102 62. Krankenpflegerinnen. in die Anstalt sind 150 Ai. zu erlegen; dafür erhält die Eintretende die festgesetzte Dienstkleidung, Wohnung und Kost und nach einer sechs¬ wöchentlichen Probezeit ein monatliches Taschengeld von 12 M. Nach beendetem Lehrkurse, der sechs Monate umfaßt, hat sich die Schülerin einer theoretischen und praktischen Prüfung zu unterziehen. Ist diese bestanden, so treten die Schülerinnen in die Reihe der angestellten Schwestern des Vereins. Als solche erhalten sie nebst Wohnung und Kost einen Monatsgehalt bis zu 28 M. und sind zugleich für ihr Alter gesichert. Dagegen verpflichtet sich die Schwester vom Roten Kreuz, ihre ganze Kraft der Pflege der Kranken zu widmen und im Kriegsfälle dem Vaterlande auf dem Schlachtfelde und im Lazarette zu dienen. Indem sich eine Frauensperson dem Dienste des Roten Kreuzes un¬ terstellt, gibt sie vieles auf; aber sie erhält auch vieles dafür. Bei erprobter Tüchtigkeit sindet die Schwester Versorgung für Gegenwart und Zukunft; im gemeinschaftlichen Leben mit ihren Genossinnen sindet sie Ersatz für Familienbeziehungen und überdies schafft ihr ihre Tätigkeit bei jedermann die höchste Achtung und zuvorkommendste Rücksicht. Über¬ all ehrt man ihre selbstlose Tätigkeit: der Kranke nennt sie Schwester, der Gebildete erweist ihr jede Hochachtung und ist ihr Beschützer in etwaiger Notlage und selbst eine rohe Natur beugt sich vor dem Glorien¬ schein, der ihren Stand umgibt. Wie viele Mädchen, die gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, Hütten hier ein reiches Feld der gesegnetsten, geachtetsten Tätigkeit! Was will ich werden? Diese Frage drängt sich auf einer jeden Mund. Schart euch zahlreicher als bisher unter die Fahne des Roten Kreuzes! Unter ihrem Schutze empsindet ihr nicht die Zurück¬ setzungen, Enttäuschungen und Verbitterungen, die mancher andere Beruf mehr oder weniger in sich schließt, freilich nur dann, wenn es mit der Krankenpflege ernst genommen wird. Jeder Lebensberuf will mit Ernst erfaßt und erfüllt werden, mehr als jeder andere aber der einer Krankenpflegerin. Wer sich nicht einer vorzüglichen Gesundheit erfreut, wer nicht Blut sehen kann, wer Ekel empsindet, wer einen Unterschied machen will zwischen Geschlecht, Stand oder Bildung, wer zu gefühlvoll, aber auch wer gefühllos ist, der bleibe zurück und entheilige nicht diesen edelsten Beruf! Ob barmherzige Schwester, ob Diakonissin, ob Schwester vom Roten Kreuz, ob einfache Krankenpflegerin im häuslichen Kreise: alle sollen dienen in gleicher Liebe, in gleicher Weise und mit gleicher Wärme dem gleichen Ziele — der Übung der Menschlichkeit in Nöten des Krieges und Friedens. Nach Dr. Kerschcnsteiner „Das Rote Kreuz".