Georg-Eckert-Institut
BS78
Der
Deutsche Kinderfreund,
ein
Lesebuch
für
Volksschulen,
von
F. P Wilmsen,
ehenial. evangelischem Prediger an der Parochial-Kirche zu Berlin.
226ste verbesserte Auflage.
Im Xlten und Xllten Abschnitt durchgesehen und verbessert
von
F. A. Pischon,
Doctor der Theologie, Königl. Prcuß. Consistorial-Rath rc.
erlin, 188 8. GteorH-Eckp^-institut
Bei Georg Reimer. für inter:'! sonate
Preis 50 Pf. Schuibuohforsehung
Braursoiv.vorg
Sciiulbuciibibtiothek
fclUJj
SW -IL .
4¿Cz2¿,*m)
Sein
Inhalt.
!. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
und des Nachdenkens................................ 1
U. Erzählungen zur Beförderung guter Gesinnun-
gen und zur Schärfung deS Verstandes.................32
1. Die ungezogenen Kinder... 32 1
2. Die Versuchung............ 33
3. Die üble Gewohnheit...... 33
4. Die kleinen Diebe........ 34
5. Der Tagedieb.............. 35
6. Der kleine Verschwender... 36
7. DaS wohlthätige Kind..... 36
8. Das ordentliche und rein-
liche Kind............... 38
9. Der Lügner................ 38
10. Wer sich muthwillig in Gefahr
begiebt, kommt darin um.. 39
11. Der ehrliche Knabe...... 40
12. Wer nicht hören will, muß
fühlen.......... ....... 41
13. Der Freund in der Noth.. 41
14. Der Zanksüchtige........ 43
15. Die muthwilligen Kinder.. 43
16. Der Unzufriedene......... 44
17. Der Barmherzige.......... 45
18. Die Furchtsame........... 45
19. Die gute Tochter......... 46
20. Der ungegründete Verdacht 47
21. Das neugierige Mädchen .. 48
22. Das wißbegierige Mädchen 49
23. Menschenfreundliche Gesin-
nungen.............. 50
24. Was heißt schmollen?... 51
25. Die Wahrsagerinn....... 51
26. Der Glücksspieler.......... 52
27. Aberglaube................ 53
28. Die Folgen des Fleißes und
der Faulheit.............. 54
29. Näscherei................. 55
30. Der Thierquäler........... 57
31. Unvorsichtigkeit.......... 58
32. Die Klätschcrinn.......... 59
33. Ein guter Denkspruch ist ein
Freund in der Noth....... 60
34. Verführung................ 62
35. Der undankbare Schüler.. 64
36. Falsche Scham............. 65
37. Der unbesonnene Spaß... 66
38. Ehrlich währt am längsten 67
39. Jugendliche Unbesonnenheit 69
40. Unterschied zwischen Spar-
samkeit und Geiz.......... 70
41. Der Bienenstock........... 71
42. Der Fischteich............ 73
43. Mit Schießgewehren soll
man nicht spielen........ 77
44. Eine gute Handlung aus
Mitleid gegen Thiere, nicht
aus Liebe zu den Menschen 78
45. Traurige Folgen der
Wildheit............... 79
46. Das Raupenneft........... 80
(II. Von der Welt..........................
rv. Von der Erde und ihren Bewohnern.
84
lV
Inhalt.
V. Produkte der Erde.
1. Das Thierreich............ 95
Säugethiere............. 99
Vögel...................102
Amphibien...............105
Fische..................107
Seite
............................ 93
Insekten................109
Würmer..................113
2. Das Pflanzenreich.........114
3. Das Mineralreich..........121
VI. Von dem Menschen...........
1. Vorzüge des Menschen....124
2. Der menschliche Körper....!28
Knochen..............128
Muskeln..............129
Das Herz, die Blutgefäße
und die Aderu........
Von den Lungen und dem
AN,emholeu........
VH. Gesundheitslehrc
1. Gesundheit und Krankheit 146
2. Von der Kleidung.......146
3. Von der Luft...........148
4. Du sollst reinlich und
ordentlich sein.........149
5. Von bett Speisen.........151
6. Von den Getränken.......154
7. Von der Bewegung und
Ruhe....................157
8. Vom Schlafen..............158
......................124
Von der Verdauung der
Speisen..............133
Von dem Gehirn, dem
Rükkenmark und den
Nerven...............137
Von den Sinnen........138
Von der Haut, den Haaren
und den Nägeln.......144
9. Von den Wohnuugen........160
10. Von Erhitzungen und Er-
kältungen..............161
11. Von der Erhaltung einzelner
Theile des Körpers.....163
12. Von der Schönheit und Voll-
kommenheit des Körpers.. 167
13. Von dem Verhalten in
Krankheiten............168
130
132
................................146
VIII. Von der menschlichen Seele, von der Reli-
gions-Lehre und von der heiligen Schrift..........171
IX. Von der Zeitrechnung und dem Kalender...........185
X. Merkwürdige Naturerscheinungen.....................i9i
XI. Europa.............................................196
XII. Deutschland.......................................202
XIII Von den Rechten und Pflichten der Unter-
thanen in wohl eingerichteten Staaten.............20s
XIV. Lieder und Gesänge..........................222
XV. Sprüchwörter und Denksprüche..........-......234
I.
Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksam-
keit und des Nachdenkens.
c^Hch gehöre zu den Kindern. Kinder wissen noch nicht
viel, und darum müssen sic unterrichtet werden und
lernen. Dadurch werden sie verständig.
Ich werde in der Schule von Lehrern unterrichtet. Ich
bin nleinem Lehrer Dankbarkeit und Gehorsam schuldig.
So lange ich unterrichtet werde, bin ich ein Schüler.
Ein guter Schüler ist aufmerksam; er hört nur aus
das, was der Lehrer sagt, und denkt nur an das, was er
thun, oder begreifen und behalten soll.
Ein guter Schüler kommt gern in die Schule, ist
fl.üßig, ordentlich, reinlich, sittsam und friedfertig. Er
kommt nie zu spät in die Schule, ist nicht wild bei dem
terausgehen auS der Schule, und treibt sich nicht auf der
traße herum, sondern geht aus dem geraden Wege nach
Hause. Ich will ein guter Schüler sein.
Das Buch, worin ich lese, ist zu meiner Belehrung
geschrieben. ES ist mir sehr nützlich, wenn ich mit Auf-
merksamkeit und Nachdenken darin lese. Ich will
mich bemühen, das Gelesene zu verstehen. Wenn ich
etwas nicht verstehe, so will ich meinen Lehrer bitten, daß
er es mir erkläre.
Wenn ich aufmerksam rnrd mit Nachdenken in diesem
Buche lese, und das, was ich gelesen habe, nicht vergesse,
so erlange ich allerlei nützliche Kentnisse, und werde
verständiger. Nicht alle Kinder erlangen durch den
Unterricht nützliche Kenntnisse. Manche bleiben unwissend
und unverständig. Welche?
Jetzt wird mir es noch schwer, lange unb anhaltend
achtsam zu sein, aber es wird mir künftig leichter werden,
wenn ich im Anfange die Mühe nicht scheue. Aller An-
fang ist schwer. Jetzt kann ich auch noch nicht ohne
1
2 I. Kurze Sähe zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Anstoß lesen; aber wenn ich mir Mühe gebe, so werde ich
rS bald können, und mich dann freuen, daß ich eine Fer-
tigkeit im Lesen erlangt habe.
Ich kenne mein Lesebuch, denn ich weiß, wie der Ti-
tel desselben heißt. Er steht auf der ersten Seite des Buches.
Aus eben dieser Seite steht auch der Name der Stadt, in
welcher daS Buch gedruckt ist; der Name der Buchhandlung,
in welcher eS verkauft wird, und das Jahr, in welchem es
gedruckt ist (die Jahreszahl). — Ich kenne mein Lesebuch
nicht bloß an dem Titel, sondern auch an dem Einbande
oder Dekkel.
Eine Anstalt, in welcher Bücher gedruckt werden, heißt
eine Buchdrukkerei. Ich kenne noch einige andere ge-
druckte Bücher. Das erste gedruckte Buch, worin ich gelesen
habe, weiß ich zu nennen.
Der, welcher ein Buch verfertigt oder verfasst, heißt
der Verfasser des BucheS. Gewöhnlich steht der Name
des Verfassers auf dem Titel des Buches. Erst wird daS
Buch geschrieben, dann wird es gedruckt, und durch das
Drukken kann nian ein Buch in kurzer Zeit mehrere tausend
Mal vervielfältigen. Diese Kunst wird die Buchdrukker-
kunst genannt und ist um die Mitte des fünfzehnten Jahr-
hunderts erfunden worden.
Ein jedes Buch besteht aus mehreren Bogen. Diese Bo-
gerr werden von dem Buchbinder zusammengeheftet, damit sie
nicht verloren gehen, oder in Unordnung gerathen könnsn.
Wenn ich einige Jahre älter bin, und nicht mehr wachse,
so gehöre ich zu den Erwachsenen. Dann bin ich größer,
als jetzt, und dann werde ich auch verständiger sein, wenn
ich jetzt nicht träge bin, und nicht müßig gehe, anstatt zu
lernen und zu arbeiten. Der Müßiggänger lernt nichts,
and Niemand hat ihn lieb.
In der Schule muß ich nicht bloß fertig lesen, sondern
auch deutlich und schön schreiben, und mit Fertigkeit rechnen
lernen. Wer nicht Geschriebenes lesen und nicht selbst
schreiben kann, konrmt in der Welt nicht fort; und wer daS
Rechnen nicht versteht, wird oft betrogen, und weiß sich in
oielen Fällen nicht zu helfen. Ich will mir recht viel Mühe
geben, fertig lesen, schreiben und rechnen zu lernen.
Manche Kinder lassen sich gern belehren; es macht ihnen
und des Nachdenkens. 2
Freude, wenn sie etwas Neues lernen können. Solche Kiw
der nennt man gelehrige Kinder.
Als ich ein Jahr alt war, konnte ich noch nicht gehen,,
noch nicht sprechen, und noch nichts begreifen. Im zwei,
len Jahre meines Lebens lernte ich gehen und sprechen, aber
ich verstand noch nicht Alles, waö Andere mir sagten. Da-
mals gab man mir noch kein Brod und kein Fleisch zu
essen: denn ich hatte .roch nicht alle Zähne, unb konnte also
keine feste Speise vertragen.
Ich heiße mit meinem Vornamen —; mit meinem Va-
kernamen heiße ich —. Ich weiß mein Lebensalter nach
Jahren und Monaten anzugeben.
Ich weiß, wie die Zeit eingetheilt wird. Sieben Tage
gehören zu einer Woche; vier Wochen und zwei oder drei
Tage machen einen Monat aus. Zwölf Monate, oder
365 Tage, gehören zu einem Jahre. Sechs Monate
machen ein halbes Jahr, und drei Monate ein Vierteljahr
aus. Die Namen der zwölf Monate heißen nach der Ord-
nung also: Januar, Februar, März, April, Mai, Juniuö,
Julius, August, September, Oktober, November und De-
eember.
Wenn 52 Wochen oder 12 Monate verflossen sind, so
ist ein Jahr zu Ende, und es beginnt sodann ein neues.
Der erste Tag eines neuen Jahres heiß t der Neujahrs tag.
An diesem Tage wünschen Anverwandte, Hausgenossen,
Nachbarn und Freunde einander Glück und Freude.
Weml hundert Jahre verflossen sind, so ist ein Jahr-
hundert zu Ende. DaS Jahrhundert, in welchem wir leben,
heißt das neunzehnte Jahrhundert. Wir fangen näm-
lich bei der Geburt des Sohnes Gottes und Heilandes der
Menschen, der Jesus Christus hieß, die Jahre an zu
zählen, und nun sind schon über 1800 Jahre verflossen,
feitbem er geboren ward.
In den ersten beiden Monaten des Jahres und in dein
letzten Monate ist es bei uns sehr kalt; eS fällt Schnee, und
das Wasser wird zu Eis. Diese Zeit des Jahres wird der
Winter genannt.
In den drei Monaten, welche ans den Februar folgen,
(wie heißen sie?) ist es nicht mehr so kalt; das Eis schmilzt;
eS schneiet nur noch sehr selten und schr wenig; die Bäume
bekommen Knospen, Blüthen und Blätter; die Schwalben
lassen sich wieder sehen; und einige Blmncn blühen, besonn
4 !. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeil
ders Schneeglöckchen, Veilchen und Maiblumen. Diese schöne
Jahreszeit wird der Frühling genannt.
Jin Junius, Julius und August brennt die Sonne, die
Luft wird oft sehr heiß, man klagt über Hitze, und muß
schwitzen. Aber die Hitze ist gut, denn sie bringt viele
schöne Früchte zur Reife, z. B. Erdbeeren, Johannisbee-
ren, Stachelbeeren, Kirschen, Birnen, Aepfcl, Pfirsiche,
Aprikosen und Pflaumen. Diese Zeit des Jahres wird der
Sommer genannt.
Im September, Octobcr und November werden alle
Früchte in den Gärten und auf den Feldern eingesammelt
und in die Vorrathskammern, auf den Boden und in den
Keller gebracht. Der Bauer hat schon im Julius und Au-
gust das Korn mit der Sense abgeschnitten, in große Bün-
del gebunden, und in die Scheune gebracht, wo es auS-
gedroschen wird. Nun gräbt er auch die Kartoffeln und
Rüben aus, schneidet die bissen Kohl köpfe ab, und bringt
das, was er selbst nicht braucht, zum Verkauf in die Stadt.
Das ausgedroschene Korn schüttet er in große Säkke, und
bringt cs dem Müller, damit cS in der Mühle zu Mel>'
gemahlen werde. Diese Zeit des Einsammelnö der Früchte
wird der Herbst genannt.
Es giebt also vier Jahreszeiten, wie heißen sie?
In welcher Zeit des Jahres befinden wir uns jetzt? Wann
ist diese Jahreszeit zu Ende? Und welche folgt daraus?
Welches ist die angenehmste Jahreszeit?
Wer hungrig ist, will essen, wer durstig ist, will
trinken, wer müde ist, will ausruhen; wer neugierig ist,
will Alles wissen und Alles sehen; wer mitleidig ist, will
gern dem Unglücklichen helfen; wer eigensinnig ist, will
immer seinen Willen haben; wer zänkisch ist, will nicht
im Frieden leben; wer friedfertig ist, will nicht zanken;
wer krank ist, will gesund werden; wer gefallen ist, will
wieder aufstehen; wer undienstfertig ist, will Andern keinen
Dienst erzeigen.
Wer nichts weiß, soll etwas lernen; wer krank ist,
soll sich des Essens enthalten; wer nicht arbeiten mag,
soll auch nicht essen; wer seinen Aeltern und Lehrern nicht
gehorcht, soll Strafe leiden; wer nicht hören will, wenn
man ihn ermahnt, soll fühlen.
5
und des Nachdenkens.
Wer sich beschmutzt hat, muß sich waschen; wer ge-
sund bleiben will, muß mäßig essen und trinken; wer et-
was lernen will, muß fleißig und aufmerksam sein; wer
gut schlafen will, muß am Tage fleißig arbeiten, und we-
der zu viel essen, noch zu viel trinken; wer bei seinen Haus-
genossen beliebt sein will, muß dienstfertig, aufrichtig und
freundlich sein; wer etwas begreifen will, muß nachden-
ken; wer sich nicht verirren will, muß nach dem rechten
Wege fragen; wer satt werden will, muß essen; wer ge-
lobt sein will, muß sich anständig und vernünftig betra-
gcn; wer seinen Aeltern Freude machen will, muß in der
Schule fleißig, zu Hause sittsam und gehorsam, und bei
fremden Leuten artig sein; wer seine Kleider lange haben
will, muß sie schonen und reinlich halten; wer schnell nach
einem Orte hinkommen will, muß eilen, und nicht säumen.
Wer viel Geld einnimmt, kann auch viel Geld ausge-
ben, oder er kann auch etwas ersparen. Wer ein Hand-
werk gelernt hat, kann sich selbst ernähren. Wer krank und
schwach ist, kann sich nicht selbst ernähren. Wer in der
Schule nicht fleißig und aufmerksam ist, kann nichts lernen.
Ich wohne in einem Hause, welches mehrere Stockwerke,
mehrere Stuben imd Kammern, Küche und Keller und ei-
nen Boden hat. In großen Häusern haben mehrere Fami-
lien Wohnungen. Diejenigen sind meine Hausgenossen,
welche mit mir in Einem Hause wohnen. Ich gehöre zu
einer Familie, und diese Familie besteht aus meinen Ael-
tern, meinen Geschwistern und Verwandten.
Der, welchem ein HauS gehört, heißt der Wirth, oder
der Eigenthümer, oder auch der Besitzer des Hau-
ses. Wer kein eigenes Haus besitzt, muß sich in dem Hause
eines Andern eine Wohnung miethen. Er bezahlt nämlich
dafür, daß er in einem fremden Hause wohnen darf, jährlich
ein gewisses Geld an den Eigenthümer des Hauses.
Dieses Geld wird das Miethsgeld, oder der Zins genannt.
Zu einer guten Wohnung gehören Helle, geräumige
und trokkene Stuben, lustige und geräumige Kammern,
bequeme und Helle Treppen. Die Küche, der Keller und
der Boden müssen ebenfalls geräumig und luftig sein. Solck)e
Häuser, deren Mauern und Wände bloß von Steinen auf-
geführh sind, werden massive Häuser genannt, und
sind die dauerhaftesten. Ein massives Haus kann einige
6 1. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
hundert Jahre stehen, wenn eS von Zeit zu Zeit gehörig
ausgebessert (reparirt) wird.
In manchen Häusern giebt cS auch Wohnungen fm
Thiere, oder Ställe. Die Ställe haben selten Fenster,
und niemals Oefen. Warum nicht? In den Ställen findet
man auch nicht Stühle, Tische, Spin-den oder Schränke.
Aber in manchen Ställen steht ein Bette. Für wen?
Ich bin ein Mensch, denn ich kann nach fteicm
Willen oder willkührlich handeln; ich kann empfinden, be-
gehren, denken und sprechen. Ich habe schon Schmerz,
Freude, Mitleiden, Angst und Furcht empfunden. Auch
die Thiere können Vergnügen und Schmerz empfinden. Der
Hund freuet sich, wenn er seinen Herrn siehet; er wimmert
und heult vor Schmerz, wenn er von einem andern Hunde
gebissen worden ist. Ich kann meine Freude und nieinen
Schmerz durch Worte zu erkennen geben, ich kann sprechen:
das Thier kann nicht sprechen.
Ich gehe aufrecht, kann meinen Kopf in die Höhe
richten, und ihn nach allen Seiten herumdrehen. Die Thiere
gehen zur Erde gebückt, und können den Himmel nicht an
sehen. Ich kann sehen, hören, fühlen, schmckken und
riechen. Dies können die Thiere auch; sie haben, gleich
den Menschen, fünf Sinne. Manche Thiere können
sogar schärfer sehen und schärfer riechen, als die Menschen.
Ich weiß, daß ich meine Füße zum Gehen, meine Au-
gen zum Sehen, meine Ohren zum Hören, meine Zunge
zum Schmekken, meine Nase zum Riechen gebrauchen, und
daß ich an allen Theilen meines Körpers fühlen kann; aber
ein Thier weiß dies nicht.
Ich kann darüber nachdenken, wozu man Eisen,
Steine, Kalk, Holz und andere Dinge gebraucht; aber die
Thiere können nicht nachdenken. Ich kann begreifen,
warum ein Ding so sein muß, wie es ist; z. B. warum ein
Haus Fenster, Thüren und Schornsteine haben; warum
der Ofen von Thonerde, und nicht von Holz gemacht wird;
warum man die Pflanzen begießen und die Erde umgra-
ben muß. Ich kann auch begreifen, warum der Tops einen
Henkel haben, und warum ein Messer vorn scharf, am
Rükken aber glatt und stumpf sein muß. Ich weiß, warum
meine Schuhe von Leder, und nicht von Holz oder Bleck
7
und des Nachdenkens.
oder von Tuch gemacht sind, und warum ein Wagen gewöhn-
lich nicht mehr als vier Räder hat.
Ich kann einsehen, warum ich nicht immer thun darf,
was ich will; warum ich thun soll, waS meine Aeltem und
Lehrer wollen; warum ich folgsam, fleißig und aufmerksam
sein soll. — Ich weiß, warum die Thüren hoch, die
Dächer schräge, die Keller gewölbt sind, warum die Küchen
einen Heerd von Steinen und nicht von Holz haben, und
die Straßen gepflastert sein müssen.
Ich bemerke, daß der Tisch und die Bank einander
ähnlich sind, und weiß auch, worin diese Aehnl.ichkeit
besteht. Ich bemerke, daß beide aus Holz gemacht sind,
beide sich durch den Gebrauch abnutzen, beide im Feuer
verbrennen (verbrennbar sind), und beide Füße haben. Aber
ich sehe auch ein, daß beide einander unähnlich oder von
einander verschieden sind; denn ich bemerke an dem einen
Manches, was an dem andern nicht ist, z. B. —
Die Rose ist der Nelke ähnlich; denn betde sind
Blumen; beide haben einen schönen Genich und schöne
Farben; beide haben eine Wurzel, Blätter und Stengel;
beide entstehen aus einer Knospe; beide blühen eine kurze
Zeit, und welken dann. Aber die Rose ist auch von der
Nelke verschieden; denn sie bat einen andern Geruch,
sie hat nur Eine Farbe, die Nelke aber ist gewöhnlich bunt.
An der Rose sind Stacheln, aber an der Nelke nicht. Die
Rose hat breite und runde Blätter, die Nelke hat schmale
und längliche. Ich habe jetzt die Rose mit der Nelke ver-
glichen, ich habe aber auch beide von einander unter-
schieden. Dies können die Thiere nicht, denn sie haben
keinen Verstand.
Ich kenne allerlei Dinge, welche ich mit Aufmerksam-
keit betrachtet habe. Ich kenne eiue Menge Pflanzen, welche
in dem Garten wachsen, z. B. Mohrrüben (Möhren),
Bohnen, Erbsen, Gurken, Weinstvkke, Rettige, Salat-
kräuter, allerlei Arten von Kohl oder Kraut, Petersilie,
Schnittlauch, Salbei, Spargel, Psefferkraut. Ich kenne
das Unkraut, und weiß es von den nützlichen Pflanzen
zu unterscheiden.
Auf dem Felde wächst Roggen, Weizen, Gerste, Ha-
fer, Flachs, Hanf und Kohl; auch Linsen, Bohnen, Erb-
sen und Kartoffeln wachsen auf dem Felde, und werden
daher Feldfrüchte genannt.
8 l. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
In den Baum gärten wachsen Birnen, Aepfel, Pflan-
men (Zwetschen), Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche und Nüsse.
Zwischen den Bäumen stehen allerlei Stauden und Sträu-
cher. Daran wachsen Johannisbeeren, Stachelbeeren, Brom-
beeren, Himbeeren u. a. m. Alle diese Früchte kann man
essen (sie sind essbar und gesund), wenn sie reif sind. Un-
reife Früchte sind schädlich.
Die Bäume versorgen uns nicht nur mit ihren saftigen
Früchten, sondern sie erfreuen uns auch im Frühling durch
ihre schneeweißen und rosenrothen Blüthen, crquikken uns an
heißen Sommertagen durch ihren Schatten, und wärmen
uns im Winter durch ihr Holz.
Der Baum steht fest, weil er eine starke Wurzel
hat, welche tief in die Erde hinein gehet. Auf der Wurzel
steht der Stamm, welcher mit einer festen Rinde, wie
mit einem Kleide umgeben ist. Um die Spitze des Stam-
mes herum sitzen die Aeste, und an den Aesten sitzen die
Zweige, an den Zweigen die Blätter und die Früchte.
Im Anfange des Frühlings sind noch keine Blätter uns
keine Früchte an den Zweigen zusehen, sondern nur Knos-
pen. Diese brechen endlich auf, und daraus entstehen
dann Blüthen und Blätter. Aus den Blüthen entstehen die
Früchte. Die Blätter zieren den Baum, und schützen die
Früchte vor der brennenden Sonne. Wenn ein Baum seine
Blätter verliert, ehe die Früchte reif sind, so verdorren
oder vertrocknen die Früchte.
Wenn die Rinde eines Baumes beschädigt ist, so wird
der Baum krank, und stirbt endlich ab. Darum ist eS sehr
unrecht, und verdient harte Strafe, wenn Kinder aus
Muthwillen in die Rinde der Bäume schneiden, oder die
Rinde abreißen. Ich will nie einen Baum beschädigen; aber
ich will mich über einen gesunden uttd blühenden Baum freuen.
Die Thiere haben nicht einerlei Gestalt; cs ist ein
großer Unterschied zwischen einem Hunde, einem Sperling,
einem Hecht, einem Frosch, einer Spinne und einer Schnekke.
Der Hund hat vier Füße, und säugt seine Jungen; er ge-
hört daher zu den viersüßigen Säugethieren._ Der
Sperling hat nur zwei Füße, er legt Eier und ist gefiedert;
er gehört deswegen zu den Vögeln. Der Hecht hat keine
Füße und keine Flügel; er hat auch keine Haare, wie der
und des Nachdenkens.
9
Hund, und keine Federn, wie der Sperling, sondern
Schuppen. Er kann nickt gehen, wie der Hund, und nickt
fliegen, wie der Sperling, aber er kann schwimmen, d. h.
sich im Wasser schnell von einem Orte zum andern bewegen.
Dazu gebraucht er die Flossfedern und den Schwanz. Er
gehört zu den Fischen, und lebt nur im Wasser.
Der Frosch hat zwar vier Füße, aber seine Hinterfiiße
sind lang, und er gebraucht sie weniger zum Gehen, als
zum Schwimmen. Er kann auch nicht gehen, sondern nur
hüpfen oder springen. Er lebt im Wasser und auf dem
Lande, und gehört zu den Amphibien.
Die Spinne (Kanker) hat acht Füße, und kein rothes
und warmes, sondern kaltes weißliches Blut. ^ Ihr Leib
hat mehrere Einschnitte oder Kerben. Sre gehört zu den
Insekten. — Die Schnekke hat keine Füße, und kann
nur kriechen. Sie hat auch kaltes weißliches Blut, und
gehört zu den Würmern.
Fast jedes Thier hat eine besondere Stimme. Die
Fische, die Würmer und die Insekten scheinen keine Stimme
zu haben. Die angenehmste Stimme hat der Mensch. Ick
habe gehört, wie die Nachtigall und die Lerche singt, der
Storch klappert, der Hund bellt und knurrt, die Ziege
mekkert, das Schaaf blökt, der Pfau schreit, das Ferkel
quikt, die Maus pfeift, das Pferd wiebert, der Schwan
zischt, der Frosch quakt und die Grille zirpt.
Die Thiere haben von Natur eine warme Kleidung.
Einige sind mit starken Haaren, oder mit Wolle, andere
mit Federn, noch andere mit Schuppen, einige mit Borsten
oder Stacheln, oder mit einer knöchernen Schale bedeckt.
Die wilden Thiere, welche in den Wäldern leben, und
sich vor dem Menschen fürchten, suchen sich selbst ihre
Nahrung. Die zahmen Thiere werden von den Menschen
gefüttert. Ihre Nahrungsmittel sind sehr verschieden. Ei-
nige bringen andere Thiere um (würgen sie), und fressen
sie dann auf; diese heißen Raubthiere. Andere fressen
todte Thiere, wenn sie auch schon in Fäulniß gerathen sind
(Aas); noch andere leben von Gras, Kräutern, Wurzeln,
Knospen, Blättern, Holz, Blumensästen, Körnern, Spreu,
und sogar von giftigen Pflanzen.
Ochsen, Kühe, Schaafe, Pferde und Ziegen fressen
Gras unb Kräuter; Hunde und Katzen fressen Fleisch; Hüh-
ner und Gänse Korn, besonders Gerste. Die Bienen näy-
10 l. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
reu sich von Blumensästen; die meisten Würmer von Wur-
zeln; die Raupen von Blättern.
Die äußeren Glieder der Thiere sind sehr verschieden.
Einige haben Arme und Beine, nämlich die Affen; andere
haben weder Arme, noch Beine, noch irgend ein anderes
hervorstehendes Bewegungswerkzeug, wie die Schlangen
und Würmer. Einige haben zwei, andere vier, noch an-
dere sechs oder acht, ja einige sogar mehr als hundert Füße.
Der Kellerwurm, ein Insekt, hat 14 Füße. Einige haben
Flügel, andere Flossen, noch andere Fühlhörner und Fühl-
säden. Ich weiß einige Thiere zu nennen, welche Fühl-
hörner, und einige, welche Fühlfäden haben.
Einige Thiere haben außerordentlich scharfe Sinne.
Die Raben und die Hunde haben einen überaus scharfen
Genich, und der Adler hat ein bewundernswürdig scharfes
Gesicht. An einigen Thieren, z. B. an dem Regenwurm,
bemerkt man gar keine Sinnenwerkzeuge, keine Ohren, keine
Augen und keine Nase.
Die Thiere schlafen, wenn sie ermüdet sind, und einige
schlafen mit offenen Augen, z. B. die Hasen; andere im
Stehen, z. B. die Pferde; manche nur am Tage, weil sie
des Nachtö auf Raub ausgehen, z. B. die Eulen, und
verschiedene wilde Thiere. Einige Thiere schlafen den gan-
zen Winter hindurch, und wachen nicht eher auf, als bis
die Luft warm wird.
Jedes Thier hat Feinde, gegen die es sich wehren,
oder in Sicherheit setzen muß; aber jedes Thier weiß sich
auch gegen seinen Feind zu schützen, wenn eS angegriffen
wird. Durch Beißen, Ausschlagen mit den Hinterfüßen,
Stoßen, Stechen, Laufen oder Verkriechen Nüssen sie ihre
Feinde abzuwehren, oder sich vor ihnen in Sicherheit zu
setzen. Einige, die im Wasser leben, wissen daö Wasser
trübe zu machen, wenn sie verfolgt werden; andere ver-
treiben durch einen Gestank, den sie von sich geben, ihre
Feinde; noch andere stellen sich todt, oder rufen durch ängst-
liche Töne Hülfe herbei.
Mit großer Sorgfalt pflegen und nähren die Thiere ihre
Jungen. Ehe diese noch geboren sind, haben sie schon du
weiches, warmes und sicheres Lager für sie bereitet. Ei«
ntge Thiere, wie z. V. die Hunde, Katzen, Pferde, Kühe
und Ziegen, bringen lebendige Junge zur Welt, und säugen
sie an ihren Brüsten, daher sie Säugethiere genannt
und des Nachdenkens. !!
werden. Die Vögel und die Fische legen Eier, ans welchen
nach einiger Zeit, vermittelst der Wärme, die Jungen entstehen.
Die Vögel leben in der Lust, und haben eine leichte Be-
kicidung von Federn; andere Thiere leben im Wasser, und
diese sind meistentheils mir schleimigen Schuppen bekleidet,
wie die meisten Fische; noch andere leben unter der Erde,
wie die Hamster, Maulwürfe, Ratten, Mäuse und Würmer,
und diese" haben entweder eine Bedekkung von Haaren, oder
eine glatte dehnbare Haut. In sehr kalten Ländern haben
die Thiere eine vorzüglich warme Bekleidung.
Die Säugethiere haben eine sehr verschiedene Be-
dekkung. Ihre Haut ist entweder mit Haaren, oder mit
Wolle, oder mit Borsten, bei einigen auch mit Stacheln,
Schuppen oder Schilden bewachsen.
Der Nutzen, welchen die Säugethiere den Menschen ge-
währen, ist unbeschreiblich groß. Ohne Schaafe, Ochsen und
Kühe würden wir nicht leben können; denn das Schaaf muß
keine Wolle hergeben, damit wir uns Kleider machen können;
das Fleisch des Ochsen (Rindfleisch) ist unser kräftigstes Nah-
rungsmittel, und seine Haut ist uns unentbehrlich, weil dar-
airs das Leder gemacht wird, wovon der Schuhmacher die
Schuhe ruld Stiefeln verfertigt. Der Ochse ist in vieleit
Ländern bei der Bebauung deö Akkers unentbehrlich, denn
er zieht den Pflug. Die Kuh giebt uns Milch, woraus
Butter imb Käse, "zwei vorzügliche Nahrungsmittel, gemacht
werden. — Auch die Pferde sind überaus nützlich znm Rei-
ren, Fahren und Pflügen, und die Esel sind in bergigen
Ländern unentbehrlich, weil sie so starke und unermüdete
Lastträger sind.
Eben die Dienste, welche uns Pferde und Ochsen leisten,
leistet in kalten Ländern daS Rennthier, und in heißen
Ländern das Kameel.
Die Vögel erfreuen uns durch ihren Gesang, dienen
uns zur Speise, und sind uns noch auf mancherlei Weise
nützlich; theils durch ihre Federn und Eier, theils dadurch,
daß sie todte Thiere verzehren, viele schädliche Thiere ver-
tilgen, und besonders die Frösche, Schlangen und Eidech-
sen, welche sich so sehr vermehren, wegfangen und vermin-
dern. Es giebt Hausvögel oder hühnerartige Vögel,
Wasservögel oder Schwimmvögel, Sumpfvögel, Sing-
vögel, Waldvögel und Raubvögel. Ich weiß einen
12 I. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Hausvogel, einen Wasservogel, vier Singvögel, einen Sumps-
vogel und einen Raubvogel zu nennen.
Die Fische sind dem Menschen als Nahrungsmittel
sehr nützlich. Es giebt Länder, deren Einwohner das ganze
Jahr hindurch oft einzig und allein von Fischen leben. Auch
der Thran der Häringe und die Haut mancher Fische ist
sehr brauchbar^
Auch unter den Amphibien giebt es verschiedene
welche den Menschen zur Nahrung dienen, besonders die
Schildkröten und die Frösche.
Die Insekten werden uns vorzüglich dadurch sehr
nützlich, daß sie eine große Menge Unkraut theils im Keim
erftikken, theils vertilgen, wenn es aufgewachsen ist. Auch
verzehren sie das Aas, oder die todten Thiere, welche sonst
die Luft verderben würden. Verschiedene Insekten sind ess-
bar, z. B. die Krebse und die großen Heuschrekken. Von
den Bienen erhalten wir den süßen Honig lind das nützliche
Wachs. Manche Insekten geben schöne Farben. Die spa-
nischen Fliegen sind ein vortreffliches Heilmittel.
Unter den Würmern sind auch verschiedene essbar.
B. die Austern. Die Muschelschalen werden von den
Künstlern auf mancherlei Weise verarbeitet, besonders die
Perlenmutter. Der so nützliche Badeschwamm ist das Ge-
häuse eines Wurmes. Die Blutigel sind ein sehr wirksames
Heilmittel.
Die Thiere, deren Häute sehr brauchbar sind, weil
Leder daraus gemacht wird, sind folgende: Ochsen, Kälber,
Schaafe, Pferde, Schweine, Ziegen, Hirsche, Rehe und
Esel. Auch aus der Haut eines Fisches, welcher der Sä-
gefisch heißt, wird Sohlenleder gemacht. Das Leder, wel-
ches aus Ochsenhäuten gemacht wird, heißt Rindleder, und
das, was alls Pferdehäuten gemacht wird, heißt Rossleder,
lveil man die Pferde auch Rosse nennt. Den zahmen Schwei-
nen wird die Haut nicht abgezogen, sondern nur den wilden.
Alte Bücher sind gelvöhnlich in Schweinsleder eingebunden.
Aus der Eselshaut macht der Pergamentmacher schönes
Pergament, worauf man mit Bleistift schreiben, und daS
Geschriebene wieder auslöschen kann.
Wenn die Felle oder Häute der Thiere dicht mit
weichen wolligen Haaren bewachsen sind, so werden Pelze
daraus gemacht. Wie heißt der Mann, welcher die Pelze
und des Nachdenkens.
13
macht? Sind die Haare zu kurz, so kratzt man sie ab, imt
gebraucht sie zur Verfertigung der Hüte.
Zu den Thieren, deren Fleisch gegessen wird, gehören
folgende: Ochsen, Kälber, Hammel, Lämmer, Schwein-
Ziegen, Hirsche, Rehe, Hasen, Hühner, Gänse, Enten.
Puter, Tauben, Krammetsvogel, Lerchen, Fasanen, Reb-
hühner u. a. m. Auch daS Blut und die Milch einiget
Thiere gehören zu den Nahrungsmitteln der Menschen, be-
sonders die Milch der Kühe, Schaafe und Ziegen. In man-
chen Ländern wird auch Pferdemilch getrunken und Pferde-
fleisch gegessen. Die Eselsmilch ist sehr gesund, und wird so-
gar als ein Heilmittel bei manchen Krankheiten gebraucht.
Zur Speise dienen dem Menschen die Früchte der Bäume
und Stauden, und die Wurzeln und Blätter vieler Pflanzen
tmd Kräuter, z. V. die Wurzeln der Petersilie und des
Sellerie, die Zukkerwurzeln, die Blätter der Kohlpflanzen,
des Sauerampfers, deS Spinats und der Lalatpflanzen.
Der Mensch soll mit den Speisen nicht bloß seinen Hun-
ger stillen, sich sättigen, sondern sie sollen ihm auch gur
schmekken, er soll sich mit Vergnügen sättigen. Darum
hat Gott so gütig dafür gesorgt, daß eS Dinge giebt, wo-
mit man die Speisen würzen, daS heißt, ihnen einer
Wohlgeschmack geben kann, und einige dieser Gewürze fmt
fast überall im Ueberfluß vorhanden.
Die Gewürze, welche bei uns häufig wachsen mü
gefunden werden, sind: Salz, Salbei, Majoran, Thymian,
Dill, Petersilie, Zwiebeln, Kümmel und Körbel. Die aus-
ländischen Gewürze sind: Baumöl, Zukker, Pfeffer, Zimmt,
Muskatennüsse und Muskatenblüthe, Nägelein, Ingwer und
Kardamomen. Auch der Essig gehört zu den Gewürzen.
Man hat Bieressig und Weinessig.
Nächst dem Brote sind die Kartoffeln das allge-
meinste und wohlfeilste Nahrungsmittel. Man kann sie
auf mancherlei Art, auch als Mehl und Stärke benutzen,
und sie lassen sich den ganzen Winter hindurch in Kellern
und Gruben aufbewahren. Auch als Viehfutter sind sie
sehr brauchbar.
Es giebt mancherlei Arten von Erde, z. B. Sand,
Lehm, Thon, Kreide, Kalk. Den Sand gebraucht der
Maurer, um ihn mit Kalk zu vernaschen Den feinen Sand
14 i. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
streut man auf die nasse Schrift, damit sie trockne, auch
bestreut man die Stuben damit. — Den Lehm gebraucht
der Töpfer, wenn er einen Ofen setzen will; auch zum
Bauen wird er gebraucht. Die Bauerhäuser haben gewöhn-
lich Lehmwände. Die Scheunen und Ställe haben einen
Fußboden von festgestampftem Lehm. Der Thon wird von
dem Töpfer zu Töpfen, Schüsseln, Näpfen und Krügen ver-
arbeitet. — Die Kreide wird zum Schreiben und Malen,
der Kalk zum Bauen gebraucht.
Die Steine werden aus mancherlei Weise benutzt. Ei-
nige, welche L-andsteine heißen, werden zum Mahlen oder
Zermalmen deS Korns in der Mühle gebraucht, und daher
Mühlsteine genannt, wenn sie behauen und abgerundet sind
Andere gebraucht rnan zum Schleifen der Messer, Scheeren
Beile und Degen; noch andere zum Bauen und Pflastern
der Straßen, besoirders die Kalksteine, Sandsteine und Kiesel-
steine; auch den Marmor, welcher sehr schön aussieht, wenn
er geschliffen und polirt ist. Einige kostbare und vorzüglich
schöne Steine bienen den Menschen zum Schmuck, und dies«'
heißen Edelsteine. Der Diamant ist ein Edelstein, und
zwar ein sehr nützlicher Edelstein; denn man kann Glas da-
mit zerschneiden, und er ist dem Glaser unentbehrlich.
Zu den nutzbarsten Steinen gehört der Feuerstein
oder Kreidekiesel. Er wird besonders als Flintenstein ge-
braucht, aber auch zur Verfertigung des Glases in den Glas-
hütten. Auch der Schiefer gehört zu den brauchbarsten
Steinen. Er wird zum Dachdekken, aber mich als Schreib-
material, und als Werkzeug zum Schreiben gebraucht
(Griffelschiefer).
Der Krystall hat den Glanz und die Farbe des schön-
sten weißen Glases. Die Namen der vorzüglichsten Edel-
steine sind folgende: Diamant, Ehalcedon, Karneol, Acbak,
Jaspis, Chrysopras, Granat, Hyacinth, Rubin, Smaragd,
Topas, Sapphir.
In der Erde findet man Gold, Silber, Kupfer, Eisen,
Zinn, Blei, Steinkohlen, Torf, Steinsalz, Edelsteine,
Schwefel. — Aus Gold, Silber nnb Kupfer macht mau
Münzen oder Geld. Dukaten, LouiSd'ore und Karolinen
sind Goldmünzen.
15
und des Nachdenkens.
In einem Lande liegen Städte, Flekken und Dör-
fer. In den Dörfern wohnen die Landleute oder Bauern,
welche sich mit dem Akkerbau und der Viehzucht beschäffti-
gen. In den Wäldern wohnen die Jäger und die Kohlen-
brenner. An den Flüssen und Seen wohnen die Fischer.
Zwischen den Städten und Dörfem liegen Felder, Wiesen,
Wälder, Gebüsche, Berge, Felsen, Hügel, Gebirge, Thäler,
Ebenen, Moräste und Sümpfe, Seen, Teiche, Flüsse, Bäche
und Quellen.
Alles, was außerhalb einer Stadt oder eines Dorfes
liegt, wird Feld genannt, oder auch Akker, wenn es ein
bebautes, d. h. gepflügtes und besäetes Feld ist. Ein Feld
welches einen sehr feuchten Grund oder Boden hat und auf
welchem von selbst Gras und Klee wächst, wird eine Wiese
genannt. Ist es nur ein großer mit Gras bewachsener
Platz, der in einem Dorfe oder in einer Stadt liegt, so
wird er ein Anger genannt, oder auch eine Weide (Vieh-
weide). Aber wie nennt man ein solches Stück Land,
welches mit einem Zarin oder mit einer Mauer, oder einer
Helle eingeschlossen, und mit Obstbäumen, Blumen und
Küchengewächsen bepflanzt ist?
Ern großes Feld, auf weichern starke und hohe Bäume
in großer Menge, aber nicht nach der Ordnung, bei ein-
ander stehen, wird ein Wald genannt. Wie wird aber
ein solches Feld genannt, auf welchem keine Bäurne, son-
dern viele Sträucher bei einander stehen? Ich weiß, daß
ein Baum nur einen starken Stamm, ein Strauch aber
inehrere kleine und schwache Stämme hat.
Auf vielen Feldern giebt es Hü Hel, oder kleine Er-
höhungen des Bodens. Sind diese Erhöhungen, sehr groß, so
daß man viel Zeit und Mühe gebraucht, um auf die Spitze
zu kommen, so werden sie Berge, und wenn sie ganz aus
Steinen bestehen, Felsen genannt. Zuweilen sieht man aut
den Feldern ganz kleine Erhöhungen von frischer Erde;
diese rühren von den Maulwürfen her, welche die Felder
durchwühlen und großen Schaden anrichten. Felder, welche
gar keine Erhöhungen haben, werden Ebenen genannt.
Der ebene Raum, welcher von zwei oder mehreren
Bergen eingeschlossen ist, wird ein Thal genannt. Ist dieser
Raum so enge, daß man kaum mit einem Wagerl hindurch
fahren kann, so heißt er eine Schlucht oder ein Hohl-
weg. Zuweilen sind in den Bergen Vertiesungeri, oder
16 I. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Höhlen, in welchen Menschen sowohl als Thiere Platz fin-
den können; diese werden Grotten oder auch Felsklüfte
genannt. — Aber wie nennt man eine ganze Reihe von
hohen Bergen, welche aufgethürmt neben einander und
über einander liegen? Manche Berge sind so hoch und
steil, oder jähe, daß man sie nicht von allen Seiten er-
steigen kann. Ein Weg, der über hohe Berge geht, wird
ein Paß genannt.
Ans den Feldern kommt man zuweilen an solche Stükke
Land, welche voll Wasser, und daher so weich sind, daß
man einsinkt, wenn man darauf gehen will; diese werden
Moräste genannt. Wo der Boden ganz mit Wasser be-
deckt ist, und zwar mit einem trüben übelriechenden Was-
ser, da ist ein Sumpf. Ein ganz kleiner Sumpf, der
vom Regen entstanden ist, wird eine Pfütze, oder auch
ein Pfuhl genannt. Da, wo Sümpfe sind, halten sich
verschiedene Vögel auf, welche daher Sumpfvögel ge-
nannt werden, besonders Reiher, Störche, Kra-
niche, Rohrdommeln, Schnepfen, Kiebitze und
Wasserhühner.
Auch Seen findet man sehr häufig, beinahe in jedem
Lande. Ein See ist ein großes und tiefes Gewässer, wel-
ches von allen Seiten mit Land umgeben ist, und nicht
fließt, wenigstens nur ganz umncrklich. Da, wo der Bo-
den sumpfig oder morastig ist, kann man auch einen See
machen, indem man eine Vertiefung gräbt, in welche sich
das Wasser sammelt. Einen solchen künstlichen See nennt
man einen Teich. Auf den Seen und Teichen halten sich
die Wasservögel auf, besonders Schwäne, Gänse, En-
ten, Taucher und Möven; denn diese Vögel nähren
sich theils von Fischen, und die Seen sind gemeiniglich
sehr fischreich. In den Seen wächst das Schilf, welches
von den Korbmachern gebraucht wird.
An manchen Orten sieht man daö Wasser aus der Erde
hervorsprudeln. Ein solches Wasser wird eine Quelle
genannt. Wo mehrere Quellen zusammenkommen, entsteht
ein Bach oder ein kleiner Fluß. DaS Wasser der Quel-
len ist gewöhnlich kalt, aber manche Quellen haben ein so
heißes Wasser, daß man sich darin verbrennen kann. Vie-
len Kranken ist es sehr zuträglich, wenn sie sich in solchen,
Qnellwasser baden, nachden, es sich ein wenig abgekühlt
bat. Manche Quellen fließen beständig, manche nur zu
ge-
und des Nachdenkens.
17
gewissen Zelten. Wenn eine Quelle nicht mehr stießt, so sagt
man von ihr, sie ist versiegt.
Wenn man zwei Stunden lang rasch hinter einander
fort gehen muß, um von einem Orte zum andern zu kommen,
so liegen diese beiden Oerter eine Meile von einander. —
Ein breiter Fahrweg, der zwischen Feldern, Wiesen und Ber-
gen, oder auch über Berge und Thäler hinweg von einer Stadt
zur andern führt, und mehrere Meilen lang ist, wird eine
Landstraße genannt. Ein Weg, der an beiden Seiten mit
Bäumen besetzt ist, heißt eine Allee.
Man kann auf mancherlei Art von einem Orte zum an-
dern kommen oder reisen: zu Fuße, zu Pferde, zu Wagen,
und zu Schiffe. Am wohlfeilsten und sichersten reist man mit
der Post. So nennt man einen Wagen, welcher an be-
stimmten Tagen und zur fest bestimmten Stunde von einem
Orte zum andern fährt, und allerlei Sachen, Briefe und
Geld, oder auch Reisende mitnimmt. Wer in einem solchen
Wagen reist, wird ein Passagier genannt. Der Mann,
welcher den Postwagen fährt, heißt der Postillon, und der-
lenige, welcher mitfährt, um aus die Sachen, welche auf dem
Postwagen sind, Acht zu geben, heißt Schirrmeister oder
Schaffner. Der Wagen, welcher Sachen (Poststücke) führt,
beißt Post-Packwagen.
Wer einen Brief mit der Post wegschikken will, muß
ihn versiegeln, und darauf den Namen und den Wohnort
desjenigen, welcher den Brief erhalten soll, deurlich schreiben.
Dies nennt man die Adresse des Briefes. So wird er
in dem Posthause abgegeben, und ein bestimmtes Geld dafür
bezahlt, welches das Briefporto genannt wird. Je nach-
dem der Brief leicht oder schwer, oder die Entfernung gering
oder groß ist, wird wenig oder viel dafür bezahlt.
Eine Reise, welche man in einem Tage vollenden kann,
wird eine Tagereise genannt. Die größte Reise, welche
ein Mensch machen kann, ist die Reise um die Erde. Wer diese
macht, hat wenigstens einen Weg von 5400 Meilen zu machen.
Da die Erde von allen Seiten mit einem sehr großen und riesen
Wasser, welches das Meer genannt wird, umgeben ist, so
kann am besten zu Schiffe um die Erde hemm reisen.
Dies haben ailch schon verschiedene Menschen versucht, und
die nv.ssten sind glücklich wieder zurückgekomnlen.
An den Landstraßen, in den Städten, Flekken und Dör-
fern findet mail Häuser, in welchen jeder Reiseilde Wohnung,
2
18 I. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Nahrung (Zehrung) und Bequemlichkeit für Geld haben kann.
Diese Häuser heißen Wirthshäuser, oder Gasthöfe, oder
Herbergen. Der, welchem ein solches Haus gehört, beißt
ein Gastwirth.
Wer oft auf Reisen gewesen ist, hört und sieht sehr vie-
les, lernt allerlei Menschen, Thiere, Pflanzen, allerlei Städte
und Länder kennen, bekommt viel Erfahrung. Wer noch
nicht viel gesehen und gehöret hat, ist unerfahren. Kin-
der haben noch wenig Erfahrung. Warum?
Die Stadt, in welcher ich wohne, heißt —; die Stadt
liegt in einem Lande, welches — genannt wird. Dies Land
nenne ich mein Vaterland, weil —? Mein Vaterland ist groß,
es liegen viele Städte, Flekken und Dörfer darin, in welchen
viele tausend Menschen wohnen. Alle die Menschen, welche
in einem Laude beisammen wohnen, und einerlei Sprache re-
den, machen zusammengenommen ein Volk aus. Ich weiß,
daß mein Vaterland ein Theil eines sehr großen Landes ist,
welches Deutschland heißt. Ich habe gehört, daß 2300
Städte in Deutschland liegen, und daß viele Millionen Men-
schen darin wohnen. Die größten unter den Deutschen Städ-
ten weiß ich zu nennen. Sie heißen: Wien, Berlin,
Hamburg, Dresden, Bremen, Frankfurt am Main,
München, Magdeburg, Nürnberg, Breslau, Cölln rc.
Das große Deutschland mit seinen vielen tausend Städ-
ten, Flekken und Dörfern macht doch nur einen sehr kleinen
Theil von einem viel größeren Lande aus, welches Europa
heißt, und auch das große Europa ist nur ein kleiner Theil
der unermeßlich großen Erde; die Erde ist aber wiederum ein
sehr kleiner Theil der Welt, d. h. alles dessen, was Gott ge-
schaffen hat. Denn zu der Welt gehören alle die unzähl-
baren Gestirne, die wir in einer hellen Nacht am Himmel
erblikken, und die Sonne ist allein viele tausend Mal grö-
ßer, als unsere Erde.
Wenn wir aus unserrn Vaterlande wegreisten, und bis
dahin kämen, wo es sich endigt, und ein anderes Land sieb
anfängt, so wären wir an die Grenze unseres Vaterlandes
gekommen.
In großen Städten wohnen Soldaten mit ihren Of-
fizieren (diese machen zusammengenommen die Garnison
oder das Militär, die Besatzung der Stadt aus), Künstler,
Kaufleute, Gelehrte, Handwerker, Tagelöhner und
Bettler oder Arme, in schlechten, guten, schönen und
19
und des Nachdenkens.
prächtigen Häusern. Eine Stadt, in welcher ein König
over ein Fürst, oder ein anderer regierender Herr wohnt,
wird eine Residenzstadt genannt. Wien ist die Residenz-
stadt des Kaisers von Oesterreich. Berlin ist die Residenz-
stadt des Königs von Preußen. Dresden ist die Residenz-
stadt des Königs von Sachsen. Das Haus, in welcher«
ein König oder Fürst wohnt, wird ein Schloß oder auch
ein Pal last genannt.
Eine Stadt, in welcher sehr viele Kaustente wohnen,
und wo also ein starker Handel getrieben wird, nennt malt
cine Handelsstadt. Die Handelsstädte liegen gewöhnlich
an großen Flüssen, weil man große Lasten am besten zu
Schiffe von einem Orte zum andern bringen kann. Dieje-
nigen Dinge, welche ein Kaufmann zum Verkauf auöbietet,
werden Waaren genannt. Ein Haus, oder ein großer
Raum, worin die Waaren in großer Menge aufbewahrt
werden, heißt eilt Waarenlager.
Nicht alle Waaren werden auf einerlei Art verkauft.
Manche werden gemessen, manche gewogen, manche ge-
zählt. Einige werden stückweise, nach der Größe oder
Schönheit verkauft. Das, womit man misst, wird eilt Maß-
stab oder ein Maß genannt. Das Holz wird mit eitlem
hölzernen Maßstabe gemessen, welcher ein Schuh oder Fuß
heißt, weil er ungefähr so lang ist, wie der Fuß eines er-
wachsenen Menschen. Die Leinwand, das Tuch, und über-
haupt atte baumwollene und feibeue Zeuge werden gewöhnlich
mit einer Elle gemessen. Die Elle ist mehr als noch ein Mal
so lang, als der Fuß, und hat ungefähr die Länge eines Armes.
Die flüssigen Dinge, z. B. Oel, Wein, Bier, Essig,
Syrup und Branntwein, werden nach Kann eri oder Quar-
ten oder Maßen gemessen Man bedient sich dazu verschie-
dener Gefäße von einer genau bestimmten Größe. — Die
Butter, der Zukker, das Brot, und viele airdere Waaren wer-
den auf einer Waage gewogen. Man bedient sich dazu ver-
schiedener Gewichte, welche Ouentchen, Lothe, Pfunde heißen.
Früchte werden entweder gezählt, oder ge in essen.
Auch die Eier werdeir gezählt. Fünfzehn Stück nennt man
ein Mandel. Sechzig Stück machen ein Schock aus.
Das Getreide wird nach Mispeln, Scheffeln, Vierteln und
Metzen gemessert.
Dasjenige, womit ein Mensch sich beschäfftigt, und wo-
durch er sich nährt, nennt man sein Gewerbe. Alkerbau,
2*
20 I. Kurze Sähe zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Gartenbau, Viehzucht und Handel sind Gewerbe. Auch die
verschiedenen Handwerke und Künste gehören zu den Gewer-
ben. Wer sich mit dem Akkerbau beschäfftigt, heißt ein
Bauer oder ein Land mann. Wer sich auf den Garten-
bau versteht, heißt ein Gärtner. — Uhrmacher, Bildhauer,
Maler, Kupferstecher sind Künstler. Tischler, Drechsler,
Schlosser, Maurer, Zimmerlente, Bäkker, Brauer sind
Handwerker. Ich weiß die Handwerke zu nennen, welche
sich mit der Verarbeitrurg des Eisens beschäfftigen. Ich
kenne auch diejenigen, welche für die Kleidung und Nah-
nnlg arbeiten.
lleberall, wo Menschen wohnen, hat Gott dafür gcsorgr,
daß sie, bei Fleiß und Sorgfalt, Alles haben, was sie zur
Befriedigung ihrer Bedürfnisse gebrauchen. Denn wenn
gleich nicht jedes Land so viel hervorbringt, als seine Be-
wohner zu ihrer Erhaltung bedürfen, so können sie sich doch
durch den Handel das Fehlende leicht verschaffen. Aber
welches sind denn die Bedürfnisse deS Menschen?
Wenn ich mir den Mund und die Nasenlöcher zustopfte,
so würde ich sterben; denn ich niüsste erftikken. Unaufhörlich
muß der Mensch durch den Mund und die Nase Luft ein-
ziehen oder einathmen, wenn er leben soll.
Wenn ein Mensch das Unglück hätte, auf eine wüste
Insel zu gerathen, wo er weder Speise noch Trank, also gar
keine Nahrungsmittel fände, so müsste er vor Hunger und
Durst sterben. — Wer im harten Winter weit über das Feld
gehen muß, und zuletzt nicht nrehr fort kann, der erstarrt
eitbltw vor Frost, und muß sterben; denn ohne Wärme kann
kein Mensch leben.
Wenn man ein neugeborneö Kind auf das freie Feld
hinlegte, und weder für seine Ernährung, noch für seine Rei-
nigung, Erwärmung und Bekleidung sorgte, so müsste es
umkommen, oder es würde wenigstens nicht verständig wer-
den, nicht sprechen und nicht anstecht gehen lernen; denn
die Kinder lernen vorzüglich dadurch gehen und sprechen,
daß sie den Gang und die Sprache der Erwachsenen nach-
ahmen, und werden besonders durch die Anweisungen und
Belehrungen der Erwachsenen verständig. — Also Luft,
Wärme, Nahnlng, Kleidung, Wohnung und Beisammensein
mit seines Gleichen ist dem Menschen zur ErhalMng seines
21
und des Nachdenkens.
Lebens nothwendig. Alles dies bedarf jeder Mensch, um
zu leben: eö sind Bedürfnisse.
Aber wir Alle können leben, wenn wir auch keinen Wein
zu winken, keinen Kuchen zu essen, und keine seidene Kleider
anzuziehen hätten. Diese Dinge bedarf der Mensch also
nicht; sie sind nicht nothwendig zu seiner Erhaltung, sie ge-
hören nur zum Wohlsein. Wer recht müde ist, der schlaft
auch auf der bloßen Erde sanft und ruhig, äber er schläft
fteilich lieber auf einem weichen Bette. Auf der harten Bank
lässt sich'ö recht gut sitzen und ausruhen; aber fteilich sitzt
es sich auf dem weich gepolsterten Stuhle bequemer und
angenehmer. Ein Rock von dem gröbsten Tuche thut recht
gute Dienste, denn er schützt vor Kälte, Wind und Regen;
aber es ist fteilich angenehmer, einen Rock von seinem Tuche
zu haben, der mit schönen Knöpfen besetzt ist. Also weiche
Betten, gepolsterte Stühle und kostbare Kleidungsstükke oder
Putz, gel-Zren nicht zu den Bedürfnissen, sondern zu den Be-
quemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, und zur
Pracht oder zum Aufwands. Aber wozu gehört der Spie-
gel, die Uhr und die Violine?
Wenn wir hinreichende und gesunde Nahrung, brauch-
bare Kleider und eine gute Wohnung haben, so wollen wir
zufrieden sein, wenn auch die Nahrung nicht ausgesucht und
lckker, die Kleidung nicht kostbar und glänzend, die Woh-
nung nicht prächtig, oder nicht ganz gemächlich ist.
Die Kleider schützen meinen Leib vor Kälte und Son-
nenhitze, vor Wind, Regen und Staub, und erwärmen ihn.
Einige Kleidungsstükke sind auch manchen Hand-
werkern bei ihrer Arbeit nützlich und nothwendig, z. B. die
Schürzen den Bäkkern, Töpfern, Marnern und Zimmerleu-
ten (wozu?); daö Schurzfell dem Bergmann; das blaue oder
weiße Hemde, welches über den Rock gezogen wird, dem Fuhr-
mann u. a. m. Daher kann man auch oft schon an der Klei-
dung merken, was für ein Gewerbe jemand treibt, oder zu
welchem Stande er gehört. An seiner Kleidung kann ich
den Soldaten von dem Handelsmanne, den Bedienten von
seinem Herrn, den Bauer von dem Einwohner der Stadt,
den Prediger von dem Kaufmann, den Bäkker von dem
Schornsteinfeger unterscheiden.
Die Kleidung eines Soldaten, eines Unteroffiziers und
Postillons (Postknechrs) wird die Montur genannt. Die
22 I. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Kleidung eines Bedienten nennt man die Livree, und die
Kleidung eines Offiziers die Uniform.
An seiner Montur (Kleidung) kann ich einen Kaval-
leristen (einen Soldaten, der zu Pferde dient) von einem
Infanteristen (einen Soldaten, der zu Fuße dient) un-
terscheiden.
Die Kleider dienen nicht bloß zur Beschützung und Er-
wärmung des Körpers, sondern auch zur Verschönerung
desselben. Wenn sie besonders schön und kostbar sind, so
werden sie Putz genannt. Der beste Putz ist eine reinliche
Kleidung, welche nett und ordentlich sitzt, und ein gesundes,
fröhliches Gesicht.
Ich weiß alle meine Kleidungsstükke zu nennen, und
anzugeben, welche von Wolle, welche von Leder, welche von
Baumwolle und welche von Flachs gemacht sind.
Ich weiß, wer meinen Hut gemacht hat, und wovon
er gemacht ist; wer die Leinwand zu meinen Hemden ver-
fertigt; wer das Leder zu meinen Schuhen gemacht hat.
Ich kann mit meinem Körper verschiedene Bewegun-
gen machen, welche die Thiere nicht machen können. Ich
kann nicht nur gehen, laufen, springen, sondern auch schnell
aufspringen, mich bükken, meinen Körper nach allen Seite»'
wenden, tanzen, rutschen, knieen, mich niederlegen, nieder-
setzen und aufstehen. Ich kann Andern meine Gedanken,
Wunsche, Vorstellungen und Empfindungen durch Worte zu
verstehen geben, oder sprechen; die Thiere können nicht
sprechen. Um zu sprechen, gebrauche ich folgende Werkzeuge:
die Lunge, die Luftröhre, den Gaumen, die Zunge, die
Zähne, die Lippen und die Nasenlöcher.
Ich kann sehen, denn ich habe zwei gesunde Augen.
Zch kann hören, denn ich habe zwei---------. Ich kann
schmekken, denn ich habe eine Zunge und einen Gamnen.
Ich kann riechen, denn ich habe eine Nase. An meinen»
ganzen Körper kann ich fühlen; ein besonders zartes Ge-
fühl habe ich in den Fingern.
Ich sehe den Mond, die Sonne »md die Sterne arn
Himmel; und auf der Erde sehe ich Menschen. Thiere, Bämne,
Pflanzen, Kräuter, Steine, Berge, Hiigel, Felder, Flüsse,
Seen, Teiche, Bäche, Quellen, Städte und Dörfer. In der
Luft sehe ich Vögel, Fliegen, Mükken, Schmetterlinge; in
der Erde erblikke ich Würmer; im Wasser sehe ich Fische,
Frösche, Schnekken und Würmer.
23
und des Nachdenkens.
Ich höre den Gesang der Vögel, das Rollen des Don-
ners, den Schall der Glokken, das Knallen einer Peitsche,
das Wiehern eines Pserdes, das Rieseln eines Baches, die
Töne der Musik, und den leisen Schlag einer Taschenuhr.
Ich kann in weiter Ferne das Bellen eines Hundes, das
Krähen eines Hahnes, den Schall einer Glokke und den
Knall einer Flinte oder Kanone hören.
Ich fühle, daß das Feuer brennt, und das ftische
Quellwaffer kühlt, daß die Sonnenstrahlen mich erwärmen,
daß der Stein hart, die Wolle weich, das Eis kalt, der
Spiegel glatt, und der Hut rauh ist. — Ich schmekke die
Süßigkeit des Zukkers, die Säure des Essigs und die Bitter-
keit der Mandel.
Ich rieche mit Wohlgefallen den Duft der Rose, des
Veilchens, der Hyacinthe und der Aurikel. Ich rieche mit
Mißfallen den Dust einiger Blumen, und empfinde den
üblen Geruch des frischen Mistes.
Ich erinnere mich einer Geschichte, die ich vor einiger
Zeit gehört; eines Fremden, den ich einmal gesehen; eines
Schmerzes, den ich einmal empfunden; eines Vergnügens,
das ich vor langer Zeit genossen; und dessen, was ich ge-
stern in der Schule gelernt habe. Ich kann mir vorstellen,
wie ein Schiff aussieht; denn ich habe schon oft Schiffe
gesehen. Ich kann mir vorstellen, wie mein Vater, meine
Mutter und mein Bruder aussehen, ob ich sie gleich jetzt
nicht vor mir sehe.
Ich kann mich an Alles, was ich gesehen, gehört, em-
pfunden und gefühlt habe, deutlich erinnern, oder ich kann
mir dies Alles vorstellen, ohne dazu meinen Kopf, meine
Hand, meinen Fuß, meine Augen, Ohren und Nase zu
gebrauchen. Die Kräfte, mit welchen ich mir etwas vor-
stelle, mich an etwas erinnere, über etwas nachsinne, etwas
empfinde, oder etwas will, oder etwas verlange, sind keine
Kräfte meines Leibes, sondern Kräfte meiner Seele,
oder Seelenkräfte. Meine Seele ist in mir, aber ich
kann sie nicht sehen, sondern ich kann nur an meinen Vor-
stellungen, Gedanken und Empfindungen merken, daß ich
eine Seele habe.
Hätte ich keine Seele, so könnte ich nichts begreifen, nichts
lernen, nichts verstehen: ich könnte weder rechnen, noch schrei-
ben, noch lesen; denn indem ich lese, oder rechne, muß ich zu-
gleich denken, und denken kann ick nur mit meiner Seele.
24 1. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Mit meiner Seele denke ich, indem ich rechne, an
die Zahlen, welche ich zusammenzählen oder abzählen, theilen
oder vervielfältigen soll. Mit meiner Seele denke ich an
den Menschen, von weichern der Lehrer etwas erzählt, oder
von dem ich im Lesebuche etwas lese. Mit meiner Seele
derrke ich an das Spiel, welches ich spielen will, wenn die
Schulzeit zu Ende ist. Mit meiner Seele derrke ich, indenr
ich plaudern will, an die Strafe, welche der Lehrer auf das
Plaudern gesetzt hat.
Ich könnte nichts Verständiges sagen, wenn ich keim
Seele hätte, und nicht mit meiner Seele denken könnte.
Ich spreche mit meinem Lehrer, ich antworte aus seine Fra-
gen. Diese Antworten habe ich nicht erst auswendig gelernt,
um sie dann herzusagen; ich habe über die Fragen meines
Lehrers nachgedacht, und dann habe ich geantwortet.
Ich möchte meinen Rock nicht mit dern zerlurrrpten Rokke
eines Bettlers vertauschen; denn ich habe beide mit einander
verglichen, und bemerkt, daß mein Rock nicht zerrissen und
nicht abgetragen, also besser als der Rock deS Bettlers ist.
Indem ich beide Rökke mit einander vergleiche, und dann
urtheile, daß der meinige besser ist, gebrauche ich meine Seele
oder meinen Verstand. Ich entschließe mich, meinen
alten Rock gegen einen neuen zu vertauschen, und gebrauche
dabei meinen Willen oder meine Willenskraft.
Ich habe gesehen, wie es der Bauer macht, wenn er
das Feld bauen, seinen Akker bestellen, oder ihn zur Saat
zubereiten will. Er spannt Ochsen oder Pferde vor ein kleines
Fahrzeug, welches der Pflug heißt, und vorn zwei Räder,
hinten aber ein Gestell hat, an welchem ein breites und schar-
fes Eisen befestigt ist, welches der Pflug sch aar genannt
wird. Mit diesen: Pfluge fährt der Bauer über den Akker.
Das scharfe Eisen schneidet tief in die Erde ein; ein zweites
breiteres Eisen reißt sie auf, und macht, daß das Unterste
oben kommt, indem das aufgerissene Stück Erde sich umwen-
det. Dann wird der umgepflügte Akker mit Saamen von
Roggen oder Gerste, Hafer oder Weizen bestreut; und dieser
Saame wird vermittelst eines hölzernen Werkzeugs, das die
Egge heißt, und aus mehreren zusammengesetzten Harken
besteht, unter die Erde gebracht. Indem ich dies Alles sah,
erhielt ich einen Begriff vom Akkerbau.
25
und des Nachdenkens.
Wer bis hiecher mit Aufmerksamkeit und Nachdenken
gelesen hat, wird folgende Fragen richtig beantworten
können.
Was will der Hungrige? Was will der Durstige?
Was will der Fleißige? Was will der Faule? WaS
will der Müde? WaS will der Kranke? WaS will
der Eigensinnige? Was will der Dieb?
Alles, was man essen kann, heißt? Alles, was man
sehen kann, heißt? Alles, was nicht viel kostet, heißt?
Alles, was man nicht gebrauchen kann, heißt? Alle Thiere,
welche tjp Jungen säugen, heißen? Alle Thiere, welche
fliegen können, nennt man? An jeder Hand habe ich —
An jedem Fuße habe ich — Mit meinen Händen kann ich
— Mit meinen Füßen kann ich — Mit meiner Zunge
kann ich —
Die Kinder, welche ihren Aeltern nicht gehorchen, hei-
ßen? Die Kinder, welche ihren Aeltern Freude machen,
heißen?
Was soll der Unwissende? Was soll der Kranke?
Was soll der Unartige? WaS kann der Reiche? Was
kann der Geschickte? WaS kann der Starke? Was kann
der Gesunde?
Welche Thiere kann der Mensch bei dem Alkerbau nicht
entbehren? Welches Thier niacht, daß er ruhig schlafen
kann: Welchem Thiere verdanken wir es, das wir sanft
schlafen, und ein weiches Lager haben? Welche Thiere
singen uns bei der Arbeit etwas vor? Welche ahmen die
Sprache der Menschen nach? Welche Thiere sind unent-
behrlich? Welche verwüsten unsere Gärten? Welche ver-
wüsten die Felder?
Weißt du Alles zu nennen, waS in diesem Zimmer vom
Schlosser verfertigt worden ist? Aber auch Alles, was der
Tischler verfertigt hat? Bemerkst du in diesem Zimmer auch
Dinge, welche der Drechsler gemacht bat? Weißt du mir mich
ein Ding zu nennen, welches von einem Künstler verfertigt,
und zwar in dieser Stube befindlich, aber nicht sichtbar ist?
Aber wie heißt das Ding, welches in keiner Stube fehlen
darf, ob es gleich den größten Theil des Jahres ganz un-
brauchbar ist? WaS bemerkst du in dieser Stube, und be-
sonders an deinen Kleidungöstükken, das sonst an eitlem Thiere
gesessen hat? Nenne mir die hölzernen, die eisernen und die
kupfernen Geräthschaften, welche in keiner Küche fehlen dürfen.,
26 1. Kurze Sähe zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
Nenne mir alle Theile deines Kopfes — alle deine Be-
dürfnisse — Alles, was du in der Schule gebrauchst —
alle die Thiere, deren Fleisch du gegessen hast. — Jetzt
nenne mir einige wilde vierfußige Thiere, und nun einige
Vögel. Ich weiß einige Fluß- und einige Seefische, einige
Gewürze und einige Erd arten zu nennen, auch einige
Edelsteine. Jetzt kenne ich die wilden Thiere, deren
Fleisch gegessen wird, und diejenigen, deren Pelz kostbar
ist. — Weißt du auch einige Thiere zu nennen, welche
unter der Erde wohnen?
Nenne mir einige Dinge, welche von Natur eine grüne
Farbe haben, und einige, welche von Natur schwarz
sind. Jetzt einige, welche sehr leicht sind — aber auch
einige, welche sehr schwer sind. Nenne mir den zehnten
Buchstaben des Alphabets, den sechsten Monat im Jahre,
die Wintermonate, einen Frühlingsmonat und einen Herbst-
monat. Nun auch den Monat, in welchem du geboren bist.
Nenne mir einige Dinge, welche im Wasser größer uno wei-
cher werden —; einige, welche im Wasser schmelzen, und
einige, welche auf dem Wasser schwimmen. — Nenne mir
etwas sehr Süßes, etwas sehr Saures und etwas Bitteres.
Wie heißen die Theile eines Holzwagens, eines Spinn-
rades, eineö Messers, einer Feder, eines Fensters und einer
Thür? Nenne mir einige Fehler, welche Kindern eigen sind,
und die Tugenden eines guten Schülers.
Im Herbste ist die Luft — im Sommer ist sie — Im
Herbste werden die Früchte — Im Frühling bekommen die
Bäume — Im Winter wird das Wasser zu — Wer im
Winter nicht frieren will, muß —
Wer nicht arbeiten mag, sondern lieber müßig geht,
heißt ein — Mensch. Wer in der Schule nicht fleißig und
aufmerksam ist, kann nichts — und bleibt —
Wenn im Winter viel Schnee gefallen ist, so fährt
man in — Auf dem Wasser fährt man in — oder —
Im Wasser leben die — In der Luft leben die — In
der Erde wohnen die — Im Sumpfe leben die —
Alle Bäume, welche eßbare Früchte tragen, heißen —
Ein Garten, in welchem solche Bäume in Menge wachsen,
heißt — Die Birke trägt keine —, aber ihr Holz ist sehr —
Die Eichen und die Roßkastanien tragen zwar Früchte, aber
sie sind nicht — Die Bäume, welche uns Brennholz und
Bauholz geben, sind folgende: — Große abgehauene Bäume
27
und des Nachdenkens.
sägt man von einander, um — daraus zu machen. Die
Bretter gebraucht der —
Die Fevern gebraucht man zum — die Pinsel zum —
die Schiefertafeln zum — die Nadeln zum — die Füße zum
— die Augen zum — die Ohren zum — die Nase zum —
die Zunge zum — und zum — die Füße zum — und —
die Hände zum — die Zähne zum — das Wasser zum —
und — daö Netz braucht der — zum — die Flinte braucht
der — wobei?
Wer nicht hören kann, den nennt man? Wer nicht sehen
kann, den nennt man? Wer nicht reden kann, ist — Wer
nicht gehen kann, heißt — Wer über solche unglückliche Men-
schen spotten und lachen kann, der verdient —
Sehr gern höre ich den schönen Gesang einer — und
einer — Aber das häßliche Geschrei des — mag ich nicht
gern hören. Der Sperling kann nicht — Der Hahn kann
nur — Die meisten Thiere geben irgend einen Laut von
sich, wenn sie böse, oder hungrig, oder fröhlich sind. Das
Schwein — der Hund — das Schaf — das Pferd —
der Ochs — die Maus — das Huhn —
Welche Handwerker beschäffügen sich mit der Verarbei-
tung des Holzes? Welche verarbeiten die Wolle, und welche
den Flachs? — Wessen Beruf ist es, in der Nacht zu
wachen, damit die übrigen Menschen ruhig und sicher schla-
fen können? Welche Menschen müssen mitten in der Nacht
arbeiten, damit ihre Mitbürger am Morgen essen können?
Welche Menschen können sich bei ihren Berufsgeschäfften
nicht rein halten? Und welche müssen bei ihrem Gewerbe
viel Gestank aussieben?
Nenne mir einige Handwerker, welche nur solche Dinge
verfertigen, die entweder zur Bequemlichkeit, oder zum Ver-
gnügen, oder zur Pracht dienen. Nenne mir die Künstler,
welche durch ihre Kunstwerke unser Auge ergötzen. Nenne
mir die Kunst, welche uns bequeme und schöne Wohnungen
verschafft.
Welche Menschen müssen knieend arbeiten? Welche
müssen bei ihrer Arbeit klettern? Welche müssen kriechen
und rutschen? Welche müssen unter der Erde arbeiten?
Welche im Wasser und auf dem Wasser? Welche in den
Wäldern? Welche müssen beständig gehen, um ihr Brot
zu verdienen? Welche müssen mit den Händen und Füßen
zugleich arbeiten? Welche müssen viel Hitze bei ihrer Ar-
28 I. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
beit ausstehen? Welche viel Kälte? Welcher Menschen De-
nis erfordert eS, fast immer auf Reisen zu sein? Welche
müssen beständig Blut vergießen? Von welchen Handlver-
kern könnte man sagen, sie leben vom Winde?
Was nicht geschehen kann, ist unmöglich. Es ist un-
möglich, daß ein Schiller etwas lerne, wenn er nicht auf-
merksam und steißig ist. Es ist unmöglich, daß derjenige
gesund bleibe, welcher unmäßig isst und trinkt. Es ist un-
möglich, daß du todter Mensch lebendig wieder erscheine,
und daß ein tauber Mensch sich an schöner Musik ergötze.
Was ist einem Blinden unmöglich? Was ist einem Kiilde
von sechs Monaten unmöglich? Was einem Kranken?
Was sein und geschehen soll oder muß, ist nothwen-
dig. Es ist also nothwendig, daß der Mensch gesunde Nah-
rungsmittel genieße (warum?). Es ist nothwendig, daß der
müde Arbeiter sich ausruhe und schlafe (warum?). Es ist
nothwendig, daß der Kranke Arznei nehme und sich ruhig
verhalte (waruin?). Ist es nothwendig, daß ein jedes Haus
eine Thür und ein Dach habe? Warum? Alle Menschen
müssen sterben; warum? Alle Blumen müssen vergehen;
wärmn? Alle Kinder müssen lernen; warum? Muß man
Alles nachahmen, was Andere thun? Warum nicht? — Ist
es nothwendig, daß alle Tische roth angestrichen sind, und daß
alle Wagen vier Räder haben? Würde der Tisch kein Tisch,
und der Wagen kein Wagen sein, wenn der Tisch weiß ange-
strichen wäre, und der Wagen zwei Räder hätte? Wie aber,
wenn der Tisch keilte Füße, und der Wagen keine Räder hätte?
Müssen die Pferde vor den Wagen gespannt werden, um
den Wagen fortzuziehen, oder können sie eben so gut auch hin-
ter den Wagen gespannt werden? Muß der Hund mit Fleisch
und das Pferd mit Gras und Hafer gefüttert werden, oder
könnte eö auch umgekehrt sein?
Alles, waS an einem Dinge sein und auch nicht sein kann,
ohne daß das Ding aufhört, dieses Ding zu sein, nennt man
zufällig, oder auch Beschaffenheit des Dinges. Würde
der Tisch kein Tisch mehr sein, wenn er, anstatt vierekkig zu
sein, rmld wäre, oder wenn er, statt eines Kastens, zwei
Kasten hätte, oder wenn er nicht blau, sondern roth ange-
strichen, oder wenn er gar nicht angestrichen wäre? Daß
also ein Tisch vierekkig ist, einen Kasten hat, und blau an-
29
unv des Nachdenkens.
gestrichen ist, dies sind lauter zufällige Eigenschaften deS
Tischeö. Daß er Füße und eine Platte habe, sind noth-
wendige Eigenschaften. Warum?
Daß vor einem Hause des Abends ein Hund heult, und
daß in diesem Hause bald nachher ein Mensch stirbt, ist et-
was Zufälliges; denn der Hund hätte auch heulen, und
cs hätte kein Mensch sterben können. Daß einer, der in die
Lotterie gesetzt hat, etwas gewinnt, ist zufällig; er hätte auch
einsetzen und nichts gewinnen können.
Es geht ein Mann mit einer Angel an das Ufer ei-
nes Flusses. Er hält die Angel ins Wasser, und wendet
kein Auge davon. Thut er das alles ohne Ursache? Nein,
sondern er will dadurch etwas erlangen, er will einen Fisch
fangen, dies ist die Absicht seiner Handlung. Es geht
ein Anderer an den Fluß, zieht alle seine Kleidungsstükke
aus, und geht nakkend in das Wasser hinein. Hat dieser
auch eine Absicht? Und welche?
Meine Aeltern schikken mich in die Schule. Sie haben
dabei die Absicht, daß ich — Christian ging aufs Eis, fiel,
und zerbrach sich den Arm. War Christian auf das Eis
gegangen, um seinen Arm zu zerbrechen? Dies war also
nicht seine Absicht. Hatte er gar keine Absicht? Welche?
Ein Mann gräbt ein tiefes Loch, setzt einen hohen und star-
ken Pfahl hinein, schüttet das Loch wieder zu, und stampft
die Erde mit den Füßen fest. Dann nimmt er noch einen
eben so großen Pfahl, und gräbt ihn nicht weit von dem ersten
ein. An diesen beiden Pfählen nagel-t er starke Bretter fest.
Was will er durch dies Alles zu Stande bringen? Es ist
also seine Absicht, einen — zu machen. Aber warum will
er ihn machen? Hat er dabei auch eine Absicht? Welche?
Karl wollte gern eine reife Birne von einem hohen
Baume herunter haben. Er schüttelte den Baum, aber die
Birne siel nicht herunter. Jetzt versuchte er es, den Baum
zu erklettern, aber auch dies gelang ihm nicht. Nun holte
er eine lange Stange herbei, und schlug damit so lange an
den Zweig, woran die Birne saß, bis sie herunter fiel. Karl
suchte also aus dreierlei Art seine Absicht zu erreichen. Dasje-
nige, wodurch inan seine Absicht zu erreichen sucht, nennt man
ein Mittel. Wie vielerlei Mittel hatte Karl angewandt
um seine Absicht zu erreichen? Wie waren die beiden ersien
Mittel? Wie war das dritte?
Welche Absicht hat der Kranke, wenn er Arzner
30 i. Kurze Sätze zur Erwekkung der Aufmerksamkeit
nimmt? Wofür hält er also die Arznei? Welche Absicht hat
der Lehrer, wenn er den nachlässigen Schüler bestraft? WaS
soll die Strafe sein? Welche Absicht hat der, welcher sich
im Schreiben übt? Wofür hält er also die Uebung?
Welches ist das beste Mittel, um satt, um fröhlich,
um verständig zu werden? Welches ist das beste Mittel,
um sich vor Krankheit, vor langer Weile, vor Strafe und
Verdruß zu schützen? Welches ist das Mittel, um etwaö
zu finden, um von Anden: etwas zu erlangen, um sich vor
Unglückssällen zu bewahren, um sich zu erwärmen, um seine
Kleider lange zu erhalten, um sich Eßlust zu verschaffen, um
nach einen: entfernten Orte zu kommen, um die Länge eines
Tisches zu erfahren, um sich bei Andern beliebt zu machen,
um ein Schiff in Bewegung zu setzen? — Welche Mittel
wendet der Bauer an, um seinen Akker zur Saat zuzuberei-
ten? Welches Mittels bedient man sich, um ein Pferd zu
regieren, um eine große Last in die Höl)e zu heben, um die
Schwere einer Sache zu erfahren, um einem Entfernten eine
Nachricht zu geben?
Fritz sollte seinem Vater ein Messer aus d?r Küche ho-
len, als es schon finster war. Nimm ein Licht mit, sagte
der Vater. Aber Fritz meinte, er könne das Messer auch im
Finstern finden, und lief ohne Licht fort. Es dauerte kaum ei-
nen Augenblick, so horte ihn der Vater fallen. Schnell kam er
mit dem Lichte herbei gelaufen. Wtz war im Finstern über
ein Stück Holz gefallen, das im Wege lag, und hatte sich
das Gesicht am Heerde zerschlagen. Er musste den ganzen
Abend viel Schmerzen leiden. Woher kan: es, daß Fritz
einen so schlimmen Fall that? Nicht wahr, daher, weil er
dem Rathe seines Vaters nicht folgen wollte, oder weil er
eigensinnig war? Dasjenige, woraus etwas entsteht, nennen
nur die U.rfache, und dasjenige, was aus der llrsachc ent-
steht, nennen wir die Wirkung. Welches war nun hier
die Ursache? Und welches war die Wirkung?
Karl wurde von seinen Aeltern zu einer Tante geschickt,
um etwas zu bestellen. Die Taute gab ihm ein großes
Stück Kuchen, und einige Aepfel; und Karl aß auf dem
kurzen Wege nach Hause das ganze Stück Kuchen nebst
den Aevseln auf. Am folgenden Tage hatte er heftige Leib-
und des Nachdenkens.
31
schmerzen. Was war die Ursache seiner Krankheit, oder wo-
von war die Krankheit eine Wirkung?
Gottlieb hatte schöne Blumen, aber an einem heißen
Tage hatte er vergessen, sie zu begießen, da wurden die
Blumen welk, und neigten sich zur Erde. Was war die
Ursache, daß die Blumen welk wurden? Gottlieb nahm
nun frisches Wasser und begoß die welken Blumen. Sehr
bald zeigten sich die guten Wirkungen des Begießens: die
Blumen richteten sich wieder auf, und waren nach einigen
Tagen so frisch, wie zuvor.
Der Arbeiter ist müde und hungrig. Was ist die Ur-
sache hiervon? Die Müdigkeit und der Hunger sind also
Wirkungen; wovon? Des Morgens vergeht die Dunkel-
heit, und es wird hell. Welches ist die Ursache hiervon?
Sage mir die Wirkungen des Schlages und des Essenö,
die Wirkungen des Fleißes, der Faulheit, der Kälte, der
Hitze, des Müssiggangs, des Branntweins, des kalten Was-
sers und des Feuers. Gieb mir die Ursache an von einem
Schalle, einem Schusse und einem Getöse.
Eine Wirkung kann auch zu einer Ursache werden.
Du gehst durch einen Wald. Auf ein Mal geschieht in dei-
ner Nähe ein Schuß. Der heftige Knall ist die Wirkung
des Schusses, aber er wird auch zugleich die Ursache, daß
du dich erschrickst, und daß ein Hase todt niederfällt. Ist
die Ursache eher da, oder die Wirkung?
Das Wort Ursache bedeutet aber nicht immer das-
jenige, woraus etwas entsteht, oder woher etwas kommt,
sondern oft auch: warum etwas so ist, wie es ist, oder
warum etwas geschieht.
Karl ging mit seinem Vater über ein Feld, und sahe,
daß eine Menge Krähen einem Bauer, welcher pflügte, auf
dem Fuße nachfolgten. Warum mögen die Thiere das thun?
fragte Karl. Der Vater sagte ihm, daß die Krähen sich
von den Würmern nähren, welche in der Erde liegen, und
besonders von den Engerlingen, woraus die Maikäfer ent-
stehen. Indem der Pflug die Erde aufreißt, kommen die
Würmer hervor, und dämm gehen die Krähen beständig
hinter den, Psitige her. Nun wunderte sich Karl nicht mehr
über das, was er sahe, denn er wusste nun die Ursache da-
von, oder den Grund. Ich weiß die Ursache, weswegen
die Schwalbe ihr Nest unter dem Dache baut; wamm der
Reiher in der Näbe eines Teiches oder Sees nistet: wamm
32
H. Erzählungen
man die Hühner auf dem Hofe, und nickt im Garten hat;
warum jede Schreibfeder eine Spalte, und jedes Wohnhaus
einen Sckornftein haben muß; und warum ich jetzt nicht
schlafen möchte.
II.
Erzählungen zur Beförderung guter Gesinnun-
gen und zur Schärfung des Verstandes.
I. Die ungezogenen Kinder.
88enn Franz und Christian aus der Schule kamen, so
sahe man sie nie still und ordentlich nach Hanse gehen, son-
dern immer stürzten sie mit lautem Geschrei ans dem Schul-
hause heraus, wenn sie merkten, daß der Lehrer ihnen nicht
nachsähe. Kaum waren sie auf die Straße gekommen, so
tagten sie sich wild herum, und warfen einander mit Erd-
klößen, oder wohl gar mit Steinen. Hatte es geregnet, so
gingen sie nicht, wo es troffen war, sondern sie wateten
mitten durch die Pfützen hindurch, und besprützten einander
mit dem schmutzigen Wasser. Wenn sie ein Huhn oder eine
Ente, oder ein anderes Thier auf ihrem Wege antrafen, so
jagten sie es vor sich her, warfen eö mit Steinen, und hat-
ten eine boshafte Freude daran, das arme Thier, so viel sie
konnten, zu ängstigen. Als sie sich eines Tages auch so
ungezogen auf der Straße betrugen, kam ein alter Mann
gegangen, und verwies ihnen ihre Ungezogenheit. Ihr solltet
euch schämen, sagte er; denn es schickt sich nicht für Kinder,
welche auö der Schule kommen, wo sie so viel Gutes gehört
haben, wild und ungezogen zu sein. Aber die bösen Knaben
hörten kaum, was der alte Mann sagte, und liefen lachend
und tobend fort. Die Aufführung dieser Knaben mißfiel also
dem alten Manne sehr. Konnte sic wohl irgend einem ver-
ständigen Menschen gefallen? Waö verständigen Men-
schen mißfällt, das ist unanständig.
Ich will mich immer so betragen, daß verständige Men-
schen mein Betragen mit Wohlgefallen bemerken können.
2. Die
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 33
2. Die Versuchung.
Ernst und August gingen eines Tages vor das Thor
und kamen vor einem Garten vorbei, welcher offen stand
Sic gingen aus Neugierde hinein, und fanden einige Pflau«
menbäume, welche so voll von reifen Früchten hingen, daß
man sie hatte stützen müssen. Sieh, August, sagte Ernst,
hier können wir uns recht satt essen; es ist kein Mensch in
dem Garten zu sehen; laß uns geschwind einen Zweig ab-
brechen, und damit sortlaufen. Nein, antwortete August, daö
dürfen wir nicht thun, denn die Pflaumen gehören uns ja nicht.
Ei, was schadet das! rief Ernst; der Mann, dem sie gehören,
kann eS doch unmöglich merken, daß wir ein Paar genom-
men haben, er hat so viele, daß man sie nicht zählen kann.
Aber es ist doch Unrecht, wenn wir es thun. erwiederte Au-
gust, denn man soll Nichts heimlich wegnehmen, was Andern
gehört, wenn es gleich nur eine Kleinigkeit ist. Weißt du
nicht mehr, was der Vater neulich sagte, als er uns die
Geschichte von km Diebe erzählte, welcher in Ketten ver
unserm Hause vorbei geführt wurde? Nun, was sagte denn
der Vater? fragte Ernst. Er sagte: bei dem Kleinen
fängt man an, und bei dem Großen hört mau aus.
Ernst wurde nachdenkend, und sagte endlich: Du hast Recht,
lieber August; wir wollen weiter gehen.
Ernst war in großer Versuchung gewesen, etwas Un-
rechtes zu thun, indem er die Begierde fühlte, Pflaumen zu
essen, welche ihm nicht gehörten. Wie gut war eS, daß ihn
August warnte.
3. Die üble Gewohnheit.
(§o lange Franz in dem Haufe seiner Aeltern war, ging er
alle Tage, so bald es dunkel wurde, zu Bette, oder er schlief
sitzend ein, und mit großer Mühe musste man ihn dann er-
muntern; oft musste ihn die Mutter sogar wie ein kleines
Kind ausziehen und zu Bette bringen, weil er sich gar nicht
ermuntern konnte. Dennoch schlief er so lange, bis eö Tag
wurde, und im Sommer sah man ihn sogar bei hellem Son-
nenschein im Belte liegen. Die Mutter ermahnte ihn oft, sich
diese Trägheit abzugewöhnen, weil er es künftig nicht immer
würde so treiben können; sie gab ihm den Rath, des Abends
in der Stube umher zu gehen, so bald er merkte, daß ihm der
Schlaf ankäme, unb des Morgens rasch aufzustehen, so bald
3
34
!!. Erzählungen
er geweckt würde, oder von selbst erwachte. Aber Franz be-
folgte diese Ermahnungen nur sehr wenig, und blieb bei seiner
üblen Gewohnheit. In seinem vierzehnten Jahre kam er zu
einem Bäkkcr Ln die Lehre. Dieser verlangte von ihm, daß er
des Abends bis gegen lO Uhr wachen, und allerlei Geschaffte
besorgen, auch im Sommer und Winter früh um 5 Uhr wieder
aufsteheri sollte. Aber dies war dem verwöhnten Franz un-
möglich. Da er nun nicht mehr früh zu Bette gehen durste,
so schlief er beständig bei der Arbeit, ja zuweilen sogar ste-
hend ein. Einige Male fiel er um, und zerschlug sich den Kops.
Sein Lehrherr bestrafte ihn oft wegen seiner Trägheit, aber es
hals nichts. Franz konnte sich das viele Schlafen nicht abge-
wöhnen. Nach Verlaus eines Monats schickte ihn sein Le^r-
herr wieder nach Hause, mit der Versicherung, daß er ihn un-
möglich behalten könne, weil er gänzlich unbrauchbar sei.
Franz wurde auch niemals ein thätiger und ganz brauchbarer
Arbeiter. So schwer ist cs, eine üble Gewohnheit abzulegen.
4. Die kleinen Diebe.
Clausens Kinder hatten bemerkt, daß in dem Garten des
Nachbars Ehrmann zwei Birnbäume standen, welche herrliche
Früchte trugen. Sie kamen auf den Gedanken, über den
Zaun zu steigen, und sich einige Birnen zu holen. Was war
das für ein Gedanke? Der Nachbar merkte endlich, daß er
bestohlen wurde, und versteckte sich eines Tages, als es dunkel
wurde, im Garten, um den Dieb zu ertappen. Es dauerte
auch nichKlange, so sah er Klausens Kinder über den Zaun
steigen. Scheu und ängstlich sahen sie sich um, und als üe
keinen Menschen im Garten erblickten, liefen sie eilig nack
den Birnbäumen hin. Eben wollten sie mit ihrer Beute da-
von gehen, als der Herr des Gartens hervorkam, und ihnen
in den Weg trat. Wie beschänrt und erschrokken standen nun
die kleinen Diebe da; wie flehend baten sie Ehrmann, daß er
ihnen doch die schlechte Handlung vergeben, und sie nicht bei
ihrem Vater verklagen möchte! Ehrmann ließ sich erbitten,
weil sie ihm versprachen, daß sie nimmermehr wieder Etwas
wegnehmen wollten. Aber die bösen Kinder hielten nicht
Wort, denn nach einigen Wochen fand Ehrinann eines Mor-
gens alle seine reifen Weintrauben abgerissen. Nun ging er
zu seinem Nachbar, und bat ihn, seine Kinder wegen ihrer wie-
derholten Dieberei zu strafen. Aber diese leugneten hart-
näckig, daß sie Obst gestohlen hätten, und der Vater glaubte
35
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
rhnen. Ehrmann ging seufzend fort, und sagte beim Weggehen:
Kinder, euch wird eS ein Mal in der Welt nicht wohlgehen,
denkt an mich! Diese Vorhersagung ging auch wirklich in Er-
füllung. Die kleinen Diebe blieben bei ihrer schändlichen Ge-
sinnung, wurden Betrüger, und nahmen ein trauriges Ende.
5. Der Tagedieb.
Ti eg mund war der Sohn wohlhabender Aeltem, und
daher konnte er manches Vergnügen haben, welches andere
Kinder entbehren müssen. Seine Aeltem gingen oft mit ihm
spazieren, und kehrten dann immer irgendwo ein, um allerlei
Erfrischungen zu genießen. Gab es in der Stadt etwas Neues
zu sehen, z. B. fremde Thiere oder eine Komödie, oder waren
Musikanten im Gafthose angekommen: so gingen sie gewöhn-
lich mit Siegmund hin, um ihm ein Vergnügen zu machen; sie
hofften, er wurde dann auch desto mehr daraus bedacht sein,
durch Fleiß und Aufmerksamkeit in der Schule diese ihre Güte
zu verdienen. Aber diese Hoffnung erfüllte der leichtsinnige
Siegmund nicht. Er bekam einen übermäßigen Hang zum
Vergnügen, und suchte sich beständig von der Arbeit wcgzu-
schleichen. Mit Widerwillen ging er in die Schule, und machte
daher gewöhnlich große Umwege, wenn er dahin gehen musste:
ja er kam sogar zuweilen gar nicht in die Schule, sondern
spielte während der Schulzeit vor dem Thore mit andern
Knaben, welche ihm ähnlich waren. Seine Aeltem erfuhren
dies zwar, aber Siegmund wusste dann immer allerlei Ent-
schuldigungen vorzubringen, versprach auch beständig, sich zu
bessern. Die Arbeiten, welche er zu Hause machen sollte, machte
er entweder gar nicht, oder so flüchtig, daß der Lehrer unmög-
lich damit zufrieden sein konnte. Nichts war ihm angenehmer,
als Spielen und Spazierengehen, und man sahe ihn halbe Tage
auf dem Felde umher laufen, stundenlang zusehen, wenn die
Soldaten erercirten; und wenn eS in der Stadt Etwas zu sehen
gab, so fehlte Siegmund nie. Sein Lehrer nannte ihn oft einen
Tagedieb, weil er die Zeit leichtsinnig verschleuderte, und so oft
die Stunden, welche der Arbeit und dem Lernen bestimmt wa-
ren, zu seinem Vergnügen mißbrauchte; denn dadurch raubte er
nch ja selbst die kostbarste Zeit zum Lernen, welche nie wieder-
kommt. Siegmund nahm nur an Alter und an körperlicher
Stärke, aber nicht an Kenntnissen und Geschicklichkeiten zu:
und die Vorhersagung seines redlicher: Lehrers, daß er nie ein
brauchbarer Mensch werden würde, ging genau in Erfüllmtg.
36
II. Erzählungen
C. Der kleine Verschwender.
§8ater Erich hielt seine Kinder früh dazu an, daß sic
durch Arbeit Etwas erwerben mussten. Seine Töchter nähe-
ren und strickten auch außer den Schulstunden, und er kaufte
ihnen daun zuweilen ihre kleinen Arbeiten ab. Seine Söhne
drechselten, oder machten allerlei Papparbeiten. Auch diese
kaufte ihnen Erich ab, wenn sie sauber und nett gemacht wa-
ren. Diese Kinder hatten also immer Geld in Händen, welches
sie tlach ihrem Willen verwendet! konnten; aber der Vater
ermahnte sie oft, es nützlich anzuwenden, und damit sparsam
umzugehen. Marie und Karl, die beiden jüngern Kinder
Erichs, befolgten auch diese Ermahnungen, und kauften sich
für ihr gesammeltes Geld allerlei Dinge, welche sie nöthig
hatten; z. B. Papier, Federn, Bleistifte, Messer und Scheeren.
Wie groß war immer ihre Freude, wenn sie einige Groschen
durch ihre Arbeit erworben hatten, und wie lieb war ihnen
Alles, was sie für ihr eigenes Geld gekauft hatten! Aber
Gustav, Erichs ältester Sohn, ging nicht so haushälterisch
mit seinem Gelde um. Alles, was er sah, und was ihm auf
den ersten Anblick gefiel, wollte er haben, und daher kaufte er
oft ganz unnütze Dinge, oder auch solche, die er jetzt gerade nick/
bedurfte. Er hatte z. B. ein recht gutes Messer; aber nun
sah er eins, welches eine schönere Schaale hatte, oder ein
wenig größer war; gleich kaufte er es, und gab dann, was die
Leute forderten, daher er immer viel zu theuer einkaufte. Wenn
er hinterher etwas Nothwendiges zu kaufen hatte, so fehlte es
ihm au Geld, und er wollte daun von seinen Geschwistern Et-
was borgen; aber das hatte der Vater streng verboten. Nun
bat er den Vater oder die Mutter, daß sic ihm noch Etwas schen-
ken möchten, aber er bekam dann iminer zur Antwort: lerne mit
deinem Gelde sparsam umgehen, kaufe nichts Unnützes und
nichts Unnöthiges, so wird es dir nie an dem Nöthigen fehlen.
7. Das wohlthätige Kind.
Äor einigen Jahren brannte nahe bei der Stadt B. ein
ganzes Dorf ab, indem bei einem heftigen Sturme das Feuer
mit unbeschreiblicher Schnelligkeit ein Haus nach dem andern
ergriff, che die Nachbarn zur Rettung herbeieilen konnten.
Einige achtzig Menschen, und darunter schwache, gebrechliche
Greise und Matronen, unmündige Kinder und arme Tage-
löhner, verloren in einer einzigen Stunde ihre Wohnungen, ihre
37
zur Beförderung gurer Gesinnungen rc.
Kleidung und alle ihre Habseligkeiten. Gott, was war daö für
ein Jammer, diese Unglücklichen mit ihren armen, zum Theil
kranken Kindern, von Kälte erstarrt (denn es war spät im
Herbst), seufzend und weinend in der Irre herumlaufen, und
ängstlich ein Obdach suchen zu sehen! Der rechtschaffene Predi-
ger dieses unglücklichen Dorfes, der selbst AlleS verloren hatte,
war nicht so sehr auf seine eigene Rettung bedacht, als viel-
mehr darauf, wie er den Unglücklichen, die um ihn her jammer-
ten, schnelle Hülfe verschaffen könnte. Er ging daher auf den
benachbarten Dörfern umher, und suchte die Abgebrannten bei
mitleidigen Leuten unterzubringen) er sammelte in der Nähe
und in der Ferne Geld, Nahrungsmittel und Kleidungsstükke
ein, und ließ eine rührende Erzählung von dem schrecklichen
Brande in deir Zeitungen abdrukken. Seine Bemühungen
waren auch nicht vergebens. Von allen Seiten lamm ihm an-
sehnliche Beiträge an Gew und Lebensrnitteln zu, und der
redliche Mann theilte Alles mit eben so großer Frerrde, als
Gewissenhaftigkeit und Vorsicht unter die Abgebrannten aus.
Unter andern kam auch ein Knabe auS einem benachbarten
Dorfe ui ihm. Schüchtern trat er in die Stube, und sagte:
ich hatte wohl eine große Bitte an Sie. lieber Herr Prediger,
wenn Sie es nicht übel nehmen wollen. Sage mir nur, ant-
wortete dieser freundlich, womit ich dir helfen kann, ich null
es recht gern thun. Ach nein, helfen sollen Sie mir nicht,
erwiederte der Knabe; ich bitte nur, daß Sie dieses Geld und
diesen alten Rock für die armen Abgebrannten annehmen wol-
len; es ist freilich nur sehr wenig, aber ich habe nicht mehr, und
ich möchte doch so gern für unsere verunglückten Nachbarn etwas
thun, denn sie jammern mich sehr. Meine Schwester meinte
zwar, mit einer solchen Kleinigkeit dürste ich nicht kommen, die
könnte ja doch nur wenig oder gar nichts helfen, aber ich
konnte eö doch nicht lassen, hierher zu gehen und es Ihnen an-
zubieten. — Du hast ganz recht gethan, liebes Kind, sagte der
Prediger, und Thränen der Rührung standen ihm dabei in
den Augen. Eine jede Gabe, die aus gutem Herzen gegeben
wird, hat ihren Werth, und also auch die deinige. Blekbe
immer bei dieser guten Gesinnung, und sei redlich bemüht,
das Gute nach deinen Kräften zu befördern, so wirst du
stets ein fröhliches Herz haben, und Gott wird eö dir wohl
gehen lassen. Luk. 21, V. 1 — 4.
38
II. Erzählungen
i
8. Das ordentliche und reinliche Kind.
Älbert hatte arme, aber sehr rechtschaffene und verständige
Aeltern. Sie wohnten in einem engen Stübchen, aber den-
noch sah es immer ordentlich und reinlich in ihrer Wohnung
aus; denn Albertö Mutter konnte es nicht leiden, daß die
Sachen umher lagen, oder daß der Fußboden voll Staub und
Schmuz war. Des Morgens war es ihr erstes Geschäft, die
ganze kleine Wohnung zu reinigen, die Betten zu machen, und
frische Luft in die Stube zu bringen. Wie hätte wohl Albert
ein unordentlicher Mensch werden können, da seine Mutter ihm
ein so gutes Beispiel gab! Man sah auch an ihm recht deut-
lich, wie gut es ist, wenn Kinder sich früh an Ordnung und
Reinlichkeit gewöhnen. Albert hätte sich nimmermehr ent-
schlossen, mit herumhängenden Haaren oder schmuzigen Hän-
den, wie manche unordentliche Kinder, in die Schule zu gehen;
es wäre ihm nicht möglich gewesen, Tagelang den Schmuz
an seinen Stiefeln sitzen zu lassen, oder die mit Tinte be-
steckteil Hände an feinen Kleidungöstükken abzuwischen, wie
es so viele unreinliche Kinder thun. Nie sah man ihn anders,
als mit ausgekämmten Haaren und gewaschenen Händen ir
die Schule gehen; sein Rock war immer sorgsälng ausge>
bürstet, seine Stiefeln waren gesäubert, und in seinen Schul-
büchern war kein Fleck und kein Ohr zu finden. Seinen
Hut warf er nie unter den Tisch, und mit der Tinte ging
er immer sehr behutsam um; auch fehlte es ihm nie an einem
Taschentuche. Der reinliche und ordentliche Albert war die
Freude seiner Aeltern und seiner Lehrer.
9. Der Lügner.
Heinrich wurde von seinen Aeltern nach dem Posthause ge-
schickt, um einen Brief abzugeben, an welchem sehr viel ge-
legen war. Auf dem Wege begegnete ihm Franz mit eini-
gen andern Knaben. Franz war ein zänkischer Knabe, und
besonders war er mit Heinrich beständig im Streit, weil
dieser eine heftige Gemüthsart hatte, und also leicht gereizt
war. Auch dies Mal gericthen sie mit einander in Streit, weil
keiner dem andern aus dem Wege gehen wollte. In der Hitze
des Streits ließ Heinrich den Brief fallen, trat darauf, und
beschmuzte ihn dabei so sehr, daß die Aufschrift nicht mehr
zu lesen, und das Papier durchlöchert war. Was sollte er nun
anfangeil? Wenn er zu Hause kam, und Alles gestand, was
39
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
vorgefallen war, so hatte er die härteste Strafe zu erwarten,
denn sein Vater war sehr strenge, und hatte ihm dies Mal
ausdrücklich gesagt: bestelle ja den Brief recht ordentlich, denn
eö ist mir sehr viel daran gelegen. Heinrich kam endlich aus
den schlimmen Gedanken,, sich durch eine Lüge aus der Noth
zu helfen. Er versicherte also dem Vater auf dessen Frage
mit großer Dreistigkeit, daß er den Brief richtig bestellt habe;
doch schlug ihm das Herz bei dieser Lüge. Als nach zehn
Tagen keine Antwort auf den Brief kam, ging Heinrichs
Vater selbst nach dem Posthause, um sich zu erkundigen, ob
auch der Brief wirklich abgegangen wäre. Wie erstaunte und
erschrak er, als man ihm auS den Büchern zeigte, daß sein
Brief gar nicht abgegeben worden sei. Heinrich sollte nun
gestehen, was er mit dem Briefe angefangen habe. Lange
leugnete er hartnäkkig, daß er ihn nicht abgegeben habe; aber
alö ihm fein Vater versprach, daß er ihm Alles vergeben
wolle, wenn er gestände, was aus dein Briese geworden sei,
so gestand er endlich AllcS. Aber wie sehr musste Heinrich
seine Lüge bereuen, als er hörte, daß er seinem Vater durch
ein früheres aufrichtiges Geständnis; einen großen Verlust,
sich selbst große Angst und Beschämung erspart hätte, und
daß sich dann noch Alles hätte wieder gut machen lassen.
Er nahm sich fest vor, nie wieder zu lügen, und lieber eine
verdiente Strafe zu leiden, als die Unwahrheit zu sagen.
Aber cS dauerte lange, ehe er seines Vaterö Zutrauen wie-
der gewinnen konnte, und dicS that ihm sehr wehe.
10. Wer sich muchwillig in Gefahr begiebt, kommt
darin um.
Christian K aß mann war der Sohn armer Aeltern.
Seine Mutter starb, als er erst drei Jahre alt war. Sein
Vater war den ganzen Tag außer dem Hause aus Arbeit,
und konnte sich daher wenig um den Knaben bekümmern. Er
würde also ganz ohne Aufsicht geblieben, und gänzlich ver-
wildert sein, wenn nicht ein gutgesinnter Nachbar, der sich
im Wohlstände befand, den neuntem und wohlgebildeten
Knaben an Kindes Statt angenommen und erzogen hätte.
Aber Christian machte seinen Pflegeältern wenig Freude, denn
er war wild, ungehorsam und faul. Ost warnten und straften
sie ihn, aber er besserte sich immer nur auf furje Zeit. Be-
sonders machte ihnen seine Verwegenheit oft Besorgniß und
Schreck. Kein Baum war ihm zu hoch, er kletterte hinaus
40
II. Erzählungen
fein Sprung war so gefährlich, den Christian nicht gewagt
hätte, um sich vor andern Knaben etwas sehen zu lassen.
Seine Verwegenheit brachte ihm endlich den Tod. Höret die
schreckliche Begebenheit, und nehmt euch vor, daß sie euch zur
Warnung dienen soll. Eines Tages spielte Christian mit ei-
nigen andern Knaben. Mit der größten Wildheit liefen sie die
hohe und steile Treppe des Hauses hinauf und hinunter. End-
lich kam Christian auf den unglücklichen Einfall, heute wieder
etwas zu versuchen, was er schon einige Mal versucht hatte,
nämlich sich mit dem halben Leibe über das Geländer der
Treppe zu hängen, und so von oben hinab zu rutschen. O
hätte er doch in diesem Augenblikke an die Warnungen sei-
ner Pflegeältern gedacht, welche ihm dies Wagestück so oft
untersagt hatten! Aber in seiner Wildheit dachte er nicht
daran, hängte sich über das Geländer, bekam das Uebcrge-
wicht, stürzte hinab, und war auf der Stelle todt.
^ 11. Der ehrliche Knabe.
^ laus spielte vor der Thüre, als eilt Nachbar ihn herbei-
rief, und ihn freundlich bat, daß er ihm den Gefallen thun,
und vor dem Thore die Post erwarten möchte, um ihm sogleich
Nachricht geben zu können, wenn er sie in der Ferne kom-
men sähe. Klaus war sehr bereitwillig, diesen Auftrag zu
vollführen, denn er war ein dienstfertiger Knabe. Eilig lies
er vor das Thor, und stellte sich auf eine Anhöhe, wo er
die Landstraße auf eine weite Strekke übersehen konnte. Er
hatte schon eine gute halbe Stunde gewartet, als Heinrich vor-
beikam. Da er Klausen ansichtig wurde, rief er ihm zu: komm
mit mir, drüben auf der Wiese sind alle unsere Schulkame-
raden, wir wollen zusammen Ball spielen! Klaus versicherte
ihm, daß er jetzt nicht mitkommen könne, so gern er auch mit-
spielen möchte; denn er habe seinem Nachbar versprochen, hier
auf die Post zu warten, und es ihm zu sagen, so bald er sie
kommen sähe. Aber wie lange willst du denn hier in der
Sonne stehen? erwiederte Heinrich; das hast du ja gar nicht
nöthig, und du haft nun schon lange genug gewartet; ich
dächte, du kämest immer mit. Doch Klaus war nicht zum Weg-
gehen zu bewegen, so sehr auch der leichtsinnige Heinrich über
seine Einfalt spottete; denn er hatte oft von seinem Vater gehört:
ein ehrlicher Mann hält sein Wort. Zwar musste cr noch eine
volle halbe Stunde warten, ehe die Post kam, und hatte dabei
viel Sonnenhitze auszustehen; aber wie groß war auch dann
41
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
feine Freude, als er endlich den Postwagen in der Ferne er»
blickte, und nun seinem Nachbar die erwünschte Nachricht
bringen konnte. Was würdet ihr gethan haben, wenn ihr
in demselben Falle gewesen wäret?
12. Wer nicht hören will, muß fühlen.
Äarl kam an einem sehr kalten Wintertage ans der Schule.
Es hatte seit zwei Tagen stark gefroren, und indem er mit
einigen andern Knaben über eine Brükke ging, sah er, daß
der Fluß mit Eis belegt war. Kommt, sagte er zu ibnen, wir
wollen auf's Eis gehen! Alle waren sogleich dazu bereit, und
nun liefen sie eine Treppe hinunter, die nach dem Flusse führte.
Da kam ein alter Mann gegangen; Kinder! rief er, wo wollt
ihr hin? Traut dem Eise nicht, es ist noch lange nicht stark
genug, um euch zu tragen; ihr werdet einbrechen! Da stutz-
ten alle, und scheueten sich, auf oas Eis 51t gehen; nur der
leichtsinnige Karl kehrte sich an die wohlgemeinte Warnung
nicht, sondern ging doch auf das Eis; er spottete sogar über
die Andern, und rief ihnen zu: schämt euch, ihr habt kein
Herz; wer wird sich fürchten! Aber er war kaum einige Schritte
gegangen, da brach er schon ein, und lag bis an den Hals
im Wasser. Alle liefen schreiend davon, und Karl wäre ver-
loren gewesen, wenn nicht der alte Mann, welcher aus gut-
herziger Besorgniß in der Nähe geblieben war, hinzugelaufen
wäre, und ihn gerettet hätte. Karl zitterte wie ein Espen-
laub, war todtenblaß, und konnte Anfangs kein Wort her-
vorbringen. Ob man sich gleich Mühe gab, ihn bald wie-
bet zu erwärmen, so wurde er doch recht krank, und musste
einige Tage im Bette liegen. Merke dir, sagte der Vater,
als er wieder gesund geworden war, die Warnung: wer
nicht hören will, muß fühlen.
Aber wenn nun Alles gut abgelaufen, und Karl nicht
eingebrochen wäre, hätten die andern Knaben wohl Ursache
gehabt, es zu bereuen, daß sie der Ermahnung des alten
Mannes gefolgt waren?
13. Der Freund in der Noth.
«^)öre, liebe Mutter, sagte der kleine Hartmann, als er
eincS Tages aus der Schule zu Hause kam: dem armen
Niklas, der keinen Vater und keine Mutter mehr hat, geht cs
recht traurig; er ist sehr krank geworden, und die bösen Leute,
welche ihn zu sich genonuncn haben, lassen ihn in einer ab-
42 II. Erzählungen
gelegenen Kammer ganz allein liegen, ohne ihn zu warten
und zu Pflegen; das jammert mich sehr, und ich möchte wohl
den armen kranken Niklas recht oft besuchen, wenn du cS
erlauben wolltest. Sehr gern, mein Sohn, antwortete die
Mutter, denn es ist recht und gut, daß Freunde sich einan-
der in der Noth beistehen, aber sei auch dabei vorsichtig, und
erkundige dich zuvor, ob die Krankheit deines Freundes nicht
austekkend, und für dich also keine Gefahr dabei zu besorgen
ist. Sogleich lief Hartmann hin, um sich zu erkundigen;
und brachte die Nachricht, daß die Krankheit nicht anstekkend
sei. Nun ging er alle Tage zu seinem kranken Freunde, saß
stundenlang an seinem Bette, holte Alles herbei, waö er be-
durfte, und brachte sogar einige Stundeil des Nachts bei
ihm zll. Als Niklas sich wieder erholte, las ihm Hartmaun
ans guten Büchern Etwas vor, und brachte ihm stärkende
Speisen, welche er sich von seiner guten Mutter erbeteil hatte.
Einer seiner Mitschüler sagte einst 311 ihm: du bist doch ein
rechter Thor, daß du Stundenlang bei dem kranken Niklas
sitzest; ich würde mich dafür bedanken. Würde es dir nicht
sehr wohl gefallen, antwortete Hartmann, wenn du krank
und von allen Menschen verlassen wärest, und ein Freund
nähme sich deiner an, spräche dir Trost zri und pflegte dich?
Niklas wurde bald wieder gesund, und dankte seinem
Freiiiide Hartmann mit inili'ger Rührung für seinen liebrei-
chen Beistand. Wie wollte ich mich freuen, sagte er, wenn
ich dir auch wieder etwas zu Liebe thun könnte, guter Hcm-
mann; aber ich bin arm, und weiß mich nicht, womit ich
dir eine Freude machen kann Nach einiger Zeit kam Hart-
mann eines Tages in sein kleines Gärtchen, welches er sich
auf dem Hofe selbst angelegt und eingerichtet hatte. Wie
erstaunte er, als er alles Unkraut auSgeraiift, die kleinen Beete
sorgfältig umgegraben, geharkt und mit schönen Blumen be-
setzt fand. Er konnte gar nicht begreifen, wie das zugegan-
geii war, denn noch den Abend zuvor war er in seinem Gärt-
chen gewesen. Anfangs dachte er, seine Aeltern hätten ihm
dies Vergnügen gemacht; aber weder sie, noch die Leute inr
Hause wussten Etwas davon. Endlich erfuhr Hartmaun von
einem Nachbar, daß der dankbare Niklas die Blumen früh
am Morgen gebracht und eingesetzt habe. Seit dieser Zeit
lebten Beide in der herzlichsten Freundschaft, und hätten wohl
ihr Leben fi'ir einander gelassen, wenn dies ihre Lebensereig-
nisie gefordert hätten.
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
43
14. Der Zanksüchtige.
(Aottlieb lebte mit seinen Geschwistern und Mitschülern
beständig im Streit. Wenn seine kleine Schwester nur Etwas
anrührte, was ihm gehörte, so schimpfte er gleich, und schlug
auch wohl nach ihr. Wenn er sie in die Schule brachte,
oder aus der Schule abholte, so hatte er beständig mit ihr
zu zanken; denn bald ging sie ihm zu schnell, bald zu lang-
sam, und oft schleppte er das arme Mädchen unbarmherzig
neben sich her, wenn sie nicht mitkommen koi'.nte. Saß sie
vor der Thüre, so sagte er: geh weg, ich will da sitzen; und
wenn sie nicht freiwillig wegging, so stieß er sie mit Gewalt
fort. Eben so machte er eS mit seinen Mitschülern, und da-
her wollte Niemand mehr neben dem zänkischen Gottlieb
sitzen. Er suchte sogar eine Ehre dariir, Jedem Trotz zu bie-
ten, und verließ sich dabei auf seine Leibesstärke; besonders
hattet! die armen Kleinen und die Schwachen, welche sich nicht
wehren konnten, vor ihm keine Ruhe. Beständig spottete er
über sie, und seine Nekkereien hatten kein Ende. Auch aut
der Straße fing er Händel an; aber da er hier oft einen
Gegner fand, der ihm an Stärke oder Gewandtheit überlegen
war, so hatte er beständig ein zerschlagenes Gesicht, und einst
bekam er bei einer Schlägerei eine so gefährliche Beule am
Kopfe, daß er einige Wochen heftige Schmerzen ausstehen
musste, und Lebenslang eine Narbe davon behielt. Aber auch
dies Unglück besserte den verwilderten und zornigen Gottlieb
nicht; denn als er erwachsen war, brachte er einst bei einer
Schlägerei in der Wuth seinem Gegner eine tödliche Wunde
bei, und da dieser auch wirklich an der Wunde starb, musste
der unglückliche Gottlieb als ein Mörder unter den Qualen
eines bösen Gewissens fast seine ganze übrige Lebenszeit im
Zuchthause zubringen. So schrecklich sind die Folgen der Zank-
sucht und deS Jähzorns!
^ 15. Die muthwilligen Kinder.
Ä" einer Schule waren zwei Knaben, welche von ihren Ael-
tern sehr schlecht erzogen wurden, und daher eine Freude darin
fanden, überall Schaden anzurichten, und nützliche Dinge zu
verderben. In der Schule schnitten sie heimlich allerlei Fi-
guren und Namen in die Tische und Bänke, suchten ihren
Nachbarn die Schreibebücher mit Tinte zu beschmuzen, ihnen
die Federn aufzuspalten, und ihre Sacken zu verstekken. Aus
44
LI. Erzählungen
der Straße machten sie cs nicht bester. Den Fruchthänd-
lerinnen, welche auf dem Markte saßen, warfen sie auf eine
listige Weise ihre Körbe um, oder bewarfen sie aus irgend
einem Schlupfrvinkel mit Koth und Steinen. Gingen sie des
Abends auf der Straße, so schlugen sie mit großen Stökken
an die Fensterladen, um die Leute zu erschrekken, oder zogen
an den Klingeln der Häuser, und liefen dann schnell fort, oder
versteckten sich. Aber eben bei diesem schändlichen Muthwillen
wurden sie einst ertappt, unb erhielten nun die Strafe, welche
sie längst verdienten. Ein Mann, den sie schon sehr oft durch
Anschlagen an die Fensterladen erschreckt hatten, ließ ihnen
mehrere Abende nach einander aufpassen, und endlich gelang
es ihm, sie auf der That zu ergreifen. Er überlieferte sie
der Obrigkeit, und sie wurden zur Warnung für Andere öffeul-
lich sehr hart gezüchtigt. Verdienten sie wohl Mitleiden?
Wer war aber hierbei sehr zu bedauern?
16. Der Unzufriedene.
Ädolph hatte wohlhabende und sehr gütige Aeltern. Du
sie nur den einzigen Sohn hatten, so wandten sie sehr viel
an ihn, und Adolph hatte daher Alles, was er sich nur
wünschen mochte: gute Kleider, alle Tage gut zu essen, und
manches Vergnügen. Aber eben darum, weil es ihm zu wohl
ging, wurde er ungenügsam uird unzufrieden, das heißt: er
sreuete sich niemals über das, was er hatte, und fand immer
Etwas daran zu tadeln, daher er beständig etwas Anderes und
Besseres verlangte. Wenn er z. B. einen neuen Rock bekam,
so hatte er entweder an den Knöpfen Etwas auszusetzen, oder
er war ihin zu weit, zu lang, zu enge u. s. w. Gingen seine
Aeltern mit ihm spazieren, so klagte er bald über die Hitze,
bald über den weiten Weg, seufzte beständig, und sagte fast
alle Augenblikke: wenn wir doch nur erst da wären! War
man endlich angekonunen, so gefiel es ihm wieder an diesen:
Orte nicht, und er wünschte, daß seine Aeltern mit ihm nach
einem andern Orte gegangen wären. Auf diese Art verbit-
terte sich der unzufriedene Adolph fast jedes Vergnügen, und
wurde feines Lebens nicht froh. Er hatte keine Freunde; denn
wer möchte wohl gern mit einein solchen Unzufriedenen um-
gehen? Erhalte aber auch fast niemals ein fröhliches Herz,
und genoß das Gute, welches er hatte, wenig oder gar nicht.
Möchtet ihr ihm wohl ähnlich werden?
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
45
17. Der Barmherzige.
Kunz und Klaus gingen an einem sehr kalten Winter-
tage mit einander über Feld. An der Straße fanden sie ei-
nen unbekannten Menschen im Schnee liegen, welcher fest zu
schlafen schien. Kunz hatte Mitleiden mit ihm, und aus Be-
sorgniß, daß er erfrieren möchte, näherte er sich ihm, um ihn
aus dem Schlafe zu welken. Aber so viel er ihn auch rüt-
telte, so erwachte er doch nicht. Den kannst du lange rütteln,
rief KlauS lachend; er wird nicht aufwachen, er ist betvun-
ken; laß den Kerl liegen, und komm; eS ist kalt. Nein, ant-
wortete Kunz, so unbarmherzig kann ich nicht sein, wie leicht
könnte der arme Mensch erfrieren, und mag er immerhin betrun-
fen fein, er ist ein Mensch, und zwar ein hülsöbedürftiger Mensch:
ich will thun, was ich kann, um ihm daS Leben zu retten. Nun
so mache, was du willst, rief Klaus unwillig; ich mag nicht
länger hier stehen imb frieren; und damit ging er weiter.
Kunz bedeckte nun eiligst den Schlafenden mit Schnee, weil
er gehört hatte, daß der Schnee wärme, und lief dann so
schnell wie möglich nach dem nächsten Dorfe, um einen Wa-
gen zu holen. Glücklicher Weise fand er auch gleich einen men-
schenfreundlichen Bauer, der eben aus der Stadt gefahren
kam, und mit dessen Hülfe er den halbtodten Fremden sein
bald ins Leben brachte. Fröhlich wanderte er nun nach Hause.
Was urtheilet ihr von Kunz? und was urtheilet ihr von KlauS?
Wessen Betragen wollet ihr zum Muster nehmen?
18. Die Furchtsame.
Wilhelmine hatte eine abergläubische Wärterin, welche
ihr oft Gespenstergeschichten erzählte; dabei hatte man cs ihr
angewöhnt, immer bei einer Lampe, und nie allein zu schlafen.
Dadurch wurde sie furchtsam. Sie war schon zehn Jahre alt,
als es sich traf, daß alle ihre Geschwister krank wurden, und
da ibr Vater gerade verreist war, so musste es sich Wilhel-
mine zum ersten Male gefallen lassen, allein zu schlafen. Da-
her gcricth sie nun in große Angst, besonders da die Mutter
keine Lampe in ihrer Kammer wollte brennen lassen, sondern
ineinte, das große Mädchen könnte auch wohl einmal im Fin-
stern zu Bette gehen. Gar zu gern hätte sie in der Kran-
kenstube geschlafen; aber dies wollte die Mutter nicht zuge-
ben, weil sie dadurch leicht hätte angesteckt werden können.
Weinend ging Wilhelminc in ihre Kammer, zog sich hastig
46 Ii. Erzählungen
aus, und steckte aus Furcht den Kopf unter daS Deckbett.
Von Zeit zu Zeit zog sie ihn dann scheu hervor, um Luft
zu schöpfen, tind sich ängstlich in der Kammer umzusehen.
Auf ein Mal glaubte sie an der Kammerthür eine lange weiße
Gestalt zu erblikken. Voller Schrekken zog sie sich das Deck-
bett über den Kopf, und der Angstschweiß lief ihr von der
Stirn. Lange konnte sie es in dieser Lage nicht aushalten:
sie wagte eS endlich auf einen Augenblick, den Kopf hervor zu
ziehen, und siche da, die schreckliche weiße Gestalt stand nicht
nur immer noch an der Kammerthür, sondern bewegte sich
auch. Jetzt fing Wilhelmine laut an zu schreien, und in dem
Augenblikke ttat ihre Mutter in die Kammer. Aber Kind, was
ist dir denn! ries sie ihr gu: träumst du? oder wachst du? Ach
Mutter! Mutter! die weiße Gestalt! Ich glaube gar, du siehst
Gespenster, erwiederte die Mutter; ermuntre dich, und fasse
Muth. Was ängstigt dich denn? Es kam nun heraus,
daß Wilhelmine ein weißes Handtuch, welches an der Kam-
merthüre hing, und worauf der Mond schien, ftir eine weiße
Gestalt gehalten hatte. Die Mutter hatte an der Kammer-
thüre gehorcht, ob Wilhelinine schliefe, und indem sie die Thüre
öffnete, hatte sich das Handtuch bewegt. Wilhelmine schämte
sich ihrer kindischen Furchtsamkeit, und sah seit dieser Zeit
nicht wieder Gespenster.
1 9. Die gute Tochter.
Äöiilhelm war sehr krank, und seine gute Mutter hatte
aus zärtlicher Besorgniß, schon drei Nächte hintereinander
bei ihm gewacht. Marie, seine zwölfjährige Schwester, fürch-
rete, daß ihre Mutter von den vielen Nachtwachen endlich
auch krank werden möchte. Daher bat sie ihre Mutter herz-
lich, sie möchte ihr doch erlauben, die vierte Nacht bei dem
kranken Bruder zu wachen. Aber die zärtliche Mutter wollte
dies nicht zugeben, theils weil Marie sehr schwächlich war,
theils weil sie fürchtete, sie möchte einschlafen, und Wilhelm
dann ganz ohne Hülfe sein. Nun wurde es Abend, und die
Mutter muffte sich doch endlich aufs Bette legen, weil ihr vor
Mattigkeit die Augen zufielen. Marie hatte sich zwar auch,
auf Befehl ihrer Mutter, zu Bette gelegt, aber aus Liebe und
Besorgniß konnte sie nicht einschlafen. Als sie hörte, daß ihre
Mutter fest schlief, stand sie sacht auf, nahm ihr Strickzeug, und
setzte sich neben dem Bette ihres kranken Bruders auf die
Erde. Hier gab sie genau auf ibn Acht, und so bald er sich
47
zur Beförderung guter Gesinnungen.
bewegte, war sie sogleich bei der Hand, um sich zu erkunde-
getl, was er verlange. So trieb sie es bis an den Morgen,
rnrd wie groß war nun ihre Freude, daß sie der guten Mitt-
ler eine ruhige Nacht hatte verschaffen können!
Bald llachher wurde die Mutter arich krank, erholte sich
aber bald wieder; nur fehlte es ihr an Kräften. Der Arzt
hatte iu Mariens Gegenwart gesagt: wenn die Kranke nur
käglich ein wenig Wein winken könnte, so würde sie bald wie-
der zu Kräften kommen. Aber wo sollte die arme Frau das
Geld zum Wein hernehmen? Wilhelms Krankheit hatte gar
zu viel gekostet. Marie hörte, daß in dem Hause, wo sie
wohnte, Jemand gesucht würde, der das klein gehauene Holz
im Keller aufschichten könnte. Sie bat, daß man ihr die
Arbeit übertragen möchte, und versprach, recht emsig dabei
zu sein. Nach vier sauren Stunden hatte sie wirklich "so viel
verdient, daß sie für ihre Mutter ein wenig Wein kaufen
konnte. Obgleich sie von der ungewohnten Arbeit sehr er-
müdet war, so lief sie doch so schnell, alö ob sie heute noch
gar nicht gearbeitet hätte. Unbeschreiblich groß war ihre
Freude darüber, daß sie durch ihrer Hände Arbeit der guten
Mutter diese Erquikkung hatte verschaffen können. Die Mut-
ter war so gerührt über Mariens kindliche Liebe, daß sie
Freudenthränen vergoß. Wenn doch alle Kinder so gesinnet
wären, wie die gute Marie!
20. Der ungegründete Verdacht.
§)em Kaufmann Müller waren seit einiger Zeit verschie-
dene Flaschen mit Wein aus dem Keller gestohlen worden,
und er konnte nicht herausbringen, wer wohl der Dieb sein
möchte. Eines Tages kam sein Sohn Ferdinand ganz
außer Athem zu Hause, und erzählte, nun wisse er ganz ge-
wiß, wer die Flaschen aus dem Keller geholt hätte. Nun,
wer denn? fragte der Vater begierig. Kein Anderer, sagte
Ferdinand, als der kleine Ewald; denn ich habe ihn eben
mit zwei Flaschen sehr ängstlich aus dem Keller schleichen sehen.
Der kleine Ewald war in dem Hause des Herrn Müller bis-
her viel aus- und eingegangen, und hatte, als ein armes Kind,
uranche Wohlthaten in dein Haust genossen. Man hielt viel
auf den kleinen muntern Knaben, und hatte ihn bisher den
ehrlichen Ewald genannt. Daher war Herr Müller nicht
wenig erstaunt, als er borte, daß Ewald ihn bestehle, und
48
lk. Erzählungen
wollte es durchaus nicht glauben; aber Ferdinaud wnffK
es so wahrscheinlich zu machen, daß ihm am Ende doch daS
Betragen Ewalds verdächtig vorkommen musste. Er ließ
also den Knaben rufen, und als er erschien, sah er ihn eine
Weile ernsthaft an. Hast du ein gutes Gewissen? fragte er
ihn dann. Bei dieser Frage schien Ewald verlegen zu wer-
den, und errölhcte; antworte ehrlich auf diese Frage, fuhr Herr
Müller fort. Ich weiß nicht, sagte der Kleine stammelnd, was
ich BöseS gethan habe. Dein Erröthen verräth dich, erwie-
derte Herr Müller mit Unwillen, und sah ihn dabei finster und
drohend an. Bist du heute in meinem Keller gewesen? Haft
du zwei Flaschen aus dem Keller weggetragen? DaS alles
konnte Ewald nicht leugnen, aber als ihm nun geradezu
Schuld gegeben ward, daß er die gestohlenen Flaschen Wein
weggenommen habe, versicherte er ohne Furcht, daß er un-
schuldig sei, und rechtfertigte sich auch wirklich. Er erzählte
nämlich, daß er heute für seine Mutter zwei Flaschen Bier
geholt, und diese in den Keller bei Seite gesetzt habe, um
einem Schulkameraden, der einen schweren Korb zu tragen
hatte, und ihn nicht mehr allein fortbringen konnte, zu Hülfe
zu kommen; als er wieder zurück gekommen sei, habe ihn ein
großer Junge geneckt und verfolgt, bis er den Keller erreicht
habe. Als er nun wieder hcrausgekomnlen wäre, hätte er
sich schüchtern umgesehen, ob sich der böse Junge mcht etwa wo
versteckt habe. Herr Müller erkundigte sich bei Ewalds Mut-
ter, und fand diese Umstände vollkommen richtig. Nun that
es ihm sehr leid, daß er den ehrlichen und dienstfertigen Ewald
in einem so bösen Verdacht gehabt hatte. Um ihit für die-
ses erlittene Unrecht zu entschädigen, schenkte er ihm einige
ganz neue Kleiduugsstükke; seinem Sohne aber gab er die
Lehre: sei künftig behutsamer und hüte dich sorgfältig, irgend
einem Menschen ohne hinreichende Gründe etwas so BoseS
wie Diebstahl ist, zuzutrauen; denn du haft jetzt die Ersah-
rung gemacht, wie leicht der Schein trügt.
21. Das neugierige Mädchen.
'Margarethe war als ein höchst neugieriges Mädchen
bekannt, und schon oft hatten sie ihre Aeltern wegen ihrer
thörichten Neugierde bestraft. So bald sie nur das geringste
Geräusch aus der Straße hörte, lief sie an daS Fenster, um
zu sehen, was cS gäbe; und eines TageS machte die heftige
Neu-
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 49
dkeugterde sie so blind, daß sie mit dem Kopse gegen du
Fensterscheibe suhr, und sich sehr beschädigte, indem sie nicht
ein Mal bemerkt hatte, daß daö Fenster zugemacht war.
Nicht selten verlor sie auf der Straße ihr Strickzeug, oder
was sie eben in der Hand hielt, indem sie hastig lief, um
zu sehen, weswegen sich die Leute versammelten. Beinahe
wäre sie einst dabei ums Leben gekommen; denn indem sie
in ihrer Unbesonnenheit zusah, wie ein Ochse, der sich los-
gerissen hatte, und eben wieder gefangen worden war, mit
Strikken gebunden wurde, riß sich das wüthende Thier abermals
los, und nur mit genauer Noth flüchtete sich Margarethe in ein
Haus, büßte aber doch darüber ihre Schürze ein, welche
der Ochse im Vorbeirennen mit den Hörnern fasste und ihr
vom Leibe riß. Ihre Neugierde verleitete sie auch, zu hor-
chen, und man sah sie oft deS Abends unter Den Fenstern
stehen, um zu hören, was die Leute in der Stube sprächen.
Aber bei diesem Horchen lief sie einst sehr übel an; denn
ein Mann, der sie dabei ertappte, züchtigte sie ohite Um-
stände dafür recht derb, und ließ sie dann mit der War-
nung gehen: künftig horche nicht wieder, sonst hast du noch
Schlimmeres zu erwarten!
22. Das wissbegierige Mädchen.
Caroline zeigte schon in ihrer frühesten Kindheit eme
große Begierde zu lernen, und sich nützliche Kenntnisse zu
erwerben. Wenn sie etwas Neues sah, so ruhte sie nicht
eher, bis sie es genauer keimen gelernt hatte. Konnte sie
nicht durch eigenes Nachdenken herausbringen, wozu eine
Sache nützlich wäre, nnb warum sie so sein müsste, wie sie
war: so hörte sie nicht aus, zu fragen, bis ihre Wissbegierde
befriedigt worden. Sehr gern ging sie in die Schule, und wenn
auch das Wetter noch so schlecht war, dennoch scheute sie nie
den weiten Weg nach der Schule. Außerordentlich groß war
ihre Freude über ein neues lehrreiches Buch. Sie blätterte
nicht etwa bloß darin, wie es viele Kinder machen, sondern
sie las es langsam und mit großer Aufmerksamkeit durch,
und daher blieb sie auch nie die Antwort schuldig, wenn man
sie fragte: was in dem Buche enthalten sei? Beinahe in
allen weiblichen Arbeiten, und besonders im Nähen und
Strikken, war sie sehr geschickt, und um es noch mehr zu
werden, wurde sie die Gehülfinn einer Frau, welche sie un-
ter der harten Bedingung unterrichten wollte, daß sie eiti
4
50 U. Erzählungen
ganzes Jahr hindurch, vom frühen Morgen bis zum späten
Abend, für sie arbeiten sollte, ohne Bezahlung dafür zu ver-
langen. Aber als dies saure Jahr endlich überstanden war,
hatte sie auch die Freude, nicht nur sich selbst durch ihrer
Hände Arbeit redlich ernähren zu können, sondem auch ihrer
alten kränklichen Mutter eine Stütze im Alter zu sein. Da
ihre Wissbegierde sie antrieb, den Umgang verständiger Men-
schen zu suchen, von welchen sie lernen konnte, so blieb sie
vor vielen Thorheiten und Versuchungen bewahrt, und er-
stellte sich der Achtung und Liebe aller guten Menschen.
23. Menschenfreundliche Gesinnungen.
Änton war ein überaus gutherziger Knabe. Seine größte
Freude war die, Andem eine Freude zu machen, und gern
gab er etwas hin, was ihm selbst lieb und wwth war, wenn
er dadurch Andere, und besonders seine Geschwister, erfreuen
konnte. Wenn er von unglücklichen Menschen hörte, so em-
pfand er inniges Mitleiden, und oft standen ihm die Thränen
in den Augen, wenn sein Vater über Tische von einem Un-
glücksfalle erzählte, welcher sich ereignet hatte. Einst erzählte
der Vater von einem Schuhmacher, den Anton sehr gut kannte,
daß er sich jetzt mit seiner Frau und drei kleinen Kindern in
einer recht traurigen Lage befände. Die armen Leute, sagte
er, jammem nlich sehr, denn sie sind, ganz ohne ihre Schuld,
bloß dadurch herunter gekommen, daß sie von schlechten
Menschen, denen sie Redlichkeit zutrauten, um beträchtliche
Summen bewogen wurden. Jetzt bekommt der arme Mann
gar keine Arbeit mehr, denn er hat nicht ein Mal so viel
Geld, um sich Leder zu kaufen, und seine besten Sachen
sind bereits verkauft. Wenn ich es nur einigermaßen übrig
hätte, gern wollte ich ihm Geld leihen, damit er sich wieder
helfen könnte. Anton hatte dies Alles sehr aufmerksam an-
gehört. Nach Tische kam er zum Vater, und sagte: lieber
Vater, wenn ich doch dem armen Martin (so hieß der Schuh-
macher) das Goldstück, welches mir mein Parhe geschenkt
hat, hintragen dürfte; erlaubst du es wohl? Der Vater hatte
anfangs einiges Bedenken, denn es war vorauszusehen, daß
Martin auch diese Paar Thaler nie würde wieder bezahlen
können. Doch Anton hörte nicht eher auf, zu bitten, bis
der Vater seine Erlaubniß gab. Froher war der gute Anton
noch nie gewesen, als in diesem Augenblikke, da er sein
Goldstück dem arnten Mann hintragen durfte. Martin komrtr
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 5!
nun einen kleinen Verrath von Leder einkaufen; AntonS
Later verschaffte ihm durch Fürsprache Arbeit genug, und
bald ward dem armen Mann so weit geholfen, daß er feine
Berten, welche er in der Noth hatte versetzen müssen, wie»
der einlösen konnte, und von Nahrungssorgen frei war.
Freilich hat nicht jedes Kind ein Goldstück wegzuschenken,
wie Anton; aber jedes Kind kann doch Etwas thun, uni
Unglücklichen zu helfen und sie zu erfreuen.
24. Was heißt Schmollen.
Äugust hatte eine große Untugend, das Schmollen oder
Maulen, an sich; denn wenn er von Jemand beleidigt zu
sein glaubte, so war er viele Tage lang unfreundlich und
mürrisch, sprach kein Won mit ihm, alitwortete auch nicht,
wenn man ihn fragte, und sah so finster aus, als ob er
alle Augenblikke um sich schlagen wollte. Nach langer Zeit
war er erst wieder gesprächig und fteundlich.
Er betrug sich aber nicht nur so unartig gegen seine
Geschwister und Spielkameraden, sondern auch sogar gegen
Äne Aeltern, wenn er von ihnen wegen eines Fehlers be-
straft worden war.
Um ihm nun diese Unart abzugewöhnen, befahl der
Later Allen im Hause, wenn August mit irgend Jemand au?
diese Art schmollte oder maulte, so sollten Alle eben so ge-
gen ihn sich betragen, und wenn er alsdann aufhörte, so
sollten sie gerade noch ein Mal so lange mit ihm schmollen,
als seine Unfreundlichkeit gedauert hätte. Als dies einige
Mal geschehen war, lernte er die Hässlichkeit seines Fehlers
einsehen, und besserte sich.
25. Die Wahrsagerinn.
Eine Zigeunerinn kam in ein Dorf, und wollte den Leuten
fiir Geld wahrsagen. Einige waren auch wirklich so einsäll
tig und abergläubig, daß sie den Reden der listigen Frau
zuhörten. Diese sagte nun einen! Jeden der Uinstehenden
Etwas, das er gern hören mochte: dem Einen weissagte sie
eine reiche Erbschaft, dem Andern eine glückliche Heirath,
u. s. w. Dafür wurde sie dann auch reichlich beschenkt.
d Unterdeß hatten die Gerichte von dieser Landstreicherinn
gehört; und weil solche Betrügereien strenge verboten si..d,
so wurde sie unvermuthct aufgehoben, und nach der Stud:
in Verwahrung gebracht. Hätte sie nun wirklich wahrsagen
4*
52 II Erzählungen
das heißt: das Zukünftige vorher wissen können, so würde
sie auch ihre eigene Gefangennehinung gewusst haben, und
derselben durch Flucht entgangen sein.
Dennoch aber glaubten die meisten das, was die Zigeu-
nerinn ihnen gesagt hatte, dämm, rveil sie wünschten, daß
es wahr fein möchte; und so wurden sie zum Theil dadurch
unglücklich. Denir derjenige z. B., welchem eine reiche
Erbschaft geweissaget war, vernachlässigte ftine Wirthschaft,
m der Hoffnung, bald ohne Mühe reich zu werden. Lange
blieben die schädlichen Wirkungen dieses Betrugs in dem
Dorfe noch sichtbar.
26. Der Glücksspieler.
Stephan diente schon seit vielen Jahren als Gärtner bei
einem vornehmen Herrn, und hatte das Lob eines steißigen,
geschickten und treuen Arbeiters. Er lebte dabei auch sehr
zufrieden, und wünschte wei er Nichts, als daß er es nur
bis an sein Ende so gut haben möchte; denn sein Herr
liebte und schätzte ihn.
Eines Tages kam sein Freund Anton mit schnellen
Schritten zu ihm in den Garten, und meldete ihm voller
Freude, daß er 500 Thaler in der Lotterie gewonnen habe.
Nun bin ich ans ein Mal aus meiner Noth! rief er; so füm>
merlrch, wie bisher, darf ich nun mein Bisschen Brot nicht
mehr verdienen. Ich gebe meinen Dienst bei der Herrschaft
auf (er war Bedienter bei demselben Herrn), und lege mir
einen kleinen Handel zu, da null ich mich schon gemächli-
cher nähren. Und wenn ich dir rathen soll, lieber Stephan,
fuhr er fort, so versuche du oein Glück auch in der Lotterie.
Ist es nicht besser, daß wir unsere eigenen Herren werden?
Und was haben wir, wenn wir alt und schwach werden, für
Pflege und Wartung zu hoffen, so lange wir in Diensten sind?
Stephan schüttelte den Kopf, wusste aber doch nicht viel
dagegen zu sagen, und Anton machte ihm den Gewinn in der
Lotterie so wahrscheinlich, stellte ihm auch den Zustand der
Unabhängigkeit so angenehm vor, daß er sich endlich entschloß,
eine Kleinigkeit daran zu wagen. Er setzte also einige Gro-
schen in die Lotterie, und gewann bei der nächsten Ziehung
Nichts. Da er muthlos werden wollte, munterte ihn Anton
auf, und sagte: er sollte den Einsatz nur ein Mal verdoppeln,
und fortfahren, am Ende müsse sein Loos herauskommen:
so habe er seine 500 Thaler auch gewonnen.
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 53
Stephan wollte sein Geld nicht geni verloren geben,
und setzte also von neuem ein. Das that er auch die folgende
Zeit, aber statt der Treffer wurden imrner Nieten für ihn
gezogen. Zuletzt konnte er ben Einsatz nicht mehr cmö eige-
nen Mitteln bestreiten, und doch wollte er nicht aushören,
einzusetzen, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, er müsse
ein Mal gewinnen. Und was that er, um das Geld zum Ein-
satz zusanunen zu bringen? Er betrog seinen Herrn beim
Verkauf der Gartensrüchte. Vorher war er der ehrlichste
und treueste Diener gewesen; so sehr hatte also die Gewinn-
sucht sein Gemüth geändert; seine Untreue blieb nicht lange
verborgen, und daher jagte ihn sein Herr fort.
Nun wollte er seine Zuflucht zu seinem Freunde Anton
nehmen; allein dieser hatte mit seinem Gelde übel gewirth-
schaftet, und auch wieder in die Lotterie gesetzt, ohne zu
gewinnen. Dadurch war er in Schulden gekouunen, und
musste landflüchtig werden.
Es blieb also dem unglücklichen Stephan Nichts übrig,
als ebenfalls aus dem Lande zu gehen, weil Niemand ihn,
als einen Betrüger oder Dieb, in seine Dienste nehmen
wollte. Er starb in großer Dürftigkeit.
Wer auf andere Art, als durch Arbeit, Geld erwerben
will, wird am Ende immer unglücklich.
27. Aberglaube.
Gustav war so leichtgläubig, daß er Alles für wahr an-
nahm, waS er hörte, ohne zu untersuchen, ob es auch wahr
sein könne. Diese Leichtgläubigkeit hatte ihn auch zun:
Aberglauben gebracht; denn wenn ihm Jemand sagte: in
diesem oder jenem Hause spukt ein Gespenst, so glaubte er
es, und erzählte es Andern als zuverlässig gewiß; oder
wenn man ihm weismachte, in dem Hause, vor welchem
eine Eule schreie, oder ein Hund heule, müsse Jemand ster-
ben, so zweifelte er nicht im geringsten daran, und er legte
also eine Wirkung einer solchen Ursache bei, die unmöglich
diese Wirkung hervorbringen konnte, das heißt: er war
abergläubig.
Einstmals bekam er einen Schaden aus heiler Haut,
wie man zu sagen pflegt. Anstatt daß er nun einen ordent-
lichen Arzt hätte um Rath fragen sollen, ließ er sich viel-
mehr von einer alten Frau bereden, die Wunde nüt einem
sogenannten Johannishölzchen (ein Holz, welches am Jo-
54 ii. Erzählungen
hannistage von einem Baum geschnitten worden ist) zu be-
rühren, und glaubte, daß sie dadurch allein, ohne andere
Mittel, heilen werde. Da die Frau ihm versicherte, daß
dieses schon mehreren geholfen hätte, welche sie namentlich
anführte; so verließ er sich so fest darauf, daß er an keine
ordentliche Kur dachte.
Indessen ward die Wunde immer gefährlicher, und
endlich schlug gar der kalte Brand dazu. Nun musste er
doch nach einem Arzte schikken, der ihm das Bein abnahm,
und er musste froh sein, daß er nicht gar das Leben dabei
einbüßte.
Aberglaube ist die Quelle nranches Unglücks; und doch
beherrscht er so viele Menschen!
28. Die Folgen des Fleißes und der Faulheit.
Ä)^oritz war der einzige Sohn eines reichen Gutsbesitzers.
Mit ihm war Christoph, der Sohn eures Dreschers, au;
dem Gute seines Vaters, in gleichem Alter. Diese beiden
Kinder wuchsen also zusantmen aus, und Christoph wurde
von dem alten Moritz so herzlich geliebt, als ob er sein eige-
ner Sohn, wäre: er ließ ihn nicht nur oft an seinem Tische
essen, und kleidete ihn, sondern schickte ihn auch frei in dir
Schule.
Christoph hatte zwar keine außerordentliche Fähigkei-
ten, und eS ward ihm daher Alles sehr schwer, was er ler-
nen sollte: aber er gab sich viel Mühe. Sorgfältig merkte
er auf Alles, was der Lehrer sagte, lemte zu Hause fleißig,
was ihm in der Schule aufgegeben war, und übte sich in
Allem selbst, ohne daß ihn Jemand antreiben durfte. Durch
diesen unermüdeten Eifer brachte er es bald dahin, daß er
seinen Mitschülern gleich kam, auch denen, welche bessere
Geistesgaben von Gott empfangen hatten, als er. Jeder-
mann liebte ihn, und wünschte dem Vater Glück zu einem
solchen Sohne.
Moritz aber war leichtsinnig, und achtete nicht auf die
guten Lehren, die er in der Schule hörte. Spielen, Reiten,
Fischen und dergleichen Vergnügungen, waren ihm lieber,
als Lernen. Wenn er ermahnt wurde, fleißig zu sein, so
sagte er: ich werde ein Landwirth, und der braucht nicht viel
zu wissen; wenn ich lesen, schreiben und rechneil kann, so
bin ich geschickt genug, und dazu habe ich noch immer Zeit.
So ging ein Jahr nach dem andern hin, und weil er
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 55
glaubte, immer noch Zeit genug zu haben, so lernte er
auch das Lesen, Schreiben und Rechnen nur sehr mittel-
mäßig. Der Va^er hätte eö freilich lieber gesehen, wenn sein
Sohn fleißiger gewesen wäre; aber zwingen wollte er ihn
nicht, und überdieß dachte er ebenfalls, daß sein Sohn in
seinem künftigen Stande nicht viel zu wissen brauche, und
daß eö ihm nicht fehlen könne, wenn er ihm daö Gut wohl
eingerichtet hinterließe. Aber beide irrten sehr; denn sie
dachten nicht daran, daß die Gewöhnung an unnütze Be-
schäftigungen noch weit schlimmere Folgen habe, als die
bloße Versäumniß der Gelegenheiten, etwas Nützliches zu
erlernen.
Als Moritz in die Jahre trat, wo er die Schule ver-
lassen musste, wollte ihn der Vater zur Wirthschaft anfüh-
ren, und trug ihm also bald diese, bald jene Geschaffte auf;
aber Moritz ging lieber seinen gewohnten Lustbarkeiten nach.
Anstatt auf dem Felde zu sein, und die Knechte zur Arbeit
anzutreiben, ritt er in die Stadt zu seinen Bekannten,
spielte, und ließ die Knechte arbeiten, so viel sie wollten.
Der Vater schalt ihn zwar deswegen hart, aber es
half nichts, und er starb, wie man sagt, vor Verdruß über
r>ie Liederlichkeit seines Sohnes. 9hm war Moritz Herr des
Gu-tes, und konnte ganz nach seinem Willen handeln. Nach
dem Sprüchwort: jung gewohnt, alt gethan, blieb
er auch eben so leichtsinnig, wie er vorher war. Er lebte
immer in den Tag hinein, ohne sich um die Wirthschaft zu
bekümmern, und in ein Paar Jahren war daö Gut so ver-
schuldet, daß eö öffentlich verkauft werden musste.
Ein benachbarter Edelmann kaufte es, und Christoph,
der bisher alö Verwalter auf demselben gestanden, und
durch Fleiß und Sparsamkeit sich Etwas erworben hatte,
nahm es in Pacht.
Das Geld von dem verkauften Gute reichte nicht ein
Mal zu, Moritzens Schulden zu bezahlen, und also hätte
er ein Landläufer werden müssen, wenn sich Christoph nichts
aus Dankbarkeit und Mitleiden, seiner angenommen und
ihm freie Wohnung und freien Tisch gegeben hätte.
Fleiß und Sparsamkeit bewahren vor vielem Bösen,
aber Müsstggang lehrt alle Laster.
29. Näscherei.
Friederike hatte die üble Gewohnheit Alles zu bena-
56
IÏ. Erzählungen
Heu, was sie von Esswaaren und Getränken sah. Sie
war deshalb oft von ihren Vieltem bestraft worden, weil
Näscherei nicht nur sehr unanständig ist, sondern weil sie
auch Ursache wird, daß man überhaupt seine Begierden
nicht mäßigen und beherrschen lernt.
Friederike ließ sich durch keine Strafe abhalten, wenn
ihr die Lust ankam, zu naschen. Die Gartenthüre musste
um ihrentwillen beständig verschlossen sein, so lange Obst
im Garten war; denn sie pflückte Alles, was sie erreichen
konllte, sogar unreif, ab, biß die Aepfel und Birnen an,
und warf sie weg, wenn sie noch hart waren. So verdarb
sie säst eben so viel Obst, wenn sie ein Mal in den Garten
kam, wie das Ungeziefer.
Gar zu gern schlich sie sich in die Milchkammer, wo
sie die Sahne mit den Fingern aus den Milchgefäßen nahm.
Anfangs glaubte man, daß die Katze diese Näscherinn wäre,
und schaffte sie ab; aber bald entdeckte sichö, daß Frie-
derike den Schlüssel zur Milchkammer sehr gut zu finden
wusste. ES war also nicht zu verwundern, daß die Aeltern
gar kein Zutrauen mehr zu ihr hatten, und Alles vor ihr
verschlossen, wie vor einem Diebe. Einige Mal war sie
sogar über den Wein gerathen, welchen der Nater für
Freunde in einem Essschranke stehen hatte, und war davon
berauscht und tödtlich krank geworden.
Eines Tages war sie in der Stube allein, und solche
Zeiten pflegte sie gern zu ihren Näschereien zu benutzen.
Sie sah sich um, ob irgend ein Schrank offen stände oder
ob Schlüssel da wären; endlich bemerkte sie oben aus bcm
Schranke ein Näpfchen.
Sogleich machte sie Anstalt, zu sehen, ob Etwas für
sie zu naschen darin wäre. Sie setzte einen Stuhl an den
Schrank, und da dieser noch nicht hoch genug war, rückte sie
auch den Tisch hinan, stieg vom Stuhle ans den Tisch, und
nahm das Näpfchen hernnter. Es war etwas Weißes dar-
in, wie gestoßener Zukker, sie tunkte die Fingerspitzen ein,
und kostete; es schmeckte süß, und sie leckte also begierig.
Plötzlich trat die Mutter zur Thür hinein. Friederike
erschrak so sehr, daß sie fast vom Tische gefallen wäre; aber
noch größer war der Schreck der Mutter, da sie sah, daß Frie-
derike Gift aß, welches für die Fliegen hingesetzt war. Un-
glückskind! rief sie, was machst du? — feie hob sie gleich
vom Tische, schickte zu dem Arzte, gab ihr Milch ein, daß
57
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
sie brechen sollte, und wandte alle Mittel an, sie von einem
schmählichen Tode Zu retten. Bald aber fühlte sie die ent-
setzlichsten Schmerzen in dm Eingeweiden, und schrie, daß
man es einige Häuser weit hören konnte.
Der Arzt kam, verordnete, daß sie immer noch mehr
Milch trinken sollte, gab ihr auch noch airdere Arzneien;
allein sie muffte doch schon zu viel genascht haben; zwar
blieb sie am Leben, behielt aber doch einen sehr schwachen
Verstand, und ein beständiges Zittern der Glieder.
Wer strafbaren Begierden blindlings folgt, den stür-
zen sie endlich ins Verderben.
30. Der Thierquäler.
Äer kleine Hartmann fand ein Vergnügen daran, Thiere
ohne Noth zu quälen. Er glaubte, ein Recht zu haben, sich
dieses Vergnügen zu machen, so oft er die Gelegenheit und
Gewalt dazu hatte. Ohne zu bedenken, daß Thiere auch
gegen Schmerz empfindlich sind, misshandelte er sie oft so
grausam, als ob sie seine ärgsten Feinde wären, da sie ihin
doch Nichts zu Leide gethan hatten.
Er fing Maikäfer, band sie mit einem Faden an einen
Stock, und ließ sie so um denselben herumfliegen, biö sie
ganz abgemattet waren.
Die unschuldigen, lind in mancher Hinsicht nützlichen
Frösche, durchstach er mit Nadeln, und ergötzte sich an ihren
Zuckungen, bis sie eines langsamen Todes starben.
Besonders übte er seine Kunst zu quälen an einem
kleinen Hunde aus, den ihm sein Vetter geschenkt hatte.
Den ganzen Tag führte er ihn an einem Strikke mit sich
herum; und um Andern zu zeigen, daß er Herr über diesen
Hund sei, schlug er ihn bei der geringsten Veranlassung,
stieß ihn mir den Füßen, und zwackte ihn an den Ohren,
so daß ihm oft fremde Leute darüber Vorwürfe machten.
Als er größer wurde, jagte er Pferde zu Tode, und
fing an, das Gesinde übel ¿u behandeln; daher viele, sonst
brauchbare Personen, um seinetwillen aus dem Dienste
gingen. Unglücklicher Weise sahen die Aeltern ihm nach,
weil er ihr einziges Kind war.
Da er endlich seine eigene Wirthschaft erhielt, härte
man meinen sollen, er würde sich nun vernünftiger betragen;
allein er setzte — nach denr Sprichwort: juilg gewohnt,
alt gethan — seine vorige Aufführung fort, und lebte mit
58
11 Erzählungen
allen Menschen in beständigem Streit, so daß die Prozesse
wegen Ersetzung 'es Schadens, den er Menschen und Vieh
zufügte, gar nicht aufhörten, und er seines Lebens nicht
froh ward.
Der Gerechte erbarmet sich seines Viehes
aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.
31. Unvorsichtigkeit.
Henriette wurde von Allen, die sie kannten, die un
vorsichtige und unbesonnene Henriette genannt. Ge-
reichte ihr dieser Name zur Ehre? Wenn ihr das Folgende
gelesen habt, so möget ihr selbst beurtheilen, ob sie diesen
Namen verdiente.
Einst saß sie am Tische, und schrieb nach einer Vor-
schrift, welche ihr der Lehrer mit nach Hause gegeben hatte.
Auf ein Mal hört sie eine Kutsche kommen, welche vor dem
benachbarten Hause still hielt. Dabei konnte sie unmög-
lich ruhig bleiben, ihre Neugierde musste erst befriedigt sein.
Schnell sprang sie auf, und in der Eile warf sie das Tin-
tefaß und den Stuhl um. Die Tinte lief über den ganzen
Tisch hinweg auf den Boden. Wie erschrak Henriette, als
sie sah, was sie mit ihrer Unvorsichtigkeit angerichtet hatte;
was sollte sie nun thun, damit ihre Aeltern Nichts hiervon
merkten? In der Hast ergriff sie ein Tuch, um die Tinte
wegzuwischen, aber es fiel ihr nicht ein, das Tuch zu bese-
hen, und siehe da, es war ibres Vaters Halstuch, womit sie
We Tinte weggewischt hatte. War sie vorher schon erschrok-
ken, so erschrak sie nun noch weit mehr. Aber es war nun ein
Mal geschehen, und sie konnte nichts Besseres thun, als sich
selbst bei ihrer Mutter anklagen. Dies Mal kam sie mit
einem nachdrücklichen Verweise davon. Sie nahm sich vor,
künftig behutsam zu sein; aber schon am folgenden Tage
beging sie eine ähnliche Unvorsichtigkeit. Als ihre Mutter
das Mittagöessen zubereitete, befahl sie ihr, einen Topf mit
Wasser, der auf dem Ofen stand, auszuschütten, und ibr
den Topf zu bringen. Henriette ging, ergriff aber statt de§
WassertopfeS einen Topf mit Fleischbrühe, und schüttere
die schöne Brühe zum Fenster hinaus. Eine wohlgekleidere
Frau, die unter dem Fenster vorbei ging, sah sich auf ein
Mal über und über mit Buche begossen. Ihr ganzes Kleid
war verdorben. Sie kam zu Henriettens Mutter, beschwert
llch sehr, und verlangte, daß sie ibr das Kleid bezahlen sollte
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 59
Dies Mal blieb es nicht bei einem nachdriicklichen Verweise
sondern Henriette erhielt Strafe. Was konnte Henriette
wohl nicht leugnen? Womit konnte sie sich entschuldigen?
Ernstlicher, als jemals, nahm sie sich vor, vorsichtig
und bedächtig zu werden. Aber wie wenig sie ihrem Vor-
satz getreu blieb, wird die Folge zeigen. — ES war unge-
fähr acht Tage nachher, als sie allerlei häusliche Geschaffte
zu verrichten hatte, wobei sie sich wenig Zeit nehmen durfte.
Indem sie rasch aus der Küche in die Stube gehen will,
bemerkt sie die Wanne nicht, welche sie eben erst selbst hin-
gesetzt und mit Wasser angefüllt halte, stolpert darüber,
stürzt hin, und schlägt sich an einer Tischekke zwei Zähne
aus. Wem hatte sie dies Unglück zuzuschreiben? Sie weinte
bitterlich über ihre Unbesonnenheit, und konnte sich
lange nicht zufrieden geben; denn sie war durch den Verlust
ihrer Zähne sehr entstellt. Nun hätte man denken sollen, daß
ein so empfindliches Unglück sie bessern würde. Wirklich
war sie auch in den nächsten Wochen behutsamer, als je-
mals : aber ganz gebessert war sie doch noch nicht, denn ihr
Leichtsinn war zu groß. Dies zeigte sich eines Tages, als
sie ihrer Mutter beim Plätten der Wäsche half. Eben hatte
sie ein glühendes Eisen in die Plätte gethan, und wollte
sie nun auf eine umgekehrte Schüssel setzet!. Ihre Mutter saß
an demselben Tische, und hatte ihr kleinstes Kind auf dem
Schooße. Das Kind spielte anr Tische, und hatte eben sein
eines Händchen auf der Schüsse! liegen, als die unvorsich-
tige Henriette, welche das nicht bemerkte, die heiße Plätte
darauf setzte. Jämmerlich schrie das Kind auf, und Hen-
riette verlor vor Schrekken fast das Bewusstsein. Die ganze
Hand war verbrannt, und das arme Kind musste die hef-
tigsten Schmerzen ausstehen. Henriette weinte wenig-cr über
die Vorwürfe und die Strafe, welche sie erhielt, als über
das Unglück, welches sie angerichtet hatte. Seil dieser Zeit
wurde sie aufmerksamer aus sich selbst, und besonnener, und
wenn sie sich gleich die Unvorsichtigkeit nicht auf ein Mal
ganz abgewöhnen konnte, so legte sie diesen Fehler doch
immer mehr ab, und ward endlich, durch unablässige An»
strengung, ganz frei davon.
32. Die Kl ätsch erinn.
Sophie wäre ein recht gutes Mädchen gewesen, wenn sie
nur nicht einen so großen Fehler an sich gehabt hätte, der ihr
60 11. Erzählungen
sehr viel Verdruß und Schande zuzog, den Fehler deS Klat-
schens. Sie konnte Nichts für sich behalten; Alles, was
sie von Andern sah und hörte, oder erfuhr, musste sie wieder
erzählen; es war ihr nicht möglich zu schweigen. Alles
was in der Nachbarschaft vorging, wusste sie; denn bestärr-
dig saß sie ain Fenster und vor der .Thür, und werrn sie
dann eine Bekannte ansichtig wurde, so hatte sie ihr alle Mal
Etwas von diesem oder jenem Nachbar, oder von ihren Ael-
'lern, Geschwistern und Hausgenossen zu erzählen. Alles,
was in der Schule vorfiel, plauderte sie aus, und wenn ein
Kind Strafe erhalten hatte, so brachte sie eS bald in der hal-
ben Stadt herum; denn Jedem, der ihr begegnete, erzählte
sie eö, und gewöhnlich setzte sie noch Etwas hinzu, so daß in
ihrem Munde Alles größer und schlimmer wurde, als cö
wirklich war. Durch diese hässliche Neigung zum Klatschen
zog sie sich bei ihren Mitschülerinnen fast allgemeinen Haß
zu; denn nur diejenigen, welche ihr ähnlich waren, hielten
es mit ihr, alle übrigen verachteten sie. Das that ihr frei-
lich weh, aber sie war doch nicht daraus bedacht, sich die
hässliche Plauderhaftigkeit abzugewöhnen.
AlS sie erwachsen war, musste sie bei fremden Leuten
in Dienste gehen; denn ihre Aeltern waren sehr arm. Air-
fangs war man immer sehr wohl mit ihr zrifrieden, denn
sie war reinlich, ordentlich und willig; aber bald machte sie
sich durch ihre Klütschereien so verhasst, daß man ihr den
Dienst aussagte. So ging eS bei jeder Herrschaft, und end-
lich war sie in so Übeln Ruf gekommen, daß sie gar keine
Herrschaft mehr finden konnte. Sie musste also ihre Vater-
stadt verlassen, und da sie eö auch an fremden Orten nicht
besser machte, so hatte sie überall dasselbe Schicksal, und kam
zuletzt so herunter, daß sie nur sehr kümmerlich von Ta-
gelöhnerarbeit sich nähren konnte. ~
33. Ein guter Denkspruch ist ein Freund in der Noth.
Eines Tages, da viele Kinder in der Schule zu Mildheim
den aufgegebenen Denkspruch nicht ordentlich auswendig
wussten, erzählte der Lehrer folgende lehrreiche Geschichte,
welche sich zu Mildheim zugetragen hatte.
Valentin, ein junger Bauer, der gute Sohn eines
bösen Vaters, hatte noch bei Lebzeiten desselben den äußerst
verschuldeten und vernachlässigten Akkerhof übernommen.
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 6!
um seiner Mutter ein ruhiges Alter zu verschaffen. Der
arme Valentin hatte aus kindlicher Liebe eine große Last
auf sich geladen. Mit Kummer erwachte er am Morgen, mit
Sorgen legte er sich Abends zur Ruhe. Er hatte nicht ein
Mal so viel Geld, um Korn zur Aussaat zu kaufen, oder
die Bestellung seines Akkers zu bezahlen. Zwar hatte ein
Nachbar aus Mitleiden sich erboten, ihm einen Theil seines
Akkerö bis zur Besäung zu bestellen; aber wo sollte der ar-
me Valentin das Geld hernehmen, um Saatkorn zu kau-
fen? Er sann hin und her. Zu borgen war ihm bedenklich,
denn wovon sollte er wieder bezahlen, da die Schuldenlast
schon so groß war? Vielleicht, dachte er endlich, findest du
Vorrath bei einem Hamster. Er suchte, und fand glücklich
die Vorrathökammer eines Hamsters, und in derselben so
viel Weizen, wie er bedurfte. Noch waren die Körner un-
versehrt und zum Keimen geschickt. Von einer schweren
Sorge war nun doch der arme bekümmerte Valentin frei.
Freudig verkündigte er seinen Fund dem Nachbar, der so-
gleich bereit war, ihm die Saat unterzueggen. Jetzt begab
er sich aus seinen Akker, um die Saat auszustreuen. Er
that es unter Thränen; denn wie traurig war noch immer
seine Lage. „WaS wird aus dir, aus deiner alten Mutter,
deinen Brüdern und Schwestern werden, dachte er bei sich
selbst, wenn die Saat nicht gedeihen sollte! Vielleicht
wäre es besser, bu dientest bei guten Leuten, als daß du
ein Akkergut besitzest, dessen Schuldenlast dich zu Boden
drückt!" Aus ein Mal wurde er heiter, und fasste Muth;
denn ihm fiel ein tröstlicher Denkspruch ein, den er in
den Knabenjahren gelernt hatte. Dieser Spruch hieß: „die
mit Thränen säen, werden mit Freuden ernd-
ten," oder mit andern Worten: wer mit Sorge und Kum-
mer eine Unternehnnmg anfängt, wird Freudenthränen wei-
nen, wenn sie gelingt. Valentin fühlte sich getröstet und ge-
stärkt, indem er dachte: auch meine Kummerthränen können
ja durch Gottes Güte irr Freudenthränen verwandelt werden,
wenn die Erndte kommt; ich will das Beste hoffen, und red-
lich thun, was ich kann. Täglich dachte er an seinen Trost-
spruch, und nun wurde er nicht wieder muthlos. Er hatte
wirklich das Glücks eine sehr reiche Erndte zu machen, und
bald half er sich wieder so weit, daß er ein Pferd anschaffen
konnte. Damit bearbeitete er den kleinen Akker, welcher noch
mwerschuldet war. und im Winter that er damit Fuhren für
62
11. Erzählungen
Lohn. DaS eine Pferd brachte ihm so viel ein, daß er bald
ein zweites, und endlich noch ein drittes anschaffen, eine
Schuld nach der andern bezahlen, und sich nach Verlaus
einiger Jahre ganz von Schulden frei machen konnte. Noch
lebt der brave Valentin in einem hohen Alter, und im
Wohlstände, und nie spricht er von seinem ehemaligen trau-
rigen Schicksal, ohne hinzuzufügen: „die mit Thränen
säen, werden mit Freuden erndten."
34. Verführung.
Stephan, der Sohn eines Tagelöhners, war so gesund
und stark, daß er schon in seinem vierzehnten Jahre völlig
ausgewachsen war. Seine beiden Brüder waren Maiuer
und Stephait wünschte auch ein Maurer zu werden. Er
wurde daher mit ihnen auf Arbeit geschickt. Hier war er
nun fast unter lauter ruchlosen und verwilderten Menschen,
welche beständig fluchten, sich zankten, und, wenn sie einig
waren, unzüchtige Lieder sangen. Dabei tranken sie bestän-
dig Braw.Uetvein. Sehr bald forderten sie den jungen Sre-
phan auf, mit ihnen zu trinken. Dieser weigerte sich an-
fangs, weil er schon ein Mal einen Schluck Branntewein ge-
mmkell hatte, und davoi: ganz betäubt wordelt war. Aber
mm spotteten die Gesellen seiner, und einer sagte zu ihm:
Junge, wenn du ein tüchtiger Maurer werden willst, so musst
du Branntewein trinken lernen. (Was meint ihr, hatten sie
Recht?) Durch das viele Zureden wurde Stephan endlich
dahin gebracht, daß er den Branntewein versuchte; er
schmeckte ihm nicht übel, und es bauerte nicht lange, so trank
er so gut seinen Schnaps, wie die Gesellen. (War das gut? )
Da Stephan sahe, daß die Gesellen beständig die Tabackö-
pfeife im Munde hatten, so glaubte er, das Tabacksrauchen
gehöre ebenfalls zu den Eigenschaften eines guten Maurers.
Er schaffte sich also bald eine Pfeife an. Aber er rnusste viel
ausstehen, ehe er es dahin brachte, mit Fertigkeit zu rauchen.
Oft wurde ihm so übel und weh, daß er den Taback gar nicht
mehr anzurühren beschloß; allein die Nekkereien seiner Ka-
meraden brachten ihn immer wieder dahin, daß er es aufs
Neue versuchte, und endlich waren die Schwierigkeiten über-
wuilden. (War er deswegen glücklich zu preisen?) dkm: hielt
sich Stephan im Ernste für einen ganzen Mann, weil er Alles
mitmachen konnte, was die Andern machten. — Aber nach
einiger Zeit schien er nicht mehr reckt gesund zu sein. — Die
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 63
frische, rothe Gesichtsfarbe, welche er sonst gehabt hatte, ver-
.or sich; er ward blaß und mager, war immer träge und ver-
drossen, und hatte keine Lust zum Essen, ja er konnte sogar
manche Speisen nicht mehr verdauen, die ihm sonst recht
gut bekommen waren. Bald that ihm der Kopf web, bald
batte er Leibschmerzen, und oft zitterten ihm Hände und
Füße. (Was war wohl die Ursache, daß Stephan so sehr
abnahm, und so schwach wurde?) Unverständige Leute rie-
chen seinen Aeltern, daß sie ihm zuweilen ein wenig Brann-
tewein geben mochten. (Warum war dies kein guter Rath?)
Sie thaten es, weil sie hofften, ihn dadurch zu stärken,
aber sie schwächten ihn nur noch mehr, und Stephan mochte
nicht gestehen, was für eine unordentliche Lebensart er
seit einiger Zeit geführt hatte. (War es ein Wunder, daß
Stephan nie wieder recht gesund wurde?)
Das war noch nicht alles Böse, wozu sich der leicht-
sinnige Stephan verführen ließ. An einem Sonntage, als
er nicht wusste, womit er sich die Zeit vertreiben sollte, sahe
er einige Kameraden in ein Wirthshaus gehen, wo Musik
gemacht wurde. Da geht eö lustig zu, dachte Stephan,
und ging hinein. Einige seiner Kameraden saßen da in ei-
ner niedrigen Stube, deren Wände von Tabacksdamps
ganz schwarz waren, an einem langen Tische, tmd zechten
tüchtig. Bon den vielen brennenden Tabackspfeifen war
die Stube so voll Dampf, daß man nicht einen Schritt
weit um sich sehen konnte. Nachdem man eine Weile bei-
einander gesessen hatte, that einer den Vorschlag, ob man
nicht Karten spielen wollte. Alle waren es zufrieden, und
Stephan wurde auch dazu eingeladen; aber er verstand das
Spiel nicht. Doch bald fand sich einer, der sich erbot, es
ihn zu lehren, und ehe der Abend zu Ende ging, hatte es
Stephan schon gelernt. Am nächsten Sonntage fand er sich
wieder ein, und nun sollte er schon um Geld spielen. Er
hielt es für schimpflich, dies auszuschlagen, und siehe da,
er hatte das Glück, zu gewinnen. Wir wollen hören, ob daS
ein so großes Glück war. Stephan bekam nun sehr viel Luft
zum Spielen, aber er war nicht immer so glücklich, wie irrt
Anfange; oft verlor er die Paar Groschen, welche er sehr
nöthig gebrauchte, um sich Frühstück und Abendbrod zu kau-
fen, und dann musste er hungern. Das gefiel ihm freilich
nicht, aber dennoch konnte er von dem Spielen nicht los-
kommen; denn wen» er auch manch Mal sich vornahm: heute
o4 II. Erzählungen
will ich gewiß nicht wieder ins Wirthshaus gehen und jpte-
len! so ließ er sich doch immer wieder verführen, wenn ei-
ner seiner Kameraden kam, und ihm zuredete. Die Hoff-
nung, das Verlorene wieder zn gewinnen, trieb ihn immer
wieder in das Wirthshaus und an den Spieltisch; aber
wie traurig schlich er dann des Abends nach Hanse, wenn er
nun abermals verloren, oder doch Nichts gewonnen hatte!
Einst war er dadurch in so große Geldnoth gerathen, daß er
sich gar nicht mehr zu helfen wusste, und da kam er auf den
schrecklichen Gedanken, in einem Hause, wo er arbeitete, zu
stehlen. Er nahm einen Rock und einen silbernen Löffel weg,
nicht ohne große Angst und Beklennnung. (O, hätte er dock-
lieber gehungert, oder Andere um eine Gabe angesprochen!)
Als er den Löffel verkaufen nwllte, ward er als verdächtig
angehalten, sein Diebstahl kain heraus, und er musste lange
im Gefängnisse sitzen. Dadurch kam er vollends herunter,
und von dieser Zeit an wurde er nie wieder recht fröhlich,
und gelangte auch niemals zu einigem Wohlstände. Wie
traurig sind die Folgen der Spielsucht!
35. Der undankbare Schüler.
Änton wurde von seinen Acltern zwar in die Schule ge-
bracht, aber nicht dazu angehalten, die Schule ordentlich
zu besuchen; daher kam er oft zn spät, und manche Tage gar
nicht in die Schule. Wenn der Lehrer dann nach ihm fragte
so hieß cö immer: Anton habe für seine Aeltern weggehen
müssen, oder er sei krank, oder auch: er könne heute mcht
kommen, weil er zu Hause nothwendig ju thun habe. Da-
mit war der Lehrer freilich nicht zufrieden; denn wie war es
wohl möglich, daß Anton in Kenntnissen weiter kam, wenn
er die Schule so oft versäumte? Aber was den Lehrer vorzüg-
lich verdroß, war dies, daß Anton sich gar nichts aus dem Un-
terrichte machte, sich immer treiben ließ, und keinen Lerneifer
zeigte, besonders nachdem er endlich so weit gekominen war,
daß er ein wenig lesen und schreiben konnte; denn dieser Kna-
be war thöricht genug, zu meinen, er thue nur dem Lehrer
damit einen Gefallen, wenn er in der Schule fleißig und auf-
merksam sei. Es fiel ihm gar nicht ein, dies für seine Schul-
digkeit zu halten. Er hatte daher die vier Jahre in wel-
chen er die Schule besuchte, schlecht genug angewandt, und
wenig gelernt. Desto mehr erstaunte der Lehrer, als Anton
eines Tages in die Schule ttat, und ihm anzeigte, daß er
zur Beförderung guter Gesinnungen rc. 65
nun nicht mehr in die Schule kommen würde. Will dich
dein Vater in eine andere Schule bringen? fragte der Ley-
rer. Nein, antwortete Anton, ich soll nun gar nicht mehr
in die Schule gehen, mein Vater braucht mich zu Hause.
Darüber muß ich mich wundern, erwiederte der Lehrer; denn
du gehst ja erst seit vier Jahren in die Schule, und haft
in dieser Zeit wenigstens drei Mal in jeder Woche gefehlt,
bist auch nie recht fleißig gewesen. — Mein Vater sagt,
ich wüßte nun genug, und er wäre auch nur bis zum vier-
zehnten Jahre in die Schule gegangen; nun müßte er mich
ausS Handwerk Ihm, damit ich mir bald'selbst mein Brod
erwerben konnte. — Aber meinst du denn, sagte der Leh-
rer, daß der Meister einen Lehrling annehmen wird, der
weder fertig lesen, noch fertig schreiben und rechnen kann?
Und wie willst du künftig fertig werden, wenn du mm
selbst Meister geworden bist, und eine Rechnung schreiben,
oder Etwas ausrechnen sollst? — Anton wußte hieraus
weiter Nichts zu antworren, als daß sein Vater gesagt
habe, er hatte auch nicht mehr gekonnt, als er aus der
Schule gekommen wäre. Das war nun fteilich wahr, aber
Antons Vater hatte es auch dafür nie weil gebracht; er
lebte von seinem Handwerke sehr kümmerlich, und doch
würde es ihn reichlich ernährt haben, wenn er in der Ju-
gend mehr gelernt hätte. Anton nahut also Abschied von
der Schule, das heißt: er kam nicht wieder, dankte auch
seinem Lehrer nicht siir den Unterricht und die Mühe, wel-
che er sich mit ihm gegeben hatte. Gefällt euch dieses Be-
tragen? Wolltet ihr auch ein Mal so von der Schule Ab-
schied nehmen, wie dieser Knabe?
36. Falsche Scham.
^s giebt Menschen, welche sich schämen, wenn sie etwas
Anständiges und Gutes thun sollen, aber sich nicht schä-
men, etwas Unanständiges oder Unrechtes zu thun, ja wohl
gar sich rühmen, Etwas gethan zu haben, waö unerlaubt
und schändlich ist. Solch ein Mensch war Philipp, der
Sohn eines Kaufmannes. Er schämte sich nicht, auf der
Straße ungezogett und wild zu sein, zu toben und zu lär-
men, und sich mit seinen Gespielen herum zu balgen; er
schämte sich nicht, diejenigeit auf eine höchst gemeine Art zu
schimpfen, welche ibm auf irgend eine Weise zu nahe kamen:
ja er rühmte sich sogar eilt Mal, daß er einen seiner Mit-
5
66 II. Erzählungen
schüler, der ihm nicht aus dem Wege gegangen sei, tüchtig
abgeprügelt, und auf die Erde geworfen habe. Waren
denn dies wirklich rühmliche Handlungen? Einst war Phi-
lipp gegen seinen Lehrer trotzig und widerspenstig gewesen.
Sein Vater erfuhr es, denn er hatte sich seines Trotzes scham-
los gerühmt, als ob er ganz recht daran gethan hätte, sich
seinem Lehrer zu widersetzen. Philipp sollte nun, aus Befehl
seines Vaters, dem Lehrer Abbitte thun, und Besserung
versprechen; aber dazu war er nicht zu bewegen: er schämte
sich, sem Unrecht wieder gut zu machen, und meinte, daß
cs doch eine gar zu große Schande sei, wenn er abbitten
sollte: er wolle sich lieber jeder andern Strafe unterwerfen,
wenn sie auch noch so hart sei. Wie gefällt euch dieses Betra-
gen Philipps? Glaubet ihr wohl, daß es nachahmungs-
würdig sei? Philipp musste sich freilich zuletzt zur Abbitte
entschließen, aber er that es mit einem solchen Widerwillen,
als ob es eine schändliche Handlung wäre, das Böse, was
man gethan hat, wieder gut zu machen. Was würdet ihr
gethan haben, wenn ihr an seiner Stelle gewesen wäret?
Anton, der Bruder dieses Philipps, hatte zwar eine
bessere Gesinnung, aber er schämte sich auch zuweilen, wo
er sich nicht zu schämen brauchte. Er hatte z. B. ein Mal
tu der Schule eine sehr schöne Erzählung auswendig ler-
nen müssen; nun sollte er vortreten, und sie vor seinen
Mitschülern hersagen, weil er die Geschicklichkeit hatte,
nicht nur sehr deutlich, sondern auch in dem rechten Tone
zu lesen. Ader er schämte sich, und wollte anfangs durch-
aus nicht vortreten, ob er gleich sonst seinem Lehrer gehor-
sam war. Erst nach vielem Zureden, und als der Lehrer
ihm ernstlich drohte, sagte er seine Erzählung her; aber er
that es mit nieoergesenktem Kopfe, und sprach dabei so
leise und undeutlich, daß der Lehrer unmöglich mit ihm zu-
frieden sein konnte. Jetzt, da er seine Sache so schlecht ge-
macht hatte, durste er sich wohl schämen; aber zuvor auch?
37. Der unbesonnene Spaß.
3öenn Ferdinand Gespenstergeschichten hatte erzählen
hören, so konnte er oft die ganze Nacht nicht einschlafen, denn
er war unglaublich furchtsam, und ob ihm gleich seine
Aeltern und Lehrer oft genug gesagt hatten, daß es thöricht
sei, sich vor Gespenstern zu fürchten, so konnte er doch die
Furcht davor nicht unterdrükken. Als er zu einem Schlöss
67
zur Beförderung guter Gesinnungen re.
sermeister in die Lehre gekommen war, musste er mit den
beiden Söhnen seines Meisters auf einer Bodenkammer
schlafen. Diese Knaben hatten es dem treuherzigen Ferdi-
nand bald angemerkt, daß er sich vor Gespenstern fürchte
und beschlossen, sich ein Mal mit ihm einen Spaß zu machen
Der eine gab daher eines Abends vor, daß er sehr müde wäre,
und stich zu Bette gehen wolle. Er hatte aber mit seinem
Bruder verabredet, daß er sich unter Ferdinands Bette le-
gen, und weiln dieser tm Bette wäre, erst mit Ketten rasseln,
dann Plötzlich hervorkommen, und, in ein weißes Betttuch
gehüllt, an sein Bette treten wolle,- der Bruder sollte die
Thür der Schlafkammer verschließen, damit Ferdinand nicht
entwischen könne. Was meint ihr zu dieser Verabredung? —
Alles geschahe, wie es verabredet war, lind der furchtsame
Ferdinand wurde mich wirklich durch das Rasseln der Ket-
ten unter seinem Bette so sehr getäuscht, daß er in das größte
Schrekken gerieth, und in seinem Bette Angstschweiß vergoß.
Er rief endlich um Hülfe bekam aber keine Antwort. Nun
stieg seine Angst arifs Höchste; er sprang auS dem Bette lind
wollte zur Thür hinaus, als die weiße Gestalt vor ihn trab,
und ihn packte. Ohiiniächti'g stürzte Ferdinaird auf die Erde,
und gab keinen Laut von sich. Eirdlich merkten die bösen
Buben, waS sie mit ihrem unbesonnenen Spaß angerich-
ret hatten, uiid wollten nun den armen Ferdinand auö sei-
nem Irrthum reißen; aber jetzt war eö zu spät; Ferdinand
lag leblos da. Angstvoll riefelt sie ihre Aeltern herbei, lind
mit großer Mühe ward der ohnmächtige Ferdinand wieder
ins Leben gebracht; aber er erholte sich sobald nicht wieder,
denn ein hitziges Fieber befiel ihn in Folge der Angst, welche
er ausgestanden hatte. Nun bereiteten die beiden Knaben
ihren Spaß, denn sie hatten sich nicht vorgestellt, daß er
so übel ablaufen körmte. Der Vater strafte sie hart dafür,
und bemühte sich, Ferdinanden voll seiner thörichten Furcht-
samkeit nach lind nach zu besteien.
38. Ehrlich währt am längsten.
öeonhard war zwölf Jahre alt, als er das Unglück hatte,
daß ihm sein Vater starb. Nun hatte er keinen Versorger
mehr, denn seine Mntttr war so kränklich, daß sie ihn un-
möglich mit ihrer Hände Arbeit ernähren konnte. Leonhard
fasste daher den Entschluß, selbst sein Unterkommeil zii suchen,
im seiner Mutter nickt zur Last zu fallen. Kanii ick dock
5*
68
II. Erzählungen
fertig lesen, schreiben und rechnen! dachte er bei sich selbst
wie sollte ich nicht durch die Welt kommen, wenn ich fleißig
und ehrlich bin? Er nahm von seiner Mutter Abschied, und
wanderte nach einer nahe gelegenen Stadt, wo ein Freund
seines Vaters wohnte, der ein wohlhabender Kaufmann war.
Vei diesem meldete sich Leonhard, erzählte ihm sein trauri-
ges Schicksal, und bat ihn um Unterstützung. Gern will ich
vom Morgen bis zum Abend arbeiten, sagte er, wenn Sie
sich nur meiner annehmen wollen. Herr Schulz, (so hieß
der Kaufmann) war bereit, den vaterlosen Knaben in sein
Haus uud in seine Dienste zu nehmen, wenn er verspräche,
ihm treu und ehrlich zu dienen. Das versprach Leonhard mir
so vieler Treuherzigkeit, daß Herr Schulz zu ihm
fasste. Er übertnig ihm nunstallerlei kleine Geschäfte, wobei
er Gelegenheit hatte, seine Geduld und Sorgfalt kennen zu
lernen, und fand Ursache, mit ihm zufrieden zu sein. Beson-
ders gefiel ihm die Auftichtigkeit, mit welcher Leonhard oft
sich selbst anklagte, wenn er Etwas nicht recht gemacht, oder
vergessen hatte, und die Lernbegierde, welche er bei jeder Ge-
legenheit zeigte. Bald hatte der gute Knabe so sehr das Zu-
trauen seines Wohlthäters gewonnen, daß dieser ihm sogar
die Schlüssel zu seiner Stube anvertraute, wenn er des
Abends ausging; und es hätte seinem Glükke Nichts ge-
fehlt, wenn nicht die alte bösartige Haushälterinn des Herrn
Schulz seine Feindinn geworden wäre; denn diese gab sich
alle ersinnliche Mühe, ihn anzuschwärzen, und aus dem
Hause zu bringen, weil sie an ihm einen lästigen Aufseher
batte, und nun nicht mehr, wie zuvor, aus Unkosten ihreö
Herrn, ihre Klatschschwestern traktiren konnte. Glücklicher
Weise gehörte Herr Schulz nicht zu den argwöhnischen
Menschen, und war also sehr geneigt, den Leonhard so
lange für einen guten Knaben zu halten, bis er Gründe
hatte, das Gegentheil zu glauben. (Welches ist das Ge-
gentheil?) Er hielt die Beschuldigungen der alten Haus-
hälterinn daher für falsch, beobachtete aber aus Vorsicht
Leonbarden desto sorgfältiger, und setzte seine Ehrlichkeit
zuweilen auf eine schwere Probe. Da er ihn aber nie auf
einer Lüge betraf, so traute er ihm auch keine Betrügerei
zu. Ost schickte er ihn aus, um etwas einzukaufen, und gab
ihm dann mehr Geld mit, als er brauchte; aber immer
brachte Leonhard das Uebrige treulich wieder, uud nichi
selten batte er wohlfeiler eingekauft, als Herr Schulz ge-
69
zur Beförderung guter Gesinnungen :r.
dacht hatte. — Einst ließ dieser mit Vorsatz ein Goldstück
in einer leeren Geldtüte, um zu sehen, ob Leonhard wohl
ehrlich genug sein würde, eö nicht zu behalten. Leonhard
fand daö Goldstück, als gerade ein Diener des Herrn Schulz
gegenwärtig war. Dies ist ein guter Fund! rief dieser
freudig aus, dafiir wollen wir uns einen guten Tag machen,
lieber Leonhard; denn so einfältig wirst du doch wohl nicht
sein, das Goldstück denn Herrn wieder zu geben? Allerdings
werde ich es unserm Herrn wiederbringen, antwortete Leon-
hard, beim ihm gehört es, und nicht uns. Mit gutem Ge-
wissen können wir cS nicht behalten, und ich mag mein gu-
tes Gewissen nicht verlieren. Er lieferte es auf der Stelle
seinem Herrn ab, und dieser war darüber so erfreut, daß
er es ihm zum Geschenk machte. Seit dieser Zeit verlor
er niemals daS Zutrauen seines Wohlthäters; und da die-
ser keine Kinder hatte, so setzte er den ehrlichen und treuen
Leonhard zum Erben seines ganzen Vermögens ein.
39. Jugendliche Unbesonnenheit.
Hermann hatte einen redlichen, aber sehr strengen Ba-
rer, der ihn beftäirdig zur Arbeit anhielt, und ihm nur sel-
ten ein Vergnügen erlaubte, weil er der Meinung war, daß
es jungen Leuten sehr heilsam sei, wenn sie frühzeitig dazu
gewöhnt würden, anhaltend zu arbeiten, und es sich sauer
werden zu lassen, damit sie nicht hernach den Muth ver-
lieren, wenn sie die Mühseligkeiten ihres Berufs ertragen
sollen. Hermaitn hatte einige Schulfreunde, welche nicht so
strenge erzogen wurden, und diese setzten ihm in den Kops, sein
Vater ginge zu hart mit ihm um, und er habe nicht nöthig,
sich das gefallen zu lassen. Wie kannst du, sagten sie, bei
dieser Lebensart deines Lebens froh werden; du darfst ja
nicht ein Mal des Sonntags ausgehen, wohin du willst?
Wenit ich wie du wäre, sagte einer unter ihnen, ich machte
es, wie es schon vi-ele gemacht haben, und ginge in die
weite Welt. So hat Mancher sein Glück gemacht, und ich
habe noch kürzlich von einem Manne gelesen, der auf diese
Art in Amerika zu großem Reichthum gelangt ist. Du wä-
rest ja ein Narr, wenn du dich länger quältest! Diese thö-
richten Zuredungen fanden endlich bei Hermann Eingang,
und er ging nun wirklich damit urn, seinen guten Aeltern
zu entlaufen. Da er eine ziemlich volle Sparbüchse haue,
70 II. Erzählungen
so meinte er, es fei nicht möglich, daß er in Noch gera-
then könnte.
Eines Tages machte er sich in aller Frühe mit seinem
kleinen Schatze auf den Weg, nicht ohne Herzklopfen; denn
er fühlte es doch, daß er sich an seinen Aeltern sehr versün-
digte. Indeß beruhigte er sich bald durch die eitle Hoffnung,
daß er sein Glück machen, und dann sehr leicht Vergebung
erhalten würde. Er wanderte einige Tage nach einander
fort, und erschrak nicht wenig, als er benierkte, daß seine
Baarschaft zu Ende ging. Nun machte er einige Versuche,
bei guten Leuten unterzukommen; allein überall wies man
ihn ab, theils weil er nicht sehr ordentlich aussah, theils
weil er noch sehr jung und schwächlich war. Dennoch setzte
Hermann seine Wanderschaft fort; denn er schämte und
fürchtete sich nun, zu seinen Aeltern zurück zu kehren. Der
Hunger zwang ihn endlich, einen Bauer zu bitten, daß er
ihn in seine Dienste nehmen möchte, und der Bauer war
auch bereit dazu; allein Hermann sollte nun allerlei schwere
Arbeiten thun, und bekam dabei so schlechtes Essen, daß er
es bald nicht mehr aushalten konnte. Nun kam er zur
Besinnung, bereuete schmerzlich, was er gethan hatte, und
beschloß, zu seinen Aeltern zurück zu kehren. In einem
höchst traurigen Zustande, bleich, abgezehrt und zerlumpt
kam er in seiner Vaterstadt wieder an, und wartete den
Abend ab, um sich dann im Dunkeln nach dem Hause sei-
ner Aeltern hinzuschleichen. Sein Vater erkannte ihn an-
fangs nicht, und erschrak über den kläglichen Zustand, in
welchem er ihn vor sich sah. Sehr ernsthaft, aber doch
gütig, empfing er ihn; seine Mutter weinte Freudenthränen
über ihren verlornen, unv nun tviedergeftindenen Sohn.
Reuevoll gestand er, daß er nicht mehr werth sei, ihr Sohn
zu heißen, und demüthig unterwarf er sich der verdienten
Strafe. Sie bestand darin, daß er eine Zeit lang nicht an
dem Tische seiner Aeltern essen, und in ihrer Gesellschaft
sein durfte, sondern in einem entfernten Zimmer des Hau-
ses einsam seine Zeit zubringen mußte. Hermann wurde
von dieser Zeit an ein guter Sohn.
40. Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz.
In einer kleinen Stadt wurden von der Obrigkeit einige
gutdenkende Bürger von Haus zu HauS umhergeschickt, uw
eine Beisteuer für die verarmten Einwohner der Stadt einzu-
71
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
sammeln. Sie kamen unter andern frühmorgens auf den
Hof eines wohlhabenden Bauers. Sie fanden ihn vor dem
Stalle, und horten, indenr sie sich ihm näherten, wie er es
dem Knechte eifrig verwies, daß er die Strikte, woran die
Pferde gespannt gewesen waren, über Nacht im Regen
gelassen, und nicht ins Trockne gebracht hatte. „O
weh! der Mann ist genau!" sprach Einer zum Andern,
„hier wird es nicht viel geben!" Wir wollen wenigstens
versuchen, sagte ein Anderer, und sie gingen näher.
Der Herr empfing die Fremden sehr freundlich, und indeß
er mit ihnen in sein Haus ging, brachten sie ihr Begeh-
ren an. Wie groß war ihre Verwunderung, als er ihnen
sehr bereitwillig ein ansehnliches Geschenk an Gelde gab,
und noch versprach, er wolle alle Jahre um die Zeit eben so
viel geben. Die Bürger konnten in ihrer dankbaren Rührung
sich nicht enthalten, dem wohlthätigen Mann zu gestehen,
daß seine Mildthätigkeit ihnen ganz unerwartet sei, indem
der Verweis, den er vorher dem Knechte wegen einer so un-
bedeutenden Kleinigkeit gegeben hätte, sie aus den Argwohn
gebracht habe, daß er wohl sehr genau sein müffe.
„Lieben Freunde," war seine Antwort, „eben dadurch,
„daß ich das Meinige jeder Zeit zu Rathe hielt, kam ich in
„den glücklichen Zustand, wohlthätig sein zu können."
Schäme dich nicht der Sparsamkeit, und halte sie
nicht für Geiz, nur des Geizes mufft du dich schämen!
Weigere dich nicht, wohlthätig zu sein, indem du die Wohl-
thätigkeit fälschlich für Verschwendung hältst. Aber sei auch
am rechten Orte wohlthätig, und gehe darum bei deinem
Wohlthun mit Vorsicht zu Werke.
41. Der Bienenstock.
38ater Biedermann hatte vier Kinder; sie hießen:
Karl, Bernhard, Lotte und Hannchen. Eines Ta-
ges sagte er zu ihnen: hört, Kinder, wer von euch mor-
gen früh um sechs Uhr aufsteht, ohne daß ich ihn wekke, dem
will ich ein rechtes Fest machen. Die Kinder horchten hoch
auf. Was denn für ein Fest? lieber Vater, fragte Lotte. —
Steh du nur zu rechter Zeit auf, ohne daß ich dich wekke,
so wirst du erfahren, was es für ein Fest ist, sagte der Vater.
— O, ich will gewiß noch vor sechs Uhr aufstehen, ohne
daß du mich weckst! rief Lotte. — Ich auch! ich auch!
riefen Alle.
72
51. Erzählungen
Jetzt schlug die Glokke zehn. Nun war es Zeit, zu
Bette zu gehen. Sie sagten Alle dem Vater gute Nacht,
und jedes Kind sprach dabei: du sollst sehen, Vater, daß ich
morgen^ früh um sechs Uhr aus dem Bette sein will. Rust
legten sie sich zu Bette, und jedes sagte für sich, che es ein-
schlref: halb sechs Uhr! halb sechs Uhr! Bernhard schrieb
sogar mit Kreide über sein Bette: morgen um halb sechs
Uhr steht Bernhard auf! — Da sah man recht, daß der
Mensch Alles kann, was er recht ernstlich will. Kaum Halle
es am andern Morgen ein Viertel aus Sechs geschlagen, so
waren schon alle Kinder munter. Jedes stand auf, zog sich
an, und schlich sich zur Kammer hinaus; denn jedes glaubte
das erste zu sein. Aber fast zu gleicher Zeit kamen sie alle in
der Wohnstube an. Guten Morgen! riefen sie steudig eins
dem andern zu. Nun, sagten sie, wollen wir doch sehen,
was fiir ein Fest tins der Vater machen wird!
Sie gingen zum Vater. Ei, sprach dieser, wenn der
Vater verspricht, den Kindern ein Fest zu machen, dann kön-
nen sie Alle früh aufstehen. Nun, ich halte Wort. Aber erst
thut, Kinder, was alle gute Kinder thun, sobald sie aus dem
Beite kommen. — Da kämmten sie sich, wuschen sich die
Hände und das Gesicht, und spülten beit Mund mit frischem
Wasser aus. Nun kamen sie wieder zum Vater, und Hann-
chen fragte ungeduldig: machst du uns nun ein Fest?— Da
ist's! ries der Vater, und warf jedem Kinde eine Kappe
über den Kopf. Vor den Augen, der Nase und dem
Munde war ein Gitter von Drath, und der ganze übrige
Kopf war mit einem Tuche bedeckt.
Merkt ihr was? sprach Bernhard zu den andern Kin-
dern, der Vater schneidet gewiß Honig.
Richtig! sagte der Vater, gefällt euch dieser Spaß?
O ja! o ja! riefen alle, und folgten dem Vater, der
nun auch eine Kappe über den Kopf nahm, und jedem Kinde
Etwas zu tragen gab. Bernhard trug eine Pfanne voll Koh-
len, die glühend waren; Karl ein Büschel Wermuth; von
den Mädchen jedes ein langes Messer; der Vater und bie
Mutter folgten mit einem Siebe und einem Paar Schüs-
seln nach.
Jetzt kam der ganze Zug im Garten an, und nun ging
das Fest recht an. Der Vater machte das Haus auf, in dem
die Bienen waren, und trug jeden Stock von seinem Platze
weg; dann irahm er ein Büschel Wermuth, das er auf die
73
zur Beförderung guter Gesinnungen k.
Kohlen gelegt hatte, und ließ den Rauch davon in den Stock
ziehen. Da zogen sich die Bienen zurück, und der Vater
schnitt nun erst Wachs heraus, welches er in das Sieb legte,
dann auch große Stükke Honig. Das war eine Freude! Nun
mig man den Honig in die Stube; die Kinder folgten, und
die Mutter holte Semmeln, auf welche sie Honig für die
Kinder streichen wollte. Auch der Vater ging fort, und sagte:
Kinder! nun mache ich euch noch ein Fest: ich lasse für euch
Honig auf Semmeln streichen; aber nasche mir Niemand!
Kein Kind naschte, außer — Hannchen. Diese war
lüstern, schlich sich an den Tisch, nahm ein Stück Honig
aus der Schüssel, und steckte es in den Mund. Aus ein Mal
schrie sie aber so schrecklich auf, daß es durch das ganze HauS
schallte. Die Brüder und die Schwestern traten ängstlich um
sie, und fragten: was fehlt dir, Hannchen? Vater und
Mutter liefen herbei, und fragten: was fehlt dir? Aber
Hannchen hielt den Mund auf, und schrie, als wenn sie am
Spieße stäke. Die Mutter sah in den Mund, und siehe da!
ein Bienchen saß ihr aus der Zunge, welches im Honig ge-
wesen war, und mit dem Stachel an Hannchens Zunge hing.
Die Mutter nahm zwar die Biene weg, aber die Zunge
schwoll so stark auf, daß Hannchen den ganzen Tag keinen
Bissen essen konnte.
Die übrigen Kinder aßen ihre Semmeln mit Honig.
Sie schmeckten ihnen sehr gut, und Karl sprach: das Fest,
welches uns der Vater gemacht hat, gefällt mir.
Lotte sah durch das Fenster, und sah Minchen, deS
Nachbars Tochter, vorbei gehn.
Das arme Minchen! sprach sie; ihr Vater hat keine
Bienen, und kann ihr keinen Honig auf Semmeln streichen.
Liebe Mutter! willst vu des Nachbars Minchen nicht auch
ein Paar Semmeln mit Honig geben?
Recht gern, mein Kind, sprach die Mutter, gab ihr
die Semmeln mit Honig, und Lotte trug sie zu Minchen.
Was für eine Freude das Mädchen hatte! Wie sie Los-
chen dankte! Und nun schmeckte Lottchen ihr Honig noch
ein Mal so gut.
42. Der Fischreich.
Aerr Herbst hatte einen Teich, in welchem viele Karpfen
und Schleien waren. Wenn er nun seinen Kindern eine
Freude machen wollte, so ging er mu ihnen an den Teich:
74 O. Erzählungen
Jedes nahm ein Stück schwarzes Brot mit, und dann bracher,
sie davon, warfen es in das Wasser, und die Fische schnapp-
ten es weg. Da saßen sie nun oft eine Stunde lang, und
sahen zu, wie die Fische auf und ab schwammen, die Käfer,
die im Wasser leben, hin und her fuhren, hier und va ein
Frosch den Kopf aus dem Wasser steckte, — und husch! —
wieder hinunter war, wenn ihm ein Kind zu nahe kam.
Da wünschten die Kinder oft: wenn ich nur ein Mal
so ein Thier fangen, und in der Nähe sehen könnte! Herbst
ließ es aber nicht zu, daß ein Kind darnach greifen durfte.
War dies wohl recht? Ich glaube wohl. Ein Kind ist kein
Frosch und kein Fisch, die im Wasser leben. Wenn eins von
ihnen in das Wasser fiele, so wäre es aus mit ihm.
Ein Mal sprach auch Herr Herbst: wollen wir nach
dem Teiche gehen? Ja, ja! riefen Alle, und zogen fröhlich
mit ihm fort. Bernhard sprang voraus, und kam juerft
bei dem Teiche an. Kaum war er da, so drehete er sich um,
und rief den andern Kindern zu: Karl! Hanne! Lotte!
der Vater macht einen Spaß! kommt geschwind herbei!
Da lief Alles, was laufen konnte. Tausend! was war da!
Das Wasser war aus dem Teiche abgelassen, und auf dem
Boden wimmelte es von großen und kleinen Thieren. Hier
zappelte ein großer Karpfen, dort ein Paar Schleien, die
sich in dem Schlamme einzuwühlen suchten! Schmerlen,
Krebse, Frösche, Käfer, Larven u. s. w. bedeckten den Bo-
den des Teichs; kurz, der ganze Schlamm lebte.
Da hätte man die Freude der Kinder sehen sollen!
Eins rief: Vater! sieh den schrecklich großen Frosch! Ein
anderes: Lotte! Lotte! komm geschwind her, und sieh den
Krebs! Hannchen rief: o wer holt mir den Käser! sieh,
Bernhard! dort nicht weit von dem Karpfen, er hat einen
gelben Saum um die Flügel!
Endlich fing Bernhard an, und sagte: ach lieber Va-
ter! wenn du uns eine rechte Lust machen willst, so laß unS
in den Teich gehen; und Alle stimmten bei: lieber Vater!
thu' es doch! da wollen wir Fische, Krebse und Frösche
sangen. Das soll eine rechte Lust sein!
Nun, so geht denn hinein! sprach der Vater; ziehet
aber erst Schuhe und Strümpfe aus, leget die obern Klei-
der ab, in denen die Arme stekken, und streift die Aermel auf,
damit ihr die Kleider nicht zu schmuzzig machet. Dort stehen
die Körbe, in welche die Fische kommen sollen; hier ist ein
75
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
Korb für die Krebse, und da einige Töpfe, in welche ihr die
Frösche, Larven, und was sonst noch im Schlamme lebt,
»"-rfen könnt. Was für eine Freude war dies! Hundert und
mehrere Male zogen sonst die Kinder Schuhe und Strümpfe
aus, wenn sie inö Bette gingen; so schnell wurden sie aber
nie fertig, als dies Mal. Kaum hatte es der Vater gesagt,
so war auch schon Alles fertig, und sprang in den Teich. Das
war eine Lust! So oft ein Kind einen Fisch, Frosch, Krebs
oder eine Larve fing, jauchzte es, und machte seinen Fang
den übrigen kund.
Zwei Stunden lang erlaubte ihnen der Vater diese
Lust; dann klatschte er in die Hände, und befahl, daß sie mm
auö dem Teiche kommen sollten. So schnell ging es aber
nicht heraus, als hinein; jedes hatte noch etwas zu fangen.
Eins rief: nur den Krebs noch! Das andere: nur den
Schmer! noch, lieber, guter Vater! Aber der Vater sagte:
eins! zwei! drei! und dies war daö Zeichen, daß die Kin-
der folgen mussten. Sie sprangen also heraus. Aber wie
sahen sie aus! über und über waren sie mit Schlamm be-
deckt, und man konnte sie weiter riechen, als sehen.
Dies hatte die Mutter voraus gesehen, deswegen
batte sie andere Wäsche und Kleidung holen lassen. Der
Vater führte sie nun Alle zu einem Bache, wo sie ihre Füße,
Hände, Arme und Gesicht waschen mussten. Dann nahm
jedes Kind seine Wäsche und Kleidung, ging in einen Busch,
und zog sie an. Jetzt waren sie alle fertig.
Nun, Kinder! sprach der Vater, ihr fingt heute vre:e
Thiere; haben sie euch Schaden gethan?
Nein! sagten alle.
Vater. Glaubt ihr denn, daß ihnen in diesen Kör-
ben und Töpfen wohl ist?
Bernhard. Das glaube ich nicht.
Vater. Nun so ist es auch nicht recht, daß wir sie
lange leiden lassen. Christoph! (so hieß der Fischer, der
das Wasser aus dem Teiche ließ,) bringt mir alle die Thiere
her, welche die Kinder fingen, daß ich über sie Gericht halte.
Ihr, meine Kinder, Bernhard, Karl, Lotte und Hanne,
und du, gute Frau! setzt euch alle um mich, und gebt Acht,
ob ich recht richte. Bernhard! wenn ist es mir erlaubt,
ein Thier zu todten?
Bernhard. Wenn cs dir schadet.
7 6 ü. Erzählungen
Vater. Da darf ich also die Kuh nicht todten lassen;
denn diese schadet mir ja nicht.
Bernhard. Ja, die müssen wir todten lassen, damit
wir ihr Fleisch essen können.
Barer. Also darf ich ein Thier todten, wenn eS
mir schadet, oder wenn ich sein Fleisch essen kann. Aber
warum tödtet man den Wallfisch? Der schadet ja nicht,
und man isst ihn auch nicht.
Bernhard. Dies ist wohl wahr; aber man nutzt
doch sein Fett.
Lotte. Und das Fischbein.
Vater. Also haben wir zwei Fälle, in denen eS
recht ist, Thiere zu todten: wenn sie uns im Leben schaden,
oder wenn sie uns nützen, wenn sie todt sind. Nur: lasst uirö
diese Thiere alle vor Gericht bringen, und sehen, ob wir
ein Recht haben, sie zu todten. Hier stehen erstlich zwei
Körbe voll Karpfen! Haben sie uns Schaden gethan?
A l l e. Nein!
Vater. Nützt es uns, wenn wir sie tobten?
Bernhard. Ich denke: ja! Wir können sie essen,
und ihr Fleisch schmeckt gut.
Vater. So ist es ja wohl auch mit den Schleien, den
Schmerlen und den Krebsen? Mögt ihr sie wohl essen?
Lotte. Versuch' es nur, Mutter, und siede welche;
du sollst sehen, daß sie uns recht gut schmekken werden.
Vater. Nun, so sollen sie alle sterben! Weil wir
sie aber doch nicht alle ans ein Mal essen können, so sorgt
dafür, Christoph! daß sie in den Kasten, den ich für die
Fische und Krebse habe, gethan werden. Die Mutter wird
schon darauf sehen, daß sie nicht Noth leiden, und täglich
ihr Futter haben. Nun kommt die Reihe an die Herren
Frösche. Haben sie uns Schaden gethan?
Alle Nein! Nein!
Vater. Nützt es uns, wenn wir sie tobten? Soll
sie euch die Mutter vielleicht braten?
Hannchen. Fi! ich mag keinen Frosch essen. Willst
du, Lotte?
Lotte. Ich will Andern die Frösche lassen. Ich lobe
mir dafür die Krebse.
Vater. Nun, so mögen denn die Frösche leben!
Eben so sprach man auch die Larven und die Kä-
fer frei voni Tode. Herr Herbst nahm dann von jeder
zur Beförderung guter Gesinnungen. 77
Art dieser Thiere eins, zeigte es den Kindern, und sagte
ihnen, wie es lebe, sich nähre, und was eS nütze.
Da dies vorbei war, sprach der Bater: nun, Kin-
der, weil unS denn alle diese Thiere durch ihr Leben nicht
schaden, und durch ihren Tod nicht nützen, so gebt ihnen
die Freiheit.
Ja! ja! riefen alle, daS wollen wir thun!
Nun ging e§ wieder nach dem Teiche zu, und alle
Töpfe, in welchen diese Thiere waren, tragen sie dahin und
leerten sie aus. Das war ein Spaß über alle Sväße!
Wie sreueten sich die Kinder, da sie diese Thiere im Teiche
herumkriechen und Hüpfen sahen.
Jetzt sollte der Zug nach Hause gehen. Ehe der Va-
ter aber fortging, fragte er Bernharden; haben wir diese
Thiere wohl in den Teich gethan, daß sie sterben, oder daß
sie leben sollen?
Daß sie leben sollen! war Bernhards Antwort. 9iim,
sagte der Vater, so müssen wir auch dafür sorgen, daß sie
leben können. Er ließ daraus daS Loch zustopfen, durch
welches daS Wasser abfloß, und ba!-d fing daS Wasser im
Teiche wieder an zu steigen, und alle diese Thiere waren in
dem Wasser lustig.
Nun ging es nach Hause. Die Mutter, die voraus
war, hatte eine gute Mahlzeit, unter andern auch eine
Schüssel voll Krebse gekocht. Diese schmeckten den Kindern
herrlich, weil sie sich zuvor ein Paar Stunden in freier Lust
bewegt hatten.
Da sie satt waren, sagten sie alle: wir danken dir,
Vater; du hast uns heute ein rechtes Fest gemacht!
43. Mit Schießgewehren soll man nicht spielen.
Auf einem adeligen Gute bei Joachimsthal, in der Uker-
mark, ereignete sich vor wenigen Jahren folgender Unglücks-
fall. Der Jäger des Edelmanns ging eines Tages auf die
Jagd, und da er kein Wild antraf, so hängte er das mit einer
Kugel geladene Gewehr, als er nach Hause gekommen war,
in seiner Stube neben einer ungeladenen Flinte auf. Ein
junger Bursche von 15 Jahren, der mit dem Jäger aus einer
Stube wohnte, kam bald nachher, um Stiefeln zu putzen.
Dieser Bursche hatte von jeher Lust bezeigt, ein Jäger zu
werden, und spielte daher gar zu gern mit Flinten, wo er nur
ihrer habhaft werden konnte, so oft man ihn auch schon durch
78
II. Erzählungen
Drohungen und Schläge davon abzubringen versucht hatte.
Auch dies Mal konnte er's nicht lassen, eine Flinte von der
Wand zu nehmen, den Hahn aufzuspannen, und den Abzug
aufzudrükken, und unglücklicher Weise fällt ihm die geladene
Flinte in die Hände. Ehe er sich's versieht, geht die Flinte,
weil er unvorsichtig am Hahn gedrückt hatte, los, die Kugel
fährt durch das Fenster nach dem Hofe, und ein Kindermäd-
chen sinkt, von der Kugel getroffen, zur Erde, erhebt sich zwar
bald wieder, und wankt noch einige Schritte ächzend fort,
muß aber doch wieder hinsinken, während ein Kutscher, der
in der Nähe ist, ihr zu Hülfe eilt. Sie wird sogleich in's Bett
gebracht, und ein reitender Bote nach der Stadt geschickt, um
einen Arzt zu holen; allein sie stirbt nach einer halben Stunde
ohne Hülfe. Der Bursche hatte sich, von seinem bösen Ge-
wissen geängstigt, aus dem Fenster in den Garten hinab-
gestürzt, und war entkommen; allein schon am folgenden
Tage ward er entdeckt, und mußte nun, zur Strafe für seine
Unbesonnenheit, durch die er zum Mörder geworden war,
lange im Gefängnisse sitzen. Sein Herz wurde nie wieder
ganz ruhig, denn er konnte den Gedanken an diese That
Lebenslang nicht aus seiner Seele tilgen.
44. Eine gute Handlung aus Mitleid gegen Thiere,
nicht aus Liebe zu den Menschen.
(§in Lohnkutscher traf auf einer sehr schlechten Landstraße
einen Frachtfuhrmann, dessen Wagen im Morast versunken
war, und der ihn dringend um Beistand bat. Der Lohnkut-
scher warf ihm einige drohende Blikke zu, spannte aber, ohne
ein Wort zu sagen, seine Pferde vor den versunkenen Wagen,
und so wurde er glücklich wieder herausgezogen. Auf alle
Danksagungen antwortete er nur durch finstere Blikke, und
als ihm der Fuhrmann Geld anbot, sprach er in einem zor-
nigen Tone: ich mag's nicht I Ein Reisender, welcher dazu
kam, fragte den Lohnkutscher: wie er bei seiner Hülfsleisiung
so unfreundlich fein könnte? Eine Weile blieb er ihm die
Antwort schuldig; endlich sagte er: der Fuhrmann, dem ich
jetzt helfen musste, begegnete mir neulich an einer Stelle, wo
ich ihm augenscheinlich nicht auszuweichen im Stande war,
ohne Gefahr zu laufen, meinen Wagen zu zerbrechen, und
wo er mit seinem leeren Wagen sehr leicht ausweichen konnte.
Dennoch nöthigte er mich, aus dem Wege zu fahren, indem
79
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
er auf den Beistand seiner Gefährten trotzte. Hätte ich ihn
heute, da er allein war, nicht in großer Noth angettoffen, er
hätte es ausbaden sollen! Aber vielleicht wäre den ganzen
Tag kein Fuhrmann die Straße gekommen, der ihm hätte
helfen können, und das unschuldige Vieh jammerte mich! —
Wie gefällt euch die Denkungsart des Kutschers?
45. Traurige Folgen der Wildheit.
Ferdinand, der Sohn einer armen Wittwe, war, von sei-
ner frühesten Kindheit an, ein wilder, ungehorsamer und
leichtsinniger Knabe. Sein Vater hatte ihn strenge gehal-
ten, starb aber, als er erst 5 Jahr alt war, und die Mutter
war zu weichherzig, als daß sie sich hätte entschließen können,
den wilden Ferdinand zu züchtigen, wenn er ungehorsam ge-
wesen war; sie wollte ihn so gern bloß durch liebreiche Er-
mahnungen und Warnungen ziehen. Aber darauf achtete der
Wildfang nicht. Oft bat sie ihn sehr rührend, er möchte doch
nicht mehr so gefährliche Sprünge machen, und sein Leben
nicht durch Klettern in Gefahr setzen; aber kaum war er ihr
aus den Augen, so sprang und kletterte er, wie zuvor, und off
kam er dann so erhitzt nach Hause, daß die gute Mutter über
ihn erschrak. So viel sie ihn auch warnte, daß er doch ja nicht
kaltes Wasser winken möchte, wenn er erhitzt wäre, so ließ
sich der Knabe doch nicht abhalten, seinen Durft auch dann zu
befriedigen, wenn er von Schweiß triefte. Aber was ge-
schah? An einem schwülen Tage kam er, äußerst erhitzt,
nach Hause, und klagte über Seitenschmerzen und Uebelk-eit.
Die geängstete Mutter versuchte vergebens, ihm Linderung
zu verschaffen, und da seine Klagen immer stärker wurden,
so holte sie endlich einen Arzt herbei. Als dieser Ferdinanden
genauer befragt, und seinen Körper untersucht hatte, fand es
sich, daß er sich durch heftiges Springen einen gefährlichen
Bruch zugezogen hatte. Ihr könnt venken, lieben Kinder,
welch einen Schreck die arme Mutter hierüber hatte, und sie
würde außerdem ttod) durch die Unkosten gelitten haberr,
welche ihr diese Krankheit ihres wilden Sohnes verursachte,
wenn nicht der menschenfreundliche Wundarzt dem Knaben
ein Bruchband geschenkt hätte. Doch dies war nicht ein Mal
das einzige und größte Unglück, welches sich Ferdinand durch
seine Wildheit zugezogen hatte; denn bald zeigte es sich, daß
er auch an der Brust Schaden gelitten hatte, und also ein
elender, schwächlicher Mensch bleiben würde. Er hätte die
60 II. Erzählungen
Stütze seiner guten Mutter im Alter sein können, nun aber
wurde er die Ursache, daß ihr Alter kummervoll und traurig
war. Sagt, was wollt ihr zu eurer Warnung aus dieser
Geschichte lernen? Vor welchen Belustigungen wollt ihr
euch sorgfältig hüten? Was wollt ihr gern annehmen und
befolgen? Und wie mit euren Kräften haushalten? Warum
wollt ihr dies thun, und dem wilden Ferdinand nicht ähn-
lich werden?
46. Das Raupenneft.
Henriette machte eines Abends mit ihrer Mutter einen
Spaziergang über's Feld. Sie war von ihr dazu gewöhnt,
Alles mit Aufmerksamkeit zu betrachten, was um sie her war.
Dies that sie auch jetzt. Auf ein Mal blieb sie stehen, und
rief: Mutter! Mutter! komm geschwind her, und sieh, was
da ist! Die Mutter kam, und sieh! da war ein Nesselbusch,
der ganz mit Raupen bedeckt war: lauter häßliche schwarze
Thiere mit stachlichten Rükken, und grünen Streifen zwi-
schen den Stacheln. — Soll ich die Raupen todt treten?
fragte Henriette.— Nein, sagte die Mutter; denn wie du
siehst, so nähren sie sich von Nesseln, und sind also nicht schäd-
lich. Wenn sie aber an einem Kirschbaume, oder aus einer
andern nützlichen Pflanze säßen, dann rürftest du sie, als
schädliche Thiere, todt treten. Höre, wie du dir mit diesen
Thierchen eine recht große Freude machen kannst. Nimm sie
mit nach Hause, und füttere sie.
Ach ja, das will ich thun, sagte Henriette, und grisj
hastig zu, zog aber sogleich schreiend die Hand zurück; denn
sie hatte nicht bedacht, daß die Nesseln brennen.
Kannst du denn die Nesseln nicht abreißen, ohne daß sie
dich brennen? fragte die Mutter. Jetzt besann sich Henriette,
zog das Schnupftuch aus der Tasche, wikkeltc es um die
Hand, und riß nun behutsam die Nesseln ab. Freudig trug
sie die Raupen nach Hause, steckte sie mit den Nesseln in ein
großes Glas, welches ihr die Mutter dazu gegeben hatte,
und band ein Papier darüber.— Aber willst du denn, daß
deine Raupen erstikken sotten? fragte die Mutter. Nein, das
will ich nicht, antwortete Henriette. — Nun, so musst du
kleine Löcher in das Papier stechen, damit frische Luft in das
Glas kommt. Das that Henriette, und hatte ihre Freude
daran, zu sehen, wie die Raupen ein Blatt nach dem an-
dern abfraßen.
Am
81
zur Beförderung guter Gesinnungen rc.
Am andern Tage, als Henriette ihr Frühstück verzehrt
hatte, fragte die Mutter: haft dn denn auch an deine Rau-
pen gedacht, und ihnen ihr Frühstück gegeben?
O! sagte Henriette, die Raupen haben noch das ganze
Glas roll Nesseln.
Aber sieh sie an, sagte die Mutter, ob sie nicht ganz ver-
trocfuet sind? Dürre Nesseln können doch die armen Thiere
nicht fressen! Da du die Gäste ein Mal angenommen hast, so
ist es auch deine Pflicht, ihnen alle Tage frische Nesseln zu
holen, und sie so zu ernähren; denn sie selbst können es nun
nicht mehr thun, da du ihnen die Freiheit genommen hast.
Dies merkte sich Henriette, und vergaß ihre kleinen Gäste
nie wieder. Fünf Tage hatte sie ihnen nun reichlich Futter
begeben, und fröhlich zugesehen, wie sie es verzehrten. Am
sechsten Tage wollte sie ihnen auch Futter geben, aber, o
Wunder! da sie daS Papier wegnehmen wollte, hatten sich
alle Raupen daran gehängt. Mit den Hinterfüßen saßen sic
rheils am Papier, theils am Glase so fest, als ob sie ange-
leimt gewesen wären. Geschwind lies Henriette zur Mutter,
und zeigte ihr die aufgehängten Raupen. Besorglich fragte
sie: aber was fehlt ihnen denn, liebe Mutter? ich habe sie
doch alle Tage reichlich gefüttert, und nun werden sie mir
doch sterben!
Sei ruhig, antwortete die Mutter, sie werden nicht
sterben, sondern dir noch viele Freude machen. Laß sie nur un-
gestört hängen. Das that Henriette, und machte ganz behut-
sam das Glas wieder zu. Kaum war sie am folgenden Mor-
gen aus dem Bette, so lief sie nach dem Glase, und siehe, da
gab es schon wieder etwas Neues. Die Raupen waren ver-
schwunden, und nun hingen lauter länglich runde Püppchen
da, mit einer kleinen Krone aus dem Kopfe. Sie lebten und
bewegten sich hin und her. Henriette machte große Augen,
schlug die Hände zusammen, und wusste nicht, was sie dazu
sagen sollte. Endlich rief sie: Mutter! Mutter! komm ge-
schwind her, und sieh, was aus meinen Raupen geworden ist.
Hab' ich es dir nicht gesagt, antwortete die Mutter,
daß dir die Raupen noch viele Freude machen würden? Be-
trachte sie nun recht genau; sie haben ihre Häute abgestreift,
die du hier hängen siehst, und haben sich verwandelt in Dinge,
die man Puppen nennt. Laß sie nur alle hängen, und sich
alle Tage nach dem Glase. Vielleicht erblickst du bald ein
Mal wieder Etwas, was dir große Freude macht.
82
UI. Von der Welt.
Es traf richtig ein; nur währte es der ungeduldigen
Henriette zu lange, und schon hatte sie fast alle Hoffnung
aufgegeben. Aber nun waren fast einige Wochen vergangen,
als Henriette ein Mal wieder nach ihrem Glase sah. Und was
erblickte sie? Da war Alles voll schöner bunter Schmetterlinge
in dem Glase. Ach sieh doch, liebste Mutter, rief sie, was
in meinem Glase ist! Lächelnd kam die Mutter, und als
sie nun beide genauer zusahen, erblickten sie ein neues Wun-
der. Ein Schmetterling, der in einer Puppe steckte, driickte
mit seinen zarten Füßchen die Puppe von einander und kroch
heraus. Seine Flüael waren ganz klein und zusammenge-
rollt, wie ein Stück Papier. Er lief geschwind am Glase
hinauf, und hängte sich an das Papier. " Die Flügel wuchsen
fast sichtlich, und nach einer Viertelstunde hingen sie voll-
kommen da. So ging eö nun den ganzen Vormittag. Im-
mer ein Schmetterling nach dem andern kroch aus seiner
Puppe heraus. Nach Tische waren sie alle ausgekrochen. —
Nun kannst du dir noch eine Freude machen, sagte die Mutter.
Nimm das Glas, trag' es in den Garten, mache eö auf,
und gieb den Schmetterlingen die Freiheit.
DieS that Henriette, und freute sich unbeschreiblich,
als sie sah, wie die Schmetterlinge herausflatterten, und
von einem Baume zum andern flogen. Wenn sie hernach
im Garten herumging, und einen braunen Schmetterling
mit schwarzen Flekken sah, freute sie sich alle Mal. Du
bist gewiß auch aus meinem Glase! dachte sie.
III.
Von der Welt.
¿Da: große Körper, auf welchem wir Menschen wohnen,
die Erde, ist nur ein sehr kleiner Theil von der Welt, d. h.
von dem, was Gott geschaffen hat. Es giebt noch unzählige
Körper oder Erden oder Sonnen, unter welchen viele unsern
Erdkörper an Größe übertreffen. Diese Körper erblikken wir
zum Theil an dem unermeßlichen Gewölbe des Himmels in
einer hellen Nacht. Sie scheinen uns wegen der Entfernung,
in welcher wir sie sehen, kleine leuchtende Punkte oder Lichter
III. Von der Welt.
83
zu sein. Würden wir sie aber wohl in einer solchen ungeheuren
Entfernung erblikken können, wenn sie nicht sehr groß wären?
Wir nennen sie Sterne. Der größte unter diesen Sternen
scheint die Sonne zu sein. Ihre Strahlen schießen durch
die ungeheuren Räume deö Himmels auf unsere Erde herab
erleuchten und erwärmen sie, und verbreiten überall Leben
und Fruchtbarkeit. Nächst der Sonne scheint der Mond unter
den Sterilen, lveiche wir sehen können, der größte. Auch
dieser Stern erleuchtet durch seine Strahlen unsern Erdball,
aber sein Licht ist reicht so blendend, wie das Licht der Sonne,
und es bringt keine Wärme hervor. Das große blaue Ge-
wölbe, welches wir Himmel nennen, ist ein unermeßli-
cher Raum, in welchem die Erde, die Sonne, der Mond,
und unzählige Sterne schweben und sich bewegen. Alle
diese Sterne werden Weltkörper genannt, weil sie zusam-
mengenommen die Welt ausmachen. Wie klein ist also
unsere Erde, wenn man sie mit der Welt vergleicht! Bloß
die Sonne ist vierzehn hundert tausend Mal größer, als die
Erde. Sie erleuchtet und erwärmt durch ihre Strahlen
nicht bloß unsere Erde, sondern noch viele andere Weltkör-
per, welche sich, gleich der Erde, um sie herum bewegen.
Drei und zwanzig von diesen Weltkörpern können wir deut-
lich am Himmel erblikken, und die Sternkundigen (Astrono-
men) haben sogar durch ihre Untersuchungen und Ausrech-
nungen herausgebracht, wie weit jeder dieser Weltkörper
von der Sonne entfernt ist, wie groß die Bahn ist, welche er
zu durchlaufen hat, und wie viel Zeit er dazu gebraucht. Der-
jenige, welcher der Sonne am nächsten steht (man hat ihn
Merkur genannt), durchläuft in 88Tagen seine Bahn um
die Sonne, und rollt in einer einzigen Sekunde 6 Meilen
fort. Unsere Erde vollendet erst in 365 Tagen 6 Stunden
ihre Reise um die Sonne, und macht während dieser Zeit den
ungeheuren Weg von 131 Millionen Meilen. Der Mond
ist auf dieser Reise der beständige Begleiter der Erde. Er
steht uns unter allen Himmelskörpern am nächsten, und doch
ist cr 51600 Meilen von uns entfernt. Er kehrt uns nur
immer dieselbe Seite zu und ist 50 mal kleiner als die
Erde, um welche er sich in etwa 28 Tagen bewegt. Derje-
nige Weltkörper, welcher am weitesten von der Sonne ent-
fernt ist (der Uranus), legt seinen langen Umlauf um die
Sonne erst binnen 83 Jahren zurück. — Mit welch einer
Schnelligkeit fliegt eine Kanonenkugel! Dennoch würde sie,
6*
84 IV. Von der Erde und ihren Bewohnern.
bei aller dieser Schnelligkeit, 26 Jahre stiegen müssen, um
von der Sonne auf die Erde zu kommen.
Die Himmelskörper, welche sich, gleich unserer Erde,
um die Sonne bewegen, und von ihr erleuchtet werden,
nennt man mit einem gemeinschaftlichen Namen Plane-
ten. Es ist gewiß, daß sie unserer Erde ähnlich sind; daß
sie, gleich dieser, Jahreszeiten, und Abwechselung von Tag
und Nacht haben; daß sie, wie die Erde, aus Land und Meer
bestehen, und darum ist auch nicht daran zu zweifeln, daß sie
Bewohner haben. Die übrigen Himmelskörper, welche wir
in zahlloser Menge am Himmel erblikken, scheinen größten-
theils Sonnen zu sein, d. h. solche Körper, welche ihr ei-
genes Licht haben, unt>, wie unsere Sonne, dunkle HimmelS-
körpcr durch ihre Strahlen erleuchten und erwärmen. Alle
diese feurigen Himmelskörper werden First er ne genannt.
Unsere Sonne ist also auch ein Firstern, und wahrscheinlich
einer der kleinsten. Denn wie wäre eS möglich, daß wir die
übrigen Firstcrne erblikken könnten, da sie doch unbeschreib-
^ch viel weiter von uns entfernt sind, als unsere Sonne,
wenn sie nicht diese an Größe weit überträfen? — Könnet
ihr euch wohl dies Alles vorstellen, ohne über die Herrlichkeit
und Größe des WeltgebäudeS zu erstaunen, ohne die All-
macht des Schöpfers zu bewundern und zu verehren?
IV.
Won der Erde und ihren Bewohnern.
Daß die Erde sehr groß, aber doch nur ein kleiner Theil
der Welt sei, haben wir schon gehört. WaS für eine Ge-
stalt die Erde habe, ist schwer auszumachen, weil man nur
einen sehr kleinen Theil der Erde auf ein Mal übersehen
kann, und weil sie uns zu nahe ist. — Aus dem Schatten
eines Körpers kann nran mit ziemlicher Gewißheit erkennen,
ob er rund, breit, oder ekkig und spitzig sei; und wenn der
Schatten eines Körpers von allen Seiten alle Mal, so oft er
sich zeigt, rund erscheint, so ist nicht zu zweifeln, daß auch der
Körper rund sei. Dies ist nun der Fall bei unserer Erde. Ihr
habt wohl schon von Mondfinsternissen gehört? Bei diesen
erblickt man tu der Mondscheibe alle Mal einen runden Schat«
iV. Von der Erde und ihren Bewohnern. 85
Leu, und es ist ausgemacht, daß dieser Schatten von unserer
Erde in den Mond geworfen wird, so oft sie bei ihrein Um-
laufe um die Sonne in gerader Linie zwischen der Sonne und
dem Monde steht. Daraus kann man mit Zuverlässigkeit
schließen, daß die Erde eine l'u gelartige Gestalt ha-
ben muffe. — Einen runden Körper kaun rnan ganz um-
gehen, so daß man bei immer gleicher Richtung des Weges
wieder an die Stelle kommt, von der man ausgegangen ist.
Wenn also die Erde eine kugelartige Gestalt hat, so muß man
sie ebenfalls umgehen, oder um sie herumreisen können, und
zwar auf die Art, daß, wenn man von seinem Wohnorte be-
ständig nach dem Untergange der Sonne oder nach Westen
zu reifete, man am Ende von der entgegengesetzten Seite, oder
vom Aufgange der Sonne, von Osten her, wieder nach Hause
käme. Diesen Versuch haben auch schon mehrere Menschen,
und zwar zu Schiffe gemacht, weil die Erde auf ihrer Ober-
fläche ganz mit Wasser oder Meer umgeben ist. Eine solche
Reise um die Erde kann in einem Jahre vollendet werden,
wemr man sich ilirgends lauge auchalt, und Wind und
Wetter günstig sind. Wir haben schon gehört, daß der
ganze Weg nur die Erde eine Streike von ungefähr 5400
Meilen betrage.
Diese und manche andere Gründe, welche schwerer zu
begreifen sind, beweisen, daß die Erde eine sehr große Kugel
ist, aber eine unebene Kugel, wegen der vielen Berge, welche
auf der Erde find. Doch machen diese Berge, so hoch sie
auch zum Theil sind, bei der Größe der Erde nicht mehr
aus, als kleine Sandkörner auf einer Kegelkugel.
Das Wasser nimmt auf der Oberfläche der Erde noch
ein Mal so viel Platz ein, als daö Land. Man hat Bilder,
auf welchen die Oberfläche der ganzen Erde im Kleinen dar-
gestellt ist; man nennt sie Landkarten. Auf einer solchen
Landkarte sieht man zwei große Kreise. Aber deswegen muß
Keiner sich vorstellen, daß die Erde aus zwei solchen Kreisen
bestehe; denn die ganze Oberfläche einer Kugel lässt sich nicht
anders zeichnen, als auf diese Art. Denkt euch, ihr wolltet
die ganze Fläche eines Apfels abbilden; müsstet ihr ihn nicht
als zwei erhaben runde Kreise darstellen? Gerade so muß
es auch derjenige machen, welcher die Erde abbilden will, und
daher kommen die beiden großen Kreise auf der Karte, welche
die Erdkugel vorstellt. Ihr sehet, daß auf dieser Karte einige
Stükke mit bunteil Farben überstrichen, und einige weiß
86 IV. Von der Erde und ihren Bewohnern.
gelassen sind. Die bunten Stükke stellen das Land, und die
weißen das große Wasser vor, welches die ganze Erde um-
giebt, und M e e r heißt. Das feste Land der Erde hat man
in fünf große Theile getheilt, welche daher Erdtheile,
oder auch Welttheile genannt werden. Jeder Erdtheil
bat einen besondern Namen. Der kleinste, welcher auf der
rechten Halbkugel oben links liegt, heißt Europa, und zu
diesem gehört das Land, in welchem wir wohnen. Darum
können wir uns Europäer nennen. Auf eben dieser Halb-
kugel liegen noch drei andere Erdtheile, welche Asien,
Afrika und Australien heißen. Auf der linken Halbku-
gel liegt Amerika und ein Theil von Australien.
Ihr werdet euch vielleicht darüber wundern, daß ihr auf
der Landkarte keine Abbildungen der Städte, Berge, Gebirge
und Wälder, der Bäume, Pflanzen und Thiere, welche
aus der Erde und, sondern lauter Namen findet. Aber be-
denkt nur, wie ungeheuer groß eine Landkarte werden müsste
auf welcher dies Alles abgemalt sein sollte. Und wäre es wohl
möglich, eine solche Landkarte zu übersehen? Ihr müsset
euch also begnügen, den Umriß der Länder und ihre Na-
men nebst den Namen der vornehmsten Städte auf der Kart«
zu finden. An der größeren Schrift erkennt man die Name»
ver Länder. Die schwarzen krummen Linien zeigen den Laus
der Flüsse, und die runder: oder länglichen schwarzen Flekke
mitten im Lande die großen Seen an.
Ein Blick auf die Erdkarte lehrt, daß das feste Land mit
seinen großen und kleinen Inseln kaum den vierten Theil
des Ganzen ausmacht, und daß es eigentlich gar kein festes
Land, sondern nur große und kleine Inseln und Halbinseln
auf der Erde giebt, die mehreren, auS der Tiefe deS Meeres
hervorragenden, Gebirgsrükken gleichen. In diesen Gebirgs-
rükken macht die feste Steinart, welche Granit heißt,
gleichsam die Rippen deS ganzen ungeheuren Körpers aus;
er bildet die Urgebirge, und führt besonders Zinn und Eisen,
rind die schönsten Kristalle in seinem Innern. Aber die Haupt-
niederlagen der unerschöpflichen Metallschätze sind die Thon-
gebirge, welche in unermesslichen über einander liegenden
Schichten sich aufthürmen, von Gängen oder Spalttrngen
vurchschnitten, daher auch Ganggebirge genannt. Mit diesen
wechseln ab die Kalkgebirge, mit ihren mächtigen Lagenr
von Marmor, mit ihren Massen von Porphyr, Jaspis, Ser-
pentinstein, Quarz und Flufsspath. Zu ihren Füßen lagenr
{V. Von der Erde und ihren Bewohnern. 87
sich die siachen Flötzgebirge in regelmäßig über einander lie-
genden Schichten von Sandstein, Steinkohlen, Schiefer,
Gips und Stinkstein, hie und da auch von Kreide und Stein-
salz, in mächtigen Lagern.— Diese Flötzgebirge, mit ibrem
unerschöpstichen Vorrath von Kupfer, Alaun, Vitriol, Gal-
mei, Steinkohlen und Steinsalz, mit ihren ewig sprudelnden
Salz- und Heilguellen, werden von dem rastlosen Menschen
nach allen Richtungen durchgraben, daß er ihre Schätze an
das Licht bringe. Hier trotzt in grausenvoller Tieft, von ewi-
ger Nacht umhüllt, der muthige Bergmann bei düsterem
Lampenschein allen Schrekken und Gefahren einer unbekann-
ten Welt, um das köstliche Gold und Silber aus den Ein-
geweiden der Erde hervor zu wühlen.
Mehr als 2000 Fuß tiefer, als der Meeresgrund,
und 13000 höher, als dieser, findet sich eine wunderbare
Vorrathskammer von Ueberbleibftln und Trümmern aus
einer, über alle Geschichte hinaus liegenden, Urzeit, be-
stehend aus zahllosen Versteinerungen, welche in den Tie-
fen deS Meeres und der Gede, und in ungeheuren Gebirgs-
höhlen, wie in unermesslichen Todtengrüften einer begrabe-
nen Vorwelt, beisammen liegen; lauter Körper und Körper-
theile, welche zwar nicht wirklich in Stein verwandelt, aber
doch in eine feste Steinmasse so wunderbar eingeschlossen
find, daß man sie von dieser kaum noch zu unterscheiden
vermag. Den größten Haufen machen die Conchylien oder
Schalthiere aus, die sich häufig in ganzen Schichten zu klei-
nen Bergen mitten im Lande aufgethürnit finden; meistens
Geschöpfe einer uns gänzlich unbekannten Vorwelt, unter
den Namen: Ammoniten, Liliensteine, Noahmuscheln und
Mammuthsknochen, unsern Naturforschern bekannt; fer-
ner wirkliche, nicht versteinerte, Gebeine von Elephanten,
Walisischen, Rhinocerossen, und ungeheuren, jetzt nicht
mehr auf der Erde lebenden, Bären; und alle diese Gebeine
finden sich in Gegenden, wo solche Thiere jetzt nicht würden
leben können. Wunderbar ist es, wie diese Bewohner heißer
Himmelsstriche ihr Grab im kalten Norden gefunden haben,
und daß seit Jahrtausenden ihre Gebeine ungestört in der
Erde Tiefen ruhten, und merkwürdig ist es, daß keines
Menschen Gebeine darunter gestanden werden; ein Beweis
für die spätere Schöpfung des Menschen.
Feuer dampfend und ungeheure Rauchwolken, erhe-
ben sich mitten unter den gewaltigen Bergen die Vulkane
88 IV. Bon der Erde und ihren Bewohnern.
in_ furchtbarer Gestalt, Tod und Verwüstung drohend
gleich unergründlichen und unerschöpflichen Schmelzöfen,
welche von Zeit zu Zeit eine glühende Flüssigkeit, welche
Lava genannt wird, unter sinchterlichem Krachen und leuch-
tenden Blitzen ausströmen lassen. In Europa sind jetzt
vorzüglich die beiden Vulkane oder Feuerberge Vesuv und
Aetna in schrecklicher Bewegung.
Wunderbar hat Feuer und Wasser in den Gebirgen
unermessliche Höhlen gebildet, die, gleich Grotten, sich in
mächtigen Gewölben erheben, und mehrentheils abwärts,
von Abgründen durchschnitten, oft mehrere Meilen weit sich
hinziehen. Ein unaufhörlicher Steinregen bildet an den ho-
hen Gewölben dieser Höhlen wunderbare Gestalten, welche
größtenteils in der Forni der Eiszapfen drohend herabhän-
gen, und Stalaktiten genannt werden. Die Masse yeißt
mit Recht Tropfstein, weil sie durch herabtröpfelnde und
allmählig erstarrende Flüssigkeiten gebildet wird.
Hie und da haben gewaltige Ströme die Gebirgsmas-
sen durchbrochen und von einander gerissen, so daß die
Wände der stehengebliebenen ein ungeheures Thor bilden.
So entstanden die Meerengen, durch welche Länder getrennt,
Meere verbunden werden^ wie z. B. die Meerenge von
Gibraltar, an welcher die Spitzen von Europa und Afrika
sich nähern, iinb durch die das mittelländische Meer in den
Ocean strömt.
In der langen majestätischen Reihe der Bergrresen steht
obenan der mächtige Dawalagiri (d. h. der weiße Berg)
auf dem Himalayagebirge in Asien. Er erhebt sich
25183 pariser Fuß über dem Meere und ist der bis jetzt
bekannte höchste Punct der ganzen Erde. Unter den Ber-
gen Amerika's ist der Nevado de Sorata 23644 Fuß
hoch über der Meeresfläche erhaben, der sonst für den höch-
sten Berg geachtete Chimborazo nach den neusten Messun-
gen 20148 Fuß. Diesem folgt der Montblanc mit einer
Höhe von 14764 Fuß; diesem der Mont Rosa mit 14222
Fuß; diesem die Jungfrau, eine Bergspitze Helvetiens oder
der Schweiz mit 12860 Fuß. Bis zu 12022 Fuß sinkt
der Ortler in Tirol und bis zu 11502 der Pik auf der
Insel Teneriffa horab, und alle diese Berggipfel, weder von
Menschen noch Thieren bewohnt, mit ewigen Schneemassen
bedeckt, bieten den schauerlichen Anblick einer leblosen, von
düsteren Abgründen durchschnittenen Wüste dar, und sind
IV. Von der Erde und ihren Bewohnern. 89
zum Theil Heiligthümer der Natur, die nie ein mensch-
licher Fuß betrat. Die höchste menschliche Wohnung, daS
Kloster auf dem St. Bernhard, liegt nur 773l Fuß
über der Meeresfläche; die höchste Herberge unsers deut-
schen Vaterlandes, das B rollen haus, erhebt sich nur
3276 Fuß; der höchste Punkt des Schlesischen Gebirges,
die Schneekoppe, übersteigt nicht die Höhe von 4900
Fuß.
Das unermessliche Meer, welches alles Land der Erde
umschließt, und es von seinen schädlichen Dünsten befreit,
indem es sie an sich zieht, hat eine meistens unermeßliche
Tiefe; denn schon ließ man daS Senkblei bis auf 4680 Fuß
auslaufen, ohne Grund zu finden. Doch ist diese Äefe sehr
verschieden; denn, gleich dem Boden des festen Landes, be-
steht der Boden des Meeres aus Bergen und Thälern, Hü-
geln und Felsen, und wie die Hand deö Menschen unauf-
hörlich das feste Land mit Gebäuden besetzt, welche dann
die verwüstende Zeit in Trümmer verwandelt, lo besetzt der
rastlose Fleiß der Natur den Boden des Meeres mit jenen
wunderbaren steinernen Gebäuden, in welchen unzählbare
Seethiere ihre unvergänglich scheinende Wohnung finden,
und die nicht selten dem Seefahrer ein schreckliches Grab
bereiten; denn verloren ist das Schiff, welches der Sturm
auf ein Korallen-Riff treibt, unter fürchterlichern Krachen
stürzt es in Trümmern.
Wie am Tage die Unermesslichkeit des Meeres, und sein
majestätisches Wogen die Seele mit Bewunderung und Er-
staunen, mit Freude und Schrekken erfüllt, so in dunkler
Nacht sein unbeschreiblich prachtvolles Leuchten. Oft scheint
das ganze Meer, so weit das Auge reicht, in vollem Feuer zu
stehen; große leuchtende Körper, die man an der Gestalt fick
Fische erkennt, fahren zukkend und tanzend auf seiner Ober-
fläche umher, in unbegreiflicher Schnelligkeit. Eine ganze
Welt der allerkleinsten Thiere, kaum eines Nadelknopses
groß, mit einem gallertartigen, durchsichtigen, äußerst zar-
ten Körper, bringen diesen wunderbaren Glanz hervor, und
mit ihnen vereinigen sich die Medusen und Meernesseln, die
aus ihren langen Fühlfäden einen Lichtglanz ausströmen, in-
deß ihr Körper vollkommen dunkel bleibt. — Obgleich die
Salzigkeit des Meerwassers sein Gefrieren erschwert, so bil-
det doch das Meer an beiden Polen oder Spitzen der Erd-
kugel unermessliche Eisfelder, unÄ in der Nähe dieses ewigen
90 IV. Bon der Erde und ihren Bewohnern.
Eises sieht man, selbst mitten im Sommer, ganze Inseln
und Berge von dichtem Eise, das den Seefahrern so furcht-
bare Treibeis, waS noch schrecklicher sein würde, wenn senw
Bewegung nicht so langsam wäre.
Das süße Wasser, welches die Länder der Erde durch-
strömt, wird entweder ein Strom, oder ein Fluß, oder
ein Bach genannt. Unter Strömen versteht man große flie-
ßende Gewässer, welche sehr breit und tief sind, eine sehr große
Strekke Landes durchfließen, und sich im Meere endigen. Die
Flüsse vereinigen sich mit den Strömen, und sind zum Theil
auch sehr breit und tief. Wenn ein Fluß oder ein Strom so
tief ist, daß man mit großen Schiffen darauf fahren kann,
so wird er schiffbar genannt. Die Vertiefung, worin das
Wasser eines Flusses oder Stromes fließt, heißt das Bette.
Der Rand des Bettes wird das Ufer genannt. In manchen
Flüssen oder Strömen giebt es Stellen, wo das Wasser
von einer steilen Anhöhe in die Tiefe stürzt. Solche Stellen
nennt man Wasserfälle. Wir haben schon (S. 16.) ge-
hört, woraus die Flüsse und Sttöme entstehen, und welche
Gewässer man Seen oder Landseen nennt. Es giebt
Seen, welche 20 und mehrere Meilen lang und breit sind.
Das Meer nennt man auch wohl die See, und daher wer-
den die Fische, welche in dem Meere leben, Seefische, und
die Schiffe, mit welchen man auf dem Meere fährt, Seeschiffe
genannt. Sagt man: der See, so ist von einem Landsee
die Rede; sagt man: die See, so ist das Meer gemeint.
Die vielen Millionen Menschen, welche die Erde be-
wohnen, sind an Gestalt, Farbe der Haut, Sprache, Sitten
und Lebensart sehr verschieden. Diejenigen, welche in Ei-
nem Lande beisammen wohnen, und einerlei Gestalt, Farbe,
Sprache und Sitten haben, machen zusammengenommen ein
Volk odereine Nation aus. Da nun jeder Theil der Erde
wieder in kleinere Theile getheilt ist, welche Länder genannt
werden, so giebt eS also verschiedene Völker in Eu-
ropa, in Asien, in Astika, in Amerika und Australien. Dock-
haben die verschiedenen Völker der Erde Einiges mit einander
gemein, theils in Ansehung ihrer Gestalt und Farbe, theils
in Ansehung ihrer Lebensart. Die meisten europäischen Völ-
ker haben eine weiße Haut, langes herabhängendes Haar,
hervorstehende Nasen, und blaue oder schwarze Augen. Da-
gegen findet man in Afrika meistens Menschen mit einer
schwarzen sammetweichen Haut, kurzen wolligen Haaren,
IV. Von der Erde und ihren Bewohnern. 91
breiten aufgestülpten Nasen und rosenrothen Lippen. Diese
schwarzen Menschen werden Neger oder Mohren genannt.
Die meisten Bewohner Asiens haben eine olivenfarbige
Haut; einige asiatische Völker sind auch braungelb.
Die Amerikaner find größtentheils rothbraun, oder
kupferfarbig, haben einen schlanken Wuchs, und tiestiegende
Augen. In fast allen Ländern der Erde sind die Men-
schen gewöhnlich, wenn sie ausgewachsen sind, 5 Fuß, oder
dritthalb Ellen hoch. Doch werden in den kältesten Ländern
der Erde, wo es fast gar keine andere Jahreszeit, als den
Winter giebt, die Menschen selten über 4 Fuß hoch, und
sind gemeiniglich sehr ungestaltet. Hie und da findet man
Menschen von außerordentlicher Größe, welche 7 bis 8 Fuß
hoch sind: man nennt sie Riesen. Doch giebt es kein
Volk auf der Erde, welches aus lauter Riesen besteht.
Auch in Ansehung ihrer Lebensart haben die ver-
schiedenen Völker der Erde Vieles mit einander gemein. Ei-
nige nämlich, welche man wilde Völker nennt, treffen
gar keine Veranstaltung, uni ihres Lebensunterhalts sicher
zu sein. Sie säen und pflanzen nicht, sie sammeln keinen Vor-
rath von Lebensmitteln, sorgen überhaupt gar nicht für die
Zukunft, sondern gehen nur dann aus Nahrung aus, wenn
der Hunger sie dazu treibt. Ihre einzigen Beschäfftigungen
sind daher Jagd und Fischerei. Sie wohnen gewöhnlich
auch nicht ein Mal in Dörfern bei einander, haben überhaupt
keine ordentliche und feste Wohnungen, sondern nur elende
Hütten, die aus einigen Pfählen bestehen, welche in die
Erde gegraben, und mit Thierhäuten oder mit einer groben
Filzdekke überzogen, oder nur mit großen Baumblättern be-
deckt sind; einige wohnen sogar in Höhlen unter der Erde,
und gewöhnlich stehen bei diesen wilden Völkern nur wenige
Familien (Stämme) mit einander in Verbindung, welche
aber keinen gemeinschaftlichen Oberherrn, keine Obrigkeit,
sondern höchstens im Kriege oder bei einer großen Jagd
einen Anführer haben, dem sie so lange gehorchen, als
der Krieg oder die Jagd dauert.
Andere Völker der Erde, welche Hirtenvölker oder
Momaden genannt werden, haben zwar auch keine künst-
liche und feste Wohnungen, sondern nur Zelte oder Hütten
welche sie leicht abbrechen und wieder aufschlagen können,
aber sie sind doch viel verständiger tmd gesitteter, als die
wilden Völker, weil sie sich mit der Viehzucht beschäffti-
02 IV. Von der Erde und ihren Bewohnern.
gen, wozu mehr Aufmerksamkeit und Kenntniß erfordert wird,
als zur Jagd. Ihre Heerden sind ihr ganzer Reichthum.
Sie ziehen aus einer Gegend in die andere, und lassen sich
nur da auf eine längere Zeit nieder, wo sie gute Weide-
plätze antreffen.
Noch andere Völker auf der Erde, welche gesittete
Völker genannt werden, beschäfftigen sich, außer der Vieh-
zucht, auch noch mit dem Ak kerb au, und verstehen allerlei
Künste und Handwerke. Sie wohnen in festen uns
künstlichen Häusern gesellschaftlich bei einander in Städten,
Dörfern und Flekken. Unter ihnen giebt es verschiedene
Stände, nämlich: Fürsten, Edelleute, Bürger, Bauern
und verschiedene Berufs arten und Gewerbe, indem
einige den Akker bauen, andere ein Handwerk oder eine
Kunst treiben, noch andere sich mit dem Handel oder mit
den Wissenschaften beschäfftigen. Gesittete Völker leben nach
bestimmten Gesetzen, d. h. sie haben unter sich ausgeinacht,
was Jeder thun und nicht thun darf, und wer unter ihnen
wohnen will, muß versprechen, sich diese Gesetze gefallen zu
lassen, und sie zu befolgen. Damit dies von Allen, auch
vor: den Unverständigen und Bösartigen geschehen möge, «o
wählen sie unter sich einige verständige und rechtschaffene
Männer, und geben ihnen den Auftrag, darauf zu sehen,
daß Jeder den Gesetzen gehorsam sei, und die Ungehorsa-
men zu strafen, wenn sie nicht auf Erinnerungen achtem.
Diese Personen werden die Obrigkeit, und eine solche
große gesellschaftliche Verbindung wird eine bürgerliche
Gesellschaft oder ein Staat genannt. In manchem Staate
hat nur Einer das Recht, Gesetze zu geben, und die Obrig-
keit zu wählen. Dieser heißt dann der Regent oder Mo-
narch, oder er wird König, Fürst, Herzog oder Graf ge-
nannt. Die Länder, welche unter seiner Herrschaft stehen,
machen sein Reich oder seinen Staat aus. Ein Staat,
in welchem mehrere Personen oder ein größerer Verein
(Congreß, Senat) die höchste Gewalt gemeinschaftlich ha-
ben, wird ein Freistaat oder eine Republik genannt.
V. Produkte der Erde.
93
V.
Produkte der Erde.
®a die Lust nicht in alle» Gegenden der Erde dieselbe Be-
fchaffenheit hat, sondern in einigen Ländern daS ganze Jahr
hindurch heiß, in andern sehr kalt, und wiederum in ankern
weder zu warm noch zu kalt, sondern gemäßigt ist, so ist die
Erde nicht überall gleich sruchtbar. Doch bringt fast jedes
Land der Erde so viel hervor, alö seine Bewohner zu ihrer
Erhaltung nothdürftig gebrauchen. Alles, was die Erde her-
vorbringt, nennt man ihre Produkte oder Erzeugnisse.
Ihre Zahl ist so groß, und sie sind von so verschiedener
Art, daß man sie unter gewisse Abtheilungen (Klassen) brin-
gen muß, um sie übersehen, und von einander unterscheiden
zu können. Diese Abtheilungen werden Reiche der Na-
tur genannt, und ihrer sind drei: das Thierreich, daS
Pflanzenreich und das Mineralreich. Diejenigen
Länder, in welchen gesittete Völker wohnerr, haben nranche
Produkte, besonders aus dem Pflanzenreiche, im Ueberflusse,
weil ihre Bewohner das Land sehr sorgfältig bebauen. Da-
gegen fehlt eS manchen Ländern geraderem diesen Produkten,
weil sie einen unfruchtbaren Boden haben, oder schlecht ange-
baut sind; aber sie haben wiederum andere Produkte im Ueber-
siusse, welche die Natur selbst hervorbringt, z. B. Metalle,
Holz, oder Salz. Dadurch sind die Menschen auf den Ge-
danken gekomrnen, die überflüssigen Produkte ihres Landes
Aach solchen Ländern hinzubringen, wo es an diesen Pro-
dukten fehlt, sie da zu verkaufen, und sich für das gelöste
Geld die ihneir fehlenden Produkte einzukaufen. So ist der
Handel entstanden, wobei die Waarerr entweder zu Lande,
vermittelst der Wagen und Lastthiere, oder auf den Flüssen
und auf dem Meere, vermittelst der Schiffe, aus einem Lande
irr das andere gebracht werden.
Weise und gütig hat es Gott so eingerichtet, daß jedes
Land, oder wenigstens jeder große Erdstrich, das heißt, jeder
beträchtliche Theil der Erde, gerade diejenigen Produkte hat,
welche für die Bewohner desselben, nach Maaßgabe der Wit-
terung (des Klima) die nothwendigsten und wohlthätigsten
sind. So bringen z. B. diejerrigen Länder, welche eine heiße
94
V. Produkte der Erde.
Lust, und keinen Winter haben, die kräftigsten, saftreichsten
und kuhlendsten Früchte hervor, z. B. Kokosnüsse, Muskat-
nüsse, Oliven, Pisang, Datteln, Orangen, Melonen und
Ananas. Auch findet man in diesen Ländern die größten
und stärksten Landthiere, welche alle Beschwerlichkeiten der
heißen Witterung ertragen können, ohne dadurch zu verder-
ben, z. B. die Elephanten, welche 14 biS 15 Fuß hoch,
mehr als 1 ü Fuß ^lang, und 50 Centner schwer werden, und
sich bei dieser Größe und Schwere dennoch so leicht bewegen,
daß sie täglich 14 bis 15 Meilen zurücklegen; die Kameele,
diese vortrefstichen Lastthiere, welche in heißen Ländern un-
entbehrlich sind, weil man 10 bis 14 Tage mit ihnen durch
brennende und wasserlose Sandwüsten reisen kann, ohne daß
man nöthig hat, sie zu tränken, und die mit einer Last von
1200 Pfund in einem Tage 12 Meilen zurücklegen. — Na-
türlicher Weise sind die Menschen in den heißen Ländern nicht
so stark und nicht so thätig, wie in den gemäßigten Himmels-
strichen, und darum hat Gott den Boden in diesen Ländern
so fruchtbar gemacht, daß er beinahe ohne alle Bearbeitung
die schönsten Früchte in dem größten Ueberflusse hervorbringt.
Die Natur ist dort in beständigem Wachsthum, die Bäume
werden dort nie kahl, und die Felder nie leer, sondern Blüthen
und Früchte, Saaten und Ernten folgen ununterbrochen aus
einander. Da die Bewohner dieser Länder wegen der großen
Hitze keine schwere Kleidung ertragen können, so hat Gott
dafür gesorgt, daß die Seidenraupe ihnen durch ihr feines
Gewebe und die Baumwollenpflanze durch ihre Wolle die
/eichteste Kleidung verschafft.
Ganz anders sind dagegen die Produkte der kal-
ten Länder. Hier kann der Boden nicht anders, als höchst
unfruchtbar sein, weil der Winter in diesen Ländern nur fiir
wenige Wochen aufhört, und die in den langen Sommer-
tagen unglaublich schnell emporgewachsenen Pflanzen von
der Kälte gelobtet werden, ehe sie noch zur gehörigen Reife
gelangt sind. Das Pflanzenreich liefert also in diesen Ländern
den Menschen fast gar keine Nahrung. Aber was ihnen
hier abgeht, wird ihnen reichlich durch eine außerordentliche
Menge von Fischen und wilden Thieren ersetzt. Indem sie
diese zu erjagen suchen, kommt ihr Blut in Wallung, und wird
in beständiger Wärme erhalten, und die dikken Pelze des er-
jagten Wildes schützen sie gegen die erstarrende Kälte. Aber
ihren größten Reichthum machen die Rennthiere aus
V. Produkte der Erde.
95
denn von ihnen erhalten sie Alles, was wir von unserm Rind-
vieh, unsern Pferden und Schafen erhalten, und sie sehen
fast alle ihre Bedürfnisse durch diese Thiere befriedigt, ohne
daß sie nöthig haben, für die Erhaltung derselben die geringste
Sorge zu tragen. Die ganze Nahrung des Rennthiercs be-
steht nämlich in Baumblättern und Moos, und diese sucht
es sich selbst, sogar im härtesten Winter, indem eS das MooS
mit seinem Geweih und mit dem Hufe unter dem Schnee her-
vorzukratzen weiß. Dennoch gewöhnt es sich sehr leicht an die
Menschen, inid wird von ihnen zum Reiten, Lasttragen und
Ziehen der Schlitten gebraucht. In einem Tage läuft es 20
bis 30 Meilen. Die Rennthierkühe geben eine sehr fette
Milch, und ihr Fleisch hat einen angenehmen Geschmack
Aus ihrer Haut machen die Bewohner des kalten Erdstrichs
ihre Kleider, Schuhe, Zelte, Bettdekken und andere Dinge.
Aus ihren Hörnern wissen sie allerlei Geräthe, aus den Kno-
chen Messer, Löffel und Nadeln, und aus den Därmen und
Sehnen Stritte zu machen. Die Klauen werden zu Trink-
geschirren, und die Harnblasen zu Beuteln und Flaschen ge-
braucht. Ist eS nicht eine höchst bewundernswürdige An-
ordnung Gottes, daß ein einziges Thier alle Bedürftrisse deS
Menschen befriedigt?
Der Erdstrich, in welchem wir wohnen, hat weder
eine sehr heiße, noch eine sehr kalte, sondern eine gemäßigte
Witterung, welche sich oft verändert, und eben dadurch
zur Erzeugung und Ernährung der meisten Produkte ge-
schickt ist. In keinem Erdstriche findet man daher eine so
große Mannigfaltigkeit von Erd- und Baumfrüchten, als
in dem gemäßigten, und nirgends ist das Thierreich so reich-
lich angefüllt, als in diesem. Akkerbau und Viehzucht sind
die beiden Hauptbeschäfftigungen der Bewohner dieses Erd-
strichs. Der Wein stock ist das eigenthümliche Produkt
desselben, denn er gedeiht weder in den heißen, noch in den
kalten Erdstrichen.
l. Das Thier re ich.
Bon den Thieren haben wir (S. 9 —13) schon man-
cherlei gelesen, und daraus gelemt, daß man alle Thiere,
welche ans und in der Erde, im Wasser und in der Luft leben,
am Besten von einander uirterscheiden kann, wenn man sie
unter folgende 6 Abtheilungen oder Klassen bringt: Säuge-
hlere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und
96
V. Produkte der Erde.
Würmer. Alle Thiere haben dies mit einander gemein, daß
sie einen Mund (Maul) haben, durch welchen sie dem Kör-
per seine Nahrung zuführen, und daß sie, vom Hunger ge-
trieben, willkürlich ihre Nahrung zu sich nehmen. Dabei
werden sie von ihrem Naturtriebe (Instinkt) geleitet,
und vor Allem, was ihnen schädlich ist, bewahrt. Diese Na-
turtriebe ersetzen bei ihnen den Mangel an Vemunft, und
sind bei einigen Thieren höchst bewundernswürdig, indem
manche dadurch zum künstlichen Bau ihrer Wohnungen, zum
listigen Fange ihres Raubes, und zu manchen Handlungen
und Berrichtungen geschickt werden, welche Nachdenken und
Urtheilskraft zu erfordern scheinen. Ohne vorhergegangene
Anweisung und Uebung macht die junge Spinne ihr künst-
liches Gewebe, schwimmt die Ente auf dem Wasser, baut die
Schwalbe ihr Nest, weiß die junge Katze die Mäuse zu fangen,
bereitet die Biene ihre künstlichen Zellen. Eben so bewun-
dernswürdig ist die Art, wie die Thiere sich gegen ihre
Feinde zu vertheidigen wissen, und auch dabei sind ihre
Naturtriebe wirksam. Wenn die Pferde auf der Weide von
einem Wolf angegriffen werden, so stellen sie sich alle mit
ven Köpfen dicht an einander, und machen auf diese Art einen
Kreis, iir den der Wolf nicht eindringen kann, weil alle mit
den Hinterfüßen ausschlagen, und ihn dadurch zurücktrei-
ben. Die Ochsen machen es umgekehrt, und vertheidigen
sich mit den Hörnem. Einige Thiere, welche im Wasser le-
ben, machen das Wasser trübe, und entziehen sich so den
Verfolgungen ihrer Feinde; andere wessen schon bei dem
Vau ihrer Wohnung gewisse Vorkehrungen, indem sie
z. B. ihr Nest in dichten Dornensträuchen, oder in einer
Felsenspalte anlegen. Die Elfter bedeckt ihr künstlich ge-
flochtenes Nest vorsichtig mit Domen und stachlichten Rei-
sern. Grauspechte und Tannenheher legen ihre Nester in
der Höhlung eines BaumeS an, und verstreichen die über-
flüssige Oeffnung mit Lehm.
In Ansehung der Fähigkeit, zu empfinden, nimmt
man unter den Thieren eine große Verschiedenheit wahr.
Einige Thiere, z. B. die Hunde, empfinden sehr stark. Wie
sehr fteuen sie sich, wenn sie nach einiger Zeit ihren Herrn wie-
dersehen; wie traurig sind sie, wenn sie ihren Herrn ver-
loren haben! Dagegen bemerkt man bei vielen Thieren,
besonders bei den Insekten und bei den Fischen, fast gar
keine Empfindungsfähigkeit. Dennoch ist cS wohl gewiß,
daß
V. Produkte der Erde.
97
oaß alle Thiere durch die Sinne Eindrükke erhalten, ob man
gleich an manchen gar keine Sinneswerkzeuge entdecken kann.
So haben z. B. die Schmeißfliegen, und andere Insekten,
offenbar den Sinn des Geruchs, ob man gleich keine Nase
an ihnen bemerkt, und die Fische hören unstreitig sehr scharf,
ob sie gleich kein äußeres Ohr haben; denn man kann z. D.
die Karpfen in einem Teiche daran gewöhnen, daß sie aus
den Schall einer Glokke sich versammeln, um gefüttert zu
werden. Einige Thiere haben ganz außerordentlich scharfe
Sinne. Von einer unermesslichen Höhe herab entdeckt der
Adler seinen Raub, und auch sein Genich ist bewundernswür-
dig scharf. Vermöge seines scharfen Geruchs findet ein Hund
Meilen weit sich wieder nach Hause, und eben dadurch entdeckt
er unter vielen hundert Menschen seinen Herrn. Die Thiere,
welche AaS verzehren, spüren ein todtes Thier auf eine Strek-
ke von. mehreren tausend Schritten, und wissen es durch den
Geruch zu finden, wenn es auch im Dikkicht versteckt liegt.
Der Hase hört den Schuß einer Flinte, erschrickt, ändert sei-
nen Weg, und entläuft mit verdoppelter Schnelligkeit. Das
Pferd schmeckt die Annehmlichkeit dcS kräftigen Korns, und
.äfft die dumpfigen ungedeihlichen Halme liegen. Der Ge-
ruch des gebratenen Specks lockt die Maus ans ihrem weit
entfernten Schlupfwinkel, und mackst, daß sie den Mehlka-
sten unberührt lässt. Die Katze liegt mit Wohlbehagen im
wärmenden Sonnenschein, und der Hund gcräth fast in
Wuth, wenn man Kienöl auf seinen Körper gießt, weil ihm -
dieser Geruch unerträglich ist. Genick) und Geschmack sind un-
streitig'die Ursachen, warum das größere Hornvieh nicht mehr
und nicht weniger, als etwa 270 Arten von Pflanzen frisst,
und alle übrigen stehen lässt, so schön und kräftig sie auch sein
mögen. DaS Pferd nährt sich mir 262 Pflanzenarten, die
Schweine fressen deren nur 72, und berühren keine andere, als
diese, wenn sie auch noch so hungrig sind. Leget einer Raupe
30 verschiedene Arten von Blättern vor, sie wird vielleicht nur
eine einzige Art benagen, und alle übrigen unberührt lassen.
Wenn die Thiere entkräftet sind, und der Erholung be-
dürfen, so suchen sie einen sichern und bequemen Ort, und
lallen in den Schlaf, in welchem manche, z. B. die Hasen
tmi) Gemsen, die Augen offen behalten, und auch wohl träu-
men; wenigstens bemerkt man an den Hunden, daß sie oft
im Schlafe bellen und knurren, wovon nur ein Traum die
Ursache sein kann. Einige Thiere, besonders die Katzen, die
08 V. Produkte der Erde.
Eulen, und verschiedene Raubthiere, schlafen bei Tage, und
gehen des Nachts auf Raub aus. Non dem gewöhnlichen
Schlafe der Thiere ist der Winterschlaf, in den einige
verfallen, zu urrlerscheiden. Richt alle Thiere finden nämlich
im Winter ihren Unterhalt, und müssten also verhungern,
wenn sie iticht durch ihre Naturtriebe vor dieser Gefahr ge-
schützt würden. Viele bereiten sich nämlich im Herbste mit be-
wundernswürdiger Kunst und Vorsicht eine Lagerstätte oder
Winterwohnung, legen sich hinein, und erstarren, bis die
Wärme der FrühlingSsonne sie wieder weckt, und in der Na-
tur neue Nahrung für sie bereitet ist. Diese Erstarrung ist
so stark, daß die warmblütigen Thiere, z. B. die Murmel-
thiere, während Derselben nur eine unmerkliche Wärme be-
halten, und daß die Puppen vieler Insekten, die zu gleicher
Zeit ihre Verwandlung bestehen, im Winter oft so durchfro-
ren sind, daß sie wie Eiszapfen oder GlaS klingen, wenn man
sie auf die Erde wirft. Dennoch aber lebt das darin schla-
fende Thier. Die meisten Amphibien fallen in den Winter-
schlaf; aber unter den Vögeln wohl nur die Schwalben.
Manche Thiere erstarren zwar nicht im Winter, legen sich
aoer im Herbste kunstvolle und gut verwahrte Vorraths-
kammern an, und tragen eine Menge von Nahrungsmitteln
darin zusammen, wovon sie sich während des Winters näh-
ren. So machen es z. B. die Maulwürfe. Ihr unterirdi-
scher Vau ist von vielen Gängen durchschnitten, die alle mir
einauder in Verbindung stehen. Im Winter graben sie sich
b bis 6 Fuß tief ein. Ihre eigentliche Wohnung ist ein
sehr kunstreiches rundes Gewölbe, welches mit Moos, Mist,
Stroh, Laub, Gras und zarten Wurzeln ausgelegt ist. Die
Dekke ist, nebst den Seitenwänden, fest zusammengedrückt,
und künstlich geglättet. Unter dem Schnee wühlen sich die
Maulwürfe lange Gänge, und graben den Würmern, Erd-
schnekken uild Wurzeln nach. Die Hamster, welche eine
ähnliche unterirdische Wohnung anlegen, erstarren zwar im
Winter, so bald Schnee fällt, und bleiben bis zum März in
dieser Erstarrung, sammeln aber doch im Herbste eitlen gro-
ßen Vorrath von Korn, den sie nicht eher angreifen, bis aus
dem Felde gar nichts mehr zu finden ist. Voir diesem Vor-
ralhe nähren sie sich biö zum Winterschlafe, und beim Er-
wachen, weil dann noch Nichts für sie aus dem Felde da ist.
Manche Thiere, besonders Vögel, ziehen im Herbst in
entfernte wärmere Länder, um nicht im Winter vor Källe
V. Produkte der Erde.
99
und Hunger umzukommen, mW kehren im Frühjahr in ihre
vorige Heimath zurück. So machen eS z. B. die Lerchen,
die Störche, die Kraniche und andere Vögel, die daher
Zugvögel genannt werden.
Für ihre Jungen sorgen die Thiere mit außerordent-
licher Liebe. Schon vor ihrer Geburt bereiten sie ihnen
ein weiches und warmes Lager, und zwar gerade an einem
solchen Orte, wo sich hinlängliches Futter für sie findet, und
wo sie vor Ueberschwemmungen und andern Gesahren ge-
sichert sind. Einige Thiere bringen lebendige Junge zur Welr,
und säugen sie an ihren Brüsten mit Milch (die Säuge-
thiere); andere legen Eier, woraus die Jungen in kurzer
Zeit vermittelst der Wärme hervorkommen, z. B. die Vögel,
die Fische und die Insekten. Mit der größten Zärtlichkeit
beschützen besonders div Weibchen ihre Jungen, uird geben
oft lieber ihr eigenes Leben hin, als daß sie die Jungen
dem räuberischen Feinde überlassen.
Säugethiere.
Die Säugethiere sind größtentheils viersüßige Thiere,
aber es giebt auch unter ihnen solche, die sich auf vier Hän-
den fortbewegen, nämlich die Affen, und andere, welche
im Wasser leben, und daher statt der Füße Flossfedern haben,
nämlich die Walisische, denn auch diese gebären lebendige
Junge und sängen sie, gehören also eigentlich nicht zu den
Fischen. — Der Körper der Säugethiere ist mit Haaren
von sehr verschiedener Stärke, Länge und Farbe bedeckt, die
auch bei einigen (z. B. bei den Schafen uud Pudeln) w ie
Wolle gekräuselt, oder als Borsten straff und struppig sind
(z.B. bei den Schweinen), oder die gar, wie bei dem Igel,
steife Stacheln bilden. Bei manchen sind die Haare am
Halse sehr lang, und bilden eine Mähne, z. B. bei den Pfer-
den; andere haben einen Bart, wie die Ziegen. Bei eini-
gen Säugethieren ändert sich die Farbe der Haare mit dem
Alter, z. B. bei den Seehunden; oder während des Win-
ters, wie bei den Eichhörnchen, welche dann grau werden.—
Die meisten Säugethiere leben auf der Erde, und man-
che, wie z. B. die Affen und Eichhörnchen, fast bloß aus
Bäumen; einige leben unter der Erde, z. B. die Hamster
und die Maulwürfe; andere bald aus dem Lande, bald im
Wasser (die Biber und die Seebären); noch andere bloß
im Wasser (die Walfische). Die Finger und Zehen derjenr
100
V Produkte der Erde.
gen Säugethiere, welche sowohl im Wasser, als auf dem
Lande leben, sind durch eine Haut verbunden, welche nran
die Schwimmhaut nennt, well sie ihnen zum Schwimmen
behülflich ist. Bei den Fledermäusen sind die langen finger-
artigen Zehen der Vorderfüße durch eure zarte Haut verbun-
den, und daher können sie ein wenig fliegen, oder flattern.
Sie sind die einzigen fliegenden Säugethiere. Auf der Erde
können sie nur kriechen. Einige Säugethiere haben hornar-
tige Hufe, nämlich die Pferde und die Esel; viele haben
gespaltene Klauen, z. B. die Schafe und die Ochsen. Die
meisten gehen bloß auf den Zehen, nur einige auf der gan-
zen Fußsohle. — Außer den Klauen und Zähnen haben viele
Säugethiere auch noch Hörner erhalten, um sich gegen ihre
Feinde zu wehren. Bei den Hirschen sind die Hörner wie
Aeste eines Baumes gestaltet, und heißen Geweihe. Sie
werden gewöhnlich in jedem Jahre abgeworfen, und dann
durch neue ersetzt, welche mehr Enden haben, als die alten.
Im Februar oder März verlieren die Hirsche ihr Geweih,
und schon nach 3 bis 4 Monaten haben sie ein neues, wel-
ches anfangs sehr weich ist. Die größten Geweihe haben sel-
ten mehr, als 24 Enden. — Einige Säugethiere haben
Beutel, z. B. die Affen, die Meerkatzen und die Hamster
Man nennt diese Beutel auch Bakkentascheil, weil sie an je-
der Seite der untern Kinnlade als häutige Taschen sitzen, und
von diesen Thieren als Taschen gebraucht werden, um Nah-
rung smittel darin fortzuwagen. Bei einigen Beutelthieren
sitzen die großen häutigen Beutel am Bauche, und sind so
groß, daß üch die Jungen darin verkriechen können, wenn sie
sauget: wollen. So ist es z. B. bei der Beutelratte und bei
dem Känguruh. — Die Brauchbarkeit der Säuge-
thiere ist außerordentlich groß und vielfach. Zum Reiten,
Ziehen, Lastwagen und zum Akkerbau dienen dein Menschen
die Pferde, Maulthiere, Esel, Ochsen, Büffel, Rennthiere,
Elephanten, Kameele und Hunde. Zur Jagd und zum Be-
wachen seines Eigenthums bedient sich der Meitsch des Hun-
des. Die Katzen, die Igel, die Ameisenbären, und mehrere
andere Säugethiere, vertilgen allerlei schädliche Thiere.
Das Fleisch des Rindviehes, der Schafe, Ziegen, Schweine,
Hirsche, Hasen, Kaninchen, und in einigen Ländern auch
das Fleisch der Pferde und Hunde, dient den Menschen zur
Speise. Auch der Speck, das Schmalz, das Blut und die
Milch der Thiere dient uns zur Nahrung. Aus dem Fette
V. Produkte der Erde.
101
des Walisisches wird der Fischthran gemacht, welcher so viel-
fach zu gebrauchen ist. Seine Zunge wiegt etliche tausend
Pfund, und giebt 15 bis 20 Tonnen Thran. ^ Die Lichte,
mit welchen wir unsere Stuben erleuchten, sind aus dem
Fette der Ochsen und Schafe gemacht, welches Talg oder
Unschlitt genannt wird. Die Seife besteht nieisteus aus
Talg. — Vorzüglich groß und ausgebreitet ist der Nutzen,
welchen die Häute und Felle der Säugethiere, ihre Haare,
und besonders ihre Wolle den Menschen gewähren. Manche
Felle werden so zubereitet, daß die Haare daran bleiben, und
dann heißen sie Pelzwerk. Es ist das Geschafft des Kürsch-
ners, sie zuzubereiten. Das meiste Pekzwerk liefern uns,
außer den Schafen, die wilden Thiere, besonders die Füchse,
Zobel und Hermeline. Die Häute der wilden Schweine und
Seehunde werden zum Beschlagen der Koffer gebraucht.
Wenn den Häuten der Thiere die Haare genommen, und sie
weich und geschmeidig gemacht worden sind, so werden sie
Leder genannt. Mit Zubereitung des Leders beschädigen sich
die Lohgerber, Weißgerber und Sämischgerber; sie benutzen
dazu vorzüglich die Häute der Ochsen, Kälber, Schafe, Rehe
und Ziegen. Saffian, ein schönes glänzendes Leder, wird
auS Ziegensellen, und Korduan aus Bocköfellen gemacht.—
Aus mannichfaltige Weise wird daö Haar der Thiere,
und ins besondere die Wolle der Sckafe, zur Bekleidung deS
Menschen benutzt. Die Haare der Kühe, Kälber und Pferde
werden nicht bloß zum Auspolstern der Stühle, Sopha's und
Matratzen, sondern auch zur Verfertigung einer Art von
Pantoffeln, (Värlaischen) und zur Bereitung des Haartuches
gebraucht, dessen feinere Arten einigen Menschen zur Be-
kleidung, so wie die gröbern zum Einpakken kostbarer Waa-
ren dienen. Von Kameelhaaren werden Hüte, auch wohl Ka-
melotte verfertigt, und aus den Haaren der angorischen Ziege
wird das Kameelgarn gemacht, welches zur Verfertigung
verschiedener schöner Zeuge dient. Aus Pferdehaaren wird ein
glänzendes Zeug verfertigt, mit welchem man Stühle über-
zieht. Auch zur Beziehung der Violinbogen werden die
Pferdehaare benutzt. AuS den Haaren de? Hasen, Kanin-
chen, Ziegen, Hunde und Biber verfertigt der Hutmacher
grobe und feine Hüte. Aus Schafwolle macht man auf dem
Weberstuhle folgende Zeuge: Damis, Serge, Rasch, Cha-
lons, Kamelott, Frieß, Flanell, Molton, Plüsch und Fel-
bel. — Die Borsten der Schweine gebraucht der Bür-
102
V. Produkte der Erde.
stenbinder. Die Geweihe, die Hörner, die Zähne (besonders
Elephantenzähne oder Elfenbein) und die Knochen der Säu-
gelhiere werden von dem Drechsler auf allerlei Art verar-
beitet. Aus den Sehnen und Knochen wird Tischlerleim
gekocht. Ans den Därmen macht man Saiten. Der Mist
wird aus den Akker gebracht, und dient zur Düngung
(Fruchtbarmachung^ desselben. In holzarmcn Gegenden be-
dient man sich auch des trokkenen Mistes zur Feuerung.
Vögel.
Die Vögel kommen in Ansehung ihrer Bildung darin
mit einander überein, daß sie alle zwei Füße, zwei Flügel,
einen hornichten Schnabel und einen mit Federn bedeckten
Körper haben. Die Federn fallen ihnen zwar in einer be-
stimmten Jahreszeit auö, man nennt dies daö Mausern
der Vögel, aber eS wachsen sogleich andere wieder. Die
stärksten Federn sind in den Fittigen (Flügeln) und im
Schwänze. Jene heißen Schwungfedern, und diese
Steuerfedern (warum?). Einige Vögel haben gar keine
Schwungfedern, und können daher nicht stiegen, sondern nur
flattern, z. V. der Sttaufi, der Kasuar und die Pinguine
Die meisten Vögel leben auf Bäumen, einige im Wasser,
sehr wenige bloß auf der Erde (welche?), und kein einziger
unter der Erde. Manche haben freie, unverbundene Zehen;
bei andern sind die Zehen durch eine Schwimmhaut verbun-
den, z. V. bei den Gänsen, Enten, Schwänen u. a.
Sehr viele Vögel verändem ihren Aufenthalt in gewis-
sen Jahreszeiten, und heißen daher Strich- oder Zugvö-
gel. Sehr merkwürdig ist es, daß sie, nach einer so langen
Abwesenheit, immer ihre alten Nester wieder finden. Die
Drosseln und Krammetsvögel ziehen in unzähligen Schaa-
ren nach Italien, und halten dort Nachlese in den Weinber-
gen. Die Lerchen ziehen am spätesten von uns weg. Kein
einziger Vogel hat Zahne, sondern diese Thiere müssen ihre
Speise entweder mit dem Schnabel zerbeißen, oder ganz ver-
schlukken. Bei denjenigen Vögeln, welche Saamen fressen, und
ihn ganz verschlukken, geht die Speise nicht sogleich in den
Magen, sondern wird zuvor im Kropfe oder Vormagen
eingeweicht. Sehr viele Vögel verschlukken kleine Kiesel-
steine, und auch diese befördern die Verdauung der Speisen.
Verschiedene fleischfressende Vögel, wie die Eulen, Eisvögel
u. a. können die Knochen, Haare und Gräten der kleinen
V. Produkte der Erde.
103
totere, welche sie verzehre haben, nicht verdauen, sondern geben
sie, in eine runde Kugel geballt, nach der Mahlzeit wieder
von sich. Der Schnabel dient den Vögeln nicht bloß zum
Beißen, sondern auch zum Putzen der Federn, zum Bau ih-
rer Nester, zum Eintragen des Futters, zur Vertheidigung,
und bei einigen, z. B. bei den Papageien, sogar zum Klet-
tern. Wenn die Vögel sich gebadet haben, so drükken sie mir
dem Schnabel die Fettdrüsen am Steiße, aus welchen dann
ein feines Oel dringt, und nun ziehen sie die Federn durch
den mit Oel benetzten Schnabel, oder bestreichen sie mit den
Zehen, woran ebenfalls Oel sitzt. Das Gesicht ist bei
den Vögeln überaus scharf. Die Henne bemerkt einen Ha-
bicht in einer Entfernung, wo ihn kein menschliches Auge
erblickt, und die Rothschwänzchen sehen auf dein Gipse! des
höchsten Baumes das kleinste Insekt sich bewegen. Die
Eulen sehen des Nachts am schärfsten, und ihre Augen
leuchten. Andere Vögel haben einen überaus scharfen Ge-
ruch, z. V. die Elstern, welche bei hartem Froste eine unter
der Erde verborgene Made riechen.
Die Vorsicht und Klugheit, mit welcher die Vögel
ihre Nester gerade an solchen Orten anlegen, wo sie am
leichtesten ihre Bedürfnisse befriedigen, und sich gegen ihre
Feinde schützen können, ist höchst bewundernswürdig, so daß
man ihnen fast menschliches Nachdenken und verständige
Ueberlegung zutrauen möchte. Eben so vorsichtig wählt
sede Gattung die Baumaterialien zu ihrem Neste. Die-
jenigen Vögel, welche in heißen Himmelsstrichen, oder an
schattigen Orten nisten, nehmen zu ihrem Bau nur leich-
len und einfachen Stoff, z. B. Zweige, Wurzeln, Heu,
Stroh, Schilf und Laub. Andere aber nehmen, außer die-
sen Materialien, noch Lehm, Mist, Moos, Haare, Wolle,
u. dgl. m. Das Weibchen ist gewöhnlich die Bau Meisterinn;
rrur bei den Schwalben verstehen sich beide Geschlechter aui
bas Nesterbauen. Die Gestalt der Nester ist bald mehr, bald
weniger künstlich. Manche Vögel, wie die Schnepfen, Trap-
pen, Kibitze u. a., machen sich bloß ein einfaches Lager von
Reiöholz und Strohhalmen auf der platten Erde; andere
bereiten sich ein kunstloses Bett in den Löchern der Mauern,
m den Spalten der Berge, und in hohlen Bäumen, z. B.
tne Spechte, Hoher, Dohlen, Wiedehopfe, Sperlinge u. a.
Sehr viele, besonders unter deil Hühnern, Tauben uno Sing-
vögeln, geben ihrem Neste die Gestalt einer Halbkugel oder
104
V. Produkte der Erde.
einer Schüssel; andere, wie der Zaunkönig, die Gestalt ei-
nes Backofens; noch andere die Form eines Beutels. —
Wenn das Nest gebaut ist, so legt die Mutter ihre Eier
hinein. Die Zahl der Eier ist bei den verschiedenen Gar-
rungen der Vögel sehr verschieden. Viele Wasservögel legen
jedes Mal nur ein einziges Ei, die meisten Tauben legen
zwei, die Möven drei, die Raben vier, die Finken fünf, die
Schwalben sechs bis acht Eier. Rebhühner und Wachteln
legen wohl vierzehn, und die Haushühner mehr als 50 Eier
wenn man sie gut füttert, und ihnen die Eier nach und nach
wegnimmt. Nimmt man sie ihnen nicht weg, so bebrüten sie
die Eier, d. h. sie setzen sich darauf, und bleiben so lange daraus
sitzen, bis die Küchelchen die Schale des Eies durchbrechen,
und auskriechen können. Dies geschieht bei den Hühnern am
Ende des ein und zwanzigsten Tageö; aber schon am neun-
zehnten Tage giebt das Hühnchen in dem Ei einen Laut
von sich. — Manche Vögel werden sehr alt. Die Adler und
Papageien können ein Alter von 100 Jahren erreichen, und
die Schwäne sollen 200 bis 300 Jahre alt werden. Gänse,
Finken, Stieglitze und Tauben werden über 20 Jahre alt
Der Nutzen, den die Vögel sowohl in der Natur über-
haupt, als besonders für den Menschen stiften, ist überaus
groß. Verschiedene Raubvögel, z. B. Geier und Naben,
verzehren das Aas, welches durch seine Ausdünstung die
Lust vergiften würde. Die Krähen, die Würger, und an-
dere Vögel fressen viele Feldmäuse weg, deren zu große Ver-
mehrung leicht Misswachs verursachen könnte. Unzählige
schädliche Insekten werden von Vögeln vertilgt, und die Er-
fahrung hat gelehrt, daß die gänzliche Ausrottung mancher
für schädlich gehaltenen Vögel, z. V. der Sperlinge und
Krähen, die Folge hatte, daß das Ungeziefer sich unglaublich
vermehrte und unersetzlichen Schaden anrichtete. Die Stör-
che und Reiher vermindern die Frösche, Schlangen und Ei-
dechsen. Die Enten reinigen die Gärten von schädlichen
Schnekken; die Sperlinge, Meisen und Schwalben verzeh-
ren eine große Menge der schädlichsten Raupen, Insekten
und Würmer. Unzählige Vögel sind geschäfftig, das Unkraut
zu vertilgen, und leisten dadurch den Menschen einen sehr
großen Dienst. Andere sorgen für die Vermehrung und Fort-
pflanzung nützlicher Thiere und Gewächse auf eine höchst
merkwürdige Art. Wir wundern uns oft darüber, daß aus
den höchsten Mauern, und auf steilen Felsen, wohin kein
V. Produkte der Erde.
105
Mensch kommen kann, Weidenbäume und große Srräuä^r
deö Vogelbeerbaumes stehen; die Drosseln haben sie dahin
gepflanzt. Sie verschlukken nämlich die Saamenköruer, geben
sie unverdauet wieder von sich, und verpflanzen sie eben da-
durch an Oerter, welche keine Menschenhand erreichen kann.
Aus ähnliche Art tragen die wilden Gänse auf ihren Zügen
den Fischrogen in entfernte Teiche über. Die Seevögel dün-
gen durch ihren Mist kahle Felsenklippen und Küsten, woraus
nachher manche nutzbare Pflanze hervorkommt. Für den
Menschen ins besondere sind die Vögel zwar nicht in dem
Grade brauchbar, wie es die Säugethiere sind, allein sie ge-
währen ihm doch auch verschiedene eigenthümliche Vortheile.
Er benutzt das Fleisch, die Eier und das Fett von vielen, z. B.
von den Gänsen, Enten und Hühnern, zu seiner Nahrung,
und gebraucht ihre Federn zum Ausstopfen der Betten, zum
Schreiben, zu Pinselfutteralen, zu Pfeilen, Angeln und
zum Putze. Auch zur Härtung des Stahles, zur Bekielung
musikalischer Instrumente, in Apotheken zum Filtriren, und
auf manche andere Art sind die Vogelfedern nutzbar.
Der Schade, den die Vögel anrichten, ist unbedeu-
tend, wenn man ihn mit den Vortheilen vergleicht, welche sie
uns verschaffen. Einige Raubvögel, z. B. der Kondor, (der
größte von allen fliegenden Vögeln) der Lämmergeier
u. a. tödten Füllen, Kälber, Ziegen und Schafe. Der Fisch-
adler und viele Wasservögel sind den Fischen verderblich, und
besonders ihrem Laich. Die Falken, Habichte, Sperber,
Neuntödter und Elstern stellen dem Hausgeflügel nach, und
würgen es. Auch die Störche, welche von abergläubischen
Menschen fiir segenbringende Thiere gehalten werden, sind
sehr schädliche Raubvögel, denn sie fressen nicht bloß Frösche,
Schlangen, Heuschrekken, Feldmäuse und Maulwürfe, son-
dern auch junges Federvieh, Lerchen, Bienen, Fische und
Fischlaich. Die Sperlinge und manche Singvögel schaden
der Saat, den Weintrauben und den Obstbäumen. Auch
werden nicht bloß brauchbare Gewächse, sondern es wird
eben sowohl wucherndes Unkraut durch die Vögel verpflanzt.
Am p h i b i e n.
Die Amphibien unterscheiden sich vorzüglich dadurch
von den Säugethieren und Vögeln, baß sie kein warmes Blut
haben. Ihr Körper ist daher beständig kalt. Von den Fischen
unterscheiden sie sick dadurch, daß sie durch Lungen Lull
106
V. Produkte der Erde.
schöpfen. Merkwürdig ist es, daß sie das Athemholen sehr
lange entbehren können, daher z. B. Kröten in einem engen
Baumloche, und sogar mitten in Steinblökken, wo sie wie
eingemauert sitzen, geraume Zeit leben. Auch ein sehr hoher
Grad von Hitze und Kälte tödtet sie nicht; denn man hat Bei-
spiele von Fröschen, welche in dichte Eisschollen eingefroren
waren, und doch noch lebten, als das Eis geschmolzen war.
Die meisten Amphibien geben eine Stimme von sich, z. B.
die Frösche quaken, einige aber, z. B. die grünen Eidechsen,
scheinen gänzlich stumm zu sein. Sie haben eine sehr ver-
schiedene Bildung, denn einige sind vierfüßig, wie die Schild-
kröten, Frösche und Eidechsen, andere h-aben einen langge-
streckten, röhrenförmigen, dünnen Körper, ohne Füße und
ohne irgend ein äußeres Bewegungswerkzeug, z. B. die
Schlangen. Diese können sich nur dadurch von einem Orte
zum andern bewegen, daß sie ihren Körper zusammenziehen
und wieder auöstrekken. — Einige Amphibien haben eine knö-
cherne Schaale zu ihrer Bedckkung erhalten, andere bornar-
tige Reifen, oder zahlreiche kleine Schilde, oder Schuppen;
noch andere haben eine nackte, mit Schleim überzogene Haut:
B. die Laubfrösche. Die meisten häuten sich von Zeit zu
Zeit. Merkwürdig ist es, daß manche Amphibien plötzlich ihre
Farbe ändern, wie z. B. der Laubfrosch und verschiedene Ei-
dechsen, besonders das Chamäleon. Daher ist es gekommen,
daß man von einem veränderlichen Menschen sagt: er sei ein
wahres Chamäleon. Einige Eidechsen und Schlangen haben
eine überaus schöne buntgefleckte Haut. Die Nahrung der
Amphibien, besonders der Schildkröten und der Schlangen,
ist sehr mannichfaltig. Manche nähren sich bloß von einigen
Gattungen lebender Insekten. Fast alle Amphibien können be-
wundernswürdig lange fasten. Ein Salamander kann meh-
rere Monate lang ohne Speise leben, und man bemerkt nicht
ein Mal, daß er dabei beträchtlich abzehrt. Von Schildkröten
weiß man, daß sie gegen anderthalb Jahre ohne alle Nahrung
ausdauern können. — Noch bewunderungswürdiger als diese
Zähigkeit ihres Lebens, ist die Schnelligkeit, mit welcher den
Amphibien verlorne Glieder wieder wachsen. Einem Was-
sermolch, dem man ein Auge ausschnitt, wuchs innerhalb 10
Monaten ein neues, nur etwas kleineres Auge wieder. — Ei-
nige Amphibien, vorzüglich einige Schlangenarten, haben ein
Gift bei sich, womit sie sich gegen ihre Feinde vertheidigen. —
Wahrscheinlich bringen alle Amphibien ohne Ausnahme die
V. Produkte der Erde.
107
kälteren Wintermonate in einer Erstarrung zu und zwar
zum Theil in großen Haufen, wie z. B. die Frösche lind Sa-
lamander. Fast alle Amphibien legen Eier; aber manche, be-
sonders unter dell Schlangen, geben die Eier llicht eher von
sich, als bis das darin befindliche Jlllige beinahe seine völlige
Ausbildung erhalten hat. Sie wachsen sehr langsam, leben
aber auch zum Theil sehr lange. Man hat Beispiele, daß
Schildkröten über 125 Jahre gelebt haben, und wahrschein-
lich können also die Schlangen und Krokodille noch älter wer-
dell. Der Krokodill ist unter allen den Thieren, welche im sü-
ßen Wasser, d. h. in Seen lind Flüssen leben, das größte;
denn er erreicht eine Länge von 50 Fuß. Er tödtet Men-
schen und größere Thiere. DaS Weibchen legt gegen l00
Eier, welche kalun die Größe eines GänseeieS haben. —
Die Schildkröten leben theils im Meere, theils in
Flüssen. — Die Riesenschildkröte ist länger und grö-
ßer, als ein Ochse, wiegt bis 8 Centner, und kann Lasten
von mehreren Centnern aus ihrem knöchernen Rükken forttra-
gen. Alle Schildkröten sind nämlich mit einer knöchernen,
sehr festen Schale bedeckt, deren Obertheil mit breiten horn-
artigen Schuppen (Schildpatt) belegt ist. Diese Schup-
pen sind bei manchen Gattungen so stark und schönfarbig,
daß sie zu allerlei Kunstsachcn, besonders zu Dosen und
Uhrgehäusen, verarbeitet werden. Die Seeschildkröte
legt mehrere 100 Eier, und hat ein sehr schmackhaftes Fleisch.
Die Kröte ist nicht giftig. Die grünen Wasserfrösche
sind schlau und muthig. Sie verzehren Mäuse, Sperlinge,
und selbst junge Enten. Sogar über große Hechte werdet!
sie Herr. Sie sind essbar. Die Schlangen leben theils
im Wasier, theils auf der Erde, theils auf Bäumen. Es
giebt Schlangen von 40 bis 50 Fuß Länge. Sie können
Thiere verschlingen, welche weit dikker als sie selbst sind,
weil ihre Kinnladen sich sehr weit ausdehnen; aber kauen
können sie nicht.
Fische.
Die Fische unterscheiden sich durch ihre mit Gräten
versehene Flossen und durch den Mangel der Lungen von
allen übrigen Thieren. Statt der Lungen haben sie Kiefern
oder Kiemen erhalten. Diese lugen zu beiden Seiten hinter
dem Kopfe, mehrentheils unter einer oder mehreren halb-
runden Schuppen, welche Kiemendekkel heißen. Die
108
V. Produkte der Erde.
Flossen oder Flossfedern bestehen aus knorplichten Gräten,
welche durch eine feine Haut mit einander verbunden find.
Sie sitzen am Rükken, arn Schwänze, an der Brust und am
Bauche, und vermittelst dieser verschiedenen Flossen können
sich die Fische sehr mannichfaltig und schnell bewegen. Indem
der Fisch durch den Mund Wasser einsaugt, drückt er die Kie-
menöffnungen so lange zu, bis die in dem Wasser enthaltene
Luft in die feinen Blutgefäße, welche in den Kiemen liegen,
eingedrungen ist; durch die Kiemenöffnung geht sie dann
wieder fort. — Der Körper der Fische ist mit hornartigen
Blättchen (Schuppen) bedeckt, welche noch mit einem
besondern Schleim überzogen sind. In dem Bauche der
Fische findet sich eine Blase, welche das Schwimmen er-
leichtert, und daher die Schwimmblase heißt. Manche
Fische halten sich nur in Seen, Flüssen uut> Teichen, andere
nur im Meere auf. Die letztem werden Seefische ge-
nannt. Der Aal und die Muräne können auch einige Zeit
im Trocknen aushalten. Manche Fische können sogar in
warmen Quellen ausdauern. Die Eier, welche die Fische
von sich geben, heißen Rogen, wenn sie noch in dem
Leibe deS Fisches sitzen; hat sie der Fisch schon von sich
gegeben, so werden sie Laich genannt. Beim Laichen oder
Eierlegen, kommen viele Fische an das Ufer, um im Schilf-
grase oder an Klippen ihre Eier zu legen, wo sie dann durch
die Sonnenwärme ausgebrütet werden. Die meisten Fische
leben von Wasserpflanzen, kleinen Thieren und allerlei Un-
rath. Einige sind Raubfische; diese nähren sich von andern
Fischen, und haben deswegen Zähne in den Kinnladen.
Die Häringe und einige andere Fische machen zu bestimm-
ten Jahreszeiten in unermesslichen Schaaren weite Züge im
Meere. Ein besonders merkwürdiger Fisch ist der Aal. Er
lebt mehrentheilS vom Raube. Der gemeine Aal oder der
Flussaal kann nur sehr kleine Fische verschlingen, und lebt
daher meistens von Würmern, Insekten und Fischlaich. Er
liegt bei Tage und während der Winterzeit im Schlanrme,
und geht des Nachts aufs Land, wo er sich die Erbsen und
den jungen Weizen sehr wohl schmekken lässt. Die Flussaale
werden an 30 Pfund schwer, und gebähren lebendige Junge.
Der Zitteraal, welcher in unsern Flüssen nicht gefunden
wird, bringt demjenigen, welcher ihn berührt, eine heftige
Erschütterung bei. Dies findet auch noch bei einigen arr-
dern Fischen Statt. Die Schollen baben beide Augen an
V. Produkte der Erde.
109
einer Seite des KopfeS — Der Lachs gehört zu den
Zug fischen, und wird bis 60 Pfund schwer. Er zieht
aus dem Meer weit in die Flüsse hinein, sobald der Früh-
ling gekomnien ist. Im Herbste kehrt er wieder tu das
Meer zurück. — Der Hecht ist ein sehr gefräßiger Fisch,
und wird bis 12 Pfund schwer. Er frisst Frösche, Mäuse,
und viele Fische, besonders die Karauschen. Der Karpfen
wird an 2 Ellen lang, bis 30 Pstmd schwer, und kann
100 Jahre alt werden.
Insekten.
Die beiden letzten Klassen oder Abtheilungen des Thier-
reichs, die Insekten und die Würmer, unterscheiden
sich schon dadurch von den vorhergehenden, daß sie kein ro-
thes Blut, sondern statt dessen einen weißlichen Saft
in ihrem Körper haben. Ihren Namen haben die Insekten
daher, weil Kopf, Brust und Hinterleib an ihnen wie durch
Einschnitte Von einander abgesondert sind, ja bei den mei-
sten fast nur durch einen Faden mit einander verbunden zu
sein scheinen; denn Insekten bedeutet so viel, als Thiere
mit Einschnitten. Außerdem unterscheiden sie sich noch
durch die Fäden, welche sic an der Stirn tragen (Fühlhör-
ner), und durch die Zahl ihrer Füße; denn sie haben we-
nigstens sechs, manche aber 12, 20, ja bis 100 und 150
Füße. Eö ist übrigens ein großer Unterschied unter den In-
sekten, schon in Ansehung der Bedekkung ihres Körpers.
Sehr viele, z. B. die Käser, sind mit einer hornartigen
Dekke überzogen, unter welcher ihre kleinen Flügel liegen;
andere sind mit feinen Haaren bedeckt; bei den Schmetter-
lingen und einigen andern Insekten sind die Flügel mit
kleinen Federchen, oder vielmehr mir Schuppen versehen,
die zum Theil von den schönsten Farben sind, so wie sich
überhaupt unter den Insekten Thiere von unbeschreiblicher
Schönheit finden.— Die Fühlhörner sind den Insekten
als Werkzeuge des Gefühls sehr nützlich, besonders deswe-
gen, weil sie ihre Augen nicht bewegen können, und weil
ihre harte äußere Dekke ganz unettipfindlich ist. — Fast auf
allen Thieren sind Insekten anzutreffen, und soßar unter
den Insekten giebt es einige, z. B. Käfer und Brenen, aus
welchen andere Insekten, nämlich Milben und Läuse, sich
befinden. Wich giebt es nur sehr 'wenige Gewächse, aus
welchen nicht irgend eine Art von Insekten ihre Wohnung
110
V. Produkte der Erde.
uno ihren Aufenthalt Hütte; ja manche unter ihnen, z. B.
die Eichen, werden von mehr als 100 verschiedenen Gat-
tungen von Insekten bewohnt. Nur wenige Insekten !e-
ben nr gesellschaftlicher Verbindung. Manche, die in zahl-
reicher Gesellschaft aufgewachsen sind, wie z. V. die Spin-
nen, zerstreuen sich bald nachher, und leben einsiedlerisch.
Die meisten Insekten bauen sich überaus künstliche Woh-
nungen oder Gehäuse, oder sie spinnen sich ein, um ih-
ren langen Todesschlaf zu bestehen. Bewundernswürdig ist
die Kunst, mit denen sich einige Arten von Insekten ihre
Nahrung zu verschaffen wissen. Wer kann ein^ Spinnen-
gewebe betrachten, ohne über die Kunst deS kleinen Gewebes
zu erstaunen? Eben so erstaunenswürdig ist die trichterför-
mige Fallgrube, welche der Ameisenlöwe, ein Insekt von der
Größe einer Fliege, in lokkerem Sandboden zu machen weiß.
Er scharrt sich selbst unten bis an den Hals in den Sand,
und lauert nun aus die Alneisen, welche unversehens an den
Rand seiner Grube kommen, und mit denr lokkereu Sande
hinabschurren. — Höchst merkwürdig sind die Gebäude,
welche die weißen Ameisen oder Termiten, die in Afrika
und Amerika geftmden werdeir, auö Thon und Lehm aus-
führen. Sie sind kegelförmig, meist mit mehreren Spitzen
besetzt, inwendig hoch auögewölbt und 10 bis 12 Fuß hoch,
und zuweilen so zahlreich bei einander angelegt, daß sie in
der Feme daö Ansehen eines Dorfes haben. Die Wände
sind mit großen, weiten Gängen durchzogen, aber doch so fest
gewölbt, daß sie .mehrere Menschen tragen. — Eben so
merkwürdig ist die Wohnung der Bienen, der Bienen-
stock mit seinen künstlichen Zellen, die keine Menschenhand
so regelmäßig nachzubilden im Stande wäre. — Bei der
Art, wie sich die Insekten nähren, ist es sehr auffallend,
daß sie nicht bloß essen sollen, um satt zu werden, sondern
um zugleich Aas aufzuzehren, oder um andere schädliche
Insekten zu vermindem, oder um Unkraut zu vertilgen;
denn ihre Esslust ist ganz außerordentlich groß, und sie sind
recht eigentlich gesräßA. Eine Raupe verzehrt in 24 Stun-
den drei Mal mehr, als sie wiegt.
Die meisten Insekten legen Eier, welche die Mütter
nach einem bewundemswürdigen Instinkt immer aufs Ge-
naueste an solche Orte legen, wo die künftige Brut am leichte-
sten und sichersten ihre Nahmng finden kann. Manche legen
z. B. ihre Eier nur in den Körper lebendiger Insekten anderer
V. Produkte der Erde.
IN
Art. in Raupen, oder in Puppen, oder gar irr die Eier ande-
rer Insekten. Stur wenige Insekten gebären lebendige Junge.
Die geflügelten Insekten nehmen mehrere Gestalten an, ehe
sie dem Thiere ähnlich werden, aus welchem sie entstanden
sind. Diese Veränderung der Gestalt nennt man die Ver-
wandlung der Insekten. Eigentlich ist es keine Verwand-
lung, sondern es kommen dabei nur diejenigen Theile zum
Vorschein, welche so verhüllt sind, daß man sie zuvor rächt
bemerken konnte. Das Thierchen, welches aus dem Eie
kriecht, heißt die Larve. So sind die Raupen Larven aus
Schmetterlingseiern; die Engerlinge sind Larven vom Mai-
käser; viele Maden sind die Larven verschiedener Fliegeneier
Diese Larven thun Nichts, als fressen, und streifen einige Ma»
ihre Haut ab (häuten sich), worauf sie eine neue erhalten.
Nach einiger Zeit verfertigen sie sich eine Hülle, in welcher
sie gewöhnlich still und ruhig liegen, ohne zu fressen. In die-
ser Gestalt heißen sie Puppen oder Nymphen. Wäh-
rend der Zeit, da sie so ganz sühllos und erstarrt in ihrer
Hülle vergraben zu sein scheinen, geht mit ihnen die große be-
wundernswürdige Veränderung vor, durch welche sie aus
Larven vollkonnnene Insekten werden, und zu einer bestimmten
Zeit bricht das neue Insekt aus seiner Hülle hervor. In
diesem Zustande wachsen sie nicht mehr, fressen wenig oder
gar nicht, und leben oft nur einige Stunden, nachdem sie
zuvor ihre Bestimmung erfüllt, und ihr Geschlecht durch
Eierlegen fortgepflanzt haben. — Einige Insekten sind ess-
bar, z. B. die Krebse und die großen Heuschrekken, welche
letztere aber bei uns nicht gefunden werden. Die Seiden-
raupe ist dem Menschen durch ihr schönes Gespinnst über-
aus nützlich, denn es lässt sich in einem langen Faden abwik-
keln, und giebt die brauchbare Seide. Nach jeder Häutung
wird sie größer, und einige Tage nach der vierten Häutung
spinnt sie sich ein. Das äußerste Gewebe, welches sie den er-
sten Tag spinnt, ist sehr unordentlich; es giebt die Floretseide.
Am zweiten Tage spinnt sie ihre zweite Hülle, aus welcher
man ordentliche Fäden erhält; zuletzt kommt noch ein dich-
ter Filz. ^ In dieser Hülle nennt man die Seidenraupen Ko-
kons. Sie werden in einem Backofen oder in heißem Wasser
getödtet, und dann wird das Gespinnst abgehaspelt. Ei-
nige tödtet man nicht, und aus diesen bricht, nach etwa 3
Wochen, ein weißer Schmetterling hervor, welcher Eier leg.
und stirbt. — Die Bienen gehören ebenfalls zu den In.
112
V. Produkte der Erde.
selten, welche dem Menschen unmittelbar nützlich sind. Un-
sere Hauöbienen leben in Bienenkörben, oder Vienenftökken,
die wilden leben in hohlen Bäumen. In jedem Bienenstokke
finden sich dreierlei Arten von Bienen, die äußerlich und in-
nerlich sehr verschieden sind, nämlich eine Königinn oder der
Weiser, Arbeitsbienen und Drohnen. Die Königinn hält
die ganze Gesellschaft zusammen, und erhält Ordnung und
Thätigkeit in derselben. Sie allein legt Eier, aus welchen
c'k übrigen Bienen entstehen. Die Arbeitsbienen sind klei-
ner als die Königinn; die Drohnen sind männliche Bienen
und unter allen die größten; sie haben keinen Stachel. Man
rechnet, daß in einem großen Stokke gegen 10000 Arbeits-
bienen und 700 Drohnen unter einer Königinn leben. Wenn
die Arbeitsbienen eine neue Wohnung bereiten wellen, so
sammeln sie erstlich eine Art Kitt, den sie von den klebri-
gen Knospen abnagen, und an ihre Füße kleben. Damit
werden alle Ritzen und Fugen des Stokkes bis auf die Flug-
löcher verstrichen. Dann holen sie Materialien zum Wachse
herbei. Dies ist der Vlumenstaub von unzähligen Blumen
und Blüthen. Sie benetzen ihn, und verzehren ihn dann.
Erst in ihrem Magen verwandelt er sich in Wachs; so schwit-
zen sie ihn wieder aus, und verfertigen davon die regelmä-
ßigen sechsekkigen Zellen. Diese dienen theils zur Aufbe-
wahrung des Honigö, theils zu Nestern für die Brut. Die
gefüllten Zellen verschließen sie mit einer feinen Wachsdekke,
damit der flüssige Honig nicht herausriune. Vermittelst
ihres kleinen Rüssels saugen sie den süßen Saft aus den
Blumen ein, schlukken ihn hinter, und verarbeiten ihn im
Honigmageu, der wie eine kleine Blase aussieht, und worin
der Saft zu Honig wird. Die Königinn legt in jede Zelle
ein Ei, und den ganzen Sommer hindurch 30 bis 40 Tausend.
Zuerst legt sie die Eier, woraus Arbeitsbienen kommen,
dann die zu den Drohnen, und endlich noch 10 Eier,
woraus Königinnen werden, in besonders dazu gebaute Zel-
len. In einigen Tagen entsteht aus dem Ei eine Made.
Diese wird von den Bienen sorgfältig mit einem Brei ge-
füttert, bis sie sich nach etwa 8 Tagen einspinnt. Dann
verschließen die Bienen die Zellen mit einem Wachsdeklel.
Stach einigen Härrtungen ist binnen 14 Tagen das Thier-
chen eine Biene, bricht durch den Wachsdekkel hervor, wird
mit Honig gefüttert, und fliegt nach einigen Stunden mit
den übrigen aus. Wenn sich in einem Stokke die Bienen zu
sehr
V. Produkte der Erde.
113
sehr vermehrt haben, und besonders, wenn mehrere junge
Königinnen da sind, so wird ein Theil davon auögetrieben.
Diese nennt inan einen Schwarm. Sie folgen der Köni-
ginn, hängen sich da, wo sie sich hinsetzt, in einem kegelför-
migen dicht zusammengedrängten Haufen an, werden so in
einem leeren Bienenkörbe aufgefangen, und fangen sogleick
an, sich anzubauen. Sind mehrere Königinnen in den neuen
Stock gekommen, so findet man die überflüssigen am andern
Tage getödtet vor dem Stokke liegen, denn nur Eine kann
herrschen. Dies geschieht im Mai und Juni. Im August
wenn die Brutzeit vorbei ist, fallen die Arbeitsbienen über
die Drohnen her, und todten sie. Sobald die Fröste im
Spätherbste eintreten, verfallen die. Bienen, wie die mei-
sten Infekten, in den Winterschlaf, auS dem sie, wenn die
Kälte anhält, erst zu Anfang des Frühlings erwachen.
Das Geschlecht der Bienen ist sehr zahlreich, und begreift
wenigstens 200 Gattungen. — Auch die fleißigen Amei-
sen gehören zu den geselligen Insekten.
Würmer.
Die Würmer haben zwar auch ein weißliches, kaltes
Blut, wie die Insekten, aber keine Fühlhörner, und keine
eingelcnkte Bewegungswerkzeuge. Ihr Körper ist mehren-
lheils weich, ganz ohne Knochen, schleimig und nackt, d. b.
ohne Haare, Schuppen und Stacheln. Viele Würmer woh-
nen in einem festen, knochenartigen Gehäuse, welches
thuen angeboren ist, z. B. die Schnekken und die Austern.
Statt der Fühlhörner haben viele Würmer sogenannte
Fühlfäden am Kopfe, die bei einigen von beträchtlicher
Länge sind. Bei vielen Schnekkenarten sitzen vorn die Augen
daran. Manche Würnler haben einen so einfachen Körperbau,
daß man gar keine Gliedmaßen an ihnen unterscheiden kann.
In Ansehung der Größe sind sie außerordentlich versch eden.
ES giebt Muschelthiere (Conchylien), die gegen 6 Cenl-
ncr wiegen, und dagegen wieder Würmchen, welche man nur
durch ein Vergrößerungsglas erblickt. Die meisten Wür-
mer halten sich im Wasser auf; einige leben bloß unter der
Erde, und viele bloß in dem Körper anderer Thiere, und
in den Eingeweiden der Menschen, z. B. die Darmwürmer./
Manche Arten der Würmer findet mart zwar in großen
Haufen bei einander, wie z. B. die Austern, aber sie leben
doch in keiner geselligen Verbindung. Ihre Nahrung fache»
8
114
V. Produkte der Erde.
die Würmer in allen drei Reichen der Natur, denn manche
fressen auch Erde und Kalk. Biele derselben, besonders unter
den Schnellen, und auch die Blutigel, können ausnehmend
lange fasten. Einige legen Eier, andere bringen ihre Jun-
gen lebendig zur Welt. Merkwürdig ist das zähe Leben
vieler Würmer, und die Wieder - Erzeugungskraft,
welche man an ihnen bemerkt. Man kann nämlich manche
unter den Würmern zerschneiden, ohne daß sie sterben, und
nach kurzer Zeit wachsen die abgeschnittenen Theile wieder,
wie die Haare und Nägel bei den Menschen. Unter den
Couchyllen sind viele essbar, und dienen den Seefahrern
und den Bewohnern der Meeresküste zu einer Hauptnah-
rung. AuS dem Safte der Blacksische kann man Tinte
machen. Der Bast der Steckmuschel giebt eine Art brauiler
Seide, die sich sehr gut verarbeiten lässt. Mehrere Mu-
schelarten enthalten die kostbaren Perlen, und geben das
schöne Perlen mutter, woraus man Knöpfe und Do-
sen macht. Der Badeschwamm ist wahrscheinlich das Ge-
häuse eines Wurmes. Unzählige Eonchilien werden zu Kalk
gebrannt.
2. Das Pflanzenreich oder Gewächsreich.
Unter dem Namen Pflanzen oder Gewächse versteht
man: Bäume, Sträucher, Kräuter, Gräser, Schwämme
und Moose.
Die Bäume haben einen Stamm, starke Wurzeln,
Aeste, Zweige, Knospen, Blüthen, Blätter und Früchte.
Die Rinde (Borke) schützt den Stamm. Unter der Rinde
liegt der Bast, und unter diesem daö weiche Holz, welches
man Splint nennt. In dem festen Holze ist daS Mark
eingeschlossen. Ein Strauch treibt mehrere schwache
Stämme aus der Wurzel. Diejenigen Bäume, welche
essbare Früchte tragen, werden Ob st bäume, und alle
übrigen, von welchen man nur das Holz gebrauchen kann,
Forst bäume oder Waldbäume genannt. Auch einige
Sträucher tragen essbare Früchte. So wachsen z. V.
die Haselnüsse, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Berberis-
beeren und Himbeeren, auch die Weintrauben an Sträu-
chern. Die Waldbäume sind entweder Laubhölzer oder
Nadelhölzer. Die letztem haben sehr schmale und
spitzige Blätter, welche man Nadeln nennt, weil sie wie
Nadeln stechen. Unter den Laubbölzern sind die Eichen und
V. Produkte der Erde.
115
die Buchen die größten und stärksten Bäume. Auch der
Baum, dessen Rinde der Kork ist, woraus wir Pfröpfe
machen, ist ein Eichbaum. Das Buchenholz braucht der
Tischler lieber, als der Zimmermann. Es ist das beste Brenn-
holz, giebt sehr gute Asche, und wird auch vom Stellmacher
benutzt. Die Bnchekkern dienen zur Mast, und geben ein
gutes Oel. Die Hainbuche wird zu Lusthekken gebraucht.
Ihr zähes Holz giebt gute Dreschflegel, Rollen und Stam-
pfen. Auch das Holz der Birke ist sehr nutzbar. Es giebt
gute Kohlen, und ist auch ein gutes Nutzholz. Die Birken-
rinde ist fast unverweslich. Birkenwasser giebt ein weinar-
tiges Getränk. Aus den Blättern wird das Schüttgelb ge-
macht, und aus dem Ruß die Vuchdrukkerfarbe. Aus den
Birkenreisern werden die nützlichen Besen gemacht. — Die
Erle (Eller, Else) wachst hoch und grade, und am besten in
einem morastigen Grunde. Ihr Holz ist besonders zu Wasser-
röhren und Mulden brauchbar; auch lässt es sich schwarz bei-
zen. Die Rinde gebraucht der Gerber, wenn sie auf der Loh-
mühle zu Lohe gemahlen ist. Die Esche giebt ein sehr gutes
Nutzholz für Stellmacher, Drechsler und Tischler. In war-
men Ländern wachst eine besondere Art von Eschen, welche
einen heilsamen Saft, das Manna, ausschwitzen. — Die
übrigen Laubhölzer sind: die Ulme (Rüster), die Weide,
die Pappel, die Linde, die Traubenkirsche, der Vo-
gelbeerbaum und der Spindelbaum. Die wilde
Kastanie (Rosskastanie) und die Akazie sind fremde
Bäume, welche aber jetzt bei uns häufig, zum Theil mich
schon als kleine Waldungen angepflanzt werden.
Unter den Nadelhölzern wächst die Fichte (Roth-
tanne) bei uns am häufigsten. Sie wird 60 bis 80 Fuß
hoch, und hat ein sprödes Holz, das aber der Nässe und Fäul-
niß sehr gut widersteht. Die Tanne, ein -schöner Baum,
wächst vorzüglich in kalten Ländern und aus Felseu. Sie giebt
ein treffliches Bauholz. Von der Weißtanne gewinnt man
den Terpentin. Die Kiefer oder der Kienbaum (Föhre-
wird besonders zu Mastbäumen benutzt. Die Weihmuths-
kiefer wird über 50 Ellen hoch, und wächst auch bei uns
jetzt häufig. — Der Lerchenbau m trägt seine zarten Nadeln
in Büscheln, wird bis 80 Fuß hoch, und giebt ein gutes
Bauholz, denn es wird von keinem Wurme zerfressen. Die
Tannen und Fichten liefern das Pech, einen harzigen
Saft, der in großen Kesseln mit Wasser geschmolzen, in Säkke
8*
116
V. Produkte der Erde.
gethan, und ausgepresst wird. DaS schwarze Pech, welches
die Schuster und die Schiffer gebrauchen, ist eingekochter und
getrockneter Theer. Der Theer wird aus den fetten Wurzeln
des Fichtenbaumeö gebrannt.
Unter den ausländischen Bäumen, welche zum
Theil bei uns in Treib- oder Gewächshäusern durch Kunst
gezogen werden, sind besonders folgende merkwürdig:
der Zitronenbaum, der Pomeranzenbaum, dessen
Früchte auch Orangen genannt werden (daher das Wort
Orangerie); der Kaffeebaum, dessen Früchte kleinen
Kirschen ähneln, und die Bohne enthalten; der Thee-
baum in China, dessen geröstete Blätter Thee genannt, und
sehr theuer bezahlt werden; der Gewürznelken- und
der Muskatennussbaum; der Lorbeerbaum und
der Zimmtbaum, dessen Rinde ein sehr starkes Gewürz
ist. Um ihres schönen Holzes willen sind folgende aus-
ländische Bäume merkwürdig: der Mahagonibaum in
Amerika, dessen brarmrothes Holz eine vortreffliche Politur
annimmt, und überaus dauerhaft ist; das Ebenholz,
dessen schwarzes Holz einen schönen Glanz hat, wenn es poliri
ist; der Brasilienholz bäum, aus dessen Holze man
eine schöne Farbe bereitet; der Buchsbaum, dessen Holz
zu Flöten, Kämmen, Zahnstochern und feinen Gerätschaften
verarbeitet wird; der Plat an en bäum, welcher auch bei
uns jetzt häufig angepflanzt wird. — Eben so merkwürdig
sind noch einige andere ausländische Bäume, welche besonders
zur Ernährung der Menschen dienen, und überaus fruchtbar
sind, z. B. der Feigenbaum, der nie blüht, und doch so
viele Früchte trägt; die Olive, oder der Oelbaum, dessen
Früchte vorzüglich zur Bereitung des Baumöls benutzt wer-
den; die Palmen, herrliche Bäume, von welchen einige
über 100 Ellen hoch werden, und weder Aeste, noch Zweige,
sondern bloß am Gipfel einen starken Büschel Blätter haben.
Die Kokospalme trägt Nüsse von der Größe eines Kin-
derkopfs, in welchen ein Milchsaft enthalten ist, der als ein
erquickendes Getränk genossen wird, und auch ein schönes Oel
giebt. Die Fasern, womit die Schale der Nuß umgeben ist,
werden zu Strikken verarbeitet; aus den großen Blättern
dieses Baumes macht man Körbe und Hüte, und gebraucht sie
zum Dekken der Häuser, weil sie sehr dick und fest sind. Die
Dattelpalme hat auch schöne Früchte, aus deren Kernen
ein Mehl gemacht wird. Aus dem Mark der Sagopalme
V. Produkte der Erde.
117
wird auch ein nahrhaftes Mehl gewacht. — Der Bral-
ba u m hat eine melonensörmige Frucht, die, geröstet, wie
Wcizenbrot schmeckt. Diese Bäume tragen beständig so
reichlich Früchte, daß drei Bäume einen Menschen das ganze
Jahr hindurch nähren.
Von den Gewächsen, welche als Sträucher und
Stauden wachsen, merken wir uns folgende: den Kreuz-
dorn; die Stechpalme mit rothen Beeren; den Schneeballen-
strauch; das Ep Heu (Eppich, Wintergrün); das Geiß-
blatt oder Kaprifolium mit seiner wohlriechenden Blurne;
den Kellerhals, dessen Rinde den Seidelbast giebt, der Blasen
ans der Haut zieht; den wilden Rosenstrauch oder die Ha-
gebutte. — Ein merkwürdiges Gewächs ist der Mistel,
welcher nie in der Erde, sondern nur an Bäumen wächst, eine
Elle hoch wird, und durchsichtige Beeren trägt. Zu den
Sträuchern, welche eigentlich bei unö fremd sind, gehört der
Jasmin, der Spanische Hollunder (Flieder), und der
Sumach oder Gerberbaum. Von ausländischen Sträuchern
merken wir uns den Pfesfercht rauch, dessen reife Beeren,
oen weißen Pfeffer, so wie die unreifen den schwarzen ge-
ben; den spanischen Pfeffer; den Kapernstrauch, dessen
Blüthenknospen, mit Essig und Salz eingemacht, Kapern
heißen, und den Bocksbart, von welchem der Gumnai
Tragant kommt, den die Färber gebrauchen.
Eine eigene Gattung von Pflanzen machen die Far-
renkräuter, die Moose und Schwämme aus. Zu
jenen gehört das Kannenkraut oder Schachtelhalm, daS zum
Poliren gebraucht wird. Die Moose wachsen an Bäumen,
Steinen, Knochen und Felsen. Einige Moosarten überziehen
die Moraste, und aus ihnen entsteht zum Theil der Tors.
Das isländische Moos giebt eine sehr gesunde und nahrhafte
Speise. Unter den Schwämmen giebt es giftige und essbare.
Jene haben dunkle und bunte Farben, und eineil hohlen Stiel.
Die Pilze sind eine Art von Schwämmen. Die Morcheln
gehören auch zu dieser Art von Gewächsen. Eberl so die
Trüffeln, ein sonderbares Gewächs ohne Wurzel, Stiel
und Blätter, welches unter der Erde gedeiht.
_ Zu den Gräsern oder Grasarten gehört alles Ge-
treide. Der Roggen ist die wichtigste Getreideart, weil
er das kräftige Brot, unser hauptsächlichstes Nahruugsmit-
rel, giebt, rrnd sehr einträglich ist; denn in inanchen Gegen-
den bekommt man von einem Scheffel Roggen wohl zehn und
118
V. Produkte der Erde.
mehr Scheffel wieder. Die übrigen Getrei-dearten sind: der
Weizen, der Spelz oder Dinkel, die Gerste, der Ha-
ser, der Buchweizen oder das Heidekorn (welches
aber eigentlich nicht unter die Gräser zu rechnen ist), die
Hirse, der Mais (türkisches Korn) und der Reis (das
Hauptnahrungsmittel der Bewohner Asiens). Auch das
Rohr, das Schilf und die Binscnpflanzen gehören zu den
Gräsern. Das Zukkerrohr ist wegen seines süßen Saftes,
woraus der Zukker bereitet wird, sehr rnerkwürdig. Es wächst
besonders in Afrika und Amerika. Das Bambusrohr,
wovon man bei uns Spazierstökke macht, wird ein starker
Baum, und bekommt Aeste. Das spanische Rohr dient
zum Beflechten der Rohrstühle und zu Spazierstökken.
Zu den Pflanzen, welche einen Theil des Feldbaues
ausmachen, gehört der Flachs, der Hanf, der Hopfen,
der Taback und die Rübsaat. Der Taback ist eine
amerikanische Pflanze. Auch Erbsen, Linsen und Bohnen,
diese sogenannten Hülsensrüchte, werden häufig auf dem
Felde gebaut. Der Mohn gehört ebenfalls zu den Feld-
früchten. Folgende Pflanzen sind unter dem Namen Farbe-
kräuter bekaimt: der Krapp (Färberröthe), der Waid, die
Scharte (Färberdistel), der meistens wild wachsende Wau
der Saflor, ein Distelgewächs, und der Safran.
Unter dem Namen der Gartengewächse oder Kü-
chengewächse begreift man alle diejenigen Kräuter und
Pflanzen, welche entweder als Speisen zubereitet, oder als
Gewürze an die Speisen gethan werden. Dazu gehört z. B.
der Blumenkohl, der Wirsing- oder Wälschkohl, Kohlrabi,
Kohlrüben (Steckrüben), Weißkohl, welcher auch als Sauer-
kraut eingemacht wird. —Zu den Rüben und Wurzel-
gewächsen gehören die Mohrrüben oder Möhren; die ro-
then Rüben; die Rukelrüben, welche oft 10 Pfund schwer
sind, und aus deren Saft man einen guten Zukker mache»
kann; die kleinen märkischen oder weißen Rüben; die Pa-
stinaken; die Zukker- und Haferwurzeln, u. a. m. Auch
die Wurzel der Petersilie, die Rettige, die Radieschen und
der Meerrettig gehören hieher.
Eine eigene Art von Gewächsen sind die Zwiebelge-
wächse, zu welchen auch einige Blumengewächse gehören,
z B. die Hyacinthen, Tulpen, Lilien und Tazetten. _ Folgende
Zwiebelgewächse sind essbar und werden als Gewürz an die
Speisen gethan: die gewöhnlichen Zwiebeln (Bollen), ver
V. Produkte der Erde.
119
Schnittlauch, Knoblauch, die Schalotten, der Porree, die
Rokkambole.— D-ie Knollengewächse sind den Wurzel-
gewächsen ähnlich. Man rechnet dazu den Sellerie und die
Napuntika (Rübenrabunzel), die Kartoffeln *), die Erdäpfel
und die Erdnüsse oder Erveicheln.
Auch die großen Bohnen (Saubohnen), die Bits- oder
Schminkbohnen, die Gurken, die Melonen, die Kürbisse,
der Salat, die Endwien, die Kresse, der Spargel, der Spi-
nat, die Erdbeere und die Artischokke, sind Gartengewächse.
Folgende Gewürzkräuter dürfen ebenfalls in keinem
gut angebaueten Küchengarten fehlen: Körbel, Raute,
Salbei, Melisse, Pfefferkraut, Portulak, Pim-
pinelle, Sauerampfer, Löffelkraut, Majoran,
Thymian, Anis, Fenchel, Kümmel, Dill, Dra-
gon, Beifuß, Senf und Koriander.
Bon diesen Kräutern unterscheiden sich die Arznei-
kraut er, welche zur Heilung der Krankheiten gebraucht
werden. Dahin gehört z. B. das Süßholz, auS dessen Saft
der Lakritzensaft bereitet wird, der Rhabarber, der Baldrian,
vie Kamille, die Schafgarbe, der Sauerklee, der Löwen-
zahn, das Johanniskraut, die Sttefmütterchen und viele
andere.
So heilsam diese Kräuter sind, so schädlich sind einige
andere, welche daher giftige Kräuter genannt werden.
Vor diesen muß man sich sorgfältig hüten, denn ihr Genuß
zieht gefährliche Krankheiten, und sogar den Tod nach sich.
ES sind folgende: der Schierling, welcher der Petersilie
sehr ähnlich ist, und besonders an feuchten und schattigen
Orten wächst; das Bilsenkraut mit einer grauen, blau
geäderten Blume und einem Saamenbehältnisse, welches
den Haselnüssen ähnlich ist; das Eisenhütchen, eine
schöne, blaue, den Ritterspornen ähnliche Blume, welche
man oft in Gärten findet; der Stechapfel mit einer lan-
gen trichterförmigen Blume, und einer Saamenkapsel, welche
stachlicht, und der wilden Kastanie ähnlich ist; die Bella-
donna, eine Staude mit einer blauen Blume, und einer
der^ Herzkirsche ähnlichen Frucht. Als Arzneimittel sind
diese Kräuter, wenn sie auf die rechte Art gebraucht werden,
sehr heilsam.
Die Kartoffel stammt aus Amerika, und wurde zuerst im
Jahr 1585 durch den Engländer Franz Drake nach Eur
ropa gebracht.
120
V. Produkte der Erde.
Noch giebt eS Kräuter, welche vorzüglich deswegen an-
gebauet werden, weil sie ein gutes und nahrhaftes Futter für
die Hausthiere geben. Sie werden daher Furterkräuter
genannt. Von dieser Art sind folgende: der gemeine oder
spanische (rothe) Klee, die Esparsette, die Luzerne, der
Akkerspergel, einige Arten der Wikken, und selbst die große
Brennnessel.
Diejenigen Gewächse, welche vorzüglich um ihrer schö-
nen und wohlriechenden Blüthen willen in Gärten gezo-
gen werden, heißen Blumen. Die meisten gehören zu
den Kräutern; nur die Nelken werden zu den Grasarten
gerechnet. Die bekanntesten sind, außer den Rosen, welche
zu den Strauchgewächsen gehören: Tulpen, Hyacinthen,
Jonkillen, Tazelten, Narcissen, Lilien, Aurikeln und Primeln,
die Reseda, welche eigentlich eine Art von Wau ist, die
Levkojen, der Lack (Goldlack), die Viola matronalis, Astern,
Ranunkeln, Ritterspornen, Tuberosen, Balsamiuen, Veilchen
ttnd Lupinen.
Unter den ausländischen Kräutern und Pflanzen sind be-
sonders folgende merkwürdig, weil sie entweder als Gewürz
oder auf andere Art sehr nützlich sind: der Ingwer mit
einem schilfähnlichen Stengel, dessen Wurzeln sehr gewürz-
haft sind; die Vanille, ein Rankengewächs mit Schoten,
worin die glänzenden und sehr gewürzhaften Saamenkör-
ner liegen, welche zur Bereitung der Schokolade gebraucht
werden; die Ananas, ein Amerikanisches Gewächs, das
auch bei uns in Treibhäusern, die stark geheizt werden müs-
sen, häufig gezogen wird, und eine sehr köstliche Frucht
bringt; der Pi sang, ein hochstämmiges Gewächs mi
gurkenähnlichen, sehr schmackhaften Früchten, und 5 Ellen
langen Blättern; die Baumwolle, welche als Kraut und
als Strauch wächst, und in kleinen Kapseln die schöne
Wolle enthält, aus der man so viele seine Zeuge (Kattun,
Zitz, Musselin, Nankin, Parchent, Kannevaß, Manschester)
macht; der Indigo, ein krautartiges Gewächs, dessen
Blätter eine überaus schöne blaue Farbe geben; die Aloe
mit mehr als fingerdikken, langen und stachlichten Blättern,
welche in Amerika zum Dachdekken der Häuser gebraucht
werden. Von einer Art der Aloe erhält man einen bittern
Saft, der zur Arznei gebraucht wird.
V. Produkte der Erde.
121
3. Das Mineralreich.
Älle Mineralien lassen sich unter folgende vier Klassen
bringen:
1) Erden und Steine. Unter den verschiedenen
Erden sind wegen ihrer Nutzbarkeit vorzüglich merkwürdig:
die Kieselerde, welche durch Vermischung mit Laugen-
salz zu Glas geschmolzen werden kann. Der Bergkrystall,
Chalcedon, der Tripel, der Bimsstein, der Feuerstein (Flin-
tenstein), der Jaspis, der Lasurstein von trefflicher blauer
Farbe, der Granat und viele andere, gehören zu den Kie-
seln. Die Thonerde, wozu nicht bloß der gemeine Thon
(Töpferthon), die Porzellanerde, der Bolus oder die Siegel-
erde, die Walkererde (welche leicht Fett einsaugt), der Alaun-
thon, der Thonschiefer, Tafelschiefer und Dachschiefer, son-
dern auch manche edle Steine, z. B. der Saphir, Rubin,
Smaragd, Topas und andere gerechnet werden, weil ihre
Bestandtheile thonartig, und auf eine für uns unbegreifliche
Weise so ausnehmend hart, durchsichtig und feurig geworden
sind. Eine besonders merkwürdige Steinart ist der Lavez-
stein oder Topfst ein, welcher so weich aus der Erde
kommt, daß er sich wie Holz drechseln lässt. Man macht
Sessel, Töpfe und Lampen daraus. Eine ähnliche Eigen-
schaft hat der Serpentinstein. Die Kalkerde hat das
Eigene, daß sie sich mit Wasser erhitzt. Sie wird zum Theil
so hart, daß sie am Stahl Funken giebt, und manche sehr
schöne Steine sind eigentlich nichts Anderes, als Kalksteine,
z. B. der Marmor. Auch die Kreide, der Mergel und der
Gipsstein sind Kalkarten.
2) Brennliche Mineralien, welche mit einem ei-
gener: Gerüche brennen, oder wenigstens glinrmen, und zur
Unterhaltung des Feuers dienen können. Dahin gehört z.B.
der Schwefel, der Bernstein, das Erdöl (Steinöl, Bergöl),
das Erdpech (Judenpech, Asphalt), die Steinkohle, daö
Reißblei (Graphit), woraus Bleistifte und Schmelztiegel
gemacht werden, und das auch als Ofenschwälze gebraucht
wird. _ Selbst der Demant (Diamant) gehört zu den brennba-
ren Mineralien, ob er gleich der härteste unter allen bekann-
ten Körpern ist, und von keiner Feile angegriffen wird.
3) Die Metalle. Sie sind die schwersten Körper in
der Natur, haben alle einen Glanz, welchen man daher
den metallischen Glanz genannt hat, sind biegsam (beson-
122
V. Produkte der Erde.
ders Blei und Zinn), dehnbar, so daß sie sich zu dünnen
Blättchen ausarbeiten lassen (besonders Gold und Silber),
und zähe, so daß man sie zu Drath ziehen kann. Alle Me-
talle lassen sich tut Feuer schmelzen, daö Eisen und der Braun-
stein aber nur bei einem sehr starken Feuer. Man findet die
Metalle in der Erde entweder gediegen, d. h. rein von
allen Beimischungen, oder vererzt,d. h. vermischt mit an-
dern Mineralien, z. B. mit Schwefel oder Kalk. Bis jetzt
kennt man folgende 19 Metalle: Platina, Gold, Sil-
ber, Quecksilber, Kupfer, Eisen, Blei, Zinn,
Zink, Wismuth, Spießglas, Kobalt, Nikkel,
Braunstein, Wolfram, Molybdän, Arsenik, Ura-
niurn und Titanium.
Das mit andern Körpern vermengte Metall, oder das
Erz, wird in den sogenannten Hütten gereinigt, indem
man eS erstlich pocht, d. h. mit Hämmern in kleine Stükke
zerschlägt, dann durch Maschinen zu Pulver stampft, dieses
durchsiebt oder wäscht, mit» aus diese Art daS reine Erz ge-
winnt. Manche Erze werden vor dem Pochen und Waschen
geröstet. Dies geschieht, indem man wechselsweise eine
Schicht Erze, und dann eine Schicht Holz oder Kohlen
ausschüttet, und dann den ganzen Haufen anzündet. Auf
diese Art macht man die Erze inürbe und zum Schmelzen
geschickt, und reinigt sie zugleich.
Das Eisen wird sehr mannigfaltig benutzt, indem
man entweder Osenplatten, Kanonen und Kugeln daraus
gießt, oder eS durch große Hämmer zu Blech schlägt, oder
es zu Drath zieht. Die Eisenftäbe (daö Stabeisen) werden
zu Messern, Scheeren, Degen, Säbeln, Büchsen, Pistolen,
Sägen, Sicheln, Sensen, Schlössern, und vielen andern
Dingen verarbeitet.
Aus dem Kupfer macken die Kupferschmiede Keße»,
Töpfe, Bekken, Doset., Kannen, Pfannen, Ofenblasen, und
verschiedene andere Gerüche. Durch Mischungen macht man
aus dem Kupfer Tomback und Messing.
Das Zinn und Blei verarbeitet der Zinngießer,-
man schlägt es aber auch zu sehr dünnen Blättchen, welche
Stanniol oder Folie heißen, und zur Belegung der hintem
Seite des Spiegelglases dienen. Das Blei wird zu Schrot
und Hagel (kleinem Schrot) verarbeitet, auch zwischen
Walzen ganz dünn geplattet, und als Fenster- oder Ta-
backsblei gebraucht.
V. Produkte der Erde.
123
Gold und Silber wird hauptsächlich zu Mün-
zen gebraucht, aber auch von dem Goldschmid zu allerlei
Gerathen verarbeitet. Der Goldschläger schlägt Gold und
Silber zu ganz dünnen Blättchen, welche die Vergolder zu
gebrauchen wissen. Auch zu Tressen wird das Gold und
Silber verarbeitet.
Die Platina ist erst seit ungefähr 10v Jahren in Eu-
ropa bekannt; man fand dies Metall, welches das schwerste
unter allen Naturkörpern ist, zuerst in Amerika, hernach auch
in Spanien und Rußland. Es ist silberweiß, wenn eö völlig
gereinigt ist, zum Erstaunen dehnbar und zähe, und sehr schwer
zu schinelzen. Eö wird nie vom Rost angegriffen, und nimmt
eine herrliche Politur an. Mit Kupfer und Arsenik versetzt,
giebt es die trefflichsten Spiegel zu Teleskopen (Fernrohren).
4) Die Salze. Unter Salz versteht man überhaupt
einen Körper, der sich sehr leicht und gänzlich im Wasser
auflöset, und einen prikkelnden, stechenden Geschmack aus
der Zunge erregt. Auch ist es den Salzen eigen, daß sie
leicht zu Krystallen anschießen, und sich mehr, als irgend ein
Mineral, mit fremden Stoffen vermischen. Alle mineralische
Salze sind zusanrmengesetzt, und zwar aus irgend einer
Säure und einem Laugensalze. Die merkwürdigsten sind:
das Koch- oder Küchen salz, das aus dem Meerwasser
und Pls Salzquellen gewonnen, auch als ein fester Körper,
Steinsalz, in mächtigen Lagern gestinden wird; der
Salmiak, welcher vorzüglich in der Nähe feuerspeiender
Berge gefunden, aber auch künstlich aus Kuh- und Kameel-
mift gewonnen, und als Medicin,'zum Schmelzen des Gol-
des, zum Verzinnen und Färben gebraucht wird; das
Glaubersalz, welches gefunden, und auch künstlich be-
reitet wird; der Alaun, ein süßsaures Salz, das vorzüg-
lich zur Befestigung der Farben dient; der Vitriol, ein
auS Metallen, nämlich aus Eisen, Kupfer und Zink ge-
wonnenes Salz, ist in der Medicin und in Färbereien sehr
nützlich; der Salpeter, ein Hauptbestandtheil des Schieß-
pulvers, welcher meist durch Kunst zu Stande kommt, und
sehr mannigfaltig benutzt wird.
124
VI. Von dem Menschen.
VI.
Bon dem Menschen.
1. Vorzüge des Menschen.
vergleiche dich selbst mit einem Thiere: das Thier geht ge-
bückt, du gehst aufrecht. Das Thier kann imr vor sich seheit,
du kalmst auch über dich und um dich sehen, kannst den Him-
mel mit seinen Sternen, kamtst die Sonne und den Mond
betrachten. Du hast Hände, aber kein Thier hat Hände.
Und wie nützlich sind dem Menschen seine zwei Hände! Er
kann damit schreiben, zeichnen, schnitzen, malen, nähen,
drechseln, Pferde regieren, das Brot bakken, säen, ernten
u. dergl. m. Der Mensch kann sprechen, das Thier nicht.
Und wie gut ist es für uns, daß wir sprechen können! Durch
die Sprache geben wir andern unsere Gedanken, Wünsche
und Bitten, unsere schrnerzlichen und unsere angenehmen
Empfindungen zu erkennen. Könntest du nicht sprechen, so
rvürdest du in der Krankheit dem Arzt nicht sagen können,
was dir fehlt, und er könnte dir dann auch nicht Helsen.
Der Mensch kann 60, 70 und 80, ja 90, und 100
Jahre alt werden. Die »leisten Thiere werden nicht halb
so alt. Nur sehr wenige erreichen ein eben so hohes Alter,
als der Mensch, aber doch einige, z. B. Elephanten, Schild-
kröten und Adler.
Der Mensch hat mehr Lebenskraft, als die Thiere;
sein Körper erträgt die größten Beschwerden und die em-
pfindlichsten Schmerzen.
Der Mensch kann in allen Ländern der Erde und in
jeder Lustart (Himmelsstrich, Klima) leben und ausdauern,
in der warmen, kalten und heißen: das Thier aber stirbt,
oder wird klein und schwächlich, und verliert seine Schön-
heit und Stärke, wenn es aus seinem Naterlande nach ei-
nem fremden Lande hingebracht wird. Nur wenige Thiere
können in jedem Himmelsstriche leben. Auch hierin zeigt
sich die größere Lebenskraft des Menschen.
Das Tbier kann sich zwar auch, wie der Mensch, will-
kürlich (wie eö will) von einem Orte zum andern bewe-
Vi. Non dem Menschen.
125
gen, aber so mannichfaltige und so künstliche Bewegun-
gen, wie der Mensch, kann es doch mit seinem Körper nicht
machen. Wie langsam und schwerfällig bewegen sich Bä-
ren, Affen und Hunde, wenn mail sie auch noch so künstlich
zum Tanzen abgerichtet hat, und wie ungeschickt und häss-
lich sehen sie dabei aus! Der Mensch kann sogar, ohne zu
sprechen, bloß durch die Bewegungen seines Körpers, be-
sonders der Hände, des Kopfs, und der Allgen, Andern
seine Gedanken und Wünsche zu verstehen geben; er kann
die Gebärdensprache reden. Höchstens kann der Hund
dlirch Krümmen seines Körpers und Kriechen seine Furcht
und Angst, lind durch das Wedeln mit dem Schwänze seine
Freude zu erkennen geben.
Auch das Thier kann für sein Leben, seine Erhaltullg
ulld Sicherheit sorgen, kann sich gegen Gefahren imb Angriffe
schützen: aber bei weitem nicht auf so lnanilichfaltige Art, wie
der Mensch. Dieser hat unzählige Mittel, sein Leben zu
schützen und zu erhalten. Er baut sich feste Wohnungen, wor-
ill er vor dem Angriff der wilden Thiere gesichert ist, ulld sich
zugleich vor Kälte, Hitze, Regen und Wiuo schützell kann. Er
kennt so viel Kräuter ulld Pflanzen, welche die Kraft haben,
Krankheiten zu heilen, oder ihn davor zu bewahren. Er sann
sich durch Dämme gegen die Ueberschwemmungen des MeereS
und der Flüsse, durch Gewitterableiter gegen die Verwüstung
des Blitzes, durch Vorrathshäuser gegen Mangel und Hun-
gersnolh, durch Kleidung gegen Kälte ilnd Regen schützen.
Wenn du einem hungrigen Hunde Gras hinwirfst, wird
er es fressen? Aber welches Thier wird es gern fressen? Wie
komlnt es, daß kein Hund Gras frisst, und kein Pferd Fleisch?
Weiß der Hund, daß ihm daS Gras schädlich, und das Fleisch
nützlich ist? Nein, er weiß es nicht; aber er hat voll Natur
einen Trieb zum Fleischessen, und einen Widerwilleit gegen
Gras und Kräuter. Jedes Thier hat von Natur einen Trieb
zu Allem, was ihm dienlich, uild einen Widerwillen gegen
Alles, was ihm schädlich ist. Auch zu gewissen Handlungen,
die zu ihrer Erhaltung nothwendig sind, habeil alle Thiere
voll Natur einen Trieb. So haben alle Vögel einen Trieb
sich Nester zu bauen und zu fliegen; die Fische und auch die
Enten, Gänse und Schwäne haben den Trieb, zu schwim-
men: die Katzen, zu klettern und Mäuse zu fangen; die
Hunde, zrl jagen u. s. w. Viele Vögel haben den Trieb, von
126
VI. Von dem Menschen.
uns wegzuziehen, wenn der Winter herankommt, weil sie
im Winter nicht Nahrung bei uns finden würden.
Auch die Menschen haben von Natur Triebe, d. h. an-
gebornc Fertigkeiten, Etwas zu begehren und zu thun. Des
Mittags empfindet der Mensch einen Trieb zum Essen, des
Abends, wenn er müde ist, zum Schlafen. Kein Mensch
würde gern eine lange Zeit allein seyn; denn alle Menschen
haben einen Trieb, in Gesellschaft mit ihres Gleichen zu
leben. Alle Kinder ahmen das nach, was die Erwachsenen
vor ihren Augen thun, denn die Menschen haben einen
Nachahmungstrieb.
Manche von den Trieben, welche die Menschen haben,
beinerkt man auch an einigen Thieren, z. B. den Trieb, mit
ihres Gleichen in Gesellschaft zu leben. Die Bienen, die
Ameisen, die Biber, die Affen leben in großen Gesellschaften
bei einander. Die Gemsen, welche mit unsern Ziegen viel
Aehnlichkeit haben, gehen immer in Gesellschaft auf Nah-
rung aus, und stellen Schildwachen aus, welche die andern
durch ein starkes Pfeifen vor einer drohenden Gefahr war-
nen müssen. Alle Zugvögel, und besonders die Kraniche ge-
hen in Gesellschaft fort, und geben sich in der Ferne durch
ein rauhes Geschrei einander zu erkennen, um nicht getrennt
zu werden. Sie fliegen in einer bestimmten Ordnung, und
diejenigen, welche voranfliegen, werden nach einiger Zeit von
den hintersten abgelöst.
Die menschlichen Gesellschaften sind aber doch viel ordent-
licher eingerichtet, und dauern langer, als die der Thiere.
Die Menschen leben bei einander in Städten und Dörfern
um sich einander bei ihren Arbeiten und in der Noth zu un-
terstützen, sich gemeinschaftlich gegen Gefahren und Unglücks-
fälle, besonders auch gegen die wilden Thiere, zu schützen,
so daß Einer für des Andern Wohlfahrt sorgt.
Die Verbindungen oder Gesellschaften, in welchen die
Menschen leben, sind ferner sehr mannigfaltig. Vom ersten
Augenblikke seines Lebens an lebt der Mensch in der Ver-
bindung mit seinen Aeltern und Hausgenossen. Wenn er
anfängt, seinen Verstand zu gebrauchen, so tritt er mit Leh-
rern und Mitschülern in Verbindung, dann auch mit Freun-
den, Nachbarn und Mitbürgern, oder Landsleuten, niit Vor-
gesetzten imd Gönnern, mit seiner Obrigkeit.
Manche Menschen leben, wegen des Geschäfftes, das
sie treiben, in besonders vielen und weitläufigen Verbindun-
127
VI. Von dem Menschen.
gen. Der Kaufmann steht mit Menschen in allen Theilen
der Erde in Verbindung; denn er bekommt seine Waaren aus
verschiedenen und weit entfernten Ländern, z. B. Zitronen
und Pomeranzen aus Italien, Wein aus Spanien und Frank-
reich, Kaffee aus Amerika und Asien, oft mehrere tausend Mei-
len weit; Eisen aus Schweden, Zinn aus England, Wolle
aus Schlesien u. s. w. Zwei Künsten haben es die Menschen
zu verdanken, daß sie mit den Einwohnern der entferntesten
Länder in Verbindung steheir können, nämlich der Schiff-
fahrtskunft und der Schreibekunst. Auf großen Schiffen fah-
ren die Menschen über die großen Meere hinüber, welche
die Länder der Erde von einander trennen, und durch die
Schreibekunst können sie denen, welche weit von ihnen ent-
fernt sind, ihre Gedanken und Wünsche so gut zu verstehen
geben, als ob sie sich mit ihnen unterredeten.
Ein jeder Mensch kann unterscheiden, was wahr,
und was falsch ist. Er kann sich unzählige richtige Begriffe
machen; denn er hat das Vermögen, zu denken, und dieS
ist fein größter und herrlichster Vorzug vor den Thieren. Er
sieht z. B. ein, daß er nicht würde leben können, wenn er nicht
Speise und Trank zu sich nähme, keine Kleidung und keine
Wohnung hätte; daß er also diese drei Dinge nicht ent-
behren kann. So erhält er einen Begriff von Bedürs-
nissen. Der Mensch kann sich auch aus dem, was er gese-
hen, gehört, verstanden und begriffen hat, eine Menge nützli-
cher Regeln sammeln. Er hat z. B. gesehen oder gehört, daß
Einer, der unmäßig gegessen hatte, sehr krank geworden war,
und zieht aus dieser Erfahrung die Regel, daß man nicht
unmäßig essen müsse, wenn man gesund bleiben wolle. Oder
er hört, daß der Blitz sich nach den Bäumen hinzieht, und bil-
det sich nun daraus die Regel, daß man sich bei einem Ge-
witter nie unter einen Baum stellen müsse. Auf diese Art
lernt er, vermöge seines Verstandes, einsehen, was nützlich
und was schädlich, was zweckmäßig und zweckwidrig ist. Du
gehst in die Schule, und hast dabei den Zweck, etwas Nütz-
liches zu lernen, und verständig zu werden. Aber wenn du
in der Schule nicht aufmerksam bist, sondern plauderst, oder
spielst, und umhergaffst, so handelst du zweckwidrig; denn
auf diese Art kannst du deinen Zweck, verständiger zu wer-
den, nicht erreichen. — Durch seinen Verstand wird der
Mensch klug und geschickt, und wie bewundernswürdig
sind die Werke, welche der menschliche Verstand hervorge-
128
VI. Von dem Menschen.
bracht hat! Man betrachte nur die prächtigen Gebäude, die
großen Schiffe, den Weberstuhl, die Mühlen u. dergl. m. Ohne
Verstand wüsste der Mensch Nichts vom Akkerbau, von Hand-
werken, Künsten, und andern nützlichen Beschäfftigungem
Groß und dankenswerth sind die Vorzüge, welche Gott
dem Menschen zugetheilt hat! Wir wollen uns dieser Vor-
züge freuen, und Gott dafür danken, indem wir sie weise
und gewissenhaft gebrauchen, und sie zu erhalten suchen.
2. Der menschliche Körper.
L^er Körper des Menschen, dieses bewundernswürdige und
höchst kunstvolle Werkzeug der Seele, ist aus vielen flüssi-
gen und festen Theilen zusammengesetzt, und alle diese
fast unzählbaren Theile bilden eine Maschine, deren Bau
wir nicht oft und aufmerksam genug betrachten können,
weil sie uns vorzüglich die Macht und Weisheit des Schö-
pfers kennen und verehreu lehrt.
Knochen
Die Grundstützen unseres Körpers sind die Knochen.
Sie sind stark, fest und hart gebildet, damit sie das Flellck
des Körpers unterstützen, und vor dem Zusammensinken be-
wahren können. Vermittelst der Gelenke sind sie alle fest un-
ter einander verbunden; die Gelenke aber sind mit Knor-
peln versehen, damit sich die Knochen nicht an einander rei-
ben können. Jedes Gelenk ist mit starken Bändern ver-
sehen, damit es nicht aus einander gehen kann, und aus klei-
nen Bläschen (Drüsen) dringt beständig eine Fettigkeit in
die Gelenke, damit sie geschmeidig bleiben. Alle durch Bän-
der und Knorpel unter einander verbundene Knochen, deren
man ungefähr 26-0 zählt, machen das Gerippe des mensch-
lichen Körpers aus. Die Knochen haben theils eine röhren-
förmige, theils eine platte oder breite Gestalt, und viele sind
inwendig ganz hohl. Auch die 32 Zähne gehören zu den
Knochen. Sie unterscheiden sich nur dadurch von den übri-
gen, daß sie an ihrer Spitze (Krone) nicht mit einer zarten
Haut, der Be in haut, bekleidet sind. Auch die innere Höh-
lung der Knochen, welche daö Mark enthält, ist mit solch
einem Häutchen belegt. — Das ganze Knochengebäude
theilt man in den Kopf, den Rumpf, und die Glied-
maßen. Der Schädel des Kopfes ist aus verschiedenen
Theilen zusammengesetzt, ob er gleich größtentheils nur aus
VI. Von dem Menschen.
129
Einem Stücke zu bestehen scheint. Diese Theile heißen: das
Stirnbein, die Scheitelbeine, das Hinterhaupt-
bein, und die Schlafbeine oder Schläfe. Die Gesichts-
knochen sind: das Nasenbein, die Thränenbnne, und
me Gaumenbeine. Sie bilden die Kinnladenhohle. In
der oberen und unteren Kinnlade sind die Zähne befestigt.
Der Rückgrat, die Brust und das Bekken machen den
Rumpf aus. Der Rückgrat ist eine Säule, welche aus 24
Wirbelbeinen besteht, und den Kops trägt. Zu oberst stehen
die 7 Halswirbel, dam: folgen 12 Rückenwirbel, und dann
5 Lendenwirbel. An den Rükkenwirbcln sind, vermittelst sehr
fester Bänder, die Rippen befestigt. Sieben von diesen
Nippen sind gekrümmt, und bilden mehrere Bogen, die sich
mit dem Brustbeirle, einem in der Mitte liegenden plat-
ten und schmalen Knochen vereinigen. Sie umgeben die
Brusthöhle. Fünf andere Rippert liegen nicht so dicht am
Brustbeine, wie die obersten, und heißen falsche Rippen. —
Da, wo der Rückgrat aufhört, stehen die Hüftknochen
zu beiden.Seiten hervor. Diese sind mit einigen andern
verbunden, und bilden die Figur eines Berkens, daher sie
Bekkenknochen heißen. — Zu den Gliedmaßen gehören
die Arme und Beine, welche einander sehr ähnlich sind,
und wieder aus verschiedenen einzelnen Theilen bestehen.
An den Armen unterscheidet man den Oberarm, den Unter-
arm und die Hand; die Beine bestehen aus dem Oder- und
Unterschenkel, und dem Fuße. Der Oberschenkel fängt an
der Hüfte an, und reicht bis an das Knie. Unter der
sogenannten Kniescheibe fängt sich der Unterschenkel an, wel-
cher bis an den Fuß reicht.
Alle diese Knochen sind anfangs weich und knorpel-
artig; nach und nach werden sie härter und fester. Bei
ganz jungen Kindern sind z. B. die Knochen deö Hirnschä-
dels noch sehr weich, daher man von ihnen zu sagen pflegt:
ihr Kopf sei offen. Im loten, und bei martchen erst irrr
20sten Jahre werden die Knochen vollkommen fest; im Al-
ter werden sie leichter und brüchig.
Muskeln.
Sie dienen zur Bewegung des Körpers, und machen
das Fleisch desselben aus. Es besteht nämlich alles Fleisch
aus mehreren hundert Fleischbündeln, welche bissen Bän-
dern gleichen, und dies sind eben die Muskeln. Jeder
9
130
VI. Von dem Menschen.
Muskel besteht aus einzelnen Fasern, welche oft dünner
als Zwirnsfaden, und mit einer feinen Haut, dem soge-
nanmen Zellgewebe, überzogen sind. Die Kraft, mit
welcher sich die Muskeln zusammenziehen und ausdehnen,
ist außerordentlich groß und wird die Reizbarkeit ge-
nannt. Diese Kraft wirkt theils mit unserem Willen, wie
z. B. wenn wir unsere Arme oder Beine bewegen, wenn
wir gehen, arbeiten, etwas ergreifen oder festhalten; theils
aber auch ohne unseren Willen (unwillkürlich), wie z. B.
bei der Bewegung unseres Herzens und beim Athemholen.
Weise sind daher vom Schöpfer einige Muskeln so einge-
richtet, daß sie nie müde und schlaff werden, sondern immer
in Bewegung sein können, ohne jemals zu erschlaffen.
Das Herz, die Blutgefäße und die Adern.
Das Herz ist ein hohler, aus starken Fleischbündeln
zusammengewundener Körper, der unten in der Brusthöhle
in einem häutigen Sakke, dem Herzbeutel, ruht. Eine
Scheidewand theilt die Höhlung des Herzens der Länge nach
in zwei Höhlen, welche die Herzkammern genannt wer-
den. Jede Herzkammer ist wieder durch eine Scheidewand
in zwei Höhlen abgetheilt. Mit diesen verschiedenen Kam-
mern sind die Adern verbunden. Dies sind häutige Röh-
ren, oder zarte Schläuche, durch welche das Blut aus dem
Herzen in alle Theile des Körpers dringt. Das Geschäfft des
Herzens ist, das Blut in die entferntesten Theile des Kör-
pers fortzutreiben, und es endlich wieder aufzunehmen, um
es von Neuem ausströmen zu lassen. Dies nennt man den
Kreislauf des Blutes. Er wird vorzüglich dadurch
bewirkt, daß das Herz sich mit einer außerordentlichen
Kraft wechselsweise zusammenzieht, und wieder ausdehnt.
Zunächst strömt das Blut aus dem Herzen in eine Ader,
welche die große Pulsader genannt wird. Aus dieser er-
gießt es sich in zwei kleinere Adern, dann wieder in noch klei-
xiq§g Mt welchen der ganze Körper gleichsam durchflochten ist.
Indem das Blut nach dem Herzen zurückströmt, nimmt es sei-
nen Weg durch andere feinere Adern, welche Blutadern
heißen, und fließt in die rechte Herzkammer, um von da aus
seinpn Paust. tzur^WAUper fortzusetzen. Weise hat es der
SDMr .W spilWrMet^.Pgß 'Wes Blut seinen Weg durch
dienehiM nMKMMsM We. lotteren, schwam-
rnzchwn Geweste/beständig mjfldetPust angefüllt sind, welche
131
VI. Von dem Menschen.
der Mensch einathmet, so wird daS Blut, bei seinem Durch-
gänge durch die Lunge abgekühlt und erfrischt. Der Weg,
den das Blut bei seinem Umlaufe zu machen hat, beträgt un-
gefähr 150 Fuß, oder gegen 75 Ellen, und doch legt es die-
sen Weg in der kurzen Zeit von etwa 5 Minuten zurück.
Welch eine bewundernswürdige Schnelligkeit!
Das Herz eines gesunden Menschen zieht sich in Einer
Minute sechzig bis achtzig Mal zusammen, und also in einer
Stunde drei tausend sechshundert Mal; wie erstaunenswür-
dig ist diese Bewegungskraft, besonders, wenn inan bedenkt,
daß das Herz sich von selbst, ohne irgend einen Anstoß, oder
Trieb von außen bewegt! Und wie sehr müssen wir dabei
die Weisheit des Schöpfers bewundern, der das Herz so ein-
gerichtet hat, daß seine Bewegung oder Zusammenziehung
und Ausdehnung nicht von dem Willen des Menschen ab-
hängt, sondern ohne seinen Willen, und ohne daß er sich des-
sen bewusst wird, geschieht. Denn wie leicht würden wir
dabei Etwas vergessen, und augenblicklich hörte dann unser
Leben auf.
Wenn du dich erhitzt hast, so dringt eine wässrige Feuch-
tigkeit aus deinem ganzen Körper, welche Schweiß ge-
nannt wird. Da der Schweiß nur dann aus dem Körper
dringt, wenn dein Blut durch Laufen oder Arbeit in eine unge-
wöhnlich schnelle Bewegung gekommen ist, so erhellet daraus,
daß der Schweiß vom Blute abgesondert wird, oder sich ab-
setzt. Auch die Thränen gehören zu den wässrigen Feuchtigkei-
ten, welche von dem Blute abgesondert werden. Sie fließen
aus kleinen Bläschen, welche man Drüsen nennt, und die
in den Augenhöhlen angebracht sind. Die Thränenfeuchtig-
keit ist für das Auge sehr wohlthätig, denn sie verhindert, daß
das Auge trokken wird, und befördert die Beweglichkeit des-
selben. Auch zur Reinigung des Auges dient diese Feuchtig-
keit, denn sie spült gleichsam den Staub und alle andere Un-
reinigkeiten, welche in das Auge geflogen sind, aus demselben
weg, und darum hat es Gott sehr weise so eingerichtet, daß
die Augen sogleich thränen, wenn sie voll Staub oder anderer
Unreinigkeit sind. — Beständig dringt aus unserem Körper
ein wässriger Dunst, auch dann, wenn wir nicht schwitzen;
dieser Dunst wird ebenfalls von dem Blute abgesondert.
Auch noch eine andere Flüssigkeit, welche salzig ist, der
Urin, wird täglich und sehr häufig von dem Blute ab»
gesondert. Diese Absonderung geschieht in den Nieren
9*
132
VI. Von dem Menschen.
welche unten am Rückgrat liegen, und den Urin in die
Blase leiten. Daher enthalten die Nieren eine große Menge
Blutgefäße, durch welche das Blut läuft, um sich von der
wässrigen und salzigen Feuchtigkeit zu befreien.
Von den Lungen und dem Athemholen.
Die Brusthöhle, worin das Herz zwischen den Lun-
gen liegt, ist mit einer Scheidewand versehen, welche ste vou
ve-m Unterleibe trennt. Diese Scheidewand besteht aus einem
sehnichten Muskel, welcher gleich einem Felle ausgespannt
ist. Man nennt sie das Zwerchfell, und ste besteht darurn
aus weichen Muskeln, damit die zarten Lungen, welche bis
auf das Zwerchfell herabhängen, nicht gedrückt werden, oder
stch reiben mögen.
Von den zwei Lungen, welche wir haben, liegt die eine
ln der rechten, die andere in der linken Seite der Bnisthöhle;
daher wird die eure die rechte Lunge, und die aridere die
linke genannt. Die Lungen sind weiche, schwammichte Kör-
per, uiid enthalten viele Luftgefäße oder Luftbehälter.
Aber wie kommt denn die Luft in die Lungen? werdet
ihr fragen. Dies geschieht auf folgende Art: Vorn am
Halse fühlet ihr dicht unter der ^aut eine aus mehreren knor-
peligen Ringen zusammengesetzte Röhre; dies ist die Lus'-
röhre. Da ste die Lust in zwei Lungen leiten soll, so theilt
sie sich, nahe vor den Lungen, in zwei Aeste, durch welche die
eingeathrnete Lust in die Lungen geht. Durch den Mund und
die Nase ziehen wir die Lust ein, welche dann in dem hintersten
Theile des Mundes, welcher der Schlund heißt, in die
Oeffnung (den Kopf) der Luftröhre hineingeht. Diese Oeff-
nung ist nur sehr schmal und enge, gleichsam wie eine
Spalte oder Ritze. Indem die eingeathrnete Lust sich durch
diese enge Spalte drängt, entsteht der Ton, den wir Stim-
m e nennen, und darurn nennt man diesen Eingang der Luft-
röhre die Stimmritze. Da alle Speisen über den Ein-
gang der Lufttöhre Hinweggleiten müssen, um in die mehr hin-
terwärts liegende Speiseröhre zu kommen, so ist die Stimm-
ritze mit einem Dekkel versehen. Denn wie leicht könnten
sonst die zerkauten Speisen in die Luftröhre kommen, und so-
bald dies geschähe, müsste der Mensch erstikkcn.
Die Luft dringt von selbst durch die Lufttöhre in die
Luftgefäße der Lungen, indem sich die Brusthöhle, vermittelst
der Rippen- und Bauchmuskeln, und vermittelst des Zwerch-
133
VI. Won dem Menschen.
fellS, erweitert; und sobald sich die Brusthöhle wieder zusam-
menzieht, wird die eingeathmetc Luft aus den Luftgefäßen wieder
herausgetrieben, und durch die Luftröhre weggeschafft, damit die
neu eingeathmetc Luft an ihre Stelle eindringen kann.
Jetzt lasset uns einige Vorcheile bemerken, welche der
Mensch von dem Athcmholcn hat. Erstlich wird dadurch das
Dlut in den Lungen, wo sich durch das Athemholen immer
frische Luft befindet, abgekühlt, und zugleich von seinen un-
reinen Theilen befreit; Denn diese setzen sich als Dünste bei
dem Durchgänge dcS Blutes durch die Lungen ab, und wer-
den nun mit der ausströmenden Luft weggeführt. Hieraus
lässt es sich begreifen, daß in einer Stube, wo viele Men-
schen bei einander sind, endlich die Luft unrein und schwer
werden muß. Dagegen empfängt mm das Blut wieder von
der eingeathmeten Luft die besten Theile, und wird auf diese
Art durch das Athemholen sehr verbessert. Indessen ge-
schieht diese Verbesserung des BluteS nur dann, wenn die
Lungen frische, reine Lust eingesogen haben; ist sie unrein
und nicht frisch, so wird daS Blut nicht verbessert, sondern
verschlimmert, und der Mensch fühlt Beängstigung und innere
Hitze. Darum kann man sich in einer mit heißen Dünstet
angefüllten Stube unmöglich wohl befinden.
Da der Magen, ein häutiger Sack, nahe unter dem
Zwerchfelle liegt, und daö Zwerchfell beim Athemholen in
Bewegung gesetzt wird, so befördert daS Athemholen auch
die Bewegung dcS Magens und der übrigen Theile des
Unterleibes, welche mit dem Magen in Verbindung stehen.
Also auch dies ist ein Vortheil, den wir von dem Athem-
holen haben. Hierzu kommt noch dieser, daß cs zur Her-
vorbringung der Stimme dient; denn die Töne entstehen,
indem wir die Luft auS der Luftröhre herausstoßen, und sie
sich durch die Stimmritze hindurchdrängt.
Von der Verdauung der Speisen.
Wenn unser Körper erhalten werden soll, so müssen
wir täglich Nahrungsmittel zu unS nehmen; denn daS
Blut leidet beständig einen sehr merklichen Verlust, theils
durch die Ausdünstung, theils durch die Säfte, welche
es den verschiedenen Gliedern des Körpers zutheilen muß,
damit sie bestehen können. Dieser Verlust muß wieder
ersetzt werden, lind dies geschieht durch den Genuß der
Nahrungsmittel. Die Nahnmgsmittel werden nämlich durch
134
VI. Won dem Menschen.
mancherlei Werkzeuge verdaut, d. h. Ln Saft und Blut
verwandelt. Der Mund ist das erste Verdauungs-
Werkzeug unseres Körpers. Indem die festen Speisen,
vermittelst der Zunge, welche auch ein Muskel ist, in dem
Munde fest gehalten werden, find die Zähne beschäfstigt, fie
zu zerkauen. Zugleich vermischt sich eine Flüssigkeit mit
den Speisen, nämlich der Speichel. Dieser wird durch
Drüsen oder Bläschen, welche in dem Munde angebracht
sind, abgesondert; man nennt sie Speicheldrüsen.
Wir wissen schon aus dem Vorigen, daß hinten im
Schlunde, in der Nachbarschaft der Luftröhre, noch eine
andere Röhre ihre Oeffnung hat, welche die Speiseröhre
gemannt wird. Die zerkauten, und durch den Speichel an-
gefeuchteten Speisen gehen nun durch den Schlund und
in die Speiseröhre, und beide gehören also zu den Ver-
dauungswerkzeugen. Der größte Theil der Speiseröhre be-
findet sich in der Höhle des Unterleibes. Diese Höhle ist
durch das Zwerchfell von der Brusthöhle abgesondert, und
der Bekkenknvchen verschließt sie nach unten zu. Jetzt be-
greifen wir, warum dieser Knochen die Gestalt eines Bekkens
bekommen hat, weil er nämlich den untern Enden der Svei-
seröhre, welche Gedärme heißen, zum Behälter dienen soll.
Wollet ihr wissen, auf welche Art die Speiseröhre bis
in den Unterleib reicht, so merket euch, daß sie sich Himer dem
Herzbeutel an den Brustwirbelbeinen gerade zürn Zwerchfell
hinab, und durch eine Oeffnung desselben in den Unterleib
zieht. Kurz nach ihrem Eingänge in denselben nimmt sie sehr
an Weite zu, gleich einem Kegel.
Der Magen, welcher wie ein quer liegender Beutel
aus mehreren Häuten gebildet ist, liegt zu oberst, nahe unter
dem Zwerchfelle, hängt mit der Speiseröhre genau zusam-
men, und liegt mit seiner rechten Seite an der Leber, mit
seiner linken an der Milz. Aus der Speiseröhre gehen also
die Speisen unmittelbar in den Magen, und zwar durch
die oberste Oeffnung desselben, welche der Magen mund
heißt. Hier mischt sich ein scharfer Saft unter die Speisen,
der sich durch die Bewegung des Magens aus den Drüsen
presst, die zwischen den Häuten des Magens liegen; er heißt
der Magensaft. — Aber die Speisen sollen nicht bestän-
dig im Magen bleiben, sondern aus demselben in die Ge-
därme geführt werden; darum hat der Magen außer dem
Magenmunde noch eine Oeffnung erhallen, durch weiche
VI. Vor-! dem Menschen.
135
die Speisen in die Gedärme getextet werden. Die Gedärme
sind weiche Röhren, welche ans einer glatten, inwendig
schleimichten Haut bestehen. Sie machen nur einen einzigen
Darnikana! aus, welcher sechs Mal länger ist, als der
ganze Mensch. Dennoch haben sie im Unterleibe vollkom-
men Platz, weil sie eine gewundene Lage haben. Den obersten
Theil dieser Gedärme nennt man den Zwölffingerdarm,
der letzte heißt der Mastdarm. In dem Zwölffingerdärme
wird der Brei, welcher im Magen aus den Speisen entstan-
den ist, noch nrehr verdünnt, durch das Zusammenziehen
starker Muskelfasern zusammengeknetet, und mit der Galle,
einer bittern und schleimichten Feuchtigkeit, vermischt. Durch
diese Vermischung werden die guten NahrungStheilc auS
den Speisen abgesondert. So gehen sie dann in die übri-
gen Därme, die sie endlich in eine weißliche, milchartige Flüs-
sigkeit verwandeln, welche der Nahrungssäst genannt wird.
Ihr könnt leicht denken, daß diese Gedärme in bestän-
diger Bewegung sein müssen, wenn der Nahrungsbrei auS
einem Gedärme in das andere gedrängt, und zugleich ver-
dünnt werden soll. Die Bewegung der Gedärme, so wie die
des Magens, ist wurmförmig, d. h. ungefähr eben so,
wie die eines Wurmes, der fortkriechen will. Aber da die
Gedärme in der Höhle des Unterleibes durch einander ge-
schlungen liegen, so können sie sich bei dieser beständigen
Bewegung leicht an einander reiben, oder in einander wil-
kein. Um dies zu verhüten, sind sie durch eine mit Fett
bewachsene Haut, die man das Gekröse nennt, unter
einander verbunden. Eine andere ebenfalls fettige Haut,
das Netz genannt, hält sie alle, wie in einem Beutel, zu-
sammen, und verhindert, daß sie mit dem Bauchfelle zu-
sammen wachsen. Durch einen heftigen Spnmg oder Fall,
oder eine übermäßige Anstrengung beim Heben schwerer La-
sten, kann das Netz Löcher bekommen; dann treten die Gedär-
me aus ihrer Lage, und der Mensch bekommt einen Bruch.
Die Leber, das größte Eingeweide des Unterleibes,
dient zur Bereitung der Galle aus denr Blute. Sie liegt
gleich unter dem Zwerchfelle, und bedeckt die rechte Seite des
Magens. Auch die Milz, welche an der linken Seite des
Magens liegt, und mit ihm genau verbunden ist, trägt zur
Verdauung bei; venn sie führt der Leber das Blut zu, unv
macht es zur Gallenabsonderung tauglich. Sie ist, wie
eine Zunge nämlich länglich rund, gestaltet, und auö
136 VI. Von dem Menschen.
vielen Blutgefäßen und Zellgeweben zusammengesetzt, daher
schwammicht.
Ihr sehet also, lieben Kinder, daß der scharfe Magen-
saft nicht Alleö bei der Verdauung oder Auflösung der Spei-
sen thut, sondern daß auch die wurmförmige Bewegung des
Magens und der Gedärme, die daraus entstehende Wärme,
und auch die Luft, welche in den Nahrungsmitteln enthalten
ist, dazu mitwirken. Hierzu kommt nun noch, wie wir ge-
hört haben, die Galle nebst einigen andern Säften.
Indem sich der Nahrungssast durch die dünnen Gedärme
drängt, bleibt er an der innern stokkichten Haut dieser Ge-
därme hangen, und hier saugen ihn die kleinen Gefäße ein,
welche Milchgesäße genannt werden, weil sie den dün-
nen, milchartigen Saft aus dem Nahrungsbreie ziehen.
Natürlicher Weift wird dieser Brei dadurch dikker, und in
dem Krummdarme, wohin er nun kommt, verliert er
seine Flüssigkeit fast ganz, indem hier fortdauernd der
Milchsaft von den Milchgefäßen ausgesogen wird. WaS
nach dieser Aussaugung am Ende des Krummdarmes zu-
rückbleibt, ist zur Ernährung des Körpers untauglich; die
Natur lässt es daher in den dikken Gedärmen in Fäul-
niß übergehen, und durch diese, besonders durch den soge-
nannten Mastdarm, aus dem Körper herausschaffen;
denn der Ausgang des Maßdarmes öffnet sich in dem
After, oder in dem Hintertheile des Menschen. Eine
Menge Schleim, die sich in dem Maftdarme befindet, er-
leichtert die Ausleerung des harten Unraths, und macht
seine Schärfe für den Darm unschädlich. Bei einem ge-
sunden Menschen geschieht diese Ausleerung innerhalb 24
Stunden gewöhnlich ein bis zwei Mal, und die Gewöh-
nung kann bewirken, daß sie zu einer bestimmten Zeit
erfolgt.
Der Nahrungs sa ft sott, wie wir gehört haben, im
Körper allmählig in Blut verwandelt werden, um so dem
Blute immer frische Theile zuzuführen. Damit dies gesche-
hen möge, so wird er durch die Gekrösdrüsen, in wel-
chen eine wässerichte Feuchtigkeit enthalten ist, verdünnt, und
dann durch die Blutadern nach dem Herzen hingeführt, wo
er sich erst nach Verlauf mehrerer Stunden in Blut ver-
wandelt. Diese Verwandlung geschieht unter andern da-
durch, daß daö Herz vermittelst seiner Muskeln, das mit
Milchsaft vermischte Blut zusammendriickt und reibt.
VI. Von dem Menschen. 137
Von dem Gehirn, dem Rükkenmark und den Nerven.
Ihr Wissel schon, lieben Kinder, daß man den länglich-
runden (ovalen) Knochen, welcher den oberen und Hinteren
Theil des Kopfes ausmacht, die Hirnschale oder den
Hirnschädel nennt. Eigentlich musste man ihn den Ge-
hirnschädel nennen, denn er hat von dem Gehirn, welches
in der Höhlung des Schädels liegt, seinen Namen erhalten.
DaS Gehirn ist der weichste Theil des Kopfes, und der wich-
tigste und zarteste Theil des ganzen menschlichen Körpers;
denn die geringste Verletzung desselben zieht sehr oft augen-
blicklichen Tod nach sich. Bewundert daher die Weisheit deS
Schöpfers, der diesen garten Theil mit einem Knocken umge-
ben hat, welcher ihm gleichsam zu einem festen und undurch-
dringlichen Schilde dient. Merket euch hiebei, daß daS Ge-
hirn bei einem Erwachsenen kaum drei Pfund schwer ist,
und daß es beinahe den sechsten Theil alles des BltlteS in
sich fasst, welches der Mensch in seinem Körper hat.
Aus dem Gehirn und Rükkenmark entspringen viele
weiße Fäden oder Schnüre von verschiedener Dikke, die sich
fast nach allen Theilen des menschlichen Körperö verbreiten.
Man nennt sie Nerven, und sie sind häusig mit einander
verbunden, oder verflochten. Sie entspringen alle paarweise.
Aus dem Gehirn entspringen eilf Paar, aus dem Rükren-
marke über dreißig. Die Nerven sind überaus wichtige und
nothwendige Theile unsers Körpers; denn sie machen durch
ihre Reizbarkeit, daß wir empfinden. Daher sind
auch nur diejenigen Glieder unsers Körpers, in welchen
Nerven liegen, empfindlich; alle andere aber, z. B. die
Nägel, die Haare, und die Knochen, sind unempfind-
lich. Alle Nerven kommen im Gehirn zusammen, und da-
her rührt es, daß der Mensch alle Empfindungen verliert,
wenn seilt Gehirn gedrückt wird, und daß Einer, dem
die Nerven im Arm zerschnitten worden sind, an der Hand
keinen Schrnerz mehr empfindet, wenn man auch mit ei-
nem Messer hineinschnitte. — Die Nerven sind aber nicht
bloß die Werkzeuge der Empfindung, sondern auch
der Bewegung; denn sobald ein Nerve zerschnitten,
oder unterbunden wird, verlieren alle Glieder, zu denen
der zerschiüttene Nerve hingehet, ihre Beweglichkeit/ u
werden steif.
138
VT. Von dem Menschen.
Von den Sinnen.
Durch alle deine Sinne erhältst du Empfindun-
gen und Vorstellungen von dem, was außer dir ist. Wür-
dest du z. B. wohl eine Vorstellung von dem Duft einer Rose
haben, wenn du ihn nicht durch den Geruch empfunden här-
test? Könntest du dir den Knall einer Kanone und die schwarze
Farbe vorstellen, wenn du jenen noch nie gehört, und diese
nie gesehen hättest? Beschreibe einem Blindgeboruen die
schwarze Farbe, und einem Taubgebornen eine schöne Mu-
sik, so gut du kannst: Beide werden doch nimmermehr
eine deutliche Vorstellung davon erhalten.
Zuerst wollen wir über den Sinn des Gefühls wei-
ter nachdenken. Wenn wir fühlen wollen, ob Etwas hart
oder weich, kalt oder warm, rauh oder glatt ist, so bedie-
nen wir uns dazu der Hand, und vorzüglich der Fingerspitzen,
weil wir in diesen das feinste Gefühl haben. Aber wo-
her kommt es, daß wir mit den Fingerspitzen so fein fühlen
können? Weil da die Haut am dünnsten und weichsten ist,
und weil sich da viele Nerven endigen. Aber die Hände sind
nicht die einzigen Werkzetlge der Empfindung; der
ganze Körper ist ihr Werkzeug. Deine Empfindungen sind
nicht alle von einerlei Art. Nicht wahr, du haft eine unan-
genehme Empfindung, wenn du aus einer wohl geheizten
Stube auf ein.Mal in die Kälte kommst? Aber deine Empfin-
dungen sind sehr angenehm, wenn du aus der Kälte in eine
warme Stube trittst? Du siehst hieraus, daß deine Empfin-
dungen eben so verschieden sind, als die Eindrükke, welche die
äußeren Gegenstände auf dich machen. Sind diese Eindrükke
nur schwach, so sind es auch deine Empfindungen; sind sie
stark, so hast du auch stärkere Empfindungen. Würde nicht
deine Empfindung weit stärker seyn, wenn dir einer deiner
Mitschüler aus Unvorsichtigkeit die schwere Bank auf den Fuß
würfe, als wenn er dir nur ganz leise auf den Fuß träte?
Wie heftig ist die Empfindung, wenn man sich den Finger
vorn am Nagel klemmt; aber bei weitem nicht so heftig ist
sie, wenn man sich den Arm klemmt, weil man am Arme
nicht so empfindlich ist, als am Finger. Ein Stich in die
Fußsohlen schmerzt lange nicht so heftig, als ein Stich in die
Hand oder in den Arm, weil der Mensch an der Fußsohle
eine überaus dikke Oberhaut hat, und der Schmerz dadurch
gernäßigt wird. Durch Gewohnheit und Abhärtung kann
auch ein Theil des Körpers fast unempfindlich werden.
VI. Von dem Menschen.
139
Dies ist z. B. bei den Feuerarbeitern, bei Schmieden und
Schlössern der Fall. Weil diese Leute beständig mit dein Feuer
umgehen, und die schweren Hämmer täglich führen müssen,
so bekommt die innere Fläche ihrer Hände dadurch eine so
harte Haut, daß sie heißes Eisen eme gute Weile in der
Hand halten können, ohne Schmerzen zu empfinden. Woraus
kommt es also bei dem Gefühl an? Theils auf die Beschaf-
fenheit des Eindrucks, theils aus den Grad der
Schwäche oder Stärke und Heftigkeit des Ein-
drucks, theils darauf, wie groß oder wie geringe die Em-
pfindlichkeit des Theiles ist, welcher den Eindruck er-
hält. Die größte Empfindlichkeit hat der Mensch im Auge,
und darum verursacht ihm auch schon daS kleinste Fäser-
chen, wenn es inS Auge fliegt, große Schmerzen.
Der Sinn des "Geschmacks hat die meiste Aehn-
lichkeit mit dem Gefi'chle. Die Zunge ist das vorzüglichste
Werkzeug, wodurch wir schmekken. Fühlst du die Oberfläche
deiner Zunge mit dem Finger an, so bemerkst du eine Menge
kleiner Erhöhungen, welche sehr reizbar sind, weil sich die
Nerven in diesen Erhöhungen endigen. Sie heißen des-
wegen Nervenwärzchen. Diesen Wärzchen ist eö eigent-
lich zuzuschreiben, daß der Mensch schmekken kann, und
darum nennt man sie auch Geschmacks nerven. Da die
Speisen nicht einerlei Bestandtheile haben, so ist es natür-
lich, daß sie sehr verschieden schmekken. Dazu kommt, daß
dieselben Nahrungsmittel dem Einen sehr angenehme, dem
Andern sehr unangenehme Empfindungen verursachen, also
denk Einen gut, dem Andern sehr übel schmekken. Giebt eS
doch Menschen, welche die besten Nahrungsmittel, z. B. Obst
und Butter, nicht essen können, weil sie bei ihnen die un-
angenehmsten Geschmacksempfindungen hervorbringen. Und
dies geht sehr natürlich zu; denn die Speisen vermischen sich
un Munde mit den schon vorhandenen Säften des Essenden,
und diese Säfte können doch unmöglich bei allen Menschen
von einerlei Art seyn. Wie viel diese Säfte, und wie viel be-
sonders der Speichel zur Veränderung deö Geschmacks bei-
ttägt, sieht man sehr deutlich an Kranken. Ihr werdet euch
erinnern, daß euch Alles bitter schmeckte, wenn ihr krank wä-
ret, und daß ihr auch vor den besten Speisen einen Ekel hat-
tet. Und wie konnte dies anders seyn? Eure Säfte waren
verdorben; mit diesen verdorbenen Säften mischten sich die
Speisen, die ihr in den Mund nahinet, also mussten sie wohl
i 40
VI. Von dem Menschen.
bitter schmekken. — Der Geschmack lehrt uns übrigens ver-
dorbene Speisen von guten und frischen Speisen unterschei-
den, und bewahrt uns also vor dem Genuß solcher Nah-
rungsmittel, welche uns schädlich werden könnten, so wie
er uns dagegen zum Genuß guter Nahrungsmittel reizt,
und sie für uns angenehm macht.
Der Geschmack hat einen treuen Gefährten an dem
Sinne des Geruchs erhalten, und sehr weise hat der
Schöpfer das Werkzeug des Geruchs, die Nase, über dem
Munde angebracht, damit der Mensch schon durch den Ge-
ruch von solchen Dirmen zurückgehalten werde, welche ihm
schädlich sind, ehe er sie noch zum Munde führt. Die Nase
ist eine aus Knochen und Knorpel bestehende Höhle, welche
durch eine Scheidewand in zwei Theile getheilt wird, und
vorn und hinten geöffnet ist. Ihre hinteren Oeffnungen er-
streiken sich bis zum Schlunde hinab. Die Nasenhöhle ist
innerhalb mit vielem Schleim überzogen, und darum heißt
die Haut, mit welcher sie ausgefüttert ist, die Schleim-
haut. Sie ist voller Drüsen und Schleimbläschen, welche
beständig, und besonders bei einer Entzündung der Schleim-
haut, den Schleim absondern. Der bisse Nasenschleim wird
durch die Thränenfeuchtigkeit, welche beständig in die Nase
hinabfließt, so lange der Thränenkanal nicht verstopft ist,
verdünnt und flüssig erhalten. Unter allen Sinnen bringt der
Geruch die heftigsten Eindrükke hervor, denn durch übelrie-
chende Dinge rönnen Ohnmachten entstehen, und durch gute
Gerüche kann man die stärksten Ohnmachten vertreiben. Wer
während des Schlafes den Geruch stark duftender Blumen
beständig einzieht, kann vom Schlage gerührt werden, und
sterben. — Das, was eigentlich den Geruch bewirkt, der
Duft, ist etwas sehr Feines, Unsichtbares und ungemein
Flüchtiges, und es giebt nur sehr wenige Dinge, welche keinen
Duft vmn sich geben, oder nicht ausdünsten. Durch daS Ein-
athmen und Einziehen der Lust wird der feine Duft, den sie
enthält, zu den sehr empfindlichen Nerven, welche in der
Schleimhaut liegen, hingeführt, wo er dann die Empfindung
oder den Reiz, welchen wir Geruch nennen, bewirkt. Darum
ist es auch nicht nöthig, daß man einen Körper dicht an die
Nase bringt, um ihn zu riechen. Wenn man gegen den
Wind geht, so kann man schon in einer weiten Entfernung
Dinge durch den Geruch wahrnehmen. Sehr weit kann
man z. B. den Pulverdampf riechen, und sehr weit durch den
141
VI. Von dem Menschen.
Geruch frischen Mist wahrnehmen, weil die aus diesen stark
riechenden Körpern ausgedünsteten öligen und salzigen Theile
in der Luft schwimmen, und mit der Luft in die Nase eingezo-
gen werden, wo sie dann die Nerven in der Schleimhaut
reizen, und so den Geruch verursachen. — Der Mensch kann
sich an alle Gerüche, und selbst an diejenigen gewöhnen, welche
ihm anfangs Ekel verursachen. — Aber warum gab uns der
Schöpfer den Sinn des Geruchs? Ohne Zweifel, um uns
durch den erquikkenden Duft der Blumen und Kräuter, der
Speisen und Getränke zu erfreuen; aber auch deswegen,
damit wir im Stande sein möchten, die Schädlichkeit und Un-
schädlichkeit der Luft, der Speisen und Getränke zu unter-
scheiden, und vor der schädlichen Luft und den schädlichen
Nahrungsmitteln schon durch der: Geruch gewarnt würden;
denn die meisten wohlriechenden Nahrungsmittel sind Heil-
jam, und die meisten übelriechenden sind nachtheilig.
Lasset uns nun über den Sinn nachdenken, welchen die
Kinder besonders beim Unterricht gebrauchen sollen, über den
Sinn deS G'ehörs. Ihr wisset Alle, daß die Ohren
die Werkzeuge des Gehörö sind; aber ihr wisset noch Nichts
von ihrer innern Einrichtung, und werdet erstaunen, wenn
ihr sie jetzt kennen lernet. Das äußere Ohr, ich meine
den länglich gewundenen Knorpel, der so verschiedene Ver-
tiefungen hat, ist nur der geringste Theil eures Ohres. Der
länglich-runde Gang, welcher aus dem äußeren Ohre in das
innere führt, wird nach innen immer enger. Merkt euch,
daß man ihn den Gehörgang nennt. Ihr könnet eS selbst
kühlen, daß der äußere Theil des Gehörganges knorpelig ist,
aber sein innerer Theil ist kiröchern. Auch das könnet ihr füh-
len, daß in dem Gehörgange ein klebriger Saft befindlich ist,
der das Innere desselben überkleidet; mait nennt ihn das
Ohrenschmalz. Dieser Saft ist gelblich und bitter, und
soll daö Ohr vor dem Einkriechen der Insekten beschützen.
Eben dazu sind auch die feinen Härchen da, welche man in dem
engeren Theile des Gehörganges findet. Zugleich dient das
Ohrenschmalz zum Schutz wider die Luft, welche sonst die
zarte Haut veö Gehörganges zu stark reizen, und dadurch
Schmerzen hervorbringen würde. Die innere enge Oeffnung
des Gehörgangeö ist durch eine länglich-runde dünne Haut
verschlossen, welche gleich einem Trommelfelle darüber aus-
gespannt ist, und daher auch das Trommelfell genannt
wird. Hinter dieser Haut ist eine kleine Höhle welche durch
142
VI. Von dem Menschen.
eine Röhre mit dem Schlunde in Verbindung steht; sie heißt
die Trommelhöhle, und enthält drei kleine Knochen,
welche man, ihrer besondern Bildung wegen, Hammer,
Amboß und Steigbügel nennt. Der Griff des Ham-
niers liegt an dem Trommelfelle) mit dem Kopfe des Ham-
mers ist der Amboß verbunden, und die eine Seite des Am-
boßes hängt wieder mit dem Steigbügel zusammen. Wenn
nun das Trommelfell durch einen Schall, der in das Ohr
dringt, erschüttert wird, so gerathen auch diese drei Knochen
der Reihe nach, in Bewegung. Außerdem findet sich noch in
dem Innersten deS OhreS eine Röhre, welche, gleich dem Ge-
häuse einer Schnekke, gewunden ist, und daher der Schnek-
kenganß heißt. — Wollet ihr nun auch wissen, wie es mit
dein Hören zugeht, so weifet euch Folgendes. Wenn ihr
mit einer Messerklinge an ein Glas schlaget, so höret ihr
einen Schall, und bemerket, daß das Glas zittert. In eben
diese zitternde Bewegung wird nun auch die Lust versetzt, welche
daö Glas umgiebt, nnt> so entsteht das, waS wir Schall
nennen. Daß sich der Schall fortpflanzt, kommt daher, weil
die Lusttheile so gen.au unter sich zusammenhängen, wie die
Wassertheile. Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst, so
wird nicht bloß derjenige Theil des Wassers bewegt, den der
Stein getroffen hat, sondern rund umher geräth das Wasser
in Bewegung, und es entsteht eine Welle nach der andern.
Gerade so geht es auch in der Lust zu, und nun werdet ihr
begreifen, wie es möglich ist, daß der Schall einer weit ent-
sernten Glokke von uns empfunden oder gehört werden
kann, und wie eö zugeht, daß man stärker hört, wenn man
das äußere Ohr vorwärts beugt.
Jetzt bleibt uns nur noch der Sinn des Gesichts
übrig. Die Werkzeuge dieses Sinnes sind die Augen, welche
am obern Theile deS Gesichts, in den sogenannten Augen-
höhlen, befestigt sind. Ihr könnet es fühlen, daß diese Höh-
len aus Knochen gebildet sind, rind dies ist eine überaus weise
Einrichtung des Schöpfers; denn durch diese festen Knochen
sind die zarten Augen vor Stößen gesichert, und können nun
überhaupt nicht so leicht beschädigt werden. Eben diesen
Dienst leisten auch die Augenlieder den Augen, indem sie
darunter, wie unter einer weichen Dekke, geschützt liegen. Am
Rande des oberen und des unteren Augenliedeö bemerket ihr
kleine Haare, die Augenwimpern, die in einer Reihe
dicht bei einander stehen; auch diese Härchen dienen zum
Vt. Von dem Menschen.
143
Schutze des Auges, indem sie es hindern, daß zu viel Licht«
strahlen auf ein Mal gerade ins Auge fallen, und den Staub,
so wie alle andere Dinge auffangen, welche ins Auge fliegen
wollen. Zwei Muskeln setzen die Augenlieder in Bewegung,
und ziehen sie, wenn wir schlafen wollen, fest zusammen.
Auch die Augenbrauen tragen sehr viel zur Beschützung
deö Auges bei, denn sie fangen den scharfen Schweiß auf,
der bei starker Bewegung oder schwerer Arbeit von unse-
rer Stirn fließt, und der die Augen sonst äußerst beschädi-
gen würde. — Das Auge selbst, oder der sogenannte Aug-
apfel, ist kugelförmig. Die äußere und weiße Haut, welche
rings an den Augenstern grenzt, ist hart gebildet, und heißt
auch die harte Haut. Häuter ihr, und mit ihr verbunden,
ist die schwärzliche Aderhaut. Die mittlere, runde
und durchsichtige Haut ist hornartig gebildet, und heißt
daher die Hornhaut. Hinter dieser liegt noch eine andere
Haut, welche strahlenförmige und verschieden gefärbte Strei-
ft» hat, und daher die Regenbogenhaut heißt. In ih-
rer Milte ist eine runde Oeffnung, die Seh öffn un g ge-
nannt, welche wie ein kleiner schwarzer Fleck aussieht. Eine
fünfte Haut umgiebt die innere Seite der schwärzlichen Hallt,
und heißt die Netzhaut, weil sie netzförmig gebildet ist.
Sie umfasst eine durchsichtige, zähe Feuchtigkeit, welche die
gläserne genannt wird, weil sie dem geschmolzenen Glase
ähnlich ist. Born m dieser gläserneil Feuchtigkeit ist eine rund-
liche Grube, in welcher ein kleiner, heller und durchsichtiger
Körper liegt, den man die Krystall-Linse nennt, weil Kry-
stall sehr hell und durchsichtig ist, und weil dieser Körper die
Form einer Linse hat. Der Nallm, welcher zwischen der Horn-
haut uud der Linse ist, enthält eine wässerichte Feuchtigkeit,
welche die Geschmeidigkeit des Auges befördert, und es be-
weglich macht. Damit sich das Auge nach allen Rich-
tungen bewegen könne, so hat der Schöpfer sechs Mnskeln
an dem Augapfel angebracht.
Jetzt, lieben Kiilder, kennet ihr erst die Theile, aus wel-
chen eure Augen bestehen; aber ihr wisset noch nicht, wie es
zugeht, daß ihr sehen, d. h. mit euren Augen die Dinge,
welche um euch her siild, deutlich wahrnehmen könnet. Dies
sollt ihr jetzt lernen. In einer dunkeln Stube, oder in einer
finstern Nacht könnet ihr nicht sehen; durch das Licht werden
euch die Dinge erst sichtbar. Die Luststrahlen, welche
von dem Gegenstände ausgehen, den ihr sehen sollt, dringen
! 44
VI. Bon dem Menschen.
durch die Häute und Flüssigkeiten des Auges, uns werden
auf die Art gebrochen, daß sie sich auf der Netzhaut vereini-
gen, und da im Kleinen ein Bild des Gegenstandes entwer-
fen, wie eS der Spiegel im Großen thut. Ist der Gegenstand
unseren Augen zu nahe, so sehen wir ihn nicht, weil dalm
das Bild desselben hinter die Netzhaut fällt; ist er zu weit ent-
fernt, so sehen wir ihn auch nicht, weil das Bild alsdann vor
die Netzhaut fällt. Daß wir die Gegenstände nicht doppelt
sehen, ob wir sie gleich mit zwei Augen wahrnehmen, rührt
daher, weil die Empfindung in beiden Augen gleich ist. Mit
zwei Augen sieht man nichr beträchtlich deutlicher mW schär-
fer, als mit einem. Der Sinn des Gefühls muß fast bei
allen Gegenständen dem Sinn des Gesichts behülflich seyn,
wertn wir eine vollständige, richtige und deutliche Vor-
stellung von einem Gegenstände erhalten sollen, Nenner
mir nun einige Dinge, oder Beschaffenheiten der Dinge,
von welchen wir keine Vorstellung haben rvürden, wenn wir
sie nicht sehen könnten.
Bon der Haut, den Haaren und den Nageln.
Unser ganzer Körper ist in eine weiche rrnd starke Dekke
eingehüllt; wir nennen sie Haut. Sie ist einer außeror-
dentlichen Ausdehnung fähig, und nimmt nach jedem Druck
ihre vorige Gestalt wieder an, oder ist elastisch. Sie hat
eine Menge Blirtgefäße, und daher ist sie an verschiedenen
Stellen bläulich, oder auch röthlich. Da das Blut beständig
wässerichte Dünste durch die Haut aushaucht, so ist sie auch
mit solchen Gefäßen oder kleinen Behältern versehen, welche
diese Flüssigkeiten aufnehmen. Noch andere Gesäße der
Haut dienen zum Einfarrgen der Luft, welche durch die Haut
beständig dem Körper zugeführt wird. Die Haut hat überall
eine große Empfindlichkeit; an den Fingerspitzen ist diese
Empfindlichkeit am größten, und daher fühlen wir auch mi-r
diesen am schärfsten. Viele Nerven, die sich in äußerst kleine
Wärzchen endigen, bringen diese Empfindlichkeit hervor,
welche durch ein dünnes Häutchen, womit die eigentliche
Haut überzogen ist, durch die Oberhaut, ein wenig ver-
mindert wird. Diese Oberhaut ist unempfindlich, man
kann sie mit einer Nadel durchstechen, ohne den geringsten
Schmerz zu empfinden. Wird sie viel gerieben oder gedrückt,
z. B. bei schweren Handarbeiten, so wird sie dick und hart-
Daher kommt es, daß diejenigen, welche sich mit schweren
H<rnd>
145
VI. Von dem Menschen.
Handarbeiten beschäfftigen müssen, sehr harte Hände bekom-
men, und wenig Gefühl in den Händen haben. Die Härte
unserer Fußsohlen hat eine ähnliche Ursache.
Die Farbe der Haut ist bei allen Menschen gleich,
nämlich weiß; denn dre Schwärze des Negers, die gelb-
braune Farbe des Arabers, die knpferrothe Farbe deö Ame-
rikaners, und die weiße deS Europäers ist nicht die Farbe
der eigentlichen Haut, sondern die Farbe einer schleimigen
Materie, welche wie ein Netz zwischen der Oberhaut und der
eigentlichen Haut sich hinzieht, und die Fett haut genannt
wird. Da aber die Oberhaut sehr dünn, und halb durch-
sichtig ist, so schinnnert die Farbe der inneren Fetthaut hin-
durch, und so scheint es dann, als ob die Oberhaill die
Farbe hätte, welche eigentlich der Fetthaut angehört.
Die äußere Seite der Haut ist großtentheils mit Haa-
ren besetzt, welche aber nur an wenigen Stellen zahlreich,
lang und dick sind, und an manchen Stellen ganz fehlen, wie
z. B. an den Fußsohlen, an der innern Fläche der Hand
und an den Augenliedern. Diese Haare entstehen aus Kü-
gelchen, welche in dem Zellgewebe und unter der Haut lie-
gen und Wurzeln heißen. Kaum werdet ihr eö glauben,
lieben Kinder, daß jedes, auch das feinste Haar eine hohle,
barte und elastische Röhre, und mit einem Saft angefüllt ist,
bei dessen Vertrocknung das Haar abstirbt und ausfällt. Die
Wurzeln führen dem Haar seine Nahrung zu, und daher
kommt es, daß es nicht wieder wächst, wenn es mit der Wur-
zel ausgerissen ist, wohl aber, wenn man es nur an der Wur-
zel abgeschnitten hat. Aber wozu, werdet ihr fragen, nutzen
denn die vielen Haare dem Menschen? Ihr Nutzen besteht
hauptsächlich darm, daß sie eine zähe und fette Feuchtigkeit
absondern, und daß sie die unter ihnen liegenden Theile be-
dekken, erwärmen und beschützen. Dies erfahren diejenigen,
welche die Kopfhaare großtentheils oder ganz verloren ha-
ben; sie müssen, um sich vor Schmerzen und Unannehmlich-
keiten, welche daraus entstehen, zu schützen, allerlei künstliche
Kopfbedekkungen gebrauchen.
Wir haben nun alle Theile unseres künstlich gebaueten
Körpers, bis auf die Nägel, kennen gelernt. Merkt euch
von diesen, daß die Hanen, glatten und unempfindlichen
Platten an den Fingern und Zehen mit ihren Wurzeln
befestiget sind, daß sie diesen Gliedern eine größere Festig-
keit geben, und dadurch den Menschen das Greisen, An-
10
146
VII. Gesundheitslehre.
fassen, Gehen und Treten sehr erleichtert!. Reinliche Kinder
sorgen dafür, daß ihre Nägel gehörig beschnitten find; denn
lange Nägel find ekelhaft.
VH.
Gesundheitslehre.
1. Gesundheit und Krankheit.
Ä^ir schmeckt das Essen, ich fühle keine Schmerzen, ich kann
meine Hände und Füße, meine Augen, Ohren und Nase
gebrauchen, ich schlafe ruhig und kann Wind und Wetter er-
tragen. Also bin ich gesund, und will mich meiner Gesund-
heit fteucn, will mich aber auch in Acht nehmen, daß ich nicht
krank werde. Denn dem Kranken ist nicht wohl. Er ist
schwach und matt, das Essen schmeckt ihm nicht, er kann
nicht Wind und Wetter ertragen, nicht arbeiten, er hat
Angst und Schmerzen, und freut sich nicht.
Wenn ich einen gesunden Leib behalten will, so muß ich
ihn ernähren durch Essen und Trinken, und ihn erhal-
ten durch Bewegung und Ruhe. Die beste Bewegung ist die
Arbeit, und die beste Ruhe der Schlaf. Ich kann krank wer-
den, wenn ich mich ärgere; wenn ich zornig, oder böse, oder
wild bin; wenn ich zu sehr springe; wenn ich zu viel esse oder
ttinke, oder zu unrechter Zeit und zu oft esse; wenn ich mich
durch Lausen und Springen erhitze, und dann sogleich ttinke;
wenn ich zu lange schlafe, oder nicht zur rechten Zeit zu Bette
gehe; wenn ich'mich nicht wasche und nicht kämme; wenn ich
mich nicht vor dem Fallen in Acht nehme, und unvorsichtig
einhergehe; wenn ich mich erst erhitze, und dann in den
Zug stelle, oder mich bis aufs Hemde ausziehe.
2. Bon der Kleidung.
Die Kleidung muß gerade so beschaffen sein, daß man
nicht unbehaglich kalt, aber auch nicht unbehaglich heiß ist.
Sie muß fick daher nach der Jahreszeit und der Witterung
Vil. Gesundheitslehre.
14
richten, aber auch noch besonders nach dem Gesundheitszu-
stände eines jeden Menschen. Es ist gut, sich von Kindheit an
mehr an eine kühle, als an eine sehr warme Kleidung zu ge-
wöhnen, und sich gegen die Wirkung der Kälte abzuhärten
weil man leicht in Umstände gerathen kann, durch die man
genöthigt wird, der wärmeren Kleidung zu entbehren.
Schädlich ist es, sich übermäßig warm zu kleiden, und eine
Last von doppelten Hemden, Wämsern, Oberrökken und
Pelzen auf dem Leibe zu tragen; es bringt bei der gering-
sten Bewegung das Blut in Wallung, erschwert das Ath-
men, und setzt in Gefahr, sich zu erkälteir.
An kalten Tagen kleide man sich mitten im Som-
mer, wie man sich an einem Wintertage kleiden würde.
Ueberhaupt ist in unsern Gegenden die leichte Sommer-
nacht sehr schädlich, da die Witterung bei uns so unbe-
stänvig ist, und oft auf einen heißen Tag ein sehr kühler,
wohl gar ein kalter Abend folgt.
Jede zu stark, oder nur an einigen Theilen des Körpers
drückende, pressende und kneipende Kleidung ist schädlich.
Besonders schädlich ist es, die Strumpfbänder fest zu schnü-
ren. Der Kopf muß kühl gehalten werden, und jede Kopfbe-
oekkung ist, zumal wenn man starkes Haar hat, unnöthig,
ausgenommen zum Schutz vor der Sonne. Selbst die klein-
sten Kinder darf man ohne Gefahr mit bloßem Kops in die
freie Luft schikken. Sehr schädlich sind die warmen wollenen
Mützen und die Pelzmützen. Die Kinder werden davon
krank, bekommen Ungeziefer und Grind, Flüsse, Kops- und
Zahnschmerzen, und besonders schlimme Augen. Am wenig-
sten dürfen sie dann einen Hut oder eine Mütze aufsetzen,
wenn sie einen abgeschlagenen Kopf haben.
Dikke Halstücher, besonders wenn sie fest zugeschnürt
werden, sind schädlich, und es ist dagegen sehr heilsam, mit
bloßem Halse zu gehen. Der Unterleib muß vorzüglich warm
gehalten werden. Durchfälle, Koliken und Ruhr können von
Erkältung des Unterleibes entstehen. Auch die Füße vertra-
gen gern mehr Wärme. Nur ein gesunder und abgehärte-
ter Mensch darf barfuß gehen.
Die engen, spitzen Schuhe gehören mich zu den schäd-
lichen Kleidungsstükken. Sie verderben die Füße, machen
die Gelenke der Zehen steif, und erzeugen die schmerzhaften
tühneraugen, woran Viele im Alter für die Eitelkeit ihrer
igend büßen müssen.
148
VU. Gesundheitslehre.
Hütet euch, Kleider zu tragen, welche kranke Men-
schen getragen haben; denn viele Krankheiten sind anstek-
kend, und Mancher, der sonst sehr gesund war, wurde
krank, und musste wohl gar früh sterben, weil er die Klei-
der eines Schwindsüchtigen getragen hatte.
3. Bon der Luft.
Es kommt sehr viel darauf an, daß die Luft, welche wir
einathmen, frisch, rein und troffen sei; denn sonst kann
sie uns nicht beleben und stärken, nicht frisch und fröhlich
machen. Reine und trokkene Luft muntert auf zur Arbeit,
vermehrt den Hunger, macht, daß einem die Speisen wohl
bekommen, und giebt einen ruhigen, sanften Schlaf. Nichl
wahr, dir ist ängstlich und peinlich zu Muthe, wenn du
mit vielen Menschen in einer kleinen Stube lange beisammen
sein musst, und weder Fenster noch Thüren geöffnet werden? —
Schlechte, verderbte und unreine Luft schwächt den Men-
schen, macht ihn träge und verdrießlich, und zieht ihm, wenn
<r lange darin lebt, allerlei böse Krankheiten, besonders
Fieber, zu.
Die frische und reine Luft ist also dem Menschen
zum Gesundsein eben so nothwendig, wie Speise und Trank
und wie dem Fische das frische Wasser. Habt ihr nicht ge-
sehen, daß Pflanzen in der besten Erde, und Thiere bei dem
besten Futter, ohne frische Luft verderben? Wie könnte der
Mensch ohne frische Luft gedeihen und leben, gesund und
froh sein? Wie sehr freuet ihr euch, wenn ihr lange in der
Stube habt sitzen müssen, und nun auf ein Mal vors Thor
in die frische reine Luft kommet! Nicht wahr, da ist euch
noch ein Mal so wohl, als in der dunstigen Stube?
Wenn in einer kleinen Stube viele Menschen bei einan-
der sind, und besonders darin bei einander schlafen, so ver-
dirbt die Luft. Was ist nun da zu thun? Man muß Mor-
gens, Mittags und Abends die Fenster und Thüren auf ei-
nige Minuten öffnen, und die frische Luft von außen hinein-
lassen. Aber thun das wohl alle Menschen? Ist es Winter,
oder Herbst, so sagen die Meisten, es wäre ja Schade, wenn
man die schöne Wärme wollte zum Fenster hinausgehen
lassen! Und im Sommer haben sie wieder andere Einwen-
dungen. Aber ist es nicht besser, ein wenig stieren, und
dabei gesund fein, als warm sitzen, und dabei kränklich,
schwach und verdrießlich sein?
149
VII. Gesundheitslehre.
Noch schlimmer ist es, wenn in der Stube, außer den
Ausdünstungen der Menschen, auch noch der Dampf von
Oellampen, Talglichtern oder Lichtschnuppen, oder vom Bü-
geln und Plätten der Wäsche, oder vom Wollkämmer: und
von brennenden Holzkohlen die Luft verdirbt. Dann können
die Menschen nicht nur krank werden, sondern sogar erstik-
ken. Man kann die Luft dadurch verbessern, daß man
Essig auf einen glühenden Stein gießt. Ein Windofen ist
ein guter Luftreiniger.
Wer in einer Stube schläft, in welcher frische Wäsche zum
Trocknen aufgehängt ist, setzt sich in die größte Gefahr, plötz-
lich an einem Schlagflusse zu sterben, oder wenigstens uner-
trägliche Kopfschmerzen und heftigen Schwindel zu bekommen.
Höret, wie es dem Gastvvirtli Mülier ging. Dieser hatte
eine ganze Nacht nicht schlafen können, und wollte gern am
andern Tage ein wenig Mittagsruhe halten. Aber in der Gast-
stube war unaufhörlich Geräusch. Seine Frau rieth ihm, oben
auf eine abgelegene Stube zu gehen, weil er da ganz ungestört
schlafen könne. Sie selbst führte ihn hinauf, und schloss die
Thür ab, mit dem Versprechen, ihn in einer guten Stunde zu
wekken. ln dieser Stube war eine Menge frische Wäsche ausge-
hängt; das bedachte die Frau nicht. Als sie nach einer Stunde
Kam, um ihren Maun zu wekken, fand sie ihn, vom Schlage ge-
rührt, todt im Lehnstuhle.
Eben so schädlich sind die Ausdünstungen stark rie-
chender Blumen, und frisch mit Kalk übertünchter, oder mit
Farben angemalter Wände.
In einer ordentlichen und reinlichen Wohnstube sieht
man keine Spinngewebe, im Sommer nur wenig Fliegen,
keinen Staub, kein Stroh und keinen Unrath, also z. B.
keine Aepfelschalen, oder Knochen. Die Fenster sind hell
und cklar, und man spürt keinen üblen Geruch oder stinkende
Ausdünstungen.
4. Du sollst reinlich und ordentlich sein.
Ferdinand nahm sich des Morgens nie die Zeit, sich
zu waschen und zu kämmen, und seine Kleidungöstükke gehö-
rig zu säubern. Er spottete wohl gar über seine reinliche
Schwester Marre, wenn sie sich bei dem Aufstehen sorg-
fältig den Mund mit reinem und kaltem Wasser ausspühltc,
die Zähne putzte, das Gesicht, den Kopf und die Ohren wusch,
und dann ihr langes Haar mit vieler Mühe auskämmte.
Diesem guten Beispiel folgte der unreinliche Ferdi-
nand nicht, so oft ihn auch der Vater und die Mutter
150
VII. Gesundheitslehre
dazu ermahn len, und wegen seiner Unsauberkeit bestraften.
Daher erlebte er auch manche Schande. Kam er in die
Schule, so hieß ihn der Lehrer oft wieder hinausgehen und
sich waschen, und eben so oft musste er im Winkel stehen,
weil er sich die Haare nicht ausgekämmt, und die Stiefeln
nicht gereinigt hatte. Ja er bekam sogar endlich einen ekel-
haften anstekkenden Ausschlag an den Händen, den man
die Krätze nennt, und durfte nun eine mnge Zeit gar nicht
mit andern Menschen umgehen. Jeder verachtete ihn, und
Keiner mochte bei dem schmutzigen Ferdinand sitzen. Dage-
gen wurde die reinliche Marie überall gern gesehen, und von
allen Menschen wegen ihrer Reinlichkeit geschätzt und ge-
liebt. Sie sah immer gesund und ftisch aus, und durste
sich nie schämen.
Die Unreinlichkeit ist die Ursache von vielen Krank-
heiten, besonders von anstekkenden Krankheiten und bösen
Ausschlägen. Wer davor bewahrt bleiben will, muß nicht
nur das Gesicht, die Hände und Füße fleißig waschen, son-
dern auch den ganzen Körper, und zwar in jeder Woche we-
nigstens ein Mal. Darum wäre es wohl zu wünschen, daß
man an jedem Orte Anstalten zum Baden hätte, und daß
das Baden eine allgemeine Sitte würde. Nur dadurch wir^
die Haut so rein gehalten, daß sie frei ausdünsten kann.
Wenn aber das Baden heilsam sein soll, so muß
man folgende Regeln dabei sorgfältig beobachten:
1) Man muß sich vorsichtig an solchen Stellen baden,
wo keine Gefahr ist.
2) Man nmß gesund und wohl sein.
3) Man darf nicht erhitzt sein, oder kurz vorher viel ge-
gessen haben.
4) Man muß sich nicht langsam, sondern geschwind
mit dem Kopfe und beut ganzen Körper, unter das
Wasser tauchen.
5) Man muß im Bade nicht still sitzen, sondern sich stark
bewegen, oder schwimmen. Und
6) Nach dem Bade muß man nicht ruhen, sondern
gemächlich gehen.
In 8. halten die mehrsten jungen Leute Lust zum Baden. Sie
gingen alle Tage gegen Abend, in Gesellschaft, nach einem Teiche.
Einige konnten schwimmen. Diese wollten sich eines Tages, weil
ein Fremder dabei war, als grosse Schwimmer zeigen, kleideten
sich daher schnell aus, obgleich sie noch vom Gehen erhitzt
waren, sprangen ins Wasser, und durchschwammen den Teich
151
VII. Gesundheitslehre.
einige Mal. Einen von ihnen rührte der Schlag, als er noch fern
vom Ufer war; dies war die Folge der zu schnellen Abwechse-
lung der Hitze mit der Kälte. Die übrigen Schwimmer waren
weit von ihm entfernt, und als sie herbei kamen, theils zu furcht-
sam, theils zu ermüdet, um ihn retten zu können. Gott! wer
schildert das Schmerzgefühl derjenigen, die gern gerettet hätten,
aber nicht schwimmen konnten! Man lief in grösster Eile, um
vom nahen Dorfe einen Kahn und Stangen zu holen. Viele Men-
schen eilten zur Hülfe herbei. Man fand den Verunglückten bald;
Aerzte kamen auch, aber vergebens war das Bemühen, ihn ins
Leben zurück zu bringen. Schrecklich war die Lage derer, die
den Aellern des Ertrunkenen die Todesnachricht bringen muss-
ten. Man denke sich den Gram guter Aeltern, welche die frohe
Hoffnung, an dem schon erwachsenen Sohne eine Stütze ihres
Alters zu haben, auf ein Mal zernichtet sahen! O vergesset es
doch nicht, lieben Kinder, dass Vorsichtigkeit bei jedem Unter-
nehmen nöthig ist, vorzüglich aber da, wo nahe Gefahr des Le-
bens droht! — Sollten nicht endlich so viele Beispiele durch ihre
eigene Schuld Ertrunkener, Vorsicht und Behutsamkeit lehren?
Ein warmes Bad muß man in einem Hinlänglich war-
men Zimmer nehmen, ja nicht in einem kalten; ohne diese
Vorsicht wird man sich durch ein warmes Bad mehr scha-
den, als nützen. Dieses gilt auch von den Fußbädern,
welche bei Anhäufung des Blutes im Kopfe und in der
Brust sehr heilsam sind.
Nicht bloß seinen Körper und seine Kleidung soll man
reinlich halten, sondern auch das Hausgeräth, die Betten,
die Stuben und die Kammern müssen stets reinlich und or-
dentlich gehalten werden. Dazu gehört, daß man das
Hausgeräth fleißig scheure und putze, die Betten von Zeit
zu Zeit in die Sonne lege, oder in die frische Lust hänge
und ausklopfe, und die Stuben oft auskehre, oder scheure.
Nur muß man sich wohl hüten, in einer gescheuerten Stube,
die noch nicht wieder recht trokken ist, zu schlafen, denn das
ist sehr schädlich.
5. Von den Speisen.
33arum esset und trinket ihr? Nicht wahr, um euren
Hunger zu stillen, um euren Körper zu erhalten, und
ihn zu ernähren? Und eure vorzüglichsten Nahrungsmit-
tel sind folgende: Brot, Gemüse, (nennt mir einige Arten
von Gemüse!) Hülsen- und Saamenfrüchte, (wer kann
einige nennen?) Obst, Milch, Fische und Fleisch. — Mer-
ket euch, daß Pflanzenspeisen nicht so nahrhaft und stär-
kend sind, als Fleischspeisen, und daß Fleischspeisen auch
152
VII, Gesundheitslehre.
nahrhafter sind, als Speisen von Fischen. Darum soll-
ten unsere Mahlzeiten aus einem kleineren Theile Fleisch
und einem größeren Theile Gemüse bestehen. Äon bloßen
Fleischspeisen geräth das Blut in Fäulniß, und wer bloß
Gemüse effen wollte, würde nicht Kraft und Stärke genug
haben.
Soll dir das Essen immer recht wohl schmekken, so
sorge dafür, daß du hungrig werdest; denn der Hunger
ist der beste Koch, und wenn du recht hungrig bist, so
wird dir auch die einfachste Kost herrlich schmekken. Aber
wenn du müßig gehest, oder kurz vor der Mahlzeit allerlei
Näschereien issest, so kannst du nicht hungrig werden. Du
musst fleißig arbeiten, und dich in freier Luft bewegen, dann
wirst du gewiß hungrig zu Tische kommen, und dann wer-
den auch die Speisen bei dir gedeihen.
Aber merke dir dabei, was das Sprichwort sagt:
allzuviel ist ungesund. Denke nicht: viel Essen giebt
viel Nahrung; denn wenn du das, was du gegessen hast,
nicht verdauen kannst, so schadet es dir.
Hüte dich, vielerlei Speisen durch einander zu essen, damit
es dir nicht gehe, wie dem unverständigen und gierigen Mo-
ritz. Dieser hatte einige Groschen geschenkt bekommen, und
ging nun auf den Markt, um sich ein Mal, wie er sagte, etwas
zu gute zu thun. Erst kaufte er Pfefferkuchen, unjl verzehrte
sie, daunAepfel, dann gebakkene Pflaumen, und nun noch fettige
Kuchen, welche eine Frau feil bot. Das Alles verzehrte Moritz
in einer Stunde. Und was geschah? Er konnte diese Speise
nicht verdauen, klagte über Kopf- und Leibschmerzen, ihm
wurde übel, und er quälte sich einige Stunden, ehe er sich über-
geben konnte. Noch am andern Tage war er sehr krank, und
musste nun mehrere Tage fasten.
Pflanzen müssen, ehe man sie genießt, sorgfältig
untersucht werden, damit keine Giftpflanzen oder Giftwur-
zeln, als: Bilsenkraut, Schierling, Gleiße, Wolsskirsche oder
Bollwurz, Stechapfel, Schwarzkümmel, und dergleichen
daninter sei.
Alle Schwämme oder Pilze verdauen sich schwer,
und sind ungesund, und da überdies leicht giftige Schwämme
darunter sein können, so thut man am Besten, wenn man
keine isst.
Reife Kartoffeln find nicht ungesund, wenn sie
von guter Art sind, und nicht übermäßig genossen werden.
Unreif sind sie wahres Gift für den menschlichen Körper,
denn sie erzeugen die Ruhr, und andere schlimme Krankhei-
VH. GesundheiLslehre. 153
tcn. Vor der Mitte des Septembers sollte niemand Kar-
toffeln essen.
Fette Speisen in Menge zu genießen, ist sehr
schädlich. Der Husten, an dem beim Anfange des Win-
ters so Viele leiden, ist mehr dem zu häufigen Genuß deS
Schmalzes und des Schweinefleisches, als der Kälte zuzu-
schreiben.
Scharfe, gesalzene und gewürzte Speisen erhitzen
vas Blut, und sind ungesund. Viel und besonders alten
Käse zu essen, ist ungesund, weil er Gries und Steine in
der Blase erzeugt. Süße Sachen schwächen den Magen,
machen Blähungen, und unterdrükken die Eßlust. Hütet
euch, die Speisen heiß zu genießen; ihr verderbet da-
durch nicht nur eure Zähne, sondern schwächet auch den
Magen.
Kupferne Geschirre müssen gut überzinnt sein,
und irdene Gefäße müssen eine gute Glasur haben, sonst
können sie für die Gesundheit sehr schädlich werden; doch
ist bei den letzteren weniger Gefahr, als bei den ersteren.
Besonders ruuß man sich hüten, saure Speisen in kupfer-
nen und zinnernen Gefäßen zuzubereiten und aufzubewahren;
denn sie lösen das Kupfer und das dem Zinne gewöhnlich
beigemischte Blei auf, und verwandeln es in Gift. Höret
hiervon ein warnendes Beispiel:
Oer Schuster Bodenreich in H. kochte Pflaumenmuss.
Nachdem seine Frau dasselbe in Töpfe gethan hatte , blieb
am Rande des kupfernen Kessels, wie gewöhnlich, etwas sitzen.
Der Schuster, welcher aus unzeitiger Sparsamkeit nichts von
dem schönen Müsse wollte umkommen lassen, kratzte Alles sorg-
fältig mit dem Löifel ab, was am Rande des Kessels sitzen ge-
blieben war, und ass es begierig. Einige Stunden nachher em-
pfand er heftige Leibschmerzen. Er nahm einen Schluck Brann-
tewein, aber die Schmerzen wurden nur ärger darnach, und
er brachte die Nacht unter schrecklichen Qualen zu. Am Mor-
Sen war sein Leib aufgeschwollen, und es musste ein Arzt zu
[ülfe gerufen werden. Doch dieser kam leider zu spät; denn
schon war der Unglückliche an dem Müsse, welches er so un-
vorsichtig genossen hatte, gestorben. Die Säure der Pflau-
men hatte nämlich den Grünspan aus dem Kupfer gezogen,
und so das Muss vergiftet.
Wer unglücklicher Weise etwas Giftiges genossen hat,
muß sogleich viel warme Milch, oder Wasser, mit frischer,
geschmolzener Butter oder Oel vermischt, winken. Brech-
mittel sind am wirksamsten, wenn Jemand Schierling, oder
Wolfskirschen u. dgl. gegessen hat
154
VII. Gesundheitslehre.
Weizenbrot, Kuchen und Semmel schaden in großer
Menge, und warm genossen, und sind nicht so gesund,
als Roggenbrot. Doch muß auch dieses einige Tage alt
sein, wenn es den Namen einer heilsamen Speise verdie-
nen soll. Zu den vorzüglich schädlichen Speisen gehört
auch das fette Backwerk (Kuchen), besonders Pasteten und
Torten, die nur ein äußerst starker Magen zu verdauen im
Stande ist.
Marie pflegte, wenn sie Brot in Vorrath backte, für ihre
Kinder kleine Salzkuchen zu backen, um ihnen ein Vergnügen
zu machen. Eines Tages hatte sie dies auch gethan, und liess
sich von den Kindern erbitten, ihnen die Kuchen sogleich zu
geben, ehe sie noch kalt geworden waren. Zwar hatten sie Alle
versprochen, nicht eher davon zu essen, als bis sie kalt geworden
wären; allein Christian, Mariens zweiter Sohn, konnte doch
seine Begierde nicht massigen, sondern verschlang den ganzen
heissen Kuchen. So lief er aufs Eis, ward durstig, und trank das
eiskalte Wasser. Auf einmal fühlte er Uebelkeit, und kaum
konnte er noch das Haus erreichen. Mit jeder Stunde ward sein
Zustand schlimmer, und noch vor Abend war er todt. Die
Aerzte öfTneten seinen Leib, um die Ursache seines plötzlichen
Todes zu erfahren, und fanden den Kuchenteig in einem Klum
pen vereinigt, und noch ein Stück davon im Schlunde.
6. Bon den Getränken.
©er Mensch muß nur in der Absicht trinken, um seinen
Durst zu löschen, nicht aber, um den Gaumen zu kitzeln.
Das gesundeste Getränk für den Menschen ist rei-
nes, klares Wasser; es kühlt, verdünnt und reinigt daö
Blut, erhält Magen, Eingeweide, Gehirn und Nerven in
Ordnung, und macht den Menschen ruhig, heiter und froh.
Auch zehret das Wasser nicht, wie man gewöhnlich glaubt,
sondern es macht Gedeihen, wenn man sich dabei viel Be-
wegung in frischer Luft macht.
Die Menschen trinken gewöhnlich viel zu viel warmes
Getränk, als: Kaffee, Thee u. dgl. Es ist daher nicht an-
ders möglich, als daß ihr Blut scharf und unrein, und ihr
Angesicht blaß werden muß. Besonders schadet dem weib-
lichen Geschlechte, welches mehr in Stuben sitzt., als das
männliche, der häufige Genuß des warmen Getränkes.
Dünnes, rein ausgegohrnes, und gut gehopftes Bier
ist für Erwachsene nicht schädlich; aber Kindern sollte
man es nicht geben, weil es ihnen das Blut
erhitzt, und die Lust zum Wassertrinken be-
tt i mm r.
155
VII. Gesundheitslehre.
Der Branntewein ist unter allen Getränken das
schädlichste. Er reizt so stark, daß ein Mensch, der nicht
an ihn gewöhnt ist, kaum einen Theelöffel voll davon
vertragen kann. Er hindert die Verdauung, macht Wal-
lung und Hitze, und wirkt auf das Gehirn so stark, daß
derjenige, welcher viel davon genießt, alle Besinnung
verliert, und so schwerfällig und kraftlos wird, daß er
nicht mehr auf feinen Füßen stehen kann. Wie schrecklich
und wie ekelhaft ist der Anblick eines Betrunkenen! Auch
dann, wenn er sich erholt hat, bleibt er schwach, und
dies Gefühl der Schwäche verleitet ihn, aufs Neue zu
trinken. Auf diese Art gewöhnen sich Viele an das Brann-
teweinsaufen, indem sie eö nach und nach zu der unglück-
seligen Fertigkeit bringen, sehr viel davon zu winken,
ohne berauscht zu werden. Die Folgen dieser abscheuli-
chen Gewohnheit sind schrecklich. Die Säufer können
die genossenen Speisen nicht mehr verdauen, und verlie-
ren daher endlich alle Esstust. Bei einigen entsteht von
ver heftigen Reizung ein Bluthusten und Lungensucht;
Die gewöhnliche Folge ist die Wassersucht. Dabei werden
Die Seelenkräfte ebenfalls geschwächt; die Säufer verlie-
ren endlich so ganz daö Gedächtniß und die Urtheilskraft,
daß sie zu den meisten Geschäften gar nicht mehr zu ge-
brauchen sind. Eben dies ist der Fall bei Weinsäusern.
Der Wein ist zum täglichen Getränk für Gesunde nicht
tauglich; nur als stärkende Arznei sollte er von Kranken
getrunken werden. Wer gesund ist, der trinke nur dann
Wein, wenn er durch starke Arbeiten oder langes Gehen
ermattet ist, oder dann, wenn er ein Mal mehr Lebhaftig-
keit und Frohsinn, alö gewöhnlich, zu haben wünscht. Soll
aber der Wein stärken und fröhlich machen, so muß man
wenig trinken.
Heitmann erbte von seinem redlichen Vater Haus und Hoi
im besten Stande. Schöne Pferde,Kühe und Schweine waren in
den Ställen; die Gärten voll schöner Obslbäume, und das Akker-
land trug reichlich Korn und Hülsensrüchte. Auch baares Geld
erbte Heitmann von seinem Vater: denn dieser war arbeitsam
und sparsam gewesen, so lange er lebte, in den ersten Jahren
war auch Heitmann ein recht guter Wirth, und es ging ihm sehr
wohl. Aber eben dieser Wohlstand in dem er lebte, verleitete
ihn zum Müssiggange, und er gewöhnte sich, alle Nachmittage
in ein Wirthshaus zu gehen, und da bis an den späten Abend zu
bleiben. Dort fand er Säufer, mit welchen er spielte, und die
ihn nach und nach zum Brannteweintrinken verleiteten, um ihm
156
VII- Gesundheirslehre.
dann, wenn er berauscht war, desto leichter im Spiele Geld ab-
zugewinnen. Bald fiel er so tief in das Laster der Trunkenheit,
dass er oft, wenn er um Mitternacht taumelnd nach Hause kam,
seine Frau schlug, und das Gesinde misshandelte. Von diesem
ward er endlich bei der Obrigkeit verklagt, die ihm nun mit Ge-
fängnisstrafe drohte, wenn er sich noch ein Mal an den Seinigen
vergriffe. Bei nüchternem Muthe versprach er Besserung, aber
am folgenden Tage war er schon wieder betrunken. So ver-
schwendete er nach und nach all sein baares Geld, und fing nun
an, seiner Frau heimlich Speck, Würste, Linnen und Kleidungs-
stücke wegzunehmen, um sie an schlechte Leute, die ihn in sei-
nem Laster bestärkten, zu verkaufen. Dadurch kam der unglück-
liche Mann endlich so weit, dass er die Abgaben nicht mehr be-
zahlen konnte, und ein Stück Vieh nach dem andern um einen
sehr niedrigen Preis verkaufen musste, denn bei dem Saufen
hatte er das Vieh versäumt, und so war es in schlechtem Stande
Eines Tages kam Heitmann spät aus dem Wirthshause, als alle
Einwohner des Dorfes schon im tiefen Schlafe lagen. Halb be-
trunken schwärmte er umher, und kam auf den unglücklichen
Einfall, dem vor dem Dorfe wohnenden Müller einen Schreck
einzujagen. Er taumelte hin, brüllte vor der Mühle, war wieder
still, und suchte ins Haus zu kommen. Durch das Gebell der
Hunde erwachte der Müller, sah aus dem Fenster, und rief: wer
da? Heitmann schwieg, und suchte die Thür zu öffnen. Der
Müller glaubte, es wären Diebe, welche ihn überfallen wollten,
holte seine Flinte und rief: sagst du nicht, ob du Freund oder
Feind bist, so schiess ich dich über den Haufen. Heitmann
schwieg immer noch. Der Müller schoss zu, und traf ihn ins
Bein. Er stürzte hin. Man lief nun mit Knüppeln hinaus, und
schlug so unbarmherzig auf ihn los, dass er einige Wunden am
Kopfe, und einen ganz blauen Rükken bekam. Als sich die
Wuth des Müllers abgekühlt hatte, und sich in Mitleid verwan-
delte, holte man eine Laterne, und sahe mit Schrekken, dass es
Heitmann war, den man so jämmerlich geprügelt hatte. Der
Müller liess ihn nun ins Haus tragen, und aufs Beste verpflegen;
denn er bereuete seine Wuth und seine Uebereihmg. Es kam zu
einer gerichtlichen Untersuchung, und der Müller war sehr be-
reitwillig, die Heilungskosten zu tragen. Heitmann musste für
seinen dummen Spass schrecklich büssen: aber auch dies bes-
serte ihn nicht, und man war endlich genöthigt, ihn in das Zucht-
haus nach W. zu bringen, wo er Zeit genug bekam, über sein
ruchloses Leben nachzudenken.
Kindern ist der Branntewein noch viel schädlicher, als
Erwachsenen; sie werden davon ungesund, träge, dumm
und lasterhaft. Unvernünftig ist es, wenn man einem Fie-
berkranken Branntewein, mit Pfeffer gemischt, als Arznei
eingiebt, und eben so unvernünftig, wenn man ihn den Kin-
dern nüchtern zu trinken giebt, um ihnen die Würmer abzu-
treiben; denn es ist nicht wahr, daß jenes Mittel das Fie-
ber vertreibe und dieses die Würmer in den Gedärmen
157
VII. Gesundheitslehre.
todte. Selbst das Waschen des Kopfes mit Branntewein
kann kleinen Kindern schädlich werden.
Am allermeisten muß man sich hüten, Branntewein
zu trinken, wenn man in großer Kälte eine Reise macht;
man kann sich leicht dadurch den Tod zuziehen.
7. Von der Bewegung und Ruhe.
§)ie körperliche Bewegung, besonders in freier Luft, hat
mannigfaltigen Nutzen für den Menschen: sie bewirkt Hun-
ger und Durst, hilft Essen und Trinken verdauen, und
macht daß es gedeiht; sie reinigt das Blut und erhält
die Eingeweide gesund; sie giebt Ruhe, und einen sanften
Schlaf. Die körperliche Arbeit besonders ist dem Men-
schen überaus heilsam: sie verschafft ihm eine blühende
Gesundheit und ein langes Leben, schenkt ihm Heiterkeit
und Wohlstand, und bewahrt ihn vor vielen Uebeln. Ohne
viele körperliche Bewegung und ohne Arbeit kann der
Mensch tinmöglich gesund sein. Aber man kann es hierin
leicht übertreiben. Dies thun z. B. diejenigen, welche einen
langen Weg machen wollen, und gleich Anfangs so lausen,
daß sie zuletzt matt und kraftlos werden. Nie muß man
so stark und so lange laufen, daß man außer Athem kommt,
und Herzklopfen fühlt.
Den Kindern ist Bewegung eben so nöthig, als Er-
wachsenen. Kinder, welche viel sitzen müssen, werden un-
gesund. Besonders ist eS für kleine Kinder sehr schädlich,
wenn man sie immerfort aus dem Arme trägt, oder sie halbe
Tage lang in durchlöcherten Kinderstühlen sitzen lässt.
Die Bewegung und die Arbeit kann nur dann scha-
den, wenn der Mensch seine Kräfte übermäßig anstrengt,
oder in seiner frühen Jugend zu schwere Arbeiten anhal-
tend verrichtet; dann wird sein Körper kraftlos, stumpf,
und vor der Zeit alt. — Wer sich so stark bewegt, oder
so eifrig und mühselig arbeitet, daß er Schweiß vergießt
und sich erhitzt, der hüte sich, auf ein Mal still zu sitzen,
oder sich der Zugluft auszusetzen, oder einen kalten Trunk
zu thun; denn durch alles dieses setzt er seine Gesundheit
und sein Leben in Gefahr.
Grobmann ging gern auf Hochzeiten, und war immer in
solchen Wirthshäusern zu finden, wo es recht lärmend zuging,
und wo die halbe Nacht hindurch wild getanzt wurde. Da tanzte
er dann so lange und so heftig, dass ihm der Schweiss von der
Stirn floss, wie bei der schwersten Arbeit. Dabei trank er be-
158
VII. Gesundheitslehre.
ständig Bier und Branntewein, und gebehrdote sich wie ein Un-
sinniger. An einem heissen Sommertage wollte er sich auf diese
Art einen lustigen Tag machen, und als nun bei der heftigen Er-
hitzung nichts mehr seinen Durst löschen wollte, so rief er: gebt
mir einen Eimer mit Wasser, das muss helfen! Einige Anwe-
sende, welche vernünftiger waren, erinnerten ihn, dass er sich
durch einen kalten Trunk auf die Erhitzung den Tod zuziehen
könnte; aber Grobmann verachtete ihre wohlgemeinten Erinne
rungen, und rief: meint ihr, dass ich so weichlich bin, wie ihr
seid? ich kann Alles vertragen, nur Wasser her! Und damit
taumelte er nach der Küche. Hier legte er sich neben einen
vollen Eimer hin, und trank sich recht satt. Das hat geholfen!
rief er prahlend. Aber es dauerte nicht lange, so fühlte Grob-
mann den heftigsten Fieberfrost; man musste ihn endlich nach
Hause und ins Bett bringen, aus dem er nicht wieder ausstand;
denn schon am folgenden Tage brach er Blut, und nachdem er
sich mehrere Monate mit der Schwindsucht gequält hatte, starb
er in der Blüthe seiner Jahre, als ein warnendes Beispiel, wie
unglücklich der Mensch durch Wildheit und Ausgelassenheit
werden kann.
Viele Jünglinge und Mädchen müssen früh und elend
an der Lungensucht sterben, weil sie den wilden Tanz zu
sehr liebten. Wer nicht beim Tanz vollkommenen Athem
behält, sollte sich dieses Vergnügens ganz enthalten. In
einem niedrigen, engen und dlimpfigen Zimmer zu tanzen,
ist höchst schädlich.
8. Vom Schlafen.
Ä3er ruhig schlafen will, muß sich nicht mit vollem Magen
niederlegen, nicht hitzige Getränke genossen, sich den Tag
über müde gearbeitet, und ein gutes Gewissen haben. —
An einem ruhigen Schlafe ist sehr viel gelegen; denn wer
nicht ruhig geschlafen hat, kann am Morgen nicht munter
und froh sein, und weder Kraft noch Lust zur Arbeit haben.
Das Schlafgemach muß nicht warm und niedrig, son-
dern kalt, hoch und geräumig sein, und so viel als möglich
frische Luft haben. Deshalb muß man am Tage fleißig die
Fenster öffnen und keine Vorhänge um die Betten haben. —
Auf und unter Federbetten zu schlafen, ist nicht gut; denn
diese Betten haben zu viel Wärme, auch sammeln sich die
bösen, unreinen und oft kranken Ausdiinstungen darin, und
machen den Körper ungesund. Besonders verursachen sie
Flüsse, Kopf-, Zahn-, Ohren- und Gichtschrnerzen. Die
besten Betten für Erwachsene sind die von Pferdehaaren,
Häcksel oder Stroh, und baumwollene oder wollene durch-
nähete Dekken. Wenn man sich aber ein Mal daran ge-
vu, Gesundheitstehre. lo£
wohnt hat, aus Federbetten zu schlafen, so müssen sie im
Sonnner alle acht, und im Winter alle vierzehn Tage an
die Luft gebracht, ausgeklopft, und alle Monate mit rei-
nen Ueberzügen versehen werden.
Auch für Kinder sind Betten von Pferdehaaren, Stroh
oder Moos am besten, nur müssen sie oft frisch ausgestopft
werden. Federbetten sind Kindern noch weit schädlicher
als Erwachsenen.
Man muß sich hüten, in fremden Betten zu schlafen,
wenn sie nicht zuvor gelüftet, tind mit reinen Ueberzü-
gen versehen sind. Ist man daher auf der Reise, und muß
in einem Wirthöhause übernachten, so thut man wohl,
wenn man mit einem Strohlager vorlieb nimmt, oder sich
lurausgekleidet aus das Bett legt.
Man kann auch zu viel schlafen, und das merkt euch
wohl, lieben Kinder, damit ihr nicht Langschläfer werdet wie
Georg und Heinrich waren. Diese wollten, als Kinder,
niemals gleich aufstehen, wenn die Mutter sie weckte, son-
dern liessen sich wohl drei Mal wekken, ehe sie die Augen
öffneten, und Anstalt machten, sich anzukleiden. Darum ka-
men sie fast jeden Tag zu spät in die Schule, und mussten des-
nalb oft Strafe leiden. Die Mutter ermahnte sie vergebens,
sie möchten sich doch endlich das Langeschlafen abgewöh-
nen, denn künftig würden sie früh aufstehen müssen, und
dann würde es ihnen sehr schwer werden. So kam es
denn auch, als sie zu einem Tischler in die Lehre gebracht
wurden. Dieser war mit seinen Lehrlingen sehr strenge, und
daher mussten die beiden Langschläfer viel Beschämung und
harte Strafen erdulden, ehe sie sich daran gewöhnen konn-
ten, früh und rasch aufzustehen. Nun gedachten sie oft an
die gütigen Ermahnungen ihrer Mutter, und beweinten zu
spät ihren Ungehorsam. AIs sie sich endlich daran gewöhnt
hatten, mit Aufgang der Sonne aufzustehen, wurden sie noch
ein Mal so gesund und munter, als sie zuvor gewesen wa-
ren, und ihr Lehrmeister hatte sie nun recht lieb, denn sie
waren tüchtige Arbeiter.
Ohne dringende Nothwendigkeit sollten niemals Kittder
bei Erwachsenen, oder mehrere Kinder in Einem Bette
schlafen; denn so muß eineö des andern Ausdünstungen ein-
athmen, und dabei kann man nicht gesund sein, und nicht ru-
hig schlafen. Aber noch schädlicher, iinb sehr gefährlich ist
es, wenn ein gesunder Mensch in einem Bette schläft, worin
ein Kranker gelegen hat, ohne daß es zuvor gelüstet und aus-
geklopft worden ist. Ist die Krankheit sehr bösartig ge-
wesen, so muß man die Betten verbrennen, oder tief vergraben.
160
Vll. GejundheiLslehre.
9. Von den Wohnungen.
33enn eine Wohnung gesund sein soll, so müssen die Stu-
ben und Kammern hell, aeräumig und lustig sein. In dun-
keln, dumpfigen und feuchten Wohnungen werden die Men-
schen ungesund und schwach, gichtisch und kränklich, sogar
dumm, verdrießlich und schwcrmüthig. Kinder gedeihen
in solchen Wohnungen nicht, sondern werden blaß, schwel-
len, zehren aus, und sterben. Wer aus Armuth in feuch-
ten Kellerstuben wohnen muß, kann sie verbessern, wenn er
ihnen von Innen und von Außen vieles Licht, und so viel
als möglich reine Lust zu verschaffen sucht, den niedrigen
Fußboden erhöhet, und die feuchten Wände stisch und trokken
ausmauert.
Stuben und Kammern müssen alle Tage gekehrt und
gereinigt, und wo möglich alle Jahr geweißt werden. Dies
ist gesund und auch löblich, denn cs ist ein Zeichen der
Liebe zur Ordnung und zur Reinlichkeit.
Bei kaltem Wetter muß man die Stuben nicht unmä-
ßig Heizen, und sich nicht an den heißen Ofen setzen oder
stellen, am allerwenigsten sich auf die Ofenbank legen und
schlafen; denn das macht den Menschen dumm und krank.
Torf und Steinkohlen zu brennen, und damit zu Heizen,
ist nicht schädlich, wenn nur die Oefen gehörig eingerichtet
sind, und die nöthige Borsicht angewendet wird. Eine sehr
üble und gefährliche Gewohnheit ist es, die Schlafstube noch
kurz vor dem L-chlafcngehen zu Heizen. Daraus kann gro-
ßes Unglück entstehen, wie ihr aus folgender Geschichte ler-
nen könnt.
Line wohlhabende Wittwe, welche zwei erwachsene Töch-
ter hatte, musste eine Nacht aus dem Hause bleiben, um bei
Ihrer kranken Schwerter zu wachen. Die beiden Mädchen dach-
ten, sie wollten sich ein Mal recht was zu gute thun, und
heizten, weil der Abend sehr kalt war, die Sclilafstube unge-
wöhnlich stark. Nun gingen sie beide fröhlich zu Bette, nach-
dem sie zuvor den Ofen lest zugemacht hatten. Die Unglückli-
chen! Sie standen nicht wieder auf; denn der Ofen bekam von
der starken Hitze einen Riss, und ein Stück Holz, welches nur
halb verbrannt war, fing an zu schwelen, und füllte bald die
ganze Stube mit Rauch an. Beide Mädchen mussten ohne Ret-
tung erstikken. Zwar war die Eine vom Schlafe erwacht, aber
vergebens hatte sie es versucht, die Thür zu erreichen; man
fand sie in schrecklicher Gestalt auf dem Boden liegen; in der
Todesangst hatte sie sich das ganze Gesicht zerkratzt, und die
Haare ausgerauft. Welch ein Anblick war cs für die unglück-
liche
161
Vll. Gesundheitslehre.
'lohe Mutter, als sie am Morgen ihre beiden geliebten Kinder,
die Hoffnung und Stütze ihres Alters, nick mehr am Leben fand!
O lernet doch, so lieb euch euer Leben ist, mit Feuer und
Licht behutsam umgehen, liebe Kinder, damit euch nicht ein
ähnliches Unglück widerfahre!
Merket euch auch dies, daß es äußerst gefährlich ist,
die Suchen und Stubenkammcrn, oder sich selbst durch
Holzkohlen, welche in einem Feuerbc-kken oder in einem
Topfe sind, zu erwärmen; inan wird davon elend, und kann
sehr leicht erstikken, wenn in dem Topfe Fett gewesen ist,
oder die Kohlen nicht völlig ausgebrannt sind.
10. Von Erhitzungen und Erkältungen.
88enn man durch heftige körperliche Bewegung, durch
Arbeiten, Laufen oder Tanzen sehr erhitzt ist, so muß ntan
Folgendes beobachten:
1) Nicht auf ein Mal ruhig sitzen oder liegen, sondern
in einer mäßigen Bewegung bleiben.
2) NtchlS Kaltes, und auch keinen Branntewein, Wein,
Punsch oder Kasse trinken; denn es ist ein höchst verderb-
liches Vorurtheil, daß man Hitze durch Hitze vertreiben
müsse. Nichts ist vielmehr der Lunge und dem Magen
schädlicher: eö entsteht ein abmattender Schweiß, und hin-
terher manche gefährliche Krankheit.
3) Glicht die Haut oder den Körper der kalten Luft oder
dem Winde aussetzen, und also nicht in bloßern Hetnde ge-
hen, sondern die Kleider anziehen. Es ist fteilich behagli-
cher, ohne Kleider zu gehen, wenn man erhitzt ist, eS scheint
so stärkend zu sein; aber dennoch ist es höchst gefährlich;
die schlimmen Folgen kommen nach.
4) Nicht kalt baden, und wenn man vom Regen
durchnässt ist, nicht in den nassen Kleidern still sitzen.
5) Sich nicht auf den kalten Erdboden, auch nicht inS
Gras setzen oder legen, und am wenigsten dort schlafen; denn
davon kan-n man an allen Gliedern gelähmt werden, und
die Schwindsucht oder die Gicht bekonunen.
Dies alles muß man nicht thun, wenn man erhitzt
ist. Und waö soll man dagegen thun? Man soll sich bei
einer gelinden Bewegung zu erhalten und abzukühlen suchen,
dann die vom Schweiße durchnässten Kleidungsstükke mit
ttokkenen verwechseln, und nun langsam seinen Durst löschen.
Wie aber, wenn der Mensch bei schwerer Arbeit und heißer
Luft brennenden Durst fühlt und es käunt langer auöhaU
162
Vli. Gesundheitslehre.
len kann, soll er damr auch nicht trinken? Ja, er darf eS zur
Noth wohl thun, aber nur nicht viel auf ein Mal, auch darf
er dabei nicht ruhen, sondern er muß rasch fortarbeiten, oder
sich bewegen; sonst erkältet er sich, und wird krank. Noch
besser ist es, besonders auf der Reise, seinen Durst mit einem
in Bier oder Wasser eingetunkten Stückchen Brot zu löschen.
Wer sich in feuchter und kalter Witterung oder im
Winde erkältet hat, muß keine hitzige schweißrreibende Mittel
einnehmen, fonberit einige Taffen warmes Wasser, mit dem
vierten Theil Essig vernüscht, trinken, sich recht warm mit
Kleidern bedekken, und durch starke Bewegung das Blut
wieder nach der Haut treiben. Ist die Erkältung sehr groß
so nruß man ein warmes Fußbad nehmen, Essig trinken,
und sich inö Bett legen.
Wenn der Körper und die Füße naß und kalt geworden
sind, so muß man die nassen Kleider und Strümpfe nicht an-
behalten, sondern die Haut abtrocknen, und warme, trokkene
Kleider anziehen. Unterlässt man dies, so bekommt man
leicht Flüsse, Gliederreißen und Gicht. Eben dieser Gefahr ist
man ausgesetzt, wenn ein Theil des Körpers der Zugluft oder
der Kälte ausgesetzt ist, indeß der ganze übrige Körper warm
liegt und ausdünstet; wenn mau also z. B. an einer feuchten
Wand sitzt, oder gar daran schläft. — Man kann sich vor
jenen Uebeln bewahren, wenn man die Haut von Kindheit
an durch Luft, Waschen und Baden stark, rein und kühl
erhält, und sich bei jeder Witterung, auch der rauhesten und
unangenehnlsteu, und in jeder Jahreszeit mit der gehörigen
Vorsicht viel körperliche Bewegung in freier Luft macht.
Hütet euch, liebe Kinder, zu früh Sommerkleider an-
zuziehen, oder euch gleich in den ersten warmen Tagen deö
Frühlings so leicht zu kleiden, als ob ihr mitten im Som-
mer lebtet; denn an solchen Tagen kann man sich am aller-
leichtesten und gesäbrlichsten erkälten, weil gewöhnlich die
Abende empfindlich kalt sind. Es ist doch wohl vernünfti-
ger und besser, ein wenig Hitze auszustehen, und dabei ge-
sund zu bleiben, als sich zu erkälten, und dann lange zu
leiden? Die Kälte ist ein Hauptfeind alles Lebens, obgleich
ein mäßiger Grad von Kälte sehr stärkend sein kaun. Die
Wärme dagegen bringt in der ganzen Natur Leben und
Wirksamkeit hervor. Ohne Wärme kann nicht ein Mal ein
Saamenkorn keiinen. Leset folgendes auffallende Beispiel
von ver außerordentlichen Kraft der Wärme, Leben zu näh-
VII. Gejundheitslehre. 163
rett und zu erwekken, welches sich am zweiten August 1790
in der Stadt Strassburg ereignete.
Hier 8l»irrte sich am gedachten Tage ein Soldat, Namens
Petit, ganz nakkend aus dem Fenster des Krankenhauses in
den Fluss. Erst um drei Uhr Nachmittags vermisste man ihn,
und er mochte über eine halbe Stunde im Wasser gelegen ha-
ben, als man ibn herauszog. Er schien völlig todt zu sein.
Man that weiter nichts, als dass man ihn in ein recht durch-
wärmtes Bett legte, den Kopf hoch, die Arme an den Leib, und
die Beine nahe neben einander gelegt. Man legte ihm dabei im-
merfort warme Tücher, besonders auf den Magen und auf die
Beine; auch wurden in verschiedenen Gegenden des Beltes
heisse Steine, mit Tüchern umwikkelt, gelegt. Schon nach
7 bis8Minuten nahm man an den obern Augenliedern eine kleine
Bewegung wahr. Einige Zeit darauf öffnete sich die obere, bis
dahin fest geschlossene Kinnlade; es kam Schaum aus dem
Munde, und Petit konnte einige Löffel Wein verschlukken.
Der Puls kam wieder, und eine Stunde darauf konnte er reden.
11. Von der Erhaltung einzelner Theile
des Körpers.
Unsere Sinnenwerkzeuge müssen wir mit der größten Sorg-
falt gesund zu erhalten suchen; denn unglücklich ist der
Mensch, welcher auch nur einen seiner Sinne nicht gebrau-
chen kann; er muß viele Freuden und Annehmlichkeiten ent-
behren, und viele Leiden erdulden. — Die Werkzeuge des
Sehens, des Hörens und des Geruchs werden durch fleißige
Uebung in freier, reiner Luft gesund erhalten, geschärft und
gestärkt. Diesen drei Sinnen schadet Nichts so sehr, als
das übermäßige Warmhalten des Kopfes, besonders durch
Pelzmützen; denn dadurch wird das Blut tm Kopfe ange-
häuft, es entstehen Flüsse und Geschwüre, deren Eiter oft
zurücktritt, und dann Blindheit oder Taubheit verursacht.
Den Ailgen schadet besonders blenderideS, ungleiches
und schnell abwechselndes Licht. Daritm hütet euch z. B. bei
der Arbeit, und besonders bei feiner Arbeit, so zu sitzen, daß
euer Gesicht gegen eine frisch geweißte Mauer, auf welche die
Sonne scheint, gerichtet ist, oder euch, wenn ihr leset, so zu
setzen, daß die Sonne auf das Blatt scheint. Eben so schäd-
lich ist eö, das Bett so zu stellen, daß daS Tageslicht gerade in
die Augen strahlt. Hütet euch, AlleS zu sehr in der Nähe,
oder schief von der Seite zu sehen, oder euch lange in verdor-
bener, mit Staub, Rauch oder feuchten Dünsten angefüllter
Lust aufzuhalten, oder in den langen Winterabenden bei
scharfen Oel- und Lichtdämpfen, bei starker Ofenhitze, oder
11*
164 Gesundhettsleyre.
in der Dämmerung solche Arbeiten vorzunehmen, wobei ihr
eure Augen anstrengen müsset. Die dachförmigen Licht-
schirme, welche die Lichtflamme ganz umgeben, daS ganze
Zimmer beschatten und alles Licht ans das Papier werfen,
taugen nicht. Ueberhaupt sollte man nur grobe Arbeiten
bei Licht verrichten.
Dem Gehör schadet jeder scharfe, starke und uner-
wartete Schall oder Knall, verdorbene Luft, Federbetten,
Staub, vieler Schleim in der Nase und in den Ohren, und
daö Zusammendrükken der äußern Ohren durch Mützen und
ñopfbinden.
Dem Geschmack schadet der Genuß scharfer Speisen,
und besonders übermäßiger Genuß scharfer Gewürze, z. B.
dcS Pfeffers; ferner das Tabackrauchen, und unmäßiges
Wein- und Brannteweintrinken.
DaS Gefühl wird besonders durch beständige Uebung,
durch ununterbrochene Thätigkeit, und durch ein sorgfältiges
Reíuballen der Haut gesund erhalten.
ES tst äußerst gefährlich, die von der Kälte erstarrten
Hände am heißen Ofen, oder gar am Feuer zu erwärmen;
man muß sie reiben, und so zu erwärmen suchen. Nicht weni-
ger schädlich ist eS, die Hände, welche man eben in kaltem
Wasser gehabt hat, sogleich wieder in warmes zu stekken.
Hat man vom Frost das Kribbeln in den Händen, oder in
den Füßen, so stellt man daS verlorene Gefühl am besten
dadurch wieder her, daß man sie mit Schnee reibt.
Da unsere Seele, vermittelst der Eindrükke, welche die
Sinne von den äußeren Gegenständen bekommen, Vorstel-
lungen erhält, so ist es nothwendig, baß wir unsere Sinne,
besonders in der Jugend, täglich und vielfältig zu üben su-
chen, um recht verständig zu werden, und vor dem thörichten
Glauben an Gespenster bewahrt zu bleiben. Es würde weit
weniger Aberglaube in der Welt sein, wenn aste Menschen
von Kindheit an ihre Sinne sorgfältig geübt, und dadurch
gesund erhalten hätten. Besonders können uns Gesicht und
Gehör, wenn sie nicht geübt sind, in der Nacht betrügen, so
daß wir furchtbare Gestalten zu sehen, und schreckliche Töne
zu hören glauben, wo doch weder Etwas zu sehen, noch zu hö-
ren ist. Sind aber diese Sinne geübt, und geht man beherzt
auf das, was man sieht oder hört, los, und fasst eö mit den
Händen, so wird man finden, daß alle Gespenster nur Betrug
165
VII. Gesundheitslehre.
böser Menschen, oder Täuschungen unserer Sinne sind. Hö-
ret hiervon ein merkwürdiges Beispiel.
In einem Magdeburgischen Dorf« wohnte ein rechtschaf-
fener und verständiger Prediger, welcher seine grösste Freude
an der Erziehung seiner Kinder fand. Er hatte oft die Er-
fahrung gemacht, wie viel Unheil die thörichte Furcht vor
Gespenstern unter den Menschen anrichtet, und liess es sich
daher bei der Erziehung seiner Kinder angelegen sein, sie
vor dieser Furcht zu bewahren. Sie mussten, schon in der
ersten Kindheit, des Abends eine Zeitlang allein im Finstern
bleiben, mussten gewöhnlich ohne Licht zu Bette gehen, und
zuweilen im Finstern aus abgelegenen Gegenden des Hauses,
wo sie genau Bescheid wussten, Etwas holen. Oft erzählte
der Prediger Gespentergeschichten, und zeigte dann immer,
dass Betrug oder Kindische Furcht und Einbildung dabei im
Spiele gewesen wäre. Eines Abends, als er auch dergleichen
Geschichten erzählt hatte, sagte er zu seiner zwölfjährigen
Tochter Marie: würdest da dich wohl scheuen, ohne Licht
auf den obersten Boden zu gehen, und die Garnwinde von
da herunter zu holen? Nein, gewiss nicht, lieber Vater, antwor-
tete Marie. — Nun, wir wollen sehen, jetzt »eh' ein Mal und
hole sie, aber geh’ bedächtig und nimm dir Zeit! Marie ging,
ohne sich zu bedenken, und fand auch bald, was si-e holen sollte.
So hinge war ihr nicht die geringste Furcht angekommen. Aber
indem sie die ersten Stufen der Treppe hinunter gehen wollte,
hörte sie Etwas rasselnd hinter sich herkommen. Jetzt sing sie
an, furchtsam zu werden: doch hatte sie noch Muth genug, sich
umzusehen. Aber freilich erblickte sie in der Finsternis^ Nichts,
und indem sie nun weiter ging, hörte sie das rasselnde Ding wie-
der dicht hinter sich. Sie raffte allen ihren Muth zusammen, und
rief: wer da? bekam aber keine Antwort. Es war ein Glück,
dass sie noch so viel Muth behielt, denn sonst wäre sie gewiss
die Treppe hinabgestürzt, und hätte dann vielleicht Arm und
Bein gebrochen. Indessen als sie nun auf die zweite Treppe
kam, und das rasselnde Ding nicht aufhörte, sie zu verfolgen,
schrie sie voll Angst: Licht! Licht! und kam endlich ganz
ausser Athem, doch mit der Garnwinde in der Hand, in das
Wohnzimmer. Hier sah sie sich wild um, und siehe da, ihr Ver-
folger war auf ein Mal verschwunden. Sie erzählte nun zitternd,
was ihr begegnet war, und kaum hatte man angefangen, die
Sache zu untersuchen, so entdeckte man schon mit Lachen das
rasselnde Gespenst. Es war nichts anders, als eine getrocknete
Bohnenranke mit einigen Schaalen voll klappernder Bohnen,
welche der guten Marie an der Rockkante hängen geblieben
war; denn als sie sich diese wieder anhing, und damit fortging,
war gleich das Rasseln wieder da.
Auch die Zähne gehören zu denjenigen Theilen unseres
Körpers, welche wir mit der größten Sorgfalt gesund erhal-
ten sollen; denn sie sind nicht bloß zum Sprechen, sondern
auch zum Kauen der Speisen nothwendig. Wenn die Speisen
1G6
VII. Gesundheitslehre.
nicht gehörig gekaut, und dadurch in einen Drei verwandelt
werden, so kann sie der Magen nicht verdauen, und dann
nähren sie auch den Menschen nicht, sondern schaden vielmehr
seiner Gesundheit. Wollt ihr eure Zähne gesund erhalten, so
hütet euch vor allen Dingen, heiße Speisen zu essen und viel
toarme Getränke zu genießen. Gewöhnet euch nicht an ben
schädlichen Kaffee und Thee, sondern trinket lieber kaltes Was-
ser, esset gekochte Speisen nicht eher, als bis sie lauwarm
sind, reinigt des Morgens beim Aufstehen, und nach dem
Essen den Mund, die Gurgel und die Zähne mit lauwarmem
Wasser (denn dies ist den Zähnen viel zuträglicher, als kal-
tes, reinigt sie auch besser von allem Schleim, der sich ange-
setzt hat, und von den zurückgebliebenen Speisen), und setzet
nicht eine Ehre darein, Taback zu rauchen, oder die härtesten
Fruchtkerne zu zerbeißen; stochert auch nicht mit Messern,
Gabeln und Nadeln in den Zähnen, sondern bedient euch
dazu eines spitzigen Holzes, oder einer Feder. Wer schlechte
Zähne hat, soll sie nicht durch Arzneien, z. B. durch Zahnpul-
ver, sondern einzig durch Reinlichkeit, frische Luft mrd kaltes
Wasser, zu verbessern suchen. Die schrecklichen Zahn-
schmerzen bringen diejenigen, welche daran leiden müssen,
oft zu dem Entschlüsse, sich die kranken Zähne ausziehen
zu lassen. Es giebt Fälle, in welchen dies rathsam ist, aber
man muß dabei sehr vorsichtig zu Werke gehen, und zuvor
andere Mittel versuchen, ehe man zum Ausziehen schreitet.
Will man den Schmerz stillen, so muß man ja kein Nelkenöl
nehmen, denn dadurch wird der Schmerz nur heftiger, und
endlich unausstehlich. Das unschädlichste Linderungsmittel
ist folgendes: Man nehme ein halbes Loth reine zerstossene
Myrrhe, gieße 6 bis 6 Unzen kochendes Wasser darauf, lasse
den Aufguß klar ab, nehme davon immerfort einen lauwar-
men Schluck in den Mund, und behalte ihn einige Minuten
im Munde. Eben diese Wirkung thun 60 bis 80 Tropfen
Myrrhenessenz, in eine Tasse lauwarmes Wasser getröpfelt.
Da der Speichel zum Kauen und Verdauen der Speisen
sehr nothwendig ist, so muß man Alles vermeiden, wodurch
viel Speichel verloren geht, z. B. Tabackrauchen, Taback-
kauen und das Benetzen des Fadens beim Spinnen mit
Speichel. Es ist eine hässliche und schädliche Gewohnheit
mancher Kinder, beständig und ohne Ursache den Speichel
auszuwerfen.
VII. Gesundheitslehre.
167
12. Von der Schönheit und Vollkommenheit des
menschlichen Körpers.
Echön ist der Mensch nur dann, wenn sein von Natur wohl
gestalteter Körper gesund und vollkommen, d. h. ohne Ge-
brechen ist. Gesundheit und Vollkommenheit des Körpers ist
für jedes Geschlecht, für jedes Alter, das einzige Schönheits-
mittel; alle andere Mittel, welche Thorheit, Eitelkeit und
Betrug erfunden haben, sind elender Tünch, der wieder ab-
fällt, und traurige Spuren seines Miffbrauchs hinterlässt.
Und wodurch wird Gesundheit erlangt? Nur durch den freien
Gebrauch und durch die beständige Uebung des Körpers in
den ersten eilf Jahren des Lebens, so lange das Kind noch
Milchzähne hat. Ferner: durch den Genuß der freien, reinen
Luft; durch Waschen und Baden, leichte und freie Kleidung;
durch einfache und nahrhafte Speisen, und Wassertrinken.
Wodurch wirv die Vollkommenheit des Körpers erlangt?
Wenn der Körper, welcher in den ersten eilf Jahren durch
lreie Selbstthätigkeit in allen leichten Bewegungen geübt,
und dadurch geschmeidig gemacht wurde, nach dem eilften
Jahre durch Leibesübungen und körperliche Spiele mit der
gehörigen Vorsicht in allen schweren Bewegungen geübt, und
dadurch stark gemacht wird.
Dabei müssen sich Kinder gewöhnen, ihren Körper ge-
rade, aufrecht, mit hoher Brust, und ausgerichtetem Kopfe
zu tragen und zu halten, wenn sie stehen oder gehen,
oder sitzen. Es ist dagegen sehr schädlich, nachlässig, kruntm
und schief zu gehen, zu stehen, oder zu sitzen; es ist schäd-
!ich, die Bmst einzuziehen, den Kopf auf die Brust hängen
zu lassen, und von der Seite zu sehen.
Doch die Gesundheit und Vollkommenheit des Kör-
pers macht nicht allein die Schönheit des Menschen auS;
denn Vemunft und gute Gesinnungen sind die eigenthüm-
lichsten^ und größten Vorzüge des Menschen. Wenn also
euer Körper noch so gesund und noch so schön ist, und ihr habt
ein zorniges, rachgieriges, oder zänkisches und halsstarriges
Gemüth, seid ungehorsame oder faule, oder leichtsinnige Kin-
der, fo wird euch kein vernünftiger Mensch um eures schö-
nen Körpers willen lieben und achten. Damm bemühet
euch mit gleicher Sorgfalt, die Gesundheit und Schönheit
eurer Seele und eures Körpers zu erhalten.
168
VII. Gesundheitslehre.
13. Von dem Verhalten in Krankheiten.
Binder und Erwachsene leben nicht immer vernünftig, or-
dentlich und mäßig, und daher sind sie nicht immer gesund,
sondern fühlen sich oft krank und schwach. Wie sollen sie
sich dann verhalten?
Wer sich krank fühlt, soll sich vor allen Dingen ruhig
und geduldig verhalten, und die Hülfe eines Arztes suchen.
Das thun leider nur wenige Kranke. Sehr viele wollen in
der Krankheit nicht ruhig sein, sondern arbeiten und ihre
Gcschäffte betreiben, und dadurch machen sie die Krankheit
schlimmer. Andere wollen sich nicht geduldig den Befehlen
urrd Anordnungen des Arztes unterwerfen, sondern ge-
schwind geheilt sein, und nehmen darunr einen Quacksalber
an, der dann freilich die Krankheit oft geschwind genug
vertreibt, aber auf eine solche Art, daß eine noch gefährli-
chere Krankheit hinterher kommt.
Quacksalber nennt man die niedrigen Betrüger, welche
sich rühmen, alle Krankheiten schnell und glücklich zu hei-
len, ja sogar die Beschaffenheit und den Ursprung der
Krankheit aus dem Urin des Kranken sicher beurtheilen
zu können, und die doch nicht die allergeringste Kenntniß
vom menschlichen Körper, von den Heilkräften der Na-
tur, und von den Kräften der Arzneimittel haben, daher
auch nicht von der Obrigkeit zu Aerzten bestellt sind, son-
dern sich eigenmächtig rurd heimlich zu Aerzten auswerfen.
Ueberall finden sich solche Betrüger, und gewöhnlich sind
eS Hirten, oder Scharfrichter, oder verdorbene Hand-
werksleute. Zuweilen gelingt es ihnen, durch ihre Arz-
neien einen Kranken wieder gesund zu machen, aber dann
hat alle Mal seine starke Natur das Beste dabei gethan,
und er kann froh sein, daß er so glücklich davon gekom-
men ist. Sehr oft kommen auch ihre Betrügereien an den
Tag, und dann werden sie von der Obrigkeit so hart be-
straft, wie sie es verdienen. Sie verstehen die Kunst,
einfältige Leute auszufragen, und hernach stellen sie sich,
als hätten sie Alles an dem Urin gesehen, was ihnen diese
erst selbst in ihrer Einfalt gesagt haben. Einige richten
ihre Weiber dazu ab, daß sie die Leute, welche den Urin
des Kranken bringen, ausforschen, und ihnen dasjenige
vorher hinterbringen, was sie nachher mit großer Prahle-
VII. Gesundheitslehre. 100
rei auö dem Urin prophezeien. Andere horchen hinter
der Thür, oder hinter einer spanischen Wand, was die
Leute, welche Arznei holen wollen unter einander^ reden.
So habe ich von einem verdorbenen Schuster gehört, der
als ein Wunderdoktor weit und breit berühmt wurde; des-
sen Schwager war Schenkwirth inr Dorfe. Wenn nun
ein Kranker kam oder schickte, dessen Umstände der Schu-
ster noch nicht wusste, so war er allezeit nicht zu Hause,
oder hatte nothwendig zu thun, und seine Frau bestellte
die Leute in einer oder zwei Stunden wieder. Gewöhn-
lich sagte sie ihnen dann, sie möchten nur unter der Zeit in
die Schenke gehen, und daö thaten sie auch wohl von selbst.
Der Schenkwirth war nun von seinem Schwager, dem
Wunderdoktor, dazu angewiesen, wie er die Leute aus-
fragen sollte. Was sie ihm sagten, schrieb er geschwind
ans ein Papier, tmd schickte dies seinem Schwager. Ka-
men nun die Kranken, oder ihre Boten wieder hin zum
Schuster, so trat er mit einer großen Perükke hervor,
nahm daö Uringlas in die Hand, legte mit einer wichtigen
Miene den Finger an die Nase, und erzählte ihnen nun
io viel von ihren Umständen, daß sie vor Verwunderung
nicht wussten, was sie sagen sollten. Sie bezahlten nun
dem Lügenpropheten gern, was er verlangte, und dieser
theilte dann daö Geld mit seinem Schwager. Die Pillen,
die er den Leuten gab, machte er aus bloßer Semmelkru-
me, und vergoldete oder versilberte sie, und seine Fieber-
pulver bestanden aus Zukker, Salz und Kreide. Und es
war noch gut, daß er seinen Kranken keine schädliche Sa-
chen gab. Schlimmer machte eS ein anderer Quacksalber,
der daö kalte Fieber durch Tropfen kurirte, zu welchen er
Arsenik oder Rattengift nahm. Davon verging zwar das
Fieber schnell, aber hinterher bekamen die Leute von seinen
Gifttropsen schlimmere Zufälle, als das Fieber, und blie-
ben zeitlebens ungesund.
Es ist Aberglaube, daß Krankheiten durch Beheren
und Besprechen entstehen können. Alle Krankheiten
haben ihre natürlichen Ursachen.
I» H. waren noch viele einfältige Leute, welche an Hexen
und Hexereien glaubten, so oft sie auch vom Prediger und
von dem Schullehrer eines Besseren belehrt worden waren.
Michels Kind war verfüttert, und wurde sehr elend. Anstatt
sich an einen vernünftigen Arzt zu wenden, und das Kind mässig
170
VH. Gesundheitssehre.
und ordentlich zu halten, gebrauchte inan allerlei thörichte Mittet
gegen die Hexerei, so lange, bis das arme Kind zum Krüppel ge-
worden war. — Konrads Kind war von der ungesunden
Milch seiner Mutter, die sehr ärgerlich war, krank und schwach,
bekam Krämpfe und hatte heftige Verzukkungen, wobei es das
Gesicht schrecklich verzerrte. Die abergläubischen Aelteru
glaubten steif und fest, ihr Kind sei behext, und begnügten sich
daher, es zu bekreuzen und zu segnen, ohne einen Arzt herbei
zu rufen, und Arzneimittel zu gebrauchen. Es musste elend
sterilen.— Heinemanns Kinder hatten beim Spielen im Gar-
ten den giftigen Stechapfel gegessen; sie kamen schreiend, unter
heftigen Schmerzen, nach Hause, und klagten den Aeltern ihre
Noth. Bald bekamen sie schreckliche Verzukkungen. Die Ad-
lern, welche ihre Kinder noch kurz zuvor so munter und froh
gesehen hatten, konnten diese plötzliche Veränderung nicht be-
greifen, und ohne erst nach der Ursache zu forschen, waren sie
gleich darin einig, dass die armen Kinder behext sein müssten.
Sie schickten daher eiligst nach dem Kuhhirten in einem benach-
barten Dorfe, der in dieser Gegend als ein Wundermann be-
rühmt war. Dieser kam, gab den Kindern einen Trank ein,
wobei er mancherlei närrische Geberden machte, um die ver-
meinte Hexerei zu bannen. Allein schon in der folgenden Nacht
starben zwei von den Kindern auf die kläglichste Art, weil sie
nicht zu rechter Zeit Hülfe bekommen hatten; auch das dritte
musste sterben, weil die Hülfe des Arztes zu spät kam. Dieser
öffnete nun die todten Körper, um die Ursache des Todes zu
erforschen, und so fand es sich denn bald, dass der giftige
Saame sie geiödtet hatte. Jetzt machten sich die abergläubi-
schen Leute bittere Vorwürfe, dass sie so thöricht gehandelt,
und, vom Aberglauben verführt, die ordentliche Hülfe eines
geschickten Arztes versäumt hatten. Sie konnten sich nie hier-
über zufrieden geben.
Wenn der Arzt die Krankheit eines Menschen heilen
soll, so muß er die Beschaffenheit und die Ursache der
Krankheit wissen. Man muß daher dem Arzt alle Zufälle,
Zeichen und Umstände deS Kranken, und sein ganzes Be-
enden vom Anfange der Krankheit an, genau und richtig
erzählen, ihm die Leibesbeschaffenheit und Lebensart d?s
Kranken anzeigen, und ihm alle die Umstände sagen, weiche
die Ursache der Krankheit sein könnten. Es ist daher gut,
daß der Arzt den Kranken sehe und spreche, und selbst
die Natur und Ursache der Krankheit erforsche. Der Kranke
muß dann den Rath und die Anweisung des Arztes in
Ansehung der Lebensordnung, des Essens und Trinkens
genau befolgen, und die verordneten Arzeneien treulich
und zur rechten Zeit gebrauchen. Auch muß er diese
Arzeneien bis zum Ausgange der Krankheit fort gebrauchen,
und nicht ungeduldig oder mißtrauisch werden, wenn die
171
VIFL Don der Religionslehre.
Krankheit nicht gleich nach der ersten Arznei vergeht; denn
das ist eben so unmöglich, als daß ein Baum auf den
ersten Hieb falle.
Die Pfleger eines Kranken müssen mit ihm, als mit
einem Unglücklichen, sanft und liebreich umgehen, ihn sorg-
fältig warten und pflegen, nicht viel mit ihm reden, so
lange die Krankheit noch gefährlich ist, und dafür sorgen,
daß es still und ruhig um ihn her sei, und daß er immer
frische, reine und ttokkene Luft habe.
viir.
Bon der menschlichen Seele, von der
Religionslehre und von der heiligen
Schrift.
Wie groß auch die Vorzüge unseres meufchlicheu Kör-
perS vor dem thierischen sind, so würden sie unS doch we-
nig nützen, und zu unserer Wohlfahrt wenig oder nichts
beitragen, wenn unser Körper nicht mit einer vernünfti-
gen Seele vereinigt wäre; wenn diese Seele uns nicht
fähig machte, Gutes und Böses, Recht und Unrecht, das
Rühmliche wld das Schändliche von einander zu unter-
scheiden, und daö Gute zu lieben, das Böse zu verab-
fcheuen, das Rühmliche zu begehren und daS Schändliche
zu verwerfen. Erst durch unsere Seele sind wir Men-
schen, d. h. vernünftige, gefühlvolle und freie Geschöpfe.
DaS Thier hat nichts weiter, als Naturtriebe, und durch
diese wird cs gezwungen, das zu thun, waS zu seinem Be-
stehen und zu seiner Fortpflanzung ilöthig ist; es kann an
dem, was es thut und macht, Nichts verbessern; eS kann
auch nicht einsehen, warum es gerade dies, und nichts An-
deres thun müsse; eS kann seinen Trieben nicht widerstehen,
eö kam, sie nicht leiten und beherrschen; es weiß nicht, warum
und wozu cs da ist, und hat keine Vorstellung von Gut
md Böse, Recht und Unrecht, Freude und Leid. Nur der
172 VIII. Von der Neligionslehre
Mensch kann denken, und sich Vorstellungen machen; denn
er hat Verstand, d. h. ein Vermögen, das Gesehene,
Gehörte, Gefühlte und Empfundene gleichsam in sich ab-
zubilden, die Merkmale der gesehenen, gehörten oder em-
pfundenen Dinge und Gegenstände zusammen zu fassen
lmd zu vereinigen, und auf diese Art täglich unzählige Vor-
stellungen in sich aufzunehmen, diese mit einander zu ver-
binden und daraus Begriffe zu bilden.
Das Thier muß blindlings seinen Trieben folgen; der
Mensch kann sie beherrschen, mäßigen und leiten. Ich kamt
z. B. am Morgen, wenn ich geweckt werde, dem sumlichen
Triebe zur Ruhe, der mich anregt, noch länger zu schla-
fen, Widerstand leisten, und zwar durch die Vorstellung
meiner Vernunft, daß es thöricht und unrecht sein würde
noch länger zu nihen, wenn der Körper nicht mehr der
Ruhe bedarf, und die kostbare Zeit, welche nützlich ange-
wandt werden soll, durch längeres Schlafen zu verschwen-
den. Ich fühle auch einen mächtigen Drang, das zu thun,
was meine Vernunft mir sagt. Es ist mir nicht möglich
das zu lieben und gut zu heißen, waö ich durch mein Nach
denken für tlnrecht und böse erkenne, und lch habe eir
schmerzliches Gefühl in meinem Innern, ich bin unruhig
und voll Furcht, so oft ich mich durch meine sinnlichen Triebe
verleiten ließ, daS Unrechte zu thun. Ich kann mich nicht
von Herzen freuen, wenn ich mir dadurch ein Vergnügen
verschaffte, daß ich meinen Aeltern ungehorsam war, und
es hört auf, für inich ein Vergnügen zu sein, wenn ich mir
bewusst bin, daß ich um dieses Vergnügens willen Etwas
unterlassen habe, was ich hätte thun sollen. Ich sehe ein,
daß ich Alles thun soll, waS ich durch mein Nachdenken
für recht und gut erkenne, und Alles unterlassen soll, was
meine Vernunft für unrecht und böse erkennt. Ich erkenne
aber Alles oas für recht unv gut, wovon ich wünschen kann,
daß es alle Menschen thun und lieben möchten, und wenn
ich das Gute gethan, das Böse verworfen und unterlassen
habe, so bin ich mit mir selbst zufrieden, so bin ich fröhlich
und fühle keine Furcht; wenn ich dagegen das Böse that,
und das Gute unterließ, so bin ich traurig, furchtsam und
ängstlich, und Nichts in der Welt kann mich dann erfreuen;
ich klage mich bei mir selbst an, und erkenne nrich für straf-
bar. Und diese Traurigkeit, diese Aengstlichkeit und Furcht
fühle ich auch dann, wenn ich ganz sicher bin, daß kein Mensch
173
und der heiligen Schrift.
das Böse erfahren und strafen werde, welches ich gethan
habe; ja, ich fühle sie sogar, wenn ich nur an das Bost
denke, welches ich thun mochte, und mich dazu entschließe.
Und doch darf ich nicht fürchtet!, daß mir irgend ein Mensch
ins Herz sehen, oder meine Gedanken errathen werde. Wo-
her kommt nun diese Furcht in meiner Seele? Woher die
Besorgniß, daß ein Unsichtbarer mich sehen, mich hören,
mich strafen werde, wenn ich Böses spreche oder thue? Ich
kann nicht glauben, daß dies eine leere Einbildung sei; denn
ich weiß, daß die Furcht vor einem mächtigen Unsichtbaren,
der Alles sieht und weiß, auch in den Seelen anderer Men-
schen sich regt. So oft ich am Abend zum gestirnten Him-
mel hinausblikke, und das unzählbare Heer der Sterne mit
Wonne betrachte; so oft ich den prachtvollen Regenbogen
am Himmel erblikke, oder die Sonne in ihrer Herrlichkeit
aufgehen und untergehen sehe; so oft ich den Donner rol-
len höre, und ein Blitzstrahl aus schwarzer Wetterwolke vor
mir niederfährt, so oft ergreift der Gedanke an ein unsicht-
bares und höchst mächtiges Wesen meine Seele mit einer
wunderbaren Gewalt. Denn daß alles dies Große, Furcht-
bare und Herrliche nicht von Menschen herkomme; daß das
Schönste, was auf dieser Erde ist, nicht Menschenwerk hu,
dies sagt mir mein Verstand, und ich kaun den Gedanken
nicht aus meiner ^eele entfernen, daß ein Wesen da sein
müsse, welches viel mächtiger, weiser und gütiger ist, als
die Mächtigsten, Weisesten und Gütigsten unter den Men-
schen; ich fühle mich gedrungen, dieses unsichtbare Wesen
zu lieben und zu ehren, so innig, wie ich Vater und Mutter
siebe und ehre; ich kann den Glauben nicht aufgeben, daß
der Unsichtbare, den ich Vater nennen möchte, mich kenne,
mich liebe und für mich sorge. Auch höre ich, daß alle Men-
schen um mich her an diesen Unsichtbaren glauben, ihn Goti
und Schöpfer, Herrn aller Herren, und Regierer der Welt
nennen, und ihn verehren. Ich sehe, daß die Menschen
diesem Gott ju Ehren schöne Gebäude errichtet haben, welche
Kirchen oder Tempel genannt werden, und worin sie an je-
dem ersten Tage der Woche zu ihm beten, und ihn durch Lob-
gesänge verehren.
Ihr, lieben Kinder, die ihr durch die Gefühle eures
Herzens zu dem Glauben an Gott gekommen seid, chr
sollt nun den gütigen und weisen Vater im Himmel, der
euch und Alles, was ihr um euch sehet, geschaffen hat aus
174
Vin. Bon der Religionslehre
einem Buche näher kennen lernen, welches von ihm selbst
herkommt,-und worin er den Menschen vor Jahrtausenden
durch fronnne und einsichtsvolle Männer seinen Willen kund
gethan hat. Nehmet daher nicht anders, als mit Ehrfurcht,
dies unschätzbare Buch in die Hand. Ihr wisset schon, daß
es die Bibel, oder die heilige Schrift, oder die Of-
fenbarung GotteS genannt wird, und daß es auS
zwei Abtheilungen besteht, wovon die erste, welche 52
Schriften enthält, das Alte Testament, die andere,
welche aus 27 Schriften besteht, das Neue Testament
genannt wird.
Ihr findet in diesem Buche theils Erzählungen von bet
Schöpfung der Welt und den ersten Bewohnern der Erde,
und von den ältesten unter allen Völkern, den Israeliten
oder Juden, theils herrliche Loblieder, in welchen die Macht,
die Weisheit, Güte, Gerechtigkeit und Heiligkeit GotteS
geschildert wird; theils Lehren, Ermahnungen und Sit-
tensprüche, welche zusammengenommen die ReligionS-
lehre genannt werden. Diese Religionslehre giebt uns
Antwort auf folgende Fragen unserer nachdenkenden Ver-
nunft: woher bin ich mit allen meinen Anlagen, Kräften
und Fähigkeiten, und woher ist die Welt? Wozu sind mir
die Kräfte und Fähigkeiten meines Geistes gegeben? Wel-
ches ist meine Bestimmung, und was habe ich zu thun, um
meine Bestimmung zu erreichen, und meinem Schöpfer und
Herrn wohlgefällig zu werden?
Die 5 Bücher Mosis machen den Anfang des A.T.
Moses erzählt uns darin Folgendes: Die Schöpfung der
Welt und der ersten Menschen, Adam und Eva, welche in
einem Paradiese lebten, sündigten, das Paradies verlassen
und nun im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen
mussten; von Kain und Abel und Seth, den Söhnen der
ersten Menschen; von den ersten Erfindern, Jubal und
Tubalkain; von Methusala, der 969 Jahre alt ward; von
einer großen Überschwemmung (Sündfluth), welche die
höchsten Berge überstieg, und aus welcher nur der fromme
Noah mit seiner Frau und drei Söhnen, Sem, Ham
und Japhet, errettet wurde, weil Gott sie schützte; von
dem ersten großen Bau, den die Menschen unternahmen,
dem Thurmbau zu Babel, bei welchem Sprachverwirnmg
und Trennung entstand; von dem ftommen Abraham,
der mit seiner Sara auS Chaldäa nach dem Lande Ka-
175
und der heiligen Schrift.
na an zog, und mit dem der Herr oftmals redete; von
oem schrecklichen Untergänge der Städte Sodom und Go-
morra, welchen! allein Lot, Abrahams Bruderssohn, durch
göttliche Fügung entging; von der Geburt Isaaks, den
Abraham aus Gehorsam gegen Gott opfern wollte; und
von der Errettung Isaaks durch einen Engel des Herrn
ver dem Abraham verkündigte: durch deine Nachkommen
sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden. Die Bücher
Mosis erzählen dann von der Verheirathung Isaaks mit
Rebekka; von dem Tode Abrahams im 175sten Lebens-
jahre von der Geburt der Zwillingssöhne Isaaks, Esau
und Jakob, und der Flucht Jakobs nach Harun zu La.-
bau, seiner Mutter Bruder; von seiner endlichen Rückkehr
nach Kanaan mit seinen beiden Frauen Lea und Ra-
Hel und mit zwölf Söhnen; von seiner Aussöhnung mit
Esau; von der Erscheinung Gottes, durch welche ihm der
Raine Israel zu Theil wurde; von dem schweren Kum-
mer, den er durch die Verlausung Josephs, seines jün-
geren Sohnes, erlebte, den seine eigenen Brüder unbarm-
herzig zur Sklaverei verurtheilten; von Josephs traurigen
nnd glücklichen Schicksalen in Aegypten; seiner Erhe-
bung zum ersten Minister des Königs; von der Reise
seiner Brüder nach Aegypten zur Zeit einer Hnngersnoth;
und wie sich endlich Joseph seinen Brüdern zu erkennen
giebt, nachdem er sie zuvor auf die Probe gestellt hatte:
wie Jakob dann, auf Josephs Einladung, in hohem Alter
mit seiner ganzen Familie nach Aegypten zieht, und daselbst
stirbt im 147stelr Lebensjahre; wie seine Nachkommen, die
Israeliten, sich vermehrten, und schreckliche Bedrükkun-
gen von den ägyptischen Königen ausstehen mussten, die
endlich die Ausrottung dieser Fremdlinge beschlossen. In
dieser Zeit ward Moses selbst, der Alles dies erzählt, ge-
boren; er entging dem Tode, zu welchem der grausame
König alle neugeborne israelitische Knaben verurtheilt
hatte, durch die Klugheit seiner Mutter, und ward an dem
königlichen Hofe erzogen. Als er zum Manne herange-
wachsen war, sah er das Elend seiner Brüder, erschlug, in
wildem Grimm über die Mißhandlung derselben, einen Ae-
gypter, und floh nach Midian, wo er die Tochter eines
Priesters, Zipora, heirathete, und wo ihm Gott am Ho-
reb erschien. Aus Gottes Befehl ging er nach Aegypten zu-
rück, um die Israeliten zu erretten, und nach Kanaan zu»
176 VIII. Von der Religionslehre
rückzusühren. Mil Hülfe seines Bruders Auron gelingt
es ihni unter Gottes Beistände, den Auszug der Israeliten
bei dem Könige zu bewirken. Nach einem Aufenthalte von
430 Jahren ziehen die Israeliten, sechshundert tausend
Mann, ohne die Kinder, stark, durch das rothe Meer, und
durch die Wilsten Arabiens, in einer Zeit von 40 Jahren,
nach Kanaan, erhalten ani Berge Sinai die Gebote Gottes,
bauen ein tragbares Tempelgezelt, die Stiftshütte genannt,
und werden durch die Wuilder der göttlichen Allmacht aus
Hunger und Noth errettet. An den Gränzen Kanaans
stirbt Moses, nachdem er den Josua zu seinem Nachfolger
ernannt hat. MoseS war 120 Jahr alt, da er starb)
seine Augen waren nicht dunkel werden, und seine Kraft
war nicht verfallen. Die Israeliten beweinten ihn 30
Tage, und es stand hinfort kein Prophet in Israel aus,
wie Moses.
Das Buch Josua erzählt Folgendes: Josua zog über
deil Jordan mit dem israelitischen Heer, eroberte Jericho
und daS übrige Land, und theilte eS unter die 12 Stämme
der Israeliten; die Leviten aber bekamen kein Erbtsteil in
Israel, sondern man gab ihnen Städte in allen Stämmen,
48 an der Zahl. Unt> der Herr war mit Josua, daß
man von ihm redete in allen Landen. Cr starb, da er
110 Jahr alt war.
Späterhin kam ein Geschlecht auf, das den Herrn ver-
gaß, und was er an Israel gethan halte. Das Volk sün
digte schwer, und betete an die Götzen der Völker, die um
sie her wohnten. Damm wurden sie hart gedrängt von ist'
ren Feinden, und konnten ihnen nicht mehr widerstehen.
Doey erweckte der Herr zur Zeit der Noth Helden unter
ihnen, die sie erretten, und zu Gericht saßen im Frieden.
Die ersten waren Arhniel, Ehud und Samgar. Dann
trat eine Heldinn auf, Debora, zog mit Barak gegen
die Feinde ihres Volks, und kehrte siegreich zurück. Zu
einer andern Zeit siegte Gideon über Israels Feinde, und
zerstörte die Altäre der Götzen, und als man ihm die Herr-
schaft anbot, sprach er: ich will nicht Herr sein über euch,
sondern Jehova soll Herr über euch sein. — Dann machte
sich Simson durch Leibesstärke und kriegerische Thaten
beriihmt; aber er war ein roher, lasterhafter und grausamer
Held, darum gerietst er endlich in die Hände seiner Feinde
177
und der heiligen Schuft
der Philister, und nahm ein trauriges Ende. DieS ist der
Hauptinhalt des Buchs der Richter.
DaS folgende Buch Ruth erzählt die Schicksale einer
frommen Familie, aus welcher der berühmte König David
abstammte.
Die Bücher Samuels erzählen die Geburt, Ju-
gendgeschichte und Thaten eineö sehr weisen und frommen
Mannes, des Samuel. Er ward von seinen Aeltern
dem Herrn geweiht, und zum Priester Jchova's bestimmt,
und daher dem Richter und Priester EU zum Unterricht
und zur Leittmg übergeben. AtS dieser, bei der Schrek-
kenSnachricht, daß feine Söhne in der Schlacht gegen die
Philister den Tod gefunden hätten, und die Bundeslade,
welche sie dem Herrn vorangetragen hatten, in feindliche
Hände gerathen sei, vom Stuhle siel, und starb, ward
Samuel Richter über Israel, und er ließ eö sich angele-
gen sein, durch Ermahnungen und Strenge die eingeris-
sene Abgötterei zu vertilgen. Als bessere Gesinnungen
und Gefühle ln die Herzen gekommen waren, erwachte
auch der vorige Heldenmuth; rie Philister wurden ge-
schlagen, und Samuel richtete zum Andenken des SlegeS
einen Stein auf, und sprach: bis hieher hat unS der Herr
geholfen. Samuel richtete Israel fein Leben lang, und
als er alt ward, setzte er seine Söhne zu Richtern. Aber
seine Söhne wandelreit nicht in seinem Wege, sondern
neigten sich zum Geiz, und nahmen Geschenke, und beug-
ten das Recht. Da kamen die Aelteften deS Volks zum
Samuel, klagten seine Söhne an, und verlangten, daß er
ihnen einen König wähle. Er wählte den Saul, einen
jungen Mann; es war kein schönerer Jüngling unter den
Israeliten; eines Hauptes länger, denn alles Volk. AlS
er ihn dem Volke vorstellte, jauchzte es und ries: Glück
zu dem Kömge! Als Samuel sein Richteramt feieriicb
niederlegte, gab ihm alles Volk daS Zeugniß: du haft uns
keine Gewalt, noch Unrecht gethan, und von Niemandes
Hand Etwas genommen.
Jonathan, Sauls Sohn, ein kriegerischer Jüng-
ling, reizte die Philister zu einem neuen Kriege gegen
Israel, und sie kamen mit einer furchtbaren Macht. Mu-
rhig drang Jonathan in ihr Lager: es ist dem Herrn nicht
schwer, sprach er zu seinem Waffenträger, durch viel oder
wenig zu helfen. Er verbreitete Furcht und Schrekken
12
178 Vili. Von der Religionslehre
umer ihnen; sie flohen ohne Kampf. Und Saul befestigte
sich rm Königthum über Israel, und stritt wider alle seine
Feinde mit Muth und Glück, und errettete sein Volk von
der Gewalt Aller, von welchen sie bisher beraubt worden
waren. Aber nun ward er gottesvergessen, und achtete
mehr auf die Wünsche des Volks, als auf des Herrn
Willen. Der ehrwürdige Samuel machte ihm deshalb
ernstliche Vorstellungen, und sprach zu ihm: du hast übel
gehandelt vor der: Augen des Herrn, und weil du rlun des
Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen.
Gehorsam ist besser, denn Opfer. Saul war sehr betriibt.
Samuel aber erhielt von Gott den Befehl, nach Bethle-
hem zu gehen, und dort einen andem König zu erwählen.
Und der Herr sprach zu ihm: siche nicht auf seine Gestalt,
noch feine große Person; ich habe ihn nicht auserwählet,
denn ich wähle nicht, wie ein Mensch stehet; der Mensch
stehet, was vor Augen ist, der Herr aber siehet das Herz
an. Da erwählte und salbte Samuel den Jüngling Da-
vid, den Sohn I sai's, der die Schaafe hütete.
Als bald nachher David seinen Brüdern, die mir
Saul in den Stteit gezogen waren, Speise brachte, hörte
er, daß ein Mann von Riesengestalt, Goliath, die
Jsraeltten verhöhnte und zum Kampf herausforderte, und
daß niemand den Kampf wagen wollte, obgleich der Kö-
nig versprochen habe, den, der ihn besiegen würde, sehr
reich zu machen, und ihm seine Tochter zu geben. So-
gleich erklärte er, daß er mit dem Philister zu streiten ent-
schlossen sei; und als der König einwilligte, ging er, bloß
mit seiner Schleuder bewaffnet, dem Riesen entgegen,
und erlegte ihn wirklich. Seit der Zeit verband sich das
Herz Jonachans mit dem Herzen Davids, und Jonathan
liebte den Jüngling, wie sein eigen Herz. David ward
des Königs Waffenträger, und erheiterte ihn durch sein
Saitenspiel. Als aber einst das Volk dem siegreichen Da-
vid zu Ehren sang: Saul hat tausend geschlagen, aber
David zehntausend, regte sich wilde Eifersucht irr dem
Herzen des Königs, und von diejer Stunde an trachtete
er dem David nach dem Leben, ob er ihm gleich seine Toch-
ter Michal zur Gattinn gegeben hatte. Vergeblich ward
Jonathan Davids Fürsprecher und Vertheidiger; David
musste entfliehen, um sein Leben zu retten. In einer
Wüste ttaf er mit seinem wüthenden Verfolger Zufällig irr
179
und der heiligen Schrift.
einer Höhle zusammen, und hatte es in seiner Gewalt,
ihn zu todten, verschonte ihn aber edelmüthig, und Saul
musste ihm nnt Beschämung gestehen: du bist gerechter,
denn ich; du hast mir Gutes, ich aber habe dir BöseS ge-
than; der Herr vergelte dir Gutes für daS, waö du heute
an mir gethan haft. — Zum zweiten Mal war Saul in
Davids Gewalt, als dieser mit Abisai es wagte, in der
Nacht bis in das Zelt des Königs zu dringen, und ihm
Spieß und Becher zu nehmen. Auch dies Mal gestand
Saul dem Verfolgten: ich habe thöricht und sehr unweis-
lich gethan. Dennoch wagte es David nicht, an seinen
Hof zurückzukehren, sondern flüchtete sogar zu den Phi-
listern, weil er sich nur da sicher glaubte. Er kehrte auch
nicht eher in sein Vaterland zurück, als bis er die Bot-
schaft erhielt, daß Saul auf dem Gebirge Gilboa mit sei-
nen drei Söhnen in einer Schlacht gegen die Philister um-
gekommen sei, und zwar der unglückliche König durch sein
eigenes Schwert, in welches er sich aus Verzweiflung
stürzte. Auftichtig und innig trauerte David um Saul
luw Jonathan. Der Stamm Juda erkannte ihn als Kö-
nig, und er nahm feinen Sitz zu Hebron. Ein Sobn
Sauls, Jöboseth, ward König über das ganze übrige
Israel. Doch schon nach 2 Jahren huldigte das ganze
Land dem David, der mm in Jerusalem, aus der Burg
Zion, wohnte.
Durch einen Ausruhr, den sein eigener Sohn Absa-
lom anstiftete, wurde David gezwungen, seine Residenz
zu verlassen, und seine Rettung in der Flucht zu suchen.
Doch bald kehrte er zurück, als der tapfere Joab daS
Heer der Aufrührer geschlagen, und den Absalom auf sei-
ner Flucht getödtet hatte. Als David alt imo wohl beten
gel war, ernannte er seinen Sohn Salomo zum Thron-
folger, und übergab ihm die Regierung. Er entschlief,
nachdem er 40 Jahre regiert hatte. Salomo befteundete
sich mit Pharao, dem Könige in Aegypten, tmd nahm des
Königs Tochter. Gott gab ihm große Weisheit und ein
gettoftes Herz, daß seine Weisheit größer war, denn Al-
ler Söhne des Morgenlandes, und er redete 3000 Sprüche,
und seiner Lieder waren tausend und fünf. Im vier-
ten Jahre seiner Regienurg unternahm er den Bau eines
prachtvollen Tempels, 480 Jahre nach dem Ausgang der
Israeliten aus Aegypten. Unter seiner Regierung wohnte
12*
180 VIE. Von der Religionslehre
r>as Volk sicher, ein Jeglicher unter seinem Weinstock und
unter seinem Feigenbaum. Er regierte über 40 Jahre,
lind sein Sohn Reh a bea m ward König an seiner Statt,
doch nur über zwei Stämme; die Uebrigen wählten sich
den Jerobe am zum König, und eö gab nun ein Reich
Juda und ein Reich Israel. Höchst traurig waren die
Schicksale beider Reiche, weil die Könige grausam und
abgöttisch waren, und die Propheten (Verkündiger) deS
wahren Gottes hinrichten ließen, oder verjagten, beson-
ders aber das Schicksal des Reiches Israel, dessen letzter
König Ho se a dem Könige von Assyrien sich unlerwersen
musste, worauf daö ganze Volk nach Assyrien geschleppt
wurde. An seine Stelle wailderten Fremdlinge ein, die
mit den wenigen zurückgebliebenen Israeliten ein neues
Volk ausmachten, welches man Samariter nannte.
Hundert und dreißig Jahre später wurde das Reich
Juda auf ähnliche Art von dem mächtigen Babyloni-
schen Könige Rebucadnezar zerstört. Unter dem letzten
Könige Zedekia wurde Jerusalem belagert und erob-rt,
der unglückliche König gefangen, alle seine Kinder vor
feinen Augen getödtet, er selbst, nachdem man ihm bv>
Augen ausgestochen hatte, nach Babylon geschleppt, der
herrliche Tempel geplündert und verwüstet, das ganze Volk
in die Babylonische Gefangenschaft geffchrt. Erst nach
70 Jahren erhielten die Juden von den. Persischen Könige
Ey rus die Erlaubniß, in ihr Vaterland zurückzugehen.
Ser u babel, ESra und Rehe mia waren ihre Anfüh-
rer. Die Mauern Jerusalems wurden wieder ausgebaut,
endlich auch der Tempel und die Verehrung Jehova'S
wieder hergestellt.
Alö späterhin das persische Reich von Alexander,
Könige von Macedonici!, zerstört wurde, kam Judäa
erst unter die Herrschaft der Aegypter, dann der Syrer,
Der Wüthcrich Antiochus EpipHanes erlaubte sich
vie schrecklichsten Grausamkeiten gegen die Juden, uin
sie zum Abfall von der Verehrung deS wahren Got-
tes, rmd zum Götzendienst zu bewegen; aber Tausende
blieben dem Glauben der Väter unter Martern und Tod
getreu, und endlich ttat eine Heldenfamilie, die fünf Söhne
des Priesters Matthathiaö, gegen den Tyrannen auf, und
errang unter den drei Helden Judas Maccabäus, Jona-
than und Simon dem armen Volke nach einem heißen
181
und ber heiligen Schrift.
Kampfe die Freiheit, die es auch 130 Jahre unter der
Herrschaft dieser Makkabäer behielt, worauf es unter
die Botmäßigkeit der Römer kam, die eine andere Fami-
lie, die H ero diane r genannt, auf den Thron setzten,
doch ohne ihr große Gewalt zu verleihen. In den letzten
Regierungsjahren des grausamen Herodes des Großen
wurde JesuS Christus geboren.
Dies ist der Hauptinhalt der historischen oder Ge-
schichtsbücher des alten Testaments, nämlich der Bücher
Mosis, Josua, Ruth, Richter, Samuels, der Könige, der
Chronica, C'sra, Nehemia. Die übrigen sind Lehr-
bücher, und zwar dichterische, näinlich das Buch Hiob,
die Psalmen, (eine Sammlung von 150 Gesängen) die
Sprüche Salomo's, der Prediger Salomo, das hohe Lied
Salomo's, und prophetische Schriften, 17 an der Zahl,
welche man in die große» und kleinen Propheten theilt. Die
prophetischen Bücher enthalten kräftige Ermahnungen zur
Treue gegen Jehova, Warnungen vor Abgötterei, Klagen
über Gotteövergessenheit deö Volks, Ankündigungen göttli-
cher Strafen, und Aufforderungen zur Besserung. Daniel
schrieb sein Buch wahrend der Babylonischen Gefangenschaft:
Haggai, Zacharia und Maleachi schrieben nach der Rück-
kehr der Juden. Dem alten Testamente sind noch die apo»
kryphischen (geheimen) Bücher angehängt, zu welchen die Ge-
schichtsbücher Tobias und der Maccabaer und die Lehrbücher
Buch der Weisheit und Jesuö Sirach gehören.
All-gemein hatte sich, als die Bedrükkung immer
größer wurde, das Sittenverderbniß immer höher stieg,
unter den Juden, und selbst unter benachbarten Völkern,
der tröstende Glarrbe verbreitet, daß aus Davids Familie
ein Retter aufstehen, und den Untergang von seinem Volke
abwenden werde. Man legte diesem Retter den Namen
Messias oder Christus bei, d. h. Gesalbter, weil man
einen Helden erwartete, der ein nrächtiges Reich aufrichten
werde. Endlich erschien wirklich der so lange erwartete
Retter; er wurde in der Stadt Davids, in Bethlehem,
von der Maria, einer Jungfrau aus Davids Geschlecht,
geboren, und ihm ging ein Mann voran, der durch Fröm-
migkeit, Eifer und Strenge den alten Propheten sich gleich
stellte, Johannes der Täufer genannt, der an den Ufern
des Jordans die Besseren des Volks um sich versammelte,
und sie durch eine Taufe, d. h. durch feierliche Untertau-
182 VÍÜ. Von der Religionslehre
chttng unter bas Wasser, als Gereinigte uno Gebesserte
von den übrigen aussonderte. Weit entfernt, sich für den
Messias zu erklären, kündigte er vielmehr die nahe Erschei-
nung desselben mit der demuthsvollen Erklärung an: der
nach mir kommt, ist größer, denn ich, und ich bitt nicht
werth, ihm die Schuhriemen zu lösen; ich taufe euch nur
mit Wasser, er wird euch mit Feuer und mit dem heiligeit
Geiste taufen. In Nazareth, einer Stadt des Ländchens
Galiläa, wuchs Jesus Christus, den Gott zum Heiland der
Welt bestimmt hatte, zum Jünglinge und Manne heran,
ohne daß sein Volk ahncte, daß er, der Bescheidene und
Zurückgezogene, der Retter sei, den man seit Jahrhunderten
erwartete. Erst mit dem dreißigsten Jahre geht Jesus auS
seiner Abgeschiedenheit hervor, und tritt nun unter das stau-
nende Volk, mit der Erklärung, daß er der Sohn und Ge-
sandte Gottes, der verheißene Messias, sei. Er mischt sich
unter die Anhänger und Verehrer des Johannes, und
lässt sich von diesem taufen, um den Mann zu ehren, der
mit unerschrokkener Freimüthigkeit dem Volke und seinem
grausamen Beherrscher die Wahrheit sagte. Johannes aber
ruft ihm entgegen: sehet, das ist Gotteö Lamm, welches der
Welt Sünden rrägt!
Jesus betrachtete mit schmerzlicher Wehmuth daö
Elend seines Volkes. Von seinen Priestern und Schrift-
gelehrten im Aberglauben bestärkt, und in der tiefsten Un-
wissenheit erhalten, hielt es das Opfern und daö gedan-
kenlose Hersagen langer Gebete, die genaue Beobach-
tung der vorgeschriebenen Fasten und Reinigungen, für
Frömmigkeit; es verehrte Gott mit den Lippen, indeß
das Herz fern von ihm war. Jesus ruft alle Muhst!igen
und Beladene zu sich, und verheißt ihnen, daß er sie er-
quikken, und ihnen Ruhe geben wolle für ihre Seele,
wenn sie sein Joch aus sich nehmen, und von ihm lernen
wollten. Durch wundervolle Heilungen macht er die
Aufmerksamkeit des Volkes rege, und erwirbt sich Liebe
und Vertrauen als Erretter der Unglücklichen. Bald ist
das ganze Land mit dem Rufe seiner Thaten, seiner Weis-
heit und seiner Menschenliebe erfüllt, und Tausende sam-
meln sich um ihn, wo er erscheint. „Er predigt gewaltig
und nicht wie die Schriftgelehrten; so wie _ dieser, bat
noch nie ein Mensch geredet;" das sind die Urtheile,
welche man über ihn fällt, und die den Neid und die Ei-
183
und der Herligen Schrift.
fersucht der Schriftgelehrten gegen ihn rege machen. Ein
großer Prophet, heißt es von ihm, ist unter l'ns aufgestan-
den, und Gott will sein Volk heimsuchen. Doch, wie sehr
man auch den Wunderthäter anstaunt und rühmt, er muß
dennoch mit schwerem Herzen klagen: „mit sehenden Au-
gen sehen sie nicht, und mit hörenden Ohren hören sie
nicht;" nur sehr Wenige achten auf seine Lehren und Er-
mahnungen, und nehmen sie zu Herzen. Nur zwölf getreue
Schüler, die er seine Apostel oder Boten nannte, und spä-
terhin noch siebzig andere, sammelt er endlich in den niedern
Ständen, unter den Fischern und Zöllnern. Sie begleiten
ihn, und werden von ihm ausgesandt, seine Erscheinung
anzukündigen. Sein schönes Tagewerk ist lehren, segnen,
trösten und erretten; er ist der Freund aller Unglücklichen;
den Armen predigt er sein Evangelium; selbst die Sünder
ruft er liebreich ztl sich, und ist bemüht., sie zu bessern.
Aber die Girnst der Großen und Mächtigen verschmähet er,
und scheuet sich nicht, den Haß der Schriftgelehrten und
Pharisäer, dieser schamlosen Heuchler und Verführer, auf
sich zu laden, indem er laut ihre Scheinheiligkeit und ihre
Gewinnsucht rügt, und das Wehe über sie ausruft. Er
siehet es vorher, daß er in kurzer Zeit ein Opfer dieses
unversöhnlichen Hasses werden müsse; aber sein frommes
und menschenfreundliches Herz kann nicht die Wahrheit
aus Menschenfurcht verleugnen oder verschweigen, und seine
Seele ist stark genug, um der Wahrheit willen alle Lei-
den der Erde, und selbst den Tod zu erdulden. Bald
genug bricht der Groll der Schriftgelehrten und Pharisäer
gegen ihn auö. Da sie es vergebens versuchen, ihn
durch Verläumdungen und durch Verdrehung und Miß-
deutung seiner Aussprüche dem Volke verdächtig und ver-
lasst zu machen, so wissen sie endlich mit der boshaftesten
Hinterlist, einen seiner vertrauten Jünger, den Judas
I schar Loth, dessen Geldgeiz sie kannten, dahin zu bringen,
daß er der Verräther seines Freundes und Lehrers wird.
Obgleich Jesu diese Verrätherei nicht verborgen geblieben
war, so entschließt er sich dennoch, als das Osterfest
herannaht, seinen Feinden unter die Augen zu treten,
fest überzeugt, daß sie so lange, bis seine Sttmde ge-
kommen sei, keine Macht über ihn haben werden. Mit
Weisheit und Liebe bemüht er sich, seine Jünger, beson-
ders dm feurigen Petrus, aus das traurige Schicksal,
184 VIII. Von der Religionslehre u. d. heil. Schrift.
das ihm bevorstand, aufmerksam zu machen, und ihnen
r>as muthvolle Vertrauen zu Gott einzuflößen, das ihn selbst
beseelte. (Joh. 14, 18—20. 28 — 31. Kap. 15, 12. 13.
16 — 20. 31. 32.) Dann versammelte er sie am letzten
Abend seines Lebens noch ein Mal um sich, tmb stiftete
ein Gedächtnißmahl seines Todes. Bei dem Anbruche der
Nacht geht er mit ihnen, indeß der Verräther ihm, ohne
es zu glauben, den Untergang bereitet, hinaus vor die
Stadt, und bei dem Meierhofe Gethsemane, auf dem
Oelberge, kämpft er mit den Schrekken des Tooes, und
betet: „ists möglich, o Vater, so gehe dieser Kelch vor mir
vorüber, doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe/
Mit bewundernswürdiger Seelenstärke geht er dann der
Schaar entgegen, die, vom Judas geführt, ihn in der Mit-
ternachtsstunde gefangen nehmen soll, und tritt unerschrokken,
mit der Würde der Unschuld und Frömmigkeit, vor den
hohen Rath,, wo erkaufte Zeugen gegen ihn auftreten, und
ihn der Gotteslästerung beschuldigen. Er vertheidigt sich
nicht, erklärt aber freimüthig, daß er der Sohn Gottes
fei, und erträgt grausame Mißhandlungen, die man sich
schamlos gegen ihn erlaubt, mit edelmüthiger Gelassenheit.
Als der Tag anbricht, führt man ihn vor den römischen
Statthalter Pontius Pilatus, klagt ihn der Empörung an,
und fordert seine Hinrichtung. Pilatus, obgleich von der
Unschuld Jesu überzeugt, hat doch nicht den Muth, seine
Macht zu gebrauchen, um den unschuldig Angeklagten zu
retten; sondern, nachdem er einige Versuche gemacht hat,
das aufgewiegelte Volk zu besänftigen, begnügt er sich,
öffentlich zu erklären, er wolle keinen Theil haben an der
Hinrichtung dieses Gerechten, willigt aber zugleich in die
Kreuzigung Jesu. (Joh. 19, 1 — 16. Luc. 23, 14 — 25.
Matth. 27, 24 — 31.) Schrecklich gemißhandelt von den
rohen Soldaten, denen er nun übergeben wird, begleitet von
einem zahllosen Volkshaufen, der kein Erbarmen fühlt, nur
von einigen gefühlvollen Frauen beweint (Luc. 23, 27 —
31.), geht Jesus mit festem Muthe dem Tode entgegen,
und stirbt auf Golgatha den Tod der Missethäter, obgleich
Niemand ihn einer Sünde zeihen konnte. Unter den stechen
Verspottungen der Schriftgelehrten und Aeltesten betet
er: Vater, vergieb ihnen; sie wissen nicht, was sie thun;
sammelt dann seine letzten Kräfte zur Tröstung seiner Mut-
ter, oie er dem Johannes übergiebt mit den Worten: siehe,
IX. Von der Zeitrechnung und vom Kalender. 185
daS ist deine Mutter! und spricht sterbend: Vater, ich be-
fehle meinen Geist in deine Hände! An seinem Kreuze
wird ihrn daö Zeugniß zu Theil: wahrlich, dieser ist ein
frommer Mann, und Gottes Sohn gewesen! und im Tode
wird er von der dankbaren Liebe des Joseph von Arima-
thia geehrt, der deu Leichnam in ein neues Grab legen lässt.
Hier ruht der Gekreuzigte, nach seiner Vorhersagung, nur
bis zum Morgen des dritten Tageö; dann wird er von
Gott verherrlicht durch die Auferstehung. Noch 40 Tage
hindurch sehen die erstaunter: Jünger imb Freunde Jesu
den Auferstandenen in ihrer Mitte, freuen sich seiner Ver-
herrlichung, empfangen seine letzten Belehrungen und Er-
Mahnungen, und dann den Befehl: gehet min hin in alle
Welt und lehret alle Völker, und Laufet sie im Namen
GotteS, des Vaters, des Sohnes, und des heiligen Gei-
stes, und lehret sie halten alle meine Gebote. (Joh. 20.)
Zu Bethanien sehen sie ihn zum letzten Male; hier segnet
er sie noch ein Mal, scheidet von ihnen, und fährt gen
Himmel. Am zehnten Tage nach seiner Himmelfahrt geht
die Verheißung an ihnen in Erfüllung, mit welcher sie Je-
sus bei dem Abschiede getröstet hatte: „ihr werdet angethan
werden mit Kraft aus der Höhe;" denn am Tage der
Pfingsten fühlten sie sich alle auf ein Mal von einem gött-
lichen Geiste erhoben und erleuchtet, sie wurden alle voll
des heiligen Geistes, und werden nun unerschrokkene Ver-
kündiger der Lehre des Auferstandenen. Der glücklichste
Erfolg krönet ihre Bemühungen; denn, aller Verfolgun-
gen und Hindernisse ungeachtet, bekennen sich in kurzer
Zeit Tausende zur Lehre Jesu Christi; überall entstehen
christliche Gemeinden in den umliegenden Ländern; das
Christenthum siegt über alle Angriffe und alle Verfolgungen,
und wird die Religion deS ganzen Menschengeschlechts.
Bon der Zeitrechnung und vom Kalender.
Eigentlich heißt die Zecr vom Ausgange der Sonne bis zum
Untergange derselben du Tag, und dies wäre der natür-
186 IX. Von der Zeitrechnung und dem Kalender.
lief)c Tag. Aber so berechnen wir unsere Ta^e nicht, denn
sonst würden sie niemals aus vier und zwanzig Stunden,
sondern mitten im Sommer höchstens aus sechzehn, und
mitten im Winter nur aus sieben bis acht Stunden
bestehen. Nach der Zeitrechnung, welche bei uns eingeführt
ist, nehmen wir Tag und Nacht zusammen, und nennen
dies einen Tag. Wenn wir also von Jemand sagen: er ist
auf acht Tage verreist, ko heißt das eigentlich: auf acht
Tage und acht Nächte. Solch ein Tag, oder vier und
zwanzig Stunden, der sich um Mitternacht anfängt, und
bis zur folgenden Mitternacht dauert, heißt ein bürger-
licher Tag. Wir zählen aber nur zwölf Stunden, von
Mitternacht biö Mittag, und dann eben so viele von Mit-
tag bis Mitternacht. Die Uhren dienen dazu, um genau
die Stunden abzumessen. Man hat dreierlei Uhren. Die
eine Art ist unbeweglich, nämlich die Sonnenuhren.
Die Sonnenuhren zeigen bei Sonnenschein die Stunden
mittelst eines Zeigers an, der in der Mitte der Uhr
ausrecht steht, und dessen Schatten immer auf die Zahl
der Stunde fällt, welche verflossen ist. Fällt also der
Schatten des Zeigers zwischen vier und fünf, so ist eS
halb fünf. Die Sanduhren sind jetzt fast garnicht mehr
gebräuchlich. In einem verschlossenen Glase ist feiner Sand,
der in einem überaus feinen Strahl durch eine unten im
Glase angebrachte Oeffnung in ein anderes Glas läuft. Die
Einrichtung ist so gemacht, daß er gerade in einer Stunde
abläuft. Man kann an diesen Uhren nur wissen, daß eine
Stunde des Tages verflossen ist, aber nicht: die wievielste
S Kinde.
Die brauchbarsten Uhren sind also unstreitig die Rü-
de rühren, denn man kann sie bei Sonnenschein und in
der Finsterniß gebrauchen, und sie zeigen weit genauer die
Zeit an, als Sonnenuhren und Sanduhren. Die Räver-
uhrcn werden, wenn sie groß sind, wie z. B. die Wand-
uhren und Thurmuhren, durch Gewichte in Bewegung
gesetzt. Sind sie klein, wie die Taschenuhren, so setz!
man sie durch eine dünne zusammengekrümmte Stahl-
platte, welche die Feder heißt, und sich nach und nach
ausdehnt, in Bewegung. Eine Räderuhr zeigt nicht
nur die Stunden, sondern auch die Minuten (deren
sechzig auf eine Stunde gehen), ja sogar, wenn sie dar-
nach eingerichtet ist, die Sekunden an. Sechzig Sekun-
IX. Von der Zeitrechnung und vom Kalender. 187
den machen eine Minute aus. Wie viel Sekunden gehen
also auf eine Stunde?
Der Mond läuft in jedem Jahre ungefähr dreizehn
Mal um die Erde, und wird eben so, wie unsere Erde, von
der Sonne erleuchtet. Aber bei seinem Umlauf zeigt er
uns nicht immer die ganze von der Sonne erleuchtete
Hälfte, sondern bald einen größerem, bald einen kleine-
ren Theil derselben. Diese Veränderungen seiner erleuch-
teten Scheibe finden wir im Kalender mit folgenden Na-
men angezeigt: Neumond; erstes Viertel; Voll-
mond; letztes Viertel. Den Neumond sehen wir gar
nicht, weil dann die uns zugekehrte Seite des Mondes
dunkel und von der Sonne abgekehrt ist. Aber einige Tage
nach dem Neumond sehen wir einen schmalen Abschnitt der
Mondscheibe, in Form einer Sichel, am Himmel glänzen.
Sieben Tage nach dem Neumonde sehen wir die Mond-
scheibe halb erleuchtet, und dieses wird das erste Viertel
genannt. Nun wird die Mondscheibe an jedem Abende
größer und runder, und sieben Tage nach dem ersten Viertel
ist sie ganz rund; denn nun steht der Mond der Sonne ge-
genüber, und zeigt uns seine uns zugekehrte Hälfte ganz er-
leuchtet. Nun nennen wir ihn Vollmond. Der Vollmond
nimmt alle Abende ab, und hat sich nach sieben Tagen wieder
in den halben Mond verwandelt, d. h. wir sehen seine
Scheibe nur halb erleuchtet, und zwar des Morgens um
6 Uhr. Dann sagen wir: es ist das letzte Viertel.
Von dieser Zeit an rückt der Mond der Sonne wieder näher,
und steht nach sieben Tagen mir ihr in einerlei Richtung des
Himmels, daher wir ihn dann gar nicht sehen, und folglich
wieder Neumond haben.
Die Zeit von einem Neumonde bis zum andern wird ein
Monat oder Mond genannt. Wie viel Tage würden also
zu einem Monat gehören, wenn sich der Mond wirklich genau
in Zwischenräumen von sieben Tagen vier Mal so veränderte,
wie es vorhin beschrieben worden ist? — Aber so rech-
nen wir nicht; denn wir würden mehr als zwölf Monate im
Jahre zählen müssen, wenn wir die Monate genau nach dem
Umlauf des Mondes abmessen wollten. Um eine gerade Zahl
zu haben, hat man zwölf Monate angenommen, und
jedem Monat einige Tage mehr gegeben, als er haben müsste,
wenn er genau nach dem Umlauf des Mondes abgemessen
werden sollte. Der Mondschein ist für die, welche deS
188 IX. Von der Zeitrechnung und vom Kalender.
Nachts reisen oder arbeiten, sehr nützlich. Wenn euch aber
Jemand bereden will, daß einige Geschaffte besser im zu-
nehmenden, und andere besser im abnehmenden Monde
gerathen, so glaubet eS nicht.
Wir sagen zwar: die Sonne geht auf, und
geht unter; aber eigentlich geht oder bewegt sich die
Sonne am Himmel nicht, sondern bleibt unbeweglich an
demselben Orte stehen. Aber unsere Erde bewegt sich um
die Sonne, und zwar binnen einer Zeit von drei hundert
fünf und sechzig Tagen und sechs Stunden, und indem sie sich
um die Sonne henun bewegt, dreht sie sich zugleich drei hun-
dert und fünf und sechzig Mal um sich selbst, wie sich das
Rad um seine Are dreht, und dabei zugleich immer weiter
fortbewegt. Die Sonne kann die Erde, da diese fast so rund
wie eine Kugel ist, nicht auf einmal ganz bescheinen oder
erleuchten, sondern nur diejenige Hälfte der runden Erde,
welche ihr zugekehrt ist. Nimm eine Kugel, und halte sie,
wenn es finster ist, gegen ein Licht; nicht wahr, so wird
nur die eine Hälfte der Kugel von dem Lichte erleuchtet, und
die andere nicht? Eö sieht also freilich alle Tage so auS
als ob die Sonne unterginge weil wir die allmählige Be-
wegung unserer Erde unmöglich wahrnehmen können, so we-
nig wir es wahrnehmen, daß ein Schiff allmählig auf dem
Flusse fortschwimmt, wenn wir nicht etwa ein besonderes
Merkzeichen haben, woran wir dies erkennen.
Daß man also die Zeit in Jahre eintheilt, und drei
hundert fünf und sechzig Tage zu einem Jahre rechnet,
dies kommt daher, weil man alle Tage die Somre erschei-
nen und wieder verschwinden sah. Und nun gebt ein Mal
recht Acht auf die Sonne, so werdet ihr bemerken, daß sie
nie an demselben Orte des Himmels erscheint und ver-
schwindet. In manchen Monaten scheint sie nur kurze Zeit,
weil diejenige Hälfte unserer Erde, welche wir bewohnen,
sich nach sechs oder acht Stnnden schon wieder von der
Sonne abkehrt; in manchen Monaten aber sehen wir die
Sonne sechzehn bis siebzehn Stunden am Himmel, weil in
dieser Zeit diejenige Hälfte unserer Erde, auf der wir
wohnen, sich für so lange Zeit der Sonne zukehrt. ES
giebt also Monate im Jahre, wo unsere Tage kurz, und
dann folglich auch die Nächte desto länger sind; und wie-
derum andere Monate, in welchen wir kurze Nächte und
lange Tage haben. Zwei Mal im Jahre, nämlich den du
!X. Bon der Zeitrechnung und vom Kalender. 189
und zwanzigsten März und den drei und zwanzigsten Sep-
tember, ist der Tag bei unö gerade eben so lang, als die
Nacht, also beim Anfang des Frühlings und Herbstes.
Den kürzesten Tag im Jahre haben wir am ein und
zwanzigsten December, und den längsten am ein und
zwanzigsten Juni.
Nun wissen wir alle, woher die Abwechselung von
Tag und Nacht entsteht; nämlich von dem Umdrehen
der Erde um sich selbst, oder, wie man auch sagt, um
ihre Are. Wir wissen auch, daß am Ende eines JahreS,
oder eines Zeitraums von drei hundert fünf und sechzig
Tagen, noch sechs Stunden übrig bleiben, weil die Erde
gerade so viel Zeit gebraucht, um ihren Laus um die Sonne
zu vollenden. Diese überzähligen sechs Stunden rechnet
man allemal im vierten Jahre zusammen, und macht einen
Tag daraus, den man den Schalttag nennt, weil er
dem jedesmaligen vierten Jahre eingeschaltet wird, und
zwar im Monat Februar, der also dann neun und zwanzig
Tage enthält. Das Jahr, in welchem diese Einschaltung
geschieht, heißt ein Schaltjahr.
Wenn hundert Jahre verflossen sind, so sagt man:
ein Jahrhundert ist zu Ende. Vor 41 Jahren hatte
mein das Ende eines Jahrhunderts erlebt, und dieses zu
Ende gegangene Jahrhundert hieß das achtzehnte,
weil seit der Geburt Jesu Christi, des größten Wohl-
thäters der Menschen, achtzehn hundert Jahre verflossen
waren. Jetzt sind wir im neunzehnten Jahrhundert.
In dem Kalender ist die Zeitrechnung durch ein
ganzes Jahr genau angezeigt. Er ist also ein sehr nützliches
Buch. Doch enthält er auch manches Unnütze, z. B. die
Vorhersagung der Witterung; denn kein Mensch ist im
Stande, auch nur einen Tag, viel weniger ein ganzes Jahr
vorher zu wissen, wie die Witterung beschaffen sein werde,
da Nichts veränderlicher ist, als das Wetter. Das Nütz-
lichste in dem Kalender ist die Anzeige der Tage, Wochen
und Monate durchs ganze Jahr, die Bestimmungen der
Festtage, die Abwechselungen des Mondes, und die Anzeige
der Sonnen - und der Mondfinsternisse, welche in dem Lause
deö JahreS eintreten.
Die Namen der zwölf Monate sind sehr alt, und
nicht deutschen Ursprungs. Besser wäre eS daher, wenn wir
die deutschen Namen gebrauchten, welche schon vor tausend
190 IX. Von der Zeitrechnung und vom Kalender.
Jahren ein deutscher Kaiser, Karl der Große, den Mona-
ten gab. Er nannte mit Recht den Januar W i n t c r m o n a t
den Februar Hornung — einige meinen von dem alten
deutschen Worte Hör, welches Koth bedeutet, weil es in
diesem Monate gewöhnlich thauet, und dann viel Koth ent-
steht; doch wahrscheinlich von Horn, Gehörn, welches der
Hirsch abwirft; — den März nannte er den Lenz- oder
Frühlingsmonat; den April Ostermonat; den Mai
Wonnemonat, weil er Wonne oder Freude bringt; den
Juni Brachmonat, weil dann die Brachäcker, d. h. die
unbesäet gebliebenen Aecker, zur Wintersaat zubereitet wer-
den; — den Juli Heumonat, den August Erntemo-
nat; den September Herbstmonat; den October Wein-
monat; den November Windnlonat, und den Decem-
ber Christmonat, weil das Geburtsfest Jesu Christi in
diesem Monate gefeiert wird, und zwar um Weihnachten.
Dieses Fest fällt allemal auf den fünf und zwanzigsten
December.
DaS Osterfest fällt nicht immer auf denselben Tag,
und nicht immer in denselben Monat, sondern entweder
zu Ende des März, oder vor dem fünf und zwanzigstes
April.
Das Pfingstfest, Fest des fünfzigsten Tages, fällt
sedeS Mal 50 Tage nach Ostern ein.
Der Kalender enthält auch ein genaues Verzeichniß
der Jahrmärkte und Messen, welche in verschiedenen
Städten gehalten werden. Unrer Messen versteht man große
Jahrmärkte, zu welchen sich sehr viele Kaufleute aus fremden
und entfernten Ländern mit ihren Waaren einfinden. In
Deutschland giebt es mehrere Orte, wo Messen gehalten
werden. Die bekanntesten sind die Messen, welche in Leip-
zig, in Frankfurt am Main, Frankfurt an der
Oder und Braun schweig gehalten werden.
In unserm Kaletlder steht auch ein Abschnitt von Son-
nen- und Mondfinsternissen. Mit diesen Finsternissen
hat eö folgende Bewandniß. Wir wissen auS dem Vori-
gen, daß sich die Erde um die Sonne, und der Mond um die
Erde, aber auch zugleich mit der Erde tim die Sonne be-
wegt. Jildenr sich nun die großen Körper um einander
herumdrehen, so geschieht es zuweilen, daß einer dein andern
daS Licht der Sonne wegninlint oder auffängt, indem er zwi-
lchen ihn ilttd die Sonne tritt. Da nun beide, die Erde und
X. Merkwürdige Naturerscheinungen. 191
der Mond, ihr Licht von der Sonne erhalten, und also finster
werden müssen, wenn ihnen dies Licht entzogen wird, so ist'S
natürlich, daß der Mond vor unsern Augen verdunkelt da-
steht, wenn die Erde bei ihrer Umwälzung um die Sonne
in grader Linie zwischen ihn und die Sonne getreten ist;
denn nun wirft die Erde ihren Schatten auf den Mond,
und verursacht dadurch eine Mond finstern iß. Ist nun
der Fall umgekehrt; daß nämlich der Mond zwischen die
Sonne und unsere Erde getreten ist, so wird zwar die Erde
nicht ganz dadurch verdunkelt, da der Mond kleiner als die
Erde ist; aber der Mond entzieht uns dann doch größten
Theils ben Anblick der Sonnenscheibe, so daß eS uns
scheint, als sei die Sonne zum Theil verfinstert, und darum
nennen wir diese Erscheinung eine Sonnenfinsterniß.
Diese Benennung ist also eben so wenig richtig und pas-
send, als der Ausdruck: die Sonne geht auf, und geht
unter; denn die Sonne wird ja bei einer sogenannten Son-
nenfinftemiß nicht wirklich verfinstert, sondem nur durch
die Mondscheibe verdeckt, und so zum Theil unseren Au-
gen entzogen. Da nun in diesem Falle der Mond den größ-
ten Theil der Sonnenstrahlen auffängt, so wird es bei
Sonnenfinstemissen bisweilen so dunkel, daß die Steme am
Himmel zu sehen sind, und es aussieht, als ob es Nacht
werden wollte.
X.
Merkwürdige Natur - Erscheinungen.
^L>ie Luft, welche unsere Erde von allen Seiten umgiebt,
sammt den Dünsten, welche sie enthält, wird die Atmo-
sphäre oder der Lustkreis genannt. Je höher man, z. B.
aus hohen Bergen, in diesem Luftkreise hinaufsteigt, desto
dünner wird die Luft unb desto weniger drückt sie. Da-
her kommt es, daß die Bergbewohner stärker und fröhlicher
sind, als die Bewohner der Thäler.
Alle Dünste und Dämpfe, welche beständig von der
Erde und allen Dingen auf der Erde aufsteigen, sammeln
sich in der Atmosphäre, und indem sie sich verbinden, ent-
192 X. Merkwürdige Naturerscheinungen.
steht daraus Regen, Scbnee, Nebel, Wind und jede andere
Veränderung der Witterung. — Wenn sich die Luft in
einigen Gegenden der Atmosphäre auf ein Mal sehr stark
ausdehnt, und dagegen in andern Gegenden derselben sich
zusammendrängt, so entsteht eine starke Bewegung unter
den Lustmassen, und diese Bewegung wird Wind genannt.
Ist der Wind sehr heftig, so wird er Sturm genannt; den
heftigsten Sturm nennt man einen Orkan. Ein Sturm
zerbricht die stärksten Bäume, wirft Häuser uiib Thürme
um, und verheeret zuweilen ganze Wälder. Eine solche
Verheerung nennt man einen Windbruch.
Der Thau entsteht aus den wässrigen Dünsten, wel-
che am Tage aus der Erde aufsteigen, durch die Kälte der
Nacht verdichtet werderr, und daun niederfallen. Wenn da-
her die Nächte sehr warm sind, so fällt wenig oder gar
kein Thau. Gefriert der Thau, so nennt man ihn Reif.
Wenn es gereist hat, so sind die Bäume und Gräser so
weiß, als ob sie gepudert wären. Wenn nämlich die Bäu-
me und andere Körper sehr kalt sind, so müssen die dar-
auf gefallenen Dünste nothwendig zu Eistheilchen werden.
Bei großer Kälte gefrieren 'sogar die Ausdünstungen, die
aus unserem Munde gehen, und das Haar wird davon
wie mit einem Reife überzogen.
Der Nebel entsteht ebenfalls aus Dünsten, die sich
schon verdichtet haben, und also eigentlich nicht mek>r
Dünste sind. Da das Wasser, aus welchem er besteht, in
sehr feine Theile zertheilt ist, so schwimmt er in der
Luft. Wenn sich diese feinen Theile verbinden, so bilden
sie sehr feine Tropfen, welche alsdann niederfallen. Dann
fach man: der Nebel fällt. Scheint die Sonne un-
mittelbar auf den Nebel, so wird dies schwimmende Was-
ser durch die Wärme ausgedehnt, es muß verdunsten,
und die auf die Erdfläche gelagerte Nebelmasse muß sich
heben. Man sagt dann der Nebel steigt. Der Ne-
bel, welcher sich an heitern Sommerabenden zeigt, ent«
steht daraus, daß sich die Luft abgekühlt hat. Flüsse, wel-
che nicht zugestoren sind, rauchen im Winter, wenn es stark
stieret, weil die oberen Wasserschichten, wegen ihrer großem
Dichtigkeit und Schwere, zu Grunde gehen, und das noch
wärmere Wasser von unten auf in die Höhe drängen,
welches zwar verdunstet, aber sogleich wreder tropfbar
wird. — Die Nebel, welche in den höheren Gegenden
deö
X. Merkwürdige Naturerscheinungen. 193
deS Luftkreiseö schwimmen, nennen wir Wolken. AuS
aufsteigenden Nebeln bilden sich Wolken, deren verschiedene
Farben bloß daher entstehen, daß daö Sonnenlicht auf eine
sehr verschiedene Weise in den Wolken gebrochen wird.
Manche Wolken mögen über drei Meilen von der Erdfläche
entfernt stehen.
Aus feinen Nebeltropsen bildet sich in der obern Lust
der Regen. Man unterscheidet Staubregen und Platz-
regen, Strichregen und Landregen. Hagel ist gefrorner
Regen. Der Schnee besteht aus nichts andrem, als aus
gefrornen sehr feinen Wasserthcilchen, welche bei stiller
Luft in Gestalt sechszakkiger Sterne niederfallen. Hän-
gen sich mehrere derselben an einander, so werden Schnee-
flokken daraus. Wenn alles Wasser, welches ein ganzes
Jahr hindurch als Regen, Schnee und Hagel niederfällt,
auf der Oberfläche unserer Erde stehen bliebe, ohne zu
verdunsten, so würde es ungefähr 30 Zoll hoch über dem
ganzen flachen Lande stehen. — Zuweilen hat der Regen
eine röthliche Farbe (der sogenannte Blutregen); dieS
rührt von einigen Schmetterlingsarten her, welche eine
rothe Materie von sich geben, wenn sie aus ihren Hüllen
hervorkriechen. Abergläubische und unwissende Menschen
erzählen, daß eS Frosche geregnet habe. Dainit hat es
folgende Bewandtniß: wenn eö nach langer Dürre ein
Mal regnet, so kommen die Frösche aus ihren trokkenen
Löchern hervor, und hüpfen in großer Menge aus dem nas-
sen Boden herum, indem sie ihren Durst löschen. — Der
Regenbogen ist ein großer siebenfarbigcr Halbzirkel, wel-
cher in den Regentropfen sichtbar wird, wenn die Sonne
einer dunkeln Wolke gegenüber steht, und wir uns zwi-
schen der Sonne und der Wolke befinden. Die Sonnen-
strahlen werden nämlich in den herabfallenden Regentro-
pfen auf eine verschiedene Weise gebrochen. Die oberste
Farbe deS Regenbogens ist die rothe, und die unterste die
violette.
Es giebt in der Natur einen Stoff, von dessert Be-
schaffenheit uns nur dies bekannt ist, daß er einem Kör-
per die Kraft giebt, andere Körper bald anzuziehen und
bald abzustoßen, wobei sich säst immer ein Lichlfunke oder
eine Flamme mit einem größcreir oder geringeren Geräusch-
zeigt, und derjenige Körper, der davon getroffen ist, er-
schüttert wird. Dieses Narurcrzeugmß wird Elektricis
13
194 X. Merkwürdige Naturerscheinungen.
tät genannt. Reibt man z. B. eine reine und trokkene
Glasröhre mit einem wollenen Lappen, und hält sie über
kleine Stücke Papier, so werden diese einige Mal ange-
zogen und zurückgestoßen; kommt man dieser Röhre mit
Dem Finger nahe, so sieht man im Dunkeln einen Funken,
hört ein Knistern, und fühlt ein Stechen im Finger Hält
man die Röhre, nachdem sie lange und stark gerieben'ist,
gegen daS Gesicht, so hat man eben die Empfindung, als
wäre das Gesicht mit Spinnengewebe überzogen. Eben
dies bemerkt man, wenn man Bernstein, Schwefel, Por-
zellan oder Siegellack reibt. Man hat eine eigene Ma-
schine erfunden, durch welche man die Elektricität sehr leicht
erregen kann, dle Elektrisirmaschine. Wenn die
Glasscheibe, welche sich daran zwischen zwei Reibekissen
herum dreht, in Bewegung gesetzt wird, so fängt eine
blecherne Röhre, welche damit in Verbindung steht, die
durch das Reiben des Glases erregte Elektricität auf, und
mit einem krummen, an jedem Ende mit einem blanken
Knopfe versehenen Drathe, der einen gläsernen Hand-
griff hat, lockt man die Elektricität aus der Röhre; denn
indem man sie mit dem Knopfe des Drathes berührr,
fährt der elektrische Funke heraus. Man kann diese Fun-
ken so stark machen, daß Metalle dadurch in einem Augen-
blikke geschmolzen, und Thiere getödtet werden können.
Diese elektrische Materie befindet sich nun auch in den Wol-
ken, welche man Gewitterwolken nennt, und wenn sie in
der Gestalt eines zakkigen Feuerstrahls ausführt, so sagen
wir: es blitzt, oder wetterleuchtet. Den Knall,
welcher gewöhnlich auf den Blitz oder Wetterstrahl folgt,
nennen wir den Donnerschlag. Wenn die elektrische
Flamme, welche wir Blitz nennen, einen Körper, z. B.
einen Baum oder ein Haus trifft, so zerstört sie ihn,
indem sie ihn entweder in Brand steckt, oder zersplittert.
Trifft der Blitz einen Menschen, so betäubt, lähmt oder
tödtet er ihn. Doch dies geschieht nur selten, und der Nutzen,
den die Gewitter bringen, ist weil größer, als der Schade,
oen sie anrichten. Sie kühlen die Luft ab, und reinigen
sie von schädlichen Dünsten. Der Regen, welcher ge-
wöhnlich die Gewitter begleitet, macht das Land fruchtbar,
und befördert das Wachsthum der Pflanzen sehr merk-
lich. — Die nachtheiligen Wirkungen des Blitzes an Ge-
bäuden verhütet man am sichersten durch wohl eingerich-
X. Merkwürdige Naturerscheinungen. 195
tete Blitzableiter. Dies sind eiserne Stangen, welche
am obern Ende mit einer scharfen Spitze versehen sein
müssen. Um sie vor dem Rost zu verwahren, überzieht
man sie mit Zinn oder Firniß, und vergoldet die Spitze.
Presse, genau an einander befestigte Kupferbleche thun
eben diese Dienste. Der Blitzableiter wird von der Erde
bis über die Spitze des Daches geführt, und dich: am
Hause befestigt, doch so, daß er bis in die feuchte Erde
hinabreicht. An einem solchen Blitzableiter fährt die elek-
trische Materie, ohne das Haus zu beschädigen, herun-
ter in die Erde. Ein Haus, welches von hohen gri'menden
Bäumen umgeben ist, wird vom Blitze nicht getroffen,
weil der Butz sich nach den Bäumen hinzieht. Eben
darum muß man aber auch nie bei einem Gewitter unter
Bäumen Schutz suchen.
Ihr habt wohl schon oft von Irrlichtern oder
Irrwischen gehört? Dies sind kleine Flammen oder
Lichter, welche sich an sumpfigen Oertern sehen lassen,
und eine hüpfende Bewegung haben. Sie entstehen auö
brennbaren Dünsten, welche sich entzünden, und so lange
leuchten, als sie brennen. Man hat diese leuchtenden
Dünste darum Irrlichter genannt, weil bisweilen Ner-
stttdc, welche ihnen nachgingen, dadurch von ihrem Wege
ab, und mehreutheilS in Sümpfe gefi'chrt wurden. Eine
ähnliche Bewandtniß hat es mit den sogenannten Stern-
schnuppen und Feuerkugeln. Wenn diese leuch-
tenden Körper aus der obern Luft herabschießen, so sieht
es gerade so auö, als ob ein Stern vom Himmel fiele.
Sie schießen mit der größten Geschwindigkeit brennend
fort, und lassen zuweilen einen röthlicken Strich in der
Luft zurück, der sich allmählig verliert. Zuwellen hört
man ein Gezische, womit sie sich bewegen, und oft zer-
springen sie mit einem Knall. Ihr Licht ist blendend hell.
Zuweilen sieht man an der mitternächtlichen oder
Nordseite des Himmels einen hellen Schein, aus welchem
bisweilen Strahlen hervorschießen, und der sich nach und
nach über einen großen Theil deS Himmels verbreitet.
Der Himmel sieht dann zuletzt ganz roth und feurig aus,
und gewährt einen überaus schönen Anblick. Man nennt
diese Natur-Erscheinung ein Nordlicht, und sie ist un-
streitig, so wie das Wetterleuchten, eine Wirkung der Elek-
tricität. Es ist thöricht, sich davor zu fürchten; denn
13*
196 XI. Europa.
Nordlicht richtet nie Schaden an, und hat auch nicht- Böset-
zu bedeuten.
X!. Europa.
22>r wissen aus dem Vorigen, daß derjenige Theil un«
ftrer Erde, in welchem wir wohnen, Europa heißt,
und daß die fünf großen Theile der Erde wieder in
kleinere Theile, oder in Länder und Staaten ein-
getheilt sind, welche auf der Landcharte durch die verschie-
denen Farben bezeichnet werden. Die Länder, in welche
Europa getheilt ist, haben folgende Namen:
1) Deutschland, unser Vaterland, welche- mitten in
Europa liegt, (s. S. 202).
2) Die Schweiz oder Helvezien, ein kleines bergi-
ges Land, dessen Einwohner Schweizer genannt werden,
liegt zwischen Frankreich, Deutschland und Italien, nährt
aus seinen Alpen zahlreiche und schöne Viehhcerden, hat
Wein und Obst, wenig Getreide, und ist daS höchste Land
in Europa, das Land der Gletscher und Eisfelder, der
reizendsten Thäler, und der fürchterlichsten Abgründe. Drei
ansehnliche Städte in diesem Lande heißen: Zürich, Bern
und Basel.
3) Italien, ein großes und sehr fruchtbares Lf.nd,
welches man daher den Garten von Europa genannt hat.
ES ist reich an Reis, Wein, Oel, Zitronen, Pomeranzen,
Feigen, Apfelsinen und schöner Seide, und hat einen Ueber-
ftuß an Vieh. In Italien findet man unter andern die
starken Büffel, viele Maulthiere und Esel, und den schönen
weißeit Marmor, auö welchem unsere Bildhauer Stachen
und Verzierungen machen. Unter den Städten Italiens
find die inerkwürdigsten Mailand, Venedig, Turin,
Genua, Florenz, Rom und Neapel. Die Apenninen
durchschneiden das Land nach seiner Länge; die Alpen schei-
den es von Deutschland und der Schwerz. Der Montblanc,
die höchste Bergspitze Europa's, erhebt sich hier 14764 Fuß
hoch.
4) Frankreich, von Belgien, Deutschland, der
Schweiz, Italien, dem mittelländischen Meere, Spanien und
dem atlantischen Ocean umgeben, ist ein großes, sruchtba-
197
XL Europa.
reS Land, reich an Wein, Getreide, Oel, Obst und edlen
Früchten. Es ist durch seine Revolution und die daraus
hervorgehenden ganz Europa erschütternden Kriege bekannt
geworden. In der Hauptstadt Paris wohnen mehr als
neun Mal hunterttaufend Menschen, und die Städte: Tou-
lon, Bordeaux, Marseille und Straßburg sind beri'chmt.
Die Einwohner Frankreichs werden von den Deutschen
Franzosen genannt.
5) Spanien, in der pprenäischc.n Halbinsel, ebenfalls
ein großes und zuui Theil sehr fruchtbares Land, in wel-
chem die feinste Schafwolle, gute Seide, sehr viel Wein
(besonders Mallaga) rind Oel (Olivenöl) Bauiuwolle, Zuk-
ker, Manna und Taback gewonnen wird. Die spanischen
Pferde, Esel und Maulesel sind vortrefflich. Die Haupt-
stadt dieses Landes und Residenz der Königinn von Spa-
nien, heißt Madrid. Die Pyrenäen, ein hohes und
rauhes Gebirge, trennen es von Frankreich.
6) Portugal, im Westen der pyrenäischen Halb-
insel und Spaniens, ein kleines, meistentheils fruchtbares,
aber wenig angebautes Land, in welchem viel Wein, Oel
und Reis wächst. Auch all Südfrüchten, d. h. Pome-
ranzen, Zitronen und Feigen, ist kein Mangel. Man
findet in Portugal weit mehr Esel und Maulesel, als
Pferde. Wie man bei uns ans Pferden reitet, so reitet
man in Portugal auf Mauleseln. Die Hauptstadt deö
Landes heißt Lissabon. Die Einwohner Portugals wer-
den von llnö Portugiesen genannt.
7) Belgien, zwischen Frankreich, der Nordsee, Holland
und Deutschland, ein wohlangebauteö, mit vielen wohlha-
benden Fabrik- und Handelsstädten versehenes Land, welches
sich 1830 von Holland losgerissen und zu einem eignen
Königreich gebildet hat. Die Hauptstadt heißt Brüssel.
Andre bedeutende Städte sind Antwerpen, Gent und
Ostend e.
8) Holland, nördlich von Belgien bis zum Meere, ist
ein kleines, morastiges, von vielen Kanälen durchschnittenes
Land, in welchem sehr wenig Getreide, kein Holz und kein
Wein, auch nur sehr wenig Obst wächst. Die Holländer ver-
stehen sich aber sehr gut auf die Viehzucht, und daher hat das
Land Ueberfluß an Butter und Käse, ebenso ist die Leinwand
und die Blumenzucht berühmt. Da es an der Nordsee liegt,
so fehlt eS auch nicht an Seefischen und Seesalz. Die größte
198 Xi. Europa.
Stadt in diesem Lande heißt Amsterdam, die Residenz des
Königs Haag.
9) Großbrittannien, oder England, Schot-
land und Irland, besteht aus zwei großen Inseln. In
England baut man vortreffliche Gerste, und daher ist auch das
englische Bier das beste. Die Viehzucht ist in diesem Lande
sehr hoch getrieben, besonders die Schaf- und Pferdezucht,
daher die englische Wolle, nächst der spanischen, die beste ist,
und die englischen Pferde für die schönsten in Europa ge-
halterì werden. Das englische Leder ist berühmt. Sehr reich
ist England an Steinkohlen, und das beste Zinn ist das eng-
lische — Schotland ist an Eisen und Fischen, besonders an
Häringen und Stockfischen, sehr reich, hat treffliche Schafzucht,
und Ueberfluß an Steinkohlen. Auch Irland hat treffliche
Wolle, Getreide und Fische, besonders Lachse, im Ueberfluß.
Die Königinn von England wohnt in London, einer der
größten Städte in der Welt, in welcher mehr, als eine Million
Menschen wohnen. Wer diese ungeheure Stadt nach il)rer
ganzen Länge durchwandert, hat einen Weg von drei und einer
halben Meile zu machen. Sie enthält über 6000 große und
kleine Straßen, 34 Marktplätze und noch 7k andere Plätze
und beinahe 500 Kirchen und Kapellen. Beständig komme»
ans dem Flusse, an welchem London liegt, auf der Themse,
Schiffe aus allen Theilen der Erde an, und man rechnet, daß
jährlich mehr als 13000 Schiffe aus- und einlaufen. Andre
berühmte Handelsstädte Englands find Manchester und Liver-
pool. Die Hauptstadt Schotlands heißt Edinburg und
die Irlands Dublin.
10) Dänemark, ein kleines, ebenes Land, welches
aus einer etwas größeren Halbinsel (Jütland) und mehrern
Inseln besteht und schönes Rindvieh, Pferde, Schafe,
Schweine, Fische, Austern, Steinkohlen, Bernstein, aber we-
der Salz noch Metalle, und wenig Holz hat. Die Ein-
wohner des Landes werden Dänen genannt. Die Haupt-
stadt auf der Insel Seeland heißt Kopenhagen; hier
wohnt der König von Dänemark.
11) Schweden, eines der größten Länder in Europa,
aber dennoch eins der ärmsten, daher es auch nur wenig
Einwohner hat. Nur an Eisen ist Schweden unermesslich
reich. Es wird daraus vortrefflicher Stahl gemacht, und
mit diesem, so wie mit dem Kupfer, welches auch in gro-
ßer Menge gefunden wird, ein sehr einträglicher Handel
199
XI. Europa.
getrieben. Außer dem Bergbau sind die Schweden auch
mit der Fischerei beschäfftigt. Ihr Land ist voll großer fisch-
reicher Seen, und liegt von einer Seite am Meere. Das
Rennthier ist in Schweden zu Hause. Wölfe finden sich
in ganzen Schaaren. Auch Elenthiere finden sich häufig. —
Die Hauptstadt deS Landes lind Residenzstadt deS Königs
heißt Stockholm.
12) Norwegen, ein großes Land, welches auch dem
Könige von Schweden gehört. Es ist voll hoher und rauher
Berge, deren Gipse! zum Theil beständig mit Schnee bedeckt
find. Diese Berge enthalten den Reichthum des Landes-
denn in ihrem Innern findet sich Silber, Kupfer und Eisen
in Merrge. Akkerbau und Viehzucht können die Einwohner,
welche Normänner genannt werden, fast gar nicht treiben,
denn ihr felsiges Land bringt weder Getreide noch Gras
hervor. Desto mehr beschäfftigen sie sich mit der Jagd uno
Fischerei. In den norwegischen Wäldern befinden sich Elen-
chiere, Bären, Wölfe, Hermeline und Hasen genug, und das
Meer, an welchem Norwegen liegt, versorgt die Normänner
mit Lachsen, Häringen, Stockfischen und Austern so reich-
lich, daß sie einen großen Theil davon verkaufen können.
Die Hauptstadt Norwegens heißt Christiania und die be-
deutendste Handelsstadt Bergen.
13) Russland ist das größte Land in Europa, und
daher von sehr verschiedener Beschaffenheit. Im äußersten
Norden findet man nur Gesträuche, Beeren, MarienglaS,
Pelzthiere in großer Menge, Fische und Federvieh. In ei-
nem andern Theile des Landes bringt der Boden doch Gerste
und einige Garrenfrüchte hervor, und die mittäglichen Ge-
genden haben Ackerbau, Obst, und gute Viehzucht, wilde
Pferde und ungeheure Waldungen. Noch weiter gegen Mittag
bringt daö Land Wein, Obst, Lorbeerbäume und Getreide,
worunter auch der Reis ist, in Menge hervor. In diesen
Gegenden sind die Esel und die Kameele die gewöhnlichen
Lastthiere, die Büffelochsen ziehen den Pflug, und die Pferde
werden erlegt und gegeffen. Viele Bewohner dieses ftuchr-
daren Landstrichs wissen nichts von Häusern, sondern woh-
nen beständig in schlechten Hütten oder in Zelten, und
ziehen mit ihren Heerden aus einer Gegend in die andere.
Viele schlagen in Felsenhöhlen oder Erdhütten ihre Woh-
nung auf. Diese Bewohner Russlands heißen Tataren.
Die Hauptstadt Russlands und Residenz des mächtigen rüst
200
XI. Europa.
fischen Kaisers heißt Petersburg. Eine andere sehr große
Stadt dieses Landes heißt Moskau. Dem Kaiser von
Russland gehört auch das Königreich Polen mit der Haupt-
stadt Warschau.
14) Die europäische Türkei, die südöstliche Halbinsel
Europa's ist ein sehr fruchtbares und warmes Land, und
daher reich an vortrefflichen Produkten, besonders an Reis,
Wein, Südfri'lchten, Baumwolle, Seide, Taback; an Rind-
vieh, Schafen, Pferden, Eseln und Maulthieren; an Mar-
mor, Alaun, Schwefel, Eisen und Salpeter. Das türkische
Garn ist berühmt. Aus der Seide machen die Türken
prächtige Stoffe und Tapeten. Der Mais, oder das tür-
kische Korn ist auch bei uns bekannt. Aus Ziegenfellen
macht man in der Türkei den schönsten Kerduan und Saf-
fian. Die Hauptstadt des Landes heißt Konstantinopel.
Sie ist die Residenz des türkischen Kaisers, welcher auch Groß-
sultan oder Großherr genannt wird, und die größte Stadt in
Europa, aber nicht die schönste; denn sie hat fast lauter höl-
zerne Häuser, und krumme, schmutzige Straßen, liegt aber in
einer reizenden Gegend an der Meerenge des Bosporus zwi-
schen Europa und Asien.
15) Ungern ist zum Theil ein sehr gebirgiges und wal-
diges Land, zum Theil aber auch äußerst fruchtbar, und be-
sonders sehr reich an Gold und Wein, in einigen Gegenden
auch an Getreide, Mais, Reis, Safran, Honig, Mandeln,
Obst, schönem Rindvieh und schönen Pferden, an Stein- und
Qucllsalz, und fast allen Mineralien. In dem Sande eini-
ger Flüsse werden Goldkörner gefunden. Auch hier bedient
man sich des Büffels beim Akkerbau. An Fischen hat das
Land Ueberfiuß. Es werden besonders Hausen und Karpfen
in großer Menge gefischt. Die vornehmsten Städte Ungerns
heißen Pressburg und Ofen. Mitten durch das Land
strömt die Donau. Der Kaiser von Oestreich ist auch König
von Ungern.
16) Gallizien auch dem Kaiser von Oestreich gehö-
rig, ist ein salzreiches Land. Es giebt hier ein Salzbergwerk
(Weliczka) in welchem man ungeheure Höhlen findet, deren
Wände und Gewölbe aus lauter Steinsalz bestehen. In
den Bergen GallizienS wird Alabaster und Marmor gefunden.
Wachs und Honig wird in Menge gewonnen. Auch an Ge-
treide und Obst fehlt es nicht. Die Hauptstadt des Landes
heißt Lemberg.
201
XI. Europa.
17) Preußen an der Ostsee, ist großtentheils ein
ebenes und fruchtbares Land, voll schöner Wiesen und Viel)»
weiden. Seine Hauptprodukre sind: Getreide, Buchweizen,
Hirse, Hülsenfrüchte, Flachs, Hanf, Taback, Vieh aller Art,
Honig und Wachs, Wildpret, auch Bären, Wölfe, Elen-
thiere, hie und da Auerochsen und Biber, sehr viele Fische,
holzreiche Waldungen, Bernstein, Blei, Eisen unb Steinkoh-
len, Die Weichsel strömt durch das Land. Irr einem
Theile Preußens giebt es vortreffliche Pferde und Ochsen.
Die größten Städte dieses Landes heißen: Königsberg
Danzig und Elbing. An den preußischen Küsten har
das Meer ungeheure Sandfelder und Sandberge, (Dünen)
aufgethürmt, welche man schon zuni Theil urbar gemacht, d. h.
bebaut und mit Bäumen bepflanzt hat. Auf diese Art ver-
größert sich das Land in jedem Jahre. Hierher gehört auch
daö ftüher Polen ungehörige Gro ß h erz ogthu m P o se n mit
der Hauptstadt und Festung Posen und der Stadt B r o m b e r g.
18) Böhmen, zu Oestreich gehörig, ist ein gebirgiges
und waldiges, aber doch im Ganzen sehr fruchtbares Land.
Am reichsten ist eS an Getreide, Honig, Wachs, Obst, Edel-
steinen, Holz, Eisen und Zinn. Die Böhmen sind sehr betrieb-
sam und geschickt, besonders im Leinweben und Spizzeitllöppeln,
in der Verfertigung des Glases, im Bergbau und in der Musik.
Die Elbe durchströmt dies Land. DaS Riesengebirge
rrennt es von den: benachbarten Schlesien. Die Hauptstadt
Böhmens heißt Prag.
19) Mähren, auch in Oestreichs Besitz, ist auf dreien
Seiten von Gebirgen eingeschlossen, hat aber dennoch Ge-
treide, auch Reis und Mais. Safran und Süßholz, Flachs
und Hanf wird in Menge gewonnen. Die zahlreichen
Bergwerke liefern Vitriol, Alaun, Schwefel, Eisen, Blei,
Silber und Steinkohlen. Die beiden vornehmsten Städte
heißen Brünn und Ollmütz.
20) Schlesien, dem Könige von Preußen (bis auf
den südlichen östreichschen Theil) gehörig, ein zum Theil
bergiges Land, hat sehr fleißige und geschickte Einwohner.
Die schlesische Leinwand ist berühmt, und die schlesische Wolle
wird theuer bezahlt. In den zahlreichen Bergwerken deS
Landes wird Silber, Kupfer, Eisen und Blei gefunden;
Steinkohlen sind in der größten Menge vorhanden, auch Mar-
mor wird gebrochen. Die Oder durchströmt dies Land. An
202
XII. Deutschland.
ihrem Ufer liegt die Hauptstadt beS Lande? BreSlau.
Auf der Gränze von Böhmen erhebt sich die Schneekoppe
5000 F>:ß hoch.
21) Die Lausitz ist ein kleines, holz- und steinrei-
ches Land, dem es auch nicht an Vieh, besonders an guten
Schafen fehlt, und dessen Einwohner die Bienenzucht, den
Obst- und Gartenbau, und zum Theil auch den Weinbau
sehr emsig betteiben. Die beiden vorzüglichsten Städte die-
ses Landes heißen: V auzen in der Oberlansitz und Lübben
in der Niederlausitz. In der Lausitz entspringt der Spree-
fluß, an welchem Berlin liegt. Das Land gehört zum Theil
dem Könige von Preußen zum Theil dem Könige von Sachsen.
Die Länder Böhmen, Mähren, Schlesien und
die Lausitz werden zu Deutschland gerechnet. Die meisten
Einwohner dieser 4 Länder sprechen auch die deutsche Sprache
als ihre Muttersprache. Doch haben die Böhmen eine eigene
Sprache, außer welcher sie aber auch noch die deutsche sprechen.
X». Deutschland.
Deutschland ist unter den europäischen Ländern, von wel-
chen wir eben Etwas gelesen haben, eins der größten und
fruchtbarsten. Es besteht aus größern und kleineren Staa-
ten, unter deren Beherrschem einer den Titel Kaiser führt.
Die übrigen sind Könige, Großherzoge, Herzoge, Fürsten,
Grafen und Herren.
Ein kleiner Theil Deutschlands liegt am Meere, nämlich
an der Ostsee und Nordsee. DaS übrige Deutschland
ist von folgenden Ländern eingeschlossen: von Preußen, Po-
len, Gallizien, Ungern, Italien, der Schweiz, Frankreich,
Belgien, Holland und Dänemark.
Deutschland enthält viele Berge und Gebirge. Ei-
nige darunter sind so hoch, daß ihre Gipfel fast das ganze
Jahr hindurch mit Schnee bedeckt sind. Eins unter diesen
Gebirgen, der Harz, besteht aus einer 16 Meilen langen
Reihe von Bergen, unter welchen der Brokken oder
Blocksberg, 3508 Fuß hoch, der höchste ist. Der
Schwarzwald, der Thüringer^-Wald, das Erzge-
birge und das Fichtelgebirge sind ebenfalls sehr große
Bergketten.
Fünf große schiffbare Flüsse durchströmen Deutschland.
203
XIL Deutschland.
Sie heißen: Donau, Elbe, Oder, Rhein und Weser.
Außerdem giebt eS in Deutschland noch sehr viele kleinere
Flüsse, die aber auch schifsl'ar sind, und eine große Menge
Seen, unter welchen der Bodensee an der Grenze Deutsch-
lands und der Schweiz der größte ist.
Nur sehr kleine Landstriche in Deutschland sind unange-
baut, und diese heißen Haiden. Die meisten deutschen Län-
der sind wohl angebaut und fruchtbar, und daher sind die
Produkte Deutschlands überaus zahlreich. Besonders sind
die meisten Länder reich an Obst, Holz, Getreide, Flachs,
Wein, Vieh, Silber, Eisen und Kupfer. Die reichsten Sil-
berbergwerke sind im Erzgebirge, welches eben von sei-
nem Reichthum an Erz oder Metallen den Namen hat, und im
Harzgebirge. Im Erzgebirge wird auch Zinn gefunden.
Das größte deutsche Land ist das Kaiser!hum
Oesterreich, dessen Herr den Kaisertitel führt; doch gehö-
ren viele Länder außerhalb Deutschland und ein großer Theil
Oberitaliens zu diesem Kaiserreich. Ein Theil des deutschen
Landes, welcher Tyrol heißt, ist voll hoher Berge, die bis
in die Wolken reichen, und unter denen viele beständig mit
Schnee bedeckt sind. Auf diesen Bergen wohnen Gemsen
(wilde, unsern Ziegen ähnliche Thiere), Steinbökic, Murmel-
thiere und Adler. Ja, man findet sogar in diesem roman-
tisch schönen aber oft auch rauhen Lande Eisberge (Femer).
Die Tyroler wandern in ganz Deutschland als Handels-
leute umher. — Oesterreich hat sehr reiche Bergwerke, welche
vortreffliches Eisen und Quecksilber liefern; liegt im Süden
am adriatischen Meere und treibt bebeutenben Handel von
Trieft aus.— Die Hauptstadt des Landes heißt Wien.
Sie liegt an der Donau, ist die Residenz des Kaisers, und
die größte und volkreichste Stavr Deutschlands.
DaS Königreich Barern liegt größtentheils im
Donau- und Maingebiete und ein abgetrennter kleinerer
Theil, der Rheinkreis, auf der linken Seite des Rheinstroms.—
Mehrere tausend Einwohner Baierns nähren sich von dem
Gewinne des SalzeS, woran dies Land einen unerschöpfli-
chen Reichthum hat. Der nördliche Theil des Landes, sonst
Franken genannt, ist ein warmes, fruchtbares, mit Getreide,
Wein und Obst reichlich versehenes Land. Außer den ge-
wöhnlichen Getreidearten wächst hier noch eine, welche sonst
nicht sehr häufig ist, der Dinkel. Das Fichtelgebirge liegt
in diesem Lande. Die Hauptstadt dcö Reichs und Rest-
204
XU. Deutschland.
Venz deS Königs heißt München und ist eine der schön-
sten Städte Europas, welche durch prächtige Bauwerke aus-
gezeichnet und ein Sitz der Kunst und Wissenschaft ist
Andre merkwürdige Städte BaiernS sind Nürnberg, durch
seine Alterthümlichkeiten und Manufacturen berühmt. Augs-
burg, eine schon im Mittelalter berühmte Handelsstadt,
wo auch schöne Silberarbeiten gefertigt werden. Erlangen,
Anspach, Bayreuth, Würzburg, Bamberg, Aschaf-
fenburg und im Rheinkreise Speier. — In einer Gegend
Frankens wächst das Süßholz, weiches die Apotheker zur
Arznei gebrauchen, so häufig, daß jährlich mehrere 100
Centner davon verkauft werden.
Das Königreich Würtemberg an der oberen Donau
und dein Nekkar, im ehemaligen Schwaben, ist ein außeror-
dentlich fruchtbares und warmes Land. Daher bringt eS
Getreide, Wein und Obst im Ueberflusse hervor. Doch giebt
es auch öde, unfruchtbare Gegenden in diesem Reiche; denn
zwei hohe und rauhe Gebirge, der Echwarzwald und die
Alp, ziehen sich durch das Land. Der größte Strom in
Europa, die Donau, hat hier seinen Ursprung. Die merk-
würdigsten Städte sind folgende: Stuttgart, die Residenz
des Königs von Würtemberg; Ulm au der Donau, eine
ehemalige Reichsstadt mit schönem Münster, wo die Psci-
fenköpfe, der Schwamm, das Brodt und der Spargel be-
rühmt sind, Tübingen eine Universität iiitb Ludwigö-
burg mit einem schönen Schlosse und Park.
DaS Großherzogthum Baden rechts am Rhein, Frank-
reich gegenüber, umfaßt auch die ehemalige Pfalz am Rhein
und ist eilt schönes, fruchtbares und wcinreiches Land. Die
Landstraßen sind größtentheils mit Nußbäumen besetzt, und
in den Weinbergen stehen ächte Kastanien- und Mandel-
bäume. Obst wächst in großem Ueberflusse. Die vorzüg-
lichsten Städte sind: Karlsruhe, die Haupt- und Resi-
denzstadt, regelmäßig, in Fächergestalt gebaut, Mannheim
am Rhein und Neckar, regelmäßig und schön gebaut, Hei-
delberg Universität in reizender Gegend, Frciburg im
Breiögau und Kostnitz am Bodensee, wo Johann Huß
verbrannt wurde.
Das Großherzogthum Hessen und bei Rhein an
beiden Seiten des schönen Stroms und deS in ihn sich er-
gießenden Mains, aus Starkenburg, Rheinhessen und Ober-
besseu bestehend, ist ein größtentheils fruchtbares und wein-
XI!. Deutschland.
205
reiches Land. Die Hauptstadt und Residenz ist Darmstadt.
Links vom Rhein liegen die große deutsche Bundessestntlg
Mainz, die ehemalige Reichsstadt Worms, wo Luther 1531
auf dem Reichstage erschien und im nördlichen Lande Gie-
ßen an der Lahn.
DaS Herzogthum Nassau rechts vom Main und
Rhein ist eine der herrlichsten Landschaften Deutschlands,
tzurch den edelsten Rheinwein und die heilsamsten Bäder
ausgezeichnet. Der Hauptort ist daS berühmte Bad WiS-
baden, die Residenz des Herzogs Biberich am Rhein.
Das Kurfürstenthum Hessen liegt nördlich vom Main
an der Werra, Fulda und Weser. Die Haupt- und Residenz-
stadt Kassel an der Fulda gehört mit ihrem Park und den
schönen Anlagen von Wilhelmshöhe zu bcn unmuthigsten
größeren Städten Deutschlands. Unter den übrigen Städ-
ten sind Hanau, Fulda und Marburg zu nennen. — Hier
liegt auch die berühmte freie Reichs- und Handels-
stadt Frankfurt am Main, wo jährlich zwei Messen
gehalten werden, welche Kaufleute aus allen europäischen
Ländem besonders aus Frankreich und England besuchen.
DaS Königreich Hannover im ehemaligen Nie-
dersachsen und Westphahlen liegt an der Nordsee, der Weser
und ihren Zuströmen, der Elbe und dem hohen, rauhen und
silberreichen Harzgebirge. Im Lüneburgischen giebt es große
unbebaute Striche oder Haiden, in den furchtbaren Marsch-
ländem an der Nordsee namentlich in OstfrieStand ist
reiche Viehzucht. Die Hauptstadt und Residenz des Königs
ist Hannover, andere bedeutende Städte sind Emden,
Lüneburg, Osnabrück und Göttingen. — Hieran
gränzt das Hcrzogthum Vraunschweig mit der Haupt-
stadt Braunschwcig welche berühmte Messen hat und den
Städten Wolsenbüttel und Helmstädt.
Von Hannover eingeschlossen an der Nordsee liegt das
fmchtbare Großherzogthum Oldenburg mit der Resi-
denz Oldenburg.
Rechts der Elbe zur Nordsee finden wir das durch seine
wiesenreichen Gegenden dtirch starke Viehzucht und Pferdezucht
ausgezeichnete, dem Könige von Dänemark gehörige Herzog-
thum Holstein mit der Hauptstadt Glück stad t. Oest-
lich grenzen an Holstein die Großherzogthümer Meklenburg-
Schwerin und Meklenburg - Streich mit der Hauptstadt
Schwerin, der Residenz Ludwigsluft und den Handels-
206
XII. Deutschland.
städten Rostock und Wismar in Schwerin und der Re-
sidenz Neu-Strelitz in Sttelitz.
Hier im nördlichen Deutschlande liegen auch die drei
freien Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck.
Hamburg, die größte deutsche Handelsstadt, an der Elbe.
Jährlich laufen in Friedenözeiten drei- bis viertausend
Schiffe hier ein, worunter die Hälfte Seeschiffe sind. In
dem geräumigen Hafen dieser Stadt sieht man dann Schiffe
aus England, Dänemark, Schweden, Ruffland, Amerika und
Asien, beladen mit den Produkten aller Erdtheile, besonders
mit rohem Zukker, Kaffee, Wein, Indigo, Taback, Baum-
wolle und Gewürzen. Es gab in dieser reichen Stadt mehr
als 300 Zukkersidereien, und so viel Katmndrukkereien, daß
gegen 2000 Menschen darin Arbeit fanden. Mehr als
100000 Menschen wohnen in Hamburg, und die meisten
nähren sich vom Handel. — Bremen, an der Weser, ist
auch eine ansehnliche Handelsstadt. — Lübeck liegt nicht
weit von der Ostsee, und treibt ebenfalls ansehnlichen Handel.
Im südlichen Theile des ehemaligen Obersachsens lie-
gen die Herzogthümer und das Königreich Sachsen.—
Die Herzogthümer in dem schönen Thüringen und dem Saal-
thale heißen das Großherzogthum Sachsen - Weimar und
die Herzogthümer Sachsen - Meinungen - Hildburghaufen
Sachsen-Koburg- Gotha und Sachsen - Altcnbnrg mit den
Hauptstädten Weimar, Meinungen, Gotha und Al-
tenburg und den Städten Eisenach, Jena, Saalfeld
und Koburg. — Hier liegen auch die Schwarzburg i-
schen Fürstenthümer Rudolstadt und Sondershausen.
Das Königreich Sachsen liegt nördlich vom Erzgebirge,
wo viel Kupfer, Eisen und Silber gegraben wird. — Sach-
sen ist eins der besten Länder in Deutschland. Seine Ein-
wohner sind sehr geschickt und fleißig. Die Hauptstadt die-
ses Landes heißt Dresden. Sie ist die Reüdenz deS Kö-
nigs, und gehört zu den schönsten Städten Deutschlands.
Die Elbe fließt durch diese Stadt. Auch Leipzig ist eine
schöne sächsische Stadt, und eine berühmte Handelsstadt.
Ihre Messen werden nicht nur von deutschen, sondern auch
von russischen, französischen, englischen und türkischen Kaust
leuten besucht. Nördlich von Sachsen, an der Mulde, Elbe, und
Saale, liegen auch die wohlangebauten anh aktinisch en
Herzogthümer Dessau, Bernburg und Köthen mtt
207
XII. Deutschland.
Den Hauptstädten gleichen Namens und den Städten Zerbst
und Wörlitz, wo ein berühmter Garten ist.
DaS größte und mächtigste Reich im nördlichen
Deutschland ist das Königreich Preußen, zu welchem
auch die nicht zu Deutschland gehörigen Provinzen Ost-
und West-Preußen und Posen und die schon oben be-
handelten Theile Schlesiens und der Lausitz gehören. —
Der preußische Staat besteht aus zwei größeren von ein-
ander getrennt liegenden Theilen. Der östliche auS sieben
Provinzen bestehende Theil ist der Haupttheil, wozu die
Provinzen Brandenburg, Pommern und Sachsen ge-
hören. Die zwar nicht überall fruchtbare, aber sehr sorg-
fältig angebaute Provinz Brandenburg wird von der
Oder, Elbe, Havel, Spree und Warte durchströmt. Außer
dem Akkerbau beschädigen sich die Brandenburger mit der
Viehzucht, der Bienenzucht, dem Seidenbau, und in einigen
Gegenden auch mit dem Weinbau. In den Städten giebt
eS ansehnliche Manufakturen und Fabriken, besonders
Baumwollen-, Wollen- und Seidenfabriken. Die Haupt-
stadt des Landes und die Residenz des Königs von Preußen
ist Berlin, eine sehr große, und größten Theils schön ge-
baute Stadt, in welcher mehr als 260,000 Menschen woh-
nen. Unter den Gebäuden ist das große königliche Schloß,
daS Zeughaus, Museum und Schauspielhaus, unter den
öffentlichen Denkmälern mehrere Statuen vornehmlich die
bronzene des großen Churfürsten ausgezeichnet. Irr Berlin
ist auch eine Universität, und viele Anstalten für Kirnst und
Wissenschaft blühen. Unter den Fabriken dieser Stadt ist
die Porzellansabrik merkwürdig. Sie giebt mehr als 300
Arbeitern, und über 60 Malern Beschäfftigung. Die Tuch-
fabriken, die Zukkersiedereien, die Lederfabriken, die Brannte-
weinbrennereicn, die Seiden- und Vaumwollenfabriken und
die Buchdrukkereicn geben mehreren tauserrd Menscherr Nah-
rrmg, und man rechnet, daß in den sämmtlichen berlinischen
Manufakturen und Fabriken mehr als 30,000 Menschen
Beschäfftigung finden. — Berlin liegt zwischen der Oder
und Elbe, an der Spree, einem mäßigen Flusse, der aber
doch große beladene Kähne trägt, und sich zwei Meilen von
Berlin mit der Havel vereinigt. Da die Havel in die
Elbe fällt, so können die Waaren zu Wasser bis nach Ham-
burg gebracht werden. Auch mit der Oder ist die Spree
durch einen Kanal verbunden, und die Waaren können da-
208
XII. Deutschland.
her auf der Spree und Oder bis in die Ostsee gebracht
werden. —Potsdam, eine schöne Stadt mit prächtigen Schlös-
sern und Lustgärten, liegt an der Havel, von schönen Bergen um-
geben, unter welchen viele Weinberge sind. Es ist die Hauptstadt
eines Regierungsbezirks. — Frankfurt an der Oder, eine
Handelsstadt, in welcher Messen gehalten werden, liegt in
emer schönen Gegend. Auch wird hier der Weinbau sehr
stark getrieben. Auch Frankstrrt ist die Hauptstadt eines
Regierungsbezirks.
Pommern ist ungleich fruchtbarer, als Brandenburg,
und har daher Ucberstuß an Getreide. Die Ochsen, Kühe,
Pferde, Schafe, Schweine und Gänse sind in diesem Lande
vorzüglich groß und stark. Die Flüsse Pommerns sind fisch-
reich. Die Oder strömt mitten durch das Land. Die
Hauptstadt des Landes, Stettin, ist eine starke Festung
und liegt an der Oder, nicht weit vom Ausflüsse derselben
in das frische Haff, einen großen See, der mit der Ost-
see in Verbindung steht. — Ein kleiner Theil von Pommern
gehörte sonst dein Könige von Schweden, und hieß daher
Schwedisch - Pommern. Jetzt gehört auch dieser Theil
PommermS zum preußischen Staate. Die Hauptstadt ist
Stralsund. Die daneben liegende Insel Rügen ist eben-
falls jetzt preußisch. Die Hauptstadt deö dritten Regie-
rungsbezirks ist CöSlin.
Zur Provinz Sachsen gehört die Altmark, das
Herzogthum Magdeburg und das preußische Herzogthum
Sachsen. Die Hauptstädte der drei Regierungsbezirke sind
Magdeburg, starke Festung und Handelsstadt an der Elbe,
mit einem berühmten Dom, Merseburg an der Saale mit
einem Dom, Erfurt, groß und fest (berühmte Glocke).
Sonst sind noch die Städte Stendal, Halber st a dt am
Harz mit einem alten Dom, die Universität Halle und die
Festungen Wittenberg mit Luthers Denkmal und Torgau
zu nennen.
Der westliche Theil des Reichs umfasst Wcftphalen
und die Rheinprovinz an der Weser, der Ems und dem
Rhein mit seinen Nebenflüssen. West pH a len ist nicht
überall ftuchtbar, treibt aber Viehzucht, Ackerbau und We-
berei und hat in seinem gebirgigen Theile große Eisen- lind
Stahlfabriken wie in Iserlohn und Schwelm. Die Rhein-
provinz ist größtentheils ein reich gesegnetes, in den Rhein-
gegenden romantisch-schönes Land, das auch bedeutende
XIII. Von d. Rechten u. Pflichten ^-Unterthanen 209
Fabriken hat, vornehmlich im schönen Wupperthale, wo die
Fabrikstädte Elberfeld und Barmen liegen. — In Westpha-
len sind die Hauptstädte der drei Regierungsbezirke Mün-
ster Bischum, Minden an der Weser und Arnsberg. —
In der Rheinprovinz mit fünf Regierungsbezirken Cöln,
Düsseldorf, Coblenz, Trier und Aachen sind auch
diese Städte die berühmtesten. Cöln ist durch seinen herr-
lichen obschon unvollendeten Dom berühmt, Coblenz am
Einfluß der Mosel in den Rhein, ist mit dem gegenüberlie-
genden Ehrenbreitstein eine der wichtigsten Festungen, Aachen
ist durch seine Alterthümer, Bäder und Fabriken berühmt,
auch das schön gelegene Bonn ist als Universitätsstadt zu
nennen.
Außer diesen bedeutenden Ländern besitzt der König von
Preußen auch noch das Fürstenthum Neuschatel in
der Schweiz.
Alle Staaten Deutschlands (38 an Zahl) find zu ei-
nem deutschen Bunde zusammengetreten, an dessen Spitze
Oestreich urrd Preußen stehen. Die Bundesversammlung
hat ihren Sitz in Frankfurt am Main.
xin.
Won den Rechten und Pflichten der Unter-
thanen in wohl eingerichteten Staaten.
ätinder sind, so lange sie in dem Hause ihrer Aeilcrn le.
ben, diesen Gehorsam schuldig, d. h. sie dürfen nicht chun,
wa-s ihnen gut dünkt, oder in den Sinn kommt, sondern sie
müssen thun, was ihre Aeltern wollen, unto was diese
ihnen befehlen oder gebieten. Wenn sic aber erwachsen
sind, und eine Kunst, oder ein Handwerk, oder eine Wis-
senschaft erlemt haben, wodurch sie sich ihren Unterhalt er-
werben können, so gehören sie nicht mehr bloß zur häus-
lichen, sondern auch zur bürgerlichen Gesellschaft,
und müssen, alö Mitglieder derselben, den Gesetzen ge-
horchen, welche in ihrem Vaterlande gelten; diese Gesetze
heißen Landesgesctze, weil sie nicht für einige Men-
schen, sondern für alle Einwobner des ganzen Landes,
14
210 Xüi. Von d. Rechten u. Pflichten d. Unterthanen
gemacht sind, und weil sie von ihnen allen befolgt werden
sollen, damit Ordnung, Ruhe und Sicherbeit in dem
Lande herrsche.
Es gab nicht immer so viel Menschen auf der Erde, als
jetzt, und die Menschen lebten auch ehemals nicht in Städ-
ten, Dörfern und Ländern gesellschaftlich bei einander,
sondern wohnten zerstreut, in sihlechten Hütten. Damals
gehorchten die Mitglieder einer Familie dem Hausvater,
und es gab keine Könige, keine Fürsten und Obrigkeiten
unter den Menschen; Keiner war mehr als der Andere,
denn Alle bauten daö Feld, hüteten ihr Vieh, und nährten
sich von den Fmchten des Feldes, und von der Milch ihrer
Heerden. Nach und nach vermehrten sich aber die Bewoh-
ner der Erde; nun mussten sie nothwendig näher bei einan-
der wohnen. Da es von jeher gure und böse Menschen
gab, so entstand sehr bald Streit unter ihnen, als sie näher
zusammen wohnten. Wenn dann Einer sich stärker fühlte,
oder mehr Verstand hatte, als sein Nachbar, so nahm er
diesem mit Gewalt sein Eigenthum weg, wozu er freilich
kein Recht hatte. Aber man nannte dies dennoch das
Recht des Stärkeren, oder auch, weil es dabei aus die
Stärke der Faust ankam, das Faustrecht. Die Schwa-
chen, die Sanftmüthigen, die Friedfertigen, und besonders
die Weiber und Kinder, waren sehr unglücklich, so lange
dieses sogenannte Recht galt; denn Keiner war damals sei-
nes Eigenthums und selbst seines Lebens sicher, Keiner
formte in Rrrhe und Friede genießen, was er sich mit Mühe
^worben hatte; Streit und Krieg nahm kein Ende, weil
jeder Beleidigte sich, so bald er konnte, an seinem Beleidi-
ger zu rächen suchte. Dieses elenden Lebens wurden die
Menschen endlich überdrüssig, und die Vernünftigen unter
ihnen besonders sannen darauf, wie diesem Unfug abzuhel-
fen seilt möchte. Da kamen sie denn endlich darin überein,
daß die Erfahrensten, Redlichsten und Weisesten unter ihnen
ausmachen sollten, was Jeder zu thnn und zu lassen habe,
und Alle übrige sollten sich darnach richten. Daö, was
jene ausgemacht harten, nannte man Gesetze oder Ver-
ordnungen. Nun würde der Zustand der Menschen sehr
glücklich gewesen sein, wenn sich wirklich alle nach den Ge-
setzen gerichtet Härten; allein die Unverständiger', die Zor-
nigen und Eigensinnigen, die Unredlichen und Leichtsinitigen
kehrten sich oftmals nicht an die Gesetze, sondern thaten
IN wohl eingerichteten Staaten. 211
was sie gut dünkte, beleidigten die Redlichen und Friedfer-
ligen, und nahmen ihnen mit Gewalt ihr Eigenthum. Da
wurden diese mit einander einig, gewisse Personen unter sich
zu wählen, welche daraus achten und dafür sorgen sollten,
daß die Gesetze von Allen treulich befolgt würden. Diese
Personen nannte mau zusammengenommen die Obrigkeit,
und alle übrigen Einwohner deö Landes wurden Unter-
thanen genannt, weil sie jenen Unterthan, d. h. gehorsam
sein sollten. Eben so, wie die Lehrer in der Schule, die
Aeltern in ihrer Familie, die Aufseher in einer Fabrik, und
die Ossiciere bei einem Regiment Soldaten, daraus Acht ha-
ben, daß Alles ordentlich und ruhig zugehe, und Keiner den
Andern beleidige oder beraube: eben so bat die Obrigkeit in
einem Lande darauf Acht, daß in dem Lande, und in den
Städten, Flekken und Dörfern deö Landes die Ordnung,
Ruhe und Sicherheit nicht durch böse Menschen gestört
werde. Sie hat auch das Recht, diejenigeir zu strafen,
welche sich nicht nach den Gesetzen richten wollen, sondern
aus bösem Willen oder auö Leichtsinn Unruhe und Unord-
nung anrichten.
Ihr habt wohl schon die furchtbaren Häuser gesehen,
welche mau Zuchthäuser und Stadtgefängnisse
nennt? In diesen Häusern findet man lauter kleine Stu-
ben, welche mit festen Thüren, mit großen und festen Schlös-
sern und Riegeln verwahrt sind, und nur ein kleines Fenster
haben, daö von außen mit starken eisernen Stäben versehen
ist. In solche Stuben, welche man Kerker oder Ge-
fängnisse nennt, werden die Verbrecher, d. h. die bö-
sen Menschen, eingesperrt, welche die Gesetze nicht befolgt,
sondern durch Diebstahl, Betrug, Räuberei und Mordtha-
teit, Unordnung und Unglück angerichtet, oder sich den Be-
fehlen der Obrigkeit widersetzt haben. Da müssen sie oft
Jahre lang, Manche sogar zeitlebens für ihre Verbrechen
büßen. Vielleicht denkt ihr, lieben Kinder, daß diese Leute
aus Unwissenheit gesündigt haben? Rein, sie haben aller-
dings gewusst, was sie thun und lassen sollten; denn schon
durch ihr eigenes Nachdenken konnten sie ja einsehen, daß
eS unrecht und schändlich sei, Andere vorsätzlich zu beleidi-
gen, sie zu betrügen, oder ihnen ihr Eigenthum wegzuneh-
men; und daß es dagegen ihre Pflicht sei, der Obrigkeit
zu gehorchen. Und ohnehin können alle Einwohner eineS
Landes genau erfahren, was von der Obrigkeit geböte?
212 XIII. Von d. Rechten u. Pflichten d. Unterthanen
oder verboten ist, weil die obrigkeitlichen Geseke und Ver-
ordnungen öffentlich bekannt gemacht werden. DieS geschieht
theils in einer Schrift, welche in jeder Woche gedruckt her-
aus fommt, und für wenig Geld zu haben ist (sie heißt
die Zeitung), theils dadurch, daß jedes neue Gesetz auf
Blättern abgedruckt wird, und diese Blätter an den Elken
der Straßen angeheftet werden, so daß sie Jeder lesen kann.
Also kann kein Unterthan sich mit seiner Unwissenheit ent-
schuldigen, wenn er die Gesetze übertreten hat.
Damit auch ihr recht früh mit dem, was ihr künftig
als Unterthanen zu thun schuldig seid, bekannt werden, und
nicht aus Unwissenheit dagegen sündigen möget, so leset das
Folgende mit großer Aufmerksamkeit, und präget eS eurem
Gedächtnisse tief ein:
I. Von den Rechten des Menschen.
1. Ätles, was einem Menschen erlaubt und freigestellt blei-
ben muß, und ihm weder geboten, noch verboten werden
darf, wird sein Recht genannt. So hat z. B. jeder
Mensch das Recht, Alles, was er sich erworben hat: fern
Geld, HauS, seine Kleider und Sachen, nach seinem Be-
lieben zu gebrauchen, wenn er nur damit Andern keinen
Schaden zufügt.
2. Wenn also Jemand mein Recht gewaltsam anzu-
greifen und zu verletzen suchte, mir z. B. mein Geld weg-
nehmen und es zu seinem Nutzen gebrauchett wollte, so
dürfte ich ihn durch Zwang und Gewalt davon abhalten,
oder mich gegen ihn vertheidigen, und ihm das Genommen*
wieder abnehmen.
3. Jeder Mensch darf seine Anlagen, Fähigkeiten und
Kräfte frei und ungehindert ausbilden; dies ist daS erste
unter den allgemeinen Menschenrechten. Es darf
also Keiner durch grausame und unbarmherzige Behandlung
die Geisteskräfte eines Andern zerrütten oder verderben,
es darf Keiner den Andern hindern, diese Kräfte zu
üben tmd durch Uebung zu erhöhen und zu vervollkommnen.
Wenn also z. V. ein Herr seinen Diener, oder ein Lehr-
meister seinen Lehrling mit Fleiß in der Unwissenheit
erhielte, ihm alle Gelegenheit und Mittel nähme, um Et-
was zu lernen, oder ihn gar in Irrthümer führte, um dann
mit ihm machen zu können, was er wollte, der hätte
in wohl eingerichteten Staaten. 213
aus eine schändliche Weise die Rechte der Menschheit
gekränkt.
4. Jeder Mensch darf nicht nur sein Leben erhalten,
es beschützen und vertheidigen, sondern auch überhaupt für
die Erhaltung und Beförderung seines äußeren Wohlstan-
des sorgen. Wer also einen Menschen so grausam und ge-
waltthätig behandelt, daß sein Leben oder seine Gesundheit
dadurch in Gefahr kommt, der verletzt die allgemeinen Men-
schenrechte, und ist strafbar.
5. Jeder Mensch darf die Annehmlichkeiten des Lebens
frei genießen. ES darf also Keiner den Andern hin-
dem, aus seine eigene Art sich deS Lebens zu freuen. Wenn
z. B. ein Mensch auf den Einfall käme, juucjc Leute, welche
auf einem öffentlichen Platze mit Spielen sich vergnügten,
gewaltsam daran zu hindern und sie wegzutreiben, obgleich
ihre Spiele ganz unschuldig sind, so wäre dies eine straf-
bare Handlung; denn er kränkte dadurch die Menschenrechte.
6. Jeder Mensch darf alle die Sacheil erwerben, be-
sitzen und gebrauchen, welche zur Erhaltung seines Lebens,
und zur Beförderung seiner Glückseligkeit dienen. — Hierin
besteht das Recht des Eigenthums.— Folgendes darf
ich mein Eigenthum nennen: I) alle Sachen, welche ich
zuerst in Besitz nehme, da sie noch keinem Andern zuge-
hörten, denn ich verletze dadurch nicht das Eigenthumsrccht
eines Menschen; 2) Alles, was ich durch eigene Thätig-
keit und Betriebsamkeit, durch Anwendung meiner Verstan-
deskräfte erworben habe; 3) Alles, was mir ein Anderer
von seinem Eigenthum freiwillig aus irgelld eine Weise
(durch Verkauf, Schenkuttg, Vermächtniß, Tausch) überlassen
und abgetreten hat.
Einige unter diesen Menschenrechten sind veräußer-
lich, d. h. sie sind von der Art, daß ich sie vernünftiger
Weise einem Andern übertragen kann und darf. So kann
ich einen Theil meiner äußern Freiheit, einen Theil meiner
Kräfte und meiner Erhaltungömittel, ja selbst einen Theil
meiner Glückseligkeit, meines Vergnügens und Lebensge-
nusses an einen Andern überlassen, indem ich z. B. für Je-
manden beschwerliche Dienste übernehme, ihm Etwas schenke,
oder ein Vergnügen ausgebe, um einem Andern bei seiner
Arbeit zu Helsen, oder ihm in seiner Krankheit beizustehen.
Es giebt aber auch unveräußerliche Rechte, d. h.
solche, die ich entweder gar nicht, oder doch nur unter ge-
214 XJII. Vond.Rechten«. Pflichtend.Unterthanen
wissen Bedingungen an Andere überlassen darf. Diese sind
daS Recht, nach meinen Einsichten und Ueberzeugungen zu
handeln, mein Leben zu erhalten und es zu genießen, und
überhaupt meine Glückseligkeit zu befördern und ju vergrößern.
Mein Eigenthumsrecht kann ich einem Andern ab-
treten, entweder ohne alle Bedingung, durch Schenkung,
oder mit gewissen Bedingungen, welche der Andere sich ge-
fallen lässt, durch einen Vertrag. Dieö geschieht z. B.,
wenn ein Hausoefitzer einen Theil seines Hauses einem
Andem zur Wohnung überlässt, oder es ihm verkauft. Ein
Vertrag wird auch em Kontrakt genannt. Es giebt also
Mieths-, Pacht-, Kauf-Kontrakte u. a. m.
Die Obrigkeit schützt jeden Bürger des Staates bei
dem Genusse seiner Rechte, und sichert ihm diesen Genuß.
2. Von den Pflichten der Menschen gegen ihre
Mitbürger.
1. «Feder Mcnsch hat ein Recht aus sein Leben:
also sollst du keinen Menschen um sein Leben
bringen. — Wer einem Menschen vorsätzlich das Leben
nimmt, begehr das schreckliche Verbrechen eines Mord-*
oder Todtschlages. Ein vorsätzlicher Mörder wird von
der Obrigkeit am Leben gestraft (hingerichtet), weil er ein
höchst gefährlicher Mensch ist. Die Obrigkeit hat das Recht,
einem Mörder das Leben nehmen zu lassen. Wer einen
seiner Verwandten tödtct, wird härter gestraft, als ein an-
derer Mörder: auch derjenige, welcher Jemanden mit be-
sonderer Grausamkeit tödtet.
Wer in der Hitze, auö Uebereilung oder aus Unvor-
sichtigkeit einen Mord begeht, kommt auf mehrere Jahre
ins Zuchthaus. Eben so wird derjenige gestraft, welcher
beii Versuch macht, einen Menschen umzubringen, und an
der Ausführung des Mordes gehindert wird. — Wer ei-
nen Menschen, der in Lebensgefahr ist, ohne eigene große
Gefahr retten kann, und eS nicht thut, erhält Gefängniff-
strafe. Dagegen erhalten diejenigen Belohnungen, welche
so edclinüthig sind, mit eigner Gefahr einem Menschen
das Leben zu retten. Wer einen Ertrunkenen, Erhenk-
tcn, Erstickten oder Erfrornen findet, soll ihn sogleich
ins Leben zu bringen suchen, und der Obrigkeit davon
Nachricht geben. Wer solche Verunglückte rettet, erhält
in wohl eingerichteten Staaten.
215
eine Belohnung an Gelde; wer sie ohne Beistand lässt,
wird gestraft. Auch derjenige erhält Sttafe, welcher einen
Andern deswegen verspottet, weil er einen Erhcnkten los-
geschnitten hat.
2. Jeder Mensch hat ein Recht aus seine
Gesundheit; daher sollst du keinem Menschen
Schaden an seiner Gesundheit zufügen. Je grö-
ßer der Schade ist, welchen ein Mensch dem andern an
seiner Gesundheit zufügt, desto größer ist auch die Sttafe,
welche er nach den Gesetzen erhält. Ein geringeres Ver-
gehen dieser Art wird mit Geld- oder Gefangniffftrafe, ein
größeres mit Zuchthausstrafe belegt. Wer einen seiner Mit-
bürger verwundet, erhält nicht nur Sttafe, sondern muß
auch noch die Heilungskosten bezahlen, und dem Verwun-
deten eine Entschädigung an Gelde, wegen der ihm verur-
sachten Schmerzen und der Störung in seinem Berufe, ge-
währen. Wer einen Andem durch Verwundung oder Miss-
handlung ganz zur Arbeit untüchtig macht, muß ihn zeitle-
bens ernähren.
3. Jeder Mensch hat ein Recht auf seine
Freiheit; daher sollst du keinem Menschen seine
Freiheit nehmen. Wer einen Menschen verhindert, das
zu thun, was er rechtmäßiger Weise thun darf, oder
ihn einsperrt, so daß er sich nicht hinbegeben kann, wohin
er will und darf, der hat ihm seine Freiheit genommen.
Ein Mensch, der seine Freiheit nicht hat, kann seine
Kräfte nicht dazu gebrauchen, wozu sie ihm von Gott
gegeben sind, nämlich zu seiner Vollkommenbeit und Glück-
seligkeit. Jeder Mensch hat also ein Recht aus seine
Freiheit, und er verliert dies Recht nur dann, wenn
er seine Freiheit missbraucht, um Andern zu schaden.
Dann hat die Obrigkeit das Recht, ihm seine Freiheit
zu nehmen, aber kein Anderer hat hierzu ein Recht, und
wer daher einen Menschen mit Gewalt von Etwas ab-
hält, was er thun darf, oder ihn gar einsperrt, wird ge-
straft. Wer Kinder ihren Aeltern oder Erziehern durch Lill
oder Gewalt wegnimmt, um sie zu seinen Ansichten zu ge-
brauchen, z. B. um sie zum Seiltanzen, oder ähnlichen
Kunststükken abzurichten, der wird als ein Menschenräuber
sehr hart gestraft.
4. Jeder Mensch hat ein Recht auf Ehre; da-
216 XILI. Von d. Rechten u. Pflichten d. Unterthanen
Namen kränken, und wenn du es thust, wenn du also
z. V. einen Menschen verächtlich behandelst, ihn durch Ge-
behrden, Schimpsworte und beleidigende Handlungen kränkst,
so bist du nach den Gesetzen strafbar. Auch derjenige, wel-
cher Andern schlechte Handlungen, die er wirklich begangen
hat, öffentlich vorwirft, wird von der Obrigkeit als ein Eh-
renschander bestraft; denn nur die förmliche Anklage, aber
nicht öffentliche Beschimpfung, ist erlaubt. Wer Ändere in
einer Schrift, oder durch ein Gemälde, aus welchem sie in
einer lächerlichen oder verächtlichen Gestalt dargestellt sind,
beschimpft (durch sogenannte Pasquille), wird ebenfalls
als ein Ehrenschänder gestraft. In diese Strafe fällt auch
derjenige, welcher solche Schmähschriften oder Pasquille ver-
breitet und bekannt macht.
5. Jeder Mensch hat ein Recht auf sein recht-
mäßig erworbenes Eigenthum; daher sollst du
nicht stehlen, und keinem Menschen in Änsehung seines
Eigenthums oder Vermögens Schaden zufitgen, besonders
wenn dir das Eigenthum Anderer zur Bewahrung anver-
trauet worden ist.'— Wer das, was einem Andern gehört,
ohne Vorwissen und ohne Einwilligung des rechtmäßigen
Eigenthümers wegnimint, um es zu behalten, begeht einen
Diebstahl, und wird von der Obrigkeit hart gestraft, wenn
der Diebstahl entdeckt wird. Auch derjenige wird als ein
Dieb bestraft, der Etwas findet, und es weder demjenigen
zurückgiebt, der es verloren hat, noch der Obrigkeit seinen
Fund anzeigt. Je größer der Werth eines gestohlnen Gutes
ist, desto größer ist auch die Strafe des Diebes. — Wer
bei einem Diebstähle Thüren und Schlösser erbricht, oder
tödtliche Instrumente bei sich führt, oder gar dem Eigenthü-
mer Gewalt anthut, wird härter bestraft, als ein gewöhn-
licher Dieb. Eben dies geschieht, wenn sich Jemand an
solchen Sachen vergreift, welche bei Feuers-, Wassers- und
KriegSnoth gerettet worden sind. Wer solche Sachen stiehlt,
welche unmöglich sorgsam verwahrt werden können, z. B.
gefälltes Holz in einer Haide, oder auf einem Holzmarkte,
Flößholz, Wildpret, Feld- und Gartenftüchte, Akkergeräth-
schasten und dgl., der wird vorzüglich hart gestraft. Eben
so derjenige, welcher seine Herrschaft oder seine Hausgenos-
sen bestiehlt. — Wer einen Andern gewaltsam über-
fällt, um ihm sein Eigeuthum zu nehmen, der wird als
Räuber zum Festungsbau verurthcilt; hat er bei dem Raube
217
in wohl eingerichteten Staaten.
einen Menschen getödtet, so wird er als ein Mörder am
Leben gestraft. — Wer sich, um zu rauben und zu stehlen,
mit einer Bande von Räubern vereinigt, wird härter ge-
straft, als jeder andere Dieb oder Räuber; vorzüglich hart
wird der Anführer einer solchen Bande gestraft.
Die Strafen des Diebstahles und Raubes treffen nicht
bloß diejenigen, welche die Hauptpersonen dabei gewesen sind,
sondern auch diejenigen, welche auf irgend eine Weise, z. B.
durch Anweisung einer guten Gelegenheit zum Stehlen, oder
durch Verheimlichung des Diebstahls, als DiebeS he hl er,
an demselben Antheil genommen haben.
Auch diejenigen werden von der Obrigkeit gestraft,
welche aus Rache, Bosheit, Muthwillen oder Unachtsam-
keit fremdes Eigenthum beschädigen, z. B. dadurch, daß
fie mit dem Feuer und Lichte unvorsichtig umgehen, und ei-
nen Brand veranlassen. Sie müssen außerdem noch den ver-
ursachten Schaden ersetzen.
Wer Fruchtbäume und andere Bäume, die ihm nicht
gehören, besonders diejenigen, welche aus öffentlichen Plätzen
und an den Landstraßen stehen, umhaut, oder beschädigt,
und aus Muthwillen oder Bosheit Lebensrnittel verdirbt,
wird vorzüglich hart gestraft.
Wer boshaft genug ist, Feuer anzulegen, wird alö ein
Mordbrenner, unter erschwerenden Umständen, amLeben ge-
straft. Wer darum weiß, daß ein Anderer Feuer anlegen will, und
eS der Obrigkeit nicht anzeigt, nruß Gcfängniff- oder Zucht-
hausstrafe leiden. Dagegen bekommt derjenige eine ansehn-
liche Belohnung an Gelde, welcher der Obrigkeit von sol-
chen gefährlichen Menschen, die Feuer anlegen wollen, oder
angelegt haben, sichere Nachricht giebt.
Wer Andere durch falsche Versicherungen irre führt und
hintergeht, oder ihnen gar durch solche Versicherungen einen
Schaden an ihrem Vermögen zufügt, der ist ein Betrü-
ger. Wer sich der Betrügerei schuldig gemacht hat, muß
nicht nur den dadurch verursachten Schaden ersetzen, son-
dern auch Geld- oder Gefängnissstrafe erleiden. Sehr hart
werben diejenigen gestraft, welche falsches Geld machen,
oder wissentlich Andern falsches Geld geben. — Wer solche
Sachen, die ihm zur Verwahrung anvertraut, oder geliehen
sind, ableugnet und unterschlägt, wird härter gestraft, als
jeder andere Betrüger. Kaufleute, welche die Waaren, oder
das Gewicht und Maß verfälschen, sind schändliche Betrüger,
,218 XIII. Von d. Rechten u. Pflichten d. Unterthanen
und haben harte Strafe zu erwarten, wenn die Obrigkeit
ihre Betrügerei entdeckt.
3. Von den Pflichten der Unterthanen gegen den
Landesherrn und gegen die Obrigkeit.
Der Landesherr hat ein Recht, von seinen Unterthanen zu
fordern, daß ein jeder derselben die bürgerlichen
Gesetze willig befolge; denn wenn nicht alle Bürger
eines Staats sich den Gesetzen unterwerfen, und ihnen Ge-
horsam leisten, so kann der Landesherr seine Untetthanen
nicht bei ihren Menschenrechten schützen, und die allgemeine
Ruhe, Ordnung und Sicherheit erhalten.
Da die Obrigkeil die Stelle des Landesherrn vertritt,
so darf sie die Unterthanen dazu anhalten, daß ein jeder
derselben zum allgemeinen Besten Alles das thue und leiste,
was die Gesetze von ihm fordern. Wer sich also weigert,
die gesetzmäßigen Abgaben und Zölle zu entrichten, und dem
Staate di-e Dienste zu leisten, welche er von seinen Bürgern
fordern darf (z. B. Kriegsdienste, Kriegsfuhren u. s. w.),
kann von der Obrigkeit dazu gezwungen werden.
Jeder muß das Beste seines Vaterlandes und seiner
Mitbürger, so viel er kann, zu befördern, und Schaden zu
verhüten suchen, sollte er auch selbst darüber Schaden leiden.
Eines der größten Verbrechen begeht derjenige, welcher
gefährliche und boshafte Anschläge gegen den Landesherrn
und den Staat macht, oder sich mit den Feinden seines Va-
terlandes in ein Verständniß einlässt. Eben so strafbar ist
eerjenige, welcher öffentlich die Gesetze und Anordnungen
der Obrigkeit mit Frechheit tadelt, darüber spottet, und wohl
gar die öffentlich allgehefteten Bekanntmachungen der Obrig-
keit abreißt oder besudelt. — Wer Andere beredet, daß sie
sich mit ihm gewaltsam den Befehlen der Obrigkeit wider-
setzen, oder mit Ungestüm Etwas fordern sollen, das gegen
die Gesetze ist, macht sich als ein Aufrührer und Störer der
öffentlichen Ruhe, eines sehr großen Verbrechens schuldig,
und wird mit lebenslänglicher Einsperrung bestraft.
Wer sich von einem Andern beleidigt, und in seinen
Rechten gekränkt glaubt, soll sich nicht selbst Recht verschaf-
fen, sondern bei der Obrigkeit Schutz und Genugthuung
suchen. Der allgreifende Theil aber sott sich ohne Widerrede
den Befehlen der Obrigkeit unterwerfen, und die Strafe lei-
den, welche auf sein Verbrechen gesetzt ist.
219
in wohl eingerichteten Staaten.
Jeder Unterthan soll der Obrigkeit mit der gebührenden
Achtung und Ehrerbietung begegnen, und dieselbe auch durch
äußerliche Zeichen an den Tag legen. Daher sind Schmäh-
Schriften, welche gegen die Obrigkeit gerichtet sind, doppelt
strafbar. Keiner soll sich den Abgeordneten, Beamten oder
Wachen, welche die Obrigkeit sendet, widersetzen, wenn sie
thun, waö ihnen aufgetragen ist.
4. Von dem Verhalten der Menschen bei dem
Gebrauche ihrer Rechte.
Es ist nicht genug, daß ein Mensch den Andern nicht in
dem Genusse seiner Rechte stört, seine Abgaben entrichtet,
und sich den Anordnungen der Obrigkeit unterwirft; Jeder
soll auch bei dem Gebrauche seiner Rechte gesetzmäßig ver-
fahren; wer dies nicht thut, wird entweder seines Rechts
verlustig, oder seine Handlung wird für ungültig erklärt.
Nur die Mündigen, d. h. diejenigen, welche ein ge-
wisses Alter (entweder, nach sächsischen Gesetzen, das 2lste,
oder, nach preußischen Gesetzen, das 24ste Jahr) erreicht
haben, dürfen ihre Rechte selbst in Ausübung bringen.
Minderjährige, d. h. solche Personen, welche dieses Al-
ter noch nicht haben, können nur durch Andere ihre Rechte
ausüben lassen. So lange der Vater lebt, ist dieser der
Stellvertreter seiner minderjährigen Kinder; lebt er nicht mehr,
so erhalten sie von der Obrigkeit einen Aufseher, welcher der Vor-
mund genannt wird. Diejenigen, welche unter einem Vormunde
stehen, werden Mündel genannt. Sie dürfen ohne Einwi-
lligung ihres Vormundes nichts Wichtiges unternehmen.
Wer nicht mehr minderjährig ist, sondern die Voll-
jährigkeit erreicht hat, darf seine Rechte selbst gebrauchen,
und dies auf jede Art thun, welche ihm vortheilhaft zu sein
scheint, so lange er dabei die Rechte Anderer nicht kränkt.
Er darf also z. B. Verttäge schließen, wodurch er Andern
sein Recht abtritt. Auch darf er bestimmen, wer seine Rechte
und insbesondere sein Eigenthum nach seinem Tode haben
soll; er darf ein Testament machen.
Niemand darf über unerlaubte Handlungen einen
Vertrag schließen. Verttäge von Wichtigkeit muß man ent-
weder schriftlich oder im Beisein von Zeugen abschließen,
oder von der Obrigkeit bestättigen lassen. Zmn Zeichen,
daß man einen Verttag oder Kontrakt mit Jemanden abge-
schlossen habe, pflegt man Geld oder Geldeswerth zu geben.
220 XIII. Won d. Rechten u. Pflichten d. Unterthanen
Dies geschieht, besonders bei Kauf- oder Miethskonttakten,
indem man Etwas darauf giebt, d. h. einen geringen
Theil des Mieths- oder Kausgeldes voraus bezahlt. Wer
durch Zwang oder Betrug dahin gebracht worden ist, einen
Vertrag zu schließen, und dies beweisen kann, darf sein ge-
gebenes Wort zurücknehmen; in jedem andern Falle aber
muß er sein gegebenes Wort halten. Die Obrigkeit sorgt
dafür, daß ein Jeder sein gegebenes Wort halte, und den
eingegangenen Vertrag erfülle.
5. Von den Ständen in der bürgerlichen Gesellschaft
Da die Obrigkeiten mehr Gewalt haben müssen, als die
übrigen Menschen, so mussten verschiedene Stände un-
ter den Menschen entstehen; es mussten einige vornehm, an-
dere gering, andere weder vornehm noch gering sein, oder
zum Mittelstände gehören. Ein Mensch ist vornehmer,
als der andere, das heißt so viel, als: ein Mensch hat
mehr Ansehn und Macht, als der andere. Bei uns Deut-
schen giebt es vier Stände, nämlich: Fürsten, Edelleute
Bürger und Bauern; doch sind die Bürger von den Bauern
eigentlich nur durch ihr Gewerbe und ihre Lebensart unter-
schieden, und nicht durch den Stand. Diese Stände sind
erblich, d. h. die Kinder erben den Stand des Vaters.
Der Sohn eines Fürsten ist also auch wieder ein Fürst, und
die Tochter eines Fürsten ist auch wieder eine Fürstinn.
Man nennt jenen Prinz, und diese Prinzessinn. Die
Söhne und Töchter eines Edelmanns sind auch wieder
adelig, oder gehören zum Adelstände; die Kinder eines
Bürgers sind von Geburt bürgerlichen Standes, und die
Kinder eines Bauers sind geborne Bauern. Die Adeligen
heißen auch Grafen, Freiherrn oder Barone, und diejenigen,
welche so heißen, gehören zum hohen Adel.
Jeder Stand hat besondere Rechte, damit ein Jeder
desto leichter die Beschäfftigungen verrichten kann, die seinem
Stande zukommen, und kein Stand dem andern hinderlich
werde. Die Rechte deö Adelstandes beziehen sich vor-
züglich auf den Vorrang, der ihm vor den übrigen Stän-
den zugetheilt ist. In Rücksicht der Abgaben hat der Adel-
stand eigentlich keinen Vorzug; denn wenn er auch nicht
gerade die Abgaben entrichtet, welche die übrigen Stände
entrichten müssen, so hat er dafür wieder andere Beschwerden
zu ertragen, welche diesen nicht aufgelegt sind. — Zu dem Bür-
221
in wohl eingerichteten Staaten.
gerstande gehören alle diejenigen, welchenicht adelig sind, und
auch nicht Bauern genannt werden können, weil sie bürger-
liche Gewerbe treiben. Die Gewerbe sind: die Handlung,
die Künste, die Handwerke, die Bierbrauerei, der Weinschank
und die Gastwirthschaft. Wer von der Obrigkeit einer Stadt die
Erlaubniß hat, sich in der Stadt niederzulassen, und ein bür-
gerliches Gewerbe zu treiben, hat das Bürgerrecht erlangt.
6. Von den Herrschaften und Dienstboten.
Dienstboten find schuldig, ihrer Herrschaft alle die Dienste
sorgfältig, gewissenhaft und willig zu leisten, wozu sie von
derselben angenommen worden sind. Sie sollen den Befeh-
len ihrer Herrschaft gehorsam sein, ausgenommen in dem
Falle, wenn diese ihnen elwaö Unerlaubtes besohle. Sie
sollen sich gegen ihre Herrschaften tteu beweisen, d. h. sie
sollen sich nicht zueignen, waö ihnen nicht gehört, und mit
dem, was ihnen anvertraut ist, gut und haushälterisch um-
gehen, und es eben so gut bewahren, als ob eö ihr Ei-
genthum wäre. — Die Herrschaften sind dagegen schuldig,
ihrem Gesinde den ausbedungenen Lohn zur bestimmten Zeit
zu bezahlen, und ihm hinreichende Kost zu geben. Auch
müssen sie dem Gesinde alleil den Schaden ersetzen, welchen
eS bei Verrichtung seiner Dienste erlitten hat. Die Herr-
schaft kann das Gesinde nicht vor Ablauf der Dienstzeit
sortschikken, ausgenommen in dem Falle, wenn es gänzlich
ungeschickt, fall!, untreu und liederlich ist. Dagegen darf
auch das Gesinde, bei Gefängnissstrase, nicht eher, als nach
Ablauf der Dienstzeit aus dem Dienste treten, es sei denn,
daß ihm die Herrschaft den Lohn nicht ordentlich bezahlte,
eS misshandelte, rmd unerlaubte Handlungen von ihm ver-
engte. — Herrschaften sind verbunden, den abziehenden
Dienstboten ein Zeugniß (Attest) über rhr Verhalten im
Dienste auszustellen, welches diese ihrer neuen Herrschaft
vorzeigen müssen, weil sie ohne ein solches Zeugniß nicht
gemiethet werden dürfen. — Aus dem Dienste getretenes
Gesinde muß sich sogleich wieder vermiethen; oder wenn es
dazu keine Gelegenheit finden sollte, sich deshalb sogleich bei
der Obrigkeit melden. Wer sich an zwei Herrschaften für
eine und dieselbe Zeit vermiethet, muß firr diese Betrügerei
Gefängnissstrase leiden, und dann zu der Herrschaft ziehen
an welche er sich zuerst vermiethet hatte.
222
XIV. Lieder und Gesänge.
XIV.
Lieder und Gesänge.
1. M o r g e n l i e b.
1. Ä^ein erst Gefühl sei Preis und Dank, erhebe Gott,
o Seele! Der Herr hört meinen Lobgesang, lobsing' ihm,
meine Seele!
2. Mich selbst zu schützen ohne Macht, lag ich, und
schlief im Frieden. Wer schafft die Sicherheit der Nacht,
und Ruhe für die Müden?
3. Wer wacht, wenn ich von mir Nichts weiß, mein
Leben zu bewahren; wer stärkt mein Blut in seinem Fleiß,
und schützt mich vor Gefahren?
4. Wer lehrt das Auge seine Pflicht, sich sicher zu be-
dekken? Wer ruft dem Tag, und seinem Licht, uns wieder
zu erwekken?
5. Du bist es, Gott und Herr der Welt, und dein
ist unser Leben; du bist es, der es uns erhält, und mirs
jetzt neu gegeben.
6. Gelobet seist du, Gott der Macht, gelobt sei deine
Treue, daß ich, nach einer sanften Nacht, mich dieses Tags
erfreue!
7. Laß deinen Segen auf mir ruhn, mich deine Wege
wallen, und lehre du, o Herr, mich thun nach deinem Wohl-
gefallen.
8. Gieb mir ein Herz voll Zuversicht, voll Glauben,
Lieb' und Ruhe; ein weises Herz, das seine Pflicht erkenn'
und willig thue.
9. Daß ich als ein getreuer Knecht, nach deinem Reiche
strebe, gottselig züchtig und gerecht durch deine Gnade lebe.
10. Daß ich das Glück der Lebenszeit in deiner Furcht
genieße und meinen Lauf mit Freudigkeit, wenn du gebeutst
beschließe.
2. Morgen lied.
Mel. Von Gott will ich nicht lassen rc.
1. Allmächtiger! ich hebe mein Aug' empor zu dir. Preis
oir. durch den ich lebe, und neuen Dank dafür! Herr, deine
223
XIV. Lieder und Gesänge.
Huld ist groß, und niemals hat daö Lallen des DankeS dir
missfallen, das aus dem Herzen floß.
2. Daß nicht in Todesschlummer deS Lebens Licht er-
lischt, und daß mich, ftei von Kummer, ein sanfter Schlaf
erfrischt, dies dank' ich deiner Macht, und deiner Vater-
Treue; durch sie bin ich aufs Neue mit heiterm Muth
erwacht.
3. Beschützer meiner Seele, ich ttaue freudig dir; nicht,
was ich mir erwähle; dein Rath gescheh' an mir! Gieb
was mir heilsam ist; und wenn ich Schwacher wanke, so
stärk' mich der Gedanke, daß du stets um mich bist.
4. Beglükke, Herr, die Meinen nach deiner Gütigkeit,
und wo Bedrängte weinen, wend' ihrer Herzen Leid. Du
willst ja gem erstellen, eilst, Allen beizustehen; so laß auch
dies mein Flehen dir wohlgefällig sein!
3. Gottes Güte.
1. Äöie groß ist des Allmächt'gen Güte! Ist der ein Mensch,
den sie nicht rührt? Der mit verhärtetem Gemüthe den Dank
erstickt, der ihm gebührt? Nein, seine Liebe zu ermessen, sei
ewig meine groß re PKicht; der Herr hat mein noch nie ver-
gessen, vergiß mein Herz auch feiner nicht!
2. Wer hat mich wunderbar bereitet? Der Gott, der
meiner nicht bedarf! Wer hat mit Langmuth mich geleitet?
Er, dessen Rath ich oft verwarf! Wer stärkt den Frieden im
Gewissen? Wer giebt dem Geiste neue Kraft? Wer lässt
mich so viel Gut's genießen? Isis nicht der Herr, der Al-
les schafft?
3. Blick', o mein Geist, in jeneö Leben, für welches
du erschaffen bist; wo du, mit Herrlichkeit umgeben, Gott
ewig schaun wirst, wie er ist. Du hast ein Recht zu die-
sen Freuden, durch Gottes Güte sind sie dein; auch darum
musste Christus leiden, damit du könntest selig sein.
4. Und diesen Gott sollt' ich nicht ehren, und seine
Güte nicht verstehn? Auf seinen Ruf sollt' ich nicht hören,
den Weg, den er mir zeigt, nicht gehn? Sein Will' ist mir
ins Herz geschrieben; Vernunft und Schrift belehren mich:
Gott sollst du über Alles lieben, und deinen Nächsten so,
wie dich.
5. O Gott, laß deine Vaterliebe mir immerdar vor
Augen sein! Sic stärk' in mir die frommen Triebe, meß
224
XIV. Lieder und Gesänge.
ganzes Leben dir zu weihn; sie tröste mich zur Zeit der
Schmerzen; sie leite mich zur Zeit des Glücks, und sie be-
sieg' in bangen Herzen die Furcht des letzten Augenblicks.
4. Die Sendung Jesu.
Mel. Dir Herr, und Vater, dienen u. s. w.
1. Dem finstern Erdkreis ist vom Herrn ein helles Licht
erschienen. Es leuchtet nah, es leuchtet fern. Zahllose Völ-
ker dienen den todten Göttern nun nicht mehr; sie kennen
ihn, den Herrn, und er lässt sie im Lichte wandeln.
2. Kaum sandte Gott durch seinen Sohn der Erde
reiche Freuden; so sammelt er sich selber schon die Erstlinge
der Heiden. Der Wahrheit Bild, ein schöner Stem, führt
sie zu ihrem neuen Herrn; sie kommen, anzubeten.
3. O wär uns nicht dein Licht, o Gott, so hell und
rein erschienen, wir würden, der Vernunft zum Spott, noch
jetzt den Götzen dienen. Nicht sie, nicht eigne Würdigkeit,
nur deine Huld hat uns befreit von jenen Finsternissen.
4. Drüm laß mit froher Dankbarkeit uns nun im Lichte
wandeln, und in der gnadenreichen Zeit stets fromm und
weise handeln; auf dich, bei trai erfüllter Pflicht, zufrieden
und voll Zuversicht in Noth und Tod verttauen.
5. Das Leben Jesu.
Mel. Wie wohl ist mir u. s. w.
1. Äuf dich, Erlöser, stets zu sehen, so, wie du warst, ge-
sinnt zu sein, der Tugend Weg dir nachzugehen, der Brü-
der Glück sich ganz zu weihn, haft du den Deinen, die dich
lieben, als Pflicht aus Liebe vorgeschrieben; wie dringend
ist sie, Herr, wie süß! Wenn jeder Mensch nach deinem
Bilde so eifrig seine Pflicht erfüllte, die Erde wär' ei»
Paradies.
2. Entflammt war deine ganze Seele von rrtnster Liebe
gegen Gott, war seinem heiligen Befehle gehorsam bi- zum
Kreuzestod- Du suchtest nur des Vaters Ehre; im Tempel
war sie deine Lehre, dein Wandel zeigte sie der Welt. Den
Schöpfer aller Kreaturen verkündigtest du auf den Fluren,
als Vater, der die Welt erhält.
3. Wie eifrig warst du, seinen Willen, als Bürger und
als Unterthan, als Sohn, als Bruder zu erfüllen, aus dei-
225
XJV. Lieder und Gesänge.
ncr ganzen Lebensbahn! Als Freund, wie zärtlich gegen
Freunde! verfolgt, wie duldend gegen Feinde! für aller Wohl
schlug deine Brust. Die Menschen trösten und erquikken,
erfreuen, heilen und beglükken, war dein Geschäft, war deine Lust.
4. Tief rührte dich die Noth der Sünder! Wie sorg-
sam gingst du ihnen nach! Wie viele wurden GotteS Kinder,
wenn rührend deine Liebe sprach! Du kämpftest, Wahrheit
z,l verbreiten, und Alle zu dem Heil zu leiten, das nicht
mit Well und Zeit vergeht. Entzogst du matt dich dem
Getümmel; so war die Einsamkeit dein Himmel, dein Geist
bei'm Barer im Gebet.
5. Du warst demüthig und bescheiden, ein Freund er-
laubter Heiterkeit, bewiesest bei den schwersten Leiden Geduld,
Muth und Gelassenheit; vergabst, von Liebe tief durchdrun-
gen, die härtesten Beleidigungen im Leben, und dem Tode
nah, und starbst so rührend und erbauend, so freudig, stand-
haft, Gott vertrauend, so göttlich groß auf Golgatha.
6. Wie du gesinnt zu sein, zu handeln, ist deiner
Schüler höchste Pflicht; der muß nach deinem Vorbild wan-
rein, der von Verehrung Jesu spricht. Dann wird zuni
Fleiß in guten Werken uns göttlich der Gedanke stärken,
daß wir des Vaters Willen thun, und daß sein heilig Wohl>
gefallen, sein Geist und Segen auf uns Allen hier und im
Himmel lohnend ruhn.
6. Das Leiden Jesu.
Met. Wenn mein Stündlein u. s. w.
1. Die fürchterliche Stunde naht! Von Menschen ausge-
stoßen, verkauft, o Jesu, durch Verrath, ist schon dein Tod
beschlossen. Doch häuft um dich der Feinde Wuth erst Schmerz
um Schmerz, und fordert Blut, imd sättigt ihre Rache.
2. Sie schwingt die scharfe Geissel, dreht von Dornen
eine Krone. Da steht dein Jammerbild, und fleht verge-
bens: Ach verschone! Ans Kreuz! Ans Kreuz! schreit Ra-
serei, und führt die Fluth der Angst herbei, in welcher du
versinkest.
3- Ich seh vor dieser höchsten Noch dich, Jesu, zittern,
zagen. Ich höre dein Gebet zu Gott, dein jammervolles
Klagen. Du liegst auf deinem Angesicht. Die Erde nicht,
der Himmel nicht hat Trost für deine Seele.
15
226
XiV. Lieder und Gesänge.
4. Laß, Later, flehst du, diese Noth vor mir vorüber
gehen! doch willst du, Vater, meinen Tod; dein Wille soll
geschehen! Indem dein Herz in Aengsten bebt, ermannt die
Seele^sich, und hebt sich auf zum Throne Gottes.
5. Wer spricht dir nach, wenn Noth ihm dräut: Dein
Wille, Gott, geschehe? Wer gcl)t, wie du, wenn Gott ge-
beut, den Weg zur blut'gen Hohe? Wer, wenn vom Trost,
nach dem er ringt, den letzten Strahl die Nacht verschlingt,
verbleibt im Herzen Gottes.
6. Herr, ich will gern dein Jünger sein! O stärke mich,
mich Schwachen! Wie leicht dringt Kummer auf mich ein!
Ach lehr' mich beten, wachen! Ehr' ich des Heiligen Gebot;
so kann mich wohl Gefahr imt> Tov erschüttern, nicht besiegen.
7. Der Tod Jesu.
Mel. Wie wohl ist mir n. s. w.
l. Den größten Sterbenden zu sehen, schwingt sich mein
Geist zum Golgatha. Er ists, den hier die Mörder schmä-
den, er, den die Welt nur wohlthun sah. Der Heilige, voll
Liebe, flehet für sie, die ihn ans Kreuz erhöhet, für sie zu
Gott in seiner Pein. Wie könnt' ich je nun Rache üben.
Nein, meinen Feind auch will ich lieben, wie JesuS, Lä-
sterung verzeih».
2. Welch Beispiel kindlich frommer Triebe, als, unter
Leiden ohne Zahl, der Herr dem Jünger seiner Liebe die
Mutter sterbend noch einpfahl! Stets reizend muß es mir
erscheinen, daß ich auch für die Ruh der Meinen mit Freu-
den sorg', und Gutes thu'; daß, muß ich einst von ihnen
gehen, sie nicht sich ohne Hülfe sehen, mich segnen noch in
meiner Ruh.
3. Heil euch, bußfertige Verbrecher! Bekehrte schont
einst das Gericht. Hört, was zu dem gebeugten Schächer
der Göttliche voll Gnade spricht! Zu retten irrgeführte See-
len, zu trösten, die voll Reu' sich quälen, soll stets auch
mein Bestreben sein. Und weih' ich Gott mein ganzes Le-
ben; so wird er sanften Tod mir geben, auch mich im Pa-
radies erfteun.
4. Wer kann des Heilands Leiden fassen? Er ruft, ge-
beugt von Qual und Spott: Auch du, mein Gott, hast mich
verlassen? Warum auch du mich, Gott, mein Gott? Doch
bald verstummen Hohn und Schmerzen; der Friede schweb
227
XIV. Lieder und Gesänge.
zu seinem Herzen; die Leidensnacht wird Himmelslicht. Und
so erhört auch Gott mein Flehen; er kommt, mir liebreich
beizustehen, ruf ich: Mein Gott, verlaß mich nicht.
5. Noch muß er schmachten, bluten, ringen, der Aller
Hüls in Nöthen war. Mich dürstet, klagt er, und sie brin-
gen, ach! Essig ihm zum Labsal dar. Er ruft noch immer
um Erbarmen aus jedem mitleidswürd'gen Armen, den Hun-
ger, Durst und Blöße drückt. Gern will ich diesen Ruf
erfüllen; denn die des Armen Mangel stillen, die haben
Jesum selbst erquickt.
6. Nun enden sich die schweren Leiden, der Dulder
spricht: Es ist vollbracht! O Wort des Sieges, Wort voll
Freuden, du nimmst dem Tode seine Macht! Heil uns! Heil
uns! Wer darss nun wagen, uns, die Erlösten, zu verkla-
gen? Gott ist die Liebe; wir sind sein. Gieb, daß am
Ende meiner Tage auch ich, o Herr, mit Freuden sage:
Es ist vollbracht! Der Sieg ist mein!
7. Das letzte Wort aus deinem Munde, o Jesu, soll
auch meines sein. Laß es in meiner Todesstunde mir Muth
und Zuversicht verleihn. Ich rufe: Vater, ich befehle in
deine Hände meine Seele, und schließ getrost die Augen zu.
Vorüber sind dann Müh' und Leiden; ich schweb' empor zu
ew'gen Freuden, geh' ein zu meines Vaters Ruh.
8. Die Auferstehung Jesu.
Mel. Eine feste Burg ist unser ic.
1. Er lebt, o Freudenwort! er lebt, der Heiland aller Sün-
der. Der Feinde Heer erschrickt und bebt vor seinem Ueber-
winder. Er stritt mit Heldenmuth, und kämpfte bis aufs
Blut. Und nun vom Tod erwacht, herrscht er mit größrer
Macht. Wer kann, wer kann mir schaden?
2. ' Er lebt! Gott hat ihn auserweckt; Gott wird auch
mich erwekken. Was Sterbliche am meisten schreckt, der
Tod kann mich nicht fchrekken. Mag diese Welt vergehn,
der Erde Staub verwehn; nie, nie vergeht ein Geist, der
Gott durch Tugend preist, wie Jesus, treu vollendet.
3. Er lebt! O Christen, lasst uns heut ftohlokkend ihn
erheben! Durch unsre ganze Lebenszeit ihm wohlgefällig le-
ben! Wir sind sein Eigenthum, erkauft zu seinem Ruhm.
Sein wollen wir allein todt und lebendig sein, uns seiner
ewig fterm.
15 *
228
XIV. Lieder und Gesänge.
9. Morgen-Gesang.
Mel. Nun danket alle Gott rc.
1. Das Grall'n der Nacht entfloh, die Sonne kehret wie-
der, und was auf Erden lebt, singt dir des Dankes Lieder,
dir, der du Berg und Thal mit deinem Thau erftischst, und
auch den Sterblichen durch süßen Schlaf erquickst.
2. Gestärkt eilt unser Geist nun wieder zum Geschäffte,
das du für uns ersahst, wozu du Lust und Kräfte, und
dein Gedeihen gabst. Steh' uns noch ferner bei, daß un-
ser Eifer uilS und Andern nützlich sei!
10. Andenken an Gott.
Wel. Lobt Gott, ihr rc.
1. Noch leben wir, und haben Bror, und ein gesundes
Blut macht uns aufs Neu die Wangen roth, und füllt
daS Herz mit Muth.
2. So lange dieses Herz noch schlägt, die Augen offen
stehn, soll dieses Herz, von Dank bewegt, auf Gott, den
Geber, sehn.
I I. Beim Schluß der halbjährigen Lection.
Mel. Was Gott thut, bas ist ,c.
l. Vollendet ist auch diese Bahn! Preis dir, der sie unS
führte; der Großes, auch an uns, gethan; deß Weisheit
uns regierte! Du gabst uns Kraft, der Wissenschaft und
unsrer Pflicht zu leben, und weiter fort zu streben.
2. Wohl uns, wenn deS Gewissens Ruh in unsern
Herzen wohnet; sie strömt uns süße Freuden zu, ihr sanft
Gefühl belohnet für Müh' und Schweiß den Neuen Fleiß;
sie lässt lms mit Vertrauen die hellste Zukunft schauen.
3. Verzeih', wenn sälimend unser Fuß nicht rasche
Schritte wagte, der Mund, voll Mißtraun und Verdruß,
sst über Lasten klagte. Hirrfort soll nie ver Arbeit Mich'
uns schrekken, nicht Beschwerden! Wir wollen besser werden!
12. Nach geendigter Arbeit.
Mel. Lobt Gott, ihr Christen rc.
I. Vollbracht ist unser Tagewerk! Nun lasst uns fröhlich
sein! Die Freude giebt zur Arbeit Stärk', und unserm Leib
Gedeihn.
229
XIV. Lieder und Gesänge.
2. Von unserm jugendlichen Reihn sei Lärm und Muth-
will' fern; vernünftig soll die Freude sein, und angenehm
dem Herrn.
3. Wie gut ist unser Gott, wie gut! Er giebt gesun-
den Leib, ein frohes Herz und frischen Muth, und so viel
Zeitvertreib.
4. Lasst uns ihnl dankbar sein! Die Lust beim frohen
Jugcndspiel erstikke nie in unsrer Brust der Gottesfurcht
Gefühl.
5. Mit Gnade blickt er dann herab, sieht unsre Freu-
den gern, die Freuden, die er selbst unS gab; o Kinder,
lobt den Herrn!
13. Danklied nach der Mahlzeit.
j. Dankt dem Herrn! Mit frohen Gaben stillet er das
ganze Land; Alles, Alles, was wir haben, kommt aus sei-
ner Vaterhand.
2. Dankt dem Herrn! Er giebt unS Leben, giebt uirs
Segen und Gebethn; schafft uns Brot und Saft der Re-
ben, uns zu stärken, zu erfreun.
3. Dankt dem Herrn! Vergiß, o Seele, deines guten
Vaters nie; werd' ihm ähnlich, und erzähle seine Wunder
spät und ftüh!
14. Ermunterung zur Redlichkeit.
1. Ueb' immer Treu' und Redlichkeit bis an dein stilles
Grab, und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.
2. Dann wirst du, wie aus grünen Au'n, durchs Pil-
gerleben gehn; dann kannst du, sonder Furcht und Grau'n,
dem Tod' entgegen sehn.
3. Dem Bösewicht wird Alles schwer, er thue, was
er thu; das Laster treibt ihn hin und her, und lässt ihm
keine Ruh.
4. Der schöne Frühling lacht ihm nicht, ihm lacht kein
Aehrenfeld; er ist auf List und Trug erpicht, und wünscht
sich nichts als Geld.
5. Der Wind im Hain, das Laub am Baum saus't
ihm Entsetzen zu; er findet, nach des Lebens Tramu, im
Grabe keine Ruh.
6. Drum übe Treu' und Redlichkeit bis an dein stilles
Grab, und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.
230
XJV. Lieder und Gesänge.
7. Dann segnen Enkel deine Gruft, und weinen Thrä-
nen drauf, und Sommerblumen, voll von Dust, blühn aus
den Thränen auf.
15. Vor dem Schulunterrichte.
Mel. Sey Lob und Ehr re.
1. Herr unser Gott, wir bitten dich um Weisheit und um
Tugend. Regiere du uns väterlich in unsrer frühen Jllgend!
Laß deinen Segen auf uns ruhn, nur das zu lieben und
Sn thun, was deine Wahrheit lehret.
2. Nach Einsicht und Geschicklichkeit laß täglich mehr
uns streben. Mach' uns zum Dienst der Welt bereit, bereu,
zum hohem Leben; dann werden wir mit Freudigkeit zurück
auf unsre Jugendzeit in jeder Zukunft blikken.
16. Bei dem Anfange des Unterrichts.
Mel. Bis der Tod ihm winkt rc.
1. Nichts kann uns die Zeit ersetzen, die uns ungenützt
verschwand. Lasst uns jede Stunde schätzen, als Gc-chenk
?us Gottes Hand. Hier wird unser Geist belehrt; jede
Stunde sei uns werth.
2. Bis zum Abend unsers Lebens lasst uns treu und
thätig sein. Nie leucht' uns ein Tag vergebens, denn es
würd' uns spät gereu'n. Stärke, Vater, jederzeit unsern
Trieb zur Thätigkeit!
17. Ermunterung zum Fleiße.
Mel. Sey Lob und Ehr ,c.
J. Von deiner Weisheit, Gott, sind wir bestimmt zum Fleiß
auf Erden; du willst es, daß wir Alle hier einander nütz-
lich werden. Gieb uns Verstand und Lust und Kraft, ge-
tteu und stets gewissenhaft zu thun, was uns gebühret.
2. Die Jugend ist die Zeit der Saat; das Alter ern-
tet Früchte. Wer jung nicht, was er sollte, that, deff Hoff-
nung wird zunichte. Den Fleiß belohnt die Ewigkeit; doch
die verlome Jugendzeit kann Gott nicht wieder geben.
XIV. Lieder und Gesänge.
231
*8. Nach dem Unterrichte.
Mel. Es schuf die ew'ge Liebe rc.
1. Wohl uns, hier floß auch heute unS Licht und Segen
zu. Der Tugend folget Freude, der Arbeit folget Ruh. £>
lasst uns ihrer freun, und immer stoher streben, treu unsrer
Pflicht zu leben, von Herzen gut zu sein!
2. Dich, guter Bater! lieben, gehorchen freudig dir,
und nur, was gut ist, üben, ja dies, dies wollen wir
O du, der Alles schafft, du hörst, was wir geloben; gieb
lieber Gott, von oben uns zu der Tugend Kraft!
19. Am Schluß der Lehrstunden.
Mel. Christus, der ist mein rc.
1. Die Stunden weiser Lehre sind abermals dahin; wohl
uns, weml wir sie nützen zu bleibendem Gewinn!
2. Wem wohlgenutzt die Stunden des Tags vorübcr-
gehn, dem lohnet Ruh' im Herzen, dem ist der Abend schön.
3. Der wird sich seiner Jugend noch spät im Alter
freun, wird froh zu Grabe gehen, dann ewig selig sein.
2 V. Gebet.
Mcl. Eruruntre dich, mem ,c.
1. Ich trete vor dein Angesicht, du Schöpfer meiner Ju-
gend! Verwirf mein kindlich Flehen nicht um Weisheit und
um Tugend. O nimm dich meiner Schwachheit an, und
wenn sich mir Gefahren nahn, so stehe mir zur Seite, da-
mit mein Fuß nicht gleite!
2. Mein Herz von Lastern zwar noch rein, doch jung
und unerfahren,' wird leicht geblendet durch den Schein, und
stürzt sich in Gefahren. O mache mich mir selbst bekannt,
und gieb mir Weisheit und Verstand, damit ich meine Wege
unsträflich gehen möge!
3. Zum Leichtsinn, der das Herz verführt, das Böte
zu erwählen; zum Ehrgeiz, der den Stolz gebiert, dies Merk-
mal schwacher Seelen; zur Trägheit, die den Geist verzehrt
und jeden Trieb zum Laster nährt — laß nie zu diesen
Sünden, in mir sich Neigung finden!
4. Wenn mir aus meiner Jugend Bahn, mich in ihr
Retz zu ziehen, Verführer sich voll Arglist nahn, so laß mich
Georg-Eck;
für intern
Schulbuch!
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*32
XiV. Lieder und Gesänge.
weislich fliehen ihr Beispiel! Herr, entferne nicht mein Her;
von dir und seiner Pflicht! Ihr Spotten und ihr Lachen
soll nie mich watlkend machen.
5. Der Tugend heilige mich ganz, mein Schöpfer, mein
Erhalter! Sie werde meiner Jugend Glanz, und sei mein
Trost im Alter! Erhalte mein Gewissen rein; laß keilten
meiner Tage sein, der nicht zu deirrer Ehre, geweiht der
Tugend wäre!
6. Auch lehre mich den Werth der Zeit, daß ich sie
nie verschwende, daß ich mit weiser Thätigkeit zum Guten
sie verwende. Gott, meiner Jngeird Fleiß und Müh sei
nicht umsonst; o segne sie! laß auch durch mich aus Erden
dein Werk gefördert werdeir!
7. Erhöre gnädig mein Gebet, du Führer meiner Ju-
geird; erhör' eö! Meine Seele fleht um Weisheit und um
Tugend. Mein ganzes Leben dank' ich dir. Rie weiche,
Gott, deiit Geist voir mir, damit ich meine Wege unsträf-
lich wandeln möge!
21. Bei der Einführung eines Lehrers.
Mel. Besieht du deine Wege rc.
1. Mit freudigem Vertrauen blick' auf, und zweifle nicht!
Empor zum Himmel schauen, dies giebt uns Muth und
Licht. Der Vater deines Lebens, der Alles wohl regiert,
der hat dich nicht vergebens in unsern Kreis geführt.
2. Auch hier ist Gottes Garten; gleich Blumen blühen
wir. Du wirst uns pflegen, warten; der Herr vertraut uns
dir. O Freund, mit welcher Liebe sehn wir uns dir ge-
schenkt; nie sei dein Auge trübe, nie sei von uns gekränkt!
22. Am Geburtstage des Landeshcrrn.
Mel. Ich singe dir mit Herz und Mund rc.
1. Gott, deiner Stärke freue sich der König allezeit! Sein
Auge sehe stets auf dich! Sein Herz sei dir geweiht!
2. Begnadiget mit deiner Kraft und deines Geistes
voll, gedenk' er stets der Rechenschaft, die er dir geben soll!
3. Verleih' ihm das, wenn er begehrt, dir ähnlich,
Gott, zu sein; und laß ihn, in dein Bild verklärt, sein
Volk, wie du, erfreun!
233
XIV. Lieder und Gesänge.
4. Er zeig' auf seinem Throne sich als deinen lreusten
Lohn; den Lastern sei er fürchterlich, der Tugend Schutz
and Lohn!
5. Beglückter Völker Liebe sei sein edelster Gewinn, und
kein gerechter Seufzer schrei' um Rache wider ihn!
6. Um seinen Thron sei immerdar Recht und Gerechtigkeit;
l,u aber schütz' ihn m Gefahr, und wenn sein Hasser dräut.
7. Er wünsche nie der Helden Ruhm! Doch zieht er
in den Krieg, zu schützen Recht und Eigenthum, sei Gott
mit ihm und Sieg!
8. Auch ihm hast du bestimmt das Ziel, das er errei-
chen soll; o wären seiner Tage viel, und alle segensvoll!
9. Sein werd' in jedem Flehn zu dir mit Lieb' und
Dank gedacht. Erhör' uns, Gott! so jauchzen wir, und
preisen deine Macht.
23. Das Gebet des Herrn.
1. Bater unser, beten wir, schaue huldreich auf uns nie-
der. Dankend nahen wir uns dir; höre gnädig unsre Lie-
der! Deiner wollen wir uns freun; heilig soll dein
Name sein.
2. Zu uns komme, Herr, dein Reich, daß dein
Himmel sei auf Erden; daß wir, deinem Sohne gleich, dei-
nem Willen folgsam werden; folgsam, wie der höh're
Geist, der dich, rein und heilig, preist.
3. Gieb uns, Herr, nach deiner Huld, was uns nö-
thig ist zum Leben. Innig reu't uns unsre Schuld, doch
du wirst sie uns vergeben, wenn dem Nächsten wir ver-
zeihn, und der Frömmigkeit uns weihn.
4. In Versuchung fiihr' uns nicht, laß uns niemals
unterliegen! Gieb die Kraft, die uns gebucht, böse Lüste zu
besiegen. Vater, steh'uns gnädig bei, mach' uns aller Feh-
kx frei.
5. Ach, deS Uebels, Gott, ist viel, daS uns hier
auf Erden drükket; doch du steckst der Noth ein Ziel, schickst
ven Tod, der uns entrükket aus dem Elend dieser Zeit in
kas Reich der Ewigkeit.
6. Wer mit fester Zuversicht glaubensvoll in Jesu Na-
men diese sieben Worte spricht, kann mit Freuden sagen:
Amen; Amen, ja es soll geschehn, was wir jetzt von Gott
erflehn i
234 XV. Sprüchwörter und Denksprüche.
24. Bei einer Sch ul Prüfung.
Mel. Wie schön leucht't rc.
t. Sei mir gegrüßt und feierlich der Prüfung Tag, oo
rings um mich sich viele Zeugen sammeln! Du kommst, mir
dir kommt Freud' und Schmerz; hier freut sich hoch, dori
bebt ein Herz, wenn sich die Zeugen sammeln. Beifall, Ehre,
Lob und Liebe krönen heute Fleiß und Tugend. Heil dir.
wohl durchlebte Jugend!
2. Dem Trägen klopft die bange Brust, er fühlet Weh-
muth statt der Lust, muß Thorheit nun bereuen. Der aber,
der im regen Fleiß die Zeit durchlebte, erntet Preis, und
kann sich heute freuen. Alles Gute wird belohnet von dem
Vater unsres Lebens, nur der Träge hofft vergebens.
25. Lob der Arbeitsamkeit.
1. Arbeit macht das Leben süß, macht eS nie zur Last; der
nur hat Bekümmerniß, der die Arbeit hasst. Kräfte gab uns
die Natur zu Beruf und Psticht, leere Müssiggänger nur
klagen, leben nicht.
2. Arbeit nur giebt frohen Muth, und zufriednen Sinn,
schafft im Körper rasches Blut, lohnet mit Gewinn. O
wer wollte nun wohl nicht gern geschäfftig sein? Nicht sein
Leben treu der Pflicht, Gott und Brüdern weihn?
XV.
Sprüchwörter und Denksprüche.
1. Die Zunge hat kein Bein, schlägt aber Manchem den
Rükken ein.
2. Ein Auge hat mehr Glauben, als zwei Ohren.
3. Die Klugen haben ihren Mund im Herzen, aber
die Narren das Herz im Munde.
4. Nutzbare Kunst giebt Brot und Gunst.
5. Eine Schwalbe macht keinen Sommer.
6. Morgenstunde hat Gold im Munde.
7. Mit Vielem hält man Haus, mit Wenigem kömmt
man aus.
XV. SprüchWörter und Denksprüche 235
8. Lust und Liebe zum Dinge macht alle Müh' unk
Arbeit geringe.
9. Vorgethan und nachbedachl, hat Manchen in groß
Leid gebracht.
10. Ordnung lerne; sie gefällt, und ersparet Müh'
und Geld.
11. Ein Horcher an der Wand hört seine eigene Schand
12. Der Jungen That, der Alten Rath, der Männer
Muth, sind allezeit gut.
13. Hochmuth kommt vor dem Falle.
14. Wohlschmack bringt Vettelsack.
15. Noth bricht Eisen.
16. Williges Herz macht leichte Füße.
17. Wächst die Ehre spannenlang, wächst die Thor-
heit ellenlang.
18. Seide und Sammet am Leibe löschen das Femr
in der Küche aus.
19. Wer im Rohre sitzt, schneidet sich Pfeifen, wir
er will.
20. Es wird kein Meister geboren.
21. Langsam zum Beutel, hurtig zum Hirt, hilft manch
jungem Blut.
22. Steter Tropf höhlet den Stein.
23. Jung gewohnt, alt gethan.
24. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
25. Treue Hand geht durch'S ganze Land.
26. Eine Hand wäscht die andre.
27. Ehre verloren, Alles verloren.
28. Gluck und Glas, wie bald bricht daS!
29. Fromm gebetet ist halb gearbeitet.
30. Ein gut Gewissen, ein ruhiges Sterbekiffen.