Taf. I.
Wasser
Schierling
Gefleckter
Schierling
Toll
kirsche
Bilsen
kraut
Roter
Fingerhut
Gefleckter Aron.
Stech
Taf. H
Lese- und Lehrbuch
Zweiter Teil
(in zwei Abteilungen).
Zweite Abteilung.
Von
I. Schraep.
----—---------------------------
Wismar.
Hinstorff'fche Hofbuchhandlung, Verlagscouto.
Georg-Eckert-Instituí
für internationale
Sch« ibuch ; orschung
Braunschv eig
Schulbuoiibibiiothek
Joöif/Ws
7ÌÌ-JI
inaus in die Aatur!
In grüner Natur,
Auf blumiger Flur,
In schattigen Wäldern,
Auf Rainen und Feldern,
Da hüpfet's und schlüpfet's.
Da schwirret's und girret's.
Da schnattert^ und flattert's,
Da summet's und brummet s
Zn Nähe und Ferne.
Drum bin ich so gerne
In grüner Natur,
Ans blumiger Flnr.
(Franz Wiedemann.)
2. Gottes Offenbarung.
(* Von Gymnasiallehrer Dr. Eugen Labes in Rostock.)*)
So oft das liebe Lenzeslicht
Die Knospen küßt am Frühlingstag,
Ein Glanz von Gottes Angesicht
Des Schöpsungsmorgens klingt noch nach.
Des schönen Sommers Rosenpracht,
Des Baumes Frucht, der Erntekranz
Sagt: Gott hat alles gut gemacht.
So glänzt in Winters Sternenglanz,
*) Die a n der Spitze durch den Namen der Vers, markierten Lesestücke
sind (für das vorl. Lesebuch) Orig in alb eiträge der betr. Autoren.
1*
4
In Meeres Licht, in dem Gestein,
Im prächtig funkelnden Krystall,
Im Gold und Silber, strahlt ins All
Des Schöpfers Gottesgruß hinein!
Der Pflanze Wunderbau durchbebt
Ein ewiger, ein Schöpfungstraum,
Der als Instinkt das Tier belebt;
Doch erst der Mensch im Weltenraum
Vernimmt des ew'gen Gottes Spur;
Im Sternenschein, in Äthers Blau —
In Gottes herrlicher Natur
Erblickt er ew'ger Weisheit Bau!
Er lernt sich selbst, sein Volk verstehen
Und in der Menschheit Gottes Walten
Und lernt durch heil'gen Geistes Weh'n
Sich selbst nach Gottes Bild gestalten.
3. Die Natur — ein Tempel Gottes.
Wie mancher prächtige Tempel, wie mancher großartige Dom
auf den: Erdenrund erhebt majestätisch sein Haupt zum Himmel
empor! Ein Dom aber, „nicht mit Menschenhänden gemacht", über-
trifft unendlich weit alle Dome, — einen Tempel giebt es, zu welchem
kein irdischer Baumeister den Riß geliefert oder ein Steinchen zuge-
fügt hat: es ist der Weltdom, es ist der Tempel der Natur.
Ist die Natur wirklich ein Tempel Gottes? — O gewiß; denn
sie belehrt uns über das unsichtbare Wesen Gottes.
Mögen wir uns vertiefen in das Leben und Wesen der uns
umgebenden lebendigen und leblosen Kreaturen, oder mag unser Blick
sich versenken in den endlosen Himmel mit seinen Millionen Sternen
— wir müssen bei ernstem, stillem Nachdenken sagen: Schon die
kleinste irdische Hütte hat einen Baumeister, wie könnte wohl die
Natur, dieser große Tempel Gottes, ohne einen Baumeister gewesen
sein! Und wie weise ist alles erschaffen, wie weise alles geordnet
vom kleinsten bis zum größten, vom unscheinbaren bis zum maje-
stätischen! Wunder, nichts als Wunder sieht das Auge, wohin es
auch blicken mag. So predigen Himmel und Erde täglich und
stündlich: Es ist ein Gott! es ist ein allmächtiger und allweiser, es
ist ein unendlich großer Gott! Sagt doch selbst die hl. Schrift
(Röm. 1, 20), daß man das unsichtbare Wesen Gottes wahrnimmt
an der Schöpfung der Welt, und an einer andern Stelle (Ps. 19,
2 u. 3), daß die Himmel erzählen die Ehre Gottes und die Veste
verkündigen seiner Hände Werk. Und der fromme Dichter Gellert
sagt:
5
Dich predigt Sonnenschein und Sturm,
Dich preist der Sand am Meere;
Bringt, ruft auch der geringste Wurm,
Bringt meinem Schöpfer Ehre!
Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,
Mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht:
Bringt unserm Schöpfer Ehre!
Die Natur belehrt uns aber auch weiter, daß Gott nicht nur
ein allmächtiger und allweiser Schöpfer, sondern auch ein unaus-
sprechlich liebevoller, gütiger und fürsorgender Vater aller Men-
schenkinder ist. „Uns zuliebe schmücken ja sich Berg und Flur";
er hat es alles uns gethan, „seine große Liebe anzuzeigen." Auf jedem
Blatte in dem großen Buche der Natur steht mit goldenen Buchstaben
geschrieben: Gott ist die Liebe! Er hat die Welt uns zuliebe erschaffen,
er will sie auch erhalten und „früh und spät mit seiner Gnade
darüber walten." Wer diese Schrift der Natur nicht sieht oder zu
lesen versteht, der ist selber schuld daran; denn er will nicht ver-
stehen die überall vernehmbare Stimme, welche aus dem großen
Tempel Gottes ihm entgegen schallt, die Stimme, welche fortwährend
verkündigt: Gott ist lauter Liebe, Güte, Barmherzigkeit!
Wer mißt dem Winde seinen Lauf?
Wer heißt die Himmel regnen?
Wer schließt den Schoß der Erde auf
Mit Vorrat uns zu segnen?
O Gott der Macht und Herrlichkeit —
Gott, deine Güte reicht so weit.
Als Erd' und Himmel reichen! (Gellert.)
Aber wir sollen nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter sein.
Was verlangt denn die Predigt der Natur von uns? — „Wir
sollen den wieder lieben, der uns zuerst geliebet hat."
Herz und Gemüt soll sich zum ersten zu Gott erheben und
überströmen in Lob und Dank gegen den großen und gütigen Geber,
wie der Psalmist (Ps. 40, 6) singt: „Ich will deine Wunder ver-
kündigen und davon fragen, wiewohl sie nicht zu zählen sind." Wer
Gott recht liebt, der muß aber auch seine Geschöpfe lieben. Darum
stellt die Betrachtung der Natur zum andern an uns die Forderung,
daß wir mit den Dingen dieser Erde schalten und walten nach
Gottes Wohlgefallen, und daß unser Leben von Liebe und
Gütigkeit gegen alle Mitbrüder erfüllt sein soll.
O, möchten doch alle Menschen die Predigt der Natur ver-
stehen! . (I. S.)
4. Gott weiss und kann alles.
Nichts ist, das Gott nicht weiss. Er, der das Auge
schuf, sieht; er, der das Ohr macht, hört. Kind, was du thust,
sieht Gott; er weiss wohl, wo du bist. Bei ihm ist Nacht wie
Tag. Wie glänzt die Sonn’ so hell! Noch heller Gottes Aug'!
6
Gott weiss es, wenn du weinst; er hört auch, was du sprichst;
er weiss auch, was du denkst; er sieht dir in dein Herz. —
Kind, Gott thut, was er will. Er ist der Herr der Welt. Er
ruft der Sonn’, sie kommt; er winkt, der Mond ist da. Er
spricht, das Sternlein eilt; er ist’s, der alles kann.
Er schuf die Tiere all’; er kennt und zählt ihr Heer.
Er ruft dem Blitz, der spricht: „Hier bin ich, sende mich."
Gott will, der Blitz schlägt ein. Gott winkt, der Bach wird
Eis; Gott spricht, dick fällt der Schnee und decket Land und
Wald. Er ruft dem Wind, der kommt und bläst, wie Gott
ihn heisst. Er winkt dem Lenz, so schmilzt das Eis, der
Schnee. Gott spricht, so grünt der Baum. Gott winkt, so
fällt das Laub. Gott will, so lebt der Mensch; Gott ruft, so
wird er Staub. Einst spricht Gott noch ein Wort, dann lebt,
was tot ist, neu. Trau’ ihm, auch wenn du stirbst; Gott lebt,
Gott ist getreu. (Württemberger 1. Lesebuch.)
5. Gottes Walten.
I. Wohin mein Auge blickt, erkennt es das wunderbare Walten Gottes.
— Wie muß ich staunen, wenn im Frühlinge die schlafende Natur erwacht und
das frische Grün, Blätter und Blüten hervorbrechen; wie ergötzt sich mein Herz an
den durch die Hitze des Sommers reifenden Früchten, und wie freue ich mich
über den Segen des Herbstes! Selbst in den rauhen und kalten Stürmen, wie
in dem wirbelnden Schnee des Winters und den von Eis krachenden Gewässern
erkenne ich — die waltende Hand Gottes.
II. Und sehe ich in das Leben des Tier- und Pflanzenreichs, was
soll ich da mehr bewundern, — den Wüstenkönig, den Adler in der Höhe, das
Würmlein in der Erde, den Fisch im Wasser oder aber die mächtige Eiche, den
blühenden Apfelbaum und die lieblichen Blumen des Feldes! Selbst das tote Ge-
stein, die im Innern der Erde sich bergenden, dem Mineralreich angehörenden
Schätze predigen mir von dem großen Schöpfer, dem Allwaltenden.
III. Schaue ich dann hinein in das große Weltall — hinauf in den
Glanz der Leben spendenden Sonne, in das zahllose Heer der Sterne, höre ich den
rollenden Donner, sehe ich die zuckenden Blitze, und denke ich nach über die wun-
derbaren Naturkräste: welch' eine allmaltende, mächtige Hand leitet das alles!
IV. Wer erkennt nicht auch in dem Leben und Treiben der Völker
das geheime, unergründliche Walten Gottes! — Länder erstehen und vergehen;
kleine Völker kommen empor und hoch zu Ehren, mächtige sinken; Nachbarsländer
reichen sich brüderlich die Hände oder befehden sich in blutigen Kriegen; Gewaltige
werden vom Stuhl gestürzt, die Niedrigen erhoben. Fleißige und betende Hände
bringen öde Länder zum Wohlstand, während blühende Stätten veröden durch
gottloses, heidnisches Leben. Du Allwaltender bist gnädig, aber du bist auch ein
Richter und Rächer!
V. Und sehe ich endlich mein und meiner Mitbrüder Leben an,
und beschaue ich mein eigenes Ich, o, wie oft spüre ich in jenem, wie in
diesem das höhere Walten! Wie wunderbar führt Gott die Seinen auseinander
7
und zueinander, wie sonderbar leitet er oft den Einzelnen durchs Erdenleben, hier
viel Leid, da viel Freude, dort beides schickend. — Wie wunderbar ist mein Körper
gebaut, mit wie herrlichen geistigen Anlagen ist er ausgerüstet! Was ich aber als
Erdcnpilger hier nur als Stückwerk sehe, das soll ich einst in Vollkommenheit
schauen, da, wo es ein Wiedersehen giebt bis in alle Ewigkeit. (I. S.)
I.
6. Macht auf!
Wacht auf! der Urühling miss herein,
Gelockt hat ihn der Sonnenschein;
Hr ruft auch Ijtüten, Alumen und all'
Luch Aö glein ruft er zum Lied erschall.
Wie freundlich die Sonne, die Luft wie 6tau,
Wie pranget und leuchtet die grüne Au,
Wie singen so lustig die Wöglein im Wald,
Li, wie sich das reget und zwitschert und schallt.
Wie senden die Atüten so würzigen Duft,
Wie klingen die Lieder so hell durch die Luft,
Wie mahnt der erwärmende Sonnenschein:
„Kerz, öffne dich, laß doch den Irühting herein."
(Aus „Tannengrün rc." von Eugen Labes.)
7. Der Frühling, ein Bote Gottes.
Der Frühling ist ein Bote Gottes, den jeder mit offenen
Armen willkonnnen heißt. Er bringt gar gute Botschaft; sie lautet:
Freude und Hoffnung.
Macht nicht der Frühling alles fröhlich, was da lebt?
Erneuert er nicht die Gestalt der Erde? Schaue, wie grün Wiesen
und Felder sind; wie hier ein Blümchen sein buntes Köpfchen empor-
hebt, dort wieder eins, als wollte es sehen, ob der Schnee auch ganz
weg sei, und ob die andern alle nachkommen dürfen. Es dauert gar
nicht lange, so tauchen tausend Blumen aus dein Wiesengrün auf,
die nicht bloß das Auge erfreuen, sondern auch mit süßen Düften
die Luft erfüllen. Welch' ein schönes Leben ist allenthalben! —
Alle die Vögel, die während des Winters uns verlassen hatten, kom-
men wieder, grüßen den Frühling und den guten Gott, der ihn sendet,
mit neuen Liedern, und bauen sich Nestchen in dem jungen Grün.
Und wie regt sich's hier auf der Wiese von Käfern und Gewürmen,
die sich alle ihres Lebens freuen! Siehe den Schmetterling, der
dort auf der Blüte seine Flügel auf- und zuklappt, und hier dies
Bienchen, das in die Blume hineinkriecht und schauen will, ob ihm
der Schmetterling auch etwas gelassen hat. Horch! der Frosch
8
meldet sich im Teiche, daß er aus dem Winterschlafe erwacht ist.
Alles ruft dir zu: Freue dich mit uns! Alles zeigt dir an, daß der
liebe Gott frohe Seelen gern hat. Darum ist der Frühling ein
Bote der Freude.
Auch der Hoffnung! — Frage nur den Landmann, der dort
seinen Samen streuet, und den andern, der sein Saatfeld betrachtet:
die werden dir's erklären, warum der Frühling uns zur Hoffnung
aufrufet. Zwischen dem Samenkorn und der reifen Ähre liegt manche
kalte Nacht, mancher heiße Tag, die das Körnlein vernichten können;
aber der Ackersmann befiehlt seine Saaten in Gottes Hände, darum
hofft er ihr Gedeihen. Frage das Vöglein, das dort sein Nest
bauet; wenn's reden könnte, würde es sagen: Ich will bei euch
wohnen; denn ich hoffe, der liebe Gott wird auch dies Jahr für mich
und meine Kleinen den Tisch decken. Und der Baum würde sagen:
Ich treibe Blätter und Blüten; denn ich hoffe, der Herr wird Früh-
regen und Spätregen geben, daß die Blätter groß werden und die
Blüten Frucht bringen. — Aber siehe! jetzt öffnet der Frühling ganz
leise das Kirchhofthor; was mag er doch wollen? Er schaut hinein
und zählt, wie viele neue Gräber dazu gekommen sind; dann geht er
still über die Gräber weg, streut Blumen über die alten und deckt
Rasen über die neuen, und dazu spricht er: Schlafet nur, ihr Toten:
Es kommt wohl ein Morgen, der euch aufweckt, und ein Frühling,
der euch schöner anlächelt, als ich's kann. — So wird der Früh-
ling ein Bote der Hoffnung. (Ritsert, Stillehre.)
8. Ein Frühlingsbote.
Im Laube tief verborgen schlief
Schneeglöcklein süß zu schauen;
Es jetzt erweckt, sein Köpfchen reckt.
Will kaum den Augen trauen.
Und silberhell erklingt es schnell.
Des Blümchens zartes Läuten;
Und groß und klein da lauschen fein.
Was es wohl mög' bedeuten.
Der Käfer kriecht, die Meise fliegt.
Das Wunder zu erblicken,
Zaunkönig flink, der Specht unb Fink
Belauschend voll Entzücken.
Das Schweigen bricht, Schneeglöcklein spricht:
Ich hab's von Gott vernommen.
Der Winter schwer kehrt nun nicht mehr.
Der Frühling ist gekommen.
(Aus der Jllustr. Jagdzeitung von F. M.)
9. Rätsel.
Ein Glöckchen ist mir wohl bekannt, es schimmert hell
9
im ganzen Land. Aus Silber scheint es dir gegossen, doch ist
es aus der Erd’ entsprossen. Mit einem Klöppel ist’s versehn,
doch hörte niemand sein Getön; auch isfs auf keinen Turm
gehangen, es kann nur in der Tiefe prangen.
( Worte Anfsatzschule.)
10. Die Schwalbe.
Die Schwalbe ist auch ein, freilich nicht immer untrüglicher
Frühlingsbote; denn schon in den ersten Tagen des Frühlings kommt
sie als ein über die ganze alte Welt verbreiteter Zugvogel aus dem
fernen Süden über Wüsten, Meere und Gletscher und findet den
sichern Weg zu dem alten Neste. Wegen ihrer Nettigkeit, Sauberkeit
und wegen ihres lieblichen Wesens ist sie überall gern gesehen, nur
vor rohen Buben kann sie nicht sicher sein, die von dem ungeheuren
Nutzen dieses niedlichen Vogels nichts wissen und die kein fühlendes
Herz für die herrliche Natur Gottes und seiner Geschöpfe im Busen
tragen. Die Schwalbe hat kluge, scharfe Augen und eine rastlos
zwitschernde, bald leise klagende, bald lustig aufkreischende Stimme.
Sie ist schön geformt und ihr zarter, schlanker Leib mit dem knappen,
glänzenden Gefieder, mit den langen, spitzigen, sich fast übereinander
hinausbiegenden Flügeln und mit dem gestreckten, weitgegabelten
Schwanz mit Recht zu bewundern. Ihr Rücken erscheint blauschwarz,
im übrigen ist ihr Leib weiß. Von ihren sehr kurzen Füßen macht
sie selten Gebrauch-
Sie thut fast alles
im Fluge, jagt die
Insekten im Fliegen,
sammelt ihr Nest-
material, badet, trinkt
und füttert sogar die
Jungen im Fliegen.
Wer hat nicht schon
ihre reißende Schnel-
ligkeit bewundert!
Wer hat nicht mit
Vergnügen gesehen,
wie sie die Jungen
im Fliegen übt!
Eine rührende Liebe
zu ihren Jungen,
das zutrauliche Nisten
an den Häusern, ihr
schwärmendes Spiel
in den Lüften, ihr
Kommen und Schei-
den mit der kommen-
den und scheidenden
10
Sommerlust: alles das hat sie den Menschen befreundet^ und
geheiligt. Darum herrscht der Glaube, wer das Nest einer Schwalbe
zertrümmert, der zertrümmere auch sein eigenes Glück. — Im Herbste
sammeln sich die Schwalben auf Dächern und an Seen und verlassen
in großen Zügen unsere Gegend, um in wärmeren Ländern ein neues
Heim aufzusuchen. Auf ihrer Wanderung fliegen sie in einem Tage
400 Stunden weit und mehr. Es giebt Haus-O) und Rauch-
schwalben^); erstere bauen ihre Nester stets außerhalb der Gebäude,
letztere sind an der Stirn und Kehle rostrot gefärbt, und ihre Nester
befinden sich innerhalb der Gebäude. Das Nest der Mauer-
schwalbe (des Mauerseglers)^) findet sich an Felsen und Mauern,
wogegen die Uferschwalbe^) in Uferlöchern und an steilen Berg-
abhängen nistet. (Nach Ritsert.)
11. Das erste Friililingsblümchen.
(* Von Eugen Labes.)
Mutter, schau, was ich gefunden;
Silberglöckchen, weiss wie Schnee !
Nur für wenig flücht’ge Stunden
Es zn pflücken that mir weh.
Mit den kleinen Blütenzweigen
Trug ich's heim und setzt' es ein.
Sieh, es will zum Grafs sich neigen,
Grüfst mit munt’ren Augelein.
Jedes Glücklein mag dir bringen
Frohe Stunden lebenslang;*)
Mag von ew’ger Liebe singen,
Heü’ger Gottesliebe Sang.
Bin ich fern, mag dir es sagen,
Dass du mich nicht ganz vergisst,
Dass du — „was nun? wirst du fragen —
Doch die beste Mutter bist.
’) Nach dem Original: „Schöner Stunden Zauberklang.“
I. 1.
a. I ch bin ein Kind Gottes. Gedenke meiner, sprach der Schenke zu
Joseph. Gott gab mir Vernunft und alle Sinne; er versorgt mich täglich.
Wir find göttlichen Geschlechts. Erbarme dich unser! Der Tod i|t uns
allen gewiß; er weiß uns überall zu finden.
b. Mein Geist ist unsterblich. Dein Auge ist der Spiegel deiner Seele. Gott
ist allgegenwärtig, sein Auge sieht dich überall. Unser Leben ist kurz. Euer
Vater im Himmel weiß, was ihr bedürfet. Ihr seid alle Gottes Kinder.
12. Der Fuchs.
Der Fuchs, genannt Reineke, ist ein Räuber, Mörder und
durchtriebener Spitzbube, der selbst die armen Singvögel nicht in
Ruhe läßt und sogar Wein zu seinem Braten verlangt, wenigstens
11
ungefederten. Er wird daher auch von jedermann über alle Maßen
geschmäht. Der Jäger schilt ihn, weil er ihm einen Hasen gefressen,
der Vogelsteller, weil er ihm die Vögel ans dem Sprenkel ausgelöst,
der Bauer, weil er ihm ein vorwitziges Hühnchen entführt, das zu
weit in den Wald spaziert war. Selbst das kleine Kind, das in
seinem Leben vielleicht den rothaarigen Gesellen noch nie gesehen hat,
singt schon: Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gieb sie wieder her!"
Doch geht auch manch armes Füchslein 51t Grabe und muß seinen
Pelz lassen, ohne zu wissen, wie Gänsebraten schmeckt.
Hast du schon einmal einen Fuchs beobachtet, wenn er mit
der erhaschten Beute dahineilt, oder wenn er voller List an einem
Teiche oder hinter der Hecke lauert? Er thut, als ob er sagen will:
Da bin Hei)! Du, Jägersmann, wirst Hnciner so leicht nicht hab-
haft; wer will 3mtr überhaupt etwas anhaben! So dumm bin ich
nicht, Hnich fangen zu lassen; denn ffvir Füchse sind viel zu schlau.
Ihr Menschen seid Hinter überdrüssig und seid 'uns todgram, wir
wissen es; allein dadurch lassen wir Hms in unserm Handwerk durch-
aus nicht stören.
Der Fuchs gleicht an Gestalt und Größe einem Spitzhunde.
Sein Kleid ist gelbbraun, immer glatt gebürstet und weich wie
Sammet. Den schlanken Leib tragen schnelle Füße fast spurlos über
den Boden, und stattlich schmückt ihn der buschige Schwanz. Der
Fuchs lebt in unsern Wäldern und wohnt unter der Erde in seinem
Bau. Am Tage ruht er, wenn ihn nicht die Sorge für seine Jungen
zwingt, auf Raub auszugehen; des Nachts aber ist er desto munterer.
Dann sucht er seine Beute auf, nähert sich ihr schleichend und er-
hascht sie im Sprunge. — Geflügel aller Art, Hasen, Kaninchen,
junge Rehe und Hirsche, Eier, Honig, Obst und besonders Wein-
trauben )ind seine Lieblingsspeisen; doch nimmt er in der Not auch
mit Mäusen und Ratten vorlieb. Sein Fell liefert ein treffliches
Pelzwerk. Emsig stellt ihm deshalb der Jäger nach; doch nur schwer
gelingt es, seiner habhaft zu werden.
(Nach Pache's Lesebuch II. S. 93.)
8er Fuchs verliert wohl das Haar, aber nicht den Zinn. Trau, schau, wem?
Unkraut vergeht nicht. Ein schlafender Fuchs fängt kein Huhn. Die Äahe läht
das Mausen nicht. Fist und Schlauheit -gehen gern krumme Wege. 8er Fuchs
ändert den Lalg und behält den Schalk.
12
13. Klage des Hasen.
Ich armer, verfolgter Hase, mas soll ich noch anfangen? Wo-
hin mich flüchten? Allenthalben droht mir der Tod. Nicht bloß
der Jager und sein Hund stellen mir nach; Raubvögel aus der Luft
stürzen auf mich herab, Füchse aus den Höhlen schleichen mir nach;
selbst Katzen und Raben wagen sich an meine Jungen. Und nichts
gewährt mir Schutz vor all' diesen Verfolgern. Ich kann nicht auf
Baume klettern, wie das Eichhorn, nicht in Höhlen schlüpfen, wie
meine Gebrüder, die Kaninchen. Ich habe wohl Zähne zum Nagen,
und mancher Baum kann von der Schärfe derselben reden; aber zum
Beißen, zur Verteidigung fehlt mir der Mut. Höre ich ein Geräusch,
sogleich muß ich meine langen Ohren in die Höhe recken und horchen,
wer kommt, und kann ich mich nicht in eine Hecke oder Furche ducken,
so laufe ich lieber, so weit mich meine Beine tragen. Es ist wahr,
im Laufe holt mich so leicht keiner ein, es müßte gerade ein Wind-
spiel sein; auch an Kreuz- und Quersprüngen lasse ich es nicht fehlen,
um meine Feinde irre zu führen, — aber was hilft es mir?
Ehe ein Jahr vergeht, bin ich doch ein Kind des Todes. Es
paßt mir der Jäger auf, wenn ich des Abends aus dem Walde
komme und meinen Hunger an dem fetten Grase stillen will. Da
sitzt er in der Dämmerung hinter einer Mauer oder einer Hecke, und
ehe ich mir's versehe, knallt sein Gewehr, und ich habe das tödliche
Schrot im Leibe. Habe ich noch Leben genug, um dem Walde zu-
zufliehen, flugs kommt auch noch der Hühnerhund, packt mich un-
barmherzig und trägt mich seinem grausamen Herrn zu; quieke ich in
der Todesangst vielleicht ein wenig, so werde ich noch ausgelacht. Im
Winter verfolgen sie meine Spuren in: Schnee oder füllen den Wald
und das Feld mit häßlichen Treibern, welche klappern und schreien,
bis wir armen Hasen unsern Zufluchtsort verlassen und vor die offe-
nen Gewehre der Jäger laufen. Und wär' unser Tod noch ehren-
voll, und würden wir ehrlich begraben, wie ein Hund oder ein Pferd!
Allein unser Los ist, in die Küche zu wandern. Da streift uns die
blutige Hand einer Köchin den Balg ab und stopft ihn aus, bis er
verhandelt wird. Unser Kopf, unsere Beine und Eingeweide werden
in einem braunen Pfeffer zerkocht, und der Rest, das Beste an uns,
wird mit Spicknadeln zerfleischt und dann erst gebraten. Nachdem
die Menschen unser Fleisch abgeschält und verzehrt haben, werfen sie
die Knochen ihren Hunden vor. Nein, es ist ein jämmerliches Schick-
sal, ein Hase zu sein!
„Gewiß, ffnein armer Hase, '^dein Los möchte ich nicht teilen.
Mit wie vieler 9iot und Plage haben wir Menschen zu kämpfen,
— 3fein Leben ist denn doch voller Angst und Weh! Klnser
menschliches Dasein ist oft nur ein kurzes; üeucr Leben, ihr Hasen,
zählt überall nur nach Wochen. Wohl niemand beneidet sie um bii)r
Los l" (W. Curtmann.)
13
14. Jas Krühlirrgsmahl.
GOtt hat gedeckt die Tische
In seinem weiten Saal,
Und rüst was lebet und webet
Zum großen Frühlingsmahl.
Wie strömt's aus allen Blüten
Herab von Strauch und Baum,
Und jede Blüt' ein Becher
Voll süßer Düfte Schaum!
Hort ihr des Wirtes Stimine?
„Hcran, mas kriccht und fliegt,
Was gcht und steht auf Ecden,
Was unter den Wogen sich wiegt!
Und du, mein Himmelspilger!
Hier trinkc trunken dich,
Und finse sclig nieder
Aufs Knie und denk an mich."
(W. Muller.)
15. Der erste Spaziergang im Frühling.
Es war Alwin und Theodor die größte Freude, wenn ihr
Vater, so oft es seine Zeit erlaubte, sie an schönen Tagen auf ihren
Spaziergängen begleitete. Ein unbeständiger, regenhaster Winter
hatte diese Spaziergänge lange Zeit unterbrochen. Endlich kehrte der
lang gewünschte Frühling zurück. Der Schnee war verschwunden;
das junge Grün drängte sich überall aus der feuchten Erde hervor,
und in der weicheil, warmen und blauen Luft entfalteteil sich die
zarteil, zitternden Blätter der Pappeln und Birken.
Jetzt eilten die Knaben an der Hand ihres Vaters wieder ins
Freie hinaus. Alles, was sie in ben vorigen Jahren so oft gesehen
hatten, machte nach der langen Entbehrung einen doppelten Eilldruck
auf sie. Sie konnten sich nicht satt sehen an den herrlichen Bäumen,
die jetzt keine nackten Arme mehr zum Hiinmel emporstreckten, an dein
glatteil Spiegel des Teiches, in dessen Tiefe sie einen zweiteil Himmel
bewunderten, und an den blaueil Bergeil, die in weiter Entfernung
die anmutige Landschaft bekränzten. Die Geschäftigkeit fleißiger
Ackersleute, der Gesaug der Lerche und selbst das heisere Rufen der
Frösche erhöhte ihre Freude und rief das Andenken dieses und jenes
Frühlingstages in ihr Gedächtnis zurück. Beim Anblick dieses vor
uns liegenden Thales, sprach der Vater, denke ich an die beiden letzteil
Strophen eines schönen Gedichtes,
Nun strömet allen Wesen
Der Blumen Wohlgeruch.
O Kinder, lernet lesen
In Gottes großem Buch!
welche heißen:
Ein Wort ist jede Blüte,
Ein Buchstab jeder Halln,
Voll Weisheit, Macht und Güte
Ertönt der Schöpfung Psalm.
Eine kleiile Anhöhe, die sie bestiegen, erweiterte ihre Aussicht.
Ihre Blicke verloren sich in der weiten Ferne, und ihre Freude
wurde stiller mld inniger. Die Sonne näherte sich jetzt ihrem Unter-
gänge. Einige zarte Wolken schwammen um sie her, und tauchten
sich in das goldene Meer, in das sie beim Untergehen zerfloß. „Die
Sonne verschwiildet für heute, meine Kinder," sagte der Vater, „und
morgen wird sie wieder zu einem ileuen Leben und zu neuer Wohl-
thätigkeit erwachen, und ihre befrlichtenden Strahleil auf die Erde
herabsenken."
14
Jetzt erhob sich der Mond und schwamm wie ein leichter Nachen
in dem Wiederscheine des Abendrots. Die Kinder zeigten ihn ihrem
Vater. „Wie schön und zart ist er!" sagte Alwin; „so sieht er nicht
immer aus." „Er ist in seiner Kindheit," erwiderte der Vater.
„Mit jedem Tage wird er wachsen, und sein Licht wird zunehmen,
bis er uns die ganze volle Scheibe zeigt. Vielleicht werden ihn bis-
weilen Wolken bedecken, und er wird sein Angesicht trauernd ver-
hüllen. Nach einiger Zeit wird er wieder abnehmen und kleiner
werden, bis er endlich ganz verschwindet, um ein vollkommenes Bild
des menschlichen Lebens zu werden."
„Ich verstehe nicht, was du meinst," sagte Theodor.
„O ja!" fiel Alwin ein; ich weiß, was der Vater sagen will.
Der Mensch nimmt auch zu und ab; erglänzt eine Zeitlang überder
Erde, dann verschwindet er und wird im Grabe verborgen."
„Ganz richtig," versetzte der Vater, „und die Wolken, die den
Mond bisweilen verhüllen, sind die Unfälle, die bcn Menschen be-
gegnen. Kein Leben ist noch ganz ungetrübt über die Erde hinweg-
gezogen; jedes hat seine düsteren Stunden und seine Regentage, aber
dem frommen Menschen wird die Ruhe seiner Seele dadurch nicht ge-
stört, und verschwindet er auch endlich vor unsern Augen, so geht er
doch nicht zu Grunde, sondern strahlt in einer besseren Gegend ewig
dauernd und unveränderlich."
Schweigend und sinnend kehrten die Kinder mit dem Vater
nach Hause zurück. (Nach Fr. Jakobs.)
16. Das
Ein Vogel ruft im Walde,
Ich weiß es wohl, wonach?
Er will ein Häuschen haben,
Ein grünes laubig Dach.
Er rufet alle Tage,
Und flattert hin und her.
Und in dem ganzen Walde
Hört keiner sein Begehr.
Voglern.
Und endlich hört's der Frühling,
Der Freund der ganzen Welt,
Der giebt dem armen Vöglein
Ein schattig Laubgezelt.
Wer singt im hohen Baume
So froh vom grünen Ast?
Das thut das arme Vöglein
Ans seinem Laubpalast.
Es singet Dank dem Frühling
Für das, was er beschicd.
Und singt, so lang er weilet.
Ihm jeden Tag ein Lied.
(Hoffmann von Fallersleben.)
17. Kreuzschnabel und Rotkehlchen.
Als unser lieber Heiland am Kreuze hing, empfand ein Vogel herz-
liches Mitleid mit dem leidenden Erlöser. Vas betrübte Tierchen konnte
die Cnalen des Herrn nicht anfehen; deshalb flog es hin und her um das
Kreuz, um zu sehen, wie es wohl den Heiland von dem Marterholze los-
machen könnte. Endlich erblickte der suchende Vogel die Vägel, mit
15
welchen der Herr durch Hände und
Führ an das Holz geheftet war. Cr
gab sich viele Mühe, die grausamen
Nägel heraus zu ziehen, aber er ver-
mochte es nicht; auch waren die
Spitzen seines Schnabels bei der ver-
geblichen Anstrengung ganz brumm
geworden. Als nnn der Heiland
sah, das; der mitleidige Vogel sich
seinen Schnabel breuzweis verbogen
hatte, sprach er: „Fliege hin, betrüb-
ter Vogel, und trage fortan das
Reichen des Kreuzes an dir, das du dir um mich verdient hast." Noch
heute trägt der Vogel dies Reichen und heitzt deshalb „Kreuzschnabel".
Auch ein Rotkehlchen kam herzugeflogen und hatte Erbarmen mit
dem leidenden Erlöser. Jeder wird ihm das zutrauen, der diesem Vogel
einmal in seine milden, treuherzigen Augen gesehen hat. Auch er flatterte
traurig um die Nägelwunden hin und her und war ängstlich bemüht, das
blutige Opfer loszumachen. Vabei fiel ein Tropfen Blut aus den Wunden
des Erlösers auf die Brust des mitleidigen Vogels. Seitdem ist das Ge-
fieder dieses Tierchens auf der Brust rot geblieben, und es heitzt mit Recht
„Rotkehlchen".
(Nach Bäßlers Legenden.)
18. Die Schlüsselblume.
Die Schlüsselblume gehört mit zu den lieblichsten Erschei-
nungen des Frühlings. Aus der Mitte einer grünen Blätter-
rose erhebt sich ein schlanker, aufrechter Stengel, der an seiner
Spitze eine grössere Anzahl Blüten von schöner Farbe und
lieblichem Gerüche trägt. Bienen und Hummeln besuchen sie
und saugen Honig daraus, und die Mägdlein pflücken sie mit
dem blauen Veilchen zum wohlriechenden Fensterstrausse. Die
Namen „Schlüsselblume" und „Himmelschlüsselchen“ hat man
ihr gegeben, um damit anzudeuten, dass sie den Frühling er-
öffnet und den heiteren Himmel und die schöne Blumenwelt uns
aufschliesst. Auch der Name „Primel", den sie führt, heisst
„Erstling des Frühlings." (A. Lüben.)
19. Sonntagsmorgenlied int Frühling.
1- 0 seht, auf leisen Flügeln 2. Es schmücken sich die Auen,
Des Frührots von den Hügeln Sein Angesicht zu schaueu;
Kommt unser Feiertag ins Thal! Ihn grüßt der Nachtigallen Chor.
Wir wandeln ihm entgegen; Die Lerch' am Himmel schwebet.
Er bringt uns Freud' und Segen Und duftender erhebet
Und Laub und Blumen ohne Zahl. Die Blume selbst ihr Haupt empor.
16
3. Wir aber stehn und loben 4. Die Stern' in hohen Räumen,
Den guten Vater droben; Die Blüten auf den Bäumen
Er ruft den Lenz, er schmückt die Flur! Sind alle seine Kinderschar!
Ist nicht die weite Erde Er schaut mit Wohlgefallen
Ein Lamm von seiner Herde? Hinab und reichet allen
Er leitet sie an seiner Schnur. Die vollen Vaterhände dar.
5. Drum laßt uns hier im Freien
Ihm unsre Freude weihen!
Auch hier ist Gottes Heiligtum!
Ihn preisen Laub und Blüte.
Verkünde seine Güte,
Mein Herz, lobsinge seinem Ruhm! (Krummacher.)
I. 2.
e. Der siegt doppelt, der sich selbst besiegt. Dieses Leben ist ein Jammer-
thal, jenes ein Freudensaal. Was du Gutes verlangst, dasselbe mußt du
andern auch thun. Derjenige ist glücklich, welcher zufrieden ist. Bleibe
fromin und halte dich recht; denn solchen wird es zuletzt wohl gehen.
cl. Ein Baum, welcher keine Früchte trägt, wird abgehauen. Bei solchem
Freunde stehe still, der dich nur, nicht das Deine will. Leichter trägt, was
er trägt, wer Geduld zur Bürde legt.
6. Welcher Baum trägt niemals Früchte? Wer hat Amerika entdeckt? Was
ist der Mensch, daß du seiner gedenkest? sWas für eins Erdenglück wäre
vollkommen!
f. Muß man nicht lernen, so lange man lebt? Unter Jesu Jüngern war einer
ein Verräter. Es ist keiner unter den Menschenkindern vollkommen. Wenn
dich jcinand fragt, so antworte. Wer es jedermann recht machen will,
der rnacht es gewöhnlich niemand recht. Wenn du etwas versprichst, so
mußt du es auch halten. Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich
an die Sonnen.
20. Der Apfelbaum.
Eilt Knabe sah seinen Vater einen wilden Apfelbaum pflanzen,
e Was für ein knorriger Banm ist «das? fragte ejener. Der Vater
antwortete: Freilich sieht kman e diesem unscheinbaren Bäumchen nicht
an, 4 was in ihm ist, und k niemand weiß, 4 was noch ans ihm werden
kann; setzt schlummert seine Fruchtbarkeit noch verborgen in ihm.
Im Herbste fand der Knabe seinen Vater wieder bei dem
Bäumcheil. Er steckte eineil Stab baneben und band es an.
„Warum thust du e das?" fragte der Knabe. Der Vater antwortete:
„Darum, daß der Wind das Bäumchen llicht zerknicke, wenn es ohne
Stütze ist, und damit es schlank und gerade in die Höhe wachse.
Jetzt ist es noch zu schivach, um sich selbst zu tragen. Darauf schnitt
er vorsichtig einige Zweige von dem Stamme des Bäumchens, lockerte
ringsumher den Boden auf, und umgab es mit Dornen, um das
Vieh davon abzuhalten.
«Dies, sagte er, thue ich dem Bäumchen zuliebe, damit die
verborgene Kraft ohne Beschädigung in ihm wachse und zum guten
gedeihe.
Der Winter war kaum zu Ende, so führte der Vater seinen
Knaben wieder zu dem Bäumchen in den Garten. Er hatte von
17
einem andern Apfelbaume, eher im Herbst die edelsten Früchte ge-
tragen, ein frisches Reis geschnitten. Jetzt nahm er sein Messer,
schnitt zu und die Krone des Bäumchens fiel zu Boden.
O weh! rief der Knabe und erschrak. Nun ist es k nichts
mehr mit dem Baum.
Aber der Vater lächelte und pfropfte das fremde Reis auf den
Rumpf des Bäumchens und verband es sorgfältig. Darauf sagte er:
Siehe, mein Sohn! wäre das Bäumchen ohne Zucht und Pflege
draußen im Walde geblieben, so wäre'es wohl schief und knorrig
aufgewachsen und hätte nur herbe, ungenießbare Früchte getragen.
Jetzt habe ich seinen Wuchs geleitet; ich habe seinen wilden Trieb
durch dieses Reis veredelt, damit sich sogleich mit dem sprossenden
Frühling seine volle Kraft dahinein ergieße. Es hat nun die Rich-
tung, in e welcher es zu einem tüchtigen Baume erwachsen kann.
Als. im Frühling der Knabe die ersten Blüten an dem
Bäumchen entdeckte, freute er sich und holte den Vater herbei,
e Dieser griff aber wieder nach seinem Messer und schnitt die Spitzen
der Zweige samt den Blüten hinweg. O, wie schade, rief der Knabe;
das arme Bäumchen! — e Das darf k keinem leid thun, erwiderte
der Vater. Ich habe dem Bäumchen nur den üppigen Trieb ge-
nommen, durch d den es verwildern würde. An c dieser vorzeitigen
Fruchtbarkeit hätte sich seine Kraft erschöpft, ehe sie zu ihrer völligen
Entwickelung gekommen wäre.
Es waren Jahre vergangen, und siehe, «was war nun aus
dem früheren knorrigen Stamm geworden! Stark und stämmig
stand der Apfelbaum da, ü dessen Zweige sich unter dem Segen der
Früchte neigten. Siehe, mein Sohn, sagte jetzt der Vater, kleiner
von uns hätte mit seiner menschlichen Kraft e diesen Baum auf eine
e solche Höhe zu bringen vermocht; das vermag nur keiner, ä tzer in
seinem allmächtigen Walten überhaupt die ganze große Natur leitet.
Und ewer gleicht-diesem Bäumchen? Das Kind! Und ewas be-
deuten die unedlen Triebe, was die unscheinbare und unberechenbare
Kraft im Wildling, was die Stütze, das schneidige Messer, die guten
Früchte? und wer vertritt die Stelle des Gärtners? — Denke einmal
weiter nach über e diesen Vergleich! (Nach Krumm ach er.)
21. Sprichwort; — Wahrwort.
1) Oute Zucht, gute Frucht. 2) Schläge machen weise.
3) Unkraut vergeht nicht. 4) Wie die Zucht, so die Frucht.
5) Wie man’s treibt, so geht’s. 6) Den Baum erkennt man
an den Früchten. 7) Ein guter Baum bringt gute Früchte.
8) Wer nicht hören will, muss fühlen. 9) Biege den Baum,
tvenn er jung ist; ist er alt, lässt er sich nicht mehr biegen.
10) Wer seiner Bute schont, der hasset seinen Sohn. 11) Des
Vaters Strafe ist die rechte Liebe. 12) Womit man sündigt,
damit wird man gestraft. 13) Was einer einbrockt, das muss
er ausessen. 14) Ein fauler Apfel steckt hundert andre an.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II., 2. 2
18
15) Was ein Schlag nicht thun kann, das thun zwei. 16) Je
lieber das Kind, je schärfer die Rute. 17) Was nicht von
Herzen kommt, geht nicht zu Herzen. 18) Ist der Wurm im
Herzen, so geht der Baum zu Gründe. 19) Was ein guter
Haken werden will, krümmt sich beizeiten. 20) Wer sich heut
nicht bessert, wird morgen ärger. 21) Die Jugend ist die Zeit
der Saat, das Alter erntet Früchte. 22) Wir erziehen nicht
für die Gegenwart, sondern für die Zukunft. 23) Eigensinn
muss früh gezähmt werden; sonst artet er später in Trotz und
Unbändigkeit aus. 24) Die bösen Beispiele der Eltern sind
für die Kinder die gefährlichsten Giftblasen.
22. Die Fülle des Sommers.
Kaum, daß man ein Blatt findet, das nicht zahlreich bewohnt
wäre! Kaum, daß wir einen Schritt thun können, ohne Lebendiges
vor unsern Füßen wahrzunehmen! Wolken von kleinem Geflügel
spielen im Sonnenschein! Nirgends, nirgends, v Mensch, bist du in
dieser Zeit allein! Es wühlt unter deinem Sitze; es zirpt dir zur
Seite; es schwebt über deinem Haupte; es singt hinter dir, — es
flattert vor dir; überall ist des Lebendigen Fülle zu dieser Sommer-
zeit. Es sind Wesen, die mit sein wollen auf dieser Erde nach ihres
Schöpfers Willen, denen er angewiesen hat ihren Ort, denen er ge-
geben hat zu dem Bedürfnisse die Werkzeuge, es zu befriedigen;
denen mehrere oder wenigere Sinne anfgethan sind, weiter zu dringen,
als zu dem, was sie berühren; die den Schmerz und die Freude
kennen, und die Freude suchen, wie du, o Mensch, und dir verwandt
sind. Wolltest du verachten eines derselben, nicht eines Anblicks,
nicht eines Gedankens würdigen? Du kannst hundert töten mit
einem Fußtritt, aber auch ein einziges bilden? Nein, du mußt be-
kennen, dazu gehört eine Gotteshand, Gottes Allmachtshand; wie
stark auch dein Arm, wie behende deine Finger und Werkzeuge, wie
kunstreich dein Verstand ist, so kannst du doch kein einziges schaffen,
von welchen Gott so viele tausend mal tausend geschaffen hat, der-
maßen, daß du nicht zählen kannst, wie weit du mit deinen Augen
nur reichst, wie viel auf einem einzigen Baum nur lebt; denn es ist
allenthalben von allerlei Art, wogt und treibt, wimmelt und summt
in lauter Fülle, Lebensfülle, zur Sommerzeit. (Klaus Harms.)
23. Der Gang iw Getreide.
Wie schön ist doch ein Gang durchs Kornfeld! Warum wollen
wir nur Bäume und Gesträuche bewundern? Hat denn ein Halm
nicht seine vollständige Mannslänge? Blüht er nicht? Trägt er
nicht Früchte, die alle Baumfrüchte im Nutzen übertreffen? Und
auch in seiner Unreife, wie schön ist das Getreide! Wie mancher
Halm ragt über mich hinweg und scheint sein Haupt zu schütteln,
weil ich nicht so groß bin wie er! Stolz sei nicht, guter Halm!
Der Baum hat mehr Ursache, der gewöhnlich älter wird, als der ihn
pflanzte.
19
Schon schärst der Schnitter seine Sichel und dann wirst du
sinken auf das Grab deiner Mutter. Kein Lüftchen kann dich auf-
locken, kein Sturmwind dich erwecken. Wie, du lässest deinen Mut
sinken? Auch das mußt du nicht, guter Halm! Du bist nützlich im
Leben, aber auch noch nützlich im Tode; denn du trägst zur Ernäh-
rung der Menschen und Tiere bei, oder aus jedem deiner Körnchen
quillt aus dem Grabeshügel neues Leben hervor. Dein Tod aber,
du wertvoller Halm, soll mich mahnen, daran zu denken, daß auch
mein Leben ein Ende hat und mein Ziel die Seligkeit des
Himmels ist. (Nach Schubart.)
24. Die Kornblumen.
(* Von Eugen Labes.)
Als Gott die Welt so schön gemacht.
Hat er mit Blumen sie bedacht.
Mit Sternlein von dem Himmelszelt
Auch unsre kleine Erdenwelt.
Wenn reif das Feld zur Ernte steht.
Das Ährenfeld ein Hauch durchweht
Des Vaters, der uns alle liebt
Und stets uns neue Freude giebt.
Ob Thränen in dein Auge tau'n —
Wenn sie die schönen Blumen schau'n.
Grüßt ew'gen Lichtes Himmelsstrahl
Uns in dem armen Erdenthal.
25. Die Erntezeit.
Weiß und reif steht das Ährenfeld. Die Schnitter ziehen hin-
aus, ehe noch die Sonne anr Himmel emporsteigt; feucht von dem
Tau der Nacht ruhet ringsum noch die Natur, und hell spiegelt sich
das Morgenrot in den blanken Sicheln und Sensen. Nasch am
Ziel, schlagen die Arbeiter klingend die Sense an, und dahin fährt
sie in das Ährenmeer. Die Halme fallen, die Vögel singen ihr
Morgenlied, das Morgenrot verschwindet, die Sonne geht auf, der
Tag schreitet vorwärts. Die Sonne hat den Tau hinweggetrocknet.
Der Himmel leuchtet heiter auf die Stoppelfläche nieder. Garben
werden gebunden. Geschäftige Hände rühren sich fort und fort, und
nur kurze Minuten zuweilen wird gerastet. Endlich naht
der Erntewagen. Rasch und fröhlich wird er beladen, und bald
schwankt er hinweg von der Stoppel und führt den Segen heim in
die geöffneten Vorratskammern. (Aus Ritsert Stillehre.)
26. Rätsel.
Ich bin das Nützlichste für dich icohl auf der Erde; doch
gleichet dem auch nichts, ivie ich gemartert tu er de. Den Prügel
2*
20
und das Bad hab ich erst auszustehn, ich muss durchs Wasser
jetzt und dann durchs Feuer gehn; und alles, ivas man mir
nur Hartes angethan, beschließt das Messer und der Zahn.
(Aus Bert heit Lebensbilder 2.)
27. Abendgedanken im Sommer.
Giebt es etwas Schöneres als die lauen Sommerabende, wenn
sie von uns in Nuhe und Herzensfreude genossen werden? Sollte
es Menschen geben, welche ihre Schönheit nicht empfinden und gleich-
gültig dagegen sind?
Jedem gefühlvollen Menschen bringt ein schöner Sommerabend
hohen Genuß, himmlischen Reiz. Die untergehende, eben unsern
Augen entschwundene Sonne sendet uns den letzten Scheidegruß in
dem herrlichen Abendrot, das sein Goldnetz über den fernen Wald
und die Berge spannt. Welche süße Stille herrscht ringsum! Die
Tiere des Feldes und Waldes suchen ihre Ruhestätte und selbst die
Blumen schließen ihre Kelche. Nur hie oder da tönt aus den Kirch-
dörfern oder der nahe gelegenen Stadt die Abendglocke und unter-
bricht ans wohlthuende Weise die friedliche Stille. Eine sanfte Kühle
erfrischt nach heißem Tage den Menschen, und selbst die Blumen
hauchen neugestärkt süßeren Duft. Wie ruht die ganze Natur so
zufrieden, so feierlich!
Welche Gefühle weckt ein solcher Sommerabend in der empfäng-
lichen Menschenbrust! Ungehört, aber dem ganzen innern Menschen
vernehmbar spricht das in sich gekehrte Herz: Ach, möchte auch mein
Lebensabend so heiter und sabbathstill sein, wie dieser Sommerabend!
Möchte dann auch die Gnadensonne mir ihre Grüße senden und mich
schmücken, wie jenes Rot am westlichen Himmel diesen Abend schmückt!
Eine bleibende Heimat haben wir hier nun einmal nicht; wo diese
zu suchen ist, das zeigen mir die aufgehenden, funkelnden Sterne,
die mich zugleich mahnen wollen, daß ein rechtes Christenherz von
einer Sehnsucht nach oben getragen werden soll immerdar.
(Nach Ritsert-Wagner's Stillehre S. 292.)
28. Der Kirschbaum.
Wie prangt der Kirschbaum hoch und schön und neigt die
vollen Äste! Er scheint uns freundlich anzusehn als seine lieben
Gäste.
Wie glänzt und schwanket voll und rund die Kirsch' an allen
Zweigen, als wolle sie zu unserm Mund von selbst herab sich neigen!
Seht ihre Bäckchen, rot und schön, versteckt im Laube blinken,
und wenn die Sommerlüftchen weh'n, vom Baum' uns freundlich
winken.
Wir aber stehn umher im Kreis mit freudevollen Blicken; her-
nieder schwebt das volle Reis, wir jauchzen, Haschen, pflücken!
Wie lieblich, o wie kühl und frisch zerschmilzt die Kirsch' im
21
Munde. Dank dir, o Gott, du deckst den Tisch uns stets zur rechten
Stunde.
Du giebst so gern und weißt so schön zu rechter Zeit zu geben!
Bevor des Herbstes Stürme weh'n, erfreu'n uns Most und Reben.
(Krumm acher.)
II. 1.
a. Suri) viele harte Streiche fällt selbst die stärkste Eiche. Für den
Tod kein Kraut gewachsen ist. Ohne die Dornen hast du keine Rose. Um
manchen Kern sitzt eine harte Schale. Sonder Furcht und Grauen muß
der Krieger dem Tod ins Antlitz schauen. Man muß nicht immer gegen den
Strom schwimmen. Gott beschirmt uns wider alle Fährlichkeit.
29. Die überwundene Versuchung.
(Hans und Fritz, zwei Bauernknabeu, gehen an einem Sommerabend über
Feld.)
Hans. Hier 4durch das Korn konlmt mir heute der Weg nach
Neuendorf weiter vor als sonst.
Fritz. Mir nicht, ich freue mich über unsere Reise; denn der
Abend ist schön und die ganze Natur so still.
Hans. Gewiß freue ich inich auch über unsere gemeinschaft-
liche Reise, zumal wenn du die Geschichten erzählst, welche wir von
unserm Lehrer gehört haben; du kannst sie immer besser behalten
als ich.
Halts (sieht nachdenkend vor sich nieder, steht aber plötzlich still, bückt sich
und hebt etwas von der Erde auf). ©t, sieh' doch, Fritz, was ich da finde!
Das ist ordentlich schwer.
Fritz (hinsehend). Das ist ein Päckchen mit Geld; sieh', hier
steht es geschrieben: Enthaltend 300 Mark.
Hans (hüpfend). O welch ein Glück! Das inacht 2füi* jeden
von uns 150 Mark. Laß uns gleich teilen — — (will ihm das
Päckchen aus der Hand nehmen).
Fritz. Du thust ja, Hans, als ob das Geld uns gehörte.
Wir sind ^ohne dasselbe ebenso glücklich.
Hans (ihn verwundert ansehend). Uns gehörte? Wem gehört es
denn sonst?
Fritz. Dem, der es verloren hat.
Hans. Ja, wer weiß, wo der ist?
Fritz. Wir müssen ihit aufzufinden suchen.
Hans. Wie sollten wir benn das anfangen?
Fritz. Weißt int nicht mehr, was neulich unser Lehrer sagte?
Wir tragen das Geld aufs Amt; es wird dann allenthalben bekannt
gemacht, daß Geld gefunden worden sei, und wer dann beweisen
rann, daß er es verloren, der erhält es wieder. 4Um das Weitere
haben wir uns iticht zu kümmern.
Hans. Und wenn sich keiner meldet — —?
Fritz. Dann erst dürfen wir es behalten!
Hans. Hör' Fritz, ich wollte, eS meldete sich niemand.
_ Fritz. Das wird nicht geschehen; eher glaube ich, daß die
Nachfrage nach dem Verlorenen unserer Anzeige zuvor kommen wird.
22
Hans. Aber — könnten wir denn nicht —
Fritz. Nun, was denn?
Hans. — stillschweigen und thun, als ob wir nichts gefunden
hätten; denn keiner hat es doch — •—
Fritz (ihn unterbrechend.) Wir sollten also Diebe werden, meinst
du; denn das würden wir, wenn wir wissentlich und absichtlich
fremdes Eigentum behielten. Nein, Hans, das ist 5gegen mein Ge-
wissen, und wenn du ein so schlechter Junge bist, so mag ich nichts
mehr mit dir zu thut: haben.
Hans (erschrocken). Diebe? nein, wenn du das meinst — —
aber es ist doch verdrießlich — ich hatte mich schon so gefreut.
Fritz. Wir wollen uns darüber freuen, daß der Reisende sein
Geld wieder erhalten wird. Vielleicht war es ein armer Bote, der
jetzt in der größten Angst ist und sich nur damit tröstet, daß ein ehr-
licher Mensch es gefunden.
Hans. Es ist wahr, Fritz! Meine Gedanken waren auf
einem bösen Wege — es soll nie wieder so kommen (reicht ihm
die Hand).
Fritz. Ehrlich währt am längsten! sagt der Vater immer,
und mein Herz sagt mir, daß er recht hat.
Hans. Gewiß, Fritz, und ich will auch nicht Gintber mein
Gewissen handeln. (Nach Falkmann's stil. Elementarbuche.)
30. Erntedankfest.
(* Von Eugen Labes.)
Jum Erntefest die Glocken Klingen,
Dnd jeder fromm die Schritte lenkt
Dum Gotteshaus, den Dank zu bringen
Für das, was Gott uns hat geschenkt.
Was können wir mit unsern Thaten,
Wenn nicht die ewige Diebe wacht,
Die reifen lies; des Landmanns Saaten,
Daß wir die Ernte heimgebracht.
Dem Saatfeld gleicht das Menschenleben,
Dur wenn es Gottes Gnade weiht,
Mag es am Lebensabend geben
Die Frucht für Gottes Ewigkeit.
Mein Kind, bereite für die Saaten
Dein Herz mit Arbeit und Gebet,
Daß reich an Frucht der guten Thaten
Im Herbst dein Lebensacker steht.
31. Die Sprache der herbstlichen Natur.
Jede Jahreszeit hat ihre besondere Sprache, obgleich alle gleich
verständlich und ausdrucksvoll sprechen und ernste Wahrheiten uns
zurufen. So ruft der Herbst uns zu: Willst du ernten, so mußt
23
du auch säen! Die reifen Früchte würden uns nicht erfreuen und
laben, wenn die Natur träge geruht, wenn sie nicht rastlos gewirkt
und die Keime zur rechten Zeit geweckt und entwickelt hätte; der
Landmann würde seine Scheunen mit reichen Gaben des Herbstes
nicht füllen können, wenn nicht von ihn: im Frühling guter Samen
der Erde anvertraut worden wäre. Darum benutze treu und ge-
wissenhaft Zeit, Kräfte und Gelegenheit zu deiner Bildung und Ver-
edlung, damit du ein gutes Gewissen dir bewahrest, Gottes Wohl-
gefallen erlangst und die Achtung und Liebe aller guten Menschen
dir gewinnest! Allerdings wirst du hierbei manche Kämpfe zu bestehen,
manche Gefahren und Hindernisse zu überwinden haben, aber ohne
Kampf ist kein Sieg. Auch in der Natur reift alles nur unter
mancherlei Kämpfen mit Sturm, Ungewitter, glühender Hitze :c. zur
erquickenden Frucht. Darum scheue nicht Mühe und Anstrengung! —
Der Herbst ruft uns ferner zu: Erkenne in den Segnungen, die
ich in reicher Fülle spende, den gütigen Geber! Hast du
ihn aber als einen gütigen Geber wahrhaft erkannt, so mußt du ihm
aber auch Liebe, Dankbarkeit und Vertrauen erweisen. Wie aber
beweisen wir dieses alles auf die würdigste und gottwohlgefälligste
Art? Wenn wir Gott in seiner rastlos thätigen und segnenden Wirk-
samkeit nachahmen und mit unermüdetem Eifer Werke der Liebe
unsern Brüdern gegenüber vollbringen. Dann zeigen wir uns wahr-
haft als Kinder des ewigen Vaters, und „unser Gedächtnis bleibt in
Segen", — gleichwie man der Segnungen des Herbstes auch nach
seinem Verschwinden sich freut und dankbar eingedenk bleibt. Schließ-
lich spricht die herbstliche Natur: Erkenne in der Vergänglichkeit
der Dinge um dich her deine eigene Hinfälligkeit! Gerade
der Herbst stellt uns die Vergänglichkeit alles Irdischen Jahr für
Jahr in einem recht lebhaften Bilde dar. Liegt aber nicht darin
für jeden Menschen die Mahnung: Kette dein Herz nicht an die
Güter dieser Erde, sondern trachte nach dem, was droben ist?!
(Nach Ritsert.)
32. Rätsel.
Zum Hof des Landmanns darfst du nur gehen,
Wenn heiter und lustig du mich willst sehen.
Auf Häusern und Kirchen, hoch oben auf Türmen,
Da thron’ ich zuweilen und trotze den Stürmen;
Hier mach' ich — gefesselt — in Lüften die Hunde
Und gehe willig den Fragenden Kunde.
Auch rinnet durch mich der labende Wein,
Wann müde du trittst in die Herberg’ ein.
Sonst lernt’ auch kein Kind in Deutschland lesen,
Wenn ich nicht wäre dabei gewesen.
(Aus Wörle’s Aufsatzschule.)
24
33. Der Herbst, ein rechter Zahlmeister.
Der Herbst ist der Zahlmeister des Jahres. Der Sommer
hat wohl schon manches auf Abschlag gebracht; aber der Herbst
führt doch die Hanptkasse. Auch hat er nicht bloß einen Zahltag,
sondern gar viele, also, daß die Menschen beinahe nicht Hände genug
zum Einnehmen haben. Wo man den Herbst nur anblickt, da hat
er etwas zu verschenken. Und er schenkt nicht wie ein Geiziger, daß
man nicht weiß, ob es ihm Ernst sei oder nicht, sondern er hat seine
Hände immer weit offen. Darum braucht der Herbst keine Lobreden
und findet überall fröhliche Gesichter.
Wie „schön putzt er seine Gaben heraus! Betrachtet nur die
rotbäckigen Äpfel an den Bäumen, große und kleine, nach allen Mu-
stern; und dann die Birnen, von denen manche aussehen, als ob sie
von Wachs gemacht wären! Aber die sind nicht immer die besten,
und es heißt bei ihnen auch oft: „Der Schein trügt!" Manche haben
eine rauhe Schale, sind aber inwendig doch voll Saft und Wohl-
geschmack, ähnlich einem braven Menschen in: groben Kittel.
Die Pflaumen- und Zwetschenbäume hängen oft so voll, daß
die Äste die Last kaum tragen können und ordentlich froh sind, wenn
die Menschen nur zugreifen. Die Nußbäume warten oft gar nicht
darauf; sie haben Monate lang in der Stille geschafft, öffnen jetzt
ihre grünen bittern Schalen und lassen die süßen Kerne zur Erde
fallen. Die Haselnußsträucher haben ebenfalls ihre Nüsse in Bereit-
schaft und lassen sie aus gar zierlichen grünen Bechern oben heraus-
sehen, damit die Menschen gleich wissen, was in ihnen steckt. Da
kommen denn die Knaben und'Mädchen und langen zu und knacken,
ohne daß es ihnen die Sträucher wehren. Aber alle Nüsse be-
kommen sie doch nicht; denn das Eichhörnchen hat sich auch sein
Teil geholt, um für den kalten Winter Vorrat zu haben.
(Walter.)
34. Der reiche Herbst.
1. Der Frühling hat es an- 3. Voll sind die Speicher nun
gefangen, und Laden,
Der Sommer hat's vollbracht. Daß nichts uns mehr gebricht,
Seht, wie mit seinen roten Wangen Wir wollen ihn zu Gaste laden.
So mancher Apfel lacht! Er aber will es nicht.
2. Es kommt der Herbst mit 4. Er will uns ohne Dank er-
reicher Gabe, freuen.
Er teilt sie fröhlich aus. Kommt immer wieder her.
Und geht dann, wie an: Bettelstäbe Laßt uns das Gute drum erneuen.
Ein armer Mann, nach Haus. Dann sind wir gut wie er!
(Hoffmann von Fallersleben.)
II. 2.
d. großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. ^Nach inir kommt
ein anderer. ^Nächst den Eltern sollen dir die Geschwister am teuersten
sein. Welche Frucht wird ^nebst dem Getreide am meisten gebaut? Wie
manches Schiff wird °samt Mann und Maus vom Meere begraben! ^Bei
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kleinem fängt man an, bei großem hört man auf. ?Seit der Sündflut hat
keine so allgemeine Überschwemmung stattgefunden. ^Von einem Hiebe fällt
kein Baum. OZu der Kuh gehört ein Strick. Die Beute^ ist mir ^zu-
wider, sagt der Fuchs, wenn er sie nicht erhaschen kann. Ist Gott für dich,
wer sollte dir "entgegen sein? "Binnen einem Jahre kann sich oft vieles
verändern. Handle immer so, als ob der himmlische Richter dir ^gegen-
über stände. Mancher Mensch lebt in den Tag hinein, als ob es "außer
den irdischen Glückgütern nichts Höheres gäbe. "Aus einem kleinen Funken
wird oft ein großes Feuer. Jeder Mensch muß vorgeschriebenen Gesetzen
"gemäß handeln.
35. Die Blindschleiche.
Die Blindschleiche hat einen 30—50 (Zentimeter langen, fuß-
losen, walzenrunden, also schlangenähnlichen Körper, wird aber kaum
so stark wie ein kleiner Finger. Ihr Name ist ziemlich unpassend
gewählt; denn obwohl das Tier nur kleine Angen hat, so ist
es doch nicht blind. Sie hat einen glänzend kupferbraunen, unten
schwärzlichen Körper. Die jungen Blindschleichen haben auf dem
Rücken drei schwarze Streifen, welche mit dem zunehmenden Alter-
undeutlicher werden. Ihr Schwanz beträgt mehr als die Hälfte
der Körperlänge.
Die Blindschleiche, die manchem Menschen sehr 10äumibcr ist,
wird gewöhnlich von Unkundigen für eine giftige Schlange gehalten.
Das Tierchen hat aber durch den Bau seines Kopfes, namentlich
durch die fest mit einander verwachsenen Kiefer, mehr Ähnlichkeit
finit einer Eidechse, als mit einer Schlange, und von Giftzähnen
und Giftdrüsen ist, wie man dies schon st'eit langer Zeit genau weiß,
keine Spur °bei ihm zu finden. Wer also sonst keine Scheu vor
solchen Tieren hat, der kann eine Blindschleiche ohne Gefahr an-
fassen. Sie stellen sich übrigens, wenn man sie ergreift, sehr un-
bändig an, verteidigen sich aber fast nie durch einen Biß. Sehr-
leicht bricht dabei der Schwanz ab, was in dem eigentümlichen Baue
desselben seinen Grund hat. Er besteht nämlich ^aus Ringen ^von
kurzen, kegelförmigen, hohlen Muskeln, von denen jeder mit der Spitze
in der Höhlung des folgenden steckt. Das abgebrochene Stück bewegt
sich noch lange fort, wird aber dem Tiere nicht wieder ersetzt, wie
bei den Eidechsen.
Vom Mai bis September häutet sich die Blindschleiche jeden
Monat einmal. Ihre Nahrung besteht in nackten Schnecken und
Regenwürmern, Arebst glatten Raupen. Will sie einen Regenwurm
verzehren, so nähert sie sich demselben sehr langsam, befühlt ihn meist
erjt mit der Zunge, sperrt langsam den Rachen auf und ergreift ihn
dann endlich. Er windet sich aus Leibeskräften; sie wartet, bis er
ziemlich abgemattet ist und verschlingt ihn dann ihrer Natur ^^mäß
nach und nach, den Kopf bald links, bald rechts legend und so mit
den Zähnen vorwärts greifend. Zwei mittelgroße Regenwürmer
reichen einer Mahlzeit hin. Mächst der Schildkröte kann auch
die Blindschleiche ein halbes Jahr fasten, wenn's sein muß.
26
Die Weibchen legen gegen Ende August 8 bis 16 Eier mit
dünnen, häutigen Schalen, aus denen sich das Junge sogleich heraus-
findet, und darauf ^binnen kurzer Zeit seiner Wege geht, ohne sich
5famt seinen Kameraden weiter um die Mutter zu bekümmern.
Da ihnen die Kälte verderblich ist, so verkriechen sie sich im
Herbst und halten einen Winterschlaf, aus dem sie bei gutem Wetter
jedoch schon im März wieder erwachen. Mit welchem Appetit wohl
die Blindschleiche "nach dem langen Schlafe dem ersten ansichtigen
Regenwurm "gegenüber steht! Er ist ihr gewiß nicht "entgegen,
zumal "außer ihm erst wenig aufgetischt ist für die erwachte Blind-
schleiche. (Nach Lüben.)
36. Die Kartoffel.
Dieses nützliche Gewächs kam erst vor etlichen hundert Jahren
(1585) aus Amerika zu uns. Und fast hätte sie der Freund von
Franz Drake, dem dieser aus Amerika Kartoffeln zur Aussaat schickte
und dazu schrieb, die Frucht dieses Gewächses sei so trefflich und
nahrhaft, daß er ihren Anbau für sein Vaterland für höchst nützlich
halte, — aus seinem Garten wieder herausreißen und wegwerfen
lassen. Denn er dachte, Franz Drake habe mit dem Worte „Frucht"
die Samenknollen gemeint, die oben am Kraute hängen. Da es nun
Herbst war und die Samenknollen waren gelb, lud er eine Menge
vornehmer Herren zu einem Gastmahle ein, wobei es hoch herging.
Am Ende kam auch eine zugedeckte Schüssel, und der Hausherr stand
auf und hielt eine schöne Rede an die Gäste, in welcher er diesen
sagte, er habe hier die Ehre, ihnen eine Frucht mitzuteilen, wozu er
den Samen von seinem Freunde, den: berühmten Drake, mit der
Versicherung erhalten habe, daß ihr Anbau für England höchst wich-
tig werden könne. Die Gäste kosteten die Frucht, die in Butter ge-
backen und mit Zucker und Zinnnet bestreut war; aber sie schmeckte
abscheulich, und es war nur Schade um den Zucker. Darauf ur-
teilten sie alle, die Frucht könne wohl für Amerika gut sein, aber
in England werde sie nicht reif. Da hieß denn der Gutsherr einige
Zeit nachher die Kartoffelsträuche herausreißen und wollte sie weg-
warfen lassen. Aber eines Morgens, im Herbste, ging er durch seinen
Garten und sah in der Asche eines Feuers, das sich der Gärtner
angemacht, schwarze runde Knollen liegen. Er zertrat eine, und siehe,
die duftete so lieblich, wie eine gebratene Kartoffel. Er fragte den
Gärtner, was für Knollen das wären, und der sagte ihm, daß sie
unten an der Wurzel des fremden amerikanischen Gewächses gehangen
hätten. Nun ging dem Herrn erst das Licht auf. Er ließ die
Knollen sammeln, zubereiten und lud dann die Gäste wieder zu Gaste,
wobei er wohl wieder eine Rede gehalten haben mag, von der der
Inhalt der gewesen sein wird, daß der Mensch, wenn er bloß nach
dem urteilt, was oben an der Oberfläche ist und nicht auch tiefer
gräbt, mauchmal gar sehr irren könne. (Schubert.)
27
37. Die ersten Schneeflocken.
(* Yon Eugen Labes.)
Die muntern Vöglein, die so schöne Lieder
Gesungen, waren edle heim gezogen,
Sie suchten Südens schöne Heimat wieder
Und toaren übers weite Meer geflogen,
Die Bäume standen blätterlos im Walde,
Kein Blumensternlein leuchtet auf der Halde.
Da musste, ach, die Erde bitter weinen,
Zum Himmel sprach sie trauernd hingewendet:
„Ach, will kein Sternlein mir mit Trost erscheinen?u
Sie weint, und ihr zurück die Thräne sendet
Der liebe Gott eds Stern mit Lichtgefieder,
Mit Licht und Trost vom hohen Himmel nieder.
Nun jedes Jahr, wenn Waldes Vöglein schweigen,
Die Silbersternlein aus der Höhe schic eben;
Wenn sich zur Ruh des Lenzes Blumen neigen,
Das Schlummertuch sie für die Erde weben,
Dass in des Waldes dunklem Tannengrün
Des Lichtes Blüten silberweiß noch blüh’n.
38. Der Winter.
Der Frühling mit seinen unschuldigen und herzlichen Freuden,
mit seinem frischen jungen Grün ist ein Bild des Kindesalters, im
Jünglingsleben spiegelt sich die Fülle des Sommers ab, und der
Herbst mit seinen Freuden über den Besitz der eingeernteten Früchte
ist ein Bild des Mannesalters. Ist nicht auch der Winter in viel-
facher Beziehung ein treffendes Bild des Greisen alters? — —
Im Winter ruht gleichsam die ermattete Natur von ihrem Schaffen
und Wirken aus, sie hat rauhe und tobende Stürme, trübe und
eisige Tage zu überwinden, und die erstarrten Gefilde sehnen sich
endlich nach dem alles belebenden Frühling. Ebenso ist's mit dem
Greis. Seine Kraft ist aufgezehrt von den Mühen und Sorgen des
Lebens, er ist des Schaffens müde und liebt die Stille und Ruhe;
dennoch hat er ebenfalls mit Sturm und trüben Tagen, d. i. mit
allerhand Gebrechlichkeiten und Krankheiten zu kämpfen, und schließlich
sehnt auch er sich hoffnungsvoll nach dem himmlischen Frühling, nach
einer schöneren, seligen Zukunft.
Gewährt denn die winterliche Zeit gar keine Freuden? Jede
Jahreszeit hat ihr Angenehmes, nur der Winter scheint eine Aus-
nahme zu machen. Die Bäume sind entblättert, die Felder öde und
leer, die Lieder der Vögel verstummt; alles ist vor Kälte erstarrt.
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alles ruht wie im Todesschlummer. Und denuoch hat der Winter
seine Freuden. Freilich wird der Körper durch die Winterkälte ge-
stärkt und gekräftigt, freilich ist auch die Winterzeit für den Land-
mann die Zeit der Ruhe, wie für den Gelehrten insonderheit die
Zeit seiner größten Thätigkeit; allein noch mehr: der Winter gewährt
uns in der That Freuden und Genüsse, wie sie eben nur diese Jahres-
zeit mit sich bringt.
Wie köstlich erscheint bei klarem Wetter oder gar bei Sonnen-
schein der Tannenwald, wenn die mit Schilee bedeckten, niederhän-
genden Zweige fast die Augen blenden; welch' eineil erhabeneil An-
blick gewährt überhaupt eine Winterlandschaft an einem Hellen Tage!
Wie funkeln dann in der Sonne die bereiften Ziveige der Bäume
und Gesträuche, wie träumerisch erheben sich zwischen den beschneiten
Feldern die dunkeln Formen der Gebäude. Ist nicht bei stillem,
wolkcnlosenl Sternenhimmel eine Mondlandschaft im Winter, wenn
unter unsern Füßen der Schnee kilirscht lind über unsern Häuptern
die Sterne gleich funkelilden Goldknöpfen strahlen, etwas Pracht-
volles? — Freuen mir uils doch schon, wenn lvir im warmeil
Stübchen den Frost die mannigfaltigsten Blumen uild Blätter an die
Fenster malen sehen, oder weiln wir beim Sonnenschein durch ihre
Scheiben das Wirbeln und sanfte Hernicderfallen der Schneeflocken
beobachten; und wie viele frohe Stunden verschaffen das Schneebällen
uild Schnecmannmachen, das Schlittenfahren und Schlittschuhlaufen!
Wenn's aber draußen tobt, nnb der Wind mit Ungestüm Schanze
auf Schanze türmt, wenn Schnee und Hagel an die Fensterscheiben
prasseln, dann gemährt andererseits das gesellige Beisammensein im
Hause um den warmen Ofen und an den langen Winterabenden,
in der Dämmerungs- und Feierstunde durch Erzähleil, gemeinschaftliche
Spiele, Vorleseil u. s. w. Freuden, wie sie in dieser Art feine andere
Jahreszeit bietet. So hat auch der Winter der Frellden genug,
bringt er uns doch auch das schöne, non Kindern und Eltern
gleich sehr herbeigewüilschte Weihnachtsfest; trotzdem sehnen wir uns
nach dem überall neues Leben spendenden Frühling und jalichzen ihm,
sobald der Winter sein gestrenges Regiment eingestellt hat, frohen
Herzens entgegen, dem Schöpfer für sein weises Walten dailkend.
(Nach Nitsert's Dispositionen.)
39. Scherzfragen.
Wer macht das größte Leichentuch? Welche Brücke über Flüsse und Teiche
versteht kein Zimmermann zu bauen? Wer ist der schnellste Glasmaler? Welcher
Mann hat noch nie ein Wort gesprochen? Welche Bälle sind in keinem Laden zu
kaufen? Welche Zapfen halten nicht lange? In jedem Winter spürst du mich,
au jedein Schiffe siehst du mich; was ist das? — Die erste Silbe eines Wortes
bedeutet das Gegenteil von „rauh", die zweite ist ein umgekehrte „sie", das Ganze
.ist im Winter gefährlich.
Welche Rose blüht zu keiner Jahreszeit? Welche Äpfel werden weder ge-
schüttelt noch gepflückt? Welche Halme tragen nie Körner? Mit welchem Rot
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inalt kein Maler? Aus welchem Kelch kann man nicht trinken? Welches Blatt
wächst auf keinem Baum oder Strauch? Welcher Baum grünt zu jeder Jahres-
zeit, wiewohl er weder Äste noch Zweige hat?
40. Winterlieb.
Wie ruhest du so stille
In deiner weißen Hülle,
Du mütterliches Land!
Wo sind des Frühlings Lieder,
Des Sommers bunt Gefieder
Und dein beblümtes Festgewand?
Du schlummerst nun entkleidet.
Kein Lamm und Schäslein weidet
Auf beincn Au'n und Höhn;
Der Vöglein Lied verstummet
Uud keine Biene summet;
Doch bist du auch im Schlummer
schön.
Die Zweig' und Ästlein schimmern
Und tausend Lichter flimmern.
Wohin das Auge blickt.
II.
Wer hat dein Bett bereitet.
Die Decke dir gespreitet
Unddichso schönmitReif geschmückt?
Der gute Vater droben
Hat dir dein Kleid gewoben.
Er schläft und schlummert nicht.
So schlummre denn in Frieden!
Der Vater weckt die Müden
Zu neuer Kraft und neuern Licht.
Bald in des Lenzes Wehen
Wirst dn verjüngt erstehen
Zum Leben wunderbar:
Sein Odem schwebt hernieder.
Dann, Erde, stehst dn wieder
Mit einem Blumenkranz im Haar.
(Krummacher.)
^Unweit [unfern] der Stadt Schaffhausen bildet der Rhein einen
mächtigen Wasserfall. ^Mittelst [vermittelst] der Dampfkraft werden jetzt
die meisten Maschinen getrieben. ^Kraft menschlichen Nachdenkens ist manches
Rätsel der Natur gelöst. ^Während des Krieges pflegt alles teuer zu sein.
^Laut göttlichen Befehles führte Moses das jüdische Volk aus Ägypten.
Jeder Körper strebt Sn-möge seiner Schwere nach dem Mittelpunkt der
Erde. Mancher Mensch bringt es ^ungeachtet seines Fleißes zu nichts.
Es ist nicht gleich, ob eine Wassermühle ^oberhalb oder S nt e r h al b eines
Flusses liegt. Viele Leute wohnen lieber 10inneri)aI6 als ^auß erhalb
der Stadt. Der reiche Mann im Evangelium fand weder 12bieffeit noch
^jenseit des Grabes Frieden. Abraham gab Lot nach des Friedens ^halbe n
[halber]. 152ßegcn einer Raupe hauet man den Baum nicht um. ^Statt
[anstatt] des Moses redete Aron mit Pharao. Bei Stürmen brausen die
Meereswogen ^längs [entlang] des Gestades. ^Zufolge göttlichen Be-
fehles wurde Paulus der erste Missionar. Die Reichen sind 191 r o ^ ihres
Reichtums oft unglücklich. Christen sollen sich 20um Gottes 20u? i 11e n ein-
ander verzeihen.
41. Zwei lebendig begrabene Kinder.
Zwei Mägdlein von elf bis zwölf Jahren wollten an einem
Spätwintertage ihre Verwandte und Patin, die Hinweit eines
benachbarten Dorfes wohnte, eines zu überbringenden Geschenkes
"halber besuchen. Den Spinnrocken in der Hand, gingen sie
aus ihrem Dörfchen durch den Wald nach dem Berge hinauf
und achteten der Schneeflocken nicht, die immer häufiger und
dichter auf sie herabfielen; denn sie waren ja bald halben
Weges, und "jenseits des Tannenwaldes, das wussten sie,
konnte man das Dorf, wo die Pate 12diesseit desselben wohnte,
30
schon sehen. Aber da sie nun oben auf der Höhe und mitten
im Walde sind, da wird das Wetter so furchtbar, dass die
armen Kinder des Schneegestöbers 15wegen gar keinen Weg
mehr sehen und nicht mehr vor- oder rückwärts können. Da
drängen sie sich am Rande eines Hohlweges in eine kleine
Halle hinein, die der Schnee über ein niederes Tannengebüsch
hinweggewölbt hatte; vorher aber stecken sie ihre beiden Spinn-
rocken in einander, so dass eine kleine Stange daraus wird,
befestigen oben ein rotes Tüchlein daran und stellen so 2 ver-
mittelst dieser Dinge ein Notzeichen 16 anstatt einer Fahne
8 oberhalb ihres Schneedaches auf.
Da nun die Nacht kam und das Schneegestöber immer
ärger wurde, so dass auch gar bald der ganze Eingang 9unter-
halb ihrer Halle zugeschneit war, und man durch den Schnee
hindurch das Geschrei des Uhus und das Brausen des Sturmes
in den Tannen kaum noch hören konnte, da mag es den armen
Kindern wohl bange genug geworden sein. Waren sie doch
ohnehin dort im Schnee bei lebendigem Leibe schon begraben,
ohne Sarg, und ohne dass der Totengräber eine Schaufel an-
gesetzt hatte. Aber Gott, der 5laut seiner Verheifsung selbst
den Sperling auf dem Dache beschirmt, schützte die Kleinen
vor wilden Tieren und vor dem tödlichen Froste, und, eng an
einander gedrängt, schliefen sie 'ungeachtet des draussen toben-
den Wetters zuletzt ein. 10Innerhalb ihrer Behausung war’s
jetzt totenstill, “ausserhalb derselben stürmte es “längs des
Hohlweges desto gewaltiger. Ihre Eltern schliefen zu Hause
auch ruhig, denn sie meinten, die Kinder hätten 3kraft des
ihnen gewordenen Auftrags gehandelt und wären bei der Patin
wohl aufgehoben. Als aber am andern Morgen ein Bote die
Mädchen “zufolge eines Befehles von seiten ihrer Eltern holen
sollte, und dieser sie nicht fand, da ging sogleich jedes, das
laufen konnte, mit Schaufeln und Schippen hinaus in den Schnee,
um die Kinder zu suchen. Man kam bei diesem Suchen auch
an den Hohlweg, und dort sah man das Notzeichen der Kleinen,
die beiden zusammengesteckten Spinnrocken mit dem roten
Tüchlein, das gerade noch ein wenig aus dem Schnee heraus-
stand. Da konnte man sich nun denken, dass die Mädchen
auch nicht weit davon verborgen sein müssten; deshalb rief und
schrie man sehr laut. Und die Kinder drinnen in ihrer kalten
Kammer hörten das Rufen, sie antworteten darauf und ver-
suchten zugleich mit ihren Händen sich herauszuarbeiten. Dies
aber wäre ihnen wohl unmöglich gewesen, wenn nicht die
Männer draussen, die den Laut von innen vernommen hatten,
mit Schaufeln den grossen Schneehaufen, der um die Mädchen
her lag, hinweggearbeitet hätten. Denn der ganze Hohlweg
war in der Nacht zugeschneit, und es war nur gut, dass die
kleinen Tannenbäumchen “trotz ihrer dünnen Stämme das
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schwere Dach von Schnee noch so getragen hatten, sonst wären
die Kinder erstickt. Lasst uns 20 um des Himmels 20 willen
vorsichtig graben, sagte ^ während des Arbeitens einer der
Männer, damit wir ihnen keinen Schaden thun. So aber kamen
sie ganz wohlbehalten heraus ins Freie, keines ihrer Glieder
war von Frost beschädigt; denn der Schnee hatte sie gegen
den scharfen Wind zugedeckt, und 6 vermöge ihrer gegenseitigen
Körperwärme waren sie nicht erstarrt.
Die Eltern aber und alle Leute im Dorfe freuten sich
gar herzlich über die Rettung und Bewahrung der guten Kin-
der und dankten Gott inniglich dafür. (Nach Schubert.)
Hilf, wo du helfen kannst, gelingen wird, was du mit Ctott begannst.
Schlägt deine Hülfe auch nicht an, hast du doch deine Pflicht gethan.
42. Das Kind am Fenster.
(*Von Frau Lina Grafs in Grabow.)
Wo wohl die kleinen Vögel bleiben.
Wenn alles rings zu Bette geht?
Es frieren schon die Fensterscheiben;
Horch, wie der Schnee dagegen weht!
Sie haben keine weichen Betten,
Und ohne Blatt sind Baum und Strauch,
Du lieber Gott im hohen Himmel,
Beschütz die lieben Vöglein auch!
Was wohl die kleinen Vögel essen,
Es deckt der Schnee die Körnlein dicht.
Es hat der liebe Gott vergessen
Doch diese kleinen Wesen nicht! —
Was mögen sie nur immer finden.
Was ihren großen Hunger stillt, —
Ach, alle Scheuern sind geschlossen.
Und alle sind doch reich gefüllt.
^ Wie sind wir Kinder wohl geborgen
So warm im Bettchen zugedeckt.
Und schlafen süß bis uns am Morgen
Die liebe, gute Mutter weckt.
Dann warten Speis' und Trank in Fülle
Für uns, und Kleider sind bereit;
Wir sind so froh im warmen Stübchen,
Wenn's draußen friert und stürmt und schneit.
Und ihr sollt hungern, ihr sollt darben,
Ihr armen Vöglein leidet Not?
Und manche eurer Brüder starben
Wohl schon den bittern Hungertod?
O nein, das dürfen wir nicht leiden.
32
Wir Kinder haben ench zu lieb.
Wir haben Mitleid mit euch allen.
Selbst mit den: kleinen Kirschendieb.
Drum, liebe Vöglein, kommt, wir streuen
Euch gerne Futter vor die Thür,
Ihr werdet uns gewiß erfreuen
Im Frühling mit Gesang dafür.
Brosamen sammeln wir und sparen
Für euch von uns'rer Mahlzeit gern.
Kommt nur, ihr kleinen Bettlerscharen,
Und bleibt nicht furchtsam in der Fern.
Kommt, liebe Vöglein! allen Kindern
Ruf ich es zu: O seid bereit
Der Vögel Elend gern zu lindern
In dieser harten Winterzeit! —
Ja, laßt uns jedes Krümchen sammeln.
Das abfällt von des Tisches Rand:
Die Kindeshand, die Vöglein füttert.
Gesegnet sei die kleine Hand!
II. 4.
ü. Ein Horcher 4aan der Wand hört seine eigne Schand'. ^ An ein Ganzes
schließ dich an. — Der Narr trägt sein Herz 2 a a u f der Zunge. Mancher
kommt zeitlebens ^auf keinen grünen Zweig. — ^Hinter ^cn A^sen sind
auch Dornen verborgen. Gute Ermahnungen schreib still d hinter die Ohren.
— Lasset das Unkraut 4aneben dem Weizen bis zur Ernte wachsen.
^ Neben junge Bäumchen steckt man Pfähle. Rom ist nicht ^ a in einem Tage
erbaut worden. Wo du Frieden stiften kannst, da gieße kein Öl Mn das
Feuer. — 6 a Üb er den Gaben vergiß nie den Geber. Gesundheit geht b über
alles Geld und Gut. Wer 7aunter den Wölfen ist, muß mit ihnen heulen.
Beim Gewitter stelle dich nicht ^ unter Bäume oder hohe Gebäude. — 8a93or
einem grauen Haupte sollst du aufstehen. Man muß die Perle nicht ^vor
die Säue werfen. — Laß nicht Zank sein 8a zwischen mir und dir! Stecke
dich nicht b zwischen fremde Dinge.
43. Der gerettete Haudwerksbursche.
Ein Handwerksbursche ging einige Meilen ^ayor der Stadt
Preßburg in Ungarn 5 a in der grimmigsten Kälte mit seinem Bündel
2aauf dem Rücken, 01) über die Heide. Seine Kleider waren dünne
und seine Strümpfe zerrissen. Ach, da fror ihn sehr; er weinte,
und die hellen Thränen froren ihm 1 a öu den Augenwimpern.
„Lieber Gott," seufzte er, „weit und breit ist kein Dorf und keine
Stadt! Ich sehe nichts weiter als Gunter mir den Schnee und
6 a über mir die funkelnden Sterne, ich werde erfrieren; — ach, was
wird meine arme Mutter sagen! Mein Vater ist tot, und nun hat
sie llienland, der ihr Brot erwirbt." Er wollte laufen, aber seine
Glieder waren starr; er wurde schläfrig, legte sich im Schnee 2kauf
sein Bündel nieder und schlief ^zwischen zwei kleinen Büschen ein.
-— Ein Postknecht ritt hinter ihin vorbei und sah ihn starr liegen;
er bemerkte jedoch einige Lebenszeichen 1 a an ihm, ritt schneller und
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zeigte es 5aim Thore der benachbarten Stadt an. „Was hilfts?
Bis wir 3 b hinter das Gehölz und 1 b an die Stelle kommen, ist er
tot", sagten die Unempfindlichen. Ein armer Tagelöhner war aber-
ra in der Wachstube daneben dem Ofen, um sich zu erwärmen; der
hörte es, und ihm brach das Herz. Ohne ein Wort zu sagen, ging
er ^d auf die Landstraße, trat leise ^b zwischen die Büsche und
^ b neben den Handwerksburschen, trug den Erstarrten Msns nächste
Dorf unter Menschen, rieb ihn mit Schnee, brachte ihn allmählich
der Wärme näher und erweckte ihn endlich wieder. Darauf nahm er
ihn mit sich 5 Mn die Stadt und teilte sein Holz und seinen Tisch,
ob er gleich selbst nicht viel hatte, mit ihm so lange, bis der Gerettete
imstande war, weiter zu reisen.
Diese schöne Handlung kam Mvor den Kaiser Joseph, und er
belohnte den Tagelöhner, wie er alle guten Handlungen, die ihm be-
kannt wurden, zu belohnen pflegte. (Nach Schubert.)
44. Von der Zeit.
Als einst Gott sprach: Es werde! da begann die Zeit. Er
setzte Lichter an die Veste des Himmels, die Tag und Nacht scheiden
und Zeiten, Tage und Jahre geben sollten. Die Sonne ist das
Licht, das den Tag regiert. Die Erde bewegt sich um sich selbst,
wie ein Rad um seine Achse. Zu dieser Bewegung gebraucht sie
einen Tag oder 24 Stunden. Die Stunde wird in 60 Minuten
eingeteilt und die Minute wieder in 60 Sekunden. Die Sonne
scheint unaufhörlich, aber weil unsere Erde rund ist, so kann immer
nur eine Hälfte derselben erleuchtet werden. Die helle Seite der
Erde hat Tag, die dunkle hat Nacht. Wenn die Sonne aufgeht,
ist es Morgen, wenn sie untergeht, ist es Abend. Zwischen Mor-
gen und Abend ist Mittag, zwischen Abend und Morgen ist die
Nacht. So unterscheidet man also vier Tageszeiten (Morgen,
Mittag, Abend, Nacht), welche nach dem Stande der Sonne bestimmt
werden.
Des Morgens fange an mit Gott;
Des Mittags iß vergnügt dein Brot;
Des Abends denk an deinen Tod;
Des Nachts verschlafe deine Not!
(Dr. Martin Luther.)
^Wendest du dich mit dem Gesichte des Mittags 12 Uhr gegen
die Sonne, so liegt vor dir die Himmelsgegend, welche man Süden
nennt; hinter dir liegt Norden; links, wo die Sonne aufgeht, liegt
Osten; rechts, wo sie untergeht, liegt Westen. Mittags steht die
Sonne also im Süden, und dann hat sie am Himmel auch den höchsten
Stand; aus Norden scheint sie nie. Norden, Süden, Osten und
Westen sind vier Himmelsgegenden.
(NO, SO, NW, SW — Windrose — Wetterfahne — kalter Nordwind —
weicher Westwind — Regen, Tauwetter, — Horizont oder Gesichtskreis.)
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 3
34
Im Osten geht die Sonne auf.
Im Süden hält sie Mittagslauf,
Im Westen hat sie es vollbracht.
Im Norden heißt es Mitternacht.
Allmählich wird es Tag (Morgendämmerung), allmählich
wird es Nacht (Abenddämmerung). Vor dem Aufgang der Sonne
sehen wir das schöne Morgenrot, nach ihrem Untergange das
prachtvolle Abendrot, von dem die Kinder sagen:
„Abendrod, Abendrod, morgen warbt leiw Wedder gand."
An dem Stand der Sonne sieht man also, was für eine Tages-
zeit es ist. Wer aber die Zeit genau wissen will, der muß nach der
Uhr sehen. Der kleine Zeiger zeigt die Stunde des Tages an, der
große die Minuten; an manchen Uhren sind auch Sekundenzeiger.
Du kannst doch die Zeit nach der Uhr angeben? Wie viel ist die
Uhr denn jetzt? —
Tag und Nacht zusammen sind zwar immer 24 Stunden, aber
die Tage und Nächte sind während des ganzen Jahres nicht immer
gleich lang. Lange Tage haben kurze Nächte, und wenn die
Nächte lang sind, so müssen die Tage so viel kürzer sein. Diese ver-
schiedenen Tags- und Nachtlängen kommen von der Stellung der Erde
zur Sonne und daher, daß die Erde bei ihrer Drehung um sich selbst
zugleich auch im weiten Himmelsraume um die Sonne geht. Dazu
gebraucht die Erde ein Jahr oder 3 65 Tage und beinahe 6 Stun-
den. Diese überzähligen Stunden machen im vierten Jahre einen
vollen Tag. Jedes vierte Jahr wird dieser Tag eingeschaltet; das
Jahr hat dann 366 Tage und heißt Schaltjahr, der zugelegte Tag
heißt Schalttag. Sieben Tage, nämlich 6 Werk- oder Arbeits-
tage und ein Sonntag, machen zusammen eine Woche aus. 52
Wochen sind ein Jahr. Wie heißen die sieben Wochentage?
Durch die Bewegung der Erde um die Sonne entstehen ferner
die vier Jahreszeiten. Wie heißen sie? Die (vier) Jahresviertel
nennt man auch Quartale, die mit Weihnacht, Ostern, Johannis,
Michaelis beginnen. Der erste Tag im Jahre oder der erste Januar
heißt der Neujahrs tag, der letzte im Jahre heißt Sylvester, der
Abend dieses Tages heißt Sylvesterabend, die Nacht Sylvesternacht.
Unsere Erde hat 5 Zonen oder Erdgürtel (Erdstriche): zwei
kalte, zwei gemäßigte und eine heiße. Die heiße Zone oder der heiße
Erdstrich geht mitten um die Erde und hat keinen eigentlichen Winter;
die beiden kalten Zonen liegen im Norden und Süden des Erdballs
und haben meistens Winter. Zwischen den kalten Erdgürteln und
dem heißen Erdgürtel sind die beiden gemäßigten Zonen. In diesen
wechseln die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter
beständig ab.
Kurz vor Weihnacht haben wir den kürzesten Tag. Dann ist
es nämlich nur 7 Stunden Tag, dagegen währt die Nacht 17 Stunden.
Nach Weihnacht werden die Tage allmählich länger, jeden Tag unge-
35
fähr vier Minuten. So viel die Tage von jetzt an zunehmen, eben
so viel müssen die Nächte auch abnehmen. Um Ostern sind Tag und
Nacht gleich lang. Von nun an werden die Tage länger, dagegen die
Nächte kürzer. Die kürzeste Nacht (von 7 Stunden) und den
längsten Tag (von 17 Stunden) haben wir zu Anfang des Sommers.
Jetzt fangen die Tage aber wieder an, kürzer zu werden. So viel die
Tage kürzer werden, eben so viel müssen die Nächte zunehmen. Kurz
vor Weihnacht haben wir dann wieder die längste Nacht und den kür-
zesten Tag.
Der Mond ist das Licht, das die Nacht regiert. Er erhält,
wie die Erde, sein Licht von der Sonne und schickt dieses zu uns auf
die Erde. Daher ist das Mondlicht schwächer als das Sonnenlicht.
Der Mond leuchtet auch am Tag. Aber sein Licht wird dann von
dem Sonnenlicht überstrahlt, wie ja auch ein Schwefelholz, eine Kerze
oder Lampe, bei Hellem Sonnenschein angezündet, nur matt leuchten.
Zwar wird die eine Seite des Mondes immer ganz und voll von
der Sonne beschienen; allein wir sehen oft nur einen schmalen
Streifen von derselben. Diese veränderliche Gestalt kommt von der
Drehung des Mondes um die Erde. Sehen wir den Mond wie eine
helle, volle Scheibe am Himmel stehen, so haben wir Vollmonds);
sehen wir ihn gar nicht, so ist es Neumond O. Auf den Neumond
folgt das erste Viertel auf den Vollmond das letzte Vier-
tel Beim zunehmenden Mond oder beim ersten Viertel steht
der Mond so, daß er einen Z-Bogen zeigt [3 Zu!), daß wir also
mit der linken Hand hineingreifen können. Steht er so, wie der
erste Zug beim Schreib-Buchslaben A s(^ Ab!), daß wir mit der
rechten Hand in den Bogen hineingreifen können, so sagt man:
Wir haben abnehmenden Mond. jEbbe und Flut.j
Der Mond begleitet fortwährend die Erde auf ihrer jährlichen
Reise um die Sonne. Alle 4 Wochen oder im Monat einmal dreht
sich der Mond um die Erde, genauer in 27 Tagen und 8 Stunden
oder 12- bis 13mal im Jahr. Wie heißen die 12 Monde oder
Monate im Jahr? — Wenn wir ein Schaltjahr haben, so zählt der
Februar 29 Tage, sonst hat er 28; von den andern 11 Monaten
haben April, Juni, September und November 30, die übrigen 31 Tage.
— Am 21. März beginnt bei uns der Frühling und dauert von
Ostern bis Johannis (d. h. April, Mai und Juni); am 21. Juni
beginnt der Sommer und dauert von Johannis bis Michaelis (d. h.
Juli, August und September); der Herbst beginnt am 23. Sep-
tember und dauert von Michaelis bis Weihnacht (d. h. Oktober, No-
vember und Dezember); am 21. Dezember fängt bei uns der Winter
an utib dauert bis zum 21. März, also von Weihnacht bis Ostern
(oder die Monate Januar, Februar und März.)
So wechseln fortwährend Tag nnd Nacht, Frühling nnd
Herbst, Frost nnd Hitze. Es vergehet „Jahr um Jahr, doch
Gottes Huld bleibt immerdar; sein getreues Auge wacht über
uns in jeder Nacht, seine Liebe gehet ans neu mit jedes Mor-
3*
36
gens Lauf." Und wir nnd nlles Jrdische vergehen mit der Zeit.
Nur knrz ist die Zeit uuseres Lebens. Wir leben in der
Gegenwart, wir erimrern nns zurück an die Bergangen-
heit, wir denkeu vorwarts in die Znknnft. Doch wns die
Znknnft bringt, das weisi kein Sterülicher; die kennt nur der
allwissende Gott. (I. S.)
45. Drei Brüder.
(* Von Eugen Labes.)
Der Brüder drei im Erdenhaus
Abwechselnd gehen ein und aus;
Der erste mit goldenem Lockenhaar
Und sonnenhellem Augenpaar
Klopft an die Thüren lustig an,
Bis sie ihm werden aufgethan
Und ruft: „Macht alle euch bereit,
Schon ist es zu der Arbeit Zeit."
Der zweite ladet euch zu Gast
Und bietet nach der Arbeit Rast,
Läßt leuchten hell das Tageslicht
In jedes Menschen Angesicht.
Der dritte nach dem heißen Tag
Erquickung allen bringen mag.
Und wenn die Sonne segnend schied,
Läßt klingen er manch schönes Lied.
Dann kehren sie bei Sterncnschein
Bei ihrer lieben Mutter ein.
Die deckt sie sanft zum Schlummer zu,
Beut ihnen sorglich süße Ruh',
Daß morgen froh sie stehen auf
Zu ihrem neuen Tageslauf.
Wer nennt mir wohl das Mütterlein,
Wer nennt die Brüder groß und klein?
s-chvrg ?;q 'quoqitz 'öv»M RZöao^j
46. Frühlingsahuuttg.
Bald wird es wieder Frühling werden.
Bald wird die Erde wieder grün.
Sich tummelnd, werden bald die Herden
Hinaus zur grünen Weide ziehn.
Bald wenden auch die Vägleiit wieder
Zur alten Heimat sich zurück.
Bald grüßen ihre frohen Lieder
Des Frühlings ersten Sonnenblick.
O Herz, dann löst sich auch die Rinde,
Die dich wie Eis noch fest umschließt.
Daß wieder dir, gleich einem Kinde,
Die Thräne voll den Wangen fließt.
O kommt! o kommt! ihr Frühlingslüfte,
O zieht ihr Frühlingsboten ein!
Dann wird für Nacht und Totengrüfte
Ein Tag der Auferstehung sein.
(Aus „Tannengrün rc." von Eugen Labes.)
L7
II.
III.
a. Jesus hatte zwölf Jünger. Ein Ganzes hat acht Achtel. Das Dreieck
hat drei Seiten, drei Ecken und drei innere Winkel. — Zu Hall in Schwa-
ben wurden die ersten Heller geprägt. Die Schlacht bei Wörth war am
sechsten August 1870.
Drei Paar und Einer.
Du hast azwei Ohren und Zeinen Mund;
Willst du's beklagen?
Gar dvieles sollst du hören, und —
d Wenig darauf sagen.
Du hast Lzwei Augen unb einen Mund,
Mach' dir's zu eigen;
Gar dmanches soUt du sehen, und —
Manches verschweigen.
Du hast zivei Hände und einen Mund;
Lern' es ermessen!
Zwei sitld da zur Arbeit, und —
Einer zum Essen. (Rückert.)
1). Viele Hunde sind des Hasen Tod. Nur wenige Pflanzen gedeihen im
Schatten. Alle Menschen sind sterblich. Einige Vögel können nicht fliegen.
Wären doch manche Menschen nicht immer so unzufrieden! Etliche Kräuter
sind giftig. Keiner kann ewig auf der Erde leben. Gefällt nicht jedem
Narren seine eigne Kappe? —
47. Wohin König Friedrich Wilhelm IY. gehörte.
König Friedrich Wilhelm alV. von Preußen war ein grund-
gütiger und durch und durch christlicher Manu. Sein Wahlspruch
war: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen." Einst
machte er eine Reise. In einem Dorfe wurde er festlich empfangen.
Die Schulkinder mit ihrem Lehrer begrüßten ihn, und ein kleines
Mädchen sagte ihm ein Gedicht her, worüber er sich sehr freute. „Du
hast deine Sache schön gemacht, mein Kind", sagte der hohe, freund-
liche Herr. „Nun will ich dir aber auch d einige Fragen vorlegen.
Wohin gehört das?" fragte er und zeigte dem Kinde eine Apfelsine.
„In das Pflanzenreich," erwiderte schüchtern das Mädchen. „Wohin
nun das?" fragte der Herr weiter und zeigte auf ein Goldstück.
„Ins Mineralreich/' war die Antwort. „Wohin gehöre ich denn,
mein Kind?" war die abritte Frage. Freundlich blickte das Kind
den König an und sagte: „Jus Himmelreich." — Da glänzte eine
Thräne in dem Auge des Königs, und er hob das Mägdlein empor
und küßte es. (Eylert.)
38
48. Was in kurzem von den Naturreichen zn sagen ist.
Die Natur ist der Inbegriff alles Erschaffenen, und Natur-
körper oder Naturprodukte heißen alle mit unsern Sinnen wahr-
nehmbaren Dinge, aus denen der Mensch noch nichts anderes gemacht
hat. Mit den Natnrkörpern hat es die Naturbeschreibung zn
thun, mit den Naturkräften beschäftigt sich die Natur lehre (Physik).
Alle Naturkörper auf und in der Erde hat man in drei große
Abteilungen geordnet, welche Naturreiche heißen. Diese sind das
Tierreich, das Pflanzenreich und das Mineralreich. Alle
natürlichen Körper in einem Lande, alle seine Tiere, Pflanzen und
Mineralien, heißen die Natnrerzeugnisse oder Produkte des Landes.
Alle Dinge dagegen, welche durch die Hand des Menschen entstehen
und zu welchen er den Stoff oder das Material aus der Natur
nimmt, sind Kunsterzeugnisse oder Kunstprodukte.
1. Das Tierreich begreift alle Tiere in sich, von: kleinsten
Käfer bis zum Elefanten, vom unbedeutendsten Wurm bis zum Wal-
fisch. Tiere haben Empfindung, freie Bewegung, Ernährung
und Fortpflanzung.
Das Tier besitzt Gehirn uixb Rückenmark samt allen Nerven,
welche die Empfindung, das Gefühl, den Geruch, das Sehen und
Hören möglich machen; es kann sich von der Stelle bewegen, um
Nahrung zu suchen, um einem Feinde zu entfliehen re. Zur Ent-
wickelung und zum Fortleben nimmt das Tier Nahrung ins Innere
seines Körpers auf, wo solche verdaut und verarbeitet wird; dazu hat
es das Herz samt allem, was den Kreislauf des Blutes möglich
inacht, und ebenso den Magen nötig samt allem, was dazu gehört.
Die Tiere sind entweder Wirbeltiere mit innerem Knochen-
gerüst, rotem Blute und entwickelten Sinneswerkzeugen, oder Glieder-
tic re mit äußerem Hautskelet (aus beweglichen Ringeln zusammen-
gesetzt), weißlichem Blute und unvollkommenen Sinneswerkzeugen,
oder Bauchtiere aus weicher Gallertmasse ohne Skelet und
Gliedmaßen.
Zu den Wirbel-, Knochen- oder Rückgratstieren gehören z. B.
alle vierfüßigen Tiere, auch die Vögel und Fische. Zu den Glieder-
tieren werden alle Insekten (wie z. B. die Käfer imb Schmetterlinge),
alle Spinnen, Krustentiere (wie z. B. der Krebs) und alle Würmer
gerechnet. Zu den Bauchtieren gehören Schnecken, Muscheln (z. B.
die Auster), Seesterne, Korallen und die Aufgußtierchen.
Die Wirbeltiere zerfallen in vier Klassen: Säugetiere, Vögel,
Amphibien und Fische.
Die Säugetiere haben rotes, warmes Blut, atmen durch
Lungen, bringen lebendige Junge zur Welt und säugen sie mit Milch
in der ersten Lebenszeit; sie bewegen sich durch vier Gliedmaßen,
nur wenige durch Flossen. Ihr Körper ist mit Haaren, Borsten oder
Stacheln, seltener mit Schuppen oder Schildern bedeckt. —>— Alle
Säugetiere besitzen weiche, fleischige Lippen (das Schnabeltier aus-
39
genommen), eine weiche, schmeckende Zunge, bewegliche Augenlider
und fast immer eine Ohrmuschel. Ihre Nahrung entnehmen sie ent-
weder aus dem Tier- oder Pflanzenreiche, einige jedoch aus beiden
Reichen. Kein Säugetier ist giftig, einige sind schädlich (Mäuse)
oder gefährlich (Tiger); wutkranke Hunde und Katzen, trichinöse
Schweine und milzkranke Rinder gefährden das Leben des Menschen.
Mäuse und Katzen, Schafe und Kühe, Löwen und Elefanten, auch die
Walfische und selbst die Affen sind Säugetiere.
Die Vögel haben rotes, warmes Blut, atmen durch Lungen
und legen hartschalige Eier, aus welchen sie durch ihre Körperwärme
die Jungen brüten; sie besitzen zwei Beine, zwei Flügel und einen
mit Federn bedeckten Körper.-----------Ihre Zunge ist wenig aus-
gebildet, um so schärfer ist das Auge (Adler); die Nahrung entnehmen
sie aus dem Tier- und Pflanzenreiche. Kein Vogel ist giftig, einige sind
schädlich (wie z. B. die Raubvögel durch Wegfangen anderer Vögel).
Ihr Nutzen ist ein sehr großer, da sie uns Fleisch, Eier und Federn
liefern; auch werden sie durch Vertilgung von Insekten, deren Ver-
breitung sie beschränken, außerordentlich nützlich.
Die Amphibien haben rotes, kaltes Blut, atmen durch Lungen,
seltener durch Kiemen und legen pergamenthäutige oder in Schleim
gehüllte Eier, welche die Sonne ausbrütet; sie besitzen vier oder keine
Beine und sind mit Panzern, Schildern oder Schuppen bedeckt oder
nackt. — — Zu den Amphibien, auch Reptilien (Kriechtiere) genannt,
gehören alle Schildkröten, Krokodile, Schlangen, Eidechsen und Frösche
oder Lurche. Die Schildkröten gehen; die Krokodile gehen schwer-
fällig und schwimmen geschickt; schneller gehen die Eidechsen; die
Schlangen kriechen durch die Bewegung ihrer Rippen, und die Frösche
hüpfen. Alle Amphibien verschlingen ihre Nahrung, welche sie nur aus
dem Tierreiche entnehmen, ganz. Sie bewohnen die ganze Erde
mit Ausnahme der kalten Zone; einige leben nur auf dem Lande,
andere nur im Wasser, einige jedoch auf dem Lande und im Wasser.
Die Amphibien der kälteren Zonen halten einen Winterschlaf und die der
heißen Zone einen Sommerschlaf; die ersteren erwachen mit Zunahme
der Wärme und die letzteren, sobald die Regenzeit eintritt. Die
Amphibien werden durch Vertilgung von Mäusen und Insekten, durch
die eßbaren Eier und das Schildpatt nützlich. Krokodile, Riesen-
und Giftschlangen werden durch ihre Größe und Stärke oder durch
ihr Gift gefährlich; die meisten Amphibien sind unschädlich und machen
nur einen unangenehmen Eindruck.
Die Fische haben rotes, kaltes Blut, atmen durch Kiemen,
seltner durch Lungen und Kiemen und legen meist weichschalige, kleine
Eier (Rogen), welche die Sonne ausbrütet; sie besitzen statt der Beine
Flossen und sind selten ganz nackt, meist jedoch mit Schuppen oder
Schildern _ bedeckt. — Ihr Skelet besteht entweder aus Knochen
(Knochenfische: Barsch, Hecht, Aal, Lachs u. a.) oder bleibt ganz oder
teilweise knorpelig (Knorpelfische z. B. der Stör).
2. Das Pflanzenreich umfaßt alle Gewächse, d. h. alle
40
Pflanzenarten, die Bäume, Sträucher, Gräser, Kräuter re. Pflanzen
haben nur Ernährung und Fortpflanzung.
Die Pflanzen können sich nicht von der Stelle bewegen, auch
habeir sie keine Empfindung, — sie können weder sehen, noch hören,
weil sie keine Nerven haben, und eben darin besteht der große Unter-
schied zwischen Tieren und Pflanzen. Wohl aber nehmen letztere
auch Nahrung in ihr Inneres auf und verarbeiten dieselbe zu ihrem
Wachstum und Fortleben, obschon ihnen zur Aufnahme und Ver-
dauung der Ernährungsstoffe diejenigen Teile oder Organe fehlen,
welche die Tiere besitzen, um ieben zu können. Weil aber Tiere und
Pflanzen das Merkmal der Ernährung und Fortpflanzung gemein-
sam haben, so sagt man auch von ihnen: sie sind lebendige
Naturkörper.
3. Das Mineralreich (Steinreich) enthält alle Mineralien,
das heißt, alle Stein-, Erd-, Metallarten und alle Salze, welche in
der Erde sich finden. Die Mineralien haben keine der vier Lebens-
thätigkeiten, nämlich weder Empfindung und freie Bewegung, noch
Ernährung und Fortpflanzung. Sie sind leblose Naturkörper; denn
es fehlt ihnen zum Leben jedes tierische oder pflanzliche Organ.
Daher kann man von den Mineralien auch nicht sagen, daß sie
wachsen; sie werden von innen heraus niemals größer oder dicker,
sondern sie nehmen an Masse nur dadurch zu, daß von außen her
immer mehr von dem Stoff sich an sie anlagert, aus dem sie be-
stehen; so bilden sich nach und nach die Steine, die Metalle, die Kry-
stalle re. (Nach Verschiedenen.)
a.
49. Affen und Hunde.
Unter den ^Säugetieren sind die ^Vierhänder oder ^Affen
dem ^Menschen in ^Körperbau am ähnlichsten. Wiederum ist schon
äußerlich der Unterschied zwischen einem Affen und Menschen so groß,
daß ihn jedes Kind sofort ^einsieht, wenn es einmal auf dem Jahr-
märkte oder in Tierbuden ein solches Stück Vieh in seinem Späße-
und Possentreiben aufmerksam b betrachtet. Der Affe ist und e bleibt
eben ein Affe. Er kann niemals ganz aufrecht ä gehen und vermag
immer nur mit gebogenen Knieen zu estehen; wie unförmlich sind
seine vier Hände, wogegen der Mensch deren nur zwei hat und zwar
vollkommen ausgebildet; und welches geistvolle, weitblickende Auge
strahlt aus dem edlen Gesichte eines Menschen gegenüber jenem
viehischen, auf dem ganzen Körper behaarten und meist mit einem
langen Schwänze versehenen Geschöpfe! Welch eine unmeßbare Kluft
ist nun gar zwischen der geistigen Erhabenheit eines Menschen und
dem tierischen Sein eines Affen!
Die Affen bewohnen die ^heiße Zone, leben gesellig in Wäldern
auf Bäumen und nähren sich von Früchten, seltener von Insekten
41
und Eiern; sie sind ^lebhaft, ^gewandt, 4listig, ^ gelehrig und ^nach-
ahmungssüchtig, so daß einzelne Arten der Affen sich in etwas ab-
richten lassen; aber sie sind dabei auch ^unreinlich, ^ diebisch, 'Üecker-
mäulerisch mid durch keine Strafe zu bessern. Es giebt eine große
Zahl Affen-Arten vom ungeschwänzten Orang-Utang (Waldmenschen),
Gorilla und Schimpanse an bis zu den kleineren geschwänzten Affen
(Hundsaffe oder Pavian, Brüllaffe, Seidenaffe), von welchen man
das Löwenäffchen und die Meerkatze in Tierbuden am hänffgsten
sieht. (I. S.)
Unter den vierfüßigen Säugetieren sind dem Menschen die-
jenigen die liebsten, welche ihm die besten Dienste leisten und ihm
am ergebensten sind. Wir meinen die Haustiere. Zu ihnen fühlen
wir uns hingezogen und verkehren mit ihnen, als ob sie uns ge-
hörten. Sie sind uns so liebe Freunde geworden, daß wir sie sogar
„das liebe Vieh" nennen. Sein Vieh ist dem Landmann ans Herz
gewachsen, und es gehört notwendig zu seinem Hausstande. Wie
wollte er auch wohl ohne Vieh fertig werden? Die Haustiere er-
leichtern ihm des Lebens Mühe, bewachen ihm Haus und Hof, geben
ihm Nahrung unb Kleidung. Es wäre doch schlimm um uns bestellt,
wenn wir keine Pferde und Kühe, Schafe und Schweine, Ochsen und
Esel, Hunde und Katzen hätten. Und doch giebt es Menschen, die
das Vieh hungern und dursten lassen, die ihm zu viel zumuten und
aufbürden, die es roh und grausam behandeln. In den meisten
Fällen, wo auf die Tiere unbarmherzig losgeschlagen wird, kann man
überzeugt sein, daß der Mensch selbst die Prügel verdient hätte, die
das arme Geschöpf erdulden muß. Wann mag die Zeit kommen,
da die Obrigkeit keine Tierquälerei zu bestrafen nötig hat und die
Tierschutzvereine überflüssig werden?
Unter den Haustieren ist das treueste Tier der Hund. Überall
auf der Erde hält kein Haustier so treu und fest zu dem Menschen,
als der Hund. Von seiner Treue und Gelehrigkeit weiß mancher
viele hübsche Geschichten zu erzählen. Der Hund ist der Freund und
Stubengenosse seines Herrn, der Spielkamerad der Knaben und der
muntere Begleiter der Erwachsenen. Er bewacht das Eigentum und
schützt die Herden; er sucht vermöge seines äußerst feinen Geruches
das Wild auf und verkürzt dem Einsamen durch tausend drollige
Späße die Zeit. Der Hund frißt fast alles, was ihm gegeben wird,
Fleisch und Brot, Süßes und Saures, Hartes und Flüssiges. Der
Pelz des Hundes trägt alle möglichen Farben. Die Haare sind glatt
oder kraus, wollig oder seidenartig, dicht oder spärlich und fehlen bei
einigen ganz. Denke an den Spitz mit den aufrechtstehenden und
den Jagdhund mit den hängenden breiten Ohren, an den Mops
mit dem dicken und an das Windspiel mit dem dünnen, langen
Kopf, an den Bulldogg mit gekerbter Oberlippe und an den Dachs-
hund mit den krummen Beinen, an den Schäfer-, Wolfs- und
Windhund, an den Neufundländer, B ernhardiner und Pudel,
so wirst du leicht sehen, daß solche Mannigfaltigkeit wie unter den
42
43
Hunden bei keinem Tier auf Erden weiter gefunden wird. Kennst
du alle Arten der Tiere, welche dein Lesebuch in der „Hundegruppe"
darstellt?
Eine schreckliche Krankheit des Hundes ist die Tollwut. Ge-
wöhnlich fängt sie damit an, daß das Tier traurig wird, sich ver-
steckt, nichts fressen oder saufen mag. Wenn die Krankheit ausgebildet
ist, läßt der Hund die Ohren hängen, zieht den Schwanz zwischen
die Beine, steckt die Zunge heraus, hält den Kopf nieder und läuft
gerade aus. Vor einem solchen Hunde muß man sich hüten; denn
wer gebissen wird, Mensch oder Tier, wird häufig von derselben
schrecklichen Krankheit befallen. Wenn jemand gebissen ist, muß er,
bis der Arzt kommt, Sorge tragen, daß die Wunde fortwährend
blutet. Oberhalb des Bisses muß er ein starkes Band fest um das
verwundete Glied binden, damit das Gift sich nicht schnell in dem
Körper verbreite. (Nach Pastor Dankerts Lesebuch.)
50. 1-61' treue Hund.
Ein Bettelmann, ein blinder Mann,
Einst nicht mehr weiter wandern kann.
Er war so hungrig, war so krank,
Im Wald er sterbend niedersank.
Und heulend springt sein treuer Hund
Und tliut’s im nächsten Dorfe kund.
Er teilte ja in bittrer Not
Mit ihm sein letztes Stücklein Brot.
Als endlich Hülfe kam zum Wald,
Fand man den Leichnam starr und kalt,
Man senket schnell und ohne Schrein
Im Wald den toten Fremdling ein.
Man schaufelt kalt den Hügel auf,
Und steckt ein grobes Kreuzlein drauf.
Kein Auge weint dem Armen nach,
Kein Blümlein schmückt sein Schlafgemach.
Und nur sein Hund, sein einz’ger Freund,
Allein, allein am Grabe weint.
Da winselt er tagaus, tagein,
Vom Morgen- bis zum Abendschein.
Beim Sonnen- und beim Sternenlicht
Lässt er den Totenhügel nicht,
Fühlt nicht, dass ihn der Hunger quält,
Fühlt nur, dass ihm sein Liebling fehlt.
44
Drauf ward es eines Tages kund:
Tot auf dem Grabe lag der Hund.
(Staub.)
51. Wie Gott einen Menschen durch Hunde vom Tode
errettete.
Ein Landmann ging mit seinen beiden Hunden in den Wald
und bestieg eine sehr hohe Buche. Er glitt aus, stürzte, blieb aber
mit dem Fuße zwischen zwei gabelförmig stehenden Ästen, mit dem
Kopfe abwärts, hangen. So schwebte er zwischen Himmel und Erde,
ohne sich helfen zu können. Seine Hunde winselten, liefen hin und
her und äußerten lebhaft ihre Angst und ihren Schmerz uni ihren
Herrn. Endlich lief der eine von denselben nach Haus, erhob vor
den Angehörigen seines Herrn ein klägliches Geheul, geberdete sich
äußerst unruhig, lief fort, kam wieder, lief wieder weg und gab auf
alle Weise zu verstehen, daß man ihm folgen solle. Zuletzt ging man
ihm nach; da rannte der Hund nach dem Walde zurück, wo sein
Herr hing, und lief wieder rückwärts, wenn die begleitenden Leute
nicht schnell genug gingen. So brachte er sie zu rechter Zeit noch
zu dem Baume, auf welchem sein Herr in Lebensgefahr schwebte,
und der Verunglückte ward gerettet. — Der andere Hund war in-
dessen bei seinem Herrn geblieben und erhob seine Stimme, so stark
er konnte, um durch sein Bellen andere Leute aufmerksam zu machen
und zur Hülfe zu veranlassen. (Stern's Lesebuch.)
IV.
a. Der Bösewicht hat überall ein unruhiges Gewissen. Der Segen kommt
von oben. Christus fuhr hinauf gen Himmel, und von dannen wird
er wiederkommen. Weiche weder rechts, ncch links vom rechten Pfade.
Bist du hier oder drüben, da oder dort, kommst du her oder gehst du
hin: überall führt dich eine höhere Hand.
b. Jetzt ist cs anders als früher, nun anders als ehemals. Wer weiß,
wie bald unser letztes Stündlein schlägt! O, dächten wir nicht immer daran,
wie's augenblicklich ist, sondern auch daran, wie's wohl nachher kommen
könnte! Wirst du nie vergessen, wie sauer du deinen Eltern geworden bist?
Was du heute thun kannst, verschiebe nicht aus morgen. Wem's allezeit
zu früh dünkt, kommt gewiß zu spät.
c. Manche Berge sind sehr hoch. Strebe dem Guten gern nach. Der Donner
rollt schrecklich; der Blitz zuckt g ewalti g. Gott ist ein ganz vollkommener
Geist. Die Sterne sind überaus weit von uns entfernt. Kinder müssen
durchaus gehorchen. Manches Buch ist außerordentlich lehrreich. Sind
nicht mehrere Völker der alten Welt ganz untergegangen? Wie groß ist
des Allmächt'gcn Güte!
52. Der Mnt einer Katze und ihre Zärtlichkeit gegen
ihre Jnngen.
Eine Katze spielte 5 einmal in einem schottischen Torfe mit
ihren Jungen in der Frühlingssvnne vor einer Stallthüre. Hoch
r^oben flog ein großer Habicht ahin und her, schoß ^plötzlich aus der
Luft ^herab und ergriff oblitzschnell eines der Kätzchen. Die Mutter
45
sprang cgrimmig auf ihn los und wehrte sich für ihr Junges. Der
Habicht ließ es b augenblicklich fahren, wendete sich d jetzt aber gegen
die große Katze. Der Kampf von beiden Seiten war «sehr heftig.
Der Habicht behielt durch seinen mächtigen Flügelschlag und durch
seine/spitzen Schnabel und seine scharfen Klauen einige Zeit die Ober-
hand, zerfleischte «jämmerlich die alte Katzenmutter und hackte ihr ein
Auge aus. Sie verlor aber den Mut nicht, hielt ihren Gegner «ffeit-
wärts mit ihren Krallen fest und durchbiß ihm avoir unten den rechten
Flügel. Nun hatte sie zwar mehr Gewalt über ihn, aber der Habicht
war noch bimmer sehr stark, und der Streit dauerte fort. Die
Katze war obeinahe erschöpft; durch eine schnelle Wendung raffte sie
sich aber b nochmals auf, und brachte bnun den Habicht unter sich.
e Siegreich biß sie ihrem grimmigen Wüterich den Kopf ab; üdann
lief sie, ohne den Verlust ihres Auges und ihrer Wunden zu achten,
zu ihrem «übel zugerichteten Kätzchen, leckte ihm -r allenthalben die
von Blut triefenden Wunden ab, welche die Krallen des Habichts in
die Seiten des zarten Tierchens gehauen hatten, und schnurrte, es
liebkosend, als wenn a überall nichts vorgefallen wäre.
(Nach W. Sterns Lesebuch.)
53. Die Katze.
(* Von Lehrer Chr. Pommerenke in Ludwigslust.)
Die Katze hat als Haustier eine sehr weite Verbreitung gefunden. Wahr-
scheinlich ist sie von Ägypten aus verbreitet worden, wenigstens haben wir von
dorther die ersten geschichtlichen Nachrichten über sie. Wir wissen, daß man sie
dort schon in den allerältcsten Zeiten göttlich verehrte, und daß derjenige, welcher
eine Katze auch nur aus Versehen tötete, sterben mußte. Bei einer Feucrsbrunst
suchte man zuerst die Katzen zu retten und dann die Menschen, und wenn eine
Katze sich in die Flammen stürzte, so wurde große Wehklage erhoben. Starb ein
solches Tier in einem Hause, so schor jedermann in demselben zum Zeichen der
Trauer sich die Augenbrauen ab. Tote Katzen wurden einbalsamiert und an
heiliger Stätte beigesetzt.
Nach Europa ist die Katze erst spät gekommen, und es herrscht über die
Abstammung der Hauskatze von der wilden Katze kein Zweifel. Letztere ist zu
irgend einer Zeit gezähmt worden, und ihre Art ist auf diese Weise fast in jede
menschliche Familie des alten und neuen Festlandes gelangt. Gegenwärtig läßt
sich die Zeit nicht mehr nachweisen, in welcher die wilde Katze aus den Wäldern
in die Häuser eingeführt wurde, und wann der Mensch zuerst zu der Erkenntnis
kam, den Instinkt dieses Tieres zu seinem Nutzen zu verwenden. Im 10. und
11. Jahrhundert z. B. finden wir die Hauskatzen noch sehr selten; damals wurden
Gesetze gegen ihre Verstümmelung gegeben, sowie Bestimmungen erlassen, welche
zeigen, wie viel man auf die Erhaltung dieses Tieres gab. Die Leidenschaft nach
tierischer Nahrung oder vielmehr der Trieb, gewisse lebendige Tiere zu töten, ist
nun diejenige Eigenschaft, wodurch die Katze dem Menschen wertvoll wird. Die
Zähmung beseitigt jene Leidenschaft nicht; denn auch die Hauskatze unterläßt es
nicht, überall im Hause umherzuschweifen und uns von den lästigen und schädlichen
Mäusen zu befreien.
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Unsere Hauskatze ist ein schmuckes und zierliches Geschöpf. Sie hat einen
rundlichen Kopf mit einer spitzen, steifen, inwendig nackten Ohrmuschel und nach
vorn gerichteten, großen, runden, gelblichgrünen Augen, deren Sehstern sich er-
weitern und verengen kann, weshalb sie auch im Dunkeln sieht. An der Ober-
lippe befinden sich lange Tast- oder Barthaare und im Maule 30 sehr scharfe
Zähne, sowie eine vorn abgerundete, rauhe und sehr bewegliche Zunge. Der Körper
ist langgestreckt, geschmeidig und mit weichen Haaren bedeckt. Die Beine sind
mittelmäßig lang und bestehen aus Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß. Der Vorder-
fuß hat 5, der Hinterfuß 4 Zehen. An den Zehen befinden sich hakenförmig ge-
krümmte, spitzige Krallen, welche die Katze beim Fange ausstreckt, um ihre Beute
fest zu halten, aber beim Gehen einzieht, damit niemand ihren schleichenden Gang
bemerken soll. Der Schwanz ist lang und dient ihr beim Fallen als Steuer, da-
mit sie stets auf den Beinen den Boden erreicht. Will sie auf ihre Beute los-
gehen, so zieht sie sich krumm zusammen und springt dann plötzlich auf dieselbe.
Der Pelz der Katze ist fein und hat verschiedene Farben; denn es giebt
weiße, schwarze, graue, rötliche, gefleckte und gestreifte Katzen. Die Lieblings-
nahrung der Katze besteht in Mäusen und kleinen Vögeln. Einige lauern auch
dem Maulwurfe auf, und obgleich sie das Wasser sehr scheuen, so gehen sie doch
auch oft an seichten Bächen den Fischen nach. In den Häusern füttert man sie
mit allerlei Kost: mit Fleisch, Pflanzenstoffen, vor allem aber mit Milch, welche
sie sehr lieben. Im Felde wagen sie sich an ziemlich große Hasen und fressen
vollkommen ausgewachsene Rebhühner. Ihre Beute beschleichen sie mit bewunderns-
werter Geschicklichkeit.
Zu den Eigenschaften und Eigentümlichkeiten der Katzen gehört, daß sie
gut klettern können, ein zähes Leben haben, sehr reinlich sind und ihr Wohl-
befinden durch Schnurren ausdrücken, das durch zwei zartgespannte Häutchen
im Kehlkopfe hervorgebracht wird. Das Fell, besonders dasjenige der schwarzen
Katzen, ist sehr elektrisch. Die Augen der Katzen leuchten im Dunkeln. Sie sind
bekannt als falsche Tiere, so daß man ihnen nicht traut; denn während sie sich
anschmiegen, kratzen und beißen sie oft plötzlich. Andererseits hat man aber auch
wieder Beispiele, daß sie bei freundlicher Behandlung große Anhänglichkeit ge-
zeigt haben.
Die Hauskatze hält man, wie schon erwähnt, zur Vertilgung der Ratten
und Mäuse. Hätten wir keine Katzen, so würden die Mäuse und Ratten uns so
sehr beunruhigen, daß wir weder ruhig essen noch schlafen könnten. Hat man doch
beobachtet, daß eine Katze täglich über zwanzig, also in einem Jahre über 7000
Mäuse verzehren kann. Daher ist es nicht zu verwundern, daß man in alten
Zeiten, wo die Katzen noch nicht so häufig waren als jetzt, diese Tiere so hoch
geschätzt hat. In England z. B. mußte vor Zeiten derjenige, welcher eine Katze
tötete, dem Eigentümer derselben einen großen Haufen Korn als Ersatz geben. Es
wurde nämlich die tote Katze an den Hinterbeinen so aufgehängt, daß die Spitze
der Schnauze den Erdboden berührte und nun das Korn so um sie aufgehäuft,
daß von der Katze nichts zu sehen war.
Dem so großen Nutzen gegenüber kommt es wenig in Betracht, daß nasch-
hafte Katzen schon oft aus der Küche das Fleisch fortgeholt oder bei der Milch
genascht haben, wenn sie diese Sachen erreichen konnten.
Die Katze bringt auf weichem Lager 3 bis 6 Junge zur Welt, die erst
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nach 9 Tagen sehen und hören können. Diese Jungen werden von der Katzen-
mutter sorgfältig gepflegt. Sie unterrichtet dieselben sogar im Fangen, indem sie
ihnen lebende Mäuse zum Spiele und zur Übung zuträgt; sie selbst aber achtet
darauf, daß keine Maus entwischt. Das Fleisch der Katze wird in einigen Ländern
gegessen. Es soll ähnlich wie Hasenbraten schmecken. Das Fell (den Balg) braucht
man bei Elektrisiermaschinen, bei Geschwülsten, rheumatischen Schmerzen, zu Mützen
und Muffen. Aus den Gedärmen der Katze verfertigt man Saiten. Sie erreicht
gewöhnlich ein Alter von 12 bis 15 Jahren.
54. Nützliche Säugetiere.
Maulwurf, Spitzmaus und Igel sind überaus nützliche Säuge-
tiere, und man muß über die Dummheit mancher Menschen staunen,
wenn sie trotz aller Belehrung durch verständige Leute jenen Tieren
allerlei Unsinn andichten, wenn sie dieselben in blinder Thorheit ver-
folgen und töten.
Der Maulwurf spürt im Boden dem unterirdischen Un-
geziefer nach. Er wird häufig mit der höchst schädlichen, rötlichgrauen
Wiesenscharrmaus verwechselt, welche wie er Erdhäufchen aufstößt.
Aber er unterscheidet sich durch sein sammetschwarzes Pelzchen und
seine breiten, plumpen Grabvorderfüße gar sehr von ihr. Unter
dieser Verwechslung hat der unschuldige Maulwurf viel zu leiden,
und man schreibt ihm irriger Weise die Verwüstungen mit zu,
welche jene Maus an Baum- und anderen Pflanzenwurzeln anrichtet.
Er ist aber gar nicht imstande, Pflanzenkost irgend einer Art zu ge-
nießen. Durch seinen inneren Bau ist er nur auf tierische Nahrung
angewiesen. Davon könnte sich jeder Landmann überzeugen, der
einen getöteten Maulwurf untersucht. Nie ist in seinem Magen
irgend eine Spur von Pflanzenkost zu entdecken, sondern
stets nur Würmer, Maulwurfsgrillen, Maikäfer, Enger-
linge u. dgl. Und dieses Ungeziefer frißt er in großen Massen, da
er stets hungrig ist und von dieser wässerigen Kost nicht so bald ge-
sättigt werden kann. Der einzige, sehr geringfügige Nachteil, den er
uns zufügt, ist das Auswerfen der Erdhäufchen. Diese können aber
zumeist mit der geringsten Mühe wieder geebnet werden und kommen
gar nicht in Betracht gegen den großen Nutzen, den er gewährt.
Einsichtige Laudleute haben diesen Nutzen schon längst erkannt und
töten nicht leicht einen Maulwurf, noch weniger bezahlen sie für
Maulwürfe gar noch Fängerlohu.
Ähnlichen Nutzen gewähren uns die niedlichen Spitzmäuse,
die an ihrer spitzen und beweglichen Schnauze und den sehr kleinen
Augen leicht von anderen Mäusen zu unterscheiden sind. Wie der ■
Maulwurf verschmähen sie alle Pflanzennahrung und leben nur von
Würmern, Kerbtieren aller Art, Schnecken, toten Mäusen u. dergl.
Leider werden auch sie häufig verfolgt und getötet, weil man sie für
giftig hält!
Auch den Igel dürfen wir unter unsern nützlichsten Tieren
nicht vergessen. Er ist ein vortrefflicher Mäusesänger. Er hascht in
48
Hecken, Büschen, Waldrändern
eine Menge Mäuse weg, be-
gnügt sich aber auch, wenn
diese seine Leibspeise nicht zu
haben ist, mit Käfern und
Schnecken und frißt sogar ohne
Schaden giftige Schlangen ans.
Woher kommt es aber, daß auch
dieses höchst nützliche Tierchen
an vielen Orten von dummen Buben und rohen Alten so erbittert
verfolgt und oft elend verstümmelt und getötet wird? Das blinde
Vorurteil hält auch den Igel thörichterweise für giftig und dichtet
ihm allen möglichen Unsinn an. In manchen Gegenden nennt man
ihn auch Stachelschwein. (Tschudi.)
55. Der Maulwurf.
Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie er’s brauchet, die Natur,
Mit welchem er wird seh’n, so weit er es bedarf,
Im unterirdischen Palast, den er entwarf.
Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen,
Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.
Den Eegenwurm, den er mit andern Sinnen sucht,
Braucht er nicht zu erspähn, nicht schnell ist dessen Flucht,
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen,
Auch seinem Augenstern wird sich der Himmel zeigen,
Und, ohne dass er’s weiss, nimmt er mit sich hernieder
Auch einen Strahl, und wühlt vergnügt im Dunkeln wieder.
(Rückert.)
56. Die Fledermaus.
Die Fledermäuse gehören nach ihrer Körperbildung und Lebens-
weise zu den merkwürdigsten Säugetieren. Kopf und Rumpf sind
mit Haaren bedeckt, wie bei den meisten andern Säugetieren; eben
so sitzt das Maul voll spitziger Zähne; aber die Gliedmaßen, zumal
die vorderen, sind ungemein verlängert, und durch eine dünne Flug-
haut verbunden. In: Gesicht befinden sich an verschiedenen Stellen
Drüsen, aus welchen ein talgartiger, übelriechender Stoff ausschwitzt,
mit dem sie beim Putzen Haar und Flughaut überall fettig machen,
damit Regen und Tau nicht daran haften.
Am Tage halten sich die Fledermäuse in alten und wenig be-
wohnten Gebäuden, in Felsenklüften und hohlen Bäumen auf, des
Abends und Nachts dagegen fliegen sie umher und suchen sich Nah-
rung, die in allerlei Insekten, namentlich Nachtschmetterlingen, Mücken
und Käfern, besteht, also in Tieren, die uns mehr oder weniger
schädlich werden. Zu einer Mahlzeit gebrauchen sie etwa ein Dutzend
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Maikäfer oder 70 bis 80 Fliegen. Wollten wir daher die Fleder-
mäuse, weil sie ein etwas häßliches Ansehen haben und manche Menschen
sich vor ihnen fürchten, töten, so würden wir uns selbst den größten
Schaden zufügen. In Gegenden, wo man sich seit Menschengedenken
nicht um die Naturgeschichte der Tiere bekümmert hat, hält man die
Fledermäuse für Speckdiebe, und nennt sie deshalb auch wohl Speck-
mäuse. Diese Annahme ist aber ganz ungegründet und dem Rufe
der Fledermäuse natürlich eben so schädlich, als wenn man zu einem
ehrlichen Menschen sagt, er sei ein Dieb. Es ereignet sich wohl
einmal, daß sich eine Fledermaus an einem kalten Herbsttage in einen
Schornstein begiebt; das geschieht aber nicht des Speckes, sondern
lediglich der Wärme halber. Nicht die Fledermäuse, sondern die
Mäuse und Ratten fressen Speck und Fleisch an, worüber niemand
in Zweifel ist, der sich einmal die Nagezähne dieser Tiere an-
gesehen hat.
Bemerkenswert ist, daß die Fledermäuse selbst in der größten
Finsternis, ja sogar mit verklebten Augen, mit ungemeiner Sicherheit
fliegen, den im Wege stehenden Gegenständen gewandt ausweichen,
und sich in allen Gängen und Winkeln, wohin sie geraten, zurecht
finden. Der Grund dieser Geschicklichkeit ist im Bau der Flughaut
und der großen Ohrmuscheln zu suchen. Wie diese nämlich von zahl-
reichen Adern durchzogen werden, so verlaufen in ihnen auch eine
außerordentliche Menge von Nervenfäden, wovon man sich leicht
überzeugen kann, wenn inan eine ausgespannte Flughaut gegen das
Licht hält. Die Nerven sind aber ebenso bei den Tieren, wie bei
uns, die Ursache des Gefühls. Je mehr Nerven nun auf einer
Fläche verbreitet sind, desto feiner wird daselbst auch die Wahr-
nehmung durch das Gefühl sein. Bei der Fledermaus hat diese
Gefühlsfeinheit in den genannten Häuten einen so hohen Grad er-
reicht, daß sie imstande sind, das schwache Abprallen der Luft von
den Körpern und dadurch diese selbst wahrzunehmen.
Gegen den Winter hin verstecken sich die Fledermäuse in dunkeln,
feuchten, vor Frost geschützten Orten, häkeln sich mit den Hinterfüßen
an und halten in dieser Lage, den Kopf nach unten, einen Winter-
schlaf. Man findet sie in diesem Zustande oft in großer Menge bei-
sammen. Eintretende Wärme weckt sie auf, weshalb man auch zu-
weilen im Winter Fledermäuse umherfliegen sieht. Im Mai be-
kommen sie ein Junges, welches sich an die Brust der Mutter häkelt
und diesen Platz auch selbst beim Ausstiegen nicht eher verläßt, als
bis es wenigstens halbwüchsig ist. (A. Lüben.)
57. Rätsel.
Was ist das für ein Diebsgesell? — Er geht auf Nachbars
Acker aus, stopft voll sich beide Taschen schnell und trügt's ganz wohl-
gemut nach Haus. Da packt er's aus, als wär's das Seine, legt eins
zum andern in die Scheune. Die Scheuer liegt in Ackers Grund,
die Taschen hat er in dem Mund. (Berthelt, Lebensbilder.)
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 4
50
V.
0, Gottes Wege sind doch uncrforschlich! Einen Blinden zu sehen, a ch!
es ist traurig. Huhu! wie kalt bläst oft der Nordwind! Ein Tier zu quälen,
pfui! das ist abscheulich. Der Drescherschlag geht klipp klapp! Siehst du ein
brütendes Nöglcin, pst! störe cs nicht in feiner Mutterliebe; hörst du es Dankes-
licdcr singen, scht! lausche dem Gesänge; o Thor! wenn du die Sprache der
Natur nicht verstehen willst.
58. Die Bremer Stadtumsikanten.
Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre
treu gedient hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß
er zur Arbeit iinmer untauglicher ward. Da wollte ihn der Herr
abschaffen; aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief
fort und tnachte sich aus den Weg nach Bremen. „Dort," dachte er,
„kannst du ja Stadtmusikant werden." Als er ein weilchen fort-
gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der
jappte, wie einer, der sich inüde gelaufen. „Nun, was jappst du
so?" sprach der Esel. Z,Ach", sagte der Hund, „weil ich alt bin
und jeden Tag schwächer werde und auf der Jagd nicht mehr fort
kann, hat mich mein Herr wollen tot schlagen, da hab' ich Reißaus
genommen; aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?" —
„Weißt du was," sprach der Esel, „ich gehe nach Bremen, dort
Stadtmusikant zu werden; geh mit und laß dich auch bei der Musik
annehmen!" Der Hund war's zufrieden, und sie gingen weiter. Es
dauerte nicht lange, so saß da eine Katze am Wege und machte ein
Gesicht ^hu! wie drei Tage Regenwetter. „Nun, was ist dir denn
in die Quere gekommen?" fragte der Esel. „Wer kann da lustig
sein, wcnn's einem an den Kragen geht", antwortete die Katze; „weil
ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden, und ich
lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach den Mäusen umher-
jage, hat mich meine Frau ersäufen wollen; ich habe mich zwar noch
fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer; wo soll ich hin?" —
„Geh mit uns nach Bremen; du verstehst dich auf die Nachtmusik;
da kannst du Stadtmnsikant werden." Die Katze war's zufrieden
und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem
Hof vorbei; da saß auf dem Thor der Haushahn und schrie aus
Leibeskräften. ^„Scht, du schreist einem durch Mark und Bein,"
sprach der Esel, „was hast du vor?" Der Hahn sprach: -,Weil
morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Hausfrau kein Er-
barmen mit mir und der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in
der Suppe essen, und da soll ich mir heute den Kopf abschneiden
lassen. Nun schreie ich ans vollem Halse, so lange ich noch kann."
— QEi was, dn Rotkopf," sprach der Esel, „zieh lieber mit uns
nach Bremen; etwas besseres als den Tod findest du überall; du haft
eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizreren, so muß es
eine Art haben." Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen, und
sic gingen alle vier zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tage nicht er-
51
reichen und kamen abends in eineil Wald, wo sie übernachten wollten.
Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die
Katze und der Hahn machten sich hinauf; der Hahn aber flog bis in
die Spitze, wo es an: sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah
er sich noch einmal nach allen vier Winden um; da däuchte ihn, er
sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen und ries seinen Gesellen zu,
cs müßte nicht gar weit ein Haus sein; denn es scheine ein Licht.
Sprach der Esel: „So müssen wir uns aufmachen und noch hin-
gehen; denn hier ist die Herberge schlecht." Und der Hund sagte:
„Ja, ein paar Knochen und etwas Fleisch daran thäten mir auch
gut." Nun machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das
Licht war, und sahen es bald heller schimmern, und es ward immer
größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der
Esel, als der Größte, machte sich ans Fenster und schaute hinein.
^„Pst! was siehst du, Grauschimmel?" fragte der Hahn. was
ich sehe?" antwortete der Esel, „einen gedeckten Tisch mit schönem
Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen's sich gut
schmecken." — „Das wäre was für uns," sprach der Hahn. — „Ja,
ja; ach, wären wir da!" sagte der Esel. Da ratschlagten die Tiere,
wie sie es anfangen müßten, um die Räuber fortzubringen. Endlich
fanden sie ein Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfüßen
auf das Fenster stellen, der Hund auf des Esels Rücken, die Katze
auf den Hund klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte
sich der Katze auf den Kopf. Als das geschehen war, fingen sie ins-
gesamt auf ein Zeichen an, ihre Musik zu machen; der Esel schrie,
der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte: dann stürzten
sie 'pardauz! durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben
8iUrr! niederfielen. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei
in die Höhe, meinten nicht anders, als ein Gespenst käme herein,
und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich
die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem fürlieb, was übrig
geblieben war und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten.
Als die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus
und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Be-
quemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die
Thüre, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche, und der Hahn
setzte sich auf den Hahnenbalken, und weil sie müde waren von ihrem
langen Wege, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei
war, und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Hause
war, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: ^„Potztausend!
wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen," und hieß
einen hineingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand
alles still, ging in die Küche, wollte ein Licht anzünden und nahm
ein Schwefelhölzchen, und weil er die glühenden, feurigen Angen der
Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er es daran, daß es Feuer
fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins
Gesicht, spie und kratzte. 10D weh! da erschrak er gewaltig, lief und
4*
52
wollte zur Hinterthür hinaus; aber der Hund, der da lag, sprang
auf und biß ihn ins Bein, und als er über den Hof am Miste vor-
bei rannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem
Hinterfuß; der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlafe geweckt
und munter geworden war, rief vom Balken herab: "„Kikeriki!"
Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück
und sprach: 12„D in dem Hause 13pftii! sitzt eine gräuliche Hexe, die
hat mich angespeit und mir das Gesicht mit ihren langen Fingern
zerkratzt, und vor der Thür steht ein Mann mit einem Messer, der
hat mich ins Bein gestochen, und auf dem Hofe liegt ein schwarzes
Ungetüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen, und
oben auf dem Dache sitzt der Richter, der rief: "„Hollaheh, bringt
mir den Schelm her!" Da machte ich, daß ich fortkam. Von nun
an getrauten sich die Räuber nicht wieder in das Haus; den vier
Bremer Musikanten gefiel's aber so wohl darin, daß sie nicht wieder
heraus wollten. (Grimm.)
59. Der dankbare Löwe.
Ein armer Sklave, der seinem Herrn entlaufen war, wurde
zum Tode verurteilt. Man brachte ihn aus einen großen, weiten
Platz, der mit Mauern umgeben war, und ließ einen furchtbaren
Löwen auf ihn los. Mehrere tausend Menschen sahen zu.
Der Löwe sprang grimmig auf den armen Menschen zu —
blieb aber plötzlich stehen, wedelte mit dem Schweife, hüpfte voll
Freude um ihn herum und leckte ihm freundlich die Hände. Die
Leute verwunderten sich und fragten den Sklaven, wie das komme?
Der Sklave erzählte: Als ich meinem Herrn entlaufen war,
verbarg ich mich in eine Höhle der Wüste. Da kam dieser Löwe
winselnd zu mir herein und zeigte mir seine Tatze, in der ein
scharfer Dorn steckte. Ich zog ihm den Dorn heraus, und von der
Zeit an versah mich der Löwe mit Wildbret, und wir lebten in der
Höhle friedlich beisammen. Bei der letzten Jagd wurden wir von
einander getrennt und beide gefangen, und nun freut sich das gute
Tier, mich wiederzufinden.
Alles Volk war über diese Dankbarkeit eines wilden Tieres
entzückt und rief laut: Es lebe der wohlthätige Mensch und der
dankbare Löwe! Der Sklave ward freigesprochen und reichlich be-
schenkt. Der Löwe aber begleitete ihn vom Richtplatze wie ein zahmes
Hündchen und blieb, ohne jemand ein Leid zu thun, immer bei ihm.
(Christoph von Schmid.)
Eine andere Erzählung, die «uns von der Anhänglichkeit eines
dankbaren Löwen berichtet und auch Anspruch auf Wahrheit hat, ist
folgende:
Ein französischer Ritter*) ritt in einer öden syrischen Wüste.
Da hörte er von ferne ein langes klägliches Gestöhne. Gewiß,
*) Walther von Thurn.
dachte er, haben verruchte arabische Räuber einen Wanderer angefallen.
Er sprengt hin auf seinem Streitrosse, aber als dieses vor der finstern
engen Kluft stand, stutzte und zitterte es, bäumte sich und schäumte
im Gebiß. Die funkelnden Augen eines großen, männlichen Löwen
blitzten ihn: entgegen. Dieser lag im Kampfe mit einer ungeheuren
Schlange, welche sich schon um Leib und Schweif des Löwen ge-
wunden hatte. Ohne sich zu besinnen, schwang der Ritter sein
mächtiges scharfes Schwert, und mit einem tüchtigen glücklichen
Streiche spaltete er der Schlange den Leib. Als der Löwe sich von
der furchtbaren, wütenden Feindin erlöst sah, erhob er sich, brüllte
laut, schüttelte die Mähne, streckte den Leib und nahte sich dann
seinem Retter. Sanft schmeichelnd kroch er zu dein jungen un-
erschrockenen Helden und leckte ihm Schild und Hand. Von nun an
verließ er ihn nicht mehr, sondern folgte ihm, wie ein Hund, auf
den: Marsche über Flüsse und in den Streit.
Mehrere Jahre lang war der Ritter im heiligen Lande gewesen,
und hatte viele tapfere Thaten verrichtet und einen berühmten ge-
achteten Namen sich erworben. Endlich empfand er Sehnsucht nach
den: fernen, teuren Vaterlande, wollte dahin zurückkehren und den
guten, treuen Löwen mitnehmen. Aber kein Schiffer wollte das Tier
in sein Schiff aufnehmen, obgleich der Ritter doppelten, ja vierfachen
Lohn bot. Endlich ließ er ihn zurück und fuhr allein ab. Da er-
hob der Löwe ein langes klagendes Gebrüll, lief ängstlich am Strande
auf und ab, stand dann am User stille, schaute dem Schiff nach und
stürzte sich endlich ins Meer.
Man sah ihn vom Schiffe aus, und beschloß, das edle Tier auf-
zunehmen. Schon war er dem Schiffe nahe, da verließ ihn die
Kraft, er blickte noch einmal mit treuen, hellen Augen nach dem
Ritter und versank. (W. Stern's Lesebuch.)
60. Der Bär.
(S. 1. Abtl. d. Lesebuches S. 150.)
Erwacht der Bär aus seinem laugen Winterschlafe, so streckt
er sich und brummt, weil ihn die Frühlingssonne in seinem Traume
stört. Abgemagert tritt er aus seiner Höhle hervor. Zunächst sieht
er sich nach Nahrung um. Langsam und schwerfällig schleppt er sich
durch die finstere Waldung. Seine breiten Tatzen haben sich ge-
häutet; jeder Schritt kommt ihm daher sauer an. Er schaut ins
Gebüsch, ob nicht ein Reh zu erspähen sei oder ein Hase. Er horcht
auf das Summen der Bienen und sehnt sich nach dem Honig. Er
achtet auf ^ den Lauf der Ameisen, deren Säure seinen Gaumen
reizt, schnüffelt am Boden nach schmackhafte!: Kräutern, nimmt aber
am Ei:de mit Gras und Wurzeln fürlieb, wenn er nichts Besseres
findet.
Der Bär ist kurzbeinig und plumpen Leibes. Jin Winter
und Sommer steckt er in einem dichten, zottigen Pelze. Sein Hals
ist dick, der Kopf breit, die Stirne glatt, die Schnauze vorgestreckt.
54
Das Gebiß und die Klauen seiner Tatzen sind stark. Sein Ohr
erspürt von fern jeden Laut; die feine Nase leitet ihn auf den Fang.
— Der Künste treibt er mancherlei. Er geht oft aufrecht, klettert
geschickt auf Bäume, reißt mit den Tatzen die Äste an sich und pflückt
mit den Zähnen die Früchte ab. Ist er satt, so läßt er sich am
Stamme herunter und kommt sicher auf die Füße. Aus seiner
Wohnung zieht er ins Feld; er spähet von den Höhen hernieder,
stürzt hinter den Felsen hervor, treibt die Schafe über den Abgrund.
Der Herde paßt er auf, bis sie zur Weide geht, oder er bricht in
den Stall ein und holt sich seine Beute, wie der Fuchs ein Gänslein
holt. Auch den: Honig der Bienen geht er gern nach. Er braucht
sich vor ihnen nicht zu fürchten. Ihr Stich dringt kaum in seine
Haut eiu; die, welche sich ihm ins Gesicht setzen, wischt er gröblich
weg. In der Jugend frißt er Gras, Beeren, Pilze, Knospen und
Honig; später erst lernt er den Wert des Fleisches kennen. Die List
und Erfindungsgabe des Fuchses kennt er nicht; seinen Zweck sucht
er durch seine Stärke zu erreichen. Gewandtheit im Klettern und
das furchtbare Gebiß unterstützen ihn. — Nahet der Winter, so
schreitet der Bär seiner Höhle zu. Er legt sich ruhig auf seine aus
Moos und Gras bereitete Lagerstätte hin, knurrt noch ein wenig und
hält die Tatzen vors Gesicht. Er nimmt dann keine Nahrung zu sich,
sondern zehrt von dem Fette, das er den Sommer hindurch angelegt
hat. — Den Menschen greift er nur dann an, wenn er von dem-
selben gereizt wird. Sein Fell liefert Pelzwerk, und sein Fleisch
wird gegessen.
Früher bewohnte der Bär Mitteleuropa; jetzt findet er sich nur
noch in den Alpen, Pyrenäen, Karpathen, in Norwegen, Persien
und Syrien.
(Wetzet, Lesebuch, und Bcrenitz, Lehrbuch.)
61. Der Walfisch.
Der Walfisch ist das größeste unter allen Tieren der Erde.
Er atmet durch Lungen wie die Landtiere, hat Blut, das so warm ist
wie das des Vogels in der Luft und säugt seine Jungen am Euter.
Er gehört darum zu den Säugetieren, obgleich er die Gestalt eines
Fisches hat. Sein ungeheurer Leib endigt in einen Fischschwanz;
seilte Vorderfüße sind zu Flossen umgewandelt; seine Haut ist schwarz
und nackt. Der Walfisch erreicht eine Länge von 16 bis 20 Meter,
das Gewicht eines ausgewachsenen Tieres beträgt über 100,000 Kilo-
grainm. Der Kopf nimmt den dritten Teil der Körperlänge ein;
von den Ohren zeigt sich keine Spur an ihm. In dem geöffneten
Rachen hat ein Kahn mit sechs Personen Platz. Auf dem Grunde
des Rachens liegt die 6 Mir. lange und 3 Mir. breite Zungean
den Seiten desselben stehen statt der Zähne die Schichten des Fisch-
beins. Die Rippen des Walfisches messen 6 Meter und darüber.
Sie wurden bei alten Völkern zum Dachgebälk benutzt. Um das
Fleisch des Tieres lagert eine ellenhohe Speckschicht, die mit einer
55
dicken Haut überzogen ist. Auf dieser Haut leben Muscheln und
Würmer, die ihre krallenartigen Füße oft so tief einschlagen, daß
sie sich eher zerreißen als abreißen lassen.
Der Mensch macht Jagd auf den
Walfisch, so gefährlich dieselbe auch ist.
Es werden dazu große Schiffe aus-
gerüstet und mit den verwegensten Ma-
trosen bemannt. Ihr Weg geht in das
kalte Eismeer. Bis dahin, wo ewiges
Eis das Meer bedeckt, müssen die kühnen
Jäger vordringen. Sie sind bewaffnet
mit Harpune, Beil und Lanze. — Die
Walfische leben in Gesellschaften bei ein-
ander. Es hält aber schwer, dieselben
aufzufinden. Oft irrt das Schiff wochen-
lang ohne jede Spur umher. Endlich
zeigt das Meer-eine schwarze Färbung;
sie verkündigt die Nähe der Walsische.
Bald zeigen sich auch die von den
Tieren ausgestoßeneu Wasserstrahlen.
Die Mannschaft jubelt. Aber es ist
noch kein Jagdwetter. Bei der Stille,
die dumpf auf Meer und Himmel liegt,
läßt sich der Walfisch nicht beschleichen.
Wind, Regen und brandende Wogen will
der Seemann zur wilden Schlacht haben.
Er braucht auch nicht lauge zu warten.
Bald bewölkt sich der Himmel; bald
fährt der Sturm zwischen den Eismauern
dahin. Nun beginnt die Jagd. Die
Boote werden vom Schiffe Hinabgelaffen,
das Schlachtfeld zu umstellen. Die Jäger
springen hinein. Am Vorderteil steht der
Harpunierer, am entgegengesetzten Ende
der Führer des Bootes. Die anderen Vier haben zu rudern. Das
Boot stößt ab, schießt fort wie ein Pfeil. Es kommt dem Walfisch
näher, ohne daß dieser seinen Feind ahnt. Der Harpunierer erhebt
seinen Arm; zischend fliegt das Eisen aus der Faust, nachsaust die
Leine, ein roter Streif zieht über die Oberfläche des Waffers: der
Walfisch ist getroffen. Das erschreckte Tier bäumt hoch auf; im Nu
stürzt es in den Abgrund. In Sturmeseile schießt das Boot an der,
Leine dem fliehenden Tiere nach. Endlich steht das Tau. Der
Walfisch ist regungslos zu Grunde gesunken. Von allen Seiten eilen
Boote herbei, ihn zu umstellen. Endlich regt sich das Tau wieder.
Der Walfisch steigt empor, um zu atmen. Da fliegt ihm ein zweites
und drittes Geschoß zwischen die Rippen. Von neuem taucht er
hinab, um sich aus der mörderischen Schlinge zu befreien. Bald
56
kommt er wieder an die Oberfläche. Ein Boot naht sich ihm; der
Steuermann stößt ihm den Speer tief in den Leib. Das Tier ist
tödlich getroffen. Aus beiden Nüstern wirft es bis 12 Mtr. hoch
den Strahl, weithin alles mit blutigem Regen überschüttend. Noch
eine letzte Anstrengung zur Flucht macht der Walfisch. Aber eine
neue Lanze fährt ihm in den Schlund. Beilhiebe, Harpunenwürfe,
wildes Geschrei von allen Seiten! Bald ist das Meer eine rote
Lache geworden. Das Riesentier wendet sich auf die Seite und
verendet.
Unter solcher Arbeit und unter solchen Gefahren verlebt der
Walfischfänger die Sommerzeit im Eismeer. Wenn bei uns die
Wiesen grünen, beginnt in der kalten Meereswüfle seine Arbeit.
Und wenn bei uns der Herbst die Wälder entlaubt, kehrt er zurück.
Sein Schiff ist oft beschädigt, die Segel sind zerrissen, die Masten
zerbrochen, ein Teil der Mannschaft verletzt oder gar,getötet; aber
die Räume im Innern des Schiffes bergen Speck und Öl.
(Wetzet, Lesebuch.)
62. Betrachtung über ein Vogelnest.
Wenn du ein Finkennest in die Hand nimmst und es betrachtest,
was denkst du dazu? Getraust du dir auch so eins zu stricken, und
zwar mit dem Schnabel und mit den Füßen? — Ich glaub's nicht.
Ja, ich will zugeben: der Mensch vermag viel. Ein geschickter Künstler
mit zwanzig feinen Instrumenten kann nach vielen mißlungenen Ver-
suchen etwas herausbringen, das einem Finkennest gleich sieht, und
alle, die es sehen, können es von einem wirklichen Neste, das der
Vogel gebaut hat, nicht unterscheiden. Alsdann bildet sich der Künstler
etwas ein und meint, jetzt sei er auch ein Fink. Guter Freund,
dazu fehlt noch viel. Und wenn ein wahrer Fink, wie du jetzt auch
einer zu fein glaubst, dazu käme und könnte dein Machwerk durch-
mustern, wie der Zunftherr ein Meisterstück, so würde er den Kopf
ein wenig auf die Seite drücken und dich mit den Augen kurios
ansehen, und so er menschlich mit dir reden sonnte, würde er sagen:
„Lieber Mensch, das ist kein Finkennest! Ich mag's betrachten, wie
ich will; so ist's gar kein Vogelnest. So einfältig und ungeschickt
baut kein Vogel. Was gilt's, du Pfuscher hast's selber gemacht!"
Das wird zu dem Künstler der Fink sagen. — Ebenso ist es mit
dem Gespinst, worin sich eine Raupe einkleidet, ©in Mensch kann
kein Raupengespinst machen. Ich will ein Wort mehr sagen. Alle
Finkennester in der Welt sehen einander gleich vom ersten im Para-
diese bis zum letzten in diesem Frühlinge. Keiner hat's vom andern
gelernt, jeder kann's selber. Die Mutter legte ihre Kunst schon in
das Ei. Eben so alle Spinnengewebe, ein jedes nach seiner Art.
Man weiß es wohl, aber man denkt nicht daran. Noch ein Wort
mehr. Das erste Nest eines Finken ist schon so künstlich wie sein
letztes. Er lernt's nie besser. Ja, manches Tierlein braucht sein
Gespinst nur einmal in seinem Leben und braucht nicht viel Zeit
57
dazu. Es wäre übel daran, wenn eS zuerst eine ungeschickte Arbeit
machen müßte und denken wollte: Für dieses Jahr ist's gut genug,
über's Jahr mache ich's besser. — Noch ein Wort mehr! Jedes
Vogelnest ist ganz vollkommen und ohne Tadel, nicht zu groß und
nicht zu klein, nicht zu wenig daran und nicht zu viel, dauerhaft für
den Zweck, wozu es da ist. In der ganzen Natur sind lauter Meister-
stücke. (Hebel.)
63. Das Ei des Vogels.
Auch das kleinste Ei ist merkwürdig. Es bestellt aus
dem durchsichtigen Eiweiss und dem gelben Dotter. Eine harte,
kalkartige Schale umgiebt diese inneren Teile und schützt sie
vor Verletzungen. Dicht unter der Schale liegt noch eine feine,
aber feste Haut; die verhütet den Druck der harten Schale
auf die weichen Teile. So hüllt die liebende Mutter ihr zartes
Kindlein in Tücher ein und legt die feinen zunächst um die
Glieder des Kleinen. Betrachte aber einmal das Dotter ge-
nauer! An der einen Seite desselben entdeckst du eine kleine
linsenförmige Karbe. Man nennt sie den Keim, und sie ist
der Anfang zum künftigen Vogel, zum Zaunkönig, wie zum
Schwan. Selbst jene flüssigen Teile sind nur eine Hülle; sie
dienen dem werdenden Vögelchen zur ersten Nahrung, so lange
es nicht die Schale sprengt und von den Eltern gefüttert wird
oder sich selbst seine Speise suchen kann. Sie sind dem jungen
Vogelkinde gleichsam die erste Muttermilch, durch welche es
erhalten wird, bis es fähig wird, stärkere Kost zu gemessen.
Wenn nun die Brutwärme des Vogel Weibchens das Ei
dnrchdringt, regt sich der wohlverwahrte Keim und entwickelt
sich zu einem Vöglein, das endlich die umgebende Schale zer-
sprengt und hervordringt. Die Kraft des schwachen Tierchens,
womit es hervorbricht, ist bewunderswert. Wie kann doch
überhaupt im Ei, das eines Kindes Finger zu zerdrücken ver-
mag, solches Leben wohnen! Ja, hier ist Gottes Walten!
(Haesters Lesebuch.)
Des Vogels Freude.
64.
An blauer Luft
über Berg und Kluft
läßt du lustig dein Lied erklingen,
schwebest hin und her
in dem blauen Meer,
dir zu kühlen die luftigen Schwingen.
Wo die Wolke saust,
wo der Waldstrom braust,
kaunst du auf, kannst du nieder schweben,
so mit einem mal
aus der Luft ins Thal:
ach, was führst du ein herrliches Leben!
(Dcinhardstein.)
65. Vom Nutzen der Singvögel.
Die meisten kleinen Vögel leben von tierischer Kost. Sie ver-
58
schlingen zahllose Jnsekteneier, Larven, Raupen, Schmetterlinge,
Fliegen, Mücken, Käfer, Ameisen, Schnecken, Blattläuse und Würmer.
Die sehr stark sich vermehrenden Meisen sind für Büsche, Obst-
und Waldbäume von großer Wichtigkeit, indem sie die Raupen, schon
che sie auskriechen und Verwüstungen anrichten, im Ei millionen-
weise verzehren. Unaufhörlich streifen sie bald in kleinen Gesellschaften
von ihresgleichen, bald im Gefolge von Baumläufern, Specht-
meisen und Goldhähnchen im Winter und im Sommer von Baum
Zu Baum. Sie durchsuchen die aufgerollten Blätter, die Zweige,
Alte und Stämme und picken die Insektenbrut hastig weg. Schwalben
und Rotschwänzchen haschen bei Tage, Nachtschwalben am Abend
ganze Schwärme von Mücken. Finken, Häher und Dohlen fassen
den Nonnenfalter und Kiefernspinner. Auch die Sperlinge sind
unter die vorwiegend nützlichen Vögel zu zählen. Man wendet viel-
leicht ein, daß der Schaden, den sie an Kirschbäumen, in Getreide
und allerlei Sämereien anrichten, ihren Nutzen überwiege. Ich zweifle
aber daran. Denn die Jungen haben einen äußerst starken Appetit
und werden mit Larven, Heuschrecken, Raupen, Mistkäfern, Würmern,
Ameisen u. dgl. geätzt oder gefüttert, und Junge sowohl wie Alte
füllen im Nachsommer, Herbst und Winter ihre Kröpfe unablässig
mit Samen von Unkraut.
Alle Grasmückenarten, die Bachstelzen, die Zaunkönige,
Steinschmätzer, Lerchen, Finken, Ammern, Baumläufer,
Wendehälse und die kleinen Würger sind treffliche Jnsekten-
jäger, besonders auch die Fliegenschnäpper, die man aber von
den Bienenstöcken, in deren Nähe sie sich gern einquartieren, fern
halten muß. Die Drosselarten wiegen in weinbauenden Gegenden
zeitweise den Schaden, den sie an den Trauben anrichten, kaum auf,
verdienen aber in allen übrigen Revieren Schonung, da sie die ver-
derblichen Erdraupen zu Tausenden auffreffen. Dies thun besonders
auch die lieben, behenden Stare. Sie verzehren eine außerordent-
liche Masse von Würmern, Schnecken, Raupen, Maulwurfsgrillen,
Heuschrecken und Engerlingen. Selbst dem weidenden Vieh (wie auch
die gelbe Bach- oder Kuhstelze thut) lesen die Stare die Maden,
Zecken, Bremsen und Stechfliegen ab. Ihre Jungen sollten daher
nie ausgenommen werden.
Auch für die Lerchen möchte ich Fürbitte einlegen. In
Mitteldeutschland werden sie barbarischerweise zu Hunderttausenden
gewürgt. Schon die Mäuse, Wiesel, Katzen und Raubvögel stellen
ihnen heftig genug nach. Die Lerchen vertilgen Kerbtiere oder In-
sekten und Unkrautsamen in Masse und sind wahre Wohlthäterinnen
unserer Felder. Es sollte daher dieser greuliche Unfug, die Lerchen
zu fangen, bei uns nicht geduldet werden.
(Tschudi.)
66. Las Wachtelnest.
Auf den Huten Band und Flitter zog hinaus die Schar
der Schnitter in das reife Roggenfeld; und die ersten Sicheln
Idangen, und die scheuen Tiere sprangen schnell aus ihrem
Halmenzelt.
Eine Wachtel blieb noch sitzen, bis sie sah die Sichel
blitzen um ihr Meines, niedres Haus. Ihre Jungen zu be-
decken, weilte sie. Das nahe Schrecken trieb zuletzt sie doch
hinaus.
Und der Schnitter rief dem Knaben: „Hänschen, willst
du Vögel haben? Sieh’ nur, sieh7 ein Wachtelnest!“ Und
der Knabe kam gesprungen, nahm das Nest voll nackter Jungen,
hielt die teure Beute fest.
Und er pfiff und sprang vor Freuden und erwog, wie
ihn beneiden würde der Gespielen Schar. Und inzwischen kam
gegangen Martha mit den Mannen Wangen, die ein Jährchen
älter war.
„Schicester, sieh nur, ivas ich habe! junge Wachteln!“
rief der Knabe aus der Fern’ ihr fröhlich zu. — „Ach, die
armen nackten Kleinen!“ — sprach mit halbersticktem Weinen
Martha — „lass sie doch in Ruh!“
„Nicht doch! — will sie füttern, tränken, ivill davon dir
eine schenken,“ meinte Hänschen hoch entzückt, und der Vetter
Hans in Plauen soll uns einen Käfig bauen, den ein hübsches
Türmchen schmückt!
„Bruder, weifst du, was ich denke? — Gieb die Vöglein
her, ich schenke sie der armen Wachtel dort. Hörst du sie
nicht ängstlich klagen? Kinder — will sie damit sagen —
ach, begehet keinen Mord!
Weifst du noch, wie Mutter weinte und sich härmt’, als
jüngst sie meinte, unser Brüderchen sei tot? Als ihn drauf
der Alte brachte, wie sie das so fröhlich machte lind sie Geld
dem Greise bot?
Sieh! so wird’s die Wachtelmutter, die im Schnablein noch
das Futter für die zarten Jungen trägt, auch zu neuer Lust
beleben, wenn wir ihr die Kindlein geben, für die bang das
Herz ihr schlägt.
Und der liebe Gott dort oben, den die Vöglein freudig
loben, hat uns noch einmal so lieb. Kannst du dich denn
nicht besinnen, ivas der fromme Lehrer drinnen an die schwarze
Tafel schrieb?“
„„Kinder, auch das Tier hat Rechte. — Quält es ja
nicht, der Gerechte nimmt sich auch des Würmchens an. Der
Gequälten Todesringen sieht der liebe Gott; es dringen ihre
Seufzer himmelan.““
Und der gute Knabe hörte, was die Schwester
fromm ihn lehrte, und empfand der Wachtel Schmerz.
„Nein, das Tierchen soll nicht klagen!“ — sprach er
60
- Martha, komm, wir tragen flags die Kindlein ihr
ans Herz.11
Und sie legten fromm und bieder die geraubten
Jungen nieder in ein nahes Gerstenfeld, sahn der
arrnen Wachtel Freude, hüp ften sor t und f iiFiten beide
froher sich in Gottes Welt.
(Berthelt, Lebensbilder II.)
67. Die größten und die kleinsten Vögel.
Die kleinsten
Vögel, die man
kennt, heißen Koli-
bri. Sie sind in
Südamerika da-
heim, haben wun-
derschöne Farben
von Gold- und
Silberglanz, legen
Eier, die nicht
größer sind, als
eine Erbse, und
werden nicht mit
Schrot geschossen,
sondern mit kleinen
Sandkörnlein, weil
sonst nichts Ganzes
an ihnen bliebe.
In ihrer Nachbar-
schaft wohnt eine
Spinne, die so
groß ist, daß sie diese armen Tierlein
wie Mücken fängt und aussaugt.
Der größte aller Vögel, die fliegen
können, ist der Kondor, ein Lands-
mann des Kolibri. Er mißt mit ausge-
spannten Flügeln über 4 Meter, seine
Flügelfedern sind vorn einen Finger dick; das Rauschen seiner Flügel
gleicht einem fernen Donner.
Noch größer als der Kondor ist der Strauß in den Wüste-
neien von Asien und Afrika, der aber wegen seiner Schwere und
wegen der Kürze seiner Fittige gar nicht fliegen kann, sondern immer
auf der Erde bleiben muß. Dafür nimmt er es aber auch im
Laufen mit dem flinksten Roß und mit dem geschicktesten Reiter auf.
Er trägt seinen Kopf beinahe 3 Meter hoch, so daß er dein Reiter
über den Hut hinwegsehen und ihm, wie einem guten Freund, etwas
ins Ohr sagen könnte, wenn ihm nicht Vernunft und Sprache ver-
sagt wären. (Hebel.)
61
68. Der Sperling.
Kein anderer kleiner Vogel ist bekannter; er ist überall zu
Hause, auf dem Hofe, auf der Straße und im Felde, einzeln, und
wo es was zu schmausen giebt, in großen Scharen. Wir sehen ihn
selten aufmerksam an und kennen sein buntes Kleid nicht genau.
Sein blaugrauer Scheitel zeigt an den Seiten tiefbraune Streifen,
eben solche hat der rostfarbene Oberrücken. Über die Flügel geht
eine weiße Binde, und der Vorderhals trägt einen schwarzen Flecken.
Die Weibchen und die Jungen sind oben rotgrau, unten schmutzig
weißgrau.
Der Sperling liebt seine Heimat und verläßt kaum seinen Ge-
burtsort, ist auch im Winter bei uns und lernt jeden Schlupfwinkel
und jedes Plätzchen kennen, an dem er etwas für seinen Schnabel
finden oder sich vor einem Verfolger sichern kann. Jede Gefahr er-
regt seine Aufmerksamkeit. Bücke dich nach einem Steine, und schon
warnt ein Piep die Gefährten, richte das Blaserohr nach der Dach-
kante, und ein warnender Ruf scheucht die ganze Reihe fort. Ist
aber die Gefahr vorüber, gleich ist Spätzchen wieder da. Er unter-
scheidet auf dem Hofe sehr gut, wer ihm wohl will, und wen er zu
fürchten hat, flieht darum vor den Knaben, weniger vor Männern,
am wenigsten vor Mädchen und Frauen. Die Brotkrumen vor dem
Fenster pickt er gewiß nicht, oder nur sehr vorsichtig, wenn das Fenster
offen steht.
Am häufigsten wohnt er in Dörfern mit reicher Getreideflur,
in Walddörfern ist er viel seltener. Getreideschober, Kornböden, die
Plätze vor dem Scheunthore, das sind seine gelobten Länder im
Winter, seine immer gefüllten Speisekammern. Werden die Hühner,
Tauben und anderes Federvieh auf dem Hofe gefüttert, ist er allzeit
der ungebetene Gast, pickt der sanften Taube das Gerstenkorn weg,
weicht dem Schnabel des Haushahns geschickt aus, schlüpft unter dem
Truthahn weg und stillt ungestört seine Eßgier. Er scheut sogar
Zank und Streit dabei nicht und ist unter seines Gleichen oft ein
großer Höndelmacher. Darum hat er auch so viele Feinde, und man
kann wohl sagen, er legt sich immer hungernd und lungernd aufs
Diebshandwerk, scheut weder Strohmann noch Scheuche und eignet sich
wohl gar fremde Nester an.
Auch manchen anderen Schaden richten die Sperlinge an.
Weder die reifenden Ähren, noch die Mandeln des Feldes sind vor
ihnen sicher, und wehe dem Hanfe, der zu lange auf dein Acker steht!
Von Obst und Wein nimmt er die Erstlinge, nur Netze sichern das
Weingeländer. Daruin verfolgte man den Graurock früher schonungs-
los und vergaß des Nutzens, ben er nebenbei leistete. Weiin man
bedenkt, daß im Frühjahr, und ehe Samenkörner reis sind, ein einziges
Sperliugspaar jede Woche an 3000 Raupen vertilgt, dann mag man
ihin wohl etliche Kirschen gönnen oder Kornähren.
Im April baut er sich aus Stroh, Federn unb Fasern ein
62
kunstloses Nest in hohlen Baumstämmen, in Viehställen oder unter
dem Dache der Wohnhäuser und wölbt es oben zu, wie einen Sack,
und das Weibchen legt bis sechs braungrau gefleckte Eier. Sobald
die Jungen erwachsen sind, bauen sie abermals und wohl zum dritten-
male. — Jetzt lebt er in allen Ländern der Erde, wohin sich der
Ackerbau verbreitet hat, und vor etlichen Jahren nahm ein Schiff
300 Spatzen mit nach Neu-Seeland zum Dienst gegen Raupen
und andere Feinde der Obstpslanzungen.
(Prc u ß, Kinderfreund.)
69. Spatzenfeindschaft und Spatzenfrenndschaft.
(* Von Lina Grafs.)
Ihr unverschämten Spatzen hier.
Hört auf zu räsonnieren.
Sonst laß ich euch vor meiner
Thür
Als Bettler arretieren.
Kaum seid ihr aus dem Ei heraus.
Streift ihr schon ab die Windel
Und zieht in alle Welt hinaus
Als kleines Raubgesindel.
Radieschen und das Erbsenbeet
Sind Frühlings-Leibgerichte,
Weshalb ihr auch als Räuber steht
In der Naturgeschichte.
So seid ihr überall bekannt
In Stadt und Dorfes Mitten,
Seid schlimme Bettler nur von
Stand
Und nirgends wohlgelitten.
Und dennoch bin ich euch so gut.
Euch kleinen muntern Dieben,
Selbst wenn ihr mir auch Schaden
thut.
Muß ich euch herzlich lieben.
Zwar flotte Sänger seid ihr nicht.
Euch will kein Lied gelingen;
Doch eu'r Gezwitscher hell und
schlicht
Scheint mir gar traut zu klingen.
Wenn früh die Schwalben heim-
wärts ziehn
In Frack und weißer Weste,
Im grauen Röcklein zieht ihr kühn
In die verlaß'nen Nester.
Wenn draußen Schnee im Felde
liegt.
Läßt keins die Flügel hangen;
„Er ist — so zwitschert ihr ver-
gnügt —
Noch allemal vergangen!"
Und wenn die Magd den Hühnern
streut.
Und wenu's den Entlein schmecket.
Denkt ihr: „Hurra! jetzt ist es Zeit,
Das Tischlein ist gedecket."
Und kommt einmal die knappe
Zeit,
Da zwitschern meine Spatzen:
„Was thut's, die Menschen haben
heut
Ihr Teilchen auch zu kratzen." —
O, jagt mir nicht die Spatzen fort,
Sie haben auch ihr Gutes;
Zu jeder Zeit, au jedem Ort
Da sind sie guten Mutes,
Brosämleiu streut für sie hinaus.
Weist sie nicht von der Thüre;
Gott gab ja Brot für alle
aus.
Gönnt ihnen auch das Ihre.
VI.
Glück und Glas wie bald bricht das! Lasset uns Gutes thun und nicht
müde werden! Unrecht Gut thut nicht gut, und böser Gewinn fährt schnell dahin.
Einem Lügner glaubt niemand, auch wenn er die Wahrheit spricht. Biege den
03
Baum, wenn cr jung ist. Schon die Natur lehrt uns, daß eS einen Gott giebt.
Nicht nur den Freund, sondern auch den Feind soll der Christ lieben. Das
reine Wasser hat weder Farbe, noch einen merklichen Geruch. Der Walfisch
hat einen weiten Rachen, aber nur einen kleinen Schlund. Die Gewitter richten
oft großen Schaden an, jedoch sind sie unentbehrlich. „Je höher du bist, desto
mehr demütige dich", sagt Luther. Muß man nicht das Eisen schmieden, während
es noch warm ist? Obgleich der Strauß ein Vogel ist, so kann er doch nicht
fliegen. Denke nach, ehe du sprichst. Wo du etwas Gutes thun kannst, da
mußt du es thun. Das Ackerland wird entweder gepflügt oder gegraben.
Teils werden die Heringe gesalzen oder geräuchert, teils werden siegebraten oder
sauer eingekocht.
70. I)ei- Zaunkönig. (S. l. Abtl. S. 177.)
In der alten Zeit, xda hatte jeder Klang noch Sinn 2und
Bedeutung. 3 Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, 4 so
rief er: „Smiet mi to! Smiet mi to!“ 5Wenn der Hobel des
Tischlers schnarrte, 6so sprach er: „Dor hast! Dor hast!“
Fing das Räderwerk der Mühle an zu klappern, 7so sprach
es: ,.Help, Herr Gott! Help, Herr Gott!“ 8und war der Müller
ein Betrüger 9und liess die Mühle an, 10 so sprach sie hoch-
deutsch und fragte erst langsam: „Wer ist da? Wer ist da!“
dann antwortete sie schnell: „Der Müller! Der Müller!“ und
endlich -ganz geschwind: „Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom
Scheffel drei Liter.“
Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache,
die jedermann verstand; jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern,
Kreischen und Pfeifen und bei einigen wie Musik ohne Worte.
Es kam aber den Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger
olme Herrn sein und einen unter sich zu ihrem König wählen.
Nur einer von ihnen, der Kibitz, war dagegen: frei hatte er
gelebt und frei wollte er sterben, und angstvoll hin und her
fliegend, rief er: „Wo bliew ick? Wo bliew ick? Er zog
sich zurück in einsame und ungesuchte Sümpfe und zeigte sich
nicht wieder unter seinesgleichen.
Die Vögel wollten sich nun über die Sache besprechen,
und an einem schönen Maimorgen kamen sie alle aus Wäldern
und Feldern zusammen, Adler und Buchfink, Eule und Krähe,
Lerche und Sperling, was soll ich sie alle nennen? Selbst der
Kuckuck kam und der Wiedehopf, sein Küster, der so heisst,
weil er sich immer ein paar Tage früher hören lässt; auch ein
ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich
unter die Schar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache
nichts gehört hatte, verwunderte sich über die grosse Ver-
sammlung. „Wat, wat, wat is denn dor to don?“ gackerte es;
aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte: „Luter
riek Lüd,“ und erzählte ihr, was sie vorhätten. Es ward aber
beschlossen, dass der König sein solle, der am höchsten fliegen
kömie. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche safs, rief, als er das
hörte, warnend: „Natt, natt, natt! Natt, natt, natt!“ weil er
64
meinte,' es würden deshalb viel Thränen vergossen werden.
Die Krähe aber sagte: „Quark ok!" es sollte alles friedlich
abgehen.
Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem
schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen
könne: „Ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend
kam, da konnte ich nicht mehr." Auf ein gegebenes Zeichen
erhob sich also die ganze Schar in die Lüfte. Der Staub stieg
da vom Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen
und Fittigschlagen, und es sah aus, als wenn eine Wolke dahin
zöge. Die kleineren Vögel aber blieben bald zurück, konnten
nicht weiter und fielen wieder auf die Erde. Die grösseren
hielten's länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleich
thun; der stieg so hoch, dass er der Sonne hätte die Augen
aushacken können. Und als er sah, dass die Andern nicht zu
ihm herauf konnten, so dachte er: „Was willst du noch höher
fliegen, du bist doch der König,“ und fing an, sich wieder herab
zu lassen. Die Vögel unter ihm riefen ihm zu: „Du musst
unser König sein, keiner ist höher geflogen, als du.“ „Aus-
genommen ich," schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich
in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte. Und da er
nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, dass er
Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Als er aber so
weit gekommen war, legte er seine Flügel zusammen, sank
herab und rief unten mit feiner, durchdringender Stimme:
„König bün ick! König bün ick!"
„Du unser König?" schrien die Vögel zornig; „durch
Bänke und Listen hast du es dahin gebracht." Sie machten
eine andere Bedingung: der solle ihr König sein, der am tief-
sten in die Erde fallen könne. Wie klatschte da die Gans mit
ihrer breiten Brust nieder auf das Land! Wie scharrte der
Halm schnell ein Loch! Die Ente kam am schlimmsten weg,
sie sprang in einen Graben, verrenkte sich aber die Beine und
watschelte fort zum nahen Teiche mit dem Ausruf: „Pracher-
werk! Pracherwerk!" Der Kleine ohne Namen aber suchte
ein Mauseloch, schlüpfte hinab und rief mit seiner feinen Stimme
heraus: „.König bün ick! König bün ick!"
„Du unser König?" riefen die Vögel noch zorniger,
„meinst du, deine Listen sollten gelten?" Sie beschlossen, ihn
in seinem Loch gefangen zu halten und auszuhungern. Die
Eule ward als Wache davor gestellt: sie sollte den Schelm nicht
herauslassen, so lieb ihr das Leben wäre. Als es Abend ge-
worden war und die Vögel von der Anstrengung beim Fliegen
grosse Müdigkeit empfanden, so gingen sie mit Weib und Kind
zu Bett, Die Eule allein blieb bei dem Mäuseloch stehen und
blickte mit ihren grossen Augen unverwandt hinein. Indessen
war sie auch müde geworden und dachte: „.Ein Auge kannst
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du wohl zu thun, du wachst ja noch mit dem andern, und der
kleine Bösewicht soll nicht aus seinem Loch heraus." Also
that sie das eine Auge zu und schaute mit dem andern steif
auf das Mäuseloch. Der kleine Kerl guckte mit dem Kopfe
heraus und wollte wegwitschen; aber die Eule trat gleich da-
vor, und er zog den Kopf wieder zurück. Dann that die Eule
das eine Auge wieder auf und das andere zu, und wollte so
die ganze Nacht abwechseln. Aber als sie das eine Auge
wieder zu machte, vergass sie, das andere aufzuthun, und so-
bald die beiden Augen zu waren, schlief sie ein. Der Kleine
merkte das bald und schlüpfte weg.
Von der Zeit an darf sich die Eule nicht mehr am Tage
sehen lassen, sonst sind die Vögel hinter ihr her und zerzausen
ihr das Fell. Sie fliegt nur zur Nachtzeit aus, hasst aber und
verfolgt die Mäuse, weil sie solche böse Löcher machen. Auch
der kleine Vogel lässt sich nicht gern sehen, weil er fürchtet,
es gehe ihm an den Kragen, wenn er erwischt werde. Et
schlüpft in den Zäunen herum, und wenn er ganz sicher ist,
ruft er zuweilen: „König bün ick!" und deshalb nennen ihn die
andern Vögel aus Spott Zaunkönig.
(Gebrüder Grimm.)
71. Die Elster und der Kiebitz.
Unter den Rabenarten ist keine so schön geschmückt, als die
Elster; denn neben schwarzen nnd weißen Federn besitzt sie auch
grüne, violett und blau schillernde, namentlich auf dem Rücken, in
den Flügeln und in dem langen, keilförmigen Schwänze. Der
Schnabel ist stark und am Grunde mit vonvärts gerichteten Borsteir-
federn besetzt.
Sie Hält sich am liebsten in größeren Baumgärten in der Nähe
menschlicher Wohnungen auf und durchstreift von da aus die nächste
Umgegend. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich in Insekten und
Würmern, doch verzehrt sie auch Mäuse und verfolgt mit großer
Begier die kleinen Singvögel und deren Junge. Will inan daher
den Gesang der Vögel und ihre Hülfe beim Wegfangen der Raupen
nicht entbehren, so muß man dafür sorgen, daß sich die Elstern nicht
zu stark vermehren.
Junge Elstern lassen sich leicht zähmen und lernen Worte
nachsprechen. Wegen ihrer Neigung, glänzende Dinge zu verstecken,
ist es aber nicht sehr ratsam, sie im Hause zu halten, wie folgende
Geschichte beweist.
In dem Hause eines Bürgers zu Paris, in dem eine Elster
frei umher lief, kam kurz hintereinander viel Silberzeug weg. Der
Verdacht fiel auf die Magd im Hause, und der Mann war so er-
zürnt, daß er diese dem Gericht übergab. Da sie leugnete, wurde
sie nach damaliger Sitte auf die Tortur gebracht, und gestand hier,
um von den unerträglichen Qualen befreit zu werden, das an-
Schraep, Lese- und Lehrbuch II., 2. 5
66
geschuldigte Verbrechen ein, und sie wurde hingerichtet. Ein halbes
Jahr nachher aber fanden sich bei der Ausbesserung eines alten
Daches die sämtlichen vermißten Gegenstände in einem Schlupfwinkel
der Elster wieder. Der Bürger, welcher seine Magd angeklagt hatte,
war nun außer sich vor Betrübnis und Reue und stiftete zu seiner
Beruhigung für das unschuldig Hingerichtete Mädchen eine Messe,
welche man die Elstermesse nannte.
Der Kiebitz gehört zu den Sumpfvögeln; denn erstens lebt er
überall, wo er sich findet, auf feuchten, sumpfigen Wiesen, und zweitens
hat er ziemlich lange Füße, die über der Fußbeuge noch eine Strecke
weit nackt sind. Sein Gefieder ist schön, an der Kehle und Brust
tief schwarz, am Bauche weiß, auf dem Rücken dunkelgrün und bronze-
farben glänzend. Den Kopf ziert ein ziemlich langer Federbusch.
Wer gern bunte Kleider trägt, pstegt heiterer und beweglicher
Natur zu sein. Bei unserm Kiebitz trifft das auch zu. Wer Gelegen-
heit gehabt hat, ihn zu beobachten, der wird gesehen haben, daß er
unaufhörlich, bald fliegend, bald laufend, in Bewegung ist, bei Mond-
schein sogar des Nachts. Er läuft sehr schnell, und fliegt so vor-
züglich, daß er die schwierigsten Wendungen mit der größten Geschicklich-
keit auszuführen vermag. Während des Fliegens läßt er sein lautes
„Kiewit" hören, besonders wenn man sich seinem Neste nähert.
Drohet ihnen zur Zeit, wo sie Eier oder Junge haben, Gefahr, so
zeigen sie sich mutig und listig; Krähen, welche ihrem Neste zu nahe
kommen, erhalten heftige Schnabelstöße, und Hunde werden durch
Geschrei, in welches alle in der Nähe wohnenden mit einstimmen,
erschreckt und in die Flucht gejagt. Um das Nest nicht zu verraten,
fliegt das Weibchen nicht sogleich auf, wenn sich jemand nähert,
sondern läuft in geduckter Stellung eine weite Strecke fort und erhebt
sich dann schreiend. Bleibt man in der Nähe des Nestes, so wird
man von: Männchen und Weibchen unaufhörlich fliegend umkreist,
und durch lautes und klägliches Geschrei um Schonung angerufen.
Die Kiebitzeier sind groß, fast birnförmig, olivenfarbig, schwarz
und braun gefleckt und schmecken sehr gut.
Als Nahrung dienen dem Kiebitz vorzüglich Insekten, Regen-
würmer und Schnecken. Da diese Tiere im Winter bei uns nicht
leicht zu haben sind, so verläßt der Kiebitz im Herbst Deutschland
und begiebt sich nach den wärmeren Teilen Europas, kehrt jedoch
schon im März wieder zurück. (A. Lüben.)
72. Der Nabe und die Taube Noahs.
Ängstlich blickte Noah umher aus seinem schwimmenden Kasten,
und wartete, bis die Wasser der Sündflut fielen. Kaum sahen der
Berge Spitzen hervor, als er alles Gefieder um sich rief: „Wer,"
sprach er, „unter euch will Bote sein, ob unsere Rettung nahe ist?"
Da drängte sich vor allen der Rabe hervor mit großem Ge-
schrei; er witterte nach seiner Lieblingsspeise. Kaum war das Fenster
67
geöffnet, so flog er hin und kehrte nicht zurück. Der Undankbare
vergaß des Retters und seines Geschäfts; er hing am Aase.
Aber die Rache blieb nicht aus. Noch war die Luft von
giftigen Dämpfen voll, und schwere Dünste hingen über den Leichen;
die benebelten ihm sein Gesicht und schwärzten seine Federn.
Zur Strafe seiner Vergessenheit ward ihm auch sein Gedächtnis
wie sein Auge düster; selbst seine neugebornen Jungen erkennet er
nicht und genießt an ihnen keine Vaterfreude. Erschrocken über ihre
Häßlichkeit flieht er hinweg und verlässet sie. Der Undankbare zeugt
ein undankbar Geschlecht; entbehren muß er des schönsten Lohns, des
Dankes seiner Kinder.
Acht Tage hatte der Vater der neuen Welt auf die Wiederkunft
des trägen Raben gewartet, als er aufs neue seine Scharen um sich
rief, Kundschafter auszuwählen. Schüchtern flog die Taube auf seinen
Arm und bot sich an zur Sendung.
„Tochter der Treue," sprach Noah, „du wärst mir wohl eine
Dienerin guter Botschaft; wie aber willst du deine Reise thun und
dein Geschäft vollenden? Wie, wenn dein Flügel ermattet und dich
der Sturm ergreift, und wirst dich in die trübe Welle des Todes?
Auch scheuen deine Füße Schlamm, und deiner Zunge widert unreine
Speise."
„Wer," sprach die Taube, „giebt den Müden Kraft und Stärke
genug den Unvermögenden? Laß mich, ich werde dir gewiß eine
Dienerin guter Botschaft."
Sie entflog und schwebte hin und her, und nirgend fand sie,
wo sie ruhen könnte; schnell erhob sich vor ihr der Berg des Para-
dieses mit seinem grünenden Wipfel. Über ihn hatten nichts ver-
mocht die Wasser der Sündflut, nnb der Taube war die Zuflucht zu
ihm unverboten. Freudig eilte sie und flog hinan und ließ demütig
sich am Fuß des Berges nieder. Ein schöner Ölbaum blühete da:
sie brach ein Blatt des Baums, eilte gestärkt zurück und legte den
Zweig auf des schlummernden Noah Brust.
Er erwachte und roch daran den Geruch des Paradieses.
Da erquickte sich sein Herz; das grüne Friedensblatt erquickte
die Seinigen, bis ihm sein Retter selbst erschien, bekräftigend der
Taube gute Botschaft.
Seitdem ward die Taube Dienerin der Liebe und des Friedens.
(Herder.)
73. Vergesset der armen Vögelein nicht!
Wenn draußen erstorven die ganze Watur,
Won Leven auch nicht mehr die mindeste Spur,
Die Melder so leer und die Gärten verschneit.
Dann yaöen die Vögekein traurige Zeit.
Ahr Menschen, dann sei es euch heilige WMcht:
Dergesset der armen Vögelein nicht!
5*
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Wenn Sannen erstarren von Anst nni> von Lis,
Wenn Kecken erglänzen wie Kilver lo weiß,
And blicket die Sonne stets bleicher und schwächer
Auf rauchende Kütten und schneeige Dächer,
Dann bittet am Kenster manch Kindergestcht:
Mergesset der armen Mögelein nicht!
Wenn frierende Mädchen in bitterer Mot
Sich schüchtern erbetteln ihr Stücktein Brod,
Wenn Weiche bei Tische stch freuen des Lebens,
Möcht da nicht an's Aenstcr manch Möglein vergebens,
Wenn es ihm an Kutter und allem gebricht.'
Mergesset der armen Mögelein nicht!
Das älteste Mütterkein kann ja noch spinnen,
Der ärmste Tag'löhner noch etwas gewinnen,
Sie haben ihr Wrot und ihr heimisches Dimmer —
Wir Mögelein aber, bedenkst du es immer!
Wir haben kein Stübtein, kein Aettchen, kein Lickt —
Mergesset der armen Mögelein nicht!
Wir sind ja so arm und herzlich zufrieden,
Wenn uns nur die kleinsten Brosamen veschieden;
Ihr gebt ja so willig ein Scherflein den Armen,
Wollt ihr euch denn nicht auch unser erbarmen!
Warmherzigen wird ja ein selig Gericht.
Mergesset der armen Mögelein nicht!
Wir werden den Dank euch im Krühling schon bringen
And gerne die lieblichsten Lieder euch singen;
Dann seid ihr erst froh und denket daran,
Daß ihr uns im Winter so Gutes gethan;
Auch denkt vielleicht Mancher noch an das Gedicht:
Mergesset der armen Mögclein nicht!
(Aus dem Sonntagsb.)
74. Die europäische Flußschildkröte.
Die Schildkröten gehören zu den Amphibien und sind die
wunderlichsten Geschöpfe, die es giebt. Während andere Tiere, wie
der Hund, die Gans, der Frosch und viele andere die Knochen im
Innern, unter dem Fleische, haben, tragen die Schildkröten sie wie
einen Rock auf dem Leibe. Der obere Teil dieses Knochenpanzers
wird dadurch gebildet, daß die acht Paar Rippen fest mit einander
»erwachsen. Der untere entsteht aus den Knochen des Brustbeins.
Beide Knochenplatten sind äußerlich in Schilder abgeteilt, die des
Rückens in 13, die der Unterseite in 12; außerdem zeigt der Rand
des oberen Teiles noch 25 kleinere Schilder. Die seitliche Ver-
bindung des Rücken- oder Brustschildes wird durch Knorpel bewirkt
und ist nicht sehr fest.
Der Rückenschild ist von einer dünnen, hornigen Schale bedeckt,
69
die der Haut entspricht, mit der andere Tiere
überzogen sind. Bei mehreren im Meere
lebenden Schildkröten ist diese Schale so schön,
daß man sie ablöst und zu Kämmen, Dosen
und anderen Schmucksachen verarbeitet.
Kopf, Beine und Schwanz ragen aus
dem Knochenpanzer hervor; das Tier besitzt
aber das Vermögen, diese Teile zurückzuziehen,
und thut dies auch, wenn ihn: Gefahr droht.
Die Kiefer sind zahnlos, aber scharfschneidig,
wie ein Vogelschnabel. Die Zehen sind durch
Schwimmhäute verbunden und mit starken
Krallen versehen.
Unter den Sinneswerkzeugen sind die
des Geruchs und Gehörs am wenigsten ent-
wickelt. Das Auge gleicht dem der Vögel
in: Baue. Die Zunge ist dick, fleischig, mit
zahlreichen Geschmackswärzchen und daher auch
Landschildkröte. gewiß mit der Fähigkeit des Schmeckens
versehen.
Die Nahrung der Flußschildkröten besteht in Fleisch und Ge-
müse, d. h. in kleineren Fischen, Schnecken, Wasserinsekten, Regen-
würmern unb Pflanzen. Wenn es sein muß, so können sie auch
6 bis 8 Monate lang hungern. In der Gefangenschaft gewöhnen
sie sich an allerlei Küchengewächse, Brot und Fleisch.
Der Name „Flußschildkröte" ist nicht ganz passend für das
Tier gewählt; denn überall, wo es sich findet, z. B. im nordöstlichen
Deutschland und in Süd-Europa, lebt es nur in sumpfigen, inorastigen
Gegenden und an stillstehenden Gewässern. Der Aufenthalt im
Wasser wird häufig mit den: auf dein Lande gewechselt.
Im Frühjahre legt die Schildkröte 20 bis 30 ziemlich hart-
schalige Eier, von der Größe der Taubeneier, vergräbt sie in den
Sand, und läßt sie von der Sonne ausbrüten, ohne sich weiter darum
zu bekümmern. Die Jungen kriechen im Juni aus, haben eine weiße
Schale und erreichen bis zum Herbst etwa die Größe eines Zehn-
pfennigstückes. Ihrer großen Lebenskraft ungeachtet wachsen sie sehr
langsam und erreichen ein hohes Alter.
Das Fleisch der Flußschildkröte ist eßbar und liefert namentlich
vortreffliche Suppen. (Lüben.)
75. Die Krokodile.
Der lang gestreckte Körper dieser Tiere ist nur an einzelnen Stellen
mit einer weichen Haut, zum größten Teil jedoch mit Knochenschildern
bedeckt. Die Krokodile, ganz die Form der Eidechsen im großen,
haben vier Beine, eingekeilte Zähne und eine airgewachsene Zunge.
Sie bewohnen die Gewässer der heißen Zone, leben meist in
Schilf und Schlamm versteckt, nähren sich von Fischen und ans
70
Ufer kommenden Säugetieren und werden dem Menschen durch ihre
Größe gefährlich, gefährlich jedoch nur im Wasser, denn auf dem
Lande find sie furchtsam. Die hartschaligen Eier überlassen sie der
Sonnenwärme zum Ausbrüten. Es giebt verschiedene Arten der
Krokodile. Die größte Art ist das Nilkrokodil.
Das Nilkrokodil wird gegen 6 Mir. lang. Die Oberseite seines
Körpers zeigt eine braungrüne Färbung mit schwarzen Flecken und
die Unterseite eine schmutziggelbe Farbe. Der Kopf verlängert sich
zu einer rüsselförmigen Schnauze. Die vier Zehen der Hinterfüße
sind durch eine ganze Schwimmhaut verbunden. Die Eier erreichen
die Größe von Gänseeiern. Man sollte nicht denken, daß dies große,
bepanzerte und mit mächtigem Gebiß versehene Geschöpf auch seinen
Feind hat, nämlich den Ichneumon oder die Pharaonsratte, ein
kleines graues,,, katzenartiges Säugetierchen, welches seinen Eiern nach-
stellt und in Ägypten als Haustier zum Mäusefangen gehalten wird,
wie bei uns die Katzen.
Früher bewohnte das Krokodil Ägypten; es wird hier nur noch
selten angetroffen; durch die Feuerwaffen wurde es verdrängt und
findet sich jetzt nur in den Seen, Flüssen und Sümpfen im Innern
Afrikas. Es wählt sich einen solchen Wohnort, an welchem es eine
Sandbank zum Sonnen findet; hier liegt es am Nachmittage imb
geht gegen Abend ins Wasser zurück. Es bewegt sich im Wasser
pfeilschnell und lauert an den Stellen, welche Schafe, Rinder und
andere Tiere zum Trinken ausgewählt haben, um diese zu erfassen
und in die Tiefe zu ziehen. Auf dem Lande verfolgt es die ge-
nannten Tiere niemals. Badenden kann es sehr gefährlich werden.
Die alten Ägypter bestatteten die Krokodile mit großen Ehren. Noch
heute findet man in Ägypten ganze Berge von Krokodilmumien.
(Nach Baenitz.)
76. Der gerettete Negerknabe.
(* Von Lina Grafs.)
1. Ein Neger nnd sein schwarzes Weib,
Die ziehn hinaus mit trüben Mienen,
Im Thal des Nils ihr täglich Brot
Von: harten Herrn sich zu verdienen.
Ihr einzig Söhnlein, jung und zart,
Das trägt die Mutter auf dem Rücken,
Denn in dem Hüttlein, schlecht verwahrt,
Drohen Schlangt und Tiger ihm mit Tücken.
2. Nah, in der Elternliebe Hut,
Da wähnen sie es wohlgeborgen,
Das teure Kind, ihr einzig Gut,
Der Sonnenstrahl in Not und Sorgen! —
Bei ihrer Arbeit spielt das Kind,
Pflückt Blumen in des Ufers Grase,
Wo, tief versteckt, aus Beute sinnt
Ein Krokodil, sich schickt zum Fraße.
3. Ein Sprung aus seinem Hinterhalt!
O weh! es packt mit Zahn und Krallen
Den Negerknaben mit Gewalt,
Und Jammertöne hört man schallen.
Ein zweiter Sprung! es spritzt der Schaum
Hoch aus aus Niles gelben Wellen,
Und einen wilden Doppelschrei
Hört laut man durch die Lüste gellen.
4. Das Negerweib liegt regungslos
Im Sand; — die Welle färbt sich blutig;
Da stürzt der Neger waffenlos
Sich auf den Räuber todesmutig!
Und wie das Krokodil ihn schaut
Und größre Beute denkt zu sangen,
Läßt es den Knaben willig los,
Um gierig Besseres zu erlangen.
5. „Hilf großer Geist!" ruft ringend aus
Der Neger, seinen Sohn im Arme,
Treu hoffend, daß im Todesgraus
Der „große Geist" sich sein erbarme.
Und er erhörte sein Gebet:
Es fällt ein Schuß von sichern Händen,
Es kam die Hülfe nicht zu spät —
Ein Augenblick kann alles wenden!
ll. Ein Pflanzer nahet hoch zu Roß,
Den jene Jammertöne riesen,
72
Der schickt mit tötlichem Geschoß
Das grause Untier in die Tiefen.
Gerettet aus des Todes Nacht
Sind sie, wenn blutend gleich aus Wunden,
„Der große Geist" hat es vollbracht.
„Ihm Dank, der uns aufs neu verbunden!"
7. Und als sie nach dem Pflanzer seh'n,
Auch ihm des Herzens Dank zu künden,
Da ist der Brave nicht zu seh'n,
Ganz lautlos ist er schon verschwunden.
Nur eine Börse liegt im Sand,
Dabei ein Zettelchen geschrieben:
„Für die, die ihren großen Geist
Und sich einander herzlich lieben!"
8. Als sie nun wieder heimwärts gehn,
Um ihre Wunden zu verbinden,
Da ist im Thale weit und breit
Kein Raum, wo gleiche Seligkeit
Trotz Not und Armut ist zu finden.
77. Die Schlangen.
Die Schlangen sind unter allen Amphibien mit Recht für den
Menschen die ekelhaftesten und zugleich auch die gefährlichsten, wie-
wohl sie ungereizt selten beißen. Denn außerdem, daß es unter
ihnen solche giebt, die ganze Stiere, wie vielmehr Menschen ver-
schlingen können, sind auch manche von ihnen so giftig, daß ihr Biß
nach wenigen Minuten töten kann. Der lang gestreckte, walzenrunde
Körper der Schlangen ist oben mit Schuppen und unten mit Schil-
dern bedeckt; ihnen fehlen Augenlider, Brustbeine und Gliedmaßen.
Die Zahl der Wirbel beträgt gegen 300, die der Rippen 250 und
quer über den Bauch gehen ungeteilte Halbringe. Zufolge dieses
Körperbaues ist es der Schlange trotz der ihr fehlenden Gliedmaßen
möglich, sich nicht nur in wellenförmigen Windungen schnell von der
Stelle zu bewegen, sondern auch mit Gewandtheit, z. B. von Bäumen
herunter, auf ihre Beute zu stürzen, diese im Nu zu umschlingen und
zu einem wurstförmigen Klumpen zusammenzuquetschen.
Die sehr bewegliche Zunge ist weit hervorstreckbar, und vorne
gespalten; sie dient nur zum Tasten, also nicht zum Stechen, wie
manche Leute glauben; beim Schlucken und Beißen wird sie in eine
Scheide gezogen. Die beiden Unterkiefer sind vorn durch Knorpel
Verbunden und hinten nicht wie bei anderen Tieren zu einem einzigen
Knochen verwachsen, sondern eingelenkt; dadurch eben wird es den
73
Schlangen möglich, ihren Rachen so weit auszudehnen, daß sie mit
Leichtigkeit weit dickere Tiere, als sie selbst sind, verschlingen können.
Die Zähne sind angewachsen, entweder außen gefurcht oder hohl.
Die hohlen oder Giftzähne sind durch eine Lücke von den übrigen
Zähnen getrennt, stehen im Oberkiefer und sind wie Katzenkrallen
gebogen, vorschiebbar und zurückziehbar, d. h., für gewöhnlich liegen
die Giftzähne zurückgeschlagen, wie die Krallen einer Katze; will das
Tier sie aber gebrauchen, so richten sie sich in die Höhe. Nur die
Schlangen mit solchen Giftzähnen sind giftig. Durch den Kanal des
Giftzahns, d. i. durch eine von der Wurzel bis in die Spitze hinein-
laufende feine Röhre, tritt die giftige Flüssigkeit, welche von einer
Drüse (Blase oder Sack) bereitet wird, in die vom Zahne gemachte
Wunde. Die Giftdrüse liegt nämlich an der Wurzel der Giftzähne,
durch das Beißen wird der Zahn in die Drüse hinabgedrückt, das
Gift dringt sofort in die Röhre des Zahns und wird so mit dem
Biß in die Wunde gepreßt. Schon einige in die Bißwunde strömende
Tröpfchen jener Flüssigkeit können den Tod herbeiführen. Jedoch
tötet das Gift nur, wenn es in das Blut warmblütiger Tiere
gelangt; für kaltblütige Tiere ist das Schlangengift nicht gefährlich.
Die Schlangen, besonders die giftigen, haben meist einen häßlichen,
zum Teil etwas moschusartigen Geruch.
Die Schlangen häuten sich mehrmals im Jahre und legen
lederartige Eier oder bringen lebendige Junge zur Welt; ihre Nah-
rung besteht nur aus lebenden Tieren, welche sie ganz hinunter-
schlucken, und die ihnen dann oft wie Ballen in: Leibe liegen. Keine
Schlange zerkauet also ihre Speise, obschon die Zähne der größten
Schlangen so groß sind, wie die eines gewöhnlichen Hühnerhundes.
Die Zähne dienen den Schlangen also nur zum Festhalten ihrer
Beute. Sie können aber sehr lange Zeit die Nahrung entbehren.
Ihre Heimat ist die gemäßigte und heiße Zone; in ersterer halten sie
einen Winterschlaf und in letzterer verharren sie während des Sommers
in Erstarrung.
Man kennt über 200 verschiedene Schlangenarten, unter welchen
man die kleinsten für Regenwürmer halten könnte, wogegen die
größesten, die Riesenschlangen, die Dicke eines Baumstammes erreichen.
In der That haben reisende Europäer in Amerika einmal eine
Riesenschlange, welche, sich satt gefressen, im abgefallenen Laube ruhte,
für einen umgeworfenen Baumstamm gehalten und sich darauf gesetzt.
Man kann sich ihren entsetzlichen Schreck denken, als bald nach ihrem
Niederlassen auf den bequemen Ruhesitz letzterer anfing, unter ihnen
sich zu bewegen. Was an Größe und Stärke der Elefant unter
den Säugetieren, der Strauß unter den Vögeln, der Walfisch unter
den Fischen ist, das sind die Riesenschlangen und das Krokodil
unter den Amphibien.
Die Kreuzotter oder Giftviper (*) ist die einzige Giftschlange
Deutschlands, welche unsere Wälder bewohnt. Sie wird nicht über
60 Cmtr. lang; inan erkennt sie leicht am schwarzen Zickzackbande
75
des Rückens, neben welchem jederseits eine Reihe kleiner schwarzer
Flecken hinläuft, und der schwärzlichen, kreuzförmigen Zeichnung, zwei
nach auswärts geöffneten Bogen am Hinterkopfe [)(]. Daher der
Name Kreuzotter. — Die Kreuzottern legen Eier, aus welchen so-
fort die Jungen hervorschlüpfen; diese häuten sich wenige Stunden
später und können schon nach einigen Tagen durch ihr Gift Mäuse
töten. Die Kreuzotter ist fast in ganz Europa zu Hause und wählt
trockne Wälder zum Aufenthalt. Mäuse, welche sie durch ihr Gift
zuerst tötet, bilden ihre Hauptnahrung. Wunden, welche sie beißt,
müssen sofort ausgesogen, ausgeschnitten oder ausgebrannt werden.
Das sicherste Mittel gegen die Wirkung ihres Giftes bleibt der Genuß
von Arrak, Rum oder Branntwein in starken Gaben. Ungereizt beißt
die Kreuzotter nicht, und durch das Leder guter Stiefeln dringen
ihre Zähne nicht. Aber es ist doch nicht mit ihr zu spaßen, und nie
sollten Kinder barfuß in Wälder gehen, in welchen Kreuzottern sich
aufhalten. In Mecklenburg nennt man im gewöhnlichen Leben die
Kreuzotter „Adder", und ein Volksspruch sagt von ihr:
Ick stek, ick stek dörch Ledder,
Un wat ick stek, dat ward nich wedder.
Die Ringelnatter(2) ist ein ganz unschuldiges Tier, findet
sich fast überall durch ganz Deutschland und wird über 1 Mtr. lang.
Sie ist stahlgrau gefärbt, trägt auf dem Rücken zwei Reihen schwärz-
licher Flecken und auf dem schwarzen Bauche weiße Seitenfleckchen.
Sie wird an den beiden weißlichen, schwarz gesäumten, mondförmigen
Flecken am Hinterkopfe leicht erkannt. In Mecklenburg heißt sie im
gewöhnlichen Leben „Schnake." Manche Leute haben eine erschreck-
liche Angst vor diesem Tier und schlagen es tot, wo sie es finden,
und doch hat das unschuldige Tier noch niemals irgend jemandem
etwas zuleide gethan. Sagt doch schon ein alter Spruch:
Ick stek so liesing, as 'ne Fedder,
Un wat ick stek, dat ward wol wedder.
Die Riesenschlange, auch Königs- oder Abgottsschlange(^)
genannt (weil abgöttische Völker sie anbeten), ist chokoladenbraun ge-
färbt und 3—5 Mtr. lang; ihr Rücken trägt einen dunklen Längs-
streifen, welcher aus unregelmäßig schwärzlicheil und blassen Flecken
besteht. Sie ist nicht giftig, bewohnt Südamerika, klettert geschickt
und greift nie Menschen an. Die Jungen schlüpfen aus Eiern, die
an feuchtwarme Stellen gelegt werden. Die Riesenschlange nimmt
es mit dem großen afrikanischen Büffel und selbst mit starken Tieren
auf. Und wie schnell springt sie mit ihrer Beute um! Im Laube
der Bäume, um deren Äste sie sich schlingt, lauert sie auf ihre Beute.
Naht sich ein Tier ihrem Verstecke, um etwa zur Tränke zu gehen,
so schießt sie plötzlich vom Baume herab, umschlingt und zerdrückt
dasselbe, macht es mit Speichel schlüpfrig und würgt es so hinunter.
Wenn sich eine Schlange recht satt gefressen hat, dann rollt sie sich
träge zusammen und liegt einige Zeit wie tot da. Dann suchen sie
die Neger auf, schlagen sie tot, ziehen ihr ihr buntes Fell ab und
76
genießen das Fleisch, das so fett sein und so schmecken soll, wie
Schweinefleisch. Aus ihrer Haut verfertigt man Stiefeln, Sattel-
leder u. dgl. m.
Die Klapperschlange in Südamerika ist eine sehr gefährliche
Schlange (4). Sie ist 3 Mtr. lang, graubraun gefärbt und hat
weißlich gesäumte, schwarzbraune Flecken auf dem Rücken. Am Ende
ihres Schwanzes befinden sich (wie es auch dein Lesebuch im Bilde
zur Darstellung gebracht hat), in einander steckende Hornringe, welche
eine Klapper bilden; jedes Jahr setzt die Schlange am Schwänze
ein neues Klapperstück an. Ihre tückischen Augen funkeln wie
glühende Kohlen im Finstern, die schwarze gespaltene Zunge bewegt
sich immer hin und her. Der Biß der Klapperschlange ist äußerst
gefährlich und tötet nach kurzer Zeit. Zum Glück verrät sich die
Nähe dieses furchtbaren Tieres durch den abscheulichen Geruch, den
eine solche Schlange von sich giebt, noch mehr aber durch das
Klappern des Schwanzes bei jeder Bewegung. Ist es aber nasses
Wetter, dann klappert sie nicht und ist so am gefährlichsten. Die
Klapperschlangen vermehren sich sehr stark; denn in einem Weibchen
hat man oft über 70 lebendige Junge angetroffen.
Die Brillenschlange (^), über 1 Mtr. lang, mit schwarzer,
briüenförmiger Zeichnung auf dem Halse, bewohnt Ostindien; sie
wird gezähmt und abgerichtet, nachdem ihr die Giftzähne ausge-
brochen worden sind.
Die giftigen Seeschlangen bewohnen ausschließlich den
großen und indischen Ocean und erreichen nicht die Länge von 2 Mtr.
(Nach Schuberts Naturgeschichte und Bacuitz' Lehrbuch der
Zoologie u. a.)
78. Verkannte Freunde der Menschen unter den Tieren.
Die Vorsehung hat uns in ihrer Weisheit nicht nur die Vögel
an die Seite gegeben, um uns gegen die Verheerungen des Un-
geziefers zu schützen; bei der erstaunlichen Masse desselben bedürfen
wir noch anderer Verbündeten. Dabei ist es merkwürdig, wie wenig
die Menschen in der Regel ihre Freunde in der Tierwelt, welche das
Ungeziefer vertilgen, kennen. Sie zertreten die rüstigen Laufkäfer,
welche Raupen in Masse zerstückeln und selbst mit der großen Maul-
wurfsgrille siegreich kämpfen, eben so gleichgültig wie die schädlichen
Maikäfer. Sie verfolgen und töten die unschätzbaren Eulen und
Bussarde eben so gierig, wie die verderblichen Sperber und Habichte.
Am häufigsten aber vergreift sich menschlicher Unverstand an der
Klasse der Kriechtiere, gegen die sich so viel Widerwille und Abscheu
ohne Grund zeigt.
Ganz besonders sind unter den Amphibien die Eidechsen (:)
und die hiermit verwandten Blindschleichen (^) verkannte Freunde
der Menschen. Die Eidechsen haben einen lang gestreckten, mit
Schuppen und Schildern bedeckten Körper und vier Gliedmaßen; nur
der schlangenähnlichen Blindschleiche fehlen die Beine. Die Eidechsen
77
bewohnen die gemäßigte und heiße Zone. Die pergamentartigen Eier
bleiben sich selbst überlassen. Ihre Nahrung besteht aus Insekten
und Würmern, wodurch sie sehr nützlich werden. Die Eidechsen ver-
zehren besonders Ameisen, Käfer, Fliegen, die Blindschleichen dagegen
besonders nackte Schnecken und Würmer. Manche Leute haben eine
gräßliche Furcht und Angst vor diesen kleinen, unschuldigen Tieren,
und der menschliche Mutwille und Unverstand verfolgt sie in wahr-
haft sündlicher Weise, obgleich sie nicht den allergeringsten Schaden
zu stiften imstande sind.
Unter den Amphibien sind noch andere Freunde, die von vielen
Menschen gänzlich verkannt werden. Vor allen Dingen sind die
Kröten nützliche Amphibien. Sie fügen uns nicht den geringsten
Schaden zu und sind eben so wenig giftig. Aber sie fressen eine
Masse von Insekten aller Art und Schnecken weg. Die Laub-,
Gras- und Wasserfrösche erwerben sich ähnliche Verdienste, ebenso
die im Wasser lebenden Molche (3) und die schwarzen und schwarz
und gelb gefleckten Salamander, (4) welche von unwissenden Leuten
für gräßliche Gifttiere gehalten und verfolgt werden, während sie
wegen ihrer Jagd auf Raupen, Würmer, Larven re. alle Schonung
und Hegung verdienen.
Alle diese armen Tierchen leiden wie die Eidechsen und Blind-
schleichen unter dem Vorurteil, daß sie giftig seien, und müssen dasselbe
oft mit dem Leben bezahlen, wenn sie in rohe Hände fallen. Man
78
sollte keine Gelegenheit vorüberlassen, um das Volk darüber auf-
zuklären, daß alle diese harmlosen Tiere nur zu unserm Nutzen
da sind. Man sollte sie wenigstens gehen lassen, wenn man auch
sonst nicht gerade eine besondere Freude an ihnen hat.
(Nach Tschudi.)
79. Der Frosch.
Das muntere, grün befrackte Volk der Frösche bildet die un-
ermüdlichen Musikanten unter den Amphibien. Den halben Leib aus
dem Wasser hervorgehoben, und die Beine bequem von sich gestreckt,
lassen die Männchen in warmen Frühlingsnächten ihr „Quark, quark,
quarkgekgekgek" oft so arg hören, daß man sich die Ohren zuhalten
möchte. Wirft man einen Stein ins Wasser, so ducken sie sich zwar
nieder, kommen aber schon nach einigen Minuten wieder hervor unb
beginnen das unterbrochene Konzert von neuem. Wer in der Nähe
eines Teiches wohnt, und kein Freund von Froschkonzerten ist, kann
sie dadurch verhindern, daß er eine brennende Laterne am Ufer auf-
hängt oder Feuer anmacht.
Obwohl ihre Nahrung hauptsächlich aus Mücken, Fliegen, Käfern,
Spinnen und Schnecken besteht, so machen sie sich doch kein Ge-
wissen daraus, gelegentlich auch einmal ein halbwüchsiges Grasfrösch-
chen zu verzehren.
Ganz eigentümlich ist die Art, wie die jungen Frösche sich aus
dem Laich bilden. Das schwarze Pünktchen, welches die Mitte jeder
Schleimkugel bildet, wird mit jedem Tag größer, krümmt sich nieren-
förmig, dehnt sich darauf in die Länge, und verwandelt sich endlich
in eine kleine Kaulquappe, d. h. in ein Tierchen, das aus einem
rundlichen Leibe und einem Schwänze besteht. Der Leib ist so durch-
sichtig, daß man die Eingeweide sehen kann, und hat vorn ein rund-
liches Maul, darüber die Augen und hinter diesen Kiemen zum
Atmen. Die Kiemen nehmen in der ersten Zeit noch an Größe zu,
bald aber bildet sich vor ihnen eine Hautfalte, die immer größer
wird und endlich die Kiemen ganz verdeckt, so daß nur noch eine
79
kleine Öffnung, welche cm den Kiemen vorbei in den Mund führt,
übrig bleibt; endlich verschwindet auch diese Öffnung an der rechten
Seite, und das bei der Atmung in den Mund genommene Wasser
muß ganz an der linken Seite ausfließen. Bald nach dieser Zeit,
wo die Kiemen äußerlich nicht mehr sichtbar sind, erscheinen die ersten
Spuren der Hinterfüße neben dem Schwänze als ein Paar walzen-
förmige Fortsätze, an deren Enden durch Teilung die Zehen entstehen.
Nun bilden sich auch die Vordcrfüße; doch bleiben sie noch unter der
Haut versteckt unb brechen erst bei einer allgemeinen Häutung des
Körpers hervor. Von dieser Zeit au frißt das Tier weniger, indem
sich jetzt auch der Darm verändert. In Folge dieser schwächern Er-
nährung schrumpft der Schwanz so ein, daß nach einigen Tagen
nichts mehr davon zu sehen ist. Nun häutet sich der junge Frosch
abermals, verläßt das Wasser und atmet durch Lungen Luft auf dem
Lande. Der ganze Vorgang, mit einem fremden Worte „Metamor-
phose" genannt, erfolgt binnen zwei Monaten. Die 9 Bildchen
deines Lesebuches veranschaulichen dir denselben.
(Lüben, gekürzt.)
80. Die Fische und das Meer.
Wie wunderbar sind diese Tiere, die Bewohner der Gewässer
der ganzen Erde gebaut, daß sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit die
Meere durchschneiden und mit derselben Leichtigkeit auf der Oberfläche
des Wassers wie auf dessen tiefster Tiefe zu schwiminen vermögen!
Welch ein Naturtrieb (Instinkt) ist in diese Tiere gelegt, ein Natur-
trieb, der z. B. die Fische der Polarmeere zu Millionen nach milderen
Himmelsstrichen hinführt, um ihre Eier zu legen, ohne daß sie je in
den Tiefen des großen, weiten Oceans vom Wege abgeirrt wären!
Hier sind auch Gottes Wunder, und der nachdenkende Mensch muß
sich sagen, daß ihm selbst die stummen Fische der Gewässer über
Gottes Walten predigen.
Die neuenthüllten Wunder der Meerestiefe sind staunenerregend.
Französische Gelehrte haben seit 1880 Gebiete aufgeschlossen, in
welche bis dahin noch kein Sterblicher gedrungen war; in die Tiefen
des Oceans sind sie hinabgestiegen, uin die Geheimnisse zu erforschen,
welche die See auf ihrem tiefsten Grunde birgt?) Die Forscher-
haben eine Tiefe von 6000 Metern ergründet und die Schleppnetze
in^ Tiefen von 4—5000 Mir. ausgeworfen. Es klingt fast unglaub-
lich, daß die Taucher 6mal tiefer unter dein Wasser gewesen sind
als der Brocken (1143 Mir.) oder 50mal tiefer als der Petriturm
in Rostock (120 Mtr.) hoch ist. Ungeahnte Schätze sind gehoben. *)
*) Der berühmte Zoologe Alph. Milnc-Edwards hat durch Unter-
stützung der französischen Regierung und mit Hülfe wackerer Männer in den Jahren
1880, 81, 82 und 83 nach einander den Meerbusen von Biscaya, einen Teil des
Mittelländischen Meeres, den Atlantischen Ocean von Frankreichs Gestaden bis zu
den Canarischen Inseln und von hier das Meer längs der afrikanischen Küste bis
zunr Senegal durchforscht.
80
neue Tierformen, welche niemand kannte, ans Tageslicht gebracht
worden. Manche von den gefangenen Fischen haben Augen, und ihr
Körper ist mit selbstleuchtenden, phosphorscheinenden Flecken bedeckt;
das sind die Laternen, mit deren mattem Licht die Bewohner der
ewigen Finsternis ihre Umgebung erleuchten. Denn schon in einer
Tiefe von 50 Metern verlieren die Sonnenstrahlen ihre Kraft, und
in einer Entfernung von 250 Mtr. unter dem Wasserspiegel ist es
schwarze Nacht. Deshalb verschwindet auch hier das Pflanzenreich
vollständig. Dazu kommt, daß schon in der Tiefe von 1000 Mtr.
auf der Flache von einem Quadratcentimeter eine Wassersäule lastet,
deren Gewicht 100 Kilogramm beträgt. In allen Meerestiefen herrscht
auch dieselbe gleichmäßige kühle Temperatur; denn der Unterschied
zwischen den wärmeren und kälteren Strömungen ist hier ausgeglichen.
Aber die gewaltige Macht des Sturmes, welche die Meereswogen
turmhoch emporwälzt und an die Küsten peischt, dringt doch in die
Tiefe? Nein, durchaus nicht! Im Schoße der See herrscht ewige
Ruhe; schon in der Entfernung von 150 Mtr. unter dem Meeres-
spiegel hat sich das oben dahinfahrende Toben der Wetter und Wogen
vollständig gelegt. Und weiter reicht auch die lebenerweckende Kraft
des Lichtes nicht. Man dachte früher, daß mit dem Verschwinden
der Pflanzen den: Tierreich gleichfalls eine Grenze im Meere gezogen
sei. Doch dem ist nicht so; denn die Netze der Forscher haben aus
den Tiefen von 4—5000 Mtr. keine Pflanzen mehr, wohl aber
zahllose Tiere zu Tage gefördert, mit und ohne Augen, ferner
mancherlei Getier mit bunten Farben geschmückt, Krabben und See-
sterne bald rot, bald grün oder violett schillernd; die blinden Be-
wohner der finsteren Abgründe sind mit eigenartigen Tastorganen,
manche über dem Maule mit einem regelrechten Finger ausgestattet;
inan hat ganz eigentümlich geformte Fische, mit einem sonderbaren
Mundwerk oder mit nie gesehenen Flossen ausgerüstet, aus der
Meerestiefe von 4000 Mtr. und darüber heraufgeholt u. a. m.
Die Gestalt des Fisches ist ganz so, wie sie für einen steten
Bewohner des Wassers paßt. Sie ist meist länglich-rundlich, seltener
zusammengedrückt (die Schollen re.) oder walzenrund (die Aale). An
beiden Enden ist der Fisch spitz, und in der Mitte schwillt er an.
Will er sich fortbewegen, so schlägt er mit dem Schwänze rechts und
links gegen das Wasser, und indem er bald diese, bald jene Flosse
ausstreckt oder einzieht, kann er sich drehen und wenden, wie er will;
um aber auch ein beliebiges Steigen und Sinken im Wasser zu
bewerkstelligen, bedarf er der Schwimmblase, die nur Schollen und
Flundern fehlt. Will der Fisch in die Tiefe steigen, so preßt er die
in der Schwimmblase sich befindende Luft hinaus, dann wird sein
Körper kleiner und schwerer; will er in die Höhe steigen, so füllt er
die Blase wieder mit Luft, damit er ausgedehnter und leichter werde.
Auch die Fische können nicht ohne Luft leben. Wenn der Fisch
atmen will, schließt er die Kiemendeckel, öffnet den Mund und zieht
Wasser ein. Dann schließt er den Mund, öffnet die Deckel und
81
läßt das Wasser seitwärts durch die Kiemen wieder ablaufen. Auf
diese Weise saugen die Blutgefäße in den Kiemen der Fische die im
Wasser befindliche Luft auf. Wenn die Kiemen trocken werden, muß
der Fisch sterben. Wer frische Fische kaufen will, besieht wohl zuvor
ihre Kiemen; warum? — Nur einige ausländische Fische (Molchfisch
und Schlammfisch) atmen durch Lungen (Lungenfische). Mit Ausnahme
der Karpfen, welche auch Pflanzenkost genießen, sind die Fische aus
Wassertiere angewiesen; letzteren aber dient die Pflanzenwelt zur Nah-
rung. Der Fischreichtum eines Gewässers ist daher vorzugsweise von
seinem Pflanzenreichtum abhängig.
Die Eier, Laich oder Rogen genannt, legen die Fische an
geschützte Stellen. Die Zahl der Eier ist eine ungeheure und scheint
manchmal unglaublich zu sein. Und doch hat man im Rogen des
Herings 30—40,000, in dem des Karpfens 700,000 Eier gezählt;
im Rogen des Störs sind sogar über eine Million und in dem des
Kabeljau 13 Millionen Eier enthalten. So etwas kommt im ganzen
Tierreiche nirgends weiter vor. Dessenungeachtet nimmt die Zahl
der Fische eher ab als zu, und das kommt daher, daß von 100 Eiern
kaum aus einem ein Junges hervorschlüpft, und daß gerade die
Fische die zahlreichsten Feinde haben; außerdem dient der ohnehin
zunehmenden Bevölkerung keine zweite Tierklasse so allgemein als
Nahrungsmittel, wie dies bei den Fischen der Fall ist, und dann sind auch
Seevögel, Robben, Eisbären und eine große Zahl von Fischen auf Fisch-
nahrung angewiesen. Der Hauptgrund aber für die Abnahme der Fische
liegt in der Abnahme der Oberfläche der stehenden Gewässer; ferner
vernichtet die größere Ausdehnung der Schiffahrt auf Seen und Flüssen
eine Menge Laich, und die Uferbauten beschränken mehr und mehr die zu
Brutstätten tauglichen Plätze. Nach diesem allen ist es nicht zu ver-
wundern, daß bereits einige Fischarten in den Landseen beinahe aus-
gestorben sind. Es ist daher nur zu loben, wenn die betreffenden
Aufsichtsbehörden für den Fischfang strenge auf die Schonzeit halten,
und wenn ferner die hie und da in Angriff genommene künstliche
Fischzucht überall gefördert wird.
Nicht nur liefern die Fische ganzen Nationen die einzige Nah-
rung, sondern sie bilden auch für Tausende von Menschen die
Haupterwerbsquelle. Wie denn? — Viele Fischarten, sowohl
des Meeres als des süßen Wassers, sind wegen des Fleisches wichtig
(Lachs, Karpfen, Hecht re.); von andern (z. B. vom Stör) wird der
gesalzene Rogen gegessen unter dem Namen Kaviar; von noch
andern (z. B. vom Karpfen und Wels) wird aus der Schwimmblase
Fischleim (Hausenblase) bereitet; von mehreren bildet das Fett als
Fischthran (Heringsthran) einen Handelsartikel; aus der Leber des
Kabeljau, zu den Schellfischen gehörend, wird der als Heilmittel
wichtige Leberthran gewonnen; aus den Silberschuppen einer
Karpfenart erhält man unechte Perlen, und die Haut von größeren
Meerfischen dient zu Überzügen für Koffer u. dgl. m. Wie vielfach
also der Nutzen von den Fischen, während sie überall keinen Schaden
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 6
82
bringen! Kein Fisch hat Giftzähne oder ist sonst giftig; ihr Genuß
kann nur schädlich werden, wenn sie sich in einem krankhaften Zu-
stande befinden oder schon zu lange getötet sind. Jede gefühlvolle
und verständige Hausfrau oder Köchin erspart beim Töten der Fische
diesen alle unnützen Qualen und Marter (das Scheuern der Aale
mittelst einer Torfsode u. a. m.)
Außer dem Heriug sind unter
den Meerfischen die bekanntesten der
Dorsch und die Scholle oder der
Goldbutt (beide in der Nord- und Ost-
see wohnend), der Lachs, der Stör
und der mit der Scholle verwandte
Flunder. Unter den Süßwasserfischen
kennen viele Kinder wohl den Fluß-
aal, den Hecht, als den gefräßigsten
Räuber in unsern süßen Gewässern,
ferner den Karpfen, die Karausche,
den Fluß- und Kaulbarsch, die
Schleihe, den Plötz, den Blei oder
Brassen, die Quappe, den gern im
Schlamm großer Flüsse sich aufhaltenden
Wels und den Stichling, dessen
Stacheln selbst der Hecht fürchtet. In
bezug auf den Aal ist vor allen:
zu merken, daß er nicht, wie viele
Leute glauben, lebendige Junge zur
Welt bringt, sondern sich durch Eier
vermehrt, welche jedoch so klein sind,
daß sie nur durch ein Vergrößerungs-
glas erkannt werden können.
Nun sollst du noch etwas von
dem gefährlichsten Raubfisch des Oceans
hören. Das ist der Haifisch oder
Menschenfresser. Dieses mit einer-
dicken, höckerigen Haut bekleidete Un-
geheuer wird 3—9 Meter lang; sein
Kopf verlängert sich zu einer glatten
Schnauze, und in seinem Maul stehen
oben sechs und unten vier Reihen
spitzer, beweglicher und dreieckiger Zähne.
Der Haifisch bewohnt den atlantischen
Ocean und ist der Schrecken aller See-
leute. Unersättlicher Heißhunger und
die größte Freßgier zeichnen ihn aus;
er verschlingt die verschiedenartigsten
Dinge. Menschenfleisch scheint er be-
sonders zu lieben; denn er folgt den
83
Schiffen, um die über Bord gefallenen Matrosen oder die ins Wasser
gelassenen Leichen zu verschlingen. Sein Fleisch wird selten gegessen.
Die Haut dient zum Polieren und wird auch statt des Leders zu
Schuhen verwandt. Ans der Leber und dem Fett geivinnt inan Thran.
(Nach Verschiedenen.)
81. Auch im Meere Gottes Walten.
(* Von F. C. W. Jacoby, Lehrer in Neubrandenburg.)
Schaust du an das große, weite Meer,
Ahnst du seinen Reichtum nicht.
Hub doch ist es nicht an Wundern leer.
Aus ihm Gottes Walten spricht.
Millionen Fische, groß und klein,
Tunnneln sich in ihm herum.
Finden Leben, Nahrung und Gedeihn,
Danken Gott, wenn auch nur stumm.
Aus der Tiefe die Koralle steigt,
Schön in Bau und Farbenpracht,
An den Ufern sich der Bernstein zeigt.
Alles hat der Herr gemacht.
Und wie ist der Pslanzenreichtum groß.
Wunderbar des Meeres Grund!
Was sich alles birgt in seinem Schoß,
Thut des Schöpfers Allmacht kund.
Sturar mrd Sonnenschein geht übers Meer,
Hell im Mondlicht es erglänzt,
Uber ihm der Sterne großes Heer
Rirrgs das Firmament bekränzt.
Alles steht in Gottes Vaterhand:
Himmel, Erde und das Meer;
Überall sein Walten wird erkannt
Als allgütig, groß und hehr.
82. Insekten.
Die Zahl der Wirbeltiere (Säugetiere, Vögel, Amphibien,
Fische) ist eine sehr große; die Zahl der Gliedertiere ist nicht
minder groß. Unter den Gliedertieren sind die Insekten oder
Sechsfüßler, auch Kerbtiere genannt, gar merkwürdige Tierchen.
Was die Klasse der Vögel unter den vollkommneren Tieren (Wirbel-
tieren) ist, dasselbe ist die Klasse der Insekten unter den unvollkommneren
Tieren (wirbellosen); denn der größte Teil davon ist leicht geflügelt,
wie die Vögel. — Die Insekten haben weißes Blut, meist zwei oder
vier Flügel, atmen durch Luftröhren, und ihr Körper besteht aus
6*
84
drei deutlich zu uuterscheideuden Abschnitten: Kopf, Bruststück
(Brustkasten) und Hinterleib. Mit Ausnahme der flügellosen In-
sekten (z. B. der häßlichen Laus), welche als fertiges Insekt aus
dem Ei hervorgehen, erleiden alle eine Verwandlung (Metamorphose),
indem sie vier verschiedene Zeiträume in ihrem Leben durchlaufen,
nämlich als Ei, Larve, Puppe und vollkommenes Insekt.
Bei manchen Insekten ist die Dauer der ganzen Verwandlung eine
kurze (z. B. bei der Biene), bei manchen eine lange, z. B. beim
Maikäfer. Das Weibchen desselben legt etwa 80 Eier in trockenem
Boden, worauf es bald stirbt. Nach 4—6 Wochen kriechen aus den
Eierll die Larven, welche sich in jedem Jahre häuteit und erst im
dritten Sommer ausgewachsen sind. Im vierten Sommer verpuppen
sich die Larven und erst im fünften Sommer kriecht der Mai-
käfer aus der Erde hervor. — Die meisten Insekten pflanzen sich durch
Eier fort, welche sie immer an Stellen ablegen, wo die auskriechen-
den Larven sofort ihre Nahrung finden. Auch leben die meisten
Insekten von Pflanzenstoffen. Ihre Vermehrung ist eine sehr starke.
Die aus den Eiern kriechenden Larven sind den vollkommenen Jn-
sekten sehr unähnlich und gleichen mehr geringelten Würmern. Fuß-
und kopflose Larven, wie die meisten Fliegenlarven, nennt man
Maden; haben die den Eiern entschlüpften Maden einen Kopf und
mehr als sechs, aber weniger als achtzehn Beine, so nennt inan sie
Raupen. Die Larven sind sehr gefräßig, wachsen schnell, häuten
sich gewöhnlich einmal und verwandeln sich dann in eine Puppe,
welche ruht und nicht mehr frißt. Aus der Puppe schlüpft nach
längerer oder kürzerer Zeit das vollkommene Insekt aus, welches
alsdann nicht mehr wächst, sondern sich fortpflanzt und bald dar-
auf stirbt.
Nicht wahr, es ist dem schönen, bunten, int Sommer um uns
her flatternden Schmetterling gar nicht anzusehen, daß er vorher eine
so häßliche, gefräßige und schädliche Raupe oder ein häßlicher Wurm
war, der in der Erde, im Wasser, im Morast und Unrat lebte; und
ebensowenig sieht man der einfachen, hie und da liegenden oder wie
tot hängenden Puppe an, daß aus diesem von der Raupe selbst ge-
sponnenen Sterbekleide oder zurecht gemachten Sarge ein schönes,
geflügeltes Insekt hervorgehen werde, das gar keine Blätter mehr
fressen mag, sondern nur nach Tautröpflein oder Blütensaft Ver-
langen hat. Bei einer solchen Verwandlung kann man sich viel
denken, und schon die Alten haben deshalb den Schmetterling und
seine Verwandlung als ein Sinnbild der Unsterblichkeit der Seele
betrachtet.
Wenn auch viele Insekten gewissen Pflanzen schädlich sind, wenn
sie selbst uns Menschen mitunter recht lästig werden, so dürfen wir
sie dennoch nicht verachten und für überflüssig in Gottes Schöpfung
ansehen; denn ihr Nutzen im Haushalte der Natur ist ein sehr großer,
und der Nutzen, den manche Insekten sogar dem Menschen gewähren,
darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Eine Menge Sechssüßter
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dienen insektenfressenden Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Fischen
und selbst andern Raubinsekten zur Nahrung; viele befördern die
Befruchtung der Pflanzen durch Übertragung des Blütenstaubes aus
der einen in die andere Blüte; noch andere verhindern die zu große
Vermehrung schädlicher Raupen dadurch, daß sie ihre Eier in dieselben
legen, wie es z. B. die Schlupfwespen thun; endlich tragen sie zur
Reinigung der Luft bei, indem sie faulende Tier- und Pflanzenstoffe
verzehren oder ihre Eier hineinlegen, damit die auskriechenden Larven
ihre Nahrung darin finden, wie z. B. die Mistkäfer, Totengräber,
Fleischfliegen u. a. Die Honigbiene liefert uns Wachs und den herr-
lichen Honig und die Seidenraupe die Seide zu Kleidungsstoffen;
anbere Insekten liefern uns Arzneimittel (z. B. der Pflasterkäfer
spanisches Fliegenpflaster, die Ameise den Ameisenspiritus), noch andere
Färbstoffe (z. B. die Cochenille eine prachtvoll rote Farbe, die Gummi-
lacklaus den Schellack, verschiedene Gallwespen Gallen zum Färben)
u. dgl. m. (Nach Verschiedenen.)
VII.
Der Reiche ist nicht immer glücklich. Der Klügste giebt nach. Dem
Fleißigen verfließt die Zeit schnell, der Faule hat Langeweile. Das Rot auf
den Wangen ist nicht immer ein Zeichen des Gesundseins. — Selig sind die
Sanftmütigen. Sei fröhlich mit den Fröhlichen und traurig mit den
Traurigen. Das Lesen bildet. Unmäßiges Essen und Trinken schadet der
Gesundheit. Das Tadeln ist keine Kunst. Irren ist menschlich. Das Pferd
ist zum Ziehen und Reiten tauglich. — Nicht alles Alte ist schlecht und
nicht alles Neue gut. Schlechte Menschen haben nichts Gutes, sondern
meistens etwas Böses im Sinn. — Wie oft wird um das Mein und Dein
da gezankt, wo es sich nur um ein kleines Etwas handelt! Die Selbstsucht
denkt immer an das eigene Ich. — Die Ersten werden die Letzten sein.
Das erste Hundert spart sich am schwersten. — Das Jetzt ist anders als
das Sonst. Jedem Menschen ist sein Ende gewiß, aber das Wie und Wann
desselben bleibt ihm verborgen. Wenn doch jedermann bei seinem Denken und
Handeln das Für und Wider, das Wenn und Aber, das Hier und Dort
erwägen würde! Wie oft seufzen die Eltern ein trauriges O oder Ach über
ihr ungeratenes Kind!
83. Der Maikäfer.
Der Maikäfer ist ein rechter ^ Nimmersatt, und wie versteht
der ^Kleine das ^ Fressen! Man sieht's ihm gleich an, daß er nichts
besser kann, als fressen und immer wieder fressen. Hat er doch
einen so dicken Leib, der kleine Kerl! Den ganzen Tag lang nagt
der immer ^Hungrige mit seinen gebogenen Freßzangen au den weichen,
frischen Blättern der jungbelaubten Bäume. Mit seinen hakigen,
gegliederten Füßen hängt er am Zweige wie eine Klette. Er muß
sich wohl festhalten; denn er ist unbehülflich und fällt leicht herunter,
wenn man den Baum schüttelt. Wenn es viele Maikäfer giebt, so
geht es unsern Obstbäumen gar schlimm. Noch ehe acht Tage ver-
gehen, ist das Laub ausgedehnter Obstanlagen abgefressen. Wir
meinen freilich, die Obstbäume hätten wir nur für uns gepflanzt;
aber der Maikäfer hat einmal einen so großen Hunger und will doch
86
auch leben. Es geht ihm übrigens schlecht genug in seinem kurzen
^ Leben; denn die Spatzen zerhacken ihn unbarmherzig. Man schüttelt
die Maikäfer des Morgens, wenn sie vom Tau erstarrt sind, uou
den Bäumen, zertritt sie oder häuft sie in Gruben zusammen imb
tötet sie durch heißes Wasser.
Allerdings thut der Mensch kein ^ Unrecht, wenn er die ge-
fräßigen Maikäfer eifrig vertilgt; aber — und dies ^Aber beherzigt
gewiß jedes Kind — quälen darf man sie nicht, denn auch sie hat
der liebe Gott ins Leben gerufen. Ist es doch ein niedliches Tier-
lein, das den Kindern manche Freude macht. Sein schwarzer oder
roter, glänzender behaarter Sattel und seine muldenförmigen, glänzend-
braunen Flügeldecken sehen ganz hübsch aus. Das ^Unbewegliche in
seinen Augen, das o Zarte seiner beiden Fühler, das "Glanzende
feines Körpers: alles erfreut bei längerem Seinen
Leib deckt eine Rüstung aus schwarzen, weißgefleckten Schienen: sie
schützt ihn freilich vor dein Schnabel des hungrigen Spätzleins nicht.
Zwischen diesen fechs Schienen oder Ringen des Leibes liegen Luft-
löcher, durch die er atmet. Statt des roten Blutes hat er einen
weißlichen Saft, obgleich er lauter "Grünes frißt. Wenn das Kind
ihn auf die Hand nimmt und ein Liedchen zum Fliegen ihm singt,
da entfaltet er die fächerförmigen Keulen an [einen gegliederten Fühl-
hörnern, die vor den runden, schwarzen Augen stehen. Er hebt die
Flügeldecken, und man sieht, wie er seine eigentlichen häutigen
Flügel ausspannen will, und brrr! gehts fort mit Gesumm?: Man
sollte kaum meinen, daß die dünnen Flüglein der "Kleinen den
dicken Körper tragen könnten. Wie gern hören wir ihr "Summen
und "Brummen in der 16©tiííe eines schönen Maiabends!
(Nach Schurig.)
84. Maikäfer und Marienkäferchen.
(* Parabel von Lina Grafs.)
Maikäfer hat sich satt geschmaust,
Hat Blatt und Blättchen viel gemaust,
Hat ganze Zweige kahl gefressen
Und immer nicht genug gegessen.
Der braune Rock, kaum paßt er mehr,
Daß fast ein Schneider nötig wär'.
Nun streicht er sich den runden Bauch,
Wie es nach fettem Mahl Gebrauch,
Und wischt am Blättlein sich den Mund
Und spricht bei sich: „Wie voll und rund!"
Und denkt mit Stolz in seinem Sinn:
„Wie vornehm ich doch einmal bin!
Denn wenn ich komm im grünen Mai'n
Da seh' ich alle Welt sich sreu'n;
Ich komm, wenn ich zuerst erschein,
Sogar ins Zeitungsblatt hinein.
Wem weiter wird wohl solche Ehr?
Wie klein und winzig um mich her
Sind all die andern Käser doch, —
Was heute um mich slog und kroch.
Wie wohlgenährt und glatt und schön
Sind meine Kinder anzusehen,
Wie zahlreich breiten sie sich aus
Und ziehn in Scharen sort zum Schmaus.
Wie dünn sind doch der andern Kleider,
Schmal ihre Kost, recht' Hungerleider!
Sie selbst so winzig und so klein,
Ihr Sümmchen ist unhörbar sein,
Doch wenn ich mich erheb zum Spaß,
Da brumme ich den schönsten Baß! —
So prahlt Maikäfer, macht sich breit.
Da kommt im purpurfarbnen Kleid,
Mit schwarzen Pünktchen überstreut,
Marienkäserchen herbei
Und freut sich auch des lieben Mai.
So klein, so zart, schwebt's durch die Lust
Nippt leise nur vom Blumenduft,
Trinkt nur vom Tröpflein Tau am Blatt
Und freut am Sonnenstrahl sich satt.
Maikäfer schaut dem Kleinen zu
Und summt für sich: „Welch Wicht bist du,
So unbedeutend, still und klein
Möcht ich in aller Welt nicht sein,
Ich bin . . . „Hier springt ein Bub' hinzu
Und greift den großen Herrn im Nu,
Spricht: „Prahler, jetzt ist's mit dir aus,
Nun pickt mein Hühnchen dich zum Schmaus;
Doch du, Marienkäserlein,
Du magst dich deines Lebens sreu'n,
Tu, in dem purpurfarbenen Kleid
Thust niemand, niemand was zu leid,
Du fromm und herzig Käserlein
Magst uns ein sinnig Vorbild sein!"
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85. Sonnenkiifer.
1. Man nennt diese niedlichen Käfer, insbesondere den bekannte-
sten unter ihnen — den Siebenpunkt — auch Marienkäfer, Muh-
kühchen, Herrgottskälbchen u. s. w. Sie thun nirgends Schaden,
stiften dagegen viel Nutzen, indem ihre sehr beweglichen Larven auf
allen Pflanzen herumklettern und einzig von Blattläusen leben. Die
Käfer nähren sich von derselben Speise, nehmen aber weit weniger
zu sich. Man sieht sie fast allenthalben herumkriechen, zuweilen auch
fliegen, und findet sie 'selbst mitten im Winter in Häusern, wo sie
entweder in der warmen Stube herumlaufen, oder bei milden Tagen
und Sonnenschein auch an die Fenster kalter Teile des Hauses
kriechen. Mit beginnendem Frühjahr sind sie allenthalben, erstarren
bei eintretender Kälte und laufen kurz darauf beim Sonnenschein
wieder neben dem Schnee herum. Um einzelne Pflanzen oder Ge-
wächshäuser von Blattläusen zu befreien, kann man nichts besseres
thun, als die Larven, oder wenn man diese nicht findet, die Käfer-
chen selbst hineinzusetzen. Greift man letztere an, so ziehen sie ge-
wöhnlich Beine und Fühlhörner an sich und stellen sich tot; zugleich
lassen sie aus jedem Kniegelenk einen gelben, eigentümlich riechenden
Tropfen treten.
2. Kinder und selbst Erwachsene mögen diesen niedlichen Käfer
leiden; erstere lassen ihn gern am Finger emporkriechen und freuen
sich, wenn er, oben angelangt, die Flügelchen öffnet und sie allmählich
weiter und weiter zum Fortfliegen ausbreitet; dann singen die Kleinen
wohl dem Käferchen zu:
Sünnenworm, fleg äwer min Hus;
Bring mi morgen god Wedder tau Hus.
(1. Lenz, Naturgeschichte.)
86. Der Kartoffelkäfer.
Im Monat Juni 1877 fand man auf einem Kartoffelfelde bei
Mülheim arn Rhein (Köln gegenüber) einen Käfer, der bis dahin
unter uns noch gar nicht gesehen worden war, dessen Auftreten aber
sofort große Besorgnisse hervorrief, als man ihn näher kennen lernte;
denn es drohte unsern deutschen Feldern Verwüstung, einem unserer
wichtigsten Nahrungsmittel Zerstörung. Es war der in Amerika seit
1823 bekannte Kartoffelkäfer, der jedenfalls durch den Schiffs-
verkehr nach Deutschland gekommen ist. Weil man ihn zuerst in dein
nordamerikanischen Staate Colorado gefunden hat, wird er auch
Coloradokäfer genannt.
Der Kartoffelkäfer ist durchschnittlich einen Centimeter lang, hat
einen halbkreisförmig gewölbten Rücken, einen unbehaarten, etwas
glänzenden Körper, ist von der Gestalt einer großen Kaffeebohne und von
rotgelber Grundfarbe. Die hellgelb gefärbten Flügeldecken zeigen
11 schwarze Längsstreifen, von denen der mittelste gleichsam bi«
Naht auf dem Rücken wieder bildet. Am Halsschilde hat er 11 Fleck-
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chcn, von welchen der mittelste größer und von der Form einer
römischen V ist. An dieser Streifen- und Fleckenzeichnung kann man
den Käfer leicht erkennen. Die rotgelben Eier sitzen zu 10—12
an der Unterseite der Kartoffelblätter. Die Larven sind znerst blut-
rot gefärbt, später mehr rotgelb. Die Puppe liegt 8—12 Centi-
meter tief unter der Erdoberfläche ganz in der Nähe der Kartoffel-
pflanzen, ist von Heller, braunroter Farbe und hat die Form des
Käfers. — Betrachte jetzt die nebenstehenden Abbildungen! Die
Linie zeigt die Länge des Tieres an, in der es aufgefunden ist.
Bild zwei zeigt den Käfer von oben. Bild drei denselben von der
Seite gesehen. Ihm folgt eine Larve seitwärts, sodann eine sol che
von oben gesehen, und im letzten Bilde endlich siehst du die Flügel-
decken des Käfers in vergrößertem Maßstabe.
Mit dem Monat Mai, wenn die Kartoffeln aufgelaufen sind,
konunt der Käfer aus dem Erdreich, in welchem er überwintert hat.
Schon nach 12—14 Tagen fängt das Weibchen an, IO—12 Eier
zu legen und fährt hiermit etwa 40 Tage lang fort. Nach Verlauf
von 5—8 Tagen schlüpfen die Larven aus den Eiern aus. In
17—20 Tagen sind die sehr gefräßigen Larven ausgewachsen, kriechen
dann vom Kartoffelkraute hinab in die Erde, um sich hier zu ver-
puppen, und nach 10—12 Tagen fängt der aus der Puppe hervor-
gcgangene Käfer Mitte Juni die zweite Zucht an; diese hat in
50—55 Tagen ihre Verwandlung durchgemacht und kann Anfang
August noch eine dritte Zucht abgeben, von welcher wiederum die
Käfer den Winter über in der Erde zubringen. Die Vermehrung
dieser Tiere ist darnach eine ganz ungeheure. Haben im Mai nur
100 Weibchen auf ein Kartoffelfeld ihre Eier abgesetzt, so würde
ihre Nachkommenschaft im Juni sich schon auf 70—120,000 be-
laufen, die Nachkommenschaft im Juli wäre darnach 24—72 Million,
und die Fresser aus der dritten in den August fallenden Entwickelung
würden kaum mehr zu zählen sein. Es ist kein Wunder, wenn in
Nordamerika Gegenden, die von dieser Plage befallen werden, schon
im Juli ganz kahlgefressene Kartoffelfelder aufweisen.
Wehe aber auch unsern Kartoffelfeldern, wenn diese Plage zu
uns käme! Über 6 Wochen lang können die Käfer ohne alle Nah-
rung am Leben bleiben, und auf diese Weise ist ihre Einschleppung
eine leichte. Zwar vermögen sie nicht über den Ocean zu fliegen,
allein von den auf das Meer verwehten Schwärmen können zahlreiche
Tiere auf die Schiffe niederfallen und mit diesen lebend in die
90
deutschen Häfen gelangen. Einzelne Käfer können auch mit in
amerikanischen Häfen eingekauften Gemüsen oder mit in Kartoffelkraut
verpackten Gegenständen auf das Schiff gebracht werden. Ebenso
laffen sich in der den Kartoffeln manchmal noch anklebenden Erde
Larven und Eier der Käfer einschleppen. Deshalb müssen alle Land-
leute cs sich zur ernsten Pflicht machen, ja auf den Kartoffelkäfer zu
achten, und wenn er oder seine Brut sich findet, solches sofort der
Ortsbehörde anzeigen, die dann ungesäumt für die Unterdrückung
des Übels Sorge tragen wird.
(I. S. Nach Zeitungsberichten.)
87. Die Schlupfwespe und die Fliege.
Der Kohlweißling ist ein weißer Schmetterling, dessen Raupe
auf dem Kohl lebt, und zwar oft in so großer Menge, daß sie alle
Kohlblätter abfressen. Man erkennt sie leicht an ihrer bläulichgrünen
Farbe und an den gelben Längsstreifen an jeder Seite. Um ihre
zu große Vermehrung zu verhüten, hat der Schöpfer eine ganz merk-
würdige Vorrichtung getroffen. Während nämlich die Raupe ganz
ruhig auf dein Kohlblatte sitzt, und sich's gut schmecken läßt, kommt
eine Schlupfwespe, kaum so groß, wie die kleinen gelben Ameisen,
herangeflogen, bohrt schnell ein feines Loch mit ihrem am Hinter-
leibe befindlichen Legestachel in den Körper der Raupe und legt ein
Ei in dasselbe. Das wiederholt sie oft 20 bis 30mal, ohne daß die
wehrlose Raupe es auch nur im mindesten hindern kann. Nach
wenigen Tagen entstehen aus diesen Eiern kleine (fußlose) Maden,
welche sich von dem Fettkörper der Raupe nähren, die edlern Teile,
von denen das Leben des Tieres abhängt, aber unberührt lassen.
Haben diese Gäste nach einigen Wochen ihre vollkommene Ausbildung
erlangt, so durchbohren sie die Haut der Raupe, begeben sich auf
einen Haufen, spinnen sich gelbliche, zu einem Ganzen verbundene
Hülsen, verpuppen sich darin und gehen nach einer Ruhe von einigen
Wochen als Schlupfwespen daraus hervor. Die Kohlraupe stirbt
bald darauf, ohne sich zu verpuppen und als Schmetterling für Nach-
kommenschaft sorgen zu können. Unter 20 erwachsenen Kohlraupen
findet man sicher einige, in denen Schlupfwespen ihre Eier ab-
gelegt haben.
Die Stubenfliege kennt zwar jedermann, aber nur wenige
haben sie so genau angesehen, daß sie eine richtige Vorstellung davon
besäßen. Das Tier hat am Kopfe zwei große Augen, zwei Fühler
und einen Säugrüssel. Um ben Bau der Augen kennen zu lernen,
muß inan sie durch ein Vergrößerungsglas betrachten. Man lieht
dann, daß jedes derselben aus fast 4000 sechseckigen Flächen besteht,
von denen jede gewölbt und vollkommen wie ein Auge eingerichtet
ist. Durch diesen merkwürdigen Bau ist es der Fliege möglich, mit
ihren sonst unbeweglichen Augen allerwärts zugleich hinzusehen. Auf
dem Scheitel stehen noch drei einfache Punktaugen. Die Fühler find
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vor dem Kopfe eingefügt und bestehen aus drei Gliedern, von denen
das letzte eine feine, sehr schön gefiederte Borste trägt. Der Rüssel,
mit dem die Fliege uns so oft belästigt, hat an der Spitze zwei
fleischige Lippen, die zum Aufsaugen von Flüssigkeiten sehr geeignet
sind. Der Körper ist mit Borsten besetzt, die unter dem Vergrößerungs-
glas wie krumme Pfriemen aussehen. An den Füßen fitzt ein Ballen,
aus dem eine klebrige Feuchtigkeit schwitzt, mittels welcher sich die
Fliege an Fenstern und Spiegeln halten kann. Das Summen, welches
sie beim Fliegen hören lassen, entsteht durch schnelles Reiben der
Flügelwurzeln in ihren Gelenkhöhlen.
Das Weibchen legt 60 bis 80 Eier in Mist und andere un-
saubere Stellen. Nach 12 bis 24 Stunden entstehen aus denselben
Maden, die sich nach 14 Tagen in ihrer eigenen Haut in eine braune,
tonnenförmige Puppe verwandeln, aus der bei warmem Wetter nach
14 Tagen die Fliege hervorkommt. Da es in jedem Jahre vier
Bruten giebt, so ist ihre Vermehrung außerordentlich groß.
(Lüben.)
88. Das Raupennest.
Karl sali in einer Gartenecke einen Nesselbusch, der
ganz mit Raupen bedeckt war. Es waren lauter hässliche,
schwarze Tiere mit stachlichten Rücken und grünen Streifen
zwischen den Stacheln. „Soll ich die Raupen tot treten? fragte
Karl seinen Vater. „Nein,“ sagte der Vater; „denn wie du
siehst, nähren sie sich von den Nesseln, sind also nicht schäd-
lich. Wenn sie aber auf einem Kirschbaum säfsen, dann dürftest
du sie als schädliche Tiere tot treten. Nimm sie mit nach
Hause und füttere sie.“ Freudig trug der Knabe die Raupen
nach Hause, steckte sie mit den Nesseln in ein grosses Glas
und band ein Papier darüber. In das Papier stach er kleine
Löcher, damit die Raupen nicht erstickten, und freute sich nun,
wie die Raupen ein Blatt nach dem andern abfrafsen. Am
andern Tage nach dem Frühstücke fragte der Vater: „Hast
du denn deinen Raupen auch Frühstück gegeben? „0,“ sagte
Karl, „die Raupen haben noch das ganze Glas voll Nesseln!“
„Aber sieh sie an,“ sagte der Vater, „ob sie nicht ganz ver-
trocknet sind. Dürre Nesseln können die armen Tierchen doch
nicht fressen. Du hast die Gäste einmal angenommen, nun ist
es deine Pflicht, sie zu ernähren; denn sie selber können es
doch nicht mehr.“ Da vergafs Karl seine Pfleglinge nicht mehr.
Am sechsten Tage wollte er ihnen wieder Futter geben,
aber, o Wunder! da er das Papier wegnehmen wollte, hatten
sich alle Raupen daran gehängt. Teils am Papiere, teils am
Glase safsen sie mit den Hinterfüssen so fest, als wenn sie
angeleimt wären. Besorglich fragte Karl seinen Vater: „Ach,
was fehlt doch meinen Räupchen, lieber Vater? Ich habe sie
doch alle Tage ordentlich gefüttert, und nun werden sie mir
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doch wohl sterben!“ „Sei ruhig,“ antwortete der Vater, „sie
werden nicht sterben, sondern dir noch viele Freude machen.
Lass sie nur ungestört hängen.“ Das that Karl und machte
ganz behutsam das Glas wieder zu. Kaum war er am folgen-
den Morgen aus dem Bette, so lief er zu dem Glase, und sieh,
da gab es schon wieder etwas Neues. Die Raupen waren ver-
schwunden, und nun hingen lauter länglichrunde Läppchen da,
mit einer kleinen Krone auf dem Kopfe. Sie lebten und be-
wegten sich hin und her. Karl machte grosse Augen, schlug
die Hände zusammen und wusste nicht, was er dazu sagen
sollte. Endlich rief er: „Vater! Vater! komm geschwind her
und sieh, was aus meinen Raupen geworden ist!“ „Habe ich
es dir nicht gesagt,“ antwortete der Vater, „dass dir die
Raupen noch viele Freude machen würden? Betrachte sie nur
recht genau; sie haben ihre Häute abgestreift, die du hier
hängen siehst, und haben sich verwandelt in Dinge, die man
Puppen nennt. Lass sie nur hängen und sieh alle Tage nach
dem Glase. Vielleicht erblickst du bald einmal wieder etwas,
was dir grosse Freude macht.“
Es traf richtig ein, nur währte es dem ungeduldigen
Knaben zu lange. Schon waren einige Wochen vergangen, als
Karl einmal wieder nach seinem Glase sah. Und was erblickte
er? Da war alles voll schöner, bunter Schmetterlinge in dem
Glase. „Ach sieh doch, liebster Vater,“ rief er, was in meinem
Glase ist!“ Lächelnd kam der Vater, und als sie nun beide
genauer zusahen, erblickten sie ein neues Wunder. Ein
Schmetterling, der in einer Puppe steckte, drückte mit zarten
Fässchen die Puppe von einander und kroch heraus. Seine
Flügel waren ganz klein und zusammengerollt. Er lief ge-
schwind am Glase hinauf und hängte sich an das Papier.
Seine Flügel wuchsen fast zusehends, und nach einer Viertel-
stunde hingen sie vollständig da. — So ging es nun den ganzen
Vormittag. Immer ein Schmetterling nach dem andern kroch
aus seiner Puppe heraus. Nach Tische waren sie alle aus-
gekrochen. — „Nun kannst du dir noch eine Freude machen,“
sagte der Vater. „Nimm das Glas, trage es in den Garten,
mache es auf und gieb den Schmetterlingen die Freiheit.“ Karl
that es und freute sich unbeschreiblich, als er sah, wie die
Schmetterlinge herausflatterten und von einer Blume zur andern
flogen. Wenn er hernach im Garten umherging und einen
braunen Schmetterling mit schwarzen Flecken und einer blauen
Kante sah, freute er sich allemal. „Du bist gewiss auch aus
meinem Glase!“ dachte er.
(Nach Salzmann, aus Büttner’s Lesebuch.)
89. Die Ameisen.
Die Ameisen sind ein gar sinniges Tiervölklein. Sie leben in
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großen Gesellschaften unter Steinen, in hohlen Bäumen oder in be-
sonderen, aus Holzstückchen re. aufgeführten Bauen (Ameisenhaufen
genannt). Eine Ameisengesellschaft besteht aus geflügelten Weibchen
und Männchen und aus ungeflügelten Arbeitern. Die Männchen
und Weibchen fliegen im Juli und August aus und werden dann
meist eine Beute der Vögel; ihre Flügel verlieren sie sehr leicht.
Die Arbeiter machen die Arbeiten im Bau, bessern die Woh-
nungen aus, füttern die Larven, bringen die Puppen, welche man
fälschlich Ameiseneier nennt, an die Sonne und wieder zurück
und tragen die Weibchen nach dem Baue, wo sie sehr kleine,
weiße Eier legen; aus diesen entstehen die beinlosen Larven, welche
von den Arbeitern sorgsame Pflege genießen. Die Larven verpuppen
sich, indem sie eine seidenartige Hülle (Cocon) um sich spinnen. Diese
Puppen, das beste Futter für die Nachtigallen, sind also nicht die
Eier der Ameisen. Zu ihrer Verteidigung gebrauchen die Ameisen
die starken Kiefern und eine Flüssigkeit, die Ameisensäure, welche sich
in einer Drüse befindet und durch den Hinterleib ausgespritzt wird.
Der Ameisenspiritus wird aus den arbeitenden Ameisen gewonnen.
Ein berühmter Mann, Namens Franklin, erzählt uns folgende
wahre Thatsache, die er selbst beobachtet und aufgeschrieben hat.
— Er hatte von ungefähr ein irdenes Gefäß mit Sirup in
einem Schranke stehen. Eine Menge Ameisen waren hineingeschlichen
und verzehrten diesen Sirup; denn sie lieben besonders Süßig-
keiten. Sobald er dies wahrnahm, schüttete er sie heraus und band
den Topf mit einein Faden an einen Nagel, den er mitten in die
Decke des Zimmers schlug, so daß das Gefäß an dem Stricke her-
unterhing. Zufällig war eine einzige Ameise darin zurückgeblieben.
Diese fraß sich satt. Da sie aber weg wollte, befand sie sich in einer
nicht geringen Verlegenheit. Sie lief lange unten am Boden des
Gefäßes und fast überall herum, allein vergebens. Endlich fand sie
doch nach vielen Versuchen den rechten Weg an dem Stricke hinauf
bis an die Decke. Nachdem sie diese erreicht hatte, lief sie längs
derselben hin und so weiter die Wand hinunter bis auf den Boden.
Kaum war eine halbe Stunde verflossen, so zog ein ganzer Schwarm
Ameisen die Decke hinauf und gerade auf die Schnur zu. An
selbiger krochen sie weiter in das Geschirr und singen wieder an zu
fressen. Dies setzten sie so lange fort, als noch etwas vom Sirup
da war. Indes lief der eine Haufe am Stricke hinauf und der
andere hinunter, und dies währte den ganzen Tag. Wunderbar
allerdings — und doch wahr.
(Baenitz und Oken.)
90. Rätsel.
(* Von Lina Graff.)
Ich bin mit Königen verwandt,
Zum Schwärmen wie geschaffen,
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Trag einen gelben Sammetwams
Und immer scharfe Waffen.
Ich trink aus tansend Becherlein
An einem einzigen Tage,
Die schenkt der Sonnenschein mir ein
Im Feld und dnft'gen Hage.
Im ganzen bin ich gnt gesinnt,
Weiß meinen Mund zn laben,
Doch komm mir nicht zn nah, mein Kind,
Willst bu nicht Wunden haben.
91. Die Biene.
(* Von Lehrer D. Timm in Snkoiv.)
Die Biene ist ein sehr nützliches Insekt, außer der Seiden-
raupe ohne Zweifel das nützlichste. Daher verdienen es die Bienen
wohl, daß man sie genauer kenne und etwas mehr von ihnen wisse,
als bloß, daß sie uns Wachs und Honig liefern.
Der Körper der Biene ist mit seinen Haaren besetzt und be-
steht, wie bei anderen Insekten, aus drei Hauptteilen: Kopf, Brust
und Hinterleib. An den Seiten des Kopfes bemerken wir zwei große
und an der Stirne drei kleine Augen. Ihre beiden Fühler bestehen
aus mehreren Gliedern; von ihren vier Flügeln sind die vorderen
die größesten. Der Mund der Biene ist zum Beißeu und Saugen
eingerichtet; sie saugt mit ihrer Zunge und beißt mit ihren Kiefern,
die sie seitwärts bewegt. An den Seiten der 6 Hinterleibsringe be-
finden sich ganz kleine Löcher, durch welche die Biene atmet. Zwischen
den vier mittelsten Ringen des Hinterleibes sind kleine Vertiefungen,
aus welchen die Bienen das Wachs absondern. Aus dem Wachs
baueu sie die sechseckigen, wagerechten Zellen, welche in zwei Reihen
eine senkrechte Wabe bilden. Nicht alle Zellen werden mit Honig
gefüllt, so daß man Honig- und Brutzellen unterscheidet; die Königin-
zellen kennt man an ihrer größeren, birnförmigen Gestalt. Der
letzte Ring am Hinterleibe der Bienen hat einen kleinen mit Wider-
häkchen versehenen Stachel, mit welchem sich die Tierchen verteidigen.
Beim Stich gelangt in die Stechwunde etwas Gift, das Brennen
und Geschwulst verursacht. Die Biene hat zwei Magen, einen zur
Verdauung der Speisen und den andern zur Aufnahme des süßen
Blütensaftes.
Die Bienen leben in großen Gesellschaften, die man Bienen-
völker nennt. Ein solches Volk hat dreierlei Wesen, die sich durch
ihr Aussehen deutlich unterscheiden lassen. Jedes Bienenvolk hat eine
Königin oder Weisel, einige hundert Drohnen und viele Tausend
Arbeitsbienen. Die Königin zeichnet sich durch einen längeren
Hinterleib aus; die Drohnen sind größer und dicker, auch stärker be-
haart als die Arbeitsbienen. Die Drohnen sind wahre Faulenzer,
95
weshalb sie im Herbst von den Bienen entweder getötet und ans der
Wohnung geworfen oder ohne Erbarmen hinausgetrieben werden.
Man nennt dies die Drohnenschlacht. Ein guter Imker leidet nur
wenige von jenen faulen Gästen in seinen Stöcken.
Die Königin führt eigentlich ihren Namen mit Unrecht; denn
sie herrscht nicht und regiert auch nicht. Dies ist and) nicht nötig,
da jede Biene pünktlichst ihre Pflicht thut, — die größte Ordnung,
Reinlichkeit und Fleiß liebt. Der Königin Beschäftigung ist, Eier
zu legen, aus denen sich Bienen und Drohnen entwickeln. Wie
fleißig ist sie bei diesem Geschäft! Obgleich sie jede Zelle, die zur
Aufnahme eines Eies bestimmt ist, genau untersucht, bevor dasselbe
gelegt wird, so beträgt an schönen Junitagen die Zahl der täglich
abgesetzten Eier doch an 2000. Bei diesem Fleiß kann sie weder
an Putz noch an Speise und Trank denken. Sie will aber doch
leben! Nun, einige Bienen folgen ihr auf Schritt und Tritt, putzen
und speisen sie. Der so anstrengenden Arbeit kann sie drei bis vier
Jahre obliegen. Die kleinen, 2 mm langen Eier sind etwas gebogen
und weiß gefärbt. Nach drei Tagen entstehen daraus Maden,
welche von den Bienen mit einem aus Honig und Blütenstaub be-
reiteten Brei gefüttert werden. Bei der guten Pflege und der nahr-
haften Kost wachsen die Maden schnell; schon nach 7—8 Tagen, von
der Eierlage an gerechnet, sind sie ausgewachsen. Nun wird ihnen
noch eine gute Portion Brei gereicht und dann die Zelle mit einem
Wachsdeckel verschlossen. Die Made heißt jetzt Nymphe. In der
dunklen Kammer hat sie Zeit genug, sich ungestört zu dem voll-
kommenen Insekt zu verwandeln, was 14 Tage in Anspruch nimmt.
Jetzt dnrchbeißt die junge Biene den Wachsdeckel und kriecht am
21.-—22. Tage aus ihrer Behausung. Die ganze Entwickelung der
Arbeitsbienen aus dem Ei erfolgt also nach 21—22 Tagen, die der
Drohnen nach 23 und die der Königin nach 17*/2 Tagen.
Ohne jegliche Anleitung, nur ihrem ausgezeichneten Naturtriebe
folgend, geht die junge, wenige Stunden alte Biene den andern um
weniges älteren Bienen zur Hand. Sie bereitet Futterbrei und reicht
ihn den Maden, deren Wärterin sie jetzt geworden ist; sie sucht die
Königin auf, putzt und liebkost sie und reicht ihr eine Erfrischung;
sie reinigt die Zellen, die eben von jungen Bienen verlassen worden
sind, und bedeckelt die Zellen der ausgewachseneil Maden. So ar-
beitet die junge Biene etwa 11—12 Tage lang. Tag und Nacht.
Endlich gönnt sie sich eine kleine Erholung. Ist das Wetter an-
genehm, so verläßt sie die Wohnung unb fliegt in nächster Hin-
gebung derselben spazieren, während ihre jüngeren Schwestern ihr
Amt für die gleiche Dauer übernehmen. Aber das Bienchen feiert
nicht lange: eines schönen Tages folgt sie einer alten Biene auf das
Feld. Hier fliegt sie von Blume §u Blume, saugt mit ihrer Zunge
die süßen Blütensäfte und trägt diese in ihrem Honigmagen nach
Hause, sicher — es ist zu bewundern — den oft über eine halbe
Meile langen Heimweg findend. Zu Hanse angelangt, speichert sie
96
die Blütensäfte in leere Zellen und ist von jetzt an, gleich ihren
älteren Schwestern, unermüdlich im Eintragen von Honig, Blüten-
staub, Wasser und Pflanzenharz. Nicht alle Blüten besucht sie gleich
gern; ihre Lieblingsblumen sind diejenigen, welche recht viel süßen
Saft enthalten, als Raps, Rübsen, Linde, Hederich, weißer Klee,
blaue Kornblume, Buchweizen und Heidekraut. — Sind die vor-
handenen Zellen voll Honig, dann feiern die Bienen nicht, sondern
bauen neue Waben. Sie zehren dabei bedeutend von dem vor-
handenen Honig und sondern in Form von dünnen Blättchen das
Wachs ab, das sie sich gegenseitig abnehmen, mit den Kiefern kneten
und dann als Baumaterial verweuden. Wie regelmäßig sind die ge-
fertigten Waben! Die Zellen könnten mit Zirkel und Lineal nicht
genauer gemacht werden.
Eine Biene lebt im Sommer 6—7 Wochen, im Winter
6—7 Monate. — Wenn ein Bienenkorb oder -kästen viel Volk
hat und die Zeit zum Einsammeln vieler Vorräte günstig ist, dann
bauen die Bienen auch Köuiginzellen, währeud sie uoch eine Königin
besitzen. Die alte Königin verläßt sodann nach einigen Tagen mit
einem Teil des Bienenvolkes die Wohnung. Dann sagt der Imker:
„Die Bienen schwärmen!" und eilt, um den Schwarm, der sich an
einem Zweige eines nahen Baumes oder Strauches gesetzt hat, ein-
zufangen und in eine leere Wohnung zu bringen. Dieser eingefangene
Schwarm heißt Vorschwarm. In der Regel giebt dasselbe Volk
nach 9 Tagen noch einen Nach schwärm. Die Bienenzucht in Kasten
ist derjenigen in Strohkörben aus vielen Gründet: vorzuziehen. Das
Verfahren, die Bienen zu töten, um den Honig einzuheimsen, ist
grausam und höchst verkehrt; denn die getöteten Bienen könnten im
nächsten Sommer gleiche Schätze einsammeln.
Bewutidern müssen wir den Fleiß der Bienen, wenn wir hören,
daß ein Bienenvolk an einem schönen Tage 1, 2, ja 3 Kilo Honig
einträgt, obschon jedesmal nur ein kleiner Tropfen von der einzelnen
Biene gebracht wird. Das Herz des Imkers lacht bei diesem Fleiß;
denn täglich kann er ernten, was Millionen seiner Arbeiter eintragen.
Da muß auch er fleißig sein. Er muß die vollen Honigscheiben aus
den Kasten nehmen, ausschleudern und die so entleerten Scheiben
wieder einhängen. Außerdem muß er oft die Wohnungen der Bienen
nachsehen; er hat zu untersuchen, ob die Königin auch schon zu alt
und durch eine neue zu ersetzet: ist; er muß aus volkreichen Stöcken
durch Teilung derselben Ableger machen u. a. m.
Der gewottnene Honig wird zum Versüßen der Speisen und
zum Essen auf Brot oder Semmel verwandt. Kinder essen meistens
gern Honig. Wenige aber wissen oder bedenken, wie mühsam er von
den Bienen zusammengetrage:: tvorden ist. Wirst du nicht einmal
darüber nachdenken, wie viel bu von diesen fleißigen, Ordnung,
Reinlichkeit und Pünktlichkeit liebei:den Tierchen lernen kannst?
97
92. Lob der Biene.
(* Von Lina Graff.)
De Jmm bi de Arbeit
Lüt Immen so flielig
Up'n Dreesch in den Klewe?
Kumm her, hier sünd Tremsen,
Vilicht magst du's lewe.
Lüt Immen so slitig
Het ümme tau dohn,
Fulenzen und swänzen
Dat let sei de Drohn.
Wat bugst du von Waß doch
De Zellen so fin,
Drägst goldgälen Honnig
So emsig herin,
Wie malst du de Zellen
So künstlich egal,
As had de Bumeister
Sei treckt na't Linjal.
All srüh, wenn de Sünn ierst
Achteren Barg rute treckt,
Doa geht't na de Haid rin,
Doa gift dat Konsekt.
Lüt Jmm un ehr Swestern
De gähn doa in't Krut,
Von de Blömken de grötsten,
De rotsten un sötsten
De söken sei ut.
Doch dörs man lütt Immen
Bitst Austen*) nich stüren,
*) Beim Ernten.
Js licht tau vertürn.
Doa wohrt juch vör d' Immen
— Dat durt gor nich lang —
Sei hebben ehr Metze,
Dat trecken sei blank.
De Jmm, de schafft Segen
Dörch Kunst un dörch Fliet,
Drum saelt ji ehr plegen
Un maken nich Strict;
Denn lat't ji ehr wirken
Un schaffen ganz still,
Bringt Waß sei un Honnig
Dei Hüll un de Füll.
Doa kamen de Kindings:
„Hüt wir wi doch got,
Lew Mutting, hüt giff uns
Ok Honnig up't Brot."
Dat Muttehard sreut sick,
As allens sik plagt,
Sei wend't an dei Ölst sick
Un strakt ehr un seggi:
„So slitig de Immen
Un rendlich sei sünd,
So öndlich, doan nimm di
'n Bispil, min Kind."
93. Die Bienen und der rote Klee.
Als Gott der Herr am 7. Tage das Schöpfungswerk in
Augenschein nahm und die im vollen Blütenschmucke prangende und
lachende Flur durchschritt, da fand er, daß alles, seinem Gebote ge-
mäß, der Ruhe pflegte und den Sabbat feierte. Nur auf einem
Kleefelde, dessen rote Blüten herrlich anzuschauen waren und den
lieblichsten Geruch verbreiteten, herrschte fieberhafte Thätigkeit.
Tausende von Bienen umschwärmten den Klee, leer kamen sie an,
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 7
98
beladen mit dem süßen Honig der Kleeblüten kehrten sie in ihre
Wohnung zurück. Es war ein Schwirren und Singen in der Luft,
daß der liebe Gott seinen Ohren gar nicht trauen wollte. Aber diese
fieberhafte Thätigkeit gefiel dem Herren gar nicht; denn sie stimmte
schlecht zu der überall herrschenden Ruhe und zu dem Gebote der
Sabbatfeier: „Sechs Tage sollst bu arbeiten, am 7. Tage ist der
Sabbat des Herrn, deines Gottes, da sollst du kein Werk thun."
Da wurde der liebe Gott sehr zornig; er rief die Bienen an und
sprach: Was soll dieses Treiben? habt ihr mein Sabbatgebot nicht
vernommen? Die Bienen antworteten: Wir kennen Dein Gebot
sehr wohl, o Herr, aber wir können es nicht halten. Wir müssen
sammeln und arbeiten, so lange das Wetter uns günstig ist, und die
Blumen uns Honig spenden, damit wir in der Zeit der Not zu leben
haben. Da ward der Herr noch zorniger und rief: Wenn euch mein
Gebot so wenig gilt und euer Vertrauen zu dem, der die Welt er-
schaffen hat, so gering ist, so soll euch die Hauptquelle des Honigs
hinfort für immer verschlossen sein, damit ihr lernt, auf mich zu ver-
trauen und erfahret, daß man mein Gebot nicht ungestraft übertritt.
— Von Stund an wuchs die Blütenröhre des Klees länger, und
man sucht seit der Zeit die emsige Biene vergeblich auf einem roten
Kleefelde.
(Bienenwirtschaftliches Centralblatt Nr. 15, 1883.)
94. Die Drohnenschlacht.
Es spricht die Bienenkönigin:
„Werft mir hinaus die Drohnen!
In meinem Reiche dürfen nicht
Die Faulen länger wohnen!" —
Die fleiß'gen Bienen rüsten sich,
Marschieren aus den Zellen:
Mit scharfen Speeren streiten sie.
Die tapfern Spießgesellen.
„Hinaus, hinaus, du faules Volk!
Wir wollen euch nicht nähren!
Wer nicht arbeiten will, der soll
Auch Essen nicht begehren!" —
Die trotz'gen Drohnen wehren sich
Mit ihren plumpen Leibern!
Doch allesamt erliegen sie
Den mutigen Vertreibern.
Und die im Lanzenrennen nicht
Tot aus dem Schlachtfeld blieben,
Von ihren Siegern werden sie
Zum Reich hinausgetrieben.
Dort an der Grenze harren sie
Und flehn und lamentieren;
Doch ohne Gnade müssen sie
Verhungern und erfrieren.
Jetzt ist im ganzen Bienenreich
Nichts faul mehr, schlaff und drohnig:
Die Bienen ungestört im Fleiß,
Bereiten Wachs und Honig. (Enslin.)
95. Die Spinnen.
Die Spinne ist ein verachtetes Tier, viele Menschen fürchten
sich sogar davor, und doch ist sie auch ein merkwürdiges Geschöpf und
hat in der Welt ihren Nutzen. Ja, die Spinnen leisten in der
Natur großen Nutzen, und keinem Menschen thun sie etwas zuleide.
Jährlich und täglich verzehren sie eine große Anzahl Fliegen und
Mücken. Sind nicht manchmal ganze Ackerfurchen mit Spinngewebe
99
überzogen und glänzen im Morgentau? Da geht manches Mücklein
zu Grunde, das die aufkeimende Saat vielleicht angegriffen imb ver-
letzt hätte. Die Spinne hat nicht zwei Augen, sondern acht. Mancher
wird dabei denken, da sei es keine Kunst, daß sie die Fliegen und
Mücken, die an ihren Fäden hangen bleiben, so geschwind erblicke
und zu erhaschen wisse. Allein das machts nicht aus. Denn eine
Fliege hat nach den Untersuchungen der Naturkundigen viele hundert
Augen und nimmt doch das Netz nicht in acht und ihre Feindin, die
groß genug darin sitzt. Was folgt daraus? Es gehören nicht nur
Augen, sondern auch Verstand und Geschick dazu, wenn man glücklich
durch die Welt kommen und in keine verborgenen Fallstricke geraten
will. — Wie fein ist ein Faden, den eine Spinne in der größten
Geschwindigkeit von einer Wand bis an die andere zu ziehen weiß!
Und doch versichern abermal die Naturkundigen, daß ein solcher
Faden, den man kaum mit bloßen Augen sieht, wohl sechstausendfach
zusammengesetzt sein könne. Das bringen sie so heraus: Die Spinne
hat an ihrem Körper nicht nur eine, sondern sechs Drüsen, aus
welchen zur Zeit Fäden hervorgehen. Aber jede von diesen Drüsen
hat wohl tausend feine Öffnungen, von welchen keine umsonst sein
wird. Da kann man wohl begreifen, daß ein solcher Faden, obgleich
so fein, doch auch so fest sein könne, daß das Tier mit der größten
Sicherheit daran auf- und absteigen und sich im Sturm und Wetter
darauf verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Ge-
schicklichkeit dieser Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer
stillen und unverdrossenen Arbeit zuschaut, und an den großen und
weisen Schöpfer denken, der für alles sorgt und solche Wunder in
einen: so kleinen und unscheinbaren Körper zu verbergen weiß?
Daß es mancherlei Tiere dieser Gattung gebe, sieht man schon
an der Verschiedenheit ihres Gewebes in der freien Luft, an Fenster-
scheiben, in den Winkeln, auf den Feldern, da und dort. Manche
spinnen gar nicht, sondern springen nach ihrer Beute. Im Frühjahre,
und noch viel mehr im trocknen warmen Nachsommer sieht man oft gar
viele weiße Fäden in der Luft herumfliegen. Alle Bäume hängen
manchmal voll, und die Hüte der Wanderer auf der Straße werden
davon überzogen. Man konnte lange nicht erraten, wo die Fäden
und Flocken herkommen, und machte sich allerlei wunderliche Vor-
stellungen davon. Jetzt weiß man gewiß, daß es lauter Gespinst ist
von unzählig viel kleinen schwarzen Spinnen, welche deswegen die
Spinnen des fliegenden Sommers genannt werden.
Aber eine gefürchtete Spinne lebt in dem untersten heißen
Italien. Sie ist unter dem Namen Tarantel bekannt. Diese soll
wohl die Menschen beißen, und durch den giftigen Biß krank und
schwermütig machen. Im übrigen aber ist noch kein Mensch in unsern
Gegenden durch Spinnen vergiftet worden, und es ist thöricht, wenn
manche Leute davon laufen oder die nützlichen Tierchen zertreten, wo
sie sie finden, als ob sie giftig wären. (Hebel.)
7*
100
96. Das Spinnlein.
Nein, schaut mir doch das Spinnlein an, wie's zarte Fäden
zwirnen kann! Frau Muhme, du spinnst auch wohl fein; doch das
möcht' wohl noch feiner sein. Es macht es gar so fein und nett,
möcht nicht, daß ich's zu haspeln hätt'!
Wo nahm es her den Flachs so fein? — Wer mag sein
Hechelmeister sein? Gelt, wenn man's wüßt', du gingst auch hin,
und wärst so klug und holtest ihn. — Jetzt schau nur, wie's sein
Füßchen setzt, die Ärmel streift, die Finger netzt.
Es ziehet lange Fäden aus, und spinnt eine Brück' ums
Nachbarhaus; ein breiter Weg ist's in der Luft, der Morgens hangt
voll frischem Duft; baut einen Fußweg neben dran, daß es auch
drüber gehen kann.
Wie hast du, Spinnlein, mich entzückt, so klein und doch auch
so geschickt! Wer hat dies alles dich gelehrt? — Ich denk', er, der
uns alle nährt; er giebt auch dir, was dir gebricht; sei ruhig, er
vergißt dich nicht.
Da kommt ein Mücklein; nein, wie dumm! Es rannt' ihm
schier das Häuslein um; nun schreit's und winselt's Weh und Ach!
Du armer Schlucker, nur gemach! hier heißt es, Augen aufgethan!
Was gehn dich fremde Sachen an?
Schau, Spinnchen merkt schon was davon, es zuckt und springt,
und hat es schon. Es denkt: „Viel Arbeit hatt' ich hier, nun schmeckt
auch wohl das Brätchen mir!" Ich sag's ja: der uns alle nährt,
auch jedem, was er braucht, beschert. (Hebel, gekürzt.)
VIII.
a. Das Leben ist kurz. Verborgen ist die Zukunft. Die Sündflut war
schrecklich. Scheinheilig waren die Pharisäer. Irren ist menschlich. Verzeihen
ist christlich. Allzuviel ist ungesund. Das Evangelium ist tröstend. Der
Trost ist erquickend.
b. Gott ist die Liebe. Jesus ist unser Heiland. Keuschheit ist eine Tugend.
Das Leben ist eine Schule. Schätze sind Netze. Schweigen ist Gold. Reden
ist Silber. Luther war ein Reformator. Schiller war ein Dichter. Paulus
wurde ein Missionar. Das Wort ward Fleisch.
c. Suchet! Sei fromm! Gott segnet. Gläubige beten. Demut zieret. Das
Gebet tröstet. Das Irdische vergeht. Der Schein trügt. Friede ernährt.
Tugend besteht. Blitze leuchten. Balken krachen. Trostlose verzagen.
ä. Ist nicht das Leben kurz? Ist irren nicht menschlich? Wie schrecklich war
die Sündflut! Was für ein Mann war doch Luther! — Armut schändet
nicht. Unkraut vergeht nicht. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der Spar-
same hält zusammen. Die Kälte dringt durch. Der Friedfertige giebt nach.
97. Der Krebs.
Die Krustentiere oder Krebse b sind ungeflügelte Gliedertiere mit
weißem Blute und mit zehn oder mehr Beinen. Ihre Körperbe-
deckung List kalkig, Horn- oder lederartig. Sie e machen eine Ver-
wandlung durch und bewohnen mit wenigen Ausnahmen das Wasser.
101
Unter den Krustentieren ».ist der Flußkrebs am bekanntesten.
Er eist vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen in krustige Schalen
eingehüllt und dadurch gegen mäßige Angriffe gut geschützt. Da diese
Schalen aber aus mineralischen Stoffen, nämlich aus Kalk, bestehen,
so dehnen sie sich beim Wachsen nicht in dem Maße aus, als er-
forderlich ist. Der Krebs «zieht daher seinen Panzer alljährlich im
Sommer einmal aus und erhält dafür einen neuen, etwas weitern.
Sogar der «Magen häutet sich bei dieser Gelegenheit mit. So
lange das neue Kleid noch weich und leicht verwundbar ist, hält der
Krebs sich verborgen, und zwar aus Furcht vor seinen Feinden, zu
denen er leider seine eigenen Kameraden rechnen muß. In 3 bis
5 Tagen ist aber die neue Schale vollständig hart geworden, und
das alte Leben beginnt nun von neuem. Die Männchen der Krebse
haben größere Scheren und die Weibchen breitere Schwänze. Ihre
bräunlichgrüne Farbe geht beim Kochen in ein Rot über. Die
Weibchen tragen ihre 200 Eier unter dem Hinterleibe und hüten die
Jungen sehr sorgfältig. Das Fleisch des Krebses ist in den Monaten
am wohlschmeckendsten, welche kein „r" haben.
Der Krebs wohnt am liebsten in Uferlöchern an Flüssen und
Bächen. Er gräbt die Löcher sich selbst und macht sie so enge, daß
er gerade hineinpaßt. Um bei Angriffen rückenfrei zu sein, begiebt
er sich rückwärts in seine Höhle und verläßt sie gewöhnlich nur
nachts und bei Gewittern. Seine Nahrung besteht in mancherlei
Pflanzen, Fischen, Regenwürmern, Schnecken und Aas. Letzteres
scheint Leckerbissen für ihn zu sein. Seine Bewegungen zu Fuß sind
langsam, werden aber eben so gut rückwärts wie vorwärts vollzogen.
Droht ihm Gefahr, so schwimmt er ziemlich schnell rückwärts, und be-
werkstelligt dies dadurch, daß er den Schwanz wiederholt und schnell
gegen den Leib schlägt. Wegen dieser rückgängigen Bewegung gilt der
Krebs als Bild des Rückschritts. Man sagt daher auch von einem
Schüler, der nichts lernt oder das Gelernte leicht wieder vergißt, er-
geht den Krebsgang. (Lüben und Baenitz.)
98. Der Regenwurm.
Die Würmer sind Gliedertiere mit langgestrecktem Körper,
welcher aus zahlreichen Ringen besteht. Sie vermehren sich durch
Eier, Selbstteilung oder sie bringen lebendige Junge zur Welt. Nutzen
gewährt uns der Blutegel; schädlich sind Bandwürmer und Trichinen.
Unter den Würmern ist der Spulwurm und der Regenwurm wohl
allen Kindern bekannt.
Der Regenwurm hat zwar einen langen Leib, ist aber im
Grunde doch etwas kurz weggekommen. So hat er z. B. keine Spur
von Augen, und die Ohren haben die Naturforscher alles Suchens
ungeachtet auch noch nicht auffinden können. Selbst sein Maul ist
so angethan, daß er weder gebrannte Mandeln verspeisen, noch Nüsse
knacken kann; was härter ist, als fette weiche Erde und feine Würzel-
chen, das muß er stehen lassen, und wäre es noch so wohlschmeckend.
102
Indes weiß er sich in dieser Beziehung doch etwas zu helfen. Um
sich nämlich zuweilen einen guten Salat zu bereiten, zieht er einige
schmale Weidenblätter an den Stielen in sein Loch, und läßt sie so
weit daraus hervorragen, daß es aussieht, als hätte sich jemand den
Scherz gemacht, Weidenblätter zu pflanzen. Fangen nun diese
Blätter in der Erde an zu faulen, so sind sie ihm gerade recht, und
werden mit Wohlbehagen verzehrt. Während des Nagens zieht er
sie immer tiefer hinein, und sorgt auf diese Weise für die Zukunft.
Wer sich die Mühe nehmen will, einen Regenwurm genauer
zu untersuchen, der muß weiter als bis 10 zählen können, und auch
scharfe Augen haben; denn erstens besteht sein Körper aus 154 bis
160 Ringen, und zweitens sind seine Füße so feine kleine Borsten,
daß man sie leichter fühlt als sieht. Hinter dem 20. oder 30. Ringe
befindet sich ein Gürtel, der unten mit zwei Reihen Saugnäpfen
besetzt ist. Schneidet man einen Regenwurm quer durch, so lebt die
vordere Hälfte fort, die hintere dagegen stirbt.
Zur Regenzeit und des Nachts kommt der Regenwurm aus
seiner dunkeln Kammer hervor, wahrscheinlich um Schnabelweide zu
halten. Wem daher etwas daran liegt, diese Wühler aus seinem
Garten loszuwerden und nicht geneigt ist, dem Maulwurf diese Ver-
tilgung allein zu überlassen, der wird wohlthun, sich vor Sonnen-
aufgang an das Geschäft des Auslesens zu machen. Er muß aber
leise dabei auftreten; denn obwohl der Regenwurm weder sehen noch
hören kann, so nimmt er doch die Erschütterung leicht wahr, und
zieht sich schnell in sein Gemach zurück. Von trockener Wärme ist
der Regenwurm ebensowenig ein Freund, als von strenger Kälte;
daher trifft man ihn im heißen Sommer 2—3, im Winter sogar bis
zu 10 Fuß tief in der Erde. — Die Vermehrung der Regenwürmer
ist sehr stark und erfolgt durch Eier, die sie in Klümpchen legen. Die
Jungen haben, wenn sie aus dem Ei kriechen, nur 92 Ringe.
(Lüben.)
99. Der Wurm.
(*Von Lina Grafs.)
Was da lebet, kreucht und fleucht,
Auch den Wurm hat Gott gegeben;
Ob er still im Staube schleicht,
Ob er mag im Grase leben,
Ob er webt in tiefer Gruft,
Oder schwebet in der Luft,
Trägt er auch ein schmucklos Kleid:
„ Thu dem Würmchen nichts zu leid.
Gott der Herr hat es gemacht,
Gönnet ihm sein kurzes Leben,
103
Eines Schmetterlinges Pracht
Ward ihm einmal nicht gegeben.
Doch der Schöpfer, der ihn schuf,
Gab ihm sicherlich Beruf.
Gönn’ ihm seine Spanne Zeit:
„Thu dem Würmchen nichts zu leid!“
Wird des Wurmes Tod dir Pficht,
Thut er unbewusst dir Schaden,
Töt ihn, aber quäl ihn nicht;
Denn du würdest auf dich laden
Sehr die Schmach der Grausamkeit,
Die der Schöpfer schicer verzeiht —
Lösch dann schnell sein Lebenslicht,
„Töt ihn, aber quäl’ ihn nicht!11
100. Bandwurm und Trichine.
Die Bandwürmer haben einen bandförmigen, gegliederten
Körper, welcher sich nach dem Kopfende zuspitzt. Sobald die letzten
Glieder des Bandwurmes reif sind, lösen sie sich ab und gelangen
aus dem Darmkanal ins Freie, wo die Eier auf Düngerhaufen, an
Pflanzen oder im Wasser ihre Lebensfähigkeit längere Zeit behalten.
Werden diese Eier nun in einen bestimmten tierischen Körper gebracht,
so bilden sie sich zu Larven um, welche sich in Magen und Darm-
gefäße bohren und von dem Blute dahin getragen werden, wo sie sich
zum Blasenwurm entwickeln; dies erfolgt in den Muskeln, Lungen,
im Gehirn, in der Leber re. Die Blasenwürmer oder Finnen sind
also nicht als selbständige Tiere zu betrachten, sondern sie sind un-
entwickelte Bandwürmer, und aus den Blasenwürmern können sich
nur dann Bandwürmer entwickeln, wenn sie in einen bestimmten
tierischen Körper gelangen. Aus den schrotkorngroßen Finnen des
Schweines bildet sich im menschlichen Körper der langgliedrige Bandwurm,
aus den Finnen des Hasen und Kaninchens der Hundebandwurm und
aus der Quese der Schafe in den Hunden der Dreh wurm. Fütterungs-
versnche haben gelehrt, daß sich aus den Gliedern des Hundeband-
wurmes in Schafen die Schafquesen bilden, und daß sich in den
Schweinen Finnen erzeugen, wenn sie mit reifen Bandwurmgliedern
gefüttert werden. Durch Kochen tötet man die Finnen im Schweine-
fleisch. Der Drehwurm lebt in Wölfen und Hunden und seine fast
hühnereiergroße Finne im Gehirn und Rückenmark der Schafe; sie
erzeugt die Drehkrankheit.
Die Trichine (Haarwurm), erst 1835 entdeckt, gleicht einem
spiralförmig aufgewundenen Faden. Die Weibchen bringen zahlreiche
(bis 200) Junge zur Welt; diese durchbohren den Darm und wandern.
104
durch das Blut weiter bewegt, in das Muskelfleisch. Hier erfolgt
ihre Einkapselung, indem sie sich spiralig ausrollen und durch Aus-
schwitzung eine kalkige Hülle oder Kapsel bilden. In diesem Zu-
stande können sie jahrelang leben. Kommt die eingekapselte Trichine
in den Magen eines neuen Wirtes, so wird durch die Verdauungs-
flüssigkeit die Kapsel aufgelöst, und die Trichinen wandern in den
Darm, die Vermehrung erfolgt, und die Wanderung in den Körper
beginnt von neuem. — In den menschlichen Körper gelangen die
Trichinen durch den Genuß von rohem oder nicht genügend ge-
kochtem Schweinefleische. Während ihrer Wanderung verursachen
sie Mangel an Eßlust, Kopfschmerzen und Durchfall, später An-
schwellung der Muskeln, Unbeweglichkeit der Glieder, Mattigkeit und
endlich den Tod. Um sicher zu sein, muß man Schweinefleisch also
stets gut gekocht oder gut durchgebraten genießen. Am sichersten geht
man indes immer, wenn man nur Schweinefleisch genießt, das von
Sachverständigen auf Trichinen untersucht ist. Da Maulwürfe,
Mäuse und Ratten sehr zahlreich die Trichinen beherbergen und jene
Tiere von den Schweinen gefressen werden, so sind die erstgenannten als
die Träger der Trichinen zu betrachten. (Baenitz.)
101. Bauch- oder Schleimtiere.
Die Bauch- oder Schleimtiere bilden den dritten großen Kreis,
in welchen das Tierreich zerfällt; sie haben weder einen geringelten
Körper, noch geordnete Gliedmaßen; ebenso fehlt ihnen auch das
äußere uud innere Skelet; ihr Körper ist mit einer weichen, dehn-
baren, schleimigen Haut überzogen, die häufig einen kalkartigen
Stoff absondert, der entweder als Schale den Körper umhüllt
(Schnecken) oder im Innern des Leibes abgelagert wird (Korallen).
Sie vermehren sich durch Teilung, durch Eier oder bringen lebendige
Junge zur Welt und entnehmen ihre Nahrung dem Tier- und Pflanzen-
reich. Die Mehrzahl gehört zu den Wasserbewohnern. Viele dienen
als Nahrungsmittel (die Austern und die Weinbergschenke), einige
liefern Perlen (die Perlmuschel), noch andere Färbstoffe (wie die
Purpurschnecke und der Tintenfisch), oder ihre Schalen werden zu
Kunstsachen verarbeitet.
Die Zahl der Bauchtiere ist eine sehr große; eins derselben ist
allen Kindern bekannt: die auf Feldern und in Gärten sich findende
Ackerschnecke; mancher an der See wohnende Knabe hat sich auch
wohl schon einen Seestern aufgefischt und dieses merkwürdige, glatte,
schleimige Tier bewundert. Ebenso merkwürdig ist die die Nord- und Ostsee
bewohnende Ohrenqualle, welche einen rötlichen, flach halbkugeligen
Körper hat, an dessen Rande sich viele feine Fäden und an dessen
unterer Seite sich vier Fangarme befinden. Uuter den Bauchtieren
giebt es unzählige, die mit bloßen Augen gar nicht zu sehen, sondern
nur durch gute Vergrößerungsgläser zu erkennen sind. Dazu ge-
hören u. a. die Aufgußtierchen (Infusorien). Sie wohnen in süßen
Gewässern (Pfützen, Sümpfen und Brunnentrögen) und in Auf-
güssen, in welchen sich Pflanzenstoffe auflösen. Oft ist das Wasser
von ihnen grün, rot oder gelblich gefärbt. Wenn du einen Tropfen
aus solchem Wasser durch ein Vergrößerungsglas betrachtest, dann
mußt du staunen, was für verschiedene Gestalten du erblickst, wie
Aale, wie Kugeln, Glocken, Sterne — und alles ist voll Leben.
Mit jedem Schluck Wasser trinkst du eine Menge Tierchen. Wird
dir auch bange, wenn du daran denkst, daß du vielleicht schon oft
draußen auf dem Felde oder im Walde aus einem Wasserloch oder
aus einem Graben deinen Durst gestillt hast? Sei unbesorgt! Alle
die Millionen Tierchen, welche du auf diese Weise verschluckt hast,
haben in deinem Magen ihr Grab gefunden.
Wie wunderbar ist doch alles in dem Tierreich, und was für
ein mächtiges Schalten und Walten tritt uns überall entgegen, selbst
unter den kleinsten, den unbewaffneten Augen unsichtbaren Geschöpfen!
(Nach Baenitz.)
1».
102. Preis des Pflanzenreichs.
(* Von Eugen Labes.)
Gott sprach: „Es werde Licht!"
— — Zu seinem Angesicht
Die Pflanzen schauten groß und klein
Und sonnten sich in Lichtes Schein;
Es grünte selbst der Dünen Sand,
Es blühte an des Berges Rand
Von Lenzes erstem Sonnengruß
Bis zu des Herbstes letztem Schluß. —
Die Blümlein all in jedem Land
Schmückt königliches Prachtgewand,
Sie flechten immer neuen Kranz
Aus aller Farben reichem Glanz,
Daß auch der kleine Erdenstern
In Demut preise Gott, den Herrn,
Vom zartbefiedert dunklen Moose,
Vom kleinsten Blümlein bis zur Rose,
Vom Tannengrün in Nordens Nacht
Zum Palmenbaum, der Cedern Pracht.
So geht in Feld und Wald hinaus
Und pflücket manchen Blütenstrauß,
Dann ahnt ihr ew'ger Weisheit Spur
Auch in dem Buche der Natur
Und preiset in der Frühlingszeit
Des Weltenschöpfers Herrlichkeit.
103. Samenkorn, Keim und Wurzel.
Welche Mannigfaltigkeit, welche Pracht in dem Pflanzenreiche!
Wie nützlich sind für Menschen und Tiere alle die Gewächse, welche
nur zum Schmucke der Erde geschaffen zu sein scheinen! Mit welcher
Weisheit hat der Schöpfer jedem Erdstrich seine befonbereu Pflanzen
für die Bedürfnisse der Geschöpfe angewiesen, und ivas für eine
weise Einrichtung tritt uns schon entgegen, wenn wir die einzelnen
Teile der Pflanze näher betrachten und erkennen, in welchein Zu-
sammenhange dieselben unter sich stehen!
Jedes Samenkorn, es sei auch noch so klein, ist merkwürdig
106
durch seine Beschaffenheit. Es besteht aus einem weißen, mehlartigen
Kern und aus einer Schale, die den Kern überzieht, um ihn zu schützen.
Außer der groben, äußern, härtern Schale, die den zarten Kern vor
allen Verletzungen behüten muß, liegt zwischen ihr und dem Kern
noch eine feine dünne Haut, danüt die feste Schale den Kern nicht
drücken möge. Aber auch das Innere des Samenkörnleins ist merk-
würdig. Man entdeckt darin einen kleinen Punkt, der erhaben ist.
Man nennt ihn das Herzchen; dies ist der Keim der künftigen Pflanze,
der erste Anfang zum Kornhalm oder zum Eichbaum. Selbst also
auch die mehligen Teile sind nur eine neue Hülle; sie dienen dem
jungen Keim als erste Nahrung, gleichsam als erste erhaltende Mutter-
milch, so lange er noch keine Wurzeln und Blätter gebildet hat, um
stärkere Kost aus der Luft und Erde einzusaugen. Wenn nun im
Frühjahr die Strahlen der Sonne den aufgetauten Erdboden durch-
wärmen, dann regt sich der wohlverwahrte Keim und schwillt von
der Nahrung, daß die ihn umgebende Schale zerplatzt und er hervor-
dringen kaun. Die Kraft, welche dieser schwache Keim hat, ist er-
staunenswürdig, indem er den Kern anschwellt. Wie kann solche
Kraft in einem so zarten Keime wohnen, den der Finger eines Kindes
mit Leichtigkeit zu zerstören vermag?
Muß mau sich uicht wundern über die waltende Schöpferkraft
auch in dem Allerkleinsten des Pflanzenreichs?
Ist der Bau eines gering scheinenden Samenkörnleins schon
hinreichend, unsere Bewunderung zu erregen, so ist es noch mehr der
Keim. Es ist etwas Seelenartiges in dem kleinen Keime; denn er
dringt wie gerufen und zur rechten Stunde aus dem Kerne hervor
und senkt seine Spitze in den Erdboden, um Nahrung zu finden.
Er treibt aus dieser kleinen Spitze Fasern hervor, die zu Wurzeln
werden. Wenn die Spitze des Keims, die zur Wurzel bestimmt ist,
aufwärts über der Erde steht, krümmt sie sich so lauge abwärts, bis
sie Erde gefunden, während die andere Keimspitze, die zu Stengel
und Blättern werden soll, sich jedesmal von der Erde wegwendet und
himmelwärts steigt, um Luft und Licht zu suchen. Ist hier nicht eine
verborgene wunderbare Kraft, die ebenso unerklärlich ist, als diejenige,
welche die Sterne in ewig gleichen Bahnen führt? Ändert immerhin
die Lage des keimenden Samens, so oft ihr wollt, er wird nicht müde
werden, eben so oft seine Keimspitze zu ändern.
Die aus dem gröberen Keim entstehenden Wurzeln sind gleich-
sam die Arme der Pflanze, mit welchen sie sich an den Boden an-
klammert, um Nahrung zu suchen. Die Wurzeln sind bei verschiedenen
Pflanzen verschieden gebaut. Einige bohren mit festem Pfahl in
gerader Richtung abwärts, um dem kräftigen hohen und astreichen
Stamm des Baumes eine sichere Haltung gegen die Gewalt der
Stürme zu verschaffen. Andere breiten sich nur in vielen Ver-
ästungen unter der Oberfläche des Erdbodens aus, so daß sie auch
auf nicht gar tiefem Grunde stehen können. Einige sind hohl, röhren-
artig, andere schuppig, haarig; einige sind holzig, andere fleischig.
107
um Menschen und Tieren zur Nahrung zu dienen, wie Rüben,
Zwiebeln, Kartoffeln u. s. w.
So wie jedes Tier seiner Natur nach seine besondere Art
Futter verlangt und aufsucht, so sucht auch jede eigne Pflanzenart
Nahrung im Boden auf, welche ihr am angemessensten ist. Die
blinde Pflanze fühlt und entdeckt sie mit ihren saugenden Wurzel-
spitzen. Daher, verschieden wie das Erdreich, versammeln sich auf
demselben die Gewächse. Viele Pflanzen blühen und grünen längs
den Ufern der Bäche; andere auf den dürren Felsen. Die Brunnen-
kresse liebt das reine, kalte Wasser der Quellen; im trüben Sande
würde sie sterben. Das Steinbrechkraut nimmt mit wenig Erde in
der Felsenwand fürlieb.
(Zscbokke. sMit einigen Änderungen.))
104. Die Lebenserscheinungen der Pflanzen.
(* Von Lehrer H. Paulsson in Krummendorf.)
Am dritten Tage, so lesen wir in der heiligen Schrift, schuf
der liebe Gott die Pflanzen, die in ungezählter Menge in zahlreichen
Gattungen und Arten das Land und die Gewässer bewohnen. Sie
sind gleich den Tieren lebendige Wesen, wenn auch in anderer Weise
als diese. Ihnen fehlt, wie ihr, liebe Kinder, schon gelesen habt,
die willkürliche Bewegung, indem sie an ihren Standort gebunden
sind. Eine Empfindung für Schmerz und Freude, wie die Hähern
Tiere sie besitzen, ist ihnen, wie ihr gleichfalls schon wißt, auch nicht
gegeben. — Jedes lebende Wesen bedarf zu seiner Erhaltung der
Nahrung. Menschen und Tiere können ohne dieselbe nicht bestehen,
ebensowenig die Pflanze. Das Tier nimmt seine Nahrung durch den
Mund zu sich, die Pflanze durch die Wurzeln, den Stengel und die
Blätter. Die Blüten und Früchte dienen der Fortpflanzung oder
der Erhaltung der verschiedenen Arten. Aber wie groß ist doch der
Unterschied zwischen der Ernährung der Pflanzen und derjenigen der
Tiere. Tie Pflanze entnimmt ihre Nahrungsstoffe unmittelbar dem
Boden und der sie umgebenden Luft. Dazu ist das Tier außer stände.
Seine Nahrung wird ihm erst von den Pflanzen zubereitet und
mundrecht gemacht. Darum ist die Erhaltung der Tiere und auch
des Menschen an den Bestand der Pflanzenwelt gebunden; ohne
Pflanzenleben besteht kein Tierleben. — Wie die Tiere das Wasser
zu ihrer Ernährung nicht entbehren können, eben so wenig die Pflanze;
sie bedarf desselben oft in großer Menge. Nur unter Mitwirkung
des Wassers ist die Pflanze imstande, ihre Nahrung dem Boden zu
entnehmen. Die Pflanze müßte im reichsten Boden doch hungern,
wenn diesem die nötige Feuchtigkeit fehlte. Auch bedarf die Pflanze
zu ihrem Gedeihen des Lichtes und der Wärme. Sinkt die Wärme
der Luft zum Gefrierpunkte, so hört aller Pflanzenwuchs auf. Die
Quelle der Wärme ist aber die Sonne. — Die Tiere haben eine
von der Wärme der Luft unabhängige Eigenwärme. Diese wird
108
ihnen durch die Atmung vermittelt. Alle lebendigen Wesen atmen
und erzeugen durch diese Atmung eine Eigenwärme; so verhält es
sich auch mit den Pflanzen. Die Atmungsorgane der Tiere sind die
Lungen, Tracheen*) und Kiemen. Die Pflanzen atmen vorzugs-
weise durch die Blätter. Tiere und Pflanzen atmen die sie um-
gebende Luft. Die Atmung der Tiere ist Tag und Nacht dieselbe;
bei den Pflanzen ist das nicht der Fall. Die Tiere atmen zu jeder
Tageszeit den Sauerstoff der Luft (Lebenslust) ein und hauchen
Kohlensäure (schädliche Luft) wieder aus. Alle Blattgrün führen-
den Pflanzen atmen im Dunkeln gleich den Tieren, im Sonnenlichte
aber entgegengesetzt: sie atmen dann Kohlensäure ein und hauchen
Sauerstoff, die Lebenslust der Tierwelt, aus. Die Tiere gebrauchen
also Sauerstoff, und erzeugen Kohlensäure, die Pflanzen erzeugen
Sauerstoff und gebrauchen Kohlensäure. Vermöge der Atmung
haben nun auch die Pflanzen eine Eigenwärme, die aber durch die
lebhafte Verdunstung von Wasser aus den Blättern sehr herab ge-
drückt, d. i. abgekühlt wird, weil jede Verdunstung Kälte erregt.
Man könnte diesen Vorgang mit dem Schwitzen der Tiere in Ver-
gleich stellen. — Einen Schlaf im eigentlichen Sinne, wie es bei den
Tieren der Fall ist, haben die Pflanzen nicht. Doch nennt man die
veränderte Stellung der Blätter undj anderer Pflanzenteile, die mit
dem Abend bei vielen Pflanzen eintritt, den Schlaf der Pflanzen.
Eine merkwürdige Lebenserscheinung zeigen manche Pflanzen in den
Reizbewegungen dann, wenn man ihre Blätter berührt. Auffallend
ist diese Erscheinung z. B. bei dem Sonnentau, einer Pflanze, die
in Sümpfen und Torfmooren wächst und deren kleine weißen Blumen-
blätter sich nur im Sonnenscheine öffnen. Die Blätter dieser Pflanze
sind mit langen Drüsenhaaren versehen. Sobald ein kleines Insekt
sich auf eins der Blätter niederläßt, legen sich die Drüsenhaare all-
mählich über demselben zusammen. Es kann nicht mehr entfliehen
und dient der Pflanze vielleicht mit zur Nahrung. Man spricht des-
halb auch von Insekten fressenden Pflanzen.
Gemeinsam mit den Tieren haben die Pflanzen endlich das
Wachstum, das Altern und Absterben.
105. Alter und Tod der Pflanzen.
(*Von H. Paulsson.)
Allem, was lebt, ist beschieden zu sterben: auch den Pflanzen.
Aber die Lebensdauer derselben ist sehr verschieden. Bricht auch keine
Krankheit, keine zerstörende Macht der Elemente das Leben der Pflanze,
verbraucht oder vernichtet sie auch kein Mensch oder Tier: im all-
gemeinen haben doch alle Pflanzen nur eine bestimmte Lebensdauer.
Manche sterben ab, wenn sie einmal Früchte getragen haben, zu
deren Entwickelung kürzere oder längere Zeit erforderlich war; andere
*) Luftröhren, die Atmungswerkzeuge der Insekten und vieler Spinnentiere.
109
bringen oft Früchte und erreichen ein erstaunlich hohes Alter. Die
Tanne kommt selten vor 30 bis 40 Jahren zur Blüte; die Kiefer
hingegen schon mit 10 bis 12 Jahren. Ihre Wachstumshöhe er-
reichen Kiefer und Fichte mit 80 bis 100 Jahren, während die
Tanne die Zeit ihres Wachstums viel länger ausdehnt. Die Jahres-
ringe der Buche werden in der Regel erst mit 150 bis 200 Jahren
vermindert. Es sind viele Beispiele eines geschichtlich nachweisbaren
außerordentlich hohen Alters einzelner Bäume bekannt. Unter den
alten Linden ist die berühmteste diejenige zu Neustadt am Kocher in
Württemberg, die schon im Jahre 1276 von der Stadt-Chronik als
„der große Baum von der Heerstraße" erwähnt wird und wahrschein-
lich ein Alter von nahezu 1000 Jahren hat. Eine alte Eiche bei
Breslau von sehr großem Stammumfange wird auf 700 Jahre ge-
schätzt. Der Rosenstock am Dome zu Hildesheim soll der Sage nach
von dem Kaiser Ludwig dem Frommen „gepflanzt sein und ist dar-
nach über 1000 Jahre alt?) Auf dem Ölberge bei Jerusalem stehen
Ölbäume, die ein Alter von 2000 Jahren erreicht haben. Alle diese
Bäume werden aber an Alter durch den Californischen Mammuth-
baum und den Affenbrotbaum, im heißen Afrika und in Ostindien
wachsend, übertroffen. Von dem ersteren wurde auf Befehl der Re-
gierung in neuerer Zeit ein Stamm gefällt, und man zählte an ihm
nahe an 4000 Jahresringe, während man das Alter eines Stammes
der letzteren Art im westl. Afrika (Senegambien) auf 5000 Jahre
schätzte. — Was könnte so ein alter Baum nicht alles erzählen, was
hat er nicht alles erlebt. Wie unzähligen Tieren hat er Schutz
und Obdach in seinem weiten, grünen Hause gewährt! Und wo sind
alle die Menschen geblieben, die unter seinem Schatten geruht hahen?
Der alte Riese hat sie alle, alle überlebt. Wenn aber auch kein
Blitzstrahl ihn träfe, kein Sturmwind ihn zerstörte, oder keines Men-
schen Hand ihn fällte: endlich kommt doch auch seine Zeit! — Klein
war sein Ursprung. Vor vielen hundert Jahren senkte sich ein
Samenkorn in den Boden, daraus erwuchs ein Stämmchen, so schwach,
daß ein Knabe es auszureißen imstande war. Aber seine Wurzeln
sogen die Nahrung des ihn umgebenden Erdreichs ein, und seine
Blätter tranken von dem Tau des Himmels. So wurde er im
Laufe der Jahre ein Riesenbaum, der den Stürmen und Wettern
Jahrtausende hindurch trotzen konnte.
*) In Norddeutschland sind zwei Eibenbäu me (Taxus) wegen ihres hohen
Alters berühmt. Der eine Eibenbaum, 1500 Jahre alt, steht auf dem Gehöfte
des Erbpächters Hallier in Mönchhagen bei Rostock. Alljährlich kommen
Naturfreunde, oft von weit her, um diesen Baum zu bewundern, der vor Jahren
nahe daran war, von Forstes wegen weggenommen zu werden. Prof. Röper in
Rostock, der sich, seit er ihn gesehen hatte, ganz besonders für diesen Prachtbaum
interessierte, wandte sich dieserhalb an den verstorbenen Großherzog und rettete ihm
das Leben. Die andere — nicht so alte — Eibe befindet sich im Garten des
Herrenhauses zu Berlin. Nur das ehrwürdige Alter des herrlichen Baumes
hat es verhindert, daß man seinen Platz nicht längst schon zu Bauten benutzte.
(Anm. d. Vers.)
110
106. Bon der Fruchtbarkeit und der schnellen Verbreitung der
Pflanzen.
Man kann sich nicht genug über die Menge und Mannig-
faltigkeit der Pflanzen verwundern, mit welchen die Natur alle Jahre
die Erde bekleidet. In dem kleinen Raum, den das Auge auf ein-
mal überschauen kann, welch eine Vielfachheit der Gestalten, welch
ein Spiel der Farben, welche Fülle in der Werkstätte der reichsten
Kraft und der unerforschlichen Weisheit! Nicht weniger muß
man sich wundern über die Geschwindigkeit, mit welcher die Natur
jede leere stelle auf öden Feldern, verlassenen Wegen, kahlen Felsen,
Mauern und Dächern, wo nur eine Handvoll fruchtbare Erde hin-
gefallen ist, ansäet und mit Gras, Kräutern, Stauden und Busch-
werk besetzt.
Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungskraft.
Man hat schon an einer einzigen Tabakspflanze 40,000 Körnlein
gezählt, die sie in einem Jahre zur Reife brachte. Man schätzt einer
Eiche, daß sie 500 Jahre leben könne; aber wenn wir uns nun vor-
stellen, daß sie in dieser langen Zeit nur 50mal Früchte trage und
jedesmal in ihren weit verbreiteten Ästen nur 500 Eicheln, so liefert
sie doch 25,000, wovon jede die Anlage hat, wieder ein solcher Baum
zu werden. Gesetzt, daß dieses geschehe, und es geschehe bei jeder
von diesen wieder, so hätte sich die einzige Eiche in der zweiten Ab-
stammung schon zu einem Walde von 625 Millionen vermehrt.
Wenn man sich also über die große Kraft in der Natur gewundert
hat, so hat man sich über den großen Reichtum an Pflanzen aller
Art nicht mehr zu verwundern. Obgleich viele Tausend Kerne und
Körnlein alle Jahre von Menschen und Tieren verbraucht werden,
viele Tausend im Boden ersticken oder im Auskeimen durch un-
günstige Witterung und andere Zufälle wieder zu Grunde gehen, so
bleibt doch, Jahr aus Jahr ein, ein unzerstörbarer Überfluß vor-
handen. Auf der ganzen weiten Erde fehlt es nirgends an Gesäme,
überall nur an Platz und Raum.
Aber wenn jeder reife Kern, der sich von seiner Mutterpflanze
ablöset, unter ihr zur Erde fiele und liegen bliebe, so lägen alle auf
einander, keiner könnte gedeihen, und wo vorher keine Pflanze war,
käme auch keine hin. Da hat nun die Natur selbst für die Ver-
breitung der Pflanzen gesorgt. Einige Kerne nämlich, wenn sie reif
sind, fliegen selbst durch eine verborgene Kraft weit auseinander; die
meisten sind klein und leicht und werden durch jede Bewegung der
Luft getragen; manche sind noch mit kleinen Federlein besetzt, wie
der Löwenzahn (Kettenblume); andere gehen in zarte breite Flügel
aus, wie die Samenkörner von Nadelholzbäumen. Wenn die Sturm-
winde wehen, dann fliegen und schwimmen und wogen eine Menge
von unsichtbaren Keimen in der bewegten Luft herum und fallen
nieder weit und breit, und der nachfolgende Staub bedeckt sie. Der
kommende Regen befeuchtet den Staub, und so wird auf Flur und
111
Feld, in Berg und Thal etlicher Same auf dem Weg von den
Vögeln des Himmels gefressen, etlicher geht unter den Dornen zu
Grunde, etlicher erstickt auf trockenem Felsengrund in der Sonnen-
hitze, etlicher aber findet gut Land und bringt hundertfältige Frucht.
Manche Kerne sind für den Wind zu groß und zu schwer, aber sie
sind rund und glatt, rollen auf der Erde weiter und werden durch
jeden leichten Stoß von Menschen oder Tieren fortgeschoben. Andere
sind mit umgebogenen Spitzen oder Häklein versehen; sie hängen sich
an das Fell der Tiere oder an die Kleider der Menschen an, wer-
den fortgetragen und an einem andern Orte wieder weggestreift.
Viele Kerne gehen unverdaut und unzerstört durch den Magen und
die Gedärme der Tiere, denen sie zur Nahrung dienen sollen und
werden an einem andern Ort wieder abgesetzt. So haben wir ohne
Zweifel durch Strichvögel schon manche Pflanze aus fremden Gegen-
den bekommen, die jetzt bei uns daheim ist und guten Nutzen bringt.
So gehen auf hohen Gemäuern und Türmen z. B. Kirschbäume auf,
wo gewiß kein Mensch den Kern hingetragen hat. Noch andere
Samenkörner werden durch die Gewässer fortgeführt und an ganz
fremden Orten abgesetzt. So ist es mit der Verbreitung der Pflanzen.
(Hebel. Gekürzt.)
107. Wachstum der Pflanzen.
Kinder, kommt, ich will euch zeigen, wie das Bliimlein wächst
und blüht!
Kommt ins Freie, ivo das Auge wunderschöne Dinge sieht!
Samenkörnlein fällt zur Erde, und mit Staub bedeckt’s der Wind;
Ruhig schläft es dann da unten, wie das wohlverwahrte Kind.
Manchmal möcht’s auch gerne trinken in der trocknen Niederung;
Dann spricht Gott zum Blumenengel: „Eil’ und bring’ ihm
einen Trunk!“
Und der Engel s iegt vom Himmel, rühret mit dem Finger blos
An die Wolke — und es regnet; Körnlein trinkt, und bald
wird’s gross;
Dehnt und streckt sich bald nach oben, bald nach unten iveiter aus,
Oben ivill ein Stielchen iverden, unten Würzelchen gar kraus.
Also wächst es langsam iveiter im verborgnen Kämmerlein,
Dass sich’s fast hervor kann wagen an die Luft im Sonnen-
schein.
Ungeduldig wird es nimmer in der stillen Einsamkeit:
Wie ein gutes Kind erwartet auch das Pflänzchen seine Zeit.
Endlich kommt’s herauf. Wie freut sich’s auf der schönen
Frühling sau!
Wäscht geschwind sich ab die Erde rein mit frischem Morgentau.
Und nicht lang( so könnt ihr sehen ihm ins frische Äug eiein;
Und ihr freuet euch und rufet: „0, das Blümchen zart und fein!“
(Lieth.)
112
B ä t s e 1.
Das Erste, blendend weiss und rein, herab vom Himmel
fiel. Das Zweite, rund und bunt und klein, der Knaben Lieb-
lingsspiel. Mein Ganzes nennt der Gärten Zier, die Blüte
eines Baumes dir.
108. Vom Nutzen der Obstbäume und dem Anbau derselben.
Die Obstbäume sind ursprünglich wildwachsende Bäume ge-
wesen und haben erst durch den Anbau und durch Veredelung die
Fähigkeit erlangt, die schönen und wohlschmeckenden Früchte hervor-
zubringen, welche alljährlich unsere Hand von ihren Zweigen pflückt.
Und wie von den Haustieren nach und nach sich verschiedene neue
Rassen gebildet haben, so sind unter der Pflege des Menschen auch
eine Menge neuer Obstarten entstanden.
Der Anbau von Obstbäumen wird bei uns besonders von seiten
der Landleute in manchen Gegenden noch viel zu sehr vernachlässigt.
.Jedermann hält zwar die Äpfel, die Pflaumen und andere Früchte
für eine köstliche Speise, viele kaufen aber diese Früchte lieber um
teuren Preis oder entbehren sie ganz, als daß sie dieselben durch
Pflanzungen von Obstbäumen auf eigenem Grund und Boden ziehem
Wenn dadurch bedeutende Kosten verursacht und viel Zeit und Mühe
in Anspruch genommen würde, so ließe sich das begreifen. Aber die
Obstbaumzucht, welche einen großen Geldgewinn einbringen kann,
fordert wenig Anstrengung und ist eher eine angenehme Unterhaltung
als eine Arbeit. Jeder Grundbesitzer sollte es sich deshalb angelegen
sein lassen, um seine Wohnung herum wenigstens eine kleine Zahl
. Obstbäume anzupflanzen. Im Frühlinge erfreuen sie uns durch ihre
lieblichen Blüten, im Herbste beschenken sie uns mit der Fülle ihrer
wertvollen Früchte. Ja, wenn wir längst nicht mehr unter den
Lebenden sind, werden unsere Nachkommen jedes Jahr mit Dank der
fürsorglichen Hände gedenken, welche einst die jungen Pflanzen in den
Boden eingesetzt haben.
Die Obstbüume „tragen entweder Kernobst, oder Steinobst.
Kernobst werden die Äpfel und Birnen, Steinobst die Pflaumen,
Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche u. dgl. genannt, letztere deshalb, weil
die Kerne in einer steinharten Schale liegen. Das Steinobst gedeiht
am besten auf hochliegenden Stellen und in einem sandgemischten
Erdreiche; das Kernobst kann auch gut an niedriger gelegenen Stellen
und auf festerem Erdboden wachsen, wenn derselbe nur tief genug
. und nicht zu mager ist. Dünger vertragen die Obstbäume wohl,
derselbe darf aber nie um oder unter die Wurzel gebracht werden,
sondern man muß ihn in einiger Entfernung von dem Baume aus-
breiten. Namentlich ist darauf zu achten, daß er nicht in frischem
Zustand an den Baum komme.
Wer sich aus einem Baumgarten oder aus einer Baumschule
113
junge Obstbäume verschaffen kann, braucht dieselben nur zeitig im
Frühling oder spät im Herbste so einzupflanzen, daß für jeden Baum
der nötige Raum bleibt. Dabei hat er zu sorgen, daß der Baum
eben so tief in die Erde zu stehen kommt, wie er in der Baumschule
stand, weder tiefer, noch seichter. Schon beim Einsetzen des Baumes
muß man an der Westseite dicht am Stamme einen Pfahl einschlagen,
an welchem derselbe festgebunden wird. Der Baum wächst dann
empor und trägt Früchte, ohne daß eine weitere Pflege nötig wäre, als
daß man alle Schößlinge, welche unterhalb der Krone aus dem
Stamm hervorkonnnen wollen, sorgfältig abschneidet und im ersten
Frühling alle Zweige und Schößlinge wegnimmt, welche kreuz und
quer in die Krone wachsen wollen. So lange der Baum klein ist,
soll die Krone nicht mehr als 3—4 Hauptzweige haben. Diese
schneidet man später oben so ab, daß an jedem Zweige so viel Augen
oder Knospen übrig bleiben, als man will, daß kleinere Zweige
daraus hervorwachsen sollen. Auch müssen die Wurzeln in der Jugend
des Baumes von: Grase freigehalten und die Ausläufer entfernt
werden. Kann man sich keine jungen Bäumchen verschaffen, so ist
es sehr leicht, dieselben aus Kernen zu ziehen. Man sammelt zu
diesem Zwecke Kerne von guten Obstsorten und wählt jene aus, welche
am vollsten und dunkelsten sind. Diese bewahrt inan im feuchten
Sande auf, bis sie gesäet werden sollen, was ain besten im Herbste
geschieht. Wer eine größere Menge Bäume ziehen will, säet die Kerne
in ein Gartenbeet und versetzt dann die jungen Pflanzet: reihenweise
in eine Baumschule.
Wenn die kleinen aus Samen gezogenen Obstbämnchen zwei
oder drei Jahre alt geworden sind und die Dicke eines Gänsekiels
erreicht haben, kann man die Veredelung an ihnen vornehmen. Dies
geschieht dadurch, daß man einen jungen Zweig oder ein Blattauge
von einem guten Obstbaume in den jungen Bamn einwachsen läßt
und darauf alle anderen Zweige abschneidet, so daß die Krone des
Baumes von dem besseren Zweige auswächst. Die Veredelung der
Obstbäume kann auf mehrerlei Weise geschehen und ist nicht so künst-
lich, daß sie nicht ein Kind in kurzer Zeit erlernen könnte. Wer sich
nur einmal das Echtmachen zeigen läßt und nur ein wenig Geschick
dazu hat, kann es auch ausführen. (Tutscheck.)
IX.
a. Reines Wasser ist gesund. Aller Anfang ist schwer. Der gerade Weg ist
der beste.. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Auch rote Äpfel sind
wurmstichig. Bar Geld lacht. Ein böses Gewissen quält. Weise Menschen
denken nach. Unrecht Gut gedeihet nicht. Blinder Eifer schadet nur. Lange
geborgt ist noch nicht geschenkt. Guter Name ist besser als Reichtum.
b. Die Werke des Herrn sind unerforschlich. Die Worte der Bibel sind gött-
lich. Gottes Weisheit ist unergründlich. Wohlthätig ist des Feuers Macht.
Der Gott des Friedens heiligt. Gottes Wort trügt nicht. Das Leben
des Christen soll Gottesdienst sein. Jedweder Spruch der Bibel ist ein Edel-
stein. Alle Menschen des Erdballs sind Brüder.
e. Gott als dre Liebe wankt nie. Christus als Meister ist unser aller Herr.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II., 2. 8
114
Der Mensch als die Krone der Schöpfung ist auch sterblich. Die Verdienste
Luthers als Reformator sind groß. Paulus als Heidenapostel war uner-
schrocken. Der Strauß als der größeste Vogel kann nicht fliegen.
109. Die Eiche.
Unter unsern einheimischen Waldbäumen gebührt der ^.prächtigen
Eiche die erste Stelle; denn sie «als Waldbaum vereinigt Schönheit
mit Starke und Nutzen. Sie liefert zum Bau unserer Wohnungen
eisenfeste Pfeiler und schmückt unsere Zimmer mit brauchbaren Ge-
räten. rrAllen Völkern war sie von jeher ehrwürdig und im Alter-
tum sogar den Göttern geweiht.
Bei uns giebt es zwei verschiedene Arten von Eichen, die beide
in Europa, vorzüglich aber in Deutschland, wachsen. Die Wintereiche
oder Steineiche hat eine braune, gefurchte Rinde, die aber an den
jüngeren Zweigen weißlich und glatt ist. Ihre Blüte erscheint erst
am Ende des Maies; die Eicheln wachsen traubenweise an kurzen
Stielen, drei bis zwölf Stück neben einander, und reifen im No-
vember. Das Holz ä dieser Eiche ist etwas rötlich und unter allen
europäischen Holzarten das festeste und dauerhafteste.
Eine a andere Art ist die Sommereiche. Bei dieser erscheinen
Blätter und Blüten einige Wochen früher, die Früchte stehen mehr
einzeln, an längeren Stielen, und kommen schon im September und
Oktober zur Reise. Die Rinde des Baumes ist auswendig schwärz-
lich und mit weißem Schimmel überzogen; das Holz ist blässer, als
von jener, und wird im Alter etwas schwärzlich.
Die Wurzeln bder Eichen verbreiten sich sehr weit in die Erde,
und diese bekommen dadurch einen festen und sichern Stand. Ihr
Stamm wächst sehr gerade und erreicht eine ansehnliche Höhe. Die
Äste sind gewöhnlich sehr stark, breiten sich aus und stehen in großen
Winkeln vom Stamme ab. Ihre Blätter sind groß, stark aus-
geschweift, stehen büschelweise zusammen und haben eine dunkelgrüne
Farbe, an welcher man die Eichenwälder schon von weitem erkennen
kann. Ihre Früchte, die Eicheln, sind rund und haben einen sehr
herben Geschmack. Am besten gedeihen die Eichen in hochgelegenen,
nur wenig feuchten Wäldern. Ihre a storie Ausdünstung macht, daß
sie häufig vom Blitze getroffen werden. Die Eichen wachsen sehr
langsam, erreichen aber auch ein ungeheueres Alter. Unter zwei-
bis dreihundert Jahren wird ein vollkommenes Wachstum nicht voll-
endet. Dagegen werden sie aber auch fünfhundert Jahre alt, ja
man hat Beispiele von Eichen, die gewiß wenigstens tausend Jahre
alt werden.
Den größten Nutzen gewährt die Eiche durch ihr Holz. Weil
es sehr fest ist und der Fäulnis vorzüglich gut widersteht, so braucht
man es mit Vorteil zum Bauen, besonders zu solchen Dingen, welche
der Einwirkung der Luft und des Wassers sehr ausgesetzt sind, wie
zu Brückenpfeilern u. dgl. Man verfertigt auch davon sehr dauer-
haftes und schönes Hausgeräte. Wenn man den Baum, gleich nach-
115
dem er gefällt ist, ins Wasser legt und dann drei Jahre liegen läßt,
so wird das Holz nicht rissig. Der Rinde, welche viele herbe, zu-
sammenziehende Bestandtteile enthält, bedient man sich zum Gerben
des Leders; man kann aber dazu mit noch mehr Vorteil auch die
Sägespäne gebrauchen.
Die Eicheln eals Futter geben eine gute Mästung für die
Schweine. Durch den Stich eines Insektes, der Gallwespe, entstehen
an den Zweigen und Blättern Auswüchse, die man Galläpfel nennt
und zur Bereitung der Tinte gebraucht.
Männer, die sich um das Vaterland sehr verdient gemacht
hatten, wurden von den alten Deutschen mit Eichenkränzen belohnt.
(Aus Ritsert, Stillchre.)
110. Lob der Eiche.
(* Von Eugen Labes.)
Kur langsam wächst die Hiche,
doch lief sie Wurzeln schlägt;
Auf festgefügtem Stamme
ste stolz die Krone trägt;
Spät grünen ihre Zweige,
doch lang im Kerösteskicht
Sie noch der Sonne Schimmer
mit Strakkenglanz umflicht.
Was fest vom Aelfengrunde
aufstrebt zum Sonnenlicht,
Aas dauert auch im Sturme,
der beugt die Krone nicht.
Hl. Riesenbäume.
(* Von H. Paulsson.)
Wie verschieden sind doch die Pflanzenarten hinsichtlich ihrer
Gestalt und Größe! Wie winzig ist das Moospflänzchen an der
Rinde der alten, knorrigen Eiche im Vergleiche zu seinem Wirte!
Ja, es giebt in Wirklichkeit unter den Pflanzen Zwerg- und Riesen-
geschlechter. — Aber, wenn schon der Stammumfang und die Höhe
mancher Eichen in den Überresten unser heimatlichen Urwälder unsere
Bewunderung erregen, so erreichen diese doch nicht annähernd die
Stammdicke und die Gipfelhöhe einiger in den warmen Zonen wachsen-
der Baumarten. Es sind dieses besonders der Mammutbaum in
Californien, zum Geschlecht der Tannen gehörig, und der Eucalyp-
tus, aus der Familie der Myrten, in den Flußthälern Neuhollands.
Die Größenverhältnisse dieser Riesenbäume sind wirklich erstaunlich.
Eine solche auf den Bergabhängen Californiens stehende Mammut-
fichte hatte einen Durchmesser von 10 m. und eine Höhe von
120 m. Dieser immergrüne californische Riesenbaum trägt 6 em.
lange Zapfen und schuppenartig über einander liegende Blätter.
Leider ist der merkwürdige Baum nur noch in geringer An-
zahl vorhanden, weshalb die Regierung der vereinigten Staaten
Maßregeln zu seinem Schutze getroffen hat. Dieser Riesenbaum wird
aber noch von dem andern, dem Eucalyptus oder Eisenveilchenbaum,
bedeutend an Höhe übertroffen. Ein englischer Gelehrter ermittelte
die Größenverhältnisse eines solchen an einem Flusse stehenden Baum-
8*
116
riesen und fand bei einem Stammumfange von 29 m eine Höhe
von über 150 m. Wie eine riesige Säule strebt seine Krone zum
Himmel, sich erst 85 m über dem Boden verzweigend. Sein
Gipfel würde noch die höchste Pyramide Egyptens beschatten, und
nur der Hauptturm des Kölner Doms kann sich mit ihm inessen.
Man hat den Baum schon in Italien in den Fieber erzeugenden
Sümpfen mit Erfolg verpflanzt, indem er schädliche Dünste (Gase)
in sich aufnimmt und den Boden reinigt. Denn es ist erwiesen,
daß der Anbau des Bauines Gegenden, in welchen sonst das Fieber
viele Opfer forderte, von dieser lästigen Krankheit befreit hat. Seines
schnellen Wachstumes wegen baut man ihn jetzt häufig in den Län-
dern des Mittelländischen Meeres an. Das harte Holz des Baurnes
eignet sich überdies vorzüglich zum Schiffsbau.
112. Bekannte Blumen.
„Wer Blumen liebt, hat kein schlechtes Herz", sagt man.
Trifft dies Wort auch häufig nicht zu, so mag es uns doch so-
viel als gewiß sagen, daß gute Menschen, die überhaupt Herz und
Sinn für die liebe Gottesnatur besitzen, auch an den Blumen
ein besonderes Wohlgefallen haben. Wie erfreuend ist es, wenn man
zur Blütezeit eine Wanderung durch den Blumengarten oder durch
Feld, Wald und Wiese macht und bald dieses, bald jenes Blümchen
in seiner Schönheit betrachtet. Welche Mannigfaltigkeit der Farben-
pracht, wie viel Abwechselung in den Blatt- und Blütenformen dieser
lieblichen Gewächse! Lacht nicht auch Herz und Auge der Kinder,
wenn sie einen geschmackvollen Blumenstrauß oder ein niedliches
Kränzchen gebunden haben? Zerpflücke nicht gleichgültig die schöne
Blume, mein Kind, die du findest, zertritt sie nicht; betrachte viel-
mehr ihren wunderbaren Bau von der Wurzelspitze an bis zu den
oberen Teilen hinauf, ihre zarte Blumenkrone, die Schönheit ihrer
Farben und — denke an den gütigen und weisen Schöpfer!
Wie schön ist ein blühender Rosenstock, wie verschiedenfarbig
erscheinen Stiefmütterchen, Fuchsien, Astern und Pelar-
gonien (Kranichschnabel), wie niedlich sind Tausendschönchen,
das wohlriechende Veilchen — das Sinnbild der Bescheidenheit —,
der frühblühende weiße, wie violette Crocus (Safran), die nieder-
hängende Kaiserkrone! Sind nicht auch Strohblumen, Tulpen
und Georginen uns freundlich anblickende Blumen, wenn sie auch
gerade keinen Wohlgeruch verbreiten? Welch eine erstaunliche Menge
von Blumen giebt es! Kennst du die Namen der hier abge-
bildeten?
Die Kornblume (1) ist wohl allen Kindern am bekanntesten.
Wie gern mögen namentlich die Mädchen diese allerliebsten, köstlich
blauen Blumen zu einem Kranze verwenden! Die Kornblumen,
bei uns auch Tremsen genannt, wachsen überall zwischen dem Ge-
117
treibe und blühen im Juni und Juli. Frei-
lich sieht es der Landmann lieber, „wenn
sein ganzes Feld grün ist," noch weniger mag
er die Rade leiden, welche du hier zwischen
der Kornblume abgebildet findest. Der aus
den Scheibenblüten der Tremsen gepreßte
Saft giebt, Alaun dazu gethan, eine schöne
blaue Malerfarbe.
Welchen Wohlgeruch verbreiten Nel-
ken (2), Levkojen (3) Narcissen und
Hyacinthen! Die ersten beiden sind
sehr verschiedenfarbig und allgemein
beliebte Zierpflanzen. Beide kommen
bei uns einfach und gefüllt vor und
blühen im Juli und August. Die Lev-
koye ist aus Südeuropa und Asien zu
uns gekommen. — Die Narcisse (4),
auf Bergwiesen wildwachsend, hat am
Schlunde ihrer gelben Blütenhülle eine
becherartige Nebenkrone. Es giebt
gelbe und weiße Narcissen; ihre Zwie-
beln sind fast giftig. — Die Hya-
I. cinthen (5), einfach und
^ gefüllt, blühen blau, violett
oder weiß. Sie stammen
aus dein Morgenlande und
werden ebenso wie die Nel-
ken, Levkoyen und Narcisien
ihres Wohlgeruches wegen
allgemein bei uns angebaut.
Ihre Blütezeit fällt in den
Mai. Wie es bei den Tul-
pen und andern Zwiebel-
gewächsen geschieht, so werden auch die Zwiebeln der Hyacinthen,
sobald ihre Blätter welken, aufgenommen, gereinigt und an einem
luftigen Orte unter öfterem Wenden gut getrocknet. Anfangs Sep-
tember löst man diejenigen jungen Zwiebeln,
welche leicht abgehn, von den alten und setzt
nun alt und jung wieder ins Land, aber auf
ein anderes Beet, die jungen weniger tief
und weit. Im Winter schützt man sie durch
Bedecken des Beetes mit Stroh, Laub rc.
gegen den Frost.
Wie freuen wir uns, wenn wir schon
vor Eintritt der warmen Frühlingstage
die ersten Blumen im Garten sehen; die
118
Schneeglöckchen (6)*). Aus welchem Grunde hat man ihnen
wohl diesen Namen gegeben? — Das Schneeglöckchen wächst in
Laubwäldern wild. Es blüht bereits in den ersten Frühlingstagen,
vom Februar bis Mai, nicht selten schon unter dem Schnee. Wie
freundlich und dankbar blickt uns das Blümchen au, wenn wir beim
Betreten des Gartens unerwartet sehen, wie es sich durch die Schuee-
decke hindurch gearbeitet hat! Sollen die Schneeglöckchen ein gutes
Aussehen behalten, so muß man sie alle Jahre, wenn ihre Blätter
welken, umlegen. Ihre Zwiebeln wirken brechenerregend.
Die Schlüsselblume (7) wird auch (wie du
schon in Nr. 18 deines Lesebuchs vernommen hast)
Himmelsschlüssel und Primel genannt. Die Schlüssel-
blume gehört, wie du weißt, zu den Frühlings-
blumen. Sie blüht im April und Mai und ist
nicht nur in Gärten, sondern auch häufig auf
Wiesen und Triften, wie in Wäldern zu finden.
Das ahnst du aber wohl nicht, daß man ihre
jungen Laubblätter zu Salat und Gemüse, sowie
ihre Blumenkronen zu Thee benutzt?
Eine Zierde unserer Laub- und Nadel-
wälder ist das beliebte Maiblümcheu (8) mit
seiner ganz weißen Kelchkroue und seinen wohl-
riechenden Blüten, im April und Mai blühend,
weit verbreitet, nämlich in Europa, dem nörd-
lichen Asien und Amerika heimisch. Aus den
Blüten der Maiblume bereitet man ein krampf-
stillendes Wasser, und die Laubblätter geben, mit
Kalk vermengt, eine grüne Farbe. In Gärten,
wo man sie auch mit roten und gefüllten Blüten
8 hat, weist mau ihr ein schattiges, etwas feuchtes
Beet au. Wegen der Reinheit ihrer weißen Blütenfarbe ist die
Maiblume ein Sinnbild der Unschuld.
Das Gänseblümchen (9) mit weiß und mit
gelb gefärbten Blüten, auf Wiesen und Triften
wachsend, wird mit gefüllten Blüten in Gärten
gezogen und heißt daun Tausendschönchen. Wer
kennt nicht diese fast den ganzen Sommer so lieb-
lich rot oder weiß blühenden Blümchen als Ein-
fassung, eine wahre Zierde der Gartenbeete? Das
Gänseblümchen heißt auch Maßliebchen und Marien-
blume. Jedes Jahr oder alle 2 Jahre muß man
die Tausendschönchen versetzen; sie vermehren sich ungemein schnell.
Der aus der frischen Pflanze gepreßte Saft wird gegen Brustbe-
schwerden getrunken, die mit Husten und Verschleimung verbunden sind.
*) Siehe I Nr. 8. S. 8 und Nr. 11. S. 10.
119
Du kennst doch auch die wunderschönen Balsa-
minen (10)? Die Blüten prangen in verschiedenen
Farben: rot, violett, auch schön weiß mit rot schattiert.
Sie werden in Gärten und Töpfen gezogen. Man
säet den Samen dieser aus Ostindien stammenden
schönen Pflanze im März oder April (bei guter
winterlicher Stubenwärme) in Töpfe oder Kästchen,
die mit lockerer, aber sehr nahrhafter Erde gefüllt
sind, giebt denselben einen sonnigen Stand, viel Wasser
und setzt die Pflänzchen später in Töpfe oder auf
Gartenbeete. Die in schattigen Laubwäldern und
Gebüschen, besonders an quelligen Stellen wild wachsende, vom Juni
bis zum September blühende Balsamine nennt man Springkraut,
weil seine gereifte Frucht selbst bei der leisesten Berührung elastisch
aufspringt.
Die 2—3 m hoch wachsende Sonnen-
blume oder Sonnenrose (11), eine seit dem 16.
Jahrhundert aus Amerika eingeführte Zier-
pflanze, ist zwar keine zierlich-liebliche, immer-
hin aber eine mit ihren großen gelben Köpfen
stattliche Blume in unsern Gärten, vom Juli
bis zum September blühend. Aus ihren vier-
kantigen Früchtchen wird ein süßes, fettes
Speise- und Brennöl gepreßt, welches zu Speisen,
zu Salat und zum Brennen in Lampen benutzt
werden kann. Die Blumen geben den Bienen
Nahrung; die Blätter dienen als Viehfutter, und die Früchtchen wer-
den gern vom Federvieh gefressen. Daß die Scheibe des Blüten-
kopfes sich während des Tages der am Himmel fortbewegenden Sonne
auch zukehre, ist völlig unbegründet, wovon man sich durch Beobachtung
leicht überzeugen kann.
Die Passionsblume(12) ist eine so hübsche,
mit prächtigen, großen, weißen Blüten gezierte
Blume, daß inan mehrere Arten derselben ihrer
Schönheit wegen in Töpfen zieht. Ihre Heimat ist
Amerika. Spanier, welche sie zuerst dort fanden,
vergliche:: innere Blütenteile mit den Marterwerk-
zeugen re. aus der Leidensgeschichte Jesu*). Daher
der Name Passionsblume.
(I. S.)
12
*) Die Nebenkronc der Passionsblume bedeutet die Dornenkrone Jesu, die
3 Griffel sollen auf die drei Nägel Hinweisen, der gestielte Fruchtknoten stellt den
Hammer oder Klöppel vor, mit welchem man die Nägel einschlug, und die fünf
Staubbeutel der Blume bedeuten die fünf Wunden Jesu.
(Anm. des Vers.)
120
113. Heilkräftige Pflanzen des Feldes nnd der Wiese.
(* Von H. Paulsson.)
Manchen Pflanzen ist in ihrem Safte eine heilende oder
Schmerz lindernde Kraft verliehen. Solche Pflanzen nennt man
Arzneipflanzen, zu welchen selbst die schärfsten Giftpflanzen ge-
hören. Die Bereitung der Arzneimittel geschieht in den Apotheken,
und der Kranke thut wohl, solche Mittel genau nach der Verordnung
des Arztes zu gebrauchen. Manche der heilkräftigen Kräuter werden
aber ganz allgemein ohne ärztliche Aufsicht von Kranken benutzt, in-
dem ihre Anwendung und Wirkung seit langer Zeit bekannt ist. Man
rechnet derartige Heilkräuter zu den „Hausmitteln." Wir wollen von
diesen einige genauer betrachten.
1. Der Kalmus. Er wächst am Ufer der Seen, der Gräben
und im Sumpfe der Wiese. Die Blätter des Kalmus sind schilf-
artig, ungefähr 1 ein breit. Die Höhe der Pflanze beträgt etwa
1 in. Ihre kriechende, starke Wurzel ist mit Gelenken versehen
und treibt eine Menge Faserwurzeln in den Boden. Ihre gelb-
grünen Blütenkolben enthalten zahlreiche Samenkörner, die bei uns
aber nicht zur Reife kommen. Alle Teile der Pflanzen haben einen
gewürzhaften Geruch. Die heilkräftige Wurzel wird bei Ver-
dauungsschwäche mit gutem Erfolg angewandt. Pulverisiert nimmt
man sie außerdem bei Skropheln und Gicht ein. Auch findet sie
Verwendung in den Liqueur-*)Fabriken und Konditoreien. Der Kalmus
ist erst im 15. Jahrhundert aus Asien zu uns gekommen und hat
sich jetzt schon in ganz Europa, den höchsten Norden ausgenommen,
eingebürgert.
2. Der Hollunder oder Flieder. Am Rande der Wiesen,
an den Gartenzäunen, Mauern und Backöfen wächst dieser allbe-
kannte baumartige Strauch. Seine kleinen weißen Blüten bilden eine
große Schirmtraube. Der Kelch ist fünszähnig, der Staubgefäße sind
fünf. Die Frucht ist eine schwarze, beerenartige Steinfrucht mit 3,
seltener mit 5 samenähnlichen Steinen, von denen jeder einen einzelnen
Samen enthält. Die Blätter sind fiederteilig und am Rande scharf
gezähnt. Stamm und Äste des Flieders sind hohl und enthalten ein
schneeweißes Mark. Die Blüten und Beeren sind sehr heilkräftig
und werden häufig angewandt, erstere bei Erkältungen als schweiß-
treibender Thee (Fliederthee**). Bei Geschwülsten wirken die Blüten
zerteilend. Als Thee dürfen sie nur getrocknet angewandt werden,
grün bewirken sie Erbrechen; auch ist der Genuß der jungen Blätter
Menschen und Vieh schädlich. Den alten Wenden war der Hollunder
ein heiliger Baum.
3. Die ächte Kamille. Diese Pflanze gehört zu den Un-
kräutern des Ackers und ist auf manchen Äckern sehr häufig zu finden.
*) Sprich: Likör.
**) Das aus dm Beeren gekochte Mus wendet man als Latwerge an.
121
Sie ist ein einjähriges gewürzartig duftendes, kahles Kraut mit auf-
rechtem, verästeltem Stengel, fein zerteilten Blättern und schirm-
traubigen Blütenköpfchen. Die inneren oder Scheibenblüten sind gelb,
die Strahlenblüten weiß und zurückgeschlagen. Der Blütenboden ist
kegelförmig, walzig hohl und ohne Spreublättcheu. Durch den ge-
würzartigen Geruch und durch die Form des kahlen Blütenbodens
unterscheidet sich die ächte Kamille von der Hundskamille. Jenes
nützliche Gewächs ist über Europa, Nordasien und Nordamerika ver-
breitet und blüht vom Mai bis zum August. Heilkräftig sind die
Blüten, die im Schatten getrocknet oder als Thee, um Schweiß zu er-
regen, Krämpfe zu stillen und Geschwülste zu zerteilen, angewandt
werden, auch spritzt man die Abkochung der Blüten mit Wasser,
Wein oder Milch in Geschwüre, kranke Ohren re. Bei kranken
Tieren wendet man die Kamillen gleichfalls an.
4. Der Wermut. Der bittere Geschmack des Wermutsaftes
ist sprichwörtlich. Die ganze Pflanze ist seidenhaarig, weißgrau und
hat einen widerlich bitteren Geschmack, wie durchdringenden Geruch.
Der Stengel strebt aufrecht und wird ungefähr 60 em hoch. Er
ist unten holzig, oberwärts rispig verästelt. Die Blätter sind fieder-
spaltig. Die Blütenköpfchen sind überhängend und tragen die un-
scheinbaren gelben Blüten. Die Pflanze wächst an sonnigen, steinigen
Orten, bei uns aber weniger häufig als in Süddeutschland, wo sie
auch angebaut wird. Sie ist sehr heilkräftig und wird mit Erfolg
gegen Magenbeschwerden, Würmer und Wechselfieber angewandt. Die
Asche des Wermuts enthält — das mag hier noch bemerkt werden —
viel Potasche, und der Ranch desselben dient zur Betäubung der Bienen,
wenn man Honig schneidet. Sie wächst auf der ganzen Nordhälfte
der Erde vom Polar- bis zum Wendekreise.
114. Schwämme oder Pilze.
Welche wunderlichen Gewächse, diese Pilze! Wie verschieden
von allen übrigen Pflanzen! Des Waldes Bäume stehen hoch und
majestätisch; der Fruchtbaum entzückt durch Blüten, labt durch Früchte;
die Blumen der Wiese glänzen in Farben und duften; das Ähren-
feld wogt in goldigen Wellen; — alles ist Pflanze, kleidet sich in
Grün oder kommt aus dem Grün, alles hat Blüten und Blätter,
Zweige und Wurzeln. Aber ihr. Schwämme, habt weder grüne
Farbe noch Blüte, weder Zweige noch Laub, noch Wurzel, und nur
ein dünnes Fasergeflecht hält euch am Boden fest, aus dem ihr über
Nacht emporschießt! Im Feuchten und Trocknen, überall guckt ihr
ein paar Stunden vor die Thür, und scheint euch die Sonne zu
warm auf den Pelz, so schneidet ihr Gesichter oder ihr taumelt und
fallet wie trunken um.
Aber daß ich euch nicht unrecht thue, ihr zahllosen Pilze!
Denn eurer ist die Mehrzahl genießbar und schmackhaft. Ist nicht
der Champignon zart und süß? der Steinpilz kräftig? der Pfiffer-
ling vortrefflich? und liefert nicht der mit den ersten Veilchen er-
122
scheinende Morchel, schmackhaft zubereitet, ein schönes Gemüse? —
Sporengewächse werden die Schwämme von den Gelehrten genannt;
denke da aber keiner an Reiterstiefel mit Sporen. Das Wort
kommt voir einem (griechischen) Worte (Spora) her und heißt: Saat,
Same. So nennt man Sporen die Zellen, aus welchen der Pilz
besteht itnb sich fortpflanzt. Der ganze Pilz ist entiveder eine einzige
oder eine Zusammensetzung von Kleinzellen. Er ist ganz und gar
Frucht, und wo man ein Stück von ihm hinwirft, da giebt's neue
Pilze, mit oder ohne Stiel. Ja, es sind wunderliche Gewächse,
diese Pilze.
(Aus dem Roman „Buchstabierbuch rc." von Otto Roquette.)
115. Die hauptsächlichsten Giftpflanzen unserer Heimat.
(* Von Lehrer K. Struck in Waren.)
(Siche hierzu die beiden kolorierten Tafeln „Giftpflanzen.")
Ist auch in unserm lieben Vaterlande die Zahl der Gift-
pflanzen im Verhältnis zu den Nutzpflanzen eine verschivindend kleine,
so will ich euch doch einmal die giftigsten darunter kurz beschreiben,
damit ihr sie kennen lernt, um sie zu meiden, wo sie euch begegnen.
Hegt ihr aber dennoch bei dieser oder jener Pflanze Zweifel, wendet
euch dann nur frisch an eure sieben Lehrer; sie werden euch gern die
nötige Aufklärung geben.
An Gartenzäunen, Hecken und Mauern findet sich hie und da
ein klimmendes Gewächs, die weiße Zaunrübe genannt, das kleine,
den Gurkenblättern ähnliche Blätter hat. Nachdem die gelblichen
Blüten abgefallen sind, zeigen sich grüne Beeren, die schließlich
schwarz werden. Diese Beeren, sowie auch die weiße Wurzel erregen,
nachdem sie genossen sind, heftiges Erbrechen, Bangigkeit, Schwindel
und Darmentzündung und können selbst den Tod zur Folge haben.
Sehr häufig wächst in Gräben, Sümpfen und an Wasser-
rändern der giftige Wasserschierling (Wödendunk). Die Wurzel
dieser Pflanze ist dick, ringsumher mit vielen langen und dicken
Fasern besetzt. Beim Durchschneiden zeigt sie sich fächerig und giebt
einen hellgelben Saft von sich, der von der Luft rötlich gefärbt wird.
Der aufrechte, gabelästige Stengel ist röhrig, rundlich, kahl, am
Grunde rötlich. Die wurzelständigen Blätter sind dreifach, die untern
Stengelblätter zweifach, die obern nur einfach gefiedert. Die runden
Blattstiele sind röhrig, am Grunde scheidig. Oben an den Stielen
befinden sich die vielstrahligen Dolden mit den Döldchen. Die Frucht
ist rundlich, zweiknotig und gereift. Die ganze Pflanze wird oft
über 1 m hoch. Ihr Genuß, besonders der der Wurzel, wirkt
tödlich, daher ist sie auch mit dem Namen, „Wüterich" belegt. Von
Unerfahrenen ist die Wurzel schon mit Selleriewurzel verwechselt wor-
den. Vor Jahren aßen einst drei Knaben in Ludwigslust von dieser
Wurzel, die nur mit Mühe unb Not durch sofortiges Einschreiten
eines Arztes gerettet wurden. Nicht minder giftig ist der überall
123
an Zäunen, Wegen und auf Schutt wachsende gefleckte Schier-
ling (Scherl), der große Ähnlichkeit mit dem betäubenden Kälber-
kropf, den ihr wohl alle kennt, hat. Er unterscheidet sich aber von
diesem durch seinen vollkommen kahlen, glatten, rotgefleckten Stengel
und von allen Doldenpflanzen durch seinen gekerbten Samen. Seht
überhaupt alle Doldenpslanzen, die ihr nicht genau kennt, als ver-
dächtig an und hütet euch vor dem Genuß derselben.
Die gemeine Tollkirsche oder Belladonna ist glücklicher-
weise bei uns recht selten. Trotzdem seht euch die Abbildung in
eurem Lesebuche recht genau an. Ich habe die Pflanze nur einmal
in einem Bauerngarten unweit Ludwigslust gefunden. Alle Teile dieser
Pflanze sind stark giftig, besonders aber die kirschgroßen, schwarz-
glänzenden, süßlichschmeckenden Beeren, welche man gegen Ende des
August bis Ende Oktober an den Stöcken findet. Sie wird oft über
1 m hoch, ist übelriechend und hat eiförmige, ganzrandige Blätter.
Die überhängenden glockenförmigen Blüten, die einzeln oder zu
zweien in den Blattwinkeln stehen, sind am Grunde grüngelb, nach
außen hin schnmtzig violett. Eine Bauerfrau zu Gr. Laasch bei
Ludwigslust, die auf Anraten einer andern davon gegen Seitenstechen
genossen hatte, wurde todkrank und gesundete erst nach Wochen wieder
ganz, obschon sie gleich nach ihrer Erkrankung wirksame Gegennüttel
eingenommen hatte. — In den Waldungen Mittel- und Süddeutsch-
lands trifft man die Tollkirsche oft in großer Menge.
An Wegen, Dorfstraßen, Mauern, Hecken, in Gärten, auf
Kirchhöfen und Schutt findet sich das schwarze Bilsenkraut
(Tüll Billerkrut). Diese widerlichstinkende Pflanze ist zottigbehaart
und klebrig. Ihre gestielten wurzelständigen Blätter sind fiederspaltig-
buchtig, ihre wechselständigen Stengelblätter buchtigeckig und stengel-
umfassend. Ihre Blüten stehen einzeln in den Blattachseln, bilden
aber zuletzt eine beblätterte, fast einseitswendige Ähre. Ihr bleiben-
der glockenförmiger Kelch hat fünf spitze Zähne und ihre einblättrige,
schmutziggelbe, mit vielen violetten Adern durchzogene Blumenkrone
hat eine rote Röhre. Ihr Same ist schwarz und rauh. Eine Frau,
die tagelang von heftigem Zahnweh geplagt wurde, nahin solchen
Samen, streute ihn auf einen glühenden Plättbolzen und leitete
mittelst eines Trichters die Dämpfe in einen hohlen Zahn, um sich
so den Zahnschmerz zu vertreiben. Sofort bekam sie Krämpfe in
Arm und Bein der einen Seite, die freilich bald vergingen, allein
mehrere Tage noch verspürte sie eine Schwäche in der Seite. Es
sind aber auch Fälle bekannt, wo der Genuß dieser Körner einen
tödlichen Ausgang hatte.
Von gleicher giftiger Eigenschaft ist anch der gemeine Stech-
apfel (Stäkkürn), der an Dorfstraßen, in Gärten, auf Höfen und
Schutthaufen sich mitunter recht häufig findet. Er stamint aus Ost-
indien und soll durch Zigeuner, die den Samen als Brechinittel mit
sich führten, zu uns gekommen sein. Sein Stengel ist aufrecht,
gabelästig, kahl und mit wechselständigen, gestielten, kahlen, eiförmigen.
124
ungleich buchtig gezähnten Blättern versehen. Die kurzgestielten
Blumen stehen einzeln aufrecht in den Astwinkeln, sind groß, trichter-
förmig, von weißer Farbe und von angenehmen Geruch. Die große,
grüne, vierklappige, mit Stacheln besetzte Kapsel hat große Ähnlich-
keit mit den Kapseln der Roßkastanien. Der Same ist schwarz und
fast linsengroß.
In Gärten findet sich häufig als Zierblume der rote Finger-
hut. Von seiner Beschreibung kann ich füglich abstehen, da seine
schönen rötlichen Blüten euch bekannt sein müssen. Überdies führt
euer Lesebuch euch den Fingerhut in einer prächtigen Abbildung vor.
Die ganze Pflanze ist giftig, der Same ganz besonders. Hütet euch
daher vor ihm und leidet es nicht, wenn jüngere Geschwister mit
seinen Blumen spielen. Eine andere vielfach gezogene Blume mit
tiefblauen Blüten, der Sturmhut, Eisenhut, Venuswagen, ent-
hält in der Wurzel und den Blättern ein Gift, dessen Genuß nicht
blos Mattigkeit des Körpers, Schwindel und Ohnmachten hervorruft,
sondern selbst den Tod nach sich ziehen kann. Vielfach findet sich
auch noch in unsern Gärten ein Strauch, der schon im März oder
April, ehe er Blätter getrieben hat, seine kleinen rosaroten, wohl-
riechenden Blüten, die zu drei oder vier beisammensitzen, entfaltet.
Es ist dies der Kellerhals, der auch wohl Seidelbast oder
Pfeffer st rauch genannt wird. Die stumpflanzettförmigen Blätter
dieses oft bis IV4 m hohen Strauches stehen wechselständig, sind
lederartig, kahl und hellgrün. Die erbsengroßen, roten Beeren reifen
im Juli oder August. Alle Teile desselben sind giftig, verursachen
gekauet und verschluckt starkes Erbrechen, Entzündung der Eingeweide,
ja unter Umständen selbst den Tod.
In feuchten Laubwäldern und Brüchen kommt vielfach die
vier blättrige Einbeere oder Wolfsbeere vor, die in ihrem Wurzel-
stock, ihren Blättern und Beeren ein Gift enthält, das Betäubung
und Erbrechen hervorruft. Ihr einfacher Stengel hat vier quirl-
ständige, verkehrteiförmige Blätter. In der Mitte dieses Blätter-
quirls steht auf einem kurzen Stiele eine einzige grünliche Blüte,
aus welcher sich im Juli und August die zuletzt schwärzliche Beere
entwickelt.
Auf Äckern, besonders unter dem Sommergetreide findet sich
als höchst lästiges Unkraut ein Gras, der Taumellolch oder Gift-
lolch benannt. Jst's euch nicht bekannt, so geht einmal ins Feld
kurz vor der Ernte und laßt es euch von den dort beschäftigten Ar-
beitern zeigen, die es als Lulch, Twelk, Durt, Dullhaber oder
Drespendark kennen.
Unter den Schwämmen oder Pilzen (Poggenstöhl) giebt es
viele giftige, der bekannteste ist jedenfalls der Fliegenschwamm
oder Fliegenpilz, der in Nadelwäldern immer sich findet. Sein Hut
ist, wie ihr wißt, mehr oder weniger lebhaft rot gefärbt und mit
weißlichen Warzen besetzt. Er wird zerschnitten und mit etwas Milch
übergössen zum Töten der Fliegen hingestellt, daher sein Name. —
125
Die beiden Fliegenschwämine, welche euer Lesebuch euch im Bilde
vorführt, zeigen verschiedene Entwickelungsstufen derselben Pflanze.
Der Fliegenschwamm ist eben ein Blätterpilz. — Höchst giftig ist
ferner das äußerlich blauschwarze, inwendig weiße Mutterkorn,
das sich in nassen Jahren vielfach in Roggenähren findet. Beim
Genuß von Pilzen ist , überhaupt große Vorsicht nötig, da manche
giftige mit eßbaren Ähnlichkeit haben. Wenn silberne Löffel und
Zwiebeln, in kochende Schwämme hineingethan, schwärzlich anlaufen,
so beweist das noch keineswegs, daß letztere giftig sind. Im all-
gemeinen hält man diejenigen Pilze für giftig, die beim Zerschneiden
schnell ihre Farbe ändern, z. B. blau anlaufen, die beim Zerbrechen
einen milchigen Saft aussickern, im Alter in eine schwarze Jauche
zerfließen oder unangenehm, brennend, beißend, überhaupt widrig
schmecken und eine klebrige Oberhaut haben.
Es sind aber noch manche andere Pflanzen, vor deren Genuß
gewarnt werden muß. Ich will nur nennen die Hahnenfuß-, Nacht-
schatten- und Wolfsmilcharten. So viel merke sich aber jeder:
Pflanzen, die man nicht kennt, dürfen weder probiert noch genossen
werden. Aus manchen Giftpflanzen bereitet aber der Apotheker-
Medikamente, die nach Vorschrift des Arztes genommen, Heilung von
mancherlei Krankheiten und Gebrechen bringen. Da seht ihr's wieder:
Was in der einen Hand zerstört, wirkt in der andern segensreich.
Muß nicht alles in der Natur unsere Verwunderung erregen?
116. Eßbare Pilze.
(* Von H. Paulsson.)
Pilze sind schon seit den ältesten Zeiten gegessen worden, all-
gemein aber nie, auch gegenwärtig nicht. Volksnahrungsmittel sind sie
nur in einzelnen Gegenden, obgleich sie an Nährwert gutem Fleische
nicht nachstehen und voin Schöpfer den Menschen reichlich dargeboten
werden, ohne daß diese nötig hätten, zu ackern und zu säen, indem
die Mutter Erde sie einen großen Teil des Jahres hindurch frei-
willig hervorbringt; man braucht nur zu ernten. Und gerade in
nassen Jahren, welche für die Entwickelung der übrigen Nahrungs-
pflanzen ungünstig sind, gedeihen die Pilze am besten und reichlichsten.
Sie sind leicht zu sammeln, wie auch einfach und wohlfeil in der
Zubereitung und deshalb so recht eine Kost der Armen. Aber so
ohne weiteres kann man den Genuß der Pilze nicht jedermann em-
pfehlen; denn er birgt für denjenigen, der die eßbaren von den
giftigen nicht zu unterscheiden versteht, die größte Gefahr in sich.
Dies ist denn auch wohl Hauptgrund, weshalb die größte Menge
der Speisepilze ungenützt verkommt. Darum ist es nötig, das Volk,
bei der Jugend anfangend, über die Pilze zu belehren, damit der
Genuß derselben allgemeiner und gefahrlos werde. Überall gültige
Regeln, nach welchen man die eßbaren Pilze von den giftigen sicher
unterscheiden und so sich vor Vergiftung bewahren kann, lassen sich
126
nicht geben; sie sind trügerisch. Aber folgendes müßt ihr euch ganz
besonders inerten: 1. Von den Blätterpilzen sind außer dem Cham-
pignon und dem Eierpilze alle zu meiden. — 2. Von den Milch-
lingen ist nur der Reizker mit orangegelber Milch gefahrlos. —
3. Von den Röhrenpilzen meide man alle, deren Fleisch im Bruche
blau anläuft. — 4. Die Morcheln, Lorcheln und Bauchpilze sind
jung und frisch alle genießbar. — Als Hauptregel gilt aber, daß
man überhaupt nur junge Exemplare sammelt und diese gleich genießt,
wenn sie nicht für den spätern Gebrauch gedorrt werden. Beim
Sammeln muß der untere Teil des Stieles in der Erde bleiben,
weil sonst das Lager des Pilzes zerstört und sein Wachstum ge-
hindert wird. — Wir wollen uns vier leicht erkennbare, eßbare
Pilze genauer betrachten.
1. Der Champignon. Dieser, zu den Blätterpilzen gehörige,
von alters her beliebte Speisepilz kann nicht leicht mit andern ver-
wechselt werden, wenn man auf folgende Merkmale achtet: Hut und
Stiel haben ein schönes, weißes, zuweilen rötlich anlaufendes Fleisch
von höchst angenehmem, nußartigem Gerüche. Der Stiel ist weiß
und trägt einen ebenso gefärbten häutigen Ring. Der Hut ist gleich-
falls meistens weiß, zuweilen auch rötlich oder bräunlich, aber
nie schmierig. Am meisten achte man auf das weiße Fleisch, den
weißen Stiel mit gleichfarbigem Ringe und das Rosenrot der
Blätter. Der Champignon heißt auch Ackerblätterpilz oder Feld-
blätter-Schwamm und Egerling.
2. Der ächte Eierpilz oder Gelbling, auch Pfefferling ge-
nannt. Er wächst im Sommer häufig in den Wäldern und ist durch
seine dottergelbe Farbe, durch seine fettige Haut und durch seinen
besonderen Bau, indem der bis zu 7 cm hohe Stiel sich in den
Hut verbreitert, leicht erkennbar. Seine Blätter sind netzadrig, am
Stiele herablaufend. Das Fleisch ist blaß-gelblich-weiß und hat
einen obstartigen Geruch. Der Hut ist zwei singer- bis handbreit
am Rande wellig gebogen und wird zuletzt trichterförmig. Es giebt
auch einen falschen Gelbling, der giftig ist. Er hat in der Gestalt
Ähnlichkeit mit dem echten, unterscheidet sich aber durch die Farbe
des Hutes und Fleisches, die bei beiden orangefarbig hellroth-bräun-
lich ist. Die Haut fühlt sich nie fettig, wie bei dem echten, sondern
lederartig an.
3. Der Steinpilz. Dieser Pilz ist unter den Speisepilzen
einer der wichtigsten, und wenn es jemand gelänge, ihn künstlich in
Massen zu ziehen, der würde der Menschheit eine große Wohlthat
erweisen. Er wächst im Sommer in lichten Wäldern und gehört zu
den Röhrenpilzen. Sein Hut ist bis zu 25 cm. breit, von brauner
Farbe und bei feuchter Luft klebrig. Das Fleisch ist weiß, unter
der Haut bräunlich angelaufen. Der Steinpilz hat roh einen an-
genehm nußartigen Geschmack und verändert im Bruche oder bei
Verwundungen seine Farbe nie. ,Der Stiel ist anfangs kugelig und
netzartig weißlich geadert. Die Öffnungen der Röhren unter dem
127
Hute sind anfangs weiß, werden später aber gelb. Die Rehe
verzehren den Pilz begierig. Er heißt auch Edel- und Kuhpilz.
4. Die Speisemorchel. Ihr Hut ist rundlich eiförmig, seiner
ganzen Länge nach an dem Stiele angewachsen, gelbgrau oder gelb-
braun mit unregelmäßigen gerundeten Rippen und tief ausgehöhlten,
am Boden gefalteten Federn. Der Stiel ist länglich,' walzenförmig,
glatt, am Grunde gefaltet oder grubig. Die Morchel wächst im
Frühlinge bei feuchtwarmer Witterung häufig in den Nadelwäldern
der nördlich gemäßigten Zone der alten Welt und giebt eine sehr ge-
schätzte Speise.
117. Einige ausländische Gewächse.
Die Kokospalme in den heißen Ländern gleicht einem riesigen Sonnen-
schirme mit langem Stiele. Der narbige Stamm steigt schlank und astlos 20 in
in die Höhe und hat oben einen mächtigen Blätterschopf. Die Blätter sind ge-
fiedert und hängen niederwärts. Die großen Blütenrispen haben oben Staub-
und unten Samenblüten. Die Kokosnüsse sind von Kopfgröße. Frisch geben sie
süße Milch, getrocknet süßes Öl und allerlei Geräte. Das Meer hat die Nüsse auf
alle Inseln der Südsee getragen und dieselben mit Kokoswäldern bepflanzt. Die
Weinpalme wird wie unsere Birken angebohrt und liefert den Palmenwein.
Aus dem mehlreichen Mark der Sagopalme wird Sago zu Suppen gewonnen.
Die Früchte der Elpalme werden in Gruben zerstampft, mit Wasser übergössen
und das Öl abgeschöpft. Die Dattelpalme in N.-Afrika und Arabien trägt in
einem Kolben wie der Mais wohl 1000 Datteln von Pflaumengröße.
Der Brotfruchtbaum ist der Wohlthäter der Südsee-Jnscln. Drei Bäume
ernähren einen Menschen. Er ähnelt der Roßkastanie, hat aber viel größere,
lappige Blätter. Die Frucht wird wie ein Kinderkopf. Sic wird unreif abge-
brochen, in Scheiben geschnitten, in Blätter geschlagen und auf heißen Steinen
geröstet; oder man wirft das Fleisch in eine gepflasterte Grube, läßt es gären, nimmt
nach Bedürfnis faustgroße Klumpen und bäckt sie. Sie schmecken wie nicht ganz
ausgebackener Pumpernickel. Alle Teile des nützlichen Baumes werden zu Kleidungs-
stosfen und Geräten benutzt. Acht Monate hindurch liefert er Früchte.
Der Theestrauch in China hat immergrüne Blätter, die den Kirsch-
blättern ähneln. Sie werden viermal im Jahre gesammelt, sorgsam getrocknet und
als schwarzer oder grüner Thee in den Handel gebracht. Gebrüht geben sie
ein erwärmendes und anregendes Getränk, das in feuchten und kalten Ländern
immer beliebter wird.
Das Zuckerrohr wächst in heißen Ländern auf feuchtem Boden mit rohr-
artigen Halmen 3—4 m hoch. Unten ist dies riesige Gras blattlos, oben von
bandförmigen Blättern umflattert und an der Spitze mit großen Blütenrispen ge-
krönt. Aus den markigen Halmen wird der süße Saft gepreßt, aus dem der
Rohrzucker gewonnen wird. Zu dieser schweren Arbeit wurden im heißen Amerika
bisher die Negersklaven verwandt.
Der Baumwollenstrauch im heißen Amerika, Ostindien und Ägypten
ist eine der wichtigsten Gespinstpflanzen. Er wird 1 m. hoch, hat 3 lappige
Blätter und blaßgelbe Blüten in einem gefransten Kelche. Die Körner der Samen-
kapseln liegen in wollenen Bettchen. Springt die Kapsel auf, so quillt die Baum-
wolle heraus. Das Sammeln und Reinigen der Wolle ist sehr mühselig, aber
Millionen leben von der Be- und Verarbeitung der Baumwolle.
Der Pfefferstrauch in Indien ist fingerdick, knotig und klettert wie unser
Hopfen an Stangen in die Höhe. Den ovalen und immergrünen Blättern steht
iinmer eine Frucht- oder Bhitenähre gegenüber. An einer Fruchtähre hängen
20—30 erst grüne, dann rote und zuletzt schwarzblaue Beeren. Unreife Beeren
geben den runzeligen, schwarzen, reife und von Fleisch und Haut befreite den
weißen Pfeffer. (Polack's Realienbuch.)
128
c.
118. Die Mineralien.
Die Mineralien finden sich bald als Felsen oder in großen
Massen, bald in mehr oder weniger dicken Schichten, bald ganz
unregelmäßig zusammengehäust, bald auch nur in Fäden oder Adern,
welche nach allen Richtungen hin das Erdreich durchziehen. Schon
Jahrtausende gräbt sich der Mensch in die Felsen der Erde, um die
Verborgenen Schätze an das Licht des Tages zu fördern. Denke an
die Bergleute in den Bergwerken! Aber so viele Jahre die unter-
irdischen Schatzkammern auch schon ausgebeutet worden: ihr Reich-
tum ist unabsehbar, der Segen der Erde unerschöpflich. Das starre
Gestein erzählt auch die Majestät Gottes, und in der Erde sind die
Wunder eben so mannigfaltig als auf ihr.
Zu den brennbaren Mineralien gehören die Steinkohlen,
aus welchen man das Gas gewinnt, sowie der Torf und der Schwefel.
Wie nützlich sind uns Menschen die Metalle! Zu ihnen rechnet
man Eisen, Kupfer, Zink, Gold, Silber, Blei, Zinn, Arsenik, Queck-
silber re. Auch die Salze (das Kochsalz, der Alaun, Salpeter und
Borax) gehören ins Mineralreich, ebenso die teuren und seltenen
Edelsteine, z. B. der Diamant, der wegen seiner Härte zum
Schneiden des Glases aller Art gebraucht wird, der grüne Smaragd,
der rote Rubin (der Bernstein) u. a. Endlich müssen wir auch jene
nützlichen Mineralien erwähnen, welche uns die Materialien zu
unserm Bauwesen und zuin Dünger für unsere Felder liefern: Kalk,
Kreide, Gips, Quarzsteine (Kiesel), Marmor, Alabaster re. Die
Mineralien finden sich jedoch nicht immer rein und ohne Beimengung
in der Erde vor, sondern häufig sind sie mit einander vermischt.
Solche zusammengesetzte Mineralien sind: Thon, Mergel, Tripel,
Schiefer, Granit u. a. m. Bon letzteren ist jedem Schulkinde der
Schiefer wohl am bekanntesten.
(Nach Verschiedenen.)
119. Schiefertafel und Schieferstift.
Die Heimat der Schiefertafel ist der Thüringer Wald.
Ans ihm giebt es turmhohe Berge, die aus lauter Schiefer bestehen.
Freilich muß er durch viele Hände gehen, ehe er aus dem Bruche
eines solchen Berges als Tafel oder Griffel in den Schulranzen
kommt. Die Steinhauer brechen mit Keilen und Hacken aus den
Wänden des Schieferbruches mitunter Blöcke von der Höhe und
Dicke eines Mannes heraus, spalten sie an Ort und Stelle in dünne
Platten, behauen diese aus dem Gröbsteir^und legen sie in Stöße
zusammen. Schubkärrner fahren dann die «Lchieferstücke in den nahen
Ort. Hier werden sie glatt geschabt und in kleinere und größere
Tafeln geschnitten. Roch sind dieselben viel zu rauh, als daß man
129
auf sie schreiben könnte. Darum werden sie unter fortwährendem
Begießen mit Wasser durch feine Sandsteine abgerieben. Wollte
man jetzt schon mit dem Stifte auf die Tafel schreiben, so würde es
nicht viel anders sein, als wenn inan mit weißer Kreide auf weißes
Papier schreibt. Die Buchstaben würden kaum sichtbar sein. Damit
sie ordentlich in die Augen fallen, werden die Tafeln mit Kohle,
welche zu ganz feinem Pulver zerstoßen ist, und mit Öl tüchtig ein-
gerieben. Nun endlich sind sie so weit, daß sie eingerahmt, verpackt
und in die weite Welt geschickt werden können.
Gewöhnlich kommt der Schiefer in dünnen Platten vor, welche
immer eine hinter der andern liegen, gerade so wie die Blätter in
einem Lesebuche. Zu Stiften kann dieser Schiefer nicht gebraucht
werden; dazu nimmt man andern Schiefer, welcher aussieht, als ob
er aus lauter einzelnen Ruten zusammengewachsen wäre. Meistens
liegt diese Art Schiefer weit tiefer in der Erde als der Tafelschiefer.
Er kann nur so lange bearbeitet werden, als er naß und weich ist.
Die Arbeiter teilen mit scharfen Spitzhämmern die großen Stücke in
kleinere und spalten diese wieder in lauter einzelne Stifte, die zuletzt
durch Schaben rund gemacht werden.
(Runkwitz.)
120. Salz und Eisen.
Das Salz holen wir vom Kaufmann, der Kaufmann aber kauft
es in den Salzsiedereien. Dort macht man es aus Wasser, aber
nicht aus gewöhnlichem Wasser, sondern aus solchem, in dem sich
Salz aufgelöst hat. Das Salz besindet sich nämlich in der Erde und
ist 'bort fest wie Stein. Man nennt es darum auch Steinsalz.
Fließt nun über das Steinsalz Wasser, so wird etwas davon auf-
gelöst. Solches Wasser schmeckt sehr salzig, man nennt es Sole.
In ben Salzsiedereien läßt man das Wasser der Sole durch die Luft
und durch Feuer verdunsten, und dann bleibt das Salz zurück. Es
sieht schön weiß aus und macht die Speisen schmackhaft. Auch aus
dem Meerwasser wird Salz bereitet. Das hat aber eine graue Farbe
und einen bitterlichen Geschmack. Man nennt es Seesalz.
Das Eisen wird aus den Eisenerzen gewonnen; es kommt nie-
mals rein oder gediegen vor. Wenn das Eisenerz in das gewaltige
Feuer der Hochöfen oder Schmelzöfen kommt, so schmilzt das Eisen
heraus. Dadurch erhält man das Gußeisen. Auf dem Eisenhammer
wird das Gußeisen noch mehr gereinigt und dann vermittelst großer
Hämmer geschlagen. Auf diese Weise erhält man das Stab- oder
Schmiedeeisen. Seine Farbe ist grauschwarz. Wenn man es schleift,
so bekommt es einen starken Glanz. Die Funken, welche beim
Schmieden des Eisens umherspringen, sind glühende Eisenteile.
Wenn das Eisen im Wasser oder in feuchter Luft liegt, so löst
es sich nach und nach auf, wird gelb-rot und pulverig: es
rostet. Der Rötel, mit dem der Zimmermann schreibt, ist auch ein
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
9
130
Eisenstein; er besteht aus Eisenrost und Thonerde. Aus dem Eisen
werden viele Gerätschaften gemacht, ohne die wir gar nicht bestehen
könnten. Das Eisen ist das nützlichste Metall; darum hat es der
liebe Gott der Erde auch in großer Menge geschenkt. ^ i
(Bü tt n e r' s^Lesebuch.)
121. Rätsel.
(* Von Lina Grafs.)
Fünf'*) Schwestern eng verschlungen
Sind tiefem Schacht entsprungen;
Aus dunkler Nacht und Felsenstein
Da holt man mit Gewalt sie ein,
Doch erst durch Feuersgluten
Erzieht man sie zum Guten.
Fünf schlanke Schwestern rund und glatt,
Die gehn herum wie’s Mühlenrad,
Wobei durch kleine Schlingen
Sie wie im Takte springen,
Und thun sie’s zierlich und gewandt,
Sind sie ein Schmuck in Mägdleins Hand.
Die blanken Schwestern weben
Ohn’ Webstuhl für das Leben,
Zumal wenn’s draussen friert und schneit;
Drum blanke Schwestern, schafft zur Zeit!
*) An manchen Orten sind’s auch nur vier Schwestern.
X.
a. Die Bibel ist ein goldenes Buch. Geduld ist die beste Arznei. Muß ist
ein bitter Kraut. Erfahrung ist die beste Lehrmeisterin. Anfang ist kein
Meisterstück. Dienstjahre find keine Herrenjahre. Lügen haben kurze Füße.
h. Undank ist der Welt Lohn. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Gott ist
der Armen Vormund. Die Sünde ist der Leute Verderben. Der Fromme
ist Gottes Augapfel. Das Gewissen ist des Menschen Schuldbuch. — Gott
ist der Vater der Witwen und Waisen. Viele Hunde sind des Hasen Tod.
c. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Guter Name ist ein reiches
Erbteil. Ein unnütz Leben ist ein früher Tod. Die goldne Mittelstraße ist
die beste Straße. Ein guter Freund ist ein edles Kleinod. Recht thun läßt
sanft ruhn. — Des Vaters Strafe ist die rechte Liebe. Besser ein offener
Freund, als ein verstellter Feind.
122. Hier ist gegipst.
Benjamin Franklin war ein a grosser Staatsmann in Nord-
amerika und hat als solcher seinem Vaterlande grosse Dienste
131
geleistet. Aber auch in anderer Weise ist er seinen Lands-
leuten nützlich geworden.
Er war z. B. ein avorzüglicher Landwirt. — Weil er den
Gips auf seinem Acker benutzte, so hatte er viel schönere Klee-
felder als seine Nachbarn. Franklin forderte dieselben auf,
das Mittel doch auch anzuwenden. Aber niemand glaubte, dass
das Gipsen die Ursache des schönen Klees sei, und niemand
folgte seinem Beispiel.
Dahätte ein anderer sicher gedacht: Undank ist nun ein-
mal bder Welt Lohn; wenn ihr’s denn nicht besser haben wollt,
so lasst euren Klee ungegipst. Wem nicht zu raten ist, dem ist
auch nicht zu helfen. — Aber was that Franklin? Im Früh-
jahr wählte er einen Kleeacker an der Strasse aus und streute
in aller Stille die Worte: „Hier ist gegipst!" in mannsgrossen
Buchstaben mit Gips über den Klee. Den andern Teil des
Kleestücks liess er ungegipst. Als nun später die Leute vor-
beikamen, sahen sie die dunklen, fetten Streifen im Klee. Sie
fingen an zu buchstabieren und brachten bald die drei Worte
heraus: „Hier ist gegipst!" Nun wanderte alles zu dem Acker
hin, sah und las, — und dass von jetzt an die Belehrung wirkte,
das brauchen wir eigentlich nicht hinzuzusetzen.
(Preuss, Kinderfreund.)
123. Unsere Feldsteine.
(* Von K. Struck-Waren.)
Überall auf unsern Feldern finden sich Steine von der ver-
schiedensten Größe, die im gewöhnlichen Leben „Feldsteine" genannt
werden und davon manche 30 Kubikmeter und darüber halten. Alle
diese Gesteine sind in der sogenannten Eiszeit auf Gletschern von
den Felsenspitzen entfernter Gebirge zu uns geschoben und sind hier
abgelagert worden. Es giebt Gegenden unseres Landes, wo der
Boden buchstäblich damit übersäet zu fein scheint. Besonders sind
es zwei Parallelstreifen von Geröllen, die Mecklenburg in der Rich-
tung von NW. nach SO. durchziehen. Zwischen Sapshagen und
Sophienhof, sowie auch auf andern Gütern südlich vom Malchiner
See findet man diese Steine in großen Haufen zusammengetragen,
um einigermaßen das Feld davon zu reinigen. Der Pflug stößt
aber immer bei der Ackerbestellung auf Steine, die je nach ihrer
Größe gesammelt, gesenkt oder gesprengt werden müssen, damit sie
dem Feldbau nicht hinderlich sind. Auf dem Domanialgute Neuhof
im Amte Feldberg waren noch vor etwa dreißig Jahren an 1900
großer Steinhaufen vorhanden, die, um sie dauernd zu beseitigen, da
sie der Ackerei im Wege waren, einen Kostenaufwand von 24,000 Mk.
erforderten. Aus dem Klützer Ort sind allein im Jahre 1850 zu
den Wasserbauten der Trave ungefähr 10,000 Kubikmeter Steine
weggeschafft worden, ohne daß dadurch eine wesentliche Verminderung
derselben verspürt wurde. So hinderlich nun diese Gerölle der
9*
132
Bodenbestellung auch sein mögen, so sind sie doch, da wir keine an-
stehenden Felsmassen, besitzen, für uns von hohem Werte. Seit
einigen hundert Jahren schon haben sie uns ein schätzbares Bau-
material geliefert, und wie hätten wir wohl alle Straßen pflastern,
alle Chausseen ausführen können, wenn wir diese Steine nicht ge-
habt hätten? Die schönen Sarkophage in den Kirchen zu Schwerin,
Ludwigslust und Doberan sind ebenfalls aus solchen erratischen
Blöcken angefertigt, und mancher Knabe hat sich wohl durch die
spiegelglatte Politur dieser Prachtsärge verleiten lassen, sie als aus
Marmor gearbeitet anzusehen.
In manchen Gegenden unseres Landes sind freilich größere
Feldsteine schon so knapp, daß man sich ihrer beim Fundamentieren
von Häusern nicht mehr bedienen kann, allein andere Teile Mecklen-
burgs bleiben noch auf Jahrhunderte hin steinreich.
Wie und wann diese Felsen, von denen unsere Steine ab-
stammen, geworden, darüber haben die Gelehrten viel erdacht und
geschrieben, allein das gehört nicht hierher. Wer aber ihre Sprache
versteht, dem sagen sie: Auch über dem toten Gestein waltet ge-
heimnisvoll die allmächtige Hand Gottes!
124. Im Schoß der Erde.
(* Von E. Labes.)
Heut lad' ich euch, ihr Kinder, ein,
Gefährten alle mir zu sein:
Wir reisen in der Erde Schoß,
Verbergend Wunder, klein und groß.
Noch kündend mächt'gen Feuers Glut
Platin und Gold und Silber ruht
Da drunten im verborgnen Schacht,
Daraus man Festgeschmeide macht;
Und mancher schöne Edelstein
Erglänzt in aller Farben Schein.
Doch haltet auch das Eisen wert.
Das giebt den Pflug, das scharfe Schwert.
Und wer die Feder wohl erfand.
Die, stahlgehärtet, führt die Hand?
125. Das Bergwerk.
„Woher mag doch das Gold kommen?" fragte ich einmal einen
Bergmann." Da antwortete er: „Liebes Kind, das Gold wird tief
unter der Erde gegraben." Da sagte ich: „Lieber Bergmann, dann
will ich auch einmal unter die Erde steigen, damit ich genau sehe,
woher das Gold kommt." Der Bergmann aber war es nicht sogleich
zufrieden, denn er sagte: „Unter der Erde in der Grube ist es dunkel,
und es ist tiefer, als ein Brunnen. Wer da fällt, der kommt nimmer-
mehr heraus." Ich aber hatte Mut und sprach: „Lieber Bergmann,
133
ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit und vor der Tiefe, und will
mich festhalten, damit ich nicht hinnnterfalle." Da sagte er: „Wenn
es so ist, will ich dich mitnehmen. Komm, zieh hier einen Berg-
mannskittel an und binde dir eine Lederschürze hinten vor, so wie
ich, und nimm ein Lämpchen in die Hand und folge mir nach."
Und nun ging es hinunter. Wir setzten uns in einen großen Eimer
und hielten uns fest an der Kette. Der Eimer wurde hinunter-
gelassen und es wurde immer dunkler; man sah die Sonne nicht
mehr und von dem Himmel nur ein ganz kleines Stückchen. Endlich
war der Eimer auf dem Boden und wir stiegen hinaus; allein wenn
wir kein Lämpchen gehabt hätten, so hätten wir gar nichts gesehen.
Jetzt sagte der Bergmann: „Wir sind durch den Schacht; nun müssen
wir durch den Stollen gehen." Da gingen wir durch einen langen
dunklen Gang, welcher der Stollen heißt und welcher so niedrig war,
daß der Bergmann gebückt gehen mußte; ich aber konnte gerade
gehen, weil ich noch klein war. Zuletzt kamen wir zu den anderen
Bergleuten, die hatten alle lederne Schürzen hinten und den Berg-
mannskittel, wie wir auch, und dann hatten sie spitzige Hacken in
der Hand, damit hieben sie in den Felsen und sprengten große
Stücke von einem glänzenden Steine ab, den sie Erz nannten.
Einer aber lud das Erz in einen Karren und führte es den Stollen
hinaus, bis unter den Schacht, wo wir hergekommen waren. Dort
that es einer in den Eimer, und die, welche oben standen, zogen es
hinauf. Da fragte ich: „Wo ist denn das Gold?" „Ei," sagte der
Bergmann, „das steckt in dein Erze, und wenn es in das große
Feuer kommt, schmilzt es heraus." Nun wollte ich auch das große
Feuer sehen; aber der Bergmann sagte, ich müsse Geduld haben,
man könne nicht alles auf einmal sehen; und ich solle nur hier recht
achtgeben auf die Dinge in dem Bergwerke. Also betrachtete ich noch
einmal die Bergleute in ihren dunklen Stollen, wie jeder sein Lämp-
chen an die Mauer gehängt hatte, und wie sie fleißig Erz abklopften
und in den Karren luden. Auf einmal läutete die Abendglocke; da
legten sie ihr Werkzeug bei Seite und riefen: „Glück auf!" denn
das heißt bei ihnen so viel als „guten Tag" oder „guten Abend."
Hierauf gingen sie unten an den Schacht und ließen sich in dem
Eimer hinaufwinden. Ich wurde auch hinaufgezogen und freute mich,
als ich wieder am Tageslichte und auf der Erde war, und dachte in
meinem Sinne: „Es ist doch recht schwer, ein Bergmann zu sein."
(Curtmann.)
126. Des Bergmanns Glückauf!
Glück aus! der Bergmann kehret wieder aus seiner
Grube dunkelm Schacht; zur finstern Nacht stieg er her-
nieder, wo nimmer ihm die Sonne lacht. Ob Schwaden
auch und Wetter ziehen, er steigt getrost ins Felsengrab
und hämmert unter tausend Mühen viel Gold und Silber
134
für uns ab. Umhaucht von feuchten, kalten Lüften, bei
feiner Lampe trübem Schein ist er in diesen stillen Grüften
mit sich und seinem Gott allein. Drum macht so froh ihn
Gottes Nähe, fein einziger Freund im tiefen Schacht,
und ob er rings Gefahr auch sähe — Glück auf! ein
Vaterauge wacht!
(Kinderfreund von Colshorn.)
127. Die Erfindung des Glases.
Einst landeten Phönizier an der nördlichen Küste des
gelobten Landes, wo das Flüsschen Beins sich in das Meer er-
giesst. Eine weite Sandfläche lag vor ihren Blicken. Vergebens
suchten sie nach Steinen, um ihre Kessel und Pfannen über
denselben aufzustellen. Da holten sie aus ihren Schiffen
Salpetersteine, die sie als Ladung mit sich führten. Schnell
prasselt die lustige Flamme empor, und sie halten ihr dampfen-
des Mahl. Aber, o Wunder! von der Gewalt des Feuers schmel-
zen die Salpeter steine, vermischen sich mit der Asche und dem
glühenden Sande, und cds die flüssige Masse erkaltet war,
lag am Boden das helle, durchsichtige — Glas. So sind die
Phönizier die Erfinder des Glases geworden, durch ivelches wir
das Licht in unsere Wohnungen leiten und das uns auch sonst
noch so ivichtiqe Dienste leistet. (Haupt.)
XL
1 Das Leben auf dieser Erde ist ein kurzes. Die Fahrt über das Meer
ist gefahrvoll. Die Hitze in den Hundstagen ist stark. Eine Reise durch die
Wüste ist beschwerlich. Die Furcht vor einem Gewitter ist verwerflich. Das
Streben nach Ehre ist thöricht. Der Sonntag vor Ostern heißt Palmarum. —
Manche Reden sind Worte ohne Wert. Die Engel sind Gottes Boten vom Him-
mel. Gottes Güte ist an jedem Morgen neu; seine Treue ist von Jahr zu Jahr
dieselbe.
2 Bei derNacht sind alle Katzen grau. Hütet euch vor dem Geize. Wir
sind in Gottes Hand. Die Liebe der Eltern zu den Kindern ist groß. Bei Gott
sind alle Dinge möglich. Trachtet nach dem Reiche Gottes. 'Lotterielose sind
Einlaßzettel ins Armenhaus. — Der Leib zerfällt in Staub. Das Wasser ge-
friert zu Eis.
128. Der Bernstein.
Lange Zeit wusste man nicht, was der gelbe, durchsichtige
Bernstein eigentlich sei, bis man die kleinen Käfer, Ameisen
und Fliegen bemerkte, die mitunter 2 in ihm eingeschlossen sind.
Oft fehlen den Tierchen einige Füsse, oder die Flügel 1 an
ihrem kleinen Körper sind durch einander gewirrt und beschädigt,
oft aber sind sie auch ganz unverletzt und breiten ihre Flügel
oder strecken die Füsse und Fühlhörner, als ob sie noch lebten.
Da sieht man Springkäfer im Fortschnellen, Spinnen, wie sie
135
den Fliegen nachsetzen n. a. m. Wie sind diese 2 aus ihrem
frischen, fröhlichen Lehen so plötzlich in die durchsichtige
Hülle gekommen, die sie wie ein Glassarg umschliefst? — Man
sagt so. Der Bernstein Mn unseren Meeren ist ein sehr dünn-
flüssiges, aber schnell erhärtendes Baumharz, das einst 2in
grosser Menge aus dem Baume floss, der früher am Strande der
Ostsee ganze Wälder bildete. Wenn nun jene Tierlein xaus
der Insektenwelt ihr munteres Leben an den Bäumen führten,
so geschah es wohl oft, dass das Harz über sie herfloss und
bei seinem Erhärten sie fest einschloss. Jene Wälder Mn der
Urzeit wurden später 2durch mächtige Fluten des Meeres zer-
brochen und begraben, und die Bernsteinstücke, welche man
findet, sind Überreste von der untergegangenen Herrlichkeit.
2Bei Nordwest-Stürmen wühlen die Wellen mit ungeheurer
Kraft an den flachen Stellen der See den Bernstein samt den
auf dem Meeresgrunde wachsenden Pflanzen, Tange genannt,
los. Der Stein *aus der Tiefe bleibt in dem Kraut hängen
und wird samt diesem an den Strand geschleudert. Die Bern-
steinfischer spähen nach solchen Krautmassen und ziehen die-
selben mit ihrem Netze, an welchem lange Stangen befestigt
sind, vollends auf das Land. Gegen die Kälte des Seewassers
schützen sich die Fischer durch Wasserstiefeln, Frauen und
Kinder lesen den Stein aus dem Kraute.
2Bei hellem, ruhigen Wetter fahren die Leute mit ihren
Böten in das Meer und spähen nach dem blinkenden Stein, der
auch bei grosser Tiefe der See sichtbar ist. 2 Mit eisernen
Zinken heben sie ihn dann auf. Dies nennt man das Stechen
des Bernsteins. Es giebt zwar wenig Ertrag, aber die schön-
sten Stücke. Dagegen ist das Tauchen 1auf Bernstein sehr
ergiebig. Männer, welche wasserdichte Kleidung anhaben,
steigen 2 aus einem Kahne hinab auf den Meeresgrund. Durch
einen Schlauch wird ihnen Luft zugeführt. So können sie
mehrere Stunden in der Tiefe zubringen und am Boden die
dort oft unter Steinen verborgenen Bernsteinstücke aufsuchen.
Auf die genannten drei Arten wird der Bernstein 2 aus dem
Meere gewonnen. Er wird aber auch 2 aus den Hügeln des
Strandes gegraben und bergmännisch gewonnen.
Der Bernstein wird von den Bernsteindrehern zu den ver-
schiedensten Kunstsachen verarbeitet. Aus den grösseren
Stücken macht man Dosen, Becher, Pfeifenspitzen, Geschmeide
u. s. w., aus den kleineren Knöpfe, Korallen u. s. w. Ausser-
dem gebraucht man ihn auch zum Räuchern, besonders im
Morgenlande; auch bereitet man daraus einen guten Firniss,
indem man ihn über Kohlenfeuer fliessend macht und mit Lein-
oder Terpentinöl mischt.
(Bock's Lesebuch. Für spr. Zwecke etwas geändert.)
136
129. Schuh der Natur.
(* Von Chr. Pommcrenke.)
Nach dein Worte Gottes ist der Mensch zum Herrn über die
Erde gesetzt. „Herrschet", sprach Gott zu dem ersten Menschen „über
die Kreatur und machet sie euch Unterthan." Und der Mensch hat
diese ihm von seinem Schöpfer angewiesene Stellung zu behaupten
gewußt: er hat Tiere, Pflanzen und Mineralien, ja die Naturkräfte
in seinen Dienst genommen, und schaltet mit ihnen nach seinem
Belieben.
Der denkende, verständige Mensch wird aber auch einsehen, daß
dieses Recht ihm zugleich ernste Pflichten auferlegt. Nach dem Vor-
bilde der göttlichen Regierung soll auch der Mensch als Gottes
Ebenbild mit Weisheit und Liebe das Regiment über die Kreatur
führen. Das ist nun aber leider oft nicht der Fall, wie es die
herzlose Behandlung zeigt, welche der Mensch den lebenden Kreaturen
vielfach zu teil werden läßt. Die tyrannische Behandlung unserer
lebenden Mitgeschöpfe pflegen wir mit dem Namen Tierquälerei zu
bezeichnen.
Die Tierquälerei ist ebenso wie der Baumfrevel das Zeichen
eines rohen und harten Gemütes. Das Tier ist, wenn auch nicht
ein so vollkommenes Geschöpf wie der Mensch, doch immerhin ein
Wesen, welches auch Gefühl hat, und daher bei Qualen ebenso
Schmerzen empfindet, wie wir dieselben empfinden, wenn wir uns
verletzen.
Aber nicht bloß deshalb sollen wir die Tiere nicht quälen,
weil sie, wie wir, ein Gefühl haben, sondern auch deshalb nicht, weil
sie uns einen großen Nutzen gewähren. Was wäre der Mensch ohne die
Tiere! Sie sind unsere Freunde und Gesellschafter und unsere Ge-
hülfen bei unsern Arbeiten und Mühen in mannigfacher Weise. Wie
würde es uns z. B. ergehen, wenn wir selbst das Ackerfeld um-
graben, das Getreide nach Hause karren, das Brenn- und Bauholz
vom Walde heimschaffen und alle Wege zu Fuß machen sollten?
Ferner versorgen uns die Tiere mit Nahrungsmitteln, dienen uns
ganz oder teilweise zur Nahrung, liefern uns Stoffe zur Kleidung
und zum Schmucke, erfreuen uns durch ihren Gesang und durch die
Farbenpracht ihres Gefieders, befreien uns von andern lästigen
Tieren und Pflanzen und verschaffen uns sogar viele Arzneien.
Wohl darf daher der Mensch das Tier sich unterthänig machen zum
Dienst und zur Arbeit; aber er soll dabei den Wert der Tiere an-
erkennen und sie behandeln, wie es gefühlvollen Menschen geziemt,
und wie es unserer Menschenwürde entsprechend ist. Kein Fluch soll
über seine Lippen kommen, keine unnötige Strafe soll er vollziehen;
er soll ihnen reichlich und zur rechten Zeit Nahrung geben und nicht
mehr Dienste von ihnen verlangen, als sie leisten können. Sind sie
krank, so soll er sie schonen und pflegen, damit sie so schnell als
möglich von ihrem Übel befreit werden. Ist es nötig, sie zu töten.
137
so soll es auf die schnellste und schmerzloseste Art geschehen. Es
sind eben die Tiere auch Wesen, die sich ihres Daseins freuen und
sich in ihrer Art ebenso glücklich fühlen als der Mensch in seiner
Behausung oder an einer reichbesetzten Tafel. Wer das Geschöpf
nicht ehret, wird der den Schöpfer ehren? Und verlangt nicht die
heilige Schrift an mehreren Stellen ausdrücklich, barmherzig gegen
die Tiere zu sein?
Dieselbe schonungsvolle Behandlung, die wir den Tieren auf
der Erde zu teil werden lassen müssen, gebührt auch beii Vögeln in
der Luft. Auch sie sind des lieben Gottes Geschöpfe. Die heilige
Schrift nennt sie oftmals Vögel „des Himmels" und fügt so das schönste
Wort zu ihrem Namen. Wenn wir den jubelnden Liedern in Hain
und Garten oder über uns in der Luft lauschen, wenn rings um
uns her die gefiederte Welt durch ihre bunten Farben und ihre an-
mutige Lebendigkeit uns erfreut, dann denken wir wohl kaum daran,
welchen Dank wir der kleinen Sängerwelt schuldig sind. Wenn aber
die uns lästigen Insekten und Würmer allerlei Art einmal eine Be-
ratung halten würden, wie sie es machen sollten, um sich ihrer Feinde
zu erwehren, so hätten sie gewiß viel von Lerchen und Schwalben,
von Finken und Sperlingen, von Nachtigallen und Grasmücken und
andern Vögeln zu reden. Ja, gerade diese Vögel sind es eigentlich
vor allen andern Tieren, welche unser Getreide, Gemüse, Obst, also
unsere wichtigsten Lebensbedürfnisse uns zu erhalten vermögen. Und
wie würden Disteln, Nesseln, Kletten, Wegerich, wilder Mohn und
anderes Unkraut überhand nehmen, wenn die Zeisige und Kreuz-
schnäbel, die Finken und Hänflinge mit ihren Vettern nicht sorgsame
Wache hielten? Nicht Millionen Menschenhände würden im kleinsten
europäischen Staate während des Jahres das auszurichten im-
stande sein, was daselbst und in derselben Zeit das Heer der Vögel
besorgt.
Daher müssen denn das recht böse Buben sein, die den Vögeln
ihre Eier oder ihre Jungen nehmen, die die armen Tierchen, welche
doch niemand etwas zu leide thun, quälen. Ganz gewiß, Kind, du
hast ein rohes Herz, wenn du Wohlgefallen hättest an den Qualen
einer von dir verstümmelten Fliege, an den Schmerzen eines seiner
Freiheit beraubten Schmetterlings oder Käfers, eines gemarterten
Frosches. O, was würdest du empfinden, wenn Barbaren dich deiner
Zunge oder Finger beraubten, was für ein Jammergeschrei würde
zum Himmel emporsteigen, wenn rohe Heiden deinen Eltern das
Brüderchen oder Schwesterchen aus der Wiege raubten! Und du
willst kein Erbarmen mit den Geschöpfen des lieben Gottes haben?!
Die Welt gehört uns Menschen nicht allein;
Auch Tiere sollen sich der Güte Gottes freu'n!
Ebenso sollen wir auch erhaltend und pflegend unter der leblosen
Schöpfung schalten und walten; denn auch die leblose Schöpfung ist ein
Werk derselben Vaterhand, die den Menschen geschaffen hat, und samt
188
der Tierwelt ist auch sie eine reiche Quelle göttlichen Segens für
den Menschen.
Nähme man die Pflanzen von der Erde weg, so müßte die
ganze Menschen- und Tierwelt vergehen. Aus dem Pflanzenreiche
erhalten wir nicht nur alle Getreide-, Gemüse- und Obstarten, son-
dern auch fast alle Nahrung für unsere Haustiere; ferner viele Ge-
tränke, eine Menge herrlicher Gewürze, die meisten Arzneimittel,
Brenn- und Nutzholz, alle Materialien zu Webereien und Strick-
sachen, viele Färbestoffe u. s. w. Dabei erfreut auch die Pflanzen-
welt das Auge und erhebt das Herz dankbar zu Gott.
So müssen wir denn schonungsvoll mit den Gegenständen in
Gottes Schöpfung umgehen. Wir wollen die Natur betrachten als
eine Offenbarungsstätte Gottes, der in der Größe und Vielheit seiner
Werke seine Allmacht, in ihrer kunstvollen und zweckentsprechenden
Anordnung seine Weisheit und in der Fülle seiner Gaben seine
Güte den Menschen lebendig vor Augen gestellt hat, und wollen auch
von den Erzeugnissen der Natur zu lernen suchen. Was predigt
nicht der Baum, der sich vor dir in den blauen Himmel erhebt?
Sodann wollen wir auch besonders Erbarmen mit den armen Tieren
haben, die bei Mißhandlung niemandem ihre Not klagen können,
wollen bedenken, daß es gar viele Beispiele giebt, daß Menschen, die
in der Jugend gern Tiere marterten, später auch grausam gegen
Menschen waren, ja selbst Mörder wurden. Bedenken wollen wir
endlich, daß, wenn schon ein Tierquäler der menschlichen Strafe ent-
geht, der Rächer des von herzlosen Menschen gepeinigten Tieres der
allwissende und gerechte Gott ist, welcher Ps. 50 spricht: „Alle
Tiere in: Walde sind mein und das Vieh auf den Bergen. Ich
kenne alle Vögel auf den Bergen und allerlei Tier auf dem
Felde ist vor mir." Er sieht den stummen Blick seines gequälten
Geschöpfes, er hört seinen Schmerzensschrei und wird die Unbarm-
herzigen einst vor sein Gericht fordern.
130. Liebe zur Tier- und Pflanzenwelt.
(* Von Eugen Labes.)
„Es werde Licht!" erklang der Werderuf
Des Schöpfers, dessen Wort die Welt erschuf;
Die Kraft, die waltete im Weltenall,
Belebte auch den kleinen Erdenball.
Die Wolken wichen, Glanz von Gott dem Herrn
Erleuchtete auch unsern Erdenstern.
In seiner Tiefe edeles Metall
Erglänzt, erblüht hellleuchtender Krystall.
Es dämpfte Niederschlag der Flammen Glut,
Es legte sich des Wassers Flut,
Die Pflanze strebt empor zum Sonnenlicht,
Die Blume sucht des Schöpfers Angesicht:
Im Meere tummelt sich der Fische Schar,
In Äthers Glanz sich wiegt der Sonnenaar.
Gott sprach zum Menschen: Alles dies ist dein.
Du sollst der schönen Schöpfung Schirmherr sein,
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Dir beuge sich der Tiere wilde Kraft,
Beherrsche sie, doch sonder Leidenschaft.
Er hört's, er sieht des Weltalls Harmonie,
Die auch der Tiere Welt der Schöpfer lieh,
In ihr ein Bild auch von der Menschen Wesen,
Wie ihnen ward ein Herrscher auch erlesen,
Zu ordnen Arbeit und Geselligkeit;“
Er schaut der Tiere Kraft und Munterkeit,
Er freut sich ihrer Schönheit, ihres Thun'
Im Spiel der Kraft und wenn sie sorglos ruhn;
Doch wahrt er auch dem menschlichen Geschlecht
Das ihm von Gott verliehne Herrscherrecht.
Er macht sich dienstbar alle Kreatur,
Beherrscht die Kraft, veredelt die Natur,
Des Waldes Tier, es wird sein Hausgenoß,
Den Streiter tragt zur Schlacht das stolze Roß,
Es wird zum Kampfgenoß in Kampf und Krieg,
Erhebt sein Haupt im Festzug nach dem Sieg,
Und wo ein Held im Kampf sein Leben gab,
Da sinkt eö trauernd auf das Heldengrab. —
Dem Tier, das seine Freiheit ihm gegeben,
Giebt er ein Heim, giebt Ordnung seinem Leben,
Gewährt er Schutz vor dem, der es bedroht,
Verläßt es nicht in Krankheit und in Not,
Giebt gern ihm Freude auch an Festes Tag,
Daß freudig auch es ihm gehorchen mag.
So macht von eurem Herrscherrecht Gebrauch
Und sorgt für eure Tiere freundlich auch.
Schont Waldes Tiere, daß Gesang erfreut
Das Herz, wenn dann sich Wald und Flur erneut.
Noch eines: Auch der zarten Blüten Pracht
Im Garten, Wald und Feld hat Gott gemacht,
Er will, daß ihr nicht Reis und Blüte knickt,
Mutwillig das versehrt, was ihr erblickt;
Ihr sollt bewahren in dem Gottesgarten
Die Pflänzlein, die des neuen Frühlings warten.
Der Schöpfer in der ganzen Schöpfung waltet
Er will, daß ihr, was er erschuf, erhaltet.
III.
131. Betrachtung über das Weltgebäude.
Die Erde.
Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben ist die Erde
mit allen ihren Bergen und Thälern eine große, runde Fläche, gleich einer un-
geheuer großen Scheibe. Am Rande derselben kommt nichts mehr; dort ist gleich-
sam der Himmel an sie angefügt, der, wie eine große, hohle Halbkugel, über ihr
140
steht und sie bedeckt. Aber die Stcrnseher (Astronomen) und der Kalcndermacher
wissend besser. Wenn einer aus seinem Heimatsorte weggeht und will bis ans
Ende der Erde reisen an den Rand, wo der Himmel auf der Erde zu liegen scheint,
nämlich bis an den Horizont oder Gesichtskreis, so kommt er nach kürzerer oder
längerer Zeit zuletzt wieder auf den alten Fleck, von dem er ausging. Er ist
nämlich um die Erde gereist, wie man einen Strich mit Kreide um eine Kugel
herumzieht, und hat das Ende der Erde nie gesehen.
Es sind schon mehr als zwanzig solcher Reisen um die Erde nach ver-
schiedenen Richtungen gemacht worden. Ist nicht der englische Seekapitän Cook
in seinem Leben zweimal um die ganze Erde herum gereist und von der andern
Seite her wieder heimgekommen? Aber das dritte Mal haben ihn die Wilden
auf der Insel Owai totgeschlagen und gegessen. Daraus und noch aus anderen
Zeichen wissen wir, daß die Erde keine ausgebreitete, rund abgeschnittene Fläche,
sondern eine große Kugel ist. Sie hängt und schwebt frei ohne Unterstützung, wie
die Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raume des Weltalls zwischen
lauter himmlischen Sternen. Die Erdoberfläche besteht etwa aus 3/4 Wasser
und V4 Land, und letzteres ist mit Pflanzen ohne Zahl besetzt und von Tieren
und vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht glauben, daß auf diese Art
ein Teil der Geschöpfe den Kopf abwärts hänge und in Gefahr stehe, von der
Erde weg und in die Luft herabzufallen. Dies ist lächerlich. Überall werden die
Körper durch ihre Schwere an die Erde angezogen und können ihr nicht entlausen.
Überall nennt man unten, was man unter den Füßen hat, und oben, was über
dem Haupte ist. Niemand merkt oder kann sagen, daß er unten sei. Alle sind
oben, so lange sie die Erde unter den Füßen und den Himmel über dem
Haupte haben.
Der Durchmesser der Erde beträgt in gerader Linie, von einem Punkt der
Oberfläche durch den Mittelpunkt hindurch bis zuin andern Punkt, 1720 deutsche
Meilen oder 12 900 Kilometer und ihr größcster Umfang (am Äquator) 5400
oder 40 500 km. Man rechnet, daß 1000 Millionen Menschen zu gleicher Zeit
auf der Erde leben und bei dem lieben Gott in Kost gehen, ohne die Tiere.
Unsere Erde ist von einer Lufthülle umgeben, welche man Dunstkreis
oder Atmosphäre nennt (die hauptsächlich aus zwei Gasarten besteht, dem Stick-
stoff und dem Sauerstoff (denen in geringen Mengen noch Wasserdampf und
Kohlensäure beigemengt sindf).
132. Die aufgehende Sonne.
In Morgenrot gekleidet, beginnt sie ihren Lauf,
Die schöne liebe Sonne, wie herrlich geht sie auf!
Willkommen uns, willkommen, des guten Gottes Bild!
So groh und so erhaben, und doch so sanft und mild!
Wie frisch hervor ins Leben sich alles ringt und drängt!
Wie schön an jedem Gräschen des Taues perle hängt!
Der dich erschuf, 0 Sonne, wie freundlich muh er sein!
O Iaht uns ihm, ihr Vriider, ein reines Leben weih'n!
(Dcmm e.)
141
Die Sonne.
So nahe die Sonne zu sein scheint, so ist sie doch über zwanzig Millionen
Meilen oder 150 Mill. kni weit von der Erde entfernt. Wenn auf der Sonne
eine große, scharf geladene Kanone stände und auf dich losgebrannt würde, so
könntest du doch herzhaft anfangen, ein neues Haus zu bauen, könntest darin noch
lange Zeit ruhig essen und trinken und schlafen. Denn wenn auch die Kugel in
schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit fort und fort flöge,
so könnte sie doch erst nach Verlauf von fünf und zwanzig Jahren von der Sonne
hinweg auf der Erde anlangen, und doch hat eine Kanonenkugel einen scharfen
Flug und bedarf zu einer Weite von 170 in nicht mehr als den sechzigsten Teil
einer Minute. Ein Dampfwagen würde bei seiner schnellen Bewegung, 5 Meilen
in der Stunde, doch erst, nach 450 Jahren von der Erde zur Sonne gelangen.
Wie lange müßte wohl der Mensch wandern, wenn von der Erde zur Sonne eine
gangbare Straße führte? Zehnmal schneller aber, als der Mensch, ist der Vogel;
2mal schneller als der schnellste Vogel ist der Wind; 20mal schneller als dieser
ist der Schall, OOmal schneller als letzterer ist der Gang der Erde um die Sonne,
10,000 mal geschwinder aber, als der Lauf der Erde auf ihrem Wege, ist die
Bewegung des Lichts. Vom Mond zur Erde braucht der Lichtstrahl nur 174 Se-
kunde und von der Sonne zu uns nur 8 Minuten und 7 Sekunden Zeit.
Die Sonne ist nicht eine glänzende Fensterscheibe des Himmels, sondem
wie unser Erdkörper, eine schwebende Kugel. Ihr Durchmesser ist 112mal größer,
als der Durchmesser der Erde. Aber im Körpermaß beträgt ihre Masse andert-
halb Millionen mal so viel, als die Erde. Wenn sie inwendig hohl wäre, so
hätte nicht nur unsere Erde in ihr Raum, auch der Mond, der doch 50000 Meilen
von uns steht, könnte darin ohne Anstoß auf- und untergehen. So groß ist die
Sonne! Willst du dir selbst einen Begriff davon machen, so zeichne einen Kreis,
der einen Centimeter, und daneben einen zweiten, der 112 cm. Durchmesser hat,
oder halte ein Fünfzigpfennigstück gegen ein Mühlrad.
Lange glaubten selbst die gelehrten Sternforschcr, diese ganze unermeßliche
Sonnenmasse sei nichts anderes, als durch und durch eine glühende Feuerkugel.
Nur konnte keiner von ihnen begreifen, woher dieses Feuer seine ewige Nahrung
erhalte, daß es in tausend und aber tausend Jahren nicht abnimmt und zuletzt
wie ein Lämpchen verlischt. Deswegen will es nun heutzutage den Naturforschem
und andern verständigen Leuten scheinen, die Sonne könne an sich wohl, wie
unsere Erde, ein dunkler und warmer, ja ein bewohnbarer Weltkörper sein. Aber
wie die Erde mit erquickender Luft umgeben ist, so umgiebt die Sonne ringsum
das erfreuliche Licht, und es ist nicht notwendig, daß dasselbe auf dem Sonnen-
körper selbst eine unausstehliche, zerstörende Hitze verursachen müsse, sondern ihre
Strahlen erzeugen die Wärme und Hitze erst, wenn sie sich mit der irdischen Luft
vermischen, und ziehen dieselben gleichsam aus den Körpern hervor. Denn das; die
Erde eine große Masse von verborgener Wärme in sich selbst hat und nur auf
etwas warten muß, um sie von sich zu geben, das ist daran zu erkennen, daß
zwei kalte Körper mitten im Winter durch anhaltendes Reiben zuerst in Wärme,
hernach in Hitze und endlich in Glut gebracht werden können. Und wenn die
Sonne ein sprühendes Feuer sein soll, fragen die Naturkundigen, wie geht es
142
berm zu, je weiter man einen hohen Berg hinaufsteigt und je näher man der
Sonne kommt, daß man immer mehr in die Hände hauchen muß und zuletzt vor
Schnee und Eis nicht mehr weiter kommt?
133. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.
Verschwunden ist die finstre Nacht, die Lerche schlägt,
der Tag erwacht, die Sonne kommt mit Prangen am
Himmel aufgegangen.
Sie scheint in Königs Prunkgemach, sie scheinet durch
des Bettlers Dach, und was in Nacht verborgen war, das
macht sie kund und offenbar.
Lob sei dem Herrn und Dank gebracht, der über
diesem Haus gewacht, mit seinen heil'gen Scharen uns
gnädig wollt' bewahren.
Wohl mancher schloß die Augen schwer und öffnet sie '
dem Licht nicht mehr; drum freue sich, wer neu belebt den
frischen Blick zur Sonn' erhebt. Schiller.)
Wie geht so klar und munter die liebe Sonne unter!
Wie schaut sie uns so freundlich an von ihrer hohen
Himmelsbahn!
Das ist so ihre Weise. Sie zeuget still und leise:
Wer flink am Tage Gutes thut, dem ist am Abend wohl
zu Mut!
Sie läuft den Weg behende von Anfang bis zum
Ende, erhellt und wärmt die ganze Welt aus ihrem himm-
lischen Gezelt.
Auf allen ihren Wegen ist lauter Licht unb Segen;
dann schließt sie freundlich ihre Bahn und lächelt uns noch
einmal an.
Jetzt geht sie klar und munter am Abendhimmel
unter, bald aus des Morgenhimmels Thor steigt sie mit
neuem Glanz empor.
Drum wallet frohen Mutes, wie sie, und thuet Gutes!
Dann schließt ihr fröhlich euern Lauf und steht frohlockend
wieder aus. (Krummacher.)
Die Erde und die Lonne.
Da die unermeßlich große Sonne in einer so unermeßlich weiten Entfer-
nung von uns weg ist, so hat es den Sternforschern schon lange nicht mehr ein-
leuchten wollen, daß sie unaufhörlich und je in 24 Stunden um die kleine Erde
143
herumwandern soll, nur damit wir in diesem kurzen Zeitraume einmal Morgen
und Mittag, Abend und Nacht bekämen. Die Naturkundigen haben sich überzeugt,
daß alles dieses auf eine viel einfachere und leichtere Art entsteht. Ein deutscher Astro-
nom aus Thorn, Namens Kopernikus, hat schon vor fast 400 Jahren bewiesen,
daß nicht die Erde, sondern die Sonne still steht, und daß nicht die Sonne um
die Erde, sondern diese sich um jene bewegt. Kopernikus lehrt folgendes:
Die Sonne, ja selbst die Sterne haben gegen die Erde keine Bewegung,
sondern sie stehen für uns so gut wie still. Die Erde dreht sich in 24 Stunden
um sich selber. Man stelle sich vor, daß von einem gewissen Punkte der Erd-
kugel durch ihren Kern bis zum entgegengesetzten Punkte eine lange Achse gezogen
wäre. Diese beiden Punkte nennt man die Pole. Gleichsam um diese Achse
herum dreht sich die Erde in 24 Stunden, und wenn ein langer roter Faden ohne
Ende von der Sonne herab auf die Erde reichte und mittags um 12 Uhr an
einen Kirschbaum angeknüpft würde, so würde die Erdkugel diesen Faden in 24
Stunden einmal ganz um sich herumgezogen haben. Dabei ist die eine Hälfte der
Erdkugel gegen die Sonne gekehrt und hat Tag, und die andere Hälfte ist von
der Sonne abgekehrt gegen die Sterne hinaus und hat Nacht, aber nie die näm-
liche Halbkugel. Wie nun die Erdkugel sich gegen die Sonne dreht, löst sich immer
an dem einen Rande der finstern Hälfte ein wenig von der Nacht in die Dämme-
rung auf, bis man dort die ersten Strahlen der Sonne erblicken kann und meint,
sie gehe auf. An der andern Seite der erleuchteten Hälfte wird's immer später
und kühler, bis man die Sonne nicht mehr sieht, und meint, sie sei untergegangen.
So wandeln der Morgen und Mittag und Abend in 24 Stunden um die Erde
herum und erscheinen nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien z. B.
24 Minuten früher als in Paris.
Während die Erde, lehrt Kopernikus weiter, sich um sich selbst dreht, bleibt
sie nicht an dem nämlichen Orte im unermeßlichen Welträume stehen, sondern sie
bewegt sich unaufhörlich und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit (ungefähr in einer
Sekunde 4 Meilen oder 30 lern) in einer großen Kreislinie zwischen der Sonne
und den Sternen fort und kommt in 365 Tagen und ungefähr 6 Stunden um
die Sonne herum und wieder aus den alten Ort.
Ferner sagt Kopernikus: Man kann die Bewegung eines Fahrzeuges, auf
welchem man mitfährt, eigentlich nie an dem Fahrzeuge selbst erkennen, sondern
man erkennt sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und
Kirchtürmen, welche stehen bleiben und an denen man nach und nach vorbeikommt.
Wenn ihr auf einem fahrenden Wagen, oder lieber auf einem Schiss fahrt und
ihr schließt die Augen zu, oder ihr schaut eurem Kameraden, der mit euch fährt,
steif auf seinen Rockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiter kommt.
Wenn ihr aber aufschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bei uns auf
dem Fahrzeuge sind, da kommt euch das Ferne immer näher, das Nahe und
Gegenwärtige verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß
ihr vorwärts kommt; also auch die Erde. An der Erde selbst und allem, was
auf ihr ist, so weit man schauen kann, läßt sich ihre Bewegung nicht absehen
(denn die Erde ist selbst das große Fahrzeug, und alles, was man auf ihr sieht,
fährt selber mit); sondern man muß nach etwas schauen, das stehen bleibt und
nicht mitfährt, und das sind eben die Sonne und die Sterne, z. B. der sog.
Tierkreis. Denn zwölf große Gestirne, welche man die zwölf himmlischen Zeichen
144
nennt, stehen am Himmel und in einem hohen Kreise um die Erdbahn herum.
Sie heißen: der Widder, der Stier, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, die
Jungfrau, die Wage, der Skorpion, der Schütz, der Steinbock, der Wassermann,
die Fische. Eins folgt auf das andere, und das letzte schließt an das erste wieder
an, nämlich die Fische an den Widder. Dies ist der Tierkreis. Er steht aber
noch viel höher am Himmel, als die Sonne, und sie steht, von hier aus be-
trachtet, immer in einem Zeichen desselben. Denn ob sie gleich abwärts desselben
steht, so meint man doch wegen der sehr großen Entfernung, sic befinde sich in
dem Zeichen selbst. Wenn sic aber heute in dem Zeichen des Steinbocks steht, so
steht sie nach 30 Tagen nicht mehr im Zeichen des Stcinbocks, sondern im nächsten,
und je nach 30 Tagen immer in dem nächstfolgenden, und daran erkennt man,
daß die Erde in ihrem Kreisläufe unterdessen vorwärts gegangen sei.
Endlich lehrt Kopcrnikus: Wenn die Achse der Erdkugel gegen die Sonne
wage recht läge, und die Erde drehte sich auch so, und sie bewegte sich wagerecht
in einer vollkommen runden Zirkellinie um die Sonne, also daß die Sonne genau
im Mittelpunkte des Zirkelkreises stände, so müßte jahraus jahrein und auf allen
Orten der Erde Tag und Nacht gleich sein. Ja, es müßte mitten auf der Erde
ein ewiger Sommer glühen; weiterhin zu beiden Seiten am Abhange der Kugel
milderte und kühlte sich die Hitze ein wenig, je schiefer die Sonnenstrahlen herab-
fielen, und näher gegen die Pole hin herrschte ein Winter ohne Trost und ohne
Ende. Aber so ist es nicht. Die Achse der Erde liegt nicht wagerecht und nicht
senkrecht gegen die Sonne, sondern schief (in einem Winkel von 67 Graden). In
dieser Richtung gegen die Sonne dreht sich die Erde, und daraus eben geht die
verschiedene Dauer der Tage und der Wechsel der Jahreszeiten hervor. Immer
beginnt der Wechsel der Jahreszeiten von neuem, und nie herrscht auf der ganzen
Erde eine und dieselbe Jahreszeit. Denn zu gleicher Zeit und in gleichem
Maße, wie sich die Sonne von ihrem Scheitelpunkt entfernt, oder wir von der
Sonne, kommt sie höher über diejenigen zu stehen, welche gegen den andern Pol
hinaus wohnen. Wenn bei uns die letzten Blumen verwelken und das Laub von
den Bäumen fällt, fängt dort alles an zu grünen und zu blühen, und wenn wir
in unserm Winter die längste Nacht verschlafen, schimmert dort der längste
Sommertag.
134. Ah den Mond.
Guter Mond, du gehst so stille
Durch die Abendwolken hin;
Deines Schöpfers weiser Wille
Liess auf jener Bahn dich zielin.
Leuchte freundlich jedem Müden
In das stille Kämmerlein!
Und dein Schimmer giesse Frieden
Ins bedrängte Herz hinein!
Guter Mond, du wandelst leise
An dem blauen Himmelszelt,
Wo dich Gott zu seinem Preise
Hat als Leuchte hingestellt.
145
Blicke traulich zu uns nieder
Durch die Nacht aufs Erdenrund!
Als ein treuer Menschenhüter
Thust du Gottes Liebe kund!
Guter Mond, so sanft und milde
Glänzest du im Sternenmeer,
Wallest in dem Lichtgefilde
Hehr und feierlich einher.
Menschentröster, Gottesbote,
Der auf Friedenswolken thront, —
Zu dem schönsten Morgenrote
Führst du uns, o guter Mond!
(Karl Enslin.)
Der Mond.
Der Mond ist auch eine große Kugel, die im unermeßlichen Welträume
schwebt, nicht anders, als die Erde und die Sonne; aber in seiner körperlichen
Masse ist er 50mal kleiner, als die Erde — etwa so, als wenn du 30 erbsen-
große Kugeln aus einem Traubapfcl schnittest — und nicht viel über 30,000 Meilen
von ihr entfernt. Er scheint, wie die Sonne, je in 24 Stunden um die Erde
herumzugehen. So ist es aber nicht. Die Erde dreht sich ja um ihre Achse;
daraus erfolgen in Rücksicht auf den Mond die nämlichen Erscheinungen, wie bei
der Sonne.
Der Mond muß auch sein Licht und sein Gedeihen von der Sonne em-
pfangen. Die gegen die Sonne gekehrte Hälfte der Kugel ist erhellt; die andere ist
finster. Damit nun nicht immer die nämliche Hälfte hell und die nämliche finster
bleibe, so dreht sich der Mond wie die Erde ebenfalls um sich selber oder um
seine Axe in 29 und einem halben Tage. Daraus folgt, daß in dieser langen Zeit der
Tag und die Nacht nur einmal um den Mond herum wandeln. Der Tag dauert dort an
einem Orte so lange, als ungefähr zwei von unsern Wochen, und eben so lange die Nacht.
Daß sich der Mond auch um die Erde bewegt, sieht man ebenfalls an den
Sternen. Wenn man einen langsam gehenden Postwagen aus weiter Ferne be-
obachtet, so meint man, er stehe still; wenn man aber bemerkt, wie er sich doch
nicht immer neben dem nämlichen Baum an der Straße befindet, sondern nach
ein paar Minuten neben einem andern, so erkennt man, daß er nicht still steht,
sondern geht. Wenn er aber in einem Kreise um uns herumführe, so müßte er
doch zuletzt wieder zu dem nämlichen Baume kommen, bei welchem er zuerst stand,
und daran müßte man erkennen, daß er jetzt seinen Kreislauf vollendet hat; also
auch der Mond. Er hält sich nicht jede Nacht bei demselben Sterne auf, sondern
er rückt weiter von einem zum andern. Am andern Abende um die nämliche
Zeit ist er schon um ein beträchtliches vorgerückt; ungefähr in 29 und einem halben
Tage kommt er wieder zu dem nämlichen Sterne, bei dem er zuerst stand, hat
seinen Kreislauf um die Erde vollendet und wandelt so 12—13mal im Jahre mit
jener um die Sonne. Da sich der Mond also um die Erde bewegt, so ist daraus
leicht abzunehmen, was es mit dem Mondwechsel (Neumond/ erstes Viertel, Voll-
mond, letztes Viertel) für eine Bewandtnis hat.
Wenn aber der Mond und die Erde einmal in schnurgerader Linie vor der
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 10
146
Sonne stehen, so entstehen die Finsternisse. Wenn der dunkle Neumond zu-
weilen in seinem Laufe gerade zwischen die Erde und die Sonne hineinrückt, nicht
höher und nicht tiefer, so können wir vor ihm am hellen Tage die Sonne nicht
sehen, oder doch nicht ganz, und wir erleben alsdann eine Sonnenfinsternis; die
Sonnenfinsternis kann nur im Neumonde stattfinden. Wenn aber im Vollmonde
die Erde gerade zwischen den Mond hineintritt, nicht höher und tiefer, so kann
die Sonne nicht ganz an den Vollmond scheinen, weil die Erde ihren Strahlen im
Wege steht. Alsdann entsteht eine Mondfinsternis. Die Dunkelheit, die wir am
Monde erblicken, ist nichts anderes als der Schatten von unserer eigenen Erde,
und ein solches Beispiel am Monde kann nur im Voll-Lichte stattfinden. Alle
diese Finsternisse nun, die einzig von der Bewegung des Mondes und der Erde
herrühren, wissen die Sternseher und Kalendermacher ein ganzes Jahr, und wenn's
verlangt wird, auf weiter hinaus vorher zu sagen.
Wenn der Mond in seinem vollen Lichte am Himmel erscheint, ist bekannt-
lich die Helle nicht gleichmäßig über ihn verbreitet. Die Gelehrten haben früher
gemeint, die helleren Teile seien Land, von welchen die Lichtstrahlen wieder zurück-
prallen, und die dunkleren seien Wasser, welches die Lichtstrahlen verschluckt.
Allein mit einem gehörigen Fernglase, wie es früher gar keine gab, hat man in
neuerer Zeit auf dem Monde weite Ebenen, hohe Berge und tiefe Abgründe von
wunderbarer Gestalt und Verbindung erblickt, aber kein Wasser. Hat man nicht
sogar aus dem Schatten der Berge ihre Höhe ausgerechnet und gefunden, daß die
höchsten Berge auf dem Monde höher sind, als die höchsten auf der Erde? Man
bekommt Respekt vor den Sternsehern, die aus 50,000 Meilen Berge ausmessen,
welche unser einer gar nicht sieht. Ein Dunstkreis ist um den Mond nicht bemerkt
worden. Hat er aber kein Wasser und keinen Dunstkreis, so hat er auch keine
Pflanzen und Tiere.
Der Mond erhellt durch sein mildes Licht, welches der Wiederschein von
seinem Sonnenscheine ist, unsere Nächte und ist der eigentliche Kalendermachcr
unserer Erde. Allein auch die Erde bescheint mit ihrem Sonnenlichte die finstere
Halbkugel des Mondes und erhellt seine lange, lange Nacht. Sieht man nicht in
den ersten Tagen des Neulichts, wenn der Mond noch wie eine krumme Sichel am
Himmel steht, den dunkeln Teil seiner Scheibe oder seine Nacht durch einen
schwachen grünlichen Schimmer erhellt? Das ist eine Wirkung des Sonnenscheines,
der von der erleuchteten Halbkugel unserer Erde auf den Mond fällt, oder i|t der
Erdschein im Monde.
135. Bei der Nacht.
Ich sehe so fröhlich und gerne
In euch auf, ihr freundlichen Sterne,
Ihr lieblichen Kinder der Uacht.
Ihr schimmert so freundlich hernieder
Und wandelt in Eintracht, wie Brüder,
Und lobt eures Schöpfers unendliche Macht. .
Die Planeten und die Kometen.
Es giebt zweierlei Arten der Sterne. Denn so sehr sie alle, groß und klein,
in Unordnung unter einander zu stehen scheinen, so behalten doch die meisten der-
147
selben jahraus, jahrein ihre nämliche Stellung gegen einander, gehen jahraus und
jahrein in der nämlichen Ordnung mit und nach einander aus und unter; keiner
kommt dem andern näher; keiner entfernt sich von dem andern. Diese Sterne
heißen Fixsterne (feste Sterne). — Nur mit wenigen andern, welche man Pla-
neten oder Wandelsterne nennt, hat es eine andere Bewandtnis.
Die Planeten sind unserer Erde näher als die Fixsterne. Auch bewegen sie
sich in großen Kreisen und in ungleich langen Zeiten um die Sonne. Aus diesem
Grunde verändert sich auch unaufhörlich ihre Stellung am Himmel. Sie sind
ferner von Natur dunkle Weltkörper und empfangen ihr Licht, wie unsere Erde,
von der Sonne. Was wir in der Nacht an ihnen glänzen sehen, ist Sonnen-
schein, der wie aus einem Spiegel zu uns zurückstrahlt. Jeder Planet ist eine
große Kugel, die sich ohne Ruhe herumdreht. Nur diejenige Hälfte, die alsdann
gegen die Sonne steht, hat Licht; die andere ist finster. Sie haben daher auch
Tag und Nacht. Endlich stehen die Planeten nicht immer in gleicher Entfernung
und Richtung gegen die Sonne. Daher haben sie auch, wie unsere Erde, ver-
schiedene Jahreszeiten. Unsere Erde selbst gehört zu den Planeten, weil sie alle
Eigenschaften derselben hat.
Von den Planeten sind einige schon lange bekannt, als z. B. Merkur, welcher
der Sonne von allen am nächsten steht, Venus (der schöne Morgen- und Abendstern),
Mars mit dem rötlichen Licht, Jupiter, Saturn und Uranus. Zwischen Venus
und Mars steht unsre Erde. — Lange Zeit hindurch hat man für den nächsten
Planeten nach dem Mars den Jupiter gehalten, und war zwischen Mars und
Jupiter lange kein anderer zu entdecken. Die Sternseher behaupteten aber, da-
zwischen fehle einer, er sei vielleicht nur so klein, daß man ihn nicht sehen könne.
Dies brachten sie so heraus. Wenn man sich von der Sonne bis zum Planeten
Saturn, der für den letzten gehalten wurde, in gerader Linie gleich weit von ein-
ander 100 Pünktlein vorstellt, so steht von der Sonne weg auf dem vierten Punkt
der Merkur. Wenn man aber 3 weiter zählt, dort steht die Venus. Zählt man
weiter: 2 mal 3 ist 6, da steht unsere Erde, und weiter: 2 mal 6 ist 12, dort
steht der Mars. Zählt man weiter: 2 mal 12 ist 24, dort sah man nichts; und
doch, wenn inan weiter fortfährt und sagt: 2 mal 24 ist 48, so steht daselbst der
Jupiter, und 2 mal 48 ist 96, dort ist der Saturn, also richtig auf dem hundert-
sten Pünktlein von der Sonne weg. Weil nun alle diese Planeten in einem so
sichtbaren Verhältnisse und in einer so schönen Ordnung von einander abstehen,
und doch auf dem Pünktlein 24 nichts zu sehen war, so sagten die Sternkundigen,
dort müsse auch noch einer stehen. Und wirklich, nachdem ein berühmter deutscher
Astronom*) eine neue Art von Fernröhren erfunden hatte, da hat man auf Punkt
24 am 1. Januar 1801 einen kleinen Planeten richtig entdeckt.
Doch wo man einen Planeten gesucht hatte, bewegten sich schon i. I. 1807
ihrer vier, 38 Jahre später fand man einen fünften aus, zwei Jahre später drei,
und so ging es fort, bis am 1. Oktober 1866 der 90. Planet in dem Himmels-
raume zwischen Mars und Jupiter entdeckt morden ist**). Sie sind alle nach der
*) Herschel, geb. 1738 in Hannover, gest. 1822 in England.
**) Man nennt die Gruppe der kleinen Planeten Asteroiden; bis Ostern 1884 sind schon
222 kleine Planeten bekannt, so daß, die 8 Hauptplaneten (Merkur, VenuS, Erde, Mars, Jupiter,
Saturn, Uranus und Neptun) eingerechnet, nunmehr im ganzen 230 Planeten entdeckt sind.
10*
148
Reihe nur klein, viele bei weitem nicht so groß wie der Mond. Es mögen ja
noch Scharen von Planetchen, die man bis jetzt durch die besten Fernrohre nicht
zu sehen vermag, in jenem Himmelsraume die Erde umkreisen. Ob hier einmal,
wie manche Leute meinen, ein großer Planet gewesen und von der Gewalt seines
innern Feuers zersprungen ist, gleich wie ein geschossener Stein in viele größere
und kleinere Stücke zerspringt — wer weiß es! Will man nicht sogar wahrge-
nommen haben, daß einige der kleinen Planeten eckig und kantig sind?
Die Monde heißen auch Nebenplaneten oder Trabanten. Giebt es denn
außer unserm Trabanten noch andere? Gewiß. Der Mars hat 2 kleine, der
Jupiter 4, der Saturn 8 und der Uranus ebenfalls 8 Monde. Um den Saturn
schweben außerdem zwei große und ein kleinerer Ring und zwar innerhalb seiner
Monde. Der Mars, erkennbar an der rötlichen Farbe, die Venus als Abend-
stern, der Saturn und der Jupiter sind bisweilen bei klarem Sternenhimmel
mit bloßen Augen zugleich sichtbar; die übrigen Planeten sieht man nur mit Hülfe
guter Fernröhre. Der Merkur ist von allen Planeten der Sonne am nächsten;
sein Jahr dauert nur 88 von unsern Tagen. Die Venus vollendet ihren Umlauf
um die Sonne in 224 Tagen, Mars in einem Jahr und 321 Tagen, Jupiter in
12 Iah en, Saturn in 29 und Uranus in 84 Jahren.
Neptun, der letzte der Planeten, ist i. I. 3846 von einem Franzosen*),
und einem Deutschen**) entdeckt worden. Der Franzose hatte nämlich bei der
Bewegung des Uranus Störungen bemerkt, die nach seiner Meinung nur von der
Anziehung eines noch hinter dem Uranus im Weltall kreisenden Planeten her-
rühren könnten, und durch genaue Berechnungen dieser Störungen auf der Bahn
jenes Wandelsterns brachte er heraus, daß der unbekannte Planet um Michaelis
1846 an einer bestimmten Stelle des Himmels gesehen werden müsse, wenn man
nur eine gute Sternkarte und ein gutes Fernrohr habe. Er wußte, daß der
deutsche Sternseher beides besaß, schrieb ihm von seiner Wahrnehmung und siehe
da — der Deutsche fand am 23. Sevtember desselben Jahres richtig weit, sehr
weit hinter dem Uranus den bis dahin von keinem Menschen gesehenen Planeten.
Seine Umlausszeit beträgt über 164 Jahre. Eine von der Sonne abgeschossene
Kanonenkugel würde erst in 880 Jahren den Neptun erreichen. Man hat einen
Mond um ihn wahrgenommen. — Neptun ist 620, Merkur 8 Millionen Meilen
von der Sonne entfernt.
Keiner weiß, ob nicht noch andere Planeten hinter dem Neptun sind; so
viel ist aber wohl gewiß, daß der ungeheure Raum zwischen Neptun und dem
nächsten Fixsterne nicht leer sein kann.
Die Kometen haben viel Ähnliches mit den Planeten und drehen sich
ebenso, wie sie, um die Sonne herum. Aber sie sind auch wieder sehr von ihnen
verschieden. Sie werden nur selten sichtbar; sie haben auch keine so feste und
kernhafte Masse, als die Erde und die andern Planeten; denn man kann die
Sterne nicht bloß durch den Schweis, mit welchem die Kometen geziert sind, wahr-
nehmen, sondern auch durch den Kern oder Kopf selbst. Letzterer ist von einer
ringförmigen leuchtenden Hülle umgeben. Weil die Kometen Sterne mit einem
*) Leverrier, geb. 1811, seit 1854 Direktor der Sternwarte zu Paris.
**) Joh. Gottfr. Galle, geb. 1812, seit 1851 Direktor der Sternwarte und Prosessor zu
Breslau, hat außer dem Neptun drei Kometen entdeckt.
149
flammenden Strahlenschweife sind, nennt man sic auch Schweif- oder Haarsterne.
Der Schweis nimmt mitunter den dritten, ja den vierten Teil des Himmels ein.
Die Kometen bewegen sich in langgestreckten Bahnen (Ellipsen) um die Sonne und
erhalten von dieser Licht und Wärme. Sie durchkreuzen in allen möglichen Rich-
tungen die Bahnen der Planeten; während letztere sich alle in einer und derselben
Ebene bewegen, wie etwa auf einer Tischplatte. Mit bloßen Augen hat man an
500, mit Fernrohren über 1000 beobachtet; einige kommen der Sonne sehr nahe
(bis auf 120,000 Meilen) und haben 3, 5, 6 re. Jahre Umlaufszeit; andere
kreisen weit über Neptun hinaus und gebrauchen hunderte, ja tausende von Jahren,
um ein einziges Mal ihre Bahn zu durchlaufen. Jedes Jahr ziehen 3 bis 4 am
Himmel vorüber. Am 29. Dezbr. 1845 teilte sich sogar ein Komet in zwei Teile,
von denen jeder wieder ein Komet war, mit Kern, Hülle und Schweif versehen.
Der Schweif ist immer von der Sonne abgewandt, so daß er hinterher zieht,
wenn der Komet auf dem Wege zur Sonne ist und vorangeht, wenn er sich von
letzterer wieder entfernt. Aus welchem Stoffe aber der Schweif, die Hülle oder
der Kern besteht, ob aus Licht oder Gas oder feinein Lichtstoff, weiß niemand
zu sagen.
Ist nun auch der Komet ein rätselhafter Himmelskörper und jedesmal eine
merkwürdige Erscheinung, so bedeutet er doch niemals ein Unglück, wie thörichte
Leute meinen. Nein, der Komet weiß nichts von uns, und er kommt, wenn seine
Stunde da ist. Innerhalb Jahresfrist geschieht ja immer etwas, woran niemand
eine Freude haben kann, es entsteht Krieg oder ein Erdbeben, oder es stirbt ein
mächtiger Monarch u. dgl. Wer will denn so thöricht sein und sagen: Das hat
der und der Komet bereits prophezeit? — Indes hat schon mancher ganz ernsthaft
gefragt, was wohl aus uns werden würde, wenn einmal ein Komet selbst auf die
Erde zurennte. Nun, so viel steht fest, daß kein Mensch irgend welche Belästigung
gefühlt hat, als i. I. 1819 unsere Erde volle 24 Stunden in dem Zipfel eines
Kometenschweifes gewesen ist, und überdies wissen wir, daß Gottes waltende
Hand alle die Millionen Weltkörper trägt und jedem vorschreibt: Bis hierher und
nicht weiter!
136. Die Sterne.
(* Von Eugen Labes.)
Ihr schönen goldnen Sterne
In unermeisner Ferne,
Was kündet eure Pracht
Uns in der stillen Nacht? —
Dass über Sternenzelten,
Beschirmend alle Welten,
Des Vaters Liebe wacht,
Der euch und uns gemacht.
Tic Fixsterne.
Um die Fixsterne an den Fingern zu zählen, dazu giebt's nicht Finger
genug auf der ganzen Erde, von dem ältesten Manne bis zu dem Büblein, das in
die schule geht. ■ Denn wenn man in einer schönen Nacht im Freien steht, oder
150
durchs Fenster hinaus schaut, welch eine unzählbare Menge himmlischer Lichter
groß und klein, strahlen uns fröhlich und freundlich entgegen! Das Auge kann
sich nicht satt sehen an dem himmlischen Schauspiele und weiß nicht, welchen Stern
es zuerst und am längsten betrachten soll. Wir können aber nie alle sichtbaren
Sterne des Himmels auf einmal sehen, nicht einmal die Hälfte; sie setzen eben
Tag und Nacht ihren stillen Lauf am Himmel fort, nur daß wir sie wegen der
Tageshelle nicht sehen können. Denn wer bei Nacht unter freiem Himmel ist und
giebt nur ein wenig acht, der wird finden, daß abends, wenn es dunkel wird,
ganz andere Sterne am Himmel sind als früh, ehe es aufhört, dunkel zu sein.
Wenn man nun auch sagt, die Sterne gehen auf und unter, so behalten sie doch
ihre Stellung zu einander unverändert bei. Deshalb eben hat man sie Fix-
sterne oder feste Sterne genannt. Wenn wir Sommer und Winter nicht immer
dieselben Sterne sehen (z. B. das Siebengestirn), so kommt das natürlich von
der Drehung und Fortbewegung unserer Erde auf ihrer Himmelsbahn; dagegen
sehen wir den großen Bären, auch Wagen genannt, und den Polarstern
Sommer und Winter. Besonders nach letzterem, dem Polarstern, richten sich die
Schiffer, wenn sie die Weltmeere befahren. Hat man nun auch im Laufe mehrerer
Menschenleben nicht die geringste Veränderung an den Fixsternen wahrgenommen,
so findet man doch nach den Sternkarten, welche vor 2000 Jahren in Ägypten
gezeichnet sind, daß damals der Himmel ein etwas anderes Aussehen hatte, als
jetzt. Deswegen meinen die Astronomen, daß unsere Sonne und alle sichtbaren
Sterne zusammengehören und eine Welt bilden, die sich um eine große Central-
sonne bewegt.
Damit die Sternseher unter der Anzahl der Sterne sich besser zurecht
finden können, haben sie letztere nach der Stärke des Lichts in mehrere Klaffen ge-
teilt. Zu den Sternen erster Größe zählt man 20; unter ihnen sind der Sirius
der hellste Fixstern und die beiden Sterne im Orion die bekanntesten. Sterne
zweiter Größe sind der Polarstern und die Hauptsterne am Wagen rc. Sterne
sechster Größe sind nur durch Fernröhre wahrzunehmen. Mit bloßen Augen kann
man etwa 6000 deutlich unterscheiden. Weiter haben die Astronomen, um sich am
Himmel zurecht zu finden, gewissen merkwürdigen Sternen einen Namen gegeben,
oder sie haben denen, welche zusammen ein Bild vorstellen, den Namen eines
Bildes gegeben, z. B. das Kreuz, die Krone, oder sie haben um 20 bis 100
Sterne herum in Gedanken einen Strich gezogen, der bald aussieht wie ein Bär
oder Krebs, und nennen das Sternbilder. Es giebt aber noch viel mehr Sterne,
die wir nicht sehen. Wo zwischen zweien oder dreien dem bloßen Auge alles öde
und leer zu sein scheint, da funkeln uns, wenn wir durch ein ordentliches Fern-
rohr schauen, noch mehr als 20 neue himmlische Sternlein entgegen. Kennen wir
nicht alle die Milchstraße, die wie ein breiter Gürtel den Himmel umwindet? Sie
gleicht einem ewigen Nebelstreis, den eine schwache Helle durchschimmert. Aber
durch die Gläser der Sternseher betrachtet, löset sich dieser ganze Lichtnebel in un-
zählige kleine Sterne auf. Ja es ist glaublich, daß, wenn ein Sternseher auf den
letzten obersten Stern sich hinaufschwingen könnte, der von hier aus noch zu sehen
ist, er noch nicht am Ende sein würde, sondern ein neuer Wunderhimmel von
Sternen und Milchstraßen würde sich vor seinen Augen austhun, bis ins Unend-
liche hinaus.
Die Fixsterne sind soweit von uns entfernt, daß man ihre ungeheure Ent-
151
fernung gar nicht auszurechnen vermag. Der nächste Fixstern für uns ist der
Sirius oder Hundsstern; man schließt es aus seiner Größe und aus seinem
wunderschönen Glanze. Dessenungeachtet muß er doch zum allerwenigsten 27,664mal
weiter von uns entfernt sein als die Sonne, und eine Kanonenkugel, im Sirius
abgeschossen, müßte mehr als 600,000 Jahre fliegen, ehe sie die Erde erreichte;
oder ein Bahnzug, der täglich 200 Meilen zurücklegt, würde 60 Millionen Jahre
gebrauchen, um von uns nach dem Sirius zu gelangen. Und dieser Stern ist noch
der nächste! Der Sirius muß also in seiner Heimat viel, viel größer als unsere
Sonne und folglich selber eine strahlende Sonne sein. Haben wir aber Ursache zu
glauben, der Sirius sei eine Sonne, so haben wir auch Ursache zu glauben, jeder
andere Fixstern sei auch eine Sonne. Denn wenn sie auch noch so viel kleiner er-
scheinen, so sind sie nur noch so viel weiter von uns entfernt und alle strahlen
in ihrem eigentümlichen himmlischen Lichte.
Die Entfernung unserer Sonne von dem Sirius dient uns nun zu einern
mutmaßlichen Maßstabe, wie weit eine himmlische Sonne oder ein Stern von dem
andern entfernt sei. Denn wenn zwischen unserer Sonne und der Sirius-Sonne
ein Zwischenraum ist, den eine Kanonenkugel in 600,000 Jahren nicht durchfliegen
könnte, so kann man wohl glauben, daß jede der andern Sonnen auch eben so
weit von der nächsten entfernt sei bis zur obersten Milchstraße hinaus, wo sie so klein
und so nahe bei einander zu stehen scheinen, daß einige hundert von ihnen zu-
sammen kaum aussehen wie ein Nebelfleck, den man mit einem Markstücke bedecken
könnte. Wo in einer solchen Entfernung von uns, in einer solchen Entfernung
von einander so unzählige prachtvolle Sonnen strahlen, da werden auch Planeten
und Erdkörper zu einer jeden derselben gehören, welche von ihr Licht und Wärme
und Freude empfangen, wie unsere Planeten von unserer Sonne, und es
werden darauf lebendige und vernünftige Geschöpfe wohnen wie auf unserer Erde,
die sich des himmlischen Lichts erfreuen und ihren Schöpfer anbeten.
Abends und nachts sehen wir am heitern Himmel häufig Lichtsunken ent-
stehen, die sich sehr schnell fortbewegen und nach einer oder einigen Sekunden
wieder verschwinden; man nennt sie Sternschnuppen. Was hat es damit auf
sich? Thörichte Leute meinen, sie seien Sterne, die vom Himmel auf die Erde
niederschössen; manche Menschen fürchten sich sogar davor und zwar ganz ohne
Grund. Die Sternschnuppen erscheinen als Lichtfunken von verschiedener Größe;
viele übertreffen an Glanz die hellsten Sterne; einige gestalten sich als Feuer-
kugeln und werden selbst bei Tage gesehen. Man erblickt sie an den verschiedenen
Stellen des Nachthimmels, manchmal in zahllosen Schwärmen gleich einem Feuer-
regen, in der Regel fallend, doch öfter auch aufsteigend. Sie erscheinen dem Reisen-
den sowohl unter den eisigen Luftschichten der Pole, als unter dem Gluthimmel
des Äquators. Merkwürdig ist ihre regelmäßige Wiederkehr. Sie zeigen sich be-
sonders häufig zwischen dem 10. und 12. August und dem 11. und 13. November.
Die Gelehrten nehmen an, daß sie gleich den eigentlichen Planeten dem Weltall an-
gehörende Himmelskörper sind, nur sehr viel kleiner als jene, und daß sie sich
gleichsam als eine Sandwolke kleinster Planeten in regelmäßigen Bahnen um die
Sonne bewegen.
Was für ein mächtiges Walten Gottes in dem unendlichen
Weltall! (Nach Hebel, Mädler, Littrow u. a.)
152
Rätsel.
Es stellt ein gross geräumig Haus auf unsichtbaren Säulen,
es misst’s und geht’s kein Wandrer aus, und keiner darf drin
weilen. Nach einem unbegriffnen Plan ist es mit Kunst ge-
zimmert; es steckt sich selbst die Lampe an, die es mit Pracht
durchschimmert. Es hat ein Dach, krystallenrein, von einem
einz’gen Edelstein! Doch noch kein Auge schaute den Meister,
der es baute. (Schiller.)
137. Die dunkelblaue Wiese.
Vater. Ich kenne eine große dunkelblaue Wiese —
Emil. Vater, das ist dein Spaß; solche giebt's ja gar nicht;
die Wiesen sehen grün ans, aber nicht blau.
Vater. Meine Wiese sieht aber doch blau ans und ist größer,
als alle Wiesen ans der Welt.
Laura. Hab’ ich sie gesehen, Vater?
Vater. Du und ihr alle habt sie gesehen und bekommt sie
alle Tage zu sehen. Aus meiner Wiese gehen jahraus, jahrein einen
Tag wie den andern eine unzählbare Menge großer und kleiner
Schafe ans die Weide, obwol nichts dort wächst.
Anton. Aber, Vater, was machen sie denn dort, wenn sie
nichts zu fressen finden? Die Schafe können doch nicht hungern?
Vater. Meine Schafe und Lämmer hungern nicht und fressen
auch nicht.
Emil. Das sind gewiß keine lebendigen Schafe; denn sie müssen
doch fressen, sonst verhungern sie.
Vater. Lebendig sind meine Schafe, sie leben schon über
tausend Jahre, und immer sind sie noch so wie ehemals, obwohl sie
weder hungern noch dursten.
Lida. Über tausend Jahre sind deine Schafe alt, Vater? Das
kommt mir sonderbar vor; die Schafe, hat unser Lehrer gesagt, wer-
den nur höchstens vierzehn Jahre alt.
Vater. Aber es ist doch so, wie ich gesagt habe, liebes Kind,
und schön sind meine Schafe, so schön und glänzend, daß die Schafe
in — in — wie heißt doch das Land, wo die besten Schafe sind?
Emil. In Spanien, in Spanien! Sieh, Vater, ich hab’s
behalten.
Vater. Daß die Schafe in Spanien gar nicht mit ihnen
können verglichen werden; denn die ganze Herde hat goldene Pelze.
Die Kinder sahen einander verwundert an, brachen aber plötzlich
in ein lautes Gelächter aus und riefen: Nein, solche giebt’s nicht,
mit goldenen Fellen — wie könnten die schwachen Tiere so eine Last
tragen! Vater, du willst nur scherzen.
Vater. Es ist mein Ernst, Kinder; die Felle schimmern wirk-
lich so hell und leuchtend wie Gold, und ihr habt euch schon oft
darüber gefreut.
153
Emil. Vater, sie sind den ganzen Tag auf der Weide? Hört
man sie nicht schreien?
Vater. Sie sind zwar den ganzen Tag darauf, aber man
sieht sie nicht. Auch habe ich sie noch nicht schreien hören.
Lida. Wenn nun der böse Wolf kommt, da schreien sie doch
und laufen davon.,
Vater. Auf diese Weide kann niemals ein Wolf kommen, und
dann haben sie auch einen Hirten, der über sie wacht.
Anton. Einen Hirten? Einen Hirten? Kann denn der auf
so viele Schafe acht geben? Wie sieht er denn aus?
Vater. Der trägt ein schönes, helles, weißes Kleid, das wie
Silber glänzt und niemals schwarz wird. Und ob er wohl weit
länger als tausend Jahre die Herde bewacht hat, so ist er doch noch
nie eingeschlafen und hat sein Kleid noch nie ausgezogen. Er bleibt
stets hell und munter und sein Kleid immer rein.
Emil. Nein, daraus kann ich nicht klug werden; das muß
ein närrischer Mann sein, der muß weder stehen, noch gehen können
und blind sein, wie der alte Tobias da drüben, der doch erst achtzig
Jahre alt ist.
Vater. Er steht nicht still, sondern geht immer unter seinen
Schafen umher; auch ist er nicht blind, sondern sieht sehr hell.
Laura. Vater, er schläft gewiß, und du sagst nur so, damit
wir nicht so lange schlafen sollen. Er kann auch schlafen; denn seine
Hunde werden schon die Herde bewachen.
Vater. Seine Hunde? — Hunde hat er gar nicht und braucht
auch keine.
Laura. Aber eine Schalmei hat er doch und bläst darauf?
Vater. Eine Schalmei zwar nicht, aber ein schönes silbernes
Horn; blasen kann er aber nicht, und das Horn giebt auch keinen
Ton von sich.
Anton. Nun, das kommt immer wunderbarer. Ein Hirt mit
seinen Schafen, die über tausend Jahre alt sind; der ein Horn hat
und nicht blasen kann; der nie schläft und doch munter ist; — das
begreif' ich nicht.
Emil. Vater, in welchem Lande liegt denn die Wiese, wo die
Wunderschafe gehen?
Vater. Die Wiese liegt in gar keinem Lande, sondern geht
über alle Länder weg.
Lida. In der Luft also, Vater, in der Luft?
Vater. Ja, da liegt sie.
Lida. Aber wie kommen denn die Schafe dahin? Sie können
doch nicht fliegen?
Vater. O ja, meine Schafe können in der Luft umherspazieren
und stiegen und fallen nicht herunter.
Anton. Nun, die möcht' ich fliegen sehen.
^^er. Du kannst sie alle Tage gehen sehen. Wenn es
Abend wird, kommen sie zum Vorschein und weiden die ganze Nacht.
154
Emil. Ach' nun weiß ich, wer die goldenen Schafe sind: aber
der Hirt?
Vater. Der ist auch bei den Schafen, und wenn ihr ihn
sehen wollt, so seht einmal zum Fenster hinaus; denn dort kommt
er herauf.
Alle Kinder. Der Mond! Der Mond! O, nun wissen wir's,
und die Sterne sind die Schafe und die blaue Wiese ist der Himmel.
(Besseldt.)
138. Der Sterne Antwort.
(* Von Lina Grast.)
Es hatt' in fremden Landen
Gewandert weit und breit
Der Handwerksbursch und kehret
Nun heim zur Weihnachtszeit.
Des Mondes milde Strahlen
Beleuchten seinen Pfad,
Die er so lang, so lange
Nicht mehr gewandelt hat.
Er sieht des Dorfes Kirche
Beim Stern- und Mondenschein,
„Ja, es sind mehr geworden
Der Hügel lange Reih'n."
Und an die Kirchhofsmauer
Lehnt er sich still und trüb;
„Wer weiß, ob dort nicht schlum-
mert
So mancher, der ihm lieb."
Wohl hatt' er oft geschrieben
Aus fernem fremden Land —
Ohn' Antwort war geblieben.
Was er auch abgesandt.
Die Mutter war gestorben.
Der Vater schwach und blind.
Und er hinausgezogen,
Weh, er als einz'ges Kind!
Kaum wagt er nach der Hütte,
Der trauten, hinzuschau'n —
Welch' Schmerz, wär dort es
dunkel.
Und fand er Nacht und Grau'n.
Da blickt er aus zum Himmel,
Von Sternen übersät.
Den Mond mit mildem Lichte,
Die ganze Majestät.
Er schaut die Sternenheere,
Schön, wie er's nie gesehn,
Er preiset Gottes Ehre
Und möcht in ihm vergehn.
Und ruft: Herr, der du
droben
Unendliches gebaut.
Ist auch für mich dort Wohnung,
Daß dich mein Aug' einst schaut?
Da schießt ein Stern vom
Himmel
Mit blendend hellem Schein.
„Herr Gott, sollt' das die Antwort
Auf meine Frage sein?!"
Dann lenkt er seine Schritte
Getrost zum Vaterhaus; —
Ein Licht scheint aus der Hütte
Gleich einem Stern heraus.
Im ganzen Dorfe brennen
Lichtbäumchen weit und breit.
Denn jeder will bekennen.
Daß heil'ge Christnacht heut.
Und als er auf der Schwelle
Des Vaterhauses steht.
Vor Wehmut und von Wonne
Das Herz fast stille steht.
Es bannt ihn an die Stelle:
Er sieht den blinden Greis
Die Hände fromm gefallen.
Die Locken silberweiß.
Und das erlosch'ne Auge
Zu Gott emporgewandt, —
Da stürzt er ihm zu Füßen
Und küßt die welke Hand.
155
„Kannst du dem Sohn
vergeben.
Erfüllt von tiefer Reu'?
Er weiht' dir ganz sein Leben
O, lieb' ihn auch aufs neu.
Mein Baker, ja ich
kehre
Als braver Sohn jetzt ein;
Ich bring dir Gut und Ehre,
Laß nun vergessen sein!"
Am Himmel tausend Kerzen,
Im Hüttlein Lichterschein,
Und Licht wird's in zwei Herzen
„Nun, heil'ger Christ, kehr' ein!"
XII. 1.
a. Gott segnet jederzeit. Unverhofft kommt oft. Ehrlich währt am längsten.
Das Geistige bleibt ewig. Schweigen gereut selten. Übermut thut niemals
gut. Strenge Herren regieren nicht lange. Verlorne Ehr' kehrt nimmermehr.
Die Liebe hört nimmer auf. Hochmut kommt vor dem Fall. Ein Unglück
kommt selten allein. Der Fleißige hat immer etwas zu thun. Verstand
kommt mit den Jahren.
1). Gottes Auge wacht überall. Alle gute Gabe kommt von oben. Morgen-
stunde hat Gold im Munde. Kein Meister fällt vom Himmel. Der Geiz-
hals hat seinen Gott im Kasten. Der Sterbende blickt nach oben. Der
Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ein jeder strecke sich nach seiner Decke.
Treue Hand geht durchs ganze Land. Jeder kehre erst vor seiner Thür.
Geduldige Schafe gehen viele in einen Stall. Auf einen groben Klotz gehört
ein grober Keil.
139. Die Sprache des gestirnten Himmels.
Die ganze Natur ist ein großes, lehrreiches Buch, in
welchem jung und alt ajederzeit lesen, aus welchem jeder-
mann sich unterweisen lassen kann. tmr blicken,
aimmer werden wir «zum Nachdenken aufgefordert. Alles
in der Natur predigt von dem großen und gütigen Gott;
vor allem aber redet ^allezeit der gestirnte Himmel eine
gewaltige, tiefe Sprache! Hast du schon a einmal, allein
und in dich gekehrt, aan einem geräuschlosen Abend oder
ain einer stillen Nacht den klaren, blauen Sternenhimmel
a längere Zeit betrachtet? Nur ein verhärtetes Gemüt wird
ä gleichgültig unter dem gestirnten Himmel ^ dahin wandern;
ein empfängliches Herz fühlt sich ^mächtig gehoben ^ durch
den Anblick dieses himmlischen Zeltes, fühlt sich ^vor An-
dacht getragen von höheren Gedanken beim Sichhinein-
verfcnken in jenes Strahlenmeer, ^ majestätisch funkelnd,
voller Wunder ohne Ende . . . Tausend und abermals
tausend, ja unzählbare Sonnen, nach ewiger Ordnung ihre
vorgeschriebenen Bahnen gehend, senden <mus Liebe und
156
Güte himmlische Grüße zu uns b (jermeber von dem er-
habenen und herrlichen Gott und sprechen: bHier sink baufs
Knie und bete an!
Wenn aber der gestirnte Himmel von der Majestät
Gottes predigt und « zur Anbetung des erhabenen Schöpfers
auffordert, und wenn a dann dem gegenüber der in sich ge-
kehrte Mensch bauf die kleine Erde, dies Pünktchen b in
der ganzen Schöpfung, und vor allem b aus sich selber blickt,
so muß er à beschämt bekennen: Wie nichtig sind mir
schwachen Menschenkinder gegen die unendliche Größe und
unbegreifliche Macht Gottes! d Voll Demut wird er sagen:
Wie groß bist du, o Gott, wie klein bin ich! Wie sollte
ich, der ich doch Erde und Asche bin, mich wohl erheben
und d stolzen Hauptes einhergehen? — Sei demütig! So
spricht der gestirnte Himmel.
Er spricht noch eins! Himmel und Erde werden
a einmal vergehen, aber Gottes Wahrheit bleibt aewig.
Auch du, Menschenkind, hast nur ein kurzes Dasein, dein
Leben ist kaum ein Hauch gegen die Ewigkeit. Du be-
obachtest den Sternenhimmel, («)um ferne Weltkörper auf-
zusuchen, Ccm der Hand bestimmter Gesetze berechnest du
sogar ihre Bahnen und erforschest ihre Natur; es ist dir
bei der Betrachtung des gestirnten Himmels, als ob du dich
hinaufschwingen möchtest, (c)um mehr und immer mehr zu
erforschen, zu wissen, allein du vermagst es nicht, dein
Drang wird nicht gestillt. Aber du behälft ein Sehnen
in dir bnnch jenen unerreichbaren blauen Fernen; du fühlst,
bhier ist keine bleibende Stätte, a einst wird unser Geist
«zum Schauen kommen und selbst die Tiefen der Gottheit
erforschen — unser Wandel ist im Himmel! Aber auch
eine mahnende Stimme bin dir spricht: Staubgeborner
Mensch, du mußt dich a schon bhienieden «aus innerem An-
trieb deiner himmlischen Bestimmung dwürdig zeigen!
Dein irdisches Leben muß in seinem Wünschen und Streben,
Thun und Denken mit dem reinen Glanz der Sonnen in
Einklang stehen.
Bete an, sei demütig, sehne dich bnach oben, denke
und wandle b hienieden ddes Jenseits würdig! Das ist die .
Sprache des gestirnten Himmels. (I. S.)
157
XII. 2. (S. Nr. 139 c. u. d.)
c. Mancher schweigt aus gutem Grunde. — Den Vogel erkennt man an den
Federn. An vielem Lachen erkennt man den Narren. Die Schwarmlust
eines Bienenvolkes merkt man an dem ganzen Verhalten der Bienen. — Das
Stachelschwein gebraucht seine Stacheln zur Verteidigung. Die Gewitter dienen
zur Abkühlung der Luft. — Aus einem Lügner wird leicht ein Dieb. Durch
Schaden wird nmn klug. — Der Prahler schweigt oft aus Feigheit. Der
Bösewicht zittert vor Angst.
d. Neue Besen kehren gut. Stille Wasser gründen tief. Not macht erfinderisch.
Eile mit Weile. Das schlechteste Rad am Wagen knarrt am meisten. Welche
Tiere schwimmen rückwärts? Wogt nicht das Kornfeld wie ein Meer? Wie
ein Spiegel liegt der See da!
140. Etwas aus der Naturlehre.
(* Von Lehrer Kiecksee in Parchim.)
Ihr kennt, liebe Kinder, verschiedene Kräfte der Menschen und Tiere: ihr
wißt, daß z. V. das Pferd viel mehr Kraft hat als der Mensch; ihr habt auch
gehört, daß der Löwe, der Elefant, der Wallsisch eine ungeheure Kraft besitzen.
In der Natur giebt es noch ganz andere, viel größere, gewaltigere Kräfte. Darüber
und wie die Menschen sich diese Kräfte zu Nutzen machen können, unterrichtet uns
die Naturlehre.
Legst du deinen Griffel auf den Tisch, so bleibt er so lange in Ruhe, bis
ihn etwas anderes aus seiner Lage bringt. Stößest du ihn an, so fällt er auf
den Fußboden. Welche Kraft bringt ihn !dahin? Ein in die Höhe geworfener
Stein fällt wieder auf die Erde herab. Selbst die leichte Feder eines Vogels ge-
langt, nachdem sie eine zeitlang in dem Luftraum umherschwamm, aus den Boden.
Die Erde ist es, welche die Kraft besitzt, jene Körper anzuziehen und festzuhalten,
und zwar so lange, bis eine andere größere Kraft sie wieder von ihr entfernt.
Diese Kraft nennt man die Anziehungskraft der Erde oder die Schwerkraft.
Alle Körper werden durch diese Kraft festgehalten, so daß selbst bei der Umdrehung
der Erde keines der Dinge verloren geht. Und wenn ein Mensch im Luftballon
sich noch so weit von der Erde entfernte, jene Kraft bringt ihn über kurz oder
lang immer wieder zurück. Alle großen Weltkörper besitzen diese Kraft, und je größer
dieselben sind, desto größer ist auch ihre Anziehungskraft, so daß z. B. die Sonne die
kleinere Erde und diese wieder den noch kleineren Mond anzieht. Eine andere
Kraft — man nennt sie Flieh- oder Schwungkraft — muß dabei freilich
eine Gegenwirkung leisten, sonst würden die leichteren Körper auf ihre Anziehungs-
körper herabsinken.
Bindest du an einen Faden eine Bleikugel oder einen Stein, so wirst du
bald gewahr, wie jene oder dieser das vorher schlaffe Band straff und gerade her-
unterzieht. Diese gerade Richtung von oben nach unten nennt man die senk-
rechte und das Band mit dem Gewicht ein Lot oder Senkblei. Ihr habt
gewiß schon alle ein solches Lot in der Hand eines arbeitenden Maurers gesehen,
wenn ein Haus gebaut wurde. Die Maurer gebrauchen das Lot nämlich, um zu
sehen, ob sie die Mauern und Wände auch senkrecht aufführen. Schiefe Wände
fallen ja bald wieder um. Befestigt man ein solches Lot an der Spitze eines
158
gleichschenkligen Dreiecks von Holz, so hat man eine Setzwage, welche ebenfalls
von Maurern, Tischlern, Zimmerleuten re. gebraucht wird und zwar um die
wagerechte oder wasserrechte Richtung zu erforschen. Wenn die Menschen sich
nicht die Schwerkraft zu Nutzen gemacht hätten, so würde es weder Lot und Setz-
wage noch Pendeluhren und viele andere nützliche Dinge im Leben geben.
Ihr habt wohl schon alle gesehen, daß die Arbeiter, um einen von Erde
ftei gegrabenen schweren Feldstein aus dem Erdloch herauszubringen, eine hölzerne
oder eiserne Stange unter denselben schieben, darauf einen kleineren Stein oder
Holzblock unter die Stange legen und nun ihr äußerstes Ende niederdrücken. Der
Stein hebt sich und muß schließlich, wenn die Stange immer wieder aufs neue
untergeschoben und niedergedrückt wird, dahin, wohin die Leute ihn schaffen wollen.
Dies bringen mit Hülfe der Stange 2 Mann fertig, während ohne dieses Hülfs-
mittel vielleicht 10 und mehr Menschenhände dazu erforderlich wären.
Auf diese Weise kann ein einziger Mann z. B. den schweren Bau- oder
Ackerwagen in die Höhe heben, wenn er die Räder desselben schmieren will.
Das dazu benutzte, höchst einfache Hülfsmittel nennt man einen Hebel. Jede
unbiegsame Stange, welche in einem Punkte (Dreh- oder Stützpunkt) unterstützt
und um diesen drehbar ist, heißt Hebel; die beiden Enden der Stange nennt man
Arme. Liegt der Stützpunkt nahe an dem einen Ende, so daß zwei ungleich-
lange Arme entstehen, so nennt man den Hebel einen ungleicharmigen.
Pumpcnschwengel, Ünzel, Messer, Scheren, Zangen re. sind ungleichannige Hebel.
Je länger der Kraftarm ist (d. h. das Ende, an dem die Kraft wirkt), desto leichter
ist die Last zu heben, zu schneiden u. s. w. Liegt aber der Stützpunkt in der
Mitte des Hebels, so hat man einen gleicharmigen Hebel, der bei der gewöhnlichen
Kaufmannswage und andere Wagen eine nutzbare Verwendung findet. Liegt da-
gegen der Stützpunkt an dem einen Ende, wie z. B. bei der Schiebkarrc, so hat
man einen einarmigen Hebel. Wenn die Last nahe an dem Stützpunkt liegt
(z. B. auf der Schiebkarre nahe am Rade), so ist erstere viel leichter zu schieben,
als wenn sie weiter vom Stützpunkt enfernt ist. Hast du das nicht schon aus-
findig gemacht? — Die aufzuhebenden Thürklinken, die Kinnlade und die Arme
des Menschen sind auch einarmige Hebel. Die jetzt überall bekannte Decimalwage
ist nur mit Hülfe eines ungleicharmigen Hebels herzustellen. Die Rollen wie
das Rad an der Welle sind ebenfalls Hebel.
Wenngleich uns Menschen der Hebel im gewöhnlichen Leben von großem Nutzen
ist, so kann man ihn doch nicht zum Heben aller Lasten anwenden. Soll z. B.
eine schwere Kiste oder Tonne auf einen Wagen hinausgeschafft werden, so bringt
man diese Arbeitz nicht mittelst eines Hebels, sondern vielmehr mit Hülfe einer
an den Wagen gelegten Leiter fertig, auf welcher man nun mit Leichtigkeit die
Last hinauf schiebt oder wälzt. Ohne dieses Hülfsmittel würden vielleicht 5 und
mehr Menschenkräfte sich vernotwendigen, während jetzt 2 Mann jene Arbeit zu
bewältigen vermögen. Eine solche Leiter nennt man Schrotleiter, und diese
bildet eine schiefe Ebene. Mit Hülfe einer schiefen Ebene bringen auch Bau-
leute schwere Lasten in die Höhe. Je schräger die schiefe Ebene liegt, desto leichter
ist die Last fortzubewegen. Das sieht man schon an Treppen und Bergstraßen,
sowie am Keil. Sie alle find schiefe Ebenen. Weißt du nicht, daß ein Keil mit
dünnem Rücken viel leichter ins Holz dringt, als einer mit dickerem Rücken ? Bei
dem Keil wird freilich nicht die Last, wie bei der Schrotlciter, sondern die schiefe
159
Ebene selbst fortbewegt. Hobeleisen, Äxte, Sägen, Scheren, Messer u. a. sind
schiefe Ebenen; selbst die Schraube ist eine gewundene schiefe Ebene. — Bei allen
schiefen Ebenen kommt cs aber viel auf ihre Glätte an. Leicht dringt ein glatter
Keil ins Holz, leicht schiebt sich eine Kiste auf einem gehobelten und schwer auf
einem rauhen Brett hinaus; denn sie reibt sich an den Unebenheiten des Brettes.
Schwer bringen die Pferde einen beladenen Wagen im Sandwege, leicht auf einer
Chaussee und noch leichter auf glatten eisernen Bahnen weiter, so das; wir sagen
können: Je weniger Reibung, desto weniger Kraft ist zum Fortbewegen von
Lasten nötig.
So nützlich uns Menschen alle jene Hülfsmittel und Kräfte sind, so ist
doch eine andere Naturkraft viel wichtiger. Nimm einmal einen gewöhnlichen
Lampencylinder und reibe letzteren eine Zeitlang mit einem seidenen oder wollenen
Tuch, so wirst du gewahr werden, daß er ihm nahe gebrachte kleinere Papier-
stückchen zuerst anzieht und und dann wieder abstößt. Dasselbe kannst du auch
mit einer Stange Siegellack versuchen. Diese durch Reibung hervorgerufene Kraft
nennt man Elektricität.
Die alten Griechen haben schon vor mehreren tausend Jahren am Bernstein
die Kraft, leichte Gegenstände anzuziehen, entdeckt, und weil sie den Bernstein in
ihrer Sprache Elektron nannten, so nennen wir noch heute die Eigenschaft der-
jenigen Körper, welche infolge der Reibung leichtere Gegenstände anziehen, Elek-
tricität, und die Körper, welche diese Kraft in sich haben, elektrisch!
Du denkst vielleicht: Was mag uns solche winzige Kraft nützen? Du
würdest indes bald die ungeheure Wirkung dieser Kraft gewahr werden, wenn du
statt des Lampencylinders eine große Glasscheibe, etwa in der Größe eines
Schiebkarrcnrades nehmen könntest, um dieselbe mit einer Kurbel zwischen einem
Reibzeug schnell herumzudrehen, wie bei der Elektrisiermaschine. Dann würdest du
sogar knisternde Funken aus der Glasscheibe hervorspringen sehen, und swenn
jemand die so erzeugte elektrische Kraft in deinen Körper leitete, so möchtest du ach
und weh schreien. Kann man doch mit einer solchen Kraft einen Ochsen betäubend
zu Boden strecken oder wohl gar töten. Es ist dieselbe aber nicht nur im Glas
(Glaselektricität), sondern auch im Harz (Harzelektricität), ja in allen Körpern
enthalten. Durch Reiben wird diese schlummernde Kraft herausgelockt, und wehe
dem, den eine große Menge derselben trifft! Denke an das Gewitter. ^Denn auch
in die Wolken hat der Herr der Welten elektrische Kraft ^hineingelegt und zwar
in großer Menge. Wird dieselbe durch irgend eine Reibung (des Windes oder der
Wärme) geweckt, so fährt ein faustgroßer Funken (Blitz), begleitet vom Donner,
von einer Wolke in die andere oder auch auf die Erde. Zitternd beugt sich wohl
der Mensch vor solcher Naturkraft, allein er preist auch den Nutzen und Segen
des Gewitters.
Um Gebäude vor der zerstörenden Macht des Blitzes zu schützen, bringt
man auf ihnen Blitzableiter an. Ihr werdet wohl schon auf den Dächern
mancher, besonders großer Häuser einen oder zwei senkrecht emporstehende Eisen-
stangen gesehen haben, deren Spitzen, (um das Ansetzen des Rostes zu verhindern),
vergoldet sind. Von diesen Eiscnstangen gehen eiserne oder kupferne Leitungen an
dem Dache und an den Mauern der Gebäude herunter in die Erde. Das sind
Blitzableiter. Wenn ein Blitzstrahl auf ein mit einem Blitzableiter versehenes Ge-
bäude herniederschießt, so wird er durch die Spitze der eisernen Stange angezogen
160
und in die Erde geleitet, ohne daß er Schaden thut; jedoch darf die Leitung nicht
beschädigt sein, weshalb man sie von Zeit zu Zeit untersuchen lassen muß. Der
Blitz fährt gern in hohe Gegenstände; daher darf man sich während eines Ge-
witters auch niemals unter Gebäude oder Bäume stellen. Dann vermeidet man
aus Vorsicht auch die Nähe metallener Dinge, ebenso schnelles Laufen und Fahren,
während man sich im Hause am liebsten inmitten des Zimmers aufhält. Wenn
thörichte und abergläubische Hausfrauen und Dienstmädchen sich bei solcher Gelegen-
heit an den Herd stellen und ein Feuer anmachen, so ist das durchaus zu ver-
werfen; warum? Das wird jeder Verständige und Nachdenkende sich selbst beant-
worten können. Freilich ist der, dessen Hand die Blitze wie Feuerflammen leitet,
der beste Beschützer, ivenn es über uns wettert und kracht. — Hast du schon ge-
hört, wie man auf die Erfindung der Blitzableiter gekommen ist? Ein kluger
Mann in Amerika, Namens Benjamin Franklin (ff 1790), machte einst einen
großen Drachen, eben einen solchen, wie ihn die Knaben im Herbst steigen lassen.
Die obere Spitze des Drachens war von Eisen, und statt des Bindfadens hatte
der Mann einen eisernen Draht genommen, welcher bis zur Erde reichte. Diesen
Drachen ließ er nun während eines Gewitters steigen, und siehe da, als die Ge-
witterwolken sich demselben näherten und darüber wegzogen, fuhren mehrere Blitze
an dem Drahte herab in die Erde. Diese Wahrnehmung brachte Franklin auf die
Erfindung der Blitzableiter.
Im Verkehrsleben leistet die Elektricität den Menschen noch einen ganz be-
sonderen Dienst. Sie wird nämlich zum Briefschreiben benutzt. Will man jemand
eine Nachricht z. B. nach Berlin, nach Paris oder gar nach Amerika geben, so
ist dies mit der Funkenfeder in wenigen Augenblicken ausgeführt. Die Leute
nennen diese Art des Briefschreibens Telegraphieren und die telegraphierte
Nachricht ein Telegramm. Die telegraphischen Zwecken dienende Elektricität
wird freilich nicht durch Reibung, sondern durch Säuren (Schwefelsäure u. a.)
hervorgebracht. Auch zum Versilbern und Vergolden, zum Heilen von Krank-
heiten u. a. wird die Elektricität benutzt.
Eine der Elektricität ähnliche Kraft steckt in einer Stahlstange, welche
Eisen und Stahl anzieht. Diese anziehende Kraft nennt man die magnetische
(Magnetismus), die anziehende Stahl- oder Eisenstange Magneten. Die größte
Kraft befindet sich in den Enden des Magneten. Eine mit einem Magnet be-
bestrichene, freischwebende stählerne Nadel (Stab) heißt Magnetnadel. Die eine
Spitze derselben wendet sich immer gegen Norden, die andere gegen Süden. Das
Nordende einer Magnetnadel stößt das ihr nahe gebrachte, gleichnamige Ende einer
andern Magnetnadel ab, wogegen das Südcnde derselben angezogen wird. Die
Thatsache, daß das eine Ende der Magnetnadel immer nach Süden und das andere
nach Norden zeigt, haben unsere Vorfahren sich schon lange zu Nutzen gemacht;
sonst hätten sie mit ihren Schiffen nimmer die richtigen und kürzesten Wege über
die großen Weltmeere gefunden. (Kompaß — Windrose.)
Beim Telegraphieren wird ebenfalls ein Magnet verwandt. Auch die
Elektricität macht nämlich Eisen magnetisch, aber nur so lange, als dieselbe durch
den Magnet strömt. Stahl bleibt lange magnetisch. Es werden in der Erde aber
auch Magnetsteine gefunden, welche Eisen anziehen. Wenn du mit einem Magnet
Stahlstangen, Nähnadeln, Messer u. a. bestreichst, so machst du diese Dinge
magnetisch. Versuche es einmal!
161
Die Luft.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Menschen, die im Überfluß besitzen-
den Güter und Gaben wenig schätzen. Wie wichtig sind uns z. B. Luft, Licht
und Wasser, und wie wenig wird solches erkannt.
Daß ohne Luft kein Mensch, kein Tier, auch keine Pflanze leben, kein
Feuer brennen und kein Vogel fliegen kann, werdet ihr, lieben Kinder, bei einigem
Nachdenken leicht einsehen, und daß der liebe Gott auch eine große Kraft zum
Nutzen der Menschen in die Luft hineingelegt hat, davon könnt ihr euch leicht
überzeugen.
Wenn ihr den Kolben in die euch allen bekannte Knallbüchse hineinschiebt,
und der Stöpsel nun mit einem Knall herausfliegt: meint ihr, daß dies der Kolben
zuwege gebracht hat? Nein, dieser konnte den Stöpsel gar nicht erreichen. Es
war eben die in dem Rohr durch den Kolben zusammengepreßte Luft, welche den
Stöpsel hinauswarf. Durch Zusammenpressen der Luft läßt sich eine Kraft er-
zeugen, die das Wasser in der Feuerspritze haushoch in die Höhe treibt. Durch
zusammengepreßte Luft wird auch die Lehmkugel oder der Federbolzen aus dem
Blaserohr hinausgeworfen.
Die Luft, welche unsern Erdball in einer Höhe von 8—10 Meilen umgiebt,
besteht aus so seinen, lose an einander liegenden Teilchen, daß sie im Stande ist,
auch die kleinsten Poren zu durchdringen, weshalb sie denn auch überall, selbst im
Wasser, in Holz und Stein zu finden ist. Die wärmere Luft ist die dünnere und
steigt stets nach oben; die dichtere oder kältere Luft strömt mit einer gewissen
Kraft nach der dünneren hin und vermischt sich dann mit dieser, wie sich etwa
kaltes mit warmem Wasser beim Zusammengießen vermischt und ausgleicht.
Die Luft ist also überall, und wenn der Topf oder die Flasche vom Wasser
geleert wird, so nimmt sie deren inneren Raum in Besitz und entweicht erst wieder,
wenn das schwerere Wasser oder andere Flüssigkeiten in jene Gefäße hinein-
gegossen werden. Schiebt man aber ein Glas mit der Öffnung nach unten in
einen Eimer voll Wasser und zwar senkrecht hinunter, so kann die im Glase vor-
handene Lust nicht entweichen. Wenn man vorher ein Stückchen glimmenden
Schwamm oder Zunder auf ein Brettchen legt, nun über dieses das Glas gerade
in das Wasser hinabschiebt, so sieht man den Schwamm eine Zeit lang mitten im
Wasser fortglimmen. Bei diesem Versuch steigt das Wasser freilich um einige
Centimeter in das Glas hinein, aber weiter läßt die in dem Glase zusammen-
gepreßte Luft es nicht kommen. So wie man aber das Glas ein wenig schief
hält, so entweicht auch Luft durch das Wasser und letzteres steigt sofort um so
viel höher ins Glas.
Nun denkt euch statt des Glases eine große, luftdichte Glocke oder eine
eiserne Kiste mit einer im Innern derselben angebrachten Bank. Setzt jemand sich
auf letztere, so kann man ihn in der mit der Öffnung nach unten gekehrten Glocke
ins Meer hinablassen, ohne daß derselbe sich die Füße naßmacht. Die Glocke,
welche die Taucher zur Anwendung bringen, wenn sie etwas aus dem Grunde
des Meeres heraufholen wollen, nennt man Taucherglocke. Damit die Taucher
sich auf dem Grunde des Meeres, u. a. in den Räumen zu hebender Schiffe freier
hin und her bewegen können, bedienen sic sich statt der früheren Taucherglocke
jetzt einer eigenen, dem menschlichen Körper angepaßten Rüstung. Man muß aber
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 11
162
jenen Leuten bei ihrer Arbeit durch eine Luftverdichtungspumpe frische Luft zuführen;
denn das Atmen in verdorbener Luft ist der Gesundheit nicht nur sehr schädlich,
sondern es kann unter Umständen den Menschen in ivenigen Minuten töten.
Wie sich die Luft verdichten läßt, so läßt sich dieselbe auch verdünnen. Dies
geschieht durch die Wärme, dann aber auch noch in einem luftdichten Raume da-
durch, daß man ihr einen größeren Raum verschafft.
Saugt ihr aus einem Fingerhut etwas Luft heraus, so setzt sich derselbe
sofort an eurer Zunge fest. Nehmt ihr weiter eine Hollunder- oder Glasspritze,
taucht sie in ein Gefäß mit Wasser und zieht den Kolben halb heraus, so folgt
das Wasser durch das kleine Spritzenloch dem Kolben nach. Durch welche Kraft
geschah dies? Der luftdichtschließende Kolben schasste durch Vergrößerung des
Luftraumes einen fast luftleeren Raum; Luft konnte nicht wieder hineindringen,
weil Wasser vor dem Loch der Spritze vor; da schob die auf jener Flüssigkeit
ruhende dichtere Luft das Wasser in das Rohr hinein, gerade so, wie sie eure
Zunge in den Fingerhut hinein drückte. Diese Kraft hat nun der Mensch zu seinem
Nutzen verwandt.
Wenn man ein Glasrohr ins Wasser taucht und daun, mit dem Daumen
die obere Öffnung des Rohres schließend, wieder herauszieht, so sieht man, daß
Wasser in dem Glssrohr bleibt und erst aus der unteren Öffnung wieder abfließt,
wenn man den Daumen abhebt. Ein solches Rohr aus Glas, Blech oder Messing
braucht man zum Herausheben der Flüssigkeiten (Spiritus, Essig u. a.) aus
Tonnen mit einer kleinen Öffnung. Man nennt ein solches Hülfsmittel einen
Heber und zwar einen Stechheber im Gegensatz zu dem Saugheber, welcher
aus einem Rohr mit zwei ungleichen Armen besteht lind aus welchem man beim
Gebrauch die Luft, nachdem man das kürzere Ende in die Flüssigkeit gesteckt hat,
heraussangt. Letztere wird dann durch die dichtere Luft dem luftleeren Raum zu-
gedrängt und fließt so durch das Rohr bis auf einen geringen Rest in dasjenige
Gefäß ab, in ivelches man die Flüssigkeit haben will. Letztere kann auch nicht in
dem Knie des Hebers auseinander gehen und zurückfallen, weil dam: daselbst ein
luftleerer Raum entstehen würde.
Ebenso ist es bei unseren gewöhnlichen Wasserpumpen, die man auch Sauge-
pumpen nennt. Bei diesen schafft der Kolben oder Schuh, wenn derselbe durch
den Schwengel in die Höhe gehoben wird, im Innern des Pumpenrohres einen
ziemlich luftleeren Raum (gerade so wie beim Gebrauch der kleinen Handspritze).
Dadurch bekommt die aus dem Wasser in: Innern der Grube ruhende dichtere
Lust eine solche Kraft, daß sie das Wasser in das Pumpenrohr hineinzuschieben
vermag. Eine Klappe (Ventil genannt), welche sich nur nach oben öffnet, ver-
hindert das Zurückfallen des Wassers. Nun hat auch noch der durchbohrte Kolben
ein sich nach oben öffnendes Ventil; beim Niederdrücken desselben hebt das im
Pumpenpfost sich befindende Wasser die Klappe und letzteres strömt hindurch.
Sowie aber der Druck aufhört, fällt die Klappe wieder zu. Zieht man nun den
Kolben in die Höhe, so zieht man auch das Wasser mit demselben bis zum Abfluß-
rohr in die Höhe und es fließt schließlich in den an der Pumpe hängenden
Eimer. Mit welcher Kraft die dichtere Luft zu der dünneren überströmt, das
könnt ihr am handgreiflichsten an folgendem Versuch erkennen. Füllt bis zu 3/4
ein Glas mit Wasser, legt, nachdem ihr den Rand des Glases etwas angefeuchtet
habt, ein Stück Papier darauf und kehrt daun, mit der linken Hand das Papier
163
festhaltend, das Glas schnell um. Wenn ihr darauf die linke Hand wegnehmt, so
trägt die dichtere Luft, welche sich von unten gegen das Papier legt, das Wasser,
daß es nicht aus dem Glase fließt.
Wie natürlich und doch wunderbarlich ist es mit den der Luft inne-
wohnenden Kräften!
Rätsel.
Es giebt vier Brüder in der Welt,
Die haben sich zusammengesellt:
Der erste läuft und wird nicht matt,
Der andere frisst und wird nicht satt,
Der dritte trinkt und ivird nicht voll,
Der vierte singt und klingt nicht wohl.
(Wackernagel, Lesebuch.)
141. Das Gewitter.
1. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
In dumpfer Stube beisammen sind.
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ösen im Pfühl. —
Wie wehen die Lüste so schwül!
2. Das Kind spricht: „Morgen ist's Feiertags
Da will ich spielen im grünen Hag,
Da will ich springen durch Thal und Höh'n,
Da will ich pflücken viel Blumen schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!" —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
3. Die Mutter spricht: „Morgen ist's Feiertag:
Da halten wir alle fröhlich Gelag;
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid:
Das Leben, es hat auch Lust nach Leid.
Dann scheinet die Sonne wie Gold!" —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
4. Großmutter spricht: „Morgen ist's Feiertag;
Großmutter hat keinen Feiertag.
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid;
Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
Wohl dem, der that, was er sollt'!" —
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
ii*
164
5. Urahne spricht: „Morgen ist's Feiertag;
Am liebsten ich morgen sterben mag;
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer.
Was thu ich noch aus der Welt!" —
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
6. Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht. —
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind.
Vier Leben endet ein Schlag! —
Und morgen ist's Feiertag. (Schwab.)
142. Rätsel.
Unter allen Schlangen ist eine, auf Erden nicht gezeugt, mit
der an Schnelle keine, an Wut sich keine vergleicht.
Sie stürzt mit furchtbarer Stimme auf ihren Raub sich los,
vertilgt in einem Grimme den Reiter und sein Roß.
Sie liebt die höchsten Spitzen, nicht Schloß, nicht Riegel kann
vor ihrem Anfall schützen; der Harnisch — lockt sie an.
Sie bricht wie dünne Halmen den stärksten Baum entzwei; sie
kann das Erz zermalmen, imc dicht und fest es sei.
Und dieses Ungeheuer hat zweimal nie gedroht — es stirbt
im eignen Feuer, wie's tötet, ist es tot. (Schiller.)
143. Lied beim Gewitter.
Der schwüle Kimmel dunkelt sich, ein schwarzes Wetter dräut; ich
bebe nicht, ich freue mich, Gott deiner Kerrtichkeit.
Im Donner, Water, zürnst du nicht, bleibst unser Schutz und Gott,
auch wenn dein ZZlitz aus Wolken bricht und uns zu töten droht.
Wem Wöscn nur, der dich nicht kennt, bist du dann fürchterlich; dem
aber, der dich Water nennt, zeigst du als Water dich.
Au reinigst durch den Mtitz die Luft, dein Wegen kühlt die Saat;
ein frischer, balsamvott'er Auft stärkt, was geschmachtet hat.
Streck deine Arme nach uns aus, bewahre unser Aelö und unsre
IZrüder, unser Kaus, du bist ja Kerr der Welt.
Latz frei das Kerz von Ängsten fein, wenn uns dein Wetter droht;
weg, bange Aurcht, wir stnd ja dein, du bist die Lieb', o Gott!
(?)
144. Sankt Augustin.
Es ging einmal Sankt Augustin am Meergestade her und
hin; das Wesen Gottes, unsers Herrn, wollt’ er erforschen gar
165
zu gern und es dann bringen in ein Buch. Er kannte jeden
Bibelspruch, drum schien die Lach' ihm gar nicht schwer. — So
wallt er sinnend hin und her, und meint wohl schon im eitlen
Wahn, ihm sei der Himmel aufgethan. — Auf einmal wird
sein Aug’ gewahr ein Knäblein, schön und wunderbar; es
macht ein Grüblein in den Land und bückt sich dann hinab
am Strand und schöpft vom Meer das Wasser drein mit einer
Muschel, weiss und fein. — „Du lieber Knab’, was machst du
da?" fragt Augustin. — „Du siehst es ja: zum Zeitvertreibe
fass’ ich mir die See in dieses Grüblein hier." Der Heil’ge
lächelt: „Dieses Spiel, mein Kind, es bringt dich nicht zum
Ziel." „Ei," sagt der Knab’, „wer das nicht kann, der bleibe
hübsch auf seiner Bahn. Viel ist dem Herzen offenbar, doch
wird es dem Verstand nicht klar." Und flugs, da schiefst
ein Flügelpaar dem Knaben an, und wie der Aar schwebt er
empor im Sonnenlicht. Der Heil’ge schaut ihm nach und spricht:
„Der Knab’ hat Recht; des Menschen Sinn kann über
Raum und Zeit nicht hin!" (Schreiber.)
145. Noch etwas aus der Naturlehre.
(* Von Lehrer Lübstorf in Parchim).
Der Schall.
Wenn du mit der flachen Hand auf den Tisch schlägst, so werden durch den
Schlag Hand und Tisch in fühlbarer Weise erschüttert. Die Erschütterung teilt
sich der Luft mit, welche dieselbe bis in unser Ohr fortpflanzt, und letzteres giebt
uns von dem Vorgänge Kunde. Lässest du in eine ruhig stehende Schüssel mit
Wasser einen Wassertropfen fallen, was gewahrst du? Sowie der Tropfen die
Flüssigkeit in der Schüssel berührt, gerät jene in eine auf- und abgehende Be-
wegung, Wellenbewegung. Gleichzeitig nimmst du einen Schall wahr.
Wenn man aus Schreibpapier eine fingerlange Röhre wickelt, ihr eines
Ende mittelst eines kleinen Korkes lose aber luftdicht schließt, dann am andern
Ende mit dem Munde hineinbläst und dadurch die in der Röhre befindliche Luft-
masse verdichtet, so entsteht ein Schall in dem Augenblicke, in welchem der Kork
durch die verdichtete Luftmasse aus der Röhre herausgedrückt wird. Während des
Herausschnellens des Korkes stößt die verdichtete Luft gegen die dünne außerhalb
der Röhre. Durch den plötzlichen Zusammenstoß entsteht eine heftige Luft-
erschütterung, welche unserm Gehör als ein lauter Schall oder Knall zum Bewußt-
sein kommt.
Beachte ferner, wie das Lispeln der Blätter, das Knarren eines Wagens,
das Rasseln einer Kette, das Rieseln, Murmeln und Plätschern eines Baches, das
Rauschen eines Stromes, das Brausen des Windes, das Knallen einer Peitsche,
das Knattern und Prasseln eines Feuers entstehen. Du wirst finden: Der Schall
entsteht durch Erschütterung, d. h. Schwingung eines festen, tropf-
barflüssigen oder luftförmigen Körpers. Der schwingende Körper heißt
Schallerreger. Teilt der Schallerreger seine Schwingung der Luft, dem Wasser
166
oder einem festen Körper mit, so werden diese in Wellenbewegung versetzt. Die
aus diese Art entstehenden Wellen nennt man Schallwellen.
Der Schall wird durch luftförmige, t r o pfbar fl üssige und
feste Körper fortgeleitet. Der gewöhnliche Träger des Schalles, d. h. das
Schallmittel, ist die Luft. Ein Bild von der Verbreitung der Schallwellen durch
die Luft giebt die Verbreitung der Wasserwellen, welche im ruhenden Wasser ent-
stehen, wenn wir einen Stein hineinwerfen.
Bei starkem Frostwetter hört man einen fernen Schall besser als bei Thau-
wetter, Nebel, Regen oder Schneegestöber. Gegen den Wind hört man schlechter
als mit dem Winde. Wie im fließenden Wasser die Wellenbewegung hauptsächlich
mit dem Stoß des Wassers fortgeleitet wird, so bewegt der Wind die Schall-
wellen der Luft vorzugsweise in der Windrichtung weiter. Der Erdboden pflanzt,
weil er dichter und fester als die Lust ist, die Schallwellen schneller und voll-
kommner als die Luft fort. Man legt sich deshalb wohl mit dem Ohr gegen den
Erdboden, um ein fernes Geräusch, das man durch die Luft nicht mebr hört,
noch wahrzunehmen. Ebenso hören wir deutlich das Ticken einer Taschenuhr,
wenn wir sie auf das eine Ende einer Schulbank, oder eines langen Balkens legen
und gegen das andere Ende das Ohr.
Die Schallwellen werden um so besser fortgeleitet, je dichter,
elastischer und gleichartiger das Schallmittel ist.
Wird fern von uns ein Schuß abgefeuert, so sehen wir erst den Pulver-
dampf aufsteigen und später hören wir den Knall. Man sieht die Axt, den
Hammer eines in weiterer Entfernung arbeitenden Holzhauers oder Steinklopfers
früher auf das Holz oder den Ambos fallen, als man den Schall vernimmt. Die
Schallwellen brauchen nämlich ziemlich viel Zeit, um von dem Orte ihres Ent-
stehens durch die Luft zu unserm Ohr zu gelangen. Genaue Versuche haben gelehrt:
Der Schall legt in der Luft binnen einer Sekunde einen Weg
von rund 333 Meter zurück.
Man berechne während eines Gewitters aus der Zeit, die zwischen Blitz
und Donner vergeht, die Entfernung des Gewitters. Treffen die Schallwellen
bei ihrem Fortschreiten durch die Luft gegen eine feste Wand, einen steilen Berg-
abhang, eine Mauer, einen dichten Wald oder einen anderen geeigneten festen
Gegenstand, so werden sie zurückgeworfen, wie ein gegen eine Wand geworfener
Ball. Aus der Zurückwerfung der Schallwellen erklärt sich die Verstärkung des
Schalles in leeren Zimmern, der Nachhall in größeren Sälen und Kirchen und der
Widerhall oder das Echo.
Rolle einen großen Bogen Pappe tütenförmig zusammen, doch so, daß auf
dem engen Ende eine Öffnung von zwei Fingerbreit bleibt und spreche in letztere
Öffnung laut hinein. Der Schall tritt bedeutend verstärkt aus dem weiteren Ende
hervor. Eine solche Vorrichtung stellt ein Sprachrohr dar. Steckt man die enge
Öffnung jemand ins Ohr und spricht in das weite Ende hinein, so hört der, dem
das Rohr ins Ohr gelegt ist, den Schall sehr verstärkt. In ähnlicher Weise stellt
man sich das Hörrohr her, das bei sehr Schwerhörigen angewandt wird, um sich
ihnen vernehmlich zu machen. Hörrohr, Sprachrohr und Schallrohr beruhen, wie
das Echo und der Nachhall, ebenfalls auf der Zurückwerfung der Schallwellen.
Nur geschieht die Zurückwerfung durch die Schallröhren selber und zwar durch die
inneren Wände derselben.
167
Das Licht.
Wenn man eine Messerklinge gegen einen raschgedrehten trockenen Schleif-
stein drückt, so wird die Klinge nicht bloß warm, es springen von derselben auch
einzelne leuchtende Teile, Funken, ab. Durch die Reibung werden einzelne Teile
der Klinge in heftige Schwingung versetzt, d. h., sie werden warm. Erfolgen die
Wärmcschwingungen rasch und kräftig genug, so gehen sie in Lichtschwingungen über:
Das Licht entsteht durch sehr schnelle Schwingungen einzelner
Teile des leuchtenden Körpers. Diese Schwingungen teilen sich dem
feinsten aller Stoffe, der die ganze Welt durchdringt und Äther genannt wird,
mit, welcher die Schwingungen bis in unser Auge und von hier durch den Seh-
nerv zum Gehirn fortpflanzt, wo sich die Bewegung als Licht ankündigt.
Körper, welche die Eigenschaft besitzen, den Äther fortwährend in so schnelle
Schwingungen zu versetzen, daß von ihnen Licht ausgeht, wie von einer Quelle
Wasser, heißen Lichtquellen oder selbstleuchtende Körper. Die Hauptlichtquellen
sind: 1. die Sonne und Fixsterne, 2. brennende und glühende Körper, 3. elek-
trisierte Körper und 4. phosphoreszierende Stoffe. Körper, welche kein eigen Licht
besitzen, heißen dunkel. Die dunklen Körper sind entweder durchsichtig, durch-
scheinend oder undurchsichtig. Glas, Wasser und Luft sind durchsichtig, d. h., sie
lassen das auf sie fallende Licht durch sich hindurchgehen, während die undurch-
sichtigen Körper den Lichtwellen den Durchgang nicht gestatten.
Wird ein brennendes Licht auf den Tisch gestellt, so kann man die Licht-
quelle von allen Seiten sehen. Hält man zwischen der Lichtquelle und dem Auge
einen undurchsichtigen Körper, so wird das Licht nicht gesehen. Man kann auch
nicht um eine Ecke noch durch eine krumme Röhre schauen:
Das Licht verbreitet sich von einem leuchtenden Körper aus
nach allen Richtungen in geraden Linien.
Fällt das Licht auf einen undurchsichtigen Körper, so muß sich hinter dem-
selben, wegen der geradlinigen Verbreitung des Lichtes, ein unerleuchteter Raum er-
geben. Den unerleuchteten Raum hinter einem beleuchteten un-
durchsichtigen Körper nennen wir Schatten. Der Schattenraum, der gar
kein Licht empfängt, heißt Kernschatten. Aus der Lehre vom Schatten erklären sich,
wie du schon gelesen hast, die Entstehung von Sonnen- und Mondfinsternis, sowie
die Entstehung der Nacht. Der Teil der Erde, welcher von der Sonne abgewandt
ist, befindet sich in seinem Eigenschatten, er ist also dunkel und hat Nacht. Eine
Sonnenfinsternis entsteht, wie du bereits weißt, wenn die Erde in den Kern-
schatten des Mondes, eine Mondfinsternis, wenn der Mond in den Kernschatten
der Erde tritt.
Stehen wir fern von einer Lichtquelle, so sehen wir weniger, als in der
Nähe derselben. Bei zunehmender Entfernung von der Lichtquelle nimmt also die
Stärke der Erleuchtung ab. Ist die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne in der
Sonnenferne, so muß sie weniger Licht bekommen, als in der Sonnennähe.
Ebenso ist die Beleuchtung um so schwächer, je schräger die Lichtstrahlen auf einen
Körper fallen. Die Wintertage müssen also weniger hell als die Sommertage sein.
Die Geschwindigkeit des Lichtes ist eine ungeheure. Das Licht ist nächst der
Elektricität der schnellste Reisende der Welt. Es legt in einer Sekunde 300 Millionen
168
Meter oder 42000 Meilen zurück. Seine Geschwindigkeit übertrifft die des
Schalles also um das Millionfache.
Stellst du in ein mit Wasser gefülltes Trinkglas schief ein Stäbchen, so
erscheint letzteres da, wo Luft und Wasser sich berühren, wie eingeknickt, gebrochen.
Wenn närnlich ein Lichtstrahl aus Luft in Wasser oder aus Luft in Glas, über-
haupt von einem dünnen in einen dichten Körper übergeht, so wird er auf der
Übergangsstelle von seiner geraden Richtung abgelenkt, d. h. gebrochen, so daß er
in diesem Körper weniger schief erscheint als außerhalb desselben. Tritt umgekehrt
der Lichtstrahl von einem dichteren Mittel in ein dünneres, also vom Wasser in
die Luft, so ivird er stärker schief als vorher. Darum sehen wir die unter Wasser
befindlichen Steine, Fische u. s. m. höher, als sie in Wirklichkeit sind. Die Spitze
eines schief ins Wasser gehaltenen Stabes, eines Ruders rc. erscheint höher, als
sie thatsächlich liegt.
Man verschaffe sich ein sogenanntes Brcnnglas oder ein Brillenglas, wie
es alte Leute zum Sehen gebrauchen. Die Gläschen sind linsenförmig geschliffene
Scheiben, welche nach der Mitte zu dicker, nach dem Rande hin dünner werden.
Sie haben Ähnlichkeit mit der Frucht der Linsenpflanze und heißen deshalb Linsen-
gläser oder doppelt erhabene Linsen. Die Flächen, welche die doppelt erhabenen
Linsen nach außen begrenzen, sind Kugelslächen. Eine Linie, welche man sich senk-
recht durch die Mitte der Linse gelegt denkt, heißt Achse der Linse. Als Folge der
zweimaligen Brechung des Lichtstrahls beim Eintritt von der Luft in die Glas-
linse und beim Austritt aus dem Glas in Luft ergiebt sich folgendes Gesetz:
1. Lichtstrahlen, welche die Mitte der erhabenen Linse treffen, gehen un-
gebrochen hindurch.
2. Alle parallel zur Achse durch die erhabene Linse gehenden Strahlen iver-
den so gebrochen, daß sie sich in einem Punkte jenseit der Linse, dem Brennpunkte,
vereinigen.
Wegen der Vereinigung der Lichtstrahlen nennt man die doppelt erhabene
Glaslinse auch Sammellinse. Da mit den Lichtstrahlen zugleich die Wärmestrahlen
vereinigt werden, so kann man die Sammellinse zum Entzünden leicht brennender
Stoffe benutzen. Man nennt die Sammellinse eben deshalb Brennglas.
Betrachtet man einen nahen Gegenstand durch die Sammellinse, indem man
dieselbe nahe ans Auge bringt, so sieht man den Gegenstand entfernt und ver-
größert. Alte Leute, wenn sic lesen wollen, halten die Schrift weit von sich ent-
fernt; sie sind weitsichtig. Sie können sich Brillen mit Sammelgläsern bedienen;
denn dieselben entfernen ihnen die Schrift. Brillengläser, wie sic von alten Leuten
gebraucht werden, sind wirkliche Sammellinsen.
Weil Sammellinsen die Gegenstände vergrößern, so benutzt man sie auch
als Vergrößerungsgläser. Einfache Vergrößerungsgläser heißen Lupen. Zur
weiteren Verstärkung werden mehrere Sammellinsen zusammengestellt; sie bilden
dann ein zusammengesetztes Vergrößerungsglas oder ein Mikroskop. Ein gutes
Mikroskop macht es möglich, noch Gegenstände klar und deutlich zu sehen, die mit
bloßen Augen gar nicht mehr erkannt werden. Dadurch haben die Sammellinsen
eine sehr hohe Bedeutung erlangt.
Einen fernen Gegenstand sieht man durch eine Sammellinse nur dann
deutlich, wenn das Auge weiter von dem Glase entfernt ist, als der Brennpunkt.
Das dann entstehende Bild ist umgekehrt, weil der oberste Strahl nach dem
169
Durchgang durch den Brennpunkt jenseit der Linse der unterste wird und der
unterste der oberste.
Das Bild eines entfernten Gegenstandes kann man mit Hülfe der er-
habenen Glaslinse auch auf eine Wand, einen Schirm entstehen lassen. Dies
Bild wird um so deutlicher, je mehr alles übrige Licht von demselben abge-
halten wird, wie also in einer dunklen Kammer, in welcher nur die durch die
Sammellinsen gehenden Lichtstrahlen gelangen können. Eine solche Dunkelkammer
mit einer Sammellinse ist unser Augapfel. — (Wenn inan ein Ölgemälde
genau betrachten will, so sieht man wohl mit dem einen Auge durch die Öffnung
der nach innen gekrümmten Finger der Hand oder durch die nicht geschlossene
Spitze einer Tüte u. dgl.; warum thut man das?).
Das farbige Licht und der Regenbogen.
Wenn man eine eckig geschliffene Wasserflasche mit Wasser füllt, sie mittels
eines Korkes verschließt und nun in wagerechter Lage drehend zwischen Auge und
Sonne bringt, so gewahrt man in der Flasche ein farbiges Bild, bestehend aus
den 7 Regenbogenfarben. Das weiße Sonnenlicht ist nicht einfach,
sondern es ist aus farbigen Strahlen verschiedener Brechbarkeit:
rot, orange, gelb, grün, blau, indigo und violett zusammen-
gesetzt. Beim Durchgang durch das eckige Wasserglas werden die Sonnenstrahlen
verschieden stark gebrochen und dadurch in ihre 7 Bestandteile zerlegt. Durch Ver-
einigung der 7 farbigen Strahlenbündel erhält man wieder weißes Sonnenlicht.
Durch Brechung und Zerlegung des Sonnenlichtes entsteht die herrliche Farben-
wirkung, die wir im Regenbogen bewundern.
Einen Regenbogen sehen wir nur, wenn wir im Rücken die Sonne und
vor uns eine Regenwand haben. Der Regenbogen entsteht dadurch, daß Sonnen-
strahlen auf die Regentropfen der uns gegenüberstehenden Regenwand fallen, beim
Eindringen in die Tropfen gebrochen, von der Rückseite der Tropfen zurückgeworfen
und beim Austritt abermals gebrochen werden und dadurch farbig zerlegt in unser
Auge gelangen. Das Rot liegt nach oben, das Violett nach unten, jedoch sind die
Farben nicht vollständig getrennt, sondern sie decken sich teilweise.
Die Wärme.
Ein Schwefelhölzchcn wird durch Reiben so warm, daß es sich entzündet.
Kalte Hände reibt man warm. Bohrer, Sägen, werden bei schneller Arbeit, wie
wir selbst, warm. Schlecht geschmierte Wagen und Mühlenräder können sich in
Brand laufen. Wärme entsteht also:
Durch Reiben, Zusammenpressen, durch Verbrennen und durch Sonnen-
strahlen. Die Wärmeschwingungen unterscheiden sich von den Lichtschwingungen
nur durch geringere Kraft und Geschwindigkeit. Von den Wärmeschwingungen be-
kommen wir durch unsern Gefühlsinn Kunde. Wenn man einen Plättbolzen, der
in kaltem Zustande das Plätteisen nicht ausfüllt, erhitzt, so findet er in letzterem
kaum Raum. Gießt man einen Kochtopf voll Wasser und setzt ihn in ein Feuer,
so vermag der Topf die Flüssigkeit nicht lange zu fassen; es fließt ein Teil des
kochenden Wassers über ins Feuer. Hängt man eine nicht ganz mit Luft gefüllte
und fest zugebundene Tierblase an den warmen Ofen oder erwärmt sie über einer
170
Spiritus flamme, so dehnt sic sich und wird straff. In der Kälte schrumpft sie
wieder zusammen. Aus diesen und anderen Beobachtungen folgt:
Wärme dehnt feste, tropfbarslüssige und gasförmige Körper
aus; Kälte zieht sie zusammen.
Das Thermometer oder der Wärmemesser.
Das Thermometer besteht aus einer dünnen Glasröhre, die nach unten
zu einem kugelförmigen Gefäß ausgeblasen ist. Letzteres ist ganz, die Röhre teil-
weise mit Quecksilber oder Weingeist gefüllt. Damit sich das Quecksilber leicht
ausdehnen könne, treibt man bei der Anfertigung des Thermometers die Luft aus
der Röhre, indem man das Quecksilber erhitzt bis es die Röhre ganz ausfüllt.
In diesem Augenblicke wird die Röhre oben zugeschmolzen. Zieht sich das Queck-
silber bei der Abkühlung zusammen, so befindet sich über dem Spiegel desselben
ein luftleerer Raum. Sodann ist an die Glasröhre ein Maßstab befestigt. Taucht
man das Thermometer in schmelzendes Eis oder Schnee, so sinkt das Quecksilber
bis zu einem gewissen Punkt und bleibt stehen. Diesen Punkt bezeichnet man mit
Rull und nennt ihn den Null-, Eis- oder Gefrierpunkt. Hierauf bringt man
das Thermometer in kochendes Wasser. Das Quecksilber steigt schnell höher und
bleibt dann wieder auf einem gewissen Punkt stehen, auf dem es während des
Kochens verharrt. Diesen Punkt nennt man den Siede- oder Kochpunkt. Den
Abstand zwischen Null- und Kochpunkt teilt man bei dem gebräuchlichsten Thermo-
meter in 80 Teile, die man Grade nennt. Setzt man das Thermometer den
Sonnenstrahlen oder der Ofenhitze aus, so steigt es, bei verminderter Wärme sinkt
es. Steht das Thermometer 10 Grad über dem Eispunkt, so sagt man, es sind
10 Grad Wärme (-+- 10°); sinkt es 10 Grad unter den Eispunkt, so sagt man,
es zeigt 10 Grad Kälte (— 10°).
Strömungen in Wasser und Luft.
Warnles Wasser ist stets leichter als kaltes, weil es durch die Wärme aus-
gedehnt ist. Wird Wasser in einem Gefäß von unten erhitzt, so steigen die warm
gewordenen Wafferteilchcn ununterbrochen in die Höhe, während die oberen kälteren
sinken, weil sie schwerer sind als jene. So entsteht durch die Wärme eine Strö-
mung im Wasser. Aus ähnliche Weise entsteht der Golfstrom und andere Strö-
mungen im Meere. Auch in der Lust werden durch die Wärme Strömungen
hervorgebracht. Die erwärmte Luft ist leichter und steigt in die Höhe, während
die kältere Luft niedersinkt.
Öffnest du die Thür eines geheizten Zimmers und stellst nun auf die
Thürschwelle ein brennendes Licht, so schlägt die Flamme ins Zimmer hinein.
Halst du dagegen das Licht in den oberen Teil der Thüröffnung, so wird die
Flamme nach außen getrieben. In der Mitte der Thüröffnung steigt die Flamme
gerade empor. Die kalte Luft von außen dringt also von unten in das geheizte
Zimmer ein, während die erwärmte Zimmerluft von oben zur Thür hinaus-
gctriebcn wird.
Wie in geschlossenen Räumen durch ungleiche Erwärmung der Luft Strö-
mungen hervorgebracht werden, ebenso werden durch die ungleiche Erwärmung der
Erdoberfläche und der Luft durch die Sonnenstrahlen Strömungen erzeugt, die man
Winde nennt.
171
Über bcn Äquator treffen fast das ganze Jahr die Wärmeftrahlen der Sonne
die Erde senkrecht. Infolgedessen werden dort Boden und Luft bedeutend erwärmt;
letztere steigt fort und fort aufwärts und fließt nach den Polen zu ab. Diese
warme Luftströmung (Äquatorialströmung genannt) langt in unserer Zone gewöhn-
lich als Südwestwind an. Dagegen zieht die an den Polen herrschende Kälte die
Luft zusammen, und diese verdichtete kalte Lust fließt als Polarströmung in der
Richtung nach dem Äquator zu ab. Sie kommt in der Richtung von Nordost zu
uns und bringt uns im Sommer angenehme Kühle, dagegen im Winter unangenehme
Kälte. In der Winterkälte überziehen sich Seen, Flüsse und Teiche mit einer
festen Eisdecke, und dichte Schneemassen begraben die Erde. Die Wärme des
Frühlings löst die Fesseln, macht Schnee und Eis flüssig und die Erde wieder
frei. Auch andere feste Körper werden durch die Wärme in einen flüssigen Zu-
stand versetzt. Nennt einmal Körper, welche bei hinreichender Wärme tropfbar
flüssig werden! Eis, Schnee, Blei, Wachs, Butter werden durch Wärme nicht nur
tropfbar flüssig, sondern sie können durch weitere Zuführung von Wärme in gas-
förmige Flüssigkeit umgewandelt werden. Die Hervorbringung des gasförmigen
Zustandes beim Wasser nennt man Kochen. Beim Kochen steigen im Wasser Blasen
von gasförmigem Wasser, Wasserdamps genannt, aus, was man Verdampfen
nennt. Der Wasserdamps ist als Wasser und Wärme anzusehen. Trifft der
Wasserdamps aus kalte Körper, so entziehen ihm diese seine Wärme, und er kehrt
in die flüssige Form zurück, d. h., er wird wieder zu Wasser. Findet das Ver-
dampfen von Wasser in einem verschlossenen Gesäß (beispielsweise in einem durch
einen Deckel verschlossenen Topfe) statt, so sucht der aus dem Wasser gebildete
Dampf zu entweichen; er drückt aus die Wände des Gesäßes, hebt den Deckel aus
und zieht ab. Liegt der Deckel zu fest aus und ist das Gesäß nur schwach, so
vermag der Dampf letzteres wohl gar zu zertrümmern. Den durch eingeschlossenen
Wasserdamps hervorgebrachten Druck hat man in der Dampfmaschine nutzbar
zu machen gewußt. Mit Hülse der Dampfmaschine kann man viele nützliche Ar-
beiten verrichten, Schiffe führen, Eisenbahnzüge fortschaffen u. s. w. Die Wärme
ist die größte Arbeitskraft.
Lassen wir eine in ein Gesäß gegossene Flüssigkeit lange in der Lust stehen,
so verschwindet erstere nach und nach. Nasse Wäsche, der durch Regen angefeuchtete
Boden werden schließlich trocken. Wo ist das Wasser geblieben? Es ist nach und
nach in Gasform in die Luft übergegangen. Das Wasser vermag bei jeder Wärme
oder Kälte der Luft (Temperatur) in Wasserdamps überzugehen. Die langsame
unscheinbare Verdampfung nennen wir Verdunstung. Die zur Verdunstung nötige
Wärme entzieht der verdunstende Körper seiner Umgebung, die dadurch
abgekühlt wird. Ist dir nun klar, warum wir in nassen Kleidern frieren?
Wir fühlen die Verdunstungskälte nicht selten nach einem Schweiße, durch welchen
unser Unterzeug angefeuchtet worden ist. Die Verdunstungskälte kann Ursache einer
so starken Abkühlung unseres Körpers werden, daß wir uns dadurch eine Erkältung
zuziehen. Andererseits benutzen wir die Verdunstungskälte zum Abkühlen von
Gegenständen. In einem zu heißen Zimmer besprengen wir im Sommer den
Fußboden, zu weiche Butter schlagen wir in ein nasses Tuch. In der heißen Zone
verschafft man sich dadurch kühles Trinkwasser, daß man das Wasser in porösen
Thonkrügen ausstellt u. a. m. Die Verdunstung wird beschleunigt durch Ver-
größerung der Verdunstungsfläche, durch vermehrte Wärme und durch Luftzug.
172
Warum breitet man nasse Wäsche aus, hängt sie in die Sonne und bringt sie an
einen freien Ort?
Wäffrige Lufterscheinungen.
Die Verdunstung des Wassers bei jeder Temperatur ist die Ursache der
Entstehung von Nebel, Tau, Regen, Schnee, Hagel k. Wie aus dem siedenden
Wasser, so steigen aus Meeren, Flüssen, Seen, Wiesen, von feuchtem Erdboden
zu jeder Zeit Wasserdünste empor, die von der Luft aufgenommen und fortgetragen
werden. Die Luft vermag aber bei bestimmter Wärme nur eine ganz bestimmte
Menge Wasserdunst zu tragen und unsichtbar zu erhalten. Mit der Wärme-Zu-
nahme der Luft wächst aber auch die Aufnahmefähigkeit. Hat die Luft die Dunst-
menge, die sie aufzunehmen imstande ist, so sagt man, sie ist gesättigt. Wird die
gesättigte Luft abgekühlt, so ist sie mit Wasserdunst übersättigt und scheidet einen
Teil ihres Wassers wieder aus. Dieses abwechselnde Aufnehmen und Ausscheiden
von Wasserdunst durch die Luft ist die Ursache der verschiedenen wässrigen Nieder-
schläge. Ein Nebel entsteht, wenn die mit Wasserdunst gesättigte Luft abgekühlt
wird. Durch die Abkühlung werden die unsichtbaren Dunstteilchen zu kleinen
Bläschen oder Tröpfchen vereinigt und dadurch dem Auge sichtbar. Der Nebel ent-
steht gern über Gewässern, Sümpfen, Flüssen, wo die Luft feucht ist und schnell
abkühlt. Steigt der Nebel in höhere Luftschichten, so wird er als Wolke ge-
sehen. Wolken sind hochschwebende Nebel, Nebel tiefstehende Wolken. Ein Roggen-
korn fällt schnell zu Boden, wird es zermahlen und das Mehl in die Luft gestreut,
so fällt dieses wegen des Luftwiderstandes langsamer; es scheint eine Zeitlang zu
schweben. Ähnlich verhält cs sich mit dem Wasser: ein großer Tropfen fälltrasch,
ein Wasserstäubchen als Dunst dagegen nur ganz langsam; es kann sogar steigen,
statt fallen. So vermögen sich die Wolken oft lange schwebend zu erhalten.
Die Wolken sind bald leichte, seingcstreiste oder flockenartige Feder wölken,
bald geballte schwarze, unregelmäßig begrenzte Haufenwolken, bald weitgedehnte,
in wagerechten Streifen den Himmel bedeckende Schichtwolken, bald dunkle,
blauschwarze Regenwolken. Die letzteren türmen sich aus den Haufenwolken
zusammen und sind die dichtesten. In ihnen fließen die kleinen Wassertröpfchen
zusammen und bilden Regentropfen, die den Luftwiderstand leichter überwinden
als jene und zu Boden fallen. Ist die Temperatur der Wolke unter °, so setzen
sich die Wasserteilchen zu zierlich kleinen, regelmäßig sechseckig gestalteten Schnee-
sternchen oder Schneekrystallen zusammen, welche sich zu Schneeflocken ballen.
Hast du nicht schon einmal herniederfallende Schneeflocken auf deiner Schiefertafel
aufgefangen und ihre merkwürdige Sternengestalt bewundert? Aus den dunkelsten
Wolken fällt der Hagel. Er besteht aus Eiskörnern, fällt gewöhnlich am Tage
und strichweis, meist unter Sturni, Blitz und Donner. Bei der Bildung des
Hagels ist wohl Sonnenlicht und Elektricität mit im Spiele; bestimmtes weiß
man bis jetzt darüber nicht zu sagen. An Sommerabendcn kühlen sich die Pflanzen
schneller ab, als die Luftschichten; dadurch werden auch die den Pflanzen zunächst
liegenden Dämpfe abgekühlt und verdichtet, so daß sie als Wassertropfen an
Blättern, Stengeln re. niederschlagen. So entsteht der Tau, dessen Bildung im
Freien gleiche Ursache mit dem Beschlagen der Fensterscheiben oder der Brillengläser
hat. Der Reif besteht aus feinen Eisnadeln und ist nichts als gefrorener Tau.
Graupeln sind Schneekügelchen. Es sind durch kalte Nordwinde in den höheren
173
Luftschichten gebildete Schneeflocken, die beim Herabfallen in die wärmere Luft zu-
sammenschrumpfen und sich abrunden. — Platzregen und Wolkenbrüche ent-
stehen, wenn die sehr erwärmte und stark mit Wasserdampf erfüllte Luft plötzlich
abgekühlt wird. Ein Strichregen verbreitet sich über kleine, ein Landregen
dagegen über große Länderstrecken. Wenn nach langer Dürre der erquickende
Regen fällt, so kriechen auch die Frösche aus ihren Verstecken hervor; unerfahrene
Leute sprechen dann von einem Froschrcgen. Schwefel-, Blut- und
schwarzer Regen werden veranlaßt durch gelben und roten Blütenstaub und die
schwarzen Bestandteile des Rauches, welche der Wind in die Regenwolken ge-
trieben hat. Man rechnet im Jahre etwa 150 Tage, die Regen oder Schnee
bringen. Würden die Wassermassen nicht versiegen, so würden sie den Boden un-
gefähr einen Meter hoch bedecken.
So ein Erstaunliches weiß der Schöpfer durch die Wärme zu schassen, um
Luft und Boden feucht zu erhalten, damit dieselben die Pflanzenwelt hervorbringe
und diese Tiere und Menschen ernähre.
Wie wunderbar ist Gottes Walten im großen Weltall und in den Kräften
der Natur!
146. Zwei Rätsel.
1. Von Perlen baut sich eine Brücke hoch über einen
grauen See; sie baut sich auf im Augenblicke und schwindelnd
steigt sie in die Höh'.
Der höchsten Schiffe höchste Masten ziehn unter ihrem
Bogen hin: Sie selber trug noch keine Lasten und scheint,
wie du ihr nahst, zu sliehn.
Sie wird erst mit dem Strom und schwindet, so wie
des Wassers Flut versiegt. So sprich, wo sich die Brücke
findet, und wer sie künstlich hat gefügt?
2. Kennst du das Bild aus zartem Grunde? Es giebt
sich selber Licht und Glanz. Ein andres ist's zu jeder
Stunde, und immer ist es frisch und ganz. Im engsten
Raum ist's ausgeführet, der kleinste Rahmen saßt es ein;
doch alle Größe, die dich rühret, kennst du durch dieses
Bild allein.
Und kannst du den Krystall mir nennen? Ihm gleicht
an Wert kein Edelstein; er leuchtet ohne je zu brennen, das
ganze Weltall saugt er ein. Der Himmel selbst ist ab-
gemalet in seinem wundervollen Ring. Und doch ist, was
er von sich strahlet, noch schöner, als was er empfing.
(Schiller.)
174
147. Vierzehn Fragen über Vorgänge in der Natur.
1. Warum ist es an der Decke eines geheizten Zim-
mers immer wärmer als auf dem Fussboden desselben?
Die Luft wird durch die Erwärmung- leichter. Sie steigt
daher in die Höhe und lagert über der kälteren Luft. So muss
sie den oberen Teil des Zimmers einnehmen, während die kältere
den unteren Raum erfüllt.
2. Warum beschlagen unsere Fensterscheiben,
wenn die Luft draussen sich abkühlt?
In der Luft jedes bewohnten Zimmers sind beständig
wässerige Dünste enthalten. Die Fensterscheiben aber sind
durch die Luft von aussen abgekühlt. Kommen nun die Dünste
mit ihnen in Berührung, so werden sie selbst so abgekühlt,
dass sie sich in Tropfen verwandeln und sich als solche an die
Fensterscheiben ansetzen.
3. Warum erscheinen uns Sonne und Mond bei
ihrem Auf- und Untergänge grösser als sonst?
Die unteren Schichten der Luft sind dichter als die oberen.
Durch sie wird also das Licht geschwächt und erscheint weniger
hell als in grösserer Höhe. Bei dem Auf- und Untergange der
Sonne und des Mondes nehmen wir zugleich die zwischen ihnen
und uns befindlichen vielen Gegenstände auf dem Erdboden
wahr. Dadurch werden wir verleitet, sie für entfernter und
darum für grösser zu halten als sonst.
4. Warum schwimmt das Eis auf dem Wasser?
Das Eis ist leichter als das Wasser. Es kann daher in
demselben nicht untersinken. Das Wasser hat nämlich die be-
sondere Eigentümlichkeit, dass es beim Festwerden oder Er-
starren, statt wie die anderen Körper sich zusammenziehen und
dichter zu werden, sich ausdehnt. Eine bestimmte Menge Wasser
nimmt als Eis einen um 1/n grösseren Raum ein. Eis ist also
leichter als Wasser.
5. Warum quellen oft Thüren, Tischplatten oder
andere hölzerne Gerätschaften bei feuchtem Wetter
oder in feuchten Zimmern auf?
Das Holz dieser Gerätschaften hat Poren, also feine,
kleine Höhlungen. Die Wände derselben schrumpfen zusammen,
wenn das Holz ganz trocken ist. Aber sie erweitern sich durch
die eindringende Nässe, welche durch feuchtes Wetter oder ein
feuchtes Zimmer verursacht wird. Auf diese Weise dehnen
sich die Körper aus.
6. Warum halten Strohdächer im Sommer kühl,
im Winter warm?
Sie nehmen im Sommer die äussere Wärme nur langsam
und in geringem Grade an; daher kann der Raum, welchen sie
175
bedecken, nicht so erhitzt werden als unter anderen Dächern.
Im Winter dagegen verhindern sie wieder, dass die innere
Wärme des Hauses durch die äussere, kalte Luft plötzlich ab-
gekühlt wird. Unter Zink- oder Bleidächern ist es im Sommer
sehr heiss, im Winter sehr kalt, weil Metalle die Wärme und
Kälte leicht annehmen und weiter leiten.
7. Warum schützt uns im kalten Winter das Pelz-
werk gegen die Kälte?
Der Pelz wärmt nicht darum, weil er etwa selbst Wärme
enthält, sondern weil er verhindert, dass unsere natürliche
Körperwärme entweicht. Pelzwerk nimmt die Wärme nur sehr
langsam an und leitet sie daher auch nur sehr wenig weiter.
8. Warum empfinden wir im Sommer die Hitze in
schwarzen Kleidern mehr als in weissen.
Weil schwarze Kleider, wie überhaupt dunkelfarbige
Körper, die von der Sonne ausstrahlende Wärme leichter auf-
nehmen oder verschlucken, aber auch wieder leichter abgeben
oder ausstrahlen als weisse Kleider oder hellfarbige Körper,
welche die Wärmestrahlen vielmehr zurückwerfen. Hellfarbige
Sommerkleider schützen uns daher vor der Einwirkung der
Sonnenwärme. Dagegen wählt man zur Winterkleidung im
Zimmer besser dunkle Stoffe, welche die vom Ofen ausgestrahlte
Wärme leichter aufnehmen und dem Körper zuführen. Mit
Staub bedeckter Schnee schmilzt leichter als völlig reiner
Schnee. Dunkle Mauern werden mehr erwärmt als weisse.
9. Warum trocknet die Wäsche an feuchten Herbst-
tagen oft gar nicht?
An solchen Tagen ist die Luft schon so mit Feuchtigkeit
gesättigt, dass sie keine oder nur noch sehr wenig aufnehmen
kann. In trockener Luft trocknet daher die Wäsche besser
als in feuchter. Ebenso trocknet sie auch besser in warmer Luft
als in kalter, da die warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen
kann als die kalte. Dass aber selbst bei grosser Kälte noch
eine Verdunstung stattfindet, sehen wir daran, dass Wäsche
auch bei Frost trocknet, namentlich wenn die Luft zugleich
sehr trocken ist.
10. Warum sehen wir den Blitz eines in einer ge-
wissen Entfernung abgeschossenen Gewehres früher,
als wir den Knall hören?
Weil das Licht eine weit grössere Geschwindigkeit als der
Schall besitzt. Beide sind zwar durch das entzündende Pulver
des Gewehres verursacht, aber der Schall pflanzt sich nur lang-
sam fort, während die Geschwindigkeit des Lichtes so gross
ist, dass sie für irdische Entfernungen nur mit den künstlichsten
Mitteln gemessen werden kann. Für eine Strecke von 312
Meter braucht der Schall eine Sekunde, das Licht aber kaum
den millionsten Teil einer Sekunde.
176
11. Warum pfeifen aus Gewehren oder Kanonen
abgeschossene Kugeln auf ihrem Wege durch die Luft?
Die Kugeln bewegen sich mit ausserordentlicher Ge-
schwindigkeit und Kraft fort. Die Luft wird also gezwungen,
schnell auszuweichen. Dadurch entsteht eine heftige Erschütte-
rung derselben, die sich bis zu unserm Ohre fortpflanzt und
hier als ein Pfeifen empfunden wird.
12. Warum hört man entfernten Kanonendonner
besser, wenn man das Ohr auf die Erde legt?
Der Erdboden pflanzt den Schall mit grösserer Ge-
schwindigkeit fort als die Luft. Überhaupt leiten die meisten
festen Körper und selbst Flüssigkeiten den Schall mit grösserer
Geschwindigkeit weiter als die Luft. Dagegen wird die Fort-
pflanzung des Schalles gestört durch ungleichartige und vielfach
unterbrochene Körper. Namentlich lockere Körper, wie Tuch,
Pelz, Wolle, Baumwolle, Federn, Sägespäne, sind zur Fort-
leitung des Schalles wenig geeignet und schwächen ihn be-
trächtlich, weil in ihnen der Schall beständig aus einer festeren
Schicht in eine eingeschlossene Luftschicht und umgekehrt über-
gehen muss und dabei jedesmal gestört wird. Durch wollene
Decken oder Strohmatten, die man vor Fenster und Thüren
hängt, kann man das Geräusch der Strasse von einem Zimmer
fern halten.
13. Warum müssen die Achsen der Wagenräder
geschmiert werden?
Bei der Umdrehung der Räder um die Achsen findet
eine heftige Reibung statt. Dadurch würde bedeutende Wärme
erzeugt werden, die sich bis zur Entzündung der Achsen stei-
gern könnte, wenn die Reibung nicht durch eine dazwischen
gebrachte Flüssigkeit, namentlich durch Öl oder Fett, ver-
mindert würde.
14. Warum springen Funken ab, wenn man mit
einem Stahle an einen Feuerstein schlägt?
Durch das heftige Anschlagen des Stahles gegen den
harten Feuerstein springen kleine Stahlstückchen ab. Diese
werden durch die Hitze, welche die Reibung erzeugt, glühend,
wenn sie daher auf Schwamm oder Zunder fallen, so entzünden
sie diesen. Lässt man aber die Funken auf weifses Papier
fällen und betrachtet sie dann durch ein Vergrößerungsglas, so
kann man deutlich die geschmolzenen Stahlstückchen erkennen.
Auch vom eisernen Huf eines auf gepflasterter Strasse galop-
pierenden Pferdes sieht man abends glühende Teilchen umher-
sprühen. Wenn man zwei Kieselsteine heftig an einander
schlägt, werden ebenfalls glühende Steinstückchen losgerissen.
Überhaupt wird durch Reibung und starken Druck Wärme er-
zeugt. Ein Hammer erwärmt sich bei längerem Gebrauch,
177
und der Schmied kann einen Nagel durch geschicktes Hämmern
glühend machen. (Ule.)
XIII.
Die Liebe decket zu. Es donnern die Höhen. Es lebt ein Gott. Bunt
sind die Wälder. Die Blitze zucken schnell. Furchtbar rollt der Donner. Nach
oben blickt der Sterbende. Der wahre Freund ist treu. Die Freundschaft, die
echte, wankt nicht. Die Liebe, die duldende, trägt alles. Wahre Ruhe ist hienieden
nicht. Des Herbstes Stürme brausen. Treue fordert jedes Amt. 3 Emsig ^sam-
meln xbie Bienen ^Vorräte 4für den Winter. 4g-ür den Winter 3sorgt 4auch
2 der Dachs. 3Jn Scharen Ziehen ^täglich 3im Herbst 1 bie Zugvögel 3von hier
?nach wärmeren Ländern.
148. Die Dampfmaschine.
^Eine der großartigsten und nützlichsten Erfindungen, die der
rastlos forschende und unaufhaltsam weiter strebende menschliche
Geist in der neuern Zeit gemacht hat, 2ist 1 olfjne Zweifel 3Me Erfin-
dung der Dampfmaschinen. 3Die Eigenschaft des Wassers, durch
Warme in Dampf sich auszulösen, 3hat ^Anlaß zu dieser Er-
findung ^gegeben. 3Man ^ bemerkte ^nämlich 1 frurd) fortgesetzte Be-
obachtungen, ^daß das Wasser, wenn man es über dem Feuer in
Dunst (Dampf) verwandelt, einen sechzehnhundert mal größeren
Rauin verlangt, als es im tropfbarflüssigen Zustande einnimmt. Man
gewahrte ferner, daß die Wasserteilchen, wenn sie in Dampf über-
gehen, sich mit einer Kraft ausdehnen, der nichts zu widerstehen ver-
mag. Auf diese Wahrnehmung fußend, ist man endlich auf den
Gedanken gekommen, die ungeheure Kraft des Dampfes dem Menschen
dienstbar zu machen, und ein Engländer, Namens James Watt
(geb. 1736), war der erste, der die Dampfkraft zum Treiben einer
Maschine genau regelte. Natürlich war dieser Versuch, wie bei jeder
Erfindung, noch inangelhaft. Doch der menschliche Geist rastet nicht.
Hunderte von scharfsinnigen Köpfen sannen über die einmal ange-
regte Sache weiter llach, Verbesserungen folgten auf Verbesserungen,
und so sehet: wir denn jetzt, daß die Dampfmaschine ein mächtiger
Matrose, ein pfeilschnelles, gewaltiges Pferd, ein unermüdlicher
Wasserpumper, ein tausendarmiger Baumwollenspinner, ein
rastloser Weber, ein ausgezeichneter Müller und wer weiß, was
alles noch ist und sein wird.
3Früher ^waren 1 bie Dampfmaschinen ^insofern im höchsten
Grade lebensgefährlich, ^eü 3bei Überheizung der Maschine ^der
Kessel ^leicht zersprang und dabei die furchtbarsten Verwüstungen an-
richtete. Allein auch hier wußte der Scharfsinn des Menschen Ab-
hülfe zu schaffen. Jetzt wird an jedem Dampfkessel eine Klappe an-
gebracht, die, sobald sich im Kessel zu viel Dampf entwickelt, sich von
selbst öffnet und den überflüssigen Dampf unter gewaltigem Zischen
und Sausen ausströmen läßt. Diese Klappe heißt Sicherheits-
ventil.
Schraev, Lese- und Lehrbuch II. 2.
12
178
Erwägt man selbst nur den einzigen Umstand, wie großartig
die Leistungen und Wirkungen der Dampfwagen auf den Eisenbahnen
sind, wie eine einzige Lokomotive über 1000 Menschen in 30, 40
Wagen fast pfeilschnell dahin führt, so ist es nicht zu viel gesagt,
wenn man behauptet: ^Die Dampfmaschine ^ist 1bic Königin aller
Maschinen! (Colshorn, Kinderfreund.)
149. I)6i' Telegraph.
Neben den Eisenbahnen und vielen Chausseen laufen
Eisendrähte hin, welche an hohen Stangen befestigt sind. Sie
gehören zu den Telegraphen. Dies fremde Wort heisst Fern-
sprecher und bezeichnet eine Vorrichtung, durch welche man
in unglaublich kurzer Zeit nach den fernsten Orten hin Mit-
teilungen gelangen lassen kann.
Die Einrichtung der Telegraphen ist folgende: Wir wollen
annehmen, es soll von Berlin eine Depesche nach Stettin
geschickt werden. Aus dem Telegraphenzimmer zu Berlin geht
ein Draht bis in das Telegraphenzimmer in Stettin. Hier
ist er auf zwei kleine eiserne Cylinder (M), welche auf einer
eisernen Schiene befestigt sind, in vielen Windungen auf-
gewickelt, und sein Ende geht wieder ins Freie, wo er, mit
einer Zinkplatte versehen, in die feuchte Erde versenkt ist (P).
Die Cylinder stehen durch einen Kupferdraht mit einem elektri-
schen Apparate (S) in Verbindung, der eine fast unerschöpf-
liche Elektricitätsquelle ist.
In demselben Augenblicke nun, wo der Berliner Telegra-
phist den Draht mit dem nach Stettin führenden in Berührung
bringt, wird der ganze lange Draht bis Stettin elektrisch und
die beiden Eisencylinder magnetisch, und bleiben so lange
magnetisch, als die Drähte in -Berührung sind, und hören auf
magnetisch zu sein, sobald die Berührung aufhört. Über den
beiden Eisencylindern in ganz geringer Entfernung schwebt
179
horizontal ein Eisenstab, von
dem man in der Figur 2 nur
den Kopf (bei e) sieht. Er ist
an einem Hebel (f e b) befestigt;
dieser hat seinen Drehpunkt auf
der Säule B und wird durch eine
Spiralfeder (d) mit dem linken
Ende nach unten gezogen, damit
der eben genannte Eisenstab
(bei e) nicht auf die Eisen-
Fig. 2. cylinder fällt. An dem Ende
links (bei b) trägt der Hebel eine kleine, senkrecht in die
Höhe stehende scharfe Stahlspitze. Wenn nun die Eisencylinder
magnetisch werden, so ziehen sie den Eisenstab (bei e) an, der
Hebel geht hier nach unten, die Spitze also nach oben und
sticht liier in einen Papierstreifen (cc), welcher durch ein Uhr-
werk vermittelst zweier Walzen (aa) langsam gleichförmig fort-
gezogen wird. Wird nun der Hebel nur einen Augenblick von
den Eisencylindern rechts nach unten gezogen, so macht die
Stahlspitze blos ein kleines Loch, einen Punkt, in den Papier-
streifen. Dauert aber die Anziehung länger, so entsteht ein
Schlitz, ein Strich. Der Telegraphist in Berlin kann also auf
den Papierstreifen in Stettin beliebig Punkte oder Striche
machen, je nachdem er die Drähte nur einen Moment oder ein
kleines Weilchen in Berührung bringt.
Man hat nun für jeden Buchstaben des Alphabets ein
Zeichen aus Streifen und Punkten gebildet; so bedeutet z. B.
____________ . . . __.. u. s. w.
f r i e d
Daher kann der Berliner Telegraphist in dieser Zeichen-
schrift jede beliebige Nachricht auf den Papierstreifen in Stettin
schreiben.
Um die Drähte bequem in Berührung zu bringen und
diese wieder aufzuheben, bedient sich der Telegraphist des so-
genannten Schlüssels (K in Figur 1); derselbe ist einer eisernen
Thürklinke zu vergleichen, die, wenn man sie an dem Griff-
Ende niederdrückt, von selbst wieder in die Höhe springt.
Unter dem Griff-Ende liegt das Ende des nach Stettin gehen-
den Drahtes, an dem andern Ende ist der aus dem galva-
nischen Apparat kommende Draht befestigt. Sobald und so
lange man niederdrückt, berührt das Griff-Ende den Stettiner
Draht, und dieser ist nun vermittelst der Klinke mit dem
Berliner in Berührung; sobald man loslässt, ist die Berührung
aufgehoben. (Bock’s Lesebuch.)
12*
180
IV.
150. Das Wellenkleid der Erde.
(* Von Eugen Labes.)
Der Erde Silberwellenkleid
Ist weiten Meeres Pracht;
Am Tage glänzt's wie Goldgeschmeid
Und leuchtet in der Nacht.
Vom Himmel ist ein Gruß das Meer,
Der tränkt's mit milder Flut;
Es strahlt zurück den Himmel her,
Wenn es in Träumen ruht.
Erquickung sendet, Regen, Tau
Es hin in alle Welt,
Drum glänzt am Meer auch Feld und Au
Von frischem Glanz erhellt.
Aus allen Ländern zu uns trägt
Das Meer, was jeder baut,
Drum ob es ruht, ob's Wellen schlägt,
Es dankend jeder schaut.
151. Die Schönheit des Erdreichs.
(* Von E. Labes.)
Wo dereinst des Feuers Gluten
Flammten, einst ein Ocean
Noch gewallt mit Wassers Fluten,
Ragen Berge himmelan,
Grüßen sonnenhelle Matten,
Geben Bäume Schutz und Schatten;
Und in allen Erdcnzonen
Gottes Kinder friedlich wohnen,
Daß in aller Völker Auen
Sie auf Erden weiter bauen,
Mit den Gaben gottgegeben
Schaffen Bildung, neues Leben.
Schaut euch um im deutschen Lande:
Flüsse mit dem Silberbande
Auch das deutsche Land durchweben,
Ströme hin zum Weltmeer streben,
Die der Völker Sinn beleben,
Die des Menschen Geist erheben;
Dörfer, Städte magst du sehen,
Kündend deutschen Geistes Wehen;
Türme auf zum Himmel ragen,
Glocken Gottes Botschaft tragen
Weit hinein ins deutsche Land
Bis zum fernsten Meeresstrand.
Von den blauen Bergeshöh'n,
In des hellen Lichtes Glanze
Grüßt es 'in der Völker Kranze:
Gotteswelt, wie bist du schön!
152. Eine Reise durch Europa.
(* Von Lina Grafs.)
Das Reisen kostet vieles Geld,
Sonst reiste mancher durch die Welt;
Doch heute woll'n wir billig reisen.
Kommt her, ich will den Weg euch weisen!
Hier aus der Karte mit dem Stab,
Da führ' ich euch bergauf, bergab.
Zuerst geht es durchs Deutsche Reich,
Dem unserm Herzen keines gleich,
Und dann nach Östreich, wo ihr wißt,
Daß dort die „blaue Donau" stießt.
Nun geht es westwärts nach Tirol,
Vom „treuen Hofer" wißt ihr wohl; —
Dann nach der Schweiz, wo ohne gleichen
Die Berge in die Wolken reichen.
Jetzt laßt Italien uns durchziehn
Und schaun, wie die Citronen blühn,
Wo über dieser Erde Pracht
Ein ewig heitrer Himmel lacht.
Doch „weiter!" heißt es. — Nach der Reih'
Führt unser Weg uns zur Türkei;
Doch lang ist dort kein Aufenthalt,
Es zieht nach Griechenland uns bald,
Wo einst aus der Apostel Schar
Ein treuer Streiter Gottes war.
Nun müßt ihr schnell zu Schiffe steigen,
Soll ich das „schwarze Meer" euch zeigen;
Ja, tief und schaurig ist sein Grund!
Gottlob, daß frisch wir und gesund,
In Rußland angekommen sind
Nach unsrer Fahrt, trotz Wog' und Wind.
Wohl ist's ein Land, so groß und weit,
Voll stolzer Pracht und Herrlichkeit;
Doch äuß'rer Glanz thut's nicht allein,
Der Kern sei stark und fest und rein.
Jetzt hin nach Schweden. Eisenhart,
Doch treu und fest ist Volkes Art,
Und hat euch Land und Volk gefallen,
Müßt ihr zum Bruderstamme wallen:
Hin zu Norwegens Heldensöhnen,
Wo Felsen Meeresuser krönen.
Nun geht der Weg nach Dänemark,
Wo Roß und Menschen straff und stark;
Wollt ihr des Reiches Schätze seh'n,
Müßt ihr nach Kopenhagen gehn.
Was hilst's, ihr müßt eu'r Ränzlein schnüren,
182
Merkt auf, ich will euch weiter führen,
Zu schauen Hollands Blumensegen
Und Belgiens Fleiß auf allen Wegen,
Und habt ihr euch dran satt gesehn,
Da heißt es wieder: „Weiter gehn!"
Nur in das erste Schiff hinein,
Wir werden bald zur Stelle fein.
Durch den „Kanal" geht es, hurra!
Zur Insel Großbritannia.
Wohl find hier Schottlands Felsenhöh'n
Und Irlands Schluchten grausig schön;
In Englands Streben, Schaffen, Denken
Möcht man so Geist als Herz versenken,
Doch drängt die Zeit. Den „Ocean"
Durchsegeln wir und kommen an
Zur rechten Zeit in Portugal,
Bekannt durch Trauben ohne Zahl.
In Spanien, Kinder, stellt's euch vor,
Sah ich kein einzig „spanisches Rohr";
Nun gut, thut jeder feine Pflicht,
Brauch' ich das span'fche Röhrchen nicht.
Jetzt geht's nach Frankreich! Schönes Land,
Dem Eitelkeit und Unverstand
Gebracht viel Leid durch Kriegesnot
Und Freund und Feind den frühen Tod . . .
Und nun zurück ins Heimatland,
Ins teure deutsche Vaterland! —
War es auch „draußen" noch so schön,
Nichts kann uns über Deutschland gehn.
Da lebt sich's sicher, lebt sich's gut
In Gottes und des Kaisers Hut.
153. Europa.
Die Zahl der Erdteile (Europa, Asien, Afrika, Ame-
rika und Australien) ist derjenigen der Weltmeere gleich
(Grosser Ocean, Atlantischer Ocean, Indischer Ocean, Nörd-
liches Eismeer und Südliches Eismeer — „das Silberwellen-
kleid der Erde“). — Unter den Erdteilen ist Europa, ein-
geschlossen vom nördlichen Polarmeere, dem atlantischen Ocean
und Asien, viel mehr als die anderen Festländer vom Meere
183
gegliedert, d. li. das Meer dringt tief in das Land ein und
bildet Binnenmeere, Meerbusen und Halbinseln. Seitdem die
Schiffahrt sich so sehr ausgebildet hat, trennen die Meere nicht
mehr die Länder, sondern verbinden sie. Das Innere eines
ausgedehnten Landes aber bleibt nur durch das Meer und
schiffbare Ströme leicht zugänglich, so wie nur durch diese die
Menschen leicht aus dem Binnenlande hinaus und mit anderen
Ländern verkehren können. So ist es gekommen, dass die
Europäer viel früher in Verbindung unter sich und mit anderen
Erdteilen getreten sind, als in Asien, Afrika oder Amerika.
Die Europäer haben ihre Sitten, Gewerbe, Künste, Erfindungen
nach anderen Erdteilen gebracht, sie allein haben den Segen
des Christentums unter den wilden Völkern zu verbreiten sich
bemüht; sie allein haben dadurch in allen anderen Erdteilen
sich eine Heimat gegründet, sich grosse Länder dort unterworfen
und führen den Reichtum der neuen Heimat durch den Handel
nach der alten.
Die vorzüglichsten Binnenmeere und Meerbusen Euro-
pas sind: Das weifse Meer, der Bottnische, Finnische und
Rigaische Busen, Zuider See, Biskaischer Meerbusen, Busen
von Lion, von Genua, von Venedig und von Salonichi. —
Unter den Halbinseln sind zu bemerken: Die Pyrenäische
Halbinsel (Spanien und Portugal), Italien, Skandinavien (Nor-
wegen und Schweden) die Balkan - Halbinsel (Türkei und
Griechenland), Jütland und die Krim. — Die hauptsächlich-
sten Europäischen Inseln sind: Grossbritannien (England und
Schottland), Irland, Sicilien, Sardinien, Korsika, Kandia (oder
Greta), Seeland, Rügen und Helgoland. — An Meerengen
besitzt Europa eine grosse Zahl: Der Sund führt von der
Nord- in die Ostsee, und diese wird wieder durch den grossen
und kleinen Belt mit dem Kattegat vereinigt; zwischen Eng-
land und Frankreich ist der Englische Kanal; die Strasse
von Gibraltar verbindet das Mittel- und das Atlantische
Meer; die Strasse der Dardanellen (oder Hellespont) führt
vom Archipelagus ins Marmara-Meer, das wiederum mit dem
Schwarzen Meer durch die Strasse von Konstantinopel
(oder den Bosporus) in Verbindung steht, U. a. m.
Kein Land Europas hat eine so günstige Lage am Meer,
so zugängliche, hafenreiche Küsten, als Grossbritannien und die
Niederlande. Das haben die Engländer und Holländer wohl
benutzt. Die ersteren besitzen jetzt weite, reiche Länder in
Asien, Afrika, Amerika und Australien, die letzteren auf den
indischen Inseln. Nächst ihnen sind die Deutschen in allen
Teilen der Erde, besonders in Nord-Amerika heimisch geworden,
nicht Länder erobernd, sondern durch die Künste des Friedens,
Ackerbau, Handel und Gewerbe. Durch Sitte und Achtung
vor dem göttlichen und menschlichen Gesetz haben sich die
184
Deutschen überall Ehre, Vertrauen und Einfluss erworben und
gesichert. — Auch Franzosen und Spanier haben Kolonien in
anderen Erdteilen, aber keinen so bedeutenden Einfluss auf die
fremden Völker erlangt. Die Russen haben sich das ganze
nördliche Asien unterworfen und machen immer weitere Fort-
schritte in die grossen Länder dieses grössten Erdteils.
Wenige Länder Europas sind ganz frei von Gebirgen.
Die Alpen sind zwischen Frankreich, Deutschland und Italien,
die Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich, die Apen-
ninen in Italien, die Karpathen zwischen Ungarn und
Galizien, das Kiölengebirge zwischen Norwegen und Schwe-
den, der Balkan ist in der Türkei, das Uralgebirge
zwischen Europa und Asien und der Kaukasus im südlichen
Russland. Der höchste Berg der europäischen Gebirge ist der
Montblanc in den (Penninischen) Alpen. Das nördlichste
Vorgebirge in Europa heisst Nordkap, das südlichste Mata-
pan (Südspitze von Griechenland). Unter den Vulkanen ist der
V es uv bei Neapel in Italien bekannt, wie der Ätna auf
der Insel Sicilien. — Von den Landseen sind der Ladoga und
Onega-See in Russland, der Wen er-See in Schweden und
der Bo den-See im Südwesten Deutschlands als die grössten
zu merken. Unter den Strömen zeichnen sich Wolga (über
400 Meilen lang), Don und Dnjepr in Russland, wie Donau,
Rhein, Elbe und Weichsel aus. — Die bedeutendsten Euro-
päischen Städte sind: London (über 3 Mili. Einw.), Paris,
Wien, Berlin, Constantinopel, Petersburg, Liverpool, Neapel,
Moskau, Madrid, Dublin, Lissabon, Brüssel, Amsterdam, Rom,
Palermo, Edinbnrgh, Hamburg, Kopenhagen u. n. a. — Ausser
einer ganzen Zahl von Königreichen, Grossherzog-, Herzog-
und Fürstentümern zählt Europa 4 Kaiserreiche: Deutsch-
land, Östreich, Russland und die Türkei. Der Kaiser
von Russland führt den Titel Czar, das Oberhaupt der Türkei
heisst Sultan. — Infolge des letzten deutsch-französischen Krieges
wurde das Kaiserreich Frankreich zur Republik erklärt,
während das im Herzen Europas liegende Deutschland als
neu erstandenes Kaiserreich mit dem ersten liohenz oll ersehen
Kaiser an der Spitze unter die Zalil der Grossstaaten trat,
(mit 9888 □ Meilen = 544,450 □km.)*) und 45 Milk
Einwohnern.**)
(Zum Teil aus Preufs Kinderfreund.)
*) Nach Seydlitz 1873.
**) Nach Fr ahm Schulgeographie von 1884 — und 9800 □ Meilen
Grösse.
185
154. Deutschland über alles.
1. Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt,
wenn es stets zu Schutz und Trutze
brüderlich zusammenhält,
von der Maas bis an die Memel,
von der Etsch bis an den Belt.
Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in. der Welt!
2. Deutsche Frau'n und deutsche Treue,
deutscher Wein und deutscher Sang
sollen in der Welt behalten
ihren alten, schönen Klang
und zu edler That begeistern
unser ganzes Leben lang.
Deutsche Frau'n und deutsche Treue,
deutscher Wein und deutscher Sang.
3. Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Darnach laßt uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand. —
Blüh' im Glanze deines Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!
(Hoffmann von Fallersleben.)
155. Deutschland.
Deutschland gehört zu den schönsten Ländern, welche die Sonne
begrüßt in ihrem ewigen Laufe. Unter einem gemäßigten Himmel,
unbekannt mit der sengenden Luft des Südens wie mit der Erstarrung
nördlicher Gegenden, zeigt es die größte Abwechselung, die reichste
Mannigfaltigkeit, köstlich für den Anblick, erheiternd und erhebend
für das Gemüt, und bringt alles hervor, was der Mensch bedarf zur
Erhaltung und zur Förderung des Geistes, ohne ihn zu verweichlichen,
zu verhärten, 511 verderben. Der Boden ist fähig zu jeglichem An-
bau. Unter dem bleibendeil Schnee der Alpen dehnen sich die herrlich-
sten Weiden aus, von der Wärme doppelt belebt, die an jenem
wirkungslos vorüberging. Air der kahlen Felswand zieht sich ein
üppiges Thal hinweg. Neben Moor und Heide, nur von der bleichen
Binse und von der Brombeerstaude belebt, und menschlichem Fleiße
nichts gewährend als die magere Frucht des Buchweizens oder des
Hafers, erfreuen das Auge des Menschen die kräftigsten Fluren,
geeignet zu den schönsten Saatfeldern und zu den herrlichsten Er-
zeugnissen des Gartenbaues. Fruchtbäume prangen in unermeßlicher
Menge und in jeglicher Art, vom sauren Holzapfel bis zur lieblichen
Pfirsich. Hoch auf den Bergen des Landes erhebt unter Buchen
und Tannen die gewaltige Eiche ihr Haupt zu den Wolken empor
und blickt über Abhänge und Hügel hinweg, welche den köstlichen
Wein erzeugen, die Freude der Menschen.
Kein reißendes Thier schreckt, kein giftiges Gewürm droht,
kein häßliches Ungeziefer quält. Aber Überfluß gewährt das Land
an nützlichem Vieh, an kleinem wie an großem, für des Menschen
Arbeit, Zwecke und Genüsse. Das Schaf trägt Wolle für das feinste
Gespinst, der Stier verkündet Kraft und Stärke in Bau und Ge-
stalt, das Pferd geht tüchtig einher im Fuhrwerke, prächtig vor dem
186
Wagen der Großen und stolz als Kampfroß unter dem Krieger, hier
ausdauernd und dort.
In ihrem Innern verbirgt die Erde große und reiche Schätze.
Aus vielen und unerschöpflichen Quellen sprudelt sie freiwillig den
Menschen Heilung zu und Gesundheit und Heiterkeit. Den fleißigen
Bergmann belohnt sie bald mit dem edelsten Gewürze, dem Salze,
bald mit Silber und Gold, hinreichend für den Verkehr und die
Verzierung des Lebens, bald mit Eisen in Menge, dem Manne zur
Waffe und Wehr, zu Schutz und Schirm dem Volke.
Ein solches Land, mit so reichen Gaben, Eigenschaften und
Kräften ausgestattet, ist von der Natur unverkennbar bestimmt, ein
großes und starkes Volk zu ernähren in Einfalt und Tugend und
eine hohe Bildung des Geistes in diesem Volke durch Übung und An-
strengung zu erzeugen, zu erhalten, zu fördern.
Auch ist das Land nicht umsonst bestimmter Grenzen beraubt,
gegen Morgen wie gegen Abend und selbst gegen Mitternacht und
Mittag. Tie Bewohner können sich gegen den Neid, die Habsucht
und den Übermut fremder Völker auf nichts verlassen als auf ihre
eigene Kraft. Es giebt für sie keine Sicherheit als in ihrem festen
Zusammenhalten, in ihrer Einigkeit, in ihrer sittlichen Macht.
Endlich ist den Bewohnern dieses Landes durch große und
schöne Ströme das Meer geöffnet und der Zugang zur Welt. Aber
das Meer drängt sich nicht so verführerisch an sie heran oder zwischen
sie hinein, daß sie verlockt und dem heimatlichen Boden entfremdet
werden könnten. Vielmehr kann der edlere Mensch dem Gedanken
an eine deutsche Erde und an einen deutschen Himmel nicht ent-
gehen, und dieser Gedanke scheint in ihm die Sehnsucht erhalten zu
müffen zu der Welt seiner Geburt und die Liebe zu dem Boden
seines Vaterlandes. — — Die Deutschen find ein „einig Volk von
Brüdern", unter welchen jeder echte und rechte Deutsche sich in seinem
engeren Vaterlande und -ländchen glücklich fühlt. Eins der gesegnet-
sten Länder Deutschlands ist Mecklenburg.
(Luden.)
156. Mecklenburgs Schönheit.
1. Du herrlich Land, mein Heimatland,
Du Perle an der Ostsee Strand,
Du Land mit weichen grünen Matten,
Mit frischem, kühlem Waldesschatten,
Mit reichen Feldern, blauen Seen,
Wie bist du doch so wunderschön!
2. Geschmückt bist du zu jeder Zeit.
Wenn Frühling seine Blüten streut,
Wenn goldne Saaten schwer sich neigen,
Wenn Frucht an Frucht hängt an den Zweigen,
Wenn weiss bekränzt die Bäume stehn:
Du Heimatland bist immer schön.
187
3. Und über Land und über Volk
Da waltet stark und weis’ und hold
Ein Fürstenhaus in reichem Segen,
Das Glück ausstreut auf allen Wegen,
Ein reich Geschlecht von edlem Blut,
Des treuen Volkes höchstes Gut.
4. 0 glücklich Volk am Meeresstrand,
Gott schütze dich und auch dein Land!
Er führe dich die rechten Pfade
Und bleib’ bei dir mit seiner Gnade!
Er schütte auf dein Fürstenhaus
Den reichsten Himmelssegen aus!
(W. Greve’s Heimatskunde.)
157. Die alten Bewohner Mecklenburgs.
Die geschriebenen Urkunden und Nachrichten über unser Volk und Land
reichen nicht weiter, als bis zum Jahre 748 n. Chr. zurück, und auch von hier
an bis etwa 460 Jahre später beschränken sich die Berichte auf gelegentliche Er-
wähnungen in den Schriften anderer Völker. Über die Bewohner Mecklenburgs
zur Zeit Christi und in noch früheren Jahrhunderten finden wir nur mangelhafte
Aufschlüsse in den Wohnstätten der Toten: in den Gräbern.
In sehr früher Zeit hat hier ein Volk gehaust, welches zu dem noch jetzt in
Lappland lebenden Volksstamm gehört zu haben scheint. Roh aus Knochen gearbeitete
Geräte nebst Kohlen und Asche fanden sich in manchen Gräbern dieses Urvolkes, der
Lappen. Wir wissen nicht, wie lange Zeit dieses Hirtenvolk die Länder an der
Ostsee durchzogen hat, wir wissen auch nicht, wann Stämme aus dem Innern
Asiens, welche wahrscheinlich als Jäger und Fischer in den Wäldern und an den
Strömen und zahlreichen Seen wohnten, sie verdrängten. Die Gräber dieses
Volkes bilden einen länglichen Erdhügel von manchmal 50 Schritt Länge mit
ringförmig herumgepflanztcn Steinblöcken. Hünengräber heißen diese Begräbnis-
plätze im Munde des Volkes, und sie haben jedenfalls die Sage von einem Riesen-
volke (Hünen) veranlaßt, welches einst in Mecklenburg gehaust haben soll. Man
verbrannte damals die Toten, sammelte die Asche in thönernen Urnen und grub
sie nebst Waffen und Geräten des Verstorbenen in die Erde. Die Waffen sind
meistens aus Feuerstein gehauen, bestehen aus keilförmigen, wohlgeformten
scharf geschliffenen Äxten. Außerdem findet man meißelförmige, messer- und säge-
artige Werkzeuge. Metall haben die damaligen Bewohner Mecklenburgs nicht ge-
kannt und es ist zu bewundern, daß sie aus so hartem Material, wie der Feuer-
stein es ist, so zierliche Gegenstände verfertigen konnten. In neuerer Zeit hat man
entdeckt, daß jene Menschen, vielleicht um sich vor Feinden zu schützen, ihre Woh-
nungen im Wasser auf eingerammten Pfahlwcrken errichteten (Pfahlbauten).
In vielen Seen der Schweiz und Oberitaliens stehen diese Pfähle noch im Grunde
des Wassers, und man fand die eben beschriebenen Werkzeuge und Geräte der
Pfahlbauer, nebst Früchten und Tierknochen noch vor. Auch in Mecklenburg ist
der Pfahlbau beobachtet worden, aber viele der Seen haben sich im Laufe der
Zeit zu Torfmooren umgewandelt, und man fördert daher beim Torsgraben die
188
Sachen ans Tageslicht, von denen in den Altertumsmuseen zu Schwerin und Neu-
strelitz eine reiche Anzahl aufbewahrt wird.
Mit ihren Steinäxten waren jene Menschen gewiß nicht imstande, die
dichten Wälder zu fällen, welche Deutschland bedeckten, und sicher konnten sie auch
einem Feinde nicht widerstehen, dessen Hand metallne Waffen führte. Wahrschein-
lich erlagen sie auch einem von Osten her plötzlich hereinbrechenden Volksstamme.
In den auch bei uns sehr zahlreichen, nur aus aufgehäufter Erde bestehenden,
backofenähnlichen Kegelgräbern liegen nämlich Waffen und Geräte von
Bronze (einer Zusammenschmelzung von Kupfer und Zinn), Schmucksachen von
feinem Golde und von Bernstein. Man findet kurze, zweischneidige Schwerter,
Dolche, Spitzen von Wurfspießen, Ringe zum Schutz und zur Zierde der Arme
und Hände, Nadeln zum Zusammenheften der Kleider, Sicheln, Messer und Münzen
römischen Ursprungs.
Die Erbauer der Kegelgräber waren die Germanen, die Urväter der
jetzigen Deutschen. Sie werden geschildert als Menschen, die sich durch hohe
Gestalt und Körperschönhcit auszeichneten (— mit blauen Augen und blonden
Haaren —), voll Mut, Stärke und Tapferkeit, deren Freiheitssinn das Wohnen
in Städten oder Burgen nicht zusagte. Jeder saß in der Mitte seines Eigentums,
mit Jagd und mit Viehzucht mehr als mit Ackerbau beschäftigt. Die Reinheit der
Sitten, ihre Gasffreundschaft, Treue, Vaterlandsliebe und Redlichkeit wird selbst
von ihren Feinden anerkannt, doch tadeln diese an ihnen Hang zum Trunk und
Spiel. Ihre Religion war eine heidnische: sie verehrten ihre Götter in geheiligten
Hainen, wo am Opfersteine durch die Hand der Priester nicht selten Menschen ge-
schlachtet wurden. Es gab dreierlei Stände: Freie, die ein festes, nach dem
Recht der Erstgeburt vererbbares Eigentum besaßen; Lehnsleute, die von
einem Freien ein Gut gegen Abgabe geliehen hatten, oder als Dienstmänner (Va-
sallen) unter ihnen standen, und leibeigene Knechte, gewöhnlich Kriegs-
gefangene, welche die häuslichen Geschäfte besorgten und den Acker bebauten. In
den Versammlungen der Freien wurden die Heerführer (Herzoge), die Richter eines
Gaues (Graven) und die Priester gewählt; von ihnen wurden die Gesetze beraten,
nach welchen in öffentlichen Versammlungen vor allem Volk das Recht gesprochen
wurde. Das römische Volk, damals das mächtigste auf der Erde, hat mehr als
einmal vor diesen gewaltigen blondhaarigen Kriegern gezittert und um die Zeit,
da Christus lebte, vergeblich seine Unterjochung versucht. Die römischen Feld-
herren Drusus und Varus, welche vom Rheine her in Deutschland vordrangen,
sind nicht bis zu Mecklenburg gelangt.
Schon seit dem 3. Jahrhundert nach Chr. Geb. waren einzelne deutsche
Stämme, gedrängt von asiatischen Horden, nach Süden und Westen gezogen. Bis
in das 6. Jahrhundert dehnte sich das Hin- und Herfluten der europäischen und
nordasiatischen Bevölkerung aus (Völkerwanderung). In dieser Zeit wurde
auch Mecklenburg von den Wenden, einem Zweige des großen slavischen
Volksstammes (dem die Russen, Polen und Czechen in Böhmen angehören), in Besitz
genommen. Auch die Wenden verbrannten ihre Leichname, sammelten die Asche
in Urnen und begruben sie in großer Zahl nebeneinander in der Erde, ohne aber
große Hügel auszuwerfen oder Steine zu errichten. Die aufgefundenen Waffen
und Geräte sind meist aus weichem Eisen, die Schmucksachen von Silber, Bronze
und Glas. Aus dem Jahre 748 haben wir die ersten Nachrichten
189
über Mecklenburg und seine Bewohner. Wir erfahren über die Wenden
folgendes:
Eigentliche Städte besaßen sie nicht, sondern sie wohnten in einzelnen Ge-
höften, von wo sic sich in Kriegszeiten nach den, meistens in Sümpfen angelegten
und durch hohe Wälle geschützten Burgen zurückzogen, deren es eine große An-
zahl im Lande gab. Mit ihrem Ackerbau scheint es nicht sonderlich bestellt ge-
wesen zu sein; der Hauptgegenstand desselben war der Flachsbau. Viehzucht, Jagd
in den Wäldern, sowie Fischerei in den zahlreichen Gewässern sagten ihnen mehr
zu; wo sie aber der Meeresküste nahe wohnten, waren Sceräubercien ihre Lieblings-
beschäftigung.
Ihre Religion bestand aus Götzendicnerci. Einige ihrer Götzen wurden
ohne Bilder in heiligen Hainen verehrt; die in wirklichen Tempeln verehrten
Götzenbilder waren von sehr wunderlicher Gestalt, manche mit zwei, drei oder gar
noch mehr Köpfen. Einer der berühmtesten Tempel befand sich zu Rhctra, welches
wahrscheinlich bei dem jetzigen Dorfe Prillwitz (zwischen Neubrandcnburg und Neu-
strelitz) lag. Den Göttern zu Ehren wurden Feste gefeiert, bei welchen Rinder
und Schafe, oft auch Menschen geopfert wurden, und die mit einem Gelage schlossen.
Die Wenden waren ein harter Menschenschlag, vor keiner Gefahr und Be-
schwerde erschreckend, dabei rauh und ungestüm, wild, roh und grausam; auf
Räuberei und Krieg stand all ihr Sinnen und Denken. Ihre Kriege, die sie zur
See mit den Dänen und auf dem Lande mit den Deutschen jenseits der Elbe
führten, hörten fast nie auf. Dagegen wird ihre Gastfreundschaft rühmend her-
vorgehoben. Niemand brauchte bei ihnen um gastliche Aufnahme zu bitten; was
sie durch Ackerbau, Jagd und Fischerei erwarben, gaben sie mit vollen Händen hin.
Wenn jemand durch Alter oder Krankheit zur Arbeit untüchtig wurde, so nahm
sich der nächste Verwandte seiner an, daher fand man bei ihnen keinen Armen
und Bettler.
Die mecklenburgischen Wenden zerfielen in mehrere, zum Teil von Fürsten
regierte Volksstämme, unter denen die Obotritcn im nordwestlichen und die
Lcutiticr im östlichen Landesteile die angesehensten waren. Von der Burg der
Obotritcn, Michilcnburg, deren Wälle unweit des Dorfes Mecklenburg, eine Meile
südlich von Wismar, noch aus sumpfigen Wiesen hervorragen, ist der Name auf
das ganze Land übertragen worden. Die nächsten deutschen Nachbarn der Wen-
den waren die gegen Ende des 8. Jahrhunderts zum Christentum bekehrten
Lachsen, welche jenseits der Elbe in Hannover und Braunschweig wohnten.
Heutigen Tages wohnen die Wenden nicht mehr in Mecklenburg, nur eine
große Anzahl von teilweise sehr sonderbar klingenden Ortsnamen erinnert an ihre
Sprache, und in einigen südlichen Landstrichen, z. B. in der Gegend von Eldena,
Lübtheen, Grabow und Neustadt, bekundet das schwarze Haar und die gelbe Haut-
farbe eines Teils der Bevölkerung noch die slavische Abkunft.
Uber dreihundert Jahre, von den Zeiten Karl des Großen bis zum Jahre
1160, dauerten zwischen den Wenden und den benachbarten Deutschen die Kämpfe,
die mit der Besiegung und Unterwerfung der Wenden unter die Herrschaft des
Sachsenherzogs Heinrich des Löwen endigten. Zahlreich sind die Versuche in
diesem langen Zeitraume, die Wenden zum Christentume zu bekehren; hartnäckig
war der Widerstand der Heiden. Die Art, wie damals von den Sachsen die neue
Religion verbreitet wurde, war freilich keine sehr milde und liebevolle. Die „Un-
190
gläubigen" wurden mit Feuer und Schwert unterworfen. Das Christentum ttrnrbe,
roenn es schon einige Wurzeln geschlagen hatte, mehrmals gänzlich wieder aus-
gerottet, ja es wurden von kriegerischen Wendenfürsten sogar Teile des christlichen
Sachsenlandes zeitweise unterjocht.
Im Jahre 1147 verabredeten die norddeutschen christlichen Fürsten und
Bischöfe einen förmlichen Kreuzzug gegen die Wenden. Der Herzog Heinrich von
Sachsen, genannt der Löwe, stand an der Spitze des Christenheeres; Niclot,
Fürst der Obotriten (und der Stammvater des ganzen jetzt noch regierenden mecklen-
burgischen Fürstenhauses), war sein Hauptgegner. Niclot hatte seine festen Burgen:
Jlow, Mecklenburg, Schwerin und Dubin, in Brand gesteckt und sich in die kleine,
aber starke Veste Werte an der Warnow (nicht weit von der jetzigen Stadt
Schwaan) zurückgezogen. Hier ward er von dem Sachsenheere belagert und bei
einem Ausfalle getötet. Heinrich der Löwe warf bald auch den Widerstand, den
Niclots Söhne noch zu leisten versuchten, darnieder und ward völlig Herr des
Wendenlandes, doch gab er nach einiger Zeit dem einen Sohne Niclots, Pribis-
lav, das Reich des Vaters zurück. Dieser ließ sich im Jahre 1164 taufen
und mit ihm wurden seine slavischen Unterthanen Christen. Er
regierte fortan als Vasall des Sachsenherzogs, und Mecklenburg wurde somit
ein Teil des deutschen Reiches. Von dieser Zeit an herrschte das Christen-
tum; zu Ratzeburg und Schwerin wurden Bistümer errichtet, in Doberan (1170),
Dargun, Neukloster, Eldena u. s. w. stiftete man Klöster. Die langjährigen
Kämpfe hatten aber das Land in hohem Grade verödet und entvölkert und so
zogen von Westen her zahlreiche deutsche Einwanderer aus Sachsen, Westfalen
und Friesland nach Mecklenburg. Von jetzt an gewann nach und nach deutsches
Wesen die Oberhand; die Slaven wurden entweder zur Auswanderung gezwungen,
oder man duldete sie in untergeordneten, gedrückten Verhältnissen, bis allmählich
ihre Sitten und Einrichtungen unter deutscher Lebensweise verschwanden. Mit den
Deutschen trat ein neuer Stand in das Volksleben ein: der Bürgerstand; denn
sie gründeten in rascher Folge vom Jahre 1166 ab viele Städte, deren älteste
S ch w er in ist.
(Raettig, Heimatskunde.)
158. Joachim Sliiter, der Reformator von Rostock.
(* Von A. S. in W.)
Die Anmaßung der Päpste, sowie die Verderbtheit und Zucht-
losigkeit der Geistlichen hatte schon zu verschiedenen Zeiten Männer
erweckt, welche, von heiligem Zorne erfüllt, mit Eifer gegen solche
Schäden innerhalb der Kirche auftraten: Petrus Waldus, John
Wicklef, Johann Huß. Diese frommen Männer fanden zwar
auch begeisterte Anhänger, aber mußten schließlich der Übermacht
ihrer Gegner erliegen und oft mit Verfolgung und qualvollem Tode
ihr mutiges Auftreten büßen. Ähnliche Bestrebungen verfolgte, aber
auch ähnliche Schicksale erlitt in Mecklenburg Nikolaus Ruß, ein
Priester zu Rostock, der durch seinen Verkehr mit böhmischen Brüdern
und durch das Studium der heiligen Schrift zu der richtigen Er-
kenntnis der Heilswahrheiten gekommen war, durch seine begeisterte
191
Predigt — namentlich gegen einen frechen Ablaßkrämer*) — manche
Anhänger gewann, schließlich aber zur Flucht gezwungen wurde und
fern der Heimat in Livland starb.
Seine Flucht fiel ins Jahr 1517, und es schien, als ob grade
zu der Zeit, da in Wittenberg das Werk der Reformation seinen
siegreichen Anfang nahm, in Rostock der römischen Lehre unum-
schränkte Herrschaft gesichert wäre; denn mit einer einzigen Ausnahme
waren sämtliche Lehrer an der i. I. 1419 gestifteten Universität
sehr eifrige Katholiken, einer sogar Mitglied des Jnquisitions-
gerichtes**). Gleich eifrig waren natürlich die Prediger an den vier
Hauptkirchen, und auch die sieben andern Kirchen der Stadt wurden
von einer eben so zahlreichen wie starrsinnigen katholischen Geistlich-
keit verwaltet. Nehmen wir hinzu, daß auch der Rat, sowie die
meisten Adeligen und Vornehmen streng katholisch waren, so können
wir mit Recht die ganze Stadt als eine feste Burg des Katholizis-
mus bezeichnen. Und diese Burg war der Schauplatz, auf welchem
der erste evangelische Prediger in Mecklenburg, Joachim Slüter, auf-
zutreten berufen war: fürwahr, ein gewaltiges und gefährliches
Werk, und doch gelang es ihm unter dem Segen des Herrn, in acht
kurzen Jahren allein durch die Kraft seines Wortes den Sieg über
alle Feinde des Evangeliums davonzutragen.
Joachim Slüter war ums Jahr 1490 zu Dömitz an der
Elbe geboren. Er hieß eigentlich Kutzker, nahm aber nach dein frühen
Tode seines Vaters, der ein Fährmann war, den Namen seines
Stiefvaters an. Durch Luthers, Melanchthons und Bugenhagens
Einfluß dem Evangelium gewonnen, kam er 1521 als begeisterter
Anhänger der Reformation aus Wittenberge nach Rostock, wo er
anfangs Lehrer an der Schule, nach zwei Jahren aber durch Ver-
mittelung seines Gönners, Herzog Heinrichs des Friedfertigen, zweiter
Prediger (Kaplan) an der Kirche zu St. Peter wurde. So hatte er nun
auch einen Zugang zu den Herzen der Erwachsenen und verkündete furcht-
los und treu, in schlichter, aber gewaltiger Rede und in der allgemein
verständlichen plattdeutschen Mundart die in der Welt fast unbekannt
gewordene Botschaft non der Gnade und Liebe Gottes, von der durch
Jesu Christi Verdienst geschehenen Erlösung. Die katholische Geistlich-
keit, eifersüchtig auf den großen Beifall, den Stüters Predigten bei
den Bürgern, ganz besonders auch bei den Frauen fanden, boten
alles auf, sich eines so gefährlichen Gegners zu entledigen; sie sende-
ten sogar bewaffnete Scharen aus, ihn gefangen zu nehmen, so daß
Slüter sich schließlich gezwungen sah, die Stadt zu verlassen. Nach
neunmonatlicher Abwesenheit jedoch führte ihn Herzog Heinrich unter
sicherem Geleit zurück, und glaubensmutig begann Slüter aufs neue,
für die Ehre Gottes gegen den Hochmut der Priester zu streiten,
aber ohne weltlichen Eifer und ohne Haß. Durch Sanftmut und
*) Arcimboldus.
**) Inquisition — (peinliche) Ausforschung; Ketzer- oder Glaubensgericht.
192
Liebe suchte er feine Widersacher zu gewinnen und ihnen aus der
heiligen Schrift zu beweisen, daß Luthers Lehre in allen Stücken
mit ihr übereinstimme. Am Sonntagmorgen predigte er über die
Evangelien, am Nachmittage über die Episteln, und am Montag
legte er die prophetischen Bücher aus, ein Fleiß, der ihm von den
katholischen Priestern, die im Predigen minder eifrig waren, höchlich
verübelt wurde. Er führte nach Luthers Vorgang den deutschen
Kirchengesang ein und teilte Christi Einsetzung gemäß das heilige
Abendmahl unter beiderlei Gestalt aus.
In dichtgedrängten Massen scharte sich eine aufmerksame Ge-
meinde, aus allen Teilen der Stadt zusammengeströmt, um den be-
geisterten Propheten. Die Kirche wurde bald zu klein; er mußte vor
derselben unter freiem Himmel predigen, und selbst die Mauern des
Kirchhofs, ja die Zweige der großen Linde, in deren Schatten er
seine Kanzel aufgestellt hatte, waren von andächtig Lauschenden besetzt.
Immer leerer aber wurden die übrigen Kirchen der Stadt, und die
Zorn- und Schimpfreden des aufs heftigste wider Luther und Slüter
eifernden Dominikanermönchs Michael Rotstein, der die Flammen
des Scheiterhaufens anzuzünden sich sehnte für alle Neuerer und
Andersgläubige, verhallten fast angehört in der verödeten Johannis-
kirche. Bald erkannten die Katholiken, daß die Predigt gegen den
vermeintlichen Ketzer kein ausreichendes Mittel sei, und so schritten
sie aufs neue zu Gewaltmaßregeln. Der Rat verbot zunächst den
katholischen Schulmeistern, die verstorbenen Anhänger der neuen
Lehre unter den gebräuchlichen kirchlichen Gesängen zu Grabe zu
geleiten, wogegen Slüter aus Bürgern und Handwerksgesellen einen
evangelischen Kirchenchor errichtete. Dann versuchte man, ihn ge-
fangen zu nehmen, und nur der Mut seiner Freunde, welche ihren
teuren Seelsorger mit Gewalt den Händen der städtischen Büttel
entrissen, verhinderte seine räuberische Entführung. Lästerreden,
Spottlieder, heimliche Nachstellungen verfolgten ihn unaufhörlich. Ein
junger Priester nahm in seinem Übereifer Anstoß an der Inschrift:
„Gottes Wort bleibet in Ewigkeit", welche Slüter über seiner Haus-
thür angebracht hatte, und verlöschte sie mittels eines Teerquastes;
als aber der Übelthäter plötzlich erblindete, sah man dies allgemein
als ein Gottesgericht an und verehrte den „Magister" nur um
so mehr.
Da die bisherigen Angriffe gegen den treuen Glaubenszeugen
erfolglos geblieben waren, schritt man zur List und versuchte, ihn zu
vergiften. Die Mönche des Franziskanerklosters luden ihn zu einem
Gastmahl ein. Arglos erschien er zur rechten Zeit. Als er aber
durch die Küche ging, sagte ihm ein armes Mädchen, das beim
Bratenwenden angestellt war: „Lieber Herr Joachim, esset nicht von
diesem Braten; es ist Gift daran." Slüter beurlaubte sich also von
den Mönchen unter dem Vorwände, er habe vergessen, den Schlüssel
zu seinem Zimmer abzuziehen, was ihm sehr unlieb wäre, und
kam nicht wieder.
Trotz aller Verfolgungen jedoch fand keine Bitterkeit in seinem
Herzen Raum. In jeder Predigt betete er für seine Feinde und
ermahnte die Bürger, welche am liebsten durch Erstürmung der
Mönchsklöster sich ihrer Quälgeister entledigt hätten, zur Ruhe und
Geduld, da Gott sein Reich nicht mit Gemalt ausbreiten wolle.
Gern verglich er sich mit Johannes dem Täufer, indem er sich an-
sah als Vorläufer vieler hochgelehrter Männer und tüchtiger Prediger
der neuen Lehre, „denen er nicht wert sei, die Schuhriemen auf-
zulösen."
Immer mehr schritt das Werk der Reformation vorwärts und
gewann selbst unter dem Rat schon Anhänger. Der Ratsherr Hein-
rich Gerdes, von seinem Sohn mit einer Laterne begleitet, schlich
durch das Dunkel des Wintermorgens in Slüters Frühpredigt, und
der gelehrte Syndikus vr. Johann Oldendorp, welcher die großen
Reformatoren in Wittenberg gehört, war gut lutherisch gesinnt. Im
Jahre 1528 wurden auf Bitten der Bürgerschaft noch zwei evange-
lische Prediger berufen: Valentin Körte und Paschen Grumel.
Letzterer segnete Slüters Ehe mit Katharina Gele ein. Herzog
Heinrich, der ihm bei jeder Gelegenheit sein Wohlwollen bezeugte,
war mit diesem Schritt einverstanden; die katholische Partei aber
geriet in heftigen Zorn, und der Rat verbot den städtischen Spiel-
leuten, den Hochzeitszug mit Musik zu begleiten. Die lutherischen
Bürger ersetzten indessen diesen Mangel durch Psalmengesang und
das Geläute der Glocken von St. Peter. Die Studenten wollten
Slüter als Zeichen ihrer Verehrung zwei Kannen Wein zur Hochzeit
schenken; allein die Katholiken überfielen die Träger und verschütteten
den Wein. Herzog Heinrich war über alle diese Vorgänge sehr
Im Jahre 1529 kamen wieder zwei neue evangelische Prädi-
kanten nach Rostock, und da die Bürgerschaft bereits größtenteils
evangelisch geworden war, forderte der Rat, welcher sich auch mehr
und mehr der reinen Lehre zuwendete, die katholischen Geistlichen auf,
den Gottesdienst nach Luthers Vorschrift zu reformieren. Sie weiger-
ten sich jedoch hartnäckig; da ward das ungeduldige Volk unruhig,
störte die Hochmesse in St. Marien und stürmte sogar, 250 Mann
stark, das Rathaus (am 1. April 1531). Nun befahl der Rat mit
aller Strenge die Einführung des lutherischen Gottesdienstes und
verbot das Tragen von Mönchsgewändern. Die Mönche flüchteten
zuin größten Teil; die Klöster wurden meistens in Schul- oder
Armenhäuser umgewandelt. Nur die Nonnen im Kloster zum heiligen
Kreuz blieben der alten Lehre treu und erwehrten sich des evan-
gelischen Predigers. Als dieser nämlich die Kanzel bestieg, erhoben sie
ein so tumultuarisches Psalmensingen, daß dieser schleunigst die Kirche
räumen mußte.
So war Rostock, wenn auch noch manche Anhänger des
Katholizismus in der Stadt waren, im großen und ganzen in acht
Jahren aus einer Burg des Papsttums nur durch die Macht des
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 13
194
göttlichen Wortes zu einer lutherischen Stadt geworden. Slüter
hatte noch die Freude, diesen Sieg zu erleben. Bald darauf aber
wurde er auf Anstiften des Priesters Johann Niebuhr von seinem
Buchbinder bei einem Gastmahl durch einen Trunk Weins vergiftet.
Er starb, ein Opfer des nimmer ruhenden Hasses der Andersgläubigen,
am ersten Pfingsttage den 19. Mai 1532. Sein Leichnam wurde
von seiner trauernden Gemeinde an der Nordseite der Petrikirche zur
letzten Ruhe gebettet, und hier hat ihm die dankbare Stadt Rostock
i. I. 1861 ein würdiges Denkmal errichtet. Der Anstifter des
Mordes, in Verzweiflung über seine Schuld, erhenkte sich gleich Judas.
Wie in Rostock, so verbreitete sich auch in den übrigen Landes-
teilen die evangelische Lehre durch glaubensmutige Prediger, und trotz
des anfänglichen Widerstandes der Obrigkeiten und des fortgesetzten
Widerstrebens der Priester gelang es den Aposteln der reinen Lehre
unter dem Schutze der Fürsten und des Volkes schon bis zum Jahre
1534 einen nicht unbeträchtlichen Teil der Städte und Dörfer für
die Reformation zu gewinnen. Und bis auf den heutigen Tag ist
Mecklenburg durchweg ein rein lutherisches Land geblieben.
159. Heil, Mecklenburg.
Heil, Mecklenburg, am Meeresstrand,
Von Gott gesegnet Vaterland,
Wo Strom und See im goldnen Gau
Uns spiegelt reinen Himmels Blau,
Wo jeder seinen Fürsten liebt,
Gern seinem Gott die Ehre giebt.
Heil, Mecklenburg, wo deutscher Geist
In Lied und That sich stark beweist,
Wo alle wirken treu bemüht,
Dass hell der Wahrheit Sonne glüht,
Wo Fürst und Volk ein Streben eint,
Dass allen einst das Licht erscheint!
Heil, Mecklenburg, du herrlich Land,
Das treu zu Fürst und Kaiser stand,
Im Heldenkampf, den Fürst voran,
Den Kranz errang auf Sieges Bahn!
Dass neu das deutsche Reich erstand,
Dem treu wir reichen Herz und Hand.
So mag der Jugend Kraft erblüh’n,
Dass alle Herzen heiss erglüh’n,
Dass tüchtig schirmt ein stark Geschlecht
Den deutschen Geist und deutsches Recht,
Dass Glaubens helle Sonne scheint,
Dass uns der Wahrheit Glanz vereint.
(Eugen Labes.)
195
160. Mecklenburg.
(* Von Lehrer Bösch in Parchim.)
In alter Zeit wohnten in Mecklenburg, wie du bereits gelesen hast. Wen-
den, der großen Völkerfamilie der Slaven im östlichen Europa angehörend, und
das Land führte nach ihnen den Namen. Aber vor etwa 700 Jahren wurde dies
Volk, wie du weiter weißt, vertrieben, und unsere deutschen Voreltern nahmen Besitz
von dem Lande, das sie nach der einen Burg ihrer regierenden Fürsten „Mecklen-
burg" nannten. Den neuen Ansiedlern gefiel das Land wohl; denn sie rühmten
von demselben: „Es ist geräumig, fruchtbar an Getreide, reich an Wiesenwuchs,
und mit Fisch, Fleisch und allem Guten inr Überflüsse versehen." Wir können
noch hinzufügen: Es hat eine günstige Lage für den Handel, ist reich an Thal und
Hügel, an grünen Wäldern und blauen Seen.
1. Die westliche Hälfte des Landes liegt zwischen der Ostsee im Norden
und der Elbe im Süden und grenzt im Westen an das Gebiet der Stadt Lübeck
und an das preußische Herzogtum Lauenburg. Der Osten Mecklenburgs wird von
den preußischen Provinzen Pommern und Brandenburg umschlossen. Seine größte
Ausdehnung hat das Land in der Richtung von Westen nach Osten. Boizenburg,
Ratzeburg und Dassow sind von Friedland gegen 200 Kilometer entfernt. Die
Breite von Norden nach Süden beträgt 60—100, durchschnittlich 80 Kilometer.
Hiernach würden die beiden Mecklenburg 16 000 Quadratkilometer groß sein.
Genau berechnet sind es 16 233 Qkm. Auf Mecklenburg-Schwerin kommen
davon über 13 000, aus M ecklenburg-Strelitz noch nicht 3000 Qkm.*)
2. Der Boden des Landes ist im allgemeinen eben. Fast ganz flach ist er
im Südwesten und Nordosten, steigt aber von beiden Seiten nach der Mitte zu
etwas an, so daß dadurch eine 30—40 km breite Höhenplatte entsteht, welche das
Land von Südosten nach Nordwesten durchzieht (der mecklenburgische Höhen-
zug). Die Ränder dieser Höhenplatte werden von Hügeln, Hügelreihen und
Bergen gebildet und steigen im Osten bis zu 140 m, im Westen bis zu 100 m
auf. Im Klützer Ort fällt der nördliche Hügelrand in 20—40 m hohen Steil-
ufern zur Ostsee ab. Der südliche Rand zieht sich dagegen, häufig unterbrochen,
zwischen dem Ratzeburger und Schalsee ins Lauenburgische. Das Innere der Platte
ist östlich von der Warnow eben, meist sandig und reich an Seen, dagegen im
Westen von diesem Flusse voll Hügel und Thäler. Die Ränder überragen die
tiefsten Einsenkungen der Platte um das Doppelte; denn der Spiegel des Zierker
Sees bei Neu-Strelitz liegt 70, der Müritz 66, des Krakower Sees 50 und
des Schweriner Sees 39 Meter hoch. — Vom Südrand der Höhenplatte zweigt
sich die Marnitzer Berglandschaft ab. Sie steigt im Rühner Berg, der 178 m
hoch ist, zu der bedeutendsten Höhe des Landes an und setzt sich im Sonnen-
berg fort, dessen höchster Berg sich bis zu 126 m erhebt. Der Nordrand ent-
sendet die Helpter Berge, auch 178 m hoch, die liebliche mecklenburgische
Schweiz, die Schlemminer Berge mit der Hohen Burg, 144 m hoch, und
die Diederichshäger Berge, welche bei Brunshaupten Hochufer der Ostsee
bilden.
*) Nach Seylitz „Leitfaden für den geogr. Unterricht" hat Meckl.-Schiv. 13 300 □kra
= 2412/g ^Weilen, und Meckl.-Strelitz 2725 Qkm = 49V2 ^Meilen.
13*
196
3. Der Boden ist im Süden des Landes meistens sandig, im Norden
lehm- und thonhaltig. Doch giebt es auch im Norden zahlreiche kleinere und ein
größeres Sandgcbiet, die Rostocker Heide, und andererseits treffen wir auch im
Süden auf fruchtbare Lehmfelder und in der Teldau auf den schönsten Marsch-
boden. Als besonders fruchtbar sind der Klützer Ort, die Teterower Gegend und
der Friedländer Werder zu bezeichnen. Als die ödesten Gegenden merken wir uns
die Heideebeue, südlich und südöstlich von Hagenow, das Gebiet im Norden der
großen Eldesecn und das südliche Mecklenburg - Strelitz. — Auf Mecklenburgs
Lehm- und Thonfeldern prangen Weizen, Raps, Erbsen und Klee in üppiger Fülle
und Wiesen und Laubwälder in saftigem Grün. Auf den magern Äckern des
Sand- und Heidcgebiets bleibt der Roggen nur klein. Besser gedeiht der rauhe
Hafer, der Buchweizen und die Kartoffel. Die Wiesen haben hartes Gras. Die
Wälder bestehen aus Tannen und Birken, in den Brüchen wachsen Erlen. Die
unbebauten Stellen tragen Heide oder sie zeigen Blößen mit losem Sand, oft mit
Flugsandhügeln. Unter der Oberfläche des Bodens bildet sich häufig Raseneisen-
stein. Bei Lübtheen fördert man Gips zu Tage, unter welchem sich ein großes
Salzlager befindet, und bei Mall iß ist ein Braunkohlenbergwerk. — Die ausge-
dehntesten Wälder des Landes sehen wir im Sandgebiet, doch ist auch die gute
Gegend reich an schönen Laubwaldungen. An Jagdtieren finden wir das wilde
Schwein, den Hirsch, das Reh, den Hasen, Fuchs und Dachs, außerdem viele
Vogelarten.
4. Mecklenburg ist reich an Flüssen und Seen. Von letzteren zählt man
über 400. Der größte See ist die Müritz. Durch die Schönheit ihrer Uferland-
schaften zeichnen sich aus: Der Lucin bei Feldberg, der Tollenser, Pinnower
und Schalsee. In allen unsern Seen und Flüssen ist der Reichtum an Fischen
sehr groß. — Die Elbe vermittelt mit Elde, Stör und Havel den Verkehr
von 16 Städten. Hier sind Parchim, Waren und Schwerin die Haupt-
handelsplätze, während auch der Handel von Boizenb urg, Grabow, Plan und
Fürsten b erg nicht unbedeutend ist. Die War no w ist von Bützow und ihr
Nebenfluß, die Nebel, von Güstrow ab fahrbar. Die Peene steht durch die
Trebel mit der Rccknitz in schiffbarer Verbindung. Neben Malchin und Ribnitz
kommt diese Wasserstraße besonders der Sülzer Saline für den Salztransport
zu statten. Die Stepcnitz mit der Maurin sind von Schönberg bis Dassow,
die Waknitz von Ratzeburg bis Lübeck fahrbar. — Alle übrigen Flüsse und
Bäche des Landes sind nicht schiffbar, aber in ihren Thälern und an den Ufern
vieler Seen breiten sich grüne Wiesenmatten aus; die bedeutendsten sind die
Lewitz und die große Friedländer Wiese.
5. Neben den Wasserstraßen dienen Chausseen und Eisenbahnen der Er-
leichterung und Förderung des Verkehrs. Die Berlin-Hamburger Bahn
verbindet den Südwestcn des Landes (Grabow, Ludwigslust, Hagenow und
Boizcnburg) einerseits mit Hamburg, andererseits mit Berlin und dem Innern
Deutschlands. Mit derselben steht die Par chim -L udivi g s tust er Bahn in
Verbindung. Die Friedrich-Franz-Bahn, welche Lübeck mit Stettin ver-
bindet, durchschneidet das Land in seiner ganzen Länge und hat mehrere Zweig-
bahnen. Welche Städte liegen an derselben? Die Nord bahn, welche Berlin mit
Stralsund verbindet, geht durch Mecklenburg-Strelitz und berührt hier Fürstenberg,
Altstrclitz, Neustrelitz, Stargard und Neubrandenburg.
197
6. An der Ostsee treffen wir die reichen Handelsstädte Rostock und
Wismar, sowie die Hafenorte Ribnitz, Wustrow, Warnemünde und
Dassow. Sie alle liegen an tief in das Land eindringenden Meerbuchtungen,
welche durch niedrige Halbinseln, Sandbarren, oder wie bei Wismar durch eine
Insel, Pöl, geschlossen sind. Die Ostseehäfen setzen uns in unmittelbaren Verkehr
mit den Handelsplätzen anderer Länder und fremder Weltteile, und unsere 350
Schiffe erfreuen sich überall eines vorzüglichen Rufes.
7. In Mecklenburg leben über x/2 Mill., nämlich 677 000 Menschen, wovon
100 000 auf Mecklenburg-Strelitz kommen. Sie ernähren sich der Mehrzahl nach
auf dem Lande und in den Städten vom Betriebe der Landwirtschaft. Die jähr-
liche Ausfuhr an Getreide, Mehl, Schlachtvieh, Pferden, Butter, Wolle, Kartoffeln,
Ölfrüchten rc. ist eine beträchtliche, und in den Bierbrauereien, Spiritusbrennereien,
Stärke- und Zuckerfabriken werden die Rohprodukte der Landwirtschaft weiter ver-
wertet.
8. Unter den 3000 Ortschaften Mecklenburgs sind 52 Städte und 8 Flecken.
Davon kommen auf Mecklenburg-Strelitz 500 Ortschaften mit 10 Städten (der
Anteil an Ratzeburg als Stadt gerechnet) und 2 Flecken. Schwerin und
Neustrelitz sind die Haupt- und Residenzstädte der beiden Großherzöge; Lud-
wigslust und Doberan sind Nebenresidenzen des Großherzogs von Mecklenburg-
Schwerin. Die kleinsten Städte des Landes sind Neustadt und Wesenberg'
der kleinste Flecken ist Klütz. In den kleineren Städten wird neben dem Hand-
werk und dem Kleinhandel hauptsächlich Ackerbau betrieben. Daneben blüht in
Malchow, Plau, Parchim und Rehua die Tuchmacherei. Fast sämtliche Städte
haben Amtsgerichte und die Hälfte von ihnen sind Sitze von Domanial- und
ritterschaftlichen Ämtern. Landgerichte sind zu Schwerin, Güstrow, Rostock und
Neustrelitz. Das Obcrlandesgericht hat seinen Sitz zu Rostock. Schwerin, Wismar,
Rostock, Neustrelitz, Ludwigslust und Parchim sind Garnisonstädte. In Sternberg
und Malchin wird (jährlich abwechselnd) der Landtag abgehalten. Rostock und
Wismar zeichnen sich durch ihre großen hanseatischen Giebelhäuser aus. Das
großartigste Gebäude im Lande ist das Großherzogliche Schloß in Schwerin. Die
Kirche zu Doberan gilt für die schönste Kirche Mecklenburgs. Die Hälfte des
Landes mit 1100 Hauptgütern, wovon 100 auf Mecklenburg-Strelitz kommen,
besitzt die Ritterschaft. Durch schöne Lage und Größe der herrschaftlichen Gebäude
zeichnen sich aus: Jvenack, Schloß Basedow, Burg-Schlitz, Remplin und
Schlieffenberg. Das größte Dorf ist Neukloster mit 1600 Ew.
9. An Anstalten, die von allgemeiner Bedeutung sind, besitzt das Land
folgende: Die Universität zu Rostock, die Lehrerseminare zu Neukloster,
Lübtheen und Mirow, das Blinden-Institut zu Neukloster, die Taub-
stumm en-Anstalt zu Ludwigslust, das Id toten haus zu und die Irren-
tz eilanstalt (Sachsenberg) unweit Schwerin, das Rettungshaus zu Gehlstorf bei
Rostock, das Landarbeitshaus zu Güstrow, die Landes-Strafanstalt zu
Dreibergen bei Bützow, das Stift Bethlehem zu Ludwigslust, das Solbad mit
dem Kinderhospital (Bethesda) zu Sülze, das Kinderseebad (Fr.-Fr.-Hospiz) zu Müritz
bei Ribnitz, die Wasser-Heilansta lte n zu Stuer und Feldberg, die S tahlbäder
zu Goldberg, Parchim und Doberan, die Seebäder zu Doberan, Warnemünde
und Voltenhagen, die Jungfrauenklöster zu Dobbertin, Malchow und Ribnitz.
— Die Anzahl der Kirchen im Lande beträgt in runder Zahl 500.
198
161. Land Mecklenburg.
1. Stoßt an im Saft der besten Reben, 3. Und wollt ihr nach den Helden fragen:
Stoßt an: Land Mecklenburg soll leben, Vom Marschall Vorwärts laßt euch
Land Mecklenburg mit Schwert und sagen,
Pflug! Dem blanksten Schwert des Vaterlands.
Die Perle gab es uns der Frauen Die Welt durchhallten seine Siege,
Und jenes Paar mit greisen Brauen, Doch nie zu Rostock seiner Wiege
Das unsres Ruhmes Schlachten schlug. Vergaß der Held im Lorbeerkranz.
2. Schon wallt sie längst im Paradiese, 4. Den andern kennt ihr auch, den Alten,
Die hohe Königin Luise, Der hoch und ernst, die Stirn in Falten,
Die Deutschlands starken Hort gebar. Ein Hüter ward an Preußens Thron.
Doch flammend stcht's in tausend Herzen, Das ist des Kriegsgotts Wagenlenker,
Wie sie zur Zeit der Schmach und Das ist der kühne Schlachtendenker,
Schmerzen Der Schweiger Moltke, Parchims
Der Engel ihres Volkes war. Sohn.
5. Drum stoßt im Saft der besten Reben,
Stoßt an: Land Mecklenburg soll leben,
Land Mecklenburg mit Schwert und Pflug!
Die Perle gab es uns der Frauen
Und jenes Paar mit greisen Brauen,
Das unsres Ruhmes Schlachten schlug.
(Emanuel Geibel.)
162. Die drei größten Städte Mecklenburgs.
Die Haupt- und Residenzstadt Schwerin ist die zweitgrößte
Stadt Mecklenburgs und liegt in reizender Gegend am Schweriner
See, mit welchem noch mehrere kleinere Seen in Verbindung stehen,
so daß sie die wasserreichste Stadt im Lande ist. Sie hat schmucke
Häuser und eine ganze Zahl größerer stattlicher Gebäude. Der
schöne Dom, von 1222 bis 1248 erbaut, ist eine der ältesten Kirchen
des Landes und besitzt eine Orgel, die zu den größten und schönsten
Deutschlands zählt. Die Kirche steht all derselben Stelle, wo Heinrich
der Löwe nach Besiegung der Wenden den ersten Dom im Lande
(1167) bauen ließ, voil welchem aber keine Spur mehr vorhanden
ist. Die freundliche Paulskirche ist die neueste der Kirchen Schwerins.
Unter deil großeil Bauwerken, z. B. dem Marstall für die fürstlichen
Pferde, dem Arsenal, in welchem die Kriegswaffen aufbewahrt werden,
dein stattlicheil Regierungsgebäude, dem neuen Museum lind Theater
u. a., ist das großherzogliche Schloß das schönste Gebäude, ein wahrer
Prachtbau, der sich, wie Kundige behallpten, den besten Schlössern der
Welt würdig an die Seite stellen darf. Der wundervoll schöne Burg-
garten, der das Schloß an der einen Seite umgiebt, ist ein Stückchen
Paradies. Eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt die
Jrrenheilanstalt Sachsenberg, in welche Geisteskranke zur Heilung
aufgenommen iverden.
Schwerin ist eine der ältesten Städte des Landes; denn es
wurde ihr schon i. I. 1166 von Heinrich dem Löwen das Stadtrecht
verliehen. — „In keiner Stadt Mecklenburgs ist der Fremdenverkehr
so stark, wie in Schwerin; die Schönheit der Umgebung, das Schloß,
199
der herrliche Schloßgarten und die freundliche Stadt selbst lohnen
einen Besuch daselbst aber auch reichlich."
Rostock, schon zur Zeit der Wenden (der Kisfiner) bestehend,
ist die größte und bedeutendste Stadt Mecklenburgs und Sitz einer
der ältesten deutschen Universitäten, 1419 gestiftet. Rostock liegt an
der von Bützom an schiffbaren Warnow, die kurz vor der Mündung
bei Warnemünde den Breitling, ein landseeartiges Gewässer,
bildet. Zur Wendenzeit war die Stadt noch unbedeutend und viel
kleiner als das benachbarte Kissin (jetzt das Dorf Kessin). Nach-
dem sie aber 1218 als deutsche Stadt gegründet wurde, wuchs sie
wegen ihrer günstigen Lage so schnell, daß sie schon im Laufe des-
selben Jahrhunderts als eine der wichtigsten Städte der Ostsee galt.
Mehrere Eisenbahnen und Chausseen verbinden Rostock mit den um-
liegenden Städten. Die Schutzwälle der früher befestigten Stadt sind
in herrliche Anlagen umgewandelt. Unter den öffentlichen Plätzen
ist der große neue Markt- und der Blücherplatz mit dem Blücher-
denkmal hervorzuheben. Die eine Seite des letzteren trägt die In-
schrift: „Dem Fürsten Blücher von Wahlstadt die Seinigen" und die
andere die Goethe'sche Strophe: „In Harren und Krieg, in Sturz
und Sieg — bewußt und groß! So riß er uns vom Feinde los."
Rostock hat fünf Kirchen, unter welchen die Marieickirche in der
Nähe des Marktes die größte Mecklenburgs ist, wogegen die Petri-
kirche den höchsten und schlanksten Turm des Landes (120 m hoch)
aufweist. Er ist weit in der See sichtbar und dient den Schiffern
als Marke beim Ansegeln des Warnemünder Hafens. Rostock besitzt
eine ganze Reihe stattlicher Gebäude: das großherzogliche Palais, die
herrliche Universität, das Gymnasium, das Rathaus mit seinen sieben
Türmchen, die Post, die Anatomie, die Kaserne u. a. m. Unter den
Sehenswürdigkeiten der Stadt bewundert jeder Fremde auch das
Krankenhaus und den herrlichen Kirchhof.
Wismar, die drittgrößte Stadt des Landes*), ist wie Rostock
eine Seestadt, unmittelbar an einem Busen der Ostsee gelegen,
und gehörte früher wie Rostock zum Hansabund. Der Hafen
ist nur klein, dennoch zählt er zu deu besten der Ostseehäfen. Vor
dem Wismarschen Meerbusen liegt die fruchtbare Insel Pöl. —
Wismar war von jeher eine wichtige, lebhafte Handelsstadt. Im
Jahre 1648 kam sie (durch den westfälischen Frieden) unter schwe-
dische Herrschaft; erst 1803 ist sie von Mecklenburg zurückgekauft.
Die Stadt hat einen herrlichen Marktplatz mit einem schönen Rat-
hause. Der Wismarsche, wie der rostocker Marktplatz sind Plätze,
wie sie nur in wenigen Mittelstädten Deutschlands ansehnlicher ge-
funden werden.**) Wie Rostock, so zeigt auch Wismar noch eine
*) Seit 1881 hat Rostock 37 000, Schwerin 30 200, Wismar 15 300
(Güstrow über 12 000, Parchim 9 100) Einw.
**) Der Wi smarsche Marktplatz ist circa 105 m lang und 96 in breit,
der rostocker (nach Raabe's Vaterlandskunde) c. 108 in lang und 92 in breit,
so daß ersterer den letzteren an Flächeninhalt um etwas übertrifft.
200
ganze Zahl Giebelhäuser. Von den drei großen, schönen Hauptkirchen,
denen leider die schlanken spitzen Türme fehlen, ist besonders die
Marienkirche mit ihrer prachtvollen Orgel sehenswert. Unter sonstigen
größeren Gebäuden ist der Fürstenhof, früher ein fürstliches Schloß,
das Krankenhaus, die Bürgerschule u. a. m. zu bemerken. (I. S.)
163. Der heilige Damm.
An der Ostsee, in der Nähe von Doberan, war ein Ort
in grosser Bedrängnis von der Flut, und die Einwohner sahen
ihr geivisses Verderben vor Augen. Mit jedem Tage entführte
die Flut vom Lande ein Stück nach dem andern, und schon
drohte den zunächst am Ufer gelegenen Häusern der Unter-
gang. Da wurden im dortigen Kloster Betstunden angeordnet,
und das Flehen und Schreien der Mönche und der frommen
Leute fand Gnade vor dem Herrn. Zum letztenmal hatten
sich mit Furcht und Zagen die Bewohner zum Schlummer
niedergelegt; doch viele fanden ihn nicht; denn die See rauschte
gewaltig und ging hohl, und der Boden erzitterte, und es
zuckten Blitze über die Meereswogen hin. Dann wurde es
stiller, und der Mond trat hinter den Wolken hervor. Da
schauten manche vom Strande ängstlich hinaus, siehe, da lag
etwas Grosses, Dunkles im Wasser; als aber der Tag kam,
verlief sich das Wasser mehr und mehr vom Strande, und vor
den Blicken der erstaunten Bewohner lag ein hoher Wcdl und
fester Damm. Der war auf das Gebet der Leute in einer
Nacht entstanden durch die göttliche Hülfe, und edles Volk lobte
Gott und nannte den Damm den heiligen Damm und konnte
ihn nicht ohne Dank und Verehrung anblicken. (Bechstein.)
164. Friedrich Franz II. von Mecklenburg.
Geb. am 28. Februar 1823, gest. am 16. April 1883.
Am 15. April 1883 durchflog mit Blitzeseile das mecklen-
burgische Land die erschütternde Todesnachricht: der Großherzog ist
gestorben! Der unvergeßliche Fürst, der gerechteste und mildeste Herr,
der sorglichste Vater, dessen Vorbild in christlichem Sinne und Wandel
und im freudigen Bekennen des Namens Jesu Christi weit durch die
Lande leuchtete, der treue Bischof unserer teuren lutherischen Kirche:
er war nicht mehr! Ja, weit über Mecklenburgs Grenzen hinaus, durchs
ganze deutsche Vaterland hin erbebten bei der überraschenden Trauer-
botschaft alle die Herzen, die den Wert dieses Fürsten je erkannt
hatten — das Muster eines deutschen, eines christlichen
Fürsten, den Kaiser Wilhelm seinen „treuesten Freund" nennen
konnte. Im Begriffe nach Wiesbaden abzureisen, begab sich der
greise Kaiser, als er die Trauerkunde erhielt, nach Schwerin, um
noch einmal in das toderbleichte Antlitz seines vielgeliebten Neffen
zu blicken und dort öffentlich auszusprechen: „Ich habe den treuesten
201
Verwandten und An-
hänger meiner Fa-
milie, meines Lan-
des und meiner Re-
gierung verloren!"
Er, der mit Recht
am 40jährigen Ge-
denktage seines Re-
gierungsantrittes sich
das Zeugnis geben
konnte: „Mein ganzes
Herz schlägt seit 40
Jahren meinem mir
anvertrauten Lande
und unserm großen
deutschen Vaterlande,
und so wird es bis
zum letzten Atemzuge
sein" — er war
nicht mehr! Welche
Trauer um diesen
geliebten Toten! Wie
viele Thränen sind
da geweint!
Friedrich Franz Alexander — wie er bei der am 11. April
an ihm vollzogenen Taufe genannt wurde — war am 28. Februar
1823 in Ludwigslust als erstgeborner Sohn Paul Friedrichs und
dessen Gemahlin, der preußischen Prinzessin Alexandrine, Tochter
des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen und der „unver-
geßlichen" Luise, geboren. Bei der Taufe war auch der jetzige
Kaiser Wilhelm gegenwärtig. Rach vollendetem 7. Lebensjahre
wurde die Erziehung des jungen Herzogs einem Erzieher und einem
Kandidaten der Theologie anvertraut. Später erhielt der 14jährige
Prinz in einem Institut Dresdens Unterricht und nach abernmls
3 Jahren ging er auf die Universität zu Bonn. Bei einer von
Natur kräftigen Gesundheit war er von Jugend auf bemüht, sich
dieselbe durch allerlei körperliche Übungen und Abhärtungen (durch
Fechten, Reiten, Fahren, Schwimmen, Turnen re.) fort und fort zu
stählen und zu bewahren. Als der Prinz 16 Jahre alt war, wurde
er in der Schloßkirche zu Schwerin konfirmiert und genoß in Ge-
meinschaft mit der Großherzoglichen Familie zum ersteumal das heil.
Abendmahl. Nie haben seine Lehrer die geringste Ursache zur Klage
gehabt. Neben dem Ernst und Eifer in seiner geistigen und körper-
lichen Ausbildung beseelte den jungen Prinzen von früh an eine
tiefe Herzensfrömmigkeit, welche die Krone seiner hohen persönlichen
und fürstlichen Tugenden geworden ist; niemand konnte auch nur
202
einen Schatten auf seinen sittenstrengen Lebenswandel werfen. Un-
erwartet wurde der 19jährige Jüngling durch den plötzlichen und ihn
schmerzlich ergreifenden Tod seines Vaters mitten aus seinen Studien
herausgerissen und auf den Thron seiner Väter berufen.
Da stand nun der jugendliche Großherzog auf der Höhe eines
Fürstenthrones. Und wie herrlich hat er in bösen und guten Zeiten
sein Land regiert! Jedermann, auch dem geringsten im Volke, ge-
währte er Zutritt und hörte seine Klagen und Beschwerde!: an.
Nicht bloß seine Thür, sondern auch sein Herz stand jedem Bittenden
offen, und niemals hat er einen solchen von sich gelassen, ohne ge-
holfen zu haben. Wenn geringe Leute zu ihm kamen und er merkte,
daß sie mit der hochdeutschen Sprache nicht recht fertig werden
konnten, dann fiel er ihnen wohl in die Rede: „Spräken's sik man
orntlich ut; ick kann auk platt!" Dann war alle Scheu des Bitten-
den verschwunden, und die Unterhaltung ging plattdeutsch weiter.
Über die geringsten Dinge ließ er sich von seinen Behörden
berichten und selbst in unbedeutende Sachen griff er ein. Einmal
wandte sich der verstorbene Pastor Mecklenburg in Zapel bei
Crivitz mit einem Bittschreiben in Versen an den Großherzog und
bat um Erhaltung einer alten abgestandenen Eiche, die von der
Forstverwaltung zur Wegnahme bestimmt war. Umgehend erhielt
der Pastor vom Großherzog die folgende (das Datum: Doberan, den
2. September 1859 tragende), eigenhändig geschriebene Antwort:
„Es ist gelungen deinem Flehen, in Freude wandle sich dein
Leid, die alte Eiche bleibe stehen, ein Bild der guten, alten Zeit.
Und wie die Eich' in tausend Jahren als Bild der Treue sich
bewährt, soll nun die Welt durch sie erfahren, wie Treu' und Alter-
ich geehrt."
Von größerer Wichtigkeit war des Großherzogs Eingreifen,
wenn es sich um ernste und wichtige Dinge handelte, namentlich bei
Unglücksfällen. Wie viele Bedrängte und schiver Heimgesuchte oder
unrecht Leidende haben bei ihm schnelle Hülse gefunden! Als
i. I. 1859 in der Gegend von Güstrow die Cholera ausgebrochen
war, war auch in Goldberg ein großer Schrecken über die Leute
gekommen. Da reiste er sogleich dahin und traf selbst an Ort und
Stelle die geeigneten Anordnungen zur Bekämpfung der Seuche.
Wie er selbst von jung auf von dem strengsten Pflichtgefühl erfüllt
!var und sich selbst am meisten zumutete, so stellte er auch an seine
Dienerschaft und Beamten die höchsten Anforderungen. Gefürchtet
war er nur bei pflichtvergessenen Dienern. Sonst war sein Auftreten
überall mit einer solchen Milde und Freundlichkeit gepaart, daß er
alle Herzen gewann, die mit ihm in nähere Berührung kamen. So
hat er viel erreicht und als ein wahrer „Landesvater" die herzliche
Liebe und begeisterte Anhänglichkeit seines ganzen Volkes gefunden
während seiner 41jährigen segensreichen Regierung.
Vor allem war es seines Herzens Wunsch und sein höchstes
Streben, als ein christlicher Fürst über ein christliches Volk zu
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regieren, daher ist die Hebung des Schulwesens und die Förderung
des kirchlichen Lebens eine seiner vornehmsten Sorgen gewesen vom
Anfang bis zum Ende seiner Regierung. Das prachtvolle Universi-
tätsgebäude in Rostock und der neue großartige Aufbau des Lehrer-
seminars zu Neukloster sind glänzende Denkmale seiner Fürsorge auf
diesem Gebiete. Seine Reisen durchs Land gaben ihm oft Gelegen-
heit, in die erste beste Schule einzutreten, und er verließ kein Schul-
zimmer, ohne fördernde Anregung und freundliche Ermunterung
gegeben zu haben. Andererseits erschienen oft, sobald nicht alles im
baulichen Zustande gehalten worden war, binnen wenigen Tagen nach
einem solchen Großherzoglichen Besuche Maurer und Zimmerleute im
Schulhause. Mindestens einmal im Jahre besuchte er jede wohl-
thätige Anstalt im Lande, besonders die für die Elendesten unter
seinen Landeskindern, namentlich die Rettungsanstalt Gehlsdorf, die
Blindenanstalt zu Neukloster, die Jdiotenanstalt bei Schioerin und
die Taubstummenanstalt zn Lndwigslust. Bei einem Besuche der
letzteren verhörte er einmal selbst den Katechismus, ohne das Buch
dabei zn nehmen, indem er dem Lehrer bemerkte: „Ich muß die
Sprache der Kinder genau verstehen lernen, damit, wenn einer oder
der andere einmal später zu mir kommt, ich ihn auch verstehen kann."
Weit über die Hälfte der Kirchen seines fürstlichen Patronates
(nämlich mehr als 300!) sind im Laufe seiner Regierungszeit teils
ganz neu aufgebaut, teils würdig ausgebaut, weshalb man den
Großherzog auch den Beinamen des „Kirchenerbauers" gegeben hat.
Und dieses unermüdliche und gesegnete Walten des überaus mild-
thätigen Fürsten war von einer Bescheidenheit gekrönt, wie sie wohl
selten anderweit gefunden wird!
Obgleich der Großherzog nach seinem ganzen Sein und Wesen
ein Mann des Friedens, und Friedenswerke zu schaffen ihm Freude
und Beruf dünkte, so war er doch auch ein straffer Soldat und ein
mutiger, unerschrockener Heerführer. Schon 1848 in Schleswig und
1849 in Baden teilte er eine Zeitlang mit seinen Truppen die
Kriegsmühen; 1864 zog er mit in den dänischen Krieg, wo er im
Gefechte auf dem Königsberge die Feuertaufe erhielt, und 1866 stand
er im östreichischen Kriege während der Entscheidungsschlacht bei
Königgrätz seinem königlichen Oheim, dem Kaiser Wilhelm, zur Seite.
Vor allen Dingen aber sind die Thaten des Großherzogs und der
tapfern mecklenburgischen Truppen unvergeßlich in den Geschichts-
büchern des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 verzeichnet!
Nirgends tritt uns der Großherzog als Muster eines ernsten
Christen leuchtender entgegen als in seinem unvergleichlich dastehenden
Familienleben. Die Kinder waren die kostbarsten Kleinodien unter
den Schätzen des Großherzoglichen Hauses in den Augen der Eltern,
die sie hüteten, wie man einen Augapfel hütet. Ihre Erziehung zu
echten Christen lag ihnen über alles am Herzen. Speisten die Herr-
schaften allein oder mit ihren Kindern, dann verstand sich das Tisch-
gebet bei ihnen von selbst. In fremden Häusern sah er's gern.
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wenn das Tischgebet nicht etwa seinethalben ausfiel. Als einmal
bei einer Kindtaufe, wo der Großherzog Pate war, der betreffende
Pastor an der Tafel das Tischgebet: „Komm, Herr Jesu re." ge-
sprochen hatte, wandte der hohe Herr sich mit lauten Worten an den
Geistlichen: „So bete ich auch jeden Tag, wenn ich mit meinen
Kindern zu Tische gehe." Der Besuch des sonntäglichen Gottes-
dienstes war ein so regelmäßiger, daß der Großherzog auch auf
seinen Reisen es stets so einrichtete, daß er am Sonntagmorgen die
Kirche besuchen konnte; auch sorgte er dafür, daß seine Dienerschaft
nicht am Besuch des Gottesdienstes gehindert wurde, wie dies leider
in vielen herrschaftlichen Häusern geschieht. Die täglichen Haus-
andachten mit Gottes Wort, Gesang und Gebet fielen nie aus und
mochte auch noch so hoher Besuch im Schlosse sein. Der Großherzog
war stets ein strenger, aber auch liebreicher Vater gegen seine Kinder.
Er erzog sie zu pünktlichem Gehorsam und zur Wahrhaftigkeit, und
sobald sie heranwuchsen, verlangte er von ihnen unermüdliche
Thätigkeit in Erfüllung der Berufspflichten. Die Prinzen fürchteten
den Vater, aber sie liebten ihn doch dabei; denn es lag nach Luthers
Ausdruck auch hier „der Apfel bei der Rute". Kindlich fröhlich
konnte er mit den kleinen Prinzen scherzen und spielen. Dabei sagte
er einmal: „Wenn ich die Kinder um mich habe, vergesse ich ganz,
wie alt ich bin."
Aber auch das Kreuz und Leid blieb dem Familienleben des
Großherzogs nicht erspart. Der Tod seiner ersten Gemahlin, der
frommen Auguste, schlug nach 12jähriger Ehe eine tiefe Wunde in
das ungetrübte häusliche Glück. Und als der tieftrauernde fürstliche
Witwer nach 2 Jahren in der Prinzessin Anna von Hessen eine
ihm würdige Gemahlin fand, mußte er schon nach einem Jahre den
Schmerz einer solchen Trennung aufs neue erfahren. Auch manchen
herben Vaterschmerz hat der Großherzog bis in seine letzten Tage
zu kosten gehabt; vor allem war es in letzter Zeit der Tod der
17jährigen lieblichen Tochter Anna, der seinem Herzen einen er-
schütternden Kummer brachte. Aber alle diese Schickungen hat er
mit stiller und gläubiger Ergebung in Gottes Willen hingenommen
und nie dagegen gemurrt. Sein wahres Herzenschristentum eben,
das sein äußeres wie sein inneres, sein häusliches wie sein öffentliches
Leben beherrschte, half ihm alle trüben Erfahrungen geduldig tragen
und überwinden. Wahrlich, er war als Sohn, als Gemahl und
als Vater seinem Volke ein edles Vorbild!
Kein Wunder, daß Schwerin am 21. April 1883 eine so
tiefbewegte Trauerversammlung und einen so großartigen Leichenzug
gesehen hat, wie nie zuvor! Nach 11 tägigem Krankenlager hatte der
Tod den geliebten Fürsten aus dieser Zeitlichkeit abgerufen. Wie
im Leben, so im Sterben ist er uns ein Vorbild geworden. Mutig,
gläubig und gottergeben hat er dem nahenden Tode ins Auge ge-
schaut. Schwerlich hat es viele solche Sterbende gegeben, welche in
der letzten Nacht mit gleicher Umsicht und Geisteskraft ihre Geschäfte
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erledigt, ihr Haus so bestellt hätten. Nachdem er darauf das heil.
Abendmahl empfangen hatte, nahm er tiefergreifenden Abschied von
den Seinen. Unter den Klängen der Schloßorgel und frommer
Gesänge schlossen sich morgens lOVa Uhr am 15. April 1883 die
treusten Augen, die je über Mecklenburg gewacht hatteu.
Unvergeßlich bleibt er seinem Volke! Segen seinen Nachkommen!
(Nach dem „Lebensbild" von Pastor Rische in Schwinkendors.)
165. Treu bis zum Tod!
Dem Andenken des geliebten Landesvaters Friedrich Franz II. geweiht.
(* Von Lina Grafs.)
Treu dem Kerrn bis in den Tod,
Treu im Denken, treu im Watten,
Treu dem göttlichen Gebot
Kat er seinen Schwur gehalten.
Seines Keilands Tod und Mut
Gaben ihm zum Sterben Wut.
Treu dem Wölk mit Waterhuld
Ztnd bereit sein .Leid zu mindern
Stand er freundlich mit Geduld
Stets zu seinen Landeskindern;
Kirche, Schule, Stadt und Land
Trug er fest in seiner Kand.
Hreu im Kaus mit Weib und Kind, —
Water im Aamitienkreise;
Ernst und strenge, sanst und lind, —
Aromm — gerecht — in schlichter Weise,
War dem Land in Glück und Leid
Er ein Worbild alle Zeit.
Hreu vis in des Todes Wacht
Erbt die Krone ew'gen Lebens —
Wer sein Tagwerk so vollbracht,
Kat gerungen nicht vergebens,
Wnd auf seinem Erbe ruht
Gottes Segen reich und gut.
166. Die Müritz.
(* Von K. Struck.)
Mecklenburg ist so reich an Seen, daß sie vereint fast den zwanzigsten Teil
der Gesamtfläche des Landes bilden. Sie sind es, die mit ihren klaren Wasser-
spiegeln, mit ihren oft bewaldeten Ufern und mit ihren Umrahmungen von Rohr
und Binsen den Reiz unserer Landschaften erhöhen. Nicht mit Unrecht hat man
daher die Seen auch wohl die Augen der Landschaft genannt. Die meisten unserer
Seen haben eine langgestreckte Gestalt, deren größte Achse von S. nach N. oder
206
von SW. nach NO. gerichtet ist. Der größte von allen — selbst in Deutschland
— ist die Müritz mit einem Flächeninhalt von 113 □ km.*)
Der Name „Müritz" ist slavischen Ursprungs und von morze, d. i. „Meer"
abgeleitet. Einzelne Buchten der Müritz führen ebenfalls noch slavische Namen,
wie Tralow, Krümmel, Nebel, Lankow, Rederang u. s. w. Der nördlichste Teil
derselben hat eine Durchschnittstiese von 10—13 m, der mittlere etwa 6—9 m
und der südlichste gar nur 3—5 m.
Das Gebiet von einigen zwanzig Ortschaften, darunter die Städte Waren
und Röbel, werden von ihrem Wasser bespült. Gewiß sind ihre Ufer schon früh
von zahlreichen Ansiedelungen vorwendischer und wendischer Bevölkerung umgeben
gewesen, und sicherlich bergen dieselben, tief eingebettet in Mooren und Wiesen,
zahlreiche Überreste des Anbaues aus alten Zeitabschnitten. Ihr Wasserspiegel
liegt 68 m über der Ostsee, hat aber im Lause der Zeiten mehrfache Abänderungen
erfahren, wobei bedeutende Uferstrccken gewonnen oder verloren wurden. Im
Jahre 1273 ließ Fürst Nikolaus von Werle einen Kanal aus der Müritz in den
Kaap-Sce leiten, was gewiß nicht ohne eine ganz bedeutende Senkung des Wasser-
spiegels abging. Möglich, daß eine Reihe von Sandhügeln, die sich bei Bök,
Federow und Waren finden, den Umfang bezeichnen, den die Müritz hier vor
jener Senkung einnahm. Selbst in neuester Zeit, bei Schiffbarmachung der Elde
und Havel (1831—37), von denen erstere die Müritz durchfließt, letztere durch
einen Kanal mit derselben in Verbindung steht, ist sie abermals um 2 m gesenkt
worden. Aber auch in vorhistorischer Zeit muß ihr Wasserspiegel einmal tiefer
gestanden haben, als zur Jetztzeit, da sich bei der Halbinsel Schwerin unweit
Ludorf unter dem Wasser ein 3 m mächtiges Torflager findet, unter welchem
Kalk stehen soll. Auch fanden sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bei Bök
etwa 2V2 in tief unter Wasser eine große Menge neben einander liegender Eichen-
stämme, von denen die dicksten am Wurzelende über V2 m Durchmesser hatten.
Diese Thatsachen lassen sich, wenn man nicht zu Hebungen und Senkungen des
Seebodens seine Zuflucht nehmen will, nur dadurch erklären, daß in uralten
Zeiten der Wasserspiegel des Sees überhaupt tiefer gestanden hat.
Nach der Sage soll die Müritz aus sieben einzelnen Seen entstanden sein.
Diese Seen waren von Waldungen umgeben, in welchen alte, den Göttern ge-
heiligte Bäume standen. Da kamen Holzhauer aus fernem Lande, welche die
Bäume fällten. Als sie nun nach dem „Hinnenfelde" zogen und ihre Äxte an den
mächtigsten aller Bäume legten, that sich in dem See „Rederang" eine Quelle auf,
die mit Brausen und Ungestüm ihr Wasser nach allen Seiten entsandte. Mit
Schrecken flohen die Holzhauer auf den Berg „Hinnenfelde". Sie sahen mit
Entsetzen, wie das der Quelle entströmende Wasser ringsum die Bäume nieder-
riß und fortführte. Und Wasser auf Wasser eutfloß der Quelle, bis sich endlich
alle sieben Seen vereinigten und die Müritz bildeten. Daher kommt es, so erzählt
die Sage weiter, daß diese noch heutigestages sieben Tiefen, die ehemaligen
Seen, und dazwischen große, flache Stellen, das frühere Land, zeigt.
Der Boden der Müritz ist fast durchweg ein fester, weißlich grauer Seesand.
Hier und da findet sich ein kalkhaltiger, graublauer Schindel, an andern Stellen
*) Mauer-See in Ostpreußen 105 □km, Spirding-See, ebenfalls dort, der größte Landsee
Preußens, 102 3m, Chiemsee in Bayern 93 Qkm, Schweriner See 63 (3-111, Starenberger See
in Bayern 57 3m, Madue-See in Pommern 40 3m.
207
jedoch auch Moder. Gcröllstreifen ziehen sich quer durch das ganze Seebecken,
darunter Blöcke von beträchtlicher Größe, die zur Eiszeit hier abgelagert wurden.
Bei Sturm wirft die Müritz vielfach Titaneisen und Bernstein aus, doch nur selten
größere Stücke des so geschätzten fossilen*) Harzes.
Reich ist die Müritz an Fischen. Hechte, Barsche, Schleie, Brachsen, Plötze,
Moränen, Stinte, Kaulbarsche, Aale, Zander und Welse werden mit Netzen, Reusen
und Angeln gefischt. Hechte von 15 und Barsche von 1 Kilo und darüber sind
keineswegs ausgestorben. Krebse wurden früher viel gefangen, sind aber leider in
den letzten Jahren durch eine Krankheit, die Krebspest genannt, so gut wie ver-
schwunden. Wohl sind die Zeiten längst dahin, wo man für 25 Pfennig ein
schönes Gericht Fische erstand, allein es sind doch trotz der großen Nachfrage oft-
mals Fische zu mäßigen Preisen zu erhandeln. Die Müritzfische erfreuen sich
ihres reinen Geschmackes wegen eines ausgezeichneten Rufes, wenn gleich sicherlich
nicht alle in Berlin als „Müritzfische" angepriesenen diesem See entstammen. In
Waren besorgt den Fischereibetrieb gegen Zeitpacht eine Fischerzunst, die schon
1472 begründet wurde.
Die Müritz wird von großen Elbkähnen (Zillen) viel durchkreuzt, die von
und nach Waren und Röbel kommen, um Korn, Raps, Holz, Ziegelsteine und
Kartoffeln zu bringen oder nach Berlin oder Hamburg auszuführen. Drei Dampf-
schiffe vermitteln den Verkehr mit den Städten Waren, Röbel, Malchow und Plan,
und eine Fahrt mit der „Grille" nach Röbel, besonders bei starkem Wind, gleicht
einer Meerfahrt, ist aber dann nur seetüchtigen Personen anzuraten. Wenn aber
zur Winterzeit die Müritz mit- einer haltbaren Eisdecke belegt ist, vergnügt sich
jung und alt auf der weiten Fläche mit Schlittschuhlaufen. Es ist ja ein präch-
tiges, den Körper stärkendes Vergnügen, wenn man auf Stahlschuhen über große
Flächen, wie beschwingt, dahingleitet. Bei glatter Eisbahn werden sogar Fahrten
von Waren nach Röbel unternommen, doch ist immer Vorsicht dabei geboten.
Stellt sich stärkerer Frost ein, so wirft das Eis Borsten über Borsten und das
Gedröhn derselben, besonders zur Abend- und Nachtzeit, gleicht dann einer starken
Kanonade, dem Furchtsamen leicht Schrecken einjagend.
Sehen wir die Umgebung der Müritz im ganzen an, so hat die westliche
Seite fast überall trefflichen Boden. Üppige Weizenfelder umgeben die Dörfer,
zahlreiche Rinderherden weiden im saftigen Grün; Gehölz ist hier nur wenig, es
hat zu sehr dem Ackerbau weichen müssen. Dennoch finden sich hier zwei Punkte,
die ein durchaus schönes landschaftliches Bild liefern: das Sembsiner Holz und der
Steinhorn. Besonders wird der Steinhorn bei Ludorf, eine lange bewaldete
Landzunge mit hohen Ufern und großen Granitblöcken, von Röbelensern und
Warensern zu Wasser besucht, die hier unter dem Schatten herrlicher Buchen und
Eichen Rundschau halten. Die östliche Seite der Müritz wird vielfach von Bruch
und Weide umsäumt, hinter denen Sandselder mit Kiefernwäldern wechseln. Aber
auch hier finden sich Fernsichten, die wohl verdienten, mehr gewürdigt zu werden.
XIV. 1.
a. Übung macht den Meister. Borgen bringt Sorgen. Not bricht Eisen.
Wohlgeschmack bringt Bettelsack. Gelegenheit macht Diebe. Geld regiert die
Welt. Geduld überwindet alles. Das Alter muß man ehren. Eine Hand
*) Fossilien — ans der Erde gegrabene unorganische Körper, z. B. Erz, Steine rc.
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tDä|cf)t bic anbete. Das Werk lobt ben Meister. Schimpsworte befubeln ben
Sprecher. Die Rebe verrät bas Herz. Du sollst Vater unb Mutter ehren!
b- Unmäßigkeit schabet ber Ges unb heit. Niemanb kann zwei Herren bienen.
Den Eltern gebührt Liebe. Steh überall beinem Nächsten bei! Ein Christ
verzeiht seinem Beleibiger. Die Strafe folgt bem Verbrechen. Dem Böse-
wicht wirb alles schwer. Gott wiberstehet bem Hoffärtigen. Der Milbthätige
giebt ben Armen.
167. Die in Steine verwandelten sieben Hirtenknaben.
(* Von Lehrer I. Giese in Gr. Bengerstorf.)
Um die große parchimsche Feldmark führt ein etwa einen
Meter hoher Wall, der die Landwehr heißt, und der nur durch die
Verkehrsstraßen durchschnitten ist. In der Nähe dieser Landwehr,
fast unmittelbar an der Parchim-Ludwigsluster Eisenbahn, sieht man
aus dem Spornitzer Felde a eine Steingruppe, die aus sieben Steinen,
jeder von der Größe eines halbgefüllten Kartoffelsackes, besteht, und
von denen sechs im Kreise liegen, der siebente jedoch ein wenig aus
dem Kreise ausgerückt ist. — Vor vielen Jahren, so erzählt die
Sage, hüteten hier sieben Hirtenknaben aus dein nahen Spornitz
a bic Pferde ihrer Dienstherren. Nachdem sie sich schon durch allerlei
Kurzweil und mancherlei Spiele a die Zeit vertrieben hatten, ver-
fielen sie auf das Kegelspiel. Weil b ihnen nun hiezu Kegel und
Kugel fehlten, gebrauchten sie adie Würste, die sie zu ihrem Hirten-
brot bekommen hatten, als Kegel und formten sich aus ihrem frisch-
gebackenem Brote a bic Kugeln. Als sie ein wenig gespielt hatten,
trat plötzlich ein großer, ernst aussehender Mann in weißem Kleide
zu ihnen, stellte ihnen a das Sündhafte ihres eben begonnenen Spiels
vor und bat a sie dringend, doch sofort davon abzulassen, weil b ihrer
Sünde sonst die Strafe folgen würde. Aber die gottlosen Knaben
verhöhnten a den Fremden, und alle bis auf einen setzten a das Spiel
fort. Zu diesem einen trat jetzt der Fremde und befahl bjhm, sich
sofort nach Hause zu begeben, sich aber nicht umzusehen, wenn er
nicht ebenso wie seine Gefährten vom Verderben ereilt werden wolle.
Der Knabe schickte sich an, nach Hause zu gehen. Als er aber einige
Schritte gethan hatte, hoffte er seine stark erwachte Neugierde zu be-
friedigen und zugleich b dem angedrohten Verderben dadurch zu ent-
gehen, wenn er sich zwar nicht umdrehe, wohl aber sich vornüber-
neige und zwischen seinen Beinen hindurch rückwärts sehe. Gerade
in dem Augenblick, als der Knabe zurück sah, wurden auf ein Macht-
wort des Fremden alle Knaben, auch der anfangs folgsame, in
Steine verwandelt.
Man möchte sich wohl wunbern, baß biese Steine, bic boch eine beträchtliche
Größe haben, nicht schon lange zu Bauten verwanbt worben sinb, allein eine
heilige Scheu vor biesen Steinen hat bie Spornitzer von jeher von solcher Ver-
wenbung abgehalten. Die Leute, auf bereu Äcker bie Steine liegen*), haben zwar
alles Recht, letztere wegzunehmen, allein — unb wer wollte bas nicht achten unb
*) Auf dem Acker des jetzigen Büdners Mark wart stehen 6 Steine, aus dem des Büd-
ners Hinnrichs ein Stein.
209
loben! — sie thun es nicht, weil eben eine gewisse Scheu vor der mit diesen
Steinen verbundenen Sage es nicht leidet. „Unsere Vorfahren ließen sie stehen",
sagt man, „wir lassen sie ebenfalls unberührt, und unsere Nachkommen werden es
auch thun." Der frühere, schon lange verstorbene Müller in Spornitz*), so erzählt
eine alte noch lebende dortige Frau**), die als Kind bei demselben ausgethan war,
hat einmal einen jener Steine zum Bau auf seinen Hof gefahren, aber länger als
eine Nacht „hat es ihm keine Ruhe gelassen"; am andern Morgen vor Tages-
anbruch hat er ihn still wieder an Ort und Stelle gebracht.
168. Der schwarze Tod in Platschow bei Grabow.
(* Von I. Giese.)
Platschtzw, ein wohlhabendes Dörfchen, hart an der preußischen
Grenze und an der Landstraße von Grabow nach Putlitz, war von
jeher ein Ort, der durch den Wohlstand seiner Bewohner in der
nächsten Umgegend einige Berühmtheit erlangt hatte. Obgleich Wohl-
habenheit in dem Dorfe herrschte, so fand man doch in demselben
nicht das, was man sonst gewöhnlich an solchen Orten zu finden
pflegt, nämlich Hartherzigkeit und Geiz, Wollust und Übermut. Die
Bewohner Platschows blieben demütig und verließen nicht die Wege
des Herrn. In Liebe und Freundschaft wohnte der Nachbar beim
Nachbar, und in Mildthätigkeit suchte es der eine dem andern zuvor
zu thun. Der Segen Gottes ruhete denn auch sichtlich auf dem
Dorfe. Es schien sogar, als wenn er eine die ganze Gegend ver-
heerende Krankheit, schwarzer Tod genannt, von ihm abwenden wolle;
denn noch war in dem Dorfe keiner von dieser Pest befallen, wie-
wohl die Platschower täglich in die benachbarten Dörfer eilten, um
Hülfe zu leisten, wo bei Verwandten oder Freunden jene Krankheit
ausgebrochen war.
Nun sollten die Platschower billig erkannt haben, daß Gottes
Auge über sie wache, und daß sie sich glaubensvoll seinem ferneren
Schutze anvertrauen müßten. Allein nach und nach beinächtigte sich
ihrer Kleinmut und Verzagtheit. Als in den Dörfern rings umher
der schwarze Tod immer ärger zu wüten begann, glaubten sie sich
gegen denselben abschließen und den Umgang mit den Nachbars-
dörfern ganz abbrechen zu müßen. Ein gewaltiger Erdwall mit
tiefen Gräben auf beiden Seiten wurde um das Dorf gelegt, damit
niemand aus- und eingehen oder die durch das Dorf führende Land-
straße benutzen könne. Hinter diesem Walle glaubten nun die Plat-
schower vor den sie bedrohenden und gefürchteten Feind sicher zu sein.
So lange das Dorf noch offen gelegen, und so lange man
noch gegangen war, um geliebte Freunde oder teure Verwandte in
ihrem kurzen und schweren Todeskampfe zu pflegen und zu trösten,
so lange hatten sie sicher gewohnt; denn sie standen ja unter dem
Schutze des Höchsten. Als sie aber hinter der Schanze saßen und
*) Mit Namen Doß.
**) Die (Anfang 1884) hoch in den 70er Jahren stehende Menck.
(Anm. des Verfassers.)
14
S cl) r a e p , Lese- und Lehrbuch II. 2.
210
sich in ihr Gottvertrauen immer mehr das Vertrauen auf eigne
Kraft und Klugheit mischte, da wußte sie der Herr zu finden trotz
ihrer festen Wälle.
Man wähnte sich in vollster Sicherheit. Da brach die Krank-
heit auch in Platschow aus und trat hier fürchterlicher auf, als in
den benachbarten Orten. Weder Junge noch Alte, weder Starke
noch Schwache wurden von derselben verschont. Anfangs traten die
Gesunden noch zusammen, um den Verstorbenen ein ehrliches Be-
gräbnis auf dem Kirchhofe zu Gr. Berge zu bereiten. Bald aber
waren der Kranken und Toten so viele und der Gesunden so wenige,
daß man nicht mehr vermochte, alle Toten nach dem Kirchhofe zu
bringen. Man trug sie nur noch über den Wall und begrub sie an
dem Kirchwege auf dem heutigen Mühlenberge. Was die ersten
Toten noch erhalten hatten, nämlich einen Sarg, konnten die letzten
nicht mehr bekommen, weil es an Händen fehlte, die denselben
zimmerten.
Wenige Tage nur waren verflossen, als schon das ganze Dorf,
bis auf einen Mann, ausgestorben war. Dieser eine, welcher der
„lange Schuldt" geheißen hat, trug die letzten Leichname über den
Wall nach dem Totenplatz, wo er sie bei den andern in die offene
Grube legte und diese dann mit Erde füllte. Wo dieser lange
Schuldt geblieben ist, ob er ausgewandert, oder ob auch ihn endlich
der Tod in dem verödeten Dorfe ereilt hat, weiß man nicht. So
viel will man aber wissen, daß der Ort in einem Zeitraum von
mehr als dreißig Jahre unbewohnt geblieben ist.
Nach dreißig und etlichen Jahren versuchten es zuerst fünf
Menschen, drei Gebrüder Schuldt und zwei Gebrüder Holm, sich in
diesem Dorfe wieder anzusiedeln. Als sie in demselben erschienen,
fanden sie die meisten Häuser ihrer Dächer und Wände beraubt, auch
mehrere Gebäude vom Winde ganz über den Haufen geworfen. Die
Straßen standen so voll Unkraut und Gebüsch, daß fast nicht hindurch
zu dringen war. Mehrere hundert Hunde, groß und klein, lebten in
dieser Wildnis und versetzten durch ihr gräßliches Geheul die Ein-
wanderer in Angst und Grausen.
Nur ein einziges Haus auf dem jetzigen Schuldtschen Gehöfte
fand man noch in ziemlich wohnbarem Zustande; doch daß auch in
diesem seit einer Reihe von Jahren kein Feuer mehr gebrannt hatte,
zeigte ein Hollunderbaum von der Dicke einer Wagendeichsel; er war
durch den verfallenen Feuerherd gewachsen und nahm mit seinen
Zweigen den ganzen Raum über und unter dem Schwibbogen ein.
Nachdem dies Haus die Einwanderer aufgenommen hatte, machte
man nach und nach noch vier andere Häuser bewohnbar, suchte dar-
auf die Straßen von dem Gebüsch zu reinigen, die gräßlichen Hunde
aus dem Dorfe zu entfernen und dann den Anfang bei der Acker-
wirtschaft zu machen. Alles gelang gar schnell. Nach wenigen Jahren
war Platschow wieder ein freundliches Dörfchen, das fast keine Spur
der Verwüstung mehr an sich trug.
211
Nach und nach hob sich auch der Wohlstand des ganzen Ortes,
und bald war Platschow wieder eins der wohlhabendsten Dörfer der
ganzen Gegend.
Wo ihn der Spaten des wirtschaftlichen Hauswirts noch nicht
wieder niedergeworfen hat, da ist der damals aufgeworfene Wall noch
heute sichtbar, und er wie die Menschenschädel und andere inensch-
liche Überreste, welche man noch heute auf dem Windinühlenberge
unter der Erde findet, bestätigen die Wahrheit dieser Sage.
169. Das Großherzogtum Mecklenbnrg-Strelitz.
(* Von H. Staffeld, Lehrer in Cantnitz.)
Fährst du mit mir von Güstrow aus auf der Friedrich-Franzbahn über
Malchin und Stavenhagen, so überschreiten wir bald hinter der kleinen
Haltestelle Mölln (wo aber kein berühmt gewordener Eulenspiegel begraben liegt),
die Grenze des engeren Vaterlandes, und wir befinden uns in dem verwandten
Nachbarlande, dem Großherzogtume Mecklenburg-Strelitz. „Neubranden-
burg! Aussteigen!" ruft der Schaffner, und wir betreten geschichtlichen Boden.
Bewegtes Leben herrscht auf diesem Bahnhöfe; denn hier durchkreuzt die Berliner-
Nordbahn die Friedrich-Franzbahn. Wir sehcn's auf den ersten Blick, Neubranden-
burg mit seinen Ringmauern, Mauertürmen und alten Festungsgräben muß im
Mittelalter eine nichtzuverachtende Festung gewesen sein. In dem dreißigjährigen
Kriege, der über das kleine Ländchen so unendliches Elend brachte — denn heute
noch treffen wir hier allenthalben Ruinen und Überbleibsel untergegangener Dörfer —
belagerte Tilly diese Festung, und trotz heldenmütiger Verteidigung eroberte er sie
nach blutiger Beschießung. Heute ist sie ein freundliches, gewerbetreibendes Städt-
chen, dessen blutgetränkte Wälle zu prächtigen Spaziergängen eingerichtet sind. In
Neubrandenburg wohnte unser Landsmann Fritz Reuter, der hier seine be-
deutendsten Werke schuf. Ein anderer unserer größten Schriftsteller, Johann
Heinrich Voß, ebenfalls unser Landsmann, besuchte hier das Gymnasium.
Um das sehenswerte Land kennen zu lernen, wandern wir zu Fuß weiter;
denn im Eisenbahnwagen fliegen Städte, Dörfer und Landschaften ungesehen an
uns vorüber. Neubrandenburg liegt an der Tollense, einem Flüßchen, das sein
Wasser bei Demmin in die Peene ergießt, und an dem Tollenser-Sec, der zu den
bedeutendsten Seen des secnreichen Landes gehört. Seine Ufer sind steil und mit
schattigem Buchenwald bewachsen. Nach mehrstündiger Wanderung erreichen wir
das ersehnte Ende desselben, wo die Gelehrten die alte zerstörte Wendcnstadt
Rethra bis heute vergeblich suchen. In unmittelbarer Nähe liegt das Dorf und
Schloß Hohenzieritz. Hier stehen wir nicht nur aus geschichtlichem, sondern auf
heiligem Boden; denn hier starb 1810 die unvergeßliche Luise, Königin von
Preußen, eine mecklenburg-strelitzsche Prinzessin. An diesem Sterbebette, das wir
andachtsvoll betrachten, kniete als Kind unser jetziger Heldenkaiser Wilhelm und
enrpfing den Segen seiner sterbenden, cngelsguten Mutter. Ihr Segen ist Wahr-
heit geworden!
Tief ergriffen verlassen wir diese heilige Stätte und wandern der nahen
Residenzstadt Neustrelitz zu. Sie ist kaum 200 Jahre alt und in Form
eines achteckigen Sternes erbaut, umgeben von herrlichen Anlagen. Im wohl-
gepflegten Schloßgarten befindet sich in einer kleinen Kapelle die von dem Bild-
14*
212
Hauer Rauch gemeißelte, wunderbar ergreifende Marmorstatue der Königin Luise,
ruhend auf dem Sterbebette dargestellt. Die Stadt hat Gymnasium, Realschule,
mustergültige Volksschule, Theater, Militär und verschiedene Krankenhäuser, von
denen namentlich das von der verstorbenen Herzogin Karoline gegründete Karo-
linenstift dem ganzen Lande zum unermeßlichen Segen gereicht. In den Straßen
der Stadt herrscht ein bewegtes Leben, indem die Berliner-Nordbahn viele Fremde
zuführt. Hier war es, wo unser weltberühmter Landsmann Schliemann, der
Altertumsforscher, das Gymnasium besuchte.
Drei Meilen südlicher liegt in sandiger Gegend der freundliche Marktflecken
Mirow, in dem das Lehrer-Seminar des Landes sich befindet, und in dessen
Nähe die Havel entspringt. An dieser liegen noch die Städtchen Wesenberg
mit dem Teufelsschloß an der Kirche und Fürstenberg. Nachdem die Havel
durch zahlreiche Seen und beträchtlichen Sand den Weg sich gebahnt hat, tritt sie
im Königreich Preußen (wo sie noch die Spree und die aus Mecklenburg
kommende Dosse aufgenommen hat), in ihren Hauptfluß, die Elbe. Diese
sandige Ebene im südlichen Großhcrzogtume ist nur ein sehr kleiner Teil der großen
Sandfläche, die sich von Leipzig über Berlin, durch den Süden der beiden Groß-
herzogtümer Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin hinzieht und deren
Ausläufer die große Lüneburger Heide ist. Wer sich recht satt am Sande sehen
will, muß diese bezeichnete Reiseroute unternehmen.
Um aber wirklich schweizerische Landschaften zu genießen, durchwandern wir
den ganzen südöstlichen Teil des Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz, gehen zu-
nächst an Strelitz, das nur eine halbe Meile von Neustrelitz entfernt ist, und
an den düstern unheimlichen Mauern des dortigen Landgefängnisses schweigend vor-
über zum Schweizerhause, einem fürstlichen Jagdschlösse mitten im herrlichen
Buchenhaine, dem großherzoglichen Wildparke. Trauliche, wohlthuende Stille be-
grüßt den forschenden Wanderer. Unter den Gemächern jenes Schlosses befindet
sich auch das unverändert gebliebene Sterbezimmer des hochseligen Großherzogs
Georg, des Bruders der hochherzigen Königin Luise. Wir besteigen den hölzernen
Aussichtsturm, und ich zeige dir die in der Ferne liegende Burg Stargard, an
dessen Fuß im anmutigen Thale die Stadt selber liegt. Dort drüben erblickst du
das frühere Klosterdorf Wanzka mit mächtiger Kirche, in der Fürsten beigesetzt
sind. Man sieht es heute noch den Giebeln der Pachthofgebäude an, daß sie
Überbleibsel der alten Klostermauern sind. Alljährlich wird hier ein nicht un-
bedeutender Jahrmarkt abgehalten. Reiche Bauer- und Pachtdörfer liegen in frucht-
barer Ebene zu unseren Füßen; und der dunkle Wald mit seinem edlen Wilde,
mit Hirschen, Rehen, Wildschweinen, Fasanen u. s. w. durchzieht ganz Mecklenburg-
Strelitz unübersehbar. Vom Schweizerhause pilgern wir zur Stein- und
G old enb aumer - Mühle. Schwer wird es uns, von diesem herrlichen Land-
schaftsbilde sich trennen zu müssen, doch wir gehen an zahllosen Hünengräbern im
Walde bei Koldenhof vorüber nach dem Marktflecken Feldberg mit seiner berühm-
ten Wasserheilanstalt. Nachdem wir hier einen Ruhetag gehalten haben, um die
reizende Umgegend mit Muße besichtigen zu können, wandern wir über die Rote-
Kirche, Ruinen des im dreißigjährigen Kriege zerstörten Dorfes Rotenhagen, sowie
über die alte Festung Woldegk zum Helpterberge. An Woldegks altem Thore
hing noch jüngst an eiserner Kette eine wuchtige Keule mit der beigefügten In-
213
schrift: „Wer den Kindern giebt sein Brot und leidet darum selber Not, ist wert,
daß man ihn schlag' mit dieser Keule tot."
Auf dem Helpterberge sind wir auf dem höchsten Punkte des ganzen
Großherzogtums angelangt und haben von hier aus wiederum eine weite Aussicht
über reiche Dörfer und alte Ritterschlösser, die wie im farbigen Kranze den Berg
umgeben. In nördlicher Ferne liegt die ehemalige Festung Fried land, jetzt die
reichste Stadt des Landes, die ein bedeutendes Gymnasium und einen der ältesten
vom Turnvater Jahn errichteten Turnplatz besitzt. Wir befinden uns jetzt wie auf
unserer ganzen Reise im südöstlichen Teile des Landes auf einem Ausläufer des
uralbaltischen Höhenrückens, der sich noch weiter nach Osten bis zum Galen-
b eckersee hinaus hinzieht, in dem die sogenannte Teufelsbrücke sich befindet. Wer
gut zu Fuß und Naturmensch ist, der an Berg und Wald und herrlichen Fern-
sichten sich erfreuen kann, dem rate ich dringend, diese Strecke weiter zu wandern.
Der Blick schweift hier frei über Städte, Kirchdörfer und Ritterschlösser, die in
malerischer Abwechselung das unvergeßliche Bild beleben. Den Bernstein findet
man nicht selten in dieser flachen Gegend, die zu des Wanderers Füßen sich weit aus-
dehnt ; ein sicheres Zeichen, daß hier vor Jahrtausenden die Wogen der Ostsee brandeten.
Indem ich dich, freundlicher Leser, nach dem nicht weit entfernten Bahnhöfe
Ortzenhof geleite, erzähle ich dir noch, daß Mccklenburg-Strelitz circa 50 Quadrat-
meilen groß ist und ungefähr 100,000 Einwohner hat, also nur ein kleines, aber
von Gott reich gesegnetes Ländchen ist, dessen sämtliche 8 Städte und 2 Markt-
flecken durch Chausseen miteinander verbunden sind, daß ferner zwei Eisenbahnen
das Land durchschneiden, welche fast alle Städte desselben berühren, und daß außer-
dem das südlich von Lübeck gelegene Fürstentum Ratzeburg mit dem Städt-
chen Schönberg dazu gehört. Beim Abschied aber, den wir von einander nehmen
müssen, versicherst du mir, daß du herrlichere Punkte, wie die in meinem engeren
Vaterlande gesehenen, selbst auf der vielbesuchten Insel Rügen nicht gefunden hast,
ausgenommen den Kreidefelsen Stubbenkammer mit der erhabenen Aussicht auf
das weite, wogende Meer.
170. Großherzog Georg von Mecklenbnrg-Strelitz.
(Von F. C. W. Jacoby, Lehrer in Neubrandenburg.)
Großherzog Georg von Mecklenbnrg-Strelitz gehörte zu den
edelsten Fürsten unseres deutschen Vaterlandes. Wer ihn persönlich
gekannt hat, weiß von seiner hohen geistigen Begabung, seiner Herzens-
gute und Leutseligkeit zu sagen, und sein Andenken bleibt im ehren-
vollen Gedächtnis seines Volkes. Er war im Jahre 1779 am 12.
August zu Hannover geboren, wo sein Vater damals als englisch-
hannoverscher Feldmarschall die Stelle eines Gouverneurs der Residenz
bekleidete. In seinen jungen Jahren ist er in Frankfurt am Main,
wo er im Hause der Mutter des Dichters Goethe wohnte, Zeuge von
der Krönung zweier deutscher Kaiser (Leopold und Franz II.) ge-
wesen, hat später in Rostock und Berlin studiert und darauf zwei
Jahre lang die Schönheit Italiens genossen. Eine innige Liebe ver-
band ihn mit seinen Geschwistern, namentlich mit der Schwester
Luise, der späteren Königin von Preußen, die gleichfalls mit un-
endlicher Liebe an ihm hing. Die schweren Unglücksjahre der französi-
214
schen Fremdherrschaft, worunter das edle Herz der Königin so viel
leiden mußte, hat ihr Bruder Georg teilnahmsvoll mitgetragen und
oft schriftlich und mündlich ihre Kraft und ihren Mut wieder auf-
gerichtet. Wie groß war dann aber in dem allgemeinen Schmerz
auch der seinige, als die unvergeßliche Königin im Jahre 1810 den
19. Juli ihr edles Leben beenden mußte und zwar in Hohenzieritz,
wohin sie zum Besuch gereist war. Dort wird noch immer zu ihrem
Sterbezimmer und dem Luisentempel gewallfahrtet, aber auch im Park
noch ein alter Birnbaum gezeigt, unter dem die fürstlichen Geschwister
in kindlicher Freude gespielt haben.
Im Jahre 1816 folgte Georg seinem Vater Carl, welcher nach
dem Tode des kinderlosen Bruders Adolf Friedrich IV. Herzog von
Mecklenburg-Strelitz und nach beendigtem Freiheitskriege Großherzog
geworden war, in der Regierung. Eine seiner ersten segensreichen
Thaten war die Gründung eines Lehrerseminars zu Mirow im Jahre
1820. Dieser folgte bald die Erbauung eines neuen Schulhauses
zu Neubrandenburg im Jahre 1826, woselbst er auch die St.
Marienkirche, im Äußern und Innern würdig und geschmackvoll aus
eigenen Mitteln hat erneuern lassen. Gleichfalls haben die Stadt
Fürstenberg ein ganz neues schönes Gotteshaus, seine Residenz Neu-
strelitz die prächtige Schloßkirche und mehrere Dörfer neue Kirchen
und Schulhäuser erhalten.
Als Freund und Verehrer der Musik schuf er eine eigene Hof-
kapelle und sorgte als feiner Kunstkenner für Verbesserung des Theaters
und für künstlerischen Schinuck seiner Gärten. Zu seinen Lieblings-
neigungen gehörte namentlich in seinen höheren Lebensjahren die
Jagd und der Aufenthalt im grünen Wald. Zu diesem Zweck ließ
er sich das sogenannte Schweizerhaus in den Serrahnschen Bergen
zwischen Strelitz und Feldberg erbauen, wo er sich oft wochenlang in
stiller Zurückgezogenheit aufhielt. Von 1833 an, während 27 Jahre
seines Lebens, hat er dieses Häuschen jeden Sommer bewohnt.
Das Herz des Großherzogs Georg war das eines echten
Landesvaters und Wohlthäters, durchdrungen von Erbarmen und
Wohlwollen gegen alle seine Unterthanen, besonders gegen Arme und
Hülfsbedürftige. Kein Bittgesuch um Unterstützung blieb unerfüllt;
der hohe Herr gab das Letzte hin. Einfach in seiner äußern Er-
scheinung, war er voll Schärfe des Verstandes und voll Liebens-
würdigkeit im persönlichen Verkehr, wie auch seine staatsmännischen
Kenntnisse weit über die nächsten Grenzen seines Berufs hinaus-
gingen, so daß er von seinem Schwager, dem Preußenkönig Frie-
drich Wilhelm III., und anderen Fürsten in schmierigen Sachen oft
zu Rat gezogen wurde.
Seine Ehe mit Großherzogin Marie aus dem Kurhause Heften
war eine glückliche und mit vier Kindern gesegnet, von denen eine
Tochter, die Herzogin Luise, bei seinen Lebzeiten gestorben ist. Zwei
andere Kinder, der Herzog Georg und die Herzogin Karoline, von
welcher das Krankenhaus, genannt Karolinenstift, in Neustrelitz
215
gegründet ist, sind nach ihm verstorben; auch seine Gemahlin hat ihn
um zwanzig Jahre überlebt.
Bis in sein Greisenalter behielt Großherzog Georg die Frische
des Geistes und Herzens und auch seine leibliche Gesundheit, wenn-
gleich in einem zarten, empfindlichen Körper. Er war ein Greis mit
wenig gebleichtem Haar, schlank und mager, gerade in Gang und
Haltung und vornehm in jeder Bewegung; nur sein Gehör, welches
stets schwach gewesen war, sollte mit den Jahren immer mehr ver-
löschen und dies ihm viele Pein verschaffen. Am 6. September 1860
ist er in seinem geliebten Schweizerhause sanft entschlafen und bald
darauf in der fürstlichen Familiengruft in Mirow beigesetzt worden.
Die dankbare Liebe seines Volkes hat ihm auf dem Markt-
platz zu Neustrelitz ein ehernes Standbild errichtet, das vom Bild-
hauer Albert Wolf, einem geborenen Neustrelitzer, entworfen ist.
Mehr aber als Stein und Erz es ausdrücken können, ruht in jedem
Herzen eines echten Mecklenburg-Strelitzers die alte Verehrung und
Dankbarkeit gegen diesen hochherzigen Landesfürsten. Sein ältester
Sohn Friedrich Wilhelm folgte ihm in der Regierung.
171. Mecklenburg-Strelitz’sches Volkslied.
Wie heisst der Gau im deutschen Land,
Gesegnet reich von Gottes Hand,
Der in der gold’nen Ahrenpracht
Dem Wanderer entgegen lacht?
Des Beltes Wogen liegt er nah,
Er wird genannt Vandalia.
Da grünt der deutschen Eiche Beis,
Der echten Bürgertugend Preis,
Da hält man Becht und Sitte wert,
Da wird des Landmanns Fleiss geehrt,
Da wohnt noch alte deutsche Treu’,
Da spricht man Wahrheit ohne Scheu.
Wo ist das bied’re Volk voll Kraft,
Das still und emsig wirkt und schafft,
Das nie geduldet fremde Schmach,
Das kühn die fremden Ketten brach?
Mit Ehren ward es stets genannt
Das Volk im Mecklenburger Land.
Wie heisst der Fürst, gerecht und mild,
Der Schirm des Bechts, der Freiheit Schild,
Den jede Herrschertugend schmückt,
Der gern sein treues Volk beglückt?
„Georg!“ so ruft und jubelt laut
Sein Volk, das freudig ihm vertraut,
Drum Heil dem edlen deutschen Mann,
Der Segen stiftet, wo er kann;
216
Ihm zeige jeder Tag aufs neu
Des Volkes Lieb’, des Volkes Treu’!
Gott, Herr der Welt, bleib’ schützend nah
Dem Herzog und Vandalia!
(Bahrdt).
172. Belvedere bei Neubraudenbnrg.
(* Von F. C. W. Jacoby.)
J. J. 1822 erb. v.
Marie Grossherzogin v. Mecklenburg
geb. Prinzessin von Hessen.
So lautet die Inschrift am Grundstein der fürstlichen Villa,
womit Zeugnis gegeben wird von dem Alter des schönen einfachen
Bauwerkes und der Anlagen um dasselbe.
Belvedere, der vielbesuchte Aussichtsort, ungefähr 30 Meter
über dem Spiegel der unten fließenden Tollense, hat im Jahre 1872
sein fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert, und die hohe Frau, die Groß-
herzogin Marie, welche den Grundstein zu der Villa gelegt, hat bis
zu ihrem am 30. Dezember 1880 erfolgten Tode die Freude gehabt,
ihre Schöpfung in ihrem ursprünglichen Zustande erhalten zu sehen.
Tausende von Spaziergängern und Naturfreunden haben im
Laufe der Jahre diese reizende Stätte besucht. Sie hat für alle
Fremde einen Anziehungspunkt und Sammelplatz stillen, erhabenen
Naturgenusses abgegeben und namentlich der Neubrandenburger ist
stolz geworden auf sein romantisches Belvedere.
In der Frühstunde, beim glitzernden Tau der Wiesen ist er
hinausgeschlendert, von dort die Sonne aufgehen zu sehen. In der
mittleren Tageszeit fand er dort Erfrischung und Kühlung in dem
dunklen Schatten seiner Bäume und Laubgänge. Am Abend nach
vollbrachtem Tagewerk hat er gern seine Schritte gelenkt den See ent-
lang, sich dort auszuruhen, an entzückender Fernsicht, an Sonnen-
untergang oder Mondesaufgang sich zu erlaben und zu erheben.
Eine Quelle mauuigfachen reinen Naturgenusses hat Belvedere
all seinen Besuchern zu jeder Jahres- und Tageszeit geboten, und so
darf der edleren Gründerin der Dank nicht vorenthalten und zugleich
die Hoffnung ausgesprochen werden, daß auch ferner fürstliche Huld
diesen schönen Ort beschirmen und dem Publikum zur Erholung und
Freude frei geben werde.
Am tiefblauen See
Auf waldiger Höh'
Thront friedlich die fürstliche Ville,
Wo Freude und Lust
Der fühlenden Brust
Sich öffnen in reizender Fülle.
Da dehnt sich weit
Im bläulichen Kleid
Des Sees tiefliegendes Bette;
Ein waldiger Kranz
Umhüllet es ganz
In lieblich verschlungener Kette.
217
Oft sah ich die Flut
Mit tosender Wut
Die Wogen am Ufer zerschellen,
Oft plätschern vergnügt,
Vom Zephyr*) gewiegt
In kosendem Necken die Wellen.
Hier schaukelt ein Kahn
Auf flüssiger Bahn
Im Glanze der strahlenden Sonne,
Harmonisch erklingt
Das Lied und es dringt
Zum Herzen mit seliger Wonne.
Dort senket zu Grund
Mit schweigendem Mund
Das Netz bei der Sterne Geflimmer
Der Fischer und lauscht,
Wie unten es rauscht
In glanzdurchdrungcncm Schimmer.
Wohl weil' ich hier gern
Und blick' in die Fern'
Auf Stadt und auf grünende Auen.
Von dir ganz erfüllt,
Du liebliches Bild,
Werd' stets ich mit Wonne dich schauen!
173. Die Entstehung des kleinen Lncinsees bei Feldberg.
(Eine Volkssage.)
(* Von F. C. W. Jacoby.)
Lange vor dem 30jährigen Kriege, als der grausame Tilly
mit seinen Scharen in Mecklenburg eindrang und auch Neubranden-
burg zerstörte, kamen schon von Osten her wilde Kriegsvölker nach
Deutschland. Sie näherten sich unserm Lande in der Gegend von
Feldberg. Alle Bewohner waren voll Angst und Entsetzen über die
Nachricht von ihrem gräßlichen Plündern und Morden. Bis Car-
witz war das ruchlose Gesindel schon vorgedrungen, hatte die Felder
und den Erntesegen verwüstet, die Dörfer beraubt und viele Men-
schen erschlagen. Die Feldberger liefen voll Angst auf die umliegen-
den Höhen und bemerkten deutlich, wie die Mordbrenner heranstürmten.
Sie wollten sich verteidigen und schirmeir, aber es fehlte ihnen an
allem dazu, und ihr sicherer Untergang staub ihnen vor Augen. Da
fiel ihr Blick auf ein dort oben stehendes Christusbild und flehend
streckten sie die Hände empor und riefen alle: „Ach, Herr, hilf
du uns!"
Und alsbald wurde es finster bei Tage, die Erde erbebte und
spaltete sich weit auf wie ein klaffendes Grab, worein unter Fluchen
und Heulen die Unholde stürzten und ihren Untergang fanden. Dann
aber brodelte und zischte es — und ein langgestreckter See wogte an
der Stelle entlang.
Noch heut fließt er dort mit tiefblauem Wasser; der Fischer
senkt hoffend in ihn sein Netz, und die Feldberger preisen wie damals
ihren Lueinsee.
174. Fritz Reuter.
(* Von Lina Grafs.)
Von Fritz Reuter will ich euch, liebe Kinder, erzählen, von dem Manne,
welcher in Mecklenburg geboren ist, dem unser lieber Herrgott die schöne Gabe ver-
*) Kühler, sanfter Abendwind, auch kurzweg: Westwind.
218
lieh, mit offenen Augen, offenem Herzen Freude und Leid seiner Mitbrüder nicht
allein zu scbauen, sondern auch in unübertroffener, herrlich wahrer und warmer
Leise wiederzugeben. Er wählte dazu die Mecklenburg-Pommersche plattdeutsche
Mundart, und seine Werke in unserer alten lieben Zunge sind hochberühmt in aller
Welt, selbst über das Meer hinaus in fremden Weltteilen; ja bei Kaisern und
Königen sind sie gelesen und geliebt.
Geboren wurde Fritz Reuter, der berühmte Dichter, im Jahre 1810 in
Stavenhagen in Mecklenburg-Schwerin. Sein Vater, dort Bürgermeister, war
ein tüchtiger, braver, aber strenger Mann. Seine vortreffliche, aber stets kränkelnde
Mutter verlor er früh. Mit 14 Jahren kam er auf die Schule nach Friedland;
von da ging er nach Parchim auf das Gymnasium. Im Jahre 1831 bezog er
die Universität in Rostock und ging von hier nach Jena, wo ihn leider manch
trauriges, teilweise selbst verschuldetes Schicksal ereilte. Es ist hier nicht der Platz,
euch, lieben Kindern, darüber weitere Mitteilungen zu machen, nur dieses wißt: Bei
aller Herzensgüte, bei aller Begabung verwickelte sich Fritz Reuter, durch die da-
malige Zeit der Unruhe und Unreife veranlaßt, durch eigne Arglosigkeit und Un-
vorsichtigkeit in großes Ungemach, welches ihn um die schönsten Jahre seines Lebens
brachte und uns vielleicht um manches herrliche Werk. Es ist aber auch möglich,
daß gerade die Abgeschlossenheit während seiner Haft und die darauf folgenden
Zeiten seiner Freiheit seine großen Gaben des Geistes zur Reife brachten. Reuter
war in seinem wechselvollen Leben nach jener traurigen Zeit Landmann und Lehrer;
und gerade im nähern Umgang mit dem Landvolk und den Kindern sammelte er
zu seinen Erzählungen und Gedichten die köstlichen Vorbilder, welche er in seiner
kernigen, festen, stets das Richtige treffenden Weise, bald ergreifend, bald mit ge-
mütlicher Heiterkeit wiederzugeben verstand, wie nie ein anderer zuvor.
Reuter liebte die plattdeutsche Sprache sehr; das fühlt der Leser warm her-
aus aus seinen lieblichen und ergötzlichen Erzählungen. Und wenn er auch haupt-
sächlich für erwachsene Menschen schrieb, so ist in seinen Werken doch auch den
Kindern viel Anziehendes geboten.
Wie schön vergleicht Reuter unser altes, liebes, unvergängliches Plattdeutsch
mit der alten festen treuen Eiche; er läßt den Mecklenburger Handwerksburschen
auf der Wanderschaft singen:
Ick weit einen Eikbom, de steiht an
de See,
De Nurdstorm, de brüst in sin Knäst,
Stolz reckt hei de mächtige Krön in de
Höh',
So is dat all düsend Johr west;
Kein Minschenhand, de hett em plant't,'
Hei reckt sick von Pommern bet Redder-
land.
Ick weit einen Eikbom vull Knorrn
un vull Knast,
Up denn fött kein Bil nich un Äxt.
Sin Bork is so rüg, un sin Holt is so
fast,
As wir hei mal bannt un behext.
Ricks hett em dahn;
Hei ward doch stahn.
Wenn wedder mal düsend von Jahren
verzahn.
Un doch gräunt so lustig de Eikbom up stunns.
Wi Arbeitslüd' hewwen em wohrt;^
De Eikbom, de herrliche Eikbom is uns'*),
y Im Original: De Eikbom, Herr König, de Eikbom is uns.
219
Uns' plattdütsche Sprak is 't un Ort.
Kein vornehm Kunst
Hett s' uns verhunzt,
Fri müssen s' tau Höchten ahn Königsgunst.
Es war aber nicht allein der Ruhm, welcher Reuter überall zu teil ge-
worden ist: seine Schriften brachten ihm auch die Mittel zu einem sorgenfreien,
behaglichen Leben ein. Nach jahrelangen Täuschungen und Entbehrungen verlebte
er an der Seite seiner geliebten Frau, die ihm in guten, wie in dunklen Stunden
mit großer Treue und Hingebung zur Seite stand, glückliche Zeiten. Ganz nahe
den schönen Ruinen der Wartburg bei Weimar baute sich der Dichter, der ein Liebling
aller Völker geworden war, auf einem der schönsten Fleckchen in der Gotteswelt ein
freundliches Landhaus. Hier ging Fritz Reuter am 12. Juli 1874 nach einigem
Kränkeln sanft zu Gott ein. Was sterblich an ihm war, wurde am 15. Juli auf
dem Friedhofe zu Weimar eingesenkt. Daß unser Dichter auch ein kindlich frommer,
seinem Herrn ergebener Mensch war, sagen uns folgende Zeilen, welche er einst in
einer schweren Krankheit als seine Grabschrift dichtete:
„Der Anfang, das Ende, o Herr, sind dein,
„Die Spanne dazwischen, das Leben, ist mein.
„Und irrt ich im Dunkeln, und fand ich nicht aus:
„Bei dir, Herr, ist Klarheit, und Licht ist dein Haus.
175. De beiden Swestern.
Dar weer eenmal in ollen, ollen Dagen
En schön un herrlich Tweschenswesterpoar,
Jn'n dütschen Vaderland geborn un tagen,
In vele Saken glik sik up een Hoar,
Vullstännig eens von Stamm un von Geblüt.
Indessen doch von Sinn un von Gemüt
Un von Charakter deden sik de beiden
Gewaltig von eenanner unnerscheiden. —
De Een, de strewte sehr nah hogen Dingen,
Se wußt de Würd to setten gor manierlich;
Ehr Wesen, dat was bannig fin un zierlich;
Mit vörnehm Lüd, dor müßt se ümtogahn,
Un hüll se dat ok mal mit de Geringen,
So müßten f doch up hogen Bargen wahnen. —
De anner Swester leevt dat nedder Land,
Den eben Bodden und de Waterkant;
Wo arme Buern ehren Acker plögen
Un rüge Schippers Nehm un Stüer rügen,
Verwielt se geern; an ehre Ehrlichkeit
220
Un ehre Eenfalt hett f ehr Lust un Freid.
Singt sachten ehr in Slap de lütten Görn
Un neckt in Schummern sik mit Bnrß un Deern;
Putzlustig Rimels, Lauschen un Geschichten
Weet se sör Oll un Junge to berichten;
De schönsten Gaben hett f sör jedwereenen,
Doch kann s' ok trurig sin un mit ehr weenen.
So hett dat vele, vele Johren duert. —
Nu äwer stecht in Dütschland up en Held,
En mächtig Held von Dahten un von Wurd,
Den jenne vörnehm Swester so gefüllt,
Dat he f to sinen Schatz sik wühlen deiht
Un se bekleed't mit sovel Herrlichkeit,
Dat se in'n ganzen dütschen Vaderland
As eene Königin ward anerkannt. —
De (inner Swester äwer ward vergeten
Un ward mit sachten Aschenprödel heten,
Un in'n Schurr-Murr hett' lange Johren seten.
Blot as un an, dor kümmt en braven Mann,
De nimmt dat Aschenprödelken sik an,
Un sangt von ehre Dugend an to singen
Un wo f so schön doch weer in velen Dingen.
Doch endlich kümmt ok ehr de rechte Held,
De sik in ehr verleevt ut Hartensgrund
Un treckt ehr an en prächtig niges Kleed,
Dat up ehr süht mit Lust de ganze Welt,
Un singt von ehr mit wunnersöten Mund,
Dat all de Lüd uphorken wid un breed
Un ward ehr Lov to singen gor nich möd.
Un as kum Johr un Dag in't Land gähn weern,
Dünn was uns' Aschenprödel bröcht to Ehrn.
* -i-
*
Un willt Ji weten, mine leewen Fründ',
Wer woll de beiden Tweschenswestern sünd? —
Uns hoch- un plattdütsch Sprmk! Wer künn de beiden,
An Schönheit glik, vör Tiden unnerscheiden? —
Bet dat Fründ Luther keem, de starke Held,
Un bröcht dat Hochdütsch so hoch in de Welt,
Dat all de vörnehm dütschen Lüd mit sachten
221
Uns eenfach Plattdutsch anfung'n to verachten.
Doch uns Klaus Groth, dat is de brave Mann,
De nehm uns' leewe Modersprak sik an
Un sung von ehr dat Leed: „Wa klingst Du schon!"
Un duert ok gornich lang, dunn kam noch Een,
De sirng so rniichtig ehr to Ehr un Pris,
Dat se nu nich mehr Aschenprodel is.
Dat se ià ganzen dutschen Vaderland
Zn ehre vulle Schonheit is bekannt.
Un so sallt bliwen, dornah lat't uns strewen:
Uns plattdutsch Modersprak fall ewig lewen!
(Von Hermann Jahnke.)
176. Wo dat Volk spreckt.
1. Dat is all so, as dat Ledder is. 2. Wer 't lang hett,
let't lang hängen. 3. Fett swemmt baben. 4. Jerer hett vor sin
eigen Döhr tau fegen. 5. Ut frömd' Lüd Hut is gaud Reimen
snieden. 6. Gegen 'n Backawen is nich gaud haujahnen. 7. Up 'n
Sack slag ick, un den Esel mein ick. 8. Ick wies woll up'n Wiepen,
aewer nich up dat Hauhn. 9. Wenn sik twei Deiw schellen, denn
krigt 'n ihrlich Minsch sin Kau wedder. 10. Wo de Tun am sidsten
is, is am lichtsten aewerstigen. 11. Barg un Thal begegnen sik nich,
aewerst woll Minschenkinner. 12. De Rauh is bäter as de Kauh*).
13. Hett de Kau den Swanz verlurn, denn markt sei ierst, wotau
hei gaud is. 14. Wer lang floppt un grad löppt, kümmt ok tau
gang. 15. Dat is 'n slichten Smitt, de keinen Rok verdregen kann.
16. Wer mi vor rad't, is min Fründ; wer mi na rad't, het't mi
günnt. 17. Kinnermat un Kalwermat möten oll Lüd weiten. 18.
Jerer fat an sin egen Räs, denn find't hei Fleisch. 19. Wen nich
tau raden is, den is ok nich tau helpen. 20. Eigen Loff stinkt,
Frün'n Loff hinkt; aewer watt anner Lüd laben, dat blifft baben.
177. Min Modersprak.
lJn dittmarsischer Mundart.)
Min Modersprak, wa klingst du schön!
wa büst du mi vertrut!
Meer ok min Hart as Stahl un Steen,
du drevst den Stolt herut.
Du bögst min stiwe Nack so licht
as Moder mit ern Arm
du sichelst mi umt Angesicht
un still is alle Lärm.
177. Meine Muttersprache.
(Wörtliche hochdeutsche Übersetzung.)
Meine Muttersprache, wie klingst du schön!
wie bist du mir vertraut!
Wär' auch mein Herz wie Stahl und Stein,
du triebst den Stolz heraus.
Du biegst meinen steifen Nacken so leicht
wie Mutter mit ihrem Arm,
du fächelst mir ums Angesicht,
und still ist aller Lärm.
*) Die Ruhe (der Schlaf) ist (dem Menschen) besser als das Kauen (Essen)
222
Jk fohl mi as cn luttjct Kind,
de ganze Wclt té weg.
Du pust mi as en Vocrjahrswind
de kranke Botz torccht.
Min Obbe foli mi noch de Hann'
un seggi io mi: Nu be!
un „Vaderunser" fang ik an,
as ik wul froher de.
Un fohl so deep: Dai ward verstan,
so sprickt dai Hart sik ut,
un Rau vunn Himmel wciht mi an,
un allns té wedder gut!
Min Modersprak, so slicht un rechi,
du ole frame Red!
wenn blot en Mund „min Rader" seggi,
so klingt mi't as en Bed.
So herrli klingt mi keen Musik
un fingi keen Nachtigal;
mi lopt je glik in Ogenblick
de hellen Thran hcndal.
Ich fühl mich wie ein kleines Kind,
die ganze Welt ist weg.
Du hauchst mir wie ein Frühjahrswind
die kranke Brust zurecht.
Mein Großvater faltet mir noch die Hand'
und spricht zu mir: Nun bet'!
und „Vaterunser" fang' ich an,
wie ich wohl früher that.
Und fühl' so tief: Das wird verstanden,
so spricht das Herz sich aus;
und Ruh' vom Himmel weht mich an,
und alles ist wieder gut.
Meine Muttersprache, so schlicht und recht,
du alte fromme Red'!
wenn bloß ein Mund „mein Vater" sagt,
so klingt mir's wie ein Gebet.
So herrlich klingt mir keine Musik
und singt keine Nachtigal;
mir läuft ja gleich im Augenblick
die helle Thräne hinab.
(Klaus Groth.)
178. Dat beste Wihnachtsgeschenk.
De rüge Härmst,, wir voräwer, un de Winter hab sik instellt
mit Snee un Frost. Äwer hüt wir't 'n schönen Dag, de letzte Dag
vor 't Wihnachtsfest, — wotau sik jeder freut, wenn em kein Kummer
drückt. De ganze Dörpjugend wir up de Bein un vergnäugt: 't wir
richtig 'n Sommerdag midden in' Winter, un jeder dacht an 'n
Heiligabend, und watt em de heil Christ woll bringen würr.
Blot Mutter Bölten seet trurig un allein in ehr Stuw un
spünn. As uil to keek sei bi ehr Arbeit na de lustigen Kinner
räwer, de vor ehr Finster up den Dörpbrink so vergnäugt spülten;
äwer sei mök kein fründlich Mien dortau, seg ümmer wedder vor sik
dal up dat Spinnrad un süfzt ein äwer dat anner Mal: Min
Hinrich! Tauletzt läd sei de Hänil in 'n Schot, folg sei un füng an
tau weinen un säd nochmal ganz lud: Min leiwe, gaure Hinrich!
Mutter Volten wahnt in Ollendeilskaten, de an de Schrörer'sche
Hofstäd hür, un had all stet nägen Johr ehren Mann tau Gram
bröcht; äwer sei lehd kein Not, denn 't ganze Dörp mächt Bolten-
mutter liden, wiel sei so trug un brav wir un raden un helpen
ded, wo sei künn. Ehr selig Mann hadd twindig Johr trug un
flietig bi Buer Schrörer arbeit, un de gew von je an 'il grotes
Stück up de beiden Katenlüd. So kehm 't, dat Boltenmutter hüt
an 'n Heiligabend bi Schrörers nich fehlen dürft.
Un Hinrich? Ach, wenn 't de Kinner all lveiten deden, wo
deip sei dat Vadder- un Mutterhart bidröbeir, wenn sei de Ollern
223
vergüten un mit Undank all dat Gode bilohnen! Hinrich Volt wir
von Natur 'n grundgoden Bengel, äwer siet hei as Dischergesell in
de Frömde gähn wir, had hei selten wat von sik hären laten un
äwern Johr hendörch gor nich mir an sin Mutter schräken. Hinrich
had in Hamborg, Magdeborg un anne grote Stüde arbeit un düchtig
Geld verdeint; denn hei wir flietig un verstünn sin Handwerk. Dat
letzte Johr up sine Wanderschaft wirn äwer de Tiden schlechter
worden, un siet den iersten November had hei up mierere Städen
vergews na Arbeit fragt.
Dat Wedder wir rusig un kolt, de Weg wirn fürchterlich deip,
un hei wir manchmal ganz verzagt. Mit eenmal soll em dat swer
up ’t Hart, un hei dacht an sin Mutter. Hei wandert von Urt to
Urt dörch dat schöne Thüringen, kehm in 'n grotes Kirchdörp un
sprök ok in dat Liererhus vor. As hei up de Dähl stünn, hür hei
upeins 'ne Mannsstimm, wekke säd, nu müßt Lisel de Mutter dat
Gedicht ok noch mal vorlesen. Un 'ne Helle, klore Kinnestimm füng
an, ganz lud tau lesen: „Wenn du noch eine Mutter hast . . ."
Hinrich horkt andächtig tau, jede Wurt künn hei verstahn, un em
wür dat Hart gor tau grot; as äwer de letzte Vers kehm: „Und
hast du keine Mutter mehr . . . Ein Muttergrab, ein heilig Grab,"
dünn künn hei sik nich mir hollen, un em lepen de hellen Thränen
de Backen dal. In denn Ogenblick kehm de Kanter ut de Stuben-
döhr, seg em fründlich in de blanken Ogen un frög, wat em drücken
ded. Hinrich schürrte sin Hart ut un bed, de Herr Kanter mücht
em doch dat schöne Gedicht schenken. Dat gescheg, un as Hinrich sik
mit Eten un Drücken erquickt had un weggüng, säd de Kanter, hei
füll dat Gedicht as 'n gaures Andenken upbiwohren; dat had sin
Fründ Wilhelm Kau lisch utdicht, de wir Lierer in Niestadt bi
Stolpen, un denn füll hei mit Gott na sin oll Mutter reisen un
man in sien Heimat blieben; denn 'n flietigen un braven Handwerker
had alleweg sin Brot.
Wo seelenvergnäugt wander Hinrich ut dat Dörp! As hei up
den letzten Barg wir, stünd hei still un sehg nochmal na dat fründ-
liche Kanterhus räwer; hei kreg dat Gedicht rut un les' un les', un
hei dacht an sin olle gaude Mutter, an sin Kinnerjohren, an sin
Schol, an den gräunen Brink un an den schönen Bäukenbarg; bei
Sehnsucht snürte em dat Hart tausamen un hei füng bitterlich an
tau weinen. „Ach, ick bün so wiet, so wiet von ehr", säd hei,
„wenn'ü doch noch leben ded un ik tau Wihnachten ranne kehm."
Hei wander wiere un sin Sehnsucht un sin Hoffnung würden
ümmer gröter. Vör Freuden kloppte em dat Hart, as hei endlich
äwer de Meckelbörger Grenz güng; un as hei nu gor sin Mutter-
sprak härte un kort vör Marnitz midden mank sin Volk un sin Oart
wir, dünn würd em so woll un weh üm't Hart, as up de ganze
Wannerschast nich. „Nu noch vier Dag", säd hei, „un ik bün bi
Muttern!"
In Burhus bi Schrörers wir alles vuller Freud. De Dannen-
224
born brennte, de Kinner hadden ehr Wihnachtsleder bäd't un süngen:
„O, Tannenbanm!" Wihnachten ahn Dannenbohm is doch man 'n
halben Wihnachten! Wo glücklich keken de Öllern up ehr Kinner,
un wo seelensvergnäugt sprüngen de Lütten in de Stuw herüm!
Ok Bolten-Mutter wir von allen beschenkt, äwer ehr allein künn
man kein Freud anseihn. Sei set still bi'n Aben un sehg trurig up
de Geschenke, de in ehren Schot legen, trurig up de fröhlichen Kinner,
trurig na den schönen Dannenbom; ehr wür dat Hart ümme schwerer,
de Thränen lepen ehr äwer de Backen, un sei süfzte lud up: Ach,
min Hinrich!
Up einmal kloppt hastig wat an de Dör; — alles wir ver-
stummt äwer den Besök, de miteins dor in de Dör stünn, äwer ok
man 'n Ogenblick---------„min Hinrich" reip Boltenmutter un läd
ehre beiden Armen üm em, as wenn 's em vör ümmer fast hollen
wull, un Hinrich künn nich mihr rut bringen as: „Leiw Mutter,
vergiww mi!"
As 'n Lopfür wir 't in' Dörp rüm gähn, dat Hinrich Bolt ut
de Frömde tau Hus kam wir, un jeder sad: 'ne gröte Freud had
hei sin oll Mutter gor nich maken künnt, un vör ehr gew't dit Johr
wol kein beter Wihnachtsgeschenk up de ganze Welt. Ehn un de
anner kehm, Hinrich tau begrüßen. Ok de Schult stell sik in un
säd: „Hinrich, du wardst nu doch woll bi uns bliwen? Du kannst
hier din gaudes Brot äten; denn de Discher in Steinfeld is siet
twei Johr wegtrocken, un bi de Smädlüd kannst du Mahnung kriegen."
Dat hätt Hinrich denn ok dan, un sin Mutter is tau em
trokken, un sei lewen in Freden un Einigkeit. Wenn äwer einer
Boltenmutter up den letzten Wihnachten bi Schrörers helpt, denn
lüchten ehr ümmer vör Freuden de Ogen, un sei pleggt tau seggen:
„Ja, de Wihnachtsabend wir gor tau schön; von allen kreg ik äwer
doch — dat beste Wihnachtsgeschenk." (I. S.)
179. Nur eine Ouadratmeile.
Mecklenburg-Schwerin ist in runder Zahl 240, Meckl.-Strelitz 50 (ZMl.
groß. Nicht wahr, die Zahlen sprechen sich leicht aus. Eine Quadratmeile,
wie schnell läßt sich das sagen! Du meinst, das sei in Wirklichkeit auch nur blitz-
wenig. Gewiß, auf der großen Oberfläche der Erde (über 9 Million (ZM.)
bedeutet eine Quadratmeile ein wenig mehr als nichts. Hast du aber schon
einmal einen Raum, 1 HHMl. groß, ordentlich angesehen und darüber nachge-
dacht, was sich alles auf einer solchen Fläche unterbringen läßt?
Denke dir, du ständest auf einer freien Anhöhe, von der du vor und neben
dir einen recht weiten Raum übersehen könntest; gerade vor dir, und zwar eine
Meile von deinem Standpunkte aus, läge deine nächste Stadt oder ein Dorf,
1/2 Ml. rechts und links hiervon befände sich ebenfalls ein Dorf oder eine Wind-
mühle, ein hoher Baum u. dgl., sowie von deinem Standpunkte Vs dir zur
225
Rechten und 1/2 Ml. zur Linken gleicherweise ein hohes Merkzeichen: so hast du
den Raum einer Quadratmeile vor Augen. Nun stelle dir weiter vor, du wärest
da oben auf der Anhöhe ein Oberfeldherr und wolltest auf jenen Raum deine
Infanteristen zur Parade befehlen, ähnlich so, wie es die Kleinen am Weihnachts-
abend ausführen, wenn sie aus ihrer Spielschachtel die hölzernen oder bleiernen
Soldaten aus der Tischplatte in Reihe und Glied aufstellen. Welch eine Menge
Bleisoldaten gehört dazu, um nur den vierten Teil der großen Tischplatte zu füllen!
Auf der Quadratmeile soll nun aber jeder deiner Soldaten, damit er auch
ordentlich das Gewehr vor dir präsentieren oder es sich bequem machen kann, wenn
du „Rührt euch!" kommandierst, einen 1 Meter breiten und 1 Meter langen
Raum einnehmen. Wie viel Mann kannst du dann am äußersten Ende deines
Vierecks aufstellen? Antwort: 7500 Mann; denn 1 Ml. — 7500 Meter, und
auf jeden Meter kommt 1 Mann. Es ist klar, daß auch in der zweiten Reihe
7500 Soldaten stehen können, ebenso in der dritten, und so fort bis zur 7500sten
Reihe*). Ilm nun aber die erste Reihe deines Vierecks auszufüllen, hast du nicht
einmal in den beiden Mecklenburg Soldaten genug, wenn auch das ganze Militär
aus lauter Infanteristen bestände; denn Mecklenburg zählt in Summe nicht mehr
als 5450 Mann. Und selbst wenn du diese Mannschaft auf Kriegsfuß setztest, so
bringst du, um bloß die erste Reihe der üüMl. zu füllen, nicht 7500 Infanteristen
heraus. Doch es mag darum sein.
Wir nehmen also an, du hättest aus der Bevölkerung Mecklenburgs, in
runder Zahl 600 000 gerechnet, 7500 Soldaten zusammengebracht und die erste
Reihe der ü)Ml. besetzt. Jetzt läßt du dem entsprechend aus unserm Nachbar-
lande 367 500 Preußen dazu kommen; dann paradieren gerade 50 Reihen Sol-
daten vor dir. Aber was verschlägt das! Du sollst ja nicht 50, sondern 7500
Reihen besetzen! Da mußt du denn doch die ganze deutsche Armee mobil machen
und, wie sich von selbst versteht, zu lauter Infanteristen einkleiden; dann verfügst
du in Wirklichkeit aus 45 Mill. Einwohnern des deutschen Reiches über eine
]4/2 Mill. starke Armee. Doch das zieht noch lange nicht; denn du siehst bald
ein, daß du damit erst 200 Reihen besetzest. Du mußt die Sache ganz anders
anfangen. Wie denn? Du rufst alle Männer Deutschlands vom 20. bis zum
50. Lebensjahre als Infanteristen unter die Waffen, so daß du aus den vier
7jährigen Dienstzeiten 4mal IV2 — 6 Mill. Soldaten aufbringst. Dann nimmst
du gleich von unserm östreichischen Bundesgenossen, dessen Reich an Flächeninhalt
zwar größer, aber an Einwohnerzahl kleiner als Deutschland ist, sämtliche wehr-
fähige Männer von 20—50 Jahren hinzu, nämlich 5 Million, und außerdem von
unserm italienischen Bundesgenossen im Verein mit dem uns befreundeten Spanien,
wenn beide Reiche zusammen die Einwohnerzahl Deutschlands auch um etwas über-
treffen, noch 6 Million. Mit diesen aus Deutschland, Östreich, Italien und
Spanien formierten 17 Mill. Infanteristen besetzest du deine Quadratmeile. Das
zieht besser! Denn was findest du jetzt? Du kannst plötzlich 22662/8 Reihen
füllen. Damit hast du aber von deinem Paradeplatz nur etwas mehr besetzt, als
den vierten Teil, und es fehlen dir für die fast 3/4 □ÜJil. große Fläche bei-
nahe 3mal so viele Soldaten, als du bisher zu den Waffen gerufen hast, nämlich
noch 391/4 Mill.
*) Eigentlich bedarf jeder der Soldaten nur 3 Fuß Länge und 3 Fuß Breite, macht für
die HjMl. 8000 . 8000 — 64 Mill. Mann.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
15
226
Versuche, ob du den noch leeren Raum deines Paradeplatzes nicht mit den
Infanteristen der übrigen europäischen Staaten besetzen kannst. Du läßt zu dem
Ende 3/5 Will. Portugiesen und 5^2 Mill. Franzosen kommen; aus der Türkei
und Griechenland nimmst du 3V4, aus Belgien 3/4, aus Holland nebst Luxemburg
3/g, aus Dänemark 1/if aus Skandinavien ll/5, aus Großbritannien nebst Irland.
5 und endlich aus dem 71 Million-Reiche des Zaren nahezu 1017/2o Mill. Russen.
Wenn du jetzt deine Portugiesen und Franzosen, Türken und Russen und wie sic
sonst heißen, aufmarschieren lässest, so wirst du dich — ich wette darauf — ein
wenig wundern, daß du noch lange, lange nicht deine Quadratmeile besetzt siehst;
denn du hast die bisherigen 17 Million gerade um 28 vermehrt und somit nur
über 45 Mill. zu verfügen, womit etwas mehr als 3/4 deines Paradeplatzes gefüllt
wird; am letzten Viertel fehlen dir immer noch 11V4 Mill. Da siehst du, daß
du im ganzen Europa nicht so viele wehrfähige Infanteristen von 20—50
Jahren aufbringst, daß du deinen Paradeplatz, der doch nur 1 iUMl. groß ist,
damit ausfüllst; denn du bedarfst eben 56st4 Mill., und zu Hottentotten, Kasfern
und ähnlichen Völkern dürftest du doch nicht deine Zuflucht nehmen; das würde
die ohnehin sehr bunte Paradeaufstellung gewiß verunzieren.
Als Oberfeldherr bist du mit deiner Rechnung nicht gut zu Ende gekommen.
Steige von deiner Höhe herab und versuche es einmal auf ebener Erde und zwar
als Baumeister. Dein Schulhaus ist ohne Zweifel ein stattliches Gebäude und
vielleicht 30 m lang und 25 m breit. Wie viele solcher Häuser würdest du in
der ersten Reihe deiner sZMl. aufbauen können? Antwort: 250! Denn eine
Meile zählt 7500 m Länge, und da wir dein Schulhaus zu 30 m Länge ange-
nommen haben, so mußt du, weil 30 in 7500 — 250mal enthalten ist, auch
eben so viele Schulhäuser neben einander in der ersten Reihe deines großen
Quadrats placieren können. Fährst du nun fort zu bauen, Haus an Haus und
Wand an Wand, so mußt du, weil 25 in 7500 — 300 mal steckt, auch 300
Reihen erhalten, und weil 250 mal 300 — 75000 beträgt, so können auf der
Quadratmeile auch eben so viele Häuser von 30 m L. und 25 rn Br. stehen, und
das sind, was den Umfang anbetrifft, schon ganz ansehnliche Gebäude. — Um
aber die Sache nicht so leicht zu nehmen, als die Zahl 75 000 sich ausspricht,
fange einmal an, die Quadratmeile mit den Häusern der meckl. Städte zu besetzen,
alle Gebäude in der Größe deines Schulhauses angenommen. Wenn du vorerst
nur die 6 größten Städte des Landes nimmst, nämlich*) Rostock mit 3343,
Schwerin mit 1828, Wismar mit 1645, Güstrow mit 1149, Parchim mit 1023
und Waren mit 589 Häusern, so siehst du sofort, daß du mit diesen 9577 Häusern
nur 32 Reihen bedecken kannst, das heißt, gut den achten Teil der sZMl. Willst
du gern das zweite Achtel füllen, so daß also V4 deines großen Bauplatzes besetzt
ist, so mußt du noch die Häuser von 23 weiter folgenden Städten hinzunehmen.
Hast du dir vorgenommen, die sZMl. zur Hälfte zu füllen, so mußt du den
Häusern aller meckl. Städte noch sämtliche Stadt- und Landkirchen (500 an der
Zahl), sowie alle Wohnhäuser aus 160 der größten meckl. Dörfer beifügen.
Dann siehst du deinen Bauplatz, der doch nur 1 □ Ml. groß ist, halb gefüllt!
Willst du noch eine einfachere Rechnung ausführen, so denke dir, du könntest
ganz Rostock, das im Geviert 1/5 Ml. lang und Vs Ml. breit ist, in ein Tuch
*) Nach betn meckl. Staatskalender von 1884.
227
fassen und wieder auf jenen großen Bauplatz ausbreiten, ähnlich so, wie es in
alten Zeiten einmal die Riesentochter machte, als sie im Thal den pflügenden
Bauer samt Pferden und Haken in die Schürze nahm und als Spielzeug vor
Vater Riese auf der Tischplatte aufstellte. Du siehst nun leicht ein, daß du in
der ersten Reihe der UjMl. die Stadt Rostock 5mal hindecken kannst und 5 solcher
Reihen erhältst. Auf deinem Bauplatz kannst du also 25 Städte wie Rostock
ausbreiten. Läßt du es damit bewenden, Rostock nur 5mal auf denselben hin-
zudccken, so kannst du nicht nur Schwerin, Wismar, Güstrow, Parchim und
Teterow, sondern außer Neubrandcnburg und Reu-Strelitz noch ein ganzes Dutzend
kleinerer Städte unterbringen; ja, du hast noch so viel Raum übrig, daß du —
natürlich ohne die dazu gehörenden Ländereien — die Rittergüter Jvcnack, Basedow,
Burgschlitz und Rotspalk, nebst den 4 großen Bauerdörfern Marnitz, Gr. Laasch,
Spornitz und Satow, auch Wustrow, in die Quadratmeile hineinlegen kannst, und
wenn du willst, so lassen sich zum Ausfüllen der leeren Ecken und Winkel
schließlich noch ganz bequem sämtliche Gebäude vom Gute Damen wie von den
beiden Pachthöfen Cantnitz und Roggentin einfügen. Es bleibt bei alledem immer
noch ein ungefähr 6400 dm großer Turn- und Spielplatz für dich und deine
Kameraden übrig.
So sieht es mit einer Quadratmeile aus! (I. S.)
180. Allen Respekt vor einer Kubikmeile.
Denken mir uns vier Bretterwände, von denen jede eine Meile
lang und eine Meile breit ist, fügen wir dieselben zu einer Kiste zu-
sammen und legen darauf einen Deckel, der ebenfalls eine Meile
lang und breit sein lnuß, so umschließt die Kiste bcn Raum einer
Kubikmeile, oder einfacher, einer Würfelmeile; denn jeder wird
zugeben, daß die Kiste einen Würfel bildet, von dem jede Seite eine
Meile lang und hoch ist. Da wir nun wissen, was eine Kubikineile
ist, wollen wir einmal sehen, was solch eine Kubikmeile zu sagen hat,
oder einfacher, was solch eine Kubikmeile in sich faßt.
Zu diesem Zweck wollen wir den Deckel der jetzt noch leeren
Kiste öffnen und versuchen, die Kiste mit allem, was wir zur Hand
haben, voll zu packen. Die Stadt Berlin liegt uns so recht bequem,
wir nehmen sie wie Kinderspielzeug und werfen sie in die Kiste.
Darauf laufen wir schnell nach Potsdam und nehmen beiläufig alle
Dörfchen auf dem Wege mit und packen alles zusammen unb werfen's
in die Kiste. Da aber mit all' dem nicht viel mehr als der Boden
der Kiste bedeckt ist, so müssen wir weiter ausholen. Wir ergreifen
ganz Paris mit allen maulen, Türmen, Triumphbogen und Kirchen
und werfen's hinein; da aber all' das noch kaum zu merken ist,
müssen wir auch ganz London mit hinzuthun. Daß Wien mit hin-
eingehört, versteht sich von selbst, und um den Frieden nicht zu
stören, wollen wir auch Petersburg zuthun. Da aber auch das noch
nichts hilft, um die Kiste merklich zu bepacken, wollen wir anfangen,
Provinzial-Städte hineinzuthun, und um keinen Neid und Rangstreit
aufkommen zu lassen, wollen wir alle Festungen, Dörfer, Schlösser,
15*
228
Gehöfte beilegen. Aber all' das zieht noch nicht. Wir werfen alles,
was Menschenhände in Europa gemacht haben, hinein; aber das füllt
kaum den vierten Teil der Kiste. Wir thun alle die Schiffe vom
Meere dazu; es hilft nichts. Wir greifen nach der alten und neuen
Welt und werfen Ägyptens Pyramiden und Nordamerikas Eisen-
bahnen und Maschinenfabriken hinein; wir thun alles, was wir von
Menschenwerken in Afrika, Asien, Amerika und Australien vorfinden,
in die Kiste — und sie wird kaun: zur Hälfte gefüllt werden.
Nun wollen wir die Kiste ein bißchen schütteln, dann sackt sich
alles besser und legt sich in Ordnung, und da wir's uns nun ein-
mal in den Kopf gesetzt haben, die Kiste vollzupacken, so wollen wir
versuchen, ob wir sie mit Menschen voll bekommen.
Wir raffen nun alles Stroh zusammen, das auf der ganzen
Erde zu haben ist, und breiten dies in der Kiste ans; da es jedoch
nicht ausreicht, um das Gerümpel darunter zu bedecken, so müffen
wir Banmlaub zu Hülfe nehmen und stellen somit eine weiche Schicht
her, um Menschen darauf packen zu können.
Da wir für jeden Menschen etwas mehr als 2/s Meter Breite
brauchen, so legen wir der Kiste entlang, die 7500 Meter hat, eine
Reihe von 12 000 Menschen, und da wir's den Menschen gern
bequem machen, wollen wir die Höhe der Menschen zu nicht ganz
1,9 Meter annehmen, so daß wir auf das Strohlager 4000 solche
Reihen legen können. Nun weiß es aber jeder, daß 4000 n:al
12 000 netto 48 000 000 betragen, und da Amerika gerade nicht
viel mehr als 48 Millionen Menschen hat, so hat die amerikanische
Menschheit in der untersten Schicht Platz. —
Nun decken wir sänüliche Menschen Amerika's mit irgend einer
weichen Schicht von 31 Zentimeter Höhe zu, legen auf dieses Lager
die 3 Millionen Menschen, die in Australien leben, und behalten
noch Platz, um 45 Millionen Menschen ans Asien neben sie hinzu-
lagern. Decken wir nun auch diese Schicht zu und bereiten immer
neue Lager, um immer weitere 48 Millionen einzupacken, so gehören
kaum zehn Schichten dazu, um die 454 Millionen Menschen Asiens
hinzulagern. Für Afrika, wo circa 130 Millionen Menschen wohnen,
brauchen wir kaum drei solche Schichten in unserer Kiste, und die
252 Millionen große europäische Menschheit, für die sonst die
Welt zu klein ist, nimmt, in unserer Kiste eingepackt, kaum sechs
Schichten ein. —
In: Ganzen also können wir in unserer Kiste nur 20 Schichten
mit Menschen vollpacken, und wenn wir für jede Schicht nebst Stroh-
verpacknng 1 Meter rechnen, so nimmt die ganze Menschheit des
Erdballs in unserer Kiste nur 20 Meter Höhe weg, so daß wir
200 mal so viel Menschen, als in der Welt existieren, brauchen,
um die nur halbvolle Kiste ganz zu füllen.
Was bleibt uns nun übrig? Wollten wir auch die Tierwelt
in die Kiste einpacken und Ochsen, Esel, Schafe, Pferde, Maulesel,
Kamele, Elefanten über die eingepackte Menschheit werfen und dar-
229
auf Geflügel und Fische und Schlangen und alles, was kriecht und
fliegt, sie würde doch nicht voll, wenn wir nicht noch zu Felsen und
Gebirgen unsere Zuflucht nähmen. —
Und das alles ist nur eine einzige Kubik-Meile! Gewiß, man
bekommt Respekt vor einer Kubik-Meile. (Ludwig Bernstein.)
181. Die ältesten Völker der Erde.
Aus der Zeit vor der Gründung Roms (753 v. Chr.) und
dem Emporkommen der Römer wissen wir von den ältesten Völkern
der Erde im ganzen wenig. Auch über unsere deutschen Vorfahren
berichtet uns die Geschichte nichts Ausführliches. Ungefähr 100 Jahre
vor Christi Geburt kommt in der Geschichte zum erstenmal der Name
der Deutschen vor, zu der Zeit, als das Volk der Römer das
mächtigste der Erde war.
Die Wiege des Menschengeschlechts ist nach den Berichten der
Bibel höchst wahrscheinlich das Land Armenien in Asien, südlich
vom schwarzen und kaspischen Meere. Rach dem Turmbau zu Babel
zerstreuten sich die Menschen, und es entstanden verschiedene Sprachen,
Sitten und Völkerschaften, die Ackerbau, Viehzucht und Handel trieben.
Das stärkere Volk überfiel den schwächeren Nachbar, und so bildeten
sich größere Staaten. Der euch aus der alten Zeit bekannteste
Staat ist der jüdische.
Die Inden.
Aus der Geschichte der ältesten Völker der Erde kennt ihr aus der heil.
Schrift die des jüdischen Volkes oder der Kinder Israel am genauesten.
Abraham, ungefähr 2000 Jahre vor Christus geboren, aus Ur in Mesopotamien*),
das zwischen Euphrat und Tigris lag und von den Gebirgen Armeniens begrenzt
war, ist der Stammvater der Juden. Ihm und seinen Nachkommen wurde das
Land Kanaan, auch Palästina und das gelobte Land genannt, in das er als
Fremdling einwanderte, zum Erbteil gegeben. Das fruchtbare Palästina mit
seinem milden Klima, durch natürliche Mauern — das Mittelmeer, den Libanon,
die syrische und arabische Wüste — von den heidnischen Nachbarn (den Moabitern,
Ammonitern, Ägyptern, Philistern, Syrern, Phöniziern) abgeschlossen, war wie
eine feste Burg, in der Israel sicher wohnen und zu einem großen Volke sich aus-
bilden konnte. Es hatte göttliche und weltliche Gesetze, reine Gottesdienste,
Priester, Propheten, Richter, Könige — es war ein Volk Gottes und Kanaan
mit Recht das „gelobte" Land. Als aber nach Salomo's Tode das Judentum
sich in 2 Reiche geteilt hatte, Zwietracht und Haß die beiden neuen Staaten immer
mehr trennte und das heidnische Wesen unter ihnen einriß, da nahte sich sein
Untergang. Salmanassar, König von Assyrien, bezwang das Reich Israel
722 v. Chr.), und Nebukadnezar, König von Babylon, führte 130 Jahre
*) Der südliche Teil des Landes wird in der Bibel „die Ebene Sinear" genannt; im
nördlichen - rauhen - Teile, dem Wohnsitz der Chaldäer, lag die Stadt Ur.
230
später (586) das Volk des Reiches Juda in seine Staaten. Nach 70 Jahren
erlaubte zwar der persische König Cyrus, der Assyrien und Babylon sich unter-
worfen hatte, den Juden die Rückkehr nach Kanaan, allein ihr früheres Ansehen
war dahin. Innere Unruhen brachten sie schließlich (6O v. Chr.) unter die Herr-
schaft der Römer, welche Könige als Statthalter über sie setzten. Zur Zeit der
Geburt Christi war ja, wie ihr wißt, der Kindermörder H ero des unter der
Herrschaft des römischen Kaisers Augustus König im jüdischen Lande. Endlich,
i. I. 7O n. Chr. Geb., wurde Jerusalem von Titus, dem Sohne des römischen
Kaisers Vespasian, erobert und zerstört, worauf die völlige Auflösung des jüdischen
Staates erfolgte. Die aus dem Kriege übrig gebliebenen Juden zerstreuten sich
in alle Lande, und das so reich gesegnete und einst so hoch blühende Kanaan
wurde zur Einöde. 1517 fiel es durch Eroberung in die Hände der Türken.
Die Babylonier und Assyrer.
Die Babylonier und Assyrer waren es, unter welchen das Volk Israel in
der Gefangenschaft seufzte. Beide Völker, jene in Babylonien*) am untern Laufe
des Euphrat, diese in Assyrien**) an der Ostseite des obern Tigris wohnend, sind
euch aus der Bibel bekannt. Der Gründer des babylonischen Reichs (etwa
2000 I. v. Chr.) mit der Hauptstadt Babylon (im A. T. Babel) war Nimrod,
ein Abkömmling des Ham und unter den aus dem Norden***) eingewanderten
Chaldäern „ein gewaltiger Jäger". Die Babylonier verstanden es schon früh,
Kanäle und Dämme zu bauen, um sich vor den Überschwemmungen des Euphrat
und Tigris zu schützen. Noch heute finden sich Spuren der mit großer Kunst an-
gelegten Kanäle, durch welche das Land in jener alten Zeit zu einem der frucht-
barsten umgeschaffen worden war. Die staatliche Entwickelung Babyloniens ist die
älteste, von welcher die Weltgeschichte berichtet. Kunst und Handel blühten bei
dem Volke im hohen Grade, auch beschäftigten sich seine Priester mit der Beob-
achtung der Gestirne (Astronomie), unter denen man die größten anbetete. Der
oberste Gott war Baal. Nach Christi Geburt stand Babylonien eine Zeit lang
unter römischer Herrschaft, dann waren die Perser die Beherrscher des Landes, bis
es diesen schließlich von den Türken vor etwa 250 Jahren (1638) entrissen wurde.
Assyrien ist durch babylonische Ansiedler gegründet worden. Ninus
gilt für den Stifter des assyrischen Reiches und den Erbauer der mächtigen Haupt-
stadt Ninive. Die Assyrer schwangen sich eine Zeit lang gewaltig empor. Selbst
Babylon war fast 600 Jahre unter ihrer Herrschaft. Allein auf die höchste Blüte
folgte schnell der völlige Untergang. Es war der König von Medien (in der
Bibel 1. Mos. 10, 2 Madai genannt), welcher in Verbindung mit den Chaldäern
in Babylonien das assyrische Reich (606 v. Chr.) zu Fall brachte.
Medien war in der frühesten Zeit ein berühmtes Reich Asiens, südlich an
Persien, nördlich ans kaspische Meer grenzend, kam aber auch früh unter die
Herrschaft der Assyrer. Erst nach vielen Jahrhunderten erlangte es nicht nur seine
Unabhängigkeit rvieder, sondern wurde auch der vorherrschende Staat in Asien.
Aber nur kurze Zeit erhielten sich die Meder auf dieser Höhe der Macht und des
Ansehens. Medien ward eine Beute des schnell emporgekommenen Perserreiches.
*) Das heutige Jrak-Arabi.
**) Dem heutigen Kurdist an in Kleinasien entsprechend.
***) Nämlich aus dem heutigen Kurdistan. Die Chaldäer waren ein tapferes und kriege-
risches Volk medopersischen Stammes, berühmt durch ihre astronomischen Kenntnisse.
182. Belsazar.
Die Mitternacht zog näher schon;
in stummer Ruh’ lag Babylon.
Nur oben in des Königs Schloss,
da flackert’s, da lärmt des Königs Tross.
Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.
Die Knechte safsen in schimmernden Reihn
und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
so klang es dem störrigen Könige recht.
Des Königs Wangen leuchten Glut;
im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
Und blindlings reifst der Mut ihn fort,
und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
Und er brüstet sich frech und lästert wild;
die Knechteschar ihm Beifall brüllt.
Der König rief mit stolzem Blick;
der Diener eilt und kehrt zurück.
Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt,
das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt.
Und der König ergriff mit frevler Hand
einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
und rufet laut mit schäumendem Mund:
„Jehovah! Dir künd’ ich auf ewig Hohn! —
Ich bin der König von Babylon!“
Doch kaum das grause Wort verklang,
dem König ward’s heimlich im Busen bang.
Das gellende Lachen verstummte zumal;
es wurde leichenstill im Saal.
Und sieh! und sieh! an weifser Wand
da kam’s hervor wie Menschenhand;
232
und schrieb und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.
Der König stieren Blicks da saß,
mit schlotternden Knien und totenblaß.
Die Knechteschar saß kalt durchgraut
und saß gar still, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Belsazar ward aber in selbiger Nacht
von seinen Knechten umgebracht. (Heine.)
Die Phönizier.
D ic Phönizier werden in der Bibel „Kananiten" genannt. Ihrer wird
oft erwähnt. Sie waren es, welche die Könige David und Salomo mit Zedern-
holz vom Libanon und mit Handwerkern und Künstlern versahen zum Bau eines
Schlosses und des großen Tempels. Die Propheten Jesaias und Hcsekiel weis-
sagten ihren Untergang. Ihre Hauptstädte hießen Tyrus und Sidon. Das
größte Handels- und Fabrikvolk der alten Welt, verstanden sich die Phönizier
trefflich auf Schiffahrt und gründeten unter allen alten Völkern die meisten Kolo-
nien und Handelsniederlassungen. Ihre Kunstprodukte (Purpur, Glas- und Metall-
waren, Bildwerke aus Elfenbein re.) tauschten sie um gegen Metallgeräte in Eng-
land, Zinn in Deutschland, Bernstein an der Ostsee, Elfenbein in Arabien und
Indien re. Berühmt machten sie sich durch die Erfindung des Glases und die
Herstellung der Purpurfarbe; auch sollen sie die Buchstabenschrift erfunden haben.
Die Religion der Phönizier war Naturdienst; außer Baal verehrten sie auch noch
andere Gottheiten. Durch die Eroberungszüge von seiten der umliegenden Völker-
schaften wurden sie sehr geschwächt. Der erste feindliche Einfall geschah durch
Nebukadnezar, um 600 v. Chr., der zweite durch Alexander den Großen,
König von Macedonien, der ihre Städte dem Erdboden gleich machte. Seitdem
ist das Land zur Einöde geworden.
Die Ägypter.
Die Ägypter, im Nordosten Afrika's wohnend, sind euch uuter den
ältesten Völkern der Erde ebenfalls aus der Bibel bekannt; denn sie bestanden
schon lange — über 1000 Jahre vor Abraham —, bevor das Haus Jakobs wegen
der Teurung in Kanaan zu Joseph nach dem Lande Gosen zog. Zur Zeit
Abrahams hatten die Ägypter bereits eine geordnete bürgerliche Verfassung und
schon viel früher Kenntnis von der Meßkunde und dem Laufe der Gestirne; diese
Bekanntschaft mit den Himmelskörpern führte sie zur Einteilung der Zeit in Jahre
und Monate. Die meisten Kenntnisse aber zeigten sie in der Baukunst; denn sie
errichteten große, viereckige, oben spitz zulaufende Bauten von 60 bis 240 in Höhe,
die noch jetzt nach 3000 Jahren und länger der Zeit trotzen, und die wir Pyra-
miden nennen. Auch erbauten sie viereckige Spitzsäulen bis zu einer Höhe von
233
50 m und zwar aus einem Stück gehauen; sic heißen Obelisken. Eine andere
Erfindung der Ägypter war die, daß sie ihre Toten einbalsamierten und so vor
Verwesung schützten. Die einbalsamierten Leichname nannte inan Mumien; noch
heute sind solche in Berlin und Wien aufbeivahrt — aus jener alten, alten Zeit!
Berühmt waren die ägyptischen Städte Theben und Memphis. Die Könige
führten den Titel Pharao (d. i. König). Die Religion der Ägypter war ein
reiner Naturdienst; unter allen Heiden hatten gerade sie die meisten Götzenbilder.
Sie verehrten Sonne, Mond, Erde und Feuer unter verschiedenen Sinnbildern;
aber auch gewisse Tiere, der Stier, Schlangen, das Krokodil, die Katze u. a. waren
ihnen heilig. — Ägypten hätte sich, begünstigt durch schöne und nützliche Er -
Zeugnisse der Natur, durch ein dort herrschendes, regelmäßiges Klima und den mit
seinem befruchtenden Schlamm übertretenden Nil zu einem der reichsten und
mächtigsten Länder der Welt aufschwingen können, allein es sank durch die Prunk-
sucht, Sittenverdcrbnis uud kriegerische Mutlosigkeit seiner meisten Herrscher wie
durch die Gleichgültigkeit und sklavische Abgestumpfheit des Volkes nach und nach
in seiner einstigen Blüte. Viele Kriege von außen und wilde Eindringlinge
brachten das Land vollends um seinen alten Glanz und Wohlstand. Im Jahre
30 v. Chr. wurde Ägypten dem römischen und vor 350 Jahren (1517) dem
türkischen Reiche einverleibt. Noch heute steht es unter der Oberhoheit der Türkei.
Außer von den Phöniziern und Ägyptern waren die — allein unter den
Segnungen einer göttlichen Religion lebenden — Juden auch noch von andern
heidnischen Nachbarn der damaligen Zeit umgeben: den Moabitern, Ammonitern,
Philistern und Syrern.
Die Moabiter und Ammonit er waren Lots Nachkommen und wohnten
an der Ostseite des toten Meeres. Sie wurden von den mächtigen und bösen
Amoritern, die sich auch in Kanaan ausgebreitet hatten, weiter nach Osten gedrängt,
aber das Volk Israel nahm den Eindringlingen das Land wieder ab und behielt
es für sich. Darüber wurde es von jenen beiden Völkern aufs höchste gehaßt und
fortwährend mit blutigen Kriegen bedroht, die jedoch schließlich den llntergang der
Moabiter und Ammoniter herbeiführten. Von ihrer einstigen Pracht und Herr-
lichkeit zeugen die noch jetzt vorhandenen Überreste mehrerer Städte. Bis heute
aber ist ihr Land eine türkische Wüste, die von räuberischen Arabern durchzogen
wird. — Die Philister, ein kleines, aber mutiges und kriegerisches Volk, aus
Ägypten stammend und in Kanaan eingewandert, wohnten am Meere ganz im
Südwesten des gelobten Landes. Ihre Götzen waren der halb als Fisch, halb als
Mensch abgebildete Fischgott Dagon und der Fliegengott Baal-Sebub, der sie nach
ihrer Meinung vor den lästigen Fliegen schätzte. Die Israeliten wurden von ihnen
im höchsten Grade gehaßt; 40 Jahre hindurch haben jene die Plage ihrer Feinde
fühlen müssen. Seit der babylonischen Gefangenschaft berichtet die Geschichte nichts
mehr von ihnen. — Die Syrer wohnten im Lande Syrien oder Aram, nördlich
und östlich von Paläjtina, mit der uralten, schon zu Abrahams Zeit bekannten
Hauptstadt Damaskus, noch jetzt eine in herrlichster Gegend gelegene, große
Handelstadt. Als der syrische König Rezin im Bunde mit dem König Pekah von
Israel gegen das Reich Juda in den Krieg zog, rief Ahas, der König in Juda,
den König von Assyrien zu Hülfe, der Damaskus eroberte und dem Reiche der
Syrer ein Ende machte. Es wurde von da ab assyrische Provinz. Später kam
das Land nach einander an Babylonien, Medien, Persien, Maccdonien und dann
234
an die Römer. Seit dem 16. Jahrh, unterwarfen es die Türken. (Im Norden
Syriens, am mittelländischen Meere, lag Antiochien, wo Jesu Jünger den
Namen „Christen" annahmen, und von wo aus Paulus unter die Heiden ging,
ihnen das Evangelium zu predigen.)
Die Perser.
Die Perser wohnten in den ältesten Zeiten in Persis*) und bestanden
aus mehreren Stämmen. Seit 640 v. Chr. wurden sie den Medern unterworfen.
Cyrus schüttelte das medische Joch ab, indem er die Meder (560) besiegte, das
Perserreich stiftete und (555) König über Persien wurde. Er dehnte seine Herr-
schaft mehr und mehr aus (über Babylonien, Syrien und Palästina) und war
bald der mächtigste Herrscher in ganz Asien. Cyrus war es ja, der den Juden
(536) die Rückkehr nach Kanaan gestattete. Er soll seinen Tod auf einem Kriegs-
zuge gefunden haben. Sein Sohn**) setzte das kriegerische Werk des Vaters fort,
stürzte sogar (525) die stolzen Pharaonen und machte Ägypten zur persischen
Provinz. Aber er war ein übermütiger, mordlustiger, ganz dem Trünke sich er-
gebender Mensch. Da konnte es nicht ausbleiben, daß unter seinem Volk Unruhen
und Unordnungen einrissen und die Gemüter sich von ihm abwandten. Er starb
an den Folgen einer Selbstverwundung (mit dem Säbel beim Besteigen seines
Pferdes). Sein Nachfolger hieß Darius. Treulich hat er für das Wohl seines
Landes gesorgt; besonders war er ein Freund der Juden, denen er sogar zum
Bau ihres Tempels behülslich gewesen ist. Als er aber die unter seinem Vor-
gänger im Innern des Reiches entstandenen Schäden beseitigt hatte, beschloß er,
seine Macht auch nach außen zu erweitern. An der Spitze seiner Völker wollte er
nämlich Griechenland niederwerfen und so Europa unterjochen. Zum Glück aber
hatte die göttliche Vorsehung an der äußersten Grenze von Europa ein zwar kleines,
aber mutiges und freiheitliebendes Völkchen als feste Schutzwehr gegen die wilden
Asiaten hingestellt. Das waren eben die Griechen, von denen ihr später mehr
hören sollt. Trotzdem das persische Heer zweimal durch sie besiegt worden war,
setzte Darius Sohn, Lerxes (in der Bibel Ahasverus genannt, s. „Buch Esther"),
ein hochfahrender Mensch, den Krieg wider die Griechen fort und rüstete ein un-
geheures Heer, mit dem er über die Meerenge***) schritt. Wie das wilde Vieh
überjchwemmten die Krieger ganz Griechenland und brannten die Stadt Athen
nieder. Indes mußte das Perserheer abermals unterliegen; denn unter An-
führung eines tapferen Feldherrn gelang es den auf die Schiffe geflüchteten Grie-
chen die persische Flotte zu verbrennen, deren Rest dann vollends von einem Sturme
zerstreut wurde. Das Landheer wurde im folgenden Jahre bei Platää vernichtet.
Lerxes konnte nur mit großer Mühe über die Meerenge und so in sein Land
zurückkommen, wo er bald nachher von einem seiner eigenen Diener umgebracht
wurde. Unter seinen nächsten Nachfolgern kam das Perserreich immer mehr in
Verfall, und 329 v. Chr. unterjochte es Alexander der Große, König von
*) Das jetzige Iran in Vorderasien, dessen westlicher Teil, Westiran genannt, das per-
sische Reich im engeren Sinne ist; der östliche Teil (Afghanistan u. Beludschistan) hat den Namen
Ostiran.
**) Kambyses, 529-522.
***) Die vom azoischen oder griechischen Jnselmeer (Archipelagus) ins Marmara-Meer
führende, 12 Stunden lange Meerenge, damals Hellespont, d. i. Meer der Helle, jetzt L^raße
der Dardanellen. Die am entgegengesetzten Ende, vom Marmara ins Schwarze Meer führende
Meerenge ist die Straße von Konstantinopel, früher Bosporus.
Macedonien, einer Landschaft nördlich von Griechenland. Durch ihn wurde der
letzte König des einst so mächtigen persischen Reiches besiegt und vernichtet. Von
der früheren Blüte Persiens sind kaum noch schwache Spuren übrig geblieben;
die große Masse der jetzigen Bevölkerung befindet sich in dem Zustande der Bar-
barei und geistigen Versunkenheit.
Die Griechen.
Griechenland, im Süden Europa's, das die Griechen selbst Hellas
nannten, umfaßt die südliche Hälfte der Balkaninsel. Das Land war in der
allerältesten Zeit von Völkern*) bewohnt, welche Ackerbau, Viehzucht und See-
handel trieben, den Ölbaum pflanzten, kriegerischen Mut und geistige Regsam-
keit zeigten, mit andern Ländern, namentlich mit Phönizicn, lebhaften Verkehr
unterhielten und von Königen regiert wurden (bis 1200 v. Chr.) Darauf folgte
eine Zeit von 700 Jahren (bis zu den Perserkriegen um 500), in welcher das
griechische Volk nie zur Ruhe kam, veranlaßt durch Ein- und Auswanderungen,
durch Gründung von Kolonien nach Osten und Westen, wohin sich griechisches
Leben verbreitete, und durch Entstehung und Ausbildung freier Verfassungen, die
das frühere Königtum nicht wieder aufkommen ließen, die aber auch unter dem
Volke selbst Veranlassung zu allerlei Parteikämpfen gaben. Mit den Perserkriegen
(von 500—400) wurden diese Zustände besser. Wegen der von den Griechen in
Kleinasien gegründeten Pflanzstätte verwickelten sich nämlich jene mit den Persern
in Krieg. Der erste vom Perserkönig Darius angestiftete Kriegszug blieb ganz
ohne Erfolg; die ausgesandte Flotte wurde vom Sturme zertrümmert und der
Rest des aufgeriebenen Landheeres floh bestürzt nach Asien zurück. Der über
diesen Mißerfolg ergrimmte Darius sandte ein zweites, noch gewaltigeres Heer,
das aber auch von den Griechen geschlagen wurde,**) und 10 Jahre später be-
siegten sie schließlich auch die unermeßliche Heeresmacht des Königs Xerxes in einer
entscheidenden Schlacht.***) Nun aber gingen die Griechen an eine starke Be-
festigung ihrer Flotte, Athen erhob sich zu einer reichen und mächtigen Stadtch),
Künste und Wissenschaften blühten empor.
Mittlerweile war aber auch das Ansehen der Macedonier gewachsen; sie
gewannen die Übermacht über die Griechen, und König Philipp von Macedonien
unterwarf sich Griechenland (338). Nach Philipps Tode wußte sein Sohn
Alexander der Große die Griechen in Unterwerfung zu halten. Kleinasien,
Ägypten, Persien, Indien zitterte vor diesem Gewaltigen. Eine tödliche Krankheit
machte Alexanders Eroberungszügen und Plänen plötzlich ein Ende (323). Der
*) Pel as ger und die mit ihnen stammverwandten Hellenen.
**) Bei Marathon, einige Meilen von Athen, unter dem berühmten athenischen Feld-
herrn Miltiades (490 v. Chr.)
***) Unter Themistokles bei Salamis (480). Der tapfere Leonidas mußte freilich
mit seinem Häuflein mutiger Krieger beim Eindringen des Feindes ins Land im Engpaß der
Thermopplen der großen persischen Übermacht unterliegen. Erst durch die im folgenden Jahre
unter dem spartanischen Feldherrn Pausani as, im Verein mit dem athenischen Anführer Ari-
stides gewonnene Schlacht (bei Platää 479) und durch die gleichzeitige Verbrennung der persischen
Flotte wurde die Befreiung Griechenlands vollendet.
t) Das erregte den Neid eines gefährlichen Gegners, der Spartaner, die allmählich an
Einfluß den andern Griechen gegenüber gewannen und sogar auf kurze Zeit den Oberbefehl über
ganz Griechenland erlangten. Sparta (Lacedämon) war eine Stadt in der Landschaft Lakonien,
im Süden des Peloponnes, der heutigen Halbinsel Morea.
236
Zerfall und das Ende des macedonischen Weltreiches ließ nun aber auch nicht lange
auf sich warten. Da Alexander keinen regierungsfähigen Erben hinterließ, erhob
sich unter seinen Hauptfeldherren um den Thron ein 22jähriger blutiger Kampf,
der namentlich durch Einmischung der Syrer und Griechen zur Auflösung der
groß und mächtig gewordenen macedonischen Herrschaft führte und Alexanders
Weltmonarchie in 3 größere Königreiche*) und einige kleine Staaten spaltete.
Griechenlands Schicksal aber blieb noch über 150 Jahre (bis 146) an das
des macedonischen Reichs geknüpft. Dann folgte ein Zeitraum von 1600 Jahre n
(146 v. Chr. — 1460 n. Chr.), in welchem Griechenland ganz in Verfall und
Nichtigkeit sank. Anfangs erschütterten mehrere Kriege**) das Land, dann orang en
nach einander verschiedene barbarische Völker***) ein, verheerten dasselbe und setzten
sich hier teilweise fest, während die Herrscherhand der gewaltigen Römer sich auch
über das griechische Gebiet erstreckte. Endlich kam Griechenland trotz seines jahre-
langen, heldenmütigen Widerstandes in die Gewalt der Türken. Erst vor etwa
50 Jahren (1830) ist durch das Einschreiten der europäischen Großmächte wider
die maßlose Türkenherrschaft das Königreich Griechenland für einen unabhängigen
Staat erklärt. Was hat doch das Volk der Griechen alles erlebt!
Die Römer.
In der Mitte der schönen Halbinsel Italien wohnte vor alten Zeiten das
berühmte und mächtige Volk der R ö m e r. Zwei Brüder, R o m u l u s und R e m u s,
waren die Erbauer der Stadt Rom und die Gründer des römischen Staats (753 v.
Chr.). Romulus war der erste König. Über 200 Jahre (753—509), regierten
Könige, in welcher die Römer Großartiges in Riesenbauten, Kun st und Ver-
schönerung der Stadt geleistet haben. Dann wurde Rom, namentlich durch die
Schuld des letzten tyrannischen und schwelgerischen Königs, Freistaat (eine Repu-
blik). Jährlich wurden zwei Männer zu Konsuln gewählt, die das Volk regieren
und im Felde anführen sollten. Von jetzt an hatten die Römer viele Kriege;
denn jeder Konsul wollte sich gern einen Namen machen und so bei den Nach-
kommen in gutem Andenken fortleben. Das römische Volk fing an, vor aller
Welt nicht allein durch blutige Waffenthaten zu Lande und zu Wassersi), sondern
auch durch Künste und Wissenschaft zu glänzen.
*) Macedonien nebst Griechenland, Ägypten und Syrien.
**) Mit Mithridates dem Großen, König von Pontus, sowie die römischen Bürgerkriege.
***) Goten, Slaven, Bulgaren.
f) Dies waren vor allem die punischen Kriege, Kämpfe, welche Rom und Karthago fast
130 Jahre mit einander führten <264—146 v. Chr.). Karthago, der eigentliche Wohnsitz der Karthager,
lag im nördlichen Afrika, nahe an der !i)ieeresküste, wo jetzt Tunis liegt. Wegen ihres phönizifchen Ur-
sprungs nannten sie sich wohl selbst Phönizier (abgekürzt: Pöner oder Punier. Daher punische
Kriege). Diese Kriege wurden veranlaßt durch die Eifersucht der Römer über die Eroberungen
der Punier (Sardinien, Corsika, einen großen Teil von Spanien wie von der schönen Insel
Sicilien, wo sie wegen ihres bedeutenden Handels Kolonien angelegt hatten). Zunächst ver-
trieben die Römer die Karthager von der Insel Sicilien, bauten sich dann schnell Kriegsschiffe
und besiegten zweimal die karthagische Flotte (bei Mylä und bei den ägatischen Inseln). Da
mußten die Geschlagenen jene Insel räumen. Das war der erste punische Krieg. In dem
23 Jahre späteren, zweiten punischen Kriege gegen den großen karthagischen Feldherrn Hannibal
wurde die Macht der Karthager durch die Römer für immer gebrochen. Der kühne Hannibal hatte
den Kriegszug gegen die Römer von Spanien aus unternommen, war mit seinem Heer über die
Pyrenäen, dann durch Gallien (jetzt Frankreich genannt) und so über die Schnee- und Eisfelder
237
Nur einmal flößton deutsche Volksstämme, die Cimbern und Teutonen,
den Römern Respekt und Schrecken ein. Die Cimbern und Teutonen waren deutsche
Völker von den Ufern der Nord- und Ostsee, die, vielleicht durch Hunger und
Überschwemmung gezwungen, zu Hunderttausenden mit Weib und Kind die Heimat
verließen und neue Wohnsitze suchten. Sie waren durch Körpergröße, Tapferkeit
und stürmische Kampswcise berühmt. Die Römer erlitten durch sie anfangs schwere
Niederlagen, bis nach 12jährigem gegenseitigem Kampfe (113—101 v. Chr.) jene
die Cimbern und Teutonen besiegten und sie total aufrieben.
Einer der vorzüglichsten unter den Consuln aus der republikanischen Zeit,
später Statthalter und Alleinherrscher der Römer, war Julius Cäsar, ein großer
Feldherr und Redner zugleich. Auf seine Anordnung entstand u. a. der julianische
Kalender (mit 365 Tagen 6 Stunden). Nach Cäsars Tode hörte die Republik
auf. Augustus, von ihm zum Erben eingesetzt, wurde nun Herrscher und be-
hauptete 43 Jahre hindurch die Alleinherrschaft (bis 14 n. Chr.); 30 v. Chr. er-
hob er sich zum ersten Kaiser des römischen Reichs. Das war der mächtige
Herrscher, der „an alle Welt Gebote ausgehen ließ." Sein Reich umfaßte schließ-
lich ganz Italien, Portugal, Spanien, Gallien, Niederlande, England, Helvetien
(d. i. die Schweiz), Türkei, Kleinasien (mit Kanaan), Ägypten, die Nordküste
Afrikas und Süddeutschland. Sein sehnlichster Wunsch war, ganz Deutschland zu
unterjochen. Und was wohl aus unserm lieben Vaterlande damals geworden wäre,
wenn wir nicht einen Hermann gehabt hätten, durch den die Römer „deutsche
Hiebe" kennen lernten! — — Rom war unter Augustus auf den Gipfel seiner
höchsten Blüte angelangt. Nach dem Tode des großen Kaisers ging es mit dem
römischen Reiche — wie mit allen heidnischen großen Staaten — bergab, Augustus'
Nachfolger war sein grausamer und ausschweifender Sohn Tiberius. Später
folgte der blutgierige Nero, der z. B. aus bloßem Vergnügen Rom anzündete
und dann die Christen als Anstifter des Nägigcn Brandes aufs schrecklichste ver-
folgte. Selbstmord endete sein Leben. Zwar schienen sich die römischen Zustände unter
dem folgenden Kaiser V espasian zu bessern, namentlich regierte nach dessen Tode
sein Sohn Titus, der durch die Eroberung und Zerstörung Jerusalems (70 n.
Chr.) den Krieg gegen die Juden beendete und unter welchem der Ausbruch des
Vesuvs samt der Verschüttung dreier Städte stattfand, mild und trefflich; allein
das Glück der Römer schwand und kehrte nie wieder. Schon Titus Bruder und
Nachfolger*) trat wieder in die Fußstapfcn eines Nero, und der Verfall des
römischen Reiches unter fortwährend schlechten Kaisern nahm stetig zu. Konstan-
tin der Große (324—337), der erste römische Kaiser, der sich taufen ließ und,
ein Freund und Beschützer der Christen, das Christentum zur Staatsreligion erhob,
vermochte nur noch sein Land wider die bald hier, bald da andrängenden Feinde
zu verteidigen. Theodosius der Große (379—395) teilte das Reich unter seine
beiden Söhne (395). Ter ältere Sohn**) erhielt den östlichen Teil mit der Haupt-
nach Italien hineingezogen, wo er anfangs glänzende Siege erfocht, dann aber dem Kriegsglück
der Römer erlag. Der dritte panische, ohne alle Ursache von den Römern angefangene bar-
barische Krieg endete mit der Zerstörung Karthagos (146 v. Chr.) So hat leider die römische
Geschichte eine Menge grausamer Kriege, in welchen blühende Städte «Karthago, Korinth u. a.)
barbarisch zerstört wurden, zu ihrer Schande aufzuweisen.
*) Domitianus (81—96 n. Chr.)
**) Arkadius.
238
stabt Konstantinopel,*) der jüngere**) den westlichen mit der Hauptstadt
Rom. Von nun an gab es ein morgen ländisches oder oströmisches (griechi-
sches) und ein abendländisches oder weströmisches Kaisertum. Nach des
Vaters Absicht sollte das römische Reich ein Ganzes bleiben; es ist aber nie wieder
vereint geworden. Die beiden Höfe in Konstantinopel und Rom gerieten sogar
bald in Zwiespalt. Jener reizte den kriegerischen König der im jetzigen Norden
der Türkei wohnenden Westgoten, Alarich, gegen das weströmische Reich auf.
Nachdem Alarich Rom bezwungen hatte, wollte er Sicilien und Afrika erobern,
allein er starb auf dieser Reise und wurde unter großer Trauer von seinen
treuen Goten in einem Flußbette versenkt.***) Vierzig Jahre nach Alarichs Tode er-
schütterten die Hunnen, ein in Europa eingewandertes asiatisches, barbarisches
Hirtenvolk, unter ihrem König Attila das Römerreich aufs heftigste (451),f)
und d eutsch e Völkerstämme-s-ß) machten so schließlich dem weströmischen Reiche
ein Ende. Nachdem das alte römische Reich 1229 Jahre bestanden hatte, wurde es
i. I. 476 n. Chr. gestürzt.
Nach dem Untergänge bestand das oströmische oder griechische Kaisertum
noch ungefähr 1000 Jahre. Es fiel 1453 in die Hände der aus Asien v or-
gedrungenen Türken. Das einst so große und gewaltige römische Reich war ver-
schwunden; die stolzen und mutigen Römer waren vom Erdboden verwischt.
(I. S. Nach Verschiedenen.)
183. Der Deutsche.
Der biedre Deutsche spricht nicht viel,
Kurz ist sein Wort, stark sein Gefühl;
Er ist ein Zögling der Natur,
Ein Handschlag gilt ihm mehr als Schwur;
Gott liebt er, ist den Obern treu
Wie Gold — und doch kein Sklab dabei.
Gerad und ehrlich ist sein Brauch;
So wie er spricht, so denkt er anch. (Schubert.)
184. Die alten Deutschen.
In uralten Zeiten, wohl viele Jahrhunderte vor Christi Geburt,
erhoben sich rüstige Stämme eines kühnen Hirtenvolkes im Morgen-
lande und zogen mit Herden und Waffen aus ihrer Heimat fort.
Von dem Gebirge des Kaukasus stiegen sie nieder an das schwarze
Meer, in welches der Don, der Dniepr und die Donau münden.
Diese Ströme zeigten den Wanderern die Wege in die Länder gen
*) Früher Byzanz.
**) Honorius.
***) Im Flußbette des Vusento bei Cosenza in Unteritalien.
f) In der Schlacht auf den Catalaunischen Gefilden bei der französischen Stadt
ChalonS an der Marne, eine der mörderischsten Schlachten, die je in Europa geliefert sind.
160,000 Leichen beider Heere bedeckten die schauerliche Wahlstatt. Die Römer siegten freilich, aber
mit genauer Not.
ff) Die Heruler und Rugier aus dem heutigen Pommern unter ihrem Anführer Odoaker.
239
Mitternacht. Da kamen ihrer viele in einen ungeheuren Wald.
Wohl manche Tagereise zogen sie darin nach allen Richtungen um-
her und konnten sein Ende doch nicht finden. Breite Flüsse durch-
schnitten die Wildnis. Die meisten derselben rollten von Mittag nach
Mitternacht. Auch an unermeßliche Sümpfe kamen die Wanderer,
darin hauste furchtbar Gewürm, das sie erschlugen. Aus den finsteren
Bergschluchten sprangen ihnen der riesige Ur und das Elentier, der
Wolf und der Bär entgegen; im Kampfe mit diesen Tieren erprobten
sie freudig ihre Kraft. Auf den Triften aber, die dem Sonnenlichte
offen standen, weideten kleine, wilde Rosse im hohen Grase; diese
fingen sie listig und gewandt, schwangen sich darauf und tummelten
sie. Welche von den Einwanderern bis an die Meeresküste drangen,
die fanden dort den goldglänzenden Bernstein, den die Wellen beim
Nord- oder Westwind ihnen zuwarfen; welche tiefer in die Mitte des
Landes hinzogen, die entdeckten reiche Salzquellen, deren Flut sie auf
glühende Kohlen gossen.
So gewannen sie edle Würze zum Schmause des erlegten
Wildes. So rauh dies Land auch war, dem kernhaften Volke ge-
fiel's. Nichts auf der Welt ging ihm über die Freiheit; in den
Wäldern und Bergschluchten schien sie am besten geborgen. Und so
blieben denn die einzelnen Stämme auf den weiten Länderstrecken als
auf ihrem Eigentume, und jeder einzelne Hausvater bauete sich, fern
von dem andern, aus gewaltigen Stämmen schlicht das Haus und
umgab den Hofraum mit Pfahlwerk. Das war nun sein und der
Seinigen unverletzliches Heiligtum, und er waltete nach alter Sitte
darin wie ein Priester, Richter und Fürst.
Groß, stark und schön waren die Deutschen in alter Zeit;
Keuschheit, Einfachheit der Sitten und Freiheit erhielten den Kindern
die Kernkraft der Eltern. Wie Riesen erschienen sie den Menschen
des Südens. Weiß und rein war die Farbe ihrer Haut; in üppiger
Fülle floß das goldgelbe Haar, der Mähne des Löwen ähnlich, bei
Männern und Frauen hernieder, und ans den großen, blauen Augen
blickten Mut und edler Freiheitsstolz. Die Kraft des Leibes wurde
frühzeitig gestählt. Das neugeborene Kind wurde in kaltes Wasser ge-
taucht, das herangewachsene durch Leibesübung abgehärtet. Der
Knabe ging mit dem Vater auf die Jagd, oder er warf sich bei
Sturm und Wetter in den Strom und rang mit den Wellen. Der
Jüngling sprang nackt zwischen Schwertern und Lanzenspitzen einher.
Ein solcher Schwerttanz war das einzige Schauspiel, woran das Volk
Gefallen fand, und sein Beifall lohnte den Kecksten und Geschicktesten
reichlich. (Eduard Duller.)
185. Deutsches Lied.
Von allen Ländern in der Welt Doch Männer hat es, Korn und Wein
Das deutsche mir am besten gefällt; Und Frauen allerwegen.
Es traust von Gottes Segen. Von allen Sprachen in der Welt
Es hat nicht Gold, noch Edelstein; Die deutsche mir am besten gefällt,
240
Ist freilich nicht von Seiden;
Doch wo das Herz zum Herzen spricht,
Ihr nimmermehr das Wort gebricht,
In Freuden und in Leiden.
Von allen Freunden in der Welt
Der deutsche mir am besten gefällt.
Von Schale, wie von Kerne;
Die Stirne kalt, der Busen warm,
Wie Blitz zur Hülfe Hand und Arm,
Und Trost im Augensterne.
Von allen Sitten in der Welt
Die deutsche mir am besten gefällt,
Ist eine feine Sitte;
Gesund an Leib und Geist und Herz,
Zu rechten Stunden Ernst und Scherz,
Im Wandel sichre Tritte.
Es lebe die gesamte Welt!
Dem Deutschen deutsch am besten
gefällt.
Er hält sich selbst in Ehren;
Und läßt den Nachbar links und rechts,
Wes Landes, Glaubens und Ge-
schlechts,
Nach Herzenslust gewähren.
(Schmidt v. Lübeck.)
186. Die Hermannsschlacht.
(* Von Chr. Pommerenke.)
Vor 2000 Jahren waren die Römer das mächtigste Volk der
Erde. Sie drangen auch in Deutschland ein, bauten Festungen,
gründeten Städte, drückten die Bewohner durch schimpfliche Behandlung,
forderten von ihnen schwere Abgaben und hielten in römischer Sprache
und nach den römischen Gesetzbüchern Gericht. Wenn der Statt-
halter auf dem Richtstuhle saß, so umstanden ihn die Gerichtsdiener
mit Steckenbündeln auf der Schulter, aus welchen ein Beil hervor-
ragte. Das war das Zeichen der Gewalt, die schlagen und ent-
haupten konnte. Diese Schmach konnte das freie Volk der Deutschen
nicht lange ertragen, und bald erschien ihnen ein Retter. Das war
Armin oder Hermann, ein Fürst der Cherusker am Harze. Um
die Kunst des Krieges und römische Bildung zu erlernen, hatte er,
wie mancher andere deutsche Jüngling, sich in Rom aufgehalten.
Denn soweit hatten es die Römer schon bei den Germanen gebracht,
daß viele Gefallen an römischer Art fanden und meinten, sie thäten
ihren Kindern Gutes, wenn sie dieselben nach Rom in die Lehre
gaben. Hermann hatte die Römer als ein üppiges, genußsüchtiges
und lasterhaftes Volk kennen gelernt, dessen ein mutiges, treues Volk
wohl Herr werden könne. Er nährte in seiner Brust die Liebe zu
Freiheit und Vaterland und sah mit tiefem Unwillen die Schmach
seines bedrückten Volkes. Deshalb schloß er mit befreundeten
Fürsten ein Bündnis zum Untergange der verhaßten Fremdherrschaft.
Zuerst war Drusus, der Stiefsohn des römischen Kaisers Augustus,
im Jahre 12 v. Chr. Geb. mit gewaltiger Heeresmacht in Deutsch-
land hereingebrochen, hatte dasselbe von unten bis oben mit Krieg
überschwemmt und wohl 50 Städte und Burgen am Rhein gegründet.
Bis an die Elbe war er mit Mord und Brand vorgedrungen —
da verlor er durch einen Sturz vom Pferde sein Leben. Bald nach
Christi Geburt schaltete und waltete Quintilius Varus als römischer
Statthalter über Deutschland.
241
Es war gegen den Herbst des Jahres 9 nach Chr. Geb., als
Varus die Kunde erhielt, daß einige Völkerschaften an der Ems
in offener Empörung begriffen seien. So war es nämlich unter den
Bundesgenossen verabredet worden, um den Varus aus seinen festen
Burgen zu locken. Segest, der Schwiegervater Hermanns, hatte
Varus den ganzen Plan verraten, aber dieser glaubte ihm nicht,
weil er den Haß des Segest gegen Hermann, der wider seines
Schwiegervaters Willen die Thusnelda geheiratet hatte, kannte, und
diese Verblendung des Varus gereichte unserm Volke zum Segen.
Mit 50 000 kampfgeübten Kriegern rückte Varus stolzen Mutes
in den Teutoburger Wald ein. Hier erwarteten ihn die Deut-
schen. Es schien, als ob sich der Himmel mit ihnen zum llntergange
der Feinde verbündet habe. Unwetter brachen los, der Regen strömte
vom Himmel, die Waldbäche schwollen zu Strömen an, furchtbar
sauste der Sturmwind durch die Gipfel der Eichen. Nur mit un-
säglicher Mühe konnten die Römer vorwärts dringen. Viele erlagen
schon im Kampfe mit der empörten Natur. Hermann, der sich an-
fangs mit einer Abteilung deutscher Hülfsvölker dem römischen Heere
angeschlossen hatte, verließ dasselbe in der Stille, rief seine Bundes-
genossen herbei und führte sie auf bekannteren kürzeren Wegen gegen
die Nachhut der Feinde. Es erfolgte der Angriff. Bald hier, bald
dort fiel ein Römer im Engpaß. Die Toten zu zählen, die im
Dunkel des Waldes dahinstarben, vermochte Varus nicht. Endlich
neigte sich der Tag, und Varus gebot dem Heere, Halt zu machen,
sich zu verschanzen so gut es ginge und Wagen, Karren und Gepäck
zu verbrennen, damit man rascher vorwärts käme. Am andern Tage
ging es weiter, jedoch auf Schritt und Tritt von den Germanen
umschwärmt. Regen und Sturm wüteten noch heftiger als gestern.
Jetzt kamen die Legionen auf offenes Feld, dann aber wieder in den
Wald. Da wurde auf einmal jeder Busch lebendig, und:
Als ob die Blätter würden Zeugen all'.
So tönt hervor viel tausendstimm'ger Schall;
Als ob die Zweige würden Schwert und Speer,
So stürzt auf einmal aus dem Wald ein Heer!
Die Römer kämpften wieder den ganzen Tag und kamen nicht
eher zur Besinnung, als bis die Nacht hereinbrach. Da ließ Varus
abermals ein Lager schlagen, und ermattet sanken die Römer hin;
in jedem Augenblicke scheuchte der Deutschen Kriegsgeheul sie ans der
kurzen Nachtruhe empor. Erst am dritten Tage entdeckten die Römer,
wie licht es in ihren Reihen geworden mar. Die Feinde rückten
abermals ungestüm von allen Seiten herein, und wie die Saat unter
Hagelschlossen sanken die Römer wieder unter den deutschen Hieben
hin. Da ging's denn schließlich mit den Römern in voller Ver-
zweiflung vorwärts. Auch Varus selbst verlor den Mut, und als
er nirgends Rettung, nirgends Hülfe sah, da stürzte er sich in sein
Schivert. Denn es galt bei den Römern für eine Schande, wenn
der Feldherr den Untergang seines Heeres überlebte. Andere An-
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 16
242
führer und die Adlerträger folgten dem Beispiele des Varus, und mit
den wenigen Überlebenden machte man nun schnell ein Ende. Nur
einigen Reiterhaufen gelang es, zu entkommen. Diese verkündeten
in Rom die furchtbare Niederlage. Als der Kaiser Augustus die
Kunde von dem Untergange seiner Legionen erhielt, soll er, in der
Verzweiflung die Stirn an die Wand stoßend, gerufen haben: „O
Varus, Varus, gieb mir meine Legionen wieder!" Ganz Rom war
voll Entsetzen vor den Deutschen und glaubte mit jedem Tage, sie
kämen in ungeheuren Heerscharen, wie einst die Cimbern und Teutonen,
nach Italien. Aber die Deutschen begnügten sich, das römische Joch
abgeschüttelt zu haben und verfolgten ihren Sieg nicht weiter.
Das war die große Schlacht im Teutoburger Walde, die ge-
schlagen wurde am 9., 10. und 11. September des Jahres 9 nach
Chr. Geb. Ihr verdankt Deutschland seine Freiheit. Wohl kamen
die Römer noch einmal nach dem Tode Augustus wieder, vermochten
aber nicht, festen Fuß in Deutschland zu fassen. Sie begruben die
bleichenden Gebeine der vor 6 Jahren gefallenen Brüder, errichteten
ihnen ein Denkmal und verließen das unwirtbare Land. Des Her-
mann aber gedachte sein Volk noch lange in Heldenliedern, und von
der dankbaren Nachwelt wird er als Befreier Deutschlands gepriesen.
Im Jahre 1875 ist ihm auf dein Teutberge bei Detmold ein herr-
liches, fast 50 Meter hohes Denkmal von Erz*) gesetzt worden, das,
weithin sichtbar, den Dank des Vaterlandes verkündet.
187. Gelübde.
1. Ich hab' mich ergeben
mit Herz und mit Hand
dir, Land voll Lieb' und leben,
mein deutsches Vaterland.
2. Mein Herz ist entglommen,
dir treu zugewandt,
du Land der Frei'u und Frommen,
du herrlich Hermanns land.
3. Will halten und glauben
an Bott fromm und frei!
Will, Vaterland, dir bleiben
auf ewig fest und treu!
4. Äch Gott, thu' erheben
mein jung Herzensblut
zu frischem, freud'gcm Leben,
zu freiem, frommem Mut.
5. Lab Kraft mich erwerben
in Herz und in Hand,
zu leben und zu sterben
für's heil'ge Vaterland!
(Maßmann.)
*) Ernst von Bändel ist der Narne des Bildhauers, der sein ganzes Manncs-
alter hindurch (von 1834—75, also 41 Jahre) an dein Hermannsdenkmal ge-
arbeitet und durch dessen großartige Vollendung hohen Ruhm im ganzen deutschen
Vaterlande erworben hat. Er ist geb. 1800 zu Ansbach in Baiern und am
25. September 1876 gestorben. Am 16. August 1875 wurde das Denkmal ein-
geweiht. Daß bei der Enthüllung außer vielen berühmten Männern vor allem
der erste deutsche Kaiser au3 dem Hause Hohenzollern, Wilhelm I., zu-
gegen war, ist hoch bedeutsam. (Anm. des Vers.)
243
188. Das Vaterland.
1. Wo dir, o Mensch! Gottes Sonne zuerst schien,
wo dir die Sterne des Himmels zuerst leuchteten, tuo
seine Blitze dir die Allmacht offenharten und seine
Sturmwinde dir mit heiligen Schrecken durch die Seele
brauseten: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland.
Wo das erste Menschenauge sich liebend über deine
Wiege neigte, wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden
auf dem Schosse trug, und dein Vater dir die Lehren
der Weisheit ins Herz grub: da ist deine Liebe, da ist
dein Vaterland.
Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und
wohne Armut und Mühe dort mit dir, du musst das
Land ewig lieb haben; denn du bist ein Mensch und
sollst es nicht vergessen, sondern behalten in deinem
Herzen.
„Das Vaterland ist eins der edelsten irdischen
Güter; es ist und bleibt jedem guten Menschen ein
heiliges, ein geliebtes Land.“
(E. M. Arndt. Gekürzt.)
2. Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
das halte fest mit deinem ganzen Herzen.
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft;
dort in der fremden Welt stehst du allein,
ein schwankes Bohr, das jeder Sturm zerknickt.
(Schiller.)
189. Dem
Treue Liebe bis zum Grabe
schwör' ich dir mit Herz und Hand;
was ich bin und was ich habe,
dank' ich dir, mein Vaterland.
Nicht in Worten nur und Liedern
ist mein Herz zum Dank bereit:
mit der That will ich's erwidern
dir in Not, im Kampf und Streit.
(H e i n r i ei
Vaterlande.
In der Freude, wie im Leide
ruf' ich's Freund und Feinden zu:
„Ewig sind vereint wir beide,
und mein Trost, mein Glück bist du."
Treue Liebe bis zum Grabe
schwör' ich dir mit Herz und Hand;
was ich bin und was ich habe,
dank' ich dir, mein Vaterland."
Ho ff mann von Fallersleben.)
190. Deutschlands Gebirge und der Rhein.
Im Teutoburger Wald, den wir auf der Landkarte im
16*
244
Norden Westfalens und westlich non der Weser suchen müssen, war's,
wo der deutsche Held Hermann den Varns besiegt und unser Vater-
land von dem Joche der Römer befreit hat. Der Teutoburger
Wald ist nicht ein Gehölz von etwa einer Stunde im Umfang, wie
manche Kinder ihn sich vorstellen mögen, die nicht mehr als etliche
haushohe Berge oder ein Wäldchen gesehen haben, sondern ein 24 Meilen
(= 180 Kilometer) langer Gebirgszug. Solcher und noch größerer
Gebirge giebt es in Deutschland eine ganze Reihe. Und die Weser
ist nicht ein Fluß von so geringer Breite, daß die an ihren beiden
Ufern sich einander gegenüberstehenden Leute klar erkennen und ge-
mütlich zusammen plaudern könnten, nein, die Weser gehört zu den
deutschen Strömen. Freilich ist sie unter letzteren der kleinste; denn
die andern: Weichsel, Oder, Elbe, Donau, Rhein übertreffen
sie sämtlich an Breite, ganz besonders aber an Länge. Ist doch die
Weser kaum 60, die Donau dagegen fast 400 Meilen lang!
Im Südosten Deutschlands erhebt sich um Böhmen ein förm-
licher Gebirgskranz: nach Östreich zu das Mährische Gebirge,
im Nordosten die Sudeten, das Riesengeb. mit der Schneekoppe,
auf welcher die Elbe entspringt, und das Lausitzer Geb.; im Nord-
westen scheidet das Erz geb. Böhmen vom Königreich Sachsen, und
im Südwesten ist der Böhmer Wald. Wo dieser und das Erzgeb.
zusammenstoßen, setzt sich das Fichtelgeb. fort, auf welchem der in
mehreren Windungen dem Rhein zufließende Main entspringt. Dem
Fichtelgeb. schließt sich der Frankenwald an und diesem der
Thüringerwald. Von hier hier aus nördlich begegnen wir dem
Harz mit dem Brocken oder Blocksberg. Sollte es wirklich noch
Leute geben, die im Ernst der Fabel glauben, daß auf dem Blocks-
berg alljährlich in der ersten Mainacht die Hexen Zusammenkunft
halten und dann durch die deutschen Länder reiten, um Unglück in
die Familien zu bringen? Leider herrscht aber noch heute unter der
ländlichen Bevölkerung einiger Gegenden die thörichte und widerliche
Sitte, an: Abend vor der ersten Mainacht die Thüren oder Fenster-
laden der Häuser mit Kreide zu bekreuzen! — — Vom Südwesten
des Thüringerwaldes aus erstreckt sich ins Baierland das Rhöngeb.
und von diesem der Spessart in die letzte Mainkrümmung hinein,
die den Odenwald von jenem scheidet. Vom Odenwald aus erhebt
sich durch ganz Baden der Schwarzwald, von dem sich im Süd-
osten nach Würtemberg hinein die Rauhe Alp abzweigt. Im Süden
Deutschlands, in Östreich und der Schweiz steigen die mächtigen
Alpen (unter verschiedenen näheren Bezeichnungen) empor, von wel-
chen die Fortsetzung die sich durch Italien ziehenden Apenninen
sind. Der Norden Deutschlands ist durchweg eben. — Wie vieles
ließe sich noch von den Gebirgen erzählen! Werdet ihr nicht vor
allen Dingen daran denken, welche unermeßliche Schätze aus ihrem
Innern durch den Bergbau ans Licht gefördert werden?
Den Rhein nennen wir mit Recht einen deutschen Strom;
denn auf seinem weitesten Wege fließt er nur durch deutsches Ge-
245
biet; an seinen Ufern singt man fast nur deutsche Lieder; er weiß
uns von deutschen Säger: und Kriegen zu erzählen, und an ihm liegen
die berühmtesten deutschen Städte.
In unserm Nachbarslande, wo es Berge giebt, die mit ewigem
Schnee bedeckt sind und deren weiße Häupter bis in die Wolken
ragen, auch nicht einmal bei der größten Sonnenhitze zrr tauen an-
fangen, haben wir die Quellen des Rheins zu suchen, nämlich in der
Schweiz, in welcher der St. Gotthard als der Mittelpunkt der
Alpen anzusehen ist. Hier arn St. Gotthard entspringt der Rhein.
Er entsteht aus mehreren aus den Eisfeldern kommenden Bächen,
welche sämtlich den Namen „Rhein" führen, nach und rrach sich ver-
cinigen und so in nördlicher Richtung dem von Baden, Würtemberg,
Bayern und der Schweiz eingeschlossenen Bodensee zufließen, au
welchem wir der alten Stadt Konstanz oder Kostnitz begegnen, wo
vor etwa 470 Jahren zwei Glaubenshelden, Huß und Hieronymus
voir Prag, durch Schuld der katholischen Priester öffentlich verbrannt
wurden; jener war Reformator der katholischen Kirche in Böhmen, dieser
Magister in Prag, Huß' Freund und Verteidiger, und starb ein Jahr
nach ihm auf dem Scheiterhaufen (1410). — Aus dem Bodensee
tretend, fließt der Rhein eine Zeit lang ruhiger dahin, als vorher
auf schweizerischem Gebiet, bald aber tritt er schneller in Höhen- und
Klippengegenden, bis er plötzlich in der Nähe der Stadt Schaff-
hausen an eine steile Felsenwanl) kommt, von welcher er in einem
mächtigen Bogen 20 Meter tief hinabstürzt. Das Toben und Rau-
schen dieses haushohen, herrlichen Wasserfalles hört man in stillen
Nächten über 15 Kilometer weit. Von Schaffhausen bis Basel be-
hält der Rhein die vom Bodensee aus eingeschlagene westliche Rich-
tung. Von Basel bis Mainz fließt er nördlich und zeigt zur Rechten
Baden, und zur Linken Elsaß-Lothringen mit der alten Stadt
Straßburg und der größten deutschen Festung Metz. Elsaß so-
wohl wie Lothringen waren früher deutsche Länder, die französische
Herrscher uns gewaltsam entrissen haben, jenes 1648 im westfälischen
Frieden, dieses 1766. Durch den großen Krieg von 1870—71 ist
uns das wieder geworden, was unser war, so daß nun nicht mehr
der Rhein die Westgrenze (zwischen Deutschland und Frankreich) ist,
sondern das Vogesengebirge. Straßburg mit seinem weltberühm-
ten Münster wird noch immer in dem Volksliede, „O Straßburg re."
als eine „wunderschöne" Stadt gepriesen, in welcher „mancher brave
deutsche Soldat begraben liegt." Weiter nördlich treffen mir am
linken Rheinufer die alte Stadt Speier, wo in der Gruft des groß-
artigen Domes 8 Kaiser und 3 Kaiserinnen begraben liegen. Wo
aus der fruchtbarsten, mildesten Gegend, mit freundlichen Städten
und Dörfern bedeckt, der Strom Baden und die Pfalz verläßt, führt
er uns in die für jeden Protestanten bedeutsame Stadt Worms;
denn hier auf dem Reichstage vor Kaiser und Reich im Kampfe
wider die ungeheure katholische Übermacht stand einst unser mutige
Luther, der unerschrockene Gottesmann, nach Beendigung seiner ge-
246
wältigen Verteidigungsrede ausrufend: „Hier stehe ich; . . .!" —
Von Mainz bis Bingen macht der Rhein eine kurze westliche
Schwenkung. Bingen gegenüber liegt in der Rheingau die be-
rühmte Weinstadt Rüdesheim und weiter hin der von unserm
Kaiser gern besuchte Badeort Wiesbaden am Gebirgsfuße des
Taunus. Vor allem wollen wir hier auch des am Niederwald über
Rüdesheim am jenseitigen User sich erhebenden, im Herbst 1883 ein-
geweihten Denkmals, der Germania*), gedenken. Majestätisch er-
hebt sich die Siegesfigur, als rufe sie nach Frankreich hinüber: „Fest
steht und treu die Wacht am Rhein!" und als mahne sie uns
Deutsche: „Haltet fest, was ihr so schwer errungen habt, indem ihr
einig und ein Volk von Brüdern bleibt!"
Nicht weit von Bingen befindet sich auf einer kleinen Insel
der Mäuseturm, in welchem der Sage nach vor etwa 300 Jahren
der Bischof von Mainz seine gegen die Armen verübte Unbarmherzig-
keit mit dem Tode büßen mußte. Etwas weiter ragt aus dem
Wasser ein schroffer Fels empor, die Lorelei genannt, auf dessen
Gipfel nach der Sage eine Jungfrau schöne Lieder singt und die
Schiffer in den Strudel zieht, wenn sie sich durch ihren „himmlischen
Gesang" zur Achtlosigkeit beim Fahren verlocken lassen. Von Bingen
aus durchsließt der Strom in nordwestlicher Richtung die schöne
Rheinprovinz. Nachdem er in seinem weiteren Laufe links den
Hundsrück und die Mosel mit ihren den köstlichen Moselwein er-
zeugenden Weinbergen, sowie das Eifelgebirge und die Universität-
stadt Bonn, — rechts den an dev Lahn liegenden berühmten Bade-
ort Ems, die 130 Meter hohe Felsenfeste Ehrenbreitstein (gerade
Koblenz gegenüber), den Westerwald mit dem sich daran schließen-
den Rothaargebirge und die Sieg sowie das Siebengebirge
zurückgelegt hat, führt er uns, links und rechts reiche Getreidefelder,
Obstalleen, freundliche Städtchen und Dörfer wie reizende Landhäuser
hinter uns lassend, in die prachtvolle Stadt Köln, die den schönsten
Dom der Welt aufzuweisen hat, — mit einem Turme, wie es wenige
Bauten höher giebt. Der Grundstein des Domes wurde schon 1248
gelegt und 240 Jahre der Bau fortgesetzt. Noch nicht zur Hälfte
fertig, mußte er eingestellt werden, weil die Kosten zu groß wurden.
Nachher haben die Könige Friedrich Wilhelm III. und IV. durch
große Summen die Vollendung des Domes gefördert, und endlich ist
durch die Bemühung Kaiser Wilhelms der Bau des großartigen,
staunenerregenden Gotteshauses (1883) fertig geworden. Westlich von
Köln liegt hart an der Grenze die alte, berühmte und reiche Stadt
*) Der Schöpfer dieses großartigen Denkmals ist Johannes Schilling,
geb. am 23. Juni 1828 zu Mittweida im Königreich Sachsen, Bezirk Leipzig, seit
1868 Professor an der Kunstakademie in Dresden. Volle 9 Jahre arbeitete er an
diesem National-Denkmal, das am 28. Scptbr. 1883 im Beisein des Kaisers, des
Kronprinzen, Moltke's und vieler anderer hoher Herren unter großartiger Feierlich-
keit enthüllt wurde. Die Grundsteinlegung geschah durch den Kaiser selbst, am
16. Septbr. 1877. Die Figur der Germania ist mit der Krone 11,80 Meter hoch,
das ganze Denkmal 25 Meter (!).
247
Aachen. Unter seinen 26 Kirchen ist der Münster von Karl dem
Großen um 800 erbaut; in demselben befindet sich auch sein Grab?)
Schon unter den Römern war Aachen ein wichtiger Platz und, seit
Karl dem Großen lange Zeit Hauptstadt des deutschen Reichs. Über
750 Jahre (bis 1558) ist sie die gewöhnliche Krönungsstadt ge-
wesen; 37 Kaiser und 11 Kaiserinnen sind in ihr gekrönt worden.
Bald hinter Köln nimmt der Rhein die Wupper aus dem
herrlichen Wupperthale auf. Dann führt er uns an der Malerstadt
Düsseldorf, von wo nicht weit entfernt die fabrikreichen Städte
Elberfeld und Barmen wie das Ebbe-Geb. liegen, an Kaisers-
werth und der Ruhr vorbei, welche das Sauerländische Geb.
von dem Haarstrang scheidet. Kaiserswerth soll seinen glänzenden
Namen davon erhalten haben, daß Kaiser Friedrich Barbarossa dort ein-
mal Gevatter gestanden hat; wichtiger aber ist die kleine Stadt durch die
seit 1836 dort gegründete, berühmte Diakonissenanstalt. — Von der
Festung Wesel an, wo die Lippe in den Rhein fließt, nimmt der
Strom eine etwas westlichere Richtung, verläßt dann bald das deutsche
Gebiet, fließt westlich durch Holland und mündet in mehreren Armen
(Waal, Leck, Rhein und Issel) in die Nordsee. — Von der Quelle
bis zum Main nennt man ihn Ober-Rhein, vom Main bis zum
Ausfluß Nieder-Rhein.
Das ist der herrliche, uns in Kriegszeiten oft streitig gemachte
Rhein. Jeder echte Deutsche sieht ihn als ein Kleinod an, das
er zu schützen und zu bewahren hat wie seilten Augapfel. „Mögen
Deutschlands Söhne nie vergessen, daß der Rhein ein deutscher
Strom ist!" (I. S.)
191. Der Mäusetnrm bei Bingen.
Der Erzbischof Hatto von Mainz, früher Abt zu Fulda (bis
968), war ein harter Mann, der nur selber Schätze sammeln wollte,
aber dem armen Volke nichts gönnte. Einst kam eine große Teurung
über das Land, und das Volk hatte nichts zu essen, nicht einmal
schwarzes trockenes Brot. Aber der Erzbischof hatte noch alle Speicher
voll Korn und Weizen. Wäre er nun ein guter Christ gewesen, so
hätte er die Armen umsonst gespeist, und hätte den übrigen sein Ge-
treide um einen billigen Preis verkauft. Das that er aber nicht,
sondern wer nicht den höchsten Preis bezahlen konnte, der bekam
nichts und wurde mit hartell Worten von feinen Dienern abgewiesen.
Ja, als endlich die Ärmsten seinen Palast umlagerten und vor Hun-
ger ächzten und schrieen, da ließ er sie in ein Vorratshaus führen,
als sollten sie dort Nahrung bekomlnen. Als sie aber darin waren,
befahl er, das Haus anzuzünden und alle diese elenden Menschen zu
verbrennen. Als nun das Wehgeschrei der Unglücklichen bis in seinen
^ *) Daß Karl der Große in Aachen auch geboren sei, wie man oft annimmt,
läßt sich nicht mit Bestimmtheit nachweisen. D. V.
248
Palast drang, da sprach er höhnisch: „Hört doch einmal, wie die
Mäuschen da drüben pfeifen!"
Ein so schändliches Verbrechen konnte nicht unbestraft bleiben,
denn Gott ist ein Rächer der Unschuld. Kaum hatte der Erzbischof
jene grausamen Worte gesprochen, so regte es sich um ihn her, wie
wenn Mäuse knisterten. Und wirklich, als er sich umsah, siehe, da
drangen aus allen Ecken und Ritzei: des Zimmers Mäuse hervor.
Den Erzbischof schauderte es; er erkannte, daß die Mäuse von Gott
zur Strafe gesandt seien. Voll Angst flüchtete er in ein anderes
Zimmer, allein die Mäuse zogen mit, und durch Fenster und Thüren,
durch Ritzen und Spalten arbeiteten sich immer neue Tierchen hervor
und rannten aus Hatto los, kletterten an ihm hinauf, liefen ihm
über Gesicht und Hände. Er konnte es im Schlosse nicht mehr aus-
halten und setzte sich zu Pferd, aber aus dem brennenden Vorrats-
hause quoll ein solches Heer Mäuse hervor, daß das Pferd nicht fort
wollte und sich bäumte; er mußte zurück. So ging es fort; Tag und
Nacht ließen ihm die grauen Feinde keine Ruhe; er konnte nicht
essen, nicht trinken, nicht schlafen; immer und allenthalben verfolgten
ihn die Mäuse mit Knistern, Rascheln und Pfeifen. Da ließ er sich
einen Turm in den Rhein bauen, auf einen Felsen mitten in dem
Wasserwirbel, den man das Binger Loch nennt. Dort hoffte er Ruhe
zu finden vor den kleinen, aber unzähligen und unermüdlichen Ver-
folgern; denn über den Rhein, dachte er, würden sie doch nicht
schwimmen. Aber er irrte sich. Gottes Strafe kann die bösen Men-
schen überall erreichen. Als der Turm fertig war, und Hatto den
Nachen bestieg, um hinüber zu fahren, da waren die Mäuse auch da;
das graue Heer schwamm nach, kletterte an den Mauern hinauf und
drang in des Erzbischofs innerste Kammer. Da verzweifelte er an
seiner Rettung, nahm keine Speise und keinen Trank mehr zu sich,
sondern that Buße und betete zu Gott um Vergebung seiner Sünde,
bis der Tod ihn von dem irdischen Jammer erlösete.
(Sage von Gebr. Grimm.)
192. Das Lied von den deutschen Strömen.
1. Laßt uns die deutschen Ströme
singen
Im deutschen festlichen Verein
Und zwischendurch die Gläser klingen,
Denn sie beschenken uns mit Wein;
Aus ihre Töne laßt uns lauschen,
Die alle jetzt herüberwehn,
Und bald der Wellen lautes Rauschen,
Bald ihren leisern Gruß verstehn!
2. Zuerst gedenkt des alten Rh eines,
Der flutend durch die Ufer schwillt,
Und seines goldnen Labeweines,
Der aus der Traube lustig quillt;
Denkt seiner schön bekränzten Höhen
Und seiner Burgen im Gesang,
Die stolz auf jene Fluren sehen,
Die jüngst das deutsche Volk bezwang!
3, Tief in des Fichtclberges Klüften,
Mit grauen Nebeln angethan,
Umweht von nördlich kalten Lüften,
Beginnt der Main die Heldenbahn.
Er kämpft in mutigem Gefechte
Sich hin bis zu dem Vater Rhein
Und drängt, bekränzt mit Weingeflcchte,
In seine Ufer sich hinein.
4. Im Land der Schwaben auf-
erzogen,
Eilt rasch und leicht der Neckar hin;
Wenn auch nicht mit gewölbten Bogen
249
Gcwalt'ge Brücken drüber ziehn,
Doch spiegeln, gleich den schönsten
Kränzen,
Sich Dörfer in der klaren Flut
Und dunkelblau mit sanftem Glänzen
Der Himmel, der darüber ruht.
5. Gestiegen aus verborgnen Quellen,
Im grünen, luftigen Gewand,
Um welches tausend Falten schwellen,
Strömt weit die Donau durch das
Land;
Die Städte, die sich drin erblicken,
Erzählen von vergangner Zeit
Und fragen dann mit stillem Nicken:
Wann wird die alte Pracht erneut?
6. Durch alle Gaun der freien Sachsen
Ergeht sich stolz das Riesenkind;
Es sieht wie sonst die Eichen wachsen,
Doch sucht es seinen Wittekind.
Und denkt es der gesunknen Helden,
Dann zögert es im raschen Lauf
Und wünscht, was alte Sagen melden,
Herauf, aus seiner Flut herauf.
Und nach gelöstem Sklavenbande
Das Römerjoch zn Boden sank,
Vernimm, o Weser, unsre Grüße,
Sie sollen jubelnd zu dir ziehn;
Voll Ernst und stiller Würde fließe,
Du Freiheitsstrom zum Weltmeer hin!
8. Es sei der Oder jetzt gesungen
Der letzte schallende Gesang!
Einst hat ja laut um sie geklungen
Das deutsche Volk im Waffenklang,
Als es sich still und stark erhoben
In seiner ganzen Riesenmacht,
Da half der Helfer ihm von oben,
Geschlagen ward die Völkerschlacht.
9. So rauscht, ihr Ströme, denn zw
sammen
In ein gewaltig Heldenlied!
Zum Himmel schlagt, ihr hellen Flam-
men,
Die ihr im tiefsten Herzen glüht!
Eins wollen wir uns treu bewahren,
Doch eins erwerben auch zugleich:
Du, Herr, beschütz' cs vor Gefahren,
Und zu uns komm' dein freies Reich!
7. So nah dem hochbeglückten Lande,
Wo Zwingherrnblut die Erde trank
(K. Büchner, vgl. Schenkels deutsche Dichterhallc, 3. Bd. S. 9.
. Oder nach andern: Max v. Schenkendors (?).)
193. Italien und der Ausbruch des Vesuvs.
Jedes Kind, das den Atlas kennen lernt, merkt sich im europäischen Karten-
bild am schnellsten das Königreich Italien und zwar wegen seiner auffallenden
äußeren Form. Was für eine Gestalt hat denn dies Reich, und wovon wird cs
begrenzt? —
Italien ist ein herrliches, in der südlichen, gemäßigten Zone liegendes Land,
über welchem „ein ewig heiterer Himmel lacht." Sein Klima ist im allgemeinen
mild und schön; die Hitze wird durch die das Land umgebenden Meere abgekühlt
und die kalten, rauhen Nord- und Ostwetter werden von der den ganzen Norden
entlang sich lagernden natürlichen Mauer, den Alpen, zurückgedrängt. So kommt
es, daß der Italiener in seinem Lande den norddeutschen Winter gar nicht kennt,
und ihr könnt euch denken, wie dort die Kinder in der Hauptstadt Rom oder in
der früheren Residenz Neapel jubeln, wenn sie einmal auf wenige Stunden
L-chnee sehen. Denn während bei uns in Norddeutschland oder in Dänemark und
Schweden die Jugend sich auf dem Eise und im Schneewetter vergnügt, spielen dort
die Kinder im grünen Walde oder in der Wiese, und die Mädchen winden Kränze.
Obst und Südfrüchte wachsen in Menge, außerdem Reis, türkischer Weizen, Wein,
Ölbäume, Taback, Zuckerrohr, Baumwolle, der Korkbauin, Johannisbrod re. Die
italienischen Meere liefern eine Unzahl von Fischen, Korallen, den Badeschwamm u. a.
Italien hat auch reiche Marmorbrüche, außerdem wird Alabaster gegraben. Der
Marmor ist der härteste Kalk-, der Alabaster der härteste Gipsstein. Die Apen-
ninen liefern Metalle aller Art. Die zu Italien gehörenden Inseln Sicilien
250
und Sardinien sind sehr fruchtbar; letztere treibt starke Viehzucht. Das Land
hat herrliche Städte, die eine Menge großartiger Bau- und Kunstwerke aufweisen.
Besonders ist Rom an Kunstschätzen reich. Darum reisen große Baumeister, Bild-
hauer, Maler und andere Künstler gern nach Rom; hier ist ihnen Gelegenheit
geboten, sich nach allen Seiten hin in ihrem Berufe auszubilden und zu vervoll-
kommnen.
Wie aber jedes Land sein Liebes und sein Leides hat, so auch Italien.
In den Sumpfgegenden an der West- und Ostküste ist die Luft höchst ungesund,
namentlich diejenige der pontinischen Sümpfe zwischen Rom und Neapel;
dann wieder wirkt der glühend heiße Südwind — aus Afrika —, der Sirokko,
sehr beschwerlich; allerlei Insekten (Tarantel u. a.) belästigen, und der räuberische
Haifisch begleitet stetig die italienischen Schiffe, um das über Bord Geworfene
oder Fallende aufzufangen. Vor allem setzt eins die Italiener bisweilen in große
Angst und Schrecken: es sind die feuerspeienden Berge oder die Vulkane, der
Ätna auf Sicilien und der Vesuv bei Neapel. Der letztere ist besonders vul-
kanisch. Am schrecklichsten war wohl sein Ausbruch zu Titus Zeit, wovon ihr
bereits in der Geschichte der Römer (Nr. 181 S. 237) gelesen habt. Wir können
uns gar keine Vorstellung davon machen, wie ungemein schnell der Ausbruch er-
folgt und wie furchtbar dick der Aschenregen gefallen ist, Umstände, welche wohl
viele Einwohner der damals verschütteten Städte haben gar nicht zur Flucht
kommen lassen. (I. S.)
Es war am 23. August des Jahres 79 nach Chr., als der Berg Vesuv
seinen Feuerschlund zu neuen Lavaströmen öffnete und die Städte Herkulan um,
Pompeji und Sta biä so gänzlich verschüttete, daß man auch ihre Spuren nicht
mehr sah. Sechzehnhundert Jahre lang blieben sie im Schoße der Erde verborgen.
Erst im Jahre 1711 fand man ganz zufällig, als man nämlich in dem jetzigen
Flecken Porti ei, zwei Meilen von Neapel, einen Brunnen graben wollte, drei
Statuen, die man jetzt im Museum zu Dresden zeigt. Das fernere Nachgraben
unterblieb jedoch bis zum Jahre 1788; da fand man die ersten Spuren von Pom-
peji wieder. Zunächst stieß man auf das Theater, und je weiter man nachgrub,
um so mehr Spuren fand man von einer ehemaligen Stadt. Jetzt sind bereits
ganze Straßen ausgegraben, so daß man frei in ihnen umhergehen kann. Die
Häuser und das Hausgerät sind ziemlich gut erhalten und geben uns ein anschau-
liches Bild von den häuslichen Einrichtungen der Vorwelt. Da sieht man noch
Stühle, Tische, Flaschen, Lampen, Messer, Ringe, Schüsseln und viele andere
Sachen umherliegen. Die Wände der Stuben sind größtenteils mit Bildern von
Göttern und mit Darstellungen von Begebenheiten aus der alten Heidenzeit geziert.
Und diese Malerei der Wände ist noch so frisch, als wenn der Maler eben erst
davongegangen wäre. Über den Haustüren stehen noch hier und da Inschriften.
Im Pflaster der Straßen sieht man noch Spuren der Wagengeleise, und vor den
Häusern die Bänke, auf welchen Freunde und Nachbarn des Abends sich zu ver-
sammeln pflegten. In den Buden am Theater lagen noch Eßwaren, als: Nüsse,
Oliven und eine große Pastete, die aber sogleich zusammenfiel, als man sie eben
anrührte. Man fand auch Münzen und Gemälde, auch einen Schatz von Hand-
schriften; aber die Versuche, diese abzuwickeln und zu lesen, sind seither, bis auf
wenige, so gut als fruchtlos geblieben. Auch einzelne Gebeine der Unglücklichen,
die hier lebendig verschüttet wurden, lagen noch da als Zeugen jener Schreckens-
251
tage; denn das Unglück war gerade eingebrochen, als das Volk im Theater saß.
Am Eingänge des Thores sah man noch die Leiche der Schildwache mit ihrer
Waffe in der Hand. Zwei Skelette waren mit Ketten zusammen geschlossen, also
wahrscheinlich von Gefangenen; ein anderes Skelett hielt einen Beutel mit Geld
in der Hand. Ein weibliches Skelett saß an einem Arbeitstische und hatte einen
Knäuel Garn vor sich liegen. Auch fand man das Gerippe einer Frau, die ein
Kind in den Armen hielt; ihr zur Seite die Gebeine von zwei anderen Kindern,
die seit so vielen Jahren sich noch umschlungen hielten, wie der Tod sie nieder-
gestreckt hatte. Noch jetzt werden die Ausgrabungen in dieser lebendig begrabenen
Stadt fortgesetzt und berechtigen zrl den schönsten Erwartungen. Das Museum in
Neapel ist bestimmt, die aufgefundenen Denkmale des Altertums aufzubewahren.
(Welter's Weltgeschichte.)
194. Die Völkerwanderung.
Um das Jahr 375 n. Chr. kam vom Morgen her ein wildes
Volk, die Hunnen, Leute mit schwarzem, struppigem Haare, schmutzig
gelber Gesichtsfarbe, schiefen Augen, breitschulterig und klein von
Leibe, und so fürchterlich wild, als sie häßlich von Ansehen waren.
Voll ihren Pferden waren sie unzertrennlich; sie aßen, tranfen und
schliefen darauf. Wurzeln und rohes Fleisch waren ihre Speise.
Ihre schmutzigen Weiber und Kinder führten sie in Karren mit sich.
So jagten sie durch die Welt von Land zu Land, raubtell, sengten
ulld mordeten, und jagten die Völker vor sich her, wie ein Wolf die
Herde. Zuerst stießen sie ans die Goten. Ein Teil derselben, die
Westgoten, floh ins römische Reich, durchzog einige Zeit nachher
plündernd das schöne Italien unb ließ sich endlich in Spanien und
dem südlichen Teile des heutigen Frankreich nieder. Ein wilder
Haufe nach dem andern drang plündernd in Italien ein, das so
manches Jahrhundert die ganze gebildete Welt beherrscht hatte, und
die schwachen Kaiser konnten es nicht hindern. Ja, am Ende setzten
deutsche Völker — die Heruler und Rugier — gar den letzten
römischen Kaiser Romulus Augustulus ab und machten ihren
Fürsten Odoaker zum Könige von Rom. Der wollte aber nicht
einmal in der armen, fast ganz verwüsteten Stadt wohnen. So ver-
achtet, so verfallen war das einst so mächtige Rom.
Indes waren die deutschen Völker in immerwährender Be-
wegung gewesen. Die Franken hatten das nördliche Gallien einge-
nommen. Von ihnen heißt das Land Frankreich. Die Burgunder
besaßen die Gegenden um den Rhonefluß. Die Angeln waren vom
Ufer der Nordsee nach Britannien gezogen, daß nun von ihnen Eng-
land (Angelnland) heißt. Die Lougobarden setzten sich endlich in
Oberitalien fest (daher die Lombardei genannt). Die Hauptvölker
in Deutschland waren nun: Die Alemannen und Bayern in Ober-
deutschland, und in Niederdeutschland die Thüringer, die Sachsen,
ein Teil der Franken und nach der Ostsee hin die Wenden?)
^ _ *) Schon vor der Völkerwanderung traten an den Küsten der Nordsee die
Friesen auf und an den Mündungen der Weichsel die Goten, die sich in Ost-
252
Diejenigen Völker, welche in das ehemalige römische Gebiet gedrungen
waren, nahmen sehr bald das Christentum an, von dem sie freilich
nur die äußerlichen Gebräuche kannten; die Völker in Deutschland
aber blieben noch eine Zeit lang Heidein Mitten unter den Völker-
zügen kamen die Hunnen noch einmal heran und zwar bis über ben
Rhein und nach Italien. Sie hatten einen König über sich, der hieß
Attila. Er nannte sich aber am liebsten Gottesgeißel. Er ist in
Ungarn gestorben und in einem goldeueu Sarge begraben. Man
weiß aber nicht, wo; denn die Sklaven, die ihn begraben hatten,
wurden gleich nach der That umgebracht, damit keiner das Grab des
Helden erführe. Die Macht der Hunnen hat nachher ganz aufgehört.
(Kappe, kl. Wcltgesch.)
195. Das Grab im Busento.
Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder;
aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt
es wieder.
Und den Fluss hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Goten,
die den Al aridi beweinen, ihres Volkes besten Toten.
Allzufrüh und fern der Heimat mussten sie ihn hier begraben,
während noch die Jugendlocken seine Schultern blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
senkten tief hinein den Leichnam mit der Rüstung auf dem
Pferde,
deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
dass die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten male, ward der Fluss herbeigezogen ;
mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Helden-
ehren !
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab ver-
sehren!“
Sangen’s, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere;
wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
(August v. Plateu.)
XIV. 2. (Vgl. XV. 2.]
c. Kranke bedürfen des Arztes. Jeder warte seines Amtes! Deines Endes
sei eingedenk! Pflege deines Vaters! Jesus gedachte des Schächers. Der
Schenke vergaß des Joseph. Lüge macht viel Redens. Der Gerechte erbarmt
sich des Viehes. Der Edle nimmt sich des Unterdrückten an. Der Redliche
gedenkt seines Versprechens. Eine Liebe ist der andern wert,
st. Geiz hat keinen Boden. Die Zeit heilt alle Wunden. Müssiggang lehrt
viel Böses. Eine Schwalbe macht keinen Sommer. Liebt der wahre Christ
und Westgoten teilten; erstere wohnten später zwischen Dniester und Don, letztere
zwischen Donau und Dniester.
253
nicht seine Brüder? Lobt nicht jeder Krämer seine Ware? Kleine Mäuse
haben auch Ohren! Wie oft steckt ein fauler Apfel hundert andre an! —
Ein treuer Nachbar hilft dem andern. Dem fleißigen Hamster schadet der
Winter nicht. Kinder dürfen sich nie der eignen Eltern schämen. Man kann
des Guten nie zu viel thun.
196. Muhamed.
Zu Anfang des 7. Jahrhunderts trat unter den Arabern ein
Mann auf, der bagu bestimmt schien, große Beweguilgen im Morgen-
und Abendlande hervorzubringen. Das war Muhamed oder Mo-
hammed. Er war um das Jahr 569 zu Mekka in Arabien geboren.
Schon früh wurde er «der Eltern durch den Tod beraubt. Da nahm
sich sein Großvater [c] beö Verlassenen an. Als der Knabe 9 Jahr
alt war, gedachte der Onkel, ein Kaufmann, c seiner, nahm ihn oft
auf seinen weiten Haildelsreisen mit und bildete ihn zum Kaufmann
aus. Muhamed erfreute sich [c] eines kräftigen Wuchses; dazu war
ihm eine große Kraft der Beredsamkeit verliehen. Jeder verwunderte
sich [c] seiner Worte, wenn er mit Begeisterung sprach. Zum tüchtigen
Geschäftsmann ausgebildet — er hatte sich der sei Handlung mit ganzer
Kraft gewidlnet —, erwarb er sich bedeutenden Reichtum. Auf seinen
Reifen lernte er 6 viele Menscheit und Länder samt ihren Sitten
und Gebräuchen kennen; alles beobachtete er, und über alles, was
er sah, dachte er nach, auch über höhere Dinge, über Gott und Un-
sterblichkeit, wie über die jüdischen und christlichen Religionslehren.
Wie allen seinen Zeitgenossen, so waren auch ihm die Juden ein
verachtetes Volk, und die Christen flößten ihm eben so wenig Achtung
> ein, weil er nur zu oft die Streitigkeiten der Parteien kennen ge-
lernt hatte, wo er in den Handelstädten Kleinasiens mit den Christen
zusammen getroffen war; den wahren Geist der christlichen Religion
hatte er eben gar nicht erfaßt. So ist es erklärlich, daß er auf den
Gedanken kam, der Stifter einer neuen Religion zu werden. Da sich
darüber sein Geist in übersinnliche Grübeleien verlor, so war es auch
kein Wunder, daß er manchmal 6 allerlei Geistergestalten zu sehen
glaubte, und daß er sich schließlich einredete, Gott habe ihn zu seinem
Propheten ausersehen, und ein Engel sei zu ihm herabgestiegen, ihm
den himmlischen Willen zu verkündigen. Schnell war er entschlossen,
seine Ideen auszuführen. Seine Lehre war eine Vermengung christ-
licher, jüdischer und heidnischer Lehren, und sein Hauptlehrsatz lautete:
„Es ist nur ein Gott, Allah, und Muhamed ist sein Prophet."
Islam (d. i. Ergebung) nannte er seine Lehre, und seine Anhänger
hießen Moslemin (d. h. Gläubige), woraus der Name „Musel-
männer" entstanden ist. Der Glaube war ihn: jedoch etwas Neben-
sächliches, die Werkheiligkeit die Hauptsache. Als gute, zur Er-
langung der ewigen Seligkeit notwendige Werke galten ihm: Fasten,
Almosengeben, Waschungen, Wallfahrten nach den heiligen Örtern und
Kampf zur Ausbreitung des neuen Glaubens.
Nachdem Muhamed zunächst seine Verwandten bekehrt hatte,
trat er öffentlich in seiner Vaterstadt als Prophet auf; aber er fand
254
4 keinen Anhang, man spottete e seiner vielmehr und achtete c seiner
Lehren nicht; die meisten hielten ihn für einen Wahnsinnigen oder
gar für einen Betrüger, und so sah er sich bald zur Flucht nach
Medina genötigt. Hier fand er Anhänger. Daher wird vom Jahre
seiner Flucht (622) der Anfang seiner Herrschaft und die Stiftung
seiner Religion gerechnet, und noch heute rechnen die Muhamedaner
4 ihre Jahre darnach. In Medina wurde er aber nicht nur als
Prophet, sondern auch als König verehrt. Nun sammelte er seine
Anhänger, bewaffnete sie und führte den wilden Haufen gegen seine
Feinde. Besonders nützlich war ihm dabei die Lehre: Wer für den
Islam den Tod findet, kommt geradezu ins Himmelreich, wo die
köstlichsten Freuden e seiner warten. Muhamed kehrte siegreich nach
Mekka zurück und eroberte innerhalb 10 Jahren bis zu seinem i. I.
632 erfolgten Tode ganz Arabien; denn wer seine Lehre nicht an-
nehmen wollte, wurde dazu mit Gewalt der Waffen gezwungen. In
Medina, ein Wallfahrtsort für alle Muselmänner, liegt er begraben.
Leine Lehren wurden nach seinem Tode in ein Buch zusammenge-
tragen, welches der Koran genannt wird. Die Gotteshäuser der
Muhamedaner heißen Moscheen.
Nach Muhameds Tode dehnten seine Nachfolger (Kalifen)
4 ihre Herrschaft über die Grenzen Arabiens aus, eroberten — auf
Grund der Lehre ihres Stifters: mit Feuer und Schwert, mit
Würgen und Morden — Palästina, Syrien, Ägypten, setzten schließlich
nach Europa über und landeten in Spanien (711). Aber ihre
Herrschaft dauerte hier nicht lange, und die Einführung der muha-
medanischen Religion in Spanien, wo die dort wohnenden Goten
bereits i. I. 586 zur katholischen Kirche übergetreten waren, blieb
ohne Erfolg. Denn die Unterwerfung eines Landes unter die muha-
medanische Lehre war gleichbedeutend mit der Niederwerfung unter
die weltliche Herrschaft des Propheten. Gottlob, daß der Islam
in Europa 4 keinen weiteren Boden gefunden hat als unter den
Türken! (S. Nr. 182, S. 236).
(Nach Nösselt. Zu spr. Zwecken.)
XIV. 3.
6. Einen ^fröhlichen Geber hat Gott lieb. Ein gebrannt Kind scheut das
Feuer. Treuen Dienst lohnt Gott. Des Herrn Auge macht die Pferde fett.
— Eintracht hat '3große Macht. Die Wahrheit findet keine Herberge.
Untreue schlägt ihren eigenen Herrn. Der Mond begleitet den Wandrer der
Nacht. — Eine 3fctte Küche macht einen 3magern Beutel. Fertige Hand
lobt alle Land. Ein schlafender Fuchs fängt kein Huhn. Viele Körner
machen einen großen Haufen. Ein gutes Wort findet einen guten Ort. Viel
Naschen macht leere Taschen. Ein räudig Schaf steckt die ganze Herde an.
Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Macht ein williges Herz
nicht leichte Füße? Trägt eine böse Saat nicht auch böse Früchte O, wie
manches gottlose Kind verachtet die gutgemeinten Warnungen der Eltern und
Lehrer! Wie oft verderben böse Beispiele die besten Sitten!
255
197. Ausbreitung des Christentums unter den Deutschen.
Bonifacius, der Apostel der Deutschen.
Das Auftreten Muhameds unb die ^gewaltsame Verbreitung
seiner Lehre konnte die Christenheit wohl besorgt machen, und es
schien anfangs, als ob die Bnuhamedanische Religion dem Christentum
einen ^ heftigen Stoß bereiten würde. Allein die Geschichte der
christlichen Kirche berichtet uns auch aus dieser Zeit ^erfreuende
Thatsachen über die Ausbreitung des Evangeliums; denn durch den
Eifer christlicher Lehrer wurde mehreren Völkern, die bisher noch
heidnisch waren, mit großein Erfolge „das Wort vom Kreuze" ver-
kündigt. Schon über 600 Jahre waren seit Christi Geburt verflossen,
und noch immer war z. B. in Deutschland das Licht des Evangeliums
unbekannt. Hier beteten noch Heiden die ^alten Götter an und
brachten ihnen ^mancherlei Opfer dar, selbst Menschenopfer. Dies
muß um so inehr auffallen, da schon viel weiter nach Norden,
nämlich in England, Schottland und Irland, die schriftliche Lehre
aufgenommen worden war. Dann erst kainen aus diesen Ländern
Apostel, um das Christentum auf deutschen Boden zil verpflanzen.
Schon ehe Gregor der Große Papst war, hatte er den
Plan gefaßt, die Angelsachsen (in England re.) zu bekehreu. Er
hatte zu dem Ende den Abt Augustinus (596) mit vielen Mönchen
nach England geschickt und hier die Heilslehre mit großem Erfolge
predigen lassen; denn auch ^schottische Geistliche hatten alsbald an
der Bekehrung teilgenommen, und so war im Beginn des 8. Jahr-
hunderts das ^ganze angelsächsische Volk römisch-katholisch. Die
dortige Kirche wendete sich nämlich von vorne herein Rom zu. Nun
gab sich bei den Angelsachse!: auch bald die Neigung kund, das
Evangelium ihren Brüdern auf dem Festlande zu bringen. Willi-
brod aus dem nördlichen England war der Apostel, welcher mit
11 Gefährten nach Friesland kam und (um 690) an der fries-
ländischen (holländischen) Küste landete. Zwar hatten vor ihm in
Friesland schon andere Bekehrer mit Erfolg gewirkt, die ^ heidnischen
Tempel zerstört und Kirchen erbaut; alle diese Stiftungen standen
indessen ohne Einheit neben einander und entbehrten alle der ^höheren
Leitung und Aufsicht. Erst einem unter Willibrods Gefährten, dessen
vaterländische Kirche von Anfang uninittelbar von Rom aus gestiftet
war, gelang es, eine deutsche Kirche zu gründen und mit Rom zu
verbinden.
Das war der Brite Winfried, vom Papst Bonifacius
genannt. Nachdem er in Friesland einige Jahre erfolglos gewirkt
hatte, ging er nach Rom, wo er sich vom Papst Vollmacht zur Be-
kehrung der Deutschen geben ließ (719). Doch mußte Bonifacius
versprechen, daß er bei Einweihung der Bekehrten überall den Ein-
richtungen der römischen Kirche folgen und in zweifelhaften Fällen
sich beim Papste Rat holen wolle. Nun begab er sich im Verein
mit Willibrod abermals zu den Friesen. Alsbald zum Bischof er-
256
nannt, durchzog er Hessen und Thüringen, gründete Klöster und
Bistümer*) und entfaltete eine -gesegnete Wirksamkeit. Als er auf
seiner Wanderung einmal nach dem heutigen hessischen Dorfe Geismar,
nicht weit von Fritzlar, kam, fand er eine ^ uralte Eiche, welche dem
Donnergotte geweiht war. Unter dieser Eiche versammelten sich die
Einwohner, um ihre heidnischen Gottesdienste abzuhalten und ihre
Opfer darzubringen. Bonifacius wollte die Opfernden von der
Nichtigkeit ihres Götterglaubens überzeugen, indem er mit eigner
Hand die Axt an den Baum legte. Die Leute erwarteten nichts
anders, als daß ihr zorniger Donnergott dies Heiligtum schützen und
den Frevler schrecklich strafen würde. Als aber das ^erwartete Ge-
richt ausblieb und die ^gefällte Eiche wunderbarerweise in vier Teile
spaltete, erkannten die Versammelten die Ohnmacht ihrer Götter,
wandten sich dein von Bonifacius verkündigten Gotte zu und ließen
sich taufen. Aus dein Holze des gefällten Stammes ließ Boilifacius
ein Kirchlein bauen. Mit gleich günstigem Erfolge inachte er auch
der Verehrung anderer Götter ein Ende und breitete immer inehr
das Christentum aus. Er ließ auch noch -mehrere andere Lehrer und
Mönche aus England kommen. Die Mönche in den Klöstern be-
schäftigten sich entweder mit Lesen und erweiterten dadurch ihre Kennt-
nisse, die sie nun andern mitteilen konnten, oder sie schrieben -alte
Handschriften ab — denn damals war die Kunst, Bücher zu drucken,
noch nicht erfunden — oder sie schrieben die Geschichte der Länder
und Völker und die Thaten der Heiligen auf, oder sie rodeten die
2unnützen Wälder aus und machten den Boden weit umher zum
Ackerbau geschickt; kurz, sie wurden auf mancherlei Weise den Völkern
nützlich und waren in dieser Zeit ein wahrer Segen des Landes.
In der Folge begab sich Bonifacius nach Bayern, um hier das
Christentum teils zu verkündigen, teils die schon bekehrten Christen,
die doch oft noch sehr heidnisch lebten, auf einen bessern Weg zu
bringen.
Bei seiner fast 40jährigen Wirksamkeit war Bonifacius zu
hohem Ansehen gelangt und Erzbischof von Mainz geworden. In
seinen alten Tagen nochmals von Begeisterung ergriffen, begab er
sich abermals zu den Friesen, erlitt aber hier 754 den Märtyrertod.
Mit Ausnahme der Friesen und Sachsen waren bei seinem Tode
^ sämtliche deutsche Völkerschaften bekehrt. Wenn ihm auch * mancher
Bekehrer vorgearbeitet hat, so gebührt ihm doch das Verdienst, daß
er in vielen Gegenden Deutschlands das Evangelium zuerst verkün-
digte, in andern aber, wo es schon gepredigt war, die Lehre Jesu
reinigte. Darum heißt er mit Recht „der Apostel der Deutschen."
Dadurch aber, daß er die -deutsche Kirche aufs engste mit Rom ver-
band, ward er der eigentliche Begründer der römischen Priester-
herrschaft. (Nach Berthelt Lebensbilder III. S. 324.)
0 Würzburg, Erfurt, Regensburg, Passau, Salzburg, Fulda u. a.
257
198. Entstehung und Fortschritt des Papsttums.
Die Einheit in Verfassung und Leitung der christlichen Kirche hat sich nur
allmählich entwickelt. In den ältesten Zeiten ordnete jede Gemeinde ihre kirchlichen
Angelegenheiten selbst, indem sie ihre kirchlichen Ämter nach der Weise der jüdischen
Gemeinden nach freier Wahl an einzelne übertrug. So wählte man z. B. einen
Gemeindevorstand und Armenpfleger. Einen besonderen Lehrstand gab es ursprünglich
nicht, sondern es fand ein allgemeines Priestertum statt. Aber schon frühzeitig
bildete sich eine Scheidung zwischen Volk (Laien) und Geistlichkeit (Klerus) als
einer Art Mittelstand zwischen der Gemeinde und Gott mit dem Vorrechte der
Leitung des Gottesdienstes. Der Name „Bischof" ward bald für den ersten Geist-
lichen einer Gemeinde üblich. Als aber die Landgemeinden gegen die Stadt-
gemeinden an Ansehen verloren, blieb der bischöfliche Name nur den Leitern der
letzteren. Schließlich ward der Bischof einer Provinzialhauptstadt der Oberste
(Erzbischof) der anderen Bischöfe der Provinz, welche er in kirchlichen Zusammen-
künften um sich versammelte. Mit der Zeit traten fünf solcher Erzbischöfe in den
Vordergrund*). Von diesen beanspruchte wiederum der römische Bischof (Papst)
wenn auch sehr allmählich, die kirchliche Obergewalt über die übrigen, teils weil er
seinen Sitz in der Hauptstadt des Reiches hatte, aus der man gewöhnt war,
Befehle zu empfangen, teils weil er behauptete, der unmittelbare Nachfolger des
heiligen Petrus zu sein, der seine Gemeinde gegründet und dem von Christus
selbst die Herrschaft über die Kirche übertragen sei.
Wenn auch der römische Erzbischof in seinen Bestrebungen auf harten
Widerstand stieß, da jeder der 5 Erzbischöfe lieber selbst Herrscher und Papst der
christlichen Kirche sein mochte, so wußte der Oberhirte in Rom doch schließlich seine
Ansprüche durchzusetzen. Aber die Anmaßung des Papstes nahm bald noch eine
andere Gestalt an: er beanspruchte die Oberherrschaft über die gesamte Christenheit,
auch die Gewalt über die weltlichen Regenten. Aus den Kämpfen der letzteren
wußte das Papsttum jederzeit Nutzen zu ziehen und seine Ansprüche zu vermehren.
Besonders hat Papst Nikolaus I. aus den Kämpfen der Karolinger großen Nutzen
gezogen, indem er sich eine schiedsrichterliche Gewalt anmaßte. Er war es, der
zuerst den Gedanken eines päpstlichen Kaisertums ergriff. Im Papsttum
sollte sich alle geistliche und weltliche Macht vereinigen, und mit Hülse der kirch-
lichen Gewalt sollte es nur ein heiliges römisches Reich geben. Nikolaus
verfolgte zunächst den Plan, das Priestertum und besonders die Bischöfe unab-
hängig von der weltlichen Gewalt zu machen und den Papst als obersten Richter
in allen geistlichen und weltlichen Dingen hinzustellen. Wenn auch seine Pläne
zerflossen: seine Nachfolger ließen sie nicht aus den Augen, und einem derselben
(Papst Johann XII.) ist es in der That gelungen, eine Zeit lang die geistliche
und weltliche Gewalt in Rom in seiner Person zu vereinigen; seitdem aber
7 Jahre später Otto I., der Große, zum römischen Kaiser gekrönt ward, blieb
es Grundsatz, daß nur der deutsche König die römische Kaiserkrone und zwar nur
in Rom empfangen dürfe. Doch der neue Kaiser Otto nahm das Recht der Ein-
setzung seiner Bischöfe auch in betreff des Papstes für sich in Anspruch, den er für
weiter nichts hielt als den ersten Bischof seines, des römischen Weltreiches. Leider
*) Nämlich die Bischöfe von Rom, Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem und Alerandria
als die Vorsteher der 5 angesehensten Gemeinden des römischen Reiches.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
17
258
verstanden cs Otto's Nachfolger nicht, diesen Gedanken festzuhalten und weiter zu
verwirklichen. So kam es, daß nach gut 100 Jahren die Macht des Papsttums
eine erstaunliche Höhe erreicht hatte.
Papst Gregor VII. war es, der einen mächtigen und allgewaltigen Ein-
fluß in kirchlichen und staatlichen Dingen an den Tag legte. König Heinrich IV.
hat in Canossa jene geistliche Übermacht so bitter gekostet, wie gewiß nie ein
Fürst vor oder nach ihm. Um aber Rom zur priesterlichen und kaiserlichen Herr-
schaft zu erheben, entzog er die Besetzung geistlicher Stellen den weltlichen Ge-
walten, und andererseits setzte er die Ehelosigkeit der Priester durch (das Cölibat),
wodurch er letztere von der staatlichen Gemeinschaft losriß und sie nur dem kirch-
lichen Vorteil dienstbar machte. Die Bestrebungen Gregor VII. gelangten unter
seinen Nachfolgern immer mehr zur Geltung; ja, die päpstliche Macht hat sich seit
ihm noch bedeutend gesteigert. Der Papst allein berief die Kirchenversammlungen
und führte auf ihnen in Person oder durch seine Stellvertreter den Vorsitz. Er
hatte das Recht der Befreiung von allen Kirchengesetzen und das der Heilig-
sprechung. Indem die Bischöfe und Äbte dem Nachfolger Christi den Huldigungs-
cid schwören mußten und nur von ihm das Bischofsamt erhalten konnten, waren
sic vollständig von ihm abhängig. Dazu kam, daß das Vermögen der Kirche durch
Schenkungen und Vermächtnisse besonders zur Zeit der Krcuzzüge zu einer ansehn-
lichen Höhe angewachsen war, wodurch ihr Einfluß noch um ein Bedeutendes wuchs.
Derjenige Papst aber, unter welchem die Kirche ihre höchste Macht entfaltete,
war Jnnocenz III. (1198—1216). Sein höchstes Bestreben war, den päpst-
lichen Stuhl über alle Gewalten der Erde zu erheben, indem der Gedanke, daß er
Stellvertreter Gottes auf Erden sei, alle seine Handlungen leitete. Er machte den
Kirchenstaat (in Italien) unabhängig, empfing von den Königen Europas Zins und
erhob Rom noch einmal zur Beherrscherin der gebildeten Welt. Wie Papst
Jnnocenz eifrig bemüht war, einerseits die Kirche streng zu ordnen und ihre
Stellung überall zu heben, so war er andererseits darauf bedacht, ihr Ansehen auch
gegen diejenigen zur Geltung zu bringen, welche die Auswüchse der katholischen
Lehre verwarfen*). In einem über alle Maßen grausamen Kreuzzuge wurden
diese Andersdenkenden im Anfang des 13. Jahrhunderts fast vernichtet. Die Aus-
rottung ihrer geheimen Überreste übertrug der Papst geheimen Gerichten. So
entstand die Inquisition (Gerichte zur Aufspürung und Verurteilung von
Ketzern). Die Nachfolger dieses gewaltigen Papstes wurden in ihren Bestrebungen
und Kämpfen gegen die weltliche Gewalt noch durch Errichtung mehrfacher Orden
(Bettelorden) unterstützt. Das Grundgesetz eines desselben, des Dominikanerordens,
war Aufopferung für den allein seligmachenden Glauben; ein anderer, der Fran-
ciskanerorden, ward mit dem Rechte beschenkt, daß seine Mitglieder überall predigen
und Beichte hören durften (Ohrcnbcichtcn). — Das Werk der Päpste Gregor VII.
und Jnnocenz III. ist in seiner Entwickelung stetig fortgeschritten, und jetzt?
Innerlich steht das Papsttum der Gegenwart ungebrochen, ja noch größer
in seiner Herrschsucht und Anmaßung da als zu Jnnocenz' Zeit; nur seine äußere
Weltmacht hat im Laufe der Geschichte den alten Glanz verloren — hoffentlich
für immer! Das Papsttum verschanzt sich nicht mehr wie früher hinter fran-
zösischen Gewehren und Kanonen; cs herrscht nicht mehr über den Kirchenstaat,
*) Gegen die Albigenser (Katharer und Waldenser — deren Verein um 1180 durch
Petrus Waldus von Lyon gestiftet mar).
259
sondern Italien ist ein einiges Königreich, und sein Regent thront in Rom; —
die Kaiser holen nicht mehr aus der heiligen Stadt ihre Kronen oder päpstliche
Befehle, noch weniger gehen sie nach Canossa ... . ja, es sitzt seit 1871 ein
protestantischer König aus dem Hause Hohenzollern auf dem deutschen
Kaiserthron!!
Giebt denn nicht auch das ewig gültige Wort der Schrift den weltlichen
Herrschern „das Schwert" in die Hand? Hat nicht Christus dem Petrus, als er
im Kampfe für den Herrn weltliche Macht zu Hülfe nahm, zugerufen: „Stecke
dein Schwert in die Scheide?" Und hat nicht vor allen Dingen einst der
Herr und Meister selber im feierlich-ernsten Augenblicke verkündet: „Mein Reich
ist nicht von dieser Welt?"
Das Maß der römischen Herrschsucht war seiner Zeit voll. Mit dem
deutschen Kaiser Friedrich II. (1215—1250) begann der Kampf gegen das
Papsttum. Er ist noch heute nach bald 700 Jahren nicht beendet; denn er besteht
in seiner Art noch bis zu dieser Stunde; — er wird in unserm geliebten Vater-
lande auch eher nicht erlöschen, als bis alle deutschen Weltmächte und Volksstämme
einmütig und mit ganzem Nachdruck das Joch aller römischen Gelüste und An-
maßungen nach allen Seiten hin für immer abgeschüttelt haben werden.
(Vgl. Wolf's Lehrbuch der mittleren Geschichte S. 20, 71, 80, 103 und 143.)
199. Das Land der Franken.
Die Franken (d. i. die Freien), ein großer deutscher Volks-
stamm, haben die Römer aus Gallien, das diese über 400 Jahre
beherrscht hatten, zurückgedrängt und wohnten im Norden des Landes.
Den Süden Galliens eroberten zu Anfang des 5. Jahrhunderts die
Westgoten und den Osten die Burgunder. Als dann mit dem Sturze
des weströmischen Reichs die Franken selbständig wurden, vereinigte
Chlodwig*) jene drei das Land Gallien bewohnenden Stämme,
gründete das große fränkische Reich und wurde 481 König der
Franken; jedoch ward er erst nach 15sähriger Regierung Christ; mit
ihm ließen sich noch 3000 Franken taufen. Chlodwig und seine
Nachfolger suchten das Frankenreich mehr und mehr zu erweitern;
einen großartigen Aufschwung nahm dasselbe sowohl nach außen als
nach innen unter König Karl dem Großen (768—814), dem der
Papst i. I. 800 die Kaiserkrone aufsetzte, als Karl sich in Rom auf-
hielt. Der kaiserliche Name war jetzt der äußere Ausdruck für die
staatliche und kirchliche Macht der fränkischen (und später der deutschen)
Könige, wiewohl der Papst die Verleihung der Kaiserkrone immer
als eine päpstliche Gnade ansah. Unter Kaiser Karl dem Großen
umfaßte das fränkische Reich das heutige Frankreich, Holland, Deutsch-
land bis zur Elbe, das nördliche Spanien, die Schweiz, einen Teil
von Italien und Ungarn**). Aus dem durch Chlodwig gestifteten
*) Chlodov ech — Chlodwig, Ludwig.
**) Die Grenzen des fränkischen Reiches waren durch Karl den Großen
im Norden bis zur Eider (Grenzfluß zwischen Schleswig und Holstein), im Osten
bis über die Elbe und bis zur Donau, im Süden bis zum Garigliano (in
Untcritalien zwischen Rom und Neapel) und Ebro (in Spanien) ausgedehnt
worden.
17*
260
kleinen Frankenreich war in 300 Jahren ein großes, mächtiges
Kaisertum geworden. Aber Karl des Großen Nachkommen hatten
nicht den Geist ihres berühmten Vorfahren; das Ansehen des Reiches
ging unter seinen Nachfolgern bald zurück und schließlich wurde es
ganz aufgelöst. Die Unfähigkeit mancher kaiserlichen Nachkommen,
unter welchen bereits Karls Enkel*) sich gegen ihren Vater auflehnten
und gegen einander Krieg führten, das Zerstückeln des Reiches in
Z Teile**), das Aussterben des ursprünglichen fränkischen Herrscher-
hauses***), Kriege und Einfälle feindlicher Nachbarn und innere Rück-
schritte im Volksleben waren die Ursachen des Zerfalles und der
Auflösung.
Während im Frankenreiche die königliche Macht mehr und inehr
geschwunden war, war das Sachsenreich empor gekommen. Aus
seinem kräftigen Geschlecht ist es Heinrich I., genannt der Finkler
oder Vogelsteller, gewesen, durch den in Deutschland die einzelnen
Reichsglieder zu einem Ganzen vereinigt wurden, zu dem deutschen
Reiche, welches nach seiner Verknüpfung mit dem römischen Kaiser-
tume als das erste Reich der Welt dastand. Heinrich I., selbständig
der Geistlichkeit gegenüber, erster deutscher Kaiser aus dem sächsischen
Hause, ist also als der Gründer des einheitlichen Deutschlands anzu-
sehen. Sein Sohn Otto I., der Große, einer der größten
Herrscher Deutschlands, war ein würdiger Nachfolger, bestrebt, die
kaiserliche Macht Karls des Großen wiederherzustellen, und es gelang
ihm in der That, Deutschland zur ersten Macht der Welt zu erheben.
Deutschland war auf dem besten Wege, ein Erbreich zu werden,
allein dadurch, daß der letzte sächsische Kaiser (Heinrich II.) ohne
Nachkommen starb, blieb es ein Wahlreich. Das ruhmreiche sächsische
Königshaus hatte länger als 100 Jahre über Deutschland geherrscht
(bis 1024). Das Schicksal des deutschen Reiches ist von da ab ein
sehr wechselvolles gewesen (s. Anm. u.). Schließlich war das Haus
Hohenzollern berufen, das deutsche Kaiserreich im alten Glanze
auf dem Schlachtfelde wieder herzustellen, und in Wilhelm I., dem
Siegreichen, scheint jetzt die kaiserliche Erbfolge für lange Zeit ge-
sichert zu sein.
Das heutige Frankreich ist in Bezug auf seine Größe nicht
in Vergleich zu stellen mit dem ausgedehnten Frankenreich Kaiser
Karls des Großen. Immerhin zählt es zu den größten europäischen
Staaten der Gegenwart und ist an Größe z. B. dem deutschen Reiche
ziemlich gleich. Im großen und ganzen ist Frankreich von seinen
Nachbarländern durch natürliche Grenzen geschieden. Durch welche
*) Lothar, Ludwig und Pipin, Söhne Ludwig des Frommen, der
ein Sohn und der Nachfolger Karl des Großen war.
**) Unter die 3 genannten Brüder: Lothar, der älteste Bruder, der auch
die Kaiserwürde behielt, bekam Italien und alles Land westlich vom Rheine sowie
Friesland; vom übrigen Frankenreich erhielt Ludwig das östliche, Karl das west-
liche Teilstück. Vertrag zu Verdun 843.
***) Der Karolinger — nach Karl dem Großen so genannt.
261
beim? Sein Klima ist regelmäßig und seine Bobengestaltung im
allgemeinen Hügellanb unb Ebene von meistens guter Beschaffenheit.
Überhaupt ist Frankreich ein gesegnetes, reiches Laub. Was für
Schlüsse zieht ihr aus bem Gesagten in Bezug auf ben Reichtum
ber Probukte, auf bie Beschäftigung ber Bewohner, auf Sinn unb
Geinüt bes Franzosen?
Frankreichs Hauptprobukte sinb Schafe mit guter Wolle, Wein
unb Obst in Überfluß unb von vorzüglicher Güte, Ölbäume unb
eble Früchte. Das Pflanzenreich liefert auch wichtige Färbekräuter,
Süßholz, Kork re. Von Mineralien sind Salz, Marmor und Flinten-
steine die wichtigsten. Das Fabrikwesen ist ein ausgedehntes. Frank-
reich hat viele überseeische Besitzungen, eine große Flotte und be-
deutende Städte. Die Hauptstadt des Landes, Paris an der Seine,
gehört zu den schönsten Städten Europas.
Anm. Nach dem Aussterben des sächsischen Königshauses sHeinrich I.,
der Vogelsteller; dessen Sohn Otto I.j gelangte das fränkische Haus (etwa 100
Jahre 1024—1125) zur Herrschaft sHeinrich IV.]. Den fränkischen Kaisern folgten
(gleichfalls etwa 100 Jahre 1138—1284) die schwäbischen (weil sie früher das
Herzogtum Schwaben besaßen) oder Hohenstaufen (Friedrich Barbarossas.
Als der Sohn des letzten Hohenstaufen Konrad IV., Konradin, durch den un-
rechtmäßigen Erben (Karl von Anjou) aus Frankreich ermordet worden war, folgte
17 Jahre ein Zwischenreich unter heillosen Regenten und damit eine für das
deutsche Reich erschreckliche Zeit, der durch den ordnungsmäßig erwählten Rudolf
von Habsburg endlich ein Ende gemacht wurde. Von nun an aber regierten
(über 160 Jahre 1273—1437) Kaiser aus verschiedenen Häusern sHauö Habsburg,
Luxemburg, Wittelsbachs. Dann herrschten 300 Jahre (1438—1740) die Habs-
burger (Maximilian I.s. Karl VI. als deutscher Kaiser war der letzte des habs-
burgischen Mannsstammes und mit ihm starb also das habsburgische Haus im
Mannsstamme aus. Seine Tochter Maria Theresia setzte als anerkannte Erbin
der östreichischen Monarchie die Herrschaft fort und verschaffte ihrem Gemahl
Franz von Lothringen den deutschen Kaiserthron. In ihm erstand also das
über Östreich und Deutschland herrschende habsburgisch-lothringische Haus (1745 bis
1806), und er ist der Stammvater des bis zur Stunde regierenden östreichischen
Kaiserhauses. Sein Enkel Franz II. aber war der letzte Kaiser von Deutschland
(1792—1806). Durch das Auftreten des alles sich unterwerfenden Napo leon I.
von Frankreich ward er genötigt, sich seit 1804 nur Kaiser von Östreich zu
nennen, während von da ab für das deutsche Reich eine Zeit der Uneinigkeit, des
Hin- und Herschwankens folgte. Das starke Haus der Hohen;ollern hat diesen
Zuständen durch König Wilhelm I. von Preußen (1866 und 1870/71)
hoffentlich für immer ein Ende gemacht. Möge Deutschland ein einiges, starkes
Kaiserreich bleiben, so lange es eine Weltgeschichte giebt!! (I. S.)
200. Karl der Große.
Kaiser Karl führte mit Recht ben Beinamen „ber Große".
Er war nicht bloß im Kriege groß, sonbern auch im Frieben; benn
sein Streben war auch auf Höheres unb Ebleres gerichtet. Wen er
als Helb mit bem Schwerte unterworfen hatte, ben wollte er als
Vater mit Liebe beglücken. Unablässig war er bemüht, seine Völker
aufzuklären, sie weiser unb besser zu machen. Die gelehrtesten Männer
seiner Zeit lebten an seinem Hofe unb genossen seiner Achtung unb
Freunbschaft. Durch sie stiftete er viele Schulen, um bem Erziehungs-
wesen aufzuhelfen. Er achtete mehr auf erworbene Kenntnisse, als
262
auf ererbte Standesvorzüge. Darum besuchte er, wo er nur immer
konnte, die Schulen selbst, um mit eignen Augen zu sehen, ob auch
seinen Vorschriften entsprochen würde. Mit ganzer Seele hing er
am Christentume. Deshalb sorgte er sehr für gute Geistliche und
untersagte ihnen alles, was sich mit der Würde ihres Berufes nicht
vereinigte. Neue Bistümer, Kirchen und Klöster wurden gegründet.
Die Klöster insbesondere förderten innerhalb ihrer stillen Mauern
nicht nur den Unterricht der Jugend, sondern sorgten auch für Arme
und Kranke und nahmen Reisende gastfreundlich aus; denn Gasthöse
gab es in damaliger Zeit nur wenige. Zur Verherrlichung des
Gottesdienstes ließ er Sänger und Orgelspieler ans Italien kommen.
Auch liebte Karl seine Muttersprache. Er arbeitete selbst mit den
Gelehrten seines Hofes an einer deutschen Grammatik und ließ auch
eine Sammlung altdeutscher Heldenlieder veranstalten. Uns ist leider
von diesen Bestrebungen des großen Kaisers nichts übrig geblieben,
als die deutschen Namen, die er den Winden und Monaten gab.
Karl war ein echt deutscher Mann, von starkem Körperbau und
schlanker Gestalt. Er hatte eine hohe, klare Stirn und überaus
große, lebendige Augen, die dem Freunde und Hülsebittenden freundlich,
dem Feinde aber furchtbar leuchteten. In früher Jugend übte er
nach Frankenart seine Körperkraft und wurde der beste Fechter und
beste Schwimmer. Ein Hauptvergnügen war die Jagd, und wenn
er seinem Hose ein Fest bereiten wollte, wurde eine Treibjagd ange-
stellt. Karl, mitten unter den jungen Edelmännern, bestand manchen
heißen Kamps mit wilden Ebern, Bären und Auerochsen. Im Essen
und Trinken war er sehr nüchtern. Sein Schlaf war kurz. Selbst
des Nachts stand er mehrmals von seinem Lager aus, nahm Schreib-
tasel und Griffel, um sich in der in seiner Jugend versäumten,
Schreibkunst zu üben, oder er betete, oder er stellte sich ans Fenster
und betrachtete mit Ehrfurcht und Bewunderung den gestirnten
Himmel. Eine so einfache Lebensweise erhöhete die ohnehin so ge-
waltige Körperkraft dieses Mannes, so daß man seinen Geschichts-
schreibern wohl glauben darf, wenn sie erzählen, wie er mit leichter
Mühe ein Hufeisen brach oder einen geharnischten Mann emporhob
wie ein Kind und Lasten hob, die ein gewöhnlicher Mann jetziger
Zeit nicht von der Stelle rücken könnte.
Seine Kleidung war nach deutscher Art einfach. Er trug Ge-
wänder, von der fleißigen Hand seiner Gemahlin verfertigt, Strümpfe
und leinene Beinkleider, mit farbigen Bändern kreuzweise umwunden,
ein leinenes Wams und darüber einen einfachen Rock mit seidenen
Streifen, seltener einen viereckigen Mantel von weißer und grüner
Farbe; aber stets hing ein großes Schwert mit goldenem Wehrge-
hänge an seiner Seite. Nur an Reichstagen und hohen Festen er-
schien er in voller Majestät, mit einer goldenen, von Diamanten
strahlenden Krone aus dem Haupte, angethan mit einem lang herab-
hängenden Talare, mit goldenen Bienen beletzt. Merkwürdig, wie
er gelebt hatte, wurde er auch begraben. Im vollen Kaiserschinucke,
263
mit Krone, Schwert, ein goldenes Evangelienbuch auf den Knieen,
die goldene Pilgertasche um die Hüfte, wurde er sitzend auf einem
goldenen Stuhle, in die Gruft der von ihm gestifteten Marienkirche
zu Aachen hinabgelassen. (Weiter.)
201. Wie Kaiser Karl Schiilvisitation hielt.
1. Als Kaiser Karl zur Schule kam und wollte visitieren,
da prüft er scharf das kleine Volk, ihr Schreiben, Buchstabieren,
ihr Vaterunser, Einmaleins, und was man lernte mehr.
Zum Schlüsse rief die Majestät die Schüler um sich her.
2. Gleich wie der Hirte schied er da die Böcke von den
Schafen,
zu seiner Rechten hiess er stehn die Fleifsigen, die Braven.
Da stand im groben Linnenkittel manch schlichtes Bürgerkind,
manch Söhnlein eines armen Knechts von Kaisers Hofgesind.
3. Dann rief er mit gestrengem Blick die Faulen her, die
Böcke,
und wies sie mit erhobener Hand zur Linken in die Ecke.
Da stand im pelzverbrämten Rock manch feiner Herrensolm,
manch ungezogenes Mutterkind, manch junger Reichsbaron.
4. Da sprach nach rechts der Kaiser mild: „Habt Dank,
ihr frommen Knaben,
ihr sollt an mir den gnäd’gen Herrn, den güt’gen Vater haben,
und ob ihr armer Leute Kind und Knechtessöhne seid:
in meinem Reiche gilt der Mann, und nicht des Mannes Kleid.“
5. Dann blitzt sein Blick zur Linken hin; wie Donner
klang sein Tadel:
„Ihr Taugenichtse, bessert euch, ihr schändet euren Adel!
Ihr feinen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht,
ich frage nach des Mann’s Verdienst, nach seinem Namen
nicht.“
6. Da sah man manches Kinderaug’ in frohem Glanze
leuchten,
und manches still zu Boden sehn und manches still sich feuchten.
Und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt,
wen heute Kaiser Karl belobt, und wen er ausgeschmält*).
7. Und wie’s der grosse Kaiser hielt, so soll man’s allzeit
halten
im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den
Alt en:
den Platz nach Kunst, und nicht nach Gunst, den Stand
nach dem Verstand!
So steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland!
(£. G-erok.)
*) Schmälen — schelten.
264
202. Wie Kaiser Karl schreiben lernte.
1. Als Kaiser Karl zu Jahren kam
und war der Große worden,
und streckte seinen Scepter aus
nach Süden und nach Norden,
da gab's ins weite Kaiserreich
wohl auszuschreiben viel;
doch der so stark den Scepter hält,
führt schwach den Federkiel.
2. Wohl lernt er in der Jugend einst
ein rasches Roß zu reiten,
zu schwimmen durch den wilden
Strom,
mit Schwert und Speer zu streiten;
noch ist dem Mann kein Hengst zu
wild,
kein Fluß zu rasch und tief,
nur eines fällt dem Helden schwer:
zu schreiben einen Brief.
3. Da geht der große Kaiser noch
beim Schreiber in die Schule
und müht sich wie ein Schülerknab'
mit seiner Federspule,
doch bleibt der schwertgcwohnten Hand
der leichte Kiel zu schwer,
er seufzt: „Was Hänschen nicht ge-
lernt,
das lernt der Hans nicht mehr."
4. Nun, alter Kaiser, tröste dich:
kannst du ihn schlecht nur schreiben,
dein Name wird im deutschen Land
wohl angeschrieben bleiben;
du schriebst ihn mit dem scharfen
Schwert
in Erz und Marmelstein,
du schriebst mit deinen Thaten ihn
ins Buch der Zeiten ein.
5. Ihr Kinder aber werdet nicht
mit Blut und Eisen schreiben,
drum sollt ihr eure Schreibekunst
mit Tint' und Feder treiben;
ihr grabet eure Namen nicht
in Erz und Marmelstein,
drum schreibet eure Lektion
ins Schulheft sauber ein.
6. Doch ist der letzte Punkt gemacht,
so legt abseits die Schriften
und springt hinaus in Flur und
Wald,
die Brust euch auszulüften,
und streckt die Glieder, schwimmt
und ringt,
wie Junker Karl gethan,
das steht der deutschen Jugend wohl
und schützt den deutschen Mann.
7. Denn junggcwohnt ist altgcthan,
das Bäumchen muß man biegen;
der alte Baum, der harte Stamm,
der mag sich nimmer schmiegen.
Das lernt vom alten Kaiser Karl:
das Schreiben ward ihm schwer;
denn was das Hänschen nicht gelernt,
das lernt der Hans nicht mehr. (Gcrok.)
203. Heinrich I., der Städtegründer.
Nachdem schon im Jahre 843*) das ungeheure Reich Karls
des Großen in eine westliche und eine östliche Hälfte geteilt und da-
mit das heutige Frankreich für immer von Deutschland getrennt war,
erlosch im Jahre 911 die deutsche Linie der Karolinger. Man
wählte daher den Herzog Konrad von Franken zum Kaiser, aber
dieser vermochte sich gegenüber den Großen seines Reiches nicht das
*) Vertrag von Verdun (sprich: Werdöng).
265
rechte Ansehen zu verschaffen; er starb schon 918 ohne Kinder. Aber
auf seinem Sterbebette trug er seinem Bruder auf, dem helden-
mütigen Herzog Heinrich von Sachsen, mit dem er zwar in Un-
frieden gelebt hatte, den er aber für den würdigsten von allen Fürsten
hielt, die Krone zu überbringen. Der treue Bruder gehorchte, und
die Großen des Reiches stimmten ihm bei. Man sandte Boten an
Heinrich, und diese fanden ihn der Sage nach in schlichtem Jagd-
gewande bei seinem Vogelherd auf dem Harzgebirge. Er bekam da-
her den Beinamen des Vogelstellers.
Ohne Zaudern folgte Heinrich dem an ihn ergangenen Rufe.
Ihm gebührte in der That vor allen Zeitgenossen die Krone. Er
war an Geist und Gaben ein wahrhaftiger König, ein würdiger
Nachfolger Karls des Großen.
Zur Zeit, als er zum deutschen Könige gewählt wurde, ging
es in Deutschland sehr traurig zu. Von Südosten her sagten häufig
auf ihren schnellen Pferden die Ungarn heran, trieben den Bauern
das Vieh weg und sengten und plünderten, wohin sie kamen.
Sammelte sich langsam ein Haufe deutscher Krieger wider sie und
fing an, sich in Marsch zu setzen, so waren sie samt ihrer Beute
bereits wieder fort. — Von Nordosten her kamen die Wenden und
machten es eben so. — Was that da der weise, bedächtige Heinrich?
Zuerst schloß er einen neunjährigen Waffenstillstand mit den
gefährlichen Ungarn. Nun begann im ganzen deutschen Reiche eine
bessere Zeit. Überall fing man an, Häuser zu bauen und hier und
da eine größere Anzahl derselben mit Mauern und Gräben zu um-
geben. Solch eine ummauerte Stätte nannte man Stadt oder Burg.
Ihre Bewohner hießen Bürger. Aber es war noch leichter, Städte
zu bauen, als Bewohner für dieselben zu finden; denn die Deutschen
wohnten lieber auf dem Lande. Sie sagten: „Sollen wir uns
lebendig begraben lassen? Die Städte sind nichts anderes als
Gräber." Da befahl Heinrich, die Leute sollten losen, und je einer
aus neunen, den das Los träfe, sollte vom Lande in die Stadt
ziehen. Damit sie das aber um so lieber thun möchten, gab er den
Städten viele Vorrechte, so daß die Bürger hinter ihren Mauern
viel freier wurden als die Bauern, welche ihren Edelleuten oder
Klöstern als Leibeigene dienen mußten. — Nun hoben sich auch nach
und nach die Gewerbe. Ein Bürger fing an für die übrigen Kleider
zu machen, der andere Schuhe, ein dritter bauete Häuser u. s. f.
Mit einem Worte: Es entstanden die verschiedenen Handwerke.
Bis dahin hatte jeder sein eigener Schneider, Schuster, Maurer
u. s. w. sein müssen. Als die Ungarn wiederkamen, und die Bauern
nun ihr Vieh und ihre sonstigen Habseligkeiten in die ummauerten
Ltädte flüchten konnten, da jubelte alles dem Städtegründer entgegen
und freute sich des Königs.
Während dieser Schöpfungen ließ Heinrich es auch nicht an
kriegerischem Ernste fehlen. Da die östlichen Nachbarn, die Slaven,
vielfach an den Raubzügen der Ungarn teilgenommen hatten, so brach
266
er gegen sie auf und eroberte ihre Hauptstadt Brennabor (Bran-
denburg). Ebenso züchtigte er die räuberischen Dänen, eroberte das
Land zwischen Eider und Schlei und gründete hier eine Markgraf-
schaft mit der festen Burg Schleswig. Da die feindlichen Nachbarn
beständig mit den Sachsen und Thüringern in Streit lebten, so
gründete Heinrich zur Bewachung der Mark oder Grenze noch mehrere
andere Markgrafschaften, indem er sächsische Bauern unter die Besiegten
verpflanzte und deutsche Bildung unter ihnen verbreitete. Über eine
solche Grafschaft setzte dann der Kaiser einen Grafen als Wächter —
Grenzgraf, Markgraf. So hatte Heinrich zur Befestigung der
Grenzen gegen die feindlichen Wenden auch die Markgrafschaft Nord-
sachsen gegründet, aus welcher nach ungefähr 400 Jahren das Kur-
fürstentum Brandenburg hervorging, das Kaiser Sigismund
dein Burggrafen von Nürnberg Friedrich VI. aus dem Hause
Hohenzollern (1415) schenkte. Letzterer ist (1417) als Friedrich I.,
Kurfürst zu Brandenburg, der erste Regent des preußischen
Staats, — des neu erstandenen deutschen Kaiserreichs, — der
Ururgroßvater unsers jetzigen Kaisers Wilhelm I.
Die Ungarn waren gewandte Reiter. Darum hatte Heinrich
auch die Deutschen im Reiterdienste geübt. Er bildete eine regel-
mäßige Reiterei und lehrte diese in geschlossenen Reihen fechten. Die
Krieger, welche so zu Pferde dienten, hießen Ritter. Heinrich ist
also auch der Begründer des später so blühenden Ritterwesens.
Als nun die Ungarn in ungeheuren Massen in Deutschland einbrachen
und bis in das Herz des Landes vorgedrungen waren, da entflammte
Heinrich seine Scharen mit den Worten zur Schlacht: „Krieger, sehet,
dort glüht der Himmel blutigrot! Eure Habe ist aufgelodert; eure
Hütten liegen in Asche; eure Weiber sind gemißhandelt; eures Gottes
Altäre sind umgestürzt. Seid Männer und betet zu dein dort oben,
der Hülfe sendet in der Stunde der Not!" — Gott sandte Hülfe.
Heinrich schlug (933) die wilden Horden in der Gegend von Merse-
burg dermaßen in die Flucht, daß sie während seiner Lebenszeit
nicht wiederkamen. — Unter seinem Nachfolger Otto dem Großen
fielen sie zwar nochmals in Deutschland ein, wurden aber von diesem
in der Schlacht auf dem Lechfelde (955) gänzlich geschlagen und
wagten sich seit der Zeit nicht mehr in das deutsche Land.
Durch Heinrich I. wurde im Kriege der Reiterdienst vorherr-
schend. Wer ein größeres Frei- oder Lehnsgut hatte, so daß er die
Kosten der Ausrüstung tragen konnte, gehörte zum Stande der Ritter.
Dieselben wurden später sehr mächtig; sie wohnten in ihren
festen Burgen, welche meist auf Berggipfeln erbaut waren und
doppelte Mauern mit Türmen und Gräben mit Zugbrücken hatten.
Beim festlichen Ritterspiele (Turnier) tummelten sie das Roß,
sprengten mit gefüllter Lanze auf einander los und suchten einander
aus dem Sattel zu heben. Sie zogen zum blutigen Strauß, während
die Frauen und Töchter spannen und webten. Die Ritter nährten
sich von den Abgaben der Bauern, die auf dem Grund und Boden
267
der Burg wohnten, und verteidigten sie gegen feindliche Angriffe.
Auf hohem Turme schaute der Wächter ins Weite und verkündigte
durch Stöße ins Horn die nahenden Feinde. Manche Burg wurde
aber in gesetzloser Zeit ein Raubnest, mancher Ritter ein Wegelagerer,
ein Schrecken des friedlichen Landmannes und des sorglos einher-
ziehenden Kaufmanns, der aus fremdem Lande seine Waren brachte.
Nach dem Siege gegen die Ungarn hat Heinrich noch drei
Jahre gelebt. Er ist in Quedlinburg begraben, wo er so gern weilte.
(Kappe, Becker u. a.)
204. Heinrich
1. Herr Heinrich sitzt am Vogelherd
recht froh und wohlgemut;
aus tausend Perlen blinkt und blitzt
der Morgenröte Glut.
2. In Wies' und Feld und Wald und
Au —
horch, welch ein süßer Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtel Schlag,
die süße Nachtigall!
3. Herr Heinrich schaut so fröhlich drein.
„Wie schön ist heut' die Welt!
Was gilt's? Heut' giebt's 'nen guten
Fang!"
Er lugt zum Himmelszeit.
4. Er lauscht und streicht sich von der
Stirn
das blondgelockte Haar:
„Ei doch, was sprengt denn dort heraus
für eine Reiterschar?"
der Vogelsteller.
3. Der Staub wallt aus, der Huf-
schlag dröhnt,
es naht der Waffen Klang.
„Daß Gott! — die Herrn verderben mir
den ganzen Vogelfang.
6. Ei nun, — was giebt's?" Es
hält der Troß
vor'm Herzog plötzlich an;
Herr Heinrich tritt hervor und spricht:
„Wen sucht ihr, Herr'n, sagt an?"
7. Da schwenken sie die Fähnlein
bunt
und jauchzen: „Unsern Herrn! —
Hoch lebe Kaiser Heinrich! — Hoch
des Sachsenlandes Stern!"
8. Dies rufend, knie'n sie vor ihm hin
und huldigen ihm still
und rufen, als er staunend fragt:
„'s ist deutschen Reiches Will'!"
9. Da blickt Herr Heinrich tief bewegt
hinauf zum Himmelszelt:
„Du gabst mir einen guten Fang,
Herr Gott, wie dir's gefällt!" (I. N. Vogl.)
205. Kaiser Otto I.
Zu Quedlinburg- im Dome ertönet Glockenklang,
der Orgel Stimmen brausen zum ernsten Chorgesang;
es sitzt der Kaiser drinnen mit seiner Ritter Macht,
voll Andacht zu begehen die heil’ge Weihenacht.
Hoch ragt er in dem Kreise mit männlicher Gestalt,
das Auge scharf wie Blitze, von goldnem Haar umwallt;
man hat ihn nicht zum Scherze den ,,Löwen“ nur genannt,
schon mancher hat empfunden die löwenstarke Hand.
268
Wohl ist auch jetzt vom Siege er wieder heimgekehrt;
doch nicht des Reiches Feinden hat mächtig er gewehrt:
es ist der eigne Bruder, den seine Waffe schlug,
der dreimal der Empörung blutrotes Banner trug.
Jetzt schweift er durch die Lande, geächtet, flüchtig hin;,
das will dem edlen Kaiser gar schmerzlich in den Sinn;
er hat die schlimme Fehde oft bitter schon beweint:
„0 Heinrich, du mein Bruder, was bist du mir so feind!"
Zu Quedlinburg im Dome ertönt die Mitternacht,
vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht;
es beugen sich die Kniee, es beugt sich jedes Herz,
Gebet in heü’ger Stunde steigt brünstig himmelwärts.
Da öffnen sich die Pforten, es tritt ein Mann herein,
es hüllt die starken Glieder ein Büfserhemde ein,
er schreitet auf den Kaiser, er wirft sich vor ihm hin,
die Knie' er ihm umfasset mit tiefgebeugtem Sinn.
„O Bruder! meine Fehler, sie lasten schwer auf mir,
hier liege ich zu Füssen, Verzeihung flehend, dir;
was ich mit Blut gesündigt, die Gnade macht es rein ;
vergieb, o strenger Kaiser, vergieb, du Bruder mein!“
Doch strenge blickt der Kaiser den sünd’gen Bruder an:
„Zweimal hab’ ich vergeben, nicht fürder mehr fortan!
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt,
nach dreier Tage Wechsel da fällt dein schuldig Haupt!"
Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich
bleich,
und Stille herrscht im Kreise, gleichwie im Totenreich.
Man hätte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub,
denn keiner wagt zu wehren dem „Löwen" seinen Raub.
Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt,
das ew’ge Buch der Bücher, das hält er in der Hand;
er liest mit lautem Munde der heü’gen Worte Klang,
dass es in aller Herzen wie Gottes Stimme drang:
„Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? Genügt ich
hab’,
wenn ich dem sünd’gen Bruder schon siebenmal vergab?
Doch Jesus ihm antwortet: Nicht sieben Mal vergieb,
nein, siebenzig mal sieben, das ist dem Vater lieb."
Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewusst;
er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust.
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht, —
nie schöner ward begangen die heil’ge Weihenacht.
(Heinrich v. Miihler.)
269
206. Gregor TU. und HeinrichlT.
Nachdem das sächsische Herrschergeschlecht ausgestorben war, wählten die
deutschen Fürsten einen neuen Kaiser aus fränkischem Hause, Konrad II.
Dessen Sohn Heinrich III. regierte sehr kräftig, aber starb zu früh und hinterließ
als Erben des Reiches einen erst sechsjährigen Knaben, Heinrich IV. Um seine
Vormundschaft und Erziehung stritten sich zwei Erzbischöfe; aber indem er bald
von übermäßiger Strenge geleitet, bald durch zu große Milde und Nachsicht ver-
zogen ward, erwuchs er zu einem leidenschaftlichen und jähzornigen Jüngling, der
nur seinen Gelüsten folgte. Kaum mündig geworden, bedrückte er die Sachsen
ungebührlich und behandelte sie übermütig und grausam; sie empörten sich und
zwangen ihn zu einem Frieden, worin er alle in ihrem Lande angelegten Burgen
der Zerstörung preisgeben mußte. Später unterwarf er zwar wieder die Sachsen,
aber da er anfing, die zerstörten Schlösser wieder aufzubauen, wandten sie sich
mit ihren Klagen an den Papst Gregor VII., dessen Herrschsucht keine Grenzen
kannte, indem er sogar auch alle weltlichen Herrscher sich unterwerfen wollte und
erklärte, die geistliche Herrschaft müsse die weltliche leiten, wie die Sonne den
Mond.
Auf die Klage der Sachsen forderte der Papst den Kaiser zur Rechenschaft.
Als Heinrich sich dieser Zumutung weigerte, that Gregor ihn in den Bann, d. h.
er verbot ihm, in die Kirche und zum heiligen Abendmahle zu gehen, und ließ den
Deutschen verkünden, sie brauchten ihrem Kaiser nicht mehr zu gehorchen. Gern
wäre Heinrich nun gleich an der Spitze eines Heeres nach Rom gestürmt und
hätte den stolzen Papst fortgejagt, aber seine Fürsten erklärten ihm: „Herr Kaiser,
wir dürfen dir nicht gehorchen, so lange du im Banne bist!" Was sollte der
Kaiser nun machen? Er reiste, von seiner Frau und nur einem Bedienten be-
gleitet, mitten im Winter nach Italien. Die Kaiserin ließ sich in eine Ochsenhaut
nähen und so von den eiskalten Alpen hinabgleiten. Der Papst war gerade im
Schlosse Canossa*). Er ließ den Kaiser nicht gleich vor sich, sondern schickte ihm
einen wollenen Kittel — ein Bußkleid — zu. Das mußte der arme Heinrich an
den bloßen Leib ziehen und damit barfuß und im bloßen Kopfe drei Tage und
drei Nächte unter freiem Himmel auf dem Schloßhofe zu Canossa zubringen. Da
erst sprach ihn der Papst vom Banne los und schärfte ihm ein, künftig ja gehorsam
zu sein. Seine Verbrechen sollten später untersucht und gerichtet werden. Einen
so harten Bescheid hatte Heinrich nicht erwartet. Mit Unwillen und Zorn im
Herzen schied er von Gregor, nach der günstigen Stunde sich sehnend, wo er sich
rächen könnte. Kaiser Heinrich kam nach Deutschland zurück. Seine Fürsten
bedauerten ihn, waren zornig auf den stolzen Papst und halfen ihrem Herrn wider
Rudolf von Schwaben, den seine Feinde zum Kaiser hatten machen wollen.
Dann zog er nach Italien und setzte Gregor VII. ab, aber der neue Papst
that ihn aufs neue in den Bann. Die Geistlichen verleiteten Heinrichs eigene
Söhne, wider ihren Vater das Schwert zu ergreifen — ja, am Ende ihn gar ab-
zusetzen. Der arme Heinrich starb, nachdem er 65 Schlachten geliefert hatte, im
^ahre 1106, durfte aber, da er im Bann war, nicht einmal ordentlich begraben
*) Bei Modena in Oberitalien. Die Ruinen von dem berühmten Schlosse sind noch vor-
handen, in welchem der schwache Kaiser sich so schmachvoll vor dem hochmütigen, herrschsiichtigen
Papst beugte.
270
werden. Erst fünf Jahre nachher sprach ihn der Papst vom Banne los, und erst
da wurde er wie ein anderer Christenmensch feierlich in die Erde gesenkt.
(Kappe u. a.)
207. Die Krenzzüge.
Die Muhamedaner hatten ungefähr i. I. 700 n. Chr. Palä-
stina erobert und in Jerusalem ihre Moscheen ausgestellt. Im Ver-
laus der Zeit wurden die christlichen Einwohner und die Reisenden
sehr gedrückt und gemißhandelt und die Gottesdienste der Christen
beschimpft. Seitdem aber die rohen Türken des heiligen Landes sich
(im 11. Jahrhundert) bemächtigt hatten, wurden die Christen, welche
zum Grabe des Erlösers pilgerten, noch unmenschlicher behandelt und
manche von ihnen gemordet. Da erwachte der heilige Zorn unserer
Vorfahren, geiveckt durch die Donnerstimme eines französischen Ein-
siedlers, welcher zum Kampfe rief.
Peter von Amiens*) hieß dieser fromme Mönch, der in
begeisterten Reden die Christen aufforderte, das Grab, darin der
Herr gelegen, und die heilige Stadt Jerusalem aus den Händen der
Barbaren zu befreien. Er selbst hatte alle jene Greuel mit eigenen
Augen gesehen. Aus einem Maultiere reitend, barfuß und entblößten
Hauptes, mit einem Strick umgürtet, das Kruzifix in der Hand,
durchzog der Pilger Italien und Frankreich. Überall schilderte er die
Bedrängnis der Christen und die Entweihung der heiligen Orte und
bewegte allen das Herz. Der Papst hielt zwei Kirchenversammlungen
ab, aus denen er selbst die Christen anfeuerte, in den heiligen Kamps
zu ziehen. Alle Zuhörer riefen wie mit einem Munde: „Gott will
cs!" und Fürsten, Ritter, freie Männer und Knechte, sie alle, welche
gelobten, mit in das heilige Land zu ziehen, hefteten als Zeichen ein
rotes Kreuz auf ihre Schulter. Daher der Name: Kreuzzug und
Kreu zsahrer.
Im Jahr 1096 ging der erste Kreuzzug, 100 000 Mann
zählend, vor sich, erreichte aber Palästina nicht und wurde förmlich
aufgerieben. Der zweite mit 300 000 Mann**) erreichte zwar
Jerusalem, allein das Heer war auf 30 000 Mann herabgeschmolzen.
Dennoch eroberte die mutige Schar die Stadt und errichtete ein
christliches Königreich im heiligen Lande. Allein nach ungefähr
100 Jahren, während welcher Zeit noch einige Kreuzzüge stattfanden,
unterlag dieses Reich den Angriffen der Muhamedaner.
Obgleich die Kreuzzüge gegen 6 Millionen Menschen dem
Abendland kosteten, so waren sie doch von unberechenbarem Nutzen.
Die Krieger, an sich im allgemeinen roher Natur, kamen durch die
Berührung mit den feineren Morgenländern geistig geweckter und
manierlicher in ihre Heimat zurück, errichteten Kranken- und Armen-
häuser, wie sie solche in der Fremde kennen gelernt hatten u. dgl. m.
*) Peter aus der Stadt Amiens im nördlichen Frankreich (sprich: Amiängh).
**) Unter Führung des edlen, tapfern und frommen Herzogs Gottfried
von Bouillon (sprich: Bulljongh).
271
Auch fing man an, nicht alles so blind zu glauben, was der Papst
und die Geistlichkeit lehrte, sondern im Lichte des Gotteswortes zu
prüfen. Insbesondere erhielten Handel und Gewerbe, Künste und
Wissenschaften durch die Bekanntschaft des Abendlandes mit dem
Morgenlande einen neuen Aufschwung, während den Leibeigenen jene
Kriege Anlaß gaben, freie Bürger zu werden und so einen neuen,
ehrenwerten Stand zu gründen.
(Worte, Aufsatzschule u. Kappe, Weltgesch.)
208. Die Weiber von Weinsberg.
(Nach einer Sage.)
1. Der erste Hohenstaufen, der König Konrad, lag
mit Heeresmacht vor Weinsberg seit manchem langen Tag;
der Welfe war erschlagen, noch wehrte sich das Nest,
die unverzagten Städter, die hielten es noch fest.
2. Der Hunger kam, der Hunger! das ist ein scharfer
Dorn;
nun suchten sie die Gnade, nun fanden sie den Zorn.
„Ihr habt mir hier erschlagen gar manchen Degen wert,
und öffnet ihr die Thore, so trifft euch doch das Schwert. “
3. Da sind die Weiber kommen: „Und muss es also sein,
gewährt uns freien Abzug, wir sind vom Blute rein.11
Da hat sich vor den Armen des Helden Zorn gekühlt,
da hat ein sanft Erbarmen im Herzen er gefühlt.
4. „Die Weiber mögen abziehn, und jede habe frei,
was sie vermag zu tragen und ihr das Liebste sei;
lasst ziehn mit ihrer Bürde sie ungehindert fort,
das ist des Königs Meinung, das ist des Königs Wort.“
3. Und als der frühe Morgen im Osten kaum gegraut,
da hat ein seltnes Schauspiel vom Lager man geschaut:
es öffnet leise, leise sich das bedrängte Thor,
es schwankt ein Zug von Weibern mit schwerem Schritt hervor.
6. Tief beugt die Last sie nieder, die auf dem Nacken ruht,
sie tragen ihre Eh’herrn, das ist ihr liebstes Gut.
„Halt an die argen Weiber!“ ruft drohend mancher Wicht;
der Kanzler spricht bedeutsam: „Das war die Meinung nicht.“
7. Da hat, wie er’s vernommen, der fromme Herr gelacht:
„Und war es nicht die Meinung, sie haben’s gut gemacht.
Gesprochen ist gesprochen, das Königswort besteht
und zivar von keinem Kanzler zerdeutelt und zerdreht.“
8. So war das Gold der Krone wohl rein und unentweiht.
Die Sage schallt herüber aus halb vergefsner Zeit.
Ln Jahr elfhundert vierzig, wie ich’s verzeichnet fand,
galt Königswort noch heilig im deutschem Vaterland. (Chamisso.)
272
209. Friedrich Barbarossa.
In der Mitte von Schwaben erhebt sich der hohe Staufen,
ein kegelförmiger Berg. Hier stand einst die Stammburg eines be-
rühmten^ deutschen Kaiserhauses, das den Namen Hohenstaufen
führt. Jetzt sind die Trümmer der alten Heldenburg mit Gras und
Disteln überwachsen. — Kaiser Konrad war der erste aus dem Hause
der Hohenstaufen, der die Kaiserkrone trug. Nach seinem Tode (1152)
wählten die deutschen Fürsten einstimmig unter lautem Zuruf des
Volkes den Herzog Friedrich aus demselben Geschlecht. Friedrich
stand damals in der Fülle der Manneskraft. Eine hohe Gestalt und
Schönheit zeichneten ihn aus. Sein Haar war blond, und seine
Wangen waren gerötet. Wegen seines rötlichen Bartes nannten ihn
die Italiener Barbarossa, d. i. Rotbart. Im Grauen der
Morgendämmerung besuchte er die Kirche, um den Tag mit Gebet
zu beginnen. Vor allem aber meinte er, ein Kaiser habe sein Amt
von Gottes Gnaden. Es sei ihm aufgetragen. Recht und Gerechtigkeit
zu handhaben. Wer den Bösen schone, thue dem Guten Schaden.
Zu seiner Zeit gab es in Deutschland Hader und Zwiespalt
genug. Die Fürsten stritten unter einander und verlangten vom
Kaiser, er solle regieren, wie es ihnen genehm war. Da beschloß
Friedrich, das Kaisertum wieder stark zu machen an Macht und
Ehren, wie es zu Karls des Großen Zeit gewesen war. Die Raub-
ritter am Rhein ließ er seinen Arm fühlen. Ihre Burgen zerstörte
er und schaffte im deutschen Reiche Ruhe und Sicherheit. Gesandte
aus allen Ländern Europas huldigten ihm im Namen ihrer Fürsten.
Nie war der deutsche Name mehr geachtet und gefürchtet als damals.
Nie sahen die deutschen Gaue glänzendere Reichstage als zu den
Zeiten Barbarossas. Von der Nordspitze der Cimbrischen Halbinsel*)
bis jenseits des Po, von den östlichen Alpen bis an die Gestade der
Nordsee, welche Holland und Belgien bespülen, erstreckte sich das
deutsche Reich.
Als 70jähriger Greis machte sich Friedrich auf, um den Un-
gläubigen Jerusalem wieder zu entreißen. Auf dem Wege dahin
rief ihn Gott ab. Es war im Jahre 1190. Als er nämlich mit
seinem Heere an den Fluß Saleph in Kleinasien gekommen war,
warf er sich in ungeduldiger Hast mit seinem Rosse in den Strom,
um das jenseitige Ufer zu gewinuen. Das Wasser war kalt und
hatte einen raschen Lauf. Der Strudel erfaßte den Kaiser; seine
Kräfte verließen ihn, und es war um ihn geschehen, ehe ihm die
Seinen zu Hülfe kommen konnten. In tiefer Trauer bestattete man
die Gebeine Friedrichs zu Antiochia. Eine schmerzliche Klage er-
tönte, als die Trauerkunde nach Europa kam. Das deutsche Volk
hat das Andenken Friedrichs im Herzen bewahrt bis auf diesen Tag.
(Köpke.)
*) Die von Schleswig und Jütland gebildete Halbinsel zwischen Ost- und
Nordsee.
273
210. Barbarossa.
Der alte Barbarossa,
der Kaiser Friederich,
im unterird'schen Schlöffe
hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
er lebt darin noch jetzt;
er hat im Schloß verborgen
zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinabgenommen
des Reiches Herrlichkeit
und wird einst wiederkommen
mit ihr zu seiner Zeit.
Sein Bart ist nicht von Flachse,
er ist von Feuersglut,
ist durch den Tisch gewachsen,
worauf sein Kinn ausruht.
Er nickt als wie im Traume,
sein Aug' halb offen zwinkt;
und je nach langem Raume
er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
„Geh' hin vors Schloß, o Zwerg,
und sieh, ob noch die Raben
herffiegen um den Berg.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
darauf der Kaiser sitzt;
der Tisch ist marmelsteinern,
worauf sein Haupt er stützt.
Und wenn die alten Raben
noch fliegen immerdar,
so muß ich auch noch schlafen
verzaubert hundert Jahr."
(Friedrich Rückert.)
XV. (Vgl. Nr. 196, besonders [c]).
1. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Öffne dem Ver-
lassenen deine Thür. Arbeit macht uns frohe Tage. Auch dem Feinde darf man
sein Glück nicht stören. Brich dem Hungrigen dein Brod. Gönne jedem das
Seine. Der Mitleidige giebt dem Hülfsbedürftigen gern etwas ab. Nur ein
Schadenfroher gönnt seinem Nächsten Unglück. Bringen die Raupen den Bäumen
nicht oft vielen Schaden? Welchen reichen Segen gewähren die Überschwemmungen
des Nils dem ägyptischen Lande!
2. Freue dich deines Le bens! Schäme dich nie deiner Eltern. Befleißige
dich stets der Wahrheit und Redlichkeit. Wenn du kannst, so nimm dich gern der
Dürftigen an. Verwunderte man sich nicht des Verstandes und der Antworten
Jesu? Erfreust du dich einer guten Gesundheit, so sei zufrieden. — Erinnere dich
immer deiner Wohlthäter und laß dich nicht der Undankbarkeit anklagen. Wer
kann mich einer Sünde zeihen, sagte Jesus; am Ölberge betete er: Überhebe mich
dieses Kelches. Achte es nie klein, wenn man dich eines Bessern belehrt. Zeige
dich des Vertrauens, das man dir schenkt, würdig.
211. Die festeste Mauer.
Einst machte der Kaiser Friedrich Barbarossa 1 feinem Schwager,
dem Landgrafen Ludwig dem Eisernen auf dessen Burg Neuburg oder
Rumburg einen Besuch. Dem hohen Gaste gefiel das Schloß auf
dem Berge wohl, nur meinte er, es fehle * demselben die feste Mauer,
wie solche sein Schloß Kyffhausen habe. „Oho," sagte Ludwig, „die
Mauer kann ich 1bir wohl Herstellen, ehe drei Tage vergangen sind."
Darüber erstaunte der Kaiser und verwunderte sich über alle Maßen
^der kühnen Worte seines Schwagers; denn er wußte recht gut, wie
viel Zeit der Bau einer festen Mauer brauche. Der Landgraf er-
freute sich 2ber Achtung und 2des Gehorsams aller seiner Unter-
thanen und entsandte eiligst Boten durchs ganze Land an seine Edeln
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 18
274
und Grafen und ließ sie gen Neuburg in vollem Harnisch- und
Waffenschmucke entbieten. Als die Boten sich ^ ihres Auftrages ent-
ledigt hatten, kamen die Edelleute, wie ihr Herr befohlen hatte, und
als der dritte Morgen graute, rief Herr Ludwig seinen hohen Gast,
um *ihm die feste Mauer zu zeigen. Da stand aber eine Mauer
von gewappneten Mannen im blanken Waffenschmucke, Kopf an Kopf,
Mann an Mann, und das blitzte und funkelte im Morgcnlichte, und
lustig flatterten die Banner und Fähnlein im Winde.
„Wie gefällt 1 bir meine Mauer?" fragte Ludwig.
„Wahrlich," sagte Kaiser Friedrich, ^ „eines so schnell vor sich
gegangenen Baues erinnere ich mich nicht; solch edle, köstliche und
feste Mauer habe ich noch nicht gesehen. Dank, Schwager, daß du
1 mir solche gezeigt!" So hielt Landgraf Ludwig die Edeln in
strengem Gehorsam, und als er sein Ende nahen fühlte, befahl er,
daß ihn die Edelleute auf ihren Schultern in seinem Sarge, wenn
er tot sei, nach dem Kloster Reinhardsbrunn tragen sollten. Keiner
weigerte sich ^des Befehles. Nach seinem Tode trugen die Ritter
die Leiche des eisernen Ludwig 10 Meilen weit abwechselnd auf ihren
Schultern zu Grabe. In Reinhardsbrunn wurde der Landgraf mit
großer Feierlichkeit, viel Pomp und Gepränge in der Klosterkirche
bestattet. Man hat daselbst auch sein Bild im vollen, eisernen
Harnisch ^der Nachwelt zum Gedächtnis an ihn aufgestellt.
(Nach P. Schanz „deutsche Sagen".)
212. Die kaiserlose Zeit.
Friedrich Barbarossa's Nachfolger aus dem Hohenstaufengeschlechte hatten in
Deutschland und in Italien unablässige Kämpfe mit der ivelfischen Partei zu be-
stehen. Zu der letzter» zählten sich alle, welche die kaiserliche Macht zu Gunsten
ihrer eigenen Freiheit zu schwächen suchten; der alte deutsche Erbfehler, unabhängig
sein zu wollen und sich nicht als dienendes Glied in ein Ganzes einfügen zu können,
inachte sich hier in schlimmer Weise wieder geltend. Mit den wölfisch gesinnten
deutschen Fürsten verbanden sich die lombardischen Städte und die Päpste; es war
eine Zeit voller Unruhe und Aufregung.
Traurig für Deutschland war es dabei, daß die Hohenstaufen, denen durch
Erbschaft auch Sicilien und Neapel zugefallen waren, ihre Aufmerksamkeit und ihre
Kraft immer mehr auf das widerspenstige Italien als auf ihr Vaterland richteten.
Der letzte Herrscher aus diesem Geschlecht war Konrad IV., welcher im Jahre
1254 starb und einen zweijährigen Sohn Namens Konradin hinterließ. Diesem
hätte von Rechts wegen die Krone gebührt. Allein der Papst setzte den Bruder
des französischen Kaisers*) zum Erben ein. Als Konradin herangewachsen war
versuchte er mit Hülfe eines Freundes**) das Erbe seiner Ahnen an sich zu bringen.
Der Versuch mißlang: sein Verdränger ließ ihn gefangen nehmen und hinrichten.
Mit einer solchen blutigen Mordthat endete das stolze Geschlecht der Hohen-
staufen. War schon gleich nach dem Tode Konrads, des Gemordeten Vater, in
Deutschland eine sehr traurige Zeit eingetreten: nun wurde es noch viel schlimmer.
*) Karl von Anjou.
**) Prinz Friedrich von Baden.
275
Die regierenden ausländischen Fürsten führten zwar den kaiserlichen Titel, aber sic
waren machtlos und kümmerten sich wenig um Deutschland; in Wirklichkeit war cs
die „kaiserlose, die schreckliche Zeit." Auf den höchsten Glanz folgte der tiefste
Verfall. Die Zwietracht hatte alle Bande alter Sitte und Ordnung zerrissen, die
Fürsten und Stände bekriegten sich unter einander und plünderten und verheerten
das Land. Die adeligen Ritter lauerten von ihren hohen Burgen herab auf die
Vorüberziehenden und fielen über die Kaufleute her, die zu den Messen und
Märkten zogen; ungescheut trieben sie Wegelagerung und Straßenraub; Mord und
Brand waren alltäglich. Da sich jeder selbst schützen mußte, so traten mehr als
sechzig Städte am Rhein in einen Bund zusammen und stellten Schiffe und
Mannschaft zu gegenseitigem Schutze. Sollte jedoch Deutschland sich nicht völlig
auflösen und zerbröckeln, so mußte wieder ein kräftiger Herrscher auf den Königs-
thron erhoben werden.
Und das ist geschehen in Rudolf von Habsburg, dessen Staminschloß,
die Habsburg oder Habichtsöurg, an der Aar in dem herrlichen Schweizer-
lande lag.*) (Stacke).
213. Die Schweiz und Holland.
Die Schweiz, ein republikanischer Bundesstaat zwischen Deutsch-
land, Italien und Frankreich gelegen, etwa 18mal kleiner als Deutsch-
land, ist ein herrliches Land mit seinen bis zu 4200 m aufsteigenden
Alpen. Zahllose Quellen und Bäche entströmen ihren Bergen und
speisen eine Menge größerer Gewässer; mehrere bedeutende Flüsse
steigen von hier in andere Länder herab; vor allem ist ja, wie ihr
wißt, der Rhein zu nennen, dann noch Aar, Rhone und Inn.
Unter den zahlreichen Seen sind die meisten reizeild gelegen, und alle
größeren derselben werden mit Dampfschiffen befahren. Das Mineral-
reich gewährt Marmor, Alabaster, Eisen, Kupfer, auch Gold, Braun-
kohlen re., und Mineralquellen sind in großer Zahl vorhanden.
Wegen der bedeutenden Ungleichheit des Bodens ist das Klitna
sehr verschieden: im Südosten gleicht es dem italienischen, auf den
Alpenhöhen ist es ein kaltes, im übrigen ein gemäßigtes. Auch die
Fruchtbarkeit des Bodens ist sehr ungleich. Müssen die Erzeugnisse
der Natur im Südosten oder in den niedriger gelegenen Gegenden
nicht ganz andere sein, als diejenigen in den höheren Regionen?
Ihr könnt euch denken, daß man in ersteren den Weinstock, Weizen,
Eichen, die schönsten Wiesen und weiter Buchen, Gerste, dann aber
in letzteren Tannen, Weidekräuter und darauf nur Alpenkräuter trifft,
bis schließlich in der höchsten Region, der Schnee- oder Eisregion,
die dort herrschende Kälte gar kein Wachstum aufkommen läßt.
Müssen darnach nicht die Beschäftigungen, die Erwerbsquellen, die
Lebensweise, selbst das Temperament der Schweizer sehr verschieden
sein? — Auffallend ist es, daß der Schweizer sich mit Vorliebe an
') Auf dem WUlpelsberge am rechten Ufer der Aar im schweizer Kanton Aargau ist noch
die Ruine dieses Stammschlosses. 1029 wurde von dem Straßburger Bischof Werner die Burg
erbaut, die jenem deutschen Kaiserhause, den Habsburgern, den Namen gegeben hat, der noch bis
heute im östreichischen Kaiserhaus« fortlebt.
18*
276
Frankreich lehnt, während er dem Deutschen fast mit Widerwillen
begegnet und das Deutschtum verurteilt; schon die Geschichte dürfte
den Schweizer lehren, daß er, wenn er sich nun einmal Deutschland
nicht anschließen will, sich gerade auch nicht von ihm abzusperren
brauchte.
Die nördliche und nordwestliche (niedriger gelegene) Schweiz
weist eine Menge blühender Fabrikorte auf, aus welchen Seiden-
und Baumwollenprodukte, Stickereien, Uhren re. hervorgehen und über
die ganze Welt verschickt werden. Was dem Ackerbau abgeht, wird
hinreichend durch die sehr ergiebige Viehzucht ersetzt. Es ist ein Fest-
zug für die Bergbewohner, wenn im Frühjahr die Alpenwirtschaft
auf den mit einer Unmasse von Blumen und Kräutern besetzten
Weiden der „Matten" beginnt und die Hirten während des Sommers
ihre „Sennhütten" beziehen. In dieser ganzen Zeit wird aus der
frisch gemolkenen utxb künstlich zum Gerinnen gebrachten Milch der
weit und breit berühmte Schweizerkäse bereitet.
Ein unbeschreiblich herrlicher Anblick wird dem Zuschauer ge-
boten, wenn die Abend-, besonders aber die prächtige Morgenröte
sich auf den hohen Alpenbergen abspiegelt. Das anfänglich glühende
Rot auf den höchsten Gipfeln senkt sich allmählich aus die niederen
Gipfel herab, während die höchsten sich in das schönste Rosenrot
hüllen und nach einiger Zeit wieder mit ihren weißen Häuptern her-
vortreten, wenn noch nach unten zu das glühende Rot lagert, die
ganze Landschaft beleuchtend. Man nennt diese ganze majestätische
Erscheinung „Alpenglühen". — Der Schweizer hat im allgemeinen
ein frohes, heiteres Gemüt; die Jagd liebt er sehr und mit erstaun-
lichem, oft verwegenem Mut verfolgt der Jäger die Gemse oder den
Adler. Gefährlich sind dann für ihn die oft 10 und noch mehr
Meter tiefen Risse im Eise der Gletscher, wie die häufig plötzlich
in die Tiefen herabstürzenden Schneemassen: Lawinen. Wie viel
Unglück und Leiden haben schon die Lawinen über das Schweizerland
gebracht! Ja, auch die herrliche Schweiz hat ihr Leides!
Wohl jedes Land hat Naturschönheiten und liebliche Gegenden
aufzuweisen, wie die Schweiz, wenn auch nicht so großartig, so maje-
stätisch wie sie. Anch Deutschland ist reich an herrlichen Landschaften.
Das Königreich Sachsen zeichnet sich in dieser Beziehung ganz be-
sonders aus, und mit Recht hat man die schöne Gebirgsgegend im
Südosten dieses Landes „die sächsische Schweiz" genannt, die bis
an die Lausitz geht und selbst nach Böhmen hinein sich ausdehnt.
Sie wird von hohen Sandsteingebirgen durchzogen, von anmutigen
Thälern und romantischen Schluchten begleitet und ist reich an den
herrlichsten Fernsichten. Besonders schön ist das Thal der Elbe, zu
dem alle übrigen Thäler und Schluchten mit den kleinen Flüssen sich
herabsenken. Auf beiden Seiten umgeben den Elbstrom steile Felsen,
und wie zwei hohe Kegel erheben sich der Königstein mit seiner
Festung und der Lilienstein. Die zu beiden Seiten der Elbe
liegende Haupt- und Residenzstadt Dresden gehört zu den schönsten
277
Städten Deutschlands, und das weiter abwärts, ebenfalls an der
Elbe liegende Meißen ist durch das ausgezeichnete Porzellan bekannt.
Kein Wunder, daß die sächsische Schweiz alljährlich von zahlreichen
Naturfreunden besucht wird.
Ganz das Gegenteil von der hochgelegenen Schweiz werdet ihr
in Bezug auf Klima re. finden, wenn ihr mit Nachdenken euch das
Kartenbild von Holland anseht.
Holland oder die Niederlande*), begrenzt von Deutschland,
Belgien und der Nordsee, hat ohne Zweifel den Anschwemmungen
vom Meer zum Teil seine Entstehung zu verdanken. Es ist sehr
niedrig gelegen und gebirgsfrei, so daß man Berge selbst in den vom
Meere entfernteren Gegenden nicht kennt. Welche Veranstaltungen
haben die Holländer treffen muffen, um sich vor Überschwemmun-
gen zu schützen? Die von der See aufgetürmten Sandhügel, Dünen
genannt, gewähren dem Lande freilich auch Nutzen. Wie wird das
in Holland herrschende Klima sein? — Abgesehen von den mit
Torfmooren bedeckten Gegenden ist der Boden dort ein guter und
überall von Kanälen durchschnitten, wie überdies von mehreren in
die See führenden Flüssen durchzogen. Wegen dieser Bodenbeschaffen-
heit einerseits und der Lage am Meere andererseits ist es leicht ein-
zusehen, auf welche Erwerbszweige die Bewohner zunächst angewiesen
sind. Auf welche denn? Von welcher Beschaffenheit muß dort das
Vieh, die Milch und Butter sein? Ihr denkt doch auch an den be-
rühmten holländischen Käse! Verdankt nicht Holland die Erzeugnisse
im „Blumensegen" und in Gartensämereien ganz der Natur seines
Bodens? Aber auch die dortigen Fabriken in Leinwand und die
vortrefflichen Bleichen sind berühmt; ebenso ist der Ertrag aus den
Papier-, Ol- und Sägemühlen wichtig; außerdem giebt es ansehnliche
Tuch- und Tabakfabriken, sowie Zuckersiedereien. Welchen Eindruck
wird es auf den Handel und Verkehr machen, da dem Holländer die
Naturprodukte in so reichem Maße zufließen, die er ohnehin bequem
in alle Welt verschicken kann? Wenn ihr nachdenkt, darf es euch
auch nicht befremden, daß man beim Aufzählen der europäischen
Völker den Bewohner der Niederlande immer gern „den reichen
Holländer" nennt, wie seine Hauptstadt „das reiche Amsterdam".
Wie stellt ihr euch endlich nach dem Vorhergesagten den Holländer in
seinem Temperament, in seinem ganzen Auftreten und Benehmen vor?
Die Niederlande nebst Belgien wurden in alten Zeiten, wie ihr
wißt, zu Germanien gerechnet; denn die ältesten Hauptvölker (Friesen
und Bataver) waren deutschen Stammes. Die holländische Sprache
ist eine Mundart der plattdeutschen Sprache. Dies und manches bis
in die Gegenwart hineinreichende mit Deutschland Gemeinsame in
Charakter und Lebensweise geben uns einen Fingerzeig, daß das
verwandtschaftliche Verhältnis zwischen uns Deutschen und den
*) Holland heißt eigentlich nur im weiteren Sinne Königreich der „Nieder-
lande" ; im engeren Sinne versteht man unter Niederlande die beiden nordwestlichen
Provinzen des Landes (Nord- und Südholland).
278
Holländern ein sehr nahes ist, und daß beide Nachbarn sich noch viel
mehr die Hände reichen müßten, als es bisher geschehen ist. —
Wenn man bedenkt, worauf im allgemeinen der Holländer angewiesen
ist, um seinen Lebensunterhalt zu erwerben, so sollte man gar nicht
denken, daß man bei ihm eine Reinlichkeit antrifft, die dermaßen
übertrieben ist, daß sie der deutschen „Gemütlichkeit" nicht recht zu-
sagen will. Wir Deutschen lieben ja auch Ordnung und Sauberkeit,
aber wo wir z. B. beim Betreten einer Stube zuvor weiche Über-
schuhe oder Pantoffeln anziehen müssen, damit kein Stäubchen ins
Zimmer getragen werde, und uns trotzdem scheuen, uns auf den
spiegelblanken Stuhl zu setzen, oder wo wir beim Besehen der Vieh-
ställe nicht wagen mögen, die mit Ölfarbe bunt angestrichene, teil-
weise mit vergoldetem Schnitzwerk versehene Hacke oder Dunggabel
anzufassen: da fühlen wir uns nicht gemütlich. Nun: ländlich,
sittlich! (I. S.)
214. Die vom Schnee verschüttete Hütte.
Im Haslithale in der Schweiz
Einst wohnt ein Mann gar arm,
Sein Hüttlein bot wohl keinen Reiz,
Doch barg cs Liebe warm.
Als Holzhauer sein täglich Brot
Verdiente er gar schwer;
Es drückte ihn die bitt're Rot,
Die Armut quälte sehr.
Am Abhang eines Berges stand
Einsam sein Hüttlein klein.
Der Schnee lag bis an Thales Rand:
Es schnie ans Fensterlein.
Mit banger Sorge denkt der Mann
An nächt'gen Sturmes Macht:
Ob wohl der Schnee verschütten kann
Mein Hüttchen diese Nacht?
Besorgt am Morgen er aufsteht,
Ihm wird so angst zu Sinn,
Bestürzt ans Fensterchen er geht,
Ins Thal zu sehen hin.
Nacht, schwarze Nacht ist's um ihn her —
Er weckt die Seinen schnell:
Die gute Mutter herzensschwer
Drei Kinder bringt zur Stell'.
Die schwere Arbeit nun anhebt.
Den Schnee zu räumen weg.
Drei Tage lang vergebens gräbt
Man irgend welchen Steg.
Ein Ausgang ganz unmöglich ist —.
Die Kinder schluchzen bang:
Lieb Väterchen, wie gut du bist,
Lieb Mutter, werd' nicht krank!
Die Lebensmittel sind verzehrt,
Es klopft der Hunger an;
Nichts, gar nichts bietet mehr der Herd,
Was noch erquicken kann.
O weh, wie wird der Hunger groß,
Die Angst quält noch viel mehr;
Die Lieben um der Mutter Schoß
Wie weinen sie so sehr!
Der Vater auf den Knieen bringt
Ein laut Gebet zu Gott;
Die Mutter dann ein Psalmwort singt
In ihrer aller Not.
Der ält'ste Knabe Rudeli
Sein Leben bietet an,
Damit von seinem Fleische sie
Noch leben können dann.
Die Mutter wehrt mit Thränen ab,
's will brechen ihr das Herz;
Als ob der Vater säh' ein Grab,
So schwanket er voll Schmerz.
Welch plötzliches Gepolter dort?!
Horch, horch, was das wohl ist?
Sie eilen in die Küche fort — —
O Gott, wie gut du bist!
279
Ein Gemslein auf dem Herde tot
Lag mit zerbrochnem Fuß.
Vergessen war nun alle Not —
War's nicht von Gott ein Gruß?
Den Schnee die Wetter schmolzen schnell,
Die Hütte ward bald frei.
Das Stübchen war nun wieder hell.
Der Jammer jetzt vorbei.
Wie jubelten die Kinder laut,
Wie dankten alle Gott!
Wohl dem, der dem Erretter traut,
Dem Helfer in der Not!
(I. S. Nach einem Prosa-Entwurf aus Ritsert Stillehre.)
215. Der Hund von St. Bernhard.
Über den großen Sl. Bernhard führt ein sehr betriebener
Bergpaß aus Wallis nach Italien. In dem öden, hohen Felsenthale,
von Bergen umschlossen, die ewiger Schnee bedeckt, steht die höchste
menschliche Wohnung in der alten Welt, das Kloster des heiligen
Bernhards. Hier wohnen zehn bis zwölf fromme Mönche, deren
einziges Geschäft es ist, die Reisenden unentgeltlich zu bewirten und
ihnen alle Hülfe angedeihen zu lassen. In den acht oder neun Mo-
naten des Jahrs, wo Schnee, Nebel, Ungewitter und Schneelawinen
den Weg sehr gefährlich machen, streifen diese Geistlichen oder ihre
Diener täglich umher, um Verirrte aufzusuchen oder Versunkene zu
retten. Schon viele Jahre her bedienen sie sich zur Rettung der
Verunglückten auch besonders abgerichteter großer Hunde. Diese
gehen entweder allein aus oder werden von den Mönchen mitgenommen.
Sobald der Hund einen Verunglückten ausgewittert hat, kehrt er in
pfeilschnellem Laufe zu seinem Herrn zurück und giebt durch Bellen,
Wedeln und unruhige Sprünge seine gemachte Entdeckung kund. Dann
wendet er um, immer zurücksehend, ob man ihm auch nachfolge, und
führt seinen Herrn nach der Stelle hin, wo der Verunglückte liegt.
Oft hängt man diesen Hunden ein Fläschchen mit Branntwein oder
andern stärkenden Getränken und Körbchen mit Brot um den Hals,
um es einem ermüdeten Wanderer zur Erquickung darzubieten. Ein
solcher Hund war Barry. Zwölf Jahre lang war er unermüdet
thätig und treu im Dienste der Menschheit, und er allein hat in
seinem Leben mehr als vierzig Menschen das Leben gerettet. Der
Eifer, den er hiebei bewies, war außerordentlich. Nie ließ er sich
an seinen Dienst mahnen. Sobald der Himmel sich bedeckte, Nebel
sich einstellten oder die gefährlichen Schneegestöber sich von weitem
zeigten, so hielt ihn nichts mehr im Kloster zurück. Nun strich er
rastlos und bellend umher und ermüdete nicht, immer und immer
wieder nach den gefährlichen Stellen zurückzukehren und zu sehen,
ob er nicht einen Sinkenden halten oder einen Vergrabenen hervor-
scharren könnte, und konnte er nicht helfen, so setzte er in ungeheuren
Sprüngen nach dem Kloster hin und holte Hülfe herbei. Als er
kraftlos und alt war, sandte ihn der würdige Prior nach Bern, wo
er starb und in dem Museum ausgestellt wurde.
(Lenz, Naturgeschichte I.)
280
216. Kannitverstan.
Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen über den Un-
bestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden
mit feinem Schicksale, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft
herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerks-
bursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis.
Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, wogen-
der Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes
und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tutt-
lingen bis nach Amsterdam noch keins erlebt hatte. Lange betrachtete er mit
Verwunderung dieses kostbare Gebäude, die Kamine auf dem Dach, die schönen
Gesimse und die hohen Fenster, größer, denn an des Vaters Haus daheim die
Thür. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden.
„Guter Freund," redete er ihn an, „könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt,
dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sterncn-
blumen und Levkojen?" — Der Mann aber, der vermutlich etwas Wichtigeres zu
thun hatte und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand,
als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz: „Kannit-
vcrstan!" und schnurrte vorüber. Dies war ein holländisches Wort oder drei,
wenn mans recht betrachtet, und heißt auf deutsch so viel als: Ich kann euch nicht
verstehen. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach
dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannit-
verstan, dachte er und ging weiter. Gaß aus, Gaß ein kam er endlich an den
Meerbusen, der da heißt: „Het Ey", oder auf deutsch: „Das Ppsilon." Da stand
nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mastbaum; und er wußte anfänglich
nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese
Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff
seine Aufmerksamkeit auf sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war
und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und
Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere heraus-
gewälzt, und Fässer voll Kaffee und Zucker, voll Reis und Pfeffer. Als er aber
lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel
heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an
das Land bringe. „Kannitverstan", war die Antwort. Da dachte er: Haha,
schauts da heraus? Kein Wunder! wem das Meer solche Reichtümer an das Land
schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen
vor die Fenster in vergoldeten Töpfen. Jetzt ging er wieder zurück und stellte
eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sei,
unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: wenn ichs
doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam
er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarzvcrmummte
Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig,
als ob sie wüßten, daß sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug
von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach. Paar auf Paar, ver-
hüllt in schwaize Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöck-
lein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten
281
Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den
Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Da machte er sich an den letzten
vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle ge-
winnen könnte, wenn der Centner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte
am Mantel und bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das; muß wohl auch
ein guter Freund von ihm gewesen sein," sagte er, „dem das Glöcklein läutet,
daß ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." „Kannitverstan!" war die Antwort.
Da fielen unserm' guten Tuttlinger ein paar große Thränen aus den Augen, und
es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannit-
verstan," rief er aus, „was hast du nun von all deineiwReichtum? Was ich einst
von meiner Armut auch bekomme: ein Totcnkleid und ein Leichentuch und von
allen deinen schönen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust
oder eine Raute." Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu
gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in
seine Ruhestätte und ward von der holländischen Lcichenpredigt, von der er kein
Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht acht
gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in
einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger
Käse, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele Leute in
der Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannit-
verstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein
enges Grab. (Hebel.)
XVI.
4 Der Narr — 2trägt — 3fein Herz — 4auf der Zunge. Der Geizhals hat
seinen Gott im Kasten. Der Edelstein behält seinen Wert auch im Staube. Weise
Leute haben ihren Mund im Herzen. Man kann niemand ins Herz sehen. Teile
die Beute nicht vor dem Siege. Man muß den Tag nicht vor dem Abend loben.
Gebratene Tauben kommen niemand in den Mund geflogen. Ein guter Hirte läßt
sein Leben für die Schafe. Kann denn jemand in eigener Sache Richter sein?
Wer wollte wohl der Raupen wegen den Baum umhauen! — Der gütige Gott
des Himmels schenkt aus lauter Barmherzigkeit allüberall seinen reichen Segen den
armen Menschenkindern stets mit weiser Hand.
Laß Gott in allen Dingen dein
den Anfang und das Ende sein.
217. vei- geheilte Kranke.
1Reiche Leute 2haben 4trotz ihrer Goldstücke doch auch
3allerlei Lasten und Krankheiten 2auszustehen, von denen, gott-
lob! der arme Mann nichts weiss! denn es giebt Krankheiten,
die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln
und Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten.
4Davon kann jener reiche Amsterdamer ein Wort reden, dem
sein Vater mehr Geld als Verstand hinterlassen hatte. Den
ganzen Vormittag sai's er im Lehnstuhl und rauchte Tabak,
wenn er nicht zu träge war. oder schaute zum Fenster hinaus.
Dabei als und trank er aber zu Mittag wie ein Drescher und
ass und trank auch den ganzen Nachmittag, bald etwas Kaltes,
bald etwas Warmes, 4aus lauter Langweile, bis an den Abend,
282
also, dass man bei ihm nicht recht sagen konnte, wo das
Mittagsessen aufhörte und das Nachtessen anfing. Alsdann
legte er sich ins Bett und war so müde, als wenn er den ganzen
Tag Steine geladen oder Holz gespalten hätte.
4Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so un-
beholfen war, wie ein Sack. Essen und Schlaf wollten ihm
nicht mehr schmecken, und er war lange Zeit, wie es manch-
mal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; wenn man
aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, alle Tage
nämlich eine andere. Alle Ärzte, die in Amsterdam waren,
mussten ihm raten. Er verschluckte ganze Flaschen voll Tränk-
ehen und ganze Schachteln voll Pulver und Pillen, und man
nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke.
Aber alle Arzneien halfen ihm nichts; denn er befolgte nicht,
was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: Tausend! wo-
für bin ich denn ein reicher Mann, wenn ich leben soll, wie
ein Bettler, und der Arzt will mich nicht gesund machen für
mein Geld?“
Endlich hörte er von einem Arzte, der über 100 Stunden
weit entfernt wohnte; der wäre so geschickt, dass die Kranken
gesund würden, wenn er sie nur recht ansähe, und der Tod
ginge ihm 4 aus dem Wege, wo sich der Doktor sehen lasse.
4Zu dem Arzte fasste der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm
seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehle, näm-
lich nicht Arznei, sondern Massigkeit und Bewegung, und sagte:
„Warf, dich will ich bald kuriert haben!“ Deswegen schrieb er
ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: „Guter Freund! Ihr habt
eine schlimme Krankheit; doch wird Euch zu helfen sein, wenn
Ihr folgen wollt. Ihr habt ein böses Tier 4im Leibe, einen
Lindwurm mit sieben Mäulern! Mit dem Lindwurm muss ich
selber reden, und ihr müsst zu mir kommen. Aber merkt
Euch! Fürs erste dürft Ihr weder fahren, noch auf dem
Bösslein reiten, sondern auf des Schusters Kappen; sonst
schüttelt ihr den Lindwurm, und er heisst Euch die Eingeweide
ab, sieben Därme auf einmal ganz entzwei. Fürs andere dürft
Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller voll
Gemüse, mittags etwas Gesottenes und Gebratenes dazu, und
abends ein Ei und am Morgen ein Bier-, Milch- oder Wasser-
süpplein; das ist genug! Denn was Ihr mehr esset, davon wird
nur der Lindwurm grösser, also, dass er Euch die Leber er-
drückt, und der Schneider hat Euch nichts mehr anzumessen,
wohl aber der Tischler. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir
nicht folgt, so werdet Ihr im andern Frühling den Kuckuck
nicht rufen hören. Thut nun, was Ihr wollt!“
Als der Kranke so mit sich reden hörte, zog er den
andern Morgen 4in aller Frühe die Stiefeln an und machte sich
auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten
283
Tag ging er so langsam, dass wohl eine Schnecke hätte sein
Vorreiter sein können, nnd wer ihn grüsste, dem dankte er
nicht, und wo ein 'Würmlein auf der Erde kroch, das zertrat
er. Aber schon am zweiten und dritten Morgen kam es ihm
vor, als wenn die Vöglein schon lange nicht so lieblich ge-
sungen hätten wie heute; der Tag schien ihm so frisch und die
Kornblumen im Felde so blau, und alle Leute, die ihm be-
gegneten, sahen so fröhlich und freundlich aus, und er auch;
und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ging, war’s
schöner, und er ging leichter und munterer dahin, und als er
am 18. Tage in der Stadt des Arztes ankam, und am andern
Morgen aufstand, war ihm so wohl, dass er sagte: „Ich hätte
zu keiner ungeschickteren Zeit können gesund werden, als jetzt,
wo ich zum Doktor soll.“ Indessen war er einmal da, und als
er nun zum Doktor kam, nahm ihn dieser bei der Hand und
sagte: „Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund aus,
was Euch fehlt." Da sagte er: „Herr Doktor, mir fehlt, gott-
lob! nichts, und wenn Ihr so gesund seid, wie ich, so soll’s
mich freuen." — Der Arzt sagte: „Das hat Euch ein guter
Geist geraten, dass ihr meinem Rate gefolgt seid. Der Lind-
wurm ist jetzt abgestanden; aber Ihr habt noch Eier im Leibe;
deswegen müsst Ihr wieder zu Fuss heimgehen und zu Hause
fleifsig Holz sägen, und dürft nicht mehr essen, als Euch der
Hunger mahnt, damit die Eier nicht ausschlüpfen! So könnt
Ihr ein alter Mann werden," und lächelte dazu. Aber der
reiche Fremdling sagte: „Herr Doktor, Ihr seid ein feiner
Kauz, und ich verstehe Euch wohl!" und hat nachher den Rat
befolgt und 87 Jahre 4 Monate 10 Tage gelebt, wie ein Fisch
im Wasser so gesund und hat alle Neujahr dem Arzte ein
schön Stück Geld zum Grufs geschickt, so lange er lebte.
Arbeit, Massigkeit und Ruh’
Schliessen dem Arzt die Thüre zu.
(Hebel.)
218. Rudolf von Habsburg.
Rudolf vou Habsburg, welcher Deutschland aus der Erniedri-
gung und Verwilderung der „kaiserlosen Zeit" rettete, ist einer der
würdigsten deutschen Kaiser (1218—1291) gewesen. Er war all-
gemein bekannt wegen seines ritterlichen Mutes und seiner Frömmigkeit.
Daß aber der Erzbischof von Mainz bei der Kaiserwahl die Stimmen
der deutschen Fürsten auf ihn lenkte, soll folgende Veranlassung ge-
habt haben. Einst hatte Rudolf aus der Jagd einen Priester ge-
troffen, der zu einem Sterbenden ging, und ihm zur Fortsetzung
seines Weges sein eigenes Pferd überlassen. Derselbe Priester aber
soll später Kaplan des Erzbischofs von Mainz geworden sein und
diesen auf den frommen Grafen aufmerksam gemacht haben. Die
feierliche Krönung Rudolfs fand zu Aachen im Jahre 1273 statt.
284
Schon bei dieser gab er einen Beweis seiner Geistesgegenwart. Als
nach der Krönung die Fürsten zu ihm herantraten, um nach der
Sitte jener Zeit ihr Lehen von ihm bestätigen zu lassen, fehlte es an
einem Scepter, mit welchem diese Ceremonie vollzogen zu werden
pflegte. Schon wollten die Fürsten, vielleicht nicht ungern, wieder
zurücktreten, als Rudolf ein Kruzifix vom Altar nahm und sagte:
„Dieses Kreuz, welches die Welt erlöset hat, wird ja wohl auch die
Stelle eines Scepters vertreten können."
Mit Kraft und Weisheit führte nun Rudolf die Zügel der
Regierung. Mit dem Papste, dem er alle früheren Schenkungen
und Rechte bestätigte, und mit der Geistlichkeit lebte er in friedlichen
Verhältnissen, ohne jedoch seiner Würde und dem Ansehen des Reichs
irgend etwas zu vergeben. Nach Italien kam er nie, auch nicht zur
Kaiserkrönung, und wir sehen hierin billig einen Beweis seiner Weis-
heit und Vorsorge für Deutschland, indem die Züge nach Italien für
das Reich und die Kaiser oft sehr verderblich wurden. So wandte
er desto mehr seine Thätigkeit auf Deutschland, und die schwere Auf-
gabe, das gesunkene Ansehen der Königskrone zu heben, hat er voll-
ständig gelöst.
Als nach der Besiegung Ottokars von Böhmen, der unter allen
Fürsten sich geweigert hatte, den „armen Grafen" als Kaiser an-
zuerkennen, kein Feind mehr übrig war, welcher ihm die Kaiserkrone
streitig machte, richtete er sofort seinen Blick auf den höchst traurigen
innern Zustand des deutschen Reiches. Die kräftige Hand dieses
großen Fürsten brachte bald wieder Ordnung in das zerrüttete Land.
Durch Rudolf wurde das Faustrecht aufgehoben; er strafte die Edel-
leute, welche sich Räubereien erlaubten, mit Ernst und Nachdruck
und zerstörte einmal in einem Jahre mehr als 70 Burgen und
Naubschlösser.
Er reiste im Reiche umher, um überall Ruhe und Recht wieder
herzustellen, saß selbst zu Gericht und schlichtete die Streitigkeiten
Hoher und Niederer mit der größten Gerechtigkeit und Unparteilich-
keit. Dabei war er gegen jedermann äußerst gütig, herablassend,
leutselig und unterhielt sich auch mit dem Geringsten des Volkes.
Als man ihn einst darauf aufmerksam machte, er sei zu gut, so er-
widerte er: „Kinderchen, es hat mich oft gereut, daß ich zuweilen zu
streng gewesen bin; aber nimmer wird es mich reuen, mitleidig und
gütig gewesen zu sein."
Nach einer glücklichen, thätigen und ruhmvollen Regierung starb
Rudolf I. im 73. Lebensjahre. Rudolf hat den Ruhm der Gerechtig-
keit, Mäßigung und Tapferkeit sein ganzes Leben hindurch bewahrt.
Seine Gestalt war sehr hoch und schlank, seine Sitten einfach;
Speise und Trank genoß er mäßig. Er trug gewöhnlich ein schlichtes
graues Wams, das er sich wohl im Felde selbst flickte. Wenn er
sprach, gewann er sofort durch biedere Zutraulichkeit und war ein
Freund von fröhlichen Reden und munteren Scherzen. Niemals ließ
er es aber an Ernst und Ausdauer in [einen Unternehmungen fehlen.
285
Als seinem Heere einst die Zufuhr abgeschnitten war, zog er eme
Rübe aus dem Felde und aß sie roh, worauf die Kriegsleute ohne
Murren seinem Beispiel folgten. Versprechungen und Zusagen hielt
er treu und fest, so daß noch lange das Sprichwort blieb: „Der
hat Rudolfs Redlichkeit nicht."
(Stacke und Hauff.)
219. Der Graf
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
Im altertümlichen Saale,
Saß König Rudolfs heilge Macht
Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des
Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden
Weins,
Und alle die Wähler, die sieben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne
sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der
Welt,
Die Würde des Amtes zu üben.
Und rings erfüllte den hohen Balkon
Das Volk in freudgem Gedränge;
Laut mischte sich in der Posaunen Ton
Das jauchzende Rufen der Menge;
Denn geendigt nach langem verderblichen
Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne
Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Fried-
liche mehr,
Des Mächtigen Beute zu werden.
Und der Kaiser ergreift den goldncn
Pokal
Und spricht mit zufriedenen Blicken:
„Wohl glänzet das Fest, wohl pranget
das Mahl,
Mein königlich Herz zu entzücken;
Doch den Sänger vermiß ich, den Brin-
ger der Lust,
Der mit süßem Klang mir bewege die
Brust
Und mit göttlich erhabenen Lehren.
von Habsbnrg.
So hab ichs gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und
gethan.
Nicht will ich's als Kaiser entbehren."
Und sieh! in der Fürsten umgebenden
Kreis
Trat der Sänger im langen Talare;
Ihm glänzte die Locke silberweiß,
Gebleicht von der Fülle der Jahre.
„Süßer Wohllaut schläft in der Saiten
Gold,
Der Sänger singt von der Minne Sold,
Er preiset das Höchste, das Beste,
Was das Herz sich wünscht, was der
Sinn begehrt:
Doch sage, was ist des Kaisers wert
An seinem herrlichsten Feste?"j
„Nicht gebieten werd ich dem Sänger,"
spricht
Der Kaiser mit lächelndem Munde,
„Er steht in des größeren Herren Pflicht,
Er gehorcht der gebietenden Stunde.
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
Man weiß nicht, von wannen er kommt
und braust,
Wie der Quell aus verborgenen Tiefen:
So des Sängers Lied aus dem Innern
schallt
Und wecket der dunklen Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen."
Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
„Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler
Held,
Den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jäger-
geschoß,
Und als er auf seinem stattlichen Roß
286
In eine Au kommt geritten,
Ein Glöcklein hört er erklingen fern:
Ein Priester war's mit dem Leib des
Herrn,
Voran kam der Meßner geschritten.
Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
Das Haupt in Demut entblößet.
Zu verehren mit gläubigem Christensinn,
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durch's Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluten
geschwellt,
Das hemmte der Wanderer Tritte;
Und beiseit legt jener das Sakrament,
Von den Füßen zieht er die Schuhe
behend,
Damit er das Bächlein durchschritte.
Was schaffst du? redet der Graf
ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet. —
Herr, ich walle zu einem sterbenden
Mann,
Der nach der Himmelskost schmachtet;
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach
hinweg
Im Strudel der Wellen gerissen.
Drum daß dem Lechzenden werde sein
Heil,
So will ich das Wässerlein jetzt in Eil
Durchwaten mit nackenden Füßen.
Da setzt ihn der Graf auf sein ritter-
lich Pferd
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein
begehrt.
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
Vergnüget noch weiter des Jagens Begier :
Der andere die Reise vollführet.
Und am nächsten Morgen, mit danken-
dem Blick,
Da bringt er dem Grafen sein Roß
zurück,
Bescheiden am Zügel geführet.
Richt wolle das Gott, rief mit Demut-
sinn
Der Gras, daß zum Streiten und Jagen.
Das Roß ich beschritte fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem
Gewinst,
So bleib es gewidmet dem göttlichem
Dienst!
Denn ich hab es ja dem gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehen trage und Leib und Blut
Und Seele und Atem und Leben.
So mög auch Gott, der allmächtige
Hort, ,
Der das Flehen der Schwachen erhöret.
Zu Ehren euch bringen hier und dort,
So wie ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizer-
land!
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
Sechs Kronen euch bringen in euer
Haus,
Und glänzen die spätsten Geschlechter!"
Und mit sinnendem Haupt saß der
Kaiser da,
Als dächt er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah.
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
Und verbirgt der Thränen stürzenden
Quell
In des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
Und erkannte den Grafen, der das
gethan,
Und verehrte das göttliche Walten.
(Schiller.)
220. Das Schießpulver, die Magnetnadel und die Uhren.
Es ist bekannt, daß unser schwarzes Schießpulver aus 16 Teilen Salpeter,
287
2 Teilen Schwefel und 3 Teilen Kohlenstaub besteht. Wer aber also diese Massen
zuerst gemischt, nämlich das Pulver erfunden hat, weiß niemand. So viel ist
gewiß, daß die Chinesen in Asien schon vor 1600 Jahren zur Sprengung von
Felsen und zu Belagerungsgeschützen Pulver verwandt haben, und schon vor 700
Jahren sprengten die Deutschen in den Silbcrbergwerken des Rammelsberges bei
Goslar am Harze das Gestein mit Hülfe des Pulvers; aber noch ward es nicht
gebraucht, um Menschen zu töten. Etwa um das Jahr 1320 soll man darauf
gekommen sein, es dazu anzuwenden. Damals lebte im Kloster zu Freiburg in
Baden ein Mönch, Berthold Schwarz, ein verständiger Mann. In der Einsam-
keit und Stille seiner Zelle grübelte er über viele Dinge, dachte, wie viele Leute
seiner Zeit, vielleicht auch darüber nach, ob er nicht den Stein der Weisen,
d. h., die Kunst erfinden könne, aus allerlei Gemisch Gold zu machen.
Einmal zerstieß er bei seinen Versuchsarbeiten Schwefel, Salpeter und Holz-
kohle in einem eisernen Mörser zu feinem Staube und deckte den Mörser mit einem
Steine zu. Abends schlug er ein Licht an, wobei ein Funken in den Mörser flog.
Und was geschah? Mit einemmal blitzte und knallte es ihm um die Ohren und
der Stein vom Mörser sprang prasselnd gegen die Decke. Berthold Schwarz teilte
den Vorfall andern mit. Man dachte weiter darüber nach, verfertigte größere und
längere Mörser, nahm dieselben mit in den Krieg und schoß erst Steine, später
eiserne Kugeln gegen die Feinde daraus ab. Kurz, es wurden nach und nach die
fahrbaren Kanonen und tragbaren Gewehre erfunden. Die ersten Kanonen find
noch unförmliche Mörser mit einem Zündloche gewesen; allmählich hat man sie
kleiner und geschickter gemacht. So sind aus den ursprünglichen Mörsern Gewehre
und noch kleinere Schießwaffen geworden bis zur Pistole und zum Revolver und
Terzerol herab. Der bei den Geschützen benutzte Feuerstein hieß in der alten
wendischen Sprache „Flins"; daher entstand der Name Flinten und Flintenstein.
In Bayonne (im südwestlichen Frankreich) wurde das Bajonett, eine aufgeschraubte
Lanze, erfunden. Später trat an die Stelle des alten, unsichern Feuerschlosses
das Zündhütchen, und der Geivehrfabrikant Dreyse in Sömmerda (Provinz
Sachsen) erfand endlich die Hinterlader mit der Zündnadel. Berthold Schwarz
aber, der deutsche Mann im Friedenshause, ist anzusehen als der erste Urheber der
vornehmsten Werkzeuge im Kriege. Das Schießpulver hat dem alten Rittertum
ein Ende gemacht; denn nun schützte den bis dahin so sicher wohnenden Ritter
keine Burg und Harnisch mehr. Die Ritter zogen nach und nach in die Städte,
und stehende Heere traten an ihre Stelle.
Um die Zeit, als man das Schießpulver kennen lernte, wurde auch der
Schiffskompaß überall bekannt. Wer ihn und die Magnetnadel erfunden
hat, weiß man nicht. Jedenfalls ist die Erfindung beider früher als 1300 zu
setzen. Der Magnet hat seinen Namen von der Stadt Magnesia, jetzt Manissa in
Kleinasien, wo seine Kraft zuerst bekannt wurde; er ist ein eisenhaltiger Stein, den
man in den Eiscnbergwerken findet und den man von ungewöhnlicher Größe im
Ural antrifft. Eisen, damit bestrichen, nimmt auch die Eigenschaft des Magnet-
steines an, daß es also, wie dieser, frei aufgehängt, mit der einen Seite sich nach
Norden, mit der andern nach Süden dreht. Für den Schiffer ist daher die Er-
findung der Magnetnadel eine sehr wichtige. Die alten Völker, die ja schon sehr
früh die Schiffahrt kannten und fleißig trieben, hatten für ihre Fahrten auf
den Meeren keinen andern Wegweiser als die Sterne des Himmels; daher konnten
288
sie sich auch nie so recht in die offene See hinauswagen, sondern mußten möglichst
immer die Küsten in Sicht behalten. Seit man aber den Kompaß kennen gelernt
hat, ist das alles anders geworden, und es giebt kein Meer, das jetzt noch dem
Schiffer unbekannt geblieben wäre. Ohne jenen sicheren Wegweiser würde man
schwerlich die Seewege in die neue Welt gefunden haben, und Amerika und Au-
stralien wären uns wohl noch heute unbekannte Länder.
Der deutsche Kaiser Karl V., von dem ihr aus der Reformationsgeschichte
mehr erfahren werdet, wollte seine letzten Lebenstage in Ruhe beschließen; deshalb
zog er sich in ein spanisches Kloster zurück, wo er, so wird über ihn berichtet, sich
mit Lesen, Singen, Uhrenmachen re. beschäftigte. Wenn ihr nun hier erfahret,
daß der kaiserliche Mönch in dem stillen Kloster mit der Nhrmacherkunst sich ver-
traut machte, so dürft ihr nicht annehmen, als ob er damit die Uhren erfunden
habe. Sand-, Wasser- und Sonnenuhren kannten bereits die alten Völker. Schon
ums Jahr 1000 mögen die Räderuhren erfunden sein, deren Erfinder man aber
nicht kennt. So viel ist aber gewiß, daß man bereits 400 Jahre vor Kaiser Karl V.
Zeit, d. h. im 12. Jahrhundert die Schlaguhren in Gebrauch hatte, daß im
13. Jahrhundert auch die Turmuhren allgemein wurden, und 1500 hat, wie man
annimmt, Peter Hele in Nürnberg die Taschenuhren erfunden, die längere
Zeit „Nürnberger Eier" hießen, weil sie anfangs rund, wie ein Ei waren. Be-
trachtet man dagegen die Uhrwerke der Jetztzeit, von der zierlichen Damenuhr an
bis zum aceurat gearbeiteten Regulator hinauf, so muß man sagen, daß die Uhr-
macherkunst seit Peter Hele's Erfindung ein Großes geleistet hat.
(Nach Kappe u. a.)
221. Die Buchdruckerkunst 1440.
Wer vor 500 Jahren gern ein Buch haben wollte, mußte es
sich, wenn er's nicht kaufen konnte, selbst abschreiben oder von Mön-
chen abschreiben lassen, und das kostete natürlich viel .Geld, eine
einzige Bibel 1000 Mark und darüber. Darum hatten damals auch
nur ganz reiche Leute Bücher; arme Leute konnten sich keine kaufen,
konnten auch selten lesen.
Um das Jahr 1420 kam man darauf, die Buchstaben einer
Seite im Buche verkehrt auf ein Brett zu schneiden, anzuschwärzen
und abzudrucken. Die Bücher wurden nun schon ein ganz Teil wohl-
feiler. Besonders druckte Lorenz Co st er zu Hartem in Holland
viele Bücher auf diese Weise, und darum behaupten auch die Holländer,
sie seien die Erfinder der Buchdruckerkunst. Eben so sagen aber auch
die Deutschen: Nein, wir sind es; ein Deutscher hat die Buch-
druckerkunst erfunden. Kurz nach Coster lebte nämlich in Mainz
ein Edelmann (1400 daselbst geboren) Johann von Sorgen loch
zum guten Berge, kurzweg Johann Gutenberg genannt.
Dieser schnitt die Buchstaben nicht auf einein Brette aus, sondern
auf die Köpfe von buchenen Stäben (daher: Buchstaben), band diese
Stäbchen zusammen, druckte sie ab und konnte sie dann nach dem
Gebrauche wieder aufbinden und zu andern Wörtern zusammensetzen.
Er wünschte seine Erfindung auszudehnen. Deshalb verband er sich,
da er selbst arm war, mit dem reichen Goldschmied Faust, und dieser
289
zog noch einen Gießer, Peter Schöffer, mit in den Bund. Letzterer
erfand bald auch die gegossenen Lettern aus Blei und Zinn, und
nun druckten diese Männer in Gemeinschaft Bücher, zuerst Bibeln.
Doch dauerte die Herstellung der ersten gedruckten Bibel (1452)
volle 3 Jahre. Faust reiste dann im Lande umher und verkaufte
Bibeln, das Stück zu 200 Mark, und alle Welt erstaunte über den
billigen Preis. Die Mönche aber, die nun nichts mehr mit Ab-
schreiben verdienten, schimpften und sagten zum Volke: Faust steht
mit dem Teufel im Bunde, und die roten Buchstaben auf den
Titelblättern sind mit Menschenblut gefärbt.
Welch ein Segen für die Menschheit ist die Erfindung der
Buchdruckerkunst geworden! Wir schätzen es noch lange nicht hoch
genug, daß wir das teure Gotteswort anstatt früher für 1000, jetzt
für 2 Mark und darunter kaufen können, so daß selbst der Ärmste
unter uns, wenn er nur ernstlich will, sich in den Besitz einer Bibel
setzen kann. Traurig aber ist es, zu wissen, daß Gutenberg stets
mit Not und Sorgen zu kämpfen hatte und schließlich arm und ver-
lassen gestorben ist. Doch hat die dankbare Nachwelt ihm in seiner
Vaterstadt (1837) ein Standbild von Erz gesetzt. Gutenbergs
Druckergehülfen zogen in andere Städte und legten überall Druckereien
an. So ist denn die Buchdruckerkunst schnell verbreitet worden.
Doch müssen wir hier noch einer sehr wichtigen Erfindung ge-
denken, die in das Jahr 1300 fällt, ohne welche die Buchdruckerkunst
sicherlich nur langsame Fortschritte gemacht haben würde. Es ist die
Erfindung des Leinenpapiers durch einen Deutschen. Das Leinen-
oder Hanfpapier erschien bei uns 1318, indes hat man es auch in
Frankreich fast 50 Jahre früher gekannt. Vorher wurde das Papier,
allerdings weit weniger haltbar, aus Baumwolle hergestellt, und be-
reits im 12. Jahrhundert hat man in Spanien Papiermühlen gehabt,
in Italien im 14. Jahrh. — Die alten Ägypter haben schon gu
Mosis Zeit eine Art Papier aus der Papyrusstaude, einem schilf-
ähnlichen Gewächse, bereitet. Zu Davids Zeiten hatten die Israeliten
und benachbarte Völker aufgerollte Bücher von Tierhäuten, die später
mit Kalk gebeizt und geglättet wurden. Man nannte das so her-
gestellte Papier Pergament, nach der Stadt Pergamus in Klein-
asien, wo man die Kunst am besten verstand. Das Baumwollcn-
papier ist bereits vor Christi Geburt von den Indern erfunden worden.
(Kappe und nach andern.)
222. Wie es früher in den Städten ausgesehen hat.
Die Bewohner der Städte bestanden ursprünglich aus den freien Bauern,
welche Heinrich I. dahin berufen und mit mancherlei Vorrechten ausgestattet hatte.
Bald erwählten sie aus ihrer Mitte Schöppen oder Ratsherren und die Schult-
heißen, die miteinander die städtischen Angelegenheiten zu verwalten hatten.
Streitigkeiten schlichtete das Schöffengericht. Allmählich aber traten die Schöffen
zurück und „Bürgermeister und Rat" wurden die Häupter der Städte, die wiederum
unter dem Gerichte des Gaugrafen standen. Die Gaugrafen hatten außer dem
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 19
290
Gerichtswesen und der Verwaltung die Polizei zu üben und im Kriege die Mann-
schaft des Gaues anzuführen. Für die gerichtlichen Verhandlungen waren übrigens
dem Gaugrafen erfahrene Männer aus der Gemeinde als Schöffen bcigegeben.
Der Pfalz graf vertrat die Stelle des Kaisers im hohen Gericht; die Burg-
grafen standen einer königlichen Burg und dem dazu gehörigen Bezirke vor. Außer-
dem gab es unter dem Kaiser Mark-, Send- und Stallgrafen.
Als die Zahl der Bürger durch Zuzug vom platten Lande mehr und mehr
wuchs, blühte auch das Handwerk auf, und es bildeten sich Zünfte oder
Innungen. Die Zunftmeister wählten aus ihrer Mitte einen „Altmeister", der
in Versammlungen den Vorsitz führte. Uneinigkeiten wurden im versammelten
„Amte" vor der „Amtslade" entschieden. Jeder konnte in die Zunft als Lehrling
, eintreten, dann ward er Gesell, endlich Meister. Der Geselle mußte eine Zeitlang
wandern und später, um Meister zu werden, ein Meisterstück liefern. Bestand er
die Prüfung, so ward er unter vielen Feierlichkeiten als Zunftmeister aufgenommen,
wobei man strenge aus Ehre und einen guten Lebenswandel hielt. Auf Vorrechte,
Über- und Unterordnung, Erkennungszeichen des Handwerks rc. wurde strenge ge-
halten. Durch den Wetteifer der Meister, durch Ausbildung der Gesellen auf der
Wanderschaft und durch Ausstoßung der Pfuscher ward die Arbeit immer voll-
kommener, und der Handwerkerstand hob sich ungemein. So waren mit der Zeit
in den Städten 3 Stände entstanden: neben den Rittern, Adeligen und Vor-
nehmen (Stand der „Patricier") die Bürger, die kleine Güter in der Nähe
des Ortes hatten oder Handel trieben (Stand der „Freien") — und „Hörige
Leute" als dritter Stand, welcher Gewerbe oder Ackerbau trieb; es bildeten sich
also die Grundlagen aus, auf denen das heutige deutsche Leben ruht und ruhen
muß. Daß aber der ehrenwerte Handwerksstand durch den emporstrebenden Geist
der „Aufklärung" das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, d. h., mit der Verwer-
fung des früheren Zunftwesens auch das wirklich Gute der alten Zeit über
Bord geworfen hat, daran hat er nicht wohl gethan. In dem jetzigen „geordneteren
Lehrliugswesen" ist man bereits angefangen, den gemachten Fehler zu
verbessern.
Die ältesten deutschen Städte am Rhein und an der Donau waren römische
Niederlassungen, d. h. militärische Einrichtungen. Darauf entstanden aus Dörfern,
Meiereien oder aus Ansiedelungen um die Klöster und Burgen herum Städte, die
aber dann dem Herrn gehörten, auf dessen Grund und Boden sie standen. Solche
Städte wurden „Landstädte" genannt, im Gegensatz zu den „freien Reichsstädten",
die sich von ihren Grundherren losgemacht hatten und nur den Kaiser über sich
anerkannten. Aber das Aussehen der Städte um etwa 1300 darf man nicht mit
ihrem heutigen vergleichen. Wer am Morgen in ein Thor hineinging, be-
gegnete sicher dem Stadtvieh; denn der Bürger trieb auch Landbau, und selbst
die vornehmen Häuser hatten im Hosraume Viehställe. Schweine liefen in der
Straße umher, und auf abgelegenen Plätzen lagerten große Düngerhaufen. Vor
400 Jahren gab es noch viele deutsche Städte, die gar keinen Steindamni kannten;
nur die Hauptstraße der vornehmsten Städte war gedämmt. An den engen Gassen
standen die von Fachwerk und mit Strohdach aufgeführten kleinen Häuser, mit dem
Giebel der Straße zugekehrt. Doch mit dem wachsenden Wohlstand und der Ent-
wickelung aller Künste gewann auch das Wohnhaus an Ausdehnung und Behaglich-
keit. Es bildeten sich unter den Maurern und Steinmetzen besondere Verbindungen,
291
Bauhütten genannt, und cs entstanden überall in den Städten Rathäuser,
Kirchen und sonstige kunstvolle Bauten. (Gotische Baukunst.) Jede größere Stadt
wollte ihren Dom haben. Dabei ärgerte sich aber der alte deutsche Bürger durch-
aus nicht, wenn zwischen Dom und Rathaus sich eine mächtige Wasserpfütze mit
schwimmenden Enten befand und daneben etliche alte Linden standen, in welchen
die Waldvögel ihm schöne Lieder sangen.
Das Wachsen der Städte, ihr Reichtum und die die alte Einfachheit ver-
drängende Prunksucht, aber auch ihre zunehmende Macht und Widersetzlichkeit er-
regten allmählich den Unwillen der Fürsten und den Neid der Ritter. Es ent-
standen blutige Fehden. Da kam es, daß mehrere Städte sich zu gegenseitigem
Schutz gegen die Anfeindungen verbanden, und es entstanden Städtebünde, unter
welchen die „Hansa" (d. h. Innung, Bund) im Norden Deutschlands die be-
deutendste war. Hamburg, Lübeck und Bremen waren hier die ersten Städte,
welche sich (1241) zu Schutz und gegenseitiger Hülfe verbanden. Wismar, Rostock
und Stralsund schlossen sich auch bald an, bis der Bund schließlich zuweilen
70 Städte umfaßte. Er hat seine eigene Flotte gehabt, Nord- und Ostsee beherrscht,
ja ganze Länder erobert. Aber nach und nach wurde die Verbindung der Städte
locker, und der mächtige Hansa-Bund kam endlich durch die veränderten Zeitver-
hältnisse ganz in Verfall; 1630 ward der letzte Hansatag in Lübeck gehalten, und
nur Hamburg, Lübeck und Bremen verbanden sich aufs neue in zeitentsprechcnder
Weise. (Nach Keck, nord. Lesebuch.)
223. Hamburg und Berlin.
Hamburg und Berlin! Wo wäre wohl eine deutsche Schule,
iu welcher die Kinder noch nicht von diesen beiden Namen gehört hätten?
— Hamburg die vornehmste Handelsstadt Deutschlands, nach Lon-
don und Liverpool der bedeutendste Handelsplatz im ganzen Europa,
— Berlin, die Hauptstadt des deutschen Reichs, die vornehmste
Residenz; denn hier wohnen ja unser allverehrter Kaiser und unser
vielgeliebter Kronprinz.
Hamburg, die Hansastadt, ist eine herrliche Stadt. Den groß-
artigsten Eindruck erhält man von Hamburg, wenn man von der
See her auf der Elbe der Stadt sich nähert. An freundlichen
Landhäusern und lieblichen Gärten fährt man vorüber; dann folgen
zahllose Speicher, und zuletzt erscheint der Hafen mit seinem bunten
Leben und Treiben. Man lnuß dies unendliche Gewühl mit Augen
sehen, wenn man ein rechtes Bild davon haben will. Da liegen in
langen Reihen hunderte von Schiffen mit Flaggen aller seefahrenden
Völker, und Schiffergesang und Matrosenrufe hört man in allen
Sprachen; man sieht weiße, gelbe und schwarze Gesichter, brausende
Dampfer, mächtige Dreimaster bis hinunter zu den leichten Gondeln
und kleinsten Kähnen, Geschäftsleute, Lotsen, Spaziergänger und Aus-
wanderer. Unter letzteren begegnen wir manchem fröhlich drein
schauenden Gesichte, das sich mit großen Hoffnungen zu tragen scheint,
aber erst in der Fremde zu seiner Betrübnis erfährt, daß die Gänse
überall barfuß gehen.
IS*
292
Über 500 Kaufleute beschaffen den Handel in alle Weltgegen-
den. Hamburg besitzt ein eigenes Gebäude, die Börse genannt, in
welchem die Kaufleute in den Mittagsstunden ihre geschäftlichen Zu-
sammenkünfte haben. Die Handelsschiffe führen uns eine Menge
Artikel vom Auslande zu. Aus Amerika befördern sie Kaffee, Tabak,
Baumwolle re., aus Rußland Pelzwerk, Hanf, Flachs, Leder re.,
aus Schweden und Norwegen Eisen, Bretter, Teer, Heringe re.,
aus Frankreich, Spanien, Italien und anderen südlichen Ländern
Wein, Citronen, Apfelsinen, Seidenwaren re., aus Ostindien Thee
und allerlei Gewürze u. s. w. Andererseits schickt auch Deutschland
Produkte ins Ausland, namentlich nach Amerika Leinwand, Wolle
und allerlei Gerätschaften von Eisen. — Im Jahre 1842 zerstörte ein
zehntägiges, schreckliches Feuer den dritten Teil der reichen und schönen
Handelsstadt. Prachtvolle Häuser, Straßen und Plätze sind nach dem
Brande in diesem Stadtteil entstanden. Hamburgs Tiergarten ist sehr
schön. Die Berlin-Hamburger Eisenbahn besteht seit 1846; auf
mecklenburgischem Boden wurde der erste Spatenstich zu der Bahn
am 6. Mai 1844 gethan.
Berlin, die Kaiserstadt, in einer großen sandigen Fläche und
zu beiden Seiten der Spree gelegen, hat sich mit wunderbarer
Schnelligkeit entwickelt. Die Bevölkerung hob sich namentlich nach
dem letzten Kriege (187%i), und ihre Zahl hat bereits die erste
Million weit überschritten, so daß also in Berlin etwa noch einmal
so viele Menschen leben, als in den beiden Großherzogtümern
Mecklenburg zusammen oder es ist nach der Einwohnerzahl 28mal
größer als Rostock. Einst ein armes Fischerdorf, von Albrecht dem
Bären (1106—1170), dem ersten Markgrafen der Mark Branden-
burg, als Stadt (nebst Spandau) gegründet — ist Berlin jetzt eine
Weltstadt. Und was für eine schöne Stadt! Durchgehends ist ihr
Aussehen ein neumodisches und ganz verschieden von dem alter Haupt-
und Handelsstädte. Unter den hunderten von Straßen sind nur
wenige eng und krumm; die herrlichste ist die unter den Linden,
72 Schritt breit und über 1000 Schritt lang, mit vier schnurge-
raden Linden- und Kastanien-Alleen bepflanzt — ein grüner Wald
inmitten der glänzendsten Straße der Residenz — und von der über
eine Stunde langen, ganz geraden Friedrichsstraße durchschnitten.
Wie reich ist die Stadt an Prachtgebäuden und öffentlichen Plätzen!
Am Ende der Straße „unter den Linden" besitzt Berlin einen Platz,
wie ihn wohl weiter keine Stadt der Welt aufzuweisen hat, einen
Platz, um welchen zu beiden Seiten mehrere Paläste, Museei:, eine
Kirche, die Universität, das Zeughaus und andere großartige Gebäude
liegen. Sobald mau durch das wunderschöne Brandenburger-
Thor in die Stadt tritt, hat man einen andern großen Platz,
Pariser Platz genannt, vor sich, der rings mit prächtigen Palästen
umgeben ist. Die Standbilder der großen Helden des preußischen
Staats gereichen den öffentlichen Plätzen und der Stadt §ur besonderen
Zierde. Das großartigste Denkmal ist das von Friedrich dem
293
Großen, dann kommt die Reiterstatue des großen Kurfürsten,
das Standbild Blüchers, Ziethens und anderer großer Persönlich-
keiten. Unter den Vergnügungsplätzen der Berliner ist der bekannteste
der Tiergarten, ein großartiger, künstlich angelegter Park, der
anderthalb Stunden im Umfang hat. Er liegt zwischen Berlin und
Charlottenburg, wo in der Grabkapelle des fürstlichen Lustgartens
Friedrich Wilhelm III. und seine Gemahlin, die „unvergeßliche
Luise" ruhen. In dem von Berlin kaum 4 Stunden entfernten
Potsdam hielt sich Friedrich der Große gern auf, wo er sein
Lieblingsschloß*) aufgeführt hatte. In der Nähe hat Kaiser Wilhelm
das Schloß Babelsberg. Wie viel ließe sich noch von der Herrlich-
keit Berlins erzählen. Darin wird Berlin von den übrigen deutschen
Residenzstädten**) nicht übertroffen; auch kann es sich in dieser Be-
ziehung wohl mit den meisten Haupt- und Residenzstädten Europas***)
messen. (I. S.)
224. Amerika und seine Entdeckung.
Amerika ist von Europa durch den breiten atlantischen Ocean getrennt.
Und doch stehen wir mit keinem Erdteile in so regem Verkehre als mit dem auf
der westlichen Halbkugel der Erde liegenden Amerika. Seine beiden Hauptteile:
Nord- und Südamerika, sind durch das gebirgige C entra l-Am er ik a mit
einander verbunden. Zwischen beiden Hauptteilen liegt Westindien, von Colum-
bus so genannt, weil er das gesuchte Indien darin gefunden zu haben meinte. Es
besteht aus lauter Inseln, unter welchen Cuba, Hayti und Jamaica die
wichtigsten sind. — Vier Weltmeere bespülen Amerikas Küsten, der atlantische
Ocean die östlichen, der große oder stille Ocean die westlichen. Durch alle Zonen
vom nördlichen, bis zum südlichen Eismeer erstreckt sich Amerika. Daß
deshalb das Klima dieses Erdteils auch sehr verschieden sein muß, wirst du leicht
einsehen. Findest du nicht, wenn du einen Blick auf die Landkarte oder auf die
Erdkugel wirfst und über die Stellung der Erde zur Sonne nachdenkst, daß letztere
ihre Strahlen z. B. auf Brasilien glühend heiß herabsenken, während oben in
Nord-Amerika grimmige Kälte herrschen muß? Warum wird dagegen z. B.
New-Aork oder Buenos-Ayres sich eines gemäßigten Klimas erfreuen?
Amerika besitzt das längste Gebirge und den größten Strom der Erde. Die
Cordillen oder Anden heißt sein Hauptgebirge mit dem Chimborasso-
Berg, über 50mal höher als der Petriturm in Rostock. Unter den größten Flüssen
der Erde hat Amerika die zahlreichsten aufzuweisen: den gewaltigen Mississippi
(mit seinen beiden Nebenströmen Missouri und Ohio), den Lorenz ström, Co-
lumbia, Colorado und Orinoco; obenan steht aber der ungeheure Ama-
zonenstrom, über 850 Meilen lang, also weit über die doppelte Länge der
*) Sanssouci, d. h. Sorgenfrei.
**) Dresden im Königreich Sachsen, München in Bayern, Stutt-
gart in Württemberg, Karlsruhe in Baden rc.
***) Wien (an ? in ?), Innsbruck, Bern, Rom, Konstantinopel, Athen,
Petersburg und Moskau, Stockholm, Christiania, Kopenhagen, Haag-Amsterdam,
Brüssel, London (Edinburg, Dublin), Lissabon, Paris und Madrid.
294
Donau! In diesem Erdteile, vorzüglich in Nordamerika giebt cs auch sehr große
Landseen, von denen der Bären-, Sklaven-, Obere-, Michigan-, Huron-,
Eric und Ontario-See insonderheit zu nennen sind. Äußerst groß ist der
Reichtum an Gewächsen, worunter vorzüglich die köstlichsten Baumfrüchte und die
gesuchtesten Kolonial-Waren, die wirksamsten Arzneigewächse, die herrlichsten Färber-
und Tischlerhölzer sind. Überhaupt besitzt Amerika unermeßliche Urwälder mit
Riesenbäumen. Kein Erdteil ist so reich an Gold und Silber, an Diamanten und
andern Mineralien wie dieser. Die Produkte der amerikanischen Tierwelt sind
sehr zahlreich: der Walfisch
und das Walroß, der See-
hund, Sägefisch und Stock-
fisch, Bison, das Stinktier,
Alligator, Chamäleon, Klap-
perschlange, Löwen, Wölfe,
Ameisenbär, Faultier, Beutel-
tier, Kondor, Papageien,
Kolibri und viele andere.
Unter den Produkten Nord-
Amerika ist der Biber,
namentlich wegen seines kost-
baren Pelzes sehr geschätzt, ein bewunderungswürdiges Tier. Hast du von seinem
Leben und Treiben, von seiner Kunst und Geschicklichkeit schon etwas gehört oder
gelesen? — Zu den Ureinwohnern gehören die Eskimos und die mehr und mehr
abnehmenden Indianer, meistens kupferrot mit schlichten schwarzen Haaren
(Rothäute). Die Eingeborenen von europäischer Abstammung heißen Creolen.
Die Abkömmlinge von Europäern und Negerinnen nennt man Mulatten, die
von Europäern und Amerikanerinnen Mestizen. Bis auf etwa eine Million
Einwohner, welche noch Heiden sind, bekennt sich die Bevölkerung zum Christen-
tume. Für die Schiffahrt ist es von außerordentlichem Nutzen und für den Ver-
kehr zwischen Europa und Amerika von großem Vorteil, daß man seit kurzem
angefangen ist, die Landenge von Panama in Central-Amerika zu durchbrechen.
In 5 Jahren soll diese Riesenarbeit beendet sein. Sobald dieser Durchfahrtskanal
hergestellt sein wird, hört der weitere und gefährliche Umweg von Europa nach
Westindien, New-Pork rc. um Südamerika (Cap Horn) herum auf.
Amerika ist erst 1492, also vor noch nicht 400 Jahren entdeckt worden.
Der Mann, durch den es geschehen, heißt Christoph Kolumbus. Er hat das
neue Land nicht etwa so zufällig oder gelegentlich auf einer Reise gefunden, son-
dern es hat ihm viele Geduld und vielen Kampf gekostet, bis er den Gedanken,
der ihm auf der Seele brannte, durchführen konnte. Wie zu Salomos Zeiten, so
war auch damals Indien das Land, aus dem die Seefahrer Gold, Edelsteine und
Kostbarkeiten holten. Nun hatte man zwar einen Seeweg um Afrika herum nach
Indien zu finden versucht; Kolumbus glaubte jedoch, daß man auf einem kürzeren
Wege nach Indien kommen könne, wenn man nach^Westen fahre, da die Erde
eine Kugel sei. Aber er war armer Leute Kind und hatte sich seinen Unterhalt
mit Kartenzeichnen und Seesahren verdient. Er konnte also nicht selbst die
nötigen Schiffe ausrüsten. Die Leute jedoch, die das Geld dazu hatten, glaubten
dem Kolumbus nicht. Nach vielen Mühen gelang es ihm, die Königin von Spanien
295
für seinen Plan zu gewinnen. Er erhielt drei kleine Schiffe. Damit sollte er
seine Entdeckungen machen.
Am 3. August 1492 segelte er von der spanischen Küste ab. Es erhob sich
ein Ostwind, welcher die Schiffe pfeilschnell nach Westen trieb. Als er nun aber
aus dem weiten Meere immer weiter vorwärts ging, da verloren die Schisssleute
den Mut. Nur Kolumbus ließ sich den Glauben nicht rauben. Er stand un-
ermüdlich aus dem Verdecke und ließ das Senkblei in das Meer hinab, um die
Tiefe desselben zu messen. Bei wem er Traurigkeit bemerkte, dem redete er freund-
lich zu. Am 1. Oktober waren die Schiffe schon 700 Seemeilen von der Heimat
entfernt. Die Sonne ging aus und wieder unter, und noch zeigte sich nichts als
Meer und lauter Meer. Die Angst der Schiffsleute stieg von Tag zu Tag. Man
wurde aus Kolumbus ergrimmt. Sie redeten ihm zu, er möge doch umkehren.
Als er aber fest bei seinem Entschlüsse blieb, drohte man, ihn über Bord zu werfen.
Doch Kolumbus ließ sich nicht irre machen. Da gewahrte er Rohr und einen
Baumast mit roten Beeren. Er begrüßte dies als Anzeichen, daß Land nahe sei.
Daher befahl er, als die Sonne unterging, daß auf dem Mastkorbe sorgfältig
Wache gehalten werde, um nicht bei Nacht aus Klippen aufzulaufen. Kein Auge auf
dem Schiffe schloß sich. Zwei Stunden nach Mitternacht am 12. Oktober erscholl ein
Kanonenschuß und der Ruf: „Land!" „Land!" Die Schisssleute fielen einander
vor Freude in die Arme und stürzten dem Kolumbus zu Füßen. Es ertönte das
Danklied: „Herr Gott, dich loben wir." Als der Morgen anbrach, sah das Schisss-
volk vor sich eine schöne, grüne Insel liegen. Mit Sonnenaufgang bestiegen sie die
Böte und ruderten dem Lande zu. Kolumbus war der erste Europäer, der die
neue Welt betrat. Die Insel wurde von ihm San Salvador (Land des Erlösers)
genannt. Bei den Eingeborenen hieß sie Guanahani. Anfangs glaubte er, daß
die Insel zu Indien gehöre. Daher nannte er diese und die andern Inseln West-
indien, während jenes zum Unterschiede Ostindien genannt wurde. Erst später
ward er gewahr, daß es ein neuer Erdteil sei, den er entdeckt habe. — Er hat
für seine große Entdeckung wenig Dank geerntet. Selbst den Namen erhielt der
neue Weltteil nicht von ihm, sondern von einem gewissen Americus Ves-
pucius, der das neue Land zuerst beschrieb. Gebeugt von Mühseligkeiten, ent-
schlief er als 70jähriger Greis 1506 mit den Worten: In deine Hände befehle
ich meinen Geist!
(Kappe und nach andern.)
225. Kolumbus.
„Was willst du, Fernando, so trüb und
bleich?
Du bringst mir traurige Mär!"
Ach, edler Feldherr, bereitet euch!
Nicht länger bezähm' ich das Heer!
Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will,
so seid ihr ein Opfer der Wut;
sic fordern laut wie Sturmgebrüll
des Feldherrn heil'ges Blut.
Und eh' noch dem Ritter das Wort
entslohn,
da drängte die Menge sich nach,
da stürmten die Krieger, die wütenden,
schon
gleich Wogen ins stille Gemach,
Verzweiflung im wilden, verlöschenden
Blick,
aus bleichen Gesichtern der Tod. —
Verräter! wo ist nun dein gleißendes
Glück?
Jetzt rett' uns vom Gipfel der Not!
296
Du giebst uns nicht Speise, so gieb uns
denn Blut.
Blut! rief das entzügelte Heer. —
Sonst stellte der Große den Felsenmut
entgegen dem stürmenden Meer.
„Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es
und lebt!
Doch bis noch ein einziges Mal
die Sonne dem feurigen Osten ent-
schwebt,
vergönnt mir den segenenden Strahl.
Beleuchtet der Morgen kein rettend
Gestad,
so biet' ich dem Tode mich gern,
bis dahin verfolgt noch den mutigen
Pfad,
und trauet der Hülfe des Herrn!"
Die Würde des Herrn, sein ruhiger
Blick
besiegte noch einmal die Wut.
Sie wichen vom Haupte des Führers
zurück
und schonten sein heiliges Blut.
Wohlan denn, es sei noch! Doch hebt
sich der Strahl
und zeigt uns kein rettendes Land,
so siehst du die Sonne zum letztenmal!
So zittre der strafenden Hand!
Geschlossen war also der eiserne Bund,
die Schrecklichen kehrten zurück. —
Es thue der leuchtende Morgen nun
kund
des duldenden Helden Geschick! —
Die Sonne sank, der Tag entwich,
des Helden Brust ward schwer;
der Kiel durchrauschte schauerlich
das weite, wüste Meer.
Die Sterne zogen still herauf,
doch ach, kein Hoffnungsstern!
Und von des Schiffes ödem Lauf
blieb Land und Rettung fern.
Vom Trost des süßen Schlafs verbannt,
die Brust voll Gram, durchwacht,
nach Westen blickend unverwandt,
der Held die düstere Nacht.
Nach Westen, o nach Westen hin
beflügle dich, mein Kiel!
Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn,
du meiner Sehnsucht Ziel!
Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn
blick' auf mein Volk herab!
Laß nicht sie trostlos untergehn
im wüsten Flutengrab!
Er sprach's, der Held, von Mitleid
weich. —
Da, horch! welch eiliger Tritt?
Noch einmal, Fernando, so trüb und
bleich?
Was bringt dein bebender Schritt?
Ach, edler Feldherr, es ist geschehn!
Jetzt hebt sich der östliche Strahl!
„Sei ruhig mein Lieber, von himmlischen
Höhn
entwand sich der leuchtende Strahl.
Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol;
mir lenkt sie zum Tode die Bahn."
Leb' wohl denn, mein Feldherr! leb'
ewig wohl!
Ich höre die Schrecklichen nahn!
Und eh' noch dem Ritter das Wort
entflohn,
da drängte die Menge sich nach;
da stürmten die Krieger, die wütenden,
schon
gleich Wogen ins stille Gemach.
„Ich weiß, was ihr fordert, und bin
bereit;
ja, werft mich ins schäumende Meer;
doch wisset, das rettende Ziel ist nicht
weit;
Gott schütze dich, irrendes Heer!"
Dumpf klirrten die Schwerter, ein wüstes
Geschrei
erfüllte mit Grausen die Luft;
der Edle bereitet sich still und frei
zum Weg in die flutende Gruft.
Zerrissen war jedes heilige Band;
schon sah sich zum schwindelnden Rand
der treffliche Führer gerissen — und:
„Land!
Land!" rief es und donnert es: „Land!"
Ein glänzender Streifen, mit Purpur
gemalt,
erschien dem beflügelten Blick;
297
vom Golde der steigenden Sonne be- was mutvoll der Große gedacht: —
Bei einem Feste, welches der Kardinal Mendoza dem
Kolumbus zu Ehren veranstaltete, hielt er ihm eine grosse Lob-
rede wegen der von ihm gemachten Entdeckung, welche er den
grössten Sieg nannte, den jemals der Geist eines Mannes er-
fochten habe. Die anwesenden Herren vom Hof nahmen es
übel auf, dass einem Ausländer, noch dazu einem Manne, der
nicht einmal von adeliger Herkunft sei, so grosse Auszeichnung
erwiesen würde. „Mich dünkt,“ hub einer der königlichen
Kammerherren an, „der Weg nach der sogenannten neuen
Welt war nicht so schwer zu finden; das Weltmeer stand
überall offen, und kein spanischer Seefahrer würde den Weg
verfehlt haben.“ Mit vornehmem Gelächter gab die Gesell-
schaft dieser Äusserung ihren Beifall zu erkennen, und mehrere
Stimmen riefen: „0, das hätte ein jeder von uns gekonnt!“
„Ich bin weit entfernt,“ entgegnete Kolumbus, „mir etwas
als Ruhm anzumafsen, was ich nur einer gnädigen Fügung des
Himmels zuschreiben darf; indessen kommt es doch bei vielen
Dingen in der Welt, welche uns leicht auszuführen scheinen,
oft nur darauf an, dass sie ein anderer uns vormacht. Dürft
ich,“ sagte Kolumbus zu jenem Kammerherrn gewendet, „Ew.
Excellenz wohl ersuchen, dies Ei“ — er hatte sich von einem
Diener ein Hühnerei bringen lassen — so auf die Spitze zu
stellen, dass es nicht umfällt?“ Die Excellenz versuchte von
der einen wie von der andern Seite vergeblich, das Ei zum
Stehen zu bringen. Der Nachbar bat es sich aus; es gelang
ihm eben so wenig. Nun drängten sich die andern dazu; ein
jeder wollte den Preis gewinnen. Allein weder mit Eifer, noch
mit Ruhe war es möglich, das Kunststück auszuführen. „Es
ist unmöglich!“ riefen die Herren, „ihr verlangt etwas Unaus-
führbares! „Und doch,“ sagte Kolumbus, „werden diese Herren
sogleich sagen: das kann ein jeder von uns auch!“ Jetzt nahm
er das Ei und setzte es mit einem leichten Schlage auf den
Tisch, so dass es auf der eingedrückten Schale feststand. Da
riefen jene: „Ja! das kann ein jeder von uns!“ — Seitdem hört
man oft sagen, wenn eine glückliche Erfindung gemacht wurde,
zu welcher ein jeder sich klug genug dünkt: „das Ei des Ko-
strahlt
erhob sich das winkende Glück;
Sie stürzen zu Füßen des Herr-
lichen hin
226. Ras El des Kolumbus.
lumbus!“
(Förster.)
298
227. Der reichste Fürst.
1. Preisend mit viel schönen
Reden
ihrer Länder Wert und Zahl,
sassen viele deutsche Fürsten
einst zu Worms im Kaisersaal.
2. „Herrlich,“ sprach der
Fürst von Sachsen,
„ist mein Land und seine
Macht;
Silber hegen seine Berge
wohl in manchem tiefen
Schacht.“
3. „Seht mein Land in üpp’ger
Fülle,“
sprach der Kurfürst von dem
Rhein,
„Goldne Saaten in den Thälern,
auf den Bergen edler Wein.“
4. „Grosse Städte, reiche
Klöster,“
Ludwig, Herr zu Bayern, sprach,
„schaffen, dass mein Land den
euren
wohl nicht steht an Schätzen
nach.“
5. Eberhard, der mit dem
Barte,*)
Würtembergs geliebter Herr,
sprach: „Mein Land hat kleine
Städte,
trägt nicht Berge silberschwer.
6. Doch ein Kleinod hält’s
verborgen:
dass in Wäldern, noch so gross,
ich mein Haupt kann kühnlich
legen
jedem Unterthan in Schoss.“
7. Und es rief der Herr von Sachsen,
der von Bayern, der vom Rhein:
„Graf im Bart! ihr seid der reichste:
euer Land trägt Edelstein!“
(Justinus Kerner.)
228. Maximilian I. (1493—1519),
der letzte Kaiser des Mittelalters, war ein ausgezeichneter Regent. Schon als
Jüngling gewann er durch seine Herrliche Gestalt, durch sein offenes, freundliches
Wesen und durch den Liebreiz seiner Sitten die allgemeine Achtung und Zu-
neigung. Sein rittlicher Sinn, seine Tapferkeit, sein unerschrockener Mut, sein
lebendiges Gefühl für alles Gute und Edle, und sein Eifer, dasselbe auch schnell
zur Ausführung zu bringen, lenkten bald aller Hoffnung auf ihn. Unerschrocken
ging er mit seinem Speer auf den Bären los, und die Gemse verfolgte er mit
Lebensgefahr bis auf die höchsten Felsenspitzen. Doch kam er durch solche Kühn-
heit gleich im Anfange seiner Regierung dem gräßlichsten Hungertode nahe. Eines
Tages nämlich ging er mit zahlreichem Gefolge in die Alpen und war demselben
*) Eberhard im Bart, erster Herzog von Würtemberg, f 1496,
war ein ausgezeichneter Fürst, von seinem Volke als „Vater“ des Vater-
landes geehrt und geliebt. Kaiser Maximilian I. erhob ihn wegen seiner
Verdienste auf dem glänzenden Reichstag zu Worms i. J. 1495 zum Her-
zoge (vorher gab es nur Grafen von Würtemberg). Einige Jahre nach
Eberhards Tode sprach Maximilian zu seinen Begleitern am Grabe des
Herzogs die schönen Worte: „Hier liegt ein Fürst, klug und bieder,
wie keiner im Reich; sein Rat hat mir oft genützt.“
299
in ungeduldiger Hast bald weit vorausgeeilt. Er schwang sich über Klippen von
Fels zu Fels, ohne daß ihm jemand folgen konnte, und hatte endlich nur noch
eine schroffe Felswand zu erklimmen, um einen sichern Schuß aus eine erspähete
Gemse thun zu können. Mit beiden Händen griff er nach einer überhangenden
Felszacke, um sich hinauf zu schwingen; da brach ein Felsstück ab, auf das er eben
seinen Fuß gesetzt hatte: der Kaiser glitt ein Stück abwärts und befand sich un-
erwartet auf einer nur wenige Schritte langen und breiten Felsplatte, die über
einen tiefen Abgrund hervorragte. Hinter sich die uncrstcigliche Wand, von vorn
und rechts und links eine schwindelnde Tiefe unter sich, erschien er sich selbst
rettungslos verloren. Niemand wußte zu raten und zu helfen. Volle 52 Stun-
den hatte Maximilian so in Todesangst geharrt. Da erschien die unverhoffte
Rettung. Zwei kühne Bergleute hatten mit höchster Lebensgefahr von einer andern
Seite die Martinswand (so hieß die Felsenwand, an die sich der Kaiser mit
dem Rücken lehnte) erklimmt; sie zogen ihn an einem herabgeworfenen Seile, das
er sich um den Leib schlang, mit großer Anstrengung in die Höhe, und durch
Gottes Hülfe gelang die von allen im inbrünstigen Gebet crflehete Rettung. Im
Thale angelangt, dankte Maximilian und mit ihm seine Getreuen und die ver-
sammelte Menge Gott auf den Knien; von allen Türmen aber verkündete das
weithin schallende Geläut der Glocken das glückliche Ereignis. Seine Retter be-
lohnte Maximilian mit großen Gütern und Würden, und ihre Nachkommen stehen
heute noch in großen Ehren. Auf der höchsten Spitze der Martinswand ließ der
Kaiser zum Andenken seiner wunderbaren Rettung ein 5 Meter hohes Kreuz er-
richten, das noch jetzt, 300 Meter hoch über dem Jnnfluß erhaben, zu erblicken ist.
Eine der wohlthätigsten Anstalten, die Deutschland dem 'Kaiser Max zu
verdanken hat, sind die Posten. Früher wurden Briefe durch leitende Boten
von einer Handelsstadt zur andern, Packete und Personen aber durch Lohnkutscher
befördert. Die Briefe ins Ausland, so wie an Orte, die nicht an der Straße
lagen, mußten durch Gelegenheiten oder durch eigene Boten abgesendet werden,
was teils unsicher, teils sehr kostspielig war. Maximilian errichtete 1516 zuerst
zwischen Wien und Brüssel eine regelmäßige Postverbindung, welche sich nach und
nach über ganz Deutschland verbreitete und immer mehr vervollkommnet wurde.
Eine andere für das ganze Reich wohlthätige Einrichtung war die Einteilung
Deutschlands in 10 Kreise, von welchen jeder seinen Kreisobersten hatte. Durch
diese Einrichtung wurde die Ordnung und Sicherheit im Lande selbstverständlich
besser gehandhabt als früher. Über allen Kreisen stand das Rcichskammergericht,
durch das der „ewige Landfriede", vom Kaiser auf dem Reichstage zu Worms fest-
gesetzt, allgemeine Gültigkeit erhielt. Damit hatte der edel denkende Herrscher
das frühere Faustrecht mit seiner Willkür und seinem Unwesen aufgehoben, so daß
jetzt niemand den andern mehr befehden und berauben durfte. Maximilian starb
im Jahre 1519; in ihm ging der „letzte Ritter" zu Grabe.
(Bräunlich und Ritsert.)
229. Deutsches Land und deutsches Reich.
(* Von Eugen Labes.)
Deutsches £anb und deutsches Reich Meere, Seen, Berge blau,
Sind den allerbesten gleich: Gottgesegnet Feld und Au.
300
Wälder, Stromes Silberband
Hat mein deutsches Vaterland.
Herzens Sprache jeder spricht,
Sci's in Prosa, im Gedicht;
Manche Mundart, Geistes Wehn,
Lehret unser Volk verstehn —
Einer Sprache Geistes band
Luther gab dem deutschen Land;
Ver verdeutschte Gottes Wort,
Unsers Lebens Heil und Hort.
230. Die Kirchenernenernng Dr. Martin Luthers.
(* Von Eugen Labes.)
Daß wir an jedem Tag uns aus Gottes Wort erbauen können,
daß uns an jedem Sonn- und Festtag das Evangelium lauter und
rein gepredigt wird, daß wir uns mit der Gemeinde in unsern
schönen deutschen Kirchenliedern zu Gott erheben: dies alles danken
wir unserm Dr. Martin Luther und seinen treuen Freunden und
Mitarbeitern an dem großen von Gott gesegneten Werke der Kirchen-
erneuerung (Reformation). Darum mag wohl auch schon jedes
Kind einer evangelischen Gemeinde gern etwas von dem Leben Luthers
und der andern Reformatoren wissen.
Luthers Eltern waren in dem schönen, sangesreichen Thü-
ringen geboren. Um besser sich ihren Lebensunterhalt erwerben zu
können, gingen sie nach Eis leben und später nach Mansfeld. In
Eisleben wurde der künftige Reformator am 10. Novbr. 1483 ge-
boren und empfing gleich am Tage darauf die heilige Taufe, in
welcher er, da sein Tauftag der Tag des heiligen Martin war, den
Namen Martin bekam. Als seine Eltern nach Mansfeld gezogen
waren, wurde der Knabe frühzeitig zur Schule geschickt und oft bei
schlechtem Wetter von seinem Vater auf dem Arme in die Schule
getragen. Er wurde im Hause lind in der Schule sehr streng ge-
halten, wobei ihm selbst harte Züchtigung nicht erspart blieb. Da er
in der Schule in Mansfeld, in welcher auch schon Latein getrieben
wurde, gute Fortschritte gemacht hatte, kam er auf die Schule nach
Magdeburg. Doch blieb er hier nicht lange, da seine Verwandten
ihn nicht ausreichend, wie Luthers Eltern gehofft hatten, unterstützen
konnten. So kam er von Magdeburg nach Eisenach auf das Gym-
nasium, das als eine gute Bildungsstätte bekannt war. Hier hatte
er, wie es damals auch an vielen höheren Schulen üblich war, öfters
mit andern Schülern kirchliche Lieder zu singen. Dies war für sein
späteres Fortkommen von großer Bedeutung. Die Frau Cotta,
welche aus einem alten Pratriciergeschlecht Eisenachs stammte, hörte,
daß Luther stets sehr andächtig sang und fragte ihn nach seiner Her-
kunft. Da ihr der Knabe durch sein offenes und kindliches Wesen
gefiel, so beschloß sie, ihm einen Ersatz für seine Heimat zu bieten
und gab ihm in ihrem Hause Kost und Wohnung. Diese Bekannt-
schaft mit der Familie Cotta war für ihn sehr segensreich; denn er
erfuhr hier vieles von der Geschichte des Landes und Volkes, von
seinen Sitten und Gebräuchen und lernte von erfahrenen Leuten, die
im Hause verkehrten, vieles, was er aus Büchern nicht hätte lernen
301
können. Besonders wurde auch seine Anlage zur Musik und seine
Freude an derselben mächtig gefördert, da er hier auch die Laute
spielen lernte, mit der er die Lieder, die er mit seiner schönen
Stimme sang, begleitete. Darum konnte später der Reformator auch
selbst seine Lieder in Musik setzen.
Nachdem er den ganzen Bildungsgang des Gymnasiums mit
vollen Ehren durchgemacht hatte, kam er wohl vorbereitet auf die
Universität nach Erfurt (die aber jetzt nicht mehr vorhanden ist).
Hier sollte er nach dem Lieblingswunsche seines Vaters ein Rechts-
gelehrter werden, aber Gott wollte es anders. Nachdem er gründ-
lich die Weltsweisheit und die griechischen und lateinischen Schrift-
steller studiert, auch zum erstenmal auf der Universitätsbibliothek die
Bibel in ihrem ganzen Umfange kennen gelernt hatte, trat ein Wende-
punkt in seinem Leben ein. Schon die Berufung Samuels, die er
in der Bibel gelesen hatte, war für ihn bedeutsam gewesen; dazu
kam der plötzliche Tod eines Freundes, so daß er in dem heftigen
Donner eines Gewitters, das ihn bei Stotternheim, einem Dorfe in
der Nähe Erfurts überraschte, die mahnende Stimme Gottes zu
hören glaubte, und die Sorge um seiner Seelen Seligkeit ihn in das
Kloster führte. Es war nämlich der Glaube der damaligen Zeit,
daß das Klosterleben ein besonders verdienstliches sei, weil die Lehre
von der Rechtfertigung aus dem Glauben und nicht aus den Werken
noch nicht in ihr helles Licht gestellt war. Noch einmal versammelte
er seine Freunde uin sich; noch einmal erfreute er sie mit seinen;
Saitenspiel und herzigem Gesäuge. Schon befremdete es manchen
der Freunde, daß er allen die Hand beim Abschied so ernst drückte:
da vernahm man am andern Morgen die alle überraschende Nach-
richt, daß Luther in das Augustinerkloster eingetreten sei. Keine der
harten Arbeiten, die dem Neueingetretenen aufgelegt wurden, schreckte
ihn zurück; aber um so eifriger war er bemüht, die darauf ver-
wendete Zeit durch eifriges Studieren und Arbeiten wieder ein-
zubringen.
Doch hatten die übermäßigen Anstrengungen bald die Kräfte
seines Körpers erschöpft. Eines Tages, als die andern Mönche zur
Andacht versammelt waren, fehlte Luther, was noch nie vorgekommen
war. Man eilt nach seiner Zelle (Stube), man findet dieselbe ver-
schlossen, man klopft — er giebt keine Antwort. Als man endlich
gewaltsam die Thür öffnet, findet man ihn in einer schweren Ohn-
macht liegen, aus der kein angewandtes Mittel ihn erwecken kann.
Endlich ergreift einer der Mönche die Laute und schlägt einige Klänge
an; da öffnet er, wie aus einem Traume erwachend, die Augen
und schaut verwundert um sich. Doch fällt er dann in eine schwere
Krankheit, in der er schon sein Ende nahe glaubte. Da tröstete ihn
der freundliche Zuspruch eines ihm befreundeten Mönches: „Lieber
Bruder Martin, Ihr werdet dieses Lagers nicht sterben, sondern Gott
wird aus Euch einen großen Mann machen, der viele Leute trösten
wird." Dennoch drängten ihn die Vorwürfe seines Vaters darüber.
302
daß er ein Mönch geworden war, und dann mich drückte ihn die
Sorge um seiner Seelen Seligkeit. Doch hatte Gott schon den Mann
ausersehen, der ihn aus dem Kloster wieder herausführen sollte.
Der Generalvikar der Augustinerklöster in Deutschland, Johannes
von Staupitz, lernte ihn bei einer Visitation des Klosters kennen
und sorgte dafür, daß er eine seinen Kenntnissen angemessene Stellung
bekam, indem er ihn für die neugegründete Universität Wittenberg
empfahl. So wurde Luther denn auch bald berufen und trug lange
Zeit daselbst noch sein Mönchsgewand. Auf Zureden predigte er
dann auch, und so kam es, daß er später als Professor und Prediger
zugleich wirkte. 1510 machte er im Aufträge seines Klosters eine
Reise nach Rom, das er damals noch für den Sitz der Heiligkeit
selbst hielt. Voller Sehnsucht eilte er über die Alpen und mit ge-
spannter Erwartung trat er in Rom ein. Aber gar bald sah er
seine Erwartungen von der Heiligkeit des Priestertums in Rom ge-
täuscht, glaubte aber damals noch, daß der Papst selbst alle die ein-
gerissenen Mißbräuche der Kirche nicht billige. Auf der Rückreise
tönte lauter und lauter in seinem Herzen das Wort der heil. Schrift:
Der Gerechte wird seines Glaubens leben. Wieder in Wittenberg
angelangt, vertiefte er sich immermehr in das Studium des heiligen
Gotteswortes und nahm auch nach langem Zureden (1512) die Würde
eines Doktors der heil. Schrift an, was für sein späteres Wirken
von großer Bedeutung wurde, da er bei seiner Verpflichtung als
Doktor gelobt hatte, Gottes Wort lauter und rein zu lehren. Zum
Auftreten gegen die Mißbräuche der Kirche trieb ihn erst die Sorge
um die Seligkeit der Seelen seiner Gemeinde. Er war gewohnt, bei
der Beichte die Leute reuig und voll Verlangen nach dem Heil
zu finden; wie mußte er aber erschrecken, als einige Gemeindemit-
glieder ihm selbstgerecht den Ablaßzettel vorzeigten, meinend, nun
hätten sie für ihr Geld Vergebung der Sünden. Da schrieb er in
einem Zuge seine 95 Streitsätze (Theses) gegen den Mißbrauch des
Ablasses und schlug dieselben am Vorabend des Tages Allerheiligen
(31. Oktbr. 1517) an der Thür der Schloßkirche zn Wittenberg an.
Dies geschah nach einem an der Universität üblichen Gebrauche, und
Luther erklärte damit, daß er bereit sei, diese Sätze gegen jedermann,
der sie angreifen würde, zu verteidigen. Einer der wichtigsten Sätze
lautet: Ein jeder Christ, so wahre Reue und Buße hat, hat volle
Vergebung der Sünden auch ohne den Ablaß. Dieser Schritt Luthers
ist so wichtig, daß wir am Sonntag nach dem 31. Oktbr. in unserer
Kirche das Reformationsfest feiern.
In Rom erklärte man erst diese Streitigkeiten für ein Mönchs-
gezänk, zumal der damalige Papst sich mehr um schöne Kunstwerke,
als mm die Christenheit kümmerte. Bald aber fingen die Ablaß-
gelder aus Deutschland spärlicher zu fließen an, und das war dem
Papst schon darum bedenklicher, weil dadurch die Hülfsquellen für
die Erneuerung der Peterskirche in Rom versiegten. Deshalb schickte
er erst den Cajetan, der aber durch sein heftiges Auftreten in der
M
303
Unterredung mit Luther alles verdarb, sich jedoch des Eindruckes nicht
erwehren konnte, daß Luther ein echter Deutscher mit tiefen Ge-
danken sei. Geschickter ging der Kammerherr von Miltitz zuwerke,
der Luther daran erinnerte, daß durch die Streitigkeiten schlichte
Leute leicht in ihrem Glauben irre werden könnten. Luther ver-
sprach ihm zu schweigen, wenn seine Gegner auch schwiegen. Da
aber Dr. Eck in seiner scheinbar gegen Carlstadt, einen andern
Wittenberger Professor, gerichteten Streitschrift auch Luther angriff,
so kam es zu einer Auseinandersetzung in Leipzig (1519), in welcher
Dr. Eck Luther dahin brachte, zu erklären, daß nicht alle Hussitische
Lehre Ketzerei sei. Dadurch wurde Luther immermehr auf Gottes
Wort allein gestellt. Dies trat auch in seinen Schriften des Jahres
1520 zutage, besonders in dem Büchlein „von der Freiheit eines
Christmenschen." In diesem Büchlein legte Luther dar, daß jeder
getaufte Christ teilnehme an Christus, unserm rechten Hohenpriester,
dem aber auch ein jeder Unterthan sein müsse. In einer andern
Schrift wandte sich Luther an „Kaiserliche Majestät und den christ-
lichen Adel deutscher Nation," und wiederum in einer andern
Schrift verglich er den kirchlichen Zustand mit der „babylonischen
Gefangenheit."
Tie Antwort des Papstes auf diese Schriften und auf ver-
söhnliche Briefe Luthers war, daß er Luther in den Bann that,
worauf dieser mit der Verbrennung der Bannbulle vor dein Elster-
thore zu Wittenberg antwortete. Nun war Luthers Angelegenheit
Sache des ganzen deutschen Volkes und Reiches geworden, und sein
Churfürst Friedrich der Weise setzte es durch, daß Luther unter freiem
Geleit nach Worms zog, wo er am 18. April 1521 die denkwürdigen
Worte sprach: „Es sei denn, daß ich mit Worten der heil. Schrift
und anderweitigen hellen und klaren Gründen widerlegt werde, kann
ich nicht widerrufen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott
helfe mir, Amen."
Leider vermochte es das schlaue Vorgehen der Feinde Luthers,
als schon ein großer Teil seiner Freunde den Reichstag verlassen
hatte, daß Luther in die Acht erklärt wurde, weshalb seine Freunde
ihn gefangen nehmen ließen und ihn nach der Wartburg bei
Eisenach in Thüringen brachten. Jetzt zeigte Luther die ganze
Größe eines echt christlichen deutschen Charakters: von der Kirche
gebannt, von dem Reiche geächtet, von dem Volke, für das er ge-
arbeitet hatte, mit Undank belohnt, arbeitete er unerschrocken und un-
ermüdet für sein deutsches Volk weiter und übersetzte die Bibel aus
dem Grundtext in die deutsche Sprache. Da Luther mit seinem be-
geisterten Glauben und seinem deutschen Herzen die neuhochdeutsche
Sprache durch seine Bibelübersetzung begründete, so wurde die Wart-
burg die Wiege der zukünftigen Einheit der deutschen Nation. Im
Jahre 1522 war schon die Übersetzung des Neuen Testaments voll-
endet und 1534 die Übersetzung der ganzen heil. Schrift Alten und
Neuen Testaments zur Vollendung gediehen. Erst seit dieser Zeit
304
ist es jedem Deutschen möglich, das unverfälschte Gottesmort in seiner
Muttersprache zu lesen und an demselben sich zu erbauen. Darum
wird jeder evangelische Christ das Andenken Luthers dadurch am
besten ehren, daß er aus dem ungetrübten Quell des Gottesmortes
das Wasser schöpft, das in das ewige Leben quillt.
Luther war aber auch darauf bedacht, das deutsche Haus und
die deutsche Schule gleichzeitig mit der Kirche zu erneuern. Nachdem
er seinen Zufluchtsort auf der Wartburg verlassen hatte, um den
Bilderstürmern und Wiedertäufern zu wehren, arbeitete er an einer
neuen Gottesdienstordnung und an einer Neugestaltung der Schulen.
Nach seiner Vermählung mit Katharina von Bora leuchtete er
selbst als Musterbild eines deutschen Hausvaters seinem Volke voran,
wie auch durch die Erbauung im Hausgottesdienst und durch die Er-
ziehung seiner Kinder. An dem Werk der Bibelübersetzung eifrig
mit seinen Gehülfen und Freunden weiter arbeitend, schrieb er
i. I. 1529 seinen großen und kleinen Katechismus, nachdem er
in seinen Kirchen- und Schulvisitationen kennen gelernt hatte, was
dem deutschen Volke not that. 1529 auf dem Reichstag zu Speyer
hatte die evangelische Kirche feierlichen Protest eingelegt gegen die
Unterdrückung der Reformation, und auf dem Reichstag zu Augs-
burg hatten die evangelischen Fürsten und Städte in der im ver-
söhnlichen und milden Sinne Melanchthons verfaßten Augs-
burger Konfession ihren Glauben vor Kaiser und Reich bekannt
(25. Juni 1530). Die Abwehr gegen die vermeintliche Wider-
legung von Seiten der Katholiken erfolgte durch die Apologie (Ver-
teidigung) Melanchthons.
Die Schrecknisse des Schmalkaldischen Krieges zu schauen blieb
Luther erspart. Ein echt deutscher Mann, durchweht von dem heiligen
Geiste, der die christliche Kirche begründet hat, hat er segensreich ge-
wirkt durch sein Vorbild, durch Lehre und Predigt, durch Wort und
Schrift und durch das deutsche Gemeindelied, dessen reichem Kranze
er die köstliche Perle eingefügt hat durch das Siegeslied „Ein' feste
Burg ist unser Gott." Noch ist Luthers Bibelübersetzung, wenn sie
auch im einzelnen berichtigt werden könnte, ein unerreichtes Vorbild.
Sie hat eine neue Sprache begründet, und mit ihr beginnt eine neue
Zeit des deutschen Schrifttums. Luthers Prosaschriften, seine Predig-
ten, sein Katechismus, seine Lieder haben noch nichts von ihrem
Werte verloren, und der Gelehrte, wie der gewöhnliche Mann aus
dem Volke können sich an ihnen erquicken und erbauen. Luthers
letztes Werk war nach so manchen Kämpfen, die einem so gewaltigen
Geiste, wie er war, nicht erspart bleiben konnten, ein Werk der Ver-
söhnung. Streitigkeiten zu schlichten, war er in seine Heimat gezogen.
Das Land, das seine Wiege war, sollte auch schauen, wie ein christ-
licher Glaubensheld von diesem Leben scheidet, um in die Ewigkeit
einzugehen. Am 18. Febr. 1546 ging er ein zum ewigen Frieden.
Auch das Land Mecklenburg ist durch einen Schüler Luthers^
Slüter, frühzeitig der Segnungen der Reformation teilhaftig ge-
305
worden. Wir haben durch unsern Reformator deutsche Prdigt, deut-
schen Katechismus und ein deutsches Gesangbuch bekommen. Darum
wird auch Luthers Andenken in unserm Lande neben dem unserer
Glaubenshelden fortleben im treuen Gedächtnis der Nachwelt. Mehr
als ein Denkmal mahnt das deutsche Volk und Land an Luther und
auch an die mecklenburgischen Reformatoren. So das Slüterdenkmal
auf dem Petrikirchhofe in Rostock.
Am besten werden wir aber Luthers Andenken ehren, wenn wir
das Gotteswort jeder Zeit die Grundlage aller Bildung bleiben lasten
und uns bemühen, in seinem Geiste zu leben und zu handeln.
XVII.
1. Die fleißige, geschickte Hand erwirbt sich Brot in jedem Land. Den
Esel erkennt man an den Ohren, an den Worten den Thoren. Einem Arrnen
fehlt viel, einem Geizigen alles. Freund in der Not, Freund im Tod, Freund
hinterm Rücken, das sind drei starke Brücken. Das Gold ist schwerer, als die
meisten andern Metalle.. Kennt man nicht den Vogel am Gesänge, den Mann an
seinen Reden? — — „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind in dumpfer Stube
beisammen sind."
2. Gott ist der Schöpfer der Welt, auch der Erhalter und Regierer.
Petrus und Johannes waren Apostel, Paulus auch. Sowohl der Hehler, als auch
der Stehler ist strafbar. — Gott läßt wohl sinken, aber nicht ertrinken. Die
Fledermaus ist kein Vogel, sondern ein Säugetier. — Der Wind ist nützlich,
folglich eine Wohlthat. Kein Stein, demnach auch der Kiesel, kann von innen
heraus wachsen. Weiß nicht Gott alles, mithin auch die Gedanken der Menschen?
231. Tetzeis Gotteskästlein.
Der Ablasshandel war auch in Luthers Nähe im vollen
Gange, 1 wurde geschäftsmäßig betrieben, 1br achte Geld ein und
— 1 bethörte die Menschen. — Als der Ablaßkrämer Tetzel
im deutschen Lande umherreiste und 2 den Leiden gegen klingen-
des Geld Absolution für ihre Sünden ertheilte, für die ver-
gangenen und zukünftigen, kam er auch in das Dorf Flechtin-
gen bei Salzwedel in der preussischen Provinz Sachsen und
2predigte dort wie überall gar gewaltig und eindringlich, wie
man durch gide Münze sich schützen könne gegen alle Sünden-
strafe, Höllen- und Feg es euer quälen. Das hörte auch ein
Edelmann, Bernhard von Schenk, mit an, und es erschien ihm
nicht übel, dass man sich mit einer Abzahlung die Freiheit zu
sündigen erkaufen könne. Als der Ablafshändler seine feurige
und geivaltige Rede geendet hatte, kaufte sich der Ritter einen
Ablaßbrief, auf schönem Pergament gedruckt, mit Inschrift
und Siegel Tetzeis und des Ritters versehen. Gleich ihm fan-
den sich noch eine gute Anzahl anderer Edeln aus der Gegend,
auch wohlhabende Leute ein, und alle kauften Ablaßbriefe.
Darauf zog Tetzel weiter mit seinem Geldkasten und einem,
kleinen Gefolge. Wo aber der Flechtinger Forst am einsam-
sten und dichtesten tvar, kam ein Ritter mit einer Schar
Reisigen auf den Mönch los und 2forderte mit blanker Waffe
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 20
306
den vollen Kasten. „Wie, Bernhard von Schenk,11 rief Tetzel
dem Bitter zu, „wollt Ihr meinen Segen haben, so nehmt ihn,
aber bedenkt, dass Kirchenraub die schändlichste Sünde ist,
1 neben Vater- und Muttermord geachtet wird.“ Dass ich, ohne
das Heil meiner Seele zu gefährden, den Kirchenschaiz an mich
nehmen kann, meinte der Bitter, habt Ihr mir ja selbst ver-
brieft gegeben, und hiermit zog er seinen Ablassbrief hervor,
den er dem Mönch vorzeigte. Tetzel widersprach mit Ent-
rüstung, 1verdammte den Baub am Kirchengut, 1redete mit
beweglichen Worten, 1bat um Gnade für sein Gotteskästlein:
es half alles nichts, der Edelmann bestand auf seinem Willen;
auf einen Kampf zwischen den Beisigen des Bitters und seiner
kleinen Schar konnte es aber der Mönch nicht ankommen
lassen.
So nahm Bernhard von Schenk von der fetten Beute
Besitz (2) und rief: Ehrwürdiger Vater, ziehet in Frieden und
gedenket meiner. Darauf trollte Tetzel mit einem Schmerzens-
blick auf seinen lieben Kasten ab, dessen Inhalt der Edelmann
indes nicht zu, eignem Behagen verwandte, 2 sondern dem Dorfe
Flechtingen zum Bau einer Kirche schenkte, die ihr dazumal
noch fehlte. Den Kasten selbst vermachte er der Kirche zu
Wittenberg, ivoselbst er noch aufbewahrt und gezeigt wird. So
machte der Bitter einen guten und löblichen Gebrauch von dem
erkauften Ablasszettel; in andern Händen wurden solche Ab-
lasse oftmals Freibriefe zu Schande und Sünde.
(Deutsche Sagen von Paul ine Schanz, S. 66.)
232. Verlaus der Reformation.
Auf Maximilian I. folgte sein Enkel Karl V. (1519—1556).
Er ist der letzte von einem Papste gekrönte deutsche Kaiser gewesen.
Außer dem deutschen Reiche besaß er noch Spanien, die Niederlande
und beinahe ganz Italien. Als ein so mächtiger Herrscher hätte er
nach menschlicher Ansicht wohl die Ausbreitung des Evangeliums im
deutschen Reiche den Katholiken zuliebe verhindern können. Allein
seine beiden mächtigen Feinde, der katholische Franzosenkönig im
Westen und der muhamedanische Türkenkaiser im Osten beunruhigten
ihn fast immerwährend; genug, er legte wenigstens keine feindlichen
Gesinnungen in Luthers Sache an den Tag. Entschiedener als der
Kaiser und ein edler Beschützer Luthers war der in Sachsen re-
gierende Kurfürst Friedrich der Weise (1486—1525), der für
den Fortgang der Reformation leider zu früh starb. Doch auch sein
Bruder, Johann der Beständige, der ihm folgte, entschied sich
kräftig für Luthers Sache; noch eifriger als Protestant war dessen
Sohn, Johann Friedrich der Großmütige, der es sogar wagte,
reformierend gegen den Kaiser offen aufzutreten. Er mußte darüber
aber seinen Thron einbüßen, und sein Vetter Moritz erhielt die
Kurfürstenwürde; von ihm stammen die jetzigen Könige von Sachsen
307
her. Auch Moritz und seine Nachfolger waren mehr oder weniger
eifrige Förderer der Reformation. Somit hatte im Kurfürstentum
Sachsen die Reformation einen sicheren Hort gefunden. Aber, einem
Senfkorn gleich, drang sie weiter und weiter.
Mit siegender Gewalt bahnte sich Luthers Lehre ihren Weg
durch Völker und Länder. Die Zahl der deutschen Fürsten und
Reichsstädte, welche den Gottesdienst nach Luthers Anordnung ein-
führten, wuchs mehr und mehr. Selbst manche Bischöfe beugten sich
unter Gottes Wort und entsagten der weltlichen Herrschaft. Preußen,
das noch heute der Schirmherr der ganzen evangelischen Kirche ist,
war der erste Staat, welcher die Reformation öffentlich einführte.
Der zweite evangelische Staat war Schweden (1527), ihm folgte
Dänemark (1530). In Würtemberg war seit 1534 die Reformation
eingeführt, 1550 wurde das ganze Land evangelisch und Kirchen- und
Schulwesen in musterhafter Weise eingerichtet, noch heute zum Segen
und Heil des Landes. — In der Schweiz wurde Zwingli, Pfarrer
in Zürich, die kräftigste Stütze der Reformation. Nach ihm trat
Calvin in Genf auf und ging in der Abschaffung der Mißbräuche
in der Kirche noch viel weiter als Luther. Seine Anhänger
nannten sich zum Unterschiede von den Lutheranern Reformirte.
So hatte bis dahin die Reformation im ganzen einen fried-
lichen Verlauf ohne Blutvergießen genommen. Aber schon ein Jahr
nach Luthers Tode brach ein Religionskrieg aus (der Schmal-
kaldische Krieg), der einstweilen damit endigte, daß Kaiser Karl
mit dem siegreichen Kurfürsten Moritz von Sachsen den Religions-
frieden zu Augsburg (1555) schließen mußte, der beiden Kirchen
Deutschlands ungestörte Religionsfreiheit und gleiche Rechte zusicherte.
Im folgenden Jahre legte der Kaiser die Krone nieder und zog sich
still in ein spanisches Kloster zurück. Sein Sohn, König Philipp II.
von Spanien, erbte die meisten Länder seines Vaters. Er war ein
harter Mann und, streng katholisch erzogen, ein entschiedener Feind
der Reformation. Wohin seine Macht reichte, suchte er, wie z. B.
in Holland, die Protestanten auszurotten, indem er sagte: „Lieber
mag ich gar nicht herrschen, als über Ketzer." Glücklicherweise hatte
der Tyrann über Deutschland nicht die Herrschaft; diese führte nach
Karl V. Abdankung dessen Bruder, Ferdinand I. von Östreich
(1556—64), der sofort zum deutschen Kaiser erwählt wurde, als
Karl nach zweijährigem Aufenthalt im Kloster gestorben war?)
Kaiser Ferdinand führte eine friedliche Regierung, die weit von
Glaubensverfolgung entfernt war; auch desien Sohn, Maximilian II.
(1564—76), hatte dieselbe Gesinnung und gewährte den Protestanten
große Begünstigungen; dennoch legte er bei aller Duldsamkeit, welche
er übte, infolge der Halbheit seiner Maßregeln den Grund zu den
späteren Verfolgungen gegen die Protestanten seiner Erbstaaten. Seine *)
*) Sein Neffe, jener tyrannische Philipp II. von Spanien, starb später «n
derselben schrecklichen Krankheit, an der einst der grausame Herodes gestorben war.
20*
308
beiden ihm in der Kaiserwürde folgenden Söhne*) waren noch
weniger um die Erhaltung des kirchlichen Friedens besorgt, und die
Folge davon war, daß der Neid der Katholiken über das Ansehen
und die Zunahme der Protestanten immer mehr wuchs. Als aber
Ferdinand II. (1619—37)*) **) den deutschen Kaiserthron einge-
nommen hatte, ging der Haß der Katholiken in hellen Flammen auf
— gewiß nicht zu verwundern. War doch der neue Kaiser Ferdi-
nand II., selbst mit glühendem Hasse gegen die Protestanten erfüllt!
Da trat eine Zeit ein, so schrecklich, wie Deutschland sie bis dahin
nie erlebt hatte, eine Zeit, die unser Vaterland fast bis an den
Rand des Abgrundes brachte. Ferdinand III., Sohn Ferdi-
nands II., war zwar ein milder Kaiser und bei weitem nicht so ge-
hässig gegen die Protestanten, wie sein Vater, allein es dauerte doch
noch 11 Jahre nach des letzteren Tode, bis er den Frieden zwischen
den Katholiken und Protestanten zustande brachte.
In keinem Lande haben die Protestanten so viel Schmach ans
sich nehmen müssen als in Frankreich. Hier litten sie durch den Haß
und die Verfolgung der Katholiken am schrecklichsten. Die scheußlichste
Greuelthat ereignete sich, als Maximilian II. noch über Deutschland
die Kaiserwürde inne hatte. In der Bartholomäusnacht nämlich
(21. Aug. 1572) war es, als auf ein verabredetes Zeichen (durch die
Sturmglocke) gedungene Mordkerle und ein Haufen katholischen
Pöbels über die Protestanten, die man spottweise „Hugenotten"
nannte, herfielen und die unschuldigen Brüder mordeten, wo sie sie
nur fanden. Drei Tage lang dauerte in Paris und einigen andern
Städten das schreckliche Wüten und Morden. An 30,000 Huge-
notten sind von ihren eigenen Landsleuten ermordet. Und diese
scheußliche That, die „Pariser Bluthochzeit" genannt, die selbst
die bessern Katholiken laut verabscheuten, hat den Papst in solchem
Maße erfreut, daß er ein allgemeines Jubelfest in der Kirche an-
ordnete! (Nach Kappe u. Bender.)
233. England.
1. Als der deutsche Kaiser Karl V. noch lebte, regierte als König in
England sein Vater, Heinrich VIII. Weil der Papst nicht willens war, auf
seine Wünsche einzugehen,***) entzweite Heinrich sich mit demselben und fing in
England zu reformieren an. Er hob hie Klöster auf, er erlaubte jedermann, die
Bibel zu lesen, er zeigte den Geistlichen an, daß sie nur ihm und nicht dem
Papste zu gehorchen hätten; genug, er führte die Reformation ein. Nach des
Königs Tode hatten die Protestanten unter seiner ihm in der Regierung folgenden,
streng katholisch gesinnten Tochter Marie einige Jahre der Trübsal durchzukosten;
*) Rudolf und Matthias.
**) Er war Maximilian II. Neffe, ein Sohn desselbigen Bruders, Karl
von Steiermark, und kam nach dem Ableben seines Vetters Matthias, des zu-
letzt als Kaiser regierenden Sohnes Maximilians II., auf den Thron.
***) König Heinrich wollte sich aus nichtigem Grunde von seiner Gemahlin scheiden lasiert;
der Papst aber verweigerte die Ehescheidung, weil solche in der katholischen Kirche verboten ist.
309
um so mehr aber kam die reine Predigt wieder zur Geltung, sobald ihre ganz
protestantisch gesinnte Schwester Elisabeth ihr auf dem Throne folgte. Das
lautere Wort Gottes nach Luthers Lehre hatte nun ungehinderten Eingang im
ganzen Lande, und England fing an, unter der segensreichen Regierung Elisabeths
groß und mächtig zu werden. Damals lebte auch der berühmte Seeheld Franz
Drake,*) der die Kartoffel aus Amerika nach Europa brachte. Elisabeth war es
auch, die den bedrängten Protestanten in Holland Beistand leistete, als ver böse
König Philipp II. von Spanien, der Verfolger aller Anhänger Luthers, die Re-
formation unter den Holländern wieder ausrotten wollte.
2. Zu England gehört Schottland und die Insel Irland. Jene
beiden Reiche bilden ebenfalls eine Insel und heißen zusammen Großbritannien.
Alle 3 Teile, über welche seit 1837 die Königin Victoria regiert, nennt man
das britische Reich. Worauf ist es besonders angewiesen, da es rund herum
im Wasser liegt, zumal es im ganzen ein ergiebiges Land mit blühender Industrie
ist? Der Engländer ist Kaufmann durch und durch und zeigt sich in allen Lebens-
lagen als berechnender Krämer; daher kann man sich nicht wundern, daß England
schon früh seine Hände nach überseeischen Besitzungen ausstreckte. Im Handel ist
England der erste Staat in der Welt. Das Klima Großbritanniens ist in den
Ebenen feucht und gemäßigt, der Sommer nicht zu heiß, der Winter nicht zu kalt,
ja im südlichen England fällt in manchem Jahr nicht einmal Schnee; dagegen ist
das schottische Gebirge sehr rauh und fast immer in Nebel gehüllt; selbst in seinen
Thälern gedeiht kaum noch der Hafer. Nebel und trübe Luft sind dem Engländer
sehr gewohnte Erscheinungen, die im Verein mit seinem Krämersinn wohl imstande
sind, seinen Charakter und sein ganzes Wesen zu beeinflussen oder zu bestimmen.
Daß man zu Zeiten in London wegen des dicken Nebels den ganzen Tag die
Gasflammen nicht löscht, ist nichts Neues. — Englands Manufakturen in Wolle,
Baumwolle, auch in Seide, Leinwand und Leder, wie seine Fabriken sind im höchsten
Schwünge. Nicht minder wichtig sind die Fabriken in Eisen, Stahl, Zinn, Kupfer,
Glas re. Das beste Zinn ist das englische; englische Waren gehen nach allen
Ländern der Welt. Gerste und Hopfen baut man dort ganz vorzüglich, und daher
ist auch das englische Bier als das beste bekannt. Der Fischfang an den Küsten
ist ganz bedeutend, so auch der Walfischfang in den nördlichen Meeren. London,
Englands Hauptstadt, ist die erste Handelsstadt der Welt und die größte in
Europa, noch 3mal größer als Berlin. — Auch Schottland ist an Eisen und
Fischen sehr reich, hat treffliche Schafzucht und Überfluß an Steinkohlen. Irland
ist größtenteils eben und sein Klima demjenigen in England gleich, nur noch feuchter.
Schnee ist selten, doch eben so selten auch ein blauer Himmel. Irland hat im all-
gemeinen guten Boden und namentlich im Süden reiche Weiden. Was für einen
Einfluß muß dieser Umstand auf Ackerbau und Viehzucht haben? In Irland ist
die herrschende Religion die katholische. Das Volk steckt in tiefer Unwissenheit
und Roheit und besitzt gegen England, mit dem es seit 1801 wider seinen Willen
vereinigt worden ist, großen Haß. Die Hauptstadt am irländischen Meer ist
Dublin, die in Schottland heißt Edinburg.
(1. Kappe. 2. Nach Verschiedenen.)
*) Sprich aus: Dräh k.
310
XVIII.
1. Almosengeben armet nicht, Kirchengehen säumet nicht. Wahrheit giebt
kurzen Bescheid; Lüge macht viel Redens. Junges Blut, spar dein Gut; Armut
im Alter wehe thut. Nach oben schau, auf Gott vertrau, nach Wolken wird der
Himmel grau; durch Wüstensand auf rauher Bahn geht's endlich doch nach Kanaan.
2. Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig. Gottes
Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen sicher. Redlich sei des Herzens Grund;
redlich spreche auch der Mund. — Eintracht bauet Häuser, allein Zwietracht reißet
sie wieder nieder. Der wahre Freund ist nicht nur Freund im Glücke, sondern
er bewährt sich auch in der Not. Entweder wandert der Mensch auf schmalem
Wege, oder er geht den breiten. — Die Erde ist rund; folglich ist ihr Schatten
bei jeder Lage rund. Wir können nicht in die Zukunft sehen; deshalb wissen wir
weder Glück noch Unglück vorher. Der Mensch ist das vornehmste Geschöpf; denn
er ist mit göttlichen Kräften ausgerüstet.
234. Der dreißigjährige Krieg. 1618—1648.
Die Spannung zwischen den beiden Kirchenparteien in Deutsch-
land wurde immer größer, 2und gerade 101 Jahre nach Beginn der
Reformation brach der dreißigjährige Krieg aus, der schrecklichste,
welcher jemals unser Vaterland heimgesucht hat. Am Ende desselben
war der allergrößte Teil eine Wüste, in welcher einzelne hungernde,
elende Familien ohne Obdach und Erwerb umherirrten. Gar viele
Ortschaften, welche der Krieg zerstörte, sind gar nicht wieder auf-
gebaut worden, Mfjr Name haftet heute an einer Feldflur. Was
Hungersnot, Mord, Brand und Plünderung übrig ließ, erlag pest-
artigen Seuchen. Von 17 Millionen Bewohnern waren etwa 4 Millio-
nen übrig geblieben; *es war niemand da, den Acker zu bestelleu,
2imb wo es noch ausgeführt werden konute, vernichteten die durch-
ziehenden rohen Kriegshorden, plündernde Banden und zügelloses
Gesindel die Saaten. Es erscheint uns heute geradezu unmöglich,
was von dem Jammer und Elend dieses über alle Maßen grausam
geführten Krieges erzählt wird, in welchem weder Recht noch Gesetz
oder Treue, 2sondern nur die rohe Willkür der Soldaten galt.
In den ersten zwölf Jahren des Krieges kamen die Evange-
lischen in große Not und in Gefahr, alles zu verlieren, was sie an
Ländern, Städten, Kirchen und Schulen, an Rechten und Freiheiten
durch schwere Kämpfe erworben hatten. Der große Feldherr der
Kaiserlichen, Wal lenstein, welcher seine Armee durch Raub und
Plünderung ernährte, eroberte Norddeutschland und wurde zum Herzog
von Friedland und von Mecklenburg ernannt. An dem festen Stral-
sund, welches ec herunterreißen wollte, und wenn es mit Ketten an
den Himmel gebunden wäre, scheiterte sein Stolz. Die Klagen über
seine Gewaltthaten mehrten sich endlich so sehr, 2 daß der Kaiser
1630 dem Gewaltigen gebot, seine Armee zu entlassen, 2weil er nach
solchen Erfolgen nicht glaubte, seiner ferner zu bedürfen; ^Wallen-
stein gehorchte.
In der großen Not, in welche die Evangelischen geraten waren,
erschien ihnen ein Retter und Helfer aus Norden. Das war Gustav
311
Adolf, der König von Schweden. Er war ein gewaltiger Feldherr,
voll Mut und Entschlossenheit, fromm, edel, tapfer und kriegsver-
ständig, wie wenige. Dieser Mann stellte sich an die Spitze der
Evangelischen, ^und siehe, *er riß die zaghaften deutschen Fürsten mit
sich fort. Rasch machte er sich zum Herrn von Mecklenburg und
Pommern, woraus er die Kaiserlichen vertrieb, und schloß Bündnisse
mit Frankreich, England und Holland. Einige deutsche Fürsten
schlossen sich ihm sofort an, ^aber die meisten hielten es aus Furcht
noch mit den Kaiserlichen. Inzwischen hatte der schreckliche kaiserliche
Feldherr Tilly die durch ihn hart belagerte Stadt Magdeburg
(am 20. Mai 1631) erstürmt, entsetzlich geplündert und gänzlich zer-
stört. Unmenschlich wüteten hier die in den Kriegsgreueln schon ver-
wilderten Soldaten. Fast alle Männer wurden umgebracht; *es
wurde nicht Weib, nicht Kind geschont. Von 35,000 Einwohnern
blickte der grausame Sieger auf 30,000 Leichen herab, ^und infolge
des angelegten Feuers blieben von der ganzen Stadt nur der Dom
und etliche kleine Häuser stehen.
Die Zerstörung der schönen Stadt Magdeburg empörte die
deutschen Fürsten so sehr, ^daß sie sich nunmehr alle Gustav Adolf
anschlossen. Die Evangelischen rückten alsbald den Kaiserlichen ent-
gegen. Bei Breitenfeld unweit Leipzig wurde am 7. September
1631 die große, für die Schweden siegreiche Schlacht geschlagen.
„Das ist für Magdeburg", Magte König Gustav Adolf, ^dann aber
dankte er knieend auf der Kampfstätte dem Allmächtigen für den
Sieg. Darauf verfolgte er Tilly, ereilte ihn im südlichen Bayern
am Lech und schlug ihn zweimal. Tilly starb schwer verwundet im
73. Jahre seines Lebens. Da nahm der Kaiser, der den Protestantis-
mus hassende Ferdinand II., in seiner Bedrängnis seine Zuflucht
wieder zu dem abgesetzten Wal len stein, dem er den Oberbefehl
übergab. Wallenstein sammelte bald ein Heer und zog nach Sachsen.
Gustav Adolf folgte ihm dahin. Bei Lützen traf er auf das feind-
liche Lager und griff es an, geriet aber zu nahe an den Feind, ^und
eine Kugel zerschmetterte seinen linken Arm. Der edle Kämpfer für
die evangelische Sache starb auf dem Schlachtfelde. Erbitterung über
den verlorenen, geliebten König feuert setzt die Schweden an, ^und
wie lange auch die heiße Schlacht noch wütet, ^die Evangelischen er-
ringen den Sieg über die Kaiserlichen. Finster zürnend floh Wallen-
stein nach Böhmen; 1 t)ier bezog er ruhig die Winterquartiere. Ein
Jahr später entließ ihn der Kaiser und erklärte ihn für einen Ver-
räter und Rebellen, ^weil er hinter dem Rücken des Kaisers bald
mit diesem, bald mit jenem Fürsten Verträge abgeschlossen hatte.
Vier Wochen später wurde er von einem kaiserlichen Hauptmann er-
mordet. Nach einigen Jahren starb auch der Kaiser, ^und es folgte
ihm sein besser gesinnter Sohn Ferdinand III. Die Kämpfe aber
dauerten fort, ^und war die Zeit eines kürzeren oder längeren
Waffenstillstandes vorüber, Zimmer wieder wurde der Kampf auf-
genommen. Schließlich waren wohl dem Kaiser und den deutschen
312
Fürsten das Kriegen und Blutvergießen um der Religion willen,
das L-engen und Brennen zum Ekel geworden: *es wurde endlich
(nach 30 Jahren!) zu Münster und Osnabrück Frieden geschlossen
(1648), welchen man den Westfälischen Frieden nennt.
(Nach Preuß Kinderfreund, S. 165—168.)
235. Die Tabakspfeife.
Gott grüß euch, Alter! Schmeckt
das Pfeifchen?
Weis't her! — Ein Blumentopf
Von rotem Thon mit goldncn Reifchen;
Was wollt ihr für den Kopf?
„O Herr, den Kopf kann ich nicht
lassen!
Er kommt vom bravsten Mann,
Der ihn, Gott weiß es, welchem Bassen
Bei Belgrad abgewann.
Da, Herr, da gab es rechte Beute!
Es lebe Prinz Eugen!*)
Wie Grummet sah man unsre Leute
Der Türken Glieder mäh'n."**)
Ein andermal von eucrn Thaten;
Hier Alter, seid kein Tropf!
Nehmt diesen doppelten Dukaten
Für euren Pfeisenkopf! —
„Ich bin ein armer Kerl und lebe
Von meinem Gnadensold;
Doch, Herr, den Pfeifenkopf, den gebe
Ich nicht um alles Gold.
Hört nur! Einst jagten wir Husaren
Den Feind nach Herzenslust;
Da schoß ein Hund von Janitscharen
Den Hauptmann in die Brust.
Ich hub ihn flugs auf meinen
Schimmel —
Er hätt' es auch gethan —
Und trug ihn fort aus dem Getümmel
Zu einem Edelmann.
Ich pflegte sein. Vor seinem Ende
Reicht' er mir all' sein Geld
Und diesen Kopf, drückt' mir die Hände,
Und blieb im Tod noch Held.
Das Geld mußt du dem Wirte
schenken,
Der dreimal Plünd'rung litt —
So dacht ich; und zum Angedenken
Nahm ich die Pfeife mit.
Ich trug auf allen meinen Zügen
Sie wie ein Heiligtum,
Wir mochten weichen oder siegen,
Im Stiefel mit herum.
Vor Prag verlor ich auf der Streife
Das Bein durch einen Schuß,
Da griff ich erst nach meiner Pfeife
Und dann nach meinem Fuß." —
Ihr rührt mich, Alter, bis zu Zähren;
O, sagt, wie hieß der Mann?
Damit auch mein Herz ihn verehren,
Und ihn beneiden kann.
„Man hieß ihn nur den tapfern
Walther,
Dort lag sein Gut am Rhein."
Das war mein Ahne, lieber Alter,
Und jenes Gut ist mein.
Kommt, Freund, ihr sollt bei mir nun
leben;
Vergesset eure Not!
Kommt, trinkt mit mir von Walther's
Reben,
Und eßt von Walther's Brot! —
„Nun topp! Ihr seid sein wackrer Erbe!
Ich ziehe morgen ein,
Und euer Dank soll, wenn ich sterbe,
Die Türkenpfcife sein!" (Pfcffel.)
*) Das ist Franz von Savoyen, 1663 zu Paris geboren; er trat als 20jähr. Jüng-
ling in östreichische Dienste und hat 53 I. als großer Feldherr und Staatsmann dreien Kaisern
treu gedient (Leopold I-, Josef I. und Karl VI.)
**) 1689 beim Sturm der Östreicher auf die tUrkische Festung Belgrad, wobei der
tapfere Eugen sich ganz besonders auszeichnete.
313
236. Friedrich I., der erste Holienzoller in
Brandenburg.
Heinrich der Vogelsteller hatte, wie ihr bereits ge-
lesen habt, gegen die feindlichen Wenden die Mark-
grafschaft Nordsachsen gegründet (928); 1133 ward mit
ihr Albrecht der Bär durch Kaiser Lothar belieben.
Albrecht hatte tuegen seiner Tapferkeit jenen Beinamen
erhalten; denn es wird von ihm berichtet, dass er fast
das ganze Land der Wenden eroberte und ihrer Herr-
schaft in demselben dauernd ein Ende machte. Er
führte die deutsche Sprache unter ihnen ein, erbaute
die Stadt Berlin und andere Städte, nahm zum An-
bau fruchtbarer Stellen in seinem Ijunde viele Holländer
auf, vergröfserte mehr und mehr sein Land und be-
festigte seine Herrschaft durch Vertreibung der auf-
rührerischen Wenden. Seit er zu Nordsachsen die Ost-
mark (die jetzige Niederlausitz) erhalten hatte, nannte
er sich Markgraf von Brandenburg. Seine Nach-
folger regierten gleicherweise mit grosser Umsicht und
trugen zur Blüte des Landes viel bei, starben aber im
vierten Gliede aus (1320), worauf eine Zeit trauriger
Verwirrung und Zerrüttung folgte, ivelcher endlich
Kaiser Sigismund dadurch ein Ende machte, dass er
den beliebten und tüchtigen Burggräsen von Nürn-
berg, Friedrich VI. aus dem Hause Hohenzollern,
die Mark Brandenburg und die Kurwürde verlieh.
Der Kaiser Sigismund hatte keinen treueren Freund
und klügeren Ratgeber gehabt als diesen Burggrafen /
besonders seinem Einflüsse verdankte Sigismund auch
die Kaiserkrone. Eben ihn zu belohnen, setzte er den
Burggrafen (1411) zu seinem erblichen Statthalter über
die Mark Brandenburg. Zwei Jahre später erhielt der-
selbe dann die förmliche Belehnung als Friedrich I.,
Kurfürst zu Brandenburg. Er ist also der erste
hohenz oller sehe Regent des preussischen Staats.
Der Kurfürsten waren sieben in Deutschland, sie hatten
das Recht, einen neuen Kaiser zu ivählen, wenn der
alte gestorben war.
314
Friedrich tear ein wackerer Fürst. Man hatte
ihn schon früher, als er noch in Nürnberg das Burg-
grafenamt verwaltete, des „Reiches Edelmann“ genannt;
denn unter allen Grossen des Reichs ragte er hervor
durch Gerechtigkeit und Güte, Weisheit, Tapferkeit und
Bildung. Der preussische Adel, der überhaupt schon
manchem Regenten das Leben sauer gemacht und selbst
dessen weisesten Pläne durchkreuzt hat, zeigte sich auch
ihm gegenüber ividerspenstig und trotzte selbst der Reichs-
acht des Kaisers. Aber Friedrich verstand den trotzigen
Adel zu beugen und seinem seit fast 100 Jahren zer-
rütteten Lande Ruhe, Ordnung, Festigkeit und edlere
Sitte zu geben. Die Treue, welche der weise und edle
Churfürst dem Kaiser geschworen hatte, hat er unver-
brüchlich gehalten, und stets war er für denselben zum
Kriege bereit, bot aber auch immer zuerst die Hand
zum Frieden. Er war zwar auf Yergr'öfserung seines
Hauses auch bedacht, aber niemals hat er sie auf
dem Wege des Unrechts gesucht, und — ein solches
Streben ist bei seinen ruhmvollen Nachkommen geblieben
bis auf den heutigen Tag. Churfürst Friedrich I. be-
sass damals nicht mehr als ehe a 400 QMeilen Land
(22,500 \ff\km.), und doch tear es der Anfang eines
Reiches, icelches einst „vom Fels zum Meere“ reichen
und der Schutz von ganz Deutschland teer den sollte.
Friedrichs Nachkommen regierten zum grössten
Teil in seinem Geiste fort, mehrten das Land und
hielten auf Ordnung. Ganz vorzüglich wichtig ist die
Erbordnung des Churfürsten Albrecht (1470—86),
seines Enkels, in ivelcher bestmimt ward, dass nur der
Erstgeborene Erbe der sämtlichen Brandenburger
Länder sein könne, und seine Nachkommen ihm im
Besitze derselben folgen sollten. Ohne dieses, aller Zer-
stückelung vorbeugende Hausgesetz wäre Brandenburg
nie zu dem jetzigen Ansehen gelangt! Unter Albrechts
Enkelsohn, Joachim II., (1535—71) ivard die Re-
formation eingeführt; auch erlangte derselbe die Mit-
belehnung auf Ost-Preussen. Joachim II. Enkelsohn,
Churfürst Georg Wilhelm (1619—40) hatte die sturm-
315
volle Zeit des 30jährigen Krieges durchzukämpfen.
Leider war er ein schwacher Fürst, der immer schwankte,
oh er es mit dem Kaiser oder mit den Schweden
halten sollte. Gerade dadurch stürzte er aber sein
Land ins Unglück, ja er musste es erleben, dass Pom-
mern, dessen Erbfolge Brandenburg schon früher zu-
gesichert war, die Schweden wegnahmen (1637). Nach
3 Jahren starb er. Da ward sein Sohn Friedrich
Wilhelm, der grosse Kurfürst, sein Nachfolger
(1640-1668).
(Nach Bender und Zaebariä Lehrbuch.)
237. Der große Kurfürst.
Der Kurfürst Friedrich Wilhelm war ein Jüngling von
zwanzig Jahren, als ihn Gott 1640 zur Regierung der preußisch-
brandenburgischen Lande berief. Er verhieß als Knabe schon Großes.
Gustav Adolf hatte er sich zum Vorbilde genommen. Die Holländer
zeichneten sich damals durch Heldenkraft, Kunst und Wisienschaft vor
allen Völkern aus und am Hofe in Holland auf der Hochschule zu
Leyden und im Feldlager hatte sich der junge Fürst alles angeeignet,
was ihm zu seinem erhabenen Berufe nötig schien. Der Krieg
wütete noch immer. In Brandenburg und Pommern hauseten noch
die Schweden, die rheinischen Lande waren von Holländern und
Spaniern besetzt, und Preußen stand unter der Herrschaft der Polen.
Das Volk sehnte sich nach Rettung aus der schrecklichen Rot. Was
für Zeiten waren das dazumal in Deutschland! Und noch acht lange
Jahre hat der schreckliche Krieg das Land verwüstet. Wie grauen-
haft sah es auch in dem Lande des jungen Kurfürsten aus, in dem
er selbst nicht einmal Herr war, da es teils die Schweden, teils die
Kaiserlichen besetzt hatten. Wer damals die Mark durchzog, dem
kamen die Thränen in die Augen über den Greuel der Verwüstung.
Wo früher blühende Dörfer gestanden hatten, da sah der Wanderer
nichts als Schutt, und das Gras wuchs über den Trümmern. Viele
Gotteshäuser waren ein Raub der Flammen geworden; die Felder
lagen kahl und wüste. Zu tausenden hatte der Krieg die Menschen
dahin gerafft, und was noch das Schwert verschonte, das riß Hungers-
not oder Pest ins Grab. In Berlin waren von 20,000 Ein-
wohnern noch 6000 übrig, und unter diesen hunderte, die nur das
nackte Leben besaßen; der leeren Häuser gab es mehr, als der be-
wohnten; der Handel war verschwunden, für Prediger und Lehrer
kein Gehalt vorhanden. Die einst blühende Mark Brandenburg war
richtig eine Wüste. So sah das Erbe aus, welches der Kurfürst
übernommen hatte. So sah's in Mecklenburg, in ganz Deutsch-
land aus.
316
Aber Friedrich verzagte nicht. Mit Mut und Gottvertraueu
begann er sein Werk. Zunächst suchte er mit treuer Sorgfalt den
Ackerbau zu heben, und das ist ihm herrlich gelungen. Allmählich
wuchs wieder der Wohlstand des Landes. Damit ein schnellerer
Verkehr stattfinde, ließ er die Landstraßen verbessern, den nach
ihm benannten Friedrich-Wilhelm-Kanal, der die Oder mit
der Spree verbindet, anlegen und Landesposten einrichten. Neue
Schulen wurden ins Leben gerufen und mit Eifer die Kirchen
wieder aufgebaut, welche in Trümmern lagen. Er erließ Bauern-,
Gesinde- und Hirten-Ordnungen. Überall suchte er die Quellen
des Erwerbes zu heben und zu vermehren. Dabei hielt er auf
Ordnung und Pünktlichkeit in der Verwaltung und reiste viel im
Lande umher, um alles nachzusehen und mit eigenen Augen und
Ohren zu prüfen. Er setzte es auch durch, daß die Lutheraner und
Reformirten auf Grund der gemeinsamen augsburgischen Konfession
unter dem Namen „Evangelische" gleiche Rechte mit den Katho-
liken erhielten. Friedrich zeigte aber auch, daß er ein echter, deutscher
Kriegsheld war. Als solcher strebte er darnach, Preußen von der
Oberhoheit Polens zu befreien. In der dreitägigen Schlacht bei
Warschau besiegte der berühmte Feldmarschall Derfflinger, der
frühere Schneiderbursche, die Polen. Dann kam der Kurfürst dein
Kaiser zu Hülfe gegen die Franzosen am Rhein. Aber während-
des überzogen die Schweden die brandenburgischen Länder und er-
neuerten daselbst die Greuelthaten des dreißigjährigen Krieges. Herz-
haft ging Friedrich den Eingedrungenen zu Leibe und griff sie unter
dem Feldgeschrei „mit Gott" bei Fehrbellin (6 Meilen von Berlin)
an. Wo die Gefahr am größten war, erschien der Kurfürst selbst.
„Getrost, tapfere Soldaten," ermunterte er seine Leute, „ich, euer
Fürst, will siegen oder mit euch sterben!" Er erfocht einen glänzen-
den Sieg; die Schweden waren aus Deutschland vertrieben. Als
.dann der französische König (Ludwig der XIV.), der dem Reiche
schon Straßburg geraubt hatte, sich mit den Türken gegen Deutsch-
land verband, da verbündete sich Friedrich mit dem Kaiser gegen
den Erbfeind. Der Kurfürst gedachte geradeswegs auf Paris los-
zugehen und dort dem übermütigen Franzosenkönig den Frieden zu
diktieren. Mit solchen Gedanken, die nach Gottes Willen erst
126 Jahre später zur Ausführung kommen sollten, trug sich der
greise Kurfürst, als er 1688 starb.
So hat der Kurfürst Friedrich Wilhelm der Große in reichem
Segen 48 Jahre regiert, und wenn auch seine Vorgänger wacker
vorgearbeitet hatten, so ist er doch der eigentliche Gründer des
preußischen Staates gewesen. Mit Arbeit und Sorge für sein Land
verbrachte er seine Tage, im Leben seinen Unterthanen ein gutes Vor-
bild. — Friedrich III. ließ durch den Baumeister Schlüter seinem
Vater ein meisterhaftes Reiterbild setzen, des großen Kurfürsten würdig.
(Ranke u. a.)
317
238. Die Erhebung Preußens zum Königreich.
(18. Januar 1701.)
Der Erbe und Nachfolger des großen Kurfürsten, der Kurfürst Frie-
drich III., hat das Versprechen seines Vaters, dem Kaiser gegen alle Feinde
Deutschlands zu Helsen, treu und ehrlich gehalten. Überall finden wir die Truppen
Friedrichs an der Seite der Kaiserlichen, und überall helfen sie den Sieg ent-
scheiden. — Solcher treuen Hülfe konnte der Kaiser es nicht versagen, seine Zu-
stimmung dazu zu geben, daß Kurfürst Friedrich III. als Friedrich I. den
Königstitel annahm. Es ist wohl zu bemerken, daß Friedrich nur des Kaisers
Zustimmung verlangte. Er selbst aber wollte sich zum Könige machen und krönen.
Daß er König von Preußen, nicht König von Brandenburg wurde, geschah des-
halb, weil er blos im Herzogtum Preußen unabhängig vom deutschen Reiche war;
während er als Kurfürst von Brandenburg ein deutscher Reichsfürst blieb, konnte
er doch zugleich in Preußen ein unabhängiges Königtum errichten.
Die Krönung ging in Königsberg vor sich. Am 18. Januar 1701,
dem lang ersehnten Tage der Krönung, legte Friedrich im Schlosse den glänzend-
sten königlichen Schmuck an. Mit eigenen Händen setzte er sich in Gegenwart der
Großen seines Hofes die Krone auf und ergriff das Scepter, um anzudeuten, „daß
er seine königliche Würde keinem auf der Erde zu danken, solche vielmehr sich
selbst gegeben habe." Dann begab er sich in feierlichem Zuge mit der Königin
unter dem Geläute aller Glocken zur Schloßkirche. Da bestiegen sie die Throne
auf beiden Seiten des Altars. Nach Predigt und Gesang wurde zu der Haupt-
feierlichkeit, der Salbung, geschritten. Friedrich legte Krone und Scepter von sich,
knieete vor dem Altar nieder und betete; dann empfing jn die Salbung, ebenso
die Königin. Am Abend ergötzte man sich an der glänzend erleuchteten Stadt und
an prächtigem Feuerwerk. Zum Schluß aller Feierlichkeiten wurde im ganzen
Lande ein Dank- und Bctfest gehalten. Preußen war in die Reihe der europäischen
Königreiche eingetreten, um fortan seine wohlerworbene Stellung unter denselben
mit immer steigendem Ruhme zu behaupten.
Zum Gedächtnis des Krönungstages wurde das Waisenhaus in Königsberg
und ein großes Armenhaus in Berlin gestiftet. Wie sein Vater, so nahm auch
König Friedrich gern protestantische Einwanderer auf; er ließ bald hier, bald da
brach liegendes Land urbar machen und Tabak-, Obst- und Gemüsebau fleißig be-
treiben. Ein großes Werk war die eigens für die Lutheraner gestiftete Universität
Halle, an welche der König gelehrte Männer berief. Unter letzteren wurde der
fromme August Hermann Francke der Stifter des Halleschen Waisenhauses.
Mit noch nicht 14 Mark von dem gottvertrauenden Francke den Bau angefangen,
ist letzterer zu einer kleinen Stadt angewachsen, die verschiedene Schulen und andere
großartige Anstalten aufweist, in deren einer z. B. die ersten wohlfeilen Bibeln
hergestellt sind.
Es darf aber von König Friedrich nicht verschwiegen werden, daß er eine
recht schwache Seite hatte: er liebte Prunk und Glanz, verschwendete daher viel
Geld und brachte das Land in Schulden. Sein Ziel war ein höherer Glanz seines
Hauses und seiner Macht.
Während Preußen unter seinem ersten König (1688—1713) in seinem
Ruhme gestiegen und in die Reihe der europäischen Königreiche getreten war, re-
318
gierte in Rußland Peter der Große, dessen Streben demjenigen seines preußi-
schen Nachbarn mehrfach ähnlich war. Peter war es, der sein ausgedehntes Reich
emporbrachte; nicht mit Unrecht hat die Geschichte ihm den Beinamen „der Große"
gegeben. (Hahn u. a.)
239. Peter der Große von Rußland (1682—1725).
Vor etwa 200 Jahren sprach man noch von Rußland so fremd,
wie jetzt ungefähr von den Tartaren und Mongolen. Der Mann,
durch den es anfing anders zu werden, war Zar (d. h. König)
Peter der Große. Schon als Kind legte er große Wißbegier an
den Tag und überall zeigte er Mut und einen festen Willen.
Einmal spielte er, wie häufig, mit einer Schar Russenknaben Soldat;
ein junger Schweizer leitete das Spiel, wobei er dem lernbegierigen
Peter viel von den Merkwürdigkeiten der andern europäischen Länder
erzählte und wie da alles viel ordentlicher und menschlicher zugehe
als in Rußland. Da brannte der junge Zar vor Begierde, später
auch in seinem Lande solche nützliche Einrichtungen zu machen. Als
er den Herrscherthron bestiegen hatte, ging er denn auch rasch ans
Werk und ließ viele fremde, geschickte Leute ins Land kommen, um
die Russen unterrichten zu lassen. Ja, er wollte sehen, wie es in
andern Ländern hergehe und durchreiste nach einander Deutschland,
Holland und England. In dem Dorfe Saardam in Holland, Amster-
dam gegenüber, blieb er sieben Wochen, um dort, als Schiffsjunge
gekleidet, den Schiffsbau zu lernen. Er war der fleißigste unter den
Arbeitern, die ihn eine geraume Zeit gar nicht kannten. Seine kleine
Hütte, in der er wohnte, ist noch zu sehen. Als er nach Rußland
zurückgekehrt war, ließ er viele vornehme junge Leute hinauswandern
und ferne Länder besehen, damit sie, wenn sie wieder käuten, das
erlernte Gute und Nützliche im eigenen Lande erzählen und ver-
breiten könnten. Jedermann, der Lust zum Arbeiten hatte und bereit
war, nützliche Kenntniffe zu lehren, war in Rußland ivillkommen,
wurde von Peter begünstigt und fand unter den Russen sein gutes
Brot.
Die alte Hauptstadt des Reiches, Moskau, gefiel dem Zar
nicht; er wollte gern nahe am Meere wohnen. So fing er denn
1703 an, eine neue Stadt an der Newa und nicht fern vom finnischen
Meerbusen zu erbauen und nach seinem Namen „Petersburg" zu
nennen. So viele Schwierigkeiten bei der Erbauung von Petersburg
wegen der sumpfigen Gegend und der mühevollen Herbeischaffung der
Baumaterialien neben dem Mangel an Bauwerkzeugen und guter
Verpflegung zu überwinden waren, so schwer ging es auch bei Peters
anderen Verbesserungen, Dazu kam, daß die Russen die neuen Dinge
gar nicht haben wollten und sich mehrere Male empörten. Der Zar,
jähzornig und roh, unterdrückte und bestrafte ihre Aufstände mit
fürchterlicher Strenge und zwang die Russen mit Gewalt zu dem,
was er für das Bessere hielt. Er war bis an sein Ende bestrebt.
319
durch Einrichtung von Schulen und Einführung feinerer Sitten sein
Volk zu beglücken. Peter der Große starb i. I. 1725 an einer Er-
kältung, die er sich bei Rettung eines Bootes im kalten Winter zu-
gezogen hatte. (Kappe.)
240. Rußland.
Aus der Reihe unserer Nachbarn habt ihr ein wenig „über Land und
Leute" bereits von Italien, Frankreich, der Schweiz und Holland gelesen; jetzt
sollt ihr auch noch etwas von unserm großen Nachbarlande Rußland hören. —
Das russische Reich ist, wie euch schon ein flüchtiger Blick auf die Landkarte belehrt,
ein so ausgedehntes, vaß es über die Hälfte unsers Weltteils einnimmt; denn
wenn ihr sämtliche europäischen Länder in Rußland hineinlegen könntet, so würdet
ihr finden, daß ihr noch ein zweites Deutschland und ein zweites Italien hinzu-
nehmen müßtet, um jenes ungeheure Reich zu bedecken. Das ist doch etwas Ge-
waltiges! Muß man nicht erst recht staunen, wenn die Landkarte von Asien uns
belehrt, daß Rußland im Norden dieses Weltteils noch ein zweites Reich, das
asiatische Rußland, besitzt, das fast noch dreimal größer ist, als das europäische
Rußland? Der Zar beherrscht also ein Reich, das mehr als doppelt so groß ist
wie ganz Europa — —! Dem entsprechend ist auch der äußere Glanz und die
äußere Herrlichkeit im Leben der Herrscher und Fürsten, aller Großen und Reichen
im Lande. „Doch äußrer Glanz thuts nicht allein, der Kern muß stark und fest
und rein sein." Obgleich der Boden Rußlands, sein Klima im allgemeinen und
seine Gewässer (d. i. seine großen Flüsse, Seen und das offene Meer) alle Be-
dingungen bieten, das Reich zu einem der größten Kulturstaaten der Welt zu er-
heben, so sicht es doch im Innern unter Land und Leuten schwarz, trübe, trostlos
aus. In Rußland gilt nur blinde Unterwürfigkeit; Bestechungen und Erpressungen
sind gäng und gäbe; geheime, regierungsfeindliche Bestrebungen bedrohen täglich
die Öffentlichkeit und Sicherheit; der Bauer ist träge, unreinlich, dem Trünke er-
geben; er lebt in Armut, Stumpfsinn dahin, Feld und Garten sind ihm gleich-
gültig; das Volk ist unwissend und roh, und während bei uns jeder einigermaßen
beanlagte und fleißige Schüler selbst in der geringsten Schule nach einigen Jahren
seiner Schulpflichtigkeit lesen, schreiben und bis hundert rechnen kann, giebt es in
Rußland tausend und abermals tausende von erwachsenen Kindern, die keinen Buch-
staben lesen noch schreiben können, geschweige denn sonst etwas Nützliches wissen.
Wenn einmal in Rußland die Gewaltherrschaft und Bedrückung, wie die blinde
Macht der katholischen Priester über die große Masse aufhören, wenn Treue und
Unbestechlichkeit in Amt und Beruf einkehren, das Schulwesen gehoben und das
Volk aufgeklärt wird: dann darf man annehmen, daß auch die inneren Zustände
des nach außen hin so glänzend erscheinenden Reiches sich bessern werden.
Der Boden Rußlands ist, wie euch die Landkarte zeigt, zum größten Teile
Tiefland, nur von zwei Höhenzügen, die indes unbedeutender Erhebung sind,
ist er durchbrochen; ihr wißt, daß der eine derselben, der uralisch-baltische
Höhenzug, sich durch Ost- und Westpreußen, durch Pommern, Mecklenburg und
so nach Holstein hineinzieht. Einige ausgedehnte Sumpf- und Steppengegenden
abgerechnet, ist der überall fruchtbare Boden Rußlands sehr kulturfähig und könnte
noch zehnmal mehr Menschen, wie jetzt, ernähren; nur im höchsten Norden hört
wegen der meistens grimmigen Kälte alle Kultur auf. Weiter südwärts ist der
320
Winter zwar auch strenge, doch gedeihen Korn und andere Gewächse, wogegen der
Süden sehr warme Luft und einen sehr ergiebigen Boden hat. — Die Fabriken
kommen mehr in Aufnahme, und der Handel ist von Wichtigkeit. Die Ausfuhr
besteht in Pelzwerk, Segeltuch, Getreide, Flachs, Hanf, Eisen re. — Im Süden
treffen wir das Schwarze mit dem Asowschen Meer, den gewaltigen
Kaukasus, in welchem früher die tapfern Tscherkessen den russischen Truppen
viel zu schaffen machten, und das Caspische Meer; die Ostgrenze des Landes
bildet der Ural-Fluß und das Ural-Gebirge; im Nordwesten hängt Rußland
mit Skandinavien zusammen; dieOstsee und Deuts chland, sowie Östreich
und die Türkei begrenzen den übrigen Westen. An der russischen Küste des
Westens begegnen wir etlichen Meerbusen mit ansehnlichen Handelsstädten. Im
Norden des großen Reiches liegen zwei große Landseen: der Ladoga und Onega
See; mehrere große Flüsse von 200 bis 400 Meilen durchziehen das Land: die
Wolga, der Don, Dnjepr und Dniestr. Die Nordgrenze des ganzen
mächtigen Zarenreiches wird vom nördlchen Eismeer bespült.
Das russische Kaiserhaus ist mit dem deutschen seit einer Reihe von Jahren
eng verwandt. Charlotte, die Schwester unsers jetzigen Kaisers Wilhelm und
die Tochter der unvergeßlichen Luise, war nämlich die Gemahlin des Kaisers
Nikolaus von Rußland. Sein ihm in der Regierung nachfolgender Sohn
Alexander II., wurde 1881 durch ruchlose Hände ermordet, seit welcher Zeit
dessen Sohn, Alexander III., regiert; jenem war unser Kaiser also Onkel,
diesem ist er Großonkel. (I. S.)
241. König Friedrich Wilhelm I. 1713—1740.
Oer zweite König Preussens war in vielem das Gegen-
teil seines Vaters. Einfach wie ein bürgerlicher Hausvater,
sparsam und ordnungsliebend, machte er bald gut, was die
Prunksucht Friedrichs I. geschadet hatte. Überall sah er selbst
nach, wollte selbst handeln, griff oft mit Strenge und Härte
ein, sogar mit dem Stocke. Sein Beispiel und streng sittliches
Leben wirkten segensreich. Einmal sagte er: „Meinen Kin-
dern will ich Pistolen und Degen in die Wiege geben, dass
sie fremde Nationen aus Deutschland helfen abhalten.“ Er
verbot, Wolle aus dem Lande zu führen und sich in fremde
Zeuge zu kleiden, unterstützte darum einheimische Fabriken
und fasste auch den kleinsten Vorteil für die Hebung des
Landes ins Auge, wobei freilich nicht selten Härte, Zorn und
Leidenschaft sichtbar wurden. Am wenigsten galt ihm das
Ansehen einer Person. Seine besondere Freude waren die
„langen Kerls“ des Potsdamer Leibregiments, und weder Geld,
noch List, noch Gewalt wurden gespart, um grosse Soldaten
anzuwerben.
Die anderwärts vertriebenen Evangelischen nahm der
König auf und siedelte sie in Preussen an. Viele grosse Bauten
an Festungen, Kirchen u. s. w. hat er ausgeführt, die Stadt
Potsdam fast ganz neu gebaut und das Militärwaisenhaus ge-
321
stiftet u. a. m. Endlich liess er sich auch die Bildung des
niederen Volks angelegen sein, gründete fast 2000 Landschulen,
das erste Lehrer-Seminar in Stettin und wurde so der Vater
des preussischen Schulwesens. — Dem Kaiser leistete Friedrich
Wilhelm I. getreue Dienste, erfuhr aber, wie sein Vater und
Grossvater, nur Undank und Falschheit dafür; denn Östreich
wollte nicht das Emporkommen des jungen Königreiches.
Als Friedrich Wilhelm I. 1740 mit den Worten starb:
„Ich sterbe zufrieden, weil ich einen so würdigen Nachfolger
habe," hinterliess er ein schuldenfreies Land, einen Schatz mit
27 Millionen Mark und eine der tüchtigsten Armeen.
Sein würdiger Nachfolger war aber Friedrich II., auch
Friedrich der Grosse genannt; im Munde des Volks hiess er
nicht anders als „der alte Fritz." (Bender.)
242. Friedrich II., der Große.
Von den Königen der neueren Zeit ist kaum einer im Jn-
und Auslande bei Hohen und Niedrigen so bekannt und beliebt ge-
wesen, als der König von Preußen, Friedrich der Zweite, auch der
Große, bei seinen Soldaten aber der „alte Fritz" genannt. Das
kam daher, weil er ein ganzer Mann war, der Kopf und Herz auf
dem rechten Flecke sitzen hatte und nicht zu stolz war, einen jeden,
auch den Geringsten anzuhören. Was er im Kriege, besonders in
dem siebenjährigen, geleistet hat, wie er sich gegen einen sechsmal
stärkeren Feind unerschrocken herumschlug und meistens siegte, das
läßt sich in der Kürze nicht erzählen; denn es waren der Schlachten
gar viele, und Friedrich stand bald in Preußen gegen die Nüssen,
bald in Schlesien und Böhmen gegen die Östreicher, bald in Sachsen
gegen die Franzosen, die übrigen Feinde noch gar nicht gerechnet.
Wenn man von diesen Kriegsthaten des alten Fritz erzählen wollte,
dann müßte man auch von seinen heldenmütigen Generalen Meldung
thun, von dem unerschrockenen Feldmarschall Schwerin, der mit der
Fahne in der Hand seine Soldaten gegen den Feind führte, aber von
einer Kartätschenkugel niedergerissen wurde; von dem alten Husaren-
führer Zieten, welcher sich mit dem Schreiben nicht gern abgab,
aber desto tapferer in die Feinde einhieb, gleichwohl aber in der
größten Not noch auf Gott vertraute; auch von dem rüstigen Kürassier-
general Seidlitz, welcher das französische Heer in der Schlacht bei
^Moßbach fast allein auseinandersprengte und die französischen Mittags-
tafeln noch gedeckt und mit warmen Speisen besetzt fand. Diese und
gar viele andere Helden halfen dem Könige Friedrich seine Schlachten
gewinnen oder, wenn er eine verloren hatte, ihn aus der Verlegen-
heit wieder herausziehen. Deshalb behandelte er sie aber auch als
seine Freunde und als Zieten als 75jähriger Greis an der könig-
lichen Tafel einmal einschlief und die Höflinge dies unschicklich fanden,
sprach Friedrich ganz leise: „Bst! laßt ihn doch ruhen, er hat ja oft
genug für uns gewacht."
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
21
322
Allein der alte Fritz war nicht blos ein tüchtiger Soldat, er
war auch ein König für den Frieden; er achtete die Gelehrten und
Künstler, er las viel und hat selbst Bücher geschrieben; und in allen
seinen Freistunden unterhielt er sich mit der Flöte. Dazu liebte er
die Gerechtigkeit und konnte auch Widerspruch ertragen, wenn derselbe
anders begründet war. Denn er war selbst in die Schule der Leiden
gegangen, hatte in seiner Jugend viel Hartes von seinem Vater er-
dulden müssen und wäre beinahe am Leben gestraft worden, weil er
einmal desertieren wollte. Sein liebster Aufenthalt war in dem
Schlosse Sanssouci bei Potsdam.
Das Volk verehrte den „alten Fritz" wie einen Vater. Wenn
er erschien in seiner einfachen blauen Uniform, den großen drei-
eckigen Hut auf dem Kopfe, die Hand auf einen Krückstock gestützt,
so war das ein festliches Ereignis; stets begleitete ihn eine frohe
Volksmenge, wenn er durch die Straßen ritt. Und wie das preußische
Volk auf seinen großen König stolz war, so bewunderte ihn ganz Eu-
ropa. Als er, 74 Jahre alt, nach 46jähriger Regierung 1786 in
seinem Schlosse Sanssouci starb, war die Teilnahme allgemein. Vom
Thron bis in die Hütten war die Todesnachricht eine erschütternde;
jeder fühlte, daß der größte Mann seiner Zeit geschieden war, und in
Preußen ist das Bild des „einzigen Friedrich" lebendig geblieben bis
auf diesen Tag. — Ihm folgte in der Regierung Friedrich Wilhelm II.
(Curtmann und Prcuß' Kinderfreund.)
XIX.
1. Wer zufrieden ist, ist glücklich. Was von Herzen kommt, das geht zu
Herzen. Daß wir sterben müssen, ist gewiß. Es ist ein Diebstahl, wenn man
Gefundenes verheimlicht. — Wir hoffen, daß wir uns wiedersehen. Wer müde
ist, dem behagt die Ruhe. Rede, was wahr ist. Der Verschwiegene erzählt nicht,
was ihm anvertraut ist. O vergiß nie, daß alle guten und vollkommenen Gaben
von oben kommen!
Ein Sprichwort sagt: Besser schlecht gefahren, als stolz gegangen. Sollte
ich, fragte Kain, meines Bruders Hüter sein? Er antwortete sogar, daß er nicht
wisse, wo sein Bruder sei. Petrus fragte den Herrn, ob eS genug sei, wenn er
dem Nächsten siebenmal vergebe.
Ein Freund, welcher wahrhaft treu ist, ist ein großer Schatz. Die
Religion ist eine Himmelskette, die uns mit Gott verbindet. Das Freundschafts-
band, das im rauschenden Strom der Welt geknüpft ,'worden ist, hält selten
lange fest.
2. Wo die Not am größten, da ist Gottes Hülfe am nächsten. Geh nicht
dahin, wohin dich die Versuchung lockt. Wahres Glück ist nur da, wo wahre Zu-
friedenheit ist. — Als ich noch ein Kind war, that ich wie ein Kind. Die Gesundheit
lernt man dann recht schätzen, wenn man krank ist. Hör: auf die Stimme deines
Gewissens, sobald cs dich klopfend warnt. — Weil Reichtum nicht glücklich macht,
so müssen wir auch nicht unser Herz daran hängen. Das Wort der Bibel ist ewig,
indem es göttlich ist. Ehre deine Eltern, auf daß dir's wohlgehe. Obgleich wir
Gott nicht sehen, so ist er doch allenthalben gegenwärtig. — Schreibe so, wie du
richtig sprichst. Je zuverlässiger du bist, desto mehr Vertrauen schenkt man dir.
Sind doch manche Menschen so schlecht, daß man ihnen wirklich aus dem Wege
gehen muß!
323
243. Rittmeister Kurzhagen.
In dem Regimenté des berühmten, von Friedrich dem
Großen hochgeehrten Generals von Zielen stand anch ein Ritt-
meister, mit Namen Kurzhagen. Er war klug, tapfer und hatte
ein kindliches Gemüt. Seine Eltern waren arme Landleute im
Mecklenburgischen. Mit dem Verdienstorden auf der Brust rückte er
nach Beendigung des siebenjährigen Krieges in Parchim ein. Seine
Eltern waren von ihrem Dörfchen nach der Stadt gekommen, um
ihren Sohn nach Jahren wiederzusehen, und erwarteten ihn auf dein
Markte. 2 Als er sie erkannte, sprang er rasch vom Pferde und um-
armte sie unter Freudenthränen. Bald darauf mußten sie zu ihin
ziehen und aßen allzeit an seinem Tische, 2 auch wenn er vornehme
Gäste hatte.
Einst spottete ein Offizier darüber, ^daß Bauern bei einem
Rittmeister zu Tische säßen. *„Wie sollte ich nicht die ersten Wohl-
thäter meines Lebens dankbar achten?" war seine Antwort; „ehe ich
des Königs Rittmeister wurde, war ich ihr Kind." — Der brave
General von Zielen hörte von diesem Vorfalle und bat sich selbst
nach einiger Zeit mit mehreren Vornehmen bei dem Rittmeister zu
Gaste. Die Eltern des letzteren wünschten diesmal selbst, nicht am
Tische zu erscheinen, 2weil sie sich verlegen fühlen würden. 2Als
man sich setzen wollte, fragte der General: ^„Aber, Kurzhagen, wo
sind Ihre Eltern? Ich denke, sie essen mit Ihnen an einem Tische!"
— Der Rittmeister lächelte und wußte nicht sogleich zu antworten.
Da stand Zielen auf und holte die Eltern selbst herbei; sie mußten
sich rechts und links an seine Seite setzen, und er unterhielt sich mit
ihnen aufs freundlichste. 2Als man anfing, Gesundheiten auszubringen,
nahm er sein Glas, stand auf und sprach: ^Meine Herren, es gilt
dem Wohlergehen dieser braven Eltern eines verdienstvollen Sohnes,
^der es beweist, ^daß ein dankbarer Sohn mehr wert ist als ein hoch-
mütiger Rittmeister."
Später fand der General Gelegenheit, dein Könige von der
kindlichen Achtung zu erzählen, * welche der Rittmeister seinen Eltern
erwies, und Friedrich II. freute sich sehr darüber. 2Als Kurzhagen
einst nach Berlin kain, wurde er zur königlichen Tafel gezogen.
„Hör' Er, Rittmeister," fragte der König, um seine Gesinnung zu
erforschen, „von welchem Hause stammt Er denn eigentlich? Wer
find Seine Eltern?" —- „Ew. Majestät", ^ antwortete Kurzhagen ohne
Verlegenheit, „ich stanune aus einer Bauernhütte, und meine Eltern
sind Bauersleute, *:mt denen ich das Glück teile, ^welches ich Ew.
Majestät verdanke."
„So ist's recht", sagte der König erfreut; Z,wer seine Eltern
achtet, der ist ein ehrenwerter Mann; *wer sie gering schätzt, ver-
dient nicht geboren zu sein."
(Pustkuchen-Glanzow.)
21*
324
244. König Friedrich II. imd sein Nachbar.
Der König Friedrich der Grosse hatte acht Stunden von
Berlin ein schönes Lustschloss und war gern darin, wenn nur
nicht ganz nahe dabei eine unruhige Windmühle gewesen wäre.
Denn erstlich stehen ein königliches Schloss und eine Mühle
nicht gut neben einander, obgleich das Weissbrot in dem
Schlosse nicht übel schmeckt, wenn die Mühle fein gemahlen
und der Ofen wohl gebacken hat. Ausserdem aber, wenn der
König in seinen besten Gedanken war und nicht an den Nach-
bar dachte, auf einmal liess der Müller seine Mühle klappern*)
und dachte auch nicht an den Herrn Nachbar, und die Ge-
danken des Königs störten zwar das Räderwerk der Mühle
nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder die Ge-
danken des Königs. Darum liess er eines Tages den Müller
zu sich kommen. „Ihr begreift," sagte er zu ihm, „dass wir
zwei nicht neben einander bestehen können. Einer muss
weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schiösslein?" Der
Müller sagte: „Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nach-
bar?" Der König erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, so
viel Geld habt Ihr nicht, dass Ihr mein Schloss kaufen könnt.
Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiderte:
„Gnädigster Herr, so habt Ihr auch nicht so viel Geld, dass
Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist mir nicht feil."
Der König that zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte;
aber der Nachbar blieb bei seiner Rede: „Sie ist mir nicht
feil. Wie ich darin geboren bin, so will ich darin sterben,
und wie sie mir von meinem Vater erhalten worden ist, sollen
sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr den Segen
ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König eine ernst-
haftere Sprache an. „Wisst Ihr auch, guter Mann, dass ich
gar nicht nötig habe, viele Worte zu machen? Ich lasse Eure
Mühle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld,
oder nicht!" Da lächelte der unerschrockene Müller und er-
widerte dem Könige: „Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn
nur das Kammergericht zu Berlin nicht wäre!" — Der Müller
*) Im Original „Hebels sämtliche Werke. III. B. Carlsruhe 1838 8.
436 steht: Auf einmal liess der Müller „das Wasser in die Räder schiessen“
und dachte etc. Besagte Mühle bei Sanssouci ist indes keine Wasser-
sondern eine Windmühle und steht noch heute — seit Erbauung des
Schlosses 1747 nach 137 Jahren — an derselben Stelle. Sie mahlt zwar
nicht mehr und soll sich auch als Mühle nie recht bewährt haben, ist aber
lediglich als ein geschichtliches Überbleibsel zur Erinnerung an die
Gerechtigkeit Friedrich des Grossen gepflegt worden. Im Juni v. J. (1883)
verlor sie bei ganz ruhigem Wetter einen Flügel; auch waren die andern
so morsch, dass man sie der Sicherheit wegen entfernen musste. Auf
Kaiser Wilhelm’s Befehl ist die Mühle bald darauf restauriert worden.
(Anm. des Vers.)
325
wusste, dass dies Gericht sein gutes Recht schützen werde.
Der König war ein gerechter Herr und konnte überaus gnädig
sein. Er liess von dieser Zeit an den Müller unangefochten
und unterhielt mit ihm eine friedliche Nachbarschaft.
(Hebel.)
245. Joseph II. von Östreich.
Zur Zeit des „alten Fritz" regierte die deutsche Kaiserin
Maria Theresia in Östreich. Sie hatte den Thron unter sehr
schwierigen Umständen bestiegen, wußte sich aber, von halb Europa
mit Krieg überfallen, so zu behaupten, daß sie nur wenige Ländereien
verlor. Das ihr vom „alten Fritz" genommene Schlesien konnte
sie bis an ihr Ende nicht verschmerzen. Obgleich sie eine ffuge und
energische Regentin, auch von klugen Ratgebern*) umgeben war, ge-
lang es ihr doch nicht, trotz aller Versuche, ihr „geliebtes Schlesien"
von dem tapfern Friedrich dem Großen zurück zu erobern. Als
Maria Theresia nach 40jähr. Regentschaft (1780) gestorben war,
ergriff ihr ältester Sohn Joseph II. mit kräftiger Hand die Zügel
der Regierung.
Joseph II. war ein schöner Mann, lebhaft und stillmild zu-
gleich, ein edler Charakter. Aus seinen blauen Augen leuchteten
Geist und eine Seelengüte, die ihn bis zu seinem letzten Atemzuge
nicht verlassen hat. — Keiner seiner Diener war so fleißig als er.
Schon frühmorgens und ohne Zögern ging er an die Arbeit. Alle
Leute, die ihn sprechen wollten, hörte er an und nahm ihnen eigen-
händig ihre Gesuche ab. Jede Bittschrift wurde rasch beantwortet,
und binnen 8 Tagen hatte jeder seinen Bescheid. Auf seinen Spa-
ziergängen begleitete ihn nur ein einziger Bedienter. Er lebte, aß
und trank höchst einfach. Wenn Gefahr war, z. B. Feuersnot, eilte
er stets zur Hülfe und griff eifrig mit an. Dann verteilte er Geld
unter die Leute; er ging überhaupt nie aus, ohne eine Summe von
300 Mark beizustecken, die im Laufe des Tages an Arme und Not-
leidende gespendet wurden. — Joseph liebte sein Volk und wünschte
von ihm geliebt zu werden. Seine Thätigkeit bezweckte immer nur
das Beste seiner Unterthanen; deshalb war es nicht zu verwundern,
daß sein Volk ihn im höchsten Grade verehrte und liebte. Nur der
Adel und die Geistlichkeit glaubte, ihn fürchten zu müssen. Er ver-
besserte die Lage der Juden, vernichtete, die letzten Spuren der Leib-
eigenschaft und zog eine Menge Klöster ein. Alle Zweige der Staats-
verwaltung, das Kirchenwesen, die Schulen, die Polizei, der Land-
bau re. wurden verbessert. Er regierte mit seiner Mutter in Ge-
meinschaft 15 Jahre, allein (d. h. nach deren Tode) nur 10 Jahre.
— Der wahrhaft edle Kaiser, der so viel Gutes schuf und so viel
Schönes gewollt, starb nach menschlicher Ansicht für sein Volk und
*) Insonderheit ist der eigentümliche, aber staatskluge Fürst Kaunitz zu
nennen. (D. V.)
326
für das Wohl seines Landes viel zu früh (1791). Von ihm darf
es gewißlich heißen: „Das Gedächtnis der Gerechten bleibet in Segen!"
(Nach Berthelt Lebensbilder III. S. 377.)
246. Ein gutes Rezept.
Kaiser Joseph II. in Wien war ein weiser und wohlthätiger Monarch, wie
jedermann weiß, aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen
ist und eine arme Frau geheilt hat. Eine arme, kranke Frau sagte zu ihrem
Büblein: „Kind, hol' mir einen Doktor; sonst kann ich's nimmer aushalten vor
Schmerzen!" Das Büblein lies zum ersten Doktor und zum zweiten, aber keiner
wollte kommen; denn in Wien kostet ein Gang zu einem Kranken zwei Mark,
und der arme Knabe hatte nichts als Thränen, die wohl im Himmel für gute
Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten aus der Erde.
Als er aber zum dritten Doktor aus dem Wege war, fuhr langsam der
Kaiser in einem offenen Wagen an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für
einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wußte, daß es der Kaiser sei, und dachte:
Ich will's versuchen. „Gnädiger Herr," sagte er, „wolltet ihr mir nicht einen
Gulden schenken? Seid so barmherzig!" Der Kaiser dachte: Der saßt's kurz und
denkt, wenn ich die zwei Mark auf einmal bekomme, so brauch ich nicht hundermal
um zwei Pfennige zu betteln. „Thut's ein Zwanziger nicht auch?" fragte ihn der
Kaiser. Das Büblein sagte: „Nein!" und offenbarte ihm, wozu er des Geldes
benötigt wäre.
Also gab ihm der Kaiser das Zweimarkstück und ließ sich genau von ihm
beschreiben, wie seine Mutter heiße und wo sic wohne, und während das Büblein
zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau daheim betet, der liebe Gott
wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer Wohnung*) und verhüllt
sich ein wenig in seinen Mantel, also daß ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn
nicht genau ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stübchen kam —
und es sah recht leer und betrübt darin aus — meinte sie, es sei der Doktor und
erzählte ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und sich nicht
pflegen könne.
Der Kaiser sagte: „Ich will euch denn jetzt ein Rezept verschreiben," und
sie sagte ihm, wo des Bübleins Schreibzeug sei. Also schrieb er das Rezept und
belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heim-
komme, und legte cs auf den Tisch. Als er aber kaum eine Minute fort war,
kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte,
er sei auch der Doktor, und entschuldigte sich, es sei schon einer dagewesen und
habe ihr etwas verordnet, und sie habe nur aus ihr Büblein gewartet.
Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm und sehen wollte,
wer bei ihr gewesen sei, und was für einen Trank oder was für Pillen er ibr
verordnet habe, erstaunte er nicht wenig und sagte zu ihr: „Frau, ihr seid einem
guten Arzte in die Hände gefallen; denn er hat euch fünfhundert Mark verordnet,
beim Zahlamte zu erheben, und unten dran steht: Joseph, wenn ihr ihn kennt.
Eine solche Arznei hätte ich euch nicht verschreiben können."
*) Hechtengasse Nr- 4 stand bis vor 2 Jahren das Haus der armen Frau, die der edle
Joseph damals auf ihrem Krankenlager besuchte; denn im Aug. 1881 berichtete eine Wiener Ztg-,
daß dasselbe znm Abbruch gelangt und so ein Stück Geschichte mitbegraben sei. (Anm. d. V.)
327
Da that die Frau einen Blick gen Himmel und konnte nichts sagen vor
Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand
von dem Zahlamte ausgezahlt, und der Doktor verordnete ihr einen Trank; und
durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen
konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der
Doktor die kranke Frau geheilt und der Kaiser die arme. (Hebel.)
247. Der Knabe im Feldlager.
Ein preußischer Soldat (unter Friedrich Wilhelm II.) schrieb im Frühling
des Jahres 1793*) aus dem Lager am Rhein an seine Frau im Magdeburgischen
und äußerte in diesem Briefe unter andern sein Verlangen nach einem Gericht
Kartoffeln. Der Brief kam gegen Abend an. Der zwölfjährige Sohn des Sol-
daten vernahm diesen Wunsch seines Vaters, steckte den Brief zu sich, stand des
Morgens früh auf, ging in den Keller, füllte einen Quersack mit zehn Liter Kar-
toffeln, nahm seinen Wandcrstab und marschierte, ohne Zehrpfennig und ohne
irgend jemand ein Wort zu sagen, gerade nach dem preußischen Heere.
Er kam glücklich bis an die Vorposten. Hier wurde er ausgefragt. Er
sagte die Absicht seiner Reise und zeigte zu seiner Rechtfertigung statt eines Passes
den Brief seines Vaters an seine Mutter. Man lachte ihn aus, gab ihm zu essen
und zu trinken und ließ ihn passieren. So kam er bei dem Heere an, fragte nach
dem Regiment und der Schar, worunter sein Vater stand, und ward zu dem
Hauptmann des letzter:: gebracht. Dieser fragte ihn aus. Der Knabe erzählte
abermals offenherzig den Endzweck und die Schicksale seiner Reise zum preußischen
Heere und brachte wieder den Brief seines Vaters hervor. Der Hauptmann er-
staunte über die Erzählung des Kindes, ließ den Vater sogleich, ohne daß derselbe
von der Anwesenheit seines Sohnes etwas erfahren konnte, zu sich holen, führte
ihn in ein besonderes Zimmer und fragte ihn nach dem Inhalte des letzten
Briefes, den er an seine Frau geschrieben hatte. Der Soldat bekannte den Inhalt
und besonders das Verlangen nach einem Gericht Kartoffeln. „Dein Wunsch ist
erfüllt," sagte der Hauptmann und führte den Vater in das Zimmer, wo der
Sohn, in banger Erwartung des Ausgangs, mit seinen Kartoffeln noch wartete.
Vater und Sohn erkannten sich sogleich, fielen einander in die Arme, und Thränen
der innigsten Freude flössen über die braunen Wangen des Kriegers.
Der durch diesen Auftritt äußerst gerührte Hauptmann ließ den Knaben
einige Tage bei dem Vater ausruhen und gab ihnen etwas, daß sie sich gütlich
thun und pflegen konnten. Sodann ermahnte der Hauptmann und der Vater den
Knaben, nunmehr zu seiner, über seine Abwesenheit sehr bekümmerten Mutter
wieder zurückzukehren; auch reichte ihm der Hauptmann als Zehrpfennig zur Reise
^in Goldstück. „Zur Reise," sagte der kleine Pilgrim, „brauche ich kein Geld;
denn gegen Ausweis meines Briefes haben mir gute Leute unterwegs doch zu essen
gegeben. Aber meiner Mutter will ich das Geschenk bringen."
So trat er denn seine Rückreise wieder an, verirrte sich aber und kam an
die feindlichen Vorposten. Hier wurde er angehalten und ins Hauptlager zum
*) Zur Zeit des ersten engen Bündnisses gegen Frankreich während der Revolutionskriege
(1789—1804) — in demselben Jahre, als am 21. Jan. Ludwig XVI. Haupt auf der Guillotine sie
und am 16. Oktober dessen Frau, Maria Antoinette, Maria Theresias Tochter und Joseph II. wie
Leopold II. Schwester, aus einem gemeinen Karren aufs Schaffot gebracht wurde. (Anm. d. V.)
328
General Cüstine geführt, der ihn durch einen Dolmetscher scharf ausforschen ließ.
Ohne Scheu erschien der deutsche Knabe vor dem französischen Feldherrn, beant-
wortete alle Fragen desselben offenherzig nach der Wahrheit, zeigte abermals den
Brief seines Vaters und erzählte, was ihm im preußischen Lager begegnet war.
Gerührt und lächelnd über das große und gute Herz des preußischen Soldaten,
lindes, schenkte ihm der feindliche Heerführer zwei Goldstücke und gab ihm einen
Wegweiser mit, der ihn durchs französische Heer begleiten sollte, bis er in völliger
Sicherheit sei. „Denn," sagte er zu ihm, „du hast in deiner Kindheit bisher
schon auf einem zu guten Wege gewandelt, als daß man nicht dafür sorgen sollte,
daß du nicht wieder irre gehen mögest."
Glücklich und wohlbehalten kam der Knabe endlich in seiner Heimat wieder
an und verwandelte die Thränen der Betrübnis, die seine Mutter bisher über
ihren Sohn geweint hatte, in Thränen der Freude. Er bat sie wegen seiner heim-
lichen Entweichung um Verzeihung, sagte ihr zur Ursache und Entschuloigung der-
selben das, was die Leser schon wissen, und überlieferte die Geschenke, die er vom
Hauptmann seines Vaters und vom Heerführer der Feinde empfangen hatte, ge-
treulich in ihre Hände. (Aus „Lebensfrühling".)
XX. (Vgl. 248. 1.)
Manche Menschen streben darnach, allen zu gefallen. Der Herr ladet alle
ein, zu ihm zu kommen. Kinder besuchen die Schule, um etwas zu lernen. —
Luther, der große Reformator, war ein gläubiger und unerschrockener Mann. Den
Eltern und Lehrern, unsern größten Wohlthätern, sind wir Liebe und Dank
schuldig. Gott, treu in seinem Wesen, will, daß auch wir, selbst int kleinsten,
treu sein sollen. Ein Eisen, durch Glut nicht erhitzt, läßt sich auch nicht schmieden.
Das Turnen und Baden, vorsichtig betrieben, stärkt den Körper. Jakob, von der
Reise ermüdet, schlief selbst auf einem harten Stein. Die Lerche steigt in die
Luft, ihr munteres Liedchen singend. — Heute rot, morgen tot. Guter Gruß,
gute Antwort. Jung gewohnt, alt gethan. Acht gegeben! Bücher zu!
248. Preußens Fall und Vorbereitung.
Friedrich Wilhelm II. (1786—97) und
Friedrich Wilhelm III. (1797—1840).
1. Nach Friedrich dem Großen folgte, 0von ihm selbst bestimmt,
sein Neffe, "Friedrich Wilhelm II., auf den Königsthron. Sein
Onkel hatte ihm ein bedeutend vergrößertes Reich, einen großen
Kriegsschatz, ein starkes Heer und einen ansehnlichen Staat hinter-
laffen, "durch Bevölkerung, Gewerbfleiß, Wohlstand und Bildung ge-
hoben. Aber der Neffe, "wiewohl selbst bedeutende Gebietserweite-
rungen erlangt*), war nicht der Onkel, wurde nicht der „alte Fritz".
Schon in den ersten Jahren seiner Regierung und bald nach dem
Tode des tapfern Fritz brach (1789) die schreckliche Revolution in
Frankreich aus. Auch er, "vor allein die Ruhe der Völker wollend,
hielt es für seine Pflicht, "dem bedrohten französischen Thron zu
Hülfe zu eilen in Verbindung mit dem Kaiser Leopold II., der
seinem Bruder, "Joseph II., in der Regierung gefolgt war. Später
traten dem Bündnis noch mehrere europäische Fürsten bei. Zwar
*) Namentlich durch die Teilung Polens.
329
fochten die Preußen siegreich*), allein, "rote oftmals im Leben, in-
folge der Uneinigkeit der Verbündeten blieben die Siege ohne Erfolg
— °meie Köpfe, viele Sinne. Preußen, "des vergeblichen Kampfes
müde, schloß Frieden. Die Stürme in Frankreich legten sich zwar
allmählich, aber die in Paris ans Ruder gelangte Regierung, 0oict
zu kriegerisch gesinnt, setzte die Kämpfe fort und rüstete drei Armeen
aus, von denen zwei in Deutschland einbrechen sollten; über die dritte
Armee, "nach Italien befehligt, wurde als Obergeneral — Napo-
leon Bonaparte (1796) ernannt, "eines Advokaten Sohn aus
Ajaccio auf der Insel Corsika. Ein Jahr darauf starb Friedrich Wil-
helm II., "nach lljähriger Regierung, "zerrüttet und verschuldet seinem
Nachfolger das Land hinterlassend. Sein ältester Sohn, "Friedrich
Wilhelm III., bestieg nun den preußischen Thron, aber unter
trüben Verhältnissen und in einer unruhigen, bösen Zeit.
2. Die Revolution in Frankreich hatte tausendfachen, entsetzlichen
Jammer über dies Land gebracht, die Wohlhabenden ins Elend ge-
trieben, ganze Scharen, auch den König und die Königin unter das
Beil geführt: alles die Früchte einer schlechten Regierung, eines leicht-
sinnigen, gottvergessenen Lebens. Und aus diesen Zeiten war Na-
poleon Bonaparte als Herr Frankreichs hervorgegangen. Der
Artillerielieutenant wurde General, erster Konsul der Republik,
alleiniger Herr derselben und 1804 Kaiser der Franzosen. Seine
Kriegsthaten hatten ihn groß gemacht, und seine unersättliche Ruhm-
sucht, seine unbegrenzte Eroberungssucht führte die für ihn begeisterten
Heere von, Sieg zu Sieg fast durch ganz Europa, sogar zu den Py-
ramiden Ägyptens. Ohne Achtung eines Rechts drang er seinen
Willen den Königen und Fürsten auf und machte sie zu seinen Die-
nern. Der König Friedrich Wilhelm III. von Preußen that alles,
um einen Krieg zu vermeiden, aber Napoleon reizte, namentlich nach
seinem Siege über Östreich und Rußland in der Dreikaiserschlacht
bei Austerlitz 1805, in jeder Weise den Friedliebenden, bis die Ehre
es gebot, zu den Waffen zu greifen. Im preußischen Heere bestan-
den noch die Einrichtungen aus Friedrichs d. Gr. Zeit, aber es
fehlten umsichtige, tüchtige Offiziere; man war nicht mit der Zeit
und in der Kriegskunst fortgeschritten, welche durch Napoleon eine
ganz andre geworden. In drei Schlachten**) erlitt das preußische
Heer eine furchtbare Niederlage, nach welcher das ganze Land dem
Feinde offen stand und fast alle Festungen schmachvoll übergeben
wurden. Napoleon schrieb den Frieden zu Tilsit (9. Juli 1807) vor,
in welchem Preußen große Landstrecken abtreten mußte, und Napo-
leon erklärte in seinem Übermute, es geschehe nur aus Achtung gegen
Rußland, daß er das Königreich Preußen noch bestehen lasse. Eine
Kriegslast von 140 Millionen Mark mußte Preußen außerdem be-
zahlen und durfte nur 42 000 Mann Truppen halten. Die Fran-
*) Bei Pirmasens, Weißenburg und Kaiserslautern.
**) Bei Saalfeld am 10., bei Auerstedt u. Jena am 11. Oktober 1806.
330
zosen blieben im Lande, bis die Summen bezahlt waren, und über-
wachten alles. Es war eine Zeit der Knechtschaft und der Thränen,
die über unser Vaterland hereinbrach; so manches edle deutsche Herz
ist darüber gebrochen, auch das der Königin Luise, deren Gleichen
kaum je einen Thron geziert hat. Einzelne Männer, welche zur Be-
freiung des Vaterlandes auf eigne Hand losbrachen, erlagen der Über-
macht. So der edle Major Schill, welcher in den Straßen Stral-
sunds fiel. Elf seiner Offiziere ließ Napoleon in Wesel, 14 Unter-
offiziere und Gemeine in Braunschweig erschießen, die übrigen Ge-
fangenen wurden unter die Galeerensklaven gesteckt. So führte
der Übermütige Krieg.
3. Solche schwere Zeit der Prüfung trug aber in Preußen
auch ihren Segen. Man erkannte, was versäumt war. Man hatte
die Drangsal als Gottes Gericht verstehen, sich unter seine Hand
beugen, auf sein Wort merken gelernt. Je härter der Druck, desto
größer die Sehnsucht nach Erlösung. Edle Männer traten auf.
Fichte entflammte die Herzen durch seine Reden; Jahn trachtete
die Jugend durch das Turnen zu einem kräftigen, neuen Geschlechte
zu erziehen. Dichter wie Arndt, Schenkendorf, Körner, Uhland,
Rückert u. a. entzündeten ein neu belebendes Feuer in den Herzen
der Vaterlandsfreunde. Zu den Worten kamen große Thaten. Der
größte Mann dieser Jahre der Wiedergeburt von 1808 an, wo die
Franzosen das Land verließen, war der Freiherr von Stein, der
die Verwaltung des Staates neu ordnete, die Gewerbesreiheit ein-
führte, die Grundsteuerfreiheit aufhob, Klöster und Stifter einzog
und die Geldwirtschaft verbesserte. Neben ihm hat Scharnhorst
mit andern weisen Männern, z. B. Gneisenau, Großes gethan. Er
schuf das Heerwesen und die Wehrkraft des Landes um, erfüllte die
Armee mit einem neuen Geist der Liebe zu König und Vaterland,
gab ihr tüchtige, gebildete Offiziere ohne Ansehen der Geburt, schaffte
Veraltetes ab und legte die Waffenpflicht dem ganzen Volke als
Ehrenpflicht auf. Durch List, denn die Augen des Feindes späheten
überall, erreichte man auch, daß das Heer weit'stärker wurde, als
gestattet war, indem man die eingeübte Mannschaft immer entließ
und neue Rekruten zu den Waffen rief. — Die Stiftung der Uni-
versität in Berlin 1810 ist das größte Zeugniß des Geistes und der
Kraft, welche in dieser Zeit der Not in unserm Vaterlande lebendig
geblieben war.
In demselben Jahre stand Napoleon auf dem Gipfel seiner
Macht. Ganz Europa außer England und Rußland lag zu seinen
Füßen, in Italien, Spanien, den Niederlanden und Westfalen saßen
seine Brüder und Verwandte auf den Königsthronen. Da unternahm
er 1812 einen Krieg gegen Rußland. Nie hatte Europa ein solches
Heer gesehen, wie sich durch Deutschland nach Osten wälzte, ein Heer
von 600 000 Mann Franzosen, Polen, Holländern, Schweden,
Deutschen, Italienern, Dänen, Spaniern, Portugiesen. Preußen
hatte 20 000 Mann stellen müssen.
(1 D. V. 2 u. 3 Preuß. Kinderfreund S. 185.)
331
249. Die Königin Luise.
Welcher Preuße, ja welcher Deutsche preist nicht noch heute die Königin
Luise! Sie war so glücklich an der Seite ihres königlichen Gemahls, unter ihren
blühenden Kindern und unter dem Volke.
Schon frühzeitig legte sie einen innigen Zug nach allem Höheren und die
Erkenntnis des Ewigen in dem Irdischen an den Tag; daher war ihr schon früh
das Wohlthun Bedürfnis, wie sie später für die Zeit der Trübsal in Christo einen
festen Anker fand. Im Jahre 1793 fügte es sich, daß Friedrich Wilhelm III.
sie bei seinem Besuche am Strelitz'schen Hofe zum erstenmal sah. Noch vor
Jahresschluß ward sie seine Gemahlin. Unter unendlichem Jubel zog sie in Berlin
ein. Ihre himmelblauen Augen waren der Abglanz einer schönen Seele; alles
war voller Begeisterung über ihre Erscheinung. Eine natürliche Leutseligkeit, so
daß ihr Benehmen gegen hoch und niedrig ein gleiches und ungezwungenes war,
und ein umfassendes Wohlthun sicherten ihr die begeisterte Liebe des Volkes bis
zu ihrem Tode.
Die Ehe des hohen Paares war ein mächtig wirkendes Vorbild wahren
Familienlebens. Nicht bei Hofe, sondern zu Hause fühlten sie sich recht heimisch;
sie verkehrten auch gern mit einfachen Leuten, besonders zu Paretz, einem Gute
bei Potsdam, wo sie die gemütlichsten Tage verlebten. Der König ließ sich dann
am liebsten als „den Schulzen von Paretz" ansehen, und seine Gemahlin gefiel sich
als „gnädige Frau von Paretz". Bei Ernte- und Dorffesten verkehrte sie fröhlich
mit den Bauersleuten, und die Jugend umringte sie, wenn sie an die Buden ging,
kleine Geschenke für die Dorfkinder einzukaufen. Die Frau, die so liebreich, so
natürlich herzlich gegen jedermann war und überall aufrichtige Verehrung und
Liebe fand, dieselbe Frau war es, die gegen den allmächtigen Napoleon, Stirn
gegen Stirn, mit Hoheit auftrat, die sie selbst dann nicht verleugnete, als sie dem
gewaltigen Herrscher vergeblich die Bitte aussprach: „Majestät, geben Sie mir
Magdeburg für mich und meine Kinder."
Die ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelm III. verliefen in Frieden.
Als aber der unglückliche Krieg mit den Franzosen Preußen in der Schlacht bei
Jena niederwarf, mußte die Königin mit ihren Kindern eiligst nach Königsberg
und zuletzt nach Memel fliehen. In jenen unglücklichen Kriegslagen sprach sie
zu ihren Kindern: „Ihr seht mich in Thränen; ich beweine den Untergang meines
Hauses . . . ruft künftig diese unglückliche Stunde in euer Gedächtnis zurück . . ."
O, wenn die tief gekränkte Mutter hätte erleben können, welche köstliche Perle ihr
Sohn Wilhelm dem Hohenzollern-Schmuck eingefügt hat, wenn sie geschaut hätte,
wie er als kaiserlicher Held unter dem Jubel des geeinigten Deutschlands
62 Jahre später aus dem Staat des einst allmächtigen Herrschers zurückgekehrt ist!
Der Friede zu Tilsit, wohin während der Friedensuntcrhandlungcn auf Wunsch
des Königs und Napoleons die Königin kommen mußte, war ein Schicksalsschlag
der sie tief ins Herz traf. Aber sie erkannte, daß deS Vaterlandes Erhebung
durch Belebung des christlichen Glaubens vorbereitet werden müsse. „Weil wir
abgefallen sind, darum sind wir gesunken," sprach sie. Als der König sich mit
Männern umgab, welche das Gute der neuen Zeit einführen, auch das Heerwesen
umgestalten wollten, da sagte Luise, hocherfreut darüber: „Wir sind stehen ge-
blieben, und die alten Generale sind auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen
332
eingeschlafen". Die eheliche und häusliche Innigkeit des hohen Paares wurde
durch das Unglück nur befestigt. Wie trefflich verstand cs „seine liebe Luise" den
in sich gekehrten Gemahl aufzurichten und zu ermutigen. Ihre Kinder waren
ihre größten Schätze, und ihre Augen ruhten angesichts der trüben Zeit voll Hosf-
nung auf ihnen.
Im Jahre 1808 machte das Königspaar einen Besuch in Petersburg. Alle
ihr dort gebrachten Huldigungen vermochten jedoch der Königin keine unbefangene
Freude mehr zu bereiten; sie fühlte, daß ihr Reich nicht mehr von dieser Welt
sei. Schon in Petersburg war sic von Unwohlsein ergriffen worden; den ganzen
Sommer 1809 hindurch fühlte sic sich leidend. Am Ende des Jahres wurde
endlich ihre Sehnsucht erfüllt, wieder nach Berlin zurückkehren zu können. Es
war ein Triumphzug, und aller Orten wurde dem Königspaare der rührendste
Empfang zuteil. Diese Reise und der Besuch bei ihrem Vater, dem Herzoge von
Mccklenburg-Strelitz. waren die letzten Sonnenblicke für die Leidende. Es war ihr
langjähriger Wunsch gewesen, noch einmal am väterlichen Hofe einen Besuch zu
machen. Dieser Wunsch wurde ihr im folgenden Sommer erfüllt. Ihre Um-
gebung ward aber leider! bald gewahr, daß das Antlitz der Leidenden deutlich den
Todeskeim zeigte. Sie erkrankte bedenklich. Husten. Fieber und eine große Mattig-
keit waren eingetreten, und plötzlich stellte sich auch ein heftiger Brustkrampf ein.
Der König wurde von Berlin gerufen und traf mit seinen beiden ältesten Söhnen
ein, dem späteren Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm, unserm jetzigen
Kaiser; ersterer war damals 15, letzterer 13 Jahre alt. Es war die letzte Freude
für die Sterbende, noch einmal ihre Lieben zu sehen. Der König war gebrochen
von Schmerz; schon wenige Stunden nach seiner Ankunft trat wieder ein heftiger
Krampfanfall ein; kurze Zeit darauf bog die Königin sanft das Haupt zurück und
schloß die Augen, ausrufend: „Herr Jesus, mach es kurz!" Noch einmal atmete
sie auf. und mit diesem stillen Seufzer endete ihr Leben. Der König drückte
seiner Luise die Augen zu, — seines Lebens Sterne, die ihm auf seiner dunklen
Bahn so treu geleuchtet.
Der tiefste Schmerz eines ganzen Volkes begleitete den Leichenzug nach
Berlin und nach Charlottcnburg, wo ihr der edle Gemahl in dem berühmten
Mausoleum eine Ruhestätte bereitet hat. wie sie ihrer und seiner würdig ist.
Auf einem Sarkophage ruht die schlafende Königin unvergleichlich schön vom Bild-
hauer Rauch in Marmor geschaffen. Tausende pilgern jährlich dahin in dankbarer
Erinnerung an die „unvergeßliche Luise." Für die königliche Familie aber ist der
Todestag der edlen Entschlafenen noch heute ein Bet- und Gedenktag an die früh
Verklärte. (Nach Eylert.)
250. Die geraubte Blume.
Die schöne Pfaueninsel, auf welcher Friedrich Wilhelm III. viele seltene
Tiere und Pflanzen unterhalten und pflegen ließ, war zu seiner Zeit ein beliebter
Besuchsort für die Bewohner von Potsdam und Berlin, denen wie jedem Frem-
den der Zutritt zweimal in der Woche gestattet war.
Einst hatte die Kaiserin von Rußland ihrem hochverehrten Vater eine wun-
derschöne Blume geschickt. Sie war von angenehmem Dufte und entfaltete unter
der Hand des kunstsinnigen Hofgärtners eine' seltene Farbenpracht. _ Der König
hatte "seine Freude an dieser seltenen Blume, betrachtete sie^ oft in seiner stillen
Gemütlichkeit und nannte sie nach seiner geliebten Tochter. So oft er in dieser
Zeit nach der Pfaueninsel kam. wo er gern weilte, pflegte er gleich beim ersten
333
——
Schritt ans Land zu fragen: „Wie geht's meiner lieben Charlotte?" Man
denke daher den Schrecken und die Angst des besorgten Pflegers, als er einst an
einem Tage des zahlreichsten Besuchs in das Palmenhaus tritt und die dem Kö-
nige so werte Blume vermißt. Sie war abgepflückt.
Von Unruhe hin und her getrieben, den Thäter zu entdecken, stellt er sich
an den Platz der Überfähre. Nicht lange, so nähert sich ein junger, wohlgekleideter
Mann mit der Blume in seinem Knopfloche. Heiter und unbefangen, als wäre
nichts Übles geschehen, schreitet er einher. Zur Rede gestellt über den von ihm
begangenen Raub, entschuldigt er sich mit seiner Unwissenheit und bedauert und
beklagt die von ihm leichtsinnig verübte That. Der verantwortliche Hofgärtner
aber führt den bestürzten jungen Mann in seine Wohnung und läßt den ganzen
Thatbestand aufzeichnen und von Zeugen unterschreiben zu seiner Rechtfertigung vor
dem Könige.
Als dieser bald nachher zur Psaueninsel kam und wie gewöhnlich fragte:
„Was macht meine liebe Charlotte?" und der Hofgärtner unter Thränen den Ver-
lust meldete und den Hergang erzählte, umwölkten sich zwar des Königs Züge; er
blieb aber doch ruhig und gelassen und bemerkte nur, wie unrecht es sei, ihm auch
seine kleinen Freuden zu verderben. Dem Publikum war aber nach wie vor der
Zutritt auf der Pfaueninsel erlaubt, wie dringlich der gekränkte Beamte das Ver-
bot auch empfehlen mochte. „Was kann denn das Publikum dafür," entgegnete
der König, „wenn unter Tausenden ein Ungezogener ist, der die verstattete Freiheit
mißbraucht. Wozu denn diese Schönheiten, namentlich die schnell verblühenden
Blumen, wenn außer mir niemand seine Freude daran hat; ich kann nur selten
hier sein." Als aber der Hofgärtner den Namen des Thäters nennen wollte, fiel
der König schnell abwehrend ein: „Nein, nein, ich will den Namen gar
nicht wissen; der könnte mir wieder einfallen, wenn der Mann später
einmal etwas zu bitten haben sollte. Vergessen, vergeben!"
(Preuß, Kinderfrcund.)
251. Ditz Opfer zu Wesel.
Generalmarsch wird geschlagen zu Wesel in der Stadt,
Und alle fragen ängstlich, was das zu deuten hat.
Da führen sie zum Thore hinaus, still, ohne Laut,
Die kleine Schar, die heiter dem Tod ins Auge schaut.
Sie hatten kühn gefochten mit Schill am Ostseestrand
Und gehn nun kühn entgegen dem Tod fürs Vaterland.
Sie drücken sich wie Brüder die Hand zum letztenmal:
Dann stehn sie ernst und ruhig die Elfe an der Zahl.
Und hoch wirft Hans von Flemming die Mütze in die
Luft.
„Es lebe Preussens König!“ die Schar einstimmig ruft.
Da knattern die Gewehre; es stürzt der Braven Reih’;
Zehn treue Preussen liegen zerrissen von dem Blei.
Nur einer, Albert Wedell, trotzt jenem Blutgericht;
Verwundet nur am Arme steht er und wanket nicht.
Da treten neue Schergen, auch ihn zu morden, vor,
Und: „Gebet Achtung! — fertig!“ schallt’s schrecklich ihm
ins Ohr.
„0 zielet,“ ruft er, „besser! hier sitzt das deutsche Herz!
Die Brüder überleben ist mir der grösste Schmerz!“
Kaum hat er’s ausgesprochen, die Mörder schlagen an;
Durchbohrt von ihren Kugeln lag auch der letzte Mann.
334
So starben tapfre Preussen, durch Schande nie befleckt,
Die nun zu ew’gem Ruhme ein Stein zu Wesel deckt,
(Schmidt.)
252. Turnvater Iahn.
(* Von Lina Grafs.)
Unter diesem Namen lebte und ivirkte der Mann, welcher unablässig bemüht
war, der aufblühenden Jugend die Pflicht ans Herz zu legen, neben der Ausbil-
dung der Seele auch den Leib gn stählen und zu kräftigen. Den Leib, den unser
großer Gott dem Menschen als Hülle und Wohnung der Seele so wunderbar
schön aufgebaut, sollte er auch als einen Tempel Gottes achten und ehren, ihn
vor Schaden bewahren und die Glieder des Leibes zu freier, gewandter Bewegung
zwingen, sie zugleich abhärten und in straffer Zucht vorbereiten zu den Anstren-
gungen künftiger Jahre. Dies war der Zweck der Turnerei.
Schaut man den Säugling in der Wiege an, so gewahrt man, daß er schon
früh die kleinen Glieder dehnt und streckt und mit Händchen und Füßen sich zu
erheben trachtet und so die ersten unbewußten Bewegungen zum Turnen macht.
Das Kind, das kaum die ersten Schritte gewagt hat, zeigt schon Verlangen zum
Klettern, während der Schulknabe im Springen, Laufen, Ringen nnd andern die
Sehnen stärkenden, die Brust erweiternden Spielen Befriedigung findet. Die Not-
wendigkeit, den Körper durch zweckmäßige Übungen schon im Knaben- und Jüng-
lingsalter für das Leben vorzubereiten unb zu kräftigen, sah wohl mancher längst
ein, aber ohne das Werk anzugreifen. Hat doch schon Luther vor 350 Jahren
die volkstümliche Bedeutung des Turnwesens zu schätzen gewußt und das Turnen
in „Ritterspielen oder Leibesübungen mit Fechten, Ringen, Laufen, Springen rc."
als eine Übung gepriesen, welche ihm neben der Übung „in der Musik am aller-
besten gefalle", da sie „fein, geschickte, starke Gliedmaß am Leibe macht und ihn
sonderlich bei Gesundheit erhält"; zugleich ermahnt er, „solch ehrbare Übung nicht
zu verachten und zu vernachlässigen."
Jahn war der Mann, welcher nicht Mühe und Anstrengung für das Em-
porkommen des Turnwesens scheute und den Nutzen des Turnens so lebendig zu
schildern wußte, daß bis heute — und hoffentlich für alle Zeiten — die Turnerei
jedem deutschen Manne Bedürfnis sein, ja eine Pflicht bleiben muß, damit er,
wenn der Feind sein teures Vaterland bedrohen sollte, der Gefahr gegenüber stets
tüchtig und durch eigne Kraft gewappnet dastehe. Leider wird aber noch heutigcs-
tags die Bedeutung des Turnens vielfach aus Unverstand verkannt oder nicht
genugsam anerkannt und gewürdigt; hoffentlich kommt es aber in Deutschland noch
einmal dahin, daß in jeder Schule Turnunterricht erteilt wird, und daß der Turn-
platz in keiner, selbst nicht in der kleinsten Dorfschule fehlt.
Der Turnvater Jahn ist 1778 zu Lanz in der Priegnitz (unweit der Meck-
lenburger Grenze) geboren. Als Napoleon I. unser deutsches Vaterland zu be-
drücken gekommen war, ist es Jahn gewesen, der sich, gleich andern vaterlands-
liebenden Männern, mit Wort und That gegen die Fremdherrschaft aufgelehnt hat
Er errichtete später als Gymnasiallehrer in Berlin eine mächtig große Turnanstalt
und ries überall den Sinn für das Turnen in der deutschen Jugend wach. Er
starb, noch als Greis kräftig, nach langem, segensreichen Wirken zu Freiburg an
der Unstrut 1852. Ehre sei und bleibe seinem Angedenken!
335
ZN
253. Der kleine Turner am 2. September.
(* Von Lina Grafs.)
Mütterchen, bügle das Turnzeug mir fein,
Mütze und Kleid sei sauber und rein!
Schon früh am Morgen war ich wach;
Denn heute ist großer Feiertag,
Der Tag, wo Deutschland mit kühnem Wagen
Bresche in Frankreichs Stolz hat geschlagen.
Und diesen Sieg, den feiern wir heut
Mit lautem Jubel nach schwerer Zeit,
Den feiert heut Jüngling, Mann und Greis
Zu Gottes Ehr und Deutschlands Preis.
Wie sollten wir Knaben, die wir auf Erden
Auch einmal tücht'ge Soldaten werden.
Wie sollten wir bei dem frohen Treiben
Nur zuschaun stille und müßig bleiben?
Nein, in den stattlicheil langen Neih'n,
Da wollen ivir nicht die Letzten sein;
Mit unsern Fähnlein und Trommelschlag
Begrüßen auch wir deu Feiertag
Und schreiten stolz in Reih' und Glied
Im schönen langen Zuge mit.
Sind doch mit Leib und Seele treu
Wir Turnerknaben mit dabei.
Mit Leib und Seele fürs Vaterland,
Ihm fest verbunden mit Herz und Hand.
Wir seh'n nicht im Turnen nur Kinderspiel,
Wir streben darin nach höherem Ziel,
Wir üben es nicht nur als Jugendscherz,
O nein, lvir stählen auch Arm und Herz,
Wir pflegen und nähren Kraft lind Mut
Zum Schutz für der Freiheit herrliches Gut;
Und singen wir laut „die Wacht am Rhein",
Wir Turnerjungen im frohen Verein,
Da ist es bei uns auch nicht leerer Schall,
Im Herzen tönt mächtig der Widerhall,
Und jeder wünscht: „Ach, wär ich erst groß.
Und ging es noch einmal wie damals los!"
Das weiß ich gewiß, ich hielte stand
Und kämpfte für Kaiser und Vaterland
Und schlüge, was diese schmäht und droht,
In Grund und Boden gleich mausetot."
Fürs erste aber ist Frieden nun.
Wir aber wollen auch da nicht ruhn
Und stählen den Leib und wecken den Geist
Zu allem, was Deutschlands Ehre heißt!
336
Und nun, lieb Mütterchen, schau mich an
Im Turnerschmuck, mich kleinen Mann.
Leb wohl! nun geht es in Reih' und Glied,
Und wenn der Zug vorüberzieht.
Und wenn ich hier bald vorbei marschier.
Da komm, lieb Mutter, auch ja vor die Thür,
Es findet dein Blick mich sicher heraus.
Und grüße ich dich mit Fähnlein und Strauß,
O glaub' es mir, in den Festesreih'n
Kann niemand stolzer und glücklicher sein.
Als wie es dein kleiner Turner ist.
Der dieses Tages wohl nimmer vergißt.
XXI.
1. Napoleon hatte fast alle Fürsten und Völker Europas bezwungen. Hatte
Napoleon nicht fast alle Fürsten und Völker Europas bezwungen? — 2. Nun ge-
lüstete es ihn, auch Rußland seiner Herrschaft zu unterwerfen. Würde es ihn
doch nicht gelüstet haben, auch Rußland seiner Herrschaft zu unterwerfen! 3.
Deutschlands Söhne werden nie vergessen, daß der Rhein ein deutscher Strom
ist (S. Nr. 190). Werden Deutschlands Söhne wohl je vergessen können, daß der
Rhein ein deutscher Strom ist? Wenn doch Deutschlands Söhne nie vergäßen,
daß rc.! Deutschlands Söhne, vergesset nie, daß rc.! — 4. Läßt es sich mit Be-
stimmtheit nachweisen, daß Karl der Große in Aachen, wo er begraben liegt, auch
geboren ist, wie man oft annimmt? (Nr. 190*). Der Islam hat in Europa
keinen weiteren Boden gesunden als unter den Türken (Nr. 196). Um sich vor
Überschwemmungen zu schüüen, müssen manche Völker hohe Deiche herstellen.
(Vgl. Nr. 213).
254. Gottes Strafgericht in Rußland.
Napoleon hatte fast alle Fürsten und Völker Europas be-
zwungen, und schwer lastete seine Hand auf den besiegten Ländern.
Seine Heere standen in Spanien; Italien war ihm unterlvorfen,
Holland ihm unterthänig; Östreich hatte er niedergeworfen in blutigen
Schlachten; die deutschen Fürsten mußten thun, wie er wollte, und
auch Preußen hatte er an den Rand des Verderbens gebracht. Nun
gelüstete es ihn, auch Rußland seiner Herrschaft zu unterwerfen. Im
Sommer des Jahres 1812 brach er in das russische Reich ein. In
mehreren Schlachten zeigten sich zwar die Russen tapfer, aber sie
mußten das Schlachtfeld räumen und zogen sich tief in das Land
hinein nach Moskau, der alten Hauptstadt des Reiches, indem sie
alles hinter sich her verheerten. Napoleon folgte ihnen gegen den
Rat seiner Generale. Da ereilte ihn in der alten Zarenstadt die
göttliche Gerechtigkeit. Am 14. September war er siegestrunken in
das ehrwürdige Schloß der russischen Kaiser, den Kreml, eingezogen;
aber schon in der folgenden Nacht brachen dort über seinem Haupte
die Flammen aus, welche vier Tage lang wüteten und die ganze
Stadt in Asche legten. Unsäglicher Schrecken ergriff das französische
Heer, welches in Moskau sichere Winterquartiere zu finden gehofft
hatte. Ende Oktober mußte Napoleon den Rückzug durch das feind-
337
liche Land antreten. Hierauf hatten die Russen gewartet. Mit den
Schwärmen ihrer Kosaken verfolgten sie den fliehenden Feind, ließen
ihm keine Ruhe weder bei Tag noch bei Nacht, und wer sich nur
voil dem Hauptheere entfernte, wurde niedergemacht. Da brach Tod
und Verderben noch furchtbarer über das gewaltige Heer herein.
Früher als gewöhnlich trat in den öden Steppen Rußlands ein
harter Winter ein. Die fliehenden Scharen hatten keinen Schutz
gegen die Kälte; ihre Kleider waren zerrissen, die Füße, halb entblößt,
zitterten auf dem kalten Schnee; die Dörfer und Städte waren ver-
wüstet, nirgends ein Obdach gegen den furchtbar schneidenden Wind,
kein Bissen Brot, den nagenden Hunger zu stillen. Da ergriff Ver-
zweiflung ihre Herzen. An jeden: Morgen lagen Haufen Erfrorener
um die ausgebrannten Wachtfeuer. Die ermatteten Krieger konnten
sich kaum weiter schleppen; Tausende blieben zurück und wurden eine
Beute der russischen Wölfe. Als das erschöpfte Heer über die Beresina
zog — hinter ihm her waren die russischen Scharen —, da brachen
die Brücken, und Tausende fanden in den Fluten ihr Grab. — Da
verließ Napoleon heimlich das Heer; in einem elenden Schlitten fuhr
er nach Frankreich. Die Hand des Herrn hatte ihn getroffen. Der
hatte gesagt: „Bis hierher und nicht weiter; hier sollen sich legen
deine stolzen Wellen!" (Kohlrausch.)
255. Die Trommel.
Rings wirbelt die Trommel im Preussenland;
Still liegt nur ein Hüttchen am baltischen Strand.
Was jammert das Weib drin bei Tag und bei Nacht? —
Ihr Mann ist gefallen in heisser Schlacht.
Auch traf ihr die Kugel der Söhne zwei;
Der jüngste nur lebt, und ihr Kummer dabei.
Und lebt dir ein Knabe, was härmst du dich bleich?
0, preise den Himmel! noch bist du ja reich.
Doch horch! welche Töne das Ufer entlang? —
Das Weib schrickt zusammen; was macht sie so bang?
„Horch, Mutter, wie schallt es so mächtig und laut!“ —
Mein Sohn, zur Kirche wohl fährt man die Braut.
„Nein, Mutter, das klingt nicht wie Hochzeitston.“
So trägt einen Toten zu Grab man, mein Sohn.
„Nein, nein! so klingt auch nicht Sterbegesang!
Schon kenne den Ton ich; schon hört ich den Klang.
Als einst ich ihn hörte zum erstenmal,
Da war's für den Vater das Abschiedssignal.
Und als er zum andern getroffen mein Ohr,
Da folgten die Brüder dem werbenden Chor.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 22
22
338
Nun ruft er zum dritten; er ruft es nun mir:
Die andern sind tot, und die Reih’ ist an dir!
Die Reih' ist an mir, das Gewehr in der Hand,
Zu fechten für Freiheit und Vaterland.
Hinaus denn, hinaus in des Kampfes Glut!
Leb, Mutter, wohl! bleib in Gottes Hut!" —
Hin ziehet der Knabe; das Schwert er schwingt;
Einhüllt sich das Weib, und die Trommel verklingt. (Besser.)
256. Preußens Erhebung.
Ein Häuflein nur von der „großen Armee" zog durch Preußen.
Sein Anblick erregte Entsetzen und Mitleiden. Zerlumpt, mit er-
frorenen Gliedmaßen, krank und elend erschienen die wieder, welche
erst vor wenig Monaten in stolzem Übermut und des Sieges gewiß
ausgerückt waren. „Das ist Gottes Finger!" ging es von Munde
zu Munde. Es gab nur ein Gefühl im Vaterlande: Rettung von
den Franzosen. Es war das erklärlich. Sie hatten Preußen zer-
stückelt, ausgesogen, den König und seine edle Gemahlin — die ruhte
nun schon im Grabe — verhöhnt. Der König war kaum noch Herr
in seinem Land. Sobald aber die erste Kunde von dem Strafgerichte
Gottes über die große Armee in Rußlands Schneegefilden nach
Preußen gekommen war, ging durch alle Herzen die freudige Über-
zeugung, daß jetzt die Stunde der Befreiung für das teure Vaterland
geschlagen habe. Man wartete sehnsüchtig, daß der König das
Zeichen zum Losschlagen geben sollte. Und der erließ endlich am
3. Februar 1813 einen Ausruf, sich freiwillig zum Schutze des Vater-
landes zu bewaffnen. Er versprach sich eine tiefe Wirkung nicht
davon. Aber die kühnsten Hoffnungen des Königs wurden weit über-
troffen. Die Begeisterung ergriff alle Stände. Jünglinge und
Männer verließen Beruf und Familie, um das Vaterland zu befreien,
ja selbst Jungfrauen unter mancherlei Verkleidungen drängten sich zu
den Waffen. In Berlin allein ließen sich 9000 junge Leute in die
Liste eintragen. In jenen Tagen schrieb einer von dort: „Das Ge-
dränge der Freiwilligen, die sich einschreiben lassen, ist so groß, wie
bei Hungersnot vor einem Bäckerladen." Es bildeten sich Freicorps,
unter welchen das Lützow’sche („Lützow’s wilde, verwegene Jagd")
das berühmteste war; diesem gehörte auch Theodor Körner an.
Als der König von solcher Begeisterung hörte, entrollten Thränen
seinen Augen. Nun zauderte er denn auch nicht länger, den schweren
Kampf zu beginnen. Nachdem er mit dem Kaiser Alexander von
Rußland ein Bündnis zur Befreiung Deutschlands und Europas von
der Fremdherrschaft geschlossen hatte, wurde am 16. März desselben
Jahres (1813) der Krieg an Frankreich erklärt und am folgenden
Tage ein denkwürdiger „Kriegsaufruf an das Volk" erlassen. Zu-
gleich wurde die Errichtung der Landwehr mit dem Wahlspruch:
„Mit Gott für König und Vaterland" verkündigt. „Der König
339
rief und alle, alle kamen." Das gesamte Volk erhob sich in
Begeisterung. Jünglinge, die kaum aus dem Knabenalter getreten
waren, Männer mit grauem Haar, Väter zahlreicher Familien —
alles eilte herbei zu dem harten Dienste des Krieges. Ganz Preußen
war eine Waffenstätte. Aber auch Greise und Kinder und vor allem
die Frauen waren von einem schönen Eifer entbrannt. Freudig
brachte die Hausfrau ihren Schmuck oder ihr Silbergerät, die Kinder
ihren Sparpfennig, die Dienstmagd die Ringe aus ihren Ohren, ja
edle Jungfrauen, weil sie nichts anderes hatten, den Erlös aus ihrem
abgeschnittenen schönen Haar dem Vaterlande zum Opfer. Unver-
geßlich wird in der Geschichte des Vaterlandes das Frühjahr 1813
ein. (Jahn.)
257. Gebet während der Schlacht.
1. Vater, ich rufe dich!
Brüllend umwölkt mich der Dampf der
Geschütze,
sprühend umzucken mich prasselnde Blitze.
Lenker der Schlachten, ich rufe dich!
Vater, du führe mich!
2. Vater, du führe mich!
Führ' mich zum Siege, führ' mich zum
Tode:
Herr, ich erkenne deine Gebote;
Herr, wie du willst, so führe mich!
Gott, ich erkenne dich!
3. Gott, ich erkenne dich!
So im herbstlichen Rauschen der Blätter,
als im Schlachtendonnerwetter,
Urquell der Gnade, erkenn' ich dich.
Vater, du segne mich!
4. Vater, du segne mich!
In deine Hand befchl' ich mein Leben,
du kannst es nehmen, du hast es gegeben;
zum Leben, zum Sterben segne mich!
Vater, ich preise dich!
5. Vater, ich preise dich!
's ist ja kein Kampf für die Güter der
Erde;
das Heiligste schützen wir mit dem
Schwerte;
drum fallend und siegend preis' ich dich.
Gott, dir ergeb' ich mich!
6. Gott, dir ergeb' ich mich!
Wenn mich die Donner des Todes be-
grüßen,
wenn meine Adern geöffnet fließen:
dir, mein Gott, dir ergeb' ich mich.
Vater, ich rufe dich!
(Theodor Körner.)
258. Theodor Körners Tod.
(* Von Chr. Pommerenke.)
Karl Theodor Körner war 1791 zu Dresden geboren und lebte im
Jahre 1813 in sehr angenehmen Verhältnissen als kaiserlicher Hoftheaterdichter in
Wien. Aber mit wehmütig düstern Blicken schaute er auf sein unglückliches Vater-
land, und die Seufzer seines gefesselten Volkes schlugen tiefe Wunden in seine
fühlende Brust. Da erscholl Preußens Ruf zu den Waffen gegen den Unterdrücker,
den gewaltigen und übermütigen Napoleon, Kaiser der Franzosen, und Körner
säumte keinen Augenblick, Beruf, Stellung und eine liebenswerte Braut zu ver-
lassen und dem Mahnrufe der Freiheit zu folgen. „Deutschland steht auf," schrieb
er an seinen Vater; „ich kann nicht in feiger Begeisterung den siegenden Brüdern
meinen Jubel nachleiern. Ich muß dem brausenden Wogensturme die mutige Brust
entgegendrücken; ich muß die Bande lösen helfen, in denen wir schmachten. Ich
weiß, Du wirst manche Unruhe erleiden müssen; die Mutter wird weinen; Gott
tröste sie! Ich kann's Euch nicht ersparen." Körner trat im März in die Lützow'sche
Freischar ein und wurde bald Lieutenant und Adjutant Lützows. Auf der Bahn
22*
340
des Ruhmes, an der Seite hochherziger Freunde sang er nun begeistert seine
Lieder, die ewig ermutigen werden. In mehreren Gefechten kämpfte er tapfer.
Bei Kitzen unweit Leipzig wurde er schwer verwundet, kaum, daß er sich noch auf
dem Pferde hielt und bis in den nahen Wald gelangte. Hier schlief er todmüde
ein. Und er wäre vielleicht nicht wieder aufgewacht, hätten nicht ein paar Bauern
ihn aufgesucht und nach einem benachbarten Orte gebracht, wo er unter guter Pflege
genas. Nach eingetretener Heilung kehrte er mit neuer Kampfeslust zu seiner
Schar zurück.
Inzwischen waren französische Truppen von Hamburg aus in Mecklenburg
eingebrochen. Lützow erhielt infolge dessen den Auftrag, mit seinen kühnen Reitern
den Feind durch Streifzüge zu beunruhigen. Zu einem solchen Zuge brach Lützow
am 26. August morgens 3 Uhr aus. Da bemerkten die Vorposten einen Zug
Wagen mit Munition und Lebensmitteln, welcher von zwei Compagnien feindlicher
Infanterie begleitet war. Diese wurden von drei Seiten angegriffen. Die Fran-
zosen flohen bald, und die Lützower setzten ihnen nach. Aber gleich darauf, als
der Feind bei Rosenberg nicht weit von Gadebusch einen Wald erreichte, verbarg
er sich hinter den Bäumen und feuerte von hier aus auf die Vorüber- und Her-
anreitenden. Da traf eine Kugel auch unsern Körner. Sie streifte den Hals des
Schimmels, drang unter der Herzgrube des Reiters ein und verletzte Leber und
Rückgrat gefährlich. Körner sank vom Pferde. Die Seinen kamen herzu, hoben
ihn auf, trugen ihn unter einen Baum und bemühten sich sehr um ihn. Alle
Sorgfalt war jedoch vergebens; noch einmal öffnete der todeswunde Held den
Mund; dann sank er sprachlos um. Mit stummem Schinerze legten ihn die
Waffenbrüder auf einen Wagen und fuhren ihn von dannen. Körner starb nach
wenigen Minuten. Die mit Blumen und Eichenlaub bekränzte teure Leiche wurde
nach Wöbbelin bei Ludwigslust gebracht, wo sie unter einer alten Eiche mit
allen kriegerischen Ehren und unter großer Bewegung der Herzen bestattet wurde.
Körner hatte, so wird berichtet, kurz vor dem unternommenen Kriegszug von
diesem Baume gesagt: „Wahrhaftig! dies ist eine kernige, deutsche Eiche, und um
ein Soldatengrab zu beschatten, könnte kein schönerer Baum gefunden werden,"
und sein Wunsch, ihm unter dieser Eiche die letzte Ruhestätte zu bereiten, wenn er
den Tod bald finden sollte, wurde ihm also erfüllt. Neben Körner ruhen auf dern
Wöbbeliner Kirchhofe seine einzige Schwester Emma und sein Vater. Die Inschrift
über dem Thor des Friedhofes „Vergesset die treuen Toten nicht" richtet an den
Besucher des freundlichen Gottesackers und auch im Geist an uns eine ernste Mah-
nung. Ahnungsvoll hatte der Dichter gesungen:
Doch stehst du dann, inein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil'gem Siegerglanz,
Vergiß die treuen Toten nicht und schmücke
Auch uns're Urne mit dem Eichenkranz!
Und die treuen Toten sind nicht vergessen worden. Die dankbare Mit-
und Nachwelt hat Theodor Körner an seinem Grabe auf stillem Eichengrunde ein
Denkmal mit Leier und Schwert gesetzt. Das schönste Denkmal aber hat ihm das
deutsche Volk im warmen Herzen aufgerichtet. Lassen wir denn den Helden in
seinem Grabe ruhen! Es ist ein geweihter, heiliger Grund; es ist, als ob aus
dem dunklen Laube der stattlichen Eiche herabrauschten Lieder der Liebe und des
Heldentums, als ob es aus demselben mahnte zu entschlossener That und auf-
opfernder Vaterlandsliebe, zur Treue und Einigkeit.
259. Die Entscheidung und Napoleons Sturz.
1. Napoleon hatte nach seiner Rückkehr aus Rußland rasch
ein neues, zahlreiches Heer geschaffen und den verbündeten Preußen
und Russen entgegengeführt. Am 2. Mai 1813 fand in der Nähe
von Lützen (Provinz Sachsen) die erste Schlacht in den Befreiungs-
kriegen statt. Napoleon hatte gedroht, der preußische Name sollte
gänzlich ausgelöscht werden aus dem Reiche der Völker. Gott aber
wollte es anders. Zwar zogen anfangs die Verbündeten sich vor der
feindlichen Übermacht zurück, allein bald folgte diesem Zurückweichen
ein mutiges Vorwärtsdringen. Den Russen und Preußen schlossen
sich die Östreicher an, und nun standen drei Heere dem französischen
Kaiser entgegen. Der oberste Feldherr der Preußen war der General
Blücher. Dieser edle Preußenheld, ein Greis an Jahren, ein
Jüngling an Feuer und Kampfeslust, hat den Franzosen die grimmigsten
Schläge ausgeteilt. Zuerst besiegte er sie in der Schlacht an der
Katzbach in Schlesien, wo er seinen Soldaten beim Angreifen zurief:
„Jetzt, Kinder, vorwärts!" Von dieser ruhmreichen Schlacht nannten
die Soldaten ihren Blücher „Marschall Vorwärts"; denn der
König erhob ihn bald darauf zum Feldmarschall.
Um dieselbe Zeit erkämpften die Verbündeten noch manchen
andern herrlichen Sieg. So schlugen sie Napoleons Feldherren in
den Schlachten bei Großbeeren in der Nähe von Berlin, bei
Kulm in Böhmen und bei Dennewitz unweit Wittenberg. Dann
drangen ihre Heere gegen Leipzig heran, wo Napoleon seine ganze
Streitmacht zusammengezogen hatte. Da begann am 16. Oktober der
dreitägige, ungeheure Kampf — die Völkerschlacht bei Leipzig.
Vergebens bot Napoleon alle Kunst und Kühnheit auf, er unterlag
schließlich dem begeisterten Heldenmut der Freiheitskämpfer; sein Heer
zog sich am Abend des 18. Oktobers nach Leipzig zurück. Die ver-
bündeten Fürsten aber fielen auf dem Schlachtfelde auf die Kniee,
um Gott dem Herrn für den großen Sieg zu danken, den er ihnen
verliehen hatte. Am folgenden Tage drangen die Sieger in die
Stadt Leipzig ein, während die Franzosen in eiliger Flucht ihre
Rettung suchten. —- Das war die gewaltige Schlacht bei Leipzig,
welche unserm Vaterlande die Freiheit wieder geschenkt hat. Napoleon
konnte nun nicht mehr daran denken, sich in Deutschland zu behaupten.
Mit den Trümmern seines Heeres eilte er über den Rhein nach
Frankreich zurück. Die Verbündeten folgten ihm nach. Es gab auf
französischem Boden noch manchen hartnäckigen Kampf. Der kühne
Blücher drängte unermüdlich vorwärts, und am 31. März des
folgenden Jahres zogen die Verbündeten als Sieger in die stolze
Hauptstadt Paris ein. Nun war es aus mit Napoleons Herrlichkeit;
er wurde des Thrones entsetzt, mußte sich nach der kleinen Insel
342
Elba im Mittelmeere begeben, dìe ihm zum Eigentum angewiesen
wurde, und Frankreich erhielt einen andern König.
2. Nach dem Sturze Napoleons war es die nächste Aufgabe
der verbündeten Fürsten, die Verteilung der wieder eroberten Länder
festzustellen. Sie veranstalteten zu diesem Zwecke eine Versammlung
(Kongreß) in Wien. Es verging viele Zeit, ohne daß man sich
einigen konnte. Ja, es drohte sogar aus den Beratungen neuer
Zwiespalt und Kampf hervorzugehen. Das erfuhr der Verbannte
auf der Insel Elba, und er erfuhr weiter, daß die Franzosen ihren
neuen König nicht liebten. Da faßte er einen kühnen Entschluß.
Mit einem Häuflein seiner alten Soldaten verließ er plötzlich sein
Elba und landete an Frankreichs Küste. Jubelnd wurde er aufge-
nommen, und in kurzem hielt er triumphirend seinen Einzug in Paris,
während der neue König eiligst aus dem Lande floh. — Die Kunde
von diesen Ereignissen stellte die Einigkeit unter den in Wien ver-
sammelten Fürsten rasch wieder her. Sie erklärten Napoleon als
„Feind und Störer der Ruhe der Welt" in die Acht und rüsteten
sich unverzüglich zu neuem Kampfe. Anfangs mußte der greise
Blücher der großen Übermacht (bei dem belgischen Dorfe Ligny*)
weichen, als aber einige Tage darnach die verbündeten Heere sich
vereinigt hatten, kam es am 18. Juni 1815 beim Dorfe Waterloo**),
in der Nähe von Brüsiel, zu einer großen Schlacht. Vergeblich ist
der Widerstand der Franzosen; das Heer wirft sich in die wildeste
Flucht. Kaum entrinnt Napoleon den Händen der Sieger; seinen
Reisewagen und andere Habseligkeiten zurücklassend, kommt er als
Flüchtling nach Paris; sein Heer ist vernichtet.
Die siegreichen Heere der Verbündeten zogen bald zum zweiten-
mal in Paris ein, und Napoleon wurde von neuem — diesmal
sicherer — abgesetzt. Die Verbündeten schickten ihn in die Ver-
bannung nach der einsamen Felseninsel St. Helena mitten im
Atlantischen Ocean. Dort lebte er, 800 Meilen von Frankreich ent-
fernt, umgeben von wenigen Getreuen, noch fünf Jahre. — Alle
Eroberungen, die Frankreich seit dem Ausbruche der großen Revolution
gemacht hatte, mußte es herausgeben. Östreich und Preußen wurden
in ihrer früheren Größe wieder hergestellt; dazu erhielt Preußen die
Hälfte des Königreichs Sachsen und die schöne Rheinprovinz. Das
deutsche Kaisertum dagegen wurde nicht wieder aufgerichtet;
an die Stelle des alten Reichs trat der Deutsche Bund, zu welchem
sich alle deutschen Staaten vereinigten. (Keck Lesebuch. Gekürzt.)
260. Gottes Mauer.
1. Drauß vor Schleswig an der Pforte Dänen ziehen ab zur Nacht;
Wohnen armer Leute viel.
Ach, des Feindes wilder Horde
Werden sie das erste Ziel.
Russen, Schweden sind verbündet,
Brechen her mit wilder Macht.
Waffenstillstand ist gekündet;
Drauß vor Schleswig, weit vor allen,
Liegt ein Hüttlein ausgesetzt.
*) Sprich: Linji.
**) Belle-Alliance — sprich aus: Bcllalljangs.
343
2. Drauß vor Schleswig in der Hütte
Singt ein frommes Mütterlcin:
„Herr, in deinen Schoß ich schütte
Alle meine Angst und Pein!"
Doch, ihr Enkel, ohn Vertrauen,
Zwanzigjährig, neuster Zeit,
Will nicht auf den Herren bauen,
Meint, der liebe Gott wohnt weit.
Drauß vor Schleswig in der Hütte
Singt das fromme Mütterlein.
3. „Eine Mauer um uns baue,"
Singt das fromme Mütterlein,
„Daß dem Feinde vor uns graue,
Hüll in deine Burg uns ein!"
„Mutter," spricht der Wcltgesinnte,
„Eine Mauer uns ums Haus
Kriegt unmöglich so geschwinde
Euer lieber Gott heraus!"
„Eine Mauer um uns baue!"
Singt das fromme Mütterlcin.
4. „Enkel, fest ist mein Vertrauen:
Wcnn's dem lieben Gott gefällt,
Kann er uns die Mauer bauen,
Was er will, ist wohl bestellt."
Trommeln überall her prasseln.
Die Trompeten schmettern drein,
Rosse wiehern, Wagen rasseln;
Ach, nun bricht der Feind herein!
„Eine Mauer um uns baue!"
Singt das fromme Mütterlein.
5. Rings in alle Hütten brechen
Schwed und Russe mit Geschrei,
Fluchen, lärmen, drängen, zechen;
Doch dies Haus ziehn sie vorbei.
Und der Enkel spricht in Sorgen:
„Mutter, uns verrät das Lied!"
Aber sieh! das Heer von Morgen
Bis zur Nacht vorüberzieht.
„Eine Mauer um uns baue!"
Singt das fromme Mütterlein.
6. Und am Abend tobt der Winter,
An das Fenster stürmt der Nord.
„Schließt die Laden, liebe Kinder!"
Spricht die Alte und singt fort.
Aber mit den Flocken fliegen
Vier Kosackenpulke ran.
Rings in allen Hütten liegen
Sechszig, auch wohl achtzig Mann.
„Eine Mauer um uns baue!"
Singt das fromme Mütterlein.
7. „Eine Mauer um uns baue!"
Singt sie fort die ganze Nacht.
Morgens wird es still: „O schaue,
Enkel, was der Nachbar macht!"
Auf nach innen geht die Thüre;
Nimmer käm er sonst hinaus:
Daß er Gottes Allmacht spüre,
Lag der Schnee wohl mannshoch drauß'.
„Eine Mauer um uns baue!"
Sang das fromme Mütterlein.
8. „Ja, der Herr kann Mauern bauen,
Liebe, gute Mutter, komm,
Gottes Mauern anzuschauen!"
Rief der Enkel und ward fromm.
Achtzchnhundertvierzehn war es,
Als der Herr die Mauer baut',
In der fünften Nacht des Jahres;
Selig, wer dem Herrn vertraut.
„Eine Mauer um uns baue!"
Sang das fromme Mütterlein.
(Brentano.)
261. Friedrich Wilhelm IV.
Der König Friedrich Wilhelm III. lebte nach den Befreiungs-
kriegen und dem Sturze Napoleons itodj 25 Jahre, welche ihm in
Frieden dahinflössen. Seine Regierung ist eine gesegnete gewesen,
wiewohl sie ihm auch viel Leid zu tragen auferlegt hat. Nor allem
war es in dieser Beziehung das drückende Joch Frankreichs; dann
aber hat er auch den Tod seiner geliebten Luise nie verschmerzen
können. Ein edler, christlicher und weiser Regent, ist er selig zu
seinen Vätern versammelt worden am 7. Juni 1840 nach 43jähr.
Regierung, 70 Jahre alt.
344
Sein ältester Sohn Friedrich Wilhelm IV. folgte ihm in
der Regierung (1840—1861). Er wohnte den großen Freiheits-
kriegen bei und zeigte schon als Kronprinz neben seiner Neigung zu
militärischen Dingen regen Sinn für Kunst und Wissenschaft. Mit
hohen, heiligen Vorsätzen nnd mit versöhnenden Maßregeln begann
er seine Regierung. Zu Königsberg, nachdem ihm der Eid der Treue
geleistet worden war, gelobte er mit lauter Stimme, daß er ein ge-
rechter Richter, ein treuer Fürst, ein christlicher König sein. Recht
und Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person üben wolle. Das hat er
auch, so weit es einem Menschen möglich war, gehalten. Und wenn
er, wie einst Josua, der Knecht Gottes, gesprochen hat: „Ich und
mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen," so muß man von ihm
rühmen: Ja, er diente dem Herrn mit seinem Hause; er diente ihm
mit seiner frommen Gemahlin (Elisabeth von Bayern). Sein edles
und frommes Gemüt hatte auch für die Leiden der Menschen immer
ein offenes Auge. So ließ er z. B. in Berlin ein sehr großes und
schönes Haus, Bethanien genannt, bauen und zu einem Krankenhause
vortrefflich einrichten; tausend von Kranken aller Art werden hier
noch heute durch die ©mfomffimtcn gepflegt.
Die Hohenzollernschen Lande fielen durch Vertrag an Preußen,
auch kaufte der König ein Stück Land zur Anlegung eines Kriegs-
hafens am Jahdebusen. Er unterstützte die Schleswig-Holsteiner in
ihrem Kampfe gegen die Dänen, mußte aber, von den andern Groß-
mächten bedroht, seine Schützlinge den Dänen überlassen. — König
Friedrich Wilhelm IV. war auch stets dafür begeistert, daß das
deutsche Volk stark und einig werden möge. Er wollte sogar das
Opfer bringen, daß Preußen in Deutschland aufgehen solle. Das
deutsche Volk ehrte ihn als den edelsten und würdigsten unter seinen
Fürsten. Als ihm aber die Kaiserkrone vom deutschen Parlament
entgegengetragen wurde, erklärte er sich zur Annahme bereit, wenn
alle deutschen Fürsten damit einverstanden wären. Aber seine un-
eigennützigen Bemühungen scheiterten besonders an dem Widerstände
Östreichs, das den alten Bundestag wieder herstellte. — Leider blieb
seine Regierung nicht ungetrübt. Im Jahre 1848 brach nämlich
in Frankreich eine Revolution aus; die Franzosen verjagten ihren
König und wählten später Louis Napoleon, einen Neffen Napo-
leons I., zu ihrem Kaiser. Da brachen auch Unruhen in Deutsch-
land aus, selbst in Berlin. Doch der König übte Nachsicht mit den
Verblendeten. Um den Wünschen des Volks zuvorzukommen, gab er
dem Lande eine neue Verfassung, nach welcher den Unterthanen auch
eine Teilnahme an der Gesetzgebung eingeräumt wurde. (Konstitution.)
Die letzten Jahre der Regierung des Königs waren für ihn
wie für das ganze königliche Haus eine Zeit schwerer Heimsuchung:
der König wurde im Herbst 1857 von einer Gehirnlähmung betroffen.
Die Regierungsgeschäfte hatte er seinen: Bruder Wilhelm über-
tragen; ein Jahr später übernahm dieser an Stelle des Königs als
Prinz-Regent die Regierung, worauf er später als Wilhelm I.
345
König wurde. Ein sanfter Tod machte in der Nacht zum 2. Januar
1861 den Leiden des Bruders ein Ende. Mit tiefem Schmerze
empfing das ganze Land die Trauerbotschaft.
Wenige Jahre nach seinem Tode brach unter König Wilhelms
Regierung der dänische und östreichische Krieg aus.
(Nach Bocks Lesebuch.)
XXII.
Im Teutoburger Wald, den wir auf der Landkarte im Norden Westfalens
und westlich von der Weser suchen müssen, war's, wo der deutsche Hermann den
Varus besiegt und unser Vaterland von dem Joche der Römer befreit hat (Nr. 190).
1. Hermann hat den Varus besiegt. 2. Hermann war ein deutscher Held.
3. Er hat unser Vaterland von dem Joche der Römer befreit. 4. Die Schlacht
war im Teutoburger Wald. 5. Wir müssen denselben auf der Landkarte im Nor-
den Westfalens rc. suchen.
Palästina . . . war wie eine feste Burg . . . (Nr. 181 Die Juden).
1. Palästina hat ein mildes Klima. 2. Das Land war für Israel eine feste Burg.
3. Israel konnte sicher darin wohnen. 4. Es konnte sich darin auch zum großen
Volke ausbilden. 5. Palästina war durch natürliche Mauern abgeschlossen. 6.
Letztere waren das Mittelmeer rc. 7. Die Moabiter rc. sind Israels heidnische
Nachbarn gewesen.
XXIII.
(Nr. 411.) 1. Napoleon konnte nicht mehr daran denken, sich in Deutschland
zu behaupten. 2. Mit den Trümmern seines Heeres eilte er über den Rhein nach
Frankreich zurück. 3. Die Verbündeten folgten ihm nach. 4. Es gab auf fran-
zösischem Boden noch manchen hartnäckigen Kampf. — Napoleon konnte nicht daran
denken, sich in Deutschland zu behaupten, als er mit den Trümmern seines
Heeres über den Rhein nach Frankreich zurückeilte, wohin ihm die Verbündeten
nachfolgten, und wo es (dann) noch manchen hartnäckigen Kampf (zu bestehen) gab.
262. Friedrich Rotbart.
1. Tief im Schosse des Kyffhäusers, bei der Ampel rotem
Schein
Sitzt der alte Kaiser Friedrich an dem Tisch von Marmorstein.
2. Ihn umwallt der Purpurmantel, ihn umfängt der Rüstung
Pracht,
Doch auf seinen Augenwimpern liegt des Schlafes tiefe Nacht.
3. Vorgesunken ruht das Antlitz, drin sich Ernst und
Milde paart,
Durch den Marmortisch gewachsen ist sein langer, goldner Bart.
4. Rings wie eh’rne Bilder stehen seine Ritter um ihn her,
Harnischglänzend, schwertumgürtet, aber tief im Schlaf wie er.
5. Heinrich auch, der Ofterdinger, ist in ihrer stummen
Schar
Mit den liederreichen Lippen, mit dem blondgelockten Haar.
6. Seine Harfe ruht dem Sänger in der Linken ohne Klang,
Doch aut seiner hohen Stirne schläft ein künftiger Gesang.
346
7. Alles schweigt, nur hin und wieder fällt ein Tropfen
vom Gestein,
Bis der grosse Morgen plötzlich bricht mit Feuersglut herein;
8. Bis der Adler stolzen Fluges um des Berges Gipfel
zieht,
Dass vor seines Fittichs Rauschen dort der Rabenschwarm ent-
flieht.
9. Aber dann wie ferner Donner rollt es durch den Berg
herauf,
Und der Kaiser greift zum Schwerte, und die Ritter wachen auf.
10. Laut in seinen Angeln tönend, springet auf das eh’rne
Thor,
Barbarossa mit den Seinen steigt im Waffenschmuck empor.
11. Auf dem Helm trägt er die Krone und den Sieg in
seiner Hand,
Schwerter blitzen, Harfen klingen, wo er schreitet durch das
Land.
12. Und dem alten Kaiser beugen sich die Völker allzu-
gleich,
Und aufs neu zu Aachen gründet er das heil’ge „Deutsche
Reich".
(Emanuel G-eibel.)
263. Der dänische und der östreichische Krieg. 1864 und 1866.
Der dänische König regierte gleichzeitig mit seinem dänischen Staate die
ElbHerzogtümer: Schleswig, Holstein und Lauenburg; aber im übrigen bil-
deten sie selbständige Herzogtümer für sich mit eigenen Gesetzen, Holstein und
Lauenburg gehörten sogar zum deutschen Bunde. Deshalb durfte Dänemark mit
diesen Ländern auch durchaus nicht eigenmächtig verfahren. Die Dänen aber übten
je länger, desto stärker auf die Herzogtümer einen Druck aus, der dem Volke ganz
und gar zuwider war; namentlich hausten sie in Schleswig sehr eigenmächtig, wo
sie durch Einführung dänischer Pastoren, Lehrer und Richter alles aufboten, um
die deutsche Sprache auszurotten. Genug, der König (Christian IX.) wollte die
deutschen Herzogtümer ganz dänisch machen; Schleswig hatte er bereits dem däni-
schen Staate völlig einverleibt. Dieser Ungerechtigkeit konnte der ritterliche Preußen-
könig, Wilhelm 1., nicht stillschweigend zusehen, zumal er ausgesprochen hatte, daß
mit seinem Willen keinen Fußbreit deutscher Erde vom Vaterlande losgerissen wer-
den solle. Deshalb verband er sich mit dem Kaiser von Östreich, und beide
rüsteten ihre Heere, um die Herzogtümer in ihren Rechten zu schützen. Es war
am 1. Februar 1864, als die verbündeten Preußen und Östreicher die Eider über-
schritten. Wenn auch die Dänen hinter sicheren Schanzen und Wällen (den Dane-
werken) saßen, so mußten sie dieselben doch bald räumen und in die Düppler
Schanzen, sowie in die Festung Friederieia fliehen. Auch letztere räumten sie,
als die Düppler Schanzen von den Preußen am 18. April desselben Jahres er-
stürmt worden waren. Durch den kühnen Übergang der Preußen über
347
den Alsensund — cs war in Wirklichkeit ein Sturm zu Wasser! — wurden
die Dänen schließlich auch von der Insel Alsen vertrieben. Der deutsche Boden
war nun frei, und die Dänen mußten die deutschen Herzogtümer an Preußen und
Östreich abtreten.
Die Frage über den Besitz dieser Länder führte aber zu einem Zerwürfnis
zwischen beiden Großmächten, und es entstand ein neuer Krieg, an dem auch alle
andern deutschen Staaten sich beteiligten. Die meisten von ihnen (Bayern, Wür-
temberg, Sachsen, Hessen, Hannover) standen auf östreichischer Seite. Die Han-
noveraner mußten sich in der Schlacht bei Langensalza den von allen Seiten
herangerückten Preußen ergeben, ihr König Georg ging nach Wien; der Kurfürst
von Hessen wurde gefangen. Die Sachsen zogen nach Böhmen und vereinigten
sich mit den Östreichern. Das östreichische Heer wurde in mehreren Gefechten ge-
schlagen; die Entscheidungsschlacht erfolgte bei Königgrätz, am 3. Juli 1866.
Die Stellung der Östreicher war hier sehr fest, so daß die Preußen keinen Sieg
davon tragen konnten. Als aber der Kronprinz Friedrich Wilhelm, durch weite
Entfernung und schlechte Wege so lange zurückgehalten, auf dem Schlachtfelde an-
gekommen war und mit angriff, erfolgte die Entscheidung. Das Heer der Östreicher
verließ das Schlachtfeld; die Preußen folgten ihnen unter Führung des Königs
Wilhelm und standen nach wenigen Tagen vor Wien. Da erfolgte Waffenstillstand
und bald darauf der Friede zu Prag (22. August 1866); diesem traten auch
Östreichs Bundesgenossen bei. — Die Schlacht bei Königgrätz war eine der größten
unsers Jahrhunderts und der erste große Sieg, den die Preußen seit Friedrich dem
Großen allein erfochten. Was wäre aus Preußen und Deutschland geworden,
wenn Östreich gesiegt hätte! Nun aber wurde der Sieg bei Königgrätz die Grund-
lage und der erste große Schritt zur Einigung Deutschlands, zur Herstellung des
deutschen Kaiserreichs.
Der bisherige „deutsche Bund" hörte auf; an dessen Stelle gründete Preußen
unter seinem Vorsitz den norddeutschen Bund aus den Staaten nördlich vom
Main, Königreich Sachsen miteingeschlossen, und Östreich mußte aus Deutschland
ausscheiden. Mit den süddeutschen Staaten schloß Preußen ein Schutz- und Trutz-
bündnis, wornach jene sich verpflichteten, ihre Kriegsmacht im Falle eines Krieges
unter den Oberbefehl des Königs von Preußen zu stellen. Dadurch wurde die
Waffenbrüderschaft und das treue Zusammenhalten der Nord- und Süddeutschen
in dem Kriege gegen Frankreich (1870) vorbereitet. Das Königreich Hannover,
das Kurfürstentum Hessen, die Herzogtümer Nassau und Schleswig-Holstein, sowie
die freie Stadt Frankfurt a. M. wurden mit Preußen vereinigt; Lauenburg war
durch Vertrag schon ein Jahr früher für ll/2 Millionen Mark an Preußen abge-
treten. Das preußische Gebiet erstreckte sich nun von den Grenzen Dänemarks
bis an den Main, und Norddeutschland bildete jetzt von Frankreichs bis zu Ruß-
lands Grenze ein zusammenhängendes Ganzes. (Nach verschiedenen Berichten).
264. Rotbartes Testament.
Im alten Berg Kyffhäuser dort im Thüringer Land,
da schläft der Kaiser Friedrich, der Rotbart beibenannt.
Er sitzt an seinem Tische und träumet schiver und bang:
„Mein Deutschland, o mein Deutschland, der Bart wächst gar zu lang!"
348
Da horch! Es hallt und dröhnet, es bebt der alte Turm:
„Das ist kein Ungewitter, das ist ein andrer Sturm!"
Der Kaiser Friedrich recket sich aus dem Schlaf und spricht:
„Wo bleiben denn die Raben? — Die Raben fliegen nicht!"
„„Erwache, alter Kaiser, gekommen ist die Zeit
von Deutschlands Ruhm und Größe, von Deutschlands
Einigkeit!""
Der Kaiser hat vom Golde die Rüstung angethan,
und mit gewalt'gem Schritte steigt er den Berg hinan.
Und wie er sieht die Heere aus allen deutschen Gaun —
mit Thränen in den Augen, er mag sich selbst kaum traun. —
Und sieht sie zu einander einmütig alle stehn,
um für die deutsche Sache in Kamps und Tod zu gehn.
Und wie er hört die Lieder: „Fest steht die Wacht am Rhein!"
und: „Deutschland über alles!" „Ganz Deutschland soll es sein!"
Und wie er sieht den Alten, den königlichen Greis,
da ruft er: „Deutschland einig! Dem Herrn sei Lob und Preis!
Run kann ich ruhig schlafen — und hier mein Testament:
Das Scepter und die Krone leg' ich in deine Hand'!"
(E. Költsch.)
265. Der betende König am Grabe.
(Der 19. Juli 1870.)
1. Zu Charlottenburg im Garten
in den düstern Fichtenhain
tritt, gesenkt das Haupt, das greise,
unser teurer König ein.
2. Und er steht in der Kapelle,
seine Seele ist voll Schmerz;
drin zu seiner Eltern Füßen
liegt des frommen Bruders Herz.
3. An des Vaters Sarkophage
lehnet König Wilhelm mild,
und sein feuchtes Auge ruhet
auf der Mutter Marmorbild.
um den Hohn des bösen Feindes,
um des Vaterlandes Schmach!
6. „JeneSchmachhast dugerochen
längst, mein tapfrer Vater, du;
aber Frankreich wirft aufs neue
heute uns den Handschuh zu!
7. „Wieder sitzt ein Bonaparte
ränkevoll auf Frankreichs Thron,
und zum Kampfe zwingt uns heute
wieder ein Napoleon!
8. „Tret' ich denn zum neuen
Kampfe
4. „Heute war's vor sechzig
Jahreil,"
leise seine Lippe spricht,
„als ich sah zum letztenmale
meiner Mutter Angesicht!
5. „Heute war's vor sechzigJahren,
als ihr deutsches Herze brach
wider alte Feinde ein,
dann soll's mit dem alten Zeichen,
mit dem Kreuz von Eisen sein!
9. „Der Erlösung heilig Zeichen
leuchte vor im heil'gen Krieg,
und der alte Gott im Himmel
schenkt dem alten König Sieg!
349
10. „Blicke segnend, Mutterauge!
Vater, sieh! dein Sohn ist hier!
und auch du, verklärter Bruder,
heute ist dein Herz bei mir!"
11. Leise weht es durch die Halle-
König Wilhelm hebt die Hand,
all die goldnen Sprüche funkeln
siegverheißend von der Wand.
12. Zu Charlottenburg im Garten
aus dem düstern Fichtenhain
tritt der König hoch und mächtig,
um sein Antlitz Sonnenschein.
(Georg Hesekiel.)
266. Der deutsch-französische Krieg 1870—1871.
Kaiser Napoleon III. sah neidisch auf Deutschlands wach-
sende Macht und Einigkeit, auch wollte er sich und seinem Geschlecht
durch einen erhofften Sieg über Deutschland den französischen Kaiser-
thron sichern. Ein Vorwand zum Kriege war bald gefunden. Die
Spanier hatten ihre Königin*) vertrieben und boten die Krone einem
hohenzollernschen Prinzen**) an, der sie auch annehmen wollte. Na-
poleon stellte nun an den König Wilhelm, der sich gerade in Ems
zu einer Badekur aufhielt, das Verlangen, dem Prinzen die Annahme
der Krone zu untersagen, und, als dieser freiwillig entsagte, die For-
derung, schriftlich sich zu verpflichten, niemals einzuwilligen, wenn ein
Hohenzoller die spanische Königskrone annehmen wolle. Das alles
geschah in einer höchst beleidigenden Art. Als der König alle diese
Anträge zurückwies, behauptete Napoleon, Frankreichs Ehre sei ver-
letzt und erklärte (19. Juli 1870) Preußen den Krieg. Napoleon
hoffte auf die unglückselige, alte, deutsche Uneinigkeit, hatte sich aber
sehr verrechnet; denn ganz Deutschland erhob sich wie ein Mann
gegen den schnöden Friedensstörer. Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
ertönte es in allen deutschen Gauen, und alles eilte herbei zur
Wacht am Rhein.
In 14 Tagen war die ganze deutsche Armee mobil und stand
in drei Heeren an der französischen Grenze. Die I. Armee unter
dem General v. Steinmetz stand bei Trier, die II. unter dem
Prinzen Friedrich Karl bei Mainz, die III. unter dem Kron-
prinzen Friedrich Wilhelm in der Rheinpfalz; die IV. Armee
unter Vogel v. Falken stein wurde zum Schutze der deutschen Küsten
zusammengezogen. Das Oberkommando führte der König Wilhelm
selbst. Chef***) des Generalstabes war der berühmte (Schlachtendenker
und -lenker) v. Moltke. Auch die Franzosen wurden von tapfern
Generalen: Mac Mahonch), BazainePP) u. a. angeführt.
Napoleon besetzte (2. August 1870) die preußische Stadt Saar-
brücken. Nun ging aber die 3. Armee vor und schlug Mac Mahon
(4. August) bei Weißenburg und (6. Aug.) bei Wörth, wodurch
dessen Heer vollständig aufgelöst war. Auch General v. Steinmetz
■) ^fstbella. Ihr Sohn Alfons XII. wurde 1874 König von Spanien.
**) Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen.
***) Scheff.
f) Mack Maong.
ff) Basähn.
350
ging (6. Aug.) bei Saarbrücken über die französische Grenze und
schlug deu französischen General Frossard bei Spichern. Jetzt
zogen sich die Franzosen auf der ganzen Linie zurück, um ihre Macht
zu einer Hauptschlacht zu vereinigeu. Doch General v. Moltke
machte, um dies zu verhindern, eins seiner größten Meisterwerke.
Der Kronprinz mußte nämlich Mac Mahons geschlagene Armee weit
ins Land hinein verfolgen; Steinmetz hinderte Bazaines Armee
(d. 14. Aug.) durch die Schlacht bei Courcelles*) östlich von Metz
am weitern Rückzug nach Westen, während Friedrich Karl Metz um-
ging. Am 16. August suchte Bazaine bei Mars la Tour**) (auch
Vionville***) den Durchbruch zu erzwingen, jedoch vergebens; er
wurde (am 18. Aug.) durch König Wilhelm in der furchtbaren Ent-
scheidungsschlacht bei Grave lotteH) vollständig geschlagen und
der Rest seiner Armee in Metz eingeschlossen. Die Belagerung
von Metz leitete Prinz Friedrich Karl. Die übrigen deutschen Heere
Zogen Mac Mahons Armee nach. Der Kronprinz Albert von
Sachsen schlug (am 30. Aug.) bei BeaumontPP) Mac Mahon und
drängte ihn auf SedanPPP) zurück. Hier wurde Mac Mahon (am
1. September) nochmals geschlagen, seine ganze Armee (83,000 Mann,
4000 Offiziere und 40 Generale) umzingelt und am 2. September
gefangen genommen. Auch Napoleon wurde hier gefangen und
nach Wilhelmshöhe bei Kassel als Gefangener gebracht*^). Der
König aber schrieb voll Demut an seine Gemahlin: „Welch eine
Wendung durch Gottes Führung!" — Bazaine machte am 1. Sep-
tember einen Ausfall aus der Festung, und es kam zur Schlacht bei
Noissevill c**P). Doch wurde er nach 36stündigem heißen Kampfe
wieder zurückgetrieben. -- Die Franzosen aber setzten (4. Septbr.)
das Kaiserhaus Napoleon ab und erklärten Frankreich wieder für
eine Republik.
Die deutschen Heere belagerten Paris und schlossen die Stadt
wie mit einem eisernen Ringe ein, den der Feind trotz aller Anstren-
gung nicht zu durchbrechen vermochte. Die Franzosen wollten ihre
Hauptstadt entsetzen und zogen in kurzer Zeit 3 neue Heere zusammen.
Der bayrische General v. d. Tann und der Großherzog von
Mecklenburg kämpften gegen den Feind im Süden von Paris; sie
hatten aber einen schweren Stand, bis Friedrich Karl nach der Ka-
pitulation von Metz (27. Oktober) zur rechten Zeit herankam.
Er schlug am folgenden Tage die Franzosen und besetzte Orleans.
Die andern französischen Heere wurden vom General v. Man-
*) Kursell.
**) Marr la Tuhr.
***) Wiongwihl.
f) Grawelott.
tt) Bomong.
fff) Sebcmg.
*f) Nach betn Kriege nahm Napoleon seinen Aufenthalt in Englanb, wo
er ben 9. Jan. 1873 starb.
**t) Noasswihl.
351
te uff el*) und vom General v. Go eben**) geschlagen. Den
schwersten Stand hatte der General v. Werder, der Belsort be-
lagerte, gegen die Armee unter Bourbaki, die nach Deutschland
durchbrechen wollte; er widerstand drei Tage lang dem Andringen
der französischen Übermacht, und als Manteuffel zu seiner Hülse her-
beikam, wurde Bourbaki mit seiner Armee über die Schweizergrenze
getrieben und mußte sich dort ergeben. Unterdessen hatte (am 28.
Septbr.) die starke Festung Straßburg kapituliert und am 28.
Januar 1871 ergab sich auch Paris. Am 1. März besetzten die
deutschen Truppen Paris. Der Abschluß des Friedens verzögerte
sich aber, weil dort ein Ausstand ausbrach. Als dieser von den
Franzosen selbst niedergeworfen war, erfolgte der Friede zu Frank-
furt (10. Mai 1871). — Frankreich mußte Elsaß und Deutsch-
Lothringen an Deutschland abtreten und 5 Milliarden Franks
Kriegskosten zahlen.
(H. Lettau, Bilder aus der deutschen u. preuß. Geschichte.)
267. Dem deutschen Kaiser zum 2. September.
(Von Lina Grass.)
1. Heil dem deutschen
Manne,
Der mit rascher That
Aus dem schweren Banne
Uns erlöset hat,
Der mit einem Schlage
Alte Fesseln brach:
Blut'ger Tag von Sedan —
Heute Feiertag! —
(Mel.: Freiheit, die ich meine rc.)
2. Freudenseuer glühen
Rot in dunkler Nacht,
Und zum Himmel sprühen
Sie in stolzer Pracht,
Mahnen an die Stunden,
Wo in heißer Schlacht
Und mit heißen Wunden
Großes ward vollbracht.
Tönt ihr Jubellieder
Laut zu Glockenklang,
Fahnen flattert nieder
Heut' zu Preis und Dank,
Und uns hält umschlungen
Fest ein heilig Band:
Hoch den deutschen Streitern!
Hoch dem Vaterland!!
*) Bei Vapaume am 2. u. Z. Jau. 1871.
**) Bei St. Quentin am 19. Jan.
352
268. Kaiser Wilhelm am Krankenbette eines
deutschen Soldaten.
Eines Tages durchschritt der deutsche Kaiser Wil-
helm die Lazaretsäle zu Versailles, wie er häufig zu
thun pflegte. Überall tröstete er, und oft ivar es schon
der blosse Anblick seines lieben, freundlichen Gesichts,
welcher die armen Verwundeten auf Augenblicke ihre
Schmerzen vergessen liess. — So trat er diesmal auch
zu der Lagerstätte eines jungen verwundeten Infante-
risten. Der war infolge eines Schlafpulvers eingeschlum-
mert und hatte ein Album von Gedichten auf dem
Bette offen liegen lassen. Der König trat leise, um
den armen Verwundeten nicht zu stören, hinzu, nahm
den neben dem Album liegenden Bleistift und schrieb
die wenigen Worte hinein:
„Mein Sohn, gedenke deines treuen Königs!
Wilhelm.“
Der Soldat erwachte, und reiche Thränen perlten
ihm beim Anblick dieser Zeilen aus den Augen.
Wenige Tage darauf besuchte der Kaiser wiederum
das Lazaret und trat sofort auf den Infanteristen zu,
drückte ihm freundlich die Hand und tröstete ihn. Der-
selbe war jedoch schon vom Tode als sichere Beute er-
lesen worden/ wachsbleich, mit halb gebrochenen Augen
starrte er ins Leere. Kaum jedoch hatte er seinen
König erkannt, als er sich mit der letzten Kraft seines
Körpers emporrichtete, den König mit leuchtenden Augen
anblickte und sagte:
„Majestät, ich werde Ihrer ewig gedenken, auch
dort oben. — Amen.“ Der Verwundete sank ermattet
zurück, und ein leises Röcheln verkündete, dass er aus-
gelitten hatte. — Der Kaiser trat hinzu, drückte ihm
die Augen sanft zu, und eine Thräne rollte dem grei-
sen Fürsten in seinen weifsen Bart.
(Richard Lauxmann, „G-edenkblätter“ III. Bd. 8. 173.)
353
269. Ein feines Kompliment.
Aus dem Lager bei Wörth.
(*Von Lina Graff.)
Als nach der heißen Schlacht bei Wörth
Der Kronprinz heim ins Lager kehrt,
Sieht er ein Häuslein Bayern.
Der Kronprinz tritt hinzu und sagt:
„Ihr habt Eure Sache brav gemacht!
Steht tapser in den Feuern,
Ihr thatet wacker Eure Pflicht;
Doch sagt, wie möcht' es kommen,
So war es 66 nicht,
Wo Ihr Reißaus genommen."
Der ehrliche Bayer hört's und spricht:
„Wir hatten Friedrich Wilhelm noch nicht,
Den Feldherrn, den Großen, wie eben;
Sonst hätten auch Hiebe hageldicht
Von uns die verwünschten Preußen gekriegt,
Daß sie verzagt am Leben!"
Da lacht der Kronprinz: „Dies Kompliment
Ist von der feinsten Sorte;
Nun Zeigt dem Franzmann, daß einerlei,
Ob's Bayer oder Preuße sei,
Daß nur ein einiges Deutschland sei,
Durch Thaten mehr als durch Worte."
270. Wiederherstellung des deutschen Reiches.
1. Als Friedrich Wilhelm IV. 1849 von der damaligen
Reichsversammlung die deutsche Kaiserkrone angetragen erhielt und
sie ablehnte, erklärte er: Der Kaiser von Deutschland muß auf dem
Schlachtfelde erwählt werden. Es hat sich dieses Wort erfüllt.
Der König von Bayern, Ludwig II., war es, von welchem
der hochherzige Gedanke ausging, in Gemeinschaft mit allen übrigen
deutschen Fürsten und den freien Städten dem Heldenkönige Wil-
helm die Kaiserkrone anzutragen. Alle waren in dem Wunsche
einig. Am 18. Januar, also an dem Tage, an welchem Preußen
170 Jahre früher zum Königreiche erhoben worden war, nahm der
König die deutsche Kaiserwürde feierlich an. Es fand ein Dank-
*) Beruht auf Wahrheit. Vgl. Bem. I. Abtl. d. B. S. 73 u. a. a. O.
Anm. des Vers.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
23
354
Gottesdienst statt. Prinzen, Fürsten und Generäle umgaben Seine
Majestät. Fast alle Fahnen der Regimenter, welche um Paris lagen,
waren vor dem Könige aufgestellt. Nachdem der Gottesdienst mit
„Nun danket alle Gott" geschlossen war, umgaben die Fürsten den
König in einem Halbkreise, und es erfolgte die feierliche Verkündigung
der Annahme des Kaisertitels.
Nicht bloß die Preußen, sondern alle deutschen Stämme im
Norden und Süden des neuen Reiches freuten sich, daß nun Deutsch-
land wieder einen Kaiser habe und unter einem mächtigen Ober-
haupte stehe. Allüberall, — von den Felsenhäuptern der Alpen bis
zu den Fluten des Meeres — begrüßte man Wilhelm, den Sieg-
reichen, als Kaiser mit Glockengeläute, Gesängen und Freudenfeuern.
2. So schwer es den Franzosen auch wurde, so mußten sie
doch darein willigen, daß ganz Elsaß, mit Ausnahme der Festung
Belfort, und ein Teil von Lothringen mit den Festungen Metz
und Diedenhofen Deutschland zurückgegeben wurden*).
Um den Parisern den thörichten Wahn zu nehmen, daß
deutsche Truppen „die heilige Stadt Paris" nicht betreten dürften,
ließ der Kaiser einzelne Corps**) der Armee in die Stadt einmar-
schieren und Teile derselben besetzen, bis der Friedensvertrag von der
National-Versammlung genehmigt und unterzeichnet war.
Die Franzosen hatten die Kriegskosten nicht auf eimnal zu
zahlen, sondern es wurde ihnen ein Zeitraum von 3 Jahren gelassen.
Während dieser Zeit wurden einzelne Teile Frankreichs von deutschen
Truppen besetzt gehalten, deren Unterhaltung die Franzosen zu über-
nehmen hatten.
3. Wo die Kunde vom Friedensschluß am 3. März im deutschen
Vaterlande erscholl, da bewegte freudiger Dank gegen den Herrn der
Heerscharen die Herzen, und „Nun danket alle Gott" ertönte unter
dem Geläute der Glockeu und dem Viktoriaschießen der Kanonen.
So war der größte Krieg, den die Weltgeschichte kennt, weit
über Erwarten ruhmreich beendigt. Se. Majestät der Kaiser und
König hielt in seiner Residenz am 16. Juni 1871 einen feierlichen,
mit Dankgottesdienst und Enthüllung des Denkmals vom Könige
Friedrich Wilhelm III. verbundenen Siegeseinzug, bei welchem
Truppenteile aller deutschen Armeecorps zugegen waren.
4. Der König von Preußen ist deutscher Erb-Kaiser. Seine
Residenz ist Berlin. Er ist der Kriegsherr und oberste Führer aller
deutschen Armeen. Die Gesetze werden von dem Bundesrate und
*) Gehörten uns doch von Rechtswegen diese immer deutsch gewesenen
Länder. Nach dem Tode des Erzherzogs Leopold, der 1625 Elsaß als Besitztum
erhalten hatte, bemächtigten sich die Franzosen ohne weiteres des Landes. Leopolds
Sohn sah sich genötigt, im westfälischen Frieden auch den letzten Rest des Landes
(Ober-Elsaß) für eine geringe Entschädigung an Frankreich förmlich abzutreten
(1697 bestätigt). Ebenso war Lothringen früher ein deu t sch es Herzogtum. 1733
wurde es von den Franzosen besetzt, 2 Jahre später abgetreten und 1766 dem
französischen Reiche einverleibt. (Anm. d. Vers.)
**) Kohr.
355
dem Reichstage beraten und festgestellt, vom Kaiser jedoch verkündigt,
wenn er sie bestätigt. Der Bundesrat besteht aus den Abgesandten
der deutschen Regierungen. Die Mitglieder des Reichstags aber
wählt das Volk. An der Spitze des Bundesrates steht der Bundes-
kanzler. Der Bundesrat und der Reichstag halten ihre Versamm-
lungen in der Residenzstadt des Kaisers. So ist Berlin der Mittel-
punkt von ganz Deutschland geworden.
Das Reich hat eine gemeinsame Kriegsmacht, welche unter dem
Kaiser steht. Sie zerfällt in das Landheer und in die Seemacht
(Kriegsmarine). Die Häfen von Kiel und der Jadebusen (Wilhelms-
hafen) sind Bundeskriegshäfen. Unter dem Schutze des Reiches stehen
alle deutschen Handelsschiffe. Man erkennt sie an der gemeinsamen
Flagge; ihre Farben sind schwarz-weiß-rot. — Jeder wehrfähige
Deutsche ist auch wehrpflichtig. — Die Postanstalten und Telegraphen
der einzelnen Bundesstaaten mit Ausnahme von Bayern stehen unter
der Verwaltung des Reiches und sind kaiserlich. Auch gemeinsame
Maße, Gewichte und Münzen sind im ganzen Reiche eingeführt.
Dadurch und durch die Aufhebung der Ein- und Ausgangszölle ist
der Verkehr zwischen den einzelnen Staaten sehr erleichtert. Auch
hat Deutschland jetzt ein einheitliches Gerichtsverfahren nach dein
„deutschen Strafgesetz". —
(Bocks Lesebuch, obere Stufe S. 255—259. Gekürzt.)
So haben wir, was die Väter so lange ersehnt: ein einiges
deutsches Kaiserreich! Möge es zum Segen des Volkes auf der
guten Bahn der inneren Entwickelung und Stärke fortschreiten, und
mögen seine späteren Geschlechter nie vergessen, was die Väter er-
stritten haben und die Einigkeck hochhalten als ein teures, wertes
Gut! Gott schütze und schirme allezeit unser liebes Vaterland!
Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland,
darnach laßt uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand. —
Blüh' im Glanze deines Glückes,
blühe, deutsches Vaterland!
Hoffmann von Fallersleben.
1. Wer ist der greise Ziegeshcld,
der uns zu Zchutz und Wehr
für's Vatertand zog in das Feld
mit Deutschlands ganzem Heer?
Wer ist es, der vom Vaterland
den schönsten Dank empfing?
271. Kaiser Wilhelm.
(Mel.: Wer ist der Ritter hochgeehrt.)
vor Frankreichs Hauptstadt siegreich stand
und heim als Kaiser ging?
Du edles Deutschland, freue dich,
dein König, hoch und ritterlich,
dein Wilhelm, dein Kaiser Wilhelm
ift's!
23*
356
2. Wer hat für dich in blut’ger Schlacht
besiegt den ärgsten Feind?
Wer hat dich gross nnd stark gemacht,
dich brüderlich geeint?
Wer ist, wenn je ein Feind noch droht,
Lein bester Hort nnd Schuh?
Wer geht für dich in Kamps und Tod
der ganzen Welt zum Trnh?
Du edles Deutschland, freue dich,
dein König, hoch und ritterlich,
dein Wilhelm,Z ¡bctnj Kaiser Wilhelm
M W ift's!
(Hosfoiann^von Fallersleben.)
272. Grab und Wiege.
(Mel.: Ich hab' mich ergeben.)
1. Als wir zum lehtenmale
gezogen in das Feld,
da trug des Vaters Fahne
der Kronprinz, unser Held.
2. Sein Söhnlein lag im Sterben;
dach er zag kühn voran;
es ging der Krane Erben
wie manchem Landmehrmann.
3. Vas Prinzlein ward begraben,
die Thräne netzt Len Bart;
so müssen wir Prinzen haben,
das ist nach prenfzcnart.
4. lind wieder geht's znm Kriege,
die Fahne wieder weht;
an des Prinzefzleins Wiege
der treue Vater steht.
5. Die raschen Daten laufen,
die Paten kommen an,
er läszt sein Rind nach taufen
wie mancher Landwehrmann.
6. Er geht van feinem Weibe,
er fühlt wie wir den Schmerz,
ihm schlägt im Heldenleibe
das treue deutsche Herz.
7. Dann schwingt er sich zu Pferde
und zieht zum Kamps hinaus
für heil'ge, deutsche Erde
und für das deutsche Haus.
8. Am Grab und an der Wiege,
wir haben ihn gesehn;
es fall voran zum Siege
mit Gatt der Kronprinz gehn!
(Georg Hesekiel.)
273. Unser Kaiser und unser Kronprinz.
1. Die Weltgeschichte nennt keinen Regenten, der in Bezug ans
Leben und Thaten neben unsern Kaiser Wilhelm gestellt werden
könnte. Er steht einzig in seiner Art unter allen Regenten aller
Zeiten da, so daß die kommenden Geschlechter das Andenken des
ersten Kaisers des neu gegründeten deutschen Reiches durch den Bei-
nainen „des Großen", „des Siegreichen" für immer ehren werden,
indem Wilhelm I. als ein hellleuchtender Stern in der deutschen
Geschichte prangen wird, so lange es überhaupt eine solche giebt.
Kein Regent hat ein so hohes, köstliches, freilich mit viel Mühe
und Arbeit, aber auch mit reichen Thaten verknüpftes Alter auszu-
weisen, als unser Kaiser. — Kein einziger europäischer Herrscher
ist über das 80. Lebensjahr hinaus gekommen. Nur König Georg III.
von England*) wurde fast 82 Jahre alt, jedoch regierte er wegen
Geisteskrankheit in den letzten 10 Lebensjahren nicht mehr; Fried-
rich der Große erreichte ein Alter von 74 Jahren und regierte
*) Geb. 24. Mai 1738, gest. 29. Jan. 1820. Er war vermählt mit
Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz; sein Sohn Eduard war der Vater
der Königin Vietoria und sein Sohn Ernst August der König von Hannover.
357
46 Jahre; von sämtlichen deutschen Kaisern sind nur einige über
70 Jahre geworden*). Unser Kaiser Wilhelm ist am 22. März
1797 geboren und feierte also am 22. März 1877 seinen achtzigsten
Geburtstag. Er folgte seinem Bruder Friedrich Wilhelm IV. am
2. Jan. 1861, nachdem ihm namens des erkrankten königlichen Bru-
ders schon 3 Jahre vorher die Regierungsgeschäfte waren übertragen
worden. Somit hatte er beim Antritt seiner Mitregentschaft bereits
das 60. Lebensjahr zurückgelegt und stand also in einem Alter, in
welchem die meisten Sterblichen, der Ruhe bedürftig oder lebensmüde,
ihr Amt und Werk niederlegen. Und was für Thaten hat der greise
Regent dann noch vollbracht! Denke an den östreichischen und fran-
zösischen Krieg, an die Gründung der Einheit Deutschlands, an die
einheitlichen Staatseinrichtungen des neuen Reiches! Dann auch
muß man, wenn man die öffentlichen Berichte liest, staunen über die
Thätigkeit, welcher sich unser Kaiser trotz seines hohen Alters fast
Tag für Tag hingiebt, — wie er sich Bericht erstatten läßt über
alles, was das Wohl und Wehe des Staates und Volkes anbetrifft,
wie er für die innere Entwickelung des Reiches stets ein warmes
Herz und reges Interesse bezeigt.
Wem überhaupt aus der Geschichte ein Walten Gottes
leuchtet, dem ist auch ein sichtbarer Beweis des göttlichen Waltens über
das aus einem unscheinbaren Pflänzchen zu einem mächtigen Baume ge-
wordene Preußen, daß seine größten Herrscher lange regiert haben,
und daß gerade die lange Regierung dieser in der Geschichte groß
dastehenden Fürsten zum Ruhm und Segen des Landes ausgeschlagen
ist, dessen Früchte selbst weit über die Grenzen des Reiches getragen
wurden. Denken mir an den großen Burggrafen, Friedrich I., und
sein segensreiches Schaffen — 29 Jahre, an den großen Kurfürsten,
der 48 Jahre (!) ruhmreich regierte, an den großen König („den
alten Fritz") und seine 46jährige (!), ruhmvolle Negierungszeit und
nun an unsern großen Kaiser . . . Die Geschichte weist aus keinem
Lande ein derartiges Beispiel, wohl aber das Gegenteil auf, wornach
unfähige oder unmoralische Herrscher am längsten regiert haben.
Bei besonderen Feierlichkeiten entfaltet sich zwar aller Glanz
am kaiserlichen Hofe der deutschen Reichsstadt, für gewöhnlich aber
lebt unser Kaiser einfach und anspruchslos, fast bürgerlich. Wiewohl
in der Jugend schwach und zart, besitzt er eine kräftige Gesundheit.
Sein Charakter ist ein durchaus edler und wohlwollender, seine Her-
zensgüte groß, von der viele rührende Beispiele aus Kriegs- und
Friedenszeiten bekannt sind. Dabei legt er einen echt christlichen
Sinn, ein demütiges Gottvertrauen an den Tag. Im Erwägen ist
er ruhig und besonnen, dagegen im Vollbringen mutig und kühn; im
Streben zeigt er Beharrlichkeit, im Erfolge Mäßigung. Rach Voll-
endung des östreichischen Krieges sprach er: „Es ist Gottes Werk.
*) Karl der Große wurde 72, Rudolf von Habsburg 73 Jahre alt, und
beide regierten bis an ihr Lebensende, jener 46, dieser 18 Jahre.
358
Auf den Knieen haben wir Gott zu danken dafür. Darum auch
keine Überhcbung fetzt; nicht Übermut, sondern Demut!" Und sein
erstes Telegramm an jenem denkwürdigen Sedantage (2. Septbr.
1870) schloß mit den christlich-demütigen Worten: „Welch eine Wen-
dung durch Gottes Führung!" An seine Gemahlin aber schrieb er
u. a.: „Ich beuge mich vor Gott, . . . um in Demut Gottes
Führung imb seine Gnade zu preisen."
Unter den hohenzollerschen Regenten hat es vor allem der
Kaiser verstanden, sich mit klugen, erfahrenen und treuen Räten zu
umgeben. Denkt nur an Moltke, Roon und Bismarck, von welchen
der letztere die äußere Politik nun schon 20 Jahre mit Weisheit
zum Heile des Staates aufs vortrefflichste geleitet hat.
Welche Gegensätze von weltgeschichtlicher Bedeutung hat Kaiser
Wilhelm erlebt! In seiner Jugend sah er Deutschland in tiefster
Erniedrigung, unter hartem Druck, in unsäglichem Jammer, zerrissen,
ohne Einheit, und er hat damals die Trauer seiner königlichen Eltern
und alle Schmach, alles Leid des Volkes mit gekostet; — dann aber
hat er im Greisenalter ein Werk erstehen sehen, wie unser Vaterland
in der Weltgeschichte kein zweites, ebenbürtiges berichtet. „Es ist
erreicht", sagte der Kaiser bei Eröffnung des ersten deutschen Reichs-
tages in Berlin, „was seit der Zeit unserer Väter für Deutschland
erstrebt wurde: seine Einheit" — ein einiges, geachtetes, weltbe-
kanntes, deutsches Kaiserreich! Gewiß, unser allverehrter Kaiser kann
auf ein Leben zurückblicken, das „köstlich" ist. Möge seine Regierung
mit Gottes Segen gekrönt bleiben, und möge Gott der Herr ihm,
wenn er zu seinen Vätern gerufen wird, ein ruhiges, seliges Ende
bescheren! (I. S.)
2. Unser Kronprinz Friedrich Wilhelm ist geboren den
18. Oktober 1831 und vermählt mit Viktoria, Prinzessin von
England. Ihm war es vergönnt, mit seiner Armee in der Schlacht
bei Königgrätz den Kampf siegreich zu enden und im französischen
Kriege mit seinem fast nur aus Süddeutschen bestehenden Heere die
ersten Siege zu erringen und auch bei Sedan die Entscheidung her-
beizuführen. Durch seine Gerechtigkeit gewann er bald das Zutrauen
auch der nichtpreußischen Soldaten. Daß er sie überall zum Siege
führte, steigerte die Begeisterung, und die herzliche und ehrliche
Freundlichkeit that das übrige. Bald war das Verhältnis der Sol-
daten zu einander in seinem Heere ein so brüderliches, wie es selten
da ist, wo nur Kinder eines Landes bei einander sind. „Auch die
Gemeinen sind ihm Kameraden für Leben und Tod," erzählt ein
Mitkämpfer aus seiner Armee. „Er spricht zu ihnen nicht herab-
lassend und gnädig, sondern so herzlich, in so launiger Weise, daß
den Leuten jedesmal das Herz aufgeht." Ein straffer Soldat ist
unser Kronprinz, von biederem Sinn und Geist, ein rechter Hohen-
zoller, dem ein echt deutsches Herz in der Brust schlägt.
In seiner Familie ist er ein liebevoller Vater. Gar manchmal
hat er in Friedenszeiten mit seiner Gemahlin an der Wiege seiner
359
Kinder gesessen und diesen Schlummerlieder gesungen. Auch hält er
sie in strenger Zucht. Ebenso ist die Kronprinzessin eine zärtliche
und verständige Mutter, die es sich nicht nehmen läßt, ihre Kinder
selbst zu überwachen und zu erziehen. Dabei ist sie so einfach und
schlicht, daß sie wohl keiner für die Kronprinzessin hält, der sie nicht
kennt. Beide werden sicher eine Zierde des Hohenzollernthrones sein,
wenn sie nach Gottes Willen denselben dereinst einnehmen sollten.
Gott mit ihnen! (Nach Lettau „Bilder aus der d. u. pr. Geschichte.)
274. Mein Vaterland.
1. Dem Land, wo meine Wiege
stand,
ist doch kein andres gleich;
es ist mein liebes Vaterland
und heißt — das deutsche Reich.
2. Wie lieblich sind hier Berg
und Thal,
die Wälder wie so schön,
wie lockend auch im Sonnenstrahl
die rebumkränzten Höh'n!
An Städten rauscht vorbei der
Strom,
trägt reicher Kaufherrn Gut,
und freundlich spiegelt Burg
und Dom
sich in der blauen Flut.
:. MeinKaiser aber thront als Held
in tapfrer Heldenschar
und führt in seinem Wappenfeld
den sieggewohnten Aar.
5. Drum, fragt man mich nach meinem Land,
brennt mir das Herz sogleich,
und stolz dem Frager zugewandt,
ruf ich: „Das deutsche Reich!"
(Julius Sturm, „deutsche Jugend". 1. Bd. S. 184.)
275. Asien.
Asien ist der größte Erdteil, über viermal größer als Europa, aber ver-
hältnismäßig weit weniger bevölkert als dieses; denn die Zahl seiner Einwohner,
die aus den verschiedensten Völkerschaften mit eigenen Sprachen, Sitten und Ge-
bräuchen bestehen, beträgt fast 800 Mill., während Europa auf seinem fast fünfmal
kleineren Raum 300 Mill. zählt.
Asien erweckt ein ganz besonderes Interesse in uns. — Dieser Erdteil ist
die Wiege des menschlichen Geschlechts, und von hier aus ist Europa und die
weitere Welt bevölkert. Im grauen Altertum war Asien der gebildetste und auf-
geklärteste Teil der Erde, und von ihm ging die Aufklärung über die ganze übrige
Welt aus; dann aber ist es in mehreren Ländern nicht nur in seiner Kultur stehen
geblieben, sondern sogar darin zurückgegangen; von Europa ist es an Kenntnissen
und Ausbildung des Geistes in jeder Beziehung überflügelt worden. Immerhin
aber waren die Asiaten einst die Lehrer der Europäer. Dies gilt von den Staaten,
die sich in der frühesten Zeit im westlichen Asien bildeten, wo schon eine Bekannt-
schaft mit manchen Kunstfertigkeiten sich zeigte, als Europa noch eine menschenleere
Wüste war; dies gilt im mittlern Zeitalter von dem östlich gelegenen chinesischen
360
Reiche, das in mehreren Erfindungen uns vorangegangen ist (Seidenbau, Porzellan.
Schießpulver, Papier). In Asien bildete sich ferner die Schriftsprache; hier ent-
standen die ersten Staats- und Religionsverfassungen; hier vor allem lebte, lehrte
und starb Christus, und von hier aus gingen die drei Hauptreligionen, die christ-
liche, jüdische und muhamedanische; hier blüheten Künste und Wissenschaften in
ihrem Ursprünge auf, und der Handel erstreckte sich von hier aus über die ganze
alte Welt.
Asien liegt mit seinem Fcstlande ganz auf der nördlichen Halbkugel und
bildet nach Westen zu mit Europa ein einziges Ganze. Bis zuin Jahre 1869
hing es auch noch mit Afrika durch die Landenge von Suez zusammen. Mit
Amerika und dem Festlande von Australien ist es gleichsam durch eine Jnselbrücke
verbunden. Im Norden wird es vom nördlichen Eisnieer, im Osten vom Großen
und im Süden vom Indischen Ocean begrenzt. Es hat viele große Gebirge und
Ströme. Unter ersteren übertrifft das Himalaya-Geb. (d. i. Schncelager) alle
Höhen der Erde*); am bekanntesten ist allen Kindern der Libanon (d. h. weißes
Gebirge). Unter den Strömen und Flüssen sind folgende zu erwähnen: der Ural
(der Ob, Jenisey und Lena ins Eismeer mündend), der Tigris, Euphrat,
Indus, der von den Indiern heilig gehaltene Ganges, der gelbe und blaue
Fluß und endlich der euch am bekanntesten, auf dem Libanon entspringende, durch
den See Tiberias fließende und ins tote Meer mündende Jordan. Die größten
Landseen sind das kaspische Meer, der Aral- und der Baikal-See, der
erstere 30, der andere 5, der letztere 3mal größer als Mecklenburg. Durch die
Mitte Asiens zieht sich von Osten nach Westen ein breiter und hoher Landrücken,
von welchem sich nord-, wie südwärts das Land nach dem Meere zu senkt. Da-
durch entsteht die natürliche Einteilung in Süd-Asien, Hoch- oder Mittel-Asien
und Nord-Asien. — Die Küstenentwickelung, die für Bildung, Handel, Völker -
verkehr rc. von höchster Bedeutung ist, ist von derjenigen Europas sehr verschieden.
Vergleichst du das Uferland beider Erdteile, was für Schlüsse kannst du daraus
ziehen? Aus der ungeheuren Ausdehnung Asiens und aus seinen Höhenverhält-
nissen wirst du schließen, daß sein Klima sehr verschieden ist. Anders muß es
also in dein schaurigen Sibirien sein als in den Ländern der gemäßigten Zone,
und wiederum anders in Arabien mit seinem glühenden Wüstensand als in den
schwülen und feuchten Bergwäldern Hinter-Jndiens. Dem entsprechend gestaltet
sich natürlich auch das Tier- und Pflanzenleben. (Z. B.?) Muß es ferner in
Asien nicht im allgemeinen kühler sein als in Europa, da es im Norden ein Eis-
land, im Osten das kühlende Meer, auch im Süden fein heißes Afrika, sondern
ebenfalls ein großes Wasser hat!
Asien ist das Vaterland dreier Menschenracen, und es zeigt in: Norden und
Osten Einwohner mit gelbbrauner, im Süden und Westen solche mit weißer und
endlich auf den Inseln im Südosten solche mit gelblicher Hautfarbe. In einigen
Ländern, zumal im Norden, herrscht noch grobe Unwissenheit; ja i/h der Asiaten
sind noch Heiden; auch von dem letzten Fünftel gehören 80 Mill. dem Islam an
und nur 18 Mill. sind Christen. — Die hauptsächlichsten Länder sind die asia-
tische Türkei (mit Kleinasien oder Levante, Armenien, Assyrien, Babylonien,
*) Der Mount Everest gilt als der höchste Schneegipfel: 8840 in; der Chiniborasso in
Amerika — 6421 in, der Mont Blane in den Alpen = 4220 m.
361
Chaldäa, Syrien, Palästina und Phönizien), Arabien, Persien, Indien (Vorder-
und Hinter-Indien), China, Japan, die Tatarei, die Kaukasusländer und Sibirien.
Die hauptsächlichsten Inseln sind Sumatra, Borneo, Java, Celebes, Ceylon und
die Halbinseln Malakka und Kamschatka; — die vorzüglichsten Stadt e: Peking,
Nanking, Ueddo, Hongkong, Madras, Bombay, Mekka, Smyrna, Damaskus, Jeru-
salem u. a. — Asien liefert nach Europa eine große Menge von Produkten
(Wein, Kaffee, Thee, edle Früchte, Terpentin, Galläpfel, Asphalt, Aloe, Senncs-
blätter rc. rc.); daher ist der Handel bedeutend. Auch der innere Handel i|t von
Wichtigkeit und wird vorzüglich stark durch Karavanen nach Rußland und Klein-
asien geführt.
In Asien leben die größten Landtiere (Elefant, Rhinozeros rc.), die grim-
migsten Raubtiere (Löwen, Tiger, Hyänen, Leoparden rc.), die größte und dem
Menschen an Gestalt ähnlichste Affenart (Orang-Utang), die größten Vögel (Strauß
und Kasuar), die größten und giftigsten Schlangen (Klapper-, Brillen- u. Riesen-
schlange) und andere merkwürdige Amphibien (Krokodile, Schildkröten), die mannig-
faltigsten Fische und Muscheln. Unter den Produkten des Pflanzenreichs sind die
vielerlei Palmenarten zu nennen, welche einer großen Menschenmenge Nahrung
geben, die wirksamsten Arzneigewächse, die kräftigsten Gewürze, den besten Kaffee
und Thee, Gummi- und Balsambäumc, Färber-, Tischler- und Schiffbauholz von
der besten Art, das so nützliche Bambusrohr u. dgl. m. Das Mineralreich liefert
sehr viel Gold, besonders das Ural-Gebirge; die schönsten Diamanten, sowie die
feinste Porzellanerde finden sich in Asien. — Wie vieles bleibt noch aus dem
Menschenleben, aus der Tier- und Pflanzenwelt dieses reichen Erdteils zu erzählen
übrig! Nur von dem Riesen in der Tierwelt, dem Elefanten, und von dem
Schiff der Wüste, dem Kamel, sollt ihr noch ein wenig hören.
(Nach Wörle's Aufsatzschule u. Zacharias Lehrbuch.)
276. Der Elefant und das Kamel.
1. Der Elefant, das größte unter den Landtieren, wird 3lf2 m hoch und
darüber. Hast du diesen Riesen der Tierwelt schon einmal in Menagerien gesehen?
Dein Lesebuch führt ihn dir im Bilde vor. Die Farbe ist aschgrau, die weißen
sind selten, gefleckte am seltensten. Die Haut ist dick, runzelig und kabl. Die
kleinen Augen und die großen herunterhängenden Ohrlappen gereichen dem Tiere
gerade nicht zur Zierde. Die Nase verlängert sich in einen biegsamen Rüssel,
dessen es sich wie eines Armes bedient. Mit ihm führt es die Speisen zum
Munde, der unter dem Rüssel sitzt. Ein Häkchen an der Spitze desselben vertritt
die Stelle eines Fingers und macht es geschickt, sehr feine Sachen von der Erde
aufzuheben und allerlei Kunststückchen zu verrichten. Es hängt von ihm ab, den
Rüssel bis fast auf einen Meter zu verlängern und bis auf 30 Centimeter zu ver-
kürzen. Eben so merkwürdig sind die zwei großen Eckzähne, die weit aus dem
Munde hervorragen und die das Elfenbein liefern. Ein Zahn wiegt 15 bis
25 Kilo. — Das Vaterland des Elefanten ist der heiße Erdstrich, in Asien Ost-
indien, Ceylon und China, in Afrika vom Senegal bis zum Cap. Die Tiere lieben
die schattigen Wälder, baden sich gern und leben in Herden zusammen. Bei seinem
plumpen Körperbau ist der Elefant doch rasch und schwimmt gut. Seine Nahrung
sind Blätter, Zweige, Früchte und sein liebstes Gericht Reis. Es ist ein kluges
und gutmütiges, daher leicht zu zähmendes Tier. Man braucht ihn zum Lasttragen
362
und Reiten. Zum Kriege taugt er seit der Erfindung des Feuergcwchrs nicht
mehr. In Afrika werden die Elefanten der Haut wegen getötet, und ihr Fleisch
wird gegessen. Das Elfenbein wird von den Kammmachern und Drechslern bear-
beitet, von den Malern zu Gemälden benutzt. Der afrikanische Elefant hat
meist eine dunklere Färbung, einen runderen Kopf, größere Eckzähne, sehr große
Ohrlappen und an den Hinterfüßen nur drei Hufe, während der indische deren
vier hat; auch läßt er sich schwerer zähmen.
2. Das einhöckerige Kamel oder Dromedar, welches in den asiati-
schen Wüsten auch hin und wieder wild gefunden wird, ist das nützlichste Tier der
Araber. Es hat- (wie dir auch die Abbildung in deinem Lesebuche zeigt), einen
langen Hals und lange Beine und ist 2 in und darüber hoch, 3—3^2 m lang.
Sein Unterscheidungszeichen ist ein Höcker auf dem Rücken, der vornehmlich aus
Fett und Fleisch besteht. Es hat einen vierfachen Magen und kann in dem zweiten
Magen einen solchen Vorrat von Wasser aufbewahren, daß es 12 Tage davon
zehren kann und keines frischen Trunkes bedarf. Schon dadurch ist es so geschickt
zu den großen Reisen durch die Wüste. In großer Wassernot nehmen die Rei-
senden zu diesem Wasserbehältnis ihre Zuflucht, da das Wasser sich in dem Magen
unverdorben erhält. Außerdem ist das Kamel als Lasttier von großem Nutzen.
Es trägt über 500 Kilo täglich 10 Meilen; unbelastet legt es mit seinem Führer
wohl 20 Meilen in einem Tage zurück. An seinen Beinen und seiner Brust be-
finden sich Schwielen, auf die es sich stützt, wenn es niederkniet, um seine Last
sich auf- oder abschnallen zu lassen. Hat man auf der Reise einen Platz für einige
Ruhestunden gefunden, so nimmt man ihm seine Bürde ab und läßt es sein
spärliches Futter, Disteln, Kräuter und Buschwerk aufsuchen, worauf es wieder
einen ganzen Tag ohne Nahrung sich behelfen kann. Es liebt die Musik und
läßt sich durch eine kleine Pfeife seines Führers augenblicklich zum rascheren Gange
363
ermuntern. Das Haar ist rötlich grau und kurz; daher es auch mehr zu Hüten
als zu Zeugen benutzt wird. Die Milch der Kamele ist sehr fett; man vermischt
sie deshalb zum Getränk mit Wasser. Die Ägypter kneten wie die Araber den
Mist nnd brauchen ihn zur Feuerung; den Ruß aber, der sich beim Verbrennen
ansetzt, verkaufen sie an die Salmiakfabrikanten.
Dem Dromedar ganz ähnlich in Gestalt und Lebensart ist das zweihöckerige
Kamel oder Trampeltier, nur daß dieses also zwei Höcker auf dem Rücken hat
und noch etwas größer ist. (Zachariä Lehrbuch.)
277. Afrika.
1. Afrika ist nach der Größe der dritte Erdteil, von dem 4/s in der
heißen Zone liegen. Diese Lage Afrikas, seine nördlichen Ebenen (besonders die
ewig glühende Sahara) und die geringe Einwirkung der Weltmeere bei seiner
großen Ausbreitung der Ländermasse geben ihm das heißeste Klima. — Bis
zum Jahre 1869 war Afrika eine Halbinsel, indem dieselbe, wiewohl sonst ganz von
Meeren eingeschlossen, durch die 15 Meilen (— 111 km) breite Landenge von
Suez mit Asien zusammenhing. Seit man aber letztere durchstochen hat und der
15 Meilen lange Suez-Kanal das Mittelmeer mit dem Roten Meere verbindet, ist
es eine Insel, natürlich die größte der Erde, dreimal größer als Europa. Im
Nordosten bespülen also der Suez-Kanal und das Rote Meer das afrikanische Ufer;
die übrigen Seiten werden vom Mittelmeer, dem Atlantischen und Indischen Oeean
umflutet. — Unter den 5 Erdteilen hat Afrika die einförmigste Küstenentwickelung.
Inwiefern ist dieser Umstand für den Völkerverkehr, für Handel und Schiffahrt,
für Afrikas geistiges Emporkommen, Bildung re. ungünstig? — So einförmig
wie seine Küste ist auch das Innere. Die Nordmasse besteht zum größten Teil
aus Tief-, die Südmasse dagegen aus Hochland, weshalb dieser Teil auch Hoch-
afrika genannt wird. Die Südhälfte ähnelt einem Dreiecke, auf dessen Seiten
364
der Boden terrassenförmig ansteigt und sich mehrfach zu hohen Gebirgen erhebt,
von denen das Mondgebirge am bekanntesten ist. Die Südspitze des gebirgigen
Caplandes heißt Cap der guten Hoffnung. Die Nordhälfte hat im Westen
das Kong-Gebirge, im Norden den großen und kleinen Atlas und im
Osten das Alpenland von Habesch.
Zwischen diesen Gebirgen der Nordhälfte liegt die ungeheure Wüste Sa-
hara, über 12mal größer als Deutschland, nur durch wenige freundliche Oasen,
d. i. fruchtbare Striche, geschmückt. Ob wohl in der Urzeit dieses Sandmeer ein
Gewässer gewesen ist, indem infolge allgemeiner Hebung des Bodens das Wasser
sich zurückgezogen und den Sand zurückgelassen hat? Es scheint so, aber wer weiß
cs gewiß! Zweifellos ist es, daß wenigstens die Sahara liefer liegt als der
Meeresspiegel. Deshalb haben auch in neuester Zeit gelehrte und unternehmende
Männer ernillich an die Ausführung gedacht, das Küstenland Nord-Afrikas auf
seinem kürzesten Wege zu durchstechen, um die große Wüste mit dem Mittelmeer
in Verbindung zu bringen und auf diese Weise unter Wasser zu setzen. Wenn die
fürchterliche Sandsläche plötzlich zu einem ungeheuren See würde, weit größer als
das europäische Rußland — welch ein Meer! Ob dasselbe dann wohl auf das
Klima Europas Einfluß hätte? Würden die Südwinde unsern Erdteil merklich
abkühlen, die Südwest-Winde uns mehr Regen zuführen? Sollten dann wohl die
Sommer in Deutschland im allgemeinen kühler und nasser werden, und welchen
Eindruck würde das wieder aus den Ackerbau und Handel machen? — Der Regen
in der Sahara ist außer den Monaten August, September und Oktober selten.
Besonders fürchterlich für den Wüstenreiscndcn ist der heiße Wind, Samum ge-
nannt, der häufig die Wüste in ein bewegtes Meer verwandelt; auch die Luft-
spiegelung*), welche den Reisenden durch Truggestalten täuscht, wird ihm oft zur
Qual. Ohne Hülfe des Kamels wäre es gar nicht möglich, die Wüste zu durch-
reisen. Hier ist der rechte Aufenthalt der Antilopen (Gazellen), in Gestalt und
Farbe den Rehen gleich, und der Strauße; dann auch durchstreifen noch andere
wilde Tiere die Sahara: Giraffen, Füchse, der Löwe als „Wüstenkönig" u. a.
Die Küstenländer Afrikas sind am bevölkertsten. Das Innere des Erdteils
war bis vor einem Mcnschenalter noch fast unbekannt. Mehr und mehr wurden
seine Länder durch kühne Reisende durchforscht, von denen in der neuesten Zeit
einige quer durch Afrika gereist sind. Sie haben überall Menschenstämme ange-
troffen und gefunden, daß die Natur auch das Innere mit großen Reichtümern
gesegnet hat. Deshalb sind jüngst auch mehrere unternehmende Kaufleute aus
Deutschland nach Afrika eingewandert, um den Handel und Verkehr aus dem In-
nern nach den Küsten und so zu uns herüber zu leiten.**) — Die Einwohner Afrikas
(fast 200 Mill.) sind im Norden von gelber, in der Mitte von schwarzer und im
Süden von brauner Farbe. Ureinwohner sind die Berbern an der Nordküste,
die Neger im heißen Erdstrich, die Hottentotten und Kaffern im Süden und
im Westen die Kopten, Überreste der alten Ägypter. Spätere Ankömmlinge
sind die Araber, teils Beduinen, teils Städtebewohner. Der Religion nach sind
die Einwohner teils Muhamedaner, teils Fetischanbetcr; nur ein kleiner Teil ist
Christ. Einige Völker leben noch in rohem Naturzustände, andere in Staaten
gewöhnlich mit despotischer Verfassung, wo Menschenleben und Menschenrecht für
*) Die Kimmung oder Fata Morgana.
**) Lüderitzland, Angra Pequena.
365
nichts geachtet werden; daher ist es nicht zu verwundern, daß unter die Handels-
artikel dieses Erdteils leider! auch der Mensch gehört. Der Sklavenhandel ist zwar
in neuerer Zeit sehr unterdrückt, und namentlich haben die Engländer ein wach-
sames Auge auf diesen scheußlichen Mcnschenverkauf, allein er wird fürs erste nicht
ausgerottet sein.
Die vorzüglichsten Staaten und Länder Afrikas sind: Ägypten, die
Bcrberei, Fez, Marokko, Biledulgerid, Senegambien, Nigritien, Ober- und Nieder-
Guinca (westlich hiervon liegt im Meer die den Engländern gehörende bekannte
Insel St. Helena), Nubien, Abyssinien (Habesch), das Capland, Zanguebar und
Mosambique. Rechts hiervon, im indischen Ocean, befindet sich die Insel Mada-
gaskar; von den kleineren Inseln sind an der Nordwestseite zu nennen Madeira
(Wein) und die Canarien-Jnseln (Kanarienvögel). Die wichtigsten Städte sind >
Alexandrien, Kairo, Algier, Tunis, Tripolis, Capsladt u. a.; die hauptsächlichsten
Flüsse: der Nil, der für Ägypten durch seine Überschwemmungen zum großen
Segen ist, indem er durch seine absetzende Schlammerde den Boden zu einem der
fruchtbarsten Plätze auf der ganzen Erde macht; ferner der Senegal und Gambia,
der Niger und der Orangcfluß. Der größte See ist inr Innern der Tsad.
Die Tier- und Pflanzenwelt Afrikas ist eine sehr reiche. Der Tiger
fehlt ganz, Nilpferde giebt es in allen größern Flüssen, Krokodile, außer der
Brillenschlange mehrere Arten Schlangen; ferner Panther, Leopard, Hyänen, Zebra,
Assen, Adler, Papageien, Schildkröten re. re. Im Pflanzenreich zeichnen sich aus:
die Papier- und Baumwollenstaude, Palmen, Akazien, Zuckerrohr, Dattel-, Pfeffer-
und Gummibaum u. a. m. Von Mineralien, woran Afrika gleichfalls sehr reich
ist, wird vorzüglich Eisen und Salz gewonnen, dann Steinkohlen, Gold, Diamanten,
aber sehr wenig Silber.
Der Afrikaner ist träge und weiß die schönen Gaben des Landes nicht aus-
zunutzen. Hoffentlich hebt die immer mehr eindringende europäische Kultur das
reiche Afrika von Jahr zu Jahr und bringt namentlich denen dort Licht und
Wahrheit, die noch „im Schatten und Finsternis des Todes sitzen."
(Mit Benutzung von Zachariä Lehrbuch und Seydlitz Leitfaden.)
2. Der Löwe. Der Löwe, diese furchtbare Katze, heißt nicht mit Unrecht
König der Tiere; sein Ernst, sein scharfer sprühender Blick, seine außerordentliche
Kraft und wunderbare Gewandtheit erwarben ihm diesen Titel. Sein schreckliches
Gebrüll hat selbst beherzte Jäger mit einem solchen Entsetzen und Grauen erfüllt,
daß sie die Besinnung verloren, wie erstarrt standen, ihr Gewehr fallen ließen,
und unfähig waren, sich zu verteidigen. Die Stärke des Löwen ist ungeheuer.
Mit einem Schlage seiner Tatze wirft er ein großes Tier zu Boden.
Er geht hauptsächlich in der Dämmerung und des Nachts auf Raub aus.
Am liebsten lauert er in der Nähe einer Quelle oder eines Flusses im Gebüsch
auf die Tiere, welche gegen Abend zur Tränke kommen. Menschen greift er nur
an, wenn er gereizt wird oder beim größten Hunger. Indes wird er doch auch
diesen höchst gefährlich, wenn er einmal nach Menschenfleisch durch den Genuß
lüstern gemacht ist. So wurde eine Reisegesellschaft, als sie in einer schönen
Sommernacht ihr Gezelt an einem Gebüsche aufgeschlagen hatte, plötzlich durch das
donnerähnliche Gebrüll eines Löwen aufgeschreckt, welcher sich unvermerkt so heran-
geschlichen hatte, daß er mit einem Sprunge einen von der Gesellschaft fassen
konnte. Er packte sein Opfer im Nacken und war mit Blitzesschnelle davon; im
nahen Gebüsch hörte man nur unter seinen stahlharten Zähnen das Krachen der
Knochen. Pistolenschüsse vertreiben ihn, wenn er sich des Nachts an das Lager
einer Karawane heranschleicht. Am hohen Mittag liegt er in tiefem Schlaf und
ist zu dieser Zeit, wenn er durch Geschrei oder Schießen aus seinem Versteck ge-
jagt wird, am leichtesten zu erlegen. (Bocks Lesebuch.)
278. Der Strauß.
Strauß! du weißt doch, daß du
der größte Vogel, der Riese unter allen
Vögeln in der Welt bist?
O ja, das weiß ich wohl. Ich
bin so groß als der größte Mensch und
wiege 35—40 Kilo. Nicht wahr, ich
gebe einen ziemlichen Braten?
So kann man dich also essen?
Ja freilich und meine Eier auch.
Meine Eier sind so groß, daß sich zwei
bis drei Personen an einem einzigen
satt essen können; denn sie sind so
groß als ein kleiner Kindeskopf und
wiegen 2—3 Kilo. Und solche große
Eier lege ich alle Jahre dreißig bis
vierzig.
O, das ist erstaunlich viel! So
viel Eier legt gewiß kein einziger
großer Vogel. Wenn du sie alle aus-
brütest, so muß es entsetzlich viel
Strauße geben. Thust du das wohl, und brütest alle aus? — Doch davon nach-
her. Sage mir erst, großer Strauß, wo du zu Hause bist.
Ich lebe in den unfruchtbarsten Wüsten von Afrika, Arabien und Indien,
wo keine Menschen wohnen, und wohin auch selten jemand kommt. Und, o wie
lieb wäre es mir nicht, wenn ich nie einen Menschen sähe! Denn so oft einer zu
mir kommt, raubt er mir meine Eier, oder meine Jungen, oder bringt mich gar
selbst ums Leben. Wie sehr mich oft die häßlichen Neger quälen und verfolgen,
ist nicht zu sagen!
Was frissest du?
Kraut und Gras, Samenkörner und Nüsse, und viele andere Baumfrüchte,
die ich erwischen kann. Selten aber werde ich von diesen Dingen satt; daher
stopfe ich meinen Magen gewöhnlich noch mit Steinen, Holz, Knochen, Stricken,
Leder, Eisen, Kupfer, Messing, Zinn, Blei und Glas an. Und zuweilen bin ich
auch so dumm und verschlinge glühende Kohlen, die mir aber allemal sehr übel
bekommen.
Wie alt wirst du?
Sechzig bis siebenzig Jahre, wenn mir kein Unfall begegnet. Werde ich
aber gefangen, zum Reiten gebraucht, öfters meiner Federn beraubt, und sonst noch
auf andere Weise gequält, so dauert mein Leben freilich kaum halb so lange.
Reitet man denn auf dir?
367
Ja, aber nur zum Spaß. Auch in Karren spannen mich die mutwilligen
Neger zuweilen; denn ich bin sehr stark und flink und kann in einer Stunde zwei
bis drei Meilen weit laufen.
Samt Karren und Reiter?
Ja, mit beiden. Aber wehe dem Neger, der auf dem Karren oder auf
meinem Rücken sitzt, wenn er das schnelle Fahren oder Reiten nicht gewohnt ist!
Es vergeht ihm Sehen, Hören und Atemholen.
Nun erzähle mir, großer Strauß, wie du vom Kopf bis auf die Zehen
oder Klauen aussiehst, und wie es mit dem Ausbrüten deiner Eier zugeht?
Ich bin so groß als ein Dragoner, der zu Pferde sitzt, und gleiche sehr
dem vierfüßigen Tiere, das man Kamel nennt. Mein Kops hat viel Ähnlichkeit
mit einem Gänsekopf. Mein Schnabel ist kurz, krumm und spitzig. Die Öffnung
meiner Ohren liegt ganz unbedeckt. Meine oberen Augenlider sind beweglich und
mit langen Augenwimpern versehen, wie beim Menschen. Mein Hals ist sehr lang
und dünn und nebst dem größten Teil meines Körpers mit dicken weißen Haaren
bedeckt. In meinen Flügeln hingegen und in meinem Schwänze habe ich mehren-
teils schöne weiße, aber auch viele schwarze und graue Federn. Und dies sind die
bekannten Federn, um derentwillen mich die Neger entsetzlich ängstigen und
jämmerlich zu Tode prügeln. Sie verkaufen sie an die Europäer, welche dieselben
auf die Hüte und Köpfe stecken, Fächer, Muffen und Federbüsche und sonst noch
allerhand Putz und Zieraten davon machen. Meine schwarzen Federn sind teurer
als meine weißen, weil ich deren weniger habe. Meine Füße sind kahl und sehr
lang und mit zwei Zehen oder Klauen versehen; denn ich bin der einzige Vogel
in der Welt, der nur zwei Zehen hat. Fliegen kann ich nicht, weil meine Flügel
zu klein sind und die Last meines Körpers zu groß. Aber laufen kann ich entsetzlich
geschwind, so geschwind, daß mich weder Menschen noch Hunde und Pferde einholen
können. Und doch gelingt es den listigen Negern, mich endlich zu fangen. Was
meine Eier anbetrifft, so sind sie wirklich so groß als ein kleiner Kindeskopf,
länglich rund, glatt und weißlich, mit kleinen Pünktchen versehen. Man kann sie
essen und aus der Schale allerhand Trinkgeschirre machen, weil sie ziemlich dick
und steinhart ist. Die Franzosen und Holländer bringen sie häufig nach Europa
und verkaufen sie an Naturalien-Liebhaber. Es kostet eins gewöhnlich zwei Mark,
und wenn es recht schön ist wohl noch mehr.
Und wie viel brütest du von den dreißig bis vierzig Eiern aus, die du
alle Jahr legst?
Kaum den vierten Teil. Denn viele stiehlt man mir, und viele lege ich
bloß deswegen, damit meine Jungen gleich etwas zu fressen finden, wenn sie
lebendig geworden sind und die Schale verlassen haben. Und von diesen sterben
doch noch immer viele durch Hunger, oder kommen auf der Flucht vor den bösen
Negern um. Ich lege meine Eier geschwind hinter einander her in den heißen
Sand, aber nicht alle dreißig oder vierzig aus einen einzigen Haufen, sondern nur
allemal zehn bis zwölf zusammen, in einem kleinen Kreise herum. Einige davon
brüte ich selbst aus, wenn ich nicht davon verjagt werde; die andern aber lasse
ich durch den heißen Sand ausbrüten.
Du klagst über die unbarmherzigen Neger, dummer Strauß, daß sie dich
immer ängstigten und grausam verfolgten: warum wehrst du dich denn nicht
gegen sie?
368
0 ich thue es ja! Ich schlage manchem Arme und Beine ab, und schlitze
ihm oft samt seinem Hunde und Pferde den Leib auf; aber es kommen immer
wieder andre Mörder, die mich endlich, wenn sie mich zwei oder drei Tage im
Kreise herumgcjagt, abgemattet und ausgehungert haben, nötigen, daß ich meinen
Kopf in den Sand oder sonst wohin stecke, mich sangen und töten oder lebendig
in die Gefangenschaft führen lasse. In der Gefangenschaft habe ichs zwar gut: ich
habe Fressen genug, kann hüpfen und springen, wie ich will; aber ich muß es mir
gefallen lassen, daß man mir von Zeit zu Zeit meine Federn auszieht, mich endlich
gar abschlachtet und aus meiner Haut allerhand Kleidungsstücke macht. Einige
Afrikaner fangen alle Jahr eine Menge von uns zusammen und ziehen uns um
der Federn willen auf. Nach Europa wird selten ein lebendiger Strauß gebracht.
(Raff's Naturgeschichte S. 384.)
279. Australien.
(Australasien, Polynesien, Südsee-Jnseln, Südindien, Occanicn.)
Dieser fünfte, zuletzt bekannt gewordene Erdteil, der kleinste an Flächen-
inhalt, besteht aus dem Festlande Neuholland und 700 größeren und kleineren
Inseln, in der Mitte der Wasserhalbkugcl mit Isi/z Mill. Ew. gelegen. Hier ist
es Tag, wenn wir Nacht haben und umgekehrt, auch Sommer, wenn bei uns der
Winter sein gestrenges Regiment führt; hier*) haben wir auch unsere Antipoden,
d. h. Gegenfüßler, zu suchen. Das Klima ist nach der verschiedenen Lage der
Inseln in der heißen oder gemäßigten Zone verschieden. Die Nordseite Australiens
kennt nur zwei Jahreszeiten, eine nasse und eine trockene, der in der gemäßigten
Zone gelegene Teil dagegen vier Jahreszeiten. Die Hitze wird auf den Inseln der
heißen Zone durch die Seeluft gemildert, so daß erstere nicht so drückend als in
Indien oder gar als in Afrika ist.
Der Einförmigkeit des Klimas und des Bodens entspricht die Einförmigkeit
der Tier- und Pflanzenwelt. Wälder sind selten. Bäume mit genießbaren Früchten
(Brot- und Kokosbaum, auch Pisang) fehlten ursprünglich ganz; sie sind, wie alle
Getreidearten, erst durch Kolonisten hingebracht. In der Tierwelt findet man
Schnabel- und Beuteltiere (das Känguruh), weiße Adler, schwarze Schwäne und
Papageien, Strauße und Kasuar, aber keine Singvögel. Dagegen ist Australien
reich an Steinkohlenlagern, Salz und fast allen nützlichen Metallen. In den
Austral-Alpen entdeckte man 1881 ein so großes Goldlager, daß Neuholland wahr-
scheinlich das reichste Goldland der Erde ist. Auch ernährt es die größten Herden
der Welt; daher ist die Wollen-Ausfuhr sehr stark, wie überhaupt die Kultur hier
unaufhaltsam vorwärts schreitet. Das Innere Neuhollands ist noch sehr wenig er-
forscht; doch enthält es keine unfruchtbaren Wüsten, wie man früher gemeint hat,
sondern vielmehr große Strecken grasreichen Bodens. Der Südosten des Festlandes
mit dem Gebirgsland der blauen Berge ist durch die Natur bevorzugt; süd-
westlich von den blauen Bergen mit der Küste parallel zieht sich die Gebirgskette
der Austral-Alpen, und im Norden erhebt sich ebenfalls Bergland. Eine An-
zahl Salzseen wurden im südlichen Ncuholland entdeckt. Große Ströme hat
man bis jetzt nicht gefunden, wohl aber eine nicht geringe Anzahl kleinerer Flüsse.
— Der Hauptort ist Sidney; auch Melbourne**) und Adelaide sind nicht
*) Südwestlich von der Insel Neu-Seeland.
**) Mcllbörn.
369
unbedeutende Städte. Handel kennt man in Australien bis jetzt nur wenig. Die
Kunstfertigkeiten der Australier beschränken sich auf die ersten Bedürfnisse des
Lebens; nur ein Teil der Einwohner treibt Ackerbau, andere nähren sich von
Jagd und Fischerei oder wilden Naturprodukten (sogar von Gewürm).
Geistig begabt, bildungsfähig und zum Christentum bekehrt sind die Be-
wohner der Sand wich in sein. Sonst stehen die Australier auf tiefer Stufe und
sind Heiden, bei denen noch Menschenopfer in Gebrauch ist; ja die Einwohner von
Neu-Seeland und zum Teil auf den Flachen-In sein fressen Menschen. —
Die Bevölkerung Australiens scheint aus zwei Hauptnationen zu bestehen: aus
Stämmen von hellerer Farbe (Malayen) und Stämmen von schwarzer Hautfarbe,
mit wolligem Haar und kleinerem, magerem Körperbau (die Ureinwohner;
Australneger oder Papuas). Diese sind überaus träge, stumpf und sehr wenig
bildungsfähig; sie tättowieren ihre Haut, schmücken ihr Haar mit Moos und Hai-
fischzähnen und ziehen Stückchen Holz durch den Nasenknorpel u. dgl. m. Reisende,
die Neuhollcrnd durchforschten, haben unter den Ureinwohnern auf so tiefer Stufe
stehende, in Höhlen lebende, ganz nackend gehende Menschen in wahrhaft tierischem
Zustande gefunden, so daß sie anfangs nicht wußten, ob es wirklich Menschen seien;
aber bei näherer Bekanntschaft mit diesen bejammernswerten Geschöpfen fanden sie
doch in ihnen — einen Funken Gottes und damit auch hier einen Beweis für
das Wort des Apostel Paulus: Wir Menschen sind göttlichen Geschlechts
(Ap. Gesch. 17, 26-29).
Mögen wir auf das Dasein, Leben und Treiben der Völker oder auf die
Erzeugnisse der Natur blicken, wohin wir wollen, sei es nach dem Norden oder
Süden unsers kultivierten Erdteils, sei es nach dem heißen Afrika, nach Amerika,
dem reich gesegneten Asien oder dem spärlicher bedachten Australien: nirgends ver-
missen wir das Walten Gottes. Er führt Völker zusammen, die Ort und
Zeit lange getrennt hatten, er läutert sie, er bringt sie zur Erkenntnis der Wahr-
heit; der allliebende Vater aller Geschöpfe hat mit fürsorgender Hand seine Güter
über den ganzen Erdboden so verbreitet, wie sie nach seiner Weisheit den Ge-
schöpfen nützlich und heilsam sind. Was dem Australier Brotbaum und Kokosnuß
und Pisang, das sind dem Nordländer seine nahrhaften Moose und seine Renntiere,
und da, wo die Natur am kärglichsten sich bewiesen hat, leben oft, unbekannt mit
den größeren Naturschätzen, die zufriedensten Menschen.
(Nach Zachariä und Seydlitz.)
XXIV.
1. Wer fick will ihrlich un redlich ernähren, de möt väl flicken UN wenig
vertehren. Wenn de Kauh fick bot sollen hett, denn ward de Stall bätert. So
as de Hund is, ward em de Wust brat. Wenn du riden wist, denn kannst du
nich ierst sadeln. Is kein Pott so scheif, finb’t fick doch 'n Stülpen tau. Wo
haut ward, fallen Spöhn. Von nicks, kümmt nicks. Wenn von 'n Wulf spreckt,
is he nich wiet. Den'n Fulen sin Warkdag is ümmer morgen, sin Ruhdag hüt.
Pack sleit fick, Pack verdrägt fick. God Pierd treckt twemal. Hei is so klok, hei
kann Gras wassen sehn. Klauk Heuner leggen ok mal in 'n Neddel. Wer väl
gastiert, hett bald quittiert. Hei schmitt mit de Mettwust na 'n Schinken. Is
noch nich alle Dag Abend. An em is Hoppen un Molt verloren. Hei hett
ümmer grot Rosinen in 'n Sack.
2. Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn. Der Herr muß selber sein
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2. 24
370
der Knecht, will er's im Hause machen recht. Böser Gewinn schnell dahin. Hüte
dich vor dem Borgen, so schläfst du ohne Sorgen. Besser arm in Ehren, als
reich in Unehren. Besser zweimal fragen, als einmal irre gehen. Wo die Arbeit
das Haus bewacht, kann die Armut nicht hinein. Sammet und Seide löschen das
Feuer in der Küche aus. Traue nicht den lachenden Wirten und den weinenden
Bettlern. Verlorne Ehr' kehrt nimmermehr. Geiz macht ein Herz zu Stein und
Erz. Bedenke, was die Schule ist, und in der Schule, wo du bist. Lüge ist ein
Schandfleck am Menschen, Wahrheit sein edelster Schmuck. Reiner Mund und
treue Hand gehen durch das ganze Land. Den Baum muß man biegen, wenn er
jung ist. Wenn Menschenhülf' scheint aus zu sein, so stellt sich Gottes Hülfe ein.
3. Es hält nicht Stich. Über einen Kamm scheren. Er muß Haare lassen.
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es kräht weder Hund noch Hahn darnach.
Da stehen die Ochsen am Berge. Öl ins Feuer gießen. Es ist weder Fisch noch
Fleisch. Wider den Strom schwimmen. Auf keinen grünen Zweig kommen.
Jemandem Sand in die Augen streuen. Mit der Thür ins Haus fallen. Etwas
in den Wind schlagen. In den eigenen Busen greifen. Durch die Finger sehen.
Unter die Arme greifen. Auf die lange Bank schieben. Den Mantel nach dem
Winde hängen. Kein Blatt vor den Mund nehmen.
V.
280. Mein Lesebuch.
(* Von Eugen Labes.)
1. Ich habe einen Freund, so treu,
Der immer mich geleitet,
Der Freuden immerdar nur neu
Auf Lebensgang bereitet;
Und wer mich nach dem Namen frug,
Dem sagt ich: 's ist mein Lesebuch.
2. Das führt in Gottes Reick mich ein.
Lehrt mich sein Werk verstehen
Und seine Wunder, groß und klein,
In seiner Schöpfung sehen;
Es zeigt, vom ew'gen Licht erhellt
Die ganze große Gotteswelt.
3. Es leitet mich an seiner Hand
Durch unsers Volkes Leben,
Zeigt, was auch unserm Vaterland
Der liebe Gott gegeben,
Lehrt mich der Väter Thaten schaun,
Wie sie, auf Gottes Hülfe bau'n.
4. Es leitet mich zu Gottes Wort,
Zeigt mir der Väter Glauben,
Lehrt mich bewahren Heiles Hort,
Daß nicht ihn Zweifel rauben.
Es leitet mich durch Welt und Zeit
Hinauf zu Gottes Ewigkeit.
Umschau.
281.
Bisher, mein Kind, hat dein Lesebuch dich durch die
vier Jahreszeiten geführt, in deren wunderbare?i Wechsel du
371
erkanntest, dass Sommer und Winter, Regen und trockne
Jahreszeit im grossen Haushalte Gottes Heiken und unter seiner
waltenden Hand wechseln sollen, so lange die Erde steht.
Dann leitete dich dein Lesebuch durch die grossen Reiche der
Natur, dass du bewundern solltest das geheimnisvolle Walten
Gottes nicht bloss im Tier- und Pflanzenleben, sondern auch in
dem Dasein der leblosen Kreatur, im Fels und toten Gestein; es
lenkte deinen Blick in das unendlich grosse Weltall und in die
Kräfte der Natur; es führte dir vor Augen das Kommen und
Gehen der Völker auf dem Erdenrund, die Bedeutung grosser
weltgeschichtlicher Ereignisse, die Thaten Mächtiger und Ge-
waltiger, die Erfindungen denkwürdiger Männer — in allem,
allem musstest du Gottes Walten erkennen.
Nun will dein Lesebuch dich bewegen, schliesslich auch
noch Umschau zu halten in deinem eigenen und deines Näch-
sten Leben, um hier gleicheriveise ein höheres Leiten zu er-
kennen. Überall in deinem Dasein, in deiner menschlichen
Umgebung spürst du Gottes Walten, göttliche Schickungen.
Dich selbst führt Gott friedliche und rauhe Wege — du weifst
nicht, warum; von ihm kommt alle Gabe — du musst es nehmen,
wie er’s giebt; du vermagst nicht, sein weises Wcdten zu durch-
kreuzen. Den leidenden Bruder sendet er dir, dass du dich
seiner annehmest; denn er ist, wie du, ein Glied in der grossen
Menschenkette. Auch der geringste deiner Brüder trägt Gottes
Ebenbild an sich; darum sollst du niemand wehe thun; du
darfst nicht hassen, dich nicht rächen, die Rache ist gemein
— du musst vergeben und vergessen können. Christus, der
Herr und Meister, ist dein Vorbild. Du bist kein Christ, wenn
deine Thaten nicht mit dem Glauben übereinstimmen; denn die
Früchte sind die sichersten Zeichen und Zeugen, von welcher
Beschaffenheit dein Herz und Gemüt ist — ein guter Baum
bringt auch gute Früchte. „Frage nur dein Inneres, wie du
handelst11: du hast ein Gewissen in dir. Es ist schlimm um
dich bestellt, wenn man von dir sagt: Je älter, desto schlechter.
Die Jugend ist die Zeit der Saat, von der du im Alter
die Früchte erntest; und wie man säet, so erntet man. Ver-
achte und vergiss nie die höchsten Güter der Jugend: das
Elternhaus und die Schule. Des Vaters Segen bauet dir Häuser,
und durch deine Mutter bist du, ivas du bist; es bringt dir
stets Unsegen, wenn du die Liebe deiner Eltern mit Undank
belohnest. Deine Schule und treuer Lehrer Arbeit missachte
nie, es macht dir keine Ehre. Was wäre aber das Elternhaus
und die Schule ohne Religion! An ihr hast du immer sichern
Halt und Trost in den Brandungen des Lebens, im letzten
Kampfe. Nie verleugne die Religion deiner Väter, verachte
aber auch keinen Andersgläubigen; spotte nicht über das, ivas
ihm heilig ist, du verletzest ihn. In Christo sind wir alle
24*
372
Brüder, und er ruft alle Menschen ohne Ausnahme, ivenn er
einladet: Kommt her zu mir, alle! Der Leib eines jeden deiner
Brüder ist, wie der deinige, ein Tempel Gottes, künstlich und
fein bereitet, mit herrlich hohen Anlagen geschmückt, mit
göttlichem Geiste geziert, ewig fortdauernd, und des All-
gütigen Wille ist, dass alle seine Menschenkinder zu ihm und
zum himmlischen Schauen kommen. Welch ein göttlicher Trost,
unsere Lieben einst in Vollkommenheit wieder zu sehen! Halte
fest im Glauben, was du errungen hast, und sorge, dass du in
Frieden von hinnen gehest, um zivischen deinen Lieben nicht
dermaleinst zu fehlen!
Wo du auch stehst, wo du auch iveilst; wohin du gehst,
wohin du eilst:
Spürst allenthalben höheres Schalten, — begegnet dir ein
Gottes Walten! (j. s.)
282. Vor dem Schulhause.
Ein Wandrer, still und gramversenkt.
Zieht einsam seine Straße hin;
Doch wie ins Dorf den Schritt er lenkt,
Wird's ihm gar wunderlich zu Sinn.
Aus einem schlichten Hause rauscht
Entgegen ihm ein heller Sang —
Die Schule ist es, wie er lauscht —
Und seufzend hemmt er seinen Gang.
In seinem Geiste taucht empor
Ein holdes Bild vergangner Zeit:
Der Jugend Glück, das er verlor.
Strahlt ihm in neuer Herrlichkeit.
Er denkt zurück, da froherregt
Er sang gleich jener Kinderschar;
Da er, von keinem Schmerz bewegt.
Noch unaussprechlich glücklich war.
Er denkt des Tags, da er verließ
Der Schule vielgeliebten Raum,
Und ihm der Lehrer Heil verhieß —
Fast dünkt es jetzt ihm wie ein Traum.
Wie er dann in die Fremde ging
Voll hoffnungsreichem Jugendmut;
Wie Sorge ihn und Gram umfing
Und ihm erlosch des Herzens Glut . . .
Dies alles sieht er plötzlich ziehn
Durch seine Seele wehmutsbang,
Und nach dem Hause treibt es ihn
Mit übermächtig heißem Drang.
373
Durchs Fenster lugt er schnell hinein
Und eilt dann fort mit trübem Blick;
Ihm ist es heut, als büßt' er ein
Zum zweitenmal sein — Jugendglück!
(Hubert Müller.)
Bedenke, was die Schule ist, und in der Schule, wo du bist. Fleißig
gebetet, ist über die Hälfte studiert. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer-
mehr. Brauch dein Auge, brauch dein Ohr; stets kommt 'was zu lernen vor.
Rastest du, so rostest du. Wer nicht vorwärts kommt, kommt rückwärts. Lebe,
um zu lernen und lerne, um zu leben. — Wer seine Eltern nicht betrübt, der
wird von aller Welt geliebt. Kinder, die die Eltern lieben, werden nicht ihr Herz
betrüben. Wer den Vater nicht hört, fällt dem Henker in die Hände.* Elternsegen
ist Gottessegen. Wer seine Eltern kränkt, kann nimmer glücklich sein; der Eltern
Seufzen bringt den Kindern nie Gedeih'n. Gieb Eltern, was du kannst und gern
bis an ihr Grab; du schenkest nicht, du trägst nur deine Schulden ab. — Gott,
den Eltern und Lehrern kann man nimmer genug vergelten. Die uns lehren,
müssen wir ehren. Deinen Lehrer sollst du ehren; ihm gehorchen, aus ihn hören.
283. Um ein reines Herz.
Ein reines Herz, Herr, schaff in mir,
Schleuß zu der Sünde Thor und Thür,
Vertreibe sie und laß nicht zu.
Daß sie in meinem Herzen ruh'.
Dir öffn' ich, Jesu, meine Thür.
Ach komm und wohne du bei mir,
Treib all Unreinigkeit hinaus
Aus deinem Tempel und Wohnhaus.
Laß deines guten Geistes Licht
Und dein hellglänzend Angesicht
Erleuchten mein Herz und Gemüt,
O Brunnen unerschöpfter Güt'.
Und mache dann mein Herz zugleich
An Himmelsgut und Segen reich,
Gieb Weisheit, Stärke, Rat, Verstand
AuS deiner milden Gnadenhand.
So will ich deines Namens Ruhm
Ausbreiten als dein Eigentum,
Und dieses achten für Gewinn,
Wenn ich nur dir ergeben bin.
(H. G. Neuß.)
284. Des frommen Kindes Gebet.
(* Von Lina Grass.)
Vaterunser, der du bist, wo oben
An dem blauen Himmel Wolken ziehn.
Hörst du's auch, wenn dich die Kinder loben?
Nun, so nimm auch mein Gebete hin.
Laß mich deine Vaterhuld erkennen.
Deiner Drei; und Liebe würdig sein,
Nur mit Andacht deinen Namen nennen.
Nie im Scherz gedankenlos entweihst:.
Friede herrscht in deinen Himmelreih'n,
Der herab auf gute Menschen schwebt;
374
Gieb, daß ich schon hier den Engeln gleiche
Und mein Herz nach deinem Reiche strebt.
Alle Menschen sollen glücklich werden.
Guten Kindern soll es wohlergehn.
Du regierst im Himmel und auf Erden,
Mög dein Wille auch an mir geschehn.
Laß mich dankbar jedes Gut genießen.
Das mir deine Vaterliebe beut.
Trösten, wenn des Nächsten Thränen fließen.
Unser täglich Brod gieb uns auch heut.
a Ach, wie kurz ist unser junges Leben,
Und doch ist es nicht von Sünden rein.
Meinen Schuldnern will ich gern vergeben.
Und du, lieber Gott, wirst mir verzeih'n.
Prüfe mich, doch Vater hilf mir siegen
Laß mich nicht im Kampfe untergehn.
Laß mich nicht dem Unrecht unterliegen.
Hör' des schwachen Kindes heißes Flehn.
Dein ist's Reich, und Sonne, Mond und Sterne
Lenkest du in deiner Herrlichkeit.
Millionen Welten nah' und ferne
Preisen dich, den Herrn der Ewigkeit.
285. Der Räuber und das Kruzifix.
Auf dem öden Scheidewege, hinterm hohen Kruzifixe,
Mit dem Säbel in dem Gurte, in der Hand die gute Büchse,
Steht der Räuber, stumm und lauernd, und des Auges dunkeln Strahl
Läßt er rasch wie einen Falken abwärts fliegen in das Thal.
Denn den Kaufmann will er fangen, der aus weit entlegnen Ländern
Heut zurückkehrt zu den Seinen, reich an Gold und Prachtgewändern;
Und was mühsam er erworben auf der Wand'rung nah und fern —
An dem Räuber, dem gewalt'gen, find't es plötzlich seinen Herrn. —
Abend wird's, die Sterne flimmern; mit dem Säbel und der Büchse,
Stumm und lauernd, steht der Räuber hinterm hohen Kruzifixe.
Horch, da tönt's wie Engelstimmcn! Leise Seufzer, laute Klagen
Kommen hell wie Abendglocken durch die stille Nacht getragen.
Süß, mit ungewohnten Tönen, stiehlt Gebet sich in sein Ohr,
Und er steht und lauscht verwundert hinterm Kruzifix hervor.
Alle sind's des Kaufmanns Kinder, in der Jugend Blütejahren,
Braunen Auges frische Knaben, Mägdelein mit blonden Haaren;
Dicht beim Räuber vor dem Kreuze beugen sie das Knie,
Für die Rückkehr des Geliebten, ihres Vaters, flehen sie:
„O du Schirmvogt der Verlaßnen, Hort und Pfleger du der Waisen,
Laß den Vater, unsern teuern, ungefährdet heimwärts reisen!
Den du freundlich schon geführt hast durch die Wüste und das Meer,
375
Breit' auch nun die holden Arme wie zwei Flüglein um ihn her.
Daß kein Sturm den Pfad zerwühle, daß kein Irrlicht ihn umschwirre,
Daß fein gutes Roß nicht strauchle, nicht sein Fuß vom Wege irre,
Daß kein Räuber, stumm und lauernd, in der Waldschlucht ihn entdecke,
Kein Verrat den Heimgekehrten an der Schwelle niederstrecke!"
Also flehten sie; der Räuber hört es hinterm Kruzifixe,
Schnallte fester noch den Säbel, spannte schärfer noch die Büchse.
Und der Jüngste, niederknieend, hub noch einmal an zu lallen:
„Lieber Herr! Ich weiß, die Amme sagt es mir, du hilfst uns allen,
Jeden Hauch vernimmst du droben; freundlich wie das Sonnenlicht
Über alle, gut und böse, neigest du dein Angesicht;
Gieb den Räubern, den gewalt'gen, die da schwärmen auf den Wegen,
Gieb ein Haus, darin zu wohnen, einen Vater, sie zu pflegen,
Warme Kleider, blanke Schuhe, Wein und Speise mancherlei.
Daß sie nicht zu rauben brauchen, und der Vater sicher sei!
Müßt' ich, wo ein Räuber wäre, ging' ich zu ihm ohne Beben,
Dieses Kettchen hier am Halse, diesen Ring wollt' ich ihm geben,
Meinen Pelz, den scharlachroten, dieses Mützchen auch dazu;
Nimm dir alles, lieber Räuber! Nur den Vater schone du!"
Und der Räuber hört den Knaben hinterm hohen Kruzifixe,
Nach dem Säbel faßt er schweigend, schweigend faßt er nach der Büchse.
Da von ferne hört er's nahen. Rosse schnauben, Räder knarren,
Mühsam aus des Thales Grunde schwankt herauf der hohe Karren,
Und den Säbel zieht der Räuber, richtet langsam, stumm die Büchse;
Und so steht er, lauscht und zielet hinterm hohen Kruzifixe.
Niederknien noch die Kinder: „Herr, um unsres Vaters Leben —
Laß, o laß die holden Arme wie zwei Flügel ihn umschweben,
Daß sein gutes Roß nicht strauchle, nicht sein Fuß vom Wege irre,
Daß die Kugel nicht des Räubers mörderisch sein Haupt umschwirre!"
Und der Vater kommt gefahren, ungefährdet, wie sie flehn,
Drückt die Kinder an den Busen, und kein Räuber ward gesehn.
Nur den blanken Säbel fand man, nur die scharf geladne Büchse;
Beide waren ihm entsunken, hinterm hohem Kruzifixe.
(R. Prutz.)
286. Die Pfirsiche.
Ein Landmann brachte aus der Stadt fünf Pfir-
siche mit, die schönsten, die man sehen konnte. Seme
Kinder aber sahen diese Frucht zum erstenmale. Des-
halb wunderten und freuten sie sich sehr über die
schönen Äpfel mit rötlichen Backen und zartem Flaum.
Darauf verteilte sie der Vater unter seine vier Knaben,
und einen erhielt die Mutter.
Am Abend, als die Kinder in das Schlafkämmer-
376
lein gingen, fragte der Vater: „Nun, wie haben euch
die schönen Äpfel geschmeckt?“
„Herrlich, lieber Vater,“ sagte der Älteste. „Es
ist eine schöne Frucht, so säuerlich und so sanft von
Geschmack. Ich habe mir den Stein sorgsam aufbewahrt
und will mir daraus einen Baum erziehen.“
„Brav!“ sagte der Vater, „das heisst haushälterisch
auch für die Zukunft gesorgt, wie es dem Landmanne
geziemt!“
„Ich habe den meinigen sogleich aufgegessen,“ rief
der Jüngste, „und den Stein fortgeworfen, und die
Mutter hat mir die Hälfte von dem ihrigen gegeben.
0, das schmeckt so süss und zerschmilzt einem im
Munde. “
„Nun,“ sagte der Vater, „du hast zivar nicht sehr
klug, aber doch natürlich und nach kindlicher Weise
gehandelt. Für die Klugheit ist auch noch Raum genug
im Leben.“
Da begann der ziveite Sohn: „Ich habe den Stein,
den der kleine Bruder fortwarf, gesammelt und auf-
geklopft. Es war ein Kern darin, der schmeckte so
süss wie eine Nuss. Aber meinen Pfirsich habe ich
verkauft und soviel Geld dafür erhalten, dass ich, wenn
ich nach der Stadt komme, wohl zwölf dafür kaufen
kann. “
Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: „Klug
ist das wohl, aber — kindlich wenigstens und natürlich
war es nicht. Beivahr dich der Himmel, dass du kein
Kaufmann werdest. “
„Und du, Edmund?“ fragte der Vater. Un-
befangen und offen antivortete Edmund: „Ich habe
meinen Pfirsich dem Sohne unsers Nachbarn, dem
kranken Georg, der das Fieber hat, gebracht. Er
wollte ihn nicht nehmen. Da habe ich ihm denselben
auf das Bett gelegt und bin weggegangen.“
„Nun“, sagte der Vater, „wer hat denn wohl den
besten Gebrauch von seinem Pfirsich gemacht?“
Da riefen alle drei: „Das hat Bruder Edmund
377
gethan!“ Edmund aber schwieg still. Und die Mutter
umarmte ihn mit einer Thräne im Auge.
(Krummaeher.)
Wo Eintracht herrscht, da wohnet Gott. Eintracht hat
grosse Macht. Eintracht bauet das Haus, jedoch Zwietracht
reifst es nieder. Wo Eintracht den Tisch deckt, sitzt der liebe
Gott allemal mit zu Gaste. Einigkeit, ein festes Band, hält
zusammen Leus und Land. Nachgeben stillt den Krieg. Der
Klügste giebt nach. Vertraulichkeit erwirbt dir Freunde; der
Zänker macht sich viele Feinde. Zanken zwei, so haben beide
unrecht. Neid bringt Leid. Neid und Hass wohnen in gleichem
Fass. Zorn, Hass und Neid bringt dir nur Leid. Geschwister
sollen sich vertragen, sich nicht zanken und nicht schlagen.
Geh fort, wo böse Kinder sind, sonst wirst du selbst ein böses
Kind. Sage mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen,
wer du bist. Christ nennst du dich — doch nicht der Nam’
allein, auch dein Gemüt und Thun muss christlich sein.
287. Deutscher Rat.
1. Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr! Lass
nie die Lüge deinen Mund entweihn! Von Alters her im
deutschen Volke war der höchste Ruhm, getreu und wahr
zu sein!
2. Du bist ein deutsches Kind, so denke dran! Noch
bist du jung, noch ist es nicht so schwer. Aus einem Knaben
aber wird ein Mann; das Bäumchen biegt sich, doch der Baum
nicht mehr.
3. Sprich „Ja“ und „Nein“ und dreh’ und deutle nicht!
Was du berichtest, sage kurz und schlicht! Was du gelobtest,
sei dir höchste Pflicht; dein Wort sei heilig, drum verschwend’
es nicht!
4. Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran, zuerst
ein Zwerg, ein Riese hintennach; doch dein Gewissen zeigt
den Feind dir an und eine Stimme ruft in dir: „Sei wach!"
5. Dann wach’ und kämpf! Es ist ein Feind bereit: die
Lüg’ in dir, sie drohet dir Gefahr. Kind! Deutsche kämpften
tapfer allezeit; du deutsches Kind, sei tapfer, treu und wahr!
(Robert Reinick.)
Was du nicht willst, das man dir thu’, das füg’ auch
keinem andern zu. Rede wenig, höre viel. Auf Gott vertrau,
arbeite brav und leb’ genau. Unschuld und ein gut Gewissen
sind zwei sanfte Ruhekissen. Schamhaftigkeit ist die schönste
Zierde der Jugend. Rede wahr und thue recht; iver da lügt,
dem geht es schlecht. Vor fremdem Gut bewahr die Hände,
sonst nimmt’'s einmal ein schlimmes Ende. Sei freundlich und
378
bescheiden, dann mag dich jeder leiden. Erhalte dein Gewissen
rein, dann kannst du immer fröhlich sein. Gut Geivissen
macht fröhlich Gesicht. Geh treu und redlich durch die Welt,
das ist das beste Reisegeld. Verlass dich nicht auf diese Welt,
die Schaum ist, der zusammen fällt. Anstand ziert und kostet
nichts. Lerne Ordnung, liebe sie; Ordnung spart dir Zeit und
Müh’. Denkst du dein Alter hoch zu bringen, so halte Mass
in allen Dingen. Mancher Jüngling wird verdorben, weil er
schlechte Gesellschaften besucht. Zerbrich den Kopf dir nicht
zu sehr, zerbrich den Willen, das ist mehr.
288. Denksprüche.
Es ist auf Erden kein besser List,
Denn wer seiner Zunge ein Meister ist.
Viel wissen und wenig sagen.
Nicht antworten auf alle Fragen.
Rede wenig und mach's wahr.
Was du borgest, bezahle bar.
Laß einen jeden sein, was er ist.
So bleibst du auch wohl, wer du bist.
Weißt du was, so schweig';
Ist dir wohl, so bleib';
Hast du was, so halt;
Unglück mit seinem breiten Fuß kommt bald.
Schweig', leid', meid' und vertrag'.
Deine Not niemand klag.
An Gott nicht verzag:
Seine Hülfe kommt alle Tag.
Gott fürchten und vertrauen erfüllet alle Gebote. Gottes
Wort ist unser Heiligtum und macht alle Dinge heilig. Vergiß des
Armen nicht, wenn du einen fröhlichen Tag hast. Je höher du biß,
desto mehr demütige dich. Gott bleibt nicht außen, ob er gleich ver-
ziehet. Wenn wir thäten, was wir sollten, so that auch Gott, was
wir wollten. Ohne Glück und Gunst ist Kunst umsonst. Aller Leut'
Freund, jedermanns Geck. Es ist auf Erd' kein schöner Kleid, denn
Tugend, Ehr' und Redlichkeit; je länger man dasselbe trägt, je mehr
es ziert und wohl ansteht. Rede wenig, rede wahr. Ehrlich von
Geblüt, tapfer von Gemüt und von Herzen treu, das ist meine
Freud'. Das mag die beste Musik sein, wenn Mund und Herz
stimmt überein. Aller Sinn und Mut steht nach dem zeitlichen Gut,
und wenn sie das erwerben, legen sie sich nieder und sterben.. Über-
winde den, der in dir ist. Trink und iß, Gottes nicht vergiß!
(Dr. Martin Luther.)
379
289. Wenn du noch eine Mutter hast.
1. Wen« du noch eine Mutter hast.
So danke Gott und sei zufrieden;
Nicht allen auf dem Erdenrund
Ist dieses hohe Glück beschieden.
Wenn du noch eine Mutter hast,
So sollst du sie mit Liebe pflegen.
Daß sie dereinst ihr müdes Haupt
In Frieden kann zur Ruhe legen.
2. Denn was du bist, bist du durch sie;
Sie ist dein Sein, sie ist dein Werden,
Sie ist dein allerhöchstes Gut
Und ist dein größter Schatz auf Erden.
Des Vaters Wort ist ernst und streng,
Die gute Mutter mildert's wieder;
Des Vaters Segen baut das Haus,
Der Fluch der Mutter reißt es nieder.
3. Sie hat vom ersten Tage an
Für dich gelebt mit bangen Sorgen;
Sie brachte abends dich zur Ruh
Und weckte küssend dich am Morgen.
Und warst du krank, sie pflegte dein,
Den sie mit tiefem Schmerz geboren.
Und gaben alle dich schon auf,
Die Mutter gab dich nicht verloren.
4. Sie lehrte dich den frommen Spruch,
Sie lehrte dich zuerst das Reden;
Sie faltete die Hände dein
Und lehrte dich zum Vater beten.
Sie lenkte deinen Kindessinn,
Sie wachte über deine Jugend;
Der Mutter danke es allein,
Wenn du noch gehst den Pfad der Tugend.
5. Wie oft hat nicht die zarte Hand
Auf deinem lock'gen Haupt gelegen!
Wie oft hat nicht ihr frommes Herz
Gefleht für dich um Gottes Segen!
Und hattest du die Lieb' verkannt,
Gelohnt mit Undank ihre Treue,
Die Mutter hat dir stets verzieh'n.
Mit Liebe dich umfaßt aufs neue.
6. Und hätte selbst das Mutterherz
Für dich gesorget noch so wenig.
Das Wenige selbst vergiltst du nie,
Und wärest du der reichste König!
Die größten Opfer sind gering
Für das, was sie für dich gegeben,
Und hätte sie vergessen dich,
So schenkte sie dir doch das Leben.
7. Und hast du keine Mutter mehr,
Und kannst du sie nicht mehr beglücken,
So kannst du doch ihr frühes Grab
Mit frischen Blumenkränzen schmücken!
Ein Muttergrab, ein heilig Grab,
Für dich die ewig heil'ge Stelle!
O, wende dich an diesen Ort,
Wenn dich umtost des Lebens Welle.
(Von Fr. Wilh. Kau lisch, Lehrer an der Bürgerschule zu Neustadt bei Stolpen.
Nach dem Original aus dem Sonntagsblatt der Preuß. Lehrer-Zeitung Nr. 19
v. I. 1881.)
290. Das Kleinod der Bettlerin.*)
(Von Lina Graff.)
Ein blasses, abgehärmtes Weib schritt, mühsam einen Korb auf dem Rücken
mit sich forttragend, über einen stattlichen Pachthof und setzte sich erschöpft auf die
steinerne Bank des freundlichen Wohnhauses.
Die Inhaber dieses Besitztumes, brave und mitleidige Leute, eilten hinaus,
*) Eine wahre Begebenheit. Die Pächterfrau in der Erzählung war die Tante der Ver-
(Anm. des Vers.)
sasserin.
380
dem armen Weibe beizustehcn, erquickten dasselbe mit Trank und Speise und reichten
ihm auch mehrere warme Kleidungsstücke; denn der Herbst schauerte bereits kühl
und streute seine roten und gelben Blätter dem einsamen Wanderer in den Weg.
Die Pächtersrau schaute voll warmer Teilnahme auf das arme kranke
Weib, noch mehr aber auf einen nur dürftig verhüllten Säugling, den dasselbe im
Korbe mit sich trug und der nach Nahrung wimmerte. Das Knäblein wurde in
eine schnell herbeigeschaffte warme Decke gehüllt und aus einer mit Milch gefüllten
Flasche getränkt, worauf man diese aufs neue auch für den nächsten Tag füllte.
Der Pächterin standen die hellen Thränen in den Augen, und sie sagte zu ihrem
Manne: „Mein Lebtag habe ich solchen hübschen, krausköpfigen Jungen nicht gesehen,
ich möchte ihn nimmer lassen; die roten Backen soll er schon wieder bekommen;
das Kind verkommt auf der Landstraße, und das arme, kranke Weib schleppt sich
daran zu Tode. Was meinst du, Vater, wenn wir den schönen Jungen be-
hielten?" Der Pächter schüttelte bedenklich das Haupt und sagte zu seiner Frau:
„Martha, wer kann aber wissen, ob nicht dies Weib mit dem Buben als Land-
streicherin umherbettelt! Du hast deine Pflicht gethan und es erquickt, laß es jetzt
weiter ziehen. Wir haben auch unsere Sorgen!" Aber Martha ließ nicht ab; sie
berichtete ihrem Gatten, was sie der armen Frau bereits abgefragt. Dieselbe sei
vom Rhein weit hergekommen mit Mann und Kind und sie hätte irdnes Geschirr
zum Verkauf ausgeboten; da sei der Mann erkrankt, habe lange in einem Dorf-
kruge gelegen, sei darauf gestorben und fern von der Heimat begraben, die Bar-
schaft habe kaum gereicht, ihm einen schlechten Sarg und ein Ruheplätzchen auf dem
Kirchhofe zu kaufen, still hätten sie ihn begraben, und er sei doch so jung und brav
gewesen. Nun wolle sie sich zur Heimat zurückbetteln, aber sie fühle sich selbst
krank und elend und hätte mehrmals gesagt, wenn nur das Kind nicht wäre —
— dann wäre sie schon nach Hause; nun wollten ihre müden Füße sie nicht vor-
wärts tragen. —
Dies alles hatte Frau Martha sich erzählen lassen, als die fremde Bettlerin
sich an einem guten Essen labte.
„Mutter," sagte der Pächter, „laß gut sein, ich schenke dir den krausköpfigen
Jungen; mache ihn groß und erziehe ihn auch so brav wie unsere andern Kinder!"
Nach einer kurzen Unterredung willigte die arme Frau freudig, ja fast
jubelnd ein. „Nun mein kleiner, armer Martin," sagte sie einmal über das andere,
„sollst du nicht mehr hungern und frieren dürfen! Gott sei gelobt und gedankt,
daß sich barmherzige Seelen gefunden haben, die mir diese Sorge vom Herzen
nehmen; — habe noch mehr Kindlein daheim, welche die alte Großmutter hütet,
und die ich ohne Versorger kaum durchbringen kann!
Das arme Weib küßte hastig ihr Kind und ging eilig, ohne umzuschauen,
vom Hofe.
Als aber die Sonne unterging und Frau Martha mit ihrem sauber ge-
kleideten Krausköpschen auf dem Arme in der Hausthür stand und den vom Felde
heimkehrenden Arbeitern, die verwundert zu ihr aufblickten, fröhlich einen „guten
Abend" oder „grüß' Euch Gott!" zurief, — da kam eiligen Schrittes mit angst-
entstellten Zügen ein blasses Weib, dasselbe, das erst vor kurzem ihr Kind an die
Pächterfrau abgetreten hatte, durch das nahe Gesträuch auf die erschrockene Pächterin
zu, entriß ihr wild den Knaben und mit keuchender Stimme ries sie: „Mein Kind,
mein Kind — ich lasse mir mein Kind nicht nehmen; arm und elend und ver-
381
lassen will ich für mein Kind betteln; muß ich es Gott geben — nun wohlan!
aber — —". Hier preßte sie mit wildem Entzücken ihr Kind ans Herz und be-
deckte dasselbe mit Thränen und Küssen. Und als ob jemand sie verfolgen und
ihr das teure Kleinod rauben möchte, schwankte sie, das Kind im Arm, mit hastigen
Schritten davon und war in wenigen Augenblicken in der Dämmerung und im
Dunkel des Gebüsches verschwunden.
„Ich täuschte mich also doch nicht!" sagte der Pächter, — „wie sollte eine
Mutter ihres Kindleins vergessen!"
Sie aber schaute nassen Blickes zum Abcndhimmel empor und betete zum
Vater der Witwen und Waisen, daß er das arme unglückliche Weib schütze und
leite auf seinem dunklen Wege und ihm liebende, barmherzige Seelen auf demselben
senden — und Mutter und Kind zur blinden, alten Großmutter und zur Hütte
mit dem kleinen Häuflein Waisenkinder zurückführen möge.
291. Der Mutter Bild.
Von Herzens dunklem Drang getrieben
Der Jüngling zieht vom Vaterhaus,
Nach letztem Gruß von seinen Lieben,
In Gottes meite Welt hinaus.
Er nimmt des Vaters besten Segen,
Im Herzen trägt er Schutz und Schild,
Begleitend ihn auf allen Wegen,
Ein Kleinod, seiner Mutter Bild.
Ob manche Thräne von den Wangen
Ihm aus dem treuen Auge quillt.
Durch Thränen leuchtet und durch Bangen
Ihm klar der lieben Mutter Bild.
Lang weilet er im fremden Lande,
Ob Sehnsucht auch die Brust ihm füllt;
Es einet ihn mit süßen Banden
Der Heimat, seiner Mutter Bild.
Es schäumen um ihn her und treiben
Die Wogen ihn bestürmend wild.
Wird er der Alte immer bleiben?
Es hält ihn fest der Mutter Bild.
Es drücken Kummer ihn und Schmerzen,
So mancher Wunsch bleibt ungestillt;
Er zaget nicht, er trägt im Herzen
Ja seiner lieben Mutter Bild.
So manches Jahr ist nun vergangen.
Da kehrt er heim, die Thräne quillt
Beim Wiedersehn ihm von den Wangen,
Hell leuchtet heut' der Mutter Bild.
382
O Jüngling, ziehst du in die Ferne,
Ein Stern Dir strahle freundlich mild,
Ein Stern, der über alle Sterne
Dich leitet. Deiner Mutter Bild.
(Aus „Tannengrün rc." von Eugen Labes.)
292. Frage nur dein Herz, wie du handelst.
1. Hier klingen helle Lenzeslieder,
Dort wird ein Blümlein kalt gepflückt,
Wie manche Thräne fällt hernieder,
Die keine liebe Hand zerdrückt.
2. Wie dieser Jammer, dieses Weinen
Der Welt mir tief zu Herzen geht!
O könnt' ein Engel ich erscheinen,
Wo ungehörte Klage fleht.
3. Doch still! anstatt ein Kind zu klagen
Will ich zum kranken Nachbar gehn,
Ihm einen Trunk hinüber tragen
Und nach den lieben Kleinen sehn.
4. Wenn allen so in ihrem Kreise
Des Weltenschmerzes Drang gebot,
Gewiß nicht eine arme Waise
Rief' hungernd ungehört nach Brot.
5. Wo du auch stehst, wo du auch wandelst,
Du bist ein Glied im großen Reich,
Frägst du dein Herz nur, wie du handelst;
Was dir gelingt, was nicht, ist gleich.
(Neue Gedichte von Eugen Labes S. 46.)
293. Der Tater und die drei Söhne.
An Jahren alt, an Gütern reich,
Teilt einst ein Vater sein Vermögen
Und den mit Müh’ erworbnen Segen
Selbst unter die drei Söhne gleich.
„Ein Diamant ist’s,“ sprach der Alte,
„Den ich für den von euch behalte,
Der mittelst einer edlen That
Darauf den grössten Anspruch hat.“
Um diesen Anspruch zu erlangen,
Sieht man die Söhne sich zerstreun.
Drei Monden waren kaum vergangen.
So stellten sie sich wieder ein.
Drauf sprach der älteste der Brüder:
„Hört! es vertraut ein fremder Mann
Sein Gut ohn’ einen Schein mir an:
Ich gab es ihm getreulich wieder.
Sagt, war die That nicht lobens-
wert ?“
„Du thatst, mein Sohn, was sich
. gehört,“
Liess sich der Vater hier vernehmen,
„Wer anders thut, der muss sich
schämen;
Denn ehrlich sein ist unsre Pflicht.
Die That ist gut, doch edel nicht.“
Der zweite sprach: „Auf meiner
Reise
Fiel einmal unachtsamerweise
Ein armes Kind in einen See.
Ich stürzt' ihm nach, zog’s in die Höh’
Und rettete dem Kind das Leben.
Ein ganzes Dorf kann Zeugnis ge-
ben.“ —
„Du thatest,“ sprach der Greis, „mein
Kind,
Was wir als Menschen schuldig
sind.“
Der jüngste sprach: „Bei seinen
Schafen
War einst mein Feind fest ein-
geschlafen
An eines tiefen Abgrunds Rand,
Sein Leben stand in meiner Hand.
Ich weckt’ ihn und zog ihn zurücke.“
„0,“ rief der Greis mit holdem
Blicke,
„Dein ist der Ring! Welch edler
Mut,
Wenn man dem Feinde Gutes
thut!“
(Lichtwer.)
Vergelte nicht Böses mit Bösem. Gute Sache befiehlt Gott die
Bache. Christlich ist es, das Böse zu vergelten mit Gutem. Der wahre
Christ liebt nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Feinde. IMe
Gottes Sonn’ den Bösen scheint, so thu’ auch Gutes deinem Feind. Bache
383
macht ein Meines Hecht zu grossem Unrecht. „Zürne nicht, verzeihe gern ,
dieses ist die Lehr’ des Herrn. Verzeihe dir nichts und andern viel.
Drei R hat Gott sich vorbehalten: Rühmen, Richten, Rächen. Merk auf
die Stimme tief in dir,' sie ist des Menschen Kleinod hier. Der schwerste
Kampf ist der Kampf mit uns selbst. TVas die Linke thut, lass die
Rechte nicht ivissen. Wer dir als Freund nicht nützt, kann als Feind
dir schaden.
294. Ein rechter Mann.
Es ist schon löblich genug, wenn ein Mensch in sein eigenes
häusliches Leben eine gewissenhafte Ordnung bringt; noch lobens-
werter, ja manchmal großer Bewunderung würdig ist es, wenn ein
Mensch nicht nur seine, sondern auch die Angelegenheiten anderer
ordnet oder gar, wie es nicht selten geschieht, durch Geisteskraft und
Mut vom Untergange rettet.
Dies letztere hat ein schwäbischer Pfarrer, Namens Rapp,
gethan; höret, wie.
Dieser seltene Mann hatte sich vor mehreren Jahren an die
Spitze von meist armen Auswanderern gestellt, die im Begriffe waren,
den vaterländischen deutschen Boden mit dem fremden Nordamerikas
zu vertauschen. Die Reisekosten waren beisammen,, man verließ die
schwäbische Heimat, kam ans Meer, bezahlte die Überfahrt, stieg zu
Schiffe und segelte gegen Westen der neuen amerikanischen Erde zu.
Die Fahrt ging gut von statten, man sah und erreichte endlich das
ersehnte Land, und als man sich ein wenig erholt hatte, setzte man
die Reise durch bewohnte und unbewohnte Strecken landeinwärts fort.
Aber bald erfüllte Kummer und Sorge jedes Herz. Geld und
Lebensmittel fingen an zu Ende zu gehen, man zehrte und zehrte
und schoß zu, so lange man hatte; aber da man immer ausgab und
nichts einnahm, so ging es endlich mit allem Vorrat zu Ende. Schon
griff Hunger und Müdigkeit die armen Landsleute an, sie waren
vielleicht noch hundert Meilen von der Stelle fern, wo sie sich als
Ansiedler niederlassen wollten. Ihr könnt euch denken, was es da
nun galt, Mut zuzusprechen und die gesunkene Hoffnung aufzurichten.
Der Pfarrer Rapp ist wohl von einem zum andern gegangen, um
die Entmutigung nicht in Verzweiflung ausarten zu lassen; aber viel
mochte er nicht ausgerichtet haben; Hunger und Not habe* taube Ohren.
Da erreichte man endlich im nordamerikanischen Staate Mary-
land die ansehnliche Stadt Baltimore. Viele der Auswanderer
mochten wohl Lust haben, sich kurzweg von ihren Landsleuten los
zu machen, in die Stadt zu gehen, einen Dienst zu suchen und das
Ansiedeln sein zu lassen; andere mochten sich müde und betrübt zu
Boden geworfen und das Gras mit ihren Thränen benetzt haben
vor Heimweh und Reue; wieder andere mochten es wie die Israeliten
in der Wüste gemacht und ihren Führer angeklagt haben, daß er sie
den Fleischtöpfen der Heimat entführt.
Da war der Augenblick gekommen, wo der Pfarrer Rapp
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zeigen mußte, ob er ein schwacher, gewöhnlicher — oder ein starker,
seltener Mann sei, der eine Rettung findet, wo die Verzagten alle
keine mehr sehen! Und er war der starke, seltene Mann!
„Halt!" rief er seiner anvertrauten Herde zu, „Landsleute,
vertrauet mir noch einige Stunden, und rette ich euch bis dahin
nicht, da sei einem jeden erlaubt, mich und den Bund zu verlassen!"
Und wie ein anderer Moses nahm er seine Zuflucht zur Religion.
Sechshundert Köpfe stark war sein Zug! Diese sechshundert Wanderer
mußten jetzt ihr bestes Gewand anziehen, ihr Herz in Andacht ver-
einigen und einem erhebenden Gottesdienste unter freiem Himmel
beiwohnen; daß dabei gebetet und gesungen wurde mit seltener In-
brunst, daß der Pastor wahrscheinlich die schönste und rührendste
Predigt seines Lebens dabei hielt, das läßt sich denken.
Und siche da! Der Himmel ließ zwar kein Manna regnen und
keine Wachteln, wie den Israeliten, zufliegen, aber etwas anderes
that er, das mehr als Manna und Geflügel aushalf; er führte Zu-
schauer aus der Stadt zu dem Gottesdienste, die wurden von der
rührenden Andacht der deutschen Auswanderer ergriffen, sie hörten
von deren Not und Ziel, die Teilnahme für dieselben eilte mit
Flügeln durch die Stadt — und eh' es Abend wurde, waren so viele
Gaben für unsere Landsleute beisammen, daß sie nicht nur ihre
Reise fortsetzen, sondern auch ihre Ansiedelung bewerkstelligen konnten.
(I. Rank.)
295. Die Sonne bringt es an den Tag.
1. Gemächlich in der Werkstatt saß
Zum Frühstück Meister Nikolas.
Die junge Hausfrau schenkt ihm ein,
Es war im heitern Sonnenschein.
Die Sou ne bringt es an denTag.
2. Die Sonne blinkt von der Schale
Rand,
Malt zitternde Kringel an die Wand;
Und wie er den Schein ins Auge faßt,
So spricht er für sich, indem er erblaßt:
„Du bringst es doch nicht an den
^ag!"
Z. „Wer nicht? Was nicht?" die Frau
fragt gleich.
„Was stierst du so an? Was wirst du
so bleich?"
Und er darauf: „Sei still, nur still!
Jch's doch nicht sagen kann, noch will.
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag."
4. Die Frau nur dringender forscht
und fragt.
Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt,
Mit süßem und mit bittrem Wort,
Sie fragt und plagt ihn fort und fort:
„Was bringt die Sonne nicht an
den Tag?" —
5. „Nein, nimmermehr!" — „Du sagst
es mir noch."
„Ich sag' es nicht." — „Du sagst es
mir doch."
Da ward zuletzt er müd' und schwach
Und gab der Ungestümen nach. —
Die Sonne bringt es an denTag.
6. „Auf der Wanderschaft, 's sind
zwanzig Jahr,
Da traf es mich einst gar sonderbar,
Ich hatt' nicht Geld, nicht Ranzen noch
Schuh',
War hungrig und durstig und zornig
dazu. —
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag.
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7. Da kam mir just ein Jud' in die
Quer'.
Ringsher war's still und menschenleer;
Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not;
Den Beutel her, sonst schlag' ich dich
tot!
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag.
8. Und er: Vergieße nicht mein Blut!
Acht Pfennige sind mein ganzes Gut!
Ich glaubt' ihm nicht und fiel ihn an;
Er war ein alter schwacher Mann —
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag.
9. So rücklings lag er blutend da;
Sein brechendes Aug' in die Sonne sah;
Noch hob er zuckend die Hand empor,
Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr:
DieSonne bringt es an denTag!
10. Ich macht' ihn schnell noch vollends
stumm
Und kehrt' ihm die Taschen um und um;
Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld.
Ich scharrt' ihn ein auf selbigem Feld —
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag.
11. Dann zog ich weit und weiter
hinaus,
Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. —
Du weißt nun meine Heimlichkeit,
So halt den Mund und sei gescheit!
Die Sonne bringt's nicht an den
Tag.
12. Wann aber sie so flimmernd
scheint,
Ich merk' es wohl, was sie da meint,
Wie sie sich müht und sich erbost —
Du, schau' nicht hin und sei getrost! —
Sie bringt es doch nicht an den
Tag!"
13. So hatte die Sonn' eine Zunge
nun,
Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn.
„Gevatterin, um Jesus Christ!
Laßt Euch nicht merken, was Ihr nun
wißt!" —
Nun bringt's die Sonne an den
Tag.
14. Die Raben ziehen krächzend zumal
Nach dem Hochgericht zu halten ihr
Mahl.
Wen flechten sie aufs Rad zur Stund'?
Was hat er gethan? Wie ward es
kund? —
Die Sonne bracht' es an denTag!
(Chamisso.)
296. Hoffnung.
1. Und dräut der Winter noch sehr
Mit trotzigen Geberden,
Und streut er Eis und Schnee umher:
Es muß doch Frühling werden!
2. Und drängen die Nebel noch so
dicht
Sich vor den Blick der Sonne;
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
3. Blast nur, ihr Stürme, blast mit
Macht,
Mir soll darob nicht bangen;
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. !
4. Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel
hinauf.
Und möchte vor Lust vergehen.
5. Sie flicht sich blühende Kränze ins
Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren,
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
7. Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gieb dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschicden.
25
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7. Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden;
Nur unverzagt und Gott vertraut,
Es muß doch Frühling werden! (E. Geibel.)
297. Das Huhn und der Karpfen.
Auf einer Meierei
Da war einmal ein braves Huhn,
DaS legte, wie die Hühner thun,
An jedem Tag ein Ei
Und kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Unding sei!
Es war ein Teich dabei,
Darin ein braver Karpfen saß
Und stillvergnügt fein Futter fraß,
Der hörte das Geschrei:
Wie's kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Unding sei.
Da sprach der Karpfen frei:
„Alljährlich leg' ich 'ne Million
Und rühm' mich des mit keinem Ton;
Wenn ich um jedes Ei
So kakeln wollt',
Mirakeln wollt',
Spektakeln wollt' —
Was gäb's für ein Geschrei!"
(Fliegende Bl. Von Heinrich Seidel.)
Hochmut kommt vor dem Falle. Hochmut ist des Stolzes Bruder. Hennen,
die viel gackern, legen wenig Eier. Übermut thut niemals gut. Hochmut macht
Feinde, Demut Freunde. Thorheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Je hoher
gestiegen, je tiefer gefallen. Die schlechteste Ähre trägt den Kopf am höchsten.
Mancher kündigt hoch sich an, der nur wenig leisten kann. Demut macht angenehm
vor Gott. Die Werke zeigen an, was jeder leisten kann. Viele Worte, wenig
Werke. In Thaten liegt die beste Probe. Wer redet, was ihn gelüstet, muß
hören, was ihn entrüstet. Sich selbst recht kennen ist Verstand, drum werde
mit dir selbst bekannt. Man muß nicht eher fliegen, als bis einem die Flügel
gewachsen sind.
387
298. Das Wichtigste vom Vau des menschlichen Körpers Nttd
von der Pflege desselben.
(* Von Prof. Dr. Uffelm ann in Rostock.)
Der menschliche Körper wird eingeteilt
in Rumpf und Glieder. Ersterer besteht
aus Kopf, Hals, Brust und Unterleib.
Die Glieder sind der Arm mit Oberarm,
Vorderarm und Hand, sowie das Bein
mit Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß.
Zusammengesetzt ist der Körper aus
Knochen, Bändern, Muskeln nebst ihren
Sehnen, inneren Organen, Nerven,
Blutadern, Haut und Zellgeweben. Die
Knochen, 213 an der Zahl, bilden ein zu-
sammenhängendes Gerüste, das sogenannte
Skelett, und sind dazu bestimmt, dem Körper
Halt, edlen Teilen, insbesondere der Lunge,
dem Herzen, dem Gehirn und Rückenmark,
Schutz zu geben. Wir finden sie von einer
Haut, der Knochenhaut, oder Beinhaut,
überzogen, welche denselben Zweck hat, wie die
Rinde beim Baum, nämlich den, die Knochen
von außen her zu ernähren. Öffnen wir
letztere, so sehen wir, daß sie Hohlräume ent-
halten, welche von einer gelblichen, fettreichen
Masse erfüllt sind. Diese, das Knochen-
mark, dient dazu, mit ihren zahlreichen Blut-
adern den Knochen von innen her zu ernähren.
Die Verbindung der Knochen unter ein- v
ander wird durch die Bänder bewerkstelligt.
Es sind dies feste, aber größtenteils sehr
elastische, sehnenartige Stränge, die von einem
Knochen zum andern sich hinüberstrecken. An
einzelnen Körperstellen, besonders am Rückgrat, welches aus vielen
scheibenartigen Knochen, den Wirbeln, aufgebaut ist, dienen zur Ver-
bindung außer den eben erwähnten Bändern noch Knorpelmassen, welche,
viel fester als jene, den Nutzen haben, daß sie die Beweglichkeit der
Knocheneinschränken und damit lebenswichtige Teile (Rückenmark) schützen.
Viele Knochen sind mit einander durch ein Gelenk verbunden.
So haben wir ein Schulter-, ein Ellbogen-, ein Hand-, ein Hüft-,
ein Kniegelenk und noch andre. In jedem derselben zeigen sich die
Enden der Knochen mit weißgrauer, sehr glatter, glänzender Knorpel-
masse überzogen. Sie stecken frei in einer Tasche, welche die Gelenk-
kapsel heißt. Diese letztere ist überall verschlossen, ist auswendig
*) Die Figuren sind dem Lesebuch von Gabriel und Supprian entnommen.
Bem. des Vers.
25*
Knochengerüst des
Menschen.*)
388
von den, die Knochen verbindenden Bändern bekleidet und enthält selbst
eine wässrige, schwach-klebrige Flüssigkeit, die Gelenkschmiere.
Bildet sich von dieser zu viel, so entsteht ein Leiden, welches man
Gelenkwasser nennt.
Über den Knochen und Gelenken liegen die Muskeln mit
ihren Sehnen. Erstere sind rot, bestehen aus Fasern, welche der
Länge nach neben einander verlaufen und bilden die eigentliche
Fleischmasse des Körpers. Die Sehnen gehen aus den Muskelfasern
hervor, sind die Verlängerung derselben, enthalten aber keine rote
Fleischmasse mehr, sondern nur derbe, feste, sehnige Fasern, die ihnen
eine weißliche Farbe verleihen. Sie verwachsen mit der Knochenhaut,
verbinden also Knochen und Muskeln. Letztere können sich zusammen-
ziehen, wie ein Gummiband. Geschieht dies, so folgt die Sehne
nach, mit der Sehne auch der Knochen und mit diesem der Körper-
teil, welchem der Knochen angehört, z. B. der Finger, der Arm, das
Bein. Die Zusammenziehung der Muskeln, welche dies bewirkt, er-
folgt durch unseren Willen, der ihnen seinen Befehl durch Nerven-
fasern zukommen läßt. Der Zweck der Muskeln ist demnach, Be-
wegungen des Körpers und seiner Glieder zu bewerkstelligen, also
auch Arbeit zu verrichten. Sie müssen sorgfältig geübt werden
(Turnen re.); denn ein unthätiger Muskel nimmt an Umfang, wie
an Kraft ab, ein fleißig geübter aber nimmt zu. Außerdem vermehrt
Übung der Muskeln die Geschicklichkeit der Glieder, besonders der
Hände, und befördert endlich auch die Gesundheit des ganzen Körpers,
indem sie tieferes Atmen, dadurch aber die Bildung besseren Blutes,
zur Folge hat.
Im menschlichen Körper befinden sich außer diesen durch unsern
Willen bewegten Muskeln noch solche, auf welche unser Wille gar
keinen Einfluß hat. Diese letzteren sind aus blassen Faserzügen zu-
sammengesetzt und gleichen mehr einer Haut. Sie erstrecken sich nicht
von Knochen zu Knochen, sondern liegen in oder auf inneren Organen,
Eingeweiden, z. B. dem Magen, dem Darme, der Blase, auch in der
äußeren Haut und in der Haut der Blutadern. Diese Muskeln
ziehen sich ohne unser Zuthun durch Befehle zusammen, welche ihnen
ganz im Stillen, d. h. ohne daß der Mensch es nur merkt, vom
Gehirn, Rückenmark und noch andern Stellen des Nervensystems
zugeführt werden. Sie dienen hauptsächlich dazu, die Körperteile, an
denen sie sich befinden, je nach dem Bedürfnis zu verengern und zn
erweitern, auch den Inhalt derselben fortzubewegen. Unser Herz
allein macht eine Ausnahme; es ist ein rotfaseriger Muskel, der ohne
unser Zuthun, nicht durch den Willen zur Zusammenziehung ge-
bracht wird.
Die Verdauungswerkzeuge.
Unter den inneren Organen haben wir zuerst die Ver-
dauungswerkzcuge zu betrachten. Dieselben dienen dazu, die
Speisen zu zerkleinern, aufzulösen und dann dem Blute zuzuführen.
389
welches die einzelnen Teile der Nahrungsmittel in dem Körper um-
herführt und dorthin bringt, wo sie nötig sind.
Im Munde haben wir Zähne und zwar 32, nämlich 4 Schneide-
zähne oben und 4 unten, 2 Augenzähne oben und 2 unten, HO
Backenzähne oben und 10 unten. Das neugeborne Kind hat gar
keine Zähne. Nach und nach wachsen 20 heraus; dies sind die sog.
Milch zäh ne, welche nach einigen Jahren wieder anssallen und den
bleibenden Platz machen. — Die Zähne muß man durch häufige
Reinigung derselben und Vermeiden von Süßigkeiten sich zu erhalten
suchen; man wird sich dadurch nicht blos viel Zahnweh ersparen,
sondern auch erreichen, daß man noch im Alter die Nahrungsmittel
gehörig zu zerkleinern imstande ist.
Hinter den Zähnen liegt die Zunge, ein größtenteils aus
Muskelfleisch bestehender beweglicher Körperteil, welcher hinter der
Mundhöhle an einem besonderen Knochen, dem Zungenbein, an-
geheftet und auf seiner Oberfläche von einer zarten Haut überkleidet
ist. Diese zeigt kleine Erhabenheiten oder Wärzchen und nach
hinten hin auch kleine Grübchen. In diesen, wie in jenen, breiten
sich die Enden von Nerven aus, welche Geschmack und Gefühl der
Zunge vermitteln.
Innerhalb des Mundes findet sich eine Flüssigkeit, welche
Speichel genannt wird. Derselbe stammt aus den Speicheldrüsen,
welche in der Nähe des Mundes liegen, und dient nicht blos dazu,
die Speisen schlüpfriger zu machen, damit sie bester verschluckt werden
können, sondern insbesondere auch dazu, die mehligen Bestandteile
aufzulösen, oder wie man sagt, zu verdauen.
Hinter dem Munde liegt der Gaumen und der Schlund-
kopf, welcher letztere sich nach unten in die Speiseröhre fortsetzt.
Diese nimmt den ihr aus dem Schlundkopse zugeführten Bisten
auf und befördert ihn durch die Zusammenziehung von Muskeln,
welche in ihrer Wand sich befinden, von oben nach unten dem
Magen zu und zwar ohne unser Zuthun. Wir haben nur durch
gehöriges Zerkauen und langsames Esten dafür zu sorgen, daß die
Bisten auch durch die verhältnismäßig enge Speiseröhre hindurch-
treten können.
Der Magen liegt im Unterleibe, unmittelbar unter einer
quer gelagerten Scheidewand, dem Zwerchfelle, welches Brusthöhle
und Unterleib von einander trennt. Er ist ein weiter, birnförmiger
Sack, der auswendig mit blassen Muskeln reich überzogen ist, innen
aber eine sehr zarte Haut besitzt. Diese zeigt unendlich viele kleine
Öffnungen, nicht größer, als wenn man sie mit Nadelspitzen erzeugt
hätte. Jede derselben führt in ein ziemlich tiefes Grübchen, welches,
von kleinen Äderchen umzogen, zur Absonderung des Magen-
saftes dient.
Im Magen bleiben die Speisen längere Zeit, die festen mehrere
Stunden, die flüssigen nicht so lange. Während dessen werden sie
durch die Zusammenziehungen der Muskeln des Magens fortwährend
390
hin und her bewegt, gehörig unter einander gemengt und noch weiter
zerkleinert. Es entsteht ein graugelblicher Brei, der Speisedrei. In
diesem wirkt der mit verschluckte Speichel und der Magensaft auf-
lösend. Ein erheblicher Teil des Aufgelösten wird dann sofort von
den Adern des Magens aufgenommen, oder wie man sagt, aufgesogen.
Ziehen die Muskeln des Magens sich nicht in gewöhnlicher,
ruhiger Weise, sondern sehr heftig und ruckweise zusammen, so wird
der Brei oft wieder aus ihm nach oben befördert. Man nennt
dies „Erbrechen."
Verdaute aufgelöst werden, sofern es überhaupt verdaulich ist. Es
gelangt nun der Speisedrei aus dem Magen durch die Zusammen-
ziehungen desselben zunächst in den Zwölffingerdarm und kommt hier
in Berührung mit den zuletzt erwähnten wirksamen Säften, wird
durch die Zusammenziehungen der Darinmuökeln weiter geführt und an
den Hervorragungen des Dünndarms entlang gewälzt. Dieselben nehmen
das mittlerweile Verdaute durch die Saugadern in sich auf und führen
es den: Blute zu. Im Dickdarine wird von den Adern, die in seiner
Haut verlaufen, der Rest des Flüssigen und Auflöslichen aufgenommen;
es bleibt dann nur das Unverdaute übrig, welches sich durch den Mast-
darm ausscheidet.
Öffnungen; die eine führt in die
Speiseröhre, die andere in den
Darm. Letzterer zerfällt in den
Dünndarm mit seinem Anhang,
dem Zwölffingerdarm, in den
D ick d arm und Mast darin.
Alle diese Abteilungen bestehen
inwendig aus einer zarten Haut
und auswendig aus blassen Mus-
Der Magen hat zwei
"~® fein. In der Haut des ganzen
! Dünn- und Dickdarms finden sich
—s kleine Grübchen, welche einen
wässrig-schleimigen Saft abson-
-■0 dern, in der Haut des ersteren
auch kleine Hervorragungen,
welche Saugadern enthalten.
Der Zwölffingerdarm erhält den
Zufluß von zwei großen Or-
ganen, welche nahe bei ihm liegen,
der Leber und der Bauch-
391
Tie Atemwerkzeuge.
Die Atemwerkzeuge dienen dazu, dem Blute mit der Luft
Sauerstoff zuzuführen, einen Bestandteil der letzteren, der für
unsern Körper so unentbehrlich ist wie Speise, und dienen ferner
dazu, Kohlensäure fortzuführen, die in unserm Innern sich bildet
und giftig wirkt, wenn sie sich anhäuft. Der äußere Teil der Atem-
werkzeuge ist die Nase. Dieselbe beherbergt den Geruchsnerv; aber
sie dient auch der Atmung, indem sie die Luft erwärmt und in ihren
gewundenen Gängen von Staub befreit.
Aus der Nase tritt die Luft in den Schlund und von da in
den Kehlkopf. Dieser liegt vor dem oberen Teile der Speiseröhre,
die wir bereits kennen, und ist da, wo er an den Schlund grenzt,
mit einer beweglichen Klappe, dem Kehldeckel, verschlossen, dessen
Zweck es ist, zu verhüten, daß Speisen in den Kehlkopf — die un-
rechte Kehle — gelangen. Im Kehlkopfe liegt die Stimmritze,
eine Spalte, die verengt und erweitert werden kann. Etwas unter-
halb dieser Spalte beginnt die Luftröhre, welche einige Centimeter
tiefer in die Brusthöhle eintritt und sich in zwei Kanäle, einen rechten
und linken, spaltet. Jeder derselben teilt sich wieder in kleinere
Kanäle, jeder der letzteren aufs neue
und so fort, ähnlich wie ein Baum
in große, kleine und kleinste Äste
sich spaltet. An den allerkleinsten
und letzten Kanälchen hängen zarte
Bläschen, im ganzen etwa 1800
Millionen, und diese bilden, indem
sie sich an einander lagern, die
Lunge. Der Mensch hat eine
rechte und eine linke Lunge. In
ihnen verlaufen Blutadern, welche
an den zarten Bläschen sich aus-
breiten, Blutadern, welche Blut
bringen, und solche, welche es fort-
führen.
Atmen heißt seinen Brust-
kasten ausdehnen, erweitern. Ge-
schieht dies, so dehnen sich auch
die Lungen aus, und nun strömt
Luft von außen durch Kehlkopf und Luftröhre in sie ein, geradeso
gilt, wie Luft in einen Gummiball einströmt, der, ein Loch habend,
zusammengedrückt wurde und dann sich erweitert. Die eintretende
Luft kommt in den Bläschen an die Blutadern, giebt an sie Sauer-
stoff ab und nimmt die schlechte, giftige Kohlensäure auf, die nun
beim Ausatmen, das heißt bei der Verkleinerung des Brustkastens,
mit der Luft fortgeführt wird.
Es ist also nötig, daß wir nicht oberflächlich, sondern möglichst
Die Lungen und das Her; mit den
Hauptadern.
1. Luftröhre (ihre Verzweigungen sind von
den Adern verdeckt). 2—4. Adern (siehe das
umstehende Bild). 5. Die beiden linken
Lungenlappen. 6—8. Herz. 8. Die drei
rechten Lungenlappen.
tief atmen, und nicht gut, daß wir viel vornübergebeugt sitzen, weil
wir dann nicht tief atmen können. Es ist aber auch nötig, daß die
Luft, welche wir atmen, gesund und rein, daß sie insbesondere mög-
lichst wenig mit der schlechten, ausgeatmeten vermischt ist. Deshalb
muß man dafür sorgen, daß geschlossene Wohnräume fleißig ge-
lüftet werden.
Die Werkzeuge des Blutkreislaufs.
Zwischen den beiden Lungen liegt das
Herz. Dies ist, wie schon gesagt, ein Muskel,
richtiger ein aus Muskelfleisch bestehender
Sack, welcher durch eine von oben bis unten
sich erstreckende Scheidewand in eine rechte
und linke Hälfte zerfällt. Jede der letzteren
besitzt eine wagerechte Scheidewand. Dieselbe
trennt einen oberen kleineren Teil, die Vor-
kammer, und einen unteren größeren, die
eigentliche Herzkammer, von einander, und
LenKrechirr Durch,ch.,m dr° ¡>°‘ «t. ihrer Mitte -in- Öffnung, welche
Herzens. durch eine Klappe verschließbar ist. In jede
1-1. Große Körperschlagader. Vorkammer münden nun Adern und aus
?.Körp^rblÜtadÄ.°4-4.Lungen- jeder Herzkammer geht eine Ader hervor,
blutadern. 5. Rechte Vorkammer. Jene brinam Blut heran und führen es in
Herzkammer. 9. Linke Herz- die Vorkammern; letztere treiben es durch
kammer. die eigenen Muskeln in die Herzkammern
und diese wieder in die aus ihnen hervorgehenden Adern.
Das Herz setzt das Blut des Körpers in Bewegung; es ver-
mittelt den Blutkreislauf, und zwar auf folgende Weise: Die
rechte Vorkammer treibt das Blut in die rechte Herzkammer; diese
treibt es in die aus ihr entspringende Ader, welche die Lungen-
schlagader heißt und das Blut den Lungen zuführt, indem sie sich
in zahllose kleine Äderchen zerspaltet. Dieses Blut ist nicht mehr
ganz gut, es enthält schon ziemlich viel der giftigen Kohlensäure. In
den Lungen wird es nun, wie wir schon wissen, von derselben befreit
und erhält dafür frischen Sauerstoff. Erheblich gebeflert, gelangt es
aus den kleinen Endzweigen der Lungenschlagader in andere
Äderchen, nämlich die Anfangszweige der Lungenblutader, die sich
dann zu größeren Adern sammeln und schließlich mit einigen Stämmen
in der linken Vorkammer münden. Das linke Herz bekommt also
gutes Blut, treibt es aus der Vorkammer in die Herzkammer und von
da in die große Schlagader des Körpers, die denselben mit Blut ver-
sorgt, indem sie in alle Teile Zweigadern entsendet. Diese letzteren
und die große Schlagader selbst haben eine sehr elastische und mus-
kulöse Haut, die sich ausdehnt, wenn die betreffende Ader sich stärker
mit Blut füllt, und die sich wieder zusammenzieht, wenn die stärkere
Füllung nachläßt. Die Ausdehnung, welche regelmäßig durch das
vom Herzen her eingetriebene Blut erfolgt, läßt sich mit dem Finger
393
deutlich durchfühlen. Sie ist bekannt unter dem Namen Puls-
schlag und wird vom Arzte sorgsam beobachtet. Beim gesunden
Menschen findet sie in der Minute 60—75mal, beim fieberkranken
viel häufiger, oft 12Omal und noch öfters statt.
Aus den kleinen Schlagadern gelangt nun das Blut in un-
endlich kleine Äderchen, die Haarröhrchen adern, und aus diesen
in die Anfangskanäle der Blutadern, die sich, wie in der Lunge, all-
mählich zu größeren Adern sammeln und endlich mit zwei Stämmen
in der rechten Vorkammer des Herzens münden.
Wir haben also eigentlich einen doppelten Blutkreislauf,
den kleinen oder Lungen-Blutkreislauf und den großen oder
Körper-Blutkreislauf. Ersterer geht vom rechten Herzen durch
die Lungen zum linken Herzen, und letzterer vom linken Herzen durch
die Schlagadern, Haarröhrenadern und Blutadern zum rechten Herzen.
Das Blut ist die Ernührungsflüssigkeit des Körpers; es enthält
Millionen über Millionen kleiner rundlicher Scheiben, welche man
Blutzellen oder Blutkügelchen nennt. Beim Durchtritt durch die
Körperteile giebt es an diese ab, was es selbst besitzt und was sie nötig
haben. Die richtige Ernährung des Körpers hängt also ab von der
guten Beschaffenheit des Blutes, diese aber hängt ab von der zweck-
mäßigen Auswahl der Nahrung, von der genügenden Menge derselben,
von der Verdaulichkeit derselben und auch, wie wir schon wiffen, von
der Reinheit oder Unreinheit der Atemluft.
Das Nervensystem.
Zum Nervensystem des Körpers gehören Gehirn, Rücken-
mark und Nerven. Das Gehirn befindet sich innerhalb einer
weiten knöchernen Höhle des Kopfes und besteht aus dem großen
und kleinen Gehirn. Letzteres liegt im hinteren Umfange der Kopf-
höhle, im Hinterkopfe, ersteres füllt den vorderen, den oberen und die
seitlichen Teile aus. Das eine, wie das andere, ist eine weißlich-
graue weiche Masse, auf deren Oberfläche sich größere und kleinere
Vertiefungen zeigen, und deren Inneres von sehr feinen Äderchen
durchzogen ist. Diese Maffe ist äußerst empfindlich; deshalb sind
Verletzungen des Kopfes, Erschütterungen desselben. Schlüge und
Stöße auf denselben so gefährlich. Das Gehirn ist das Werkzeug
des Empfindens, Denkens und Urteilens, des Gedächtnisses, sowie des
Wollens, also seelischer Fähigkeiten. Die Seele selbst ist unfaßbar;
ihre Thätigkeit aber ist gebunden an die Nervenmasse, welche wir
Gehirn nennen.
Das Rückenmark ist ein länglicher, gleichfalls aus Nerven-
masse bestehender Strang, welcher sich innerhalb des von Wirbelknochen
umschlossenen Rückgratkanales befindet. Es steht mit dem Gehirn in
Verbindung durch das verlängerte Mark, welches unterhalb des
Hinterkopfes in der Gegend des Genickes liegt. Rückenmark und
verlängertes Mark sind, wie das Gehirn, ungemein empfindlich.
Es giebt insbesondere kleine, nadelkopfgroße Stellen des verlängerten
394
Markes, deren Verletzung
sofortigen Tod verur-
sacht. Daher sind Be-
schädigungen des Genickes
so lebensgefährlich.
Mit Gehirn, Rücken-
mark und verlänger-
tem Mark stehen zahl-
reiche Nerven in Zu-
sammenhang; das sind
lange, aus weicher Masse
gebildete Fäden von
weißer oder weißgelblicher
Farbe. Diese gehen ent-
weder von jenen Or-
ganen zu Muskeln hin
und heißen dann Be-
wegungsnerven; oder
sie kommen von em-
pfindenden Teilen, z. B.
von der Haut, vom Auge,
von der Nase, zum Ge-
hirn oder Rückenmark
oder verlängerten Marke
hin und heißen dann
Empfindungsnerven. Diese bringen die Eindrücke, die sie em-
pfingen heran, jene leiten die Befehle des Willens, die ihnen zu
teil wurden, fort; beide sind Telegraphendrähten vergleichbar, welche
den Verkehr zweier Stationen miteinander vermitteln. Wird ein
Bewegungsnerv durchschnitten, so können die von ihm versorgten
Muskeln nicht mehr sich zusammenziehen, auch wenn der Verletzte es
will; wird ein Empfindungsuerv durchschnitten, so kann der Mensch
an der Stelle, von welcher der Nerv herkommt, nicht mehr fühlen,
weil der Eindruck nicht mehr zum Gehirn geleitet wird. Die bei
weitem meisten Bemegungs- und Empfindungsnerven, welche vom
Gehirn kommen, oder zu ihn: gehen, durchziehen das Rückenmark.
In diesem treten sie unter einander vielfach in Verbindung, wie oft
mehrere Telegraphendrähte zu einer Sammelstelle gelangen und dann
mit einander in Verbindung gebracht werden. So ist es möglich,
daß ein einziger Befehl des Willens gleichzeitig mehreren Nerven
übermittelt wird.
Senkrechter Durchschnitt des Kopfes.
1. Schädelknochen. 2. Großes Gehirn. 4. Kleines Gehirn mit
dem Lebensbaum. 5. Der Gehirnbalken. 10. Verlängertes
Rückenmark. 12. Rückenmark. 13. Knöcherne und 15. knorp-
liche Nasenscheidewand. 21. Mundhöhle. 22. Zunge. 23.
Zähne. 25. Stimmritze. 26. Kehlkopf. 35. Nacken-Muskel.
39. Weicher Gaumen (Zäpfchen).
Die Sinneswerkzeuge.
Mit dem Gehirn sind eng verbunden die Sinn es Werkzeug e.
Sie alle stellen Apparate*) dar, in welchen ein Empfindungsnerv
*) Zubereitungsstätten (Apparat — Zurüstung, Zubehör.) Anm. d. Verf.
395
sich ausbreitet, in welchen er Eindrücke von außen empfängt, und
von welchen er sie dem Gehirne zuleitet.
Ein solches Sinnesorgan ist zunächst die Haut. Diese besteht
aus der Oberhaut, der sog. Lederhaut, und der Unterhaut.
In der letzteren breiten sich zahlreiche Nerven aus, die dann in die
Lederhaut aufsteigen. Hier treten sie in kleine länglichrunde, bläschen-
artige Körperchen, welche Tastkörperchen, Gefühlskörperchen
genannt werden und welche sich in besonders großer Zahl auf der
Haut der Innenfläche unserer Finger befinden. Jeder Druck und
Wärmeunterschied, der die Haut trifft, trifft die Tastkörperchen und
wird von diesen auf die zarten, in ihm geschützt liegenden Nervenfäser-
chen übermittelt. Die Haut ist Tast- und Gefühlsorgan. Die Nase
enthält das Riechorgan, das ist die Ausbreitung des Geruchs-
nerven. Dieser verteilt sich innerhalb der weichen Haut, welche die
Nase inwendig auskleidet, und seine zarten Fäserchen endigen in sehr
kleinen, länglich runden Körperchen, den Riechzellen, welche an der
Oberfläche ein Büschel zartester Ausläufer zeigen. Von den Riech-
zellen wird der Eindruck durch den Nerv zum Gehirn geleitet. Das
Ohr enthält das Hörorgan.
Äußerlich befinden sich Teile,
welche bestimmt sind, den Schall
aufzufangen und zum Hörnerven
zu leiten, es sind die Ohr-
muschel und der an sie sich an-
schließende Gehörgang. Am
Ende desselben liegt das sehr
zarte Trommelfell. In diesem
ist ein kleines Knöchelchen, der
Hammer, befestigt, welchem ein
anderes Knöchelchen, der Amboß,
anliegt. Am Fuße des letzteren
befindet sich ein drittes Knöchel-
chen, der Steigbügel; dieser
trägt eine Platte, welche in die
kleine Öffnung einer mit Wasser-
gefüllten Höhle hineinpaßt.
Bewegt sich das Tronrmelfell
durch die beim Schalle statt- Handgriff des Hammers. 7. Amboß? 8.' Kurzer u.
nc c ^ ' c L r. 9- langer Fortsatz des Ambosses. 10. Linsenknöchel-
sinöbnvb (5tjCyÜttCnittQ bcr Stift/ chen. ll. Steigbügel. 12. Fußtritt des Steig-
so bewegen sich auch die Knöchel-
chen und mit ihnen die Steia- ieU:) Schnecke. ». Amboß (mit dem Linsenknöchel-
bügc,platte. Die Bewegungen 4~”“'
letzterer rufen aber Bewegungen des Wassers der eben erwähnten
Höhle hervor. In dieser Höhle liegen kleine Säckchen, an denen der
Ohrnerv sich ausbreitet, und deren Erschütterungen ihn treffen. Mit
der .Höhle steht aber auch ein schneckenhausartig gewundener, mit
Flüssigkeit erfüllter Gang, die Schnecke, in Verbindung. In dieser
Äag Ghr.
1. Äußeres Ohr. 2. Äußerer Gehörgang. 3. Trom-
melfell. 4. Köpfchen, 5. langer Fortsatz und 6.
396
findet sich gleichfalls eine Ausbreitung des Ohrnervcn, der jene Be-
wegungen des Wassers empfinden muß, welche von der Steigbügel-
platte her entstehen. Schwerhörige öffnen beim Hören den Mund,
damit auch durch diesen Schallwellen in das mittlere Ohr dringen
können.
nach seitwärts und nach hinten die
2 milchweiße, harte Haut an. In-
wendig an letzterer liegt die schwarz-
gefärbte Aderhaut, an deren
Innenfläche wiederum die Netz-
haut sich befindet. Diese ist die
keit, hinter ihr zunächst die auf der vordern wie hintern Fläche
gewölbte, dickgallertige Linse und weiterhin der dünngallertige Glas-
körper. Gelangt ein Lichtstrahl zum Auge, so dringt er durch die
Hornhaut, die wäffrige Flüssigkeit und die Pupille auf die Linse,
wird von dieser, wie von einem Brennglase, gesammelt und durch
den Glaskörper hindurch auf die Netzhaut geworfen. Diese leitet
den Eindruck durch den Sehnerven zum Gehirn.
Der Geschmackssinn wird durch den Geschmacksnerv ver-
mittelt, der, wie schon gesagt, in den Wärzchen und Grübchen der
Zunge sich ausbreitet.
Alle 5 Sinne können durch Übung geschärft werden. Dies
gilt besonders von dem Tast- und Gefühlssinn, von dem Gehör- und
dem Gesichtssinne. Mit ihrer Übung soll schon in früher Jugend
begonnen werden; dann lernt der Mensch gut beobachten und richtig
urteilen. Vollkommene Ausbildung des Geistes ist ohne gehörige
Übung der Sinne gar nicht möglich.
Die Sinne müssen aber auch geschont werden; denn sie sind
sehr empfindlich wegen der großen Zartheit der Sinnesnerven. Jede
zu starke und zu anhaltende Anstrengung derselben schadet.
Das Auge ist fast kugelig
rund und besteht aus einer Hülle
nebst einem Inhalte. Erstere wird
vorn von der durchsichtigen Horn-
haut gebildet; an diese schließt sich
Ausbreitung des Sehnerven. Wo
Hornhaut und harte Haut an ein-
ander stoßen, zeigt sich im Innern
des Auges eine grau, blau oder
dunkel gefärbte Scheidewand, die
Regenbogenhaut, welche in der
Unser Körper ist keinen Augenblick ohne Thätigkeit; auch im
Schlafe arbeiten Herz und Atmung, beim Wachen außerdem noch
Muskeln, Nerven und Gehirn. Durch diese ununterbrochene Thätig-
397
feit wird das Leben unterhalten. Dabei nutzen sich die Bestandteile
des Körpers ab, wie diejenigen einer arbeitenden Maschine, sie müssen
also ersetzt werden, und das geschieht durch die Nahrung. Das Ver-
brauchte aber wird aus dem Körper ausgeschieden; dazu dienen die
Lunge, die Haut und die Nieren, welche letztere zu zweien in der
Unterleibshöhle liegen und mit der Blase in Verbindung stehen.
Bei der Thätigkeit des Körpers entsteht auch die ihm unent-
behrliche Wärme und zwar durch einen Vorgang, welcher einer
langsamen Verbrennung völlig gleich kommt. Sie ist beim gesunden
Menschen stets dieselbe, nämlich etwa 3()0 R.; beim fiebernden steigt
sie aber höher, mitunter auf 31^2 bis 32° R. Die Gleichmäßigkeit
der Wärme des Gesunden wird wesentlich dadurch erzielt, daß die
Haut die Abkühlung sowohl verstärken als verringern kann, indem sie
entweder aus kleinen Öffnungen Schweiß auftreten läßt oder sich zu-
sammenzieht. Soll sie in dieser Beziehung so thätig sein, wie es für
die Gesundheit nötig ist, so muß sie reinlich gehalten werden, damit
die Schweißöffnungen nicht verstopft werden. Fleißiges Waschen und
Baden, sowie Reinhalten der Kleidung ist deshalb unumgänglich nötig.
Die Unversehrtheit sämtlicher Teile und Organe des Körpers,
sowie die regelrechte Thätigkeit derselben bedingen unsere Gesund-
heit. Jede Störung eines Teiles hat Störung des ganzen Körpers
zur Folge, und ist diese Störung von gewisser Bedeutung, so nennen
wir sie Krankheit.
Wir bewahren die Gesundheit, dieses köstliche Gut, dadurch,
daß wir ein richtiges Maß zwischen Thätigkeit und Ruhe halten, daß
wir ordnungs- und regelmäßig leben, uns vernünftig nähren und
kleiden, Reinlichkeit des Körpers, der Wohnung und Kleidung niemals
außer acht lassen, uns mit Verstand gegen Wechsel der Witterung
abhärten und auch dadurch, daß wir unserem Gemüte Frohsinn zu
erhalten, es vor dem Aufwallen von Leidenschaften zu behüten uns
bestreben. Thun wir alles dies, so werden uns sehr viele Krank-
heiten erspart bleiben.
Treten solche dennoch ein, so suche man den Rat eines Arztes.
Dieser kennt den Körper des Menschen, weiß Krankheiten zu erkennen
und zu heilen, sofern es möglich ist. Nichts ist thörichter und ge-
fährlicher, als sich, wenn man krank ist, Leuten anzuvertrauen, welche
den Bau des Körpers und die Natur der Krankheiten gar nicht
kennen; nichts endlich thörichter, als blindlings die in Zeitungen an-
gepriesenen Mittel an sich zu versuchen, oder Kuren zu gebrauchen,
die, wie z. B. das sog. Stillen, gar nichts bedeuten, nur auf Geheim-
thun hinauslaufen, aber oft dadurch schaden, daß sie den Kranken
abhalten, rechtzeitig verständige Hülse zu suchen.
299. Die Vorzüge des Menschen.
(* Von Chr. Pommerenke.)
Wir können uns nicht umsehen unter den Erzeugnissen und Schöpfungen
der Natur, ohne unsern Vorzug wahrzunehmen, ohne zu erkennen, daß wir das
398
vorzüglichste Geschöpf der Erde sind, ohne jenen herrlichen Ausspruch bestätigt zu
finden: „Seid ihr denn nicht mehr, denn sie?" Schon der aufrechte Gang des
Menschen, der würdevolle Gesichtsausdruck, die Geschicklichkeit der Hände und die
klangreiche Stimme nötigen uns die Erklärung ab: Ist unser Körper nicht unter
allen der künstlichste? Hat er nicht eine Schönheit und Würde, die den Herrn
des Erdbodens bezeichnet? Spricht nicht über Recht und Unrecht in ihm die
Stimme Gottes, das Gewissen? Und wo wäre in der ganzen Natur eine Kraft,
die mit dem Geiste verglichen werden könnte, der diesen Körper beseelt?
Die ganze übrige Natur wird durch notwendige, unabänderliche Gesetze be-
stimmt, der Mensch allein kann frei schalten und walten nach eigener Wahl und
eigenem Ermessen; er allein verschönert seinen Wohnsitz mit schöpferischem Scharf-
sinn und beherrscht den Erdkreis. Er hat die stärksten Tiere gebändigt. Wo sonst
dürre Wüsten, unfruchtbare Felsen, tiefes Sumpfland und unermeßliche Wälder
waren, da stellen sich jetzt dem Auge segensreiche Felder, blumige Wiesen, reizende
Gärten und fruchttragende Bäume dar. Der Mensch weist dem Meere, den Strömen
durch mächtige Erddämme und starke Mauern ihre Grenzen an; er verteilt daS
Wasser durch Kanäle an Stellen, wo es seinen vielfachen Zwecken förderlich ist;
er läßt es Lasten tragen und die Räder seiner Fabriken treiben. Mit Hülse des
Feuers löst er das Wasser in Dampf auf und giebt diesem die Kraft, mächtige
Maschinen in Bewegung zu setzen und Dampfböte und Dampswagen zu beflügeln.
Er führt Tunnels durch festes Gestein und zwingt Berghäupter, sich vor ihm zu
neigen, um kürzere und bequemere Wege zu gewinnen. Er steigt in die Tiefen
der Erde, um die Schätze zu heben, die dort für ihn niedergelegt sind und schwingt
sich im Geiste zu jenen Höhen empor, die Gott mit Sonnen füllte. Er mißt so-
gar die Laufbahn der Gestirne, er weiß den Blitzstrahl in die Erde zu leiten und
läßt durch die elektrischen Drähte seine Gedanken über die Erde tragen.
Der Mensch allein handelt als ein Geschöpf höherer Art; er kann sein
Wesen läutern, sich veredeln, Balsam in das verwundete Herz des Betrübten gießen
und dem Elenden Hülfe und Beistand angedeihen lassen. Ihn weisen alle die
leuchtenden Gestirne in der Höhe und die Millionen Geschöpfe in der Tiefe auf
den allgegenwärtigen Gott hin, in dem wir leben, weben und sind, auf den
unsichtbaren Herrn, der alle Dinge trägt mit seinem allmächtigen Wort. Der
Mensch allein rechnet sich zu dem Gebiete einer unsichtbaren und besseren Welt;
er hat ein frohes und doch wehmütiges Sehnen und Ahnen, welches ihm sagt,
daß er hier in der Fremde ist und hienieden auf kein wahres und dauerndes
Glück rechnen darf, und welches ihn dorthin zieht, wo ein dauernder und un-
getrübter Friede zu finden ist.
300. Unvergänglichkeit.
Was werd' ich sein, wenn einst die morsche Hülle
Am Abend meiner Tag' in Staub zerfällt?
Stirbt auch der Geist mit seiner regen Fülle
Und giebt es jenseits keine bessre Welt?
Werd ich vergehn? Uergeht des Geistes Wirken,
Und ist mein Ahnen nur ein eitler Traum?
Eilt nicht der Geist Hähern Lichtbestrken?
Ist diese Erd' sein zugemessner Raum?
399
Bin ich allein für diese nur geboren,
Und nicht erschaffen für Unsterblichkeit?
Geh mit dem Tode ewig ich verloren? —
3u klein doch märe diese Spanne Seit!
Was in mir ist — was tief mich lehrt empfinden,
Es wäre nichts als eine Hand voll Staub?
Cs soUte mit dem letzten Hauch entschwinden,
Auf ewig werden der Vernichtung Raub?
Vergehn? — Hinweg ihr schrecklichen Gedanken,
Vicht trübt mir meines Daseins Seligkeit!
Das Wirken der Vatur ist ohne Schranken,
Sie kennet keinen Raum und keine Seit!
Das ewige Gesetz hat sie gebunden;
Sie schuf und schafft und ruft stets neu hervor;
Ist dieser Traum von Tagen einst entschwunden:
Der Geist fliegt zur Unsterblichkeit empor!
Der hcil'ge Funke, den wir Seele nennen,
Der Odem Gottes, der mich mild belebt,
Der mich den Wert des Lebens lehrt erkennen,
Der über Grab und Tod das Herz erhebt,
Der kühn durcheilt die ungemess'nen Fernen,
Und hoch empor trägt der Gedanken Flug,
Ruft laut: Vlick auf zu jenen Sternen,
Dort lebt ein Gott, der dich mit Liebe trug!
Unendlicher! Wohin den Blick ich wende,
Da seh' ich deiner Allmacht ew'ge Spur!
Das Samenkorn, die Blume ruft: Ohn' Ende
Ist alles in der schaffenden Vatur! —
Vernichtung! — Heilt, die giebt es nicht! und nimmer
Kann, was den Stempel Gottes trägt, vergehn!
Die Schrift des Herrn, der Sterne Demantschimmer,
Am dunkeln Himmel jauchzen: Auferstehn!
Ich werde sein! Ob auch die Hülle modert,
Und wiederkehret, was sie war, zum Staub;
Die Flamme, die in meinem Innern lodert,
Kann nimmer werden der Verwesung Raub!
Dort, wo sich Millionen Welten drehen,
Dort ist der Seelen wahrer Heimatsort!
Mag immerhin, was irdisch ist, vergehen,
Aas Geistige — es dauert ewig fort!
(Aus „Predigtmagazin.")
Aegister.
Die mit * versehenen Nummern sind Poesien, die mit f vermerkten sind
Originalbeiträg
Seite
Einleitende Lesestücke.
1. * Hinaus in die Natur ...Franz
Wiedemann 3
2. * Gottes Offenbarung. E. Labes ff 3
3. Die Natur — ein Tempel Gottes
D. V. 4
4. Gott weiß und kann alles
Wärt. Lesebuch 5
5. Gottes Walten..........D. V. 6
Gottes Malten,
i.
In den Jahreszeiten.
Frühling.
6. * Macht aus!.....Eugen Labes 7
7. Der Frühling, ein Bote Gottes
Ritsert 7
8. * Ein Frühlingsb.. .Jll. Jagdztg. 8
9. * Rätsel..................... 8
10. Die Schwalbe......Nach Ritsert 9
11. * Das erste Frühlingsblümchen
E. Labes ff 10
Sprachliches I. 1. (Das pers.
u. besitz. Fürwort)............ 10
12. Der Fuchs-----Pachc's Lesebuch 10
13. Klage eines Hasen ... Curtmann 12
14. * Das Frühlingsmahl.W. Müller 13
15. Spaziergang im Frühling. Jakobs 13
16. * Das Vöglein.H. v. Fallersleben 14
17. Kreuzschnabel u. Rotkchlch. Bäßler 14
18. Die Schlüsselblume......Lüben 15
19. * Sonntagsmorgenl. Krummacher 16
Spr. I. 2. (.. .Fürwörter) .... 16
20. Der Apfelbaum... .Krummacher 16
21. Sprichwort — Wahrwort........ 17
Sommer.
22. Die Fülle des Sommers. .Klaus
Harms 18
23. Der Gang im Getreide. Schubert 18
24. * Die Kornblumen.. .E. Labes 19
25. Die Erntezeit..............Ritsert 19
26. Rätsel............................ 19
27. Abendgedankeni. Sommer.Ritsert 20
28. * Der Äirschbaum.. .Krummacher 20
der bctr. Verfasser.
lb
Seite
Spr. II. 1. (Präp. mit dem
Akkusativ)....................... 21
29. Die überwundene Versuchung
Falkmann 21
30. * Erntedankfest.....E. Labes ff 22
Herbst.
31. Die Sprache der herbstl. Natur
Ritsert 22
32. * Rätsel....................... 23
33. Der Herbst, ein Zahlmstr. Walter 24
34. * D. reiche Herbst. H.v. Fallersleben 24
Spr. II. 2. (Präp. m. d. Dativ) 24
35. Die Blindschleiche..............Lüben 25
36. Die Kartoffel................Schubert 26
Winter.
37. * D. erst. Schneeflocken. E. Labes ff 27
38. Der Winter....................Ritsert 27
39. Scherzfragen................... 28
40. * Winterlied........Krummacher 29
Spr. II. 3. (Präp. m. d. Genitiv) 29
41. Zwei leb. begrab. Kinder.Schubert 29
42. * Das Kind am Fenster ... Lina
Graff ff 31
Spr. II. 4. (Präp. mit d. Dat.
u. Akk.)......................... 32
43. Der gerettete Handwerksbursche
Schubert 32
44. Von der Zeit............D. V. 33
45. * Drei Brüder...........Labes ff 36
46. * Frühlingsahnung.......Ders. 36
II.
In den Naturreichen.
Spr. III. (Zahlwort)............. 37
47. Wohin Friedr. Wilh. IV. gehörte
Eylert 37
48. Was von den Naturreichen zu
sagen..................D. V. 38
a. Das Tierreich.
1. Wirbeltiere. Säugetiere.
49. Affen und Hunde-----D. V. u.
Dankerts Lesebuch 40
50. * Der treue Hund........Staub 43
401
Seite
51. Wie Gott durch Hunde errettete
Stern 44
Spr. IV. (Adverbien a—c).... 44
52 Mut einer Katze. Stern's Lesebch. 44
53. Die Katze ..Chr. Pommcrcnke f 45
54. Nützliche Säugetiere .... Tschudi 47
55. * Der Maulwurf...........Rückert 48
56. Die Fledermaus...........Lüden 48
57* Rätsel .. .Berthelt, Lebens' .der 49
Spr. V. (Empfindungswort)... 60
58. D. Bremer Stadtmusikant. Grimm 50
59. Der dankb. Löwe.Chr. v. Schmid 52
60. Der Bär .Wetze! Leseb. u. Baenitz 53
61. Der Walfisch......dasselbe..... 54
Uögel.
62. Betrachtung über ein Vogelnest
Hebel 56
63. D. Ei des Vogels. Haester's Leseb. 57
64. * D. Vogels Freude. Deinhardstein 57
65. Vom Nutzen d. Singvogel. Tschudi 57
66* Das Wachtelnest .. .Berthelt II. 58
67. D. größten u. d. kl. Vögel. Hebel 60
68. Der Sperling. Preuß' Kinderfrd. 61
69. * Spatzenfeindschaft rc..L. Grassch 62
Spr. VI. (Bindewort)............. 62
70. Der Zaunkönig...........Grimm 63
71. Die Elster u. der Kiebitz. .Lüben 65
72. Der Rabe u. die Taube Noahs
Herder 66
73. * Vergesset der Vögelein nicht
Sonntagsb. 67
Amphibien.
74. Die Flußschildkröte........Lüben 68
75. Die Krokodile............Baenitz 69
76. * Der gerettete Negerknabe. .Lina
Grafs ch 70
77. D. Schlangen.Schubert u.Baenitz 72
78. Verkannte Freunde........Tschudi 76
79. Der Frosch.................Lüben 78
Fische.
80. Die Fische...Nach Verschiedenen 79
81. Auch im Meere Gottes Walten
Jacoby 83
2. Gliedertiere. Insekten.
82. Die Insekten. Nach Verschiedenen 83
Spr. VII. (Zum Dingw. er-
hobene Wörter).................. 85
83. Der Maikäfer............Schurig 85
84. * Maikäfer u. Marienkäfer. .Lina
Grafs 4 86
85. Sonnenkäfer.................Lenz 88
86. Kartoffelkäfer---Nach Berichten 88
87. SchlupfweSpe u. d. Fliege. Lüben 90
88. Das Raupcnnest........Salzmann 91
Schraep, Lese- und Lehrbuch II. 2.
Seite
92
93
94
97
97
98
98
100
100
89. Die Ameisen. Baenitz u. Oken
90. * Rätsel.......Lina Grafs 4
91. Die Biene............Timm 4
92. * Lob der Biene. Lina Graff 4
93. Die Biene und der rote Klee
B. C.
94. * Die Drohnenschlacht. .Enslin
Spinnentiere.
95. Die Spinnen............Hebel
96. * Das Spinnlein........Ders.
Spr. VIII. (Der einfache Satz;
a. Beschreibe-, b. Nenn-, c. Er-
zählsatz)...................
Krustentiere.
97. Der Krebs..Lüben u. Baenitz 100
Würmer.
98. Der Regenwurm.........Lüben 101
99. * Der Wurm... .Lina Graff4 102
100. Bandwurm u. Trichine. Baenitz 103
3. Bauch- oder Schleimtiere.
101. Bauchtiere....Nach Baenitz 104
b. Das Pflanzenreich.
102. * Pr. d. Pflanzenreichs. Labes 4 105
103. Samenkorn, Keim u. Wurzel
Zschokke 105
104. Lebenserschein. der Pflanzen.
Paulsson 4 107
105. Alter u. Tod d.Pflanzen. Ders. 4 108
106. Fruchtbarkeit rc. der Pflanzen
Hebel 110
107. * Wachstum der Blumen. Rätsel
Lieth 111
108. Nutzen der Obstbäume.Tutscheck 112
Spr. IX. (Beifügung sAttributs
Das Subj. ist erweitert a.
durch ein Adjektiv, b. Subst.
im Gen. e. Subst. mit als.). 113
109. D. Eiche. Aus Ritsert Stillehre 114
110. * Lob der Eiche....Labes 4 115
111. * Niesenbäume .... Paulssonch 115
112. Bekannte Blumen.... .D. V. 116
113. Heilkräft. Pflanzen. Paulsson 4 120
114. Schwämme od. Pilze. Roquette 121
115. Die Giftpflanzen der Heimat
Struck 4 122
116. Eßbare Pilze.... Paulsson 4 125
117. Ausländische Gewächse.. .Po-
lack's Rbuch. 127
e. Das Mineralreich.
118. Mineralreich.... Nach Versch. 128
119. Schiefertafel u -stift. RunkwiX 428
120. Salz u. Eisen Büttne^Ws^. '
121* Rätsel..........Lina 130'''°
2gSchu!br-~: > 7 sung
Braunscbv. rig
Schulbuchbibüothek
istitut
402
Spr. X. (Das Präd. ist er-
weitert a. durch ein Adj., b.
Subst. im Gen., c. doppelte
Erweiterung).................
122. Hier i. gegipst. Preuß' Kindcrfr.
123. Unsere Feldsteine... .Struck 4
121.* Im Schoß d. Erde..Labes 4
125. Das Bergwerk .... Curtmann
126. * Des Bergmanns Glückauf
C. Kfd.
127. D. Erfindung d. Glases. Haupt
Spr. XI. (Erweiterung 1. d.
Subj., 2. des Präd. burcf) ein
Verhältnis)...............
128. Der Bernstein.. .Bock's Leseb.
129. Schutz d. Natur.Pommerenke ch
130. * Liebe zur Tier- u. Pflanzen-
welt...............Labesf
III.
Im großen Weltall.
131. Betrachtung über das Welt-
gebäude. (Die Erde, Sonue,
Mond, Planeten u. Kometen, Fix-
sterne u. Sternschnuppen).. .He-
bel, Mädler, Littrow
132. * D. aufgehende Sonne. Dcmme
133. * Sonnenaufgang u. -Untergang
Schiller
131.* An den Mond............Enslin
135. * Bei der Nacht...........Fink
136. * Die Sterne..........Labes f
137. Die dunkelblaue Wiese. Besselt
138. * Der Sterne Antwort.. .Lina
Grafs 4
Spr. XII. 1. Adv.Erw.a.Umst.
d. Zeit, b. des Orts).........
139. D. Sprache des gest. Himmels
D. V.
Spr. XII.2. (c. des Grunds, re.,
cl. Art u. Weise).............
140. Etwas a. d. Naturl..Kieckseech
111.* Das Gewitter........Schwab
142. * Rätsel...........Schiller
143. * Lied beim Gewitter.......?
144. * Sankt Augustin... .Schreiber
145. Noch etwas a. der Naturlehre
Lübstorf f
146. * Zwei Rätsel.......Schiller
147. Vierzehn Fragen.........Ule
Spr. XIII. (Wortfolge. Ge-
rade u. umgekehrte. Das gram.
Subj. „es")...................
148. Die Dampfmaschine. Colshorn,
Kinderfreuud
149. Der Telegraph. .Bock's Lescb.
Seite
IV.
Im Leben und Treiben der Völker.
150. * Das Wellenkleid der Erde
Labes P 180
151. * Die Schönheit des Erdreichs
Ders. ch 180
152. * Eine Reise durch Europa. Lina
Graff 4 180
153. Europa. Zum Teil Preuß'Leseb. 182
154. Deutschland über alles..H. v.
Fallersleben 185
155. Deutschland...........Luden 185
156. * Mecklenburgs Schönheit. Gre-
ve's Heim. 186
157. Die alten Bewohner Mcckl.
Raettig's H. 187
158. I. Slüter...Frl.A. S.i. W.4 190
159. * Heil, Mecklenburg .... Labes 194
160. Mecklenburg...........Bösch 195
161. * Land Mecklenburg... . Geibel 198
162. D. 3 größt.StädteMeckl..D.B. 198
163. Der heil. Damm ... Bechstein 200
164. Fr. Fr. II. v.Meckl.. Nach Rische 200
165. * Treu bis z. Tod. Lina Grafs 4 205
166. Die Müritz.........Struck 4 205
Spr. XIV. 1. (Ergänzung a. im
4., b. im 3. Fall)........... 207
167. Die i. St. verw. Hirtenknaben
Giese4 208
168. Der schwarze Tod___Ders. 4 209
169. Meckl.-Strelitz....Stasseld 4 211
170. G.G. v.Meckl.-Strel.Jacoby ch 213
171* Meckl.-Str. Volkslied. Bahrdt 215
172. Belvedere bei Nbrbg. Jacoby 4 216
173. D.Entst.d. kl.Lucinsees.Ders.4 217
174. Fritz Reuter... .Lina Grafs4 217
175. * De beiden Swestern .Jahnke 219
176. Wo dat Volk spreckt......... 221
177 * Min Modersprak. Klaus Groth 221
178. Dat beste Wihnachtsgeschenk
D. V. 222
179. Nur eine Quadratmcile..Ders. 224
180. Allen Respekt v. einer Kbml.
Bernstein 227
181. Die ältesten Völker der Erde.
(Juden, Babylonier, Assyrer,
Phönizier, Ägypter, Moabiter,
Ammoniter, Philister, Syrer,
Perser, Griechen, Römer) .D. V. 229
182. * Belsazar............Heine 231
183. * Der Deutsche.....Schubert 238
184. Die alten Deutschen.. .Duller 238
185. * Deutsches Lied...Schmidt 239
186 D. Hermannschl.. Pommerenke 4 240
187. * Gelübde...........Maßmann 242
188. Das Vaterland.........Arndt 243
189. * Dem Vaterl.. H.v.Fallersleben 243
Seite
130
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174
177
177
178
403
190. Deutsch!. Geb. u. d. Rhein. D.V. 243
191. D.Mäusetrm. b.Bingcn. Grimm 247
192. * Das Lied von den Strömen
Büchner 248
193. Italien u. der Ausbruch des
Vesuvs.........D. V. u. Weiter 249
194. Die Völkerwanderung. .Kappe 251
195. * Das Grab im Busento.Platen 252
Spr. XIV. 2. (Ergänzung e. im
2., .1. im 4. Fall).......... 252
196. Muhamed...........Nösselt 253
Spr. XIV. 3. (6. Vollst. Sätze
mit Attributen: 1. zum
Subj., 2. zum Präd., 3. zu
beiden) ..................... 254
197. Ausbreit. der Chr. Bonifacius
Bcrthelt 255
198. Entst. u. Fortschr. d. Papstt.
Wolf's Gesch. 257
199. Das Land der Franken. D. V. 259
200. Karl der Große......Weiter 261
201. * Wie Kaiser Karl Schulv. hielt
Gerock 263
202. * Wie Kaiser Karl schreiben
lernte........................Ders. 264
203. Heinrich 1. der Stüdtegründer
Kappe u. a. 264
204. * Heinr. d. Vogelsteller . .Vogl 267
205. Kaiser Otto I.............Mähler 267
206. Gregor VII. u. Heinrich IV.
Kappe u. a. 269
207. Die Kreuzzüge. Wörle u. Kappe 270
208. * Die Weiber von Weinsberg
Chamisso 271
209. Friedrich Barbarossa .. .Köpke 272
210. * Barbarossa.............Rückert 273
Spr. XV. (Entf. Obj. Termina-
tiv, 2. Personenobjekt im 4.,
Sachobj. im 2. Fall)........273
211. Die festeste Mauer ... Schanz 273
212. Die kaiserlose Zeit_Stacke 274
213. D. Schweiz u. Holland.D.V. 275
214. * D. v. Sch. versch. Hütte. Ders. 278
215. D. Hund v. St. Bernhard. Lenz 279
216. Kannitverstan..............Hebel 280
Spr. XVI. (Vollst. Sätze mit
Verhältnis)................. 281
217. Der geheilte Kranke... .Hebel 281
218. R. v.Habsburg.Stacken.Hauff 283
219. * D. Graf v. Habsburg. Schiller 285
220. Schießpulver, Magnet, Uhren
Versch. 286
221. D.Buchdruckerkunst.Kappcu.a. 288
222. Früher in den Städten. Keck,
Lesebuch 289
223. Hamburg u. Berlin . ..D. V. 291
224. Amerika und seine Entdeckung
Kappe u. a. 293
Seite
225. * Koluinbus....Brachmann 295
226. Das Ei des Kolumbus. Förster 2 97
227. * Der reichste Fürst ... Kerner 298
228. Maximilian I. .Bräunlich und
Ritsert 298
229. * Deutsches Land u. d. Reich
Labes f 299
230. Die Kirchencrneuerung Dr. M.
Luthers..................Ders. f 300
Spr. ¡XVII. (Der zusammenge-
zogene Satz: 1. ohne Bindew.,
2. mit Bindewörtern)......... 305
231. Tetzels Gotteskästlein. .Schanz 305
232. Verl.d.Reformation. Kappe u.a. 300
233. England........Z. T. Kappe 308
Spr. XVIII. (D. zus. gesetzte
Satz: 1. Ohne Bindew., 2. mit
Bindewörtern)................. 310
234. Der 30jährige Krieg... Preuß
Kinderfr. 310
235. * Die Tabakspfeife ... .Pfeffel 312
236. Friedrich I., der 1. Hohenzoller
Bender 313
237. Der große Kurfürst ... Ranke 315
238. Die Erhebung Preußens zum
Königreich..............Hahn 317
239. Peterd.Großei.Rußland.Kappe 318
240. Rußland..............D. V. 319
241. König Friedr. Wilh. I..Bender 320
242. Friedr. II., d.Große. Curtmann 321
Spr. XIX. (Haupt-u.Nebensätze.
1. Subj.-, Objektiv- u. Adjektiv-
sätze; 2. Adverbialsätze: des -
Orts, der Zeit rc.).......... 322
243. Rittmstr.Kurzhag.. P.-Glanzow 323
244. Friedrich II. u. s. Nachbar. Hebel 324
245. Joseph II. von Östreich. .Ber-
thelt L. 325
246. Ein gutes Rezept.....Hebel 326
247. D. Knabe i. Feldlager. Lebens-
frühling 327
Spr. XX. (Der verkürzte Satz.
Apposition, Ellipse rc.)....... 328
248. Preußens Fall u. Vorbereitung
D. V. u. Preuß 328
249. Die Köuigin Luise. Nach Eylert 331
250. Die geraubte Blume. .Preuß
Kinderfreund 332
251. * Die Opfer zu Wesel. .Schmidt 333
252. Turnvater Jahn. Lina Grafs^ 334
253. * Der kleine Turner.. .Dies. P 335
Spr. XXI. Bildung von Frage-
u. Ausrufsätzen a. Erzählst)... 336
254. Gottes Strafgericht in Ruß-
land ...................Kohlrausch 336
255. * Die Trommel........Besser 337
256. Preußens Erhebung....Jahn 338
257. * Gebetw.d.Schlacht.Th.Körner 339
404
Seite
258. TH.KörnersTod.Pommerenkech 339
259. Entscheidung und Napoleons
Sturz..............Keck Lesebuch 341
260. * Gottes Mauer .... Brentano 342
261. Friedrich Wilhelnr IV. Bocks
Lesebuch 343
Spr. XXII. (Perioden in einzelne
Sätze auflösen).
XXIII. (Ilmgek.: Zusammen-
fassung mehrerer Sätze zu einer
Periode)...................... 345
262. * Friedrich Rotbart .... Geibcl 345
263. 1864 und 1866.Nach versch.
Berichten 346
264. * Rotbart's Testament .Költsch 347
265. * Der bet. König am Grabe
Hesckicl 348
266. 1870 — 1871...........Settern 349
267. * D. deutsch. Kaiser.L. Graff P 351
268. Der Kaiser am Krankenbette
Lauxmann 352
269. * E. feines Komplim. L. Graff P 353
270. Wiederhcrst. d. deut. Reiches
Bocks Lesebuch 353
271. * Kaiser Wilhelm. H. v. Fallers-
leben 355
272. * Grab und Wiege ... Hesekiel 356
273. Unser Kaiser u. uns. Kronprinz 356
274. * Mein Vaterland......Sturm 359
275. Asien.....Nach Verschiedenen 359
276. Der Elefant und das Kamel
Zachariä 361
277. Afrika.NachZachariä u.Seydlitz 363
278. Der Strauß. Raff's Naturgcsch. 366
279. Australien.Nach Zachariä und
Seydlitz 368
Seite
Spr. XXIV. (Sprichwörter rc.
versch. Inhalts) ........... 369
Y.
Im eigenen Sein und des Nächsten
Leben.
280. * Mein Lesebuch......Labes f 370
281. Umschau...............D. V. 370
282. * Nor d. Schulhausc.H. Müller 372
283. * Um ein reines Herz...Neuß 373
284. * Des frommen Kindes Gebet
Lina Grafs P 373
285. * Der Räuber u. das Kruzisir
Prutz 374
286. Die Pfirsiche__Krummacher 375
287. * Deutscher Rat.....Reinick 377
288. Dcnksprüche ... Martin Luther 378
289. * Wenn du noch eine Mutter
hast...................Ka»lisch 379
290. Das Kleinod der Bettlerin
Lina Grafs ch 379
291* Der Mutter Bild ....Labes 381
292. * Frage nur dein Herz . .Ders. 382
293. * Der Vater und die 3 Söhne
Lichtwer 382
294. Ein rechter Mann....Rank 383
295. * Die Sonne bringt es an den
Tag...................Chamisfo 384
296. * Hoffnung...........Geibel 385
297. * D.Huhnu.d.Karpf.. Flieg.Bl. 386
298. Der menschl. Körper rc..Uffel-
mann ch 387
299. Die Vorzüge des Menschen
Pommerenke ch 397
300. * Unsterblichkeit.......(?) 398
Druck der Hinstor ff'schcn Buchdruckerei in Rostock.
Äser zu Ostern d. J. in vierter Auflage erschienenen ersten Abteilung des II. Teiles
meines „Lese- und Lehrbuches“ ist nunmehr die zweite Abteilung gefolgt, welche sich jener
unmittelbar anschliefst. Die erste Abteilung endet mit den „vier Jahreszeiten“, die zweite beginnt
mit denselben, jedoch so zu sagen '• in einem höheren Stil. Überhaupt dürfte der innere Fortschritt
in beiden Abteilungen leicht zu erkennen sein.
Die Disposition und der Gang der eben erschienenen 2. Abteilung fällt schon bei einem
flüchtigen Durchblick in die Augen: das Buch, auf christlicher Grundlage ruhend, will dem Kinde
allüberall den waltenden grossen Gott und Schöpfer vor die Seele führen und leitet es zu dem
Ende durch die wechselnden Jahreszeiten, durch die Natur und durch das All des Himmels mit
seinen Kräften, in die Geschichte und in das Leben der Völker wie in das eigene Ich, abschliessend
mit dem Gedanken, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, wunderbar erschaffen, fürs
Himmelreich bestimmt.
Da ich bei der Sammlung und Verarbeitung des gebotenen Lesestoffes für mein Buch immer
die Volksschule im Auge hatte, so habe ich das belehrende Element in demselben in den
Vordergrund treten lassen; dennoch bringt es mehrfach volkstümliche Erzählungen, Sagen, Märchen,
Launiges und Scherzhaftes esc, Prosa habe ich fortwährend mit Poesie abwechseln lassen und
insonderheit da ein anschliessendes Gedicht eingeschoben, wo der belehrende Stoff sich naturgemäfs
häufte. Mein Bestreben ist aber gewesen, bei aller Abwechselung immer auch auf das Herz und Gemüt
des Kindes — ungesucht — zu wirken, es für alles Gute und Edle zu erwärmen und namentlich
für alles, was deutsch heisst, zu begeistern. Das Geschichtliche, vornehmlich das das deutsche
Kaiserhaus Betreffende, habe ich möglichst anreihend und ergänzend gebracht, also nicht plötzlich
und ganz unvermittelt einen Regenten mit seinen Thaten auftreten lassen, über dessen Person das
Lesebuch den Schüler im Dunkeln liesse, und wo es mir thunlich schien, habe ich nebenher
Geographisches aus dem Lande des betr. Regenten folgen lassen. Ganz besonders habe ich auch
unsers teuren Fürstenhauses und des engeren Vaterlandes unserer Volksschüler gedacht.
Die Auswahl des überreichlich gebotenen Stoffes war eine sehr zeitraubende, wefshalb sich
die vorliegende Ausgabe des Lesebuches wider meinen Willen verzögerte. Die Aufgabe aber,
immer das Rechte zu treffen, ist bei der Auswahl des Stoffes hier in der That eine sehr, sehr
schwere, und überdies ist der Geschmack, wie ich bei dem Urteil über die 1. Abteilung meines
Buches erfahren habe, gar zu verschieden: ein Lesestück, das der eine verwirft, ist dem andern
willkommen. In dieser Beziehung wird eine etwaige 2. Auflage, die überhaupt den Umfang des
Buches mehr oder weniger beschränken soll, das etwa Verfehlte dadurch gut zu machen suchen,
dass sie das weniger Wertvolle ausmerzt. Nach meiner Ansicht dürfte der Umfang für die Zukunft
22 Bogen nicht überschreiten, unter allen Umständen wird er aber um 1 Bogen gekürzt werden
müssen. Bei dieser Arbeit werden mir, wie ich hoffe, die Freunde meines Buches mit Rat und
That zur Seite stehen, um so mehr, als ich Umstände halber diesmal bei meiner Arbeit ganz auf
mich selbst angewiesen war. — Um der Eintönigkeit und Einförmigkeit möglichst vorzubeugen,
habe ich eine ganze Reihe von Originalbeiträgen aufgenommen, für deren bereitwillige Zustellung
ich den geschätzten Verfassern auch auf diesem Wege meinen besten Dank sage. Wer in dem
Neuen, wozu ich auch teilweise die im „Sprachlichen“ gegebenen Sätze rechne, zu sehr „klassischen“
Klang vermisst, der wolle bedenken, dass einmal nicht alles klassisch sein kann, zumal wir es mit
Kindern der Volksschule zu thun haben. In Rücksicht hierauf habe ich denn auch den Schülern
manches mundgerechter zu geben versucht, z. B. Hebels „Betrachtung über das Weltgebäude“.
Möge man in dieser Beziehung und überhaupt an die Kritik des Buches gehen, um das Gute zu
fördern; dann ist mir jede Belehrung, nach welcher Seite hin sie auch geboten werden möge,
für die spätere Verbesserung meiner Arbeit sehr willkommen.
Wer das „Sprachliche“, in 24 fortlaufenden Nummern und bezüglichen Lesestücken geboten,
nicht für seinen besonderen Zweck ausbeuten will, der sehe es, wie dies bei solchem Stoff eine
ganze Menge Lesebücher thun, als angenehm abwechselnde Ruhe punkte an, über deren Sinn
und Inhalt der Schüler nachzudenken, sich auszusprechen und dann das Gelesene richtig zu betonen
hat; die „hinweisenden Ziffern und Buchstaben“ stören das Kind beim Lesen nicht, wie ich mich
aus dem Unterricht (nach dem jedesmaligen Erscheinen der Bögen im Laufe des verflossenen
Sommers) überzeugt habe. Dass ich diese 2. Abteilung indes nicht, wie es bei der ersten geschehen,
speziell mit Aufgaben versehen habe, geboten verschiedene Gründe. Wer im übrigen jene 24
Nummern etc. sprachlich auszubeuten willens ist, findet dazu reichlich Gelegenheit; z. B. zu S. 30
II 4 und No. 43 : „Schreibt die mit a bezeichneten Sätze (3. Fall) zunächst ab, dann die mit b
(4. Fall); macht es mit der Erzählung ebenso; schreibt aus der letzteren die Verhältnisse allein auf,
zunächst in dort vorkommender, dann in sprachlicher Reihenfolge; bildet die betr. Sätze so, dass
ihr das Verhältnis (möglichst) zu Anfang setzet; schreibt die Erzählung (zur Hälfte) in der Weise
nieder, dass ihr alle nicht notwendigen Verhältnisse fortlasset“ u. dgl. m. Man wird hierbei bald
merken, dass die Kinder, selbst neben dem Gebrauch eines deutschen Sprachbuches, zur Ab-
wechselung gern auch aus ihrem Lesebuch arbeiten. Nur wird man sich nicht an die Reihenfolge
der 24 Nummern binden; denn wie kein vernünftiger Lehrer mit seinen Schülern das Lesebuch in
einem Ritt von A bis Z durchjagt, so wird er auch z. B. die sehr bildenden Übungen No. 21—23
von Anfang an da vornehmen, wo es ihm passt. — Es bleibt über dies und jenes in meinem Buch
Gebotene noch viel zu sagen übrig; doch halte ich es für überflüssig; jeder wird selber sehen und
prüfen. — An einer guten Ausstattung des Buches hat die Verlagshandlung nichts gespart, und der
Preis, roh 1,30 Jfo, übersteigt durchaus nicht denjenigen anderer Lesebücher von gleichem Umfange,
ja in letzterer Beziehung stellt er sich noch billiger, als derjenige manches anderen Lesebuches; das
Hirsch’sehe Lesebuch I u. II (zus. 20 Bogen) kostet z. B. 90 (8 roh, das meinige I u. II (zus.
38 Bogen) kostet nur 1,40 Jt>, abgesehen davon, dass mein Buch illustriert ist; welchen Wert aber
die Illustrationen für die Belebung des Textes, für Anschauungszwecke, für richtige \ orstellungen
eines beschriebenen Gegenstandes ctc. haben, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.
Möge denn meine Arbeit überall freundliche Aufnahme und vor allem zunächst recht viele
solcher Freunde finden, die mir sagen, wo und wie ich für die Zukunft die verbessernde 1 land
anzulegen habe.
Roggentin, Michaelis 1884.
Hinstorss’sche Rathsbuchdr. (L. Eberhardt), Wismar.
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