30 7. Selbstverwaltung Gneist, der in der Reaktionsperiode der fünfziger Jahre mit Energie und bahnbrechendem Erfolge die Gefahren der kon¬ stitutionellen Parteiregierung und ministeriellen Allgewalt darlegte und durch seine Werke über das englische Ver- fasfungsrecht die Mittel zur Abhilfe zeigen wollte, ist dafür der dem englischen Worte sslkZovermnem nachgebildete Ausdruck „Selbstverwaltung" üblich geworden. Man sprach von einem „System der Selbstverwaltung" und nahm in dasselbe nicht bloß die Übertragung von den staatlichen Ver¬ waltungsgeschäften an Kommunalverbände — wie sie durch die Steinsche Städteordnung erfolgt war —, sondern auch die Dezentralisation der Verwaltung, die Verwendung von Ehrenbeamten, die Besetzung gewisser Ämter durch Wahl, die Zuziehung von Laien zur Erledigung von Staats¬ ämtern, die Einrichtung von Verwaltungsgerichten auf. Dadurch ist der Ausdruck „Selbstverwaltung" ein vieldeutiger, unbestimmter und verschiedene Dinge umfassender geworden, ja man ging so weit, jede Betätigung individueller Willens¬ freiheit und jede irgendwie geartete Schranke bureaukra- tischer Macht als Bestandteil oder Äußerung der „Selbstver¬ waltung" anzusehen. Es ist nicht zu verwundern, daß auch in den Gesetzen selbst, durch welche die Reform der inneren Verwaltung erfolgte, der Ausdruck in einem juristisch un¬ präzisen Sinne verwendet wurde und daß noch gegenwärtig in der deutschen staatsrechtlichen Literatur eine große Ver¬ schiedenheit der Ansichten besteht. Namentlich ist noch immer die Ansicht verbreitet, daß das entscheidende Kriterium der Selbstverwaltung das Ehrenamt sei. Allein dies ist völlig unhaltbar. Nur ein sehr kleiner Teil der Beamten der Selbst¬ verwaltung ist unbesoldet, die überwiegende Mehrzahl be¬ steht aus angestellten Berufsbeamten, und andrerseits werden in der unmittelbaren Staatsverwaltung in großer Zahl auch unbesoldete Beamte verwendet. Es hängt dies sowohl in der Selbstverwaltung als auch in der Staatsverwaltung davon ab, ob man erwarten kann, in genügender Zahl ge¬ eignete Personen zu finden, welche die fraglichen Ämter unentgeltlich führen, und ob man sich durch Versagen der Besoldung nicht die Auswahl in nachteiliger Weise beschränkt. Mit Ehrenbeamten allein kann die Selbstverwaltung ebenso¬ wenig auskommen wie die unmittelbare Staatsverwaltung. Selbstverwaltung bedeutet seinem Wortsinne nach den Gegensatz zum Verwaltetwerden; wird von einer Körper-