenfritze erzählte, und alle, die im Wirtshause waren,
hörten ihm fein aufmerksam zu. Als er mit seiner Geschichte fertig
war, da standen dem ehrlichen Invaliden die Thränen in den
Augen, und auch die übrigen wischten sich die Backen ab.
^Ei, Herzensbub!' schrie der alte Soldat, Komm her und gieb
mir 'n Kuß. Du bist mir 'n echtes und rechtes Soldatenkind, und
mein altes Herz wackelt mir vor Freuden, wenn ich dich so anschaue.
Komm her, sag' ich!'
Svldatenfritze wußte nicht, wie ihm geschah; denn aus einmal
kriegte ihn der alte Invalide beim schöpfe und küßte ihn ab, daß
ihm schier der Athem vergieng. Die andern Gäste machten's der
Reihe nach ebenso, und selbst der dicke Wirt war bis in die innerste
Seele hinein tief gerührt.
302
‘Srslgt auf,' schrie er, llvaS das Haus vermag! Solch ein
Juuge muß tradiert werden, wie wenn er ein Prinz wäre. Heran
mit Schinken und Braten, heute sollls hoch hergehen im Hanse?
Wie der Wirt, so sprachen auch die andern, und der alte In-
valide ließ den kleinen Soldatenbuben gar nicht aus den Armen,
bis es zu Tische gieng, wo doch er selber und der Junge not-
wendigerweise die Arme frei haben mußten, um die Hände ge-
brauchen zu können.
Für heute durfte Fritz nicht daran denken, seinen Wanderstab
weiter zu setzen. Er mußte im Wirtshause bleiben und wurde ge-
hätschelt und geliebkost, wie wenn er wirklich ein leibhaftiger Prinz
wäre. Am Abende, als sich noch mehr Gäste gesammelt hatten,
erzählte er auf die Bitte des alten Invaliden noch einmal seine
Geschichte und wurde dann endlich vom Wirte in ein Kämmerchen
geführt und in ein weiches Bettlein gebracht, wo er schlief wie die
Engelein im Himmel. Während er aber im süßen Schlummer lag
und von seinem Vater träumte, wachte der alte Invalide für ihn,
hielt eine kernige Rede an die Gäste im Wirtshause, meiute, daß
es eine Sünde und Schande wäre, wenn man solchen braven
Jungen ohne Reisegeld ziehen lassen wollte, und machte das alles
den Leuten so einleuchtend, daß jeder mit Freuden sein Beutelein
aufthat und dem braven Soldatenfritze ein reichliches Scherflein
spendete. Der dicke Wirt sammelte das Geld ein und bewahrte es
bis zum andern Morgen in seinem Schranke.
Als der Morgen dämmerte, ließ er sein Wäglein anspannen,
weckte den Buben, setzte ihm ein reichliches Frühstück vor, gab ihm
das Geld, was die Gäste ihm gespendet hatten, nähete es in das
Futter seiner Jacke ein und entließ ihn dann mit herzlichen Wün-
schen für sein Wohl und eine glückliche Reise. Innig gerührt
von der Liebe und Güte des braven Mannes, nahm Soldaten-
fritze Abschied von ihm und dem Invaliden, der bis zum letzten
Augenblicke nicht von seiner Seite wich, stieg in das Wägelchen
und rollte lustig der nächsten Stadt zu, die fünf Meilen vom Dorfe
entlegen war, und bis wohin der freundliche dicke Wirt ihn fahren
ließ^ Hier trug der Knabe dem Kutscher noch die schönsten Grüße
auf und pilgerte dann zu Fuß weiter, bis der Abend anbrach, und
er abermals in einem Dorfe übernachten mußte. Hier wie dort
erzählte er seine Geschichte und ward dafür wiederum sorgsam ge-
pflegt und mit Liebe behandelt. Alle Welt beschenkte und belobte
ihn, und so blieb er frohen Muthes und hoffnungsvollen Herzens
auch aus seiner fernern Reise, ob er sich gleich immer weiter und
weiter von den heimatlichen Gegenden entfernte.
Endlich, nachdem er manchen lieben langen Tag fortgepil-
gert war, sah er in der Ferne die erste Schildwache des preußi-
schen Lagers stehen und eilte mit geflügeltem Schritte dar-
auf los.
303
Wißt Ihr nicht, wo ich meinen Vater finde?' fragte er athern-
ToS den Soldaten.
‘Summer Junge,' antwortete barsch die bärtige Schildwache,
‘weiß ich denn, wiedein Vater heißt, und bei welchem Regimenté
er steht?'
‘I, bei dem Brandenburger Greuadierregiment steht er, und
Martin Bollermann heißt er, unb Feldwebel ist er,' erwiderte Sol-
datenfritze rasch.
-Na, wenn das wahr ist, so such' ihn auf,' sagte die Schild-
wache. ‘Du kannst passieren.'
Fritze rannte weiter, kam zur zweiten Schildwache, zur dritten,
unb fiel endlich einem Adjutanten in die Hände, der ein strenges
Examen mit ihm anstellte. Je mehr er aber fragte, und je mehr
er hörte, desto freundlicher wurde er, und endlich klopfte er gar
dem braven Jungen liebreich aus die Wange.
‘Komm mit mir/ sagte er, ‘ich denke, wir werden deinen Vater
bald ausfindig machen.'
Er gieng fort, aus ein großes prächtiges Zelt zu, von dessen
Spitze eine breite Fahne herabwehte, die mächtig rauschte und
flatterte, wenn der Wind sie faßte und umherwirbelte. Fritze mit
seinem Kartoffelsacke trollte munter neben ihm her und folgte furcht-
los ins Zelt, als der Officier ihm zuwinkte, dreist mitzugehen.
In dem Zelte erblickte er einen ältlichen, prächtig gekleideten
Officier, der in einem großen Lehnstuhle vor einem Feldtssche saß
und in Landkarten zu studieren schien. Er blickte kaum auf und
nickte nur ganz wenig mit dem Kopfe, als der Begleiter unsers
Soldatenfritze ehrerbietig zu ihm trat.
‘Das ist gewiß ein General!‘ dachte Fritze, indem er, ein ivenig
eingeschüchtert, bei dem Eingänge des Zeltes stehen blieb. Und er
hatte Recht.
Sein Begleiter, der Adjutant des Generals, sprach leise mit
diesem letztern, der sehr bald seine Blicke von den Karten abwen-
dete, aufmerksam der Erzählung des Adjutanten zu lauschen schien
und dann und wann einen hurtigen Blick auf den Soldatenfritze
warf. Ein Weilchen sprach er noch mit dem Officier, dann über-
gab er ihm einen Auftrag, schickte ihn fort und winkte den Knaben
zu sich, der alsbald der Aufforderung gehorchte und mit soldatischem
Anstand vor den General trat.
‘Wie heißt du?' fragte dieser, nachdem er ihn lange vom Kopf
bis zu den Füßen betrachtet hatte.
‘Fritz Bollermann, Soldatenfritze genannt.'
Der General lächelte unb fragte weiter: ‘Woher bist du?'
‘Aus Brandenburg.'
‘Warum bist du hierher gekommen?'
» ‘Um meinem Vater Kartoffeln zu bringen.'
304
'Also wirklich wahr!' murmelte der General. — 'Hast sie wohl
im Sacke da drinnen?' setzte er hinzu.
'Za, die besten ans unserm ganzen Keller!' erwiderte Fritze,
indem er den Sack von der Schulter nahm und aufband. 'Sehen
Sie nur, Herr! alle rund unb glatt wie Kieselsteine.'
'Gut, gut, mein Sohn,' antwortete der General. 'Sie sind
wirklich sehr schön und machen einem ordentlich Appetit. Aber gehe
jetzt in die Kammer hinein, nnb bleib drin, bis ich dich rufe, hörst
du? Deinen Sack kannst du indessen hier stehen lasten.'
Soldatenfritze legte seinen Kartoffelsack aus den Boden, schlüpfte
in die Zeltkammer und setzte sich da in einen großen Armstnhl, der
ihm ungemein behaglich und bequem erschien. Ermüdet von dem
anstrengenden Marsch des heutigen Tages und noch mehr vielleicht
von seinen Gemüthsbewegungen, nickte er bald ein und schlief end-
lich ganz fest. So fand ihn der General, als er nach etwa einer
halben Stunde in die Kammer trat. Er ließ ihn ruhig fort-
schlasen und trat leise in seine Zeltstube zurück.
Während Fritze alles in den erquickenden Armen des Schlum-
mers vergaß, war der General thätig für ihn und ruhete nicht,
bis er den alten Feldwebel Martin Bollermann vom Regimenté
Brandenburg aufgeftmden hatte. Sofort ließ er ihn zum Abend-
essen commandieren, lud noch einige der höchsten Offieiere dazu
ein und vergaß nicht, seinem Koche einige nothwendige Befehle zu
ertheilen.
Dazumal aßen die Leute früher zu Nacht als heutzutage, und
zwar nur, um hübsch gesund und munter zu bleiben und eines er-
quickenden Schlummers genießen zu können. Die Gäste versam-
melten sich also bei guter Zeit nnb setzten sich ohne viele Umstände
zu Tische'. Doch wunderten sich einige, einen bloßen Feldwebel,
und noch dazu in der Feldwebeluniform, an der Generalstafel zu
finden. Wie gesagt, einige wunderten sich; aber am meisten wun-
derte sich der Feldwebel Bollermann selbst, obgleich er sich dadurch
nicht abhalten ließ, tapfer daraus los zu essen, besonders da der
General selber ihn mehreremale freundlich !zum Zugreifen auffor-
derte. Er betrachtete das als einen Befehl, der ohne alle Um-
schweife und Ausflüchte befolgt werden müßte, und aß für drei
Mann.
Das Merkwürdigste an der Generalstafel, außer dem Feld-
webel, war eine große zugedeckte Schüssel, in welcher die Gäste un-
zweifelhaft ein höchst kostbares und leckeres Gericht vermutheten.
Der General bemerkte wohl die Neugierde, welche durch die Schüssel
erregt wurde; aber er gab nicht die geringste Andeutung, dieselbe
zu befriedigen. Er lächelte, wenn er die Schüssel anblickte, und
wechselte zuweilen einen kurzen bedeutenden Blick mit seinem Adju-
tanten, ans dem jedoch keiner als nur eben die beiden in das Ge-
305
heimuis Eingeweihten klug werden konnte. Die Neugierde wurde
aufs höchste gespannt. ^
Endlich forderte der General den Feldwebel mit lauter Stimme
aus, den Teckel von der Schüssel zu nehmen, und wie am Schuür-
chen wendeten sich sogleich aller Augen auf das geheimnisvolle
Gericht. Was erblickten sie? — Kartoffeln in der Schale, die aller-
dings sehr sauber und appetitlich aussahen, aber doch immerhin
den verwöhnten Gaumen der leckern Gäste, die ganz etwas anderes
erwartet hatten, nicht wenig täuschten. Der einzige, der sich dar-
über von Herzen freute, war der Feldwebel Bollermann, und kaum
vermochte er einen Ausruf der angenehmsten Überraschung zurück-
zuhalten.
'Bisher, meine Herren,' nahm der General das Wort, indem
ein heiteres Lächeln seine Lippen umspielte, — 'bisher sind Sie
meine Gäste gewesen; jetzt aber, das heißt, wenn Sie von den präch-
tigen Kartoffeln da etwas genießen wollen, müssen Sie Sich an
den Feldwebel Bollermann wenden, dem gehören sie.'
Die Herren Officiere rümpften dee Nase ein wenig und zuck-
ten hochmüthig die Achseln. Der General schien sich jedoch um
diese Zeichen entschiedenen Misfallens nur wenig zu kümmern.
'Wenn Sie wüßten, auf welche Weise die Kartoffeln in unser
Lager gekommen sind,' fuhr er fort, 'so würden Sie Sich's zur
Ehre rechnen, auch nur eine davon zu bekommen.'
'Wie so? wie gieng das zu?' sragteu die Herren. 'Erzählen
Sie doch, weun's gefällig ist.'
'Ich? O nein, ich verstehe mich wenig auf hübsche Geschichten,'
erwiderte der General. 'Da ich aber sehe, daß Sie sowohl wie
auch unser ehrlicher Bollermann einigermaßen von Neugierde ge-
plagt werden, so will ich ans anderweitige Weise Ihren Wunsch
zil erfüllen suchen. Herr Adjutant, bringen Sie doch gefälligst mei-
nen Geschichtserzähler herbei.'
Der Adjutant verschwand in der Kammer, und aller Augen
hefteten sich an den Eingang derselben. Des ehrlichen alten Boller-
mann^Herz pochte zum Zerspringen, denn ihm schien eine Ahnung
der Wahrheit in der Seele aufzudämmern. Er wurde bald blaß,
bald roth und merkte es nicht, wie fortwährend mit gespanntem
Ausdrucke des Generals Augen auf ihm ruhten.
Nach einem Weilchen öffnete sich der Vorhang, der die Kam-
mer von der Stube schied, und herein trat, an der Hand des Ad-
jutanten, fröhlich und mit hellem, furchtlosem Auge umbersckauend,
— Soldatenfritze.
'Fritze!' rief der Feldwebel, allen Respect vor seinen Herren
Officierei! vergessend und mit weit "ausgebreiteten Armen auf-
springend, 'Fritze! ums Himmels willen, wie kommst du hierher?'
Der Knabe antwortete nicht, sondern stürzte mit einem lauten
Schrei an des Vaters Brust, und beide hielten sich lange und fest
Colshorn u. ©oebeie’8 Lesebuch I. 20
305
umschlungen. Die Ossiciere starrten, seltsam bewegt, das sonder-
bare Schauspiel an, und in dem Auge des Generals, der ein gar
guter und lieber Mann war, schimmerte sogar eine Thräne der
Rührung und Freude. Seine freundliche Anrede trennte endlich
Vater und Sohn und stellte in etwas die Ruhe der bewegten Ge-
müther wieder her.
^Erzähle, mein Junge, warum und auf welche Weise du her-
gekommen bist,' sagte er. Mber vorher mach dir's bequem und
setze dich mit au die Tafel. Brauchst dich dessen nicht zu wei-
gern, und wenn's eines Königs Tafel wäre. Deine treue Kindes-
liebe hat die Ehre wohl verdient.'
Fritze blickte den General liebevoll an, faßte seines Vaters
Hand, setzte sich an seiner Seite nieder und erzählte frisch weg,
was wir schon alles wissen. Die Herren Ossiciere waren ganz
Ohr, und ihre strengen Mienen wurden immer freundlicher, ihre
finstern Gesichter immer heller. Sie hatten recht ihre Freude an
dem frischen muntern Buben, der seinen Vater so herzlich und innig
liebte, daß er hundert und mehr Meilen gelaufen war, um ihm
sein Lieblingsgericht zn bringe». Der alte Feldwebel selber aber
schien ganz aufgelöst in Wonne und Rührung und lachte bald uub
weinte bald vor lauter Entzücken. Als Fritze seine Geschichte be-
endigt batte, schien er die vornehme Umgebung ganz vergesse,, zu
haben. Er umarmte immer von neuem seinen muthigen Buben,
drückt ihm hundert Küsse auf den frischen rothen Mund und richtete
tausend und aber tausend Fragen an ihn, die Fritze alle ehrlich
und offen beantwortete.
Auf einen Wink des Generals entfernten sich alle Anwesenden
aus dem Zelte und ließen den entzückten Vater mit seinem herzigen
Bübchen allein. Da wurde denn erst recht das innerste Herz aus-
geschüttet, und das Schwatzen und Plaudern und Kosen riß nicht
ab. Erst eine Stunde später kam der General wieder und gab
dem Feldwebel ein großes Schreiben in die eine und einen Beutel
voll Goldstücke in die andere Hand.
<Hier Euer Abschied, Freund, nebst Zusicherung Eures vollen
Gehaltes als lebenslängliche Pension z und da ein kleines Geschenk
für Euer,, braven Jungen, das wir Ossiciere für ihn zusammen-
gebracht haben. Hebt's ihm auf, bis er groß ist und er's gut an-
wenden kann , und für jetzt macht, daß Ihr heimkommt zu Weib
und Kind, die sich ja wohl freuen werden, wenn sie den Haus-
vater wiedersehen.'
‘D Gott, Herr General Euer Gnaden sind zu gnädig!' stam-
melte der entzückte Feldwebel, der nicht wußte, über was er sich
am nieisten freuen sollte, ob über die Herablassung des hohen OffE
ciers, ob Über die Pension, oder Über den Reichthum seines Sol-
datenfritze. Wie hab' ich so viele Gnade verdient?'
<Durch Euer wackeres Betragen während des ganzen Feld-
307.
zugS, durch die Wunde, die Ihr bei der letzten Affaire durch Eure
Tapferkeit erhalten habt und die Euch für Eure ganze Lebenszeit
dienstunfähig macht, und endlich durch Euren Jungen, den Sol-
datenfritze da. An ihm habe ich gesehen, daß Ihr ein guter Vater
sein müßt, und einen solchen kann unser König besser zu Hause
gebrauchen als bei einem Feldzuge, der bereits seinem Ende nahe
ist. Geht daher in Frieden, alter Kamerad, und erzieht mit Gottes
Hülfe alle Eure Jungen wie den da, der ein echtes und rechtes
Soldatenkind ist. Lebt wohl und vergeßt nicht, den Fritz zu mei-
nem Negimente zu schicken, wenn er einmal groß genug geworden
ist, um die Waffen für seinen König tragen zu können.'
Tief gerührt küßte der alte Feldwebel dem gütigen General die
Hand und bedankte sich von Herzensgründe für die ihm zu Theil
gewordene Gunst. Dem Soldatenfritze streichelte der vornehme
Officier freundlich die Wangen und küßte ihn auf die Stirn.
'Bleib gut und brav,' sagte er, 'und es wird gewiß einmal ein
rechtschaffener Mann ans dir. Wer Vater und Mutter ehrt, den
hat Gott lieb und läßt es ihm Wohlergehen auf Erden. Adieu,
mein frischer Bub!'
Damit waren Vater und Sohn verabschiedet, machten sich
gleich am folgenden Tage aus den Heimweg und gönnten sich nicht
Ruhe noch Raft, bis sie in der heimatlichen Hütte angekommen
waren.
Das gab aber ein Fest, als der Soldatenfritze und mit ihm
der Vater wiederkehrte! Einen Jubel gab es, der sich gar nicht
beschreiben läßt. Die Mutter weinte vor Freude, die daheim ge-
bliebenen Kinder jauchzten und tanztenz der Vater hatte genug zu
thun, um erst jedem sein gehörig Theil von Zärtlichkeit und Lieb-
kosungen zuzumessen, und Fritze wurde von allen belobt. Er aber
stand dabei mit glänzenden Augen, und war ihm anzusehen, daß
er alle die Lobsprüche gar nicht verdient zu haben vermeinte.
Als Soldatensritze groß wurde, machte er seinem Namen keine
Schande, sondern er widmete sich dem Soldatenstande mit Leib
und Leben. Er ward ein wackerer Officier, machte verschiedene
Feldzüge mit, eroberte Stufe nach Stufe und ist jetzt ein mit Recht
hoch geachteter und beliebter Oberst in preußischen Diensten.
278.
Das Feuer im Walde.
Von Hölty.
«-dichte, herauSg. von I. H. Voh. 3. Ausg. Königöb. u. Leipzig. 1833. S- bS.
Aween Knaben liefen durch den Hain
Und lasen Eichenreiser auf
Und türmten sich ein Hirtenfeuer,
20*
308
Indes die Pferd' im fetten Gras
Am Wiesenbache weideten.
Sie freuten sich der schönen Glut,
Die wie ein Helles Osterfeuer
Gen Himmel flog, und setzten sich
Auf einen alten Weidenstumpf.
Sie schwatzten dies und schwatzten das,
Vom Feuermann und Ohnekopf,
Vom Amtmann, der im Dorfe spukt
Und mit der Feuerkette klirrt,
Weil er nach Anfehn sprach und Geld,
Wie's liebe Vieh die Bauern schund
Und niemals in die Kirche kam.
Sie schwatzten dies und schwatzten das
Dom sel'gen Pfarrer Habermaiin,
Der noch den Nußbaum pflanzen that,
Von dem sie manche schöne Nuß
Herabgeworfen, als sie noch
Zur Pfarre giengen, manche Nuß!
Sie segneten den guten Mann
In seiner kühlen Gruft dafür
Und knackten jede schöne Nuß
Noch einmal in Gedanken auf.
Da rauscht das dürre Laub empor,
Und sieh, ein alter Kriegesknecht
Wankt durch den Eichenwald daher,
Sagt: 'Guten Abend,' wärmet sich
Und setzt sich auf den Weidenstumpf.
'Wer bist du, guter alter Mann?'
'Ich bin ein preußischer Soldat,
Der in der Schlacht bei Kunersdorf
Das Bein verlor und leidergotts!
Vor fremden Thüren betteln muß.
Da gieng es scharf, mein liebes Kind!
Da sauseten die Kugeln uirs
Wie Donnerwetter um den Kopf!
Dort flog ein Arm, und dort ein Bein!
Wir patschelten durch lauter Blut,
Im Pulverdampf! 'Steht, Kinder, steht!
Verlasset euren König nicht!'
Rief Vater Kleist; da sank er hin.
Ich und zwei Bursche trugen flugs
Ihn zu dem Feldscher aus der Schlacht.
Laut donnerte die Batterie!
Mit einmal flog mein linkes Bein
Mir unterm Leibe weg!' — 'O Gott!'
Sprach Hans und sahe Töffeln an
Und fühlte sich nach seinem Bein.
'Mein Seel'! ich werde kein Soldat
Und wandre lieber hinterm Pflug.
Da sing' ich mir die Arbeit leicht
Und spring' und tanze wie ein Hirsch
Und lege, wann der Abend kommt,
309
Mich hinterm Ofen auf die Bank.
Doch kommt der Schelmfranzos zurück,
Der uns die besten Hühner stahl
Und unser Heu und Korn dazu;
Daun nehm' ich einen rothen Rock
Und auf den Buckel mein Gewehr!
Dann komm nur her, du Schelmfranzos!'
«Hans,' sagte Toffel, «lang' einmal
Die Kiepe her, die hinter dir
Im Riedgras steht, und gieb dem Mann
Von unserm Käs und Butterbrot,
Ich samml' indessen dürres Holz;
Denn sieh, das Feuer sinket schon.'
279.
Die Sachsen und die Wenden 928 und 929.
Von Giesebrecht.
Geschichte der deutschen Kaiscrzeit. Braunschweig 1855. I, 207.
Hie Wenden ließen dem Sachsenvolk nimmer Ruhe; Heinrich
der Vogelsteller beschloß den Krieg gegen sie. Der erste Angriff
galt den Hevellern, einem wendischen Stamme, der auf beiden Sei-
ten der breiten, seereichen Havel und an der untern Spree wohnte.
Mehrmals kam es zum Kampfe, immer siegte Heinrich und drang
endlich bis zur Hatiptfeste dieses Stammes, dem jetzigen Branden-
burg, vor. Die Stadt, Brennaburg damals genannt, lag rings
von der'Havel umflossen. Es war mitten im Winter, als Heinrich
ste belagerte, und aus dem Eise schlug er sein Lager auf. Eis,
Eisen und Hungersnoth: die brachten Brennaburg zu Fall, und
mit ihm flel das ganze Hevellerland in die Hände des Siegers.
Danach zog Heinrich südwärts gegen die Daleminzier, gegen die
er einst seine ersten Lorbeeren erfochtet; hatte. Sie kannten schon
die Streiche von Heinrich's Schwert und wagten tiicht, ihm im
offenen Felde zu begegnen: sie schlossen sich deshalb in ihre Feste
Jana ein; aber am zwanzigsten Tage wurde auch diese genommen.
Tödtlicher Haß herrschte zwischen Wenden und Sachsen, und auch
hier sielen ihm blutige Opfer. Die Stadt wurde geplündert, was
mannbar war, erschlagen, die Kinder als Sklaven verkauft. So
wollte es die arge Sitte, und der Deutsche hat sein Wort ^Sklave'
von den Slaven genommen.
Während Heinrich, immer siegreich, weiter südwärts drang
gegen die mächtigen Böhmen, kämpften sächsische Grafen mit Glück
gegen die nördlich wohnenden Wenden, unterwarfen namentlich die
Redarier, und binnen kurzer Zeit wurde der größte Theil des
Landes zwischen Elbe und Oder der Herrschaft der Sachsen ge-
wonnen. Aber der harte Sinn der Wenden war nicht gebrochen,
und das vergossene Blut schrie um Rache. Wüthend erhoben sich
310
zuerst die Nedarier und nahmen Walsieben in der Altmark mit
Sturm: von allen seinen damals zahlreichen Bewohnern sah keiner
den kommenden Tag. Dies war der Weckruf zur allgemeinen Er-
hebung; wie ein Mann standen alle wendischen Stämme auf, um
das verhaßte Joch der Sachsen abzuschütteln.
Heinrich rüstete schnell und befahl dem Bernhard, dem er die
Bewachung der Nedarier übertragen hatte, wie dem Grafen Thiet-
mar, sogleich den Krieg mit der Belagerung der Feste Lenzen, die
in den Händen der Wenden war, zu beginnen. Es wurde der
Heerbann, so gut es in der Eile gieng, im Sachsenlande gesam-
melt und mit den königlichen Dienstleuten, die in den Marken stan-
den, unter ihren Befehl gestellt. Schon fünf Tage lag man vor
Lenzen, da meldeten Kundschafter, ein Heer der Wenden sei in der
Nähe und wolle bei einbrechender Nacht das Lager der Sachsen
überfallen. Bernhard ließ sofort das Heer bei seinem Zelte ver-
sammeln und gebot, man solle wohl auf der Hut sein und die
ganze Nacht unter Waffen stehn. Die Menge trennte sich und
überließ sich der Freude oder der Angst, der Hoffnung oder Furcht,
je nachdem einer den Kampf wünschte oder nicht. Die Nacht brach
herein, finsterer als gewöhnlich, der Himmel war mit schweren Wolken
bezogen, und der Regen stoß in Strömen herab. Bei solchem Wetter
sank den Wenden der Muth, und sie unterließen den Angriff; die
Sachsen aber standen die ganze Nacht unter Waffen. Als der
Morgen dämmerte, da beschloß nun Bernhard selbst einen Angriff
zu wagen und ließ das Zeichen zum Aufbruch geben. Zuvor^aber
nahmen alle im Heer das heilige Abendmahl — so war es Sitte
vor der Schlacht —, und mit feierlichem Eidschwur gelobten sie
erst ihren Führern, dann sich untereinander Beistand und Hülfe
in der Noth. Als die Sonne hervorbrach — in heller Bläue
strahlte der Himmel nach dem nächtlichen Regenguß —, zogen sie
aus dem Lager, die wehenden Fahnen voran. Den ersten Angriff
machte Bernhard selbst, doch der Übermacht der Gegner mußte er
weichen. Dennoch hatte er so viel gesehen, die Wenden hatten
nicht mehr Reiter als er, wohl aber unermeßliche Scharen von
Fußvolk, die jedoch nur mit Mühe auf dem schlammigen Boden
sich vorwärts bewegten und mit Gewalt von Reitern im Rücken
vorgejagt wurden. Da faßten er und die Sachsen wieder Muth.
Mehr aber wuchs derselbe, als sie sahen, wie aus den nassen Klei-
dern der Wenden ein dichter Dunst zum Himmel empor stieg, wäh-
rend sie selbst vom klaren Lichte rings umflossen waren. Es war
ihnen, als ob der Christengott mit ihnen sei im Kampfe gl'gen die
Heiden. Abermals wurde das Zeichen zum Angriff gegeben, und
mit freudigem Feldgeschrei stürzten sie sich in die Reihen der Feinde.
Dicht gedrängt standen die Wenden, vergebens versuchte man sich
eine Gaffe durch die Scharen zu brechen; aber rechts und links
wurden einzelne Züge der Wenden, die von der Masse ihrer Ge-
311
fährten sich sonderten, angegriffen^und niedergemacht. Viel Blut
wurde so auf beiden Seiten vergoren; doch noch immer hielten die
Wenden Stand. Da schickte Bernhard einen Boten an Thietmar,
er solle dem Heere zu Hülfe eilen, und schnell sandte dieser einen
Hauptmann mit fünfzig gewaffneten Rittern in die Seite der
Feinde. Wie ein Unwetter stürzte sich dieser ans die Wenden; da
wankten die Reihen derselben, unb bald ergoß sich das ganze Heer
in die wildeste Flucht. Rings auf dem Blachfelde wüthete daö
Schwert der Sachsen. Die Wenden siichten Lenzen zu erreichen,
aber umsonst. Thietmar hatte die Wege beseht. Da stürzten sich
viele voll Verzweiflung in einen nahe belegenen See, und die da3
Schwert verschont hatte, fanden hier ihren Tod. Von dem Fuß-
volk kam keiner davon, wenige nur von den Reitern. Achthundert
geriethen in Gefangenschaft; den Tod hatte man ihnen gedroht,
und den Tod fanden sie alle am kommende» Tag. Mehr als
hunderttausend Wenden sollen bei Lenzen gefallen sein. Auch die
Sachsen erlitten schmerzliche Verluste und vermißten manchen edlen
Mann in ihrem Heere. Mit diesem Schlage war der Krieg be-
endigt. Am andern Tage ergab sich Lenzen, die Bewohner streckten
die Waffen, sie baten allein um das Leben. Das ließ man ihnen,
nackt mußten sie an© der Stadt ziehen; ihre Weiber, ihre Kinder,
ihre Knechte, ihr Hab' und Gut, alles siel in die Hände der Sieger.
Herrlichen Ruhm vor allem deutschen Volk erwarben 'sich
Bernhard und Thietmar; denn über ein unermeßliches Heer der
gehaßten Wenden hatten sie mit einer eilig zusammengerafften, im
Verhältnis geringen Mannschaft einen glänzenden Sieg davon ge-
tragen. Auf das ehrenvollste empsieng sie der König, und aus
seinem Munde erhielten ihre Thaten daS schönste Lob/
280.
Der reichste Fürst.
Von Kerner.
Dichtungen 3. Ausl. Stuttgart und Tübingen 1811- I, 46.
preisend mit viel schönen Reden ihrer Länder Werth und Zahl,
Saßen viele deutsche Fürsten einst zu Worms im Kaisersaal.
'Herrlich,' sprach der Fürst von Sachsen, 'ist mein Land und seine Macht,
Silber hegen seine Berge wohl in manchem tiefen Schacht.'
'Seht mein Land in üpp'ger Fülle,' sprach der Kurfürst von dem Rhein,
'Goldne Saaten in den Thälern, auf den Bergen edlen Wein.'
'Große Städte, reiche Klöster,' Ludwig, Herr zu Baiern, sprach,
'Schaffen, daß mein Land den euren wohl nicht steht an Schätzen nach.'
Eberhard, der mit dem Barte, Würtemberg's geliebter Herr,
Sprach: 'Mein Land hat kleine Städte, trägt nicht Berge silbcrschwerj
'Doch Ein Kleinod hält's verborgen: daß in Wäldern, noch so groß,
Ich mein Haupt kann kühniieh legen jedem Unterthan in Schoß.'
Und es rief der Herr von Sachsen, der von Baiein, der vom Rhein:
'Graf im Bart, Ihr seid der reichste! Euer Land trägt Edelstein!'
312
281.
Der Itaar.
Bon Jacobs.
Kleine Erzählungen des Pfarrers von Mainau 2. Ausl. Leipzig 1844 S. 133.
Wer in Barern gewesen ist, als Max Joseph das Land re-
gierte, oder wer noch jetzt dahin kommt, der wird von diesem Könige
vieles vernehmen, woran er sich freuen kann. Er war aber auch
recht die Freude und der Hort seiner Unterthanen, und sie liebten
rhu, wie Kinder ihren Vater lieben. Anch war er jedem zu-
gänglich, und wer mit Thränen des Kummers bei ihm eintrat,
der kam mit Thränen der Dankbarkeit von ihm heraus; denn anch
wo er mit Thaten nicht helfen konnte, half er mit tröstenden Wor-
ten, die von dem Munde eines Königs noch bester zum Herzen
gehn, als von andern. Früh schon, und eh' er hoffen konnte,
irgend etwas zu regieren, außer dem Regimente, das ihm der König
von Frankreich anvertraut hatte, galt er für den besten Mann im
Lande und gewann die Herzen aller, die ihm nahe kamen. Was
aber gar oft geschieht, daß, wenn Stand, Macht und Reichthum
wächst, das Herz sich zusammenzieht, und wenn der äußere Mensch
sich erhebt, der nmere kleiner wird, das widerfuhr dem guten Mar
Joseph nicht: sein Herz blieb, wie es gewesen war, ehe die Krone
sein Haupt schmückte, und der Strom menschlicher Gefühle ergoß
sich bei ihm unter dem königlichen Purpurmautel noch reicher, als
zuvor. Darum ist er nie in ein Hans getreten und nie in eine
Stadt, ohne die Liebe der Bewohner mit sich heraus zu nehmen,
und es war die Lust und der Stolz seines Volkes, ihm Zeichen
der Liebe zu geben. Ich habe gesehn, wenn er von einer Reise
oder sonst in die Hauptstadt zurückkam, und der offne Wagen lang-
sam durch das Gedränge fuhr, daß Männer und Weiber geringen
Standes durch die jubelnde Menge brachen, um dem Könige die
Hand zu reichen, und er keine zurückwies, wie hart sie auch war.
Gern mischte er sich unerkannt und unbegleitet unter das Landvolk
und hörte auf die Reden der Leute und fragte sie aus; denn er
wußte, daß er so die Wahrheit besser erführe, als aus seilen
Zeitungen, die Lob nnd Tadel nach den Launen ihrer Abnehmer
ausstrenen. Ost, wenn er einsam gierig und ein bekanntes Gesicht
von weitem sah, ries er ibm ein freundliches Wort zu, oder grüßte
mit der Hand; und der Begrüßte fühlte sich geehrt und erzählte
es den Seinigen wieder. Auch das erfreute alle Herzen, daß er
ein so guter und liebevoller Hausvater war, seine Kinder immer
gern um sich hatte und so häufig au der Seite seiner Gemahlin
auf einsamen Spaziergängen in vertraulichem Gespräche gesehn
wurde. — Sein Ausgang aus dem Leben war, wie er selbst ihn
gewünscht hatte. Nur eine leise Ahnung von Unwohlsein gieng
vor ihm her: aber niemand war besorgt, so wenig als er selbst;
kein Arzt ward gerufen; kein Diener wachte bei ihm. Am Mor-
313
gen, da er nicht zur gewöhnlichen Frühzeit aufstand, und der Diener
ungerufen in das Schlafzimmer trat, fand er ihn todt, in derselben
Stellung, die er beim Niederlegen genommen hatte, ohne ein Zeichen
des Schmerzes auf seinem Angesichte. Schlummernd war er durch
die dunkle Pforte des Todes gegangen. Die Bestürzung des Volks
war groß, die Trauer allgemein: es war die Wehklage verwaister
Kinder um einen geliebten Vater, ein aufrichtiger Schmerz tiefer
Liebe; und jede der zahllosen Thränen, die aus vollen Herzen um
ihn stoffen, war ein Opfer der Dankbarkeit und ein stummes Lob
des unvergeßlichen Königs.
Einige Zeit nach seinem Tode wurde nebst vielen andern Din-
gen auch die Menagerie verkauft, die er in Nymphenburg gehalten
hatte: viele seltne Thiere mannigfaltiger Art, auch überseeische Lori's,
Papageien und deutsche Staare. Von den letztem waren schon
alle verkauft; nur einer war noch übrig, der letzte und von un-
scheinbarem Äußern. Still und mit struppigem Gefieder saß er auf
der Stange, als ob er sich noch über den Tod seines Herrn be-
trübte, — wie etwa ein alter Diener, wenn nach dem Tode feiner
Herrschaft das Hausgeräthe fortgeschafft wird, unter dem er alt
und grau worden war, stumm umhergeht und sich grämt, daß er
das alles überlebt. Als nun der alte unscheinbare Vogel unter
den Hammer kam, bot niemand darauf, und nachdem ihn der Aus-
rufer drei- oder viermal angeboten hatte, und alles schwieg, wurde
der Käfich mit dem Staar in eine Ecke bei Seite gesetzt und andre
Dinge ausgerufen. Auf einmal schallt es aus der Ecke: 'Mar
Joseph! Vater Mar!' — Alle Köpfe wendeten fick nach der Seite
hin, woher der Nus kam. <Wer ist's? wer ruft?' fragten viele;
und da einer, der dem Käfich zunächst stand, sagte: <Es ist der
Staar, der weggesetzt worden ist,' da riefen alle wie aus einem
Munde: <Den Staar, den Staar her!' So kam der unscheinbare
Vogel mit einemmale zu Ehren, weil es eben jedem vorkam, als
habe die treue Liebe, die er selbst im Herzen hegte, durch den Vogel
eine Stimme bekommen. Der Staar selbst aber, da alles um ihn
her so lebendig wurde, und alle Anwesenden ihm liebkosten und
ihn lobten, wurde nun auch ganz munter und rief in einem fort:
*Max Joseph! Vater Mar!' nicht, wie man zu sagen pflegt, als
ob er dafür bezahlt würde, sondern so recht aus vollem Herzen.
Da wollte nun jeder den beredtgewordenen Vogel haben, und die
Gebote jagten und überstiegen sich, so daß wohl nie ein Staar so
theuer bezahlt worden ist. Und der, welcher ihn endlich erhielt,
meinte einen Sieg gewonnen zu haben und trug ihn im Triumphe
nach Hause, und die andern beneideten ihn.
Das war denn auch eine Leichenfeier von eigenthümlicher Art,
und gewiß keine der schlechtesten.
314
282.
Das Laster und die Strafe.
Fabeln. Berlin 1775. I, 7. S.
^ieKinder desverworfnen Drachen,
Die Laster, reisten über Land,
Um anderswo ihr Glück zu machen,
Weil sich zu Hause Mangel fand.
Das Gras erstarb, wo sie gegangen,
Der Wald ward kahl, die Felder wild,
Die Straße war mit Molch und
Schlangen,
Die Luft mit Eulen angefüllt.
L - Leipzig 1748- I, 7. @. 18.
Jetzt sahn sie ungefähr zurücke,
Es folgte jemand nach, und wer?
Die Strafe hinkte mit der Krücke
Ganz langsam hinter ihnen her.
'Du holst uns diesmal,' rief der
Haufen,
'Gewiß nicht ein!' Doch diese sprach:
'Fahrt ihr nur immer fort zu laufen.
Ich komm' oft spät, doch richtig nach.'
283.
Gerechtigkeitsliebe.
Bon Grube.
Charakterbilder auS der Geschichte und Sage 3. Aufl. Leipzig 1854. 111, 252.
Einst herrschte in Böhmen große Theuerung, so daß viele
Einwohner dem bittersten Mangel ausgesetzt waren und nicht Brot
genug hatten, um ihren Hunger zn stillen. Aber Joseph II., der
edle Menschenfreund, war Kaiser, und er ließ Korn und andere
Lebensmittel in großen Massen nach jenem Lande schaffen, reiste
auch selbst dahin ab, um zu sehen, ob wohl die Vertheilnng so
geschähe, wie er sie angeordnet hatte. Ohne sich kenntlich zll machen,
kam er in eine kleine Stadt. Hier standen mehrere mit Getreide
beladene Wagen und Karren vor der Thür eines Amthauses ; die
Bauern aber, denen die Wagen gehörten, standen dicht beisammen
und sprachen heftig mit einander. Als sich Joseph nach der Ur-
sache erkundigte, antworteten die Leute: Wir warten schon sehr
lange und haben noch einen Rückweg von acht Stunden zu machen?
— <Das ist die Wahrheit/ setzte der anwesende Amtsschreiber hinzu,
ülnd außer ihnen warten noch die Einwohner des Orts schon seit
mehreren Stunden vergeblich auf die Vertheilnng des Getreides?
Der Kaiser, welcher mit einem einfachen Öberrock bekleidet war,
trat nun in das Haus und ließ sich durch den Amtsschreiber bei
dem Amtmanne, welcher eben große Gesellschaft hatte, melden.
Wer sind Sie?' fragte der Amtmann.
^Officier in kaiserlichen Diensten/ war die Antwort.
Womit kann ich dienen?'
<Damit, daß Sie die armen Leute unten abfertigen, die schon
so lange warten?
<Die Bauern können noch länger warten; ich werde mich
durch sie nicht in meinem Vergnügen stören lassen.'
315
<Aber die Leute haben noch einen weiten Weg zu machen und
schon lange genug gewartet.'
^Was gehen Sie die Bauern an?'
Man muß menschlich sein und die Bauern nicht ohne Noth
plagen.'
'Ihre Sittenlehre ist hier am unrechten Orte; ich weiß, was
ich zu thun habe.'
Länger ertrug der Kaiser die Grobheit und Hartherzigkeit des
Beamten nicht. 'Nun, so muß ich Ihnen eröffnen/ sagte er, ‘daß
Sie das Korn und die Allstheilung desselben gar nichts mehr an-
geht. — Hören Sie, lieber Freund,' fuhr er fort, indem er sich zu
dem Amtsschreiber wendete, ‘fertigen Sie die Leute ab. Sie sind
von jetzt ab Amtmann, lind Sie' — hier kehrte er sich wieder
zu dem Amtmann — 'erkennen Sie in mir Ihren Kaiser, der Sie
hiermit Ihres Amtes entsetzt.' — Damit entfernte sich Joseph und
überließ den hartherzigen Beamten dem Gefühl seiner Schmach
und seines selbstverschuldeten Unglücks.
284.
Der arme Mann und sein Lind.
Von Glkim.
Werke. Halberfladt 1811. III, 390.
Ein armer Mann, gedrückt von
mancher Noth,
Nahm in die Hand sein letztes Brot
Und schnitt davon ein Stücklein ab,
Das er dem kleinen Kinde gab,
Dasbei ihmstand u. 'Gott! achGott!'
Seufzt' er dabei. — Beweglich bot
Das kleine Kind das Stückiein Brot
Dem Vater wieder —: 'Nehmt es doch,
Ich bitt' Euch, Vater! ich will noch
Wohl warten; aber weint nur nicht!'
Der Vater wendet sein Gesicht
Und sagt: 'Ich schneide noch ein Stück;
Behalt es, Kind!' — Mit nassem Blick
Sieht er auf seinen Sohn herab.
Aus seinen Tross, und schneidet ab.
Doch wie erschrickt er! Plötzlich fallt
Ein Haufen blankes Silbergeld
Aus seinem Brot. 'Ach! was iss das?'
Spricht er erschrocken; 'Söhnchen, laß
Die Thäler liegen; ich will gehn,
Der Bäcker soll sie liegen sehn;
Denn der vermuthlich hat das Geld,
Das aus dem lieben Brote fällt,
Hineingebacken; der muß es
Auch wieder haben. Bleib indes;
Ich will geschwind zum Bäcker gehn.'
Er geht. Des Kindes Augen, sehn
Erstarrt die blanken Thaler an;
Allein es rühret nicht daran.
Der Bäcker kommt, sieht sie und
spricht:
'Nein! das sind meine Thaler nicht,
Freund, glaubt es mir! doch wißt
Ihr was?
Ein reicher Mann macht Euch den
Spaß;
Denn hört: das Brot, das Ihr geholt,
War nicht von mir; Ihr aber sollt
Nicht fragen, und von wem es ist
Nicht wissen. Dieses eine wißt,
Daß gestern Abend jemand kam,
Der mir das Brot gab, das ich nahm,
Und sagte: 'Wenn ein armer Mann,
Der krank ist, nichts verdienen kann.
Ein Brot sich holr, dann gebt ihm dies!'
So sagt' er, das ist ganz gewiß;
Und drauf kamt Ihr, ich gab es Euch.
Seht, wie Gott sorgt! Nun seid Ihr
reich.
Das Geld hat einen rechten Glanz.'
Der arme Mann verstummte ganz,
Und auch sein Kind. Er nahm das Brot
Und seufzte, sagte nur: 'Ach Gott!'
316
Schnitt hungrig noch ein Stück sich ab Du liebes Kind!' — Das Söhnchen
Und sagte: 'Den, der mir es gab, spricht:
Den segne Gott! Ach, lebte doch,' 'Weint, Herzensvater, weint doch
Sprach er, 'nun deine Mutter noch, nicht!'
285.
Führung und Fügung.
Von Goethe-
Werke. Stuttgart und Tübingen 1810. XXXII, 307 — 311.
Richt jedermann reist mit Extrapost, von guten Empfehlungen
und gültigen Wechseln begleitet, durch die Welt, gar mancher muß
auf seinen eigenen Füßen fortschlendern und sich selbst zu empfehlen
suchen, welches am besten geschehen kann, wenn er sich brauchbar
oder angenehm zu zeigen weiß. Hier bedient sich nun die Vor-
sehung öfters gleichgültiger Personen, die sich in einem behaglichen
Zustande befinden, als Werkzeuge, welche, unbewußt, höherem
Zwecke zu Dienste stehen. — Das alte, wundersame Beispiel ist
mir immer im Leben gegenwärtig gewesen, wie ein guter, ehrlicher
Landmann und Hausvater seinen Schnittern das ersehnte Mus
zur Erquickung bringen will, von dem Engel aber beim Sckopse
ergriffen, den Propheten in der Löwengrube speisen muß. Bei
einem langen Leben konnte man ähnliche Erfahrungen gar öfters
machen.
Einem Thätigen, im Augenblick Bedürftigen fortzuhelfen, habe
ich es nie an Beisteuer mangeln lassen. Besonders waren mir die
Handwerksburschen empfohlen, mit denen ich früher als Fußreisen-
der oft in Verbindung gewandert und in späterer Zeit immer dem-
jenigen am liebsten gab, welcher am besten gekleidet war. — Sehen
wir in ältere Zeiten zurück, so lehnten fromme Pilger eine gute
Bewirtung, einen kleinen Zehrpfennig niemals abz die Handwerker
bemächtigten sich dieses Heischens, und es war keine Schande, daß
ein Durchwandernder sich von Haus zu Haus ein weniges erbat.
Im Verlauf der Zeit bemerkte ich, besonders auch ans Reisen, vor-
überziehende Handwerker nicht grüßend wie sonst, noch weniger eine
- milde Gabe heischend. Sollren diese, oft bedürftigen Menschen sich
gleich der übrigen Welt selbständig zumachen gewußt haben? oder
wurden sic verschüchtert?
Auf solchem Lebensgange könnte von anerkannter Führung
und Fügung ich manches Beispiel erzählen.
In der Gegend von Töplitz gieng ich eines Tags bei un-
freundlichem Wetter durchs Feld. Der Himmel stürmend, bedrohte
mit Regen, und doch trieb mich etwas den frei stehenden Schloß-
berg hinan.- Strichregen giengen an mir vorüber und über mir
weg, und es war ein verdrießlicher Zustand, als ich mich oben
zwischen altem grauen Gemäuer sah, das ohne Licht, Schatten und
317
Farbe widerwärtig neben und über einander stand und lag. Als
ich mir nun selbst ein Räthsel schien, bat sich die willkommenste
Auflösung dar. Ich trat in ems der Gewölbe, um mich rar dem
Regen zu schützen, und erblickte darin mit Verwunderung den
schönsten Knaben von der Welt, der in Begleitung eines alten
Alarmes hier gleichfalls Schutz gesucht. Reinlich gekleidet, eher
ärmlichen Bürgern als wohlhabenden Bauern ähnlich, standen sie
auf und erwiderten meinen Gruß^ Sie bestätigten meine Ver-
muthung. Es waren Bürger eines kleinen Ortes, nothdürftig,
wenn auch nicht kümmerlich lebend; sie Hostien durch einen Besuch
bei entfernten Verwandten ihren Zustand zu verbessern, nnb so
zogen sie durchs Land. Bei Erblickung des Schloßberges hatte
der Knabe, bei frischem und lebendigem Höhesinn, den Vater be-
wogen, diesen Gipfel von jenseits zu ersteigen, indes ich von der
andern Seite herankam. In dieser Mauerhöhle das schöne Wunder-
kind zu sehen, machte mich lächeln; ich dankte dem Genius, der
mich bei dem Schopf herangezogen hatte, und gab nach treulichen
Glückwünschen dem Knaben als Reisezehrung alles, was ich bei mir
fand, und habe mich des unschuldigen Abenteuers immer gern erinnert.
Ahnet man nun, daß solche Zufälligkeiten durch einen uner-
forschlichen Willen gelenkt werden, und man gefällt sich in solcher
Betrachtung; so hüte man sich ja, dergleichen Scenen selbst herbei-
führen zu wollen. — Es war mir, indem ich einst abreiste, etwas
Angenehmes begegnet. Als ich nun im offenen Wagen saß, legte
ich das vorhandene Geld der Länge nach in meine offene Hand,
von hinten nach vorne, vom f[einsten bis zum größten; da hatte
ich nun schnell einen Glückstops zubereitet und mir vorgenommen,
bei jedem begegnenden Handwerksburschen halten zu lassen und so
meine Gaben der Reihe nach zu spenden, und freute mich schon
des Zufälligen, das diesmal sollte einigermaßen geleitet werden.
Aber die Anmaßung, mich selbst zum Werkzeug der Vorsehung zu
berufen und mit einem so wichtiger! Auftrag Scherz zu treiben,
ward zu meinem Bewundern und Anerkennen bestraft. Auf einem
dreistündigen, von Fuhrwerk und Fußgängern belebten Wege zeigte
sich weder unter den Begegnenden, noch unter den Erreichten irgend
eine Figur, der ich nur etwas hätte anbieten können, so daß ich
die ganze kleine Summe beschämt wieder einstecken und dem höheren
Waltenden zu eigener Verfügung das Künftige überlassen mußte.
Wie aber sogar durch Aliswollen der Dürftige gefördert wer-
den kann, davon habe ich auch zu erzählen. — Mein Fuhrwerk
erreichte einmal einen rüstigen Knaben von zehn bis zwölf Jahren,
dem ich, als einem Handwerksburschen, sogleich eine Gabe zu-
dachte; der Kutscher überhörte mein Rufen, der Knabe blieb hinter
uns. Nach zweistündiger Fahrt, auf der Höhe vor der Stadt,
hatte ich befohlen still zu halten. Dies geschah im Augenblick, als
Knaben, an der Straße spielend, hämisch laut ausriefen und schrien,
318
es sitze jemand hinten auf. Mit mir zugleich sprang ein Knabe
auf den Boden, höchst verschüchtert, weil er befürchten mußte, man
haöe um seinetwillen still gehalten, und eine üble Behandlung stehe
ihm bevor. Es war aber derselbige Bäckerknabe, der sich klüglich,
einen beschädigten Fuß zu schonen, hinten aufgesetzt hatte und sich
ohne das Anhalten des Wagens, ohne das neidische Geschrei der
Knaben ganz sachte heruntergelassen und weggeschlichen hätte, nun
aber sich der eingeholten, ihm bestimmten Gabe doppelt erfreuen konnte.
286.
Du bill's allein.
Bc>n Strauß.
Gedichte. Bielefeld 1841. S. 186.
bist's allein
Macht und Gewalt find dein.
Was kann fich deinem Wort entgegenstellen?
Du winkst, — und Erd' und Himmel, fie zerschellen;
Du winkst, — und alles kehrt zum neuen Sein.
Du bist's allein.
Du bist's allein,
Der Nacht und Sonnenschein,
Der Sommerglanz und Wintersturm bereitet,
Aus seinem Herzen Gnadenströme leitet,
Daß Segen triefen selbst die Wüstenein;
Du bist's allein.
Du bist's allein.
Nichts ist so groß noch klein,
Das nicht aus dir, aus seinem ew'gen Grunde,
Sein Dasein tränke mit begier'gem Munde.
Was lebt und webt und ist, sein wahres Sein —
Du bist's allein.
Du bist's allein,
Der unter Schmerz und Pein
In deinem Ernst mir deine Liebe zeigtest,
Die Hand dem, der versinken wollte, reichtest,
Der mich, der alle hört, die zu ihm schrein;
Du bist's allein.
Du bist's allein,
Durch den ich alles mein,
Mein das Vcrgang'ne, das Zukünft'ge nenne,
Durch den ich mich, die Welt, dich selbst erkenne,
Durch den ich rufen kann: 'Herr, ich bin dein!'
Du bist's allein.
Du bist's allein,
Drum sei die Ehre dein.
Von allen Zungen soll dein Lob erschallen,
In allen Herzen deine Liebe wallen,
Dein Name unsre Krön' und Ehre sein.
Du bist's allein.
319
287.
Mit Gott.
Bon ColShorn.
Musterstückc. Hannover 1649 — 1851. II, 1.
Ich weiß zwei Wörtlein, wenn die in deinem Herzen wohnen
für und für, so hast du Ruh' im Leben, Trost am Gralw und Hoff-
nung über das Grab hinaus. Die beiden Wörtlein heißen: 'Mit
Gott!' — Mit Gott steh auf, so wird der Tag ins Buch des Lebens
geschrieben; mit Gott schlaf ein, so schlummerst du sanft und kum-
merlos. Mit Gott zur Schule, so lernst du Worte des Lebens; mit
Gott in die Fremde, so kehrst du fröhlich und wohlbehalten heim.
Mit Gott fang an, so gelingt dein Werk; mit Gott hör auf, so
folgt es dereinst dir nach. Mit Gott in Freuden, so sind sie dir
doppelt und ewig süß; mit Gott in Leiden, so sind sie ertragbar
und segensreich. Mit Gott in den Tod, so wird er ein friedlicher
Heimgang zum Vater; mit Gott inS Grab, so ruhst du im Herrn
bis zur herrlichen Auferstehung-.
'Mit Gott!'
288.
Dns Wort im Herzen.
Bon Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7. Aufl. Effen 1840. II. 237.
Als Abraham, der Erzvater, alt und wohlbetaget war, und
die Stunde kam, daß er sterben sollte, versammelte er seine Kinder
und Kindeskinder um sich her und segnete sie. Da fragten ihn Isaak
sein Sohn und Rebekka seine Schnur und sprachen: ‘SDieiti Vater,
du bist ein Pilger gewesen dein Leben lang und umhergezogen von
Chaldäa nach Haran und von Haran nach Kanaan und von Kanaan
nach Mizraim und von Mizraim nach Kanaan als ein Fremdling
in dem Lande der Verheißung und in mancherlei Anfechtung und
Fährlichkeiten: sage uns, Vater, was hat dich also gestärkt uub
geleitet in deiner Pilgerschaft?'
Da antwortete Abraham und sprach: 'Des Herrn Wort in
meinem Herzen.'
'Und welches ist dieses Wort?' fragten die Kinder.
Abraham sprach: 'Das Wort, das er zu mir redete in dem Hain
zu Manne: 'Ich bin der Allmächtige, wandle vor mir und sei fromm!'
ES war eine feste Burg in den Tagen der Noth, ein Licht auf dunk-
lem Wege und eine Waffe und Wehr zur Zeit der Gefahr. Und
nun wandelt es vor mir her auf der letzten Wanderschaft und zeiget
mir aus der Ferne die Stadt, die wohlgegründete, deren Baumeister
und Schöpfer der Herr ist.'
320
Da sprachen seine Kinder: ‘Ich bin der Allmächtige! Ach, wer
eS so frendig zu fassen vermöchte...!'
Abraham aber antwortete und sprach: Mur, wer des Herrn
Tag gesehen und seine Liebe erkennet hat...’
Nachdem er diese Worte geredet, neigete er sein Haupt auf
das Kissen, und er verschied.
289.
De« herzen slü^elin.
von Werinher von Tegernsee.
Lachmann und Haupt: des minnesangs frühling. Leipzig 1857. s. 3.
Du bist min, ich bin din:
des solt du gewis sin.
du bist beslo;;en
in minem herzen;
verlorn ist da; slü;;elin:
du muost immer drinne sin.
290.
Der goldene Schlüssel.
von den brüdern Grimm,
märchen 7. aufl. Göttingen 1857. II, 462.
Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer schnee lag, muszte ein
armer junge hinausgehen und holz auf einem schlitten holen, wie
er es nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er, weil
er so erfroren war, noch nicht nach haus gehen, sondern erst feuer
anmachen und sich ein biszchen wärmen, da scharrte er den schnee
weg, und wie er so den erdboden aufräumte, fand er einen kleinen
goldenen schlösset, nun glaubte er, wo der schlösse! wäre, möszte
auch das schlosz dazu sein, grvtb in der erde und fand ein eisernes
kästchen. ‘wenn der schlössel nur pasztf dachte er, ‘es sind ge-
wis z kostbare Sachen in dem kästchen.’ er suchte, aber es war
kein Schlüsselloch da; endlich entdeckte er eins, aber so klein,
dasz man es kaum sehen konnte, er probierte, und der schlössel
paszte glücklich, da drehte er einmal herum, und nun müssen wir
warten, bis er vollends ausgeschlossen und den decke! aufgemacht
hat, dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen in dem
kästchen lagen.
/
Inhalt.
Die mit einem Stern bezeichneten Stücke sind Gedichte.
Nr. Seite
* 1. Wandersmann und Lerche.
Hey..................... 1
2. Das Gebet. Colshorn. ... 1
3. Vom frommen Kinde. Goethe. 1
' 4. Bonden Engeln. Löwcnsiein. 2
5. An fein liebes Söhnlein
Hänschen. Luther........ 3
* 6. Versuchung, tirinirk...... 4
7. Amalie und Gustav. Löhr.. 5
8. Die spielenden Hunde. Löhr. 6
* 9. Vom Bäumlein, das andere
Blätter gewollt, üückert.. 7
10. Das birtenbüblein. briider
Grimm................... 8
*11. Gott weiß. Hey............. 9
'12. Zwei Räthsel.
a. Das Bett. Bürger.. .. 9
b Hanswurst. Ärendt's
Räthselbuch......... 10
*13. Hänschen Schlau. Lessing.. 10
14. Vom Hunde im Waffer.
Luther................... 10
15. Von König Rudolfs grauem
Rock. Lehman............. 10
*16. Sehet die Lilien auf dem
Felde. Spitta............ 11
17. Die weiße Lilie. Schubert.. 11
*18. Das Ährenfeld. Hofsmann
v. $..................... 12
19. Die Kornähren. Schmid. .. 12
20. Das Weizenkorn. Arum-
macher................... 13
Nr. Seite
*21. Der Bauer und sein Kind.
Sturm................... 14
22. Luisens Ausgang. Löhr... 14
'23. O süße Mutter. Nückert... 15
24. Leben und Tod. Ärummachcr. 15
*25. Die drei Schwestern. Holks- 16
licd....................16
26. Das thränenkrüglein. Ja-
cob Grimm....................... 17
*27. Frühlingsgespenster. Sturm. 18
*28. Dicnickende Mutter. Mckcrt. 18
29. Das zahme Mäuschen. Löhr. 19
*30. Mäuschen. Hey.............. 20
31. Der Spitzhund. Colshorn.. 21
32. DreiSchöppenstädtcrStreiche.
Auhn und Schwach........21
33. Mißverstand. Hebel.......... 23
*34. Der Papagei. Nückcrt....... 23
35. Die Schlacht bei Roßbach.
Lecker................... 23
*36. Der gute Kamerad, tlhlaud 24
37. Die treuen Brüder. Schmid. 25
38. Der band und der Sper-
ling. brllder Grimm..... 25
*39. Pferd und Sperling. Hey. 28
40. Der gefangene Sperling.
Löhr..................... 28
*41. Das Meislein. Goethe_______ 31
42. Der kluge Pudel. Neichenbach. 31
*43. Pudel. Hey.................. 32
44. Barry. Len;................. 32
322
Nr. Sette
*45. Der Bauer und sein Sohn.
Gcilert................... 33
46. Der lugenhafte Hirt.
Meisiner.................. 34
'47. Spruche.................... 35
48. Der fechtende Hanbwerks-
bursche in Anklam. Hcbei. 36
'49. Die Gtttthat. Gcilert...... 36
50. Erica. Schubert........... 37
'51. Jm Freien. VolKslicd....... 37
52. Die giube. Lohr........... 38
'53. Die Viene und ber Lenz.
Arndt..................... 40
54. Erbbeere. Coishorn........41
*55. Fruhlingslied. Holty....... 42
'56. Fruhlingsglocken. Leinick.. 42
'57. Jin Fruhlinge. -Itnrm...... 42
58. Das Kanarienvogeichen.
Krumiitacher.............. 43
*59. Das Kinb am Grabe ber
Mutter. Voikslied....... 44
60. Hanb wàchst aus bem Grabe.
Kuhn unb Schwarh........ 44
'61. Gottesacker. Gcnhei........ 45
62. Die kranke Mutter. Lohr.. 45
63. Das Gebet. Krummachcr... 47
64. Ein gutes Rczept. Hebci... 48
'65. Wohlthun. Ciaudius......... 49
'66. Morgenlàndischcr Spruch.
Gcriach................... 50
*67. Einkehr. Lhland............ 50
68. Der fromme Alfrcb. Krnm-
machcr.................... 50
69. Spruche................. 60
*70. Gottvertrauen. VoiKsiicd... 61
'71. Wir sinb bes Herrn. Spitta. 61
'72. Gottes Treue. Meycr........ 62
73. Das Erbbeben in Lissabon.
Lcnz...................... 62
*74. Pfo-rtners Morgenlieb.
Schiller.................. 65
75. Ungluck ber Stabt Leiben.
Hcbei..................... 65
*76. Das Gewitter. Schwab.... 66
77. Das Metter. Krummachcr.. 67
*78. Wind unb Wolke. Coishorn. 68
79. Das Ahrenfeld. Krummachcr 68
*80. Schiffahrt. Luckert........ 69
81. Der Rade Noah's. Herder. 69
82. Die Tonde Noah's. Herder. 70
83. Der Oldaum. Schubcrt.... 71
Nr. Seite
* 84. Fünf Räthsel: Donner, Kost,
Born, Torte, Mauer... 71
* 85. Die Räthsel ber Elfen.
Lückert.................. 72
86. Dornröschen, briider
Grimm.................... 73
* 87. Barbarossa. Lückert........ 76
88. Friebrich Rothbart auf dem
Kyffhänser. a. 8rüder
Grimm.................... 76
b. Kuhn unb Schwarh. 77
c. Kirsch in g.......... 79
* 89. Bon bes Kaisers Bart.
Gcibci................... 81
* 90. Schwäbische Kunde. Lh-
land..................... 82
91. Deutsche Herzhaftigkeit.
Vittmar....................83
* 92. Heinrich ber Bögler. Vogl. 84
93. Heinrich ber .Vogelsteller
schlägt bie Ungarn. Luden. 84
* 94. Heinrich ber Vogler. Klop-
stock................... 85
95. Seltene Treue. Ko h Iran sch. 86
* 96. Seifrieb Schweppermann.
Oelckers................ 87
* 97. Ellengröße. Fröhlich.... 88
98. Der Zaunkönig. Len;..... 88
* 99. Finboge. Gruppe............89
100. Der gemeine Landbär.
Leichenbach............. 90
101. Der Einsiedler und der Bär.
Meißner................. 93
102. Der Zaunkönig und der bär.
briider Grimm........... 94
*103. Zigeunerleben. Goethe____ 96
* 104. Der Zigeunerkönig. Pfau. 98
105. Das Samenkorn. Krum-
machcr.................. 99
*106. Aussaat. Kietke..........100
107. Der Mantel. Schmid.....100
*108. Die Einladung. Knapp.. 101
109. Der arme und der reiche.
briider Grimm...........102
110. Legende. CoieHorn........106
*111. Legende vom Hufeisen.
Goethe..................106
112. Marienblume. Coishorn.. 107
*113. Marienwürmchen. Volks-
lied.............................108
114. Sonnenkäfer. Lenz.......108
323
Nr. Seite
'115. Hang und Zwang.
Fröhlich............... 109
116. Glimmer. Lenz.......... 109
117. Diamant und Smaragd.
Schubert............... 110
*118. Die vier Gräser. Lüekert. 110
119. Die Gräser. Fcunis..... 111
*120. Das Veilchen. Goethe... 112
*121. Heidenröslein. Goethe... 112
122. Die Lieblingsblumen.
Arnmmacher............. 112
*123. Zwei Räthsel: Winde,
Weide., Lückcrt........ 114
124. Ein Blick aufdie Pflanzen-
welt. Leu;............. 115
* 125. Der Schierling. Scidl... 117
126. Bilsenkraut und Teufels-
apfel. Schubert........ 117
*127. Räthsel: Pflaume. Güll.. 118
128. Die Pflaumen. Schmid.. 118
*129. DerKnabe und sein Vater.
pfeffel................ 119
130. Die Pfirsiche. Lrummacher. 119
131. Die Aprikosen. Führ..... 120
* 132. Vom schlafenden Apfel.
Leinick.............. 121
133. Goethe's Mutter au ihre
lieben Enkelein. Clif.
Goethe................. 122
134. Das Hahnenschlagen.
Führ................... 123
135. Derhahnenkampf. brüder
Grimm.................. 125
*136. Die Riesen und dieZwerge.
Lückert................ 126
137. Das riesenspielzeug.
brüder Grimm........... 126
*138. Der Spielmann. Lückcrt. 127
*139. Das Männlein in der
Gans. Lückert.......... 129
140. Daumesdick. brüder
Grimm.................. 130
*141. Hütchen. Kopifch...... 134
142. Die Zwerge im Perlberge.
Colshorn............... 135
*143. Die Trommelmusik.
Lopifch................ 136
144. Die Zwerge im Erbsen-
selde. Colshorn....... 136
*145. Die Heinzelmännchen.
Lopifch................ 138
146. Zwerg Lehuort. Colshorn. 139
Nr. Seite
*147. Die Zwerge. Strauß.... 140
148. Die Zwerge im Gübichen-
stein. Colshorn......... 141
*149. Des kleinen Volkes Über-
fahrt. Äopifch.......... 144
150. DieZwerge im Schalks- u.
Wohldenberge. Colshorn. 145
*151. Die Elfenkönigin. Mat-
thiffon................. 151
152. Sneewittchen, brüder
Grimm................... 152
*153. Vier Räthsel: Bett, Thor,
Tau, Ton. Lückert.... 158
154. Kanuitverstan. Hebel.... 159
*155. Vor den Thüren, klückert. 161
156. Der Pilger. Schmid....... 161
*157. Die Vätergruft. Uhland.. 162
158. Das bessere Land. Schmid. 162
*159. Scheiden. Volkslied..... 163
160. Wie lieblich sind deine
Wohnungen, Herr Ze-
baoth. Schubert...... 164
*161. Dr. Luther bei dem Tode
seines Leuchen. Sturm.. 166
*162. An ein neugeborncs Kind.
Pfeffel................. 167
163. Die drei grünen zweige.
brüder Grimm............ 167
* 164. Der Engel und das Kind
Freiligrath............. 169
165. Der frühe Tod. Herder.. 170
'166. Die Kapelle. Uhland..... 170
167. Märchen von der Unke.
brüder Grimm........... 170
* 168. Kiudergrablied. Lückert.. 171
169. Tod und Begräbnis.
Jacobs................ 171
* 170. Am Grabe. Ipitta...... 174
171. Der sterbende Vater.
Schmid.................. 175
* 172. Bei dem Grabe meines
Vaters. Claudius...... 175
*173. Die Auferstehung. Llop-
stock................... 176
174. Zwiebel und Knoblauch.
Schubert................ 176
*175. DerSchmetterling und die
Ephemere oder Tagfliege,
pfeffel......................... 177
176. Der Todtengräber. Führn. 178
177. Die lebenszeit. brüder
Grimm................... 179
324
Nr. Seite
* 178. Das menschliche Leben.
Luther................... 180
' 179. Sprüche................... 181
* 180. Parabel. Rückcrt........ 182
181. Wunderbare Lebensret-
tung. Jacobs................... 183
*182. Die Schatzgräber. Lürger. 185
183. Die sieben Stäbe. Schmid. 186
*184. Der Schutzgeist. Südow. 187
185. Der Einsturz. Jacobs... 188
*186. Der Retter, pfcffcl....... 189
187. Das beschützte Lamm.
Lcssing.................. 190
*188. Erbenlos. Fröhlich....... 190
189. Der Goldadler. Reich en-
dlich.......................... 190
*190. Lied aus Wilhelm Tell.
Schiller................. 193
191. Wilhelm Tell. brüder
Grimm.................... 194
*192. Hinz und Kunz. Lessing. 196
193. Gewalt. Luther............ 196
*194. Der Aal. Mises............. 197
195. Katze und maus in gesell-
schaft. brüder Grimm.. 197
*196. Das Kätzchen, pfcffcl.... 199
197. Der Löwe und die Maus.
Meißner.................. 199
*198. Der Wanderer, der Tiger
und dasKrokodil. pfcffel. 200
199. Der Hai. Funke und
Schubert................. 200
*200. Treuer Tod. Scheurlin.. 202
201. Die Schlacht bei Fehr-
bellin. Grube............ 202
*202. Wie schön leuchtet der
Morgenstern. Sturm... 204
203. Die Weiber von Weurs-
berg. Lehman............. 206
*204. Die Tabakspfeife, pfcffcl. 207
205. Glück und Unglück. Hebel. 208
'206. Der Schmied von Aachen.
Smets.................... 209
207. Der Commandant und die
badischen Jäger in Hers-
feld. Hebel.....................210
* 208. Die halbe Flasche.Iimrock. 211
209. Der Husar in Neiße. Hebel. 212
'210. Die Gottesmauer. Rückcrt. 214
211. Dxr Krieg. Jacobs........216
*212. Der tolle Hund. pfcffcl. 222
Nr. Seite
*213. Das schlimmste Thier.
Lcssing.................. 222
214. Timur, der Mongole.
Lecker................... 222
*215. Die Dogge und der Schöps.
pfcffcl.................. 224
*216. Der Tiger und der Wolf.
pfcffel................. 224
217. Der Königstiger. Len; u.
Reichenbach...............225
*218. Der Kampf der Riesen-
schlange mit dem Tiger.
Rückcrt.................. 232
219. Die Schlangen. Schubert. 233
*220. Räthsel: Blitz. Schiller.. 235
221. Oie weisze schlänge, brü-
der Grimm......................... 236
*222. Unter den Palmen. Freilig-
rath..................... 239
223. Ein Wettrennen mit Wöl-
fen. Instand............- 239
*224. Der weiße Hirsch. Uhland. 243
225. Der Tag eines Jägers.
Falkmann............... 243
*226. Das Reh. Schüsse.......... 244
227. Das Reh. Wunderlich... 245
*228. Waldmahnung. Luddcus. 247
*229. An das Eichhorn. Rückcrt. 248
230. Der merkwürdige Schuß.
Colshorn................ 249
'231. Der große Krebs im Moh-
riner See. Kopisch..... 249
232. Hans Elauert's Lügen-
märchen. L. Krüger------ 250
*233. Romanze von den Schnei-
dern. Volkslied................ 253
*234. So machen sie's. Volks-
lied........................... 254
235. Wie ein Schneider von
Einer Elle Tuch fünf
Viertel gestohlen hat.
E. Meier................ 254
*236. Schneiderburg, platen... 255
237. Der Müller und die Frösche.
Colshorn................ 255
*238. Räthsel: Sieben. Rückcrt. 256
239. Die Mühle. Falkmann.. 256
'240. Der tobte Müller. Kerner. 257
241. Warum das Meerwasser
salzig ist. Colshorn.... 258
325
Nr. Sette Nr. ©eite
*242. Bestrafte Ungenügsamkeit. 266. Alles zum Guten. K.
Uückcrt 259 Stöber 287
243. Salz und brot segnet gott. *267. Die Wachtel und ihre
brüder Grimm 260 Kinder. Langbein 288
*244. Die Stammfrau der Mon- 268. Der sperling und seine
tagnanis. Görrcs 261 vier kinder. brüder
245. DandgrakFhilipp und die Grimm 289
bauersfrau. brüder *269. Das eine thun und das an-
Grimm 262 derenichtlassen. Uückert. 291
'246. Lob der Faulheit. Lesstng. 262 '270. Geduld. Spitta 291
*247. Die traurige Geschichte 271. Armuth und demuth fiih-
vom dummen Hänschen. ren zum himmel. brüder
Löwenstcin 263 Grimm 292
'248. Jungfer Margareth. *272. Die Stalllatern. Lingg.. 293
Sturm 263 273. Die Todtenuhr. Stöber.. 293
249. Frau Holle, brüder 274. Ein goldenes Abece. Sim-
Grimm 264 rock 294
'250. Ein Friedhofsgang. Vogl. 266 275. Die wiedergefundene To ch-
251. Friedrieb mit dem gebis- tcr. Jacobs 294
senen backen, brüder *276. Siegfried's Schwert. Uh-
Grimm 267 land 297
'252. Das Erkennen. Vogl.... 268 277. Soldatenfritze. Zeitschrift. 298
253. Die gute Mutter. Hebel. 268 *278. Das Feuer im Walde.
*254. Räthsel: Brief. Mises.. 270 Hölty 307
255. Goetbe's Mutter an ihre 279. Die Sachsen und die Wen-
lieben Enkelein. Glis. den 928 u. 929. Gicsc-
Goethe.. 270 brecht 309
'256. Ein alterdeutscherSpruch. '280. Der reichste Fürst. Lerner. 311
Herder 272 281. Der Staar. Jacobs 312
257. Frau Mildheim. Löhr... 272 '282. Die Laster und die Strafe.
'258. Der heilige Graal. Fried- Lichtmer 314
länder 273 283. Gerechtigskeitsliebe.
259. Der Zabn. Jacobs 275 Grube 314
'260. Des fremden Kindes hei- '284. Der arme Mann und sein
liger Christ. Nückert... 276 Kind. Gleim 315
261. Der kleine Bergmanns- 285. Führung und Fügung.
knabe. Schubert 277 Goethe 316
'262. Der Jüngling. Geliert... 282 '286. Du bist's allein. Strauß. 318
263. Ein Stück Welt und ein 287. Mit Gott. Colshorn... 319
Stück Himmelreich, L. 288. Das Wort im Herzen.
Stöber 283 Arummacher 319
264. Christus hat dem Tode '289. Des herzen slü^elin.
die Macht genommen. WerinhervonTegernsee. 320
Spitta 285 290. Der goldene schlüssel.
'265. Die Weisheit. Günther. 286 brüder Grimm 320
S. 93 Z. 4 v. u. sieg Pilpai.
„ 138 „ 2 „ o. „ Sie,
„ 270 „ 22 „ „ „ sage.
Verzeichnrs der Autoren.
Die biographifchen Notizen erfolgen im dritten Theile.
Arndt, Ernst Moritz. Nr. 53.
Decker, Karl Friedrich. Nr. 35. 214.
Buddeus, Theodor. Nr. 228.
Burger, Gottfried. Nr. 12. 182.
Busching, Johann Gustav. Nr. 88.
Claudius, Matlhias. Nr. 65. 172.
Colshoru, Theodor. Nr. 2. 31. 54. 78. 110. 112. 142. 144. 146
148. 150. 230. 237. 241. 287.
Dittmar, Hei uri ch. Nr. 91.
Falkmann, Ch. F. Nr. 225. 239.
Feu ch tersle b en, Ernst, Freiherr v. Nr. 159.
Freiligrath, Ferdinand. Nr. 164. 222.
Friedlander, W. A. Nr. 258.
Frohlich, Abra ha m Emanuel. Nr. 97. 115. 188.
Funke, C. Ph. Nr. 199.
Geibel, Emanuel v. Nr. 89.
Gellert, Christian Furchtegott. Nr. 45. 49. 262.
Gentzel, Nr. 61.
Gerlach, Otto v. Nr. 66.
Giesebrecht, Ludwig. Nr. 279.
Gleim, Ioh anu Ludwig. Nr. 284.
Gorres, Guido v. Nr. 244.
Goethe, Elifabetb (Frau Rath). Nr. 133. 255.
Goethe, Wvlfgang v. Nr. 3. 41. 103. 111. 120. 121. 285.
Grimm, Jacob und Wilhelm. Nr. 10. 26 sJacob). 38. 86. 88. 102.
109. 135. 137. 140. 152. 163. 167. 177. 191. 195. 221. 243.
245. 249. 251. 268. 271. 290.
Grube, A. W. Nr. 201. 283.
Gruppe, Otto Friedrich. Nr 99.
Glill, Friedrich. Nr. 127.
Gunther, Johann Christian. Nr. 265.
Hebel, Johann Peter. Nr. 33. 48.64. 75. 154. 205. 207. 209. 253.
Herder, Johann Gottfried v. Nr. 81. 82. 165. 256.
Hey, Wilhelm. Nr. 1. 11. 30. 39. 43.
Hoffmann v. F., Heinrich August. Nr. 18.
Holty, Ludwig Heinrich Christoph. Nr. 55. 278.
Jacobs, Friedrich. Nr. 169. 181. 185. 211. 259. 275. 281.
K er ner, And re as Justinus. Nr. 240. 280.
Kletke, Hermann. Nr. 106.
Klopstock, Friedrich Gvttlieb. Nr. 94. 173.
Knapp, Albert. Nr. 108.
Kohlrausch, Heinrich Friedrich Theodor. Nr. 95.
Kopisch, August. Nr. 141. 143. 145. 149. 231.
K ruger, Bartholvmaus. Nr. 232.
Krummachcr, Friedrich Adolf. Nr. 20. 24. 58. 63. 68. 77. 79. 105.
122. 130. 288.
328
Kühn, A. (und W. Schwartz). Nr. 32. 60. 88.
Langbein, August Friedrich. Nr. 267.
Lehman, Christoph. Nr. 15. 203.
Lenz, Harald Othmar. Nr. 44. 73. 98. 114. 116. 124. 217. 224.
Lessing, Gotthold Ephraim. Nr. 13. 187. 192. 213. 246.
Leunis, Johannes. Nr. 119.
Lichtwer, Magnus Gottfried. Nr. 282.
Lingg, Hermann. Nr. 272.
Lvbr^ Andreas. Nr. 7. 8. 22. 29. 40. 52. 62. 131. 134. 257.
Löwe n st ein, Rudolf. Nr. 4. 247.
Lüden, August. Nr. 176.
Luden, Heinrich. Nr. 93.
Luther, Martin, dir. 5. 14. 178. 193.
Matthisson, Friedrich v. Nr. 151.
Meier, Ernst. Nr. 235.
Meißner, A. G. Nr. 46. 101. 197.
Meyer, Johann Friedrich v. Nr. 72.
Mises, eig. Gustav Theodor Fechner. Nr. 194. 254.
Oelckers, Theodor. Nr. 96.
Pfau, Ludwig. Nr. 104.
Pfeffel, Gottlieb Kvnrad. Nr. 129. 162. 175. 186. 196. 198. 204.
212. 215. 216.
Platen, August, Graf v. Nr. 236.
Räthsel. Nr. 12 (zwei). 84 (fünf). 123 (zwei). 127. 153 (vier). 254.
Reichen dach, A. B. Nr. 42. 100. 189. 217.
Reinick, Robert. Nr. 6. 56. 132.
Nückert, Friedrich. Nr. 9. 23. 28. 34. 80. 85. 87. 118. 123. 136. 138.
139. 153. 155. 168. 180. 210. 218. 229. 238. 242. 260. 269.
Scheurlin, Georg. Nr. 200.
Schiller, Johann Christoph Friedrich v. Nr. 74. 190. 220.
Schmid, Christoph v. Nr. 19. 37. 107. 128. 156. 158. 171. 183.
Schubert, Gvtthelf Heinrich v. Nr. 17. 50.83. 117. 126. 160. 174.
199. 219. 261.
Schulze, Ernst. Nr. 226.
Schwab, Gustav. Nr. 76.
Schwartz, W. (und A. Kühn). Nr., 32. 60. 88.
Seidl, Johann Gabriel. Nr. 125.
Simrock, Karl. Nr. 208. 274.
Smets, Wilhelm. Nr. 206.
Spitta, Karl Johann Philipp. Nr. 16. 71. 170. 264. 270.
Sprüche. Nr. 47. 66. 69. 179. 256. 274.
Stob er, Karl. Nr. 263. 266. 273.
Strauß, Vietor Friedrich v. Nr. 71. 147. 286.
Sturm, Julius. Nr. 21. 27. 57. 161. 202. 248.
Südow, Theodor. Nr. 184.
Uhland, Ludwig. Nr. 36. 67. 90. 157. 166. 224. 276.
Vogl, Johann Nepomuk. Nr. 92. 250. 252.
Volkslied. Nr. 25. 51. 59. 70. 113. 159. 233. 234.
Wertn her von Tegernsee. Nr. 289.
Wunderlich, G. Nr. 227.
Zeitschriften. Nr. 223. 277.
Verlag von Carl Rumpler in Hannover.
Zu haben in allen Buchhandlungen.
Colshorn, Th., deutsche Mythologie fürs deutsche Volk.
Vorhalle zum wissenschaftlichen Studium derselben. 16. (XXX.
ll. 358 S.) geb. 1 Thlr. 10 Ngr.
Miniatur-Ausgabe in prachtvollem englischen Einbande mit
reichen Goldpressungen und Goldschnitt. 1 Thlr. 25 Ngr.
(Jllustr. Zeitung.) Mit wirklich rührender Wärme und Andacht hat der Vcrf. sei-
nem bedeutungsvollen Stoffe sich hingegeben. Die Behandlung ist eine weit mehr lyrische,
als darstellende und wissenschaftliche; die Subjectivität des Vers. schlägt überall durch und
über die eigentlichen Grenzen der Aufgabe hinaus. Aber diese Subjectivität erscheint so lie-
benswürdig, so begeistert und rein, so wahr und trotz aller Schwärmerei gesund, daß mau
sie und so ihr Buch durchaus lieb gewinnen muß und an ihren Intentionen sich erwärmen
kann. — UnS däucht, daß gerade dieses Buch'am meisten dazu geeignet sein dürfte, namentlich
die Jugend und das weibliche Geschlecht für die deutsche Mythologie zu
gewinnen und in deren eigentliche Wissenschaft einzuführen. Eine so innige Vermählung
echter Poesie mit der Wissenschaft, wie dieses Buch uns darbietet, muß der letzteren unbe-
dingt zahlreiche Jünger zuführen. Wir können es unbedingt empfehlen.
Colshorn, Th., des Mägdleins Dichterwald. Slufm-
mäßig geordnete Auswahl deutscher Gedichte für Mädchen. Aus
den Quellen. Dritte Auflage in gr. Octav. (VIII. u. 636 S.)
1856. geh. 1 Thlr.
In elegantem englischen Einbande mit vergoldetem Rücken und
Deckelpressnngen. 1 Thlr. 10 Ngr.
(Hamb. Schulblatt.) Wir rechnen die vorliegende Sammlung zu den besten, die
wir gesehen haben. Mit seinem Takt ist die Auswahl getroffen; wir möchten fast keins der
Stücke missen; wogegen uns manche Sammlung vorgekommen, bei der wir wohl den Zufall
und alles andere, aber nicht Einsicht und Berücksichtigung des Zweckes vorwalten sahen. Des
MägdleinS Dichtcrwald zeugt dagegen von der Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt des Herausg.,
wie von seiner Urthcilsfähigkeit, bte von so Vielem und oft Mittelmäßigem sich nicht täu-
schen ließ, sondern nur Vorzügliches auswählte. Dabei sind ältere wie neuere Dichter im
rechten Maße berücksichtigt; namentlich aber enthält diese Sammlung sehr viele Stücke, die
in anderen noch nicht abgedruckt sind. — Das Buch ist zwar für die weibliche Jugend be-
stimmt, jedoch ist die Wahl so getroffen, daß es mit großer Freude und wahrem Nutzen auch
von Knaben und Erwachsenen benutzt werden wird.
Colshorn, C. und Th., Märchen und Sagen. Mit
Titelbild nach Originalzeichnung twu L. Richter, pylographirt
von A. Gaber in Dresden, gr. 8. (VIII. u. 258 S.) 1854.
geh. 10 Ngr.
In englischem Einbande mit Goldpressnngen. 15 Ngr.
(Wiener Presse.) Unter den vielen Märchensammlungen, welche in neuerer Zeit ent-
standen sind, nimmt die vorliegende unbedingt einen hohen Rang ein, und ist den berühmten
Grimmschen Märchen würdig zur Seite zu stellen. Die Herausgeber ließen cs sich ange-
legen sein, den echten Volkston einzuhalten und ungeschminkt durchs ganze Buch fortklingcn
zu lassen. Die 90 bisher unbekannten Märchen nnd Sagen, die sie uns vor-
führen, sind so lieblich und naiv erzählt, daß sich zedes kindliche Gemüth daran ergötzen
wird. Eine bessere und reinere Lectüre für die Jugend dürste nur schwer aufzufinden sein,
und empfehlen wir deshalb das Buch den Eltern und Erziehern, so wie allen, die Sinn
fürs Naive und Volksthümliche haben, aufs wärmste.