702 VIII. Volkswirtschafts- und Industrie¬ betriebslehre. l. Das Wichtigste aus der Volkswirtschaftslehre. 1. Reichtum und Armut. Alles, was sich im Eigentum eines einzelnen Menschen oder einer Vereinigung von Menschen befindet, zusammengenommen, nennt man ein Vermögen. Ein großes Vermögen ist Reichtum. Wann ist aber ein Vermögen groß? Groß nennen wir es mit Recht wohl dann, wenn es seinem Besitzer erlaubt, sich alle, auch die seltensten Geniisse zu verschaffen. Durch unsinnige Verschwend¬ ung kann auch der größte Reichtum erschöpft werden, und zwar in gar nicht langer Zeit. Gedankenlose Menschen meinen wohl, es wäre am schönsten, wenn es nur reiche Leute gäbe und gar keine Armen. Aber wäre denn das überhaupt möglich? Wenn heute irgend eine gütige Fee jedem Menschen eine Million Mark unter das Kopfkissen legte, so wären morgen alle gleich arm. Ja wie kommt denn das? wird vielleicht jemand ungläubig fragen. Das kommt davon, daß alles sofort entsprechend teurer würde! Der Bäcker würde für jede Sem¬ mel hundert Mark und der Metzger für jedes Pfund Fleisch ein paar tausend Mark verlangen, und die vielen Millionäre, die in der Stadt und im Lande herumliefen, würden es bezahlen. So käme es schließlich nach ein paar kurzen unvernünftigen Wochen wieder dahin, daß jeder arbeiten müßte, um sich sein Brot zu ver¬ dienen. Dann würde sich ein fleißiger Arbeiter vielleicht sünfzig- tausend Mark im Tag verdienen; aber er müßte eben so viel aus¬ geben, um seinen einfachen Lebensunterhalt zu bestreiten. Daß alle reich sein können, ist also nicht möglich. Es bleibt nichts übrig, als: entweder alle arm, oder einen Unterschied zwischen reich und arm. Der Unterschied zwischen reich und arm hat frei¬ lich das Schlimme, daß er im Herzen des Armen Bedauern er¬ weckt, weil dieser nicht auch an den Genüssen des Reichtums Anteil haben kann. Dafür dient er aber anch als Sporn zur Anstrengung und zur Arbeit. Es ist schon mancher Arme reich geworden; und jeder, dem es nicht selbst gelang, reich zu werden, kann es wenig¬ stens durch Fleiß und Sparsamkeit dahin bringen, daß seine Kin¬ der eine höhere Stufe des Wohlstandes erklimmen, als er inne hatte, und kann daraus den Trost gewinnen, daß seine Urenkel reich wer¬ den. Einen wirklichen Trost findet darin freilich nur derjenige, der seine Kinder liebt und für sie sorgt. Wer aber keine Kinder hat, bringt sich heutzutage bei Flmß und Sparsamkeit auch ohne diesen Trost ganz leidlich fort, er darf nur keinerlei Arbeit scheuen.