Blirgcrkllllde
Staats- nub Nechtskiindc für bit dciitschcii Stauten
Unter Mitwirkung
von
Amtmann W. Bazille in Stuttgart
Amtsgerichtsrat W. Cocrmann in Straßburg i. E.
Oberfinanzrat Dr. 9!. Kloß in Dresden
Justizrat Or. A. Korn in Berlin
Landgerichtsrat Or. I. Lehr in Darmstadt
Staatsanwalt I. Schicdcrmair in Nürnberg
begründet
von
Dr. A. Glock
Landgerichtsrat in Karlsruhe
nach seinem Tode weitergeführt
von
E. Burger
Notar in Durlach
Karlsruhe
Druck lind Verlag der G. Braunschen Hofbuchdruckerei
1909
Biirgerkimdc
Deutsche Staats- und Rcchtsknndc
Fiir Baycrn
Zlìr Einfuhrung in das offentliche Scbeit ber Gegenwart
A. Glock Von und I. Schiedermair
Landgerichtsrat in Karlsruhe 2. Staatsanivalt in Nurnberg
Karlsruhe
Druck und Verlag der G. Braunscheu Hofbuchdruckerei
1909
Georg-Eckert-Institut
für internationale
Schulbuchforschung
Braunschweig
Schulbuchbibliothek
4 ¿¡39 33
sk-ji
su 06)--3 s
Vorwort zur ersten badischen Ausgabe.
Immer allgemeiner bricht sich die Ueberzeugung von der Unzu-
länglichkeit der heutigen staatsbürgerlichen Bildung und Erziehung
unseres Volkes Bahn. Immer deutlicher wird die Erkenntnis, daß
eine verständige Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte, eine frucht-
bare Mitarbeit des Volkes bei der Rechtspflege wie bei der Staats-
und der Selbstverwaltung zur notwendigen Voraussetzung hat die
Kenntnis von den Grundzügen unseres Rechtslebens, von der Bedeu-
tung, den Einrichtungen und der Verwaltung des Staates und von
den natürlichen Gesetzen, welche das Wirtschaftsleben beherrschen.
Immer lauter wird daher das Verlangen, daß die Schule (dem Bei-
spiele anderer Länder folgend) die dankbare Ausgabe übernehme, die
Jugend in das Verständnis des heutigen öffentlichen Lebens einzu-
führen. Handelt es sich doch hierbei nicht um tiefgründige politische
Weisheiten, für welche die Jugend noch nicht reif wäre, sondern um
grundlegende, elementare Kenntnisse, welche jedem, der seine Pflichten
als Staatsbürger richtig erfüllen will, so notwendig sind, wie im bür-
gerlichen Leben das Lesen, Schreiben und Rechnen.
Man darf dankbar anerkennen, daß unsere Regierungen diesen
Bestrebungen irn allgemeinen Wohlwollen und Verständnis entgegen-
bringen. Um aber weiter zu gelangen, wird zunächst erforderlich
sein, den praktischen Nachweis dafür zu erbringen, daß der dem all-
gemeinen Verständnis zu erschließende umfangreiche Stoss einer rich-
tigen Begrenzung und einer einfachen, leichtsaßlichen Darstellung zu-
gänglich ist. Erst wenn brauchbare Hilfsmittel für die Schule ge-
schaffen sind, wird man aus eine Einführung des nenen Unterrichts-
stoffes hoffen dürfen.
VI
Aus diesen Erwägungen heraus entstand die vorliegende, für den
Gebrauch in Baden bestimmte Arbeit. Sie veranlaßten zugleich den
Verfasser, sich zum Zweck der Herausgabe gleichartiger Bearbeitungen
für die übrigen deutschen Staaten mit einer Anzahl hierzu besonders
berufener Persönlichkeiten zu vereinigen; denn die Besonderheiten
der Gesetzgebung, der Verwaltungseinrichtungen usw. der Bundes-
staaten find, wenngleich das reichsgesetzlich oder wirtschaftlich Ge-
meinsame überwiegt, doch fo bedeutend, daß eine Darstellung, die den
Boden der Wirklichkeit nicht verlieren will, das öffentliche Leben
schildern muß, wie es sich in dem betreffenden Einzelstaate gestal-
tet hat.
Die vorliegende Darstellung umfaßt in den Grundzügen unser
Reichs- und Landesstaatsrecht, das bürgerliche Recht nebst Prozeß,
das Strafrecht und das Strafverfahren, die Organisation und das
Verfahren der gesamten Staatsverwaltung und endlich die theoretische
und praktische Volkswirtschaftslehre. Bei der Mannigfaltigkeit dieses
Stoffes darf der Umfang der Arbeit nicht befremden; wäre es doch
schlimm mit unserem öffentlichen Leben bestellt, wenn es sich aus-
reichend auf einigen wenigen Seiten schildern ließe. Bei einem Ver-
suche, das Ganze noch knapper zu fassen, hätte sich die Gefahr einer
trockenen, unverdaulichen Aneinanderreihung von Begriffsbestim-
mungen kaum vermeiden lassen. Nichts aber wäre schlimmer, als
wenn auf diesen Gebieten ein bloßes Wortwissen ohne wirkliches
Verständnis platzgreifen würde. Eindringlich möchte ver Verfasser
bei dieser Gelegenheit auch vor der etwaigen Auffassung warnen, als
solle das Buch der Hauptsache nach Memorierstoff bieten. Um ein
richtiges Erfassen des Wesens der einzelnen Rechtsinstitute, Staats-
einrichtungen usw. zu ermöglichen, mutzte die Schilderung not-
gedrungen auf manche Einzelheiten eingehen, welche zusammen ein
lebendiges, bleibendes Bild des Ganzen geben sollen, ohne doch des-
halb einzeln im Gedächtnisse haften zu müssen.
Für dw Art der Darstellung war der Wunsch maßgebend, daß
das Buch ebensowohl dem gebildeten Erwachsenen als Wegweiser in
das öffentliche Leben der Gegenwart dienen, als zum Unterricht in
den höheren Klassen der Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen und
VII
der diesen gleichstehenden Lehranstalten (auch in der Hand der
Schüler) sowie in den Lehrerseminaren verwendbar sein möge. Die
Vereinigung beider Zwecke erschien deshalb möglich, weil einerseits
der behandelte Stoss auch dem gebildeten Erwachsenen bei uns bis
jetzt zumeist noch so unbekannt ist, daß auch ihm gegenüber eine
möglichst einfache, jeweils aus die Grundbegriffe zurückgehende Dar-
stellung unerläßlich war, und weil anderseits das durch die Tätigkeit
des Lehrers unterstützte Verständnis unserer gereifteren Jugend dem-
jenigen der Erwachsenen kaum nachstehen wird.
Bei einer Arbeit wie der vorliegenden wäre der Rat erfahrener
Schulmänner nur ungern entbehrt worden. Ich bin daher für die
wertvolle Unterstützung, welche ich dabei seitens der Herren Ober-
schulrat Rebmann und Professor Dr. Weckesser
hier fand, diesen sehr zu Dank verpflichtet, dem ich auch an dieser
Stelle Ausdruck geben möchte.
Karlsruhe, im November 1907.
Der Verfasser.
Vorwort zur zweiten badischen Auflage.
Den besten Beweis dafür, wie sehr die Bürgerkunde dem Be-
dürfnis der Zeit und des Publikums entgegengekommen ist, bildet
Wohl die Tatsache, daß innerhalb von wenig Wochen ein Neudruck
erforderlich wurde. Ihr verdienstvoller Schöpfer durfte diesen
Erfolg leider nicht mehr erleben; das schwere Leiden, trotz dessen er
mit bewunderungswürdiger Energie das Werk vollendete, hat seiner
Schafsenskraft allzufrüh ein Ziel gesetzt. Diesem Neudruck folgt
nunmehr die zweite Auflage, die insbesondere auch die bis zum
Herbst 1908 eingetretenen Aenderungen in der Gesetzgebung berück-
sichtigt.
Mit Dank darf hervorgehoben werden, daß die Großh. Be-
hörden, insbesondere auch die Ministerien, die Bürgerkunde wohl-
wollend aufgenommen haben. Daß sie auch mit Interesse gelesen
worden ist, zeigen dankenswerte Anregungen aus dem Leserkreise.
Möge ihr diese gute Aufnahme auch für die Zukunft erhalten bleiben!
Burger.
Vorwort zur Ausgabt für Bauern.
Der Bürgerkunde für Baden sind vor wenigen Monaten Be-
arbeitungen für Preußen, Württemberg, Hessen und Elfaß-
Lothringen gefolgt. Ihnen schließt sich die Ausgabe für Bayern an.
Sie soll unser Recht und unsere staatlichen Einrichtungen darstellen,
soweit sie ein allgemeines Interesse beanspruchen. Das Interesse an
einer staatsbürgerlichen Erziehung unseres Volkes und vor allem
unserer Jugend mehrt sich erfreulicherweise von Tag zu Tag, und so
ist zu hoffen, daß das Buch auch in Bayern Entgegenkommen finden
und das Seinige dazu beitragen wird, daß einerseits unsere Jugend
den wichtigsten Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens nicht mehr
teilnahmslos und ohne Verständnis gegenübersteht, daß aber auch
jeder, der in seinem Berus keine Gelegenheit gesunden hat, unser
Recht und unseren Staat kennen zu lernen, mit ihnen vertraut wird
und damit Verhältnisse kennen lernt, mit denen er täglich in Berüh-
rung kommt und die auch sein Privatleben nicht selten einschneidend
beeinflussen. Es wäre dies um so mehr zu wünschen, als die Mit-
wirkung der Laien aus allen Gebieten der staatlichen Tätigkeit stets
zunimmt, und ein ersprießliches Ergebnis ihrer Tätigkeit nur dann
zu erwarten ist, wenn sie sich hierbei nicht aus einem fremden Gebiet,
sondern einem ihnen vertrauten Boden bewegen.
Nürnberg, im Juni 1909.
I. Schiede rmai r.
MtMtMbersicht.
Zur Einführung.
Seite
A. Vom Staat überhaupt..................................................... 1
Die Familie. Die Geschlechter und Stämme. Das Volk. Der Staat,
seine Bedeutung und Aufgaben. Unsere Pflichten gegen den Staat.
Die Notwendigkeit, seine Einrichtungen und Tätigkeit kennen zu lernen.
Ergebnisse dieses Erkennens.
B. Von den verschiedenen Staatsformen...................................... 5
Begriff und Inhalt der Souveränität. Die Monarchien und die Re-
publiken. Die zusammengesetzten Staaten. Die Volksvertretung ins-
besondere.
C. Vom Rechte überhaupt.................................................... 11
Begriff und Notwendigkeit des Rechts. Staatliches Recht, Kirchenrecht,
Völkerrecht. Gewohnheitsrecht und Gesetze. Positives Recht und Natur-
recht. Bürgerliches und öffentliches Recht.
1. Teil.
DaF Sraat^recht.
1. Kapitel.
Das Deutsche Reich.
A. Die Entstehung des Reichs........................................15
B. Die rechtliche Natur des Reichs.................................. 16
L. Die Aufgaben des Reichs........................................... 18
D. Die Reichsgesetze................................................ 19
1. Die Entstehung. 2. Die Wirkung.
E. Das Reichsgebiet. Die Reichslande Elsaß-Lothringen . . .
21
XII
Inhaltsübersicht
Seite
X Der Kaiser..........................................................22
G. Der Bundesrat.......................................................25
Seine Rechtsstellung und Zusammensetzung. Seine Zuständigkeit. Die
Verhandlungen des Bundesrats.
H. Der Reichstag.......................................................29
Seine Bedeutung und Zuständigkeit. Wahlrecht und Wählbarkeit. Die
Wahlkreise. Das Wahlverfahren. Die Stellung der Abgeordneten. Die
Verhandlungen des Reichstags.
I. Der Reichskanzler und die Reichsbehörden. Die Reichsbeamten 97
X. Die Reichsangehörigen..........................................42
Begriff und Bedeutung der Staatsangehörigkeit. Erwerb und Verlust
der Staatsangehörigkeit. Rechte und Pflichteii der Staatsaugehörigen.
2. Kapitel.
Das Königreich Bayern.
A. Die Entstehung des Königreichs und die Verfassungsurkunde 47
B. Das Staatsgebiet..............................................48
Allgemeines. Die Landesgrenzen. Die Landesvermessung. Die Landes-
farben. Das Königliche Wappen.
C. Die Staatsangehörigen..........................................51
Allgemeines. Die Rechte und Pflichten. Der Verfassungseid. Bevorzugte
Klassen der Staatsangehörigen. Der Adel.
v. Die Landesgesetzgebung.........................................53
Gebiet der Gesetzgebung und der Verordnuiigsgewalt. Entstehung der
Gesetze.
E. Der König..........................................................54
Seine Stellung im allgemeinen. Die Regierungsrechte. Die Ehrenrechte.
Die Vermögensrechte. Die Reichsverwesung.
E. Der bayerische Landtag.............................................57
1. Seine Bedeutung und feine Zuständigkeit. 2. Die Zusammensetzung
der Kammer der Reichsräte. 3. Die Zusammensetzung der Kammer
der Abgeordneten (Wahlrecht und Wählbarkeit; die Wahlkreise; das
Wahlverfahren). 4. Die Stellung der Mitglieder des Landtags. 5- Die
Verhandlungen des Landtags.
G. Die obersten Landesbehörden........................................66
Der Staatsrat. Die Ministerien. Der Gerichtshof für Kompetenz-
konflikte.
X. Die bayerischen Beamten........................................... 70
Die Stellung im allgemeinen. Die Pflichten. Die Rechte.
Inhaltsübersicht
XIII
2. Teil.
Das Strafrecht und das bürgerliche Liecht.
Vie Rechtspflege.
1. Kapitel.
Die Gerichtsverfassung.........................................................
Die Ausgaben der Gerichte. Die Stellung und Vorbildung der Richter.
Die Organisation der Gerichte. Die Hilfspersonen der Gerichte. Die
Notare. Die Rechtsanwälte.
Seite
73
2. Kapitel.
Das Strafrecht............................................................78
Einleitung..........................................................78
I. Die Strafgesetze................................................79
II. Die verschiedenen Strafen......................................80
III. Die strasb aren Handlungen im allgemeinen.................82
Einteilung derselben. Der Tatbestand. Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Strafausschließungs- und Milderungsgründe. Vorbereitungshand-
lungen und Versuch. Teilnahme und Begünstigung.
IV. Von den einzelnen strafbaren Handlungen........................88
Die Staatsverbrechen im engeren Sinne. Widerstand gegen die
Staatsgewalt. Verbrechen wider die öffentliche Ordnung. Münz-
verbrechen. Meineid. Verbrechen gegen Religion und Sittlichkeit.
Vergehen gegen die Ehre. Verbrechen ander das Leben.
Körperverletzung. Handlungen gegen die persönliche Freiheit.
Handlungen gegen das Vermögen. Strafbarer Eigennutz uiid Ver-
letzung fremder Geheimnisse. Gemeingefährliche Verbrechen und
Vergehen. Verbrechen und Vergehen im Amte. Übertretungen.
3. Kapitel.
Das Strafverfahren..............................................................101
Einleitung. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte. Das Vorver-
fahren. Das Hauptversahren. Das schwurgerichtliche Verfahren. Be-
rufung, Revision und Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Straivoll-
streckung. Besondere Verfahrensarten (Strafbefehle, Strafverfügungen
und Strafbescheide. Die Privatklagen und Nebenklagen. Das Forst-
strafverfahren). Das Militärstrafverfahren.
XIV
Inhaltsübersicht
4. Kapitel.
Seite
Das bürgerliche Recht...............................................116
Einleitung....................................................116
A. Allgemeine Lehren............................................118
I. Die Personen.............................................118
1. Die natürlichen Personen..............................118
Rechtsfähigkeit. Der Personenstand. Die Todeserklärung
Verschollener. Die Minderjährigen und Entmündigten.
2. Die juristischen Personen.............................122
II. Die Rechtsgeschäfte..................................* . 123
Begriff. Die Willenserklärungen und die Willensmängel.
Abschluß und Inhalt der Rechtsgeschäfte.
III. Die Ausübung und Verjährung der Rechte .... 128
Schikane. Selbsthilfe. Verjährung.
B. Von den SchuldVerhältnissen..................................129
I. Gemeinsames..............................................129
Begriff und Inhalt der Schuldverhältnisse. Verzug des Schuld-
ners oder des Gläubigers. Veränderung und Erlöschen der
Schuldverhältnisse.
II. Die wichtigsten einzelnen Schuldverhältnisse . . . 133
Kauf und Tausch. Schenkung. Miete und Pacht. Darlehen.
Dienstvertrag. Werkvertrag. Mäklervertrag. Bürgschaft. Un-
erlaubte Handlungen.
<2. Vom Sachenrechte ............................................141
I. Einleitung ...............................................141
II. Die Rechte an Grundstücken...............................142
1. Einleitung. 2. Die Grundbücher und deren Führung. 3. Be-
schränkungen des Grundeigentums (öffentlich rechtliche Be-
schränkungen, Nachbarrecht, Zwangsenteignung usw.). 4. Erwerb
und Verlust des Grundeigentums. 5. Die dinglichen Rechte an
fremden Grundstücken (Erbbaurecht, Dienstbarkeiten, Wohnungs-
recht, Reallasten, Nießbrauch, Vorkaufsrecht). 6. Die Hypotheken,
Grund- und Rentenschulden insbesondere.
III. Die Rechte an beweglichen Sachen........................150
Erwerb durch Vertrag und Übergabe, durch Ersitzung, Verbin-
dung oder Verarbeitung. Fund und Schatz. Pfandrechte an
beweglichen Sachen.
v. Vom Familienrechte............................................152
I. Die Ehe.
Das Verlöbnis. Erfordernisse der Eheschließung. Form der
Eheschließung. Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen. Das
eheliche Güterrecht. Die Scheidung der Ehe. Nichtige und
anfechtbare Ehen.
Inhaltsübersicht
XV
Seite
II. Die Verwandtschaft...........................................159
Begriff der Verwandtschaft und Schwagerschaft. Das Verhält-
nis zwischen Eltern und Kindern. Die Rechtsstellung der
Kinder. Die Annahme an Kindesslatt.
III. DieVor mundschaft...........................................163
Die Vormundschaft über Minderjährige. Die Vormundschaft
über Volljährige und die Pflegschaften.
F. Vom Erbrechte...................................................166
I. Die gesetzliche Erbfolge....................................166
Die Erbfolge: 1. der Verwandten. 2. der Ehegatten, 3. des
Fiskus.
II. Testament und Erbvertrag.....................................168
Inhalt der Testamente. Fähigkeit zur Testamentserrichtung. Die
verschiedenen Testamentsformen. Aufhebung eines Testaments.
Ablieferung und Eröffnung der Testamente. Erbverträge und
Erbverzichte. Gemeinschaftliche Testamente.
III. Der Pflichtteil und die Erbunwürdigkeit.....................172
IV. Die rechtliche Stellung der Erben...........................173
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft. Haftung der Erben
für die Nachlaßschulden.
V. Das Verfahren zur Sicherung, Feststellung und
Auseinandersetzung der Erbschaft und zur Ermittlung
der Erben; der Erbschein.....................................175
VI. Die Ausgleichungspflicht der Abkömmlinge . . . 177
F. Vom Handels- und Wechselrechte...................................178
i. Die Gesetzgebung. 2. Der Handelsstand. 3. Die Handelsgesell-
schaften (offene Handelsgesellschaften, stille Gesellschaften, Kommandit-
gesellschaften, desgleichen auf Aktien, Aktiengesellschaften, Gesellschaften
mit beschränkter Haftung, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften).
4. Die Handelsgeschäfte. 5. Das Wechselrecht.
(1. Vom Schutze des geistigen Eigentums.............................187
Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst. Schutz der Waren-
bezeichnungen. Schutz von Mustern und Modellen. Patent- und
Gebrauchsmusterschutz.
5. Kapitel.
Das Zivilprozeßverfahren..................................................190
I. Zweck, Begriff und Grundsätze des Zivilprozeßverfahrens 190
II. Die Zuständigkeit der Gerichte. Die Gerichtspersonen . 192
Die sachliche Zuständigkeit der ordentlichen und der besonderen Ge-
richte. Die örtliche Zuständigkeit. Vereinbarungen über Zuständig-
keit. Ausschließung und Ablehnung der Richter.
XVI
Inhaltsübersicht
Seite
III. Die Prozeßparteien............................................196
Parteifähigkeit und Prozeßfähigkeit. Streitgenossenschaft. Die Prozeß-
vollmacht. Die Prozeßkosten und das Armenrecht.
IV. Das Verfahren bis zum Urteil..................................198
Das Verfahren vor den Landgerichten; desgleichen vor den Amts-
gerichten.
V. Das Beweisverfahren insbesondere.............................201
Die Beweislast und die Belveiswürdigung. Die Zeugen und Sach-
verständigen. Die Urkunden. Der Parteieid.
VI. Die Rech tsmittel und die Wiederaufnahme des Verfahrens 204
Berufung, Revision und Beschwerde. Die Wiederaufnahme des Ver-
fahrens.
VII. Die besonderen Versahrensarten.............................206
Das Mahnverfahren. Der Urkunden- und Wechselprozeß. Das Ver-
fahren in Ehesachen. Das Entmündigungsverfahren. Das Auf-
gebotsverfahren. Das schiedsrichterliche Verfahren.
VIII. DieZWangsvollstreckung......................................208
Die Grundlagen der Zwangsvollstreckung. Die verschiedenen Arten
ihrer Durchführung. Der Offenbarungseid.
IX. Arreste und einstweilige Verfügungen........................211
6. Kapitel.
Das Konkursverfahren
212
3. Teil.
Das Gebiet der inneren Verwaltung.
1. Abschnitt.
Bedeutung, Organisation und Verfahren der inneren Verwaltung
im allgemeinen.
A. Begriff und Umfang der inneren Verwaltung......................217
Verwaltung überhaupt. Innere Verwaltung. Unterschied zlvifchen Justiz
und Verwaltung. Staatsverwaltung und Selbstverwaltung.
6. Die Organisation der bayerischen Staatsverwaltung und ihr Verfahren . 219
Das Staatsministerium des Innern. Die Kreisregierungen. Die Distrikts-
verwaltungsbehörden.
Inhaltsübersicht
XVII
Seite
C. Die bayerische Vcrwaltuilgsrcchtspficge.................................222
D. Die bayerischen Selbstverwaltungskörper.................................224
Vorbemerkung.
I. Die politischen Gemeinden........................................225
Allgemeines. Das Heimatrecht. Das Gemeindebürgerrecht. Die
Gemeindeorgane. Der Gemeindehaushalt.
II. Die Distriktsgemeinden...........................................243
Allgemeine Stellung. Organe. Ausgaben.
III. Die Kreisgemeinden..............................................245
Allgemeine Stellung. Organe. Ausgaben.
E. Tie Berwaltungsorganisation der größten anßerbayerischcn Bundesstaaten 247
Preußen. Sachsen. Württemberg. Baden. Elsaß-Lothringen.
2. Abschnitt.
Das geistige und das körperliche Leben.
A. Unterricht und Erziehung................................................251
§ 1. Einleitung.
Bedeutung des Unterrichtswesens. Das Staatsministenum des
Innern für Kirche und Schulangelegenheiten. Der Oberste Schul-
rat. Die Schulkommissionen.
8 2. Die Volksschulen.................................................253
Die Schulpflicht und die Schulversäumnisse. Organisation der
Volksschulen. Der Aufwand für die Volksschulen. Die Schulauf-
sicht. Die Lehrer.
§3. Die Fachschulen...................................................258
§ 4. Die humanistischen und die realistischen Mittelschulen 259
Allgemeines. Die humanistischen Gymnasien mit den Progymnasien
und den Lateinschulen. Die Realgymnasien. Die Realschulen. Die
Oberrealschulen. Das Technikum zu Nürnberg.
§5. Die Hochschulen.......................................262
Die Universitäten. Die Technische Hochschule. Die Lyzeen. Die
Forstliche Hochschule. Die Akadenrie für Landwirtschaft und
Brauerei.
§ 6. Die privaten Erzrehungs- und Unterrichtsanstalten . 267
§7. Die öffentlichen Erziehungsanstalten..................267
§ 8. Die Fürsorge für blinde, taubstumme und krüppel-
hafte Kinder.................................................268
§ 9. Die Zwangserziehung...................................268
XVIII
Inhaltsübersicht
Seite
B. Kunst und Wissenschaft...................................................269
Die Oberste Leitung. Die Anstalten zur Förderung der Wissenschaft.
Die zeichnende, malende und plastische Kunst. Die Akademie der Ton-
kunst. Die Erhaltung anthropologisch, historisch oder künstlerisch wert-
voller Gegenstände.
C. Das Kirchenwescn............................................................272
I. Die Stellung des Staates zum religiösen Bekenntnis
und zu den Kirchen................................................272
Die staatsrechtliche Stellung der Religionsgesellschaften. Die Ge-
wissensfreiheit. Die öffentlichen und die privaten Kirchengesellschasten.
Die inneren Kirchenangelegenheiten, die Gegenstände gemischter Natur,
die weltlichen Kirchenangelegenheiten. Das kirchliche Vermögensrecht.
II. Die katholische Kirche ............................................277
Die Stellung des Papstes und der Kardinäle. Die Bistümer. Die
Dekanate. Die Pfarreien. Die geistlichen Gesellschaften und Institute.
III. Die evangelischen Kirchen . ...................................279
Der Summepiskopat. Die beiden evangelischen Kirchen. Die Ge-
meinden, die Dekanate und die Konsistorialbezirke. Die Kirchenvor-
stände, die Presbyterien und die Synoden.
O. Das Gesundheitswesen.......................................................281
Einleitung...............................................................281
§ 1. Die Behörden und Beamten............................................282
Das Reichsgesundheitsamt und der Reichsgesundheitsrat. Das
Ministerium des Innern. Der Obermedizinalausschuß. Die Kreis-
medizinalausschüsse. Die Medizinal-Komiteen. Die Landgerichts-
ärzte und Bezirksärzte.
§ 2. Das Heilpersonal und die Apotheken..............................283
Die Ärzte. Die Zahnärzte. Die Apotheker und die Apotheken.
Die Hebammen. Die Bader.
§ 3. Die Gesundheitspflege und Gesundheitspolizei . . . 287
Allgemeines........................................................287
Schutz gegen schädliche Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände
(Nahrungsmittelgesetz, Verkehr mit Fleisch, Butter und
Schweineschmalz, künstlichen Süßstoffen, Wein, Milch und
giftigen Stoffen)............................................287
Schutz gegen ansteckende Krankheiten...............................291
Internationale Übereinkünfte gegen Cholera und Pest. Reichs-
gesetz über Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Die
Schutzpockenimpfung.
Die Jrrenfürsorge..................................................292
Das Leichen- und Begräbniswesen....................................293
Sonstige gesundheitspolizeiliche Bestimmungen......................294
E. Das Armenwesen.............................................................294
F. Die Polizei.......................................•••••.• 298
Begriff. Die Polizeibehörden und ihre Befugnisse. Die Gendarmerie
und die sonstigen polizeilichen Vollzugsorgane. Die Baupolizei.
Die Wohnungspolizei. Die Feuerpolizei. Das Paß- und Melde-
wesen. Die Presse. Vereine und Versammlungen.
Inhaltsübersicht
XIX
3. Abschnitt.
Das wirtschaftliche Leben.
1. Kapitel-
Seite
Die Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre......................309
A. Bedeutung und Entwicklungsstufen der Volkswirtschaft 309
Privatwirtschaft und Volkswirtschaft. Die Stufen der geschlossenen
Hauswirtschaft, der Stadtwirtschafr, der Volkswirtschaft und der
Weltwirtschaft.
B. Begriff und Geschichte der Volkswirtschaftslehre und
Volks Wirtschaftspolitik............................................311
Merkantilsystem. Physiokratisches System. Jndustriesystem des
Adam Smith. Die neueren Schulen. Der Sozialismus insbesondere.
Die heutige Volkswirtschaftspolitik.
C. Die Gütererzeugung ..................................................315
Begriff und Arten der Produktion....................................315
Die Faktoren derselben (Natur, Arbeit, Kapital).....................315
Die Verbindung dieser Produktivkräfte zuui Unternehmen .... 319
Stellung und Bedeutung des Unternehmers. Die Formen der
Unternehmungen (Klein- und Großbetrieb, Aktiengesellschaften,
Staatsbetriebe und Monopole, Ringe, Kartelle und Trusts).
Die Vereiniguiigen der ivirtschaftlich Schwachen (die Erwerbs-
und Wirtschaftsgenossenschasten).
O. Der Güterumlauf.....................................................323
Begriff desselben. Der Handel. Wert und Preis der Güter. Die
Natural-, die Geld- und die Kreditwirtschast.
E. Die Güterverteilung.................................................326
Das Einkommen im allgemeinen. Der Arbeitslohn. Die Kapital-
und die Grundrente. Der Kapitalzins.
2. Kapitel.
Geld und Kredit. Banken und Börsen. Maße und Gewichte...................329
A. Metall- und Papiergeld. Banknoten.............................329
Münzhoheit und Münzregal. Die Technik des Münzwesens. Kurant-
und Scheidemünzen. Die Gold- und die Silberwährung; die Doppel-
währung. Das Papiergeld. Die Banknoten.
B. Das Kreditwesen im allgemeinen................................336
Begriff und Voraussetzungen des Kredits. Arten des Kredits. Seine
Vorteile und Gefahren.
C. Die Banken und Sparkassen.....................................339
Ihre Bedeutung. Die wichtigsten Bankgeschäfte. Die Reichsbank.
Die K. Bank zu Nürnberg.
XX
Inhaltsübersicht
Seite
D. Die Börsen.........................................................346
E. Maß- und Gewichtswesen und dergleichen.............................348
Maße und Gewichte. Elektrische Maßeinheiten. Feingehalt der Gold-
und Silberwaren. Prüfung von Handfeuerwaffen. Die mittel-
europäische Einheitszeit.
3. Kapitel.
Die Arbeitcrversicherung.........................................................350
Allgemeines. Die Krankenversicherung. Die Unfallversicherung. Die
Invalidenversicherung.
4. Kapitel.
Das sonstige Versicherungswesen..................................................361
Die Bedeutung der Versicherung. Die verschiedenen Versicherungsarten.
Die Träger der Versicherungen. Die Beaufsichtigung des Versicherungs-
wesens. Die Lebensversicherung. Die Feuerversicherung der Gebäude
und der Fahrnisse. Die Hagelversicherung. Die Viehversicherung. Die
Pferdeversicherung. Die Haftpflichtversicherung.
5. Kapitel.
Die Landwirtschaft und die Viehzucht.............................................360
I. Die Entwicklung und Bedeutung der Landwirtschaft . . 360
II. Die Organe zur Förderung der Landwirtschaft .... 372
Die oberste Leitung. Der kulturtechnische Dienst. Sonstige Organe.
Der landwirtschaftliche Verein. Der deutsche Landwirtschaftsrat und
die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft.
III. Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft .... 374
Die Flurbereinigung. Der Handel mit ländlichen Grundstücken. Der
Schutz gegen schädliche Tiere, insbesondere gegen die Reblaus. Die
Landeskulturrentenanstalt. Die bayerische Landwirtschaftsbank. Die
landwirtschaftlichen Schutzzölle.
IV. DieViehzucht........................................................377
Die Körung der Zuchtstiere. Die Körung der Hengste und das Ge-
stütswesen. Der Hufbeschlag. Die Rinderschauen. Die Geflügel-
zucht. Die Bienenzucht.
V. Die Bekämpfung der Tierkrankheiten ................................370
Die Organisation des Veterinärwesens Die Maßregeln gegen Verbrei-
tung der Viehseuchen; Entschädigung für Seuchenverluste. Die
Rinderpest.
6. Kapitel.
Die Jagd und die Fischerei .................................................382
7. Kapitel.
Das Gewerbe......................................................................387
I. Begriff des Gewerbes. Die Verwaltung des Gewerbe-
wesens ...............................................................
387
Inhaltsübersicht
XXI
II. Die geschichtliche Entwicklung.................................389
Die Zünfte des Mittelalters und ihre Entartung. Die Gewerbe-
freiheit. Die Hausindustrie und der Fabrikbetrieb.
III. Die allgemeinen Grundzüge unserer Gewerbegesetz-
gebung ...............................................................390
Freiheit des Gewerbebetriebs. Genehmigungspflichtige Anlagen. Die
konzessionspflichtigen Gewerbe. Die Untersagung gewisser Gewerbe.
Die Approbationen. Die Taxen. Der Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen.
IV. Die Organisation des Handwerks..............................393
Die Innungen. Die Handwerkskammern.
V. Die gewerblichen Arbeiter...................................395
Die Arbeiterfrage (Ihre Entstehung; die Staats- und die Selbsthilfe.
Koalitionsfreiheit, Gewerkschaften und Streiks)...........395
Die allgemeinen Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter (Der Arbeits-
vertrag. Die Lohnzahlung. Arbeits- und Lohnzahlungsbücher.
Zeugnisse. Die Arbeiterschutzvorschriften. Die Sonntagsruhe) 397
Die Lehrlinge, Gesellen und Meister..........................398
Die Fabrikarbeiter. Der Kinderschutz. (Arbeitsordnungen und
Arbeiterausschüsse. Beschäftigung der Kinder, der jugendlichen
Personell und der Arbeiterinnen. Das Kinderschutzgesetz.) . . 400
Bestimmungen für offene Verkaufsstellen......................401
Die staatliche Aufsicht. (Gewerbeaufsichtsbeamte.)...........401
Das Arbeitermuseum............................................ . 402
8. Kapitel.
Handel und Verkehr. Das staatliche Banwesen..............................402
X. Der Handel.........................................................402
Begriff, Aufgabe und Arten des Handels. Handelsbilanz und Wirt-
schaftsbllanz. Handelsfreiheit, Handelsverträge und sonstige Förderung
des Handels. Die Handelskammern und die Handelsgremien.
B. Die Eisenbahnen.................................................405
C. Die Post und Telegraphie........................................409
D. Das Bauwesen, Wege- und Wasserrecht........................411
Die Behörden. Das Straßenwesen. Das Wasserrecht.
E. Die Binnenschiffahrt............................................417
F. Die Seeschiffahrt...............................................419
Allgemeines. Förderung und Schutz der Seeschiffahrt. Die Verhält-
nisse der Schisfsbesatzung.
4. Teil.
Die auswärtigen Angelegenheiten.
Überblick...................................................................422
Die Gesandtschaften.........................................................423
XXII Inhaltsübersicht
Seite
Die Konsulate...........................................................424
Die deutschen Schutzgebiete.............................................426
5. Teil.
Heer und Kriegsflotte.
^-Einleitung............................................................429
Aufgabe der bewaffneten Macht. Das deutsche Heer als Einheit. Die
Kontingente der Bundesstaaten und ihre Verwaltung.
B. Die Zusammensetzung und Verwaltung des Heeres..................430
Die verschiedenen Waffengattungen. Die Gliederung der Truppenkörper.
Der Generalstab. Die Heeresverwaltung.
<2. Die Heeresstärke und der Ersatz des Heeres..........................435
Die Friedens- und die Kriegsstärke. Die Ersatzbehörden lind das Ver-
fahren beim Ersatzgeschäst.
v. Die Wehrpflicht und die Heereslasten.................................438
Begriff und Dauer der Wehrpflicht. Die Dienst- und die Landsturmpflicht
im allgemeinen. Der aktive Militärdienst insbesondere. Der Beur-
laubtenstand. Die Verletzungen der Wehrpflicht...................438
Quartier- und Naturalleistungen für das Heer. Grundeigentumsbe-
schränkungen bei Festungen........................................442
F. Die Verhältnisse der Militärpersonen.............................443
Ausbildung der Offiziere. Die Reserveoffiziere. Ehrengerichte und Ehren-
rat. Wahlrecht usw., Verheiratung und Besteuerung. Die Pensionen
und sonstigen Versorgungen.
F. Die Kriegsflotte....................................................446
Ihre Aufgabe. Der Flottenplan. Der Oberbefehl und die Marine-
behörden. Die Mannschaften und die Offiziere.
G. Internationale Abkommen über Kriegführung...........................449
Genfer Konvention und Rotes Kreuz. Haager Friedenskonferenz.
6. Teil.
Vas Finanzwesen.
A. Allgemeiner Teil....................................................451
Die Finanzwirtschaft der Staaten im allgemeinen. Die Steuern. Die Staats-
schulden. (Arten derselben; Aufnahme der Anleihen; Verzinsung; Tilgung.)
B. Der Reichshaushalt..................................................456
Die Ordnung des Reichshaushalts im allgemeinen....................456
Das Vermögen und die Schulden des Reichs.......................458
Inhaltsübersicht.
XXIII
Seite
Die Reichssteuern........................................................458
Allgemeines. Salzsteuer. Tabaksteuer. Zigarettensteuer. Zucker-
steuer. Branntweinsteuer. Brau- oder Biersteuer. Schaumwein-
steuer. Spielkartensteuer. Wechselstempelsteuer. Neichsstempelab-
gaben. Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Die Zölle................................................................463
Der ehemalige Deutsche Zollverein. Das jetzige Zollgebiet. Vertrags-
tarife und autonomer Tarif. Wert- und Gewichtszölle. Finanz- und
Schutzzölle. Die Zollerleichterungen. Die Zollhinterziehungen.
Der bayerische Landeshaushalt...............................................466
Die Finanzbehörden...........................................................466
Die Staatsgüter..............................................................468
Die Forstwirtschaft..........................................................468
Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Waldes. Die staatliche Tätig-
keit in bezug auf das Forstwesen in: allgemeinen. Die Forstbehörden.
Die Forstpolizeibehörden. Die forstpolizeiliche Tätigkeit. Die
Forstpolizei in der Pfalz.
Das Berg-, Hütten- und Salinenwesen..................................471
Die bayerischen Staatsschulden...............................................473
Die dwekten Steuern Bayerns..................................................474
Allgemeine Bestimmungen. Die Grundsteuer. Die Haussteuer. Die
Grubenfeldabgabe. Die Einkommensteuer. Die Kapitalrentensteuer.
Die Gewerbesteuer. Die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen.
Die indirekten Steuern Bayerns...............................................481
Der Malzaufschlag. Die Hundegebühr. Die Gebühren. Die Erb-
schaftssteuer.
Die Grundzüge der bayerischen Steuerreform...................................483
Zur Beachtung.
Einzelne Berichtigungen und Nachträge, die infolge von Änderungen not-
wendig wurden, die sich während des Druckes ergaben, und zum Teil
zurzeit noch nicht in Kraft getretenes Recht berücksichtigen, sind an: Ende
beigefügt.
ur Kinführung.
A. Vom Staat überhaupt.
Die ursprünglichste und engste Vereinigung mehrerer Menschen ist
die Familie, deren Bestand sich gründet auf die durch die Natur
dem Menschen eingegebene Liebe und Fürsorge der Gatten zu ein-
ander und zu den gemeinschaftlichen Kindern. Sie ist nicht nur die
Heimat des reinsten dem Menschen beschiedenen Glückes, sondern zu-
gleich die Pflanzstätte der wertvollsten menschlichen Tugenden, näm-
lich der Treue und der selbstlosen, freiwilligen Unterordnung und
Hingabe an andere, ohne welche eine Weiterentwicklung und Vervoll-
kommnung des Menschengeschlechtes nicht möglich wäre. Daher bildet
die Familie auch die Grundlage eines jeden Volkes; wenn ihre Bande
in einem Volk sich lockern und zerfallen, ist regelmäßig auch das Volk
selbst dem Untergang nahe.
Aus den Familien entwickeln sich naturgemäß durch Heirat der
Kinder die Geschlechter oder S t ä m in e, d. h. die Vereinigun-
gen der durch Verwandtschaft zusammengehörigen Familien. Die
durch Gemeinsamkeit der Abstammuug, Sprache und Sitte mit-
einander verbundenen Geschlechter und Stämme endlich bilden zu-
sammen ein V o l k. So lange ein solches Volk aber noch keinen Acker-
bau treibt, sondern von der Jagd, dem Fischfang oder der Viehzucht
lebt und ständig feine Wohnsitze wechselt (sog. Nomadenvölker), bildet
es noch keinen eigentlichen Staat. Sobald es jedoch seßhaft
geworden, wird es durch die Notwendigkeit, sein Gebiet gegen
äußere Feinde zu schützen, gezwungen, sich näher zusammenzu-
schließen. Das Zusammenleben auf festen Wohnsitzen erfordert
ferner die Aufstellung allgemein gültiger Vorschriften, deren Be-
achtung nötigenfalls gegenüber dem einzelnen erzwungen werden muß.
So entsteht das ungeschriebene und das geschriebene Recht eines
Volkes, so entsteht ein S t a a t, d. h. eine Volksgemeinschaft, welche
allgemein verbindliche Vorschriften über sich anerkennt und zur
G lock-Schied ermair, Burgerkunde. 1
2 Zur Einführung
Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen eine gemeinsame Organi-
sation besitzt.
Wir ersehen hieraus, daß ein Staat in der Regel weder auf die
Gewalt oder List der Stärkeren sich gründet, noch (wie Rousseau im
18. Jahrhundert lehrte) auf Vertrag beruht. Das Leben und die
Entwicklung der Völker wird vielmehr, wie das Weltall überhaupt,
von den Naturgesetzen beherrscht, und diese sind es, die mit der ihnen
innewohnenden Notwendigkeit die Völkergemeinschaften im Verlaufe
ihrer Entwicklung zu Staaten formen, und zwar zumeist, ohne daß
die einzelnen Menschen hierbei bewußt handeln.
Die Aufgaben des Staates wachsen mit seiner Entwicklung. Da
ein Volk nur dann einen selbständigen Staat bildet, wenn es fein
Land frei und unabhängig von anderen Völkern besitzt, so ist zunächst
schon im Beginn seiner Entwicklung seine Hauptaufgabe die Abwehr
äußerer Feinde. Aber auch aus Wahrung des inneren Friedens muß
der Staat alsbald bedacht sein gegenüber solchen Volksgenossen, welche,
die für das Zusammenleben gegebenen notwendigen Vorschriften nicht
achtend, dem Besitze, der Ehre oder dem Leben anderer zu nahe
treten. Der Staat muß daher richtend und strafend die von ihm ge-
gebene Rechtsordnung aufrechterhalten. In früherer Zeit (vgl. die
Lehre des Philosophen Kant vom sog. Rechtsstaate) hielt man da-
mit die Ausgaben des Staates im wesentlichen für erschöpft. Mit
Unrecht. Für sein geistiges, sittliches, körperliches und wirtschaft-
liches Wohl kann der einzelne allein vielfach nicht genügend sorgen.
In allen diesen Beziehungen muß daher, unbeschadet der Freiheit der
Staatsbürger, der Staat mit seiner stärkeren Hand helfend und för-
dernd eingreifen. So sorgt er für den Unterricht durch Einrichtung
von Schulen verschiedenster Gattung; er wendet große Mittel aus
zur Pflege der das Leben verschönernden und verklärenden Künste
und der Wissenschaften, deren Entwicklung nicht nur dem wirtschaft-
lichen und gesundheitlichen Fortschritt dient, sondern auch immer
tiefer in die Wunder der Schöpfung blicken läßt. Den religiösen Be-
dürfnissen der Menschen wird der Staat durch Unterstützung und
Förderung der kirchlichen Gemeinschaften gerecht. Für die Gesund-
heit sorgt er durch Ausbildung des Heilpersonals, durch Einrichtung
von Kliniken und Krankenhäusern, Irrenanstalten, Bädern, Wasser-
leitungen u. dgl., durch Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs-
mitteln und durch mannigfache sonstige Vorkehrungen^ Die Bau-
polizei, Feuerpolizei und Gewerbepolizei bezweckt die Sicherheit der
einzelnen und die Abwendung der Gefahren, welche mit den ver-
schiedenen Gewerbebetrieben verknüpft sind. Armen und Kranken
leistet der Staat seine Hilfe und Unterstützung, und durch Kranken-,
Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung wendet er den weniger
Vom Staat überhaupt
3
bemittelten Klassen seine besondere Fürsorge zu. Die Landwirtschaft
und die Viehzucht, die Forstwirtschaft und der Bergbau finden glei-
chermaßen Schutz und Unterstützung durch den Staat. Er sorgt ferner
für Prägung von Geldmünzen, für Errichtung von Sparkassen und
Banken, für genaue Regelung des Maß- und Gewichtswesens und er-
möglicht und fördert so einen lebhaften und ungestörten Austausch
der Güter. Ein über das ganze Land verbreitetes, sorgfältig aus-
gebautes Netz von wohlunterhaltenen Straßen, von Eisenbahnen,
Posten und Telegraphen dient dem örtlichen Verkehr der Menschen
und Waren sowie dem Austausch von Mitteilungen. Er überbrückt
die Flüsse, sorgt für ihre Schiffbarmachung und Eindämmung
gegen Ueberschwemmungsgefahr und schafft künstliche Wasserstraßen,
die Kanäle. Die Kolonien, die der Staat gründet, bieten Absatz-
felder für einheimische Erzeugnisse und neue, unter dem Schutze des
Mutterlandes stehende Wohnsitze für Auswanderer. In fremden
Ländern schützt der Staat seine Angehörigen und deren Interessen
durch seine Vertreter sowie durch Verträge, welche er mit auswär-
tigen Regierungen abschließt. Wie endlich das Landheer die Grenzen
verteidigt, so schirmt eine starke Flotte den Handel der Bürger auf
dem Weltmeere und leiht ihnen auch in fernen Erdteilen den Schutz
des Vaterlandes.
Doch genug der Beschreibung der einzelnen Vorteile und Wohl- 6
taten, welche wir dem Staate verdanken! Sie würde doch nie uns
sagen können, was unser Vaterland uns bedeutet, dieser teure Boden,
der uns zuerst bei unserer Geburt begrüßte, auf dem wir unsere
Jugendtage verlebten, und aus dem wir alle unsere Kraft geschöpft
haben. Weit mehr noch, als wir ahnen, verdanken wir, was wir
find und haben, ja unser ganzes Denken und Fühlen, unserem Vater-
lande, und jeder einzelne von uns und sein Wohl und Wehe erscheint
unbedeutend und geringfügig gegenüber dem Wohl und Wehe des
Ganzen.
Wenn man von den Vorteilen und Rechten spricht, welche der 7
Staat seinen Bürgern gewährt, darf man auch der Pflichten nicht
vergessen, die er ihnen auferlegt und auferlegen muß; denn ohne
Pflichten sind auch keine Rechte denkbar; sie sind beide untrennbar
verbunden wie die Vorder- und die Rückseite einer und derselben
Münze. In erster Reihe obliegt uns die Achtung vor den Gesetzen;
sie stellen den Willen des Volkes dar und erfordern deshalb Befolgung
und Achtung auch dann, wenn wir sie im einzelnen Falle nicht für-
richtig halten oder nicht verstehen. Sodann verlangt der Staat unsere
freudige und unbeschränkte Hingabe an das öffentliche Wohl, und
zwar nicht nur im Kriege, in dem wir gerne unser Leben für das
Vaterland einsetzen. Auch im Frieden sollen wir stets des Grund-
ig
4
Zur Einführung
satzes eingedenk sein, daß das Wohl des Ganzen immer über unserem
eigenen Wohl stehen muß. Endlich aber sind die Pflichten, die uns
gegen uns selbst zukommen, besonders die Pflicht strenger Recht-
schaffenheit und Wahrhaftigkeit, der Mäßigkeit, des Fleißes und der
Ausbildung und Stählung unseres Körpers und unserer Gesundheit
zugleich ernste Pflichten gegenüber dem Staat; denn nur fo lange
diese Tugenden in dem Volke leben, kann es gedeihen und blühen;
sind sie verloren, fo versinkt es und andere, noch unverdorbene Völker
treten an feine Stelle.
Wie wir leicht das Glück einer ungestörten Gesundheit gering
achten, fo lange nicht Krankheit sich fühlbar macht, fo wird die Bedeu-
tung des Staates häufig deshalb nicht richtig gewürdigt, weil wir
an feine Wohltaten von Jugend auf gewöhnt sind und sie daher als
etwas Selbstverständliches hinnehmen. Vielen kommt fo das Dasein
des Staates nur dann zum Bewußtsein, wenn er verbietend oder
strafend oder Geldopfer heischend auftreten muß; er erscheint ihnen
deshalb vorwiegend als etwas Lästiges, Unbequemes. Nur fo ist die
seltsame Tatsache zu erklären, daß es auch heutigen Tages noch solche
gibt, die behaupten, eine völlige Herrfchaftslosigkeit (Anarchie) fei
dem Leben im Staate vorzuziehen.
Die wirkliche Bedeutung des Staates für unser Leben vermag
nur zu würdigen, wer nicht nur verschwommene und undeutliche Vor-
stellungen über ihn besitzt, sondern sich die Mühe ninnnt, seine Ein-
richtungen und seine Wirksamkeit genauer kennen zu lernen. Ein
solches näheres Eindringen führt zugleich zur Erkenntnis, daß der
Staat nicht ein toter Mechanismus ist, den man heute so und morgen
anders gestalten kann. Weit eher ist er an Mannigfaltigkeit und
Feinheit dem Organismus des menschlichen Körpers zu vergleichen;
denn alle seine Klassen, Stände und Berufskreise sind durch zahllose
Beziehungen miteinander verbunden und von einander abhängig, wie
die verschiedenen Organe eines und desselben lebenden Körpers. Wie
man aber nicht in die Lebensbedingungen unseres Körpers gewaltsam
eingreifen darf, soll nicht das Leben selbst gefährdet werden, so birgt
jeder schroffe, nicht aufs sorgfältigste erwogene Eingriff des Staates
in das wirtschaftliche und sonstige Leben eines Volkes für dasselbe
schwere Gefahren. Fast jede Maßregel, welche einem Stande Vor-
teil bringt, hat für andere Stünde oder Berufsklassen die gegen-
teilige Wirkung und wird daher von ihnen heftig bekämpft? Nichts
ist daher ungerechtfertigter, als wenn jeder Stand stets nur seine
1 Man erinnere sich als eines einzigen Beispiels nur an die Getreide-
zölle, welche von der Landwirtschaft nachdrücklich als für ihr Fortbestehen
notwendig verlangt, von der anderen Seite aber wegen der damit ver-
knüpften Steigerung der Lebensmittelpreise aufs heftigste befehdet werden.
Die verschiedenen Staats formen
5
Interessen im Auge hat und glaubt, der Regierung zur Last legen zu
dürfen, wenn er sich nicht so wohl befindet, wie es wünschenswert
wäre. Abgesehen nämlich davon, daß in unseren konstitutionellen
Staaten die Regierung überhaupt nicht imstande und nicht be-
rechtigt ist, tiesergehende Reformen gegen den Willen der Mehrheit
des Volkes durchzusetzen, kann und darf sie auch nicht einem einzelnen
Stande ihre ausschließliche Fürsorge zuwenden; sie muß die Inter-
essen aller gegeneinander abwägen und kann dem einzelnen nur so-
viel geben, als sich mit den berechtigten Ansprüchen der anderen ver-
trägt.
Die Kenntnis unseres Staatslebens hat aber endlich noch eine
tiefere Bedeutung und Wirkung. Keine Regierung, auch nicht die
weiseste, kann ein Volk nachhaltig und dauernd auf eine höhere Stufe
der Entwicklung heben, wenn nicht das Volk selbst in seiner politischen
Erkenntnis und Reise ständig fortschreitet. Deshalb besteht eine der
wichtigsten Pflichten jedes Staatsbürgers darin, sich einen klaren
Einblick in unser staatliches und wirtschaftliches Leben zu verschaffen,
eifrig und gewissenhaft zu prüfen, wie wir an seiner Verbesserung
arbeiten können, und alsdann für das als richtig und notwendig Er-
kannte jederzeit und überall mannhaft einzutreten. Wenn wir in
solcher Weise alle mitarbeiten am Wohle des Ganzen, so danken wir
damit am besten für alles, was wir unserem Heimatstaate, was wir
unserem Reiche schulden.
B. Van den verschiedenen Hraatch'aeinen.
1. Begriff und Inhalt der Souveränität.
Der Staat übt die ihm zustehende höchste Gewalt (die sog.
Souveränität^) aus, indem er Gesetze gibt und für deren Voll-
ziehung Sorge trägt. Die Vollziehungsgewalt wird auch die
„Exekutive" genannt. Vollzogen aber werden die Gesetze teils
durch die Rechtsprechung, durch welche sie gegenüber solchen,
die ihnen widerstreben, zur Anerkennung und Durchführung gebracht
werden, teils durch die hiervon strenge geschiedene Verwaltung. *
* Ein Staat besitzt nur dann die volle Souveränität, wenn
ihm auf seinem Gebiete allein und ausschließlich die höchste Gewalt zusteht,
und wenn er ferner befugt ist, seine Beziehungen zu anderen Staaten nach
eigenem Willen zu regeln. Halbsouverän werden Staaten genannt,
deren Selbständigkeit durch die Oberhoheit (sog. Suzerän ität) eines
anderen Staates beschränkt ist. Dahin gehört z. B. zurzeit Aegypten, das
unter der Oberhoheit der Türkei (daneben auch unter der Oberaufsicht Eng-
lands) steht.
6
Zur Einführung
Die letztere bringt die Gesetze zur Vollziehung, indem sie nach Maß-
gabe der in ihnen enthaltenen Vorschriften die Einrichtungen
schafft und die Tätigkeiten ausübt, welche (abgesehen von der Recht-
sprechung) für die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates und feiner
Angehörigen erforderlich sind.
Hiernach äußert sich also die Staatsgewalt in dreierlei Weise,
nämlich in der Gesetzgebung, in der Rechtsprechung und
in der Verwaltung.
2. Monarchien, Republiken, zusammengesetzte Staaten.
Die höchste Staatsgewalt kann in einem Staate entweder einem
einzelnen Herrscher oder dem Volke (und zwar dem Volke in seiner
Gesamtheit oder einzelnen Klassen) zustehen. Hiernach unter-
scheidet man als die beiden Hauptsormen der Staaten die
Monarchie und die Republik; doch gibt es eine große Reihe von
Uebergangsgebilden zwischen diesen beiden Grundformen.
a. Die Monarchien
sind entweder W a h l m o n a r ch i e n (z. B. das alte Deutsche
Reich) oder E r b m o n a r ch i e n (wie die Bundesstaaten des neuen
Deutschen Reichs), je nachdem die Herrscherwürde jeweils durch Wahl
übertragen wird oder sich vererbt. In den meisten Erbmonarchien
(z. B. in allen deutschen Staaten) herrscht die ausschließliche m ä n n-
liche Erbfolge (das sog. s a l i s ch e Gesetz); in einigen kann
jedoch auch die weibliche Linie zur Herrschaft gelangen, z. B. in Groß-
britannien, den Niederlanden und in Spanien.
Man unterscheidet ferner unumschränkte (absolute) Monar-
chien, in denen der Herrscher allein und nach seinem Belieben Ge-
setze erlassen und ausheben und über Krieg und Frieden entscheiden
kann, sowie beschränkte oder konstitutionelle Monarchien,
bei denen der Herrscher in der Ausübung der Staatsgewalt durch die
Mitwirkung von Vertretern des Volkes (eines sog. Parlaments)
beschränkt ist; es ist das die für die meisten Staaten der Neuzeit
geltende Mittelsorm zwischen der unumschränkten Monarchie und der
Republik; sie nähert sich stark der Republik dann, wenn dem Parla-
ment nicht nur aus die Gesetzgebung, sondern auch auf die Vollziehung
ein maßgebender Einfluß eingeräumt ist dadurch, daß das Staats-
oberhaupt die Minister jeweils aus derjenigen Partei der Volksver-
tretung wählen muß, welche die Mehrheit hat, und wenn ferner der
Monarch die vom Parlament beschlossenen Gesetze unterzeichnen muß,
ohne daß ihm selbst ein Einspruchsrecht (sog. Veto) zustünde. Man
spricht alsdann von einer parlamentarischen Regierung;
eine solche besteht in den konstitutionellen Monarchien von England,
Belgien, Italien und Griechenland, nicht aber im Deutschen Reich und
Die verschiedenen Staatsforinen
i
in dessen Einzelstaaten. Auch im konstitutionellen Staate ist der Herr-
scher für seine Handlungen nur seinem eigenen Gewissen verantwort-
lich; er kann wegen ihrer vom Volke nicht zur Rechenschaft gezogen
werden. Doch ist zum Schutze gegen willkürliche, das Volksrecht ge- 16
fährdende Handlungen regelmäßig die Bestimmung getroffen,
daß alle Regierungshandlungen des Monarchen zur Gültigkeit der
Mitzeichnung (sog. Gegenzeichnung) durch den Minister des
betreffenden Verwaltungszweiges bedürfen. Durch diese Gegenzeich-
imng übernimmt der Minister dem Volke gegenüber die volle Ver-
antwortlichkeit für die Negierungshandlung: er kann in manchen
Staaten, wenn die Handlung gegen verfassungsmäßige Rechte oder
gegen die Wohlfahrt oder Sicherheit des Staats verstößt, von der
Volksvertretung in Anklagezustand versetzt werden. Glaubt ein Mi-
nister in einem Falle die Gegenzeichnung verweigern zu miissen, so
bleibt ihm nur übrig, seine Entlassung zu nehmen.
b. DieRepubliken i7
weisen gleichfalls sehr verschiedene Formen auf.
In den aristokratischen Republiken des alten Athen,
des alten Rom und des mittelalterlichen Venedig lag die höchste
Staatsgewalt ausschließlich in den Händen einer bevorzugten Klasse,
einer Anzahl vornehmer Familien. Den Gegensatz dazu bildet die
Pöbelherrschast (Ochlokratie), wie sie z. B. zur Zeit der fran-
zösischen Revolution herrschte.
Demokratie dagegen nennt inan die Staatsform, bei wel- i8
cher dem Volke in seiner Gesanitheit die oberste Regierungsgewalt
zusteht. Entscheidet das Volk durch gewöhnliche Stimmenabgabe
über Annahme und Verwerfung der ihm von seinen Vertretern vor-
gelegten Gesetzentwürfe (wie das z. B. in der Schweiz in gewissen
Fällen geschieht), so spricht man von einer demokratischen Re-
publik, während in der sog. repräsentativen Republik
(z. B. in Frankreich) das Volk seine Rechte ausschließlich durch die
vou ihm gewählten Vertreter (das Parlament) ausiibt.
Auch bei den Republiken steht eine Person an der Spitze der
der Regierung (Archont, Konsul, Doge, Präsident); aber seine Macht-
befugnisse sind beschränkt, und er wird vom Volke stets nur für
eine bestimmte Anzahl von Jahren gewählt; so währt die Amts-
dauer des Präsidenten in der Schweiz nur ein Jahr, in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika vier Jahre, in Frankreich sieben
Jahre.
c. Z u s a m m e n g e i e tz t e S t a a t e n. 19
Die Verbindung mehrerer Staaten kann lediglich darin bestehen,
daß sie gewissermaßen zufällig den gleichen Herrscher besitzen, wie
8
Zur Einführung
z. B. Deutschland und Spanien unter Karl V. Eine solche Ver-
bindung von Staaten heißt P e r s o n a l - U n i o n; sie zerfällt,
sobald infolge einer Verschiedenheit der Erbfolgeordnungen in den bis-
her vereinigten Ländern verschiedene Herrscher zur Regie-
rung kommen. Ein solcher Fall trat im Jahr 1891 im Ver-
hältnis der Niederlande zu Luxemburg ein, als König Wil-
helm III. ohne männliche Nachkommen starb, weil für Lu-
xemburg damals noch das falifche Gesetz (f. Nr. 13) galt.
Bestimmt dagegen ein Staatsgrundgesetz, daß mehrere Staa-
ten ständig unter dem gleichen Herrscher vereinigt bleiben sollen (wie
z. B. in Oesterreich-Ungarn), so spricht man von Real-Union.
Mehrere Staaten können sich ferner durch Verträge zusammen-
schließen derart, daß die Einzelstaaten ihre Selbständigkeit und Sou-
veränität ganz oder doch fast ganz behalten; eine solche völkerrecht-
liche Vereinigung (z. B. der Deutsche Bund von 1815 bis 1866) heißt
S t a a t e n b u n d. Erfolgt dagegen ein engerer, dauernder Zu-
sammenschluß in der Weise, daß die Einzelstaaten einen erheblichen
Teil ihrer Souveränität abgeben an den Gesamtstaat, der alsdann
eine eigene Souveränität, eigene Gesetzgebung und eigene Behörden
besitzt, so entsteht ein B u n d e s st a a t. Dieser Staatsform gehören
das jetzige Deutsche Reich, die Vereinigten Staaten von Nordamerika
und die Schweiz an.
d. Welches ist die beste Staatssorm?
Diese Frage drängt sich bei Betrachtung der einzelnen Staatssor-
men einem jeden unwillkürlich auf; und doch ist ihre Beantwortung,
wenn sie so allgemein gestellt wird, nicht möglich. So wenig es
nämlich denkbar ist, ein Kleid zu fertigen, das für jedermann, in
jedem Lebensalter, zu jeder Jahreszeit und in jedem Klima patzt,
ebensowenig kann eine Staatssorm gesunden werden, die für jedes
Volk, sei es geistig, wirtschaftlich und politisch gering oder hoch
entwickelt, die richtige genannt werden könnte. Alles komnlt hier auf
den Charakter, die Geschichte, die Sitten und den Entwicklungs-
zustand eines Volkes an. Das schweizerische Volk z. B., welches von
altersher gewohnt ist, seine Geschicke selbst zu lenken, würde sich
unter jeder anderen als der republikanischen Staatssorm unglücklich
fühlen. Anderseits würde England, obwohl eines der freiheit-
liebendsten und politisch geschultesten Völker, niemals aus sein ange-
stammtes Königtum verzichten wollen. Sollte es sich anders ver-
halten beim deutschen Volke, das mit seinen Fürstenhäusern durch
die Geschichte vieler Jahrhunderte verbunden ist?
Wenn die Menschen alle selbst ideal veranlagt wären, wenn sie
ihre eigenen Interessen und diejenigen ihrer Partei stets der Rück-
Die verschiedenen Staatsformen
9
sicht auf das allgemeine Wohl unterordneten, dann wäre allerdings
denen zuzustimmen, welche die Republik als die idealste Staatsform
bezeichnen. Aber leider treffen diese Voraussetzungen zumeist nicht
zu. Vielmehr sehen wir, wie in vielen Republiken das Volk ständig
durch leidenschaftliche Parteikämpse erschüttert wird, wie die gesamte
Staatsverwaltung unter dem häufigen Wechsel oft zufälliger Mehr-
heiten leidet, wie ferner die gerade herrschende Partei nicht selten
kein Mittel scheut, um ihre Herrschaft zu erhalteu und zum Vorteil
ihrer Angehörigen auszunutzen, und wie endlich Bestechlichkeit bis in
die höchsten Staatsstellen hinaus ihren zerstörenden Einfluß iibt.
Gewiß sind auch die Monarchien von Schattenseiten nicht frei, wie es
ja überhaupt völlig ideale Staatsgebilde auf unserer Erde nicht gibt;
aber doch läßt eine unbefangene und gerechte Würdigung erkennen,
daß diejenigen konstitutionellen Monarchien unserer Zeit, an deren
Spitze Fürsten stehen, welche von dem Gefühl der Verantwortlichkeit
durchdrungen sind und den berechtigten Forderungen der Zeit Rech-
nung tragen, im Gegensatz zu der oft sprunghaften und gefährlichen
Entwicklung mancher Republiken, zunwist eine gesündere und stetigere
staatliche Fortbildung aufweisen.
3. Die Volksvertretung insbesondere.
Die Volksvertretung besteht in den meisten jetzigen Staaten aus 2z
zwei getrennten Körperschaften (sog. Zweikammersystem).
Eine einzige, unmittelbar vom Volke gewählte Körperschaft ist näm-
lich erfahrungsgemäß trt ihrer Beschlußfassung nicht selten von vor-
iibergehenden Meinungen und Strömungen und von zufälligen
Gruppierungen der Parteien zu sehr beeinflußt, als daß ihr allein
ohne Gefahr für eine ruhige und besonnene staatliche Weiterentwick-
lung die Gesetzgebung überlassen werden könnte. Man hat daher in
den meisten Staaten der Kammer der vom Volke gewählten Abgeord-
neten eine weitere Kammer zur Seite gesetzt, deren Mitglieder teils
durch ihre Geburtsstellung zur Teilnahme berusen sind, teils durch
das Staatsoberhaupt ernannt, teils durch einzelne Stände und Kör-
perschaften gewählt werden; und man nimmt an, daß diese Mit-
glieder durch ihre Bildung und ihren Besitz eine gewisse Bürgschaft
für besonnenes und einsichtsvolles Handeln gewähren.
So besteht in England neben dem aus Abgeordneten des 24
Volkes zusammengesetzten Unterhaus das Oberhaus der Lords, in
Frankreich neben der Kammer der Abgeordneten der Senat, in
Preußen neben dem Hause der Abgeordneten das Herrenhaus,
in Bayern neben der Kammer der Abgeordneten die Kammer
der Reichsräte, in Sachsen, Württemberg, Baden und
Hessen neben der Zweiten eine Erste Kammer.
10
Zur Einführung
Zum Zwecke der Wahlen für die Volkskammer (Abgeordneten-
haus, Zweite Kammer usw.) sind die Länder in Bezirke (Wahl-
kreise) eingeteilt, von denen in der Regel jeder einen Abgeordneten
stellt. Steht das Recht, zu wählen (das sog. a k t i v e W a h l r e ch t),
allen männlichen, unbescholtenen Staatsbürgern von einem bestimmten
Lebensalter ab zu, so spricht man vom allgemeinen Wahl-
recht; ein beschränktes Wahlrecht gilt dagegen in den
Ländern, wo die Wahlberechtigung nach der Steuersnmme, dem
Bildungsgrad oder andern Merkmalen abgestuft ist. Das Wahl-
recht ist ferner direkt, wenn der Abgeordnete vom Volke un-
mittelbar gewählt wird, indirekt dagegen, wenn zunächst sog.
Wahlmänner gewählt werden, welche erst ihrerseits den
Abgeordneten wählen, wie dies z. B. in Preußen geschieht. Gewählt
ist regelmäßig derjenige, welcher mehr als die Hälfte aller abgege-
benen Stimmen, die sog. absolute Majorität, für sich hat.
Ist eine solche Majorität nicht vorhanden, so muß eine sog. Stich-
wahl stattfinden; bei dieser zählen zumeist nur solche Stim-
men, die für einen der beiden Kandidaten abgegeben werden,
welche beim ersten Wahlgange die meisten Stimmen erhalten hatten.
Die Kammern treten in den meisten Ländern entweder alljährlich
oder alle zwei Jahre zu einer Tagung (Sitzungsperiode oder
Session) zusammen, welche eine Reihe einzelner Sitzungen
umfaßt. Das Amt der Abgeordneten dauert nur eine gewisse An-
zahl (3 bis 7) Jahre; diesen Zeitabschnitt nennt man eine Wahl-
periode oder Legislaturperiode; nach ihrem Ablauf fin-
den Neuwahlen statt.
Die zur Beratung und Abstimmung zu bringenden Gesetzes-
entwürfe werden in der Regel von der Negierung ausgearbeitet
und, mit einer gedruckten Begründung versehen, dem Hause vor-
gelegt; doch steht auch den Parlamenten in den meisten Staaten
das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen (sog. R e ch t d e r I n i t i a t i v e).
Die Minister oder sonstigen Vertreter der Regierungen wohnen
regelmäßig den Verhandlungen an, um die Vorschläge der Regierung
zu vertreten und auf Anfragen und Beschwerden der Volksvertretung
Auskunft zu erteilen.
Einen bedeutenden Raum in den Verhandlungen nimmt jeweils
die Beratung des Staatshaushalts-Voranschlags
(des sog. Etats oder Budgets) ein, welcher alle Einnahmen und Aus-
gaben der kommenden Etatsperiode umfaßt. Die Beratung der einzel-
nen Teile des Voranschlags gibt der Volksvertretung Gelegenheit, die
Geschäftsführung der Regierung zu besprechen und Wünsche und Be-
schwerden vorzubringen.
Vom Recht überhaupt
11
Parteien nennt man die Vereinigung solcher Personen, 29
welche gleiche politische, religiöse oder wirtschaftliche Auffassungen
und Bestrebungen haben. Eine rechtliche Bedeutung kommt
ihnen im politischen Leben nicht zu, und in den Staatsverfassungen
und sonstigen Gesetzen ist nirgends von ihnen die Rede; tatsächlich
aber üben sie auf das politische Leben innerhalb und außerhalb der
Parlamente den größten Einfluß aus. Sie sind zweifellos not-
wendig, um eine Zersplitterung der Kräfte zu vermeiden und die
Meinungen zusammenzufassen; denn, wenn jeder einzelne von Hun-
derten von Abgeordneten bei den Beratungen und Abstimmungen
seine in Nebensachen abweichende Meinung zur Geltung bringen
wollte, so würden die Beratungen und Abstimmungen endlos dauern
und kein vernünftiges Ergebnis erzielen. Verderblich aber wirken
die politischen Parteien dann, wenn ihre Mitglieder nicht ständig
davon durchdrungen sind, daß hoch über der Partei das Wohl des
Vaterlandes steht, und daß diesem Wähle gegenüber alle Rücksichten
auf die Partei und aus persönliche Interessen unbedingt zurücktreten
müssen. Die Regierung selbst wird zwar häufig in ihren Anschau-
ungen der einen oder der anderen Partei nahestehen, aber sich nicht
mit einer Partei eins fühlen; sie soll über den Parteien stehen.
C. Vom iterijt überhaupt.
Keine Gemeinschaft von Menschen kann bestehen ohne bestimmte, 3°
für alle Gemeinschastsglieder verbindliche Vorschriften. Sogar die
Kinder verabreden, wenn sie sich zu ihren Spielen vereinigen, zur
Verhütung von Streit feste Spielregeln. In jeder Familie muß es.
wenn nicht Unordnung und Unfrieden einkehren soll, eine Haus-
ordnung geben, nach der sich alle Familienglieder richten müssen.
Noch viel wichtiger und unentbehrlicher sind naturgemäß solche allge-
mein gültigen Vorschriften im Staate, in welchem auf engem Raume
eine große Anzahl verschieden gesinnter Menschen leben, die zu
einander in zahlreichen Beziehungen verschiedenster Art stehen.
Wollte da jeder tun, was ihm beliebt, so würde die Verwirrung
allgemein sein, Unordnung und Gewalttat würden herrschen, der
Krieg aller gegen alle würde entbrennen.
Die Gesamtheit der in einem Staate bestehenden, allgemein gül- 31
tigen Vorschriften heißt sein R e ch t. Aber nicht nur die staatliche
Gemeinschaft, auch jede andere Gemeinschaft besitzt ihr Recht. So
gibt es ein K i r ch e n r e ch t, welches die Vorschriften für das Leben
der kirchlichen Gemeinschaften enthält, und ein auf Gebräuche und
12
Zur Einführung
Gewohnheiten sowie auf Verträge gegründetes Völkerrecht,
welches den Verkehr der Staaten unter einander in einzelnen Be-
ziehungen regelt.
Nicht immer wird das Recht eines Volkes bewußt von diesem
geschaffen. Besonders in den Anfängen staatlicher Entwicklung
wächst das Recht vielfach unbewußt aus dem Volke heraus; es bilden
sich Uebungen und Gewohnheiten, die bald, weil sie sich als zweck-
mäßig erwiesen haben, stillschweigend von allen Volksgenossen als
bindend anerkannt werden. So entsteht das sog. Gewohnheits-
recht. Doch tritt dieses Gewohnheitsrecht bei fortschreitender Ent-
wicklung der Staaten immer mehr zurück. Das heutige staatliche
Recht beruht fast ausschließlich auf ausdrücklichen, von den zustän-
digen Organen der Staatsgewalt gegebenen und daher allgemein
gültigen Vorschriften, den Gesetzen. Die zur Ausführung und
zum Vollzug der Gesetze erforderlichen Einzelvorschristen, welche nicht
alle in den Gesetzen selbst Ausnahme finden können, sind in den
Verordnungen enthalten. Diese werden von den allgemein
oder durch das Gesetz besonders dazu ermächtigten Organen der Re-
gierung erlassen. Die Gesetze^ und Verordnungen zusammen machen
also das geschriebene Recht eines Volkes aus.
Das in einem Staate in Wirklichkeit geltende, das sog. posi-
tive Recht, wird häufig in Gegensatz gestellt zu dem natür-
lichen Recht, d. h. dem Rechte, wie es nach der natürlichen
Rechtsanschauung, dem Rechtsgesühl, sein sollte. Der Unterschied
zwischen beiden rührt zuweilen daher, daß die Gesetze dem Volke von
einem Alleinherrscher oder einer im Besitze der Macht befindlichen
Minderheit aufgezwungen wurden; häufiger aber liegt die Ursache
darin, daß seit Entstehung der Gesetze die Lebensverhältnisse sich ver-
ändert haben, und daß daher die veralteten Vorschriften auf die neuen
Verhältnisse nicht mehr passen. Die sich hieraus ergebenden Härten
und Mißstände werden aber um so eher sich mildern und schwinden,
je mehr das gesamte Volk (nicht nur die Rechtsgelehrten) seine Rechts-
ordnung kennt, sich um sie kümmert und an ihrer Fortbildung mit-
arbeitet.
Nach dem Gegenstände des Rechts unterscheidet man zunächst das
bürgerliche und das öffentliche Recht.
a. Das bürgerliche Recht (auch P r i v a t r e ch t oder Zivil-
r e ch t genannt) regelt die Beziehungen der einzelnen untereinander.
Es behandelt im sog. Sachenrecht den Inhalt, den Erwerb und
^ Häufig gebraucht man übrigens das Wort „Gesetz" auch in einem
weiteren Sinne, in welchem es alle Rechtsnormen, also auch die Verord-
nungen, umfaßt.
Vom Recht überhaupt
13
den Verlust des Eigentums und der sonstigen Rechte an beweglichen
und unbeweglichen Sachen, im Recht der Schuldverhält-
nisse die vermögensrechtlichen, aus Verträgen, unerlaubten Hand-
lungen usw. entspringenden Ansprüche der einzelnen gegeneinander, im
F a m i I i e n r e ch t e die Rechte und Pflichten, welche zwischen den
Gliedern einer Familie aus Grund ihrer Familienzugehörigkeit be-
stehen, und endlich im Erbrecht den Uebergang der Rechte und
Pflichten Verstorbener auf andere. Auch das Handels- und
W e ch s e l r e ch t sind Teile des bürgerlichen Rechts.
d. Während so das bürgerliche Recht über den Verkehr der 35
Staatsangehörigen untereinander Bestimmungen trifft, regelt das
öffentliche Recht die Beziehungen der einzelnen zum Staat, und zwar
werden alle nicht dem bürgerlichen Recht angehörenden Rechtsgebiete
dem öffentlichen Recht zugezählt. Das letztere wird eingeteilt in
1. Das Staats- oder Versass ungsrecht. 36
Dieses trifft Bestimmungen darüber, in welcher Weise der Staat
organisiert ist, wer die Gesetze zu erlassen hat und wie sie zustande
kommen, welche staatsbürgerlichen Rechte den Staatsbürgern zu-
stehen und welche Pflichten ihnen obliegen. Die Grundzüge dieses
Verfassungsrechts sind in der neueren Zeit fast überall in einem
besonderen, von dem Herrscher beschworenen Staatsgrundgesetz, der
Verfassungsurkunde, enthalten.
2. Das Verwaltungsrecht 37
enthält die Vorschriften, nach denen die Organe der Regierungs-
gewalt (mit Ausnahme der Gerichte) bei Ausübung ihrer auf Er-
füllung der Staatsaufgaben gerichteten Tätigkeit zu verfahren
haben. Diese auf Verwirklichung der Wohlsahrtszwecke des Staats
abzielende Tätigkeit heißt (wie bereits bei Nr. 11 gezeigt) Ver-
waltung, und zwar nennt man die unmittelbar auf Förderung
der geistigen, sittlichen, körperlichen und wirtschaftlichen Wohlfahrt
abzielende Staatstätigkeit die innere Verwaltung. Die
auswärtige Verwaltung pflegt die Beziehungen zum Aus-
land, und ihr liegt auch die Sorge für Kolonien und Schutzgebiete
ob. Für die äußere Sicherheit des Staats sorgt die Verwaltung
des Heerwesens und der Marine. Die Finanzver-
waltung endlich hat die Ausgabe, die Geldmittel zu beschaffen,
welche zur Erfüllung der Staatsausgaben erforderlich sind. Alle diese
verschiedenen Zweige der Verwaltung sind vom Verwaltungsrecht
durchzogen, ähnlich wie das Nervensystem alle Organe des mensch-
lichen Körpers durchzieht.
14
Zur Einführung
38 3. DasStrafrecht
bestimmt, welche Handlungen und Unterlassungen im Interesse der
Allgemeinheit verboten sind und mit welchen Strafen sie belegt
werden.
zy 4. Das Prozeßrecht.
Das Strafprozeßrecht regelt das Verfahren, das zur
Festsetzung der nach dem Strafrecht verwirkten Strafen einzu-
halten ist. Das Zivilprozeßrecht dagegen enthält die Vor-
schriften darüber, auf welche Weise Streitigkeiten einzelner über die
ihnen nach dem bürgerlichen Rechte zukommenden Vermögens- und
Familienrechte zum gerichtlichen Austrag gebracht werden, und wie
diese Rechte, nachdem sie gerichtlich festgestellt worden sind, gegenüber
Widerstrebenden zwangsweise durchgeführt werden können.
1. Teil.
Das Sraatsrechr.
1. Kapitel.
Aerrtsche Weich.
a. Die Entstehung des Reichs.
Während in anderen Staaten Europas (z. B. in Frankreich) im 40
Laufe des Mittelalters das Königtum immer mehr erstarkte, trat in
Deutschland die entgegengesetzte Entwicklung ein. Die deutschen
Kaiser zerrieben ihre Kräfte in erfolglosen inneren und äußeren
Kämpfen, indes die Macht der Landesherren ständig wuchs. So war
das Schicksal des Reichs bereits besiegelt zur Zeit des Westfälischen
Friedens (1648), der allen Fürsten die Landeshoheit und das Recht
zugestand, Krieg zu erklären und Frieden sowie Bündnisse mit aus-
wärtigen Mächten zu schließen. Immer niehr verblaßte und schwand
die kaiserliche Gewalt. Sie ließ es geschehen, daß im Frieden von
Lüneville (1801) das ganze linke Rheinufer an Frankreich siel?
Nachdem ferner im Jahre 1806 die unter Napoleons Protektorat
stehenden Rheinbunds st aaten zu voller Souveränität gelangt
lvaren und sich förmlich vom Deutschen Reich losgesagt hatten, erlosch
endlich mit der N i e d e r l e g u n g der K a i s e r w ii r d e durch
Franz II. am 6. August des gleichen Jahres auch der Form nach das
tausendjährige Deutsche Reich.
Wohl schüttelte in den Freiheitskriegen von 1813 bis 1816 das
deutsche Volk das Joch der französischen Fremdherrschaft ab, aber zu
einer inneren Einigung und Erstarkung führten diese ruhmvollen *
* Die hierdurch geschädigten Fürsten wurden durch das letzte Gesetz des
alten Deutschen Reichs, den Reichsdeputationshauptschluß
vom Jahre 1803, schadlos gehalten im Wege der Einziehung der selb-
ständigen geistlichen Herrschaften (sog. Säkularisierung) sowie durch
Verwandlung reichsunmittelbarer weltlicher Herrschaften in mittelbare,
der. Landesherrschaft unterstellte (sog. Nt e d i a t i s i e r u n g). Auf diese
Weise sank die Zahl der Landesherrschaften von 296 aus 82 und später durch
die Rheinbundakte (1806) und die Beschlüsse des Wiener Kongresses weiter
auf 38.
16
Das Staatsrecht des Reichs
Kämpfe nicht, weil allen Einheitsplänen das Streben der Einzel-
staaten nach ungeschmälerter Aufrechterhaltung der neu erworbenen
41 Souveränität entgegentrat. Es bildete sich der Deutsche Bund
(von 1816 bis 1866), eine völkerrechtliche Vereinigung ohne starke
Zentralgewalt, dessen Organisation ihn von vornherein zur Ohn-
tnacht verurteilte. Eine wenigstens wirtschaftliche Einigung Deutsch-
42 lands brachte seit 1833 der D e u t s ch e Z 0 l l v e r e i n (s. Nr. 1415),
dem die meisten deutschen Staaten (jedoch nicht Oesterreich) ange-
hörten. Ter nach der Revolution des Jahres 1848 unternommene
Versuch einer Neugründung des Reichs blieb erfolglos, da der von
der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a. M. zum erb-
lichen Kaiser erwählte König von Preußen die Annahme der deutschen
Kaiserwürde ablehnte. Durch den Krieg von 1866 wurde endlich
zwischen Preußen und Oesterreich die Frage der künftigen Vorherr-
jchaft in Deutschland zugunsten Preußens entschieden und damit der
Weg für einen politisch engeren Zusaminenschluß der übrigen deut-
schen Staaten frei gemacht. Das durch Einverleibung eroberter
Länder mächtig erstarkte Preußen vereinigte sich zunächst mit den
übrigen nördlich des Mains gelegenen 21 norddeutschen Staaten zu
41 dem Norddeutschen Bund, mit dem die süddeutschen Staaten
einen Zollvereinigungsvertrag, sowie Schutz- und Trutzbündnisse ab-
schlössen. So traf die französische Kriegserklärung im Jahre 1870
ein Volk, bereit, gemeinsam für seine Freiheit und Ehre zu kämpfen;
und aus Frankreichs Schlachtfeldern erwuchs diesem Volke, durch
Blut und Eisen geeint, das lang ersehnte neueDeutscheReich.
Die deutsche Kaiserkrone wurde von den vereinten deutschen Fürsten
und freien Städten dem siegreichen König Wilhelm von Preußen
angetragen und von diesem angenommen. Der 18. Januar 1871, an
dem im Spiegelsaale des Schlosses zu Versailles die feierliche Prokla-
mation der Herstellung der Kaiserwürde stattfand, gilt als der Tag
der Wiedergeburt des Deutschen Reiches?
B. Die rechtliche Natur -es Reichs.
44 1. Rechtlich betrachtet ist das Deutsche Reich der Rechtsnachfolger
des Norddeutschen Bundes geworden dadurch, daß die vier süddeut-
° In der Proklamation erklärte König Wilhelm, daß er die kaiserliche
Würde übernehme, um in deutscher Treue die Rechte des Reiches und sei-
ner Glieder zu schützen, Frieden zu wahren, bie Unabhängigkeit Deutsch-
lands zu stützen und die Kraft des Volkes zu stärken. Den Trägern der
Kaiserkrone aber (so schließt die Proklamation) „wolle Gott verleihen, alle-
zeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht in kriegerischen Eroberun-
gen, sondern in den Werken des Friedens, aus dem Gebiete nationaler
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung".
Die rechtliche Natur des Reichs
17
schon Staaten (Bayern, Württemberg, Baden und Südhessen) durch
die im November 1870 geschlossenen Verträge diesem Bunde bei-
traten. Der Inhalt dieser Verträge wurde sodann in dem ersten
und wichtigsten deutschen Reichsgesetze, der Verfassung des 45
Deutschen Reichs, welche vom 16. April 1871 datiert, zu-
sammengefaßt. Damit wurde die Reichsverfassung ihrer ursprüng-
lich nur vertragsmäßigen Grundlage entrückt und auf die Grund-
lage eines in aller Form erlassenen Reichsgesetzes gestellt; sie kann
daher künftighin nur noch durch Neichsgesetz, nicht durch Verträge
der Bundesstaaten abgeändert werden. Neben der Versassungs-
urkunde sind die erwähnten Bündnisverträge nur noch insoweit von
Bedeutung, als sie für einzelne Staaten besondere Rechte (sog.
Reservat r echte 0) festgesetzt haben.
2. Das D e u t s ch e R e i ch , in der Verfassungsurkunde selbst 46
bezeichnet als „ein ewiger Bund zum Schutze des Bundesgebietes
und des innerhalb desselben gültigen Rechts, sowie zur Pflege der
Wohlfahrt des deutschen Volkes", bildet im Gegensatz zu dem früheren
„Deutschen Bunde" nicht einen Staatenbund, sondern einen
B u n d e s st a a t (s. Nr. 20); denn neben und über den Einzelstaaten
steht das Reich als selbständiger Staat, als eine von den Einzelstaaten
losgelöste Rechtspersönlichkeit mit eigenen Organen (Kaiser, Bundes-
rat, Reichstag), mit eigenen Behörden, Beamten und Einrichtungen
(Reichskanzler, Reichsämter, Reichsbeamte, Flotte, Reichsgericht usw.),
mit einer eigenen Gesetzgebung, welche alle Reichsangehörigen un-
mittelbar verpflichtet, und mit eigenen Einnahmen und Ausgaben?
3. Das Deutsche Reich zählt endlich zu den k 0 n st i t u t i 0 n e l - 47
len Staaten (s. Nr. 14), weil das Deutsche Volk durch seine Ver-
treter im Reichstag an der Gesetzgebung teilnimmt. * 7
° Zu diesen Reservatrechten gehören besonders die Rechte
Bayerns und Württembergs hinsichtlich des Post- und Telegraphen-
wesens und des Heerwesens, sowie die Ausnahmestellung der süddeutschen
Staaten bezüglich der Biersteuer. Diese Rechte können auch im Wege der
Reichsgesetzgebung nur mit Zustimmung des berechtigten Staates auf-
gehoben werden.
7 Die jetzige Gestaltung des Reichs verbürgt einerseits eine dauernde
und feste Vereinigung aller deutschen Stämme, wird aber anderseits auch
der geschichtlichen Entwicklung und dem Selbständigkeitsdrange dieser
Stämme gerecht. Zugleich vermeidet sie die Gefahren, welche einem großen
Staate aus einer allzu starken Zentralisation stets erwachsen. Zwar nimmt
naturgemäß die Reichshauptstadt Berlin im Reiche ein? besonders bedeutende
Stellung ein; aber daneben bilden eine ganze Reihe von Städten Mittel-
punkte des geistigen und wirtschaftlichen Verkehrs, in denen ein un-
gleich frischeres Leben pulsiert, als z. B. in den größten französischen Pro-
vinzstädten.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
2
18
Das Staatsrecht des Reichs
c. Die Aufgaben -es Reichs.
48 1. Im Deutschen Reiche wird die Staatsgewalt teils vom Reiche,
teils von den Bundesstaaten ausgeübt. Beide haben sich in die Er-
füllung der staatlichen Aufgaben geteilt, und zwar hat diese Teilung
in der Weise stattgefunden, daß diejenigen Gebiete der Gesetzgebung,
auf welchen eine einheitliche Regelung notwendig erschien, dem Reiche
zugewiesen wurden, während den Einzelstaaten große und wichtige
Aufgaben belassen worden sind, hinsichtlich derer eine einheitliche
Regelung wegen der in den einzelnen Staaten bestehenden Verschie-
denheiten der Verhältnisse nicht zweckmäßig wäre.
49 So mußte vor allem im Interesse der Sicherheit und des An-
sehens des Reichs das gesamte Militärwesen und die Kriegsmarine,
sowie die Regelung der Beziehungen zum Auslande, nämlich das
Gesandtschafts- und Konsulatswesen und der Hauptsache nach die
Vertragsschließung mit fremden Staaten dem Reiche überlassen
werden. Ferner verlangten die Bedürfnisse des Verkehrs gebieterisch
ein einheitliches Maß-, Münz- und Gewichtssystem, einheitliche
Grundsätze für den Handels- und Gewerbebetrieb, eine gemeinsame
Regelung des Bank-, des Post- und Telegraphenwesens, einen gleich-
heitlichen Schutz des geistigen Eigentums durch die Patent- und Ur-
heberrechtsgesetzgebung und einheitliche Grundsätze für das Eisen-
bahnwesen und die Seeschiffahrt. Die Viehseuchen konnten nur durch
gemeinsame Maßregeln eingeschränkt, die Schädigungen der mensch-
lichen Gesundheit nur durch eine einheitliche Gesetzgebung wirksam
bekämpft werden. Desgleichen waren die Vorschriften über die Presse,
über das Auswanderungswesen und über die Arbeiterversicherung im
ganzen Reiche gleichmäßig zu gestalten. Das Rechtsgefühl und die
Rechtssicherheit drängten ferner zur Schaffung einer einheitlichen
Gesetzgebung über das allgemeine bürgerliche Recht, das Handels-
und das Wechselrecht, das Strafrecht und das zivil- und strafgericht-
liche Verfahren.
Alle diese Gebiete mußten daher der Gesetzgebung des Reichs
grundsätzlich iiberwiesen werden. Endlich mußte dem Reiche, um
es finanziell unabhängig zu stellen, das Besteuerungsrecht gegeben
werden. Auch bedurfte die einheitliche Zollgefetzgebung, welche be-
reits vor Errichtung des Reichs im deutschen Zollverein bestanden
hatte, des weiteren Ausbaues.
50 2. Damit ist aber die Zuständigkeit des Reichs nicht völlig er-
schöpft und für alle Zeiten festgelegt, vielmehr ist das Reich nach der
Verfassung befugt, seine Zuständigkeit auch auf Gebiete auszudehnen,
welche bis dahin der Landesgesetzgebung überlassen wurden. Es hat
auch von dieser Befugnis, in welcher das Nebergewicht der Staats-
Die Aufgaben des Reichs
19
gewalt des Reichs über die Staatsgewalt der Einzelstaaten deut-
lich zum Ausdruck kommt, bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Seine
Grenze findet dieses Recht jedoch in den sog. Reservatrechten der
Einzelftaaten (f. Nr. 45), da diese nur mit Zustimmung des berech-
tigten Staates beseitigt oder eingeschränkt werden dürfen.
3. Die Zuständigkeit des Reichs auf den ihm überwiesenen Ge- 51
bieten beschränkt sich übrigens nicht auf die Erlassung von Gesetzen;
vielmehr kann das Reich auch die Vollziehung seiner Gesetze durch
Ausübung der Verwaltungstätigkeit und der Rechtsprechung selbst
übernehmen. Doch hat es von dieser Befugnis nur in beschränktem
Umfang Gebrauch gemacht und nur wenige Verwaltungszweige
wie die auswärtige Verwaltung, die Post- und Telegraphenvecwal-
tung und das Marinewesen, vollständig (wenigstens für die große
Mehrzahl der Bundesstaaten) seiner Herrschaft unterworfen.
Aus zahlreichen anderen Gebieten hat sich das Reich aus die Gesetz-
gebung beschränkt und die Verwaltung und Rechtsprechung den
Landesbehörden entweder ganz überlassen oder nur einzelne Zen-
tralbehörden im Interesse einheitlicher Handhabung der von ihm
gegebenen Grundsätze geschaffen (z. B. das Reichsgericht, das Bundes-
amt für Heimatwesen, das Reichspatentamt, das Reichsversicherungs-
amt, das Reichseisenbahnamt usw.), von denen noch später näher die
Rede sein wird? Aus manchen Gebieten endlich hat das Reich nicht
einmal die Gesetzgebung vollständig übernommen, vielmehr nur die
Hauptgrundsätze aufgestellt und deren weitere Ausführung den Lan-
desgesetzen überlassen.
In dieser Weise greifen die Reichs- und die Landesgesetzgebung
ebenso wie die Verwaltungstätigkeit und die Rechtsprechung der
Behörden und Gerichte des Reichs und der Bundesstaaten überall
ineinander und ergänzen sich gegenseitig.
d. Die Reichsgesetze.
1. Die Entstehung.
Die gesetzgebenden Organe des Reichs sind der Bundesrat (d. h. 52
die Gesamtheit der deutschen Landesregierungen) und der Reichs-
° So hat z. B. das Reich das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetz-
buch und die Prozeßordnungen als Reichsgesetze erlassen, die Durchführung
dieser Gesetze aber den Einzelstaaten übertragen. Diesen letzteren liegt es
daher ob, die einzelnen Gerichte ins Leben zu rufen und zu besetzen, An-
stalten für den Strafvollzug zu errichten und zu unterhalten usw. So hat
ferner (um auch ein Beispiel aus dem Gebiete der inneren Verwaltung zu
wählen) das Reich Gesetze zur Bekämpfung der Viehseuchen geschaffen, der
Vollzug dieser Gesetze aber, die Anordnung und Durchführung der einzelnen
Verhütungs- und Absperrungsmaßregeln, ist Sache der Verwaltungsbehör-
den der Bundesstaaten.
2*
20
Das Staatsrecht des Reichs
tag (das ist die Vertretung des deutschen Volkes). Durch Mehr-
heitsbeschlüsse» dieser beiden Körperschaften,
von denen noch später eingehender die Rede sein wird, kommen
die Reichsgesetze zustande. Jeder Gesetzentwurf gelangt,
nachdem ihm der Reichstag zugestimmt hat/» nochmals an den Bun-
desrat, auch wenn von diesem die Vorlage ausgegangen war. Der
Bundesrat erteilt sodann dem Gesetze, wenn er seine Zustimmung
53 zu demselben nicht zurückziehen will, die sog. Sanktion, indem
er es dem Kaiser zur weiteren Behandlung übergibt. Dieser prüft
zunächst, ob das Gesetz ordnungsgemäß zustande gekommen ist,11 fer-
tigt es hierauf aus (d- h. er unterzeichnet die den vollständigen Wort-
laut des Gesetzes enthaltende Urkunde und läßt den Abdruck des kaiser-
lichen Siegels, das Datum und die Gegenzeichnung des Reichs-
kanzlers, s. Nr. 16, beifügen) und veranlaßt die Verkündigung im
Reich sgefetzblatt e.12
54 Die Verordnungen, d. h. die zur Ausführung der Reichs-
gesetze dienenden näheren Vorschriften, werden entweder vom Bundes-
rat oder vom Kaiser, vom Reichskanzler, von den Reichsbehörden
oder von den Regierungen der Einzelstaaten erlassen?2
2. Die Wirkung der Reichsgesetze.
55 Jedes Reichsgesetz tritt, wenn in ihm selbst kein anderer Anfangs-
termin bestimmt ist, in Kraft mit dem 14. Tage nach Ablauf des-
jenigen Tages, an dem das betreffende Reichsgesetzblatt in Berlin
ausgegeben worden ist. * 10 11 12 13
0 Diese Regel, daß zur Annahme von Rcichsgesetzen einfache Stimmen-
mehrheit genügt, erleidet jedoch für die Abstimmungen im Bundesrat mehr-
fache Ausnahmen, nämlich in den Fällen, in denen Preußen das sog. Veto
zusteht, ferner bei Aenderungen der Verfassung (diese gelten als abgelehnt,
wenn im Bundesrat 14 Stimmen dagegen sind), und endlich, wenn es sich
um Abänderungen sogenannter Reservatrechte handelt. Näheres siehe Nr. 7b.
10 Wegen des Zustandekommens der Gesetzentwürfe und ihrer Behand-
lung im Bundesrat und Reichstag siehe Nr. 70 und 98.
11 Das sogenannte Veto besitzt der Kaiser nicht. Siehe Nr. 64.
12 Der Eingang der Reichsgesetze lautet: „Wir, Wilhelm, von
Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen usw., verordnen int
Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des
Reichstags, was folgt:".
Auf das in Berlin erscheinende Reichsgesetzblatt kann jeder-
mann bei der Post abonnieren.
13 Die Verordnungen und Bekanntmachungen des Reichs werden in
dem in Berlin erscheinenden „Zentralblatt für das Deutsche
Reich" veröffentlicht; daneben bestehen aber noch für einzelne Zweige der
Reichsverwaltung besondere Verordnungsblätter, so z. B. für die Post- und
Telegraphenverwaltung und für die Kriegsflotte.
Das Reichsgebiet
21
Für das Verhältnis der Neichsgesetze zu den Landesgesetzen gilt 56
der wichtige Grundsatz, daß die Neichsgesetze den Landesgesetzen stets
vorgehen. Ein Rechtssprichwort drückt das kurz dahin aus: „Reich s-
recht bricht Landesrech t". Mit der Erlassung eines Reichs-
gesetzes treten deshalb alle damit in Widerspruch stehenden Landes-
gesetze von selbst außer Kraft. Aber auch Ergänzungen der
Reichsgesetze durch Landesgesetze sind nicht zulässig, wenn es
Zweck der Reichsgesetze war, einen Gegenstand in vollständiger und
abschließender Weise zu regeln."
e. Das Reichsgebiet.
Die Reichslande Elsatz-Lothringen.
1. Das Gebiet des Deutschen Reichs umfaßt rund 540 000 57
Quadratkilometer und zählte am 1. Dezember 1905 * 15 * rund 60,6 Mil-
lionen Einwohner. Davon entfallen auf Preußen 37,3 Millionen,
auf Bayern 6,5, auf Sachsen 4,5, auf Württemberg 2,3, auf Baden 2,
auf Elsaß-Lothringen 1,8, auf Hessen 1,2 Millionen. Sie sind alle
nach Sprache und Abstammung rein deutsch mit Ausnahme von ca.
3 Millionen ehemaliger Polen, *4 Million ehemaliger Franzosen
und den zusammen ca. i/2 Million zählenden Wenden, Tschechen, Lit-
tauern, Dänen und Wallonen. Dem religiösen Bekenntnisse nach ge-
hören rund 38 Millionen der evangelischen, 22 Millionen der katho-
lischen Konfession und 0,6 Millionen der israelitischen Religion an.
2. Das Deutsche Reich besteht aus 4 Königreichen (Preu- 58
ßen," Bayern, Sachsen und Württemberg), 6 Großherzog-
" So hat z. B. das Reichsstrasgesetzbuch die Bestrafung des Zwei-
kampfes vollständig geregelt; die Landesgesetzgebung wäre daher beispiels-
weise nicht befugt, neben dem nach Reichsrecht strafbaren Zweikampf mit
tödlichen Waffen auch auf den Zweikampf mit Nichttödlichen Waffen Strafe
zu setzen.
Von den zur Ergänzung der Reichsgesetze erlassenen Landesgesetzen
sind jedoch zu unterscheiden die Ausführungsgesetze, welche in den
Einzelstaaten zur Durchführung der Neichsgesetze erlassen werden.
15 Bei der an diesem Tage vorgenommenen Volkszählung. Solche all-
gemeine Volkszählungen finden im ganzen Reiche alle fünf Jahre, und zwar
jeweils am 1. Dezember (1910, 1915 usw.) statt. Sie erstrecken sich nicht
nur auf die Zahl der Einwohner, sondern auch auf deren persönliche Ver-
hältnisse, und bilden eine wichtige Grundlage der Statistik.
10 Einen Bestandteil Preußens bildet auch die im Jahre 1890 im Wege
des Tausches durch das Reich erworbene, bis dahin englische Nordseeinsel
Helgoland.
22
Das Staatsrecht des Reichs
t ü m e r n" (Baden, Hessen, Mecklenburg - Schwerin, Meckleuburg-
Strelitz, Sachsen-Weimar und Oldenburg), 6 Herzogtümern
(Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-
Koburg-Gotha und Anhalt), 7 Fürstentümern (Schwarzburg-
Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershatlsen, Waldeck, Reuß ältere Linie,
Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe und Lippe) und drei freien
Städten (Hamburg, Lübeck und Bremen).
59 Hierzu kommen noch die im Jahre 1871 zurückgewonnenen
alten Reichslande Elsaß-Lothringen, welche eine Son-
derstellung im Reiche einnehmen.
Die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen übt im Namen des Reichs
der Kaiser aus, der jedoch einen Teil seiner Rechte dem von ihm er-
nannten, in Straßburg residierenden Statthalter übertragen
hat. Diesem untersteht ein von einem Staatssekretär geleitetes
Ministerium; dasselbe zerfällt in vier von Unterftaatssekretären ge-
leitete Abteilungen.
Für die Staatsverwaltung sind die Reichslande in Bezirke
und diese wiederum in Kreise (den ehemaligen französischen De-
partements und Arrondissements entsprechend) eingeteilt, an deren
Spitze Bezirkspräsidenten und Kreisdirektoren stehen. Die Bezirke
und Kreise sind aber zugleich auch Selbstverwaltungskörper (s.
Nr. 666); ihre Vertretungen, die Bezirkstage und Kreistage, gehen
aus Wahlen der Bezirks- und Kreiseingesessenen hervor.
Die Volksvertretung heißt Landesausschuß; dessen Mit-
glieder werden teils durch die Bezirkstage und die Landkreise, teils
durch die größeren Städte gewählt. Elsaß-lothringische Landesgesetze
bedürfen zu ihrem Zustandekommen neben der Annahme durch den
Landesausschuß der Zustimmung des Bundesrats und der Veröffent-
lichung durch den Kaiser unter Gegenzeichnung des Statthalters; doch
kann bei Erlassung von Landesgesetzen in Ausnahmefällen der Reichs-
tag an die Stelle des Landesausschusses treten.
Die elsaß-lothringischen Eisenbahnen stehen im Eigentum des
Reichs und werden von diesem verwaltet. Siehe Nr. 1237.
f. Der Kaiser.
6o An der Spitze der verbündeten deutschen Regierungen steht der
König von Preußen, der als solcher den Namen „Deutscher 17
17 Das Großherzogtum Luxemburg gehört nicht zum
Deutschen Reich; doch ist es durch Vertrag dem deutschen Zollgebiet ange-
schlossen.
Der Kaiser
23
Kaiser"^ führt. Die Kaiserwürde ist also mit der preußischen
Königswürde untrennbar verbunden derart, daß der jeweilige König
von Preußen stets zugleich Deutscher Kaiser ist. Für den Fall einer
Verhinderung des Königs von Preußen an der Ausübung der Regie-
rung ist dessen verfassungsmäßiger Vertreter von selbst auch zur
Vertretung des Kaisers im Reiche berufen. Da ferner die preußische
Königswürde im preußischen Königshause der Hohenzollern eröltd)10
ist, sp ist auch das deutsche Kaisertum eine erbliche Wiirde.
Nach der Reichsverfassung steht dem Kaiser „das Präsidium des 61
Bundes" zu, während die oberste Neichsgewalt bei der Gesamtheit der
verbündeten Regierungen, dem Bundesrate, ruht. Gleichwohl ist der
Kaiser doch weit mehr als der bloße Präsident dieser Regierungen;
vielmehr stehen ihm eine Reihe schwerwiegender Befugnisse zu, welche
Sicherheit dafür bieten, daß die kaiserliche Macht nie mehr zu einem
bloßen Schattenbild herabsinken kann, wie es im ehemaligen Deut-
schen Reiche geschah.
Zunächst vertritt der Kaiser allein das Reich nach außen; in 62
seiner Hand also liegt die ganze äußere Politik; er ist es, der im
Namen des Reiches Krieg erklärt 18 19 20 und Frieden schließt, Bündnisse
18 Der Kaiser führt ein besonderes kaiserliches Wappen und
eine besondere kaiserliche Standarte. Einkünfte (eine sog. Zi-
vi l l i st e oder Dotation) bezieht er vom Reiche nicht; vielmehr bestreitet
er die Kosten der Repräsentation aus der ihm als preußischem König zu-
stehenden Zivilliste; doch wird ihm vom Reich im Etatsgesetze alljährlich
ein sog. Dispositionsfonds zu staatlichen Zwecken, besonders zu
Gnadenbewilligungen, zur Verfügung gestellt.
Der Thronfolger führt den Titel „Kronprinz des Deutschen
Reiches und von Preußen". Bei der Anrede kommt dem Kaiser
die Bezeichnung „M a j e st ä t", dem Kronprinzen die Bezeichnung „K ai-
serliche Hoheit" zu.
19 Zur Thronfolge sind in Preußen nur berufen die sog.
Agnaten, d. h. solche Familienmitglieder, deren Verwandtschaft mit
dem letzten Herrscher ausschließlich durch Männer vermittelt worden ist;
nicht erbfolgeberechtigt sind also diejenigen, deren Verwandtschaft durch
eine Frau vermittelt wurde, die sogenannten Kognaten (z. B. die Söhne
einer Tochter des letzten Herrschers). Es herrscht ferner in Preußen wie in
allen deutschen Staaten die sog. Linealerbfolge: Die zunächst zur
Erbfolge berufene Linie wird gebildet aus den Söhnen ves letzten Herr-
schers und deren Nachkommen; erst wenn erbberechtigte Mitglieder dieser
Linie überhaupt nicht vorhanden sind, geht die Erbfolge auf den jüngeren
Bruder des letzten Herrschers oder auf dessen Abkömmlinge über usw.
Innerhalb einer Linie gilt das Recht der Erstgeburt (sog.
Primogenitur). Endlich sind Frauen Von der Thronfolge ausgeschlos-
sen (sog. sali sch es Gesetz, Nr. 13).
Zur Kriegserklärung bedarf der Kaiser jedoch der Zustim-
mung des Bundesrats dann, wenn sie nicht durch einen Angriff auf das
Reichsgebiet verursacht ist.
Der Kaiser kann ferner jeden Teil des Reichsgebiets (abgesehen
von Bayern) nicht nur im Kriege, sondern, wenn die öffentliche Sicher-
24
Das Staatsrecht des Reichs
und Verträge mit fremden Staaten eingeht,^ sowie die Gesandten
und Konsuln des Reiches ernennt.
6z Der Kaiser ist der oberste Kriegsherr, er führt den
Oberbefehl über die gesamte Landmacht;* 21 22 23 für Bayern besteht eine
Ausnahme. Das bayerische Heer bildet nach dem Bündnisvertrag
vom 23. November 1870 einen in sich geschlossenen Bestand-
teil des deutschen Heeres unter der Militärhoheit des Königs. Nur
im Kriege, und zwar mit Beginn der Mobilisierung, tritt es unter
den Befehl des Kaisers. Jnr übrigen ist Bayern nur verpflichtet,
gewisse Angelegenheiten, so Organisation, Formation, Ausbildung
und Mobilmachung, so zu ordnen, wie sie für das Reich geregelt sind.
Unter dem Oberbefehl des Kaisers sowie unter seiner ausschließlichen
Leitung im Kriege wie im Frieden steht auch die Kriegsflotte des
Reichs.
Ter Kaiser ernennt und entläßt ferner die Reichsbeamten
(insbesondere den Reichskanzler)^ und iibt die Disziplinargewalt
über sie aus. Ihm steht, abgesehen von Bayern und Württem-
berg, die eine selbständige Post- und Telegraphenverwaltung haben,
die gesamte obere Leitung des Post- und Telegraphenwesens zu.
64 Der Bundesrat und der Reichstag werden vom Kaiser berufen,
eröffnet, vertagt und geschlossen. An der Gesetzgebung selbst ist der
Kaiser unmittelbar nicht beteiligt, da die Reichsgesetze durch
den Bundesrat und den Reichstag beschlossen werden; auch hat
heit bedroht ist (z. B. bei einem Ausruhr oder einer Revolution), auch im
Frieden in Kriegszustand oder Belagerungszustand er-
klären. Die Erklärung soll mit Trommelschlag oder Trompetenschall ver-
kündet und durch Anschlag oder durch öffentliche Blätter bekannt gegeben
werden. Sie hat zur Folge, daß das Militär unter den Kriegsgesetzen steht,
und daß gewisse gemeingefährliche Verbrechen überhaupt strenger bestraft
werden. Ferner können die zum Schutze der persönlichen Freiheit und des
Eigentums gegebenen Gesetze für die Dauer des Zustandes aufgehoben und
besondere Kriegsgerichte zur Aburteilung gewisser Vergehen eingesetzt
werden. Für Bayern kann der Kriegszustand (auch Standrecht genannt)
mit ähnlichen Wirkungen aus Grund Landesrechts angeordnet werden.
21 So ist z. B. der Dreibund, der das Deutsche Reich mit Oesterreich-
Ungarn und Italien verbündet, lediglich vom Kaiser abgeschlossen worden.
Zum Abschluß von Verträgen, welche in das Gebiet der Gesetzgebung ein-
greifen, bedarf der Kaiser allerdings der Zustimmung des Bundesrats und
zur Gültigkeit ferner der Zustimmung des Reichstags.
22 Das in den Befreiungskriegen gestiftete EiserneKreuz (2 Klas-
sen und ein Großkreuz) hat er im Krieg 1870/71, für dessen Dauer es er-
neuert wurde, als König von Preußen für Auszeichnung vor dem Feinde
verliehen. Ein Teil der Inhaber erhält einen Ehrensold.
23 Bei Ernennung gewisser Reichsbeamten (z. B. der Mitglieder des
Reichsgerichts) ist jedoch der Kaiser an die Vorschläge des Bundesrats ge-
bunden.
Der Bundesrat
25
er kein Einspruchsrecht (sog. Veto) gegen die so beschlossenen Ge-
setze; doch ist sein Einfluß auch auf die Reichsgesetzgebung von Be-
deutung kraft des Gewichts, das ihm als König von Preußen im
Bundesrat zukommt; denn, wie wir noch sehen werden, kann aus
wichtigen Gebieten keine Veränderung der Gesetzgebung beschlossen
werden, sofern nicht die preußische Regierung im Bundesrate ihr zu-
stimmt. Der Kaiser verkündigt ferner die Reichsgesetze und über-
wacht deren Ausführung.
Endlich übt der Kaiser in Elsaß-Lothringen die Staatsgewalt
und in den deutschen Schutzgebieten die Schutzgewalt aus.
Die Person des Kaisers ist unverletzlich; er kann für Negierungs- 65
und Privathandlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden; aber
seine Regierungshandlungen (die kaiserlichen Erlasse) bedürfen zu
ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler, der da-
mit die Verantwortlichkeit für sie übernimmt. (Siehe Nr. 16.)
g. Der Bundesrat.
1. Seine Rechtsstellung und Zusammensetzung.
Soweit die Reichsgewalt nicht dem Kaiser iibertragen ist, steht 66
sie den „verbündeten Regierungen" zu. Das Organ, durch
welches die Regierungen diese Gewalt ausüben, ist der Bundes-
rat, d. h. die Versammlung von Vertretern aller
Regierungen der deutschen Bundes stauten. Die
Bundesratsbeschlüsse stellen also den Willen der verbündeten deutschen
Regierungen dar.^ Ter Bundesrat ist demnach kein Organ der
Volksvertretung; man darf ihn nicht etwa mit einem sog. Herren-
hause oder einer ersten Kammer vergleichen; vielmehr verhält er sich
zu dem Volksvertretungskörper des Reichstags ähnlich wie in den
Einzelstaaten die durch die Ministerien vertretene Landesregierung
zu den Landtagen.^
Da die deutschen Bundesstaaten an Größe und Bedeutung sehr 67
ungleich sind, können sie im Bundesrat nicht alle gleiches Stimmrecht
haben; es werden daher die Stimmen der kleinsten Staaten im Bun- 24 25
24 Im Bundesrate üben die Landesherren diejenigen Souveränitäts-
rechte gemeinsam aus, aus deren alleinige und selbständige Ausübung sie
zugunsten des Reichs mit dessen Gründung Verzicht geleistet haben.
25 Dagegen hat allerdings die Einrichtung und Gestaltung des Bundes-
rats, in welchen regelmäßig von den Regierungen nur Persönlichkeiten ent-
sandt werden, die mit dem Staats- und Rechtsleben gründlich vertraut sind,
die Schaffung eines weiteren Volksvertretungskörpcrs (Senat oder Herren-
haus) netzen dem Reichstage entbehrlich gemacht.
26
Das Staatsrecht des Reichs
öesrat nur einfach, die Stimmen der größeren Staaten dagegen
mehrfach gerechnet, und zwar fallen von den 58 Stimmen, welche
der Bundesrat zählt, auf Preußen 17, auf Bayern 6, auf Sachsen
und Württemberg je 4, auf Baden und Hessen je 3, auf Mecklenburg-
Schwerin und Braunfchweig je 2, auf alle anderen Staaten endlich
je eine Stimme.^
Jeder Bundesstaat kann foviele Vertreter („B undesrats-
bevollmächtigt e") in den Bundesrat senden, als er Stimmen
besitzt; wenn er aber auch nur einen Vertreter schickt, so führt die-
ser doch sämtliche feinem Staate zustehende Stimmen. Die Bevoll-
mächtigten sind hinsichtlich ihrer Stimmenabgabe an die Weisungen
(Instruktionen) ihrer Regierungen gebunden;26 27 mehrere Vertreter
eines Bundesstaates können daher ihre Stimmen nur einheitlich ab-
geben; denn der Wille ihrer Regierung kann nur ein einheitlicher sein.
2. Die Zuständigkeit des Bundesrats.
Der Bundesrat übt die Reichsgewalt auf allen Gebieten aus,
für welche diese Ausübung nicht ausdrücklich einem anderen Organ
des Reiches (Kaiser, Reichstag, Reichskanzler) übertragen ist.28
26 Die Stimme des F ü r st e n t u m s W a l d e ck , das durch Staats-
vertrag ganz in preußische Verwaltung übergegangen ist, wird auch von
Preußen geführt, so daß dieses tatsächlich im Bundesrat 18 Stimmen
hat. Die Reichslande Elsaß-Lothringen sind im Bundesrat
nicht vertreten; doch kann der Statthalter zur Vertretung der Landesinter-
essen Kommissare mit beratender, nicht beschließender Stimme in den Bun-
desrat entsenden.
Bei der Verteilung der Stimmen im Bundesrat mußten die kleinen
Staaten verhältnismäßig günstiger gestellt werden, als die großen. Bei
einer Verteilung nach der Einwohnerzahl hätte Preußen mit seinen 37,3
Millionen Einwohnern erheblich mehr als die Hälfte aller Stimmen zu be-
anspruchen, womit den Stimmen der übrigen Staaten jede Bedeutung
genommen wäre.
27 Da den Bundesratsbevollmächtigten ihre Instruktionen von den Re-
gierungen der Einzelstaaten erteilt werden, so sind die Minister dieser
Staaten konstitutionell für diese Weisungen verantwortlich. So kommt es,
daß die Reichsangelegenheiten vielfach auch die Einzellandtage beschäftigen,
und zwar in der Weise, daß die Volksvertretung entweder die Regierung
über die den Bundesratsbevollmächtigtcn erteilten oder noch zu erteilenden
Instruktionen interpelliert, d. h. besrägt, oder daß sie durch eine
förmliche, im Wege der Abstimmung festgestellte Erklärung (sog. Resolu-
tion) ihre Stellung gegenüber der betreffenden Reichsangelegenheit zum
Ausdruck bringt. Solche Resolutionen binden selbstverständlich die betref-
fende Regierung nicht, aber sie können, da sie den Willen der Mehrheit der
Volksvertretung darstellen, immerhin von Einfluß sein auf ihre Ent-
schließungen.
22 Man drückt das zuweilen auch dahin aus, der Bundesrat besitze die
„Präsumption der Kompetenz", wie in einem Einzelstaat der Monarch.
Der Bundesrat
27
a. Vor allem ist der Bundesrat eine gesetzgebende Kör-
perschaft; denn die Reichsgesetze kommen, wie bereits gezeigt,
zustande durch übereinstimmende Beschlüsse des Bundesrats und des
Reichstags.
Wird hinsichtlich eines bestimmten Gegenstandes von der Reichs- 70
regierung ans eigenem Antrieb oder auf eine Anregung des Reichs-
tags die Erlassung eines Gesetzes ins Auge gefaßt, so veranstaltet die
Regierung nötigenfalls zunächst noch amtliche Erhebungen (eine sog.
Enquete) über die in Betracht kommenden Verhältnisse. Sodann
wird in dem obersten Reichsamt, zu dessen Geschästsgebiet (Ressort)
der Gegenstand gehört, ein Gesetzesentwurs ausgearbeitet oder es
wird zum Zweck dieser Ausarbeitung eine Kommission von
Männern eingesetzt, welche durch ihren Berus auf dem fraglichen Ge-
biet eine besonders gründliche Sachkunde besitzen. Wichtigere Ge-
setzesentwürfe werden ferner, bevor sich der Bundesrat über sie
schlüssig macht, in der Regel noch den Regierungen der Einzelstaaten
zur Begutachtung mitgeteilt. Hat endlich der Bundesrat einem Ge-
setzesentwurs beigestimmt, so wird dieser Entwurf mit einer Begrün-
dung (in wichtigen Sachen mit einer ausführlichen sog. Denk-
schrift) im Namen des Kaisers durch den Reichskanzler dem Reichs-
tag vorgelegt und dort durch Mitglieder des Bundesrats oder durch
besondere Kommissäre vertreten. Uebrigens hat jedes Mitglied des
Bundesrats das Recht, im Reichstage zu erscheinen und muß daselbst
aus Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten seiner Regie-
rung zu vertreten, und zwar auch dann, wenn diese Ansichten nicht
die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrats gefunden haben.
b. Der Bundesrat hat aber weiter auch für die Ausführung 71
der Reichsgesetze Sorge zu tragen; ihm liegt also die sog.
Exekutive (s. Nr. 11) ob, soweit sie nicht dem Kaiser ausdrücklich über-
tragen ist. Hiernach hat in erster Reihe der Bundesrat die Aus-
sührungs- und die Vollzugsverordnungen zu den Reichsgesetzen zu
erlassen und die zur Ausführung erforderlichen Dienststellen und
Einrichtungen zu schaffen. Er hat auch die Verwendung der Reichs-
einnahmen zu kontrollieren, den Wirtschaftsplan aufzustellen, bei Auf-
nahme von Anleihen mitzuwirken u. dgl.
c. Endlich übt der Bundesrat auch eine Gerichtsbarkeit 72
aus: Er hat Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Natur^
zwischen verschiedenen Bundesstaaten auf Anrufen
eines Teils zu erledigen. Sodann ist er berufen, Verfassungs-
streitigkeiten, welche in einem Bundesstaat zwischen Volksver- 29
29 Privatrechtliche Streitigkeiten zwischen den
Bundesstaaten werden von den ordentlichen Gerichten entschieden.
Das Staatsrecht des Reichs
tretung und Regierung entstehen, im Falle des Fehlens einer zur
Entscheidung zuständigen Landesbehörde gütlich auszugleichen oder,
wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zu erledigen.
Endlich hat der Bundesrat, falls ein Bundesstaat seinen Pflichten
gegen das Reich nicht nachkommen sollte, ihre zwangsweise Erfüllung
(die sog. Exekution) zu beschließen.
3. Tie Verhandlungen des Bundesrats.
73 Der Bundesrat tagt in Berlin. Er wird einberufen durch
den Kaiser. Die Berufung muß stets erfolgen, wenn der Reichs-
tag versammelt ist und ferner dann, wenn mindestens ein Drittel
aller Stimmen es verlangt?" Den Vorsitz führt der Reichskanz-
ler oder dessen Stellvertreter; im Falle einer Verhinderung Preu-
ßens geht der Vorsitz an Bayern über. Die Verhandlungen
sind nicht öffentlich; sie sind durch eine Geschäftsordnung
geregelt.
74 Zur Vorbereitung der Beschlußfassung, sowie zur selbständigen
Erledigung gewisser Angelegenheiten sind beim Bundesrat aus dessen
Mitte eine Anzahl dauernder Ausschüsse gebildet, in denen je-
weils außer Preußen mindestens vier Bundesstaaten vertreten sind.
So besteht ein Ausschuß für das Landheer und die
Fe st ungen, ferner solche für Zoll- und S t e u e r w e s e n,
für Handel und Verkehr, für Justizwesen usw. Ein
besonderer Ausschuß für die auswärtigen Angelegen-
heiten, in welchem Bayern, Sachsen und Württemberg einen stän-
digen Sitz haben, soll Mitteilungen über die auswärtigen Beziehun-
gen des Reichs von der Reichsregierung entgegen nehmen und die
Ansichten der Regierungen hierüber austauschen.
75 Die Beschlußfassung int Bundesrat erfolgt nach
einfacher Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder.^ Bei Stim-
mengleichheit geben die preußischen Stimmen den Ausschlag. Diese
Regel erleidet jedoch folgende Ausnahmen:
a. Jeder Vorschlag einer Aenderung der Reichsverfassung gilt
als abgelehnt, wenn 14 Stimmen dagegen sind. Verfassungsbestim-
mungen, durch welche sog. Reservatrechte einzelner Staaten festgesetzt
worden sind, können überdies nur mit Zustimmung der berechtigten
Staaten geändert werden (s. Nr. 45). * 31
3° Tatsächlich hat der Umfang der Geschäfte dahin geführt, daß seit
1883 der Bundesrat ständig versammelt gewesen ist; nur des Sommers
unterbricht er seine Geschäfte, jedoch ohne sich aufzulösen.
31 Nicht vertretene oder nicht instruierte Stimmen werden nicht ge-
zählt. Durch diese Bestimmung sollen Verschleppungen der Beratungen,
wie sie beim ehemaligen Bundestag häufig vorkamen, vermieden werden.
Der Reichstag
29
b. Ferner steht Preußen das sog. Veto (d. h. Verbietungs-
recht) zu hinsichtlich aller Veränderungen in Angelegenheiten des
Militärwesens, der Kriegsmarine, gewisser indirekter Reichssteuern
und des gesamten Zollwesens. In diesen Angelegenheiten kann also
Preußen durch seinen Widerspruch jede Veränderung der bestehenden
Gesetze, Verordnungen und Einrichtungen verhindern. Damit sind
die wichtigsten Grundlagen des Reichs seinem Schutze anvertraut.
c. Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche
infolge von Reservatrechten einzelner Staaten nicht dem ganzen
Reiche gemeinschaftlich ist, werden nur die Stimmen der durch die
Sache berührten Bundesstaaten gezählt.^
H. Der Reichstag.
1. Seine Bedeutung und Zuständigkeit.
Während der Bundesrat, wie wir oben sahen, die verbündeten
deutschen Regierungen vertritt, besteht der Reichstag aus den g e -
wählten Vertretern des gesamten deutschen Vol-
ke s. Er bildet die deutsche Volksvertretung, d. h. diejenige Körper-
schaft, durch welche das deutsche Volk an der Reichsgesetzgebung teil-
nimmt; denn jedes Reichsgesetz bedarf, wie wiederholt erwähnt, zu
seinem Zustandekommen neben der Zustimmung des Bundesrats auch
der des Reichstages. Der Reichstag hat aber nicht nur über die
vom Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwürfe abzustimmen; viel-
mehr steht ihm auch das Recht zu, selbst Gesetze vorzuschlagen (Recht
der Initiative, s. Nr. 27). Verträge, welche dem Reiche
Lasten oder den Reichsangehörigen Verpflichtungen auferlegen und
daher in das Gebiet der Gesetzgebung eingreifen, wie z. B. die Zoll-
und Handelsverträge, stehen den Gesetzen gleich und bedürfen daher
zu ihrer Gültigkeit gleichfalls der Zustimmung sowohl des Bundes-
rats wie des Reichstags.
Ferner wird auch der jährliche Voranschlag des Reichs-
haushalts (s. Nr. 28 und 1390), sowie die Ausnahme von
Reichsanlehen jeweils in Form von Gesetzen beschlossen, was
zur Folge hat, daß auch dazu die Zustimmung des Reichstags er-
forderlich ist. Hierdurch besitzt der Reichstag auch einen Einfluß auf
die ihrem Wesen nach nicht gesetzgeberische Regierungstätigkeit (die
sog. Exekutive, s. Nr. 11), soweit sie mit Ausgaben und Einnahmen
verknüpft ist. Auch hat der Reichstag das Recht, vom Reichskanzler 32
32 So sind z. B. in Angelegenheiten der Reichs-Biersteuer die süd-
deutschen Staaten nicht stimmberechtigt, weil sie von dieser Steuer ausge-
nommen sind.
30
Das Staatsrecht des Reichs
jährlich Rechnung über die Verwendung der Reichs-
einnahmen zu fordern; er erteilt ihm hierfür Entlastung
(D e ch a r g e), wenn er diese Verwendung, als dem Voranschlag ent-
sprechend geschehen, billigt.
Der Reichstag ist endlich befugt, die Reichsregierung (den Bun-
desrat oder den Reichskanzler) über Gegenstände aller Art, insbeson-
dere über ihre Beurteilung der öffentlichen Zustände und über ihre
Absichten zu i n t e r p e l l i e r e n , d. h. zu befragen, und sog. Peti-
tionen, d. h. Gesuche, die an den Reichstag von irgend welcher
Seite gerichtet werden, dem Bundesrat oder Reichskanzler zu über-
weisen.
2. Wahlrecht und Wählbarkeit.^
Das sog. aktive Wahlrecht, d. h. dos Recht zum Reichs-
tag einen Abgeordneten zu wählen, steht, ohne Unterschied 'des Be-
sitzes, der Steuerklasse, der Bildung oder des Berufs jedem männ-
lichen deutschen Reichsangehörigen zu, welcher das 25. Lebensjahr-
vollendet hat. Das Stimmrecht ist also ein allgemeines;
es ist ferner ein gleiches, weil jedermann, hoch oder niedrig, arm
oder reich, nur eine Stimme hat, und es ist ein direktes, weil
der Abgeordnete unmittelbar (nicht durch Wahlmänner, s. Nr. 25)
gewählt wird. Nicht berechtigt zu wählen sind Personen,
welche unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen (z. B. wegen
Geisteskrankheit, Trunksucht oder Verschwendung), oder welche sich
im Konkurse befinden oder öffentliche Armenunterstützung beziehen
oder im letzten Jahre bezogen haben oder endlich solche, denen
durch die Strafgerichte die bürgerlichen Ehrenrechte (s. Nr. 228) ent-
zogen sind. Um von der Armee jedes politische Parteigetriebe fern-
zuhalten, ist ferner bestimmt, daß die zum aktiven Heere gehörigen
Militärpersonen (Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften) nicht
wählen dürfen; Militärbeamte gehören hierzu nicht.
Das sog. passive Wahlrecht, d. h. die Fähigkeit, als
Reichstagsabgeordneter gewählt zu werden, steht jedem zu, welcher
nach obigem aktiv wahlberechtigt ist, jedoch mit der Erweiterung, daß
auch aktive Militärpersonen gewählt werden können. Der zu Wäh-
lende muß aber seit mindestens einem Jahr die deutsche Reichsange-
hörigkeit besitzen.
Die Ausübung des aktiven Wahlrechts ist vom Gesetz dadurch
geschützt, daß seine gewaltsame Verhinderung mit strenger gericht- * 31
33 Die Bestimmungen über das Wahlrecht und die Wählbarkeit sind
nicht in der Reichsverfassung, sondern in einem besonderen Wahlgesetze (vom
31. Mai 1869) enthalten.
Der Reichstag
31
licher Strafe bedroht ist. Andererseits wird auch der verwerf-
liche Stimmenschacher (der Kauf und Verkauf einer Wahlstimme)
bestraft.
3. Die Wahlkreise.
Zum Zwecke der Reichstagswahlen ist das ganze Reich 34 35 in 397 8z
Wahlkreise eingeteilt. Bei dieser Einteilung, welche der Hauptsache
nach aus dem Jahre 1870 stammt, wurde davon ausgegangen, daß
auch in den kleinsten Bundesstaaten mindestens ein Abgeordneter
gewählt werden sollte, und daß im übrigen auf durchschnittlich 100 000
Einwohner ein Abgeordneter zu kommen habe. Inzwischen hat sich
aber die Bevölkerung des Reichs, besonders in den größeren Städten,
sehr stark vermehrt, die bisherige Wahlkreiseinteilung ist jedoch
geblieben, was zur Folge hat, daß in den ländlichen Wahlkreisen jede
einzelne Wahlstimme weit schwerer wiegt, als in denen der grö-
ßeren Städte.33
Alle Wähler eines Wahlkreises bilden eine einzige Wählerschaft, 84
d. h. die dort abgegebenen Stimmen werden zusammengezählt. Zum
Zwecke der Erleichterung des Wählens ist aber der Wahlkreis in eine
Anzahl Wahlbezirke eingeteilt, und zwar bildet möglichst jede
Gemeinde einen solchen Wahlbezirk. Größere Gemeinden werden in
Unterbezirke von höchstens 3500 Seelen zerlegt.
Jedermann darf nur da wählen, wo er zur Zeit der Wahl
seinen Wohnsitz hat; Personen ohne festen Wohnsitz sind daher nicht
wahlberechtigt.
4. Das Wahlverfahren.
Zur Vorbereitung der Wahl, welche im ganzen Reiche an dem- 85
selben, vom Kaiser bestimmten Tage stattfindet, hat zunächst jede
Gemeindebehörde für ihren Bezirk die W ä h l e r l i st e (d. h. ein Ver-
zeichnis aller wahlberechtigten Einwohner) auszustellen und minde-
stens 8 Tage zu jedermanns Einsicht öffentlich auszulegen. Jeder
Wahlberechtigte sollte sich überzeugen, ob sein Name in die Liste auf-
genommen ist und verneinendensalls die Ausnahme verlangen; denn
wer nicht in der Wählerliste steht, darf am Wahltage nicht wählen.
Größere Städte sind deshalb dazu übergegangen, die in die Wähler-
34 Einschließlich der Reichslande Elsaß-Lothringen; denn auch diese
wählen zuin Reichstag. Von den 397 Abgeordneten entfallen allein auf
Preußen 236, auf Bayern 48, aus Sachsen 23, auf Württemberg 17, aus
Elsaß-Lothringen 16, aus Baden 14.
Die deutschen Schutzgebiete wählen nicht zum Reichstag.
35 So zählt z. B. Berlin zurzeit über 2 Millionen Einwohner, wählt
aber nur 6 Reichstagsabgeordnete.
32
Das Staatsrecht des Reichs
listen Eingetragenen hiervon zu benachrichtigen, sodaß jeder, der eine
solche Nachricht nicht bis zu einem bestimmten Termin erhält, auf sein
Fehlen in der Wählerliste aufmerksam werden muß.
Mit der obersten Leitung der Wahl wird für jeden Wahlkreis
von der Regierung ein besonderer Wahlkommissär bestellt.
In jedem einzelnen Wahlbezirk wird ferner die Leitung der Wahl
einem Wahlvorsteher übertragen, der aus seinem Bezirke einen
Protokollführer und mehrere Beisitzer zuzieht. Dieser so gebildete
Wahlvorstand, dem keine unmittelbaren Staatsdiener ange-
hören dürfen, muß bei der von morgens 10 Uhr bis abends 7 Uhr
dauernden Wahl im Wahllokal anwesend sein.
Die Wahlhandlung selbst erfolgt öffentlich, d. h. im
Wahlraum darf, soweit das der Ordnung halber möglich ist, jeder
Wahlberechtigte zugegen sein; die Stimmenabgabe selbst da-
gegen geschieht geheim durch weiße, mit keinem äußeren Merk-
zeichen versehene Stimmzettel, welche bereits beim Eintritt in das
Wahllokal den Namen des zu Wählenden tragen und vom Wählenden
in einem Nebenraum oder an einem Nebentisch unbeobachtet in einen
amtlich abgestempelten Umschlag gesteckt werden müssen. Den Namen
des Wählenden darf der Stimmzettel nicht enthalten.
Nach Beendigung der Wahlhandlung stellt der Wahlvorstand das
Ergebnis der Wahl fest36 und übersendet das Protokoll nebst den
von ihm für ungültig oder durch besondere Beschlußfassung für gültig
erklärten Stimmzetteln dem Wahlkommissär; dieser stellt in öffent-
licher Verhandlung das Gesamtergebnis für den Wahlkreis fest und
macht es öffentlich bekannt.
Hat kein Kandidat die a b s o l u t e Mehrheit, d. h. mehr
als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, so muß
für den Wahlkreis eine sog. Stichwahl stattfinden; bei dieser
gelten nur Stimmen, welche abgegeben werden für die beiden Kan-
didaten, welche beim ersten Wahlgange die meisten Stimmen erhalten
haben. Erklärt der Gewählte nicht binnen 8 Tagen, nachdem ihm
seine Wahl bekannt gegeben ist, seine Annahme der Wahl, so muß
eine Nachwahl stattfinden. Ebenso können Ersatzwahlen
notwendig werden, wenn ein Abgeordneter stirbt oder auf sein Man-
dat verzichtet oder es verliert (z. B. infolge Verlustes der Wähl-
barkeit).
5. Die Stellung der Abgeordneten.
Jeder der 3 9 7 Reichstagsabgeordneten, welche für die Dauer
einer sog. Legislaturperiode (s. Nr. 26) von fünf
Jede Fälschung des Wahlergebnisses ist mit gerichtlicher Strafe
(Gefängnis) bedroht.
Der Reichstag
33
Jahren gewählt werden, hat nicht etwa seinen Wahlkreis oder
seine Wähler, sondern die Interessen des gesamten deutschen Volkes
zu vertreten. Die Abgeordneten besitzen also kein sog. i m p e ra-
li v e s M a n d a t, d. h. sie sind an die Aufträge und Instruktionen
ihrer Wähler nicht gebunden.
Das Amt der Abgeordneten ist ein unbesoldetes Ehren - 90
amt; doch erhalten sie nunmehr (Gesetz vom Jahre 1906) eine Ent-
schädigung sür den durch Ausübung ihres Amtes verursachten Auf-
wand?^ Auch haben sie während der Sitzungsperiode, sowie 8 Tage
vorher und nachher freie Eisenbahnfahrt auf allen deutschen Haupt-
und Nebeneisenbahnen.
Die Abgeordneten haben im Reichstage volle Rede -und Ab - 91
st i m m u n g s f r e i h e i t. Sie können wegen ihrer Abstimmung
oder wegen der im Reichstage in Ausübung ihres Amtes getanen
Aeußerungen in keiner Weise zur Verantwortung gezogen werden.^
Ferner ist die ungehinderte Ausübung ihres Amtes dadurch ge-
sichert, daß kein Reichstagsmitglied während der Sitzungsperiode
ohne Genehmigung des Reichstags wegen einer strafbaren Handlung
verhaftet oder zur Untersuchung gezogen werden darf, es sei denn,
daß er auf frischer Tat oder im Laufe des nächsten Tages ergriffen
wird. Ebensowenig darf ein wegen Schulden vergeblich ausgepfän-
detes Mitglied zur Erzwingung des Offenbarungseides (f. Nr. 637)
ohne Genehmigung des Reichstages verhaftet werden. Auch wird auf
Verlangen des Reichstags jedes bei Beginn der Sitzungsperiode an-
hängige Strafverfahren gegen ein Mitglied und jede Untersuchungs-
oder Zivilhaft während der Sitzungsperiode aufgehoben, nicht aber
eine rechtskräftig erkannte Strafhaft.
Ein Abgeordneter, der während Ausübung seines Mandats als 92
unmittelbarer Staatsbeamter angestellt oder als bereits angestellter
Beamter befördert wird, könnte hierdurch in den Augen seiner Wäh-
ler gegenüber der Regierung seine Unabhängigkeit verlieren. Die
Verfassung bestimmt daher, daß das Mandat eines solchen Abgeord-
neten durch diese Anstellung oder Beförderung erlischt; doch kann
er bei der alsdann vorzunehmenden Ersatzwahl aufs neue gewählt
werden. *
87 Die Entschädigung beträgt 3000 M. für jede Sitzungsperiode; doch
kommen hiervon je 20 M. für jede versäumte Plenarsitzung in Abzug.
88 Ferner sind wahrheitsgetreue Berichte der Zeitun-
gen über die im Reichstage oder in den Landtagen gehaltenen Reden der
Abgeordneten von jeder Verantwortlichkeit frei. Wenn z. B. die Aeußerung
eines Abgeordneten an sich auch den Tatbestand der Beleidigung enthielte,
so darf der Abdruck dieser Aeußerung im Sitzungsbericht einer Zeitung doch
nicht als Verbreitung einer Beleidigung bestraft werden.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
3
34
Das Staatsrecht des Reichs
93 Gegen gewaltsame Sprengung der Versammlung, sowie gegen
jede gewaltsame Beeinflussung seiner Beschlüsse ist der Reichstag
(wie auch alle deutschen Einzellandtage) durch besondere strafgesetz-
liche Vorschriften (s. Nr. 249) geschützt.
6. Die Verhandlungen des Reichstages.
94 a. Der Reichstag wird zu feinen mindestens alljährlich stattfin-
denden Sessionen (d. h. Sitzungsperioden, s. Nr. 26) durch
den Kaiser nach Berlin^ zusamnienberufen und regelmäßig mit
einer feierlichen, sog. Thronrede, eröffnet, welche einen kurzen
Ueberblick über den Stand der Politik und die den Reichstag erwar-
tenden Arbeiten enthält.
95 Bei Beginn seiner Verhandlungen, welche öffentlich
und durch eine Geschäftsordnung geregelt sind, konsti-
t u i e r t sich zunächst der Reichstag, d. h. er wählt unter dem Vor-
sitz des an Jahren ältesten Mitgliedes (des sog. Alterspräsidenten)
seinen V o r st a n d , bestehend aus dem Präsidenten, den beiden
Vizepräsidenten" und acht Schriftführern. Ferner ernennt der Prä-
sident für das eigene Kassen- und Rechnungswesen des Reichstags
zwei Schatzmeister (sog. Q u ä st o r e n).
96 Die Leitung der Verhandlung steht dem Präsidenten
oder einem der Vizepräsidenten zu. Er bestimmt die Tages- * 1
59 Das prunkvolle Reichstagsgebäude daselbst wurde hauptsüch-
lich aus Mitteln der französischen Kriegsentschädigung erbaut.
Die wichtigsten Parteien im Reichstag (nnd in den deutschen Land-
tagen) sind die folgenden:
1. Die konservative Partei, die durch Erhaltung der bestehen-
den Zustände dem allgemeinen Wohle am besten zu dienen glaubt; sie hat
ihre stärkste Stütze im norddeutschen Großgrundbesitz.
2. Die Zentrumspartei, welche ihren Namen daher führt, daß
sie im Reichstag die Mitte der amphitheatralisch angeordneten Sitzreihen
einnimmt. Ihre Mitglieder stehen auf dem Boden der von der katholischen
Kirche vertretenen Anschauungen und Bestrebungen.
3. Neben der nationalliberalen Partei, welcher die natio-
nalen, sowie die freiheitlichen Ziele vor allem erstrebenswert scheinen,
stehen eine Reihe anderer liberaler Parteien (Demokraten, Freisinnige
usw.), die den Nachdruck auf freiheitliche Ausgestaltung der Verfassung und
Verwaltung legen.
4. Die sozialdemokratische Partei endlich vertritt vor-
nehmlich die Interessen des vierten Standes, der Arbeiter, deren Besserstel-
lung sie von einer tiefgreifenden Aenderung unserer staatlichen, gesellschaft-
lichen und wirtschaftlichen Zustände erhofft.
10 Die Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten gilt zunächst nur
für vier Wochen; die alsdann Wiedergewählten üben ihr Amt während der
ganzen Session aus.
Der Reichstag
35
ordnung für die nächste Sitzung. Er erteilt den Rednern das
Wort in der Reihenfolge, in der sie sich darum gemeldet haben; doch
müssen die Mitglieder des Bundesrats aus Verlangen jederzeit
gehört werden. Er ruft Redner, welche die Redefreiheit
mißbrauchen, zur Ordnung und kann auch im Falle
gröblicher Verletzung der Ordnung ein Mitglied von der
Sitzung ausschließen. Wurde ein Mitglied zweimal in
derselben Rede zur Ordnung gerufen, so kann die Versamm-
lung ihm das Wort entziehen. Scheint eine Sache genügend
erörtert, so kann auf Antrag von 30 Mitgliedern der „Schluß der
Debatte" beschlossen werden; alsdann erhalten nur noch der Be-
richterstatter und der Antragsteller das Wort. Ueber die Verhand-
lungen des Reichstags werden Protokolle aufgenommen, sowie
wörtliche stenographische Berichte gefertigt, welch letztere
mit allen Anlagen im Buchhandel erscheinen.
b. Dem Reichstage steht die für die Sicherung des Wahlrechts 97
besonders bedeutsame Befugnis zu, die L e g i t i m a t i 0 n seiner
Mitglieder zu prüfen, d. h. sich zu überzeugen, ob
die Wahlen ordnungsgemäß und ohne unzulässige Beein-
flussung erfolgt sind. Zu diesem Zweck wird der Reichstag
alsbald nach der Eröffnung der Sitzungen durch das Los
in sieben gleichstarke Abteilungen zerlegt, deren jede eine
Anzahl Wahlprüfungen erledigt. Können sich die Abteilun-
gen über die Gültigkeit einzelner Wahlen nicht einigen oder ist eine
Wahl förmlich angefochten worden, so wird die weitere Prüfung
einer besonders gewählten Wahlkommission zugewiesen. Die
Inhaber der beanstandeten Mandate behalten übrigens im Reichstag
Sitz und Stimme, bis der versammelte Reichstag (das sog. Plenum
des Reichstags im Gegensatze zu den Kommissionen) über die Gültig-
keit der Wahl endgültig entschieden hat; denn diesem Plenum steht
jeweils die letzte Entscheidung zu.
c. Ueber alle Gesetzesentwürfe müssen, um Ueberstürzungen zu 98
vermeiden, drei Beratungen oder Lesungen stattfinden. Ist
ein Entwurf von größerem Umfang oder von besonderer Wichtrgkeit,
so wird er nach der e r st e n L e s u n g , welche sich auf eine allgemeine
Erörterung der Vorlage beschränkt (sog. Generaldebatte),
einer Kommission zur Beratung überwiesen. Die Kommissionen
werden von den oben erwähnten 7 Abteilungen des Hauses ge-
wählt und zählen daher meist 7, 14, 21 oder 28 Mitglieder. Ihre
Sitzungen sind nur insoweit öffentlich, als auch die übrigen Reichs-
tagsmitglieder, sowie die Mitglieder und die Kommissäre des Bun-
desrats ihnen anwohnen können. Die Kommission wählt aus ihrer
Mitte einen Berichterstatter, der nach Beendigung der Kommissions-
3 *
36
Das Staatsrecht des Reichs
beratungen und nach erfolgter Abstimmung namens der Kommission
dem Plenum Bericht erstattet. Bei der nun daselbst folgenden zwei-
ten Lesung werden die einzelnen Abschnitte der Vorlage beson-
ders behandelt (sog. Spezialdebatte); es können hierbei Ab-
änderungsanträge gestellt werden, über welche jedoch nur daun ab-
gestimmt wird, wenn sie von mindestens 15 Mitgliedern unterstützt
werden. Werden bei der hieraus folgenden Abstimmung über das
Gesetz alle Paragraphen und Anträge abgelehnt, so findet überhaupt
keine weitere Lesung mehr statt. Bei der dritten Lesung
endlich bedürfen Abänderungsanträge der Unterstützung von minde-
stens 30 Mitgliedern, um zur Abstimmung zu gelangen. Am Schlüsse'
wird mit Ja oder Nein über Annahme oder Ablehnung des ganzen
Gesetzentwurfes in der Gestalt abgestimmt, die er durch die einzelnen
bis dahin angenommenen Abänderungsbeschlüsse erhalten hat.
ä. Zur Prüfung der bei ihm einlaufenden Petitionen (s. Nr. 79)
hat der Reichstag eine ständige Vetitionskommission ein-
gesetzt. Im Plenum des Reichstags werden die Petitionen nur er-
örtert, wenn diese Kommission oder mindestens 16 Abgeordnete es
beantragen. Der Reichstag kann alsdann beschließen, die Petition
dem Bundesrat „zur Kenntnisnahme" oder „zur Erwägung" oder
„zur Berücksichtigung" zu überweiseu, je nach dem Wert, den er dem
Inhalt beimißt; er kann aber auch, wenn er die Petition für unbe-
gründet oder unangebracht hält, beschließen, über sie „zur Tages-
ordnung überzugehen", d. h. sie überhaupt nicht weiter zu berücksich-
tigen. Das gleiche kann mit Anträgen geschehen, die von den Mit-
gliedern des Hauses gestellt werden."
Interpellationen, d. h. Anfragen an die Regierung
(s. Nr. 79), welche von mindestens 30 Mitgliedern unterzeichnet sein
müssen, werden zunächst durch deu Präsidenten dem Reichskanzler
mitgeteilt. Wird die Anfrage voin Bundesrat beantwortet, wozu
dieser jedoch nicht verpflichtet ist, so kann die Antwort aus Antrag
von mindestens 50 Abgeordneten im Reichstag einer Besprechung
unterzogen werden.
e. Alle Beschlüsse des Reichstags können nur mit absoluter
Stimmenmehrheit gefaßt werden. Zur Gültigkeit der Beschluß-
fassung ist aber weiter erforderlich, daß die Mehrheit der gesetzlichen
Anzahl der Mitglieder (also mindestens 199) anwesend ist. Diese
Mehrheit wird als vorhanden angenommen, so lange sie nicht von
einem Mitgliede bezweifelt wird.
" Die Petitionen, sowie die von Mitgliedern des Hauses gestellten An-
träge werden regelmäßig Mittwochs beraten, dem sog. Schwerins-
t a g , so genannt nach dem Grasen v. Schwerin, der im preußischen Abge-
ordnetenhause diese Uebung seinerzeit einführte.
Reichskanzler. Reichsbehörden, Reichsbeamte
37
Die Abstimmung selbst geschieht in der Regel durch Auf -
stehen und Sitzenbleiben^; aus Antrag von mindestens 60 Mit-
gliedern muß jedoch die sehr zeitraubende na mentlicheAb st im-
mun g vorgenommen werden.
t. Der Kaiser kann den Reichstag vertagen, jedoch auf län-
ger als 30 Tage und mehr als einmal in der Session nur mit Zu-
stimmung des Reichstags. Er beendigt ferner die Session durch
Schließung des Reichstags. Endlich kann der Bundesrat, wenn
er in einer wichtigen Frage mit der Auffassung des Reichstags
nicht einverstanden ist, mit Zustimmung des Kaisers den Reichstag
auflösen und durch Anordnung von Neuwahlen, welche spätestens
binnen 60 Tagen stattfinden müssen, an die Wähler appellieren.
Diese Neuwahlen bedeuten alsdann eine Art von Volksabstimmung
über die Frage, welche zur Auslösung geführt hat; denn naturgemäß
bildet diese die Wahlparole, und jeder Wähler gibt seine Stimme
nur einem Abgeordneten, von dem er annimmt, daß er seinerzeit
in dieser Frage im Sinne des Wählenden stimmen werde.
Die Schließung und die Auflösung des Reichstages haben die
Wirkung, daß durch sie jede Tätigkeit des Reichstags, und zwar auch
diejenige der Kommissionen beendigt wird. Der neu zusammen-
tretende Reichstag kann die Geschäfte nicht wieder da aufnehmen, wo
der alte sie verlassen hat; vielmehr müssen alle Gesetzesentwürfe, Peti-
tionen und Anträge, wenn auf ihnen bestanden werden will, aufs
neue eingebracht werden.
i. Der Reichskanzler und die Reichsbehörden.
Die Reichsbeamten.
1. Der Reichskanzler.
Der vom Kaiser ernannte^ Reichskanzler ist der höchste
Beamte des Reichs. Alle kaiserlichen Anordnungen und Verfügun-
gen bedürfen zu ihrer Gültigkeit seiner Mitunterschrift (Gegen- 42
42 Ist das Ergebnis zweifelhaft, sa wird eine Gegenprobe gemacht, bei
der die Mitglieder, welche zuerst aufstanden, nunmehr sitzen bleiben. Wird
auch auf diesem Wege der Zweifel nicht gehoben, fo verlassen die Abgeord-
neten den Saal und treten durch zwei verschiedene Türen wieder ein, je
nachdem sie für Ja oder Nein stimmen wollen. Beim Eintritt werden die
Stimmen von den Schriftführern gezählt. Diese Art der Abstimmung wird
humoristisch als „Hammelsprung" bezeichnet.
' " Bei der Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers ist der Kaiser
unabhängig von der Mehrheit des Reichstags; wir haben, wie bereits früher
erwähnt, ebensowenig im Reich wie in den Einzelstaaten eine sog. parla-
mentarische Regierung (s. Nr. 15).
38
Das Staatsrecht des Reichs
Zeichnung, s. Nr. 16), wodurch er die Verantwortlichkeit für sie
iibernimmt; er ist daher der einzige verantwortliche
Mini st er des Reich s."
Dem Reichskanzler unterstehen die gesamte Reichsverwaltung und
alle Reichsbehörden; er leitet namentlich auch nach dem Willen des
Kaisers die auswärtigen Beziehungen des Reichs. Er ist Mitglied
und Vorsitzender des Bundesrats und in der Regel zugleich preußi-
scher Ministerpräsident. Im Reichstag vertritt er die Politik des
Kaisers und der verbündeten Regierungen.
Die dem Reichskanzler unmittelbar dienende, ihn in der Erledi-
gung seiner Geschäfte unterstützende Behörde heißt die Reichs-
kanzlei. Sie vermittelt den Verkehr des Reichskanzlers mit den
einzelnen obersten Reichsbehörden.
2. Die Reichsbehörden.
Das Reich beschränkt sich, wie schon früher gezeigt (s. Nr. 51),
fast auf allen Gebieten, welche seiner Gesetzgebung unterworfen sind,
hinsichtlich des Vollzugs darauf, die oberste Leitung in der Hand zu
behalten, während es die Durchführung des Vollzugs im einzelnen
den Bundesstaaten und deren Behörden überläßt. Daher kommt es,
daß das Reich fast nur Zentralbehörden besitzt. Nur auf wenigen Ge-
bieten, wie auf demjenigen der auswärtigen Verwaltung und des
Post- und Telegraphenwesens, hat das Reich die ganze Verwaltung
an sich genommen. Nur zugunsten Bayerns und Württembergs be-
stehen auch insoweit Ausnahmen.
Die Zahl der unter dem Reichskanzler stehenden obersten Zen-
tralbehörden hat sich mit Ausdehnung der Reichstätigkeit ständig ver-
mehrt. So sind eine Reihe von Reichsämtern entstanden, an
deren Spitze regelmäßig ein Staatssekretär steht. Die letzteren
nehmen, da sie den Weisungen des Reichskanzlers unterworfen sind,
nicht eigentlich die Stelle von Ministern ein, sie handeln jedoch unter
eigener Verantwortlichkeit, soweit sie in ihrem Geschäftskreis mit der
Vertretung des Reichskanzlers beauftragt sind (s. Nr. 104 Anm.).
Zurzeit bestehen folgende Reichsümter:
" Allerdings bestehen keine Bestimmungen darüber, in welcher Weise
der Reichskanzler für seine Amtshandlungen vom Volke zur Verantwortung
gezogen werden könnte.
Keiner Gegenzeichnung bedürfen die Anordnungen, welche der Kaiser
als Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine erläßt, soweit sie den
Charakter eines militärischen Befehls tragen.
Für den Fall der Behinderung des Reichskanzlers kann der Kaiser
entweder einen allgemeinen Stellvertreter ernennen oder die Vorstände der
obersten Reichsbehörden für ihren Geschäftskreis als Stellvertreter bestellen;
diesen obliegt alsdann die Gegenzeichnung.
Reichskanzler, Reichsbehörden, Reichsbeamte
39
a. Das auswärtige Amt.
Dieses hat die Geschäfte der auswärtigen Politik zu besorgen;
daher unterstehen ihm die Botschafter, Gesandten und Konsuln des
Reichs (s. Nr. 1296).
b. Das Reichs-Kolonialamt,
dem die oberste Leitung der Schutzgebiete obliegt (s. Irr. 1312).
c. Das Reichsamt des Innern,
welches hinsichtlich seines Geschäftskreises den in den Einzelstaaten be-
stehenden Ministerien des Innern entspricht, hat die oberste Lei-
tung aller Verwaltungsangelegenheiten, soweit diese nicht den an-
deren Reichsämtern zugewiesen sind. Diesem Reichsamt unterstehen
wiederum eine größere Reihe von zentralen Reichsbehörden, von
denen noch später zu sprechen sein wird, so das Statistische
A m t, das Bundesamt sür Heimat wesen, das Reichs-
gesundheitsamt, das Aufsichtsamt für Privat-
versicherung, das Reichsversicherungsamt, das
Patentamt, die Normaleichungskommission u. a. m.
cl. Das R e i ch s m a r i n e a m t
für die oberste Verwaltung der Kriegsflotte (s. Nr. 1368).
e, Das Reichs schatzamt
(s. Nr. 1390) als oberste Finanzbehörde des Reichs. Ihr untersteht
unter anderem die R e i ch s h a u p t k a s s e. Eine Reihe anderer
zentraler Finanzbehörden sind dem Reichskanzler unmittelbar unter-
stellt, so der Rechnungshof des Reichs (s. Nr. 1391), die
R e i ch s s ch u l d e n k o m m i s s i o n (s. Nr. 1395) und die Ver-
lu a 11 it ii g des Reich sin valide nfonds (s. Nr. 1364);
ferner das Reichsbankdirektorium (s. Nr. 1046).
t. DasReichsjustizamt,
welchem die oberste Leitung der Rechtspflege im Reiche zusteht. Ihm
liegt insbesondere die Vorbereitung der die Justiz betreffenden
Reichsgesetze und die Verwaltung des Reichsgerichts ob.
g. Das Reichspo st amt
(s. Nr. 1248) für das Post- und Telegraphenwesen des Reichs, abge-
sehen von Bayern und Württemberg. Diesem Reichsamt untersteht
auch die R e i ch s d r u ck e r e i.
1>. DasReichseisen bahnamt
(s. Nr. 1238), welchem die Oberaufsicht über die den Einzelstaaten
gehörigen Eisenbahnen, mit Ausnahme der bayerischen Eisenbahnen,
zukonnnt. An seiner Spitze steht ein Präsident. Die Verwaltung der
40
Das Staatsrecht des Reichs
im Eigentum des Reichs befindlichen Eisenbahnen Elsaß-Lothringens
ist einem besonderen Reichsamt für die Reichseisen-
bahnen (s. Nr. 1237) übertragen.
Ein besonderes Reichsamt für das Militärwesen gibt es nicht;
vielmehr werden die Militärangelegenheiten des Reichs vom preu-
ßischen Kriegsministerium (s. Nr. 1329) besorgt. Ausnahmen bestehen
nur für Bayern, Sachsen und Württemberg.
3. Die Reichsbeamten.
irr Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, zu welchen insbeson- ,
dere die Mitglieder der obersten Reichsämter und sonstigen zentralen
Reichsbehörden, sowie die Gesandten, die Konsuln und die Post- und
Telegraphenbeamten zählen, sind durch das Reichsbeamten-
gesetz (vom Jahre 1873, neu gefaßt 1907) geordnet, welches mit be-
sonderen Maßgaben auch gilt für die Beamten in Elsaß-Lothringen
und in den Schutzgebieten, sowie für die Beamten der Reichsbank.
i iz a. D i e Ernennung
der Reichsbeamten erfolgt entweder durch den Kaiser oder in dessen
Namen durch den Reichskanzler oder durch die von letzterem dazu
ermächtigten Behörden. In gewissen Fällen hat der Bundesrat mit-
zuwirken (z. B. bei Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts):
in anderen (z. B. bezüglich der Mitglieder des Rechnungshofes) steht
ihm die Ernennung ausschließlich zu/°
Die Anstellung geschieht regelmäßig auf Lebenszeit, nur aus-
nahmsweise aus Widerruf oder Kündigung.
114 b. Di e Pflichten.
Der Beamte soll durch sein Verhalten sowohl in wie außer dem
Amte sich der Achtung würdig erzeigen, die sein Beruf erfordert. Er
hat neben anderen Pflichten die Pflicht der Verschwiegen-
heit bezüglich aller amtlichen Angelegenheiten, deren Geheimhaltung
ihrer Natur nach notwendig ist oder besonders vorgeschrieben wird.
Er ist ferner für die Gesetzmäßigkeit seiner Hand-
lungen verantwortlich, kann sich also bei einer Verletzung
der Gesetze auch nicht berufen aus seine Gehorsamspflicht gegenüber
den Weisungen seiner Vorgesetzten. Aus die gewissenhafte Erfüllung
seiner Pflichten hat er vor dem Dienstantritt einen D i e n st e i d zu
leisten.
4q In einzelnen Verwaltungszweigen werden ferner gewisse Reichs-
beamte (z. B. die mittleren und unteren Post- und Telegraphenbeamten)
von den Landesregierungen angestellt (sog. mittelbare Reichs-
beamte).
Reichskanzler, Reichsbehörden, Reichsbeamte
41
Verletzt ein Reichsbeamter seine Dienstpflichten, so findet (ab- >15
gesehen von einer etwaigen strafgerichtlichen Verfolgung^") seine
disziplinäre, d. h. dienstliche, Bestrafung statt. Die Disziplinar-
st r a f e n bestehen entweder in sog. O r d n u n g s st r a f e n (War-
nung, Verweis, Geldstrafe) oder in der Entfernung aus dem
Amte (Strafversetzung oder völlige Dienstentlassung). Während
die Ordnungsstrafen von den Dienstvorgesetzten verhängt werden
können, muß der Entfernung aus dem Amte ein förmliches
Disziplinarverfahren vorausgehen, das in eine Vorunter-
suchung und eine mündliche Verhandlung zerfällt. Dieses Verfahren
findet vor den fog. Disziplinarkammern statt, welche über-
wiegend aus hohen richterlichen Beamten zusammengesetzt sind.
Gegen die Entscheidungen der Disziplinarkammern ist die Berufung
an den aus Mitgliedern des Reichsgerichts und des Bundesrats gebil-
deten Disziplinarhof in Leipzig zulässig.
c. D i e vermögensrechtlichen A n s p r ii ch e n 6
der Reichsbeamten bestehen in dem Rechte auf den Gehalt/' wel-
cher monatlich oder vierteljährlich vorausbezahlt wird, ferner auf
den nach Ortsklassen abgestuften W 0 h n n n g s g e l d z u s ch u ß , auf
Tagegelder und Reisekosten (bei auswärtigen Dienstgeschäf-
ten), auf Umzugskosten (bei Versetzungen)/^ sowie im Falle der
Dienstunsühigkeit (nach mindestens zehnjähriger Dienstzeit) auf
P e n s i 0 n/o
Die richterlichen Beamten des Reichs nehmen wegen
der für ihr Amt notwendigen Unabhängigkeit eine besondere Rechts-
stellung ein. * 47 48
48 Wegen der gerichtlich strafbaren, besonderen Beamtenvergehen
s. Nr. 289.
47 Wegen der teilweisen Unpfändbarkeit der Beamtengehälter
s. Nr. 633.
48 Die Hinterbliebenen von Reichsbeamten, welche im Auslande be-
dienstet waren, werden auf Reichskosten in die Heimat zurückbefördert.
48 Die Pension der Reichsbeamten wird nach dem zuletzt
bezogenen festen Diensteinkommen und nach der zurückgelegten Dienstzeit in
der Weise berechnet, daß sie nach vollendeter zehnjähriger Dienstzeit
20/ßo = 1/e des bisherigen Diensteinkommens beträgt und mit den Dienst-
jahren auf höchstens 4780 — 3A steigt.
Witwe und Kinder verstorbener Reichsbeamten haben Anspruch auf
das Gnadenquartal, d. i. den Fortbezug der dem Verstorbenen
gewährten Besoldung während des auf den Sterbemonat folgenden Viertel-
jahrs, sowie auf Witwe u - und Waisengelder, deren Höhe sich
42 Das Staatsrecht des Reichs
k. Die Reichsangehörigei,.
1. Begriff und Bedeutung der Staatsangehörigkeit.
Die Zugehörigkeit einer Perfon zu einem bestimmten Staate
heißt die Staatsangehörigkeit. Nur wer sie hat, ist im
Vollbesitze aller bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte, nur ihm
steht insbesondere das aktive und passive Wahlrecht hinsichtlich der
Staats- und Gemeindewahlen, sowie die Fähigkeit zur Bekleidung
öffentlicher Aemter usw. zu. Dem Staatsangehörigen oder
Staatsbürger steht gegenüber der Ausländer; dieser ge-
nießt zwar im allgemeinen auch den Vorteil unserer Staatseinrich-.
tungen, sowie den Schutz unserer Gerichte; politische Rechte aber hat
er nicht, und er kann jederzeit ohne Begründung ausgewiesen werden.
• Die bundesstaatliche Gestaltung unseres Deutschen Reiches bringt
es mit sich, daß jedermann regelmäßig Staatsangehöriger eines
Bundesstaats sein muß, um Deutscher (deutscher Reichsangehöriger)
zu sein?o Jeder Preuße, Bayer, Badener usw. ist von Rechts wegen
Deutscher, und wer in keinem Bundesstaate mehr die Staatsange-
hörigkeit besitzt, hat damit von selbst aufgehört, Deutscher zu sein.
Jeder Deutsche muß nach der Reichsverfassung überall im Deut-
schen Reiche, also auch in den Bundesstaaten, deren Staatsbürgerrecht
er nicht besitzt, als Inländer behandelt und demgemäß zum festen
Wohnsitze, zum Gewerbebetrieb, 31t öffentlichen Aemtern,^ zur Er-
werbung von Grundstücken usw. unter denselben Voraussetzungen wie
der Einheimische zugelassen werden. Es hat mithin z. B. in Preu-
ßen ein Bayer oder Badener grundsätzlich die gleichen Rechte, wie der
Preuße selbst, mit Ausnahme jedoch der politischen Rechte, die einen
richtet nach der Pension, die der Beamte im Augenblick seines Todes zu
beanspruchen gehabt hätte.
Von der Pension zu unterscheiden ist das sog. Wartcgcld, welches
Beamte beziehen, die ohne das Vorliege:: von körperlichen oder geistigen
Gebrechen einstweilen in den Ruhestand versetzt wurden. Dies ist aus
politischen Rücksichten zulässig bcin: Reichskanzler und anderen hohen Reichs-
beamtcn, sowie allgemein dann, wenn die von dem Beamten verwaltete
Stelle eingeht.
=0 Eine Ausnahme von dieser Regel gilt bezüglich der deutschen Schutz-
gebiete. Den Eingeborenen, sowie den dort ansässigen Ausländern kann
nämlich die Reichsangehörigkcit verliehen werden; diese Reichsangehörigcn
gehören alsdann keinem einzelnen Bundesstaate an.
11 Die Zulassung zu öffentlichen Staatsämtern hat jedoch selbstver-
ständlich zur Voraussetzung, daß der Zuzulassende den in dem betreffenden
Bundesstaate geltenden Prüfungsvorschriften genügt hat; es kann also z. B.
ein Bayer in Preußen als Richter nur angestellt werden, wenn er die
preußischen juristischen Prüfungen abgelegt hat.
Die Reichsangehörigen
48
unmittelbaren Ausfluß der Zugehörigkeit zu dem preußischen Staate
bilden. So steht das aktive und passive Wahlrecht für das preußische
Abgeordnetenhaus und für die preußischen Gemeindekörperschaften
selbstverständlich nur den preußischen Staatsangehörigen zu.
2. Erlverb und Verlust der Staatsangehörigkeit. i
Aus welche Weise die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate
und damit die Eigenschaft eines Deutschen erworben und verloren
wird, darüber sind für das ganze Reich (durch das Reichsgesetz vom
1. Juni 1870) einheitliche Bestimmungen getroffen.
a. D e r E r w e r b. i
Eheliche Kinder eines Deutschen erwerben mit der Geburt,
auch wenn sie im Auslande oder in einem anderen Bundesstaat er-
folgt, die Staatsangehörigkeit ihres Vaters, uneheliche Kinder da-
gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Mutter.^ Ferner erlangt eine
Frau durch Verheiratung mit einem Deutschen stets die
Staatsangehörigkeit ihres Mannes und verliert damit ihre eigene.
Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kann auch erfolgen durch Ver-
leihung seitens der Behörde. Diese geschieht auf Ansuchen durch
Aushändigung einer förmlichen Urkunde, und zwar spricht man von
einer Aufnahme in den Staatsverband, wenn der Nachsuchende
bereits in einem anderen Bundesstaate die Staatsangehörigkeit be-
sitzt, also bereits Deutscher ist. Die Aufnahme darf nur in den Fällen
verweigert werden, in denen nach dem Freizügigkeitsgesetze (s.
Nr. 128) auch der Aufenthalt versagt werden dürste. Durch sie verliert
der Aufgenommene übrigens nicht seine bisherige Staatsangehörig-
keit; es kann also ein Deutscher zugleich in verschiedenen Bundes-
staaten die Staatsangehörigkeit besitzen, z. B. zugleich Preuße und
Bayer sein. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit an Aus-
länder (Nichtdeutsche) heißt Naturalisation; sie steht im Er- i
inessen der Behörde?^ Vor der Erteilung ist die Gemeinde oder der
Armenverband des Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen
will, zu hören. * 53
. _ 52 Wird jedoch ein uneheliches Kind nachträglich durch Verheiratung
leiner Eltern ehelich, so erlangt es damit, unter Verlust seiner bisherigen
Staatsangehörigkeit, die seines Vaters.
53 Die Ausfertigung der Aufnahmeurkunden, der Natura-
lisationsurkunden und der Entlassungsurkunden erfolgt
in Bayern durch die Kreisregierungen, Kammern des Innern, und zwar die
der ersteren durch die Kreisregierung des Niederlassungsbezirkes, die der
Entlassungsurkunden durch die der Heimat des Gesuchstellers vorgesetzte
Kreisregierung. Heimatscheine als Ausweise über den
Besitz der bayerischen Staatsangehörigkeit zum Ge-
44
Das Staatsrecht des Reichs
i22 Endlich wird die Staatsangehörigkeit in einein Bundesstaat so-
tt,ohl dem Angehörigen eines anderen Bundesstaates als einem Aus-
länder stillschweigend dadurch verliehen, daß derselbe im Reichs-
oder Staatsdien st oder imter staatlicher Bestätigung in:
Kirchen-, Schul- oder Gemeindedienst angestellt wird, es sei denn,
daß bei der Anstellung ein ausdrücklicher entgegenstehender Vorbehalt
gemacht wird.
Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich regelmäßig
zugleich auf die Ehefrau und die unter elterlicher Gewalt stehenden
minderjährigen Kinder.
i2z d. Der Verlust.
Die Staatsangehörigkeit wird (abgesehen von den bereits oben
erwähnten Fällen der Verheiratung einer Frau und der Ehelich-
machung eines Kindes) verloren durch zehnjährigen ununter-
brochenen Aufenthalt im Auslande.^ Der Lauf dieser
Frist beginnt aber, wenn der Ausgewanderte sich im Besitze eines
Reisepapieres oder eines Heimatscheines befindet, erst mit dem Zeit-
punkt des Ablaufs der Gültigkeit dieses Papiers. Ferner schützt
dauernd vor dem Verlust der Staatsangehörigkeit die Eintragung in
die Matrikel eines deutschen Konsuls, d. h. in das von dem Konsul
geführte Verzeichnis der in seinem Bezirke ansässigen Reichsange-
hörigen.
124 Der Verlust der Staatsangehörigkeit tritt ferner auf Antrag ein
durch Entlassung aus dem Staatsverbande. Sie muß stets ohne
weiteres erfolgen, wenn der Antragsteller die Staatsangehörigkeit
eines anderen deutschen Staates behält, also auch fernerhin Deutscher
bleibt. Dagegen darf sie behufs Auswanderung aus dem Reich einem
Wehrpflichtigen im Alter von 17 bis 26 Jahren nur erteilt werden,
wenn er durch ein Zeugnis der Ersatzkommission (s. Nr. 1336) nach-
weist, daß er die Entlassung nicht bloß zur Umgehung der militärischen
brauche für den Aufenthalt außerhalb des Reichsgebiets und Staatsan-
gehörigkeitsausweise zum Gebrauche innerhalb des Reichsgebiets
werden in Bayern durch die Distriktsverwaltungsbehörden (Bezirksämter
und unmittelbare Magistrate) ansgestellt. Die Heimatscheine endlich,
die bloß den Besitz der Heimat in einer bestimmten Gemeinde erweisen
sollen, werden in Bayern rechts des Rheins von den Gemeindeverwaltungen,
in der Pfalz von den Bürgermeistern ausgestellt.
54 Nach den Vereinigten Staaten vor: Nordamerika
ausgewanderte, dort als amerikanische Staatsbürger aufgenommene Bayern
verlieren kraft eines Staatsvertrags bereits nach fünf Jahren von der
Auswanderung ab die bayerische Staatsangehörigkeit. Aehnliche Verein-
barungen haben die iibrigen deutschen Staaten mit den Vereinigten Staaten
getroffen.
Die Reichsangehörigen
45
Dienstpflicht nachsucht; ebenso bedarf die Entlassung von Angehö-
rigen des stehenden Heeres und des Beurlaubtenstandes (s. Nr. 1348)
der Zustimmung der militärischen Behörden.
Endlich können Deutsche, welche im Fall eines Kriegs oder einer 125
Kriegsgefahr dem vom Bundesrat allgemein erlassenen Aufruf zur
Rückkehr in das Vaterland keine Folge leisten oder in einem fremden
Staatsdienste ungeachtet einer ausdrücklichen Aufforderung zum Aus-
tritt verbleiben, durch Ausspruch der Landesregierung
ihrer Staatsangehörigkeit verlustig erklärt
werden.
3. Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen. >26
Unter den Rechten der Staatsbürger steht voran der Anspruch
auf Rechtsschutz und auf Teilnahme an allen sonstigen, dem allge-
meinen Wohle dienenden staatlichen Einrichtungen, sowie das Wahl-
und Wählbarkeitsrecht zu den gesetzgebenden und sonstigen politischen
Körperschaften.
Um die Freiheit der Bürger vor Uebergriffen der Staats-
gewalt zu schützen, versuchte man entsprechend den in der französischen
Revolution vom Jahre 1789 festgestellten sog. Menschenrechten,
bereits in der (nicht zur Durchführung gelangten) Frankfurter Bun-
desverfassung vom 28. März 1849 die „Grundrechte des 127
deutschen Volkes" namhaft zu machen. Die deutsche Reichs-
verfassung enthält hierüber nichts, aber die meisten Verfassungs-
urkunden der Einzelstaaten behandeln diesen Gegenstand, indem sie
die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, den Schutz der persönlichen
Freiheit, die Unverletzlichkeit des Eigentums und der Wohnung, die
Freiheit des religiösen Bekenntnisses usw. verbürgen. Hiervon wie
von der Freiheit der Eheschließung, der Gewerbefreiheit, der Preß-
freiheit und der Vereins- und Versammlungsfreiheit wird später
noch zu sprechen sein.
Ein wichtiges, in einem besonderen Reichsgesetz behandeltes 128
staatsbürgerliches Recht ist ferner die sog. Freizügigkeit,
d. h. das Recht jedes Deutschen, sich überall im Deutschen Reich auf-
zuhalten und niederzulassen, Grundeigentum zu erwerben und ein
Gewerbe zu betreiben.^ Reichsangehörige können aus den: Reichs-
gebiet weder ausgewiesen noch an das Ausland ausgeliefert werden,
selbst wenn sie daselbst strafbare Handlungen begangen haben.
55 Bestrafte Personen können jedoch gewissen Aufenthaltsbeschränkungen
unterworfen werden. Eine weitere Ausnahme bildet ferner das Recht der
Gemeinden, unbemittelten Personen unter gewissen Voraussetzungen mit
Rücksicht auf ihre Unterstützungspflicht die Niederlassung zu verweigern.
46
Das Staatsrecht des Reichs
9 Mit der Freizügigkeit hängt nahe zusammen dieAuswande-
rungsfreiheit, welche im Deutschen Reiche nur insofern ein-
geschränkt ist, als Personen in wehrpflichtigem Alter zur Auswande-
rung einer besonderen Erlaubnis bedürfen. Selbstverständlich können
auch Personen, welche stcafgerichtlich verfolgt werden, an der Aus-
wanderung durch Verhaftung gehindert werden?^
o Den Rechten der Staatsbürger stehen deren Pflichten gegen-
über, und zwar in erster Reihe, wie bereits oben (Nr. 7) erwähnt, die
Pflicht der Achtung und des Gehorsams gegen die
Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit, die
Pflicht der Hingabe an das öffentliche Wohl und
der Unterlassung aller Handlungen, welche es gefährden. An
besonderen Pflichten sind ferner noch die allgemeine Wehrpflicht,
die Steuer Pflicht, die Schulpflicht und die Pflicht
zur Uebernahme bürgerlicher Ehrenämter anzu-
führen.^ Im übrigen ist der Umkreis der Pflichten wie der Rechte
der Staatsbürger durch den Inhalt aller einzelnen Gesetze bestimmt
und entzieht sich daher hier einer erschöpfenden Aufzählung.
°° Das Reichsgesetz über das Auswanderungswesen
(vom Jahre 1897) bezweckt vornehmlich den Schutz der Auswandernden
gegen Ausbeutung durch ausländische Kolonisationsgesellschaften und durch
die Auswanderungsunternehmer; es macht daher den Gewerbebetrieb der
letzteren von einer Konzession abhängig, welche nur für bestimmte Länder
und Orte vom Reichskanzler unter Zustimmung des Bundesrats erteilt wird.
Ihr Geschäftsbetrieb, sowie derjenige der Auswanderungsagenten, welcher
gleichfalls einer besonderen Erlaubnis bedarf, unterliegt der Beaufsichti-
gung; diese erstreckt sich auch auf die Seetüchtigkeit der Auswandererschiffe
und den Gesundheitszustand der Auswanderer. Zur Durchführung der
Beaufsichtigung sind in den Hafenstädten besondere Auswanderungs-
behörden eingerichtet; ferner übt in den Hafenplätzen der Reichskanzler
die Aufsicht über das Auswanderungswesen durch von ihm bestellte Kom-
missare aus. Zur Unterstützung in Fragen des Auswanderungswesens
ist dem Reichskanzler ein aus sachverständigen Mitgliedern bestehender
Beirat beigegeben.
57 Was die Wahlen zu den gesetzgebenden und sonstigen Körperschaften
anlangt, so ist zwar in den Gesetzen eine dem aktiven Wahlrecht der
Staatsbürger entsprechende Wahlpflicht nicht ausdrücklich aufgestellt.
Zweifellos aber ist die Beteiligung an diesen Wahlen auch für diejenigen,
welche mit den bestehenden Zuständen im allgemeinen zufrieden sind, eine
bürgerliche Ehrenpflicht; denn wenn nur die mit den Verhältnissen Unzu-
friedenen an den Wahlen teilnehmen, so werden letztere ein durchaus
falsches Bild liefern, und es wird aus diese Weise die staatliche Entwicklung
in eine Richtung gedrängt, welche dem wirklichen Willen der Mehrheit des
Volkes nicht entspricht.
Die Entstehung Bayerns und der bayerischen Verfassung.
47
2. Kapitel.
Acrs Konigr-eich Wcryewn.
a. Die Entstehung -es Königreichs und die
Verfaffungsurkun-e.
Im Jahre 15 v. Chr. wurde das südliche Bayern von den Römern -zi
unter der Führung der Stiefsöhne des Kaisers Augnstus, Drusus und
Tiberius, erobert. Es war damals von keltischen und rhätischen
Stämmen bewohnt. Die Römer bildeten dort die Provinzen R h ä -
tien, Vindelicien und Norikum.
Im Laufe der Völkerwanderung, die das vierte und fünfte Jahr- 132
hundert umfaßt, zerfiel das römische Reich; der Stamm der
Bayern tritt in der Donaugegend auf. Er steht unter Herzogen
aus dem Geschlecht der Agil 0 lsinge r.
In diese Zeit, in das siebente und achte Jahrhundert, fällt die 133
Einführung des Christentums durch die Glaubensboteu
Emmeran, Rupert, Korbinian und Bonifazius.
Allmählich waren die Bayern mehr und mehr von den Fr an- 134
k e n abhängig geworden und Karl der Große fetzte im Jahre 788
Thafsilo II., den letzten Agilolfinger, ab.
Mit dem Zerfall des fränkischen Reichs, im zehnten Jahrhun- 135
dert, entwickelte sich auch in Bayern ein S t a m m e s h e r z 0 g t u m,
zuerst unter dem Geschlecht der Luitpoldinger, dann unter Herzogen
aus verfchiedeuen Häusern, bis im Jahre 1180 das jetzt noch regie-
rende Haus der W i t t e l s b a ch e r zur Herrschaft kam. Friedrich
Barbarossa belehnte aus der Altenburg in Thüringen den Pfalz-
grasen Otto von Wittelsbach mit dem Herzogtum Bayern. Den
fortwährenden Teilungen, die das Land unter diesem Hause zer-
splitterten, machte Albrecht I V. im Jahre 1506 durch Einführung des
Rechts der Er st gebürt ein Ende. Im Dreißigjährigen
Kriege erwarb Herzog Maximilian für sein Haus die K u r würd e.
Im Jahre 1777 erlosch die bayerische Linie des Hauses Wittelsbach;
mit Karl Theodor trat die pfälzische Linie des Hauses die Regierung
au. Bayern und die P s a l z wurden vereinigt. Am 1. Januar 1806
nahm Kurfürst Maximilian I V. die K ö n i g s w ü r d e an. Durch
den Reichsdeputationsbeschluß vom 25. Februar 1803, den Frieden
von Preßburg vom 26. Dezember 1805 und die Rheinbundakte
vom 12. Juli 1806 wurde der Länderbesitz des Hauses erweitert und
insbesondere die fränkischen und schwäbischen Teile des
jetzigen Königreichs mit ihm vereinigt.
48
Das bayerische Staatsrecht
zü Unter dem ersten König, Maximilian Joseph, erhielt Bayern am
26. Mai 1818 eine „V e r f a s s u n g". Sie besteht mit einigen Aen-
derungen noch jetzt; sie regelt insbesondere die Stellung des Königs,
die Thronsolge, die Verhältnisse des Staatsguts, die Rechte und
Pflichten der Untertanen, den Landtag (in der Versassungsurkunde
als Ständeversammlung bezeichnet). Beilagen bilden unter anderem
das Religionsedikt, das mit dem Papste vereinbarte Konkordat von:
6. Juni 1817 und das Protestantenedikt.
37 Dem König Maximilian I. folgte im Jahre 1826 sein Sohn
Ludwig I., der große Förderer der Kunst. Er legte die Regierung
im Jahre 1848 nieder. Ihm folgte sein Sohn Maximilian II. Mit
dessen Tod im Jahre 1864 kam sein Sohn Ludwig II. zur Regierung.
Er fand seinen Tod im Jahre 1886 im Starnberger See. Ihm folgte
sein Bruder Otto I. Geisteskrankheit hindert ihn an der Ausübung .
der Regierung. Die Regentschaft führt der Bruder seines Vaters,
Prinz Luitpold.
B. Das Staatsgebiet.
z8 1. Das Königreich Bayern umfaßt einen Flächenraum von
76 869 Quadratkilometern? Es besteht aus zwei ungleichgroßen Ge-
bietsteilen, Bayern rechts des Rheins und der Pfalz. Sie sind durch
Teile von Württemberg, Baden und Hessen getrennt. Vom bayri-
schen Gebiete sind einige nichtbayrische Gebietsteile umschlossen (sog.
Enklaven). Sie gehören teils zu Sachsen-Koburg-Gotha, teils
zu Sachsen-Weimar.
Das Königreich Bayern bildet nach der Verfassungsurkunde
eine unteilbare, unveräußerliche „Gesamtmasse aus sämtlichen
Bestandteilen an Ländern, Leuten, Herrschaften usw.". Es kann also
nicht etwa die Regierung gleichzeitig an verschiedene Personen über-
gehen.
39 2. Die L a n d e s g r e n z e n sind durch Hoheitszeichen kenntlich
gemacht. Diese tragen das königliche Wappen und die weißblauen
Farben. Die Grenzangelegenheiten fallen in den Bereich des Mini-
steriums des Königlichen Hauses und des Aeußern. Die äußeren
Organe sind die Distriktsverwaltungsbehörden. Die Länge der Lan-
desgrenze beträgt im ganzen 3013 Kilometer. 1
1 Bayern nimmt sowohl nach seinem Flächeninhalt wie nach der Volks-
zahl die zweite Stelle unter den sechsundzwanzig Staaten des Deutschen
Reiches ein.
Die Bayern betreffenden statistischen Notizen des Buches sind größten-
teils dem vom Statistischen Landesamt herausgegebenen Statistischen Fahr-
buch entnommen.
Das Staatsgebiet
49
3. Die Fläche des Staatsgebietes wird durch die L a n d e s v e r - '4«
inessung festgestellt. Diese dient auch zur Herstellung zuverläs-
siger Landkarten? Zum Zwecke der Ausführung der Landesver-
messung wird das Land zunächst in ein System von Dreiecken geteilt,
deren Eckpunkte nach ihrer geographischen Breite und Länge, sowie
nach ihrer Höhe genau festgestellt und in der Natur durch Stein- oder
Holzpyramidensignale, wie man sie häufig auf Berggipfeln trifft,
bezeichnet werden. Einzelne Strecken dieses Dreiecksystems werden
hierauf gemessen; aus ihnen werden dann die übrigen und der Flä-
cheninhalt nach den Regeln der Trigonometrie berechnet.
Das Hauptnetz der bayerischen Landesvermessung umfaßt 141
131 Punkte erster Ordnung; an diese schließt sich ein Sekundärnetz
an (Punkte zweiter Ordnung). Bon den gemessenen Grundlinien,
aus denen das Hauptnetz beruht, liegt eine in Oberbayern, die andere
in der Rheinpfalz. Außerdem besteht eine Kontrollbasis in Mittel-
sranken.
Die Landesvermessung ist in Bayern längst beendet; es werden 142
aber auch jetzt noch Messungen vorgenommen. Diese bezwecken eine
möglichst sichere Ermittlung des Flächeninhalts aller Grundstücke und
eine genaue kartographische Darstellung derselben. Außerdem soll
durch diese Vermessungen in einer dem heutigen Standpunkt ent-
sprechenden Weise allen technischen und agrarischen Bedürfnissen,
z. B. Straßen- und Wegbauten, Kanalanlagen usw. genügt werden.
Vor der Vermessung sind die Grenzen der politischen Gemeinden und
der Ortssluren zu bezeichnen und die Besitzungen der einzelnen aus-
zupflocken, damit sie richtig aufgenommen werden können. Es wird
auch daraus hingewirkt, daß bei der Vermessung die dauernde Ver-
markung der Eigentumsgrenzen erfolgt.
Das System, nach dem auf Grund der durchgeführten Vermes- >43
sung die Bezeichnung der einzelnen Grundstücke des Königreichs
erfolgt, ist folgendes: Das ganze Land ist in Steuergemeinden ein-
geteilt. Diese sind durch das Ermessen der Staatsbehörde festgesetzte
Bezirke (Teile der Erdoberfläche). Sie führen besondere Namen
z. B. Steuergenieinde Dachau. Für jede Steuergemeinde wird ein
sogenanntes G r u n d st e u e r k a t a st e r angelegt? Dieses enthält
alle Ergebnisse der Vermessung, insbesondere für jeden Grundbesitzer * *
Unter topographischen Karten versteht man solche Land-
karten, aus denen alle von Natur und Menschenhand herrührenden Einzel-
heiten, die das Gelände bietet, möglichst genau verzeichnet sind.
* Katafter ist abgeleitet vom mittellateinischen cLpitastrum ^ Kopf-
steuerliste.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
4
50
Das bayerische Staatsrecht
dessen gesamten in der Steuergemeinde gelegenen Grilndbesitz und
für jedes Grundstück dessen Nummer (Plannummer genannt), Name
(z. B. Hirtenacker), Natur oder Kulturart (z. B. Oedung) imb dessen
Flächeninhalt? L Einen Teil des Grundsteuerkatasters bildet der
Katasterplan (eine Landkarte). Dieser läßt die Grenzen der Steuer-
gemeinden, der politischen Gemeinden, die Lage, Grenze und Plan-
nummer jedes einzelnen Grundstücks ersehen.
Die ursprüngliche Landesvermessung wurde unter Leitung der
S t e u e r k a t a st e r k o m m i s s i o n vorgenommen. An ihre
Stelle ist nun in Unterordnung unter dem Finanzministerium das
Katasterbureau in München getreten. Diesem obliegt haupt-
sächlich die Aufbewahrung der Originalkatasterarbeiten und deren
Evidenthaltung auf Grund der Neumessungen. Der Ummessnngsdienst,
insbesondere die Vornahme von Teilungs-, Grenzermittlungs- und
Baufallmessungen, wird von besonderen Behörden, den M e s s u n g s-
ä m t e r n , versehen, deren Vorstände die Bezeichnung Obergeorneter°
führen. Die Aufsicht über diese wird zunächst von den Kammern
der Finanzen der Regierungen gehandhabt, bei denen für das Mes-
sungswesen technische Referenten (unter der Bezeichnung Regierungs-
und Steuerräte oder Regiernngs- und Steuerassessoren) mit Hilfs-
arbeitern bestellt sind, und in letzter Linie von dem Finanzministerium,
dem ein technischer Referent für das Messungswefen beigegeben ist.
4. Die bayerischen Landesfarben sind weiß und blau.
5. Das Königliche Wappen besteht aus einem qua-
drierten, das heißt ans vier Teilen bestehenden Schilde und einem
Mittelschild. Das Mittelschild enthält die bayerischen silbernen und *
* Außerdem enthalten die Kataster, die zum großen Teil den Zwecken
der Grundsteuer dienen, auch besondere der Besteuerung dienende An-
gaben.
° Das Gruudsteuerkataster bildet auch die Grundlage für die Bezeich-
nung der Grundstücke im S a ch r e g i st e r der G r u n d b u ch ü m t e r
und im Grundbuch selbst. Das Grundbuch enthält neben der aus
dem Grundsteuerkatafter entnommenen Bezeichnung des Grundstücks mit
wenigen Ausnahmen auch die Angabe des Erwerbsgrundes durch den jet-
zigen Eigentümer und die mit dem Grundstücke verbundenen Rechte und
die auf ihnen ruhenden Lasten.
° Wer in Bayern Geometer werden will, bedarf des Reisezeug- .
nisses eines humanistischen oder Realgymnasiums, einer bayerischen Ober-
realschule oder einer diesen Anstalten gleichgestellten Mittelschule. Weiter
ist erforderlich dreijähriges Studium an der Technischen Hochschule in Mün-
chen (hierbei ist am Ende des dritten Semesters eine Vorprüfung abzu-
legend, Ablegen der Diplomhauptprüfung für Vermessungsingenieure au der
Technischen Hochschule, dreijähriger Vorbereitungsdienst als Geometerprak-
tikant und endlich Ablegung der praktischen Konkursprüfung für den baye-
rischen Vermessungsdienst beim Königlichen Katasterbureau.
Die Staatsangehörigen
51
lasurnen Rauten, von der Linken gitr Rechten in einer Diagonallinie
aufsteigend. Das Hauptschild enthält im oberen rechten Felde einen
Löwen, im oberen linken Feld drei aufsteigende Spitzelt, im unteren
rechten Feld einen goldenen Pfahl, im unteren linken Feld einen
Löwen. Das Schild ist bedeckt von der Königskrone; Schildhalter
sind aufrechtstehende Löwen.
c. Die Staatsangehörigen.
1. Bei der am 1. Dezember 1906 vorgenommenen Volkszählung 147
wies das Königreich eilte B e v ö l k e r tl n g von 6 524 372 Einwoh-
nern auf, darunter 148 790 Ausländer und 202 971 nichtbayerische
Deutsche imb 4 608 469 Katholiken, 1 844 699 Protestanten lind
Reformierte, 55 341 Jsraeliteit, 15 863 Angehörige sonstiger Bekennt-
ltisse. Die Bevölkerung verteilt sich ans 7 949 mittelbare Gemeinden,
d. h. solche, die einem Bezirksamt unterstehen, ultd 43 unmittelbare
Genteinden, die tinmittelbar den Kreisregierungeit unter-
geordnet sind.
2. Wie die bayerische Staatsangehörigkeit er- 148
worben nnb verloren wird, ist bereits bei Nr. 120 dargelegt. Ebenso
wurde ans die lvichtigsten Rechte nitd Pflichten der Staatsangehörigen
bereits hingewiesen, s. Nr. 7 und Nr. 126. Die bayerische Verfassnngs-
urkunde geht von dein Grnlldsatze aus, daß alle Staatsangehörigen
gleiche Rechte und Pflichten haben. Sie stellt alißerdem unter an-
derein folgende Hauptgrundsätze über die Stelluilg der Staatsange-
hörigen ans. Es soll gelten: Gewissensfreiheit (d. h. Freiheit des
religiösen Bekenntnisses), Freiheit der Meinungen mit gesetzlichen
Beschränkungen gegen den Mißbrallch, gleiches Recht der Staats-
angehörigen zu allen Zweigen des Staatsdienstes zu gelangen,
gleiche Berufung zur Pflicht und zur Ehre der Waffen, Gleichheit der
Gesetze und vor Sem Gesetze, Unparteilichkeit und Unaufhaltbarkeit
der Rechtspflege?
Jeder Staatsbiirger hat beim Erwerb der selbständigen Heiniat, -49
ferner jeder Staatsdiener bei der Anstellung den sogenannten Ver-
sa s s n n g s e i d zu leisten, d. i. die Erfüllung der ihm als Staats-
bürger obliegenden Pflichteil feierlich 31t geloben. Auch sonst kann
der Verfassungseid freiwillig geleistet werden. Er lautet: „Ich
schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze und Beobachtung
Ein wesentliches Recht der Bewohner des Landes ist auch durch die
Strafprozeßordnung geschaffen, wonach in Strafsachen niemand anders als
m der gesetzlichen Form verhaftet werden darf und, wenn seine Fest-
nahme durch Polizeibehörden erfolgte, unverzüglich dem Richter zur weiteren
Verfügung vorzuführen ist.
4*
52
Das bayerische Staatsrecht
der Staatsverfassung, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges
Evangelium." Die letzten vier Worte können von Nichtchristen weg-
gelassen werden? Zuständig zur Abnahme des Versassungseids sind
insbesondere die Distriktsverwaltungsbehörden und die Gemeinde-
behörden.
3. Bevorzugte Klassen der Staatsangehörigen. Der Adel.
Von dem Grundsätze der Rechtsgleichheit bestehen einige Aus-
nahmen:
a. Die Verfassungsurkunde verknüpft besondere Rechte mit den
sog. Kronämtern; sie bezeichnet diese als die „obersten Würden
des Reiches". Sie werden aus Lebenszeit oder erblich verliehen und
vererben sich dann im Mannesstamiu. Kronämter sind die Aemter
des Kron-Obersthosmeisters, des Kron-Oberstkämmerers, des Kron-
Oberstmarschalls und des Kron-Oberstpostmeisters. Die Kron-
beamten sind als solche Mitglieder der Kammer der Reichsräte.
b. Der Adel teilt sich in den hohen Adel und in den niederen
Adel. Die Inhaber des hohen Adels sind die Standesherren.
Standesherrliche Familien sind jene fürstlichen und
gräflichen Familien, die bis zum Jahre 1806 oder noch länger reichs-
unmittelbar, d. h. keinem Landesherrn unterworfen waren und die
sogenannte Reichsstandschast, d. h. Sitz und Stimme aus dem ehe-
maligen Deutschen Reichstag hatten? Ihre wesentlichen Rechte sind:
Sie haben das Recht der Ebenbürtigkeit, d. h. Kinder aus Ehen
zwischen Mitgliedern regierender Fürstenhäuser und Mitgliedern
standesherrlicher Familien sind in den ersteren zur Thronfolge
berechtigt; sie sind Mitglieder der Kammer der Reichsräte, sind frei
von der Wehrpflicht und haben das Recht der Autonomie, d. h. sie
können sich (allerdings in beschränktem Umfange) selbst Gesetze geben,
ohne die sonst erforderliche Mitwirkung des Königs und des Land-
tags. Es bleiben nämlich ihre nach den Grundsätzen der früheren
deutschen Verfassung (des alten Deutschen Reichs) bestehenden 8
8 Die Leistung des Verfassungseids ist Voraussetzung für das Recht,
zum Landtag zu wählen.
8 Standesherrliche Familien in Bayern sind: Die
Familien Castell-Castell, Castell-Rüdenhausen, Erbach-Erbach und von War-
tenberg-Roth, Fugger von Glöt, Fugger von Kirchberg und Weißenhorn,
Giech, Hohenlohe-Bartenstein und Jagstberg, Hohenlohe-Waldenburg-Schil-
lingsfürst, Leiningen, Löwenstein-Wertheim, Löwenstein-Wertheim-Linie
Rosenberg, Oettingen-Oettingen und Oettingen-Spielberg, Oettingen-Oet-
tingen und Oettingen-Wallerstein, Ortenburg-Tambach, Quadt zu Wykradt
und Jsny, Rechteren-Limpurg, Schönborn-Wiesentheid, Thurn und Taxis,
Waldbott-Bassenheim, Waldburg-Zu Zeil und Trauchburg.
Die Staatsangehörigen
53
Familienverträge ansrecht erhalten. Sie haben die Befugnis, über
ihre Güter- und Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen
(sogenannte Hausgesetze) zu erlassen. Diese müssen jedoch deni
König vorgelegt werden, und dieser läßt sie, wenn sie nicht der Ver-
fassung widersprechen, veröffentlichen. Außerdem besitzen sie ver-
schiedene Ehrenrechte.
c. Der niedere Adel wird erworben entweder durch eheliche 152
Abstammung von einem adeligen Vater, der die Legitimation durch
nachfolgende Ehe im wesentlicher: gleichsteht, oder durch königliche
Verleihung. Durch Annahme an Kindesstatt werden adelige Rechte
nur bei besonderer königlicher Bewilligung übertragen. Legiti-
mation durch nachfolgende Ehe und Annahme an Kindesstatt ver-
leihen die vollen Rechte nur bei Einwilligung der Agnaten, d. h. der
männlichen im Mannesstamm verwandten Mitglieder der Familie.
Der Erwerb des Adels ist auch mit der Verleihung einzelner Orden
verbunden. Doch ist dies in der Regel nur der persönliche Adel. Er
vererbt sich nicht, wie der ererbte oder der von: König verliehene
Adel.
Der bayerische Adel hat fünf Grade: 1. Fürsten, 2. Grafen,
3. Freiherrn, 4. Ritter, 5. Adelige mit dem Prädikat „von". Baye-
rische Untertanen können den Adel nur dann führen, wenn der Adels-
titel in die beim Ministerium des Königlichen Hauses und des Aeu-
ßern geführte Adelsmatrikel eingetragen ist. Das Recht zur Füh-
rung des Adels ruht bei Uebernahme niederer bloß in Handarbeit
bestehender Lohndienste ferner bei Ausübung eines Gewerbes bei
„offenem Kram und Laden" und eines eigentlichen Handwerks.
Die rechtliche Bedeutung des Adels besteht, abgesehen von dem '53
Recht, den Adelstitel zu führen, im wesentlichen nur darin, daß run-
adelige Familien das Recht haben, Familienfideikommisse zu besitzen
(s. Nr. 429).
Eine besondere Klasse des niederen Adels, jedoch ohne wesentliche 154
Unterschiede von den Adeligen schlechthin, bilden die ehemaligen
unmittelbaren Reichsadeligen, die sog. Reichs ritte rschaft.
O. Die Landesgesehgebung.
Der L a n d e s g e s e tz g e b u n g , d. h. der Regelung durch den 155
bayerischen Staat unterstehen alle Gebiete des Rechtslebens, die
die Reichsgesetzgebung nicht in Besitz genommen hat. Diese Regelung
(Gesetzgebung im weiteren Sinne) erfolgt teils im Wege der Gesetz-
gebung im engeren Sinn, teils durch Erlaß vor: Verordmingen, teils
durch Erlasse von Staatsbehörden, in der Regel der Ministerien.
54
Das bayerische Staatsrecht
156 Der Weg der G e s e tz g e b u n g ist zu Wahlen bei Erlaß von
Normen, die die Freiheit der Personen oder das Eigentum des ein-
zelnen betreffen. Sonstige Normen werden je nach ihrer Wichtigkeit
entweder vom König selbst erlassen (unter Gegenzeichtrung des Mini-
sters) und heißen dann Königliche oder Allerhöchste Verordnun-
gen oder durch Bekanntmachungen von Behörden.
Der Weg des Gesetzes ist der, daß außer der Anordnung des
Königs auch die Einwilligung des Landtags erforderlich ist. Eine
besondere Form der Gesetze bilden die Versassungsgesetze; vgl. hierzu
Nr. 164 und 186. Besondere Bestimmungen gelten für die polizei-
lichen Anordnungen (s. Hierwegen Nr. 916). Die Gesetze sind, wenn
sie von den Kammern genehmigt sind, vom König zu sanktio-
nieren und zu erlassen, d. h., mit seiner Unterschrift und mit der
Gegenzeichnung der Minister versehen, zu veröffentlichen. Die Ver-
öffentlichung erfolgt in der Regel im Gesetz- und Verordnungsblatt
für das Königreich Bayern." 11
e Der König.
157 1. Der König ist das Oberhaupt des bayerischen Staates.
Er ist der Träger der gesamten Staatsgewalt. Bayern ist darum
eine Monarchie. Der König übt aber die Rechte nicht unbeschränkt
aus. Bayern ist eine verfassungsmäßige (konstitutionelle) Monarchie,
d. h. der König ist an die Verfassung und die übrigen Gesetze und
insbesondere bei der Gesetzgebung an die Mitwirkung des
Landtags gebunden. Die Krone ist erblich; sie vererbt" sich
im Mannesstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erst-
geburt itnb der agnatisch-linealischen Erbfolge (s. Nr. 60, Anm. 19).10 * * 13
10 Im Gesetz- und Verordnungsblatt werden, wie der Name sagt, auch
die Verordnungen veröffentlicht (publiziert).
n Die Bekanntmachungen der Ministerien und allgemein wichtige An-
ordnungen sonstiger Behörden werden, soweit sie für die Oeffentlichkeit
bestimmt sind, in den Amtsblättern der M i n i st e r i e n veröffent-
licht. Jedes Ministerium gibt nämlich für seine Zwecke ein eigenes amtliches
Blatt heraus; nur die Ministerien des Königlichen Hauses und des Aeußern
einerseits und des Innern andererseits haben ein gemeinschaftliches Amts-
blatt. Das Amtsblatt des Verkehrsministeriums erscheint in zwei Abtei-
lungen, die eine für die Eisenbahn-, die andere für die Postangelegen-
heiten.
13 Die Thronfolgeordnung ist in der Verfassungsurkunde geregelt.
33 Nur wenn der Mannesstamm erloschen ist und nicht etwa eine soge-
nannte Erbverbrüderung vorliegt, d. h. ein Vertrag mit einem anderen
fürstlichen Hause über die Nachfolge in der Regierung, geht die Thronfolge
auf die weibliche Nachkommenschaft nach der gleichen Erbfolge, wie sie für
den Mannesstamm festgesetzt ist, über.
Der König
55
2. Die Rcgierunstsrechte des Königs.
Der König hat das Recht der Gesetzgebung und das Recht zum 158
Erlaß von Verordnungen (vgl. hierüber Nr. 155). Er beruft und
schließt den Landtag, ernennt die Minister und ernennt teils selbst
die übrigen Beamten, teils läßt er sie durch seine Organe ernennen.
In seinem Namen „Im Namen Seiner Majestät des Königs von
Bayern" wird die richterliche Gewalt durch unabhängige Richter aus-
geübt, doch steht ihm das Recht zu, im Wege der Begnadigung Strafen
zu erlassen und zu mildern.
Die Person des Königs ist, wie die Verfassungsurkunde bestinunt, 159
„heilig und unverletzlich", d. h. sie genießt durch die Strafgesetze einen
besonderen Schutz gegen Angriffe und untersteht ihrerseits keiner
strafrechtlichen 14 Verantwortlichkeit. Die Regierungshandlungen
des Königs muß jedoch eiu Minister oder dessen Stellvertreter „gegen-
zeichnen", d. h. mitunterschreiben. Ohne die Gegenzeichnung dürfen
die Anordnungen des Königs nicht vollzogt! werden.^
3. Tie Ehrenrechte des Königs. 160
Der König wird mit Majestät angeredet. Die große Titulatur
lautet: „Otto von Gottes Gnaden, König von Bayern, Pfalzgraf
bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben usw."" * 15
" Dagegen untersteht der König auf dem Gebiete des Ver-
mögensrechtes den Gerichten.
15 Die M i n i st e r oder deren Stellvertreter sind aus Grund eines
besonderen Gesetzes vom 4. Juni 1848 dem Landtage (nicht den einzelnen
Kammern des Landtags) wegen Verletzung der Staatsgesetze verant-
wortlich. Es kann gegen sie auf Veranlassung des Landtages ein beson-
deres Strafverfahren durchgeführt werden, das sich vor einem besonders be-
rufenen „Staatsgerichtshof" abspielt, der aus rechtskundigen Richtern und
Geschworenen gebildet wird.
^Eingaben an den König haben die Ueberschrift zu tragen:
.Dlllerdurchlauchtigster, großmächtigster König! Allergnädigster König und
Herr!" Die Schlußformel lautet: „Alleruntertänigst treugehorsamst."
Innerhalb der Eingabe ist zu schreiben: „Euer Königlichen Majestät" und
„A llerhöchstdi es elbe".
Die Mitglieder des Königlichen Hauses führen den
Titel: „Königlicher Prinz" oder „Königliche Prinzessin" und das Prädikat:
„Königliche Hoheit". Letzteres Prädikat gebührt auch den Mitgliedern der
herzoglichen Nebenlinie. Der Titel der letzteren ist: „Herzog oder Her-
zogin in Bayern." Der älteste Sohn des Königs führt den Titel: „Kron-
prinz". dessen ältester Sohn den Titel: „Erbprinz." Die Mitglieder der
Königlichen Familie bilden eine bevorzugte Klasse. der Staatsangehörigen.
Sie genießen gewisse Ehrenrechte und Vorrechte auf dem Gebiete des Privat-
rechts und des öffentlichen Rechts. Die volljährigeil Prinzen des König-
lichen Hauses sind Mitglieder der Kammer der Reichsräte. Die Volljährig-
keit tritt bei ihnen mit Zurücklegung des achtzehnten Lebensjahres ein; das
Stimmrecht in der Kammer der Neichsräte erhalten sie erst nach Vollendiing
des einundzwanzigsten Lebensjahres.
56
Das bayerische Staatsrecht
Er führt ein besonderes Wappen; seine Farben sind weiß und blau;
er ist von einem Hofstaate 17 umgeben. Er verleiht den Adel, Titel
und Orden.^
4. Die Vermögensrechte des Königs.
Dem König ist die Nutzung verschiedener Gebäude und Grund-
stücke zugewiesen. Zur Bestreitung seines Unterhalts bezieht er
außerdem den festen, durch das Finanzgesetz vom 25. Juni 1876 fest-
gesetzten Betrag von jährlich 4 231 044 Mark aus der Staatskasse, die
sogenannte Z i v i l l i st e. Sie ist aus die gesamten Staatsdomänen
„radiziert" und wird in Monatsraten entrichtet. Aus der Zivilliste
hat der König auch verschiedene Ausgaben zu bestreiten, so den Unter-
halt der Königin und der minderjährigen Kinder und den Aufwand
für den Hofstaat.
Die Mitglieder des Königlichen Hauses haben
im übrigen besondere Ansprüche gegen die Staatskasse auf Leistung
von sogenannten Apanagen, unter Umständen auch aus Aussteuer.
Zurzeit beträgt der jährliche Aufwand für Apanagen 728 574 Mark.
17 Die Hofämter sind:
1. Der Königliche Obersthosmeisterstab; diesem unterstehen unter
anderem eine besondere Bauabteilung, ein Justitiariat und die
Leibgarde der Hartschiere.
2. Der Königliche Oberftkämmererstab; ihm gehören zu: die Käm-
merer, Kammerjunker und Hofjunker.
3. Der Königliche Obersthosmarschallstab; ihm untersteht unter anderem
eine besondere Hosgärtenabteilung.
4. Der Königliche Obcrststallmeisterstab.
Hierzu kommen noch unter anderem eine Hofmusik-Jntendanz, eine
Hoftheater-Jntendanz, die Geheim-Kanzlei Seiner Königlichen Ho-
heit des Prinzregenten Luitpold von Bayern, ein Hofsekretariat,
eine Hofkasse.
18 Sic wichtigsten bayerischen Orden sind:
1. Der Haus-Ritterorden vom heiligen Hubert; ihn erhalten im allge-
meinen nur regierende Fürsten und ihre Agnaten; außerdem nur
vorzüglich würdige Personen.
2. Der Haus-Ritterorden vom heiligen Georg.
3. Der Militär-Max-Josephs-Orden zur Belohnung für hervorragende
Kriegstaten.
4. Der Verdienst-Orden der Bayerischen Krone für vorzügliche dem
Staat geleistete Dienste.
5. Der Verdienst-Orden vom heiligen Michael.
6. Der Maximilians-Orden für Kunst und Wissenschaft.
7. Der Militärverdienstorden.
8. Der Ludwigsorden für 50 jährige Dienstzeit.
Neben den Orden bestehen eine Reihe von Medaillen und
Ehrenzeichen, so die Rettungsmedaille, das Feuerwchrehrenzeichen, die
Ludwigsmedaille für Wissenschaft und Kunst und für Industrie.
Der Landtag
57
5. Die Rcichsverwesung, Regentschaft. 162
Sie tritt ein, wenn der König an der Ausübung der Regierung
gehindert ist itnb nicht selbst für Vertretung gesorgt hat. Sie steht
in erster Linie dem nächsten Agnaten zu, d. i. dem nächsten männlichen
Verwandten im Mannesstamm. Der Regent hat seine Wohnung in
der Residenz; den Unterhalt hat der Staat zu bestreiten. Hierfür ist
jährlich der Betrag von 100 000 Mark als Aversalbetrag angenom-
men; außerdem hat der Regent zur eigenen Verfügung jährlich
342 857 Mark zu beanspruchen?"
F. Der bayerische Landtag.
1. Seine Bedeutung und seine Zuständigkeit. 16z
Der Landtag (ursprünglich bezeichnet als die Ständeversamm-
lung) ist das verfassungsmäßige Organ des bayerischen Volkes, durch
das es an der Regierung teilnimmt und seinen Willen gegenüber
der Staatsregierung zum Ausdruck bringt. Der Landtag besteht aus
zwei Kammern: der Kammer der Reichsräte und der Kammer
der Abgeordneten. Erstere besteht teils aus eigenberechtigten Mit-
gliedern, teils aus Mitgliedern, die der König ernennt. Die Kam-
mer der Abgeordneten setzt sich ausschließlich aus vom Volke gewähl-
ten Mitgliedern zusammen. Beide Kammern verhandeln und be-
schließen zwar getrennt; sie bilden aber zusammen die Vertretung
des Volkes. Nur bei Uebereinstimmung beider Kammern liegt „eine
gültige Einwilligung der Stände" vor.
Die Zuständigkeit des Landtags umfaßt: i64
a. die Mitwirkung b e i allen Gesetzen und bei den in
das Gebiet der Gesetzgebung eingreifenden Staatsverträgen;
d. das Recht, Erläuterungen und Ausschlüsse von den Staats-
ministerien zu verlangen; das Recht, Vorstellungen an den König zu
richten („Wünsche und Anträge vorzubeugen"; das sogenannte
Petitionsrecht) und das Recht, in gewissen Fällen Beschwer-
den an den König zu bringen: Anlaß hierzu können auch an den
Landtag gerichtete Beschwerden einzelner geben; der Beschwerde-
führer hat darzutun, daß der Jnstanzenzug erschöpft ist. 19
19 Bei Eingaben a n den Prinzregenten hat die Ueber-
schrist zu lauten: „Allerdurchlauchtigster Prinz und Regent, Allergnädigster
Regent und Herr!" Die Unterschrift: „In tiefster Ehrfurcht Eurer König-
lichen Hoheit alleruntertänigst, treugehorsainster." Innerhalb der Eingabe
ist zu schreiben: „Eure Königliche Hoheit." „Allergnädigst." „Aller-
höchst."
58
Das bayerische Staatsrecht
c. Die Einwirkung auf den Staatshaushalt.
Diese erfolgt teils durch Mitwirkung bei Feststellung der Staatsein-
nahmen und Staatsausgaben und bei Festsetzung der Steuern; teils
durch Kontrolle über die Verwendung der Staatsausgaben; endlich
durch Zustimmung zu gewissen Handlungen der Finanzverwaltnng.
65 Die Regierung ist verpflichtet, den Ständen alle zwei Jahre
(B u d g e t p e r i 0 d e) eine llebersicht der Staatsbedürfnisse vorzu-
legen. Es ist dies das sogenannte Budget (Etat, Staatsvoran-
schlag). Es enthält eine Ausstellung aller Einnahmen und aller Aus-
gaben, gegliedert nach den einzelnen Zweigen der staatlichen Tätig-
keit, z. B. Jnstizetat, Finanzetat?"21 Das Budget gliedert sich in einen
ordentlichen und einen außerordentlichen Etat. Ersterer enthält im
allgemeinen die regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben; letzterer die
Ausgaben, die für spätere Jahre nicht wieder zu erwarten sind.
Dieser Haushaltungsplan bedarf nach bayerischem Recht nicht der un-
mittelbaren Genehmigung des Landtags; Wohl aber muß er indirekt
die Billigung des Landtags finden.
66 Es ist nämlich nach gesetzlicher Vorschrift die Zustimmung des
Landtags erforderlich gitr Erhebung aller direkten Steuern, zur Er-
hebung neuer und zur Aenderung bestehender indirekter Steuern.
Da der Landtag die Bewilligung zur Steuererhebung nur mit Riick-
sicht ans ein bestimmtes, gewisse Einnahmen und Ausgaben auswei-
sendes Budget erteilt und die Bewilligung der Stenern von Aende- * 21
Unter den Ausgaben sind wieder jene besonders ausgeschieden, die
aus die Gewinnung der Einnahmen erlaufen; die sogenannten Verwal-
tungs- und Betriebsausgaben"; hierzu gehören z. B. die
Kosten für Einhebung der Steuern. Die sonstigen Ausgaben bilden die so-
genannten „Staatsauf watidsansgabe n", hierzu gehören z. B.
die Kosten für die Rechtspflege.
21 Besonderes gilt für die Ausgaben für militärische Zwecke, den soge-
nannten M i l i t ä r e t a t. Im Gegensatz zu den anderen deutschen Staa-
ten trägt Bayern auf Grund des Versailler Bündnisvertrags vom 23. No-
vember 1870 die Kosten seines Kriegswesens einschließlich der Ausgaben für
die aus seinem Gebiet gelegenen Festungen allein. Es sind die Ausgaben
hierfür nicht Ausgaben des Reichs, sondern Ausgaben Bayerns. Aus die-
sem Grund hat Bayern auch einen Militäretat. Doch ist Bayern hinsicht-
lich der Ausgaben für militärische Zwecke verschiedenen Beschränkungen
unterworfen. Bayern muß verhältnismäßig (nach der Kopfstärkc bemessen)
für militärische Zwecke den gleichen Betrag aufwenden, wie er für die
iibrigen Teile des Reichs durch den Militäretat des Deutschen Reiches fest-
gesetzt ist. Weiter muß cs für die verschiedenen Ausgaben, die sich beim
Militäretat ergeben, nach Verhältnis im allgemeinen dieselben Etatssätzc
auswerfen, wie sie im Etat des Reichs ausgeworfen sind. Wiegen der selb-
ständigen Stellung, die der bayerische Militäretat einnimmt, wird er nicht
im allgemeinen Budget, sondern gesondert aufgestellt. Aehnlich sind die
Verhältnisse für Württemberg geregelt.
Der Landtag
59
rungen an den Einnahmen oder Ausgaben abhängig macht, so wird
das Budget in der vom Landtag genehmigten Gestalt für die Regie-
rung bindend.
Der Landtag ist auch berechtigt, die Kontrolle darüber 167
zu üben, ob das aufgestellte Budget eingehalten
wird; er hat zil prüfen, ob die Staatsgelder wirklich zu dem Zwecke
verwendet werden, zu dem sie bewilligt sind?' Zu diesen: Zwecke ist
dem Landtag eine genaue Nachweisung über die Verwendung der
Staatseinnahmen vorzulegen.
Der Prüfung der Einhaltung des Budgets durch den Landtag
geht schon eine Prüfung der Rechnungen durch die
Finanzbehörden voraus. Alle Rechnungen werden geprüft, und
zwar in erster Instanz in der Regel durch die Finanzkammern der
Kreisregierungen oder durch die Rechnungskammer, in zweiter In-
stanz durch den Oberste:: Rechnungshof. Der Oberste Rech-
nungshof hat gegeniiber den Ministerien eine gewisse Selb-
ständigkeit. Die Mitglieder des Obersten Rechnungshofes stehen hin-
sichtlich der Dienstaufsicht, des Dienststrafverfahrens, der Versetzung
auf eine andere Stelle, der Versetzung in den Ruhestand und ähnlicher
Verhältnisse den Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes gleich.
Der Oberste Rechnungshof stellt zur Vorlage an den Landtag die
Nachweisungen der Einnahmen und Ausgaben her; sie bestehen ans
der Hauptnachweisung und fünf Einzelnachweisungen. Mit den Rech
nungsnachweisnngen wird dem Landtag auch ein von: Obersten Rech-
nungshof hergestellter Rechenschaftsbericht vorgelegt.
Endlich ist die gesamte Staatsschuld „unter die Gewähr- 168
leistung" des Landtags gestellt. Zu jeder neuen Staatsschuld, wo-
durch die Schnldeninasse, sei es im Kapitalbetrag, sei es hinsichtlich
der Verzinsung, erhöht wird, ist die Zustimmung des Landtags er-
forderlich. Den Ständen ist auch der Schuldentilgungsplan vorzu-
legen. Ohne ihre Zustinunung kann hieran keine Aenderung er-
folgen. ** •<$ fi
Jede Kammer des Landtags bestellt ans ihrer Mitte einen
„K 0 m n: i s s ä r" und einen Stellvertreter. Diese haben von den
" Es kann sich im Laufe der zweijährigen Budgetperiode die Notwen-
digkeit ergeben, Ausgaben für Zwecke zu machen, die bei
Auf st eiln ng des Voranschlags nicht vorausgesehen
werden konnten. Zur Deckung solcher Ausgaben wird in das Budget
eine allgemeine Reserve eingestellt. Doch dürfen hieraus Aus-
gaben nur mit Genehmigung des Königs und nur für Bedürfnisse über-
nommen werden, die einerseits bei Aufstellung und Festsetzung des Budgets
nicht vorhersehbar waren und andererseits ohne Schädigung des Staats-
interesses auch nicht bis zum nächsten Zusammentritt des Landtags zurück-
gestellt werden können.
60
Das bayerische Staatsrecht
Verhandlungen der Direktion der StaatsschuldenverwÄtung Kennt-
nis zu nehmen uttd die Einhaltung der festgesetzten Normen zu über-
wachen. Sie setzen ihre Funktionen auch nach Beendigung des Land-
tags fort tlnd haben ihre Tätigkeit auch nací) Ablauf der Wahlperiode
und bei Auslösung des Landtags bis zur Ernennung von Nachfolgern
auszuüben. In dringenden Fällen sind die Kommissäre auch berech-
tigt, an Stelle des Landtags zur Ausnahme von Anlehen vorläufig
die Zustimmung zu geben. Sie haben über ihre Tätigkeit den Kam-
mern Bericht zu erstatten.
2. Die Zusammensetzung der Kammer der Reichsratc.
69 Die K a ni in e r der R e i ch s r ä t e setzt sich z u s a m -
men aus:
a. den volljährigen (achtzehn Jahre alten) Prinzen des König-
lichen Hauses,
t>. den Kronbeamten des Reichs (s. Nr. 150),
c. den beiden Erzbischöfen,
d. den Häuptern der ehemals reichsständischen (standesherr-
licheti) fürstlichen und gräflichen Familien,
e. einem vom König ernannten Bischof und dem Präsidenten des
Oberkonsistoriums,
l. den erblichen 23 und den lebenslänglichen Reichsräten, die voni
König ernannt werden'. Die Zahl der lebenslänglichen
Reichsräte kann den dritten Teil der erblichen nicht über-
steigen.
70 Die Reichsräte haben erst nach Erreichung der Volljährigkeit
Zutritt in die Kammer. S t i m m b e r e ch t i g u n g erhal-
ten sie erst mit dem 25. Lebensjahre, die Prinzen des Königlichen
Hauses mit dem 21. Lebensjahr.
3. Die Zusammensetzung der Kammer der Abgeordneten.
71 Die Kamnier der Abgeordneten besteht aus 163 Abgeordneten;2^
es kommt im Durchschnitt aus 38 000 Einwohner ein Abgeordneter.
Sie gehen aus Wahlen des Volkes hervor. Die Wahl erfolgt aus
sechs Jahre durch geheime, direkte (unmittelbare) Abstimmung. Un-
mittelbare Abstimmung bedeutet, daß die einzelnen Wähler selber
den Abgeordneten wählen, nicht erst mehrere Wahlmänner wählen,
die ihrerseits dann erst den Abgeordneten zu wählen hätten. * 24
13 Die Ernennung zum erblichen Reichsrat ist von ver-
schiedenen Voraussetzungen abhängig, insbesondere ist der Besitz des Adels
und eines gewissen Vermögens notwendig.
24 Die Wahl der Abgeordneten wurde durch Gesetz vom
9. April 1906 neu geregelt.
Der Landtag
61
a. Wahlrecht und Wählbarkeit.
Wahlberechtigt ist (das sog. aktive Wahlrecht hat) jeder
bayerische Staatsangehörige, der im Zeitpunkt der Wahl mindestens
das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat, mindestens seit einem Jahr die
bayerische Staatsangehörigkeit besitzt und mindestens seit einem
Jahre eine direkte Steuer entrichtet. Ausgeschlossen sind von der Be-
rechtigung zum Wählen Personen, die entmündigt oder unter vor-
läufige Vormundschaft gestellt sind, Personen, die sich im Konkurs be-
finden, Personen, die öffentliche Armenunterstützung genießen oder
innerhalb eines Jahres vor der Wahl bezogen haben, endlich Per-
sonen, die die Befähigung infolge strasgerichtlicher Verurteilung ver-
loren haben. Die Wahlberechtigung ruht auch für die zum aktiven
Heer gehörigen Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeam-
'ten. Jeder Wahlberechtigte kann nur an feinern Wohnsitz wählen.
Außerdem ist die Ausübung des Wahlrechts durch die Leistung des
Versassungseids bedingt.
Wählbar zum Abgeordneten ist (das p a s s i p e Wahlrecht
hat) jeder bayerische Staatsangehörige, der das 25. Lebensjahr
zurückgelegt hat, die bayerische Staatsangehörigkeit seit mindestens
einenr Jahr besitzt und mindestens seit einem Jahr eine direkte Steuer
entrichtet. Dieselben Griinde, die das aktive Wahlrecht ausschließen,
schließen auch das passive Wahlrecht aus. Dagegen ist weder Wohnsitz
inr Wahlkreis oder im Königreich überhaupt, noch Leistung des Ver-
fassungseids, noch Eintrag in die Wählerliste notwendig; auch Militär-
Personen können gewählt werden.
l). DieWahlkreise.
Zum Zwecke der Landtagswahleu ist das Königreich durch das
Wahlgesetz selbst in 133 Wahlkreise eingeteilt. Ferner ist durch
das Gesetz bestimmt, wie viel Abgeordnete in jedem Wahlkreis zu
wählen sind. In der Regel wird in jedeur Wahlkreis ein Abgeord-
neter gewählt. Die Wahlkreise sind an der Hand der Einteilung des
Königreichs in Amtsgerichte, Stadtbezirke und Stadtdistrikte gebildet.
Die Wahlkreise werden zürn Zwecke der leichteren Stimmabgabe
wiederum in Wahlbezirke eingeteilt, die sich in der Regel an
die Einteilung in Gemeindebezirke anschließen. Größere Gemeinden
werden in Unterabteilungen zerlegt. In der Regel soll ein Wahl-
bezirk nicht mehr als 3500 Einwohner umfassen. Die Bildung der
Wahlbezirke erfolgt durch die Distriktsverwaltungsbehörden, in Mün-
chen durch den Magistrat.
c. Das Wahlversah ren.
Zum Zwecke der Wahl werden für jeden Wahlbezirk Wähler-
listen, d. h. Verzeichnisse der Wahlberechtigten, aufgestellt. Diese
Das bayerische Staatsrecht
62
Werden spätestens vier Wochen vor deni zur Wahl bestimmten Tage
öffentlich ausgelegt. Gegen die Nichtigkeit kann Einsprache erhoben
werden. Wer nicht in die Wählerliste eingetragen ist, kann nicht
wählen. Zur Besorgung des Wahlgeschüfts wird für jeden Wahl-
kreis ein W a h l k o m in i f s ü r ernannt. Für jeden Wahlbezirk
wird ein Wahlvorsteher ernannt, der sich wieder einen Proto-
kollführer und Beisitzer erwählt. Diese bilden zusammen dann den
W a h l v o r st a n d.
Die Wahl geht von 10 Uhr morgens bis abends 7 Uhr vor sich;
das Verfahren ist das gleiche wie bei den Reichstagswahlen (s.
Nr. 87). Aehnlich wie bei diesen erfolgt auch die Zusammenstellung
und Veröffentlichung des Wahlergebnisses durch eine von dem Wahl-
kommissär zu berufende W a h l k o m m i s s i o n. Der Wahlkommis-
sär verständigt die Gewählten von der Wahl und fordert sie zur Er-
klärung über die Annahme der Wahl aus.
G e w ü h l t ist, wer die relative Mehrheit der im Wahlkreis ab-
gegebenen gültigen Stimmen erhält, d. h. der Gewühlte muß
mehr Stinimen als jeder andere Bewerber haben; außerdem muß er
mindestens ein Drittel der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten
haben. Ergibt sich eine solche Mehrheit nicht, so ist eine „weitere Wahl-
handlung" vorzunehmen, bei der lediglich die relative Mehrheit ent-
scheidet und das Verhältnis zur Gesamtzahl der abgegebenen Stim-
men gleichgültig ist. Diese „weitere Wahlhandlung" ist nicht eine
Stichwahl, wie sie das Reichstagswahlrecht kennt, d. h. der Kreis der
wählbaren Personen ist unbeschränkt und nicht aus die Personen ein-
geschränkt, die bei der „ersten Wahlhandlung" die meisten Stimmen
erhielten.
Die Annahme der Wahl steht jedem frei; der Abgeord-
nete kann auch jederzeit aus der Kammer austreten; nimmt der Ge-
wählte die Wahl nicht an oder scheidet der Abgeordnete während der
Wahlperiode aus, so hat eine N e u w a h l stattzufinden, die in ähn-
licher Weise vor sich gebt.25
4. Die Stellung der Mitglieder des Landtags.
Die Mitglieder des Landtags haben ausschließlich die Inter-
essen des Gesamtheit des Volkes zu vertreten; sie sind nicht
etwa Beauftragte ihres Wahlkreises oder ihrer Wähler itnb an deren
Instruktion nicht gebunden20 (s. Nr. 89). Sie können für die
25 Die Koste n der Bereitstellung des Wahllokals, einschließlich der zur
Vornahme des Wahlgeschäftes nötigen Gegenstände, haben die Gemeinden,
die übrigen Kosten hat der Staat zu tragen.
2° Dies bringt auch der Eid, den die Landtags Mitglieder
zu leisten haben, zum Ausdruck. Sie schwören, „nur des ganzen Landes
Der Landtag
63
Stimme, die sie in der Kammer geführt haben, in anderer Weise als
infolge der Geschäftsordnung durch die Versammlung selbst nicht zur
Rede gestellt werden und sind für ihre Abstimmung und für die in
Ausübung ihres Berufes getanen Aeußerungen strafrechtlich nicht
verantwortlich.
Während der Versammlung des Landtags kann ohne Einwilli-
gung der betreffenden Kammer gegen ein Mitglied des Laitdtags
eine Strafverfolgung weder eingeleitet, noch fortgesetzt, nitd eine
Haft nicht vollzogen werden. Ausnahmen bestehen nur für den Fall,
daß das Landtagsmitglied bei Beginn der Tagung bereits verhaftet
war oder daß es bei Ausübung der Tat oder am nächsten Tag er-
griffen wird. In diesen Füllen sind jedoch auf Verlangen der Kam-
mer die Strafverfolgung und die Hast zu unterbrechen.
Bei den Mitgliedern der Kammer der Abgeordneten erlischt diese
ihre Stellung durch die Annahme einer Anstellung oder Beförderung
im Reichs- oder Staatsdienst. Beamten und Personen, die im öffent-
lichen Dienst stehen, ist stets, Offizieren, Sanitätsoffizieren und Mili-
tärbeamten für die Regel zum Zwecke der Teilnahme an den Ver-
handlungen der Kammer der Abgeordneten Urlaub zu gewähren.
Jedes Mitglied der Kammer der Abgeordneten erhält für die
Dauer der Session, in der dem Landtag das Budget vorgelegt wird
(ordentliche Session), eine Aufwandsentfchädigu ti g von
3600 M.; tritt ein Abgeordneter während der Session neu ein oder
aus, so erniedrigt sich der Betrag verhältnismäßig. Während der
außerordentlichen Session erhält der Abgeordnete für jeden Tag seiner
Anwesenheit 15 M., jedoch nicht weniger als 100 M. für die Session
und nicht mehr als 400 M. für einen Monat. Die Entschädigung ent-
fällt bei Abgeordneten, die zugleich Mitglieder des Reichstags sind,
für den Zeitraum, während dessen der Reichstag versammelt ist. Für
Tage, die der Abgeordnete unentschuldigt den Sitzungen fernbleibt,
werden je 10 M. abgezogen. Die Mitglieder der Kammer der Abge-
ordneten haben während der Landtagsverfanunlung und der vorher-
gehenden und nachfolgenden acht Tage freie Fahrt auf den
vom Staate betriebenen Eisenbahnen zu beanspruchen. Tie
Reichsräte haben keinen Anspruch auf Entschädigung und kein Recht
auf Freifahrt. Sie kann im Verwaltungswege gewährt werden.
5. Die Verhandlungen des Landtags.
Der Landtag wird durch königliche Ausschreibung alle zwei Jahre
einberufe n. Ort und Tag der Verhandlung werden hierbei
bestimmt. Eigenmächtig kann sich der Landtag nicht versammeln.
allgemeines Wohl und Beste, ohne Rücksicht auf besondere Stände oder
Klassen, nach ihrer inneren Ueberzeugung zu beraten".
64
Das bayerische Staatsrecht
Tie Einberufung erfolgt in der Regel im Herbst; die Sitzungsperiode
dauert meist bis in den Sommer hinein.
80 An dem Tag, auf den der Landtag einberufen ist, wird er eröff-
n e t. Zeit und Form der Eröffnung bestimmt der König. Die Mit-
glieder werden beeidigt, die Legitimationen werden
geprüft; Beanstandungen kann die Regierung erheben; ebenso
jeder Wahlberechtigte hinsichtlich der Abgeordneten feines Bezirks.
Ueber die Beanstandungen entscheidet die Kammer.
81 Sobald die Anwesenheit einer beschlußfähigen Zahl von Mitglie-
dern festgestellt ist, k o n st i t u i e r t sich die Kammer. Die Krimmer
der Reichsräte wählt ihren zweiten Präsidenten (der erste wird vom
König auf die Dauer des Landtags ernannt); die Kammer der Abge-
ordneten wählt einen Präsidenten und einen ersten und einen zweiten
Vizepräsidenten. An die Wahl der Präsidenten schließt sich die Wahl
der Sekretäre in der Reichsratskammer, der Schriftführer in der
Abgeordnetenkammer. Die Präsidenten und die Sekretäre (Schrift-
führer) bilden zusammen das Direktorin m.
82 Jede der Kammern hat sich eine besondere Geschäftsord-
u n g gegeben; die Geschäftsordnungen regeln das Verfahren, soweit
nicht gesetzliche Vorschriften bestehen. Die Präsidenten haben die
Ruhe in den Sitzungen aufrecht zu halten; sie sind berechtigt und ver-
pflichtet, jedes Mitglied, das einer Bestimmung über den Geschäfts-
gang zuwider ^handelt, zur Ordnung zu rufen, und, wenn es
sich nicht fügt, ihm das Wort zu entziehen. Die Beteiligten können
hiergegen Berufung an die Kammer ergreifen. Der Präsident hat
während der Dauer der Versammlung die Polizei im Sit-
zn n g s g e b ä u d e auszuiiben; er ist auch hierzu ausschließlich
befugt. Zur Ausübung wird ihm eine Militärwache zur Verfügung
gestellt. Die Sitzungen beider Kammern sind regelmäßig öffentlich;
geheime Sitzungen können nur unter gewissen Voraussetzungen abge-
halten werden.
8z Anfragen einzelner Mitglieder (Interpellationen) an
die Staatsregierung find schriftlich zu übergeben; in der folgenden
oder spätestens in der zweiten Sitzung darauf wird die Unterstüt-
zungsfrage gestellt; findet die Interpellation die Unterstützung, und
zwar durch sieben Mitglieder in der Kammer der Reichsräte, durch
fünfzehn Mitglieder in der Kammer der Abgeordneten, so hat sie der
Minister sofort zu beantworten oder anzugeben, wann er sie beant-
wortet, oder die Gründe anzugeben, warum er sie nicht beantwortet.
An die Beantwortung oder die Ablehnung der Beantwortung
schließt sich die Besprechung, wenn sie in der Kammer der Reichsräte
wenigstens fünfzehn Mitglieder, in der Abgeordnetenkammer
mindestens fünfundzwanzig Mitglieder beantragen.
Der Landtag
65
Gewisse Gegenstände werden einer Vorberatung und einer Vor- >84
befchlußfassung in einem Ausschuß unterstellt. Dies ist der Fall
bei Gegenständen, deren Verweisung an den Ausschuß entweder durch
Gesetz vorgeschrieben oder von der Regierung beantragt ist, oder von
der Kammer beschlossen wird. Für gewisse Gegenstände haben die
Kammern allgemein die Verweisung an Ausschüsse beschlossen. Die
Ausschüsse sind entweder ständige, oder für besondere Zwecke gebildete.
Ständige Ausschüsse der Kainmer der Reichsräte
bestehen: 1. für die Gegenstände der Rechtspflege; 2. für die
Finanzen mit Einfchluß der Staatsfchuld; 3. für die Gegenstände der-
inneren Verwaltung; 4. für die Prüfung von Befchwerden wegen Ver-
letzung verfassungsmäßiger Rechte; 5. für die Prüfung der Legitima-
tionen; 6. für die Prüfung von Entfchuldigungs- und Urlaubs-
gesuchen; 7. für die Geschäftsordnung. Ständige Ausschüsse
der Kam in er der Abgeordneten bestehen: 1. für die Ge-
schäftsordnung; 2. für Gegenstände der Finanzen und der Staatsfchuld;
3. für Petitionen; 4. für Untersuchung von Befchwerden wegen Ver-
letzung der Verfassung; 5. für die weitere Vorprüfung beanstandeter
Wahlen. In jeder Woche soll ein Tag der Beratung und Erledigung
der Anträge der Kammermitglieder (der Petitionen) und der Be-
schwerden gewidmet fein (sog. S ch w e r i n s t a g, f. Nr. 99,
Anm. 41).
Die Kammer der Abgeordneten wird durch das Los in sieben 185
Abteilungen geteilt. Diese haben Bedeutung für die Prüfung
der Wahlen und die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse.
Zur gültigen Abstimmung ist die Mehrheit der Mitglieder 186
erforderlich, aus denen verfassungsmäßig die Kammer ini gegebenen
Zeitpunkte besteht. Nicht mitzuzählen sind die gesetzlich von der Ab-
stirnmung Ausgeschlossenen 27, die Beurlaubten, die wegen Krankheit
Entschuldigten und die sonst mit Genehmigung des Präsidenten
Abwesenden. Notwendig ist zur gültigen Beschlußfassung die Mehr-
heit der Stimmen der Anwesenden, soweit nicht das Gesetz schwerere
Erfordernisse aufstellt. Die anwesenden Mitglieder sind verpflichtet,
sich an der Abstimmung zu beteiligen. Bei Gegenständen, die öffent-
lich beraten werden, wird auch öffentlich abgestimmt. Die Abstim-
mung erfolgt in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben; die
Kammer kann jedoch die Abstimmung durch Namensaufruf befchlie-
ßen. Ueber die Gesetze im ganzen (im Gegensatz zu den einzelnen
Artikeln oder Paragraphen der Gesetze) muß jedenfalls öffentlich
-7 Ausgeschlossen von der Abstimmung sind die Mitglie-
der bei gewissen Angelegenheiten, bei denen sie persönlich beteiligt sind, z. B.
ein Kammermitglied, gegen das eine nach der Geschäftsordnung zulässige
Beschwerde erhoben wird.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 5
66
Das bayerische Staatsrecht
mittels Namensaufrufs abgestimmt werden. Bei A ende r u n g e n
von Bestimmungen der Verfassungsurkunde oder von Zu-
sätzen zu ihr wird die Gegenwart von drei Vierteilen der bei der
Versammlung anwesettden Mitglieder und eine Mehrheit von zwei
Dritteilen der abgegebenen Stimmen erfordert. Die Kammern und
ihre Ausschüsse haben das Recht, diejenigen Erläuterungen und Auf-
schlüsse, die sie für erforderlich halten, von den Ministerien zu ver-
langen; mit anderen Stellen und Behörden dürfen sie nicht verkehren.
Sie dürfen auch keine Aufrufe oder Erklärungen an das Volk richten,
auch Deputationen oder Ueberbringer von Bittschriften nicht zulassen.
Die Kammern, und zwar jede derselben, haben auch das Recht
der Initiative für Gesetze, d. h. das Recht, von sich heraus den
Erlaß von Gesetzen zu beantragen, und zwar bei gewöhnlichen
Gesetzen schlechthin, bei Versassungsgesetzen nur für gewisse Ange-
legenheiten. Der König kann seine Entschließung ans Verfassungs-
gesetze, die aus Initiativanträgen hervorgehen, aus ein Jahr ver-
tagen. Wird infolge der Initiative der Kammern ein Verfassnngs-
gesetz erlassen, so kann in bezug hieraus die ständische Initiative vor
Ablauf von zwölf Jahren nicht wieder ausgeübt werden.
o. Die obersten Landesbehörden.
1. Der Staatsrat.
Der Staatsrat ist ein Kollegium, das sich zusammensetzt:
1. aus dem Kronprinzen, sobald er volljährig ist;
2. aus den nachgeborenen volljährigen Prinzen des Königlichen
Hauses in direkter Linie;
3. aus den Ministern;
4. aus besonders vom König ernannteil Staatsräten.
Die nachgeborenen Prinzen werden nur nach Ermessen des
Königs zugezogen. Es können vom König auch „Staatsräte im
außerordentlichen Dienst" und andere Staatsbeamte zu den Bera-
tungen des Staatsrats zugezogen werden.
Den Vorsitz führt der König oder ein von ihm bestimmtes
Mitglied des Staatsrats, bei Verhinderung des letzteren der Vor-
sitzende im Ministerrat, allenfalls der älteste Minister. Der Staatsrat
ist teils ein beratendes Organ, teils steht ihm eine selbständige Ent-
scheidung zu. In der ersteren Eigenschaft ist er die oberste beratende
Stelle für den König. Der Beratung im Staatsrate werden
hauptsächlich unterstellt: die Gesetzentwürfe, das Budget, die durch
Gesamtbeschluß des Landtags an den König gebrachten Wünsche und
Die obersten Landesbehörden
67
Anträge, die Organisation der Staatsbehörden, gewisse Streitig-
keiteil zwischen den Ministerien und gewisse Beschwerden über die
Minister. Die Entscheidung steht dem Staatsrat insbesondere
zu bei Beschwerden über Verfassungsverletzungen, wenn die Be-
schwerden durch den Landtag deni König vorgelegt werden.
2. Die Ministerien.
Die Minister haben — und zwar jeder Minister für feinen Ge-
schäftskreis — die oberste Leitung der Staatsallgelegenheiten. Sie
sind hierfür auch verantwortlich. Sie haben weiter die Ver-
antwortung für die Regierungshandlungen des Königs; diese über-
nehmen sie durch die sogenannte Gegenzeichnung seiner An-
ordnungen (vgl. Nr. 159).
Die Minister werden nicht bloß als Einzelpersonen tätig, sondern
auch in ihrer Gesamtheit als Gesamtmini st eriu m28 oder
M i n i st e r r a t. Dieses ist ein weiteres beratelldes Organ des
Königs neben dem Staatsrat (s. Nr. 188).
Den Vorsitz im Ministerrat führt der Minister des Königlichen
Hauses und des Aeußern. Jedes Ministerium besteht neben deni
Minister aus einer Anzahl von Nebenbeamten (Referenten), die ver-
schiedene Titel führen, und dem Kanzlei- und Dienerperfonal. Aeu-
tzerlich stellt das Ministerium ein Kollegium dar, entscheidend ist aber
lediglich die Meinung des Ministers. Die Entschließungen des Mini-
steriums sind deshalb rechtlich llur Entschließungen des Ministers.22
Die Minister können in den Ministerien besondere Abtei-
l ll n g e n bilden, und deren Leitung einem höheren Ministerial-
beamten übertragen. Den Abteilungen kann die Leitung minder
wichtiger Geschäftsaufgaben übertragen werden, doch bleibt der
Minister für den Abteilungsvorstand verantwortlich.
Wegen der besonderen rechtlichen Stellung, die der Minister
gegenüber anderen Beamten einnimmt, insbesondere deswegen, weil
er die Verantwortung für die Regierungshandlungen des Königs zu
28 Unter Portefeuille eines Ministers versteht man seine Geschäfts-
aufgabe. Die Verfassung verschiedener Staaten kennt „M i n i st e r ohne
Portefeuille", d. h. solche, die eine selbständige Verwaltungstätig-
keit nicht zu entfalten haben, sondern nur an den Beratungen des Gesamt-
staatsministeriums teilnehmen. Der bayerischen Ministerialorganisation ist
diese Einrichtung fremd. 2 * * * *
2S Man nennt diese Geschästsbehandlung, nach der die Entscheidung
nur dem Vorstände einer Behörde zusteht, die b u r e a u k r a t i s ch e , im
Gegensatz zur k o l l e g i a l i s ch e n Geschästsbehandlung, bei der
der Wille mehrerer, und zwar bei Verschiedenheit der Meinungen Stimmen-
mehrheit maßgebend ist.
68
Das bayerische Staatsrecht
tragen hat, kann ihn der König jederzeit von seinem Amte ent-
heben, desgleichen kann es der Minister jederzeit niederlegen.
Er bleibt aber in jedem Falle Staatsrat im ordentlichen Dienst; auch
ist ihm sofort durch die Uebertragung eines Ministeriums ein unent-
ziehbarer Anspruch auf Ruhegehalt und auf Hinterbliebenenversor-
gung nach Maßgabe der für unwiderrufliche Beamte geltenden Vor-
schriften gesichert.
3. Die einzelnen Ministerien.
a. Das Ministerium des Königlichen Hauses
und des Aeußern.
Diesem obliegt die Besorgung aller Angelegenheiten des König-
lichen Hauses/" z. B. der Familienverträge, der Ordens- und Adels-
angelegenheiten, weiter der Verkehr mit anderen Staaten, so insbe-
sondere die Schließung von Staatsverträgen, das Gesandtschafts-
Wesen, die Vertretung der Angelegenheiten einzelner im Auslande,
der Verkehr mit der Reichsregierung; endlich fallen in fein Bereich
zum großen Teil die Handel, Industrie und Gewerbe betreffenden
Angelegenheiten, darunter auch die Gewerbesteuersachen, die Ge-
werbegerichte, die Kaufmannsgerichte, die oberste Aufsicht auf das
Bergwesen, der Vollzug des Berggesetzes, weiter Aufgaben auf dein
Gebiete des Münz-, Währungs- und Börfenwefens.
b. Das Justizministerium.
Dieses hat die oberste Leitung des Justizwefens in Strafsachen
und bürgerlichen Rechtssachen (Zivilrechtssachen), in der streitigen
wie in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die Leitung des Gefängnis-
wesens, die oberste Aufsicht über die Gerichte, die Organe der Justiz-
verwaltung, die Notare und Rechtsanwälte und die Bearbeitung der
Begnadigungssachen, wozu auch gewisse Strafaufschubssachen gehören.
c. D a s S t a a t s m r n i st e r i u m des Innern.
Diesem obliegt die Leitung der inneren Verwaltung. Wegen
des Begriffs der letzteren f. bei Nr. 663. Doch sind für einige, an sich
der inneren Verwaltung zugehörige Angelegenheiten teils besondere
Ministerien geschaffen (f. hierüber Nr. 193 und 195), teils find einige
Angelegenheiten anderen Ministerien zugeteilt (s. Nr. 190). Dem
Ministerium des Innern obliegt insbesondere die Polizeiverwaltung, 30
30 Der Minister des Königlichen Hauses oder sein Stellvertreter oder
in gewissen Fällen ein von ihm bevollmächtigter sonstiger öffentlicher Be-
amter hat auch die st andesamtlichen Geschäfte für das
Königliche Haus vorzunehmen. Es werden auch für dieses Ge-
burts-, Heirats- und Sterberegister geführt; sie werden in: Königlichen
Geheimen Hausarchiv aufbewahrt.
Die obersten Landesbehörden
69
das Gesundheitswesen, das Versicherungswesen, das Landwirtschafts-
wesen, das Bauwesen, das Wasserwesen, das Straßenwesen und die
Aufsicht auf die Gemeinden.
6. D a s Ministerium des Innern für K i r ch e u * 193
und Schulangelegenheiten (K u I t u s m i n i st e -
r i u m).
Dieses erledigt die Angelegenheiten, die sich auf Religion und
Kirchen beziehen, soweit sie in den Bereich der staatlichen Tätigkeit
fallen, und alle Gegenstände der Erziehung, des Unterrichts, der sitt-
lichen, geistigen und künstlerischen Bildung.
e. Das Finanzministerium. 194
Dieses besorgt die Oberleitung der Verwaltung des Staatsver-
mögens, die Staatseinnahmen, die Staatsausgaben, das Staats-
schuldenwesen, das Zollwesen, das Forstwesen. Zur Bearbeitung der
auf das Staatsforst-, Jagd- uud Triftwesen bezüglichen Gegenstände
ist eine besondere M i n i st e r i a l f 0 r st a b t e i l u n g gebildet.
i. Das Staatsministerium für Verkehrsange- 195
legenheiten.
Ihm obliegt die Behandlung der auf das Verkehrswesen beziig-
lichen Geschäftsaufgaben, so die oberste Aufsicht über das Eisenbahn-,
Post- und Telegraphenwesen uud über den Dampfschiffahrtsbetrieb
und die Leitung der Staatsanstalten für den Verkehr, d. s. die Eifen-
bahnen, Posten und Telegraphen, Kanäle und die Schiffahrtsbetriebe.
Bei ihm sind drei Abteilungen gebildet, eine Eisenbahnabteilung,
eine Postabteilung und eine für die Eisenbahnen einerseits und die
Posten und Telegraphen andererseits gemeinschaftliche Bauabteilung.
g. Das K r i e g s m i n i st e r i u m (früher Ministe- 196
r i u m der Armee).
Zu seiner Zuständigkeit gehört die oberste Leitung des Heer-
wesens, einschließlich der Aufsicht auf die Militärgerichte. Es glie-
dert sich in sieben Abteilungen, eine Zentralabteilung, eine Abteilung
für persönliche Angelegenheiten, eine solche für allgemeine Armee-
angelegenheiten, eine Abteilung für Artillerie- und Waffenwesen, eine
Militärverwaltungsabteilung, eine Abteilung für das Jnvalidenwesen
und endlich eine Medizinalabteilung. Der Kriegsminister ist zugleich
der oberste Befehlshaber des Heeres.
4. Der Gerichtshof für Kompetenzkonflikte. i97
Er ist dazu b e st i m m t, Zuständigkeitsstreite („Kompetenz-
konflikte") zwischen den Gerichten einerseits und den Verwaltungs-
behörden oder dem Verwaltungsgerichtshof andererseits zu entschei-
70
Das bayerische Staatsrecht
den. Der Zuständigkeitsstreit kann entweder ein bejahender oder ein
verneinender sein. Der erstere liegt vor, wenn in einer bei einein
Gericht anhängigeil Sache die Verwaltungsbehörde ans dem Stand-
punkt steht, daß die gerichtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist, sou-
dern daß eilte Sache vorliegt, die zur Zuständigkeit der Verwaltungs-
behörden oder des Verwaltungsgerichtshofs gehört. Ein verneinen-
der Zuständigkeitsstreit liegt vor, wenn sowohl die Gerichte einer-
seits, als die Verwaltungsbehörden oder der Verwaltungsgerichtshof
andererseits entschiedeil haben, daß die Angelegenheit nicht voil ihnen
zu erledigen sei. Ter Gerichtshof für Konipetenzkoiiflikte entscheidet
dann, wer zur Behandlung der Sache berufen ist.
Der Gerichtshof besteht aus einem Präsidenten und zehn
Räten. Der Präsident und die Hälfte der Räte wird ails Mitgliedern
des Obersten Landesgerichtes, die zweite Hälfte der Räte aus Mitglie-
derii des Vcrwaltnngsgerichtshofes voni König bestimmt.
bi. Die bayerischen Beamten.
1. Die Stellung im allgemeinen.
Die Verhältnisse der bayerischen Beamten wurden durch das B e-
a in ten gesetz vom 16. August 1908 mit Wirksamkeit vom 1. Ja-
nuar 1909 einer vollständigen Neuregelung unterzogen.^ Beainte
sind jene Personen, die sich auf Grund einer Entschließung des Königs
oder einer vom König ermächtigten Behörde in einem Dienstver-
hältnisse zum Staat befinden und entweder in der sogenannten Ge-
haltsordnung, d. i. einer in einer Verordnung auf gestellten Uebersicht
der Beamtenklassen und ihrer Gehälter, ausgeführt sind, oder durch
besondere Anordnung der Staatsregiernng zu Beamten erklärt sind.
Beamte sind also z. B. nicht die Arbeiter, die der Staat zu einem
Bahnbau verwendet. Die Beamten scheiden sich einerseits in etats-
nr ä ß l g e und nicht etats mäßige und andererseits in
widerruflich und in unwiderruflich angestellte Beamte.
Als etatsmäßige gelten jene, die in der vorerwähnten Gehaltsord-
nung ausgeführt sind und deren Ernennung dadurch erfolgt, daß
ihnen eine besondere Urkunde hierüber erteilt wird. Unwiderruflich
angestellt sind vom Tage ihrer Ernennung an die Richter und die
richterähnlichen Beaniten. Eine Reihe weiterer im Gesetz ausdriick- 31
31 Das frühere Beamtcnrecht ging iion der Unterscheidung
zwischen pragmatischen und n i ch t p r a g m a t i s ch c n Beamten
aus. Die ersteren waren jene, deren Verhältnisse sich nach der neunten Bei-
lage der Verfassungsurkunde bemessen haben, während die Verhältnisse der
übrigen Beamten der Hauptsache nach nur durch verordnungsmäßige, also
nicht durch gesetzliche Bestimmungen geregelt waren.
Die bayerischen Beamten
71
lich aufgeführter Beamter (das sind im allgemeinen die höhere Stel-
len bekleidenden übrigen Beamten) wird nach dreijähriger Dienstzeit
unwiderruflich; die übrigen etatsmäßigen Beamten erlangen die Un-
widerruflichkeit erst nach zehnjähriger Dienstzeit; das Dienstverhält-
nis der nicht etatsmäßigen Beamten ist dauernd widerruflich. Wider-
rufliche Beamten können jederzeit aus dem Dienst entlassen werden,
und zwar verlieren sie hierbei Diensteinkommen, Titel und die Aus-
sicht aus einen Ruhegehalt. Unwiderrufliche Beamte können ohne
ihre Zustimmung nur im Wege des Disziplinarverfahrens entlassen
werden.
2. Die Pflichten der Beamten.
Der Beamte hat alle Obliegenheiten des ihm übertragenen
Amtes gewissenhaft wahrzunehmen und sich in und außer dem Dienste
der Achtung, die sein Berus erfordert, würdig zu erweisen. Verletzt
er vorsätzlich oder fahrlässig seine Amtspflicht, so haftet er den:
Staat für den Schaden. Beamte, die sich vereheliche n wollen,
haben dies anzuzeigen; für gewisse Klassen ist bestimmt worden,
daß sie sich nur mit dienstlicher Erlaubnis verehelichen diirfen. Hin-
sichtlich der Uebernahme von N e b e n ä m tern und Nebenge-
schäften können ihnen Beschränkungen auferlegt werden. Vor
dem Dienstantritt sind sie auf die getreue Erfüllung ihrer Obliegen-
heiten e i d l i ch zu verpflichten.
3. Die Rechte der Beamten.
Der Gehalt wird den Beamten nwuatlich im voraus bezahlt;
er ist auch für die Dauer des regelmäßigen Urlaubs zu entrichten,
desgleichen im Fall der Erkrankung für die Dauer von sechsund-
zwanzig Wochen. Bei längerer, ununterbrochener Erkrankung ist
zur Weiterzahlung des Gehalts besondere Genehnügung erforderlich.
Der Beamte kan:: ein st weilen in den Ruhestand ver-
setzt werden, wenn zu seiner Verwendung im Staatsdienst in-
folge organisatorischer Veränderungen keine Gelegenheit mehr ge-
geben ist oder wenn er ohne sein Verschulden nicht mehr tätig ist. Er
erhält dann ein Wartegeld in der Höhe von drei Viertel seines
pensionsfähigen Diensteinkommens.
Der unwiderrufliche Beamte kann seine Versetzung in den
R u h e st a n d beanspruchen, wenn er fünsundsechzig Jahre alt ist
oder infolge eines körperlichen Gebrechens oder körperlicher oder gei-
stiger Schwäche zur Erfüllung seiner Amtspflichten unfähig ist. In
diesen Fällen, sowie in dem weiteren Fall, daß durch sein Verschulden
eine weitere dienstliche Tätigkeit unmöglich ist, ein Disziplinarver-
sahren aber wegen Verjährung ausgeschlossen ist, kann er auch wider
72
Das bayerische Staatsrecht
seinen Willen in den Ruhestand versetzt werden. Der Ruhegehalt
beträgt für die ersten zehn Dienstjahre fünfunddreißig Prozent und
steigt mit der Zahl der Dienstjahre bis zum Höchstbetrag von fünf-
undsiebzig Prozent. Die Dienstzeit wird berechnet vom Eintritt in
den Vorbereitungsdienst an.
Witwe und Kinder eines etatsmäßigen Beamten er-
halten Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt noch für das auf den
Sterbemonat folgende Vierteljahr; Witwen unwiderruflicher Beam-
ter erhalten als Witwengeld vierzig Prozent des Ruhegehalts
des Beamten, auch wenn dieser noch nicht in den Ruhestand getreten
war; es soll jedoch jährlich mindestens dreihundert Mark betragen.
Die Kinder erhalten Waisen geld. Dieses beträgt für jedes
Kind, dessen Mutter Witwengeld bezieht, ein Fünftel, für jede Dop-
pelwaise ein Drittel des Witwengeldes. Witwen und Kinder aus
einer Ehe, die erst nach Versetzung in den dauernden Ruhestand ge-
schlossen wurde, erhalten weder Witwen- noch Waifengeld. Der An-
spruch auf Witwen- und Waisengeld erlischt mit der Verehelichung,
bei Waisen auch mit dem einundzwanzigsten Lebensjahr,
i Beamte, die ihre Pflicht verletzen, machen sich eines Dienst-
vergehens schuldig; gegen sie ist entweder mit Ordnungsstrafen
(das sind Verweis oder Geldstrafen) oder mit Disziplinarstrafen
(das ist Strafversetzung oder Dienstentlassung) vorzugehen. Die
Ordnungsstrafen werden von den vorgesetzten Behörden oder Beam-
ten verhängt; die Disziplinarstrafen können nur von besonders gebil-
deten Disziplinarkammern, deren Präsident der Oberlandesgerichts-
präsident ist, ausgesprochen werden.^ Gegen die Entscheidung der
Disziplinarkammern kann Berufung an den Disziplinarhof eingelegt
werden, dessen Präsident der Präsident des Obersten Landes-
gerichtes ist.
Ihre Ansprüche auf Gehalt, Wartegeld und Ruhegehalt
können die Beamten durch Klage bei den Gerichten verfolgen.
" Für die Richter besteht ein besonderes Disziplinarverfahren; es be-
stehen auch sonst für sie einige praktisch nicht erhebliche Sonderbestim-
mungen.
2. Teil.
Das Strafrecht und das bürgerliche Liecht.
Die Liechtspfiege.
1. Kapitel.
Die GevichtsVei-fclfsirrrg.
1. Die Aufgaben der Gerichte.
Die bürgerlichen Gerichte1 haben die Aufgabe, Rechtsstreitig- 202
leiten zwischen Privatpersonen untereinander zu entscheiden (hierin
besteht die sog. Zivilrechtspflege) und die von den Gesetzen
mit Strafe bedrohten Handlungen zu ahnden (Strafrechts-
pflege).
Neben der Entscheidung von Nechtsstreitigkeiten werden die 20z
Zivilgerichte auch noch tätig in Fällen, in welchen ein Streit zwischen
den beteiligten Personen nicht obwaltet, ein richterliches Eingreifen
aber gleichwohl geboten ist, um Rechte schutzbedürftiger Personen
(z. B. Minderjähriger) zu sichern oder um gewisse Rechtsverhältnisse
behufs Vermeidung künftiger Streitigkeiten urkundlich festzustellen.
Es ist dies die sog. freiwillige Gerichtsbarkeit, zu wel-
cher besonders das Vormundschastswesen, die gerichtliche oder nota-
rielle Beurkundung von Verträgen und von gewissen Erklärungen so-
wie die Grundbuchführung gehört. Doch sind große Teile dieses Zwei-
ges der Gerichtsbarkeit, welche ihrem Wesen nach bereits in das
Gebiet der Verwaltung (s. Nr. 662) übergreift, nicht ausschließlich
den Gerichten, sondern neben ihnen auch anderen Behörden, insbeson-
dere den Notaren übertragen.
1 Neben den bürgerlichen Gerichten bestehen noch Verwaltungs-
gerichte, welche berufen sind zur Entscheidung von Streitigkeiten über
die aus dem öffentlichen Recht (s. Nr. 35) entspringenden Rechte und
Pflichten. Hierüber siehe Näheres Nr. 667.
74
Die Gerichtsverfassung
2. Die Stellung und Vorbildung der Richter.
„Die r i ch t e r l i che G e w a l t w i r d d u r ch u n a b h ä n-
g i g e, n u r dem Gesetze unterworfene Gerichte au s-
g e ü b t." Dieser Satz, mit welchem das die Verfassung der Gerichte
im ganzen Reich einheitlich regelnde Gerichtsverfassungs-
gesetz beginnt, enthält eine der wichtigsten Errungenschaften unseres
Volkes; denn die Unabhängigkeit der Gerichte nach oben
wie nach unten bildet zu allen Zeiten den besten Schutz der Staats-
bürger und ihrer Rechte.
Gegenüber der Regierung ist die Unabhängigkeit der Richter
dadurch sichergestellt, daß ihre Ernennung (durch den Landesherrn,
beim Reichsgericht durch den Kaiser) aus Lebenszeit erfolgt. Sie
können wider ihren Willen weder versetzt noch ihres Amtes enthoben,
noch in den Ruhestand versetzt werden, es sei denn, daß Verände-
rungen in der Organisation der Gerichte oder der Gerichtsbezirke
eine solche Maßregel erfordern oder daß durch richterliche Entschei-
dung aus gesetzlichen Gründen (insbesondere im Disziplinarverfahren
wegen schwerer Verfehlungen, s. Nr. 116 u. 201) daraus erkannt
wird. Eine Gewähr für die Unparteilichkeit und Gründlichkeit der
Rechtsprechung liegt ferner darin, daß jede Rechtssache in der Regel
nacheinander vor verschiedene, einander übergeordnete Gerichte (In-
stanzen) gebracht werden kann, und daß die Gerichtsverhandlungen,
welche der Urteilssällung vorangehen, öffentlich sind. Die Oesfentlich-
keit kann nur ausgeschlossen werden, wenn sie mit Rücksicht auf die
besondere Natur des einzelnen Falles eine Gefährdung der Sittlichkeit
oder der öffentlichen Ordnung besorgen ließe.
Die Dienstaussicht über die Gerichte wird durch die
Justizministerien der verschiedener! Bundesstaaten geübt. Aber auch
diese obersten Justizverwaltungsbehörden müssen sich jedes Eingriffs
in die eigentliche richterliche Tätigkeit der Gerichte enthalten. Selbst
den Landesherrn steht ein solcher Eingriff („K a b i n e t t s j u st i z")
nicht zu; sie können zwar bereits ausgesprochene Strafen im Gna-
denwege erlassen, nicht aber besitzen sie (wenigstens nicht in Preußen,
Bayern und Baden) das Recht, ein anhängiges Strafverfahren zu-
gunsten des Angeklagten vor dem Urteil niederzuschlagen („A b o -
l i t i o n s r e ch t"). Die Dienstaufsicht über das Reichsgericht steht
dem Reichskanzler oder in dessen Vertretung dem Reichsjustizamt zu
Berlin zu.
Die Fähigkeit z u m Richter amt wird durch Ablegung
zweier Prüfungen erlangt? Der ersten dieser Prüfungen muß im *
* In Bayern müssen die Juristen ein mindestens vierjähriges Stu-
dium an einer deutschen Universität nachweisen, während dieser Zeit die
Die Gerichtsverfassung
75
ganzen Reiche ein mindestens dreijähriges Universitätsstudium, der
zweiten eine mindestens ebenso lange praktische Vorbereitungszeit bei
Gerichten usw. vorhergehen. Zum Richteramt befähigt ist auch jeder
ordentliche Rechtslehrer an einer deutschen Universität.
3. Die Organisation der Gerichte.
Unsere deutschen Gerichte sind Staatsgerichte; damit ist 208
die Privat- oder Patrimonialgerichtsbarkeit, welche früher den
Städten, Standesherrn usw. zustand, aufgehoben? Auch die geist-
liche Gerichtsbarkeit hat, wo sie noch ausgeübt wird, keine bürger-
liche Rechtswirkung mehr.
Die ordentlichen Gerichte sind die für das ganze Reich gleich- 209
mäßig organisierten Gerichte, nämlich die Amtsgerichte, die
Landgerichte, die Oberlandesgerichte und das
Reichsgericht zu Leipzig. Alle diese Gerichte sind sowohl mit
der Zivil- als mit der Strafrechtspflege befaßt? Die Bezirke einer
größeren Anzahl von Amtsgerichten bilden jeweils den Bezirk des
ihnen im Jnstanzenzug vorgesetzten Landgerichts; die Bezirke meh-
rerer Landgerichte bilden den Bezirk des übergeordneten Ober-
landesgerichts, und das Reichsgericht schließlich umfaßt die Bezirke
aller Oberlandesgerichte, d. h. das ganze Reich? *
sogenannte Zwischenprüfung und am Schlüsse des Universitätsstudiums die
sogenannte erste Prüfung ablegen. Sie müssen als „R e ch t s p r a k ti-
ta n t e n" im ganzen drei Jahre teils bei Gerichten, teils bei Behörden
der inneren Verwaltung, teils bei Rechtsanwälten praktisch tätig fein; dann
haben sie sich der zweiten Prüfung, dem fogenannten Staatskonkurs,
zu unterziehen und hernach, bis sie angestellt werden, sich noch weiter teils
bei Behörden, teils bei gewissen Privatinstituten zu beschäftigen.
3 Nur für geringere Privatrechtsstreitigkeiten zwischen Einwohnern der-
selben Gemeinde bestehen in Württemberg und Baden noch Gemeinde-
gerichte.
* Die sachliche Zuständigkeit der einzelnen Gerichte ist des besseren Zu-
saminenhanges wegen bei Darstellung des Prozeßverfahrens behandelt.
° In B a y e r n bestehen 267 Amtsgerichte, 28 Landgerichte und 5 Ober-
landesgcrichte; letztere haben ihren Sitz zu München, Zweibrücken, Bam-
berg, Nürnberg und Augsburg. Mit 8 Landgerichten sind Schwurgerichte
verbunden.
Bayern hat, abweichend von der für die anderen deutschen Staaten
bestehenden Gerichtsorganisation, ein OberstesLandesgcricht zu
München. Dieses ist zuständig für gewisse Revisionen und Beschwerden
in bürgerlichen Rechts st reitigkeiten, die in den anderen
deutschen Staaten den: Reichsgerichte obliegen, ferner in Strafsachen
für die in den anderen deutschen Staaten zur Zuständigkeit der Oberlandes-
gerichte gehörigen Revisionen und Beschwerden, endlich in Grundbuch-
sach e n und anderen Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit für die in den anderen deutschen Staaten zur
Zuständigkeit der Oberlandesaerichte gehörigen weiteren Beschwerden.
76
Die Gerichtsverfassung
10 Die Amtsgerichte sind E i n z e l g e r i ch t e, d. h., wenn sie auch
mit einer größeren Anzahl von Amtsrichtern besetzt sind, so teilen
diese sich doch in die Geschäfte und jeder Fall wird (soweit nicht in
Strafsachen Schöffen mitwirken) nur von einem Richter behandelt
und entschieden. Die übrigen Gerichte dagegen sind Kollegial-
g e r i ch t e, d. h. bei ihnen werden die Entscheidungen durch ein
Kollegium von Richtern nach Stimmenmehrheit gefaßt. Die Kolle-
gialgerichte sind in Abteilungen gegliedert, welche bei den Land-
gerichten Kammern (Zivilkammern, Kammern für Handelssachen
und Strafkammern), bei den Oberlandesgerichten und beim Reichs-
gericht Senate (Zivilsenate und Strafsenate) heißen. Den Vorsitz
in einer jeden Kammer eines Landgerichts führt in der Regel ent-
weder der Präsident des Gerichtshofs selbst oder ein Landgerichts-
direktor, während den Senaten bei den Oberlandesgerichten und dem
Reichsgericht entweder der Präsident des ganzen Gerichtshofs oder
ein Senatspräsident vorsitzt.
11 Von erheblicher, in Zukunst wohl noch wachsender Bedeutung'''
ist die Mitwirkung nichtrechtsgelehrter Richter, der sog. Laien-
richter; sie ist die beste Bürgschaft dafür, daß den Gerichten das
so nötige Vertrauen des Volkes bewahrt bleibt, indem sie verhütet,
daß die Rechtsprechung im Laufe der Zeit mit dem Volksempfinden
in Widerspruch gerät. In Zivilsachen wirken die Handelsrichter, in
Strafsachen die Schöffen und die Geschworenen als nichtrechtsgelehrte
Richter mit.
12 Neben den ordentlichen Gerichten bestehen für einzelne Arten
von Rechtssachen noch besondere Gerichte, so für Zivilsachen
die bereits erwähnten Gemeindegerichte, die Gewerbegerichte und die
Kaufmannsgerichte, ferner für Strafsachen die Militärstrafgerichte.
Bei allen diesen Gerichten wirken gleichfalls Laienrichter in weitem
Umfange mit?
4. Die Hilfspersonen der Gerichte.
13 Die Tätigkeit der Gerichte wird unterstützt durch die G e r i ch t s-
s ch r e i b e r e i e n, in denen die protokollarische Aufnahme der Partei-
erklärungen, die Besorgung des Aktenwesens (Registratur) und die
Ausfertigung der gerichtlichen Verfügungen erfolgt. Der Vorstand
führt in Bayern in der Regel den Titel Sekretär. Den G e -
richtsvollziehe rn ferner ist die Besorgung der Zustellungen * 7
° Bei der zurzeit in Vorbereitung befindlichen Reform des Strafver-
fahrens werden voraussichtlich auch die Strafkammern der Landgerichte
ähnlich wie unsere jetzigen Schöffengerichte organisiert werden.
7 lieber diese besonderen Gerichte siehe Näheres bei Besprechung des
Gerichtsverfahrens. Wegen der Konsulargerichte s. Nr. 1303.
Die Gerichtsverfassung
77
und der Zwangsvollstreckungen übertragen; sie werden vom Staate
ernannt, handeln aber, soweit sie nicht Aufträge der Gerichtsbehördelt
ausführen, als Beauftragte der Parteien. Die Gerichtsvollzieher
beziehen in Bayern die Gebühren nnb Auslagen, die ihnen auf Grund
der Gesetze zustehen, nicht selbst, sondern die Gebühren und Auslagen
werden in Bayern für die Staatskasse erhoben. Die Gerichtsvoll-
zieher beziehen dafiir vom Staate ein Gehalt. Von den Gebühren
wird ihnen jedoch ein prozentualer Anteil zugeteilt.
5. Die Notare.
Die Notare sind in Bayern dazu berufen, öffentliche 214
Beurkundungen und Beglaubigungen zu bewirken und Urkunden
in amlliche Verwahrung zu nehmen, ferner Vermögens- und Nach-
laßverzeichnisse aufzunehmen, Siegel anzulegen und abzunehmen,
öffentliche Versteigerungen vorzunehmen und Versicherungen au
Eidesstatt abzunehmen, die zum Zwecke einer Glaubhaftmachung ab-
gegeben werden.
Die Notare sind öffentliche Beamte; sie werden vom
König auf Lebenszeit ernannt. Notar kann nur werden, wer die
Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat. Der Notar kann in Bayern
nicht zugleich Rechtsanwalt sein. Die Notare üben ihre amtliche
Tätigkeit als Inhaber staatlicher Behörden, der Notariate, aus. Es
bestehen in Bayern zurzeit 358 Notariate. Die Notare beziehen kei-
nen Gehalt aus der Staatskasse, sondern sie erhalten Gebühren, d. h.
Vergütungen, die von den Beteiligten für die Vornahme der einzel-
nen Amtshandlungen zu zahlen sind. Sie stehen unter der Aufsicht
der Präsidenten der Landgerichte, der Oberlandesgerichte und des
Justizministeriums.
Für jeden Oberlandesgerichtsbezirk wird mindestens eine N o t a-
r i a t s k a m m e r errichtet. Dieser obliegt, über die Wahrung der
Standesehre durch die Notare zu wachen, Streitigkeiten unter den
Notaren und Streitigkeiten zwischen den Notaren und den Parteien
zu vermitteln und die Angelegenheiten des Notariats gegenüber dem
Justizministerium zu vertreten.
6. Die Rechtsanwälte.
Die Rechtsanwälte, deren Verhältnisse in einem besonderen 215
Reichsgesetz, der „R e ch t sa n w a l t s 0 r d n u n g", geregelt wurden,
sind berufen, die Parteien vor Gericht zu vertreten oder zu verteidigen;
sie sind nicht Beamte, sondern Beauftragte der Parteien; doch werden
sie auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Berufspflichten beeidigt.
Die Gerichtsverfassung
Die Rechtsanwaltschaft ist im Deutschen Reiche allgemein frei-
gegeben, d. h. zu ihrer Ausübung muß jeder, welcher die Fähigkeit
zur Ausübung des Richteramts (s. Nr. 207) erlangt hat, seitens der
Landesjustizverwaltung zugelassen werden, es sei denn, daß er sich
dieser Zulassung unwert gemacht hat oder daß körperliche oder-
geistige Gebrechen ihn zur Erfüllung der Berufspslichten eines An-
waltes unfähig machen. In Zivilsachen darf ein Rechtsanwalt regel-
mäßig nur bei demjenigen Kollegialgericht (s. Nr. 210) tätig sein, bei
welchem er dauernd zugelassen ist; in Strafsachen dagegen und in
amtsgerichtlichen Zivilprozessen kann jeder Rechtsanwalt überall auf-
treten.
Die Rechtsanwälte jedes Oberlandesgerichtsbezirks bilden eine
A n w a l t s k a m m e r , welche berufen ist, die gemeinsamen Inter-
essen des Anwaltstandes zu vertreten. Diese Kammern wählen sich
jeweils einen aus einer größeren Anzahl von Mitgliedern bestehenden
Vorstand. Letztere bildet das Ehrengericht der Anwälte.
Dieses hat gegen Anwälte, die ihre Berufspslichten verletzen, mit
Strafen einzuschreiten, welche in Warnung, Verweis, Geldstrafen, ja
auch in Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft bestehen können. Ueber
deil Ehrengerichten steht als oberste Instanz der beim Reichsgericht
zu Leipzig gebildete Ehrengerichts hos.
Die Gebühren und Auslagen, welche den Rechtsanwäl-
ten für ihren Beistand von den Parteien gu zahlen sind, wurden, so-
weit sich ihre Tätigkeit aus Zivilprozeßsachen, Strafsachen und Kon-
kurssachen bezieht, reichsgesetzlich für das ganze Reich einheitlich
geregelt. Für andere Angelegenheiten sind die Gebühren in Bayern
durch besondere Königliche Verordnungen genau bestimmt.
2. Kapitel.
Acrs Strcrfrecht.
Was wir tun dürfen und unterlassen müssen, das sagt uns zu-
meist das Gewissen oder die Sitte? Aber nicht alles, was den Geboten
der Moral oder der Sitte widerstreitet, ist auch vom Gesetze mit Strafe
bedroht. Der Staat verbietet und ahndet durch Strafen nur solche
Handlungen, die er nicht dulden kann, weil sie das öffentliche Wohl
oder die Rechte einzelner verletzen oder gefährden.
° Daher gilt auch regelmäßig nicht die Entschuldigung, man habe
die strafrechtliche Borschrift nicht gekannt: Unkenntnis des Strafgesetzes
schützt vor Strafe nicht.
Die Strafgesetze
79
Die Strafe bildet die durch die Gerechtigkeit gebotene Ausglei-
chung der begangenen Uebeltat. Sie soll dem Verletzten zur Genug-
tuung und Sühne, zugleich aber auch dem Bestraften zur Warnung
und Besserung und den anderen zur Abschreckung dienen.
Die Gesamtheit der Vorschriften darüber, welche Handlungen 219
strafbar sind und welche Strafen wegen ihrer erkannt werden
sollen, nennen wir das Strafrecht oder auch das materielle Straf-
recht, im Gegensatz zu dem formellen Strafrecht oder S t r a f Pro-
zeßrecht. Das letztere enthält die Vorschriften, welche bei Einlei-
tung und Durchführung eines Strafverfahrens zu beachten sind.
i. Die Strafgesetze.
Eine Handlung darf grundsätzlich nur dann mit Strafe belegt 220
werden, wenn schon zur Zeit ihrer Begehung diese Strafe für die
Handlung drrrch das Gesetz angedroht war. Daraus ergibt sich
zweierlei, nämlich, daß eine Bestrafung sich nur aus ein ausdriickliches
Gesetz, nicht auf ein Gewohnheitsrecht oder eine Uebung stützen darf,
und daß kein Strafgesetz rückwirkende Kraft besitzt.
Das deutsche Strafrecht ist im wesentlichen in dem am 1. Januar
1872 in Kraft getretenen, seither in mancher Hinsicht abgeänderten
Reichs st rafgefetzbuch (Abkürzung: „RStGB.") enthalten;
doch weisen daneben noch zahlreiche andere Reichs- und Landesgesetze
Strafbestimmungen, besonders bezüglich der Zoll-, Steuer- und Poli-
zeiübertretungen, auf.
Die deutschen Strafgesetze finden Anwendung auf alle im In- 221
lande (fei es von Deutschen oder von Ausländern) begangenen straf-
baren Handlungen. Im Auslande begangene Straftaten werden nur
ausnahmsweise nach deutschen Gesetzen und von deutschen Gerichten
geahndet. Zum Zwecke dieser Ahndung, sowie in dem weit häu-
figeren Falle, daß der Täter nach einer im Jnlande verübten Tat
ins Ausland flüchtete, ist in der Regel zunächst erforderlich, daß er
von der Regierung des fremden Staates ausgeliefert werde. Es find
deshalb mit vielen Staaten Auslieferungsverträge abge- 222
schlossen worden, in welchen die eine Auslieferung begründenden Ver-
gehen einzeln bezeichnet sind; doch liefern fast alle Staaten (unter
ihnen auch das Deutsche Reich) grundsätzlich keinen eigenen Staats-
angehörigen einem fremden Staate aus. Auch findet wegen sog. poli-
tischer Verbrechen regelmäßig keine Auslieferung statt.
Die Bestimmungen der Strafgesetze finden im allgemeinen auch 22z
auf die strafbareu Handlungen der Militärpersonen Anwendung. Für
die Bestrafung der besonderen militärischen Verbrechen und Vergehen
80
Das Strafrecht
dagegen ist das deutsche Militär st rafgesetzbuch voni
Jahre 1872 (Abkürzung: „MStGB.") maßgebend. Es droht
insbesondere für Vergehen gegen die militärische Disziplin (Subordi-
nation) schwere Strafen an, die noch verschärft werden, falls solche
Handlungen vor versammelter Mannschaft oder im Kriege vor dem
Feind begangen werden. Neben der durch Erschießen zu vollstrecken-
den Todesstrafe kennt das Militärstrafrecht Gefängnisstrafe und
Festungshaft, gelinden, mittleren und strengen Arrest, bei Offizieren
auch Stubenarrest; ferner an Ehrenstrafen: Entfernung aus dem
Heere oder der Marine, Dienstentlassung, Degradation und Versetzung
in die zweite Klasse des Soldatenstandes.
ii. Die verschiedenen Strafakten.
Die T o d e s st r a f e" (welche durch Enthauptung, und zwar in
Bayern mit dem Fallbeil, in anderen Ländern mit dem Beile voll-
zogen wird) ist auf den Mord und auf den gegen den Kaiser oder
den eigenen Landesherrn gerichteten Mordversuch, sowie auf schwere
Verbrechen gegen das Sprengstoffgesetz gesetzt.
Die Z u ch t h a u s st r a f e ist die entehrendste der Freiheits-
strafen. Ihr Mindestbetrag ist ein Jahr, ihr Höchstbetrag 15 Jahre,
falls nicht nach dem Gesetze auf lebenslängliche Zuchthausstrafe zu
erkennen ist. Wer zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden ist,
darf nicht mehr im Heer oder in der Marine dienen und keinerlei
öffentliche Aemter (Staats -oder Gemeindeämter, Amt eines Rechts-
anwalts, eines Schöffen oder Geschworenen usw.) mehr bekleiden.
Die G e f ä n g n i s st r a f e10 beträgt mindestens einen Tag und
höchstens fünf Jahre; doch kann bei gleichzeitiger Aburteilung meh-
rerer Vergehen die Gesamtstrafe " bis zu zehn Jahren Gefängnis
ansteigen.
° Wohl mit Unrecht wird die Todesstrafe von manchen auch in dem
beschränkten Umfang, in welchem sie bei uns eingeführt ist, bekämpft; die
mit kaltem Blute ausgeführte Tötung eines Mitmenschen findet eben nur
in dem Tode des Mörders eine wirkliche Sühne.
10 Nicht selten (z. B. wenn neben Zuchthausstrafe wegen einer anderen
Tat zugleich Gefängnisstrafe verwirkt wurde) ist eine Gefängnisstrafe in
Zuchthausstrafe umzuwandeln oder auch umgekehrt; alsdann gelten je drei
Monate Gefängnis immer gleich zwei Monaten Zuchthaus und umgekehrt.
Das gleiche Verhältnis besteht zwischen Gefängnis und Festungshaft.
11 Wenn nämlich jemand wegen mehrerer selbständiger
Handlungen (z B. wegen mehrerer, an verschiedenen Tagen und
verschiedenen Orten verübter Diebstähle) zu bestrafen ist, so wird nicht
auf die (häufig unverhältnismäßig hohe) Summe der einzelnen Strafen,
sondern auf eine ermäßigte Gesamtstrafe erkannt. Verletzt dagegen eine
Die verschiedenen Strafarten
81
Die Festungshaft wirkt nicht entehrend; ihre Dauer beträgt
mindestens einen Tag und höchstens (abgesehen von den Fällen lebens-
länglicher Festungshaft) 15 Jahre.
Die Haft (von einem Tag bis zu 6 Wochen, bei mehreren 227
gleichzeitig abgeurteilten strafbaren Handlungen bis zu höchstens
3 Monaten) besteht in einfacher Freiheitsentziehung.
Geldstrafen betragen mindestens eine Mark. Im Falle der
Unbeibringlichkeit tritt an ihre Stelle für je 1, bzw. 3 bis 15 M. eine
Haft- oder Gefängnisstrafe von einem Tag.
Neben der Zuchthausstrafe kann stets auf die Dauer von 2 bis 228
10 Jahren und neben der Gefängnisstrafe kann in bestimmten Fällen
für 1—5 Jahre gegen den Verurteilten die Aberkennung der
bürgerlichen Ehrenrechte ausgesprochen werden. Damit
wird der Verurteilte nach Verbüßung der Freiheitsstrafe für die
Dauer der Aberkennung insbesondere unfähig, öffentliche Aemter,
Titel, Orden usw. zu erlangen, die politischen Rechte auszuüben und
in das Heer oder die Marine einzutreten. Ferner verliert er dauernd
alle öffentlichen Aemter, Titel, Orden und dergleichen, welche er zur
Zeit der Verurteilung befaß.
Neben einer Freiheitsstrafe kann ferner in den durch das Gesetz 229
vorgesehenen Fällen auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht
erkannt werden; hierdurch erhält die Landespolizeibehörde die Be-
fugnis, dem Verurteilten (behufs Verhinderung der Fortsetzung sei-
nes früheren verbrecherischen Treibens) den Aufenthalt an einzelnen
bestimmten Orten zu untersagen oder ihn, falls er Ausländer ist,
völlig auszuweisen; auch unterliegen Haussuchungen bei den unter
Polizeiaufsicht stehenden Personen nicht den sonst geltenden gesetzlichen
Beschränkungen.
Arbeitsscheue Personen, welche wegen Landstreicherei, Bettels 230
u. dgl. bestraft werden, können in gewissen Fällen zugleich der L a n -
despolizeibehörde überwiesen werden; hierdurch erhält
und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze, so kommt für die
Bestrafung nur das Gesetz zur Anwendung, welches die schwerste Strafe
androht. Wer z. B. in ein fremdes Haus eindringt, indem er die Haus-
türe aufbricht oder zertrümmert, wird zwar sowohl wegen Sachbeschädigung
als wegen des zugleich verübten Hausfriedensbruchs bestraft, die Strafe
aber wird innerhalb des Strafrahmens bemessen, den das Gesetz für
das schwerere Vergehen, die Sachbeschädigung, gibt. Die meisten Straf-
gesetze drohen näinlich nicht eine im voraus festbestimmte Strafe an, sondern
sie bestimmen nur den Mindestbetrag und den Höchstbetrag der Strafe.
In vielen Fällen gestatten sie auch dem Richter, beim Vorliegen „m i I -
d e r n d e r U m st ä n d e", unter das gewöhnliche Mindestmaß der Strafe
herunterzugehen.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. ü
82
Das Strafrecht
die letztere (das sind in Bayern die Bezirksämter und die un-
mittelbaren Magistrate, in München die Polizeidirektion) die Be-
fugnis, den Verurteilten bis zu zwei Jahren in einem Arbeits-
Hause unterzubringen, ein Aufenthalt, der wegen der dort einge-
führten strengen Zucht von Arbeitsscheuen sehr gefürchtet wird.
Der Einziehung durch das Gericht unterliegen Gegenstände,
die zu einer strafbaren Tat gebraucht wurden (z. B. Waffen) oder
durch die Tat hervorgebracht worden sind (z. B. gefälschte Münzen).
231 Die Zuchthaus- und die Gefängnisstrafe werden häufig in Ein-
zelhaft vollzogen, da durch diese eher eine Besserung des Verur-
teilten erzielt wird, als bei der gemeinschaftlichen Verbüßung; doch
darf solche Einzelhaft nur mit Zustimmung des Verurteilten länger
als drei Jahre dauern.
Zu längerer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilte kön-
nen, wenn sie sich in der Strafanstalt gut geführt haben, nach Ver-
büßung von drei Vierteilen ihrer Strafe, frühestens aber nach einem
Jahre, vorläufig entlassen werden. Im Falle schlechter Füh-
rung wird diese Entlassung widerrufen.
232 Personen, bei denen besondere Umstände vorliegen, insbesondere
solche, die zum erstenmal zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, oder
solche, die durch unglückliche äußere Verhältnisse auf die Bahn des
Verbrechens kamen, hauptsächlich aber jugendliche Personen, können
unter Umständen bedingten Strafaufschub erhalten; in
diesem Falle wird die Strafe zunächst nicht vollzogen und späterhin,
wenn der Verurteilte sich mehrere Jahre lang gut geführt hat, völlig
erlassen.
in. Die strafbaren Handlungen im allgemeinen.
1. Einteilung.
233 Die strafbaren Handlungen werden ihrer Schwere nach in Ver-
brechen , Vergehen und Uebertretungen eingeteilt. Uebertre-
Lungen sind die nur mit Haft oder mit Geldstrafe von höchstens
150 Mark vom Gesetz bedrohten Handlungen. Kann dagegen wegen
einer Handlung auf eine höhere Geldstrafe oder auf Gefängnis oder
auf Festungshaft von höchstens fünf Jahren erkannt werden, so heißt
sie ein V e r g e h e n. Alle schwereren Straftaten sind Verbrechen.
2. Der Tatbestand der strafbaren Handlungen.
2Z4 Für die meisten strafbaren Handlungen sind kurze Bezeichnungen
(z. B. Hochverrat, Hausfriedensbruch, Diebstahl) allgemein im Ge-
brauch. Das Strafgesetz beschränkt sich aber nicht etwa darauf, z. B.
Die strafbaren Handlungen in: allgemeinen
83
zu bestimmen, welche Strafen auf den Diebstahl, den Hausfriedens-
bruch usw. gesetzt siud, sondern es zergliedert auch die Begriffe der
einzelnen strafbaren Handlungen, indem es z. B. sagt, daß wegen
Diebstahls bestraft werden soll, „wer eine fremde bewegliche Sache
einem anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig
zuzueignen". Die Gesamtheit der gesetzlichen Merkmale einer straf-
baren Handlung heißt ihr T a t b e st a n d. Der Richter muß daher,
bevor er eine Strafe ausspricht, stets priifen, ob ein solcher Tatbestand
einer strafbaren Handlung vorliegt, d. h. ob alle einzelnen Tatbe-
staudsmerkmale gegeben sind.
3. Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Die meisten strafbaren Handlungen setzen eine vorsätzliche
Begeh u n g 12 (D o 1 u s = b ö f e Absicht) voraus. In diesen
Fällen gehört aber zur Strafbarkeit nicht etwa nur, daß der Täter
seine äußere Tat absichtlich begangen und den etwa zum Tatbestand
der strafbaren Handlung gehörigen Erfolg dieser Tat gewollt hat,
sondern auch, daß er das Vorhandensein aller zunr gesetzlichen Tatbe-
stände gehörenden Tatumstände gekannt hat; denn nur die ihm be-
kannten Tatumstände können ihm zugerechnet werden?^ * 22
12 Der verbrecherische Vorsah, d. h. der Wille, das zu tun, was
das Gesetz als strafbar bezeichnet (z. B. einen anderen zu töten), darf weder
mit dem Beweggrund (Motiv) der Tat, noch mit dem Zweck verwechselt wer-
den, welchen der Täter mit der Tat verfolgte. Unter dem Beweggrund
versteht man die innere Triebfeder der Tat, z. B. Haß, Nachsucht oder Ge-
winnsucht, während der Zweck der Tat gleichbedeutend ist mit dem Ziel,
das man mittels Verübung der Tat erreichen will. So kommt der Raub-
mörder aus dem Beweggrund der Geldgier zum Vorsatz der Tötung seines
Opfers und er begeht die Tat zum Zweck seiner Beraubung. Der Beweg-
grund und der Zweck der Tat sind zwar regelmäßig für ihre moralische
Beurteilung und daher für die Strafausmessung von Bedeutung, häufig
aber nicht für den Tatbestand der strafbaren Handlung selbst; für den Tat-
bestand des Mordes z. B. macht es keinen Unterschied, ob die Tat aus Haß
oder aus Geldgier und zum Zwecke des Raubes verübt wurde.
22 Zur Erklärung ein Beispiel: Der mit seinem Nachbarn wegen
einer Grenzmauer in Streit lebende Landwirt A hat diese dem Nachbarn
gehörige und auf dessen Grund befindliche Mauer trotz des Widerspruchs
des Nachbarn niedergerissen. Es frägt sich, ob der Tatbestand der straf-
baren Sachbeschädigung vorliegt, d. h., ob A „vorsätzlich und rechtswidrig
eine fremde Sache beschädigt oder zerstört hat". Zunächst wird der Richter
unbedenklich feststellen, daß die sog. objektiven (d. h. äußeren) Tat-
best a n d s m e r k m a l e der Sachbeschädigung vorliegen; denn die Zer-
störung einer Sache hat zweifellos stattgefunden; sie hat eine fremde Sache
betroffen und sie ist objektiv rechtswidrig geschehen, weil der Täter zu ihr
nicht bestigt war. Ferner ist auch der sog. subjektive (d. h. innerliche)
Tatbestand der Sachbeschädigung insoweit wenigstens sicher gegeben,
als A die Mauer vorsätzlich (absichtlich) abgebrochen hat. Aber das genügt
noch nicht zur Feststellung einer strafbaren vorsätzlichen Sachbeschädigung;
235
84
Das Strafrecht
Bei manchen Handlungen wird aber nicht nur die vorsätzliche,
sondern auch die nur fahrlässige Begehung bestraft. Bei
Verbrechen und Vergehen ist dies nur dann der Fall, wenn das Gesetz
auch die fahrlässige Begehung ausdrücklich für strafbar erklärt, wäh-
rend die polizeilichen Uebertretungen regelmäßig bei vorsätzlicher, wie
bei fahrlässiger Begehung strafbar sind, selbst wenn im Gesetz hierüber
nichts Besonderes gesagt ist." Eine strafbare Fahrlässigkeit liegt aber
nur dann vor, wenn der Täter die ihin obliegende Aufmerksamkeit
außer acht ließ, itnb wenn er ferner den eingetretenen schlimmen Er-
folg seiner Unachtsamkeit als möglich hätte voraussehen können. So
wird z. B. ein Kutscher, der durch überschnelles Fahren einen Fußgän-
ger verletzt, wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft, weil er
durch das zu rasche Fahren unvorsichtig handelte, und weil er ferner
die Möglichkeit, daß hierdurch jemand überfahren und verletzt werde,
voraussehen konnte.
4. Strasausschließungs- und Strafmilderungsgründe.
Z7 In manchen Fällen, in denen an sich der Tatbestand einer straf-
baren Handlung als gegeben erscheint, darf eine Bestrafung trotzdem
nicht stattfinden, weil der Täter bei der Tat nicht im Zustand der
Willensfreiheit war. Eine Bestrafung ist aus diesem Grunde ausge-
schlossen, wenn der Täter zur Zeit der Tat sich in einem Zustande von
dazu gehört vielmehr noch, daß A sich bei der Tat bewußt war, daß die
Mauer nicht ihm gehöre (eine fremde Sache war), und daß er sich endlich
auch bewußt war, die Zerstörung sei rechtswidrig. Nur wenn dies alles fest-
steht, darf also eine Verurteilung wegen Sachbeschädigung erfolgen.
Man wende nicht ein, daß eine so eingehende Prüfung des objektiven
und subjektiven Tatbestandes, wie eben geschildert, eigentlich überflüssig sei,
weil das Rechtsgesühl allein schon sage, wann ein Angeklagter schuldig oder
nichtschuldig ist; denn gerade diese eingehende Zergliederung der zur Ab-
urteilung kommenden Handlung sichert eine wirklich genaue Prüfung; sie
macht ferner den Richter unabhängiger von den leicht irreführenden
Regungen des Abscheus wie des Mitleids und gewährt damit dem Ange-
klagten den besten Schutz gegen eine willkürliche Beurteilung seiner Tat.
Selbstverständlich muß der Richter hierbei auch unablässig darauf achten,
ob das Ergebnis seiner Prüfung mit dem natürlichen Rechtsgesühl über-
einstimmt, und er wird, wenn das nicht der Fall zu sein scheint, nachforschen,
ob ihm bei seinen Feststellungen ein Irrtum unterlaufen ist, oder ob (was
auch vorkommen kann) das Rechtsgesühl bei näherer Betrachtung sich als
irreführend erweist. Alles dies gilt nicht nur für die Berussrichter, son-
dern in gleicher Weise auch für Schöffen und Geschworene, da diese ebenso
durch ihre beschworene Nichterpslicht an das Gesetz gebunden sind.
" Z. B. kann ein Hauseigentümer, welcher einer polizeilichen Vor-
schrift zuwider den Gehweg vor seinem Hause nach einem Schneesall nicht
vom Schnee reinigen ließ, wegen llebertretung dieser Polizeivorschrist
bestraft werden, auch wenn die Reinigung nicht vorsätzlich, sondern nur fahr-
lässigerweise (aus Unachtsamkeit) unterlassen wurde.
Die strafbaren Handlungen im allgemeinen
o
Bewußtlosigkeit (z. B. im Fieberdelirium oder iu einem
Traumzustand oder in sinnloser Betrunkenheit) oder von krankhafter
Störung der Geistestätigkeit (Geisteskrankheit) befand, durch
welchen feine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Das
gleiche gilt im Falle des Z w a n g e s, d. h. wenn der Täter durch un-
widerstehliche Gewalt oder schwere Drohungen zur Tat gezwungen
wurde, oder wenn er in Notwehr handelte. In Notwehr aber be- az8
findet sich, wer sich oder einen anderen gegen einen gegenwärtigen,
rechtswidrigen Angriff verteidigt. Geht jedoch der Täter bei seiner
Notwehr weiter, als zur Verteidigung notwendig ist, so macht er sich
strafbar, es sei denn, daß er die Grenzen der Notwehr nur infolge von
Bestiirzung, Furcht oder Schrecken überschreitet?^ Eine an sich straf-
bare Handlung bleibt endlich auch dann noch straflos, wenn sie (ab-
gesehen von dem Falle der Notwehr) in einem unverschuldeten, aus
andere Weise nicht zu beseitigenden N o t st a n d e zur Rettung aus
einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder
eines Angehörigen begangen worden ift.1G
Nicht gerichtlich geahndet werden Handlungen, die von st r a f - 239
unmündigen Kindern, d. h. von solchen unter 12 Jahren,
begangen worden sind. Jugendliche Personen im Alter von
12 bis 18 Jahren werden gerichtlich nur bestraft, wenn feststeht, daß
sie zur Zeit der Tat die zur Erkenntnis der Strafbarkeit ihrer Hand-
lung erforderliche Einsicht besessen haben. Bei ihnen tritt alsdann
eine mildere Bestrafung als bei Erwachsenen ein. Todesstrafe oder
Zuchthausstrafe darf gegen sie überhaupt nicht ausgesprochen, und in
besonders leichten Fällen kann gegen sie auch auf einen bloßen Ver-
weis erkannt werden. Kinder und jugendliche Personen, deren ge-
richtliche Bestrafung wegen mangelnder Erkenntnisreise nicht statt-
haft ist, können vom Gericht einer Erziehungs- oder Besserungsan-
stalt überwiesen werden. * 10
15 Wenn z. B. ein in Raufhändeln wohl erfahrener Bauernbursche,
von einem unbewaffneten Kameraden angegriffen und mit Schlägen bedroht,
diesen niedersticht, anstatt sich mit seinem kräftigen Stock zu wehren, so
handelt er zwar in Notwehr, aber in strafbarer Ueberschreitung derselben.
Macht dagegen ein in einsamer Gegend von einem Vagabunden in räuberi-
scher Absicht angegriffener Wanderer in seiner Aufregung und Furcht vou
einer Schußwaffe Gebrauch, obwohl er sich seinen Körperkräften nach auch
mit seinem Stocke wehren könnte, so wird diese Ueberschreitung der Notwehr
für straflos zu erachten sein.
10 Im Notstand handelt z. B. eine aus irgendwelchen Gründen ein-
geschlossene Person, die, um sich vor dem Verhungern zu schützen, fremde
Nahrungsmittel sich aneignet. Auch der furchtbare Fall, daß Schiffbrüchige
einen ihrer durch das Los dazu bestimmten Genossen töten und verzehren,
gehört hierher.
86
Das Strafrecht
40 In zahlreichen Fällen (z. B. bei Beleidigung und Hausfriedens-
bruch) findet, da das öffentliche Interesse eine Bestrafung nicht un-
bedingt verlangt, eine solche nur auf Antrag des Geschädigten oder
Verletzten statt. Dieser Antrag muß spätestens innerhalb dreier Mo-
nate von dem Tage ab gestellt werden, an dem der Verletzte von der
Tat und der Person des Täters Kenntnis erhalten hat?'' Eine Zurück-
nahme des einmal gestellten Strafantrags ist nur in wenigen, von:
Gesetz besonders bezeichneten Fällen gestattet.
4' Die Strafe soll dem Verbrechen möglichst aus dem Fuße folgeu.
Hat erst die sühnende Zeit die Erinnerung an die Tat sowie die
Folgen verwischt, so würde eine nachträgliche Bestrafung weder
den: Rechtsgefühl entsprechen noch zweckmäßig sein. Das Strafgesetz
bestimmt daher, daß infolge Verjährung der Strafver-
folgung die Bestrafung mit dem Ablauf eines bestimmten, nach
der Schwere der Straftaten vom Gesetz verschieden bemessenen Zeit-
raumes ausgeschlossen werdest^ Ebenso gibt es eine Verjährung
der St rasvoll st reckung, d. h. eine Verjährung der bereits
rechtskräftig erkannten Strafen.^
5. Vorbereitungshandlungen und Versuch.
42 Das Strafrecht unterscheidet scharf zwischen der Vorbereitung
und der Ausführung einer strafbaren Handlung. Wenn z. B. jemand
in verbrecherischer Absicht einen Revolver kaust und damit seinem
Feinde vergeblich auflauert, so sind das bloße Vorbereitungs-
handlungen für das Verbrechen des Mords, die als solche straf-
los bleiben. Wurde der Schuß aber abgefeuert, wenn auch ohne zu
treffen, oder versagte der Schuß, so ist mit der eigentlichen Ausfüh- 17 18 19
17 © e r <5 11 a f a n t r a g kann nicht geteilt w e r d e n, d. h.,
falls an einer strafbaren Handlung mehrere Personen beteiligt waren, so
findet gegen alle die gerichtliche Verfolgung statt, selbst wenn der Beschädigte
nur gegen eine Strafantrag gestellt hat.
18 Die Verjährn ngsfri st für die Strafverfolg ung
beträgt bei Uebertretungen 3 Monate, be: Vergehen 3 oder 5 Jahre, bei Ver-
brechen 10, 15 oder 20 Jahre. Sie beginnt mit Vollendung der Tat, doch wird
sie durch jede richterliche, auf Verfolgung des Täters gerichtete Handlung
unterbrochen; im Falle einer solchen Unterbrechung tritt die Verjährung erst
ein, nachdem seither wiederum die ganze Verjährungsfrist ohne weitere
Unterbrechung abgelaufen ist.
19 Die Verjährungsfrist für die Strafvoll st r eck ung
beträgt mindestens zwei Jahre (bei Ucbertretungsstrafen) und höchstens
30 Jahre (bei Todesstrafen und lebenslänglichen Freiheitsstrafen). Jede
die Vollstreckung der Strafe bezweckende Handlung der Strafvollstreckungs-
behörde unterbricht die Verjährung. Nach jeder Unterbrechung beginnt auch
hier die Verjährungsfrist von neuem zu lausen.
Die strafbaren Handlungen im allgemeinen
87
rung des Verbrechens selbst begonnen worden; es liegt dann der
Versuch des Mordes vor.
Nach dem Gesetze wird der Versuch eines Verbrechens stets, der
bloße Versuch einer Uebertretung nie bestraft, während der Versuch
von Vergehen nur in den Fällen strafbar ist, in denen das Gesetz dies
ausdrücklich bestimmt.
Der Versuch wird nach dem gleichen Strafgesetze wie das voll-
elidete Verbrechen oder Vergehen, aber milder als dieses, bestraft.20
(j. Teilnahme und Begünstigung.
Begehen mehrere gemeinschaftlich eine strafbare Handlung, so 24z
wird jeder, der die Tat als eigene begehen, nicht nur die Tat der
anderen unterstützen wollte, als Täter (Mittäter) bestraft, einer-
lei, welche Rolle er bei der Ausführung gespielt hat. So wird z. B.
jemand, der einem Einbrecher aus der Straße Wache stand, um später
das Gestohlene mit diesem zu teilen, als Mittäter wegen Einbruchs-
diebstahls bestraft.
Den Anstifter, der den Täter aus irgend welche Weise zur 244
Tat bestimmt hat, trifft, wenn die Tat wirklich begangen worden ist,
die gleiche Strafe, wie den Täter selbst. Eine mildere Bestrafung er-
fährt dagegen der G e h i l f e , d. h. derjenige, welcher dem Täter zur
Begehung eines Verbrechens oder Vergehens durch Rat oder Tat
wissentlich Hilfe geleistet hat. Einer solchen Beihilfe macht sich
z. B. schuldig der Schlosser, der dem Täter zum Diebstahl einen
Schlüssel anfertigt, oder jemand, der einem anderen bei einem Dieb-
stahl Wache steht, ohne selbst vom Gestohlenen etwas zu beanspruchen.
Wegen B e g ü n st i g u n g endlich wird bestraft, wer nach Be- 24;
gehung eines Verbrechens oder Vergehens dem Täter oder Teil-
nehmer wissentlich Beistand leistet, sei es, um ihn der Bestrafung zu
entziehen, oder um ihm die Vorteile seiner Tat zu sichern. Straflos
bleibt jedoch die von einem Angehörigen zu dem Zwecke geleistete Be-
günstigung, den Täter der Bestrafung zu entziehen. *
:o Ein an sich strafbarer Versuch bleibt straflos, wenn der Täter die
vollständige Ausführung der Tat freiwillig aufgibt (z. B. wenn jemand sich
des Nachts zum Stehlen in ein Haus cinschleicht, sich aber dort eines
Besseren besinnt und unverrichteter Sache sich wieder entfernt), oder wenn
der Täter zwar die Ausführung vollendet, aber vor der Entdeckung selbst
den zum Tatbestand der strafbaren Handlung gehörigen Erfolg abgewendet
hat. Dieser letztere Fall liegt z. B. vor, wenn ein Brandstifter den von
ihm entfachten Brand alsbald im Entstehen wieder erstickt.
88 Das Strafrecht
iv. Bon den einzelnen strafbaren Handlungen.^
1. Die Staatsverbrechen im engeren Sinne.
246 Die schwersten Verbrechen gegen den Staat sind der Hochverrat
und der Landesverrat. Der Hochverrat richtet sich gegen den
inneren verfassungsmäßigen Zustand des Staates; er wird be-
gangen durch jeden Angriff auf das Leben oder die Freiheit des
Kaisers oder eines Bundesfürsten und durch jeden Versuch, gewalt-
sam die Verfassung des Reichs oder eines Bundesstaates zu ändern
oder Bundesgebiet vom Reich oder einem Bundesstaate loszureißen.
Wegen ihrer Gefahr für die Allgemeinheit ist auch schon jede Vor-
bereitung und Verabredung des Hochverrats sowie jede öffentliche
Aufforderung dazu mit schwerer Strafe bedroht.
247 Der Landesverrat besteht in einem Verrat gegenüber
einer fremden Macht, bedroht also den Bestand des Staates von
außen. Des sog. militärischen Landesverrats macht sich ein
Deutscher schuldig, der eine ausländische Regierung zu einem Kriege
gegen das Reich zu bestimmen sucht oder in einem solchen Kriege ent-
weder in der feindlichen Kriegsmacht dient oder sonst irgendwie (z. B.
durch Lieferungen, durch Verrat von Plänen, Festungen oder Trup-
penbewegungen oder durch Spionage) dem Feinde Vorschub leistet.
Der sog. diplomatische Landesverrat wird begangen durch Ver-
rat von Staatsgeheimnissen, Festungsplänen, geheimen Aktenstücken
u. dgl. an eine ausländische Regierung, durch absichtliche Vernichtung
oder Verfälschung solcher Urkunden oder durch Verrat in aufgetra-
genen Staatsgeschäften. Ein Hoch- oder Landesverrat, der sich gegen
Kaiser oder Reich richtet, wird vom Reichsgericht in erster und letzter
Instanz abgeurteilt.
248 Gegen tätliche Angriffe und Beleidigungen sind der Kaiser und
die deutschen Bundesfürsten sowie deren Familien durch die auf die
Majestätsbeleidigung gefetzten strengen Strafen geschützt;
doch tritt bei Beleidigungen (anders ist es bei tätlichen Angriffen)
Bestrafung wegen Majestätsbeleidigung nur dann ein, wenn die
Beleidigung in der Absicht der Ehrverletzung böswillig und mit
Ueberlegung begangen wird. Liegen letztere Voraussetzungen nicht
vor, so greifen bloß die allgemeinen Bestimmungen über Beleidi-
gungen Platz. Aber auch Beleidigungen fremder Fürsten sowie
hochverräterische Handlungen gegen auswärtige
Staaten finden bei uns Bestrafung, vorausgesetzt, daß in dem 21
21 Das Folgende enthält keineswegs eine erschöpfende Aufzählung aller,
sondern nur eine kurze Erörterung der hauptsächlichsten strafbaren Hand-
lungen.
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
89
betreffenden ansländischen Staate dem Deutschen Reiche die Gegen-
seitigkeit verbürgt ist. Endlich ist auch die B e s ch i m p f u n g
fremder Flaggen und Hoheitszeichen mit Strafe
bedroht.
Die Volksrechte sind durch strenge Strafbestimmungen gegen 249
jeden Versuch der gewaltsamen Sprengung oder Beein-
flussung einer deutschen gesetzgebenden Körper-
schaft (Reichstag, Landtag) geschützt. Empfindlich bestraft wird
ferner die gewaltsame Verhinderung der Ausübung
einesstaatsbürgerlichen Wahl-oder Stimmrechts,
die Fälschung des Ergebnisses einer öffentlichen Wahl und
der K a u f oder Verkauf einer W a h l st i ni m e.
2. Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Zu den unter diesen Begriff fallenden strafbaren Handlungen 250
gehört insbesondere der Widerstand, welcher einem zur Vollstreckung
von Gesetzen, Urteilen oder sonstigen behördlichen Anordnungen be-
rufenen Beamten in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch
Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleistet wird. Am häu-
figsten kommt ein solcher Widerstand bekanntlich bei Verhaftungen
vor. Besonders strenge bestraft wird der (bei Wilderern sehr ge-
fährliche) Widerstand gegen Forst- oder Jagdbeamte.
Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der 251
ein Widerstand gegen die Staatsgewalt begangen wird, verfällt der
schweren Strafe des Aufruhr s. Bildet sich ferner aus öffentlichen
Straßen oder Plätzen eine Menschenansammlung, so muß sich jeder
Teilnehmer spätestens auf dreimalige Aufforderung des zuständigen
Beamten oder militärischen Befehlshabers bei Vermeiden der
Strafe des Auflaufs entfernen.
Der strafbaren Gefangenenbefreiung macht sich schul- 252
dig, wer einen Verhafteten vorsätzlich befreit oder ihm zur Selbst-
befreiung behilflich ist, und wer einen seiner Bewachung anver-
trauten Gefangenen vorsätzlich oder fahrlässig entweichen läßt. Die
einfache Selbstbesreiung eines Gefangenen ist als solche nicht straf-
bar; Gefangene aber, die sich zusammenrotten und gegen ihre Auf-
seher erheben, verfallen der schweren Strafe der Meutere i.
Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit erfordert end- 25z
lich auch die Bestrafung öffentlicher Aufforderungen
zumUngehorfam gegen Gesetze oder obrigkeitliche Anord-
nungen oder zur Begehung strafbarer Handlungen; ebenso erheischt
die militärische Zucht eine nachdrückliche Ahndung jeder an Militär-
personen gerichteten Aufforderung oder Anreizung zum
Ungehorsam gegen militärische Befehle.
90
Das Strafrecht
3. Handlungen wider die öffentliche Ordnung.
54 Der Friede des Haufes und der zu letzterem gehörigen abgegrenz-
ten Räume (wozu auch der Hof und der „eingefriedete", d. h. um-
zäunte Hausgarten zählen) genießt gegen Verletzungen strafrechtlichen
Schutz. Des Hausfriedensbruchs, welcher mit Gefängnis-
oder Geldstrafe bedroht ist, aber nur auf Antrag verfolgt wird, macht
sich schuldig, wer in die Wohnung, die Geschäftsräume oder das ein-
gefriedete Besitztum eines andern entweder widerrechtlich eindringt
oder trotz der Aufforderung 22, sich zu entfernen, unbefugt darin ver-
weilt. Strenger (mit Gefängnis nicht unter einer Woche) und ohne
Antrag wird die Tat bestraft, wenn sie mit Waffen oder von
inehreren gemeinschaftlich begangen worden ist.
55 Nicht nur der Friede einzelner, sondern der allgemeine Friede
wird gestört, wenn eine Menschenmenge, die sich zusammengerottet
hat, gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten verübt. Jeden
Teilnehmer an einer solchen Zusammenrottung trifft die Strafe des
Landfriedensbruch s.22
56 Dem Schutze des allgemeinen Friedens dienen auch die Vor-
schriften, welche die öffentliche, den Frieden gefährdende Verhet-
zung verschiedener Klaffen der Bevölkerung gegen ein-
ander, ferner den Mißbrauch der Kanzel zu Störungen des
staatlichen Friedens und endlich die öffentliche Verleumdung
von Staatseinrichtungen mit Strafe bedrohen.
57 Die Achtung vor der Obrigkeit erfordert weiterhin, daß niemand
sich unbefugt ein öffentliches Amt anmaßt, öffentliche Be-
kanntmachungen u. dgl. böswillig entfernt, ein amtliches Siegel oder
eine solche Siegelmarke vorsätzlich erbricht oder ablöst (Siegel-
b r u ch), Gegenstände, welche vom zuständigen Beamten gepfändet
sind, vorsätzlich beiseite schafft oder sonst der gerichtlichen Beschlag-
nahme, Verstrickung genannt, entzieht (V e r ft r i ck u n g s b r u ch)
oder endlich, wenn er als Zeuge, Sachverständiger, Geschworener oder
Schöffe berufen ist, eine unwahre Entschuldigung für sein Nicht-
erscheinen vorschützt. Aus die meisten dieser, nicht selten in Unkenntnis
ihrer Schwere begangenen strafbaren Handlungen droht das Gesetz
Gefängnisstrafe an. * 23
23 Schon eine einmalige, nicht erst (wie vielfach geglaubt wird)
eine dreimalige vergebliche Aufforderung begründet den Tatbestand
des Hausfriedensbruchs.
23 Der Landfriedensbruch geht in den oben (Nr. 251) erwähnten
Aufruhr über, sobald die zusammengerottete, gegen Personen oder Sachen
Gewalttätigkeiten verübende Menge auch den einschreitenden Sicherheits-
beamten Widerstand leistet.
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
91
Wer von einem geplanten Verbrechen glaubhaft Kenntnis erhält, 258
wird, um die Tat zu verhindern, hiervon der Behörde rechtzeitig Mit-
teilung machen. Gerichtlich strafbar ist die Unterlassung einer solchen
Anzeige (falls die Tat nachher wirklich verübt oder versucht wurde)
dann, wenn es sich um Hoch- oder Landesverrat, Münzverbrechen,
Mord, Raub oder Menschenraub oder um ein gemeingefährliches Ver-
brechen handelt.
4. Münzverbrechcn.
Des Verbrechens der Münzfälschung macht sich 259
schuldig, wer Metall- oder Papiergeld, Banknoten, Aktien, Zinscou-
pons u. dgl. fälschlich anfertigt oder verfälscht, um sie als echte in
Verkehr zu bringen, oder wer solches falsches Geld ?c. sich verschafft
und es als echt in Verkehr bringt oder zum Zweck der Verbreitung
aus dem Auslande einführt.^
Strafbar sind beim Münzverbrechen auch schon die bloßen V 0 ru-
bere i t u n g s h a n d l u n g e n (f. Nr. 242), z. B. das Anfertigen
der für die Herstellung nötigen Stempel, Platten und Formen; straf-
bar ist ferner selbstverständlich auch das Beschneiden, Abfei-
l e n usw. echter Münzen, um sie nachher wieder als vollwertig in
Verkehr zu bringen; strafbar ist endlich auch die nicht selten vorkom-
mende Weitergabe von falschem Geld, das man als echt
angenommen, aber darnach als falsch erkannt hat.
5. Meineid.
In Zivilprozesfen wird nicht selten eine Partei zum Schwur über 260
einzelne Behauptungen zugelassen; noch weit häufiger ist bekanntlich
in Zivil- und Strafprozessen die gerichtliche Beeidigung von Zeugen
und Sachverständigen. Eine so beeidete Aussage muß unter allen
Umständen vollständig und richtig sein, d. h. nichts, was zur Sache ge-
hört, darf verschwiegen, nichts (und zwar auch nichts Nebensächliches)
darf wahrheitswidrig angegeben werden. Wer wissentlich
diese Eidespflicht verletzt und damit Gott selbst zum Zeugen seiner
Unwahrheit anruft, begeht nicht nur eine schwere Sünde, sondern auch
ein Verbrechen, das als Meineid mit Zuchthaus und Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte bestraft wird, ohne daß das Gesetz mildernde
Umstände zuließe.^ Gleich schwer, d. h. mit Zuchthaus nicht unter 24
24 Auch die Anfertigung vollwertiger Münzen, zu der
insbesondere der heutige niedere Preis des Silbers nicht selten verleitet, ist
Münzfälschung.
ss Eine Gefängnisstrafe läßt das Gesetz beim Meineid dann zu, wenn
der Täter bei Angabe der Wahrheit eine gerichtliche Verfolgung wegen eines
Verbrechens oder Vergehens hätte befürchten müssen, oder wenn er wegen
92
Das Strafrecht
einen: Jahr und Ehrverlust, wird auch der bloße Versuch, einen
Zeugen zun: Meineid zu verleite::, geahndet?"
261 Auch die nicht absichtliche, aber fahrlässige Verletzung der Eides-
pflicht (der fahrlässige Falscheid) ist mit strenger Strafe
(Gefängnis) bedroht"', und ebenso die vorsätzliche oder fahrlässige
Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung vor Gericht oder einer-
anderen Behörde.
li. Verbrechen gegen die Religion und die Sittlichkeit.
262 Gott und der Glaube an ihn (die Religion) bedürfen an sich nicht
des Schutzes durch menschliche Satzungen; die Vergehen gegen die
Religion werden daher nur wegen der in ihnen etwa enthaltenen Ver-
letzung des religiösen Gefühls anderer bestraft. So die öffentliche,
andern ein Aergernis gebende Gotteslästerung, die öffentliche
Beschimpfung einer kirchlichen Gemeinschaft oder
ihrer Einrichtungen und Gebräuche, die Verübung beschimpfenden
Unfugs in einer Kirche oder religiösen Versammlung, die
vorsätzliche Verhinderung oder Störung einer gottes-
dienstlichen Handlung und endlich die Zerstörung, Beschä-
digung oder Beschimpfung eines Grabes.
26z Bestraft wird ferner die Unterschiebung oder Verwechs-
lung eines Kindes sowie ähnliche Handlungen, welche eine Ver-
änderung des Familienstandes einer Person herbeiführen.
264. Die Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit bedürfen
hier im einzelnen keiner näheren Erörterung, da gerade auf diesem
Gebiete das innere Gefühl hinreichend deutlich spricht. Doch soll nicht
unterlassen werden der besondere Hinweis daraus, daß das Gesetz die
Jugend gegen unsittliche Angriffe besonders nachdrücklich schützt, in-
seines Verhältnisses (insbesondere Verwandtschaftsverhältnisses) zu der
Person, zu deren Gunsten er die falsche Aussage gemacht hat, berechtigt
gewesen wäre, das Zeugnis zu verweigern, über dieses Recht aber nicht
besonders belehrt worden ist.
Ein wegen Meineids zu Zuchthausstrafe Verurteilter darf nie mehr
als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen werden.
20 Es kann daher nicht eindringlich genug vor jedem, auch dem leisesten
Versuch, einen Zeugen zu beeinflussen, gewarnt werden. Gar manche haben
schon ein solches, häufig unbedachtes Wort mit ihrem Lebensglück büßen
müssen.
27 Wer fahrlässigerweise den Eid verletzt hat, bleibt straflos, sofern
er seine Angaben berichtigt, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine
Untersuchung eingeleitet ist, und bevor seine falsche Aussage jemanden
Schaden gebracht hat. Beim Meineid dagegen hat eine solche, nach völliger
Beendigung der Vernehmung erfolgende Berichtigung nur eine mildere
Bestrafung (mit Gefängnis) zur Folge.
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
93
dem es jede unsittliche Handlung an Mädchen oder
Knaben unter vierzehn Jahren, und zwar auch schon jede unzüch-
tige Berührung solcher Kinder, als schweres Verbrechen mit Zuchthaus
von mindestens einem Jahre (bei mildernden Umständen mit minde-
stens einem halben Jahre Gefängnis) ahndet. Die Verführung eines
noch nicht 16 Jahre alten, unbescholtenen Mädchens findet auf Antrag
der Eltern oder des Vormunds der Verführten gerichtliche Bestra-
fung.
Als strafbare Blutschande betrachtet das Gesetz nicht nur 265
den unsittlichen Verkehr zwischen nahen Blutsverwandten, sondern
auch den zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen
Schwiegereltern und Schwiegerkindern, und zwar auch dann noch,
wenn die Ehe, welche diese Schwägerschaft begründet hatte, nicht
mehr besteht.
Auf die Ehe beziehen sich das Verbrechen der Doppelehe 266
(Bigamie) und der Ehebruch; letzterer wird nur dann, wenn die
Ehe seinetwegen geschieden worden ist, und nur auf Antrag des
beleidigten Ehegatten gerichtlich bestraft.
Daß ein gewaltsamer Angriff auf die Geschlechtsehre einer
Frauensperson (insbesondere das Verbrechen der Notzucht) sowie
unsittliche Verfehlungen von Vormündern, Geistlichen, Lehrern usw.
gegen ihre minderjährigen Pfleglinge oder Schüler schwere Strafen
verlangen, bedarf keiner weiteren Ausführung; aber auch der
liche Verkehr mit einer geisteskranken oder geistesschwachen Frauens-
person bildet ein Verbrechen.
Unter Kuppelei endlich versteht man die Förderung des 267
unsittlichen Verkehrs anderer; sie erfordert eine besonders strenge
Bestrafung, wenn sie aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig oder von
Eltern oder Fürsorgern begangen wird.
7. Vergehen gegen die Ehre anderer.
Die unberechtigte, absichtliche Darlegung der Mißachtung einer 268
Person heißt Beleidigung. Eine solche Beleidigung kann aber nicht
nur durch Schimpfworte oder durch Gebärden oder mittels einer Tät-
lichkeit begangen werden (einfache oder formelle Belei-
digung); viel schwerer wiegt sie in der Regel, wenn sie dadurch
verübt wird, daß über einen anderen (sei es nun diesem ins Gesicht
oder in seiner Abwesenheit gegenüber Dritten) eine Tatsache
wird, welche ihn verächtlich zu machen oder in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, z. B. er habe
gestohlen oder gelogen. Wer eine solche Tatsache behauptet, muß sie
94
Das Strafrecht
beweisen können, sonst wird er wegen übler Nachrede bestraft?*
Ist die behauptete Tatsache aber nicht nur nicht beweisbar, sondern
sogar erweislich unwahr und wurde die Behauptung wider besseres
Wissen aufgestellt, so liegt eine Verleumdung vor. Eine solche
Verleumdung wird auch dann bestraft, wenn sie zwar nicht unmittelbar
die Persönlichkeit des Beleidigten angreift, aber dessen Kredit zu
- gefährden geeignet ist. Auch die Verleumdung Verstor-
bener kann von deren nächsten Angehörigen verfolgt werden. Be-
steht endlich die Verleumdung darin, daß wider besseres Wissen gegen
einen anderen bei einer Behörde eine falsche Anzeige erstattet wird,
so liegt das schwere Vergehen der falschen Anschuldigung
vor, das mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft wird.
269 In manchen Fällen ist zwar an sich der Tatbestand einer straf-
baren Beleidigung gegeben, eine Bestrafung aber gleichwohl aus-
geschlossen, weil aus der Form oder den Umständen der Aeußerung
ersichtlich ist, daß sie nicht in der Absicht zu beleidigen, sondern
zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahr-
nehmung berechtigter Interessen oder in Ausübung
eines Erziehungs- oder Rügerechts oder dergleichen gebraucht worden
ist. Ein solcher Fall liegt z. B. vor, wenn ein Lehrer oder Vorgesetzter
in scharfen Worten, die an anderer Stelle beleidigend wären, einen
Verweis erteilt, oder wenn ein Bestohlener der Behörde gegenüber den
Verdacht ausspricht, den er gegen einen anderen hinsichtlich der Tat
hegt, oder wenn ein Angeklagter zu seiner Verteidigung die Unwahr-
heit der eidlichen Aussage eines Zeugen behauptet.
270 Straflosigkeit kann ferner dann eintreten, wenn eine Beleidi-
gung (oder leichte Körperverletzung) auf der Stelle erwidert wurde.
Die Verfolgung der Beleidigungen geschieht nur auf Antrag des
Beleidigten. Der Antrag kann bei Beleidigung einer Ehefrau auch
gestellt werden durch deren Ehemann, bei Beleidigung Minderjähriger
durch den Vater oder Vormund, sowie bei Beleidigung von Beamten
in Beziehung aus ihren Berus durch dereu Vorgesetzte. Der Antrag
kann zurückgenommen werden.
8. Verbrechen wider das Leben.
271 Die vorsätzliche Tötung29 eines Menschen wird Totschlag
genannt, wenn sie ohne Ueberlegnng (d. h. ohne ruhige Erwägung im 28
28 Eine Beleidigung durch üble Nachrede kann aber zugleich auch eine
formelle Beleidigung enthalten; dann schließt natürlich der Beweis der
Wahrheit die Bestrafung wegen letzterer nicht aus. So darf ich z. B.
jemanden, der früher einmal einen Diebstahl begangen und gebüßt hat, nicht
deshalb öffentlich als Dieb bezeichnen.
2° Die vorsätzliche Tötung wird, wenngleich milder, auch dann
bestraft, wenn sie aus ausdrückliches und ernstliches Ber-
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
65
Augenblick der Tat) ausgeführt wurde; sie heißt Mord, wenn die
Ausführung der Tat mit Ueberlegung (kalten Blutes, mit Vorbedacht)
geschah. Der Mord wird mit dem Tode bestraft, und das Gesetz kennt
hier keine mildernden Umstände; dagegen läßt es eine mildere Bestra-
fung (Gefängnis nicht unter zwei Jahren) zu für den Kindsmord,
d. h. für die von einer unehelichen Mutter während oder gleich nach
der Geburt begangene Tötung des neugeborenen Kindes.
Auch das noch nicht geborene Kind ist gegen Angriffe auf fein
Leben vom Gesetz geschützt: Die absichtliche Herbeiführung einer
Fehlgeburt sowie der Versuch und die Beihilfe hierzu wird als Ver-
brechen der Abtreibung mit Zuchthaus bestraft.
Der Aussetzung macht sich schuldig, wer ein Kind oder eine
ihm anvertraute kranke oder gebrechliche Person in hilfloser Lage vor-
sätzlich verläßt.
Zu den Verbrechen gegen das Leben gehört endlich der mit
Festungshaft bedrohte Zweikampf mit tödlichen Waffen. Bestraft
wird auch die bloße Herausforderung zum Zweikampf und
ihre Annahme sowie das sog. Kartelltragen, d. h. das Ueber -
bringen der Herausforderung, sofern nicht der Ueberbringer ernstlich
bemüht war, den Zweikampf zu verhindern. Straflos bleiben dagegen
die zum Zweikampf zugezogenen Sekundanten, Zeugen und Aerzte.
9. Körperverletzung.
Die strafbaren Körperverletzungen scheiden sich zunächst in sah r-
lässige und vorsätzliche. Die letzteren sind entweder ein-
fache "o oder sie heißen wegen der Art ihrer Verübung (mittels eines
Messers oder sonstigen gefährlichen Werkzeugs oder mittels hinter-
listigen Ueberfalls oder einer lebensgefährdenden Behandlung oder
von mehreren gemeinschaftlich) erschwerte Körperverletzungen
oder sie werden endlich wegen ihrer schweren Folgen (z. B. Erblin-
dung, Lähmung, Siechtum) als schwere Körperverletzun-
gen bezeichnet. * 30
langen des Getöteten geschah. Strafbar ist ferner selbstverständlich auch
die bloß fahrlässige Tötung eines Menschen. Besonders häufig
wird diese begangen durch unvorsichtige Handhabung geladener Schuß-
waffen, insbesondere durch scherzhaftes Anlegen und Abdrücken solcher, ver-
meintlich ungeladener Waffen auf Personen, eine frevelhafte Spielerei, die
schon zahlreiche Menschenleben gefordert hat und im Falle eines unglück-
lichen Ausgangs schwer gesühnt wird.
30 Die einfachen vorsätzlichen Körperverletzungen werden nur aus An-
trag verfolgt; ebenso die bloß fahrlässigen Körperverletzungen, sofern diese
nicht unter Uebertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen
worden sind.
96
Das Strafrecht
Besonders strenge Bestrafung tritt ein, wenn eine Körperverlet-
zung den Tod des Verletzten herbeigeführt hat, wobei es
nicht darauf ankommt, ob der Täter diese Folge vorhersehen konnte.
Haben sich ferner bei einer Schlägerei oder einem Angriff mehrere
beteiligt, so trifft, wenn der Tod oder eine schwere Verletzung eines
Menschen die Folge ist, jeden Beteiligten, der nicht ohne fein Ver-
schulden hineingezogen wurde, ohne Rücksicht auf den Umfang seiner
Beteiligung, schwere Strafe. Die absichtliche Beibringung von
Gift wird als Verbrechen mit Zuchthaus geahndet, selbst wenn sie
eine Gesundheitsfchädigung nicht zur Folge gehabt hat.
10. Handlungen gegen die persönliche Freiheit.
75 Die persönliche Freiheit eines Menschen wird in strafbarer Weise
beeinträchtigt nicht nur durch eine widerrechtliche und vorsätzliche
(wenn auch nur vorübergehende) Einsperrung oder durch sonstige
völlige Freiheitsberaubung, sondern auch durch jede mit
Gewalt oder Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen herbei-
geführte Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unter-
lassung. Geschieht eine solche Nötigung zum Zweck der Erlangung
eines rechtswidrigen Vermögensvorteils, so bildet sie das Vergehen
oder Verbrechen der Erpressung, und zwar auch dann, wenn die
angedrohte Handlung an sich nicht rechtswidrig fröre.31 * 33
76 Endlich wird die Bedrohung mit einem Verbrechen (z. B.
mit Totstechen), da sie den Bedrohten in Furcht setzen kann, bestraft,
selbst wenn der Drohende eine Verwirklichung der Drohung nicht
beabsichtigt hatte.
11. Handlungen gegen das Vermögen.
77 Des Diebstahls3^ macht sich, wie bereits früher (Nr. 234) er-
wähnt, schuldig, wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in
31 Erpressung liegt z. B. vor, wenn ein durch eine strafbare Hand-
lung Verletzter, aber nicht in seinem Vermögen Geschädigter, dem Täter
mit gerichtlicher Anzeige für den Fall droht, daß er nicht eine bestimmte
Geldsumme bezahle.
33 Nur aus Antrag werden bestraft Diebstähle und Unterschlagungen
gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher, sowie unbedeutende Diebstähle
und Unterschlagungen, welche Lehrlinge oder Dienstboten gegen ihre Lehr-
oder Dienstherrschaft begehen, in deren häuslicher Gemeinschaft sie sich
befinden. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Völlig straflos bleiben
Diebstähle und Unterschlagungen von Eltern gegen ihre Kinder, Enkel usw.
und von Ehegatten untereinander.
Nicht als Diebstahl, sondern bloß als Uebertretungen werden behandelt
der sog. Mundraub, d. h. die Entwendung von Nahrungs- oder Genuß-
mitteln von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge (als Strafe sind
bloß Geldstrafen bis 150 M. oder Haft angedroht) und der sog. F e l d d i e b -
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
97
der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen. Der
Diebstahl wird zum Verbrechen des schweren Diebstahls,
wenn er verübt wird mittels Einbruchs oder Einsteigens oder Erbre-
chens von Behältnissen oder mittels nächtlichen Einschleichens in ein
Gebäude oder unter Benützung von falschen Schlüsseln33, oder wenn
gottesdienstliche Geräte aus einer Kirche gestohlen werden usw. Wer
nach zweimaliger Bestrafung wegen Diebstahls, Raubs oder Hehlerei
innerhalb der nächsten 10 Jabre wieder stiehlt, verfällt den schweren
Strafen, die das Gesetz auf das Verbrechen des D i e b stah ls im
wiederholten Rückfall androht.
Bei der Unterschlagung richtet sich die rechtswidrige Zu- 278
eignung nicht auf eine im fremden, sondern auf eine im eigenen Ge-
wahrsam befindliche fremde Sache; erschwert ist die Tat, wenn die
unterschlagene Sache dem Täter anvertraut worden war.
Zum Verbrechen des R a u b s wird der Diebstahl, wenn die Weg- 279
nähme mit Gewalt gegen eine Person oder unter Drohungen mit
gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben geschieht. Auch beim Raub
zählt das Gesetz noch eine Anzahl besonderer Erschwerungsgründe
aus, z. B. die Verübung mittels Waffen oder durch eine Bande oder
aus einer öffentlichen Straße (Straßenraub) usw.
Wer seines eigenen Vorteils wegen eine Begünstigung (s. Nr. 245) 280
zugunsten desjenigen begeht, der einen Diebstahl, einen Raub oder
eine Unterschlagung verübt hat, macht sich der Hehlerei schuldig.
Die Strafe des Hehlers trifft aber auch schon denjenigen, der seines
Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach
annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt
sind * 33 34, verheimlicht, ankauft oder sonst an sich bringt oder zum Ab-
stahl; darunter versteht man in Bayern die Wegnahme von Feldfrüchten
und anderen Bodenerträgnissen von unbedeutendem Wert oder in geringer
Menge von Aeckern, aus Gärten und ähnlichem (als Strafe ist Geldstrafe
bis 60 M. angedroht).
Wegen der besonderen Aburteilung der sog. Forstrügesachen
s. Nr. 325.
Die Entwendung von Elektrizität aus Leitungen endlich
wird nicht als Diebstahl, sondern nach einem besonders hierüber ergangenen
Reichsgesetz bestraft.
33 Unter einem falschen Schlüssel versteht das Gesetz jeden nicht
von dem Bestohlenen zur Eröffnung des betreffenden Schlosses bestimmten
Schlüssel, also auch einen solchen, der zur Eröffnung eines anderen Behält-
nisses des Eigentümers dient und nur zufällig paßt.
3s Ein solche Art von Hehlerei begeht z. B. ein Uhrmacher, der
von einem Vagabunden eine offenbar gestohlene goldene Uhr billig kauft,
Glock-Schiederinair, Bürgerkunde. 7
98
Das Strafrecht
satze bei anderen mitwirkt. Mit Recht wird die Hehlerei, wenn sie ge-
wohnheits- oder gewerbsmäßig oder im wiederholten Rückfall verübt
wird, besonders schwer bestraft; denn sie ist es, die zu neuen Diebstäh-
len ständig anstachelt.
281 Betrug ist die vermittels einer Täuschung in gewinnsüchtiger
Absicht verübte Beschädigung des Vermögens eines anderen. Auch
hier wird die in wiederholtem Rücksalle begangene Tat als Ver-
brechen strenge bestraft.
Wer als Bevollmächtigter, Vormund, Verwalter oder dergleichen
absichtlich zum Nachteil desjenigen handelt, dessen Geschäfte er be-
sorgen soll, macht sich des Vergehens der Untreue schuldig.
282 Die fälschliche Anfertigung oder Verfälschung einer rechtserheb-
lichen Urkunde 35 und das Gebrauchmachen von ihr bildet das
Vergehen der Urkundenfälschung; diese wird zum Ver-
brechen, wenn sie in gewinnsüchtiger Absicht oder in der Absicht zu
schaden verübt wird, und ist besonders schwer, wenn sie sich nicht auf
eiue private, sondern aus eine öffentliche Urkunde (s. Nr. 606) beziebt.
28z Die vorsätzliche und rechtswidrige Beschädigung einer fremden
Sache (Sachbeschädigung) endlich wird nur auf Antrag ver-
folgt, mit Ausnahme der schweren Sachbeschädigung, verübt an Ge-
genständen religiöser Pietät oder an solchen Sachen, die im allge-
meinen Interesse der Oefsentlichkeit übergeben sind, wie z. B. an
Denkmälern, öffentlichen Anlagen u. dgl.
12. Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse.
284 Unter dieser Ueberschrift behandelt das Strafgesetzbuch eine An-
zahl verschiedenartiger Straftaten; so das gewerbsmäßige
Glücksspiel, die unbefugte Veranstaltung öffentlicher
Lotterien oder Ausspielungen, die Beiseiteschaffung von
Vermögensstücken zum Zweck der Vereitelung der Zwangs-
v 0 l l st r e ck u n g 33, die unbefugte Ausübung der Jagd
oder Fischerei, die Verletzung des Briefgeheimnisses
sowie ein Metallhändler, der einem Fabrikarbeiter größere Mengen von
Kupferstücken unter dem gewöhnlichen Preise abnimmt.
33 Als Urkunde gilt nicht etwa nur ein Schriftstück, sondern auch eine
Fahrkarte, eine Kontrollmarke u. dgl.
Wegen der strafbaren Herbeiführung einer falschen Beurkundung in
öffentlichen Büchern s. Nr. 341.
30 Damit verwandt ist die gleichfalls strafbare heimliche Entfernung
des in eine Mietwohnung eingebrachten, dem gesetzlichen Pfandrecht des
Vermieters unterliegenden Hausrats vor Zahlung des Mietzinses.
Von den einzelnen strafbaren Handlungen
99
durch unbefugte Eröffnung eines Briefs oder dergleichen, sowie die
unbefugte Offenbarung von im Berufe anvertrauten P r i -
vatgeheimniffen durch Rechtsanwälte, Notare, Aerzte u. dgl.
Unter die aus strafbarem Eigennutz begangenen Handlungen fällt 285
auch der Wucher. Man versteht darunter vornehmlich die gewinn-
süchtige Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Uner-
fahrenheit anderer; und zwar ist diese Ausbeutung nicht nur strafbar,
wenn bei Gewährung von Darlehen übermäßige Zinsen ausbedungen
werden, sondern auch, wenn sie in der Form des sog. Sachwuchers
bei Gelegenheit anderer Rechtsgeschäfte verübt lvird, z. B. beim Ver-
kauf von Waren oder Vieh unter Stundung des übermäßig hohen
Kaufpreises. Unter das Wuchergesetz fällt auch, wer in gewinnsüch-
tiger Absicht leichtsinnige oder unerfahrene Minderjährige zur Aus-
stellung von Wechseln oder sonstigen Schuldscheinen oder zur Abgabe
von Zahlungsversprechen (insbesondere unter Ehrenwort) veranlaßt.
Besonders strenge wird bestraft der gewerbs- oder gewohnheits-
mäßige Wucher.
Die wucherischen Geschäfte sind nichtig; der Geschädigte kann die
erwucherten Vorteile zurückfordern.
Ein besonderes Reichsgesetz behandelt endlich die B e k ä m p f u n g 286
des unlauteren Wettbewerbs. Dieses Gesetz bedroht ins-
besondere mit Strafe die in öffentlichen Ankündigungen (Ladenschil-
dern, Anzeigen usw.) enthaltenen unrichtigen Angaben über geschäft-
liche Verhältnisse, wodurch der Anschein eines besonders günstigen
Angebots hervorgerufen werden soll; in diesen Fällen (zu welchen
z. B. die Vorspiegelung eines Ausverkaufs wegen Geschäftsaufgabe
gehört) kann jeder Konkurrent außer auf Bestrafung auch auf Unter-
lassung, unter Umständen auch auf Schadensersatz oder Zahlung einer
Buße klagen. Weitere Strafbestimmungen des Gesetzes richten sich
gegen Schädigung von Konkurrenten durch Behauptung unwahrer
Tatsachen über deren Person, Geschäft oder Waren, ferner gegen die
unbefugte Benützung einer fremden Firma oder eines fremden Na-
mens, endlich gegen den Verrat von Geschäftsgeheimnissen durch Be-
dienstete.
13. Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen.
Hierzu zählen insbesondere die vorsätzliche und die fahrlässige 287
B r a n d st i f t u n g , die Herbeiführung einer Ueber schwem-
mung, die Gefährdung von Eisenbahntranspor-
ten, die Störung der Telegraphie, die Vergiftung
von Brunnen, die Verletzung von Sperr maß-
100
Das Strafrecht
regeln, welche die Verschleppung von Menschen- oder Viehseuchen
verhindern sollen, und die Gefährdung der Sicherheit durch Nicht-
beachtung von Regeln der Baukuitst.
288 Ein besonderes Reichsgesetz, das Gesetz gegen den verbrecherischen
und gemeingefährlichen Gebrauch von Spreng st offen,
stellt die Herstellung, den Besitz und den Vertrieb von Sprengstoffen
unter überaus strenge Vorschriften und bedroht die gemeingefährliche
und verbrecherische Anwendung von Sprengstoffen mit den schwer-
sten Strafen.
14. Verbrechen und Vergehen im Amte.
289 Ein Beamter macht sich einer (sog. passiven) B e st e ch u n g
schon dann schuldig, wenn er für eine in sein Amt einschlagende, an
sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke oder andere Vorteile an-
nimmt oder fordert. Enthält aber die Handlung, zu der sich der
Beamte gegen Entgelt hergibt oder hergeben soll, die Verletzung einer
Amts- oder Dienstpflicht, so liegt für den pflichtwidrig handelnden
Beamten der Fall einer schweren Bestechung vor, und alsdann wird
auch derjenige wegen (aktiver) Bestechung bestraft, welcher den Be-
amten durch Geschenke usw. zu der Handlung verleitet oder zu ver-
leiten versucht hat.
290 Die Beugung des Rechts, d. h. die absichtliche Ungerech-
tigkeit in der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache, ist als
eines der schwersten Verbrechen, deren sich ein Richter schuldig machen
kann, mit Zuchthaus bedroht. Schwer verfehlt sich ferner gegen das
Strafgesetz ein Rechtsanwalt, welcher pflichtwidrig beiden Parteien
dient, besonders aber dann, wenn er hierbei im Einverständnis mit
dem Gegner zum Nachteil seiner eigenen Partei handelt.
291 Im übrigen unterliegen die meisten Vergehen, wenn sie nicht
von einer Privatperson, sondern von einem Beamten in Ausübung
seines Amtes begangen werden, einer besonders strengen Beurtei-
lung, so insbesondere die Körperverletzung im Amte, die Freiheits-
beraubung, die Urkundenfälschung, die Unterschlagung im Amte usw.
15. Die Ucbertretungen.
292 In seinem letzten Abschnitte behandelt das Reichsstrasgesetzbuch
eine große Anzahl verschiedenartiger Uebertretungen, insbesondere
polizeilicher Natur. Am bekanntesten ist wohl die ungebührliche Er-
regung r u h e st ö r e n d e n Lärms, sowie die Verübung gro-
ben Unfugs. Des letzteren macht sich jeder schuldig, der durch
eine grob-ungebührliche Handlung das Publikum im allgemeinen
unmittelbar belästigt oder gefährdet.
Staatsanwaltschaft und Gerichte
101
Z. Kapitel.
Acrs gttxafverfabven.
Das Verfahren vor den deutschen Strafgerichten ist im ganzen 29z
Reiche einheitlich geregelt durch die am 1. Oktober 1879 in Kraft
getretene Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich (Ab-
kürzung: StPO). Daneben find über die Entschädigung unschuldig
Verhafteter und Verurteilter besondere Reichsgefetze erlassen worden.
Die Bestimmungen über Organisation und Zuständigkeit der Ge-
richte und Staatsanwaltschaften sind in dem gleichfalls seit 1. Oktober
1879 in Kraft befindlichen deutschen Gerichtsversassungs-
g e s e tz enthalten.
1. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte.
Eine Behörde, die eine Strafverfolgung eingeleitet und bei den 294
oft schwierigen Ermittelungen den Kamps gegen die Kräfte geführt
hat, welche der Aufdeckung des Verbrechens widerstreben, würde in-
folge dieser Tätigkeit in manchen Fällen bei Fällung des Urteils
nicht mehr völlig unbefangen sein oder wenigstens scheinen. Man
hat daher beide Tätigkeiten getrennt, die Leitung der Strafverfol-
gung der Staatsanwaltschaft, die Urteilsfindung aber den Gerichten
zugewiesen. Beide sind einander gleichgeordnet und voneinander
unabhängig.
1. Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, alle zu ihrer 295
Kenntnis gelangenden strafbaren Handlungen zu verfolgen. Gibt sie
deni Antrag des angeblich Verletzten auf Strafverfolgung aus irgend
einem Grunde nicht statt, oder verfügt sie nach dem Abschlüsse der
Ermittelungen die Einstellung des Verfahrens, so kann der Verletzte
hiergegen Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staats-
anwaltschaft erheben und bei Verwerfung der Beschwerde mich noch
die Entscheidung des Gerichts, und zwar in der Regel des Ober-
landesgerichts, durch einen Rechtsanwalt anrufen.
Bei jedem Gericht muß eine Staatsanwaltschaft bestehen. Bei
den Amts- und Schöffengerichten sind A m t s a n w ä l t e st bei den
Landgerichten und den Oberlandesgerichten sind Staatsan-
HDie Amtsanwaltschaft wird in Bayern rechts des Rheins
regelmäßig von den Nebenbeamten der Bezirksamtmänner, den Bezirksamts-
assessoren, geführt, in der Mehrzahl der unmittelbaren Städte aber durch mit
diesem Amte besonders betraute Gemeindebeamte. In der Pfalz werden
besondere Amtsanwälte bestellt.
Bei dem bayerischen Obersten Landesgerichte ist ein G e n e r a l -
staatsanwalt aufgestellt.
102
Das Strafverfahren
tu ä 11 e bzw. Oberstaatsanwälte, beim Reichsgericht ein
Oberreichsanwalt und mehrere Reichsanwälte bestellt.
Die Staatsanwälte (mit Ausnahme der Amtsanwälte) müssen
zum Richteramt befähigt sein, also die beiden juristischen Staats-
prüfungen (s. Nr. 207) abgelegt haben. Sie sind aber nicht Richter,
sondern Verwaltungsbeamte, und haben daher den dienstlichen An-
ordnungen ihrer Vorgesetzten (insbesondere auch darüber, ob eine
Strafverfolgung einzuleiten und durchzuführen ist) Folge zu leisten.
96 2. StrafgerichAe erster Instanz sind die bei den Amts-
gerichten gebildeten Schöffengerichte, die Strafkam-
mern der Landgerichte und die bei den Landgerichten periodisch zu-
sammentretenden Schwurgerichte.
97 a. Die Schöffengerichte bestehen jeweils aus einem Amts-
richter, der den Vorsitz führt, und zwei Schössen. Die letzteren
werden aus folgende Weise bestimnit: Zunächst wird alljährlich in
jeder Gemeinde ein Verzeichnis aller Personen ausgestellt, welche zum
Schössenamte berufen werden können;^ diese Verzeichnisse werden in
den Gemeinden öffentlich ausgelegt und mit den etwa da-
gegen erhobenen Einsprachen dem Amtsgericht eingesendet. Bei
letzterem tritt hierauf ein Ausschuß zusammen, der aus dem Amts-
richter, einem Verwaltungsbeamten und sieben Vertrauensmännern
des Bezirks besteht. Dieser Ausschuß wählt die für das nächste Jahr
erforderlichen Schössen und Hilssschöfsen (s. unten) aus. In welchen
Sitzungen die einzelnen Schössen sodann mitzuwirken haben, wird
für das ganze Jahr im voraus durch das Los bestimmt. Ist ein
Schösse am Erscheinen verhindert, so wird an seiner Stelle einer der
in der Nähe des Gerichtssitzes wohnenden sog. Hilssschöfsen
beigezogen.
Die Schössen haben nicht nur über die Schuldsrage, sondern
auch über die Frage der Strafhöhe mitzuentscheiden und überhaupt
(abgesehen von der Führung des Vorsitzes) die gleichen richterlichen
Befugnisse, wie der Vorsitzende Amtsrichter. Die Schössen (wie auch
die Geschworenen) erhalten bei Ausübung ihres Ehrenamtes nur eine
Reisekostenvergütung, keinen Ersatz für entgangenen Verdienst.
' Zum Amt eines Schössen oder Geschworenen sind besonders nicht
zu berufen Personen unter 30 Jahren, ferner solche, die in schwerer Straf-
untersuchung oder im Konkurs sich befinden oder in den letzten drei Jahren
Armenunterstützung empfangen haben oder noch nicht zwei Jahre in der
Gemeinde wohnen, ferner auch nicht Dienstboten, Volksschullehrer, Geist-
liche, Gerichtsvollzieher und aktive Militärperfonen. Das Amt ablehnen
dürfen unter anderen solche, welche im letzten Jahre als Geschworene oder
mindestens fünfmal als Schössen beigezogen waren, ferner Personen von
über 65 Jahren, Apotheker ohne Gehilfen und Aerzte.
Das Vorverfahren
103
Zuständig sind d i e Schöffengerichte zur Aburtei- 298
lung der Uebertretungen und mehrerer nicht besonders schwerer
Vergehen, insbesondere des Diebstahls, der Unterschlagung, des Be-
trugs und der Sachbeschädigung, wenn der Gegenstand der Tat nicht
mehr als 150 M. wert ist. In zahlreichen anderen Fällen kann
ferner die Verhandlung und Entscheidung vom Landgericht dem
Schöffengericht zugewiesen werden, wenn voraussichtlich nicht auf eine
höhere Strafe als sechs Monate Gefängnis oder 1500 M. Geldstrafe
zu erkennen ist.
b. Die Strafkammern der Landgerichte bestehen 299
ausschließlich aus rechtsgelehrten Richtern, und zwar sind sie in der
Regel mit 5, bei gewissen geringfügigeren Berufungsfachen mit 3
Richtern besetzt. Sie sind zuständig für eine große Anzahl von Ver-
gehen und Verbrechen mittlerer Schwere, sowie für alle Verbrechen
jugendlicher (noch nicht 18 Jahre alter) Personen.
c. Vor die Schwurgerichte, auf welche später noch näher
einzugehen fein wird, gehören die schwersten Verbrechen. In Bayern,
Württemberg, Baden und Oldenburg haben sie ferner auch über die
mittels der Presse verübten strafbaren Handlungen zu erkennen, in
Bayern abgesehen u. a. von Beleidigungen, die im Wege der Privat-
klage verfolgt werden (f. Nr. 937).
2. Das Vorverfahren. zoo
Erhält die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige, einen Straf-
antrag, eine Meldung der Schutzmannschaft, Gendarmerie oder Kri-
minalpolizei ^ oder auf anderem Wege von einer strafbaren Hand-
lung Kenntnis, so veranstaltet sie zunächst alle zur Aufklärung er-
forderlichen Ermittelungen, vernimmt Zeugen (jedoch nicht eidlich)
oder läßt sie vernehmen, erhebt eine Vorstrafenliste 3 4 usw. Ist der
Beschuldigte fluchtverdächtig und liegen dringende Verdachtsgründe
3 Eine besondere, nicht uniformierte Kriminalpolizei, d. h. eine
den Zwecken der Strafrechtspflege dienende Polizei besteht in Bayern nur
in den größeren Städten; im übrigen werden die kriminalpolizeilichen Ver-
richtungen durch die Königliche Gendarmerie und die gemeindlichen Polizei-
organe (die Schutzmannschaft) besorgt.
4 Die im Deutschen Reich erfolgenden Verurteilungen werden nämlich
jeweils der Strafregisterbehörde (das sind in Bayern im allge-
meinen die Amtsanwälte, in München aber die Polizeidirektion) des Ge-
burtsorts des Verurteilten mitgeteilt; bezüglich der nicht in Deutschland
geborenen Person erfolgt die Mitteilung an das Reichsjustizamt. Die
Behörden, an die die Mitteilungen erfolgen, führen dann für jede Person
Listen, in die alle späteren Verurteilungen eingetragen werden, das sog.
Strafregister. Es kann dann durch Anfrage bei der Strafregifterbehörde
jederzeit festgestellt werden, ob und wie jemand vorbestraft ist.
r
104 Das Strafverfahren
für seine Täterschaft gegen ihn vor, so beantragt die Staatsanwalt-
zoi schast beim Amtsgericht gegen ihn die Erlassung eines H a s t -
besehls°. Nötigenfalls darf übrigens der Beschuldigte auch schon
vor Erlassung eines gerichtlichen Haftbefehls durch die Staatsanwalt-
schaft oder die Polizei- und Sicherheitsbeamten 6 vorläufig
festgenommen werden; er ist deni Amtsgericht zuzuführen und
unverzüglich, spätestens aber am Tage nach der Einlieserung, durch
den Richter zu vernehmen, der über seine Verhaftung oder
Freilassung Beschluß saßt. Aus Grund des Haftbefehls kann gegen
einen flüchtigen Beschuldigten ein Steckbrief, d. h. eine öffent-
liche Aufforderung zur Festnahme, erlassen werden.
zv2 Gegenstände, die für die Untersuchung von Bedeutung sein
können, dürfen beschlagnahmt werden; das gilt auch von den
an den Beschuldigten gerichteten Briefen, sonstigen Postsendungen
und Telegrammen aus der Post- oder Telegraphenanstalt. Zum
Zwecke der Auffindung von Beweismitteln oder der Ergreifung des
Beschuldigten können ferner auch Haussuchungen vorgenom-
men werden; doch gibt das Gesetz hierfür zum Schutz gegen unge-
rechtfertigte Belästigungen eingehende Vorschriften. Insbesondere
dürfen Haussuchungen zur Nachtzeit nur in bestimmten Ausnahme-
fällen stattfinden, es müssen, falls nicht der Richter oder Staatsan-
° Ein Haftbefehl kann auch wegen Verdunkelungsgefahr
(sog. Kollusionsgefahr) erlassen werden, wenn bestimmte Anhaltspunkte
dafür vorliegen, daß der Beschuldigte Spuren der Tat vernichten oder
Zeugen oder Mitschuldige zu falschen Angaben verleiten werde.
Ergibt die fernere Untersuchung, daß ein Verhafteter unschuldig war
oder doch, daß ernstliche Verdachtsgründe gegen ihn nicht mehr bestehen, so
kann er Entschädigung für die erlittene Untersuchungs-
haft aus der Staatskasse verlangen. Ob ein solcher Entschädigungs-
anspruch besteht, hat das Gericht gleichzeitig mit dem freisprechenden
Urteil durch besonderen Beschluß festzustellen, der indessen erst bekannt
gemacht wird, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Ueber die Höhe der zu
zahlenden Entschädigung entscheidet auf Antrag (vorbehaltlich der Berufung
aus den Rechtsweg) das Staatsministerium der Justiz.
Ein nur wegen Fluchtverdachts Verhafteter kann nach Ermessen des
Gerichts gegen Sicherheitslei st ung zunächst mit der Untersuchungs-
haft verschont werden. Diese Sicherheitsleistung ist durch Hinterlegung in
barem Gelde oder in Wertpapieren oder durch Psandbestellung oder mittels
Bürgschaft geeigneter Personen zu bewirken. Sie wird regelmäßig so hoch
bemessen, daß man annehmen kann, der Beschuldigte werde mit Rücksicht auf
sie einen etwa beabsichtigten Fluchtversuch unterlassen; denn die Sicherheit
verfällt der Staatskasse, sobald der Beschuldigte sich der Untersuchung oder
dem Antritt der erkannten Freiheitsstrafe entzieht.
6 Ein auf frischer Tat Betroffener kann übrigens, wenn er der Flucht
verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann,
nicht nur von Polizeibeamten usw., sondern von jedermann vorläufig fest-
genommen werden.
Das Hauptverfahren
105
walt zugegen ist, ein Gemeindebeamter oder zwei Gemeindemitglie-
der beigezogen werden, und die Durchsicht don Papieren steht, falls
der Inhaber widerspricht, nur dem Richter zu, dem sie in diesem Falle
versiegelt vorzulegen sind.
Bedarf ein Fall wegen seiner Schwierigkeit oder Bedeutung 303
einer eingehenderen Untersuchung, so beantragt die Staatsanwalt-
schaft bei dem an jedem Landgericht angestellten Untersuchungsrichter
die Eröffnung einer förmlichen gerichtlichen Vorunter-
suchung?
Findet nach Abschluß der nötigen Ermittelungen die Staatsan-
waltschaft keinen Anlaß zur weiteren Verfolgung, so stellt sie das Ver-
fahren ein oder sie beantragt (falls eine Voruntersuchung stattgefun-
den hat) beim Gericht, den Angeschuldigten außer Verfolgung zu
fetzen. Ist dagegen eine weitere Verfolgung geboten, fo reicht
sie bei dem zuständigen Gericht 7 8 eine Anklageschrift 304
ein mit dem Antrage, das gerichtliche Hauptverfahren zu eröff-
nen. Das Gericht gibt diesem Antrage mittels eines Beschlusses
statt, wenn ihm der Angeschuldigte der Tat „hinreichend verdächtig"
erscheint, und zwar eröffnet das Amtsgericht in diesem Fall stets das
Hauptversahren vor dem Schöffengericht, während das Landgericht
entweder die Sache zur Verhandlung dem Schöffengericht überweist
(s. Nr. 298) oder das Verfahren vor der Strafkammer oder den:
Schwurgericht eröffnet. In den beiden letzteren Fällen muß vor Er-
öffnung des Hauptverfahrens dem Angeschuldigten die Anklageschrift
mitgeteilt und ihm eine Frist zur Stellung etwaiger Anträge gegeben
werden. Zugleich wird dem Angeschuldigten, der noch keinen Vertei-
diger hat, in schweren Fällen vom Gericht ein solcher bestellt.
3. Das Hauptversahren.
Ist das Hauptverfahren eröffnet, so setzt der Vorsitzende den 305
Termin zur mündlichen Hauptverhandlung fest. Glaubt er, daß
noch weitere Zeugen und Sachverständige zur Hauptverhandlung
nötig sind, als der Staatsanwalt vorladen will, so ordnet er deren
Vorladung an. Auch der Angeklagte kann die Anordnung der
Ladung von Zeugen und Sachverständigen bei dem Vorsitzenden
beantragen, und falls dem Antrag nicht stattgegeben wird, sie selbst
durch einen Gerichtsvollzieher vorladen lassen.
7 Auch ein Amtsrichter des Bezirks kann mit der Voruntersuchung
betraut werden. In Schwurgerichtssachen muß stets eine Voruntersuchung
stattfinden.
8 Das angegangene Gericht muß nicht nur sachlich, d. h. für Straf-
sachen der vorliegenden Art, sondern auch örtlich zuständig sein.
Oertlich zuständig aber ist in erster Linie das Gericht, in dessen Bezirk die
Tat begangen wurde, und dasjenige, in dessen Bezirk der Angeschuldigte
wohnt.
106
Das Strafverfahren
Bei der Hauptverhandlung muß der Angeklagte zugegen fein:
nur in gewissen, weniger wichtigen Fällen kann er auf feinen An-
trag wegen weiter Entfernung von der Verpflichtung zum Erscheinen
entbunden werden. Gegen einen unentschuldigt ausgebliebenen Ange-
klagten erläßt das Gericht einen Vorführungs- oder einen Haftbefehl.
Die öffentliche ° Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der
Sache und der geladenen Zeugen und Sachverständigen?" Die Zeu-
gen müssen sich jedoch vorläufig wieder aus dem Sitzungsfaale ent-
fernen. Nachdem der Angeklagte über feine persönliche Ver-
hältnisse vernommen worden ist, wird zunächst der Beschluß über die
Eröffnung des Hauptverfahrens verlesen, der die dem Angeklagten
zur Last gelegte Tat schildert. Es folgt die eingehende Ver-
nehmung des Angeklagten über die Anklage. Hierauf werden die
Zeugen einzeln vorgerufen und abgehört. Die Vernehmung der
Zeugen und Sachverständigen geschieht, soweit zulässig, eidlich.^
Das Zeugnis darf nur aus den im Gesetze bestimmten Gründen 12
verweigert werden. Jeweils nach Vernehmung eines Zeugen oder
Sachverständigen und nach Verlesung eines als Beweismittel dienen-
den Schriftstücks 13 wird der Angeklagte befragt, ob er etwas zu er-
klären habe. Nach Beendigung der Beweisaufnahme erhalten der
Staatsanwalt und sodann der Angeklagte und sein etwaiger Vertei-
diger zu ihren Ausfi'ihrungen und Anträgen das Wort. Dem Ange-
klagten steht stets das letzte Wort zu, bevor sich der Gerichtshof zur
geheimen Beratung des Urteils zurückzieht.
2 Wegen des möglichen Ausschlusses der O e f f e n t l i ch k e i t
s. Nr. 205.
10 Unentschuldigt ausgebliebene Zeugen und Sachverständige werden
in Geldstrafen und in die durch eine Vertagung der Verhandlung entstehen-
den Kosten versällt.
"Unbeeidigt werden jedoch vernommen Personen unter
16 Jahren, sowie geistig unreife oder schwache Personen, ferner wegen Mein-
eides mit Zuchthaus Bestrafte (f. Nr. 260) und solche Personen, die der
Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei bezüglich der betreffenden strafbaren
Handlung verdächtig sind; endlich in der Regel die nahen Angehörigen und
Verwandten des Angeklagten.
12 Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berech-
tigt der Verlobte, der Ehegatte und die nahen Verwandten oder Verschwä-
gerten des Angeklagten, ferner Geistliche, Aerzte, Rechtsanwälte und öffent-
liche Beamte, soweit sie zur Verschwiegenheit durch ihren Berus verpflichtet
sind. Endlich können die Zeugen die Aussage aus solche Fragen verweigern,
deren Beantwortung ihnen oder ihren Angehöriger: die Gefahr strafgericht-
licher Verfolgung zuziehen würde.
13 An Stelle der mündlichen Vernehmung eines Zeugen darf nur dann
die Verlesung des Protokolls über seine frühere gerichtliche Vernehmung
treten, wenn die Ladung des Zeugen wegen Krankheit oder Tods oder wegen
weiter Entfernung usw. unmöglich oder erschwert war.
Das Hauptverfahren
107
Zum Zwecke der Urteilsfindung muß jeder Richter zunächst sich 307
darüber klar werden, welche Tatsachen er aus Grund der Verhand-
lung nach seiner freien Ueberzeugung für feststehend und erwiesen
erachtet." Sodann ist zu prüfen, ob der hiernach feststehende Sach-
verhalt den gesetzlichen Tatbestand einer strafbaren Handlung er-
füllt, d. h. ob dieser Sachverhalt alle einzelnen Merkmale in sich
schließt, aus denen sich der gesetzliche Begriff der strafbaren Handlung
zusammensetzt (vgl. Nr. 234). Ist das der Fall und liegen keine der
gesetzlichen Strafausschließungsgründe vor (s. Nr. 237), so ist damit
die Schuldfrage bejaht, und nun erst ist die S t r a faus-
tn e s s u n g s s r a g e zu prüfen, d. h. zit entscheiden, auf welche
Strafe erkannt werden soll."
Die Schuldfrage gilt nur als bejaht, wenn minde- 308
stens zwei Dritteile der Richter für die Bejahung stimmen. Im
übrigen entscheidet das Gericht nach Stimmenmehrheit, insbesondere
über die Strafart, die Strashöhe und die Zubilligung mildernder
Umstände. Wird der Angeklagte zu Strafe verurteilt, so hat er auch
die Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzugs
zu tragen. Bei der Freisprechung des Angeklagten dagegen fallen
die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zur Last; auch kann in
diesem Falle das Gericht beschließen, daß dem Angeklagten die ihm
durch das Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen, besonders
die Kosten seiner Verteidigung, ersetzt werden.
Die Verkündung des beschlossenen Urteils erfolgt 309
öffentlich durch Verlesung unter mündlicher Angabe der Urteils-
" An bestimmte Bcweisregeln, wie sie das frühere Recht kannte,
ist der Richter hierbei nicht gebunden. Doch darf diese Freiheit nicht etwa
in Willkür ansarten. Nicht genügend ist es natürlich, wenn der Richter
nur der Meinung ist, die Sache werde sich wohl so und nicht anders ver-
halten; er darf vielmehr nur das als festgestellt annehmen, wovon er die
feste Ueberzeugung hat, daß es sich nicht anders verhalten kann,
und er muß sich selbst auch gewissenhaft Rechenschaft geben, worauf diese
Ueberzeugung gegründet ist. Besonders wichtig ist letzteres, wenn die Ueber-
zeugung sich nicht auf ein Geständnis, sondern auf einzelne Anzeichen und
Verdachtsgründc stützt; denn ein solcher sogenannter Indizienbeweis
erweist sich sehr häufig bei näherem Betrachten als trügerisch.
15 Ein strenges Auseinanderhalten der Schuldsrage von der
S t r a s s r a g e ist von großer Wichtigkeit. Aus einer Vermengung bei-
der Fragen würde es beruhen, wenn man einen Angeklagten, weil immer-
hin noch Zweifel an seiner Schuld möglich sein könnten, zu einer milderen
strafe, einer sog. Verdachts st rase, verurteilen wollte. Das wäre
selbstverständlich durchaus unzulässig; denn entweder ist die Schuld voll er-
wiesen und dann muß die richtige, der Tat entsprechende Strafe ausge-
sprochen werden, oder der Beweis ist nicht voll erbracht und es hat deshalb
Freisprechung zu erfolgen. Ein Drittes gibt es nicht.
108
Das Strafverfahren
gründe. Die letzteren werden nachträglich schriftlich niedergelegt und
das Urteil von den Richtern unterschrieben. Der ganzen Verhandlung
wohnt ein Gerichtsschreiber an, dem die Fertigung des Protokolls
obliegt.
ZIO 4. Das schwurgerichtliche Verfahren.
Im schwurgerichtlichen Verfahren werden die richterlichen Funk-
tionen nicht (wie bei den Schöffengerichten) von den sog. Laienrich-
tern und den Berufsrichtern gemeinsam ausgeübt, sondern sie sind
unter beide verteilt: Die Geschworenen entscheiden ohne Mitwir-
kung des Gerichtshofs über die Schuldsrage und die Frage nach den
mildernden Umständen, während der aus dem Vorsitzenden und zwei
Mitgliedern des Landgerichts bestehende Gerichtshof über die festzu-
setzende Strafe beschließt.
zu Bei Gelegenheit der Auswahl der Schössen schlagen die bei den
Amtsgerichten zusammengetretenen Ausschüsse (s. Nr. 279) zu-
gleich auch die als Geschworene geeigneten Personen vor. Alls
diesen Personen wählt das Landgericht die für das nächste
Jahr erforderliche Anzahl von Geschworenen aus (Jahres-
liste). Die Schwurgerichte selbst treten nur periodisch zur
Aburteilung der inzwischen ausgelaufenen Fälle zusammen. Für
jede solche Session werden aus der Jahresliste kurz vorher 30 Ge-
schworene ausgelost. Diese 30 Geschworenen müssen zu Beginn jeder
einzelnen Sitzung erscheinen, und aus ihnen wird endlich jeweils
durch das Los die aus 12 Personeil bestehende Geschworenenbank ge-
gebildet, wobei der Staatsanwalt und der Angeklagte die Befugnis
haben, eine gleiche Anzahl von Geschworenen sofort nach ihrer Aus-
losung ohne Angabe eines Grundes abzulehnen. Die Geschworenen
werden vor Eintritt in die Verhandlung aus gewissenhafte Erfüllung
zi2 ihrer Richterpslichten beeidigt. Die Verhandlung selbst verläuft so-
dann im allgemeinen wie oben (s. Nr. 306) geschildert. Nach Beendi-
gung der Beweisaufnahme werden die vom Vorsitzenden entworfenen
Fragen16, welche den Geschworenen zur Beantwortung vorgelegt
16 D i e Fragen lauten z. B. bei einem Verbrechen der Körper-
verletzung mit nachgefolgtem Tode (s. Nr. 274):
1. Ist der Angeklagte A schuldig, am 10. Februar 19 . . in der Wirt-
schaft zum Ochfen in X. den B vorsätzlich derart körperlich mißhandelt oder
an der Gesundheit beschädigt zu haben, daß durch die Körperverletzung der
Tod des Verletzten verursacht wurde?
2. Im Falle der Bejahung der ersten Frage: Sind mildernde Umstände
vorhanden?
3. Im Falle der Verneinung der ersten Frage: Ist der Angeklagte
schuldig, in der genannten Zeit und an dem genannten Orte den B vor-
sätzlich mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich miß-
handelt oder an der Gesundheit beschädigt zu haben?
Das schwurgerichtliche Verfahren
108
werden sollen, verlesen. Jeder Geschworene, sowie der Staatsanwalt,
der Verteidiger und der Angeklagte sind befugt, eine Abänderung
oder Ergänzung der Fragen zu beantragen. Sind diese endgültig
festgestellt, so erhalten die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger,
sowie der Angeklagte selbst zu ihren Ausführungen das Wort. Als-
dann erläutert der Vorsitzende den Geschworenen die bei Beantwor-
tung der Fragen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte, je-
doch ohne in eine Würdigung der erhobenen Beweise einzugehen, und
übergibt hieraus den Fragebogen den Geschworenen, welche sich damit
in das Beratungszimmer zurückziehen. Dort wählen die Geschwo-
renen zunächst aus ihrer Mitte einen Obmann und stimmen sodann
über die Fragen mit ja oder nein ab. Auch hier ist zur Bejahung
einer Schuldsrage stets eine Mehrheit von zwei Dritteilen der Stim-
men (also mindestens 8 Stimmen) erforderlich.^
Der Obmann schreibt die aus der Abstimmung sich ergebenden 313
Antworten nieder, unterzeichnet sie und gibt hierauf, nachdem die
Geschworenen in den Sitzungssaal zurückgekehrt sind, den Spruch der
Geschworenen durch Verlesen der Fragen und Antworten mit den
Worten kund: „Auf Ehre und Gewissen bezeuge ich als den Spruch
der Geschworenen: . . ." Haben die Geschworenen die Schuld des An- 3'4
geklagten verneint,^ so spricht der Gerichtshof diesen frei. Andern-
falls werden der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte
zunächst noch mit ihren Ausführungen und Anträgen über die Art 17 18
17 Da aus dem Spruch der Geschworenen zwar hervorgehen soll, ob die
Schuldigsprechung mit der dazu nötigen Stimmenmehrheit erfolgt ist, nicht
aber, wie viele Stimmen sich dafür aussprachen, so muß die schriftliche Ant-
wort aus die Schuldsrage im Falle der Bejahung lauten: „Ja, mit mehr als
sieben Stimmen." Ebenso hat bei Verneinung einer Frage nach mildern-
den Ilmständen die Antwort zu lauten: „Nein, mit mehr als sechs Stimmen";
denn hier genügt zur Verneinung die einfache (sog. absolute) Mehrheit.
18 Der Geschworene muß bei Abgabe seiner Stimme stets eingedenk
sein, daß er Richter ist und als solcher nicht über dem Gesetze steht, son-
dern den Willen des Gesetzes zu vollziehen hat. Bei Beantwortung der
Schuldfrage hat daher der Geschworene nur darnach zu fragen, ob die Tat
so, wie sie erwiesen ist, unter das Gesetz fällt, mag ihm auch das Gesetz un-
billig oder hart erscheinen. Würde der Geschworene an Stelle des Willens
des Gesetzes seine Willkür setzen, würde er z. B., beeinflußt durch eine er-
regte, irre geleitete öffentliche Meinung, ein „schuldig" aussprechen, obgleich
ein Schuldbeweis nicht erbracht ist, oder würde er aus Mitleid oder weil er
die gesetzliche Strafe zu hoch findet, einen Schuldigen für unschuldig er-
klären, so läge darin eine schwere Verletzung der von ihm feierlich be-
schworenen Richterpflicht. Uebrigens müssen und dürfen die Geschworenen
stets das Vertrauen haben, daß der Gerichtshof bei Bemessung der Strafe
allen Umständen des Falles Rechnung tragen werde, und daß in Fällen, in
denen auch das gesetzliche Mindestmaß an Strafe noch zu hoch erscheint, Be-
gnadigung eintreten werde. Gnade walten zu lassen ist aber nicht Sache
des Richters, sondern des Landesherrn.
110
Das Strafverfahren
und Höhe der sestzufetzenden Strafe gehört, worauf der Gerichtshof
in geheimer Beratung das Urteil beschließt und in öffentlicher
Sitzung verkündet. Ist jedoch der Gerichtshof einstimmig der Ansicht,
daß die Geschworenen mit ihrem Spruche sich zum Nachteile des An-
geklagten geirrt haben, so erläßt er kein Urteil, sondern verweist die
Sache durch einen sofort zu verbindenden Beschluß vor das Schwur-
gericht der nächsten Sitzungsperiode, welches alsdann endgültig in
der Sache entscheidet.
5. Berufung, Revision und Wiederaufnahme des Verfahrens.
Gegen die Urteile der Schöffengerichte kann von der Staatsan-
waltschaft wie von dem Angeklagten Berufung eingelegt werden:
über diese entscheidet die Strafkammer des Landgerichts. Gegen
das Urteil dieses Berufungsgerichts ist nochmals ein Rechtsmittel,
nämlich die Revision an das Oberlandesgericht, in Bayern an
das Oberste Landesgericht in München zulässig.
Gegen die von den Strafkammern der Landgerichte in erster In-
stanz gefällten Urteile dagegen und gegen die Urteile der Schwur-
gerichte ist nur das Rechtsmittel der Revision an das Reichsgericht zu
Leipzig gegeben.
Der Unterschied zwischen der Berufung und der
Revision liegt darin, daß bei der Berufung die ganze Sache vor
dem höheren Gericht nochmals, sofern nötig, vollständig neu verhan-
delt wird; es können auch neue Beweise erhoben werden, und über-
haupt sind die Feststellungen des ersten Gerichts für das Beru-
fungsgericht in keiner Hinsicht bindend. Bei der Revision hingegen
hat das höhere Gericht nur nachzuprüfen, ob nicht das Gesetz unrichtig
ausgelegt worden ist und ob nicht wesentliche Verfahrensvorschriften
verletzt worden sind; dagegen kann das Revisionsgericht keine neuen
Beweise erheben; vielmehr ist es an die Feststellungen des Unterge-
richts gebunden, d. h. es muß die Tatsachen, welche das erste Gericht
für erwiesen erachtet hat, seinem Urteile gleichfalls zugrunde legen."
Die Berufung wie die Revision muß jeweils binneu einer Woche
nach Verkündung des Urteils bei dem Gericht, dessen Urteil ange- 19
19 Die Revision dient vornehmlich dem Zweck, eine im ganzen Reiche
einheitliche Auslegung der Strafgesetze zu sichern; für den Angeklagten
ist dieses Rechtsmittel seiner Natur nach in den meisten Fällen wenig wirk-
sam. Die kommende Strafprozeßreform wird daher voraussichtlich auch
gegen die Strafkammerurteile die von der öffentlichen Meinung verlangte
Berufung bringen.
Wenn die Revision von einem Oberlandesgericht oder dem Obersten
Landesgericht verhandelt wird, können auch Mängel des Verfahrens, die bei
Erlassung des angefochtenen Urteils vorkommen, nicht gerügt werden.
Die Rechtsmittel und die Wiederaufnahme des Verfahrens 111
fochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers ein-
gelegt werden. Die Revision muß außerdem innerhalb bestimmter
Frist zu Protokoll des Gerichtsschreibers oder schriftlich durch einen
Rechtsanwalt begründet werden. Gegen eine Versäumung dieser
verschiedenen Fristen kann vom Gericht nur dann Nachsicht (soge-
nannte „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand") 317
erteilt werden, wenn die Versäumnis durch unabwendbare Zufälle
(z. B. schwere Krankheit) verursacht war.
Ist ein Urteil rechtskräftig geworden, so kann nur unter be- 318
stimmten Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Ver-
fahrens und erneute Verhandlung der Sache stattfinden, und zwar
insbesondere dann, wenn das Urteil sich aus eine Urkunde stützt, deren
Unechtheit sich nachträglich herausstellt, oder aus ein eidliches Zeugnis,
das sich nachträglich als vorsätzlich oder fahrlässig falsch abgegeben
erweist, oder wenn neue Tatsachen oder Beweismittel aufgefunden
werden, welche zugunsten des verurteilten Angeklagten sprechen,
oder endlich, wenn der freigesprochene Angeklagte nachträglich vor
Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis abgelegt
hat. Erfolgt im Wiederaufnahmeverfahren die Freisprechung des
vorher verurteilten Angeklagten und wird zugleich dargetan, daß er
unschuldig war oder daß wenigstens ein ernstlicher Verdacht gegen
ihn nicht mehr vorliegt, so erhält er für die etwa bereits verbüßte
Strafe auf Verlangen eine Entschädigung aus der Staatskasse. Das
Verfahren entspricht dem bei Nr. 301, Anm. 5, Abs. 2 dargestellten.
6. Die Strafvollstreckung.
Die Vollstreckung der rechtskräftig erkannten Strafen liegt der 319
Staatsanwaltschaft ob; nur der Vollzug der vom Schöffengericht er-
kannten Strafen ist in Bayern und den meisten anderen deutschen
Staaten dem Amtsrichter übertragen. Die Strafvollzugsbehörde
kann aus Antrag aus wichtigen Gründen Strafaufschub
bewilligen. Sie ist ferner befugt, gegen einen Verurteilten, der sich
auf Ladung nicht zum Strafvollzug stellt oder sluchtverdächtig ist,
einen Haftbefehl und im Falle der Flucht auch einen Steckbrief
(s. Nr. 301) zu erlassen.
Das Recht der B e g n a d i g u n g,^ d. h. die Befugnis, rechts-
kräftig erkannte Strafen gnadenweise zu erlassen, zu ermäßigen oder 20
20 A in n e st i e nennt man die gleichzeitige Begnadigung ganzer
Klassen von Verurteilten, wie sie z. B. bei Thronbesteigungen zuweilen aus-
gesprochen wird.
112
Das Strafverfahren
umzuwandeln, steht nur dem Landesherrn 21 zu. Todesstrafen dürfen
nur vollstreckt werden, nachdem eine Entschließung des Staatsober-
haupts ergangen ist, daß es von seinem Begnadigungsrecht keinen
Gebrauch machen wolle.
7. Besondere Verfahrensarten.
a. Strafbefehle, Strafverfügungen und Straf-
bescheide.
Z20 Bei Uebertretungen und bei einer Anzahl leichterer Vergehen
gestattet die Strafprozeßordnung, daß die Strafe (jedoch höchstens
eine Freiheitsstrafe von 6 Wochen oder eine Geldstrafe von 150 M.)
ohne vorherige mündliche Verhandlung auf Antrag der Staats-
anwaltschaft seitens des Amtsgerichts durch schriftlichen Strafbe-
fehl festgesetzt werde. Erhebt der Beschuldigte gegen den Strafbe-
fehl binnen einer Woche Einspruch, so kommt die Sache zur Verhand-
lung vor dem Schöffengericht, andernfalls wird der Strafbefehl voll-
streckbar.
Z2i Bei Zuwiderhandlungen gegen die. Bestimmungen der Steuer-
gesetze über die direkten Steuern find in Bayern die Rent-
ämter und bei Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der
Zollgefetze und der Steuergefetze über die indirekten Steuern d i e
Zollbehörden (Hauptzollämter, Nebenzollämter, Zollämter)
befugt, durch schriftlichen Strafbescheid die durch das Gesetz angedroh-
ten Strafen selbst (also ohne Eingreifen der Gerichte) festzusetzen.
Doch können sie nur auf Geldstrafen oder auf Einziehung erkennen.
Gegen diese Bescheide kann binnen einer Woche nach der Bekannt-
machung auf gerichtliche Entscheidung angetragen werden. Das Ge-
richt prüft dann im regelmäßigen Verfahren, ob die Strafe zu Recht
erkannt wurde oder nicht. Bei den Strafbescheiden wegen Verletzun-
gen der Gesetze über die direkten Steuern kann anstatt der Entschei-
dung des Gerichts auch die Entscheidung der höheren Steuerbehörde
angerufen werden.
322 In verschiedenen deutschen Staaten (nicht auch in Bayern) kön-
nen die Polizeibehörden durch schriftliche Strafverfügung in
einzelnen Angelegenheiten Strafen festsetzen, jedoch nur Haft bis zu
vierzehn Tagen, oder Geldstrafen, oder Einziehungen. Die Straf-
befugnis der Polizeibehörden besteht nur bei Uebertretungen; auch
21 Dem Kaiser steht das Begnadigungsrecht zu für die vom Reichs-
gericht in erster Instanz, insbesondere wegen Hoch- oder Landesverrats aus-
gesprochenen Strafen, sowie für die in Elfaß-Lothringen erfolgten Ver-
urteilungen.
Besondere Verfahrensarten
113
gegen deren Entscheidungen kann auf gerichtliche Entscheidung ange-
tragen werden?"
b. Die Privatklagen und die Nebenklagen.
Beleidigungen, Körperverletzungen und unlauterer Wettbewerb 32z
werden, soweit eine Bestrafung dieser Vergehen nur auf Antrag der
Verletzten zulässig ist, von der Staatsanwaltschaft im Wege der öffent-
lichen Klage nur dann verfolgt, wenn dies im öffentlichen Interesse
liegt. Das ist aber nur ausnahmsweise der Fall. In den übrigen
Fällen bleibt dem Verletzten überlassen, die Bestrafung des Täters
durch eine von ihm beim Amtsgericht zu erhebende Privatklage
herbeizuführen. Der Erhebung der Privatklage, welche auch zu Pro-
tokoll des Gerichtsfchreibers geschehen kann, hat jedoch in Beleidi-
gungsfachen ein Sühneversuch vor dem Bürgermeister oder einem
von ihm beauftragten Mitglied der Gemeindeverwaltung (in
Gemeinden mit städtischer Verfassung kann es auch ein höherer
Gemeindebeamter sein) vorherzugehen, vorausgesetzt, daß beide Par-
teien in der gleichen Gemeinde wohnen. Die erhobene Privatklage
wird zunächst dem Beschuldigten zur etwaigen Gegenerklärung mit-
geteilt. Alsdann beschließt das Amtsgericht über die Eröffnung des
Hauptversahrens und beraumt Verhandlungstermin vor dem
Schöffengerichte an. Das weitere Verfahren entspricht dem auf
erhobene öffentliche Klage. Die Staatsanwaltschaft wirkt in der
Regel nicht mit, an ihre Stelle tritt im allgemeinen der Privatkläger:
doch erhält sie von allen Terminen Nachricht und kann jederzeit, wenn
sie es für geboten hält, die Verfolgung selbst libernehmen. Bei wechsel-
seitigen Beleidigungen oder Körperverletzungen kann der Beschuldigte
Widerklage erheben. Die schließlich unterliegende Partei hat
die Kosten des Verfahrens einschließlich der häufig recht erheblichen
Kosten der etwa bestellten beiderseitigen Anwälte zu tragen.
Erhebt in den Fällen, in welchen eine Privatklage zulässig wäre, 324
der Staatsanwalt die öffentliche Klage, so kann der Verletzte sich dem
Verfahren als Nebenkläger anschließen, um zugleich mit
dem Staatsanwalt aus eine Verurteilung des Beschuldigten hin-
zuwirken. Das Recht, als Nebenkläger aufzutreten, steht dem Ver-
letzten auch in gewissen anderen Fällen, und zwar besonders dann zu,
wenn er nach dem Gesetze berechtigt ist, zu beantragen, daß der Be-
schuldigte in eine an ihn zu zahlende Buße verfällt werde. 22
22 Ein vereinfachtes Verfahren ist auch zugelassen zur Bestrafung
von Personen, die sich der Wehrpflicht entzogen haben
und deren Aufenthalt unbekannt ist oder die sich im Auslande aushalten.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 8
114
Das Strafverfahren
c. Das Forststrafverfahren.
325 Verletzungen des Eigentums an dem Walde, die sog. Forst -
frevel, und die Nichtbeachtung der hinsichtlich der Wälder beste-
henden polizeilichen Bestimmungen, die F 0 r st p 0 l i z e i Über-
tretungen, werden nicht nach den allgemeinen, sondern nach
besonderen Vorschriften^ bestraft und verfolgt, so hauptsächlich die
Wegnahme von Holz und anderen Forsterzeugnissen, die noch nicht
zum Verkauf oder zum Verbrauch hergerichtet sind, insbesondere von
stehendem grünen Holz, von Laub, Nadeln usw., das unbefugte
Weiden im Walde, die Unterlassung der erforderlichen Aufforstungen,
die Vornahme unerlaubter Rodungen. Derartige Entwendungen
werden deshalb auch nicht als Diebstahl behandelt. Diese Forstfrevel
und Forstpolizeiübertretungen (die sog. Forstrügesachen) werden auch
in einem besonderen, vereinfachten Verfahren zur Verhandlung und
Aburteilung gebracht. In diesem Verfahren werden keine Schöffen
zugezogen; es entscheidet der Amtsrichter allein. Tie Stelle des
Amtsanwalts wird durch den Forstmeister oder dessen Vertreter wahr-
genommen. In dem Verfahren wird in der Regel nicht bloß die
Strafe, sondern meistens zugleich die für den verursachten Schaden zu
leistende Entschädigung festgesetzt.
8. Das Militärstrafverfahren.
326 Bereits oben (Nr. 223) wurde erwähnt, daß die strafbaren Hand-
lungen der Militärpersonen teils nach dem allgemeinen Reichsstraf-
gesetzbuch, teils (soweit militärische Straftaten in Betracht kommen)
nach dem deutschen Militärstrafgesetzbuch geahndet werden. Die
Festsetzung und Vollstreckung der Strafen gegen Militärpersonen ist
für die Regel nicht Sache der bürgerlichen Gerichte, sondern der beson-
deren Militärgerichte.
327 Ueber die Uebertretungen und kleineren Vergehen entscheiden die
aus 3 Offizieren bestehenden Standgerichte. Die schwereren
Vergehen und die Verbrechen werden dagegen von den Kriegs-,
g e r i ch t e n abgeurteilt, welche auch über die Berufungen gegen die
Urteile der Standgerichte zu entscheiden haben. Sie sind mit einem
(juristisch gebildeten) Kriegsgerichtsrat und 4 Offizieren, in schwe-
reren Fällen mit 2 Kriegsgerichtsräten und 3 Offizieren besetzt.
Gegen ihre Urteile erster Instanz ist die Berufung zulässig an die
Ober kriegsge richte (den bürgerlichen Oberlandesgerichten
entsprechend), welche bei den Generalkommandos und beim Oberkom- 23
23 Diese Vorschriften sind durch besondere bayerische Gesetze getroffen,
für das rechtsrheinische Bayern durch das im Jahre 1896 nengefaßte Forst-
gesetz, für die Pfalz durch das im Jahre 1879 nengefaßte Forststrafgefetz.
Das Militärstrafverfahren
115
mando der Marine ihren Sitz haben und aus 2 Kriegsgerichtsräten
und 5 Offizieren bestehen. Ueber die Revisionen gegen ihre Urteile
entscheidet das (dem Reichsgericht entsprechende) Reichsmilitür- 328
gericht zu Berlin. Dieses Gericht urteilt in Senaten 24, welche
in der Regel mit 4 militärischen und 3 juristischen Mitgliedern besetzt
sind. Die ersteren werden jeweils nur auf zwei Jahre bestellt, wäh-
rend die juristischen Mitglieder auf Lebenszeit vom Kaiser ernannt
werden. An der Spitze des Gerichtshofs steht als Präsident ein vom
Kaiser ernannter General oder Admiral; ihm liegt die Leitung der
Geschäfte ob, auch untersteht ihm die als Anklagebehörde beim Ge-
richtshof fungierende M i l i t ä r a n w a l t s ch a f t; an der Recht-
sprechung selbst nimmt er jedoch nicht teil.
Eine wichtige Rolle spielt im Militärstrafverfahren der G e- 329
richtsherr, d. h. der militärische Befehlshaber, dem nach dern
Gesetze die sogenannte niedere oder die höhere Gerichtsbarkeit zusteht.
Gerichtsherr der niederen Gerichtsbarkeit, welche
nur die leichteren Fälle umfaßt und sich auf Offiziere nicht erstreckt, ist
in der Regel der Regimentskommandeur, Gerichtsherr der höhe-
ren Gerichtsbarkeit ist zumeist der kommandierende General
oder Admiral, der Divisionskommandeur oder der Festungskom-
mandant. Ergibt sich der Verdacht einer strafbaren Handlung, so
ordnet der Gerichtsherr ein Ermittelungsverfahren an und ernennt
als Untersuchungsführer einen Gerichtsoffizier oder (bei kriegsgericht-
lichen Sachen) einen Kriegsgerichtsrat; nötigenfalls erläßt er auch
gegen den Beschuldigten einen Haftbefehl. Ist die Untersuchung ab-
geschlossen, so setzt der Gerichtsherr entweder den Beschuldigten außer
Verfolgung, oder er verfügt die Anklage und beauftragt einen Ge-
richtsoffizier oder Kriegsgerichtsrat mit ihrer Vertretung vor dem
Militärgericht 25.
Das Verfahren in der Hauptverhandlung vor den Militärge- 33«
richten entspricht im allgemeinen dem Verfahren vor den bürgerlichen
Strafgerichten. Die Verhandlung ist öffentlich; doch kann die
Oeffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit, der Disziplin
oder der Sittlichkeit ausgeschlossen werden. Den Vorsitz führt der
rangälteste Offizier; die Leitung der Verhandlung (Vernehmung
des Angeklagten und der Zeugen usw.) dagegen steht dem dienst-
ältesten Kriegsgerichtsrat zu. Der Gerichtsherr selbst darf der Ver-
handlung nicht anwohnen.
JFür das bayerische Heer besteht beim Reichsmilitärgericht
ein besonderer Senat, dessen Mitglieder vom König von Bayern ernannt
werden.
'" Eine besondere Militäranwaltschaft als Anklagebehürde besteht nur
beim Reichsgericht.
8*
116
Das bürgerliche Recht
331 Die rechtskräftigen Urteile läßt der Gerichtsherr vollstrecken, so-
bald der hierfür zuständige militärische Befehlshaber (eventuell der
Kaiser) die B e st ä t i g u n g s o r d e r erteilt hat. Eine Aufhebung
oder Aenderung des Urteils darf hierbei nicht stattfinden, Wohl aber
kann bei Erteilung der Bestätigungsorder hinsichtlich der Strafvoll-
streckung eine Milderung angeordnet werden.
Im Kriege und an Bord von Schiffen der Auslandslotte greift
ein wesentlich vereinfachtes Militärstrasverfahren Platz.
4. Kapitel.
Acrs ßüx-cjerCicße Wecht.
Einleitung.
332 Unter dem bürgerlichen Recht oder dem P r i v a t r e ch t
versteht man, wie bereits früher (Nr. 34) gezeigt, den Inbegriff der
Rechtssätze, die Bestimmungen treffen darüber, welche Rechte den Pri-
vaten untereinander, sowie an beweglichen und unbeweglichen Gütern
zustehen können, und wie diese Rechte begründet, verändert, verloren
und vererbt werden.
Wie die Geltung verschiedener bürgerlicher Rechte innerhalb des-
selben Volkes aus allen Gebieten des Lebens trennend wirkt und
eine gemeinsame wirtschaftliche und sonstige Entwicklung hemmt \
so bildet andererseits ein einheitliches bürgerliches Recht ein starkes
Band für die Vereinigung der verschiedenen Stämme eines Volkes.
So ist denn auch unser einheitliches bürgerliches Recht ein für unsere
^ Wenn z. B. Personen aus zwei Gebieten, in denen verschiedene Privat-
rechte gelten, zueinander in geschäftliche Beziehungen treten, aus welchen
Streitigkeiten entstehen, so wird zunächst häufig zweifelhaft und streitig
sein, nach welchem der beiden Rechte zu entscheiden ist; noch mißlicher aber
ist, daß das schließlich maßgebende Recht mindestens der einen Partei in
solchen Fällen zumeist nicht bekannt war, so daß sie sich bei ihren Rechts-
geschäften nicht darnach richten konnte. Darunter aber muß selbstverständ-
lich die Sicherheit des Rechtsverkehrs in empfindlichster Weise leiden.
Der Wert unseres jetzigen einheitlichen bürgerlichen Rechts tritt klar
vor Augen, wenn man sich die Zerrissenheit des Rechts vergegenwärtigt,
welche früher in Deutschland herrschte. Wohl galt das Preußische Allge-
meine Landrecht in weitem Umfange; das römische Recht ferner, auf dessen
Lehren auch unser jetziges bürgerliches Recht überwiegend ausgebaut ist,
hatte für ungefähr ein Drittel aller Deutschen Geltung; insbesondere galt
es in einer Uinarbeitung, dem durch den Freiherrn von Kreittmayr bearbei-
teten Codex Maximilianeus Bavaricus civilis vom Jahre 1756 (auch
Einleitung
117
wirtschaftliche Entwicklung und politische Einheit überaus wertvolles,
zur Zeit der Zerrissenheit Deutschlands vergeblich erstrebtes Gut.
Das „Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche 333
R e i ch", an dessen Ausarbeitung jahrzehntelang gearbeitet wurde,
ist mit dem 1. Januar 1900 in Kraft getreten. Es enthält neben den
allgemeinen Lehren zunächst das Recht der Schuldverhält-
nisse, welches insbesondere von dem Abschluß, dem Inhalt und der
Wirkung der Vertrüge handelt. Das Sachenrecht ferner behan-
delt den Erwerb, Inhalt und Verlust der Rechte, welche jemanden an
beweglichen und unbeweglichen Gütern zustehen können. Das F a-
m i l i e n r e ch t regelt die Wirkungen, welche Ehe und Verwandt-
schaft in persönlicher und vermögensrechtlicher Hinsicht ausüben, so-
wie die Vormundschaft und Pflegschaft für Minderjährige und deren
bedürftige Volljährige. Das Erbrecht endlich bestimmt, auf wen,
auf welche Weise und in welchem Umfange die Vermögensrechte und
die Verbindlichkeiten Verstorbener übergehen.
Neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch (abgekürzt „BGB" genannt) 354
und seinem Einführungsgesetze enthalten aber noch eine Reihe ande-
rer Reichsgesetze zivilrechtliche Vorschriften, so z. B. die Gesetze über
das Urheberrecht an Erfindungen, an Werken der Literatur und
Kunst usw., ferner die Gesetze über die Beurkundung des Personen-
standes, über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, über die
Anfechtung von Rechtshandlungen usw. Von besonderer Bedeutung
sind ferner das Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich, welches für
den Handelsverkehr eine Anzahl besonderer zivilrechtlicher Normen
ausstellt, sowie die Deutsche Wechselordnung, welche den Verkehr mit
Wechseln regelt.
Endlich mußten wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in 335
verschiedenen Teilen des Reiches einzelne Gebiete des bürgerlichen
Rechts auch der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen bleiben,
so daß also auch in Landesgesetzen (z. B. in den Ausführungsgesetzen
zum BGB) Vorschriften des bürgerlichen Rechts enthalten sind. Von
der Reichsgesetzgebung abweichende Bestimmungen dürfen aber die
bayerisches Land recht genannt) in dem größten Teile der älteren
Gebietsteile Bayerns. In Sachsen war das sächsische Bürgerliche Gesetz-
buch, in den Rheinlanden usw. das französische Zivilrecht maßgebend, das
mit Zusätzen als Badisches Landrecht auch in Baden eingeführt war. Da-
neben gab es aber noch eine Unzahl anderer Partikularrechte; so zählte man
im Königreich Bayern 114 verschiedene, in Geltung befindliche Zivilrechte
auf. Nicht nur in derselben Gemeinde waren zuweilen verschiedene Rechte
in Geltung, sondern es kam sogar vor, daß in den verschiedenen Räumen
einer und derselben Wohnung verschiedenes Recht galt.
118
Das bürgerliche Recht
Landesgesetze nur insoweit treffen, als dies von der Reichsgesetzgebung
ausdrücklich zugelassen ist 2.
336 Wenn wir, wie dies oben geschah, von dem bürgerlichen Recht
sprechen, so verstehen wir unter dem Worte „Recht" eine Summe
von Nechtssatzen. Das Wort Recht wird aber nicht nur in diesem
objektiven, sondern auch in subjektivem Sinne ge-
braucht; dann bedeutet es die vom objektiven Recht (den Gesetzen)
anerkannte Befugnis einer Person, seinen Willen in gewisser Hinsicht
geltend zu machen. Ein solches subjektives Recht ist ein d i n g l i ch e s
oder ein persönliches Recht, je nachdem es in der Befugnis
besteht, über einen dinglichen (beweglichen oder unbeweglichen) Gegen-
stand zu verfügen oder von einer Person eine bestimmte Handlung
oder Unterlassung zu verlangen.
337 Den subjektiven Rechten der einzelnen entsprechen die Ver-
bindlichkeiten, und zwar steht jedem dinglichen Recht einer
Person gegenüber die Verbindlichkeit aller anderen, sich jeder dieses
Recht verletzenden Verfügung über die betreffende Sache zu enthalten,
während jedem persönlichen Recht einer Person lediglich die Verpflich-
tung der anderen Person entspricht, diesem Rechte entsprechend zu
handeln.
A. Allgemeine Lebwen des bürrgewlrchen Wechts.
i. Die Personen.
1. Die natürlichen Personen.
338 Die Rechtsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, Träger von Rech-
ten und Verbindlichkeiten zu sein, besitzt jeder Mensch in vollem Um-
" Es läßt sich nicht leugnen, daß infolge dieser weitgehenden Zulassung
der landesgesehlichcn Regelung gewisser Rechtsgebiete unsere deutsche Rcchts-
einhcit manche fühlbare Lücken aufweist. Dieser Zustand^hat zugleich die
unerfreuliche Folge, daß es selbst für Juristen in vielen Fällen schwer ist,
jich in dein bunten Nebeneinander von Reichs- und Landesgesetzen rasch
zurecht zu finden. Für Nichtjuristen ist das fast unmöglich. Aber auch ab-
gesehen von diesen Schwierigkeiten ist jedem Rechtsunkundigen der Versuch
zu widerraten, einen verwickelteren Rechtsfall lediglich an der Hand des
Textes des Bürgerlichen Gesetzbuchs beurteilen zu wollen. Zwar ist die
Sprache dieses Gesetzbuchs durchaus scharf, knapp und logisch und auch vott
Fremdwörtern ziemlich frei, aber (vielleicht gerade wegen ihrer .Knapp-
heit itnd Schärfe) nicht für jedermann leicht verständlich, und viele ihrer
Ausdrücke habeu eine ganz bestimmte, in einem anderen Teile des Gesetz-
buchs festgestellte,, keineswegs immer selbstverständliche Bedeutung. Dazu
kommt noch, daß die einzelnen Vorschriften des Gesetzbuchs zueinander in
zahlreichen Beziehungen stehen und einander gegenseitig ergänzen, so daß
die wirkliche Tragweite einer Vorschrift sehr häufig nur demjenigen erkenn-
bar ist, der das ganze Gesetzbuch beherrscht.
Allgemeine Lehren
119
fange von der Geburt an bis zu seinem Tode. Unser
heutiges Recht kennt also nicht nur keine Sklaven und Unfreien
mehr, sondern auch keine Friedlosen und Geächteten, denen der Staat
seinen Rechtsschutz entzöge.
a. Der P e r s o n e n st a n d.
Da Geburt und Tod der Menschen (wie auch die Verehelichung) 339
Tatsachen von großer rechtlicher Bedeutung sind, so sorgt der Staat
sür deren zuverlässige Feststellung. Diese wird bewirkt durch die Ein-
tragung in die S t a n d e s r e g i st e r , so genannt, weil sie dazu
dienen, durch Verzeichnung der Geburten, Eheschließungen und Todes-
fälle den jeweiligen Stand der Bevölkerung (den sog. Personen-
st a n d) festzustellen.
Die Standesregister werden bei den Gemeinden durch den staat- 34«
lich bestellten Standesbeamten (d. i. in der Regel der Bürger-
meister) geführt. Sie zerfallen in das Geburtsregister, das Heirats-
register und das Sterberegister. Zum Geburtsregister muß jede Ge-
burt binnen einer Woche, zum Sterberegister jeder Todesfall späte-
stens am nächstfolgenden Wochentage bei Strafvermeiden angemeldet
werden 3. Vor der Eintragung in das Sterberegister darf keine Be-
erdigung stattfinden. Die Heiraten trägt der Standesbeamte, vor
dem die Ehe abgeschlossen wird, in das Heiratsregister ein.
Die Standesregister sind öffentlich und jedermann kann sich auch 341
aus ihnen beglaubigte Auszüge, d. h. Geburts-, Heirats- und
Sterbescheine fertigen lassen 4. Diese Urkunden begründen den vollen
Beweis der ihnen bezeugten Tatsachen; es wird daher auch jeder,
welcher durch falsche Angaben eine unrichtige Eintragung in die
Standesregister veranlaßt, wegen Herbeiführung einer falschen Beur-
kundung gerichtlich bestraft. * *
* Zur Anmeldung der Geburten ist in erster Reihe der Vater,
sodann jede bei der Geburt zugegen gewesene Person, schließlich auch die
Mutter verpflichtet. Die Anmeldung der Sterbfälle hat durch
das Familienoberhaupt, in zweiter Linie durch denjenigen zu erfolgen, in
dessen Wohnung oder Haus sich der Tod ereignet hat. Am Rande des Ge-
burtsregistereintrags werden auch die nachträgliche Ehelichmachung und die
Anerkennung unehelicher Kinder, sowie die Annahme an Kindesstatt ein-
getragen. Ebenso wird im Heiratsregister am Rande eine rechtskräftig
ausgesprochene Ehescheidung oder Ehenichtigkeit vermerkt.
* Bei den Amtsgerichten werden beglaubigte Abschriften der Standes-
register, die sog. Standesnebcnregister, aufbewahrt. Dadurch ist
Vorsorge getroffen, daß nicht etwa, wie z. B. durch einen Brand, alle Beur-
kundungen zugrunde gehen.
Die Standesbeamten unterstehen in den Landesteilen rechts des
Rheins der Aufsicht der Distriktsverwaltungsbehördcn (bisweilen auch der
Kreisregierungen), in der Pfalz der Aussicht der Staatsanwälte.
120
Das bürgerliche Recht
Zur Aenderung eines Familiennamens oder eines
B ornamens ist die staatliche Genehmigung erforderlich. Diese
wird in Bayern bei Aenderung des Familiennamens durch den König,
bei Aenderung der Vornamens durch die Distriktspolizeibehörde
erteilt. Gesuche um Namensänderungen sind bei den letzteren einzu-
reichen. Als Aenderungen des Familiennamens gelten auch Aende-
rungen der Schreibweise und die Beifügung eines weiteren Namens
oder sonstiger Zusätze.
b. D i e Todeserklärung Verschollener.
Nicht selten kommt es vor, daß Personen verschollen sind, d. h.
daß man weder weiß, wo sie sich aushalten, noch ob und wann sie ge-
storben sind. Besonders häufig ist dies bei Ausgewanderten. Obwohl
bei längerer Dauer einer solchen Verschollenheit die Wahr-
scheinlichkeit des Todes des Verschollenen immer größer wird, so kön-
nen doch seine Erben sich nicht in den Besitz und Genuß seines zurück-
gelassenen Vermögens setzen, und ebensowenig darf selbstverständlich,
solange der Tod nicht festgestellt ist, der etwa Hinterbliebene Ehegatte
eine neue Ehe eingehen. Um diese Ungewißheit zu beseiti-
gen , können die Beteiligten beim Amtsgericht die förmliche
Todeserklärung des Verschollenen beantragen, nachdem zuvor
in dem eingeleiteten Aufgebotsversahren (hierüber s. Nr.
626) der Verschollene und alle, die über sein Leben oder seinen Tod
Auskunft zu erteilen vermögen, vergeblich öffentlich aufgefordert wor-
den sind, sich zu melden. Eine solche Todeserklärung darf aber erst
ausgesprochen werden, nachdem die Verschollenheit längere Zeit (in
der Regel 10 Jahre) gedauert hat. Diese Frist ist vom Gesetze jedoch
länger bemessen bei noch jugendlichen Personen, kürzer bei schon be-
jahrten Verschollenen. Besonders kurze Fristen gelten ferner für die
Fälle, in welchen anzunehmen ist, daß der Verschollene bei einem be-
stimmten Ereignisse (z. B. im Kriege, bei einem Schisfsuntergange,
bei einem Brande oder einem sonstigen Unfälle) den Tod gesunden
hat (sog. Kriegsverschollenheit, Seeverschollenheit und Unfallverschol-
lenheit).
c. Die Minderjährigen und Entmündigten.
Von der Rechtsfähigkeit ist wohl zu unterscheiden die Ge-
schäftsfähigkeit oder Handlungsfähigkeit. Wäh-
rend nämlich, wie wir sahen, die Rechtsfähigkeit jedermann, selbst dem
erst geborenen Kinde und dem geistig völlig Umnachteten, innewohnt,
ist keineswegs jede Person auch geschäftsfähig oder hand-
lungsfähig, d. h. imstande, selbst wirksam Rechtshandlungen
vorzunehmen, insbesondere durch Verträge Rechte zu erwerben oder
Verpflichtungen einzugehen.
Allgemeine Lehren
121
Die volle Geschäftsfähigkeit wird erst mit dem Alter der V o l l - 344
jährigkeit erreicht, d. h. mit Vollendung des 21. Lebensjahres.
Ausnahmsweise können jedoch Minderjährige, welche das 18. Jahr
vollendet haben, mit ihrer Einwilligung durch das Justizministerium,
in anderen Staaten durch das Vormundschaftsgericht für voll-
jährig erklärt werden, wenn hierdurch das Beste des Minder-
jährigen befördert wird. Dadurch erlangen sie in jeder Beziehung
die rechtliche Stellung eines Volljährigen?
Kinder unter sieben Jahren sind völlig geschäfts- 343
unfähig. An ihrer Stelle muß daher bei Rechtsgeschäften stets ihr
sog. gesetzlicher Vertreter handeln, d. i. der Vater oder bei dessen Tod
oder Verhinderung, so lang sie nicht wieder verheiratet ist, die
Mutter; bei elternlosen Kindern, bei Kindern, deren Mutter sich
wieder verheiratet hat, und bei unehelichen Kindern der Vormund.
Die über sieben Jahre alten Minderjährigen 346
sind nicht schlechthin geschäftsunfähig, sondern nur in der Geschäfts-
fähigkeit beschränkt. Ihre Rechtsgeschäfte sind zwar im allge-
meinen nur wirksam, wenn ihr gesetzlicher Vertreter (Vater, Mutter,
Vormund) dazu entweder seine Einwilligung oder nachträglich seine
Genehmigung erteilt hat. Diese Regel erleidet jedoch verschiedene
Ausnahmen. So kann ein solcher Minderjähriger, dem sein gesetzlicher
Vertreter gestattet, in einen Dienst oder eine Arbeit zu treten,
den Dienst- oder Arbeitsvertrag selbständig schließen und aufheben.
Betreibt ferner ein Minderjähriger mit Ermächtigung seines gesetz-
lichen Vertreters selbständig ein Erwerbsgeschäft, z. B. ein Laden-
geschäft, fo kann er alle Rechtsgeschäfte, die dieser Geschäftsbetrieb mit
sich bringt, selbständig abschließen?
Entmündigt kann durch Beschluß des Amtsgerichts 347
werden:
1. wer infolge von Geisteskrankheit oder von G e i st e s -
schwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag;
2. wer durch Verschwendung sich oder seine Familie der
Gefahr des Notstandes aussetzt;
3. wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht
zu besorgen vermag oder sich oder seine Familie der Gefahr des Not-
standes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet. 5
5 Eine minderjährige Frau wird auch durch ihre Verheiratung noch
nicht volljährig, ihre Rechtsgeschäfte bedürfen daher auch nachher noch der
Zustimmung ihres Vaters bzw. der Mutter oder des Vormundes.
ft In Rechtsstreitigkeiten, welche ans Verträgen entstehen, die ein Min-
derjähriger selbständig abschließen durfte, kann dieser auch selbst vor Gericht
seine Rechte wahrnehmen. Siehe Nr. 583 Anm.
122
Das bürgerliche Recht
Z4« Ein wegen Geisteskrankheit Entmündigter ist völlig geschäfts-
unfähig/ während die wegen Geistesschwäche Verschwendung oder
Trunksucht Entmündigten nur in der Geschäftsfähigkeit beschränkt
sind, und zwar in dem gleichen Umfange, wie die über sieben Jahre
alten Minderjährigen.
Die vom Gericht ausgesprochene Entmündigung wird wieder auf-
gehoben, sobald der Grund der Entmündigung weggefallen ist?
2. Die juristischen Personen.
349 Die Fähigkeit, Träger von Rechten und Verpflichtungen zu sein,
wird von der Rechtsordnung nicht allein den natürlichen Personen,
sondern auch gewissen Personenvereinigungen und Vermögensmassen
zuerkannt, welche zur Förderung bestimmter Zwecke gegründet sind.
Man nennt diese mit Rechtsfähigkeit begabten Vereinigungen und
Vermögensmassen j u r i st i s ch e Personen, weil ihre Aner-
kennung als Personen lediglich auf dem objektiven Rechte beruht.
Man unterscheidet:
350 a. Die juristischen Personen d e s P r i v a t r e ch t s.
Dazu gehörew zunächst die handelsrechtlichen Per-
son e n v e r e i n i g u n g e n , welche kraft Gesetzes die juristische
Persönlichkeit besitzen, wie die Aktiengesellschaften, die Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften, die Gesellschaften mit beschränkter Haf-
tung usw.; ferner die Vereinigungen, denen durch besonderen Akt
der Regierung die Rechte einer juristischen Person verliehen worden
sind. Vereine erhalten die juristische Persönlichkeit durch Eintra-
gung in das beim Amtsgericht geführte Vereins regt st er; doch
sind eintragssähig nur solche Vereine, deren Zweck nicht auf einen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, also z. B. Gesangvereine,
Turnvereine, studentische Korporationen, Alpenvereine, Flottenver-
eine u. dgl. Ist ein solcher Verein in das Vereinsregister einge-
' Die Verträge, welche von einem wegen Geisteskrankheit Entmün-
digten abgeschlossen wurden, sowie überhaupt alle Rechtsgeschäfte solcher
Personen sind daher nichtig. Das gleiche ist übrigens auch der Fall be-
züglich der dauernd völlig geisteskranken, aber nicht entmündigten Per-
sonen; nur muß in diesen Fällen derjenige, welcher die Nichtigkeit eines
von einer solchen Person vorgenommenen Rechtsgeschäfts (z. B. die Nichtig-
keit eines von ihr gefertigten Testaments) behauptet, das Vorhandensein
dieser Geistesstörung beweisen. Ebenso liegt demjenigen, welcher behauptet,
eine Willenserklärung einer Person sei nichtig, weil diese sich bei ihrer
Abgabe in einem Zustande vorübergehender Störung der Geistestätigkeit
oder in Bewußtlosigkeit (z. B. im Fieberdelirium oder in sinnloser Be-
trunkenheit) befunden habe, der Beweis eines solchen Zustandes ob.
* Wegen des gerichtlichen Verfahrens zur Herbeiführung
oder Wiederaushcbnng einer Entmündigung s. Nr. 622.
Allgemeine Lehren
123
tragen, so steht sein Vermögen nicht mehr in: gemeinsamen Eigentun:
der Mitglieder, sondern in dem des Vereins als eines besonderen
Rechtssubjektes. Ein nicht in das Vereinsregister eingetragener und
daher nicht rechtssähiger Verein kann zwar als solcher verklagt
werden, aber nicht selbst klagen.
b. D i e juristischen Personen des öffentlichen Z5
Rechtes, d. h. die zur staatlichen oder kirchlichen Organifation ge-
hörenden Korporationen, z. B. die Gemeinden, Kirchengemeinden
usw., insbefondere aber die Staatskasse selbst, welche Fiskus oder
Aerar genannt wird. Insoweit diese Korporationen nicht
lediglich ihre öffentlich-rechtlichen Aufgaben erfüllen, sondern Ge-
schäfte betreiben, ähnlich w'e Privatpersonen, können sie wie oiese vor
den bürgerlichen Gerichten klagen und verklagt werden?
c. D i e S t i f t u n g en , ö. h. die einem bestimmten Zwecke ge- zz
widmeten Vermögensmassen. Sie b"dürfen, um Rechtspersönlichkeit
zu erlangen, der staatlichen Genehmigung?" ^er gftecf einer
Stiftung nicht mehr erfüllbar oder gefährdet er das Gemeinwohl, so
kann die Stiftung von Staats wegen aufgehoben oder einem anderen,
insbefondere einem ähnlichen Zwecke zugewendet werden.
ii Die Rechtsgeschäfte.
1. Begriff.
Rechte und Verbindlichkeiten können entstehen, sich ändern oder 55
untergehen entweder durch Begebenheiten, die außerhalb des mensch-
lichen Willens liegen (z. B. durch Geburt oder Tod ") oder durch
Handlungen der Menschen. Diese Handlungen wiederum können einen
rechtlichen Erfolg herbeiführen, ohne daß der Wille des Handelnden
darauf gerichtet war (z. B. hat die vorsätzliche und rechtswidrige Be-
schädigung einer fremden Sache oder eine andere unerlaubte Hand- * 10
° So z. B. der Fiskus aus dem Eisenbahnbetrieb oder dem Betrieb
von Salinen oder eine Gemeinde aus dem Betrieb eines Gas- oder Elek-
trizitätswerks, einer Straßenbahn u. dgl.
10 Schenkungen oder Zuwendungen von Todes wegen
an geistliche Gesellschaften bedürfen in Bayern zu ihrer Wirk-
samkeit der Genehmigung des Königs, wenn sie Gegenstände von mehr als
10 000 M. betreffen. Zum Erwerb von Gegenständen des unbeweglichen
Vermögens bedürfen geistliche Gesellschaften, vorausgesetzt, daß deren Wert
10 000 M. übersteigt, auch dann der Genehmigung des Königs, wenn ein
anderer Rechtsgrund als Schenkung oder Erwerb von Todes wegen, z. B.
Kauf, vorliegt.
" So entstehen z. B. mit der Geburt die Unterhaltspflichten der Eltern
gegenüber dem Kinde, mit dem Tode die Rechte der Erben an dem Nachlasse.
124
Das bürgerliche Recht
lung sehr gegen den Willen des Täters dessen Schadensersatzpflicht
zur Folge), oder sie bestehen in Willenserklärungen, die gerade zum
Zweck der Herbeiführung einer bestimmten Rechtswirkung abgegeben
werden. Diese letzteren Handlungen nennt man Rechtsge-
schäfte.
354 Die Rechtsgeschäfte wiederum sind einseitige, wenn
sie in der Willenserklärung nur einer Person bestehen, was z. B. bei
der Kündigung eines Mietvertrags oder eines Darlehens, bei der An-
nahme einer Erbschaft und bei der Errichtung eines Testaments der
Fall ist. Rechtsgeschäfte, welche in der übereinstimmenden, gegen-
seitigen Willenserklärung zweier (oder mehrerer) Personen bestehen,
heißen zweiseitige Rechtsgeschäfte oder Verträge.
2. Die Willenserklärungen und die Willensmängel.
355 Jedes Rechtsgefchäst ist, wie bereits gesagt, eine Willenserklä-
rung; es setzt daher voraus, daß ein auf die Hervorbringung eines
rechtlichen Erfolges gerichteter Wille einer oder mehrerer Personen
vorhanden ist, und daß dieser innere Wille durch eine Erklärung
äußerlich in Erscheinung tritt.
356 Die Erklärung des W i l l e n s ist in der Regel an keine
bestimmte Form gebunden; sie kann nicht nur ausdrücklich
(mündlich oder schriftlich), sondern auch stillschweigend durch
ein Verhalten erfolgen, das den Umständen nach mit Sicherheit auf
einen bestimmten Willen schließen läfet.12 Nur ausnahmsweise sind
für gewisse Rechtsgeschäfte bestimmte Formen vorgeschrieben; z. B.
können, wie wir später noch sehen werden, Bürgschaften nur schriftlich
wirksam übernommen, Eheverträge, Schenkungsverträge und Grund-
stücksverkäufe nur gerichtlich oder notariell abgeschlossen werden.
357 Aus der äußeren Erklärung wird auf den wirklichen inneren
Willen geschlossen. Bei der Auslegung der Erklärungen
ist daher nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften,
sondern es ist der wirkliche Wille zu erforschen; Verträge insbeson-
dere sind (sagt das Gesetz) „so auszulegen, wie Treu und Glauben mit
Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern".
558 Nicht selten kommt aber auch der Fall vor, daß der wirkliche
Wille mit der abgegebenen Erklärung nicht übereinstimmt. Was gilt
alsdann? Man muß hier unterscheiden:
12 Z. B. erkläre ich stillschweigend, indem ich eine elektrische Straßen-
bahn besteige, daß ich bereit bin, für meine Beförderung den allgemein
festgesetzten Fahrpreis zu zahlen und mich den sonstigen bekannten Beförde-
rungsbedingungen zu unterwerfen.
Allgemeine Lehren
125
a. Haben mehrere Personen einen Vertrag in beiderseitigem Ein-
verständnis nur zum Schein abgeschlossen, indem sie das Erklärte
in Wirklichkeit gar nicht wollten (was meistens in der Absicht geschieht,
dritte Personen zu täuschen), so bringt der Vertrag keinerlei Rechts-
wirkung hervor; er ist nichtig."
b. Eine Willenserklärung, die nur i m S ch e r z abgegeben wurde
und in der Meinung, der andere werde den Scherz als solchen er-
kennen, ist gleichsalls nichtig (z. B. das scherzhafte Angebot eines über-
trieben hohen Preises für eine Sache von geringem Wert).
c. Ein geheimer Vorbehalt (sog. Mentalreservation) 359
macht eine Willenserklärung selbstverständlich nicht nichtig, da sonst
niemand sich auf die Erklärungen eines anderen verlassen könnte.
Beispielsweise kann jemand, der seinem Schuldner erklärt hat, er er-
lasse ihm die Schuld, nicht behaupten, er habe nicht wirklich verzichten,
sondern nur verhüten wollen, daß der Schuldner seine pfändbaren
Fahrnisse beiseite schaffe.
d. Am häufigsten beruht die Nichtübereinstimmung einer Erklä- züo
rung mit dem Willen aus einem Irrtum. Ein solcher Irrtum
macht das Rechtsgeschäft anfechtbar dann, wenn der Betreffende irr-
tümlich (z. B. infolge eines Sprech- oder Schreibverfehens oder eines
Mißverstehens) etwas anderes erklärte, als er wollte," oder wenn
er (z. B. weil er ein Wort in falscher Bedeutung gebrauchte) sich über
den Inhalt seiner Erklärung eine falsche Vorstellung machte," oder-
endlich, wenn er sich im Irrtum befand über erhebliche Eigenschaften
der Person oder der Sache." 13 * * * * 18
13 Dieser Fall liegt z. B. vor, wenn ein von seinem Gläubiger mit
Pfändung bedrohter Schuldner seine pfändbaren Fahrnisse an einen Ver-
ivandten mit schriftlichem (häufig auch notariell beurkundetem) Vertrag zum
Schein abtritt, angeblich zur Bezahlung einer in Wirklichkeit erdichteten
Schuld. Dieser Schein vertrag begründet keinen Eigentumsübergang
und hindert die Gläubiger nicht, die angeblich verkauften Fahrnisse bei ihrem
Schuldner pfänden zu lassen oder von dem Dritten die Herausgabe zu ver-
langen.
" Ein solcher Irrtum ist z. B. gegeben, wenn jemand infolge eines
Schreibfehlers Kohlen zum Preise von 0,50 anstatt von 1,50 M. für den
Zentner zum Kaufe anbietet. Ebenso wird ferner beurteilt der Fall, daß
eine Willenserklärung durch eine mit der Uebermittelung beauftragte Per-
son (z. B. durch einen Boten oder durch die Telegraphenanstalt) unrichtig
übermittelt worden ist; denn das Versehen des Uebermittlers wird so be-
trachtet, als sei es ein Versehen des Auftraggebers selbst.
^ In einer falschen Vorstellung über den Inhalt seiner Erklärung be-
findet sich z. B. jemand, der eine Sache für 100 Pfund Sterling zu kaufen
erklärt, in der Meinung, ein Pfund gelte nicht 20, sondern nur 10 M.
18 Ein Irrtuni über wesentliche Eigenschaften der
Person oder Sache ist z. B. vorhanden, wenn jemand einen Vertrag
12G
Das bürgerliche Recht
z6l In allen diesen Fällen kann aber eine Willenserklärung wegen
Irrtums nur angefochten werden, wenn der Irrtum ein wesentlicher
ist, d. h. wenn anzunehmen ist, daß der Erklärende die Erklärung bei
Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles
nicht abgegeben haben würdet
Die Anfechtung muß dem anderen Teile gegenüber u n v e r-
z ü g l i ch erklärt werden, nachdem der Irrende Kenntnis von seinem
Irrtum erhalteu hat. Ist sie begründet, so gilt das Rechtsgeschäft als
nicht geschlossen, es ist nichtig, aber der Anfechtende muß der gut-
gläubigen Gegenpartei den Schaden ersetzen, den diese dadurch
erlitten, daß sie auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat.
362 e. Ist endlich jemand zu einer Willenserklärung (insbesondere
zum Abschluß eines Vertrags) durch arglistige Täuschung
oder durch D r 0 h u u g veranlaßt worden, so kann er seine Erklärung
innerhalb Jahresfrist seit Entdeckung der Täuschung oder Beendigung
der Zwangslage anfechten.
3. Abschluß und Inhalt der Rechtsgeschäfte.
363 Die zum Abschluß eines Vertrags erforderliche Willenseinigung
mehrerer Personen kommt dadurch zustande, daß der Vertragsantrag
der einen Person durch die Gegenpartei angenommen wird. Die An-
nahme muß ohne Verzögerung erfolgen, sonst ist der Antragende an
seinen Antrag nicht länger gebunden. Eine von dem Antrag ab-
weichende Annahme gilt als Ablehnung, verbunden mit einem neuen
Antrag.^
364 Bei Abschluß eines Rechtsgeschäftes kann sich jede Partei von
einer anderen Person vertreten lassen, indem sie ihr Vertre-
tungsvollmacht erteilt. Der Vertreter muß, wenn er
mit einem anderen abschließt, den er irrtümlich für dessen ihm sehr ähnlichen
Zwillingsbruder hält, oder wenn er eine bloße Kopie für ein Original-
gemälde eines bekannten Meisters kauft. Im übrigen begründet sonst ein
sog. Irrtum im Beweggrund grundsätzlich keine Anfechtung. Z. B.
kann ein Bauunternehmer, der 100 000 Stück Backsteine bestellte, weil er
irrtümlich seinen Bedarf für einen Neubau so hoch berechnete, diese Bestel-
lung nicht wegen Irrtums anfechten.
17 Wenn z. B. jemand bei Bestellung seines Winterbedarfs an Kohlen
versehentlich 55 Zentner anstatt 50 Zentner schrieb, so kann er wegen eines
solchen unwesentlichen Irrtums die Bestellung nicht anfechten.
18 Biete ich z. B. dem B. schriftlich mein Haus zum Kauf an für 30 000
Mark bei jährlicher Abzahlung von 5000 M. und antwortet B., er nehme das
Angebot an, wolle aber jährlich nur 3000 M. abzahlen, so liegt hier in
Wirklichkeit keine Annahme, sondern eine Ablehnung meines Angebots vor
und zugleich ein Gegenangebot des B. dahin, ich solle ihm das Haus für
30 000 M. bei jährlichen Abzahlungen von 3000 M. verkaufen.
Allgemeine Lehren
127
für den Vertretenen handelt, dies in einer für die Gegenpartei erkenn-
baren Weife hervortreten lassen, sonst gilt das Rechtsgeschäft als im
eigenen Namen abgeschlossen. Erklärt er aber, daß er als Ver-
treter handle, so wird aus dem Rechtsgeschäft nicht er, sondern nur
sein Vollmachtgeber berechtigt und verpflichtet.
Eine rechtsgeschästliche Willenserklärung, insbesondere ein Ver- 365
trag, enthält häufig auch die ausdrückliche oder stillschweigende Be-
stimmung, daß die Wirkung des Rechtsgeschäfts von dein Eintritt
eines künftigen, ungewissen Ereignisses, d. h. von einer Bedin-
gung abhängig sein solle. Soll die Wirkung des Rechtsgeschäfts
aufgeschoben bleiben bis zum Eintritt des ungewissen Ereignisses, so
spricht man von einer aufschiebenden Bedingung; soll da-
gegen die rechtsgeschäftliche Wirkung einstweilen eintreten, aber
wieder aufgelöst werden, sobald das Ereignis stattfindet, so liegt
eine auflösende Bedingung vor.^
Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten z66
verstößt, ist nichtig; so z. B. ein Vertrag, durch welchen der eine Teil
von dem anderen wucherisch ausgebeutet wird. Nichtig sind auch
Rechtsgeschäfte, welche gegen ein gesetzliches Verbot
(z. B. gegen das Verbot des Nehmens von Zinseszinsen) verstoßen.
Aus dem Versprechen eines Lohnes für Ehevermittelung, einem
Spiel oder aus einer Wette entstehen ferner keine klagbaren
Verbindlichkeiten.
Nicht selten kommt endlich der Fall vor, daß ein von seinen Gläu- 367
bigern bedrängter Schuldner diesen den Zugriff aus sein Vermögen
unmöglich zu machen sucht, indem er durch Verträge mit Personen, die
seine Absicht kennen, sich seiner zugreisbaren Vermögensstücke ent-
äußert. Solche Verträge können unter den in einem besonderen
Reichsgesetze genau bestimmten Voraussetzungen von jedem Gläu-
biger, dessen Forderung vollstreckbar ist, durch eine gegen den Dritten
zu erhebende Klage angefochten werden. Die Anfechtung hat die
Wirkung, daß die infolge der angefochtenen Rechtshandlung weg-
gegebenen Vermögensstücke in das Vermögen des Schuldners zum
Zweck der Befriedigung des anfechtenden Gläubigers zurückgewährt
werden müssen. 19
19 Ein Wirt kann z. B. ein Haus kaufen unter der aufschiebenden
Bedingung, daß der Kauf nur in Wirksamkeit treten solle, wenn ihm
für das Anwesen die behördliche Wirtschastserlaubnis erteilt werde. Er
kann den Vertrag aber auch z. B. unter der auflösenden Bedin-
gung schließen, daß der Verkauf nachträglich wieder aufgehoben werden
solle, falls sich zeige, daß der geplante neue Bahnhof nicht in unmittelbarer
Nähe errichtet werde.
128
Das bürgerliche Recht
ui. Die Ausübung und Verjährung der Rechte.
z68 1. Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur
zur Schikane geschieht, d. h. nur den Zweck haben kann, einem
anderen Schaden zuzufügen. So darf z. B. niemand auf der Grenze
seines Grundstücks eine hohe Mauer nur zu dem Zweck errichten, dem
verhaßten Nachbarn Luft und Licht abzuschneiden.
369 2. Sofern unsere Rechte oder Ansprüche von anderen nicht beachtet
oder verletzt werden, müssen wir im allgemeinen die Hilfe des Ge-
richts anrufen (s. Nr. 564); doch ist die S e l b st h i l f e in gewissem
Umfange dann erlaubt, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu
erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, daß
die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert
werde. Als eine solche erlaubte Selbsthilfe ist es z. B. unter Um-
ständen zu betrachten, wenn ein Jagdberechtigter einen auf seinem
Gebiet öfter jagenden, ihm unbekannten Hund erschießt.
370 3. Wird ein Anspruch, der jemanden gegen einen anderen zusteht,
nicht geltend gemacht, so tritt nach Ablauf eines gewissen Zeitraumes
die Verjährung des Anspruchs ein. Die gerichtliche Geltend-
machung des Anspruchs ist alsdann ausgeschlossen, jedoch nur, wenn
der Gegner sich auf die Verjährung beruft, von Amts wegen darf also
das Gericht die Verjährung nicht berücksichtigen.
371 Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt 3 0 Jahre;
doch gelten für eine Reihe von Ansprüchen aus den Geschäften des
täglichen Lebens, über welche häufig keine Aufzeichnungen gemacht
werden, kürzere Verjährungsfristen, durch deren Einführung zugleich
dem volkswirtschaftlich nachteiligen und den Geschäftsbetrieb der
Kaufleute erschwerenden Borgsystem entgegengetreten werden sollte.
So verjähren in 2 I a h r e n z. B. die Forderungen der Kaufleute,
Fabrikanten und Handwerker für Lieferung von Waren und Arbeiten,
vorausgesetzt, daß die Lieferung nicht für den Gewerbebetrieb des
Schuldners erfolgt ist; denn in letzterem Fall tritt die Verjährung
erst in 4 Jahren ein. In 2 Jahren verjähren ferner die Forderungen
der Dienstboten, Handlungsgehilfen u. dgl. für Lohn usw., ferner die
Forderungen der Lehrer, Aerzte und Rechtsanwälte an Honorar usw.
In 4 Jahren verjähren die Ansprüche aus Rückstände von wieder-
kehrenden Leistungen, wie Kapitalzinsen, Amortisationsquoten, Miet-
und Pachtzinsen u. dgl.
372 Die V e r j ä h r u n g s f r i st beginnt zu laufen mit dem
Augenblick, in welchem der Anspruch entstanden ist; der Laus der oben
erwähnten kurzen Verjährungsfristen beginnt jedoch erst mit dem
Von den Schuldverhältnissen
129
Schlüsse des Jahres, in welchem der Anspruch zur Entstehung ge-
langt ist.20
Der Lauf der Verjährung wird dadurch unter-
brochen, daß der Schuldner den Anspruch ausdrücklich oder durch
Abschlagszahlung, Zinszahlung oder auf andere Weise anerkennt
oder daß der Gläubiger gerichtliche Schritte gegen den Schuldner ein-
leitet, was namentlich durch Klagerhebung, Zustellung eines Zah-
lungsbefehls oder durch Anmeldung der Forderung im Konkurse des
Schuldners geschehen kann. Wurde so der Lauf der Verjährungsfrist
unterbrochen, so tritt die Verjährung erst ein, nachdem feit der Unter-
brechung nochmals die ganze Verjährungsfrist abgelaufen ist.
In manchen Fällen wird auch der L a u f d e r V e r j ä h r u n g s- 373
frist nicht unterbrochen, sondern nur während einer gewissen Zeit
gehemmt, so daß diese Zeit in die Verjährungsfrist nicht ein-
gerechnet wird; das ist z. B. der Fall während der Zeit, für welche
der Gläubiger dem Schuldner Stundung erteilt hat, oder bei An-
sprüchen zwischen dem Vormund und seinem Mündel während der
Dauer der Vormundschaft.
Mit der Verjährung (d. h. dem Verlust der Ansprüche durch Zeit- 374
ablauf) ist verwandt die Ersitzung, d. h. die Erwerbung von
dinglichen Rechten durch lange dauernden Besitz (s. Nr. 430 u. 443).
B. Won den Scbntdnevbcil'tnissen.
i. Gemeinsames.
1. Begriff und Inhalt der Schuldverhältnisse.
Wenn jemand berechtigt ist, von einem anderen eine Leistung 375
zu fordern, so besteht zwischen beiden Personen ein Schuldver-
h ä l t n i s. Der Berechtigte heißt Gläubiger, der Verpflichtete
Schuldner. Das Recht des Gläubigers ist ein persönliches, d. h. ein
gegen eine bestimmte Person gerichtetes Recht, im Gegensatz zu den
dinglichen Rechten, welche in der unmittelbaren Herrschaft über eine
Sache bestehen (vgl. Nr. 336).
Schuldverhältnisse entstehen entweder durch Rechts- 376
geschäfte, insbesondere durch Verträge (s. Nr. 353 u. ff.) oder kraft
Gesetzes? * *
Es verjährt also z. B. der Anspruch eines Weinhändlers aus Zahlung
des Kaufpreises für ein im August 1907 in den Haushalt des Käufers ge-
liefertes Faß Wein erst mit Schluß des Jahres 1906.
* So begründet z. B. die Einbringung des Gepäckes eines Reisenden in
ein Gasthaus krast Gesetzes die Verpflichtung des Gastwirts, für Verlust
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 9
130
Das bürgerliche Recht
377 Die Leistung, zu welcher der Schuldner kraft eines Schuld-
verhältnisses verpflichtet ist, kann sowohl in einer Handlung be-
stehen (z. B. in der Hingabe einer Sache oder in der Leistung von
Diensten), als in einer U n t e r l a s s u n g (z. B. in dem Unterlassen,
in einem gewissen Bezirk ein Konkurrenzgeschäft zu betreiben). Be-
steht die Leistung in der Hingabe einer Sache, so kann diese Sache
entweder von vornherein im Stück oder nur der Gattilng nach be-
stimmt sein. Die wichtigste solche G a t t u n g s s ch u l d ist die
Geldschuld.
378 Ein Schuldverhältnis zwischen zwei Personen kann auch ein
gegenseitiges sein; alsdann ist jeder Vertragsteil sowohl Gläubiger
als Schuldner. Solche gegenseitige Schuldverhältnisse
entspringen insbesondere aus gegenseitigen Verträgen,
d. h. aus Verträgen, die aus den Austausch zweier Leistungen gerichtet
sind, wie Kauf, Tausch, Miete, Dienstvertrag u. dgl. Beispielsweise
schuldet beim Kauf der Verkäufer dem Käufer die verkaufte Sache, der
Käufer dagegen dem Verkäufer den Kaufpreis. In diesen Fällen
stehen die beiden Schuldverhältnisse stets in engster Abhängigkeit von-
einander, weil jeder Teil seine Leistungsverpslichtung nur um der
Gegenleistung willen übernommen hat.
179 Ein Schuldverhältnis ist ferner auch in der Weise möglich, daß
nicht nur einer, sondern mehrere Schuldner vorhanden sind. Alsdann
sind diese entweder Teilschuldner (d. h. jeder hat nur seinen Anteil zu
leisten) oder sie sind Gesamtschuldner. In diesem letzteren
Falle ist jeder der mehreren Schuldner verpflichtet, das Ganze zu
leisten; ist aber die Leistung einmal bewirkt, so ist selbstverständlich
damit auch die Verpflichtung der übrigen Gesamtschuldner erloschen,
Z8o da die Leistung nur einmal gefordert werden darf. Wie mehrere
Schuldner als Gesamtschuldner hasten können, so ist zuweilen auch
jeder von mehreren Gläubigern berechtigt, als G e s a m t g l ä u b i -
g e r das Ganze vom Schuldner zu fordern. Während aber die Ge-
samtgläubigerschast seltener vorkommt, ist die Gesamtschuldnerschaft
sehr häufig. Insbesondere haften alle Personen, die in einem Ver-
trag gemeinsam eine Verpflichtung übernehmen, als Gesamtschuld-
ner, sofern sie nicht das Gegenteil ausdrücklich vereinbaren. Kaufen
z. B. mehrere zusammen ein Grundstück oder nehmen mehrere zusam-
men ein Darlehen auf, so haftet jeder als Gesamtschuldner für den
ganzen Kaufpreis bzw. für das ganze Darlehen, falls nicht im Ver-
trag eine nur anteilsweise Haftung bedungen wurde. Ebenso haften
oder Beschädigung der Sachen dem Gaste unter gewissen Voraussetzungen zu
hasten. Ferner verpflichtet z. B. allein die Tatsache, daß jemand aus Kosten
eines anderen ungerechtfertigt bereichert ist, den ersteren zur Herausgabe
der Bereicherung.
Von den Schuldverhältnissen
131
mehrere Bürgen, ferner mehrere Mittäter an einer unerlaubten
Handlung, sowie mehrere Erben eines Schuldners als Gesamtschuld-
ner jeder für das Ganze.
Verträge können nicht nur zwischen den Vertragschließenden 381
Rechtswirkungen hervorbringen, sondern sie können auch mit der Wir-
kling abgeschlossen werden, daß einem Dritten daraus eiu Anspruch
gegen den einen Vertragsteil erwächst. Solche Verträge z u -
gunsten Dritter sind besonders die zugunsten der künftigen
Hinterbliebenen abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge.
Häufig wird die Erfüllung von Verträgen sichergestellt dadurch, 382
daß für den Fall der Nichterfüllung oder nicht rechtzeitigen Erfüllung
die Zahlung einer Vertrags st rase bedungen wird. Ist diese
unverhältnismäßig hoch, so kann sie auf Antrag des Schuldners im
Prozeßwege vom Gericht ermäßigt werden.
Um den Abschluß eines mündlichen Vertrags äußerlich zum Aus- 383
druck zu bringen, wird zuweilen (z. B. beim Dingen von Dieilstboten)
eine sog. Draufgabe (auch H a f t g e l d oder Handgeld genannt)
gegeben; sie gilt im Zweifel nicht als Reugeld, d. h. kein Teil ist be-
rechtigt, gegen Preisgabe des gezahlten Draufgeldes vom Vertrag
zurückzutreten.
2. Verzug des Schuldners oder des Gläubigers.
Kommt der Schuldner, obwohl die Schuld fällig ist, trotz 384
schriftlicher oder mündlicher Mahnung * des Gläubigers seiner Lei-
stungspflicht nicht nach, so befindet er sich i m L e i st u n g s v e r z u g,
was zur Folge hat, daß er dem Gläubiger allen aus der Verzögerung
entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Handelt es sich um eine Geld-
forderung, so hat in diesem Fall der Schuldner vom Tage des Ver-
zugs ab dem Gläubiger, ohne daß dieser einen Schaden zu beweiseu
braucht, 4 Proz. Verzugszinsen (in Handelssachen 5 Proz.) zu be-
zahlen. Ist jedoch die Hauptforderung selbst eine Zinsenforderung
(handelt es sich z. B. um fällige Jahreszinsen aus einer Darlehens-
forderung), so sind hieraus keine Verzugszinsen zu zahlen; denn von
Zinsen dürfen überhaupt nicht Zinsen gefordert werden, auch auf
Grund einer Vereinbarung dann nicht, wenn die Zahlung solcher
Z i n s e s z i n s e n im voraus vereinbart worden ist.
Befindet sich bei einem gegenseitigen Vertrage der eine Teil mit 385
der ihm obliegenden Leistung im Verzüge (liefert z. B. ein Maschinen-
' Der Mahnung steht die Klagerhebung sowie die Zustellung eines
Zahlungsbefehls gleich. Ohne Mahnung kommt der Schuldner dann in Ver-
zug, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, z. B.
„am 15. Oktober" oder „4 Wochen nach Kündigung".
9*
132
Das bürgerliche Recht
fabrikant eine bestellte Maschine nicht zu dem festgesetzten Termine),
so kann der andere Teil zur Bewirkung der Leistung eine angemessene
Frist mit der Erklärung bestimmen, daß er die Annahme der Leistung
nach dem Ablaufe der Frist ablehne. Nach fruchtlosem Ablaufe der
Frist ist er berechtigt, entweder vom Vertrage zurückzutreten
oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Eine solche
Fristsetzung und Androhung des Rücktritts ist nur dann nicht nötig,
wenn infolge des Verzugs des einen Teils die Erfüllung des Ver-
trags für den anderen Teil kein Interesse mehr hat (z. B. wenn Spei-
sen und Getränke für ein größeres Fest bestellt wurden, die Lieferung
aber nicht zum Fest erfolgt ist).
386 Nimmt der Gläubiger die ihm vom Schuldner angebotene
Leistung nicht an, so kommt er in A n n a h m e v e r z u g. Die haupt-
sächlichste Folge hiervon ist, daß der Schuldner bei fernerer Verwah-
rung der geschuldeten Sache nur noch für grobe Fahrlässigkeit aufzu-
kommen hat; ein zufälliger Verlust der Sache trifft also von nun ab
stets den Gläubiger. Ferner ist der Schuldner im Falle des Gläu-
bigerverzugs berechtigt, geschuldetes Geld u. dgl. bei der öffentlichen
Hinterlegungsstelle 3 zu hinterlegen, andere geschuldete Sachen aber
nach vorheriger Androhung öffentlich versteigern zu lassen und unter
Verzicht auf die Rücknahme den Erlös zu hinterlegen, wodurch er von
seiner Verbindlichkeit befreit wird.
3. Veränderung und Erlöschen der Schuldverhältnisse.
387 Eine Forderung kann von dem ursprünglichen Gläubiger, ohne
in ihrem Inhalt eine Aenderung zu erleiden, in der Regel auf eine
andere Person übertragen werden durch formlosen Vertrag (A b -
t r e t u n g). Der Schuldner muß hierbei nicht mitwirken, doch muß
die Abtretung dem Schuldner mitgeteilt werden, da dieser sonst auch
nach der Abtretung noch an den ursprünglichen Gläubiger gültige
Zahlung leisten könnte. Mit der abgetretenen Forderung gehen auch
die für sie bestellten Pfandrechte und Bürgschaften auf den neuen
Gläubiger über.
388 In zahlreichen Fällen geht aber eine Forderung auch ohne Wil-
len des ursprünglichen Gläubigers auf einen anderen über; so, wenn
sie durch das Gericht zugunsten eines Dritten gepfändet und letzterem
überwiesen wird (hierüber s. Nr. 633); kraft Gesetzes findet ferner
der Uebergang der Forderung z. B. auf den Bürgen statt, der an
Stelle des Schuldners die Schuld an den Gläubiger zahlt. *
* Das sind in Bayern die Amtsgerichte, bei einigen der größeren
Amtsgerichte, die durch die Staatsministerien der Justiz und der Finanzen
bestimmt sind, die Königliche Bank.
Von den Schuldverhältnissen
133
Nicht nur die Person des Gläubigers, sondern auch die des 389
Schuldners einer Forderung kann wechseln. Dies geschieht dadurch,
daß eine andere Person durch Vertrag mit dem Gläubiger oder doch
mit dessen Genehmigung an Stelle des ursprünglichen Schuldners die
Schuld übernimmt (S ch u l d ü b e r n a h m e).
Das Erlöschen eines Schuldverhältnisses wird in 390
der Regel d u r ch die E r f ü l l u n g der Leistung herbeigeführt; und
zwar muß der Schuldner, wenn im Vertrag nichts anderes bestimmt
ist, die ganze geschuldete Leistung auf einmal erfüllen; Teilzah-
lungen braucht alfo der Gläubiger nicht anzunehmen. Ueber die
Erfüllung hat der Gläubiger auf Verlangen dem Schuldner eine
schriftliche Bescheinigung (Quittung) zu erteilen; auch muß er
ihm einen etwa ausgestellten Schuldschein zurückgeben.
Ein Erlöschen des Schuldverhältnisses kann aber auch dadurch 391
herbeigeführt werden, daß der Gläubiger eine andere Leistung (z. B.
Waren anstatt Geld) an E r f ü l l u n g s st a t t annimmt, oder auch
durch Aufrechnung. Zu dieser letzteren ist ein Schuldner berech-
tigt, welcheni seinerseits gegen den Gläubiger eine gleichartige, fällige
Forderung zusteht. Die Ausrechnung geschieht jedoch nicht von selbst,
sondern nur durch ausdrückliche Erklärung; sie bewirkt,
daß die beiden Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeit-
punkte erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet ein-
ander gegenübergetreten sind. Hat z. B. A. an den B. 200 M. nebst
4 Proz. Zins vom 1. Januar l. I. aus Darlehen zu fordern und
liefert B. am 1. April dem A. Waren im gleichen Betrag von 200 M.,
worauf er am 1. Juli ihm erklärt, daß er aufrechnen wolle, so sind
die beiderseitigen Forderungen von 200 M. durch Aufrechnung er-
loschen, und B. hat an A. nur noch vom 1. Januar bis 1. April
4 Proz. Zinsen aus 200 M. zu zahlen; denn vom letztgenannten Tage
ab war eine Aufrechnung möglich.
ii. Die wichtigsten einzelnen Schnldverhältnisse.
1. Kauf und Tausch.
Im wirtschaftlichen Verkehr bildet der Kauf das bei weitem 392
häufigste und wichtigste Rechtsgeschäft. Auf den Umsatz von Gütern
gegen Geld gerichtet, verpflichtet der Kaufvertrag den Verkäufer zur
Uebereignung des Kaufgegenstandes, den Käufer dagegen zur Zah-
lung des Preises. Der Kaufvertrag selbst verschafft also dem Käufer
uoch nicht das Eigentum an der Sache, sondern gibt ihm nur das
Recht, die U e b e r t r a g u n g des Eigentums zu verlangen.
Diese Eigentumsübertragung bildet demnach die von dem K a n f a b -
134
Das bürgerliche Recht
schluß verschiedene Erfüllung' des Vertrags; sie wird, wie
wir noch bei Behandlung des Sachenrechts sehen werden, bei beweg-
lichen Sachen in der Regel durch die Nebergabe, bei Grundstücken
dadurch bewirkt, daß das Eigentum durch einen förmlichen Vertrag
(die sog. A il f l a s s u n g) aus den Käufer übertragen und der Eigen-
tnniswechsel in das Grundbuch eingetragen wird.
Während der Kauf von beweglichen Sachen bekanntlich formlos
abgeschlossen werden kann, sind Grnndstücksverkäufe nur
bindend, wenn sie durch das Gericht oder einen Notar beurkundet sind.
In Bayern ist jedoch auf Grund Landesgesetzes nur die Beurkundung
durch einen Notar wirksam.
Hat der Verkäufer beim Verkauf versichert, daß die Sache b e -
st i m mte Eigenschaften besitze (z. B. daß ein Gemälde keine
Kopie, sondern Original sei), so haftet er selbstverständlich dem Käu-
fer, wenn jene Eigenschaften fehlen. Aber auch ohne besondere Zu-
sage muß der Verkäufer für alle erheblichen Mängel der
Sache, welche der Käufer weder kannte, noch bei einfachster Auf-
merksamkeit bemerken mußte, haften, d. h. der Käufer kann wegen des
Mangels binnen längstens 6 Monaten (bei Grundstücken unb Gebäu-
den binnen eines Jahres ^) seit der Uebergabe entweder Rückgängig-
machung des Kaufs (genannt „Wandelung") oder eine entsprechende
Minderung des Kaufpreises verlangen. Im Handelsverkehr muß
der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung untersuchen
und etwa hierbei erkennbare Mängel dem Verkäufer anzeigen, widri-
genfalls die Ware als genehmigt gilt.
Besondere Vorschriften bestehen für V i e h k ä u f e hinsichtlich der
Gewährleistung für Mängel. Hier kann der Käufer, falls im Ver-
trage nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist, nur wegen ge-
wisser, in einer Kaiserlichen Verordnung bezeichneter Haupt-
mängel, und zwar nur, wenn sie sich innerhalb gewisser Gewähr-
f r i st e n zeigen, die Rückgängigmachung (Wandelung) des Kaufs 4 5
4 Abschluß und Erfüllung des Kaufvertrages fällt bei
den Käufen des täglichen Lebens häufig derart zusammen, daß wir uns
kaum bewußt werden, daß sie eigentlich getrennte Rechtsgeschäfte bilden.
Ich trete z. B. an den Stand eines Obsthändlers, der mir auf Befragen
10 Pf. als Preis seiner Orangen angibt, worauf ich ohne weiteres eine zu
mir nehme und ihm den Kaufpreis aushändige. Hier nahm ich, indem ich
eine Orange auswählte, stillschweigend das Kaufangebot des Händlers an.
Damit war der Kauf abgeschlossen. ' Er wurde aber auch sofort beiderseits er-
füllt, und zwar meinerseits durch Zahlung des Preises, seitens des Händlers
dadurch, daß er mir das Eigentum an der Frucht übertrug, indem er die
Wegnahme duldete.
5 Diese Fristen gelten aber dann nicht, wenn der Verkäufer den betref-
fenden Mangel a r g l i st i g verschwiegen hat.
Von den Schuldverhältnissen
135
(nicht auch die Kaufpreisminderung) verlangen. Er verliert aber
auch dieses Recht, wenn er nicht binnen zweier Tage nach Ablauf der
Gewährfrist oder, falls das Tier nicht mehr am Leben ist, nach
seinem Tode den Mangel dem Verkäufer anzeigt oder gegen ihn
Klage erhebt oder ihm den Streit verkündet (f. Nr. 584 Anm.)
oder die gerichtliche Beweisaufnahme zur Sicherung des Beweises
beantragt.
Zuweilen wird von dem Eigentümer eines Gegenstandes, ins- 396
besondere eines Grundstücks, einem anderen rücksichtlich desselben
durch Vertrag ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Alsdann muß
der Eigentümer, bevor er auf Grund des mit einem Dritten abge-
schlossenen Vertrags erfüllt, dem Vorkaufsberechtigten Mitteilung
machen; letzterer ist in diesem Falle berechtigt, als Käufer den Gegen-
stand unter den gleichen Bedingungen zil übernehmen, welche der
Eigentümer mit dem Dritten vereinbart hatte.
Auf den Tausch finden die Vorschriften über ben Kauf ent-
sprechende Anwendung.
2. Die Schenkung,
in der unentgeltlichen Zuwendung eines Vermögensstückes bestehend, 39-
ist gleichfalls ein Vertrag, bedarf also der ausdrücklichen oder still-
schweigenden Annahme. Ein S ch e n k u n g s v e r s p r e ch e n (z. B.
das Versprechen, einem anderen 100 M. zu schenken) ist nur dann
bindend, wenn es gerichtlich oder notariell — in Bayern nur notariell
— beurkundet worden ist; dagegen ist das sog. H a n d g e s ch e n k,
d. h. die fchenkweise Hingabe von Sachen (z. B. die schenkweise sofor-
tige Hingabe eines Geldbetrags) an keine bestiminte Form gebunden.
Eine Schenkung kann unter Umständen widerrufen werden, wenn
der Schenkgeber in Not gerät oder wenn der Beschenkte sich eines
groben Undanks schuldig macht.
3. Miete und Pacht.
Durch den Mietvertrag verpflichtet sich der Vermieter, eine 398
bewegliche Sache (z. B. ein Klavier) oder eine unbewegliche Sache
(z. B. ein Haus oder eine Wohnung) gegen Entgelt ^ dem Mieter
auf eine gewisse Zeit zu überlassen. Die Miete von landwirtschaft-
lich benutzten Grundstücken wird Pacht genannt.
Dem Mieter oder Pächter steht kein dingliches Recht (s. Nr. 336)
an den Mietgegenständen zu, sondern nur der persönliche Anspruch
gegen den Vermieter oder Verpächter, daß dieser ihm den ungestörten
Gebrauch der Mietsache gewähre.
° Wird eine Sache nicht gegen Entgelt, sondern unentgeltlich einem
anderen zum Gebrauche überlassen, so liegt nicht Miete, sondern Leihe vor.
136
Das bürgerliche Recht
399 Zur Sicherung seiner Ansprüche gegen den Mieter (insbesondere
des Anspruchs auf Zahlung des Mietzinses) steht dem Vermieter
an den eingebrachten Sachen des Mieters ein gesetzliches
Pfandrecht zu, jedoch nicht an den dem Schuldner nicht entbehr-
lichen und daher nach dem Gesetze (s. Nr. 632) der Pfändung nicht
unterworfenen Sachen. Auf Grund dieses Pfandrechts kann
er die Wegschaffung der Sachen verhindern und die Zurückbringung
der ohne fein Wissen oder gegen seinen Willen bereits fortgebrachten
Sachen binnen eines Monats verlangen. Werden von anderen Gläu-
bigern die eingebrachten Sachen des Mieters im Zwangswege
gepfändet und versteigert, so kann der Vermieter für seine Forderung
vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse verlangen.
400 Mietverträge über Grundstücke und Wohnungen müssen
schriftlich abgeschlossen werden, wenn sie länger als ein Jahr un-
kündbar sein sollen.
Ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossener Mietvertrag kann je-
weils unter Einhaltung der gesetzlichen K ü n d i g u n g s f r i st
gekündigt werden, und zwar kann die Kündigung der Grundstücks-
und Wohnungsmiete stattsinden spätestens am dritten Werktag eines
Kalendervierteljahres aus das Ende dieses Vierteljahres 7 8 (also z. B.
spätestens am 4. Januar auf 1. April, wenn aber auf den 2. bis
4. Januar ein Sonntag fällt, spätestens am 6. Januar). Unter Einhal-
tung dieser Frist kann auch eine auf eine längere Zeit unkündbar ab-
geschlossene Miete gekündigt werden, wenn der Mieter gestorben oder
in Konkurs geraten ist? Ist ein Mieter mit zwei aufeinanderfolgen-
den Mietzinsterminen ganz oder teilweise im Verzug, so kann der
Vermieter die sofortige Räumung der Wohnung ohne vorherige Kün-
digung verlangen.
401 Die Untermiete, d. h. die weitere Vermietung durch den
Mieter, ist nur mit Genehmigung des Vermieters gestattet. Der
Verkauf eines Hauses hebt die es betreffenden Mietverträge
nicht auf, falls dies nicht in ihnen besonders vereinbart ist. Kauf
bricht also n i ch t M i e t e; vielmehr tritt der Erwerber des Hauses
kraft Gesetzes für die Zukunft in die Verbindlichkeiten und Rechte
des Verkäufers ans dem Mietverhältnis ein.
7 Ist jedoch der Mietzins nach Monaten bemessen, so kann die Kündi-
gung jeweils spätestens am 15. ans Schlnst des Kalendermonats erfolgen.
Ist der Mietzins nach Wochen bemessen, so mutz die Kündigung jeweils
spätestens am ersten Werktag der Woche auf Schluß der Kalenderwoche
geschehen.
8 Mit der gleichen gesetzlichen Frist können ferner Militärpersonen,
Beamte, Geistliche und Lehrer an öffentlichen Anstalten im Falle ihrer Ver-
setzung ihre Wohnungen kündigen, selbst wenn sie im Mietvertrag eine
längere Mietdauer oder erne längere Kündigungsfrist vereinbart haben.
Von den Schuldverhältnissen
137
4. Darlehen.
Sie können unverzinslich oder verzinslich sein; und zwar 402
können Zinsen in beliebiger Höhe vereinbart werden, vorausgesetzt,
daß durch eine solche Vereinbarung nicht eine Notlage oder der Leicht-
sinn oder die Unerfahrenheit des Darlehensempfängers wucherisch
ausgebeutet wird (hierüber s. Nr. 285). Eine im voraus getroffene
Vereinbarung, daß die fälligen Zinsen wieder verzinst werden sollen,
ist, wie bereits oben (s. Nr. 384) erwähnt, nichtig.
Ist über die Zeit der Rückzahlung des Darlehens nichts' verein-
bart worden, so muß bei kleineren Darlehen (unter 300 Mark) eine
einmonatige, bei größeren Darlehen eine dreimonatige Kündigungs-
frist eingehalten werden.
5. Der Dicnstvertrag.
Durch Dienstverträge wird die Leistung von Diensten gegen Ent- 40z
gelt vereinbart. In Betracht kommen hierbei nicht etwa nur die sog.
niederen Dienste, sondern auch die höheren Dienstleistungen. So er-
folgt z. B. auch die Behandlung durch einen Arzt, die Erteilung von
Unterricht durch einen Lehrer, die Wahrung von Interessen durch
einen Rechtsanwalt auf Grund von ausdrücklich oder stillschweigend
abgeschlossenen Dienstverträgen.
Ueber die Rechtsverhältnisse der Dienstboten gel-
ten in den meisten Staaten besondere landesrechtliche Vorschriften?
° So sind in Bayern die Verhältnisse der Dien ft boten
im Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Dort ist unter
anderem folgendes bestimmt: Personen, die unter einer sittenpolizeilichen
Aufsicht stehen, dürfen Dienstboten unter einundzwanzig Jahren nicht hal-
ten. Personen, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind oder die
unter Polizeiaufsicht stehen, kann die Polizei das Halten von Dienstboten
unter achtzehn Jahren verbieten.
Verdingt sich ein Dienstbote an mehrere Personen für dieselbe Zeit,
so hat er bei der einzutreten, mit der er zuerst den Vertrag geschlossen hat.
Das Draufgeld wird vom Lohne nur daun abgezogen, wenn es besonders
vereinbart ist. Der Dienstbote hastet für jede Fahrlässigkeit, z. B. auch für
fahrlässiges Zerbrechen von Geschirr; ein Abzug an Lohn darf nur statt-
finden, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Land-
wirtschaftliche Dien st boten sind, wenn nichts anderes vereinbart
ist, für ein ganzes Dienstjahr gedungen. Das Dienstjahr für landwirt-
schaftliche Dienstboten beginnt und endet mit dem ersten Februar. Wenn
ein wichtiger Grund vorliegt, können beide Teile jederzeit, also ohne Ein-
halten der vereinbarten Kündigungsfristen, kündigen; also die Dienst-
herrschaft z. B., wenn der Dienstbote einen Diebstahl, eine Unterschlagung
oder einen Betrug verübt oder einen liederlichen Lebenswandel führt, wenn
er trotz Verwarnung mit Feuer und Licht unvorsichtig umgeht, wenn er
nachts die Wohnung heimlich verläßt, der Dienstbote z. B., wenn die Dienst-
herrschaft sich ihm gegenüber Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen zu
138
Das bürgerliche Recht
6. Ter Werkvertrag.
404 Während der Dienstvertrag, wie erwähnt, auf Leistung einer
Arbeit abzielt, bildet beim Werkvertrag ein bestimmter Arbeits-
erfolg den Gegenstand des Vertrags; der Werkvertrag ist also auf
Herstellung eines Werkes gegen Entgelt gerichtet. Ich schließe z. B.
einen Werkvertrag ab, indem ich einem Bauunternehmer den Neubau
ineines Hauses übertrage oder indem ich bei meinem Schneider einen
neuen Anzug bestelle. .
Etwaige Mängel des Werkes muß der Besteller spätestens in
sechs Monaten, bei Arbeiten an einem Grundstück in einem Jahr, bei
Bauwerken in fünf Jahren von der Abnahme an geltend machen.
Bauunternehmer können zur Sicherung ihrer Forderung an den Be-
steller ans Zahlung der vereinbarten Vergütling die Einräumung
einer Sicherungshypothek (s. Nr. 439) an dem Ballgrundstiick ver-
langen.
7. Ter Mäklervertrag.
405 Wer ein Haus verkaufe!:, eine Wohnung vermieten oder ein
Darlehen aufnehmen will usw., bedient sich hierzu häufig eines ge-
werbsmäßigen Vermittlers (Mäkler s), der alsdann für seine
Tätigkeit eine Gebühr (den M ä k l e r l 0 h n) erhält. Dieser Mäkler-
lohn ist in der Regel nur dann zu zahlen, wenn der beabsichtigte
Kaufvertrag, Mietvertrag usw. wirklich durch Vermittelung des Mäk-
lers zustande gekommen ist. In diesem Fall muß aber derjenige, der
geduldet hat, daß der Mäkler für ihn tätig wurde, den üblichen Lohn
(z. B. 1 Proz. des Kaufpreises) auch dann entrichten, wenn er ihn
nicht ausdrücklich versprochen hat. Den Ersatz von Auslagen hat der
Mäkler neben der Mäklergebühr nur zu beanspruchen, wenn es ver-
einbart ist. Keinen Anspruch auf Lohn hat der Mäkler dann, wenn
er dem Inhalte des Vertrags zuwider auch für den anderen Teil tätig
gewesen ist.
Mäklerlohn für Ehevermittelung kann nicht eingeklagt werden
(s. Nr. 366).
8. Die Bürgschaft.
406 Die Bürgschaft bezweckt, den Gläubiger gegen eine etwaige Zah-
lungsunfähigkeit des Schuldners dadurch sicher zu stellen, daß ein
schulden kommen läßt oder den Lohn oder den Unterhalt nicht gewährt. Der
Dienstbote kann, falls er sich verheiratet, mit gewissen Einschränkungen
kündigen. Erteilt eine Dienstherrschaft einem Dienstboten, der
gegen sie eine schwere Veruntreuung begangen hat, das Zeugnis treuen
Verhaltens, so haftet sie der nachfolgenden Dienstherrschaft für
den Schaden, der dieser aus dem Vertrauen auf die Richtigkeit dieses Zeug-
nisses erwächst.
Von den Schuldverhältnissen
139
Dritter, der Bürge, gegenüber deni Gläubiger für die Zahlung der
Schuld einsteht. Kann alsdann der Hauptschuldner nicht zahleil, so
hält sich der Gläubiger an den Bürgen.
Leider werden Bürgschaften sehr häufig überaus leichtsinnig
übernommen. Vielfach betrachtet man eine Bürgschaftsübernahme
als eine Gefälligkeit, die man einem Bekannten oder Verwandten
nicht wohl abschlagen könne, ohne unfreundlich zu erscheinen. Und
wie sicher steht angeblich immer derjenige, der uns um eine Bürg-
schaft angeht! Aber nach Uebernahme der Bürgschaft verschlechtert
sich unversehens seine Vermögenslage; er kann schließlich nicht zahlen,
und der Biirge wird vom Gläubiger mit seinem ganzen Vermögen
in Anspruch genommen. Auf solche Weise wurden und werden
iloch heilte Tausende durch uiliiberlegte Bürgschaften uni alles ge-
bracht, was sie besitzen. Nicht eindringlich genug kann daher vor der
linbedachten Uebernahme von Bürgschaften gewarnt werden?" Aus
diesem Grunde erklärt auch das Gesetz eine Bürgschaftserklä-
r u n g nur dann für gültig, wenn sie schriftlich abgegeben ist.
Der Bürge kann, wenn er sich nicht zugleich als S e l b st - 407
s ch u l d ll e r verbürgt hat, in der Regel verlangen, daß der Gläu-
biger zunächst den Hauptschuldner gerichtlich belange. Hat der Bürge
den Gläubiger befriedigt, so geht dessen Forderung gegen den Haupt-
schuldner mit allen ihr etwa anhaftenden Pfandrechten auf ihn über.
Mehrere Bürgen haften dem Gläubiger als Gesamtschuldner,
d. h. jeder für die ganze Forderilng (s. Nr. 379), selbst wenn sie die
Bürgschaft nicht gleichzeitig übernommen haben.
9. Die unerlaubten Handlungen.
Wer eine unerlaubte Handlung begeht, verfällt Hierwegen ilicht 408
nur der in den Strafgesetzen angedrohten, von den Strafgerichten im
Strafverfahren auszusprechenden gerichtlichen Strafe, sondern er
haftet auch zivilrechtlich dem durch die Handlung Beschädigten für
dessen Schaden; wir müssen also die strafrechtlichen von den
zivilrechtlichen Folgen einer unerlaubten Hand-
lung jeweils streng unterscheiden.
Es gibt jedoch auch eine Reihe unstatthafter Handlungen, welche 409
von den Strafgesetzen mit Strafe nicht bedroht sind, aber doch die
zivilrechtliche Schadensersatzpflicht des Täters begründen, wie z. B.
die nur fahrlässige Beschädigung oder die vorsätzliche, unerlaubte Be-
nützung einer fremden Sache. Schadensersatzpflichtig ist
nämlich überhaupt jeder, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben,
den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein
'0 „Den Bürgen soll inan würgen", so drilckt ein altes
Sprichwort diese Warnung anschaulich aus.
140
Das bürgerliche Recht
sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, oder wer gegen
ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, oder wer-
tn einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen
vorsätzlich Schaden zufügt. Sind mehrere als Mittäter
an einer unerlaubten Handlung beteiligt, so haftet jeder als Gefamt-
fchuldner (f. Nr. 379) für den ganzen Schaden.11
Unter Umständen müssen wir aber zivilrechtlich auch für Hand-
lungen anderer haften. Wer nämlich einen anderen (z. B. einen
Dienstboten) zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersätze des Scha-
dens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung
einem Dritten widerrechtlich zufügt; doch bleibt er von der Haftung
frei, wenn er beweist, daß er bei der Auswahl der mit der Verrich-
tung beauftragten Person und bei der ihm etwa obliegenden Beauf-
sichtigung derselben die erforderliche Sorgfalt angewendet hatll^ In
ähnlicher Weife haften wir für die Handlungen Minderjähriger oder
sonst aufsichtbedürftiger Personen, zu deren Beaufsichtigung wir ver-
pflichtet sind. Auch hier tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der
Nachweis erbracht wird, daß die Aufsicht nicht vernachlässigt wurde
oder daß der Schaden auch durch gehörige Beaufsichtigung nicht abge-
wendet worden wäre.
Besonders streng ist durch ein Reichsgesetz (das sog. Haft-
tz f l i ch t g e s e tz) die Haftung für die beim Betrieb von Eisenbahnen
vorkommenden Verletzungen von Personen geregelt. Hier haftet
nämlich die Eifenbahnverwaltung stets für den Schaden, wenn sie
nicht nachweist, daß der Vorfall durch höhere Gewalt (unabwendbare
Naturereignisse) oder eigenes Verschulden des Verletzten herbeige-
führt worden ist. Aehnlich ist jetzt gleichfalls durch ein Reichsgefetz
die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs geregelt.
Wer ein Tier hält (Rindvieh, Hund, Hühner, Bienen usw.), haftet
für allen Schaden, welchen das Tier durch Verletzung von Menschen
oder Beschädigung von Sachen anrichtet, auch wenn den Halter des
Tieres selbst keinerlei Verschulden trifft, es fei denn, daß der Schaden
durch ein Haustier verursacht wird, das dem Berufe, der Erwerbs-
tätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist,
und entweder der Tierhalter bei Beaufsichtigung des Tieres die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei
Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Für Wildschäden
endlich ist der Jagdberechtigle ersatzpflichtig (f. Nr. 1171). 11 12
11 Wurde z. B. jemand von mehreren angegriffen, und stirbt er infolge
der hierbei erlittenen Verletzungen, so haftet jeder der Angreifer den Hin-
terbliebenen für den ganzen aus dem Tode entspringenden Vermögens-
fchaden.
12 So haftet z. B. ein Fuhrunternehmer für den Schaden, den fern
Kutscher dadurch verursacht, daß er jemanden fahrlässigerweise überfährt,
Vom Sachenrecht
141
C. WBrn ScrchenrecHL.
i Einleitung.
Die Gegenstände dinglicher Rechte, d. h. die körperlichen 413
Sachen, sind entweder bewegliche (auch Mobilien oder Fahr-
nisse genannt) oder unbewegliche (Grundstücke, Häuser). Von
Bedeutung ist ferner der Begriff der vertretbaren Sachen,
d. h. solcher Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht
bestimmt zu werden pflegen, z. B. Wein, Getreide, insbesondere aber
das Geld. Zubehör endlich nennt man eine solche bewegliche Sache,
die, ohne Bestandteil der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zweck
derselben dient. So sind die Vorfenster, die im Sommer abgenom-
men werden, Zubehör des Hauses, während die inneren Fenster, ob-
gleich auch aushängbar, Bestandteile desselben sind. Die landwirt-
schaftlichen Geräte, das Vieh und der Dünger gehören zum Zubehör
eines Landguts, ein Geigenfutteral ist Zubehör der Geige usw. Diese
Unterscheidung ist unter anderem deshalb bedeutsam, weil eiue rechts-
geschäftliche Verfügung, welche über die Hauptsache getroffen wird,
z. B. eine Veräußerung, im Zweifel auch das Zubehör umfaßt.
Wer eine Sache in seiner tatsächlichen Gewalt hat, besitzt sie, und 4'4
dieser Besitz genießt in der Regel, einerlei, ob er auf einem Recht
an der Sache beruht oder nicht, gesetzlichen Schutz gegen eigenmäch-
tige Störung. Wird mir also der Besitz einer Sache von einem an-
deren entzogen, so kann ich diesen kraft meines bisherigen Besitzes
auf Herausgabe der Sache belangen, ohne etwa mein Eigentum an
der Sache nachweisen zu müssen.
Das Eigentum ist das umfassendste der dinglichen Rechte, 415
denn es besteht grundsätzlich in der Befugnis, mit einer Sache nach
Belieben zu verfahren und jeden anderen von irgendwelcher Einwir-
kung auf sie auszuschließen.
An der im Eigentum einer Person stehenden Sache kann ein 416
anderer beschränkte dingliche Rechte besitzen; solche be-
grenzte Sachenrechte, von denen spater noch näher zu sprechen sein
wird, sind insbesondere das Erbbaurecht, die Dienstbarkeiten, Hypo-
theken, Grund- und Rentenschulden und die Pfandrechte an beweg-
lichen Sachen.
sofern der Fuhrherr nicht nachweist, daß er dem Kutscher im Hinblick auf
dessen bisherige Führung ein Fuhrwerk anvertrauen durfte. Die Ver-
mögensgefahr, welche für den einzelnen aus dem großen Umfang der gesetz-
lichen Haftpflicht erwächst, wird häufig durch Eingehung von Haftpflichtver-
sicherungsverträgcn wenigstens teilweise aufgehoben (hierüber s. Nr. 1118).
142
Das bürgerliche Recht
n. Die Rechte an Grundstücken.
1. Einleitung.
Soweit die Rechtsverhältnisse an Grundstücken in Betracht
kommen, sind das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Neben-
gesetze nicht sosort im ganzen Deutschen Reich i n K rast
getreten. Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches setzt zu seiner
vollen Anwendbarkeit voraus, daß bereits Grundbücher angelegt sind.
Diese Anlegung kann wegen der damit verbundenen umständlichen
Arbeiten nur nach und nach für die einzelnen Landesteile erfolgen.
Es ist deshalb den einzelnen Landesregierungen die Befugnis bei-
gelegt, für die einzelnen Teile ihres Gebietes den Zeitpunkt festzu-
setzen, in dem das Grundbuch als angelegt anzusehen ist. Erst von
diesem Zeitpunkt an gilt das neue Recht in vollem Umfange; bis
dahin gilt in jedem Bezirke noch teilweise das bisherige Recht. In
Bayern wurde das Grundbuch fast vollständig für angelegt erklärt.
Ausscheiden nur die Landgerichte Aschaffenbnrg, Schweinfurt und
Würzburg. Im folgenden soll lediglich das neue Recht, das ja all-
mählich in ganz Bayern eingeführt werden wird, dargestellt werden.
2. Die Grundbücher und deren Führung.
Die Sicherheit des Rechtsverkehrs erfordert, daß alle Grundstücke
des Landes aufgezeichnet werden, und daß öffentlich und zur Ein-
sicht für alle Beteiligten festgestellt wird, wer Eigentümer der ein-
zelnen Grnndstiicke ist, welche Lasten auf ihnen ruhen und welche
Rechte mit ihnen verknüpft sind. Diesem Zwecke dienen die G r u n d-
b ü ch e r. Würden keine Grundbücher geführt, so wäre der Käufer
eines Grundstückes der Gefahr ausgesetzt, daß eines Tages ein Dritter
käme und das Grundstück für sich beanspruchte, weil es nicht dem Ver-
käufer gehört hätte, sondern sein Eigentum sei. Desgleichen würde
sich mancher bedenken, auf ein Grundstück Geld zu leihen, weil er nicht
bestimmt wiißte, ob nicht schon andere Darlehen auf das Grundstück
gegeben haben, so daß er nicht mehr gesichert wäre. Ans diesen
Grundbüchern beruht daher hauptsächlich der R e a l k r e d i t, d. h.
der Kredit, der jemand deshalb gewährt wird, weil er durch einen
Gegenstand (Gegensatz ist: durch einen Bürgen) eine Sicherheit bieten
kann * (s. Nr. 1024). 1
1 In Bayern rechts des Rheins bestand bisher nur das Hypothese n-
buchsystem. Dieses ist ein beschränktes Grundbuchsystem; es beziehen
sich nämlich die Wirkungen des Buchs nur auf die sogenannten Hypotheken,
d. h. die an dem Grundstücke bestehenden Pfandrechte, nicht aber auf den
Erwerb des Eigentums an dem Grundstück oder auf sonstige Rechte an
dem Grundstück.
Vom Sachenrecht
143
In Bayern rechts des Rheins — in der Pfalz sind die Verhält- 419
nisse ähnlich, jedoch nicht ganz gleich geordnet — enthält das
Grundbuch ein Verzeichnis sämtlicher Grundstücke.
Die Bezeichnung der Grundstiicke erfolgt inr Anschluß an die Be-
zeichnung im Grundsteuerkataster (s. Nr. 143). Jtt der Regel wird
für jede Steuergemeinde ein eigenes Grundbuch angelegt. Dieses
umfaßt demnach sämtliche zum Bezirk der Steuergemeinde gehörigen
Grundstücke. In den einzelnen Grundbüchern werden sämtliche auf
ein Grundstiick bezüglichen Verhältnisse an einer besonderen Stelle
zusammengefaßt. Diese Darstellung der Verhältnisse eines Grund-
stücks itennt man dann G r u n d b u ch b l a t t. Ein Grundbuchblatt
kann selbstverständlich mehrere Blätter des Buches im natürlichen
Sinne umfassen. Jedes Grundbnchblatt setzt sich zusammen aus einem
Titel und drei Abteilungen. Auf dem Titel wird das Grundstück bezeich-
net; in der ersten Abteilung wird der Eigentümer des Grundstücks vor-
getragen; die zweite Abteilung umfaßt die auf dem Grundstück lasten-
den Rechte, z. B. Fahrtrechte, Wohnungsrechte, jedoch mit Ausnahme
der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden, und die Be-
schränkungen des Eigentümers in der Verfügung über das Grund-
stiick; die dritte Abteilung endlich ist für die Eintragung der Hypothe-
ken, der Grundschulden und der Rentenschnlden bestimmt.
In Bayern ist wie in der Mehrzahl der übrigen deutschen
Staaten die G r u n d b u ch f iih r u n g den A rn t s g e r i ch t e n
übertragen. Es bestehen demnach so viele Grundbuchämter wie Amts-
gerichte. Die Geschäfte des Grundbuchamts werden in der Regel von
Amtsrichtern besorgt; ausnahmsweise werden Grnndbuchkommissäre
aufgestellt. Doch können das nur Personen sein, die die Befähigung
zum Richteramt erlangt haben. Unterstützend stehen den Amts-
richtern und den Kommissären Gerichtsschreibereibedienstete zur Seite.
Die Bedeutung d e s G r u n d b u ch s liegt darin, daß eine 420
durch Rechtsgeschäft erfolgende Eigentumsübertragung, z. B. ein
Verkauf des Grundstücks oder eine vertragsmäßige Belastung des
Grundstücks, z. B. das Recht, eine Wasserleitung über das Grundstück
zu führen, nur wirksam sind, wenn sie in das Grundbuch eingetragen
sind. Andererseits genießt aber das Grundbuch auch öffentlichen
Glauben in dem Sinn, daß sein Inhalt, selbst wenn er mit der
wirklichen Rechtslage im Widerspruch stehen sollte, zugunsten desjeni-
gen, der im Vertrauen auf das Grundbuch ein Recht an dem Grund-
stück erworben hat, für richtig gilt. Hat z. B. jemand ein Grundstück,
das ans den Namen des Verkäufers im Grundbuch eingetragen ist,
im guten Glauben gekauft, so wird und bleibt er Eigentiimer, selbst
wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Verkäufer nicht Eigen-
144
Das bürgerliche Recht
tümer war, und zu Unrecht als solcher eingetragen war, z. B. weil
die Auflassung, auf Grund deren das Grundstück auf seinen Namen
eingetragen wurde, nichtig war.
3. Beschränkung des Grundeigentums.
42 - Wie der Eigentümer überhaupt, so hat auch derjenige, dem
ein Grundstück gehört, grundsätzlich das Recht, darüber beliebig zu
verfügen.
Jedoch sind ihm im Interesse des geordneten Zusammenlebens
der Menschen Beschränk u n g e n auferlegt.
422 2. Er darf vor allem fein Eigentumsrecht nicht bloß zur Schi-
kane ausüben (vgl. Nr. 368); ein Hauseigentümer kann also
z. B. nicht verbieten, daß durch den Luftraum über fein Grundstück
ein Luftballon zieht. Das Herrfchaftsrecht ist nach der Tiefe zu be-
schränkt durch die Grundsätze des Bergrechts (Nr. 1438). Ebenso
greifen in feine Herrfchaftsrechte polizeiliche B e st i m m u n -
gen ein. Der Waldeigentümer kann die Bäume nicht beliebig
schlagen; er ist verpflichtet, wieder aufzuforsten; das Nähere bestim-
men hierüber die F 0 r ft g e f e tz e (f. Nr. 1436 und 1437). Weiter
schränken den Eigentümer die baupolizeilichen Vorschrif-
ten erheblich ein. Er kann fein Grundstück nicht beliebig bebauen,
sondern muß auf Sicherheit und Gesundheit seiner selbst und der
Nebenmenschen Rücksicht nehmen (s. Nr. 922).
42z b. Mehrfache Beschränkungen in der Benützung des Eigentums
erfordert die Rücksicht auf die Nachbarn. Die hierüber
geltenden Vorschriften bilden das sogenannte Nachbarrecht. Hiernach
können wir z. B. die Zuführung von Rauch, Gerüchen, Geräusch, Er-
schütterungen u. dgl. nicht verbieten, sofern sie die Benützung des
Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigt oder doch bei Grundstücken
dieser Lage gewöhnlich ist?
424 Ist das Grundstück meines Nachbarn ohne richtig benutzbare Ver-
bindung mit einem öffentlichen Wege, so muß ich ihm gegen Zahlung
eines jährlichen Geldbetrags einen N 0 t w e g über inein Grundstück
gestatten.
425 Nach bayerischem Recht dürfen F e n st e r oder sonstige Licht-
öffnungen, die weniger als 0,60 m von der Grenze des Nachbargrund- 2
2 In einem Fabrikviertel muß sich also ein Grundeigentümer unter
Umständen einen störenden Nachbarbetrieb gefallen lassen, den er in einem
Villenviertel nicht zu dulden braucht.
Vom Sachenrecht
145
stücks entfernt sind, auf Verlangen des Nachbarn so eingerichtet wer-
den, daß bis zur Höhe von 1,80 m über dem darunter befindlichen
Boden weder das Oeffnen noch das Durchblicken möglich ist. Doch gilt
diese Beschränkung nur bei Nachbargrundstücken, die Wohnzwecken
dienen, nicht aber z. B., wenn das Nachbargrundstück ein Feld oder
eine Wiese ist. Aehnliche Beschränkungen gelten für die Anlage von
Balkönen, Erkern und ähnlichem.
Nach bayerischem Recht kann weiter der Eigentümer eines 426
Grundstücks verlangen, daß in einer Entfernung von 0,49 m keine
Bäume, Sträucher, Hecken oder Hopfen st öcke gehalten
werden; falls diese aber über 2 m hoch sind, kann der Nachbar sogar
Einhaltung eines Abstands von 2 m verlangen. Gegenüber einem
landwirtschaftlich benützten Grundstück muß mit Bäumen (außer mit
Stein- und Kernobstbäumen), wenn sie über 2 m hoch sind, ein
Abstand von 4 m eingehalten werden, wenn das Nachbargrundstück
die Sonne nötig hat.
Wo bisher das sog. Anw end er echt galt, d. h. das Recht, 427
bei Bestellung landwirtschaftlicher Grundstücke die Grenze zu über-
schreiten, z. B. den Pflug dort umzuwenden, bleibt dieses Recht
bestehen.
L. Die Durchführung eines im öffentlichen Interesse gelegenen 428
Unternehmens, z. B. die Erbauung von Schulhäufern oder Spitälern,
die Anlegung von Friedhöfen, die Regelung der Läufe von Flüssen,
die Erbauung von Eisenbahnen, könnte sehr häufig dadurch vereitelt
werden, daß einzelne sich weigern, das erforderliche Grundeigentum
abzutreten. Für solche Fälle greift das Institut der Z Wangsent-
eignung ein. Dieses ist in Bayern in folgender Weise geregelt:
Die Zwecke, für die Enteignung erfolgen kann, sind im Gesetz
ausdrücklich angeführt. Weiter ist Grundsatz, daß der Eigentümer
volle Entschädigung erhalten muß.
Das Verfahren ist dieses. Zunächst hat nach Vornahme der
erforderlichen vorbereitenden Erhebungen das Ministerium des In-
nern zu entscheiden, ob das Verfahren einzuleiten ist. Fällt die Ent-
scheidung bejahend aus, so beraumt die Distriktsverwaltungsbehörde
einen Termin zur Verhandlung mit den Beteiligten an. Hier hat
sie zunächst eine gütliche Einigung zu versuchen; gelingt diese nicht, so
hat sie das Sachverhältnis festzustellen; die Verhandlungen legt sie
der Kreisregiernng vor, letztere entscheidet über die Abtretnngsfrage.
Gegen deren Entscheidung ist Beschwerde an den Verwaltungsgerichts-
hof, in gewissen Fällen jedoch nur an das Gesamtstaatsministerium
zulässig. An dieses Verfahren, das bloß die Pflicht zur Abtretung
feststellt, schließt sich ein weiteres zur Feststellung der Entschädigung.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 10
146
Das bürgerliche Recht
Die Distriktsverwaltungsbehörde beraumt wieder einen Termin an.
In diesem sucht sie zunächst eine gütliche Einigung herbeizuführen;
gelingt diese nicht, so pflegt sie die erforderlichen Erhebungen zur
Feststellung der Entschädigung; gegen diese Festsetzung kann der
Rechtsweg beschritten werden; die endgültige Festsetzung erfolgt dann
im gewöhnlichen Zivilprozeßverfahren. Nach Festsetzung der Ent-
schädigungssumme durch die Distriktsverwaltungsbehörde kaun der
Abtretungsberechtigte die Entschädigung erlegen und die Einweisung
in den Besitz des abzutretenden Grundstücks verlangen. Erzielt sein
Gegner im Zivilprozeß eine höhere Entschädigung, so ist diese nach-
träglich zu entrichten.
cl. Gewisse Beschränkungen erleidet die unbedingte Verfügungs-
freiheit des Grundeigentümers weiter durch die int Interesse der bes-
seren Einteilung des Grundbesitzes stattfindende Flurbereini-
gung (Nr. 1140).
Endlich bestehen auch Beschränkungen des Eigentunis bei solchen
Grundstücken, die zu einem F a m i l i e n f i d e i k o m m i ß gehören.
Das Institut der Familienfideikommisse bezweckt, ein Vermögen
einer Familie zu erhalten. Dies wird dadurch erreicht, daß einerseits
der Inhaber des Fideikommisses in der Verfiigung über die zum
Fideikommisse gehörigen Verniögensstücke beschränkt ist und daß an-
derseits hinsichtlich der Beerbung Bestimmungen getroffen sind, die
eine Zersplitterung des Besitzes hintanhalten. Es können demgemäß
die zum Fideikommiß gehörigen Grundstücke in der Regel weder ver-
äußert noch belastet werden; der Besitz vererbt sich nicht auf alle Kin-
der, sondern nur im Mannsstamm nach dem Recht der Erstgeburt, so
daß also auch, wenn mehrere Kinder vorhanden sind, nur eines das
zum Fideikommiß gehörige Vermögen erwirbt. Das Recht/Fideikom-
misse zu errichten, haben in Bayern nur adelige Familien. Die Er-
richtung erfolgt unter bestimmten gesetzlichen Formen; insbesondere
ist erforderlich eine besondere gerichtliche Bestätigung. In der Pfalz
können keine Fideikommisse errichtet werden.
4. Erwerb und Verlust des Grundeigentums.
Der Veräußerungsvertrag (Kauf, Tausch u. dgl.) über ein
Grundstück kann in Bayern nur vor einem Notar, nicht auch vor
einem Gericht geschlossen werden. Der Veräußerungsvertrag über-
trägt jedoch, wie wir bereits sahen (s. Nr. 392), noch nicht das Eigen-
tum. Es ist weiter erforderlich, 1. die sog. Auflassung, d. h. die
bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor dem Grundbuchamt
oder vor einem bayerischen Notar abzugebende Erklärung, daß das
Eigentum auf den Erwerber übergehen solle, unb 2. die Eintragung
des Eigentumsübergangs in das Grundbuch.
Vom Sachenrecht
147
Wer ein fremdes Grundstück dreißig Jahre lang wie ein Eigen-
tümer besitzt, erwirbt hieran durch Ersitzung das Eigentum, falls
er im Wege des Aufgebotsverfahrens (Nr. 626) ein Ausschlußurteil
gegen den früheren Eigentümer erwirbt und sich auf Grund dieses
Urteils selbst als Eigentümer in das Grundbuch eintragen läßt.
Ein Grundstückseigentümer kann vor dem Grundbuchamt auf
sein Eigentum verzichten, alsdann kann sich der Fiskus das Grund-
stück aneignen.
5. Die Rechte an fremden Grundstücken.
Das umfassendste dieser Rechte ist das Erbbaurecht. Man 431
versteht darunter das vererbliche und veräußerliche Recht einer Per-
son, auf einem fremden Grundstück ein Banwerk, z. B. einen Keller
oder ein Haus, zu haben. Es bedarf zu seiner Entstehung der Ein-
tragung im Grundbuch.
Das Eigentumsrecht an einem Grundstück kann ferner zugunsten 432
des jeweiligen Eigentümers eines Nachbargrundstücks durch sog.
Grunddien st bar leiten beschränkt sein. Z. B. kann dem
Eigentümer des Nachbargrnndstücks (des sog. herrschenden
G r u n d st ü ck s) auf Grund Vertrages die Grunddienstbarkeit zu-
stehen, einen über das sog. dienende Grund st ück führenden
Weg zu benützen (Wegegerechtigkeit) oder die Balken seines Hauses
aus eine Mauer des dienenden Grundstücks aufzulegen, um so die Er-
richtung einer eigenen Scheidemauer zu ersparen. Ferner kann dem
jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks durch Vertrag
das Recht eingeräumt werden, die Erstellung eines die Aussicht
störenden Baues auf dem dienenden Grundstück zu untersagen (Aus-
sichtsrecht), oder er kann vertragsmäßig das Recht erwerben, an
seinem Hause unmittelbar an der Nachbargrenze Aussichtsfenster an-
zubringen, welche der Nachbareigentümer an sich nach Nachbarrecht
(s. Nr. 423) nicht dulden müßte usw. Solche Grunddienstbarkeiten
bedürfen nach neuem Rechte zu ihrer Entstehung stets der Eintra-
gung in das Grundbuch. 3
Werden Dienstbarkeiten an einem Grundstücke in der Art bestellt, 433
daß sie nicht dem jeweiligen Eigentümer eines Nachbargrundstücks,
sondern nur einer einzelnen bestimmten Person zustehen sollen, so
spricht man von beschränkten persönlichen Dienstbarkei-
3 Grunddienstbarkeiten, die zur Zeit, zu der das Grundbuch
als angelegt anzusehen ist, bereits bestehen, müssen zur Erhaltung
der Wirksamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs in das
Grundbuch eingetragen werden. Der Eintragung sind nur solche Grund-
dienstbarkeiten nicht unterworfen, mit denen das Halten einer dauernden
Anlage verbunden ist, die also offen in Erscheinung treten.
148
Das bürgerliche Recht
t e n. Hierher gehört insbesondere das W o h n u n g s r e ch t, d. h.
das Recht, ein Gebäude oder einen Teil eines solchen als Wohnung zu
benützen. Solche Wohnungsrechte werden besonders bei bäuerlichen
Gutsübergaben von den Eltern für sich oder andere Familienglieder
vorbehalten; sie gewähren ein dingliches, auch gegenüber späteren
Erwerbern des Hauses gültiges Recht an der Wohnung, während dem
Mieter, wie wir bereits oben (Nr. 398) sahen, nur ein persönliches
Recht gegenüber dem Vermieter aus Einräumung der Mietwoh-
nung zusteht.
434 Ist der Eigentümer eines Grundstücks, des sog. dienenden Grund-
stücks, nicht nur in der Ausübung seines Eigentums beschränkt, son-
dern verpflichtet, eine Leistung vorzunehmen, so liegt keine Dienstbar-
keit, sondern eine R e a l l a st vor. Eine Reallast ist z. B. gegeben,
wenn der Eigentümer des dienenden Grundstücks einem anderen jähr-
lich eine gewisse Menge Getreide zu liefern hat. Die Dienstbarkeit
fordert ein bloßes Dulden, die Reallast ein Tun. Zu den Reallasten
gehören insbesondere die sogenannten Zehnten, die seit alter Zeit
vielfach auf den Grundstücken ruhen. Seit dem vorigen Jahrhundert
begann nian allmählich, sie abzulösen. Neue Reallasten können nur
mehr in beschränktem Umfang begründet werden, nämlich nur solche,
die in regelmäßig wiederkehrenden Leistungen eines festen Geld-
betrags oder einer festbestinimten Menge von Bodenerzeugnissen be-
stehen, — der Zehnten wechselt nach der Höhe des Erträgnisses —
oder solche, die zu eiuer Leibrente, insbesondere zu einem Leibgeding
gehören. Unter Leibrente versteht man einen Vertrag, wodurch
einer einem anderen eine regelmäßig wiederkehrende Leistung auf
längere Zeit, in der Regel bis zum Tode, gewährt. Wird ein solcher
Vertrag mit der Ueberlassung eines Grundstücks verbunden, so spricht
man von Leibgeding (Austrag, Auszug, Altenteil, Leibzucht).
Derartige Leibgedinge finden sich namentlich in bäuerlichen Ver-
hältnissen, nämlich dann, wenn die Eltern, die nicht mehr imstande
sind, selber das Anwesen zu verwalten, es ihren Kindern übergeben.
Wird das Leibgeding als Reallast bestellt, so haftet es auf dem Gut
und bleibt demnach auch bestehen, selbst wenn der Grundbesitz in an-
dere Hände übergeht.
435 Ein beschränktes dingliches Recht an fremder Sache ist ferner der
Nießbrauch, d. h. das dingliche (auch bei Fahrnissen vorkom-
mende) Recht, die Nutzungen einer Sache (z. B. eines Ackers oder
eines Hauses) zu ziehen.
436 Als dingliches Recht kann endlich auch das bei Nr. 396 erwähnte
Vorkaufsrecht bestellt werden. Durch Eintragung in das
Grundbuch erhält der Vorkaufsberechtigte die unbedingte Sicherheit,
Vom Sachenrecht
149
daß sein Vorkaufsrecht gewahrt bleibt, während jemand, dem nur
ein persönliches Vorkaussrecht gegenüber dem Grundstückseigentümer
zusteht, eine solche Sicherheit nicht besitzt.
6. Die Hypotheken, Grund- und Rentenschulden insbesondere.
Das im praktischen Leben bedeutsamste dingliche Recht an einem 437
fremden Grundstück ist die H y p 0 t h e k. Man versteht darunter das
für irgend eine Forderung (z. B. eine Darlehensforderung oder eine
Kaufpreisforderung) an einem Grundstück bestellte Recht, kraft
dessen der Gläubiger besugt ist, im Falle der Nichtzahlung der Schuld
sie vor anderen Gläubigern im Wege der Zwangsvollstreckung aus
dem Grundstücke beizutreiben, selbst wenn das Grundstück inzwischen
in andere Hände gelangt sein sollte.
Ein Grundstück kann mit mehreren Hypotheken belastet sein,
alsdann geht die zuerst bestellte der zweiten Hypothek im Range vor
usw.; jede weitere Hypothek bietet also dem Gläubiger eine geringere
Sicherheit als die vorhergehende.
Eine Hypothek gelangt zur E n t st e h u n g durch die (in der 438
Regel nur auf Bewilligung des Grundstückseigentümers 4 erfolgende)
Eintragung im Grundbuch. Ebenso bedarf die Abtretung der
Hypothek durch den Gläubiger an eine andere Person der Eintra-
gung im Grundbuch. Ist jedoch über die Hypothek ein Hypo-
thekenbrief (d. h. eine förmliche Urkunde, welche den auf die
Hypothek bezüglichen Inhalt des Grundbuchs wiedergibt) erteilt, so
ist zur Abtretung die Eintragung des neuen Gläubigers im Grund-
buch nicht unbedingt erforderlich (wenn auch zweckmäßig); die Ab-
tretung wird alsdann vielmehr dadurch bewirkt, daß der Hypotheken-
brief übergeben und auf ihm die Abtretung beurkundet wird. Aus
diese Weise können Hypotheken im Verkehr von Hand zu Hand gehen.
Hat Jemand durch Abtretung eine Hypothek im Vertrauen auf 430
die Richtigkeit des Grundbucheintrags erworben, so braucht er, wenn
er sein Hypothekenrecht gegen den nicht persönlich haftenden Grund-
stückseigentümer geltend machen will, 5 nicht erst zu beweisen, daß die
durch die Hypothek zu sichernde Forderung wirklich besteht. Anders
jedoch, wenn die Hypothek im Grundbuch ausdrücklich nur als
4 Dagegen wird die bei Nr. 634 erwähnte sog. Z w a n g s h y p 0 t h e k
ans Betreiben des Gläubigers im Grundbuch eingetragen;
ferner kann auf die Grundstücke eines Vormunds zugunsten etwaiger
Ersatzforderungen der Mündel aus der Vermögensverwaltung auf Be-
treiben des Amtsgerichts eine Hypothek eingetragen werden.
st Dies geschieht dadurch, daß der Gläubiger zunächst gegen den Grund-
stückseigentümer ein gerichtliches Erkenntnis auf Duldung der Zwangsvoll-
streckung in das Grundstück erwirkt.
150
Das bürgerliche Recht
„S i ch e r u n g s h y p o t h e k" bezeichnet ist; eine solche Hypothek soll
in erster Linie nicht als Gegenstand des Verkehrs, sondern zur Siche-
rung des ursprünglichen Gläubigers dienen; geht sie gleichwohl in
andere Hände über, so muß der Hypothekengläubiger, wenn er sein
Recht geltend machen will, im Falle des Bestreitens zunächst nach-
weisen, daß die Forderung, für welche sie bestellt ist, wirklich besteht?
Ist ein Grundstück mit mehreren Hypotheken belastet, und es
wird eine der Hypothekenforderungen bezahlt, so rücken nicht etwa die
späteren Hypotheken im Range vor, sondern die bezahlte Hypothek
geht auf den Eigentümer des Grundstücks selbst über; sie wird zur
E i g e n t ü m e r h y p o t h e k. Ist ein Grundstück z. B. mit einer
ersten Hypothek von 20 000 M. und einer zweiten von 10 000 M. be-
lastet, und die erste Hypothek wird zurückbezahlt, so verbleibt sie dem
Grundstückseigentümer und dieser kann, wenn er ein neues Darlehen
aufnehmen will, sie auf den Geber dieses Darlehens überschreiben
lassen.
Die Grunds ch u l d unterscheidet sich von der Hypothek da-
durch, daß sie eine Forderung, ein Schnldverhältnis (s. Nr. 375) nicht
voraussetzt, neben der dinglichen Haftung des Grundstücks kann,
aber m u ß n i ch t die persönliche Haftung eines Schuldners bestehen.
Ist persönliche Haftung ausgeschlossen, so haftet nur das Grundstück,
aber in der Hand jeden Eigentümers für die Rückzahlung von Kapi-
tal und Nebenleistungen jeder Art.
Eine Grnndschuld, bei der in regelmäßig wiederkehrenden Ter-
minen eine bestimmte Sunnne (Rente) aus dem Grundstück zu zahlen
ist, heißt Renten schul d.
in. Die Rechte an beweglichen Sachen.
Auch an beweglichen Sachen wird das Eigentum noch nicht durch
den bloßen Veräußernngsvertrag (z. B. den Kaufvertrag) aus den Er-
werber übertragen; erforderlich ist zum Eigentumsübergang vielmehr
in der Regel7 noch weiter, daß der bisherige Eigentümer die Sache
dem Erwerber übergibt, und daß beide hierbei darüber einig sind, daß
das Eigentum übergehen solle.
b Sicherungshypotheken sind z. B. die Kaution? h ypot h e k e n ,
welche sich Banken von ihren Kunden für den diesen bis zu einer bestimmten
Höhe künftig zu gewährenden Kredit auf deren Grundstücke bewilligen lassen.
7 In gewissen Fällen ist allerdings eine förmliche Uebcrgabe zur Eigen-
tnmsübertragung nicht erforderlich, z. B. dann nicht, wenn der Erwerber
bereits bisher als Mieter die Sache besaß oder wenn die Parteien verein-
baren, daß der bisherige Eigentümer die Sache weiterhin mietweise oder
leihweise behalten soll.
Vom Sachenrecht
151
Ist der Veräußerer selbst uicht Eigentümer, so könnte streng ge- 44z
nommen der Erwerber auch durch die Uebergabe das Eigentum nicht
erlangen. Das aber würde die Sicherheit des wirtschaftlichen Ver-
kehrs sehr beeinträchtigen, da der Käufer einer beweglichen Sache sich
zumeist uicht vergewissern kann, ob der Verkäufer wirklich Eigen-
tümer ist. Das Gesetz bestimmt daher, daß jeder, der in gutem Glau-
ben eine bewegliche Sache von einem anderen erwirbt, das Eigentum
daran erlangt, auch wenn der andere nicht Eigentümer war. An
Sachen jedoch, welche dem wahren Eigentümer gestohlen worden, ver-
loren gegangen oder sonst gegen seinen Willen abhanden ge-
kommen sind, kann auch der gutgläubige Erwerber (außer durch
öffentliche Versteigerung) kein Eigentum erlangen,^ oder doch nur
dadurch, daß er sie zehn Jahre lang gutgläubig besitzt, also durch
Ersitzung.
Das Eigentum an beweglichen Sachen kann aber noch auf ver- 444
schiedene andere Arten erworben werden: Werden z. B. versehent-
lich zum Bau eines Hauses eine Anzahl Backsteine verwendet,
die meinem Nachbarn gehören, so werde ich ihr Eigentümer
durch Verbindung, natürlich unbeschadet meiner Ver-
pflichtung, dem Nachbarn Ersatz des Wertes zu leisten. Mit der-
gleichen Verpflichtung wird ferner z. B. ein Künstler, der eine seinem
Kollegen gehörende Tonmasse zum Modellieren eines Kunstwerks
verwendet, Eigentümer des entstandenen Tonmodells durch V e r-
a r b e i t u n g. Eine Sache, welche herrenlos ist, weil sie entweder
noch nie einen Eigentümer gehabt hat oder weil ihr Eigentümer sie
aufgegeben (z. B. weggeworfen) hat, kann in der Regel von jeder-
mann durch A n e i g n u n g erworben werden. Solche herren-
lose Sachen sind auch das freie (nicht eingezäunte) Wild; das
Eigentum daran erwirbt aber nur der Jagdberechtigte (nicht auch
der Wilderer) durch das Erlegen und Jnbesitznehmen.
Wer eine verlorene Sache findet und an sich nimmt, muß den 445
Fund dem Verlierer, falls das aber nicht möglich ist, der Polizei
anzeigen und die Sache verwahren oder der Polizei abliefern. Ist
die gefundene Sache nicht mehr als 3 Mark wert, so bedarf es keiner
Anzeige an die Polizeibehörde, die Verpflichtung zu der etwa mög-
lichen Mitteilung an den Verlierer und zur Verwahrung der Sache
besteht dagegen auch in diesen Fällen. Meldet sich der Verlierer, so
kann der Finder, abgesehen von etwaigen Auslagen, den gesetzlichen
. 8 Wird mir z. B. mein Fahrrad auf der Straße gestohlen und vom
Dieb an einen Dritten verkauft, so kann ich von letzterem, auch wenn er das
Rad in gutem Glauben erworben hat, die Herausgabe verlangen, und zwar
ohne ihm seinen Kaufpreis ersetzen zu müssen.
152
Das bürgerliche Recht
Finderlohn 9 beanspruchen. Wird der Verlierer nicht bekannt, so geht
nach Ablauf eines Jahres das Eigentum an der Fundsache auf den
Finder oder, wenn er die Sache nicht bei der Polizei abholt, auf die
Gemeinde über; doch muß dem Verlierer, wenn er sich innerhalb
dreier weiterer Jahre meldet, herausgegeben werden, was etwa noch
von der Fundsache oder von deren Erlös vorhanden ist.
446 Wird ein verborgener S ch a tz (z. B. eine vergrabene Truhe mit
alten Geldstücken) gefunden, fo gehört er zur Hälfte dem Entdecker,
zur Hälfte dem Eigentümer der Sache (z. B. des Ackers oder des
Haufes), woselbst der Schatz verborgen war.
447 Die Verpfändung einer beweglichen Sache ist
nur gültig, wenn gleichzeitig dem Gläubiger die Pfandsache in Besitz
gegeben wird; damit erlangt der Gläubiger, sofern er den
Verpfänder für den Eigentümer hielt und halten durfte, an der (dem
wahren Eigentümer nicht etwa gestohlenen oder verloren gegangenen)
Sache auch dann das Pfandrecht, wenn der Verpfänder in Wirklich-
keit nicht Eigentümer ist. Zahlt der Schuldner nicht nach Eintritt
der Fälligkeit der Schuld, so kann der Pfandgläubiger das Pfand
ohne vorherige gerichtliche Schritte öffentlich durch einen Gerichtsvoll-
zieher oder sonstigen Versteigerungsbeamten versteigern lassen; doch
muß die Versteigerung dem Pfandeigentümer mindestens einen
Monat vorher (in Handelssachen eine Woche vorher) angedroht und
öffentlich bekannt gemacht werden.
448 Neben den vertragsmäßigen gibt es auch gefetzlichePfand-
rechte an beweglichen Sachen. Von dem gesetzlichen Pfandrecht
des Vermieters und Verpächters war bereits oben (Nr. 399) die
Rede; ein ähnliches gesetzliches Pfandrecht haben ferner z. B. die
Gastwirte für ihre Forderungen aus Beherbergung und Beköstigung
ihrer Gäste an den eingebrachten Sachen der letzteren.
Ein Pfandrecht an beweglichen Sachen entsteht endlich auch
durch die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgende Pfändung
(s. Nr. 632).
D. Wom Icrrnibienr-echLe.
i. Die Ehe.
1. Das Verlöbnis.
449 Aus einem Verlöbnis, d. h. aus dem gegenseitigen Versprechen
künftiger Eheschließung, kann auf Eingehung der Ehe nicht geklagt
° Der Finderlohn beträgt 5 Prozent des Werts bis zum Wert-
betrag von 300 M., vom Mehrwert 1 Prozent, bei Tieren stets 1 Prozent.
Keinen Anspruch auf Finderlohn hat, wer die Anzeigepflicht verletzt oder den
Fund auf Nachfrage verheimlicht.
Vom Familienrecht
153
werden, da die sittliche Natur der Ehe einem zwangsweisen Abschlüsse
widerstreitet. Dagegen ist derjenige Teil, welcher ohne Grund von
einem Verlöbnisse zurücktritt oder durch sein Verschulden dem anderen
Teile Veranlassung zum Rücktritt gibt, verpflichtet, den Schaden zu
ersetzen, welchen der andere Verlobte oder dessen Eltern infolge des
Rücktritts (z. B. wegen der bereits erfolgten Anschaffung einer Aus-
stattung oder durch Kündigung eines Dienstverhältnisses) erleiden.
2. Die Erfordernisse der Eheschließung.
Ein Mann darf eine Ehe nicht eingehen, bevor er volljährig (d. h. 45
21 Jahre alt) oder für volljährig erklärt (f. Nr. 344) ist;
weibliche Personen dagegen sind bereits mit Vollendung des
16. Lebensjahres heiratsfähig. Doch bedürfen beide bis zur Voll-
endung des 21. Jahres der Einwilligung des Vaters oder, falls dieser
gestorben oder abwesend ist, der Einwilligung der Mutter. Falls
beide Eltern gestorben sind, bedürfen minderjährige weibliche Per-
sonen der Einwilligung des Vormundes.
Niemand darf, da die Doppelehe (Bigamie) ein schweres 45
Verbrechen ist, eine neue Ehe eingehen, bevor die alte durch Tod oder
durch rechtskräftigen Richterspruch gelöst ist. Verboten ist ferner nicht
nur die Ehe zwischen Blutsverwandten und Adop-
tivverwandten in gerader Linie (s. Nr. 467) und zwischen Geschwi-
stern, sondern auch zwischen Personen, die in gerader Linie einander
verschwägert sind (s. Nr. 470), also z. B. die Ehe mit der
Schwiegertochter oder mit der Stieftochter. Gestattet dagegen ist die
Ehe zwischen zwei in der Seitenlinie verschwägerten Personen (z. B.
zwischen einem Manne und der Schwester seiner verstorbenen Frau),
ferner die Ehe mit dem Kinde eines Bruders oder einer Schwester,
sowie die Ehe zwischen Geschwisternkindern.
Wer wegen Ehebruchs geschieden ist, darf seinen Mitschul- 45
digen nicht heiraten. Eine Frau darf ferner in der Regel nicht vor
Ablauf von 10 Monaten seit Auflösung ihrer früheren Ehe
wieder heiraten. Doch kann aus Antrag Befreiung von diesen Vor-
schriften bewilligt werden. Die Befreiung von dem Verbot der Ehe-
schließung bei dem Ehehindernis des Ehebruchs erfordert in Bayern
eine Entschließung des Königs; die Befreiung von der Vorschrift,
daß eine Frau erst 10 Monate nach Auflösung der früheren Ehe
wieder heiraten darf, wird vom Justizministerium erteilt. Die
Gesuche sind beim Amtsgerichte, und zwar in der Regel beim Amts-
gericht des Wohnsitzes des Gesuchstellers einzureichen. Eltern
dürfen sich nicht wieder verheiraten, bevor sie ein Verzeichnis des Ver-
mögens ihrer minderjährigen Kinder dem Amtsgericht eingereicht
154
Das bürgerliche Recht
und eine etwa zwischen ihnen und den Kindern bestehende Vermögens-
gemeinschaft aufgelöst haben.
In Bayern ist die Eheschließung auch polizeilichen B e -
s ch ränkunge n unterworfen? Diese sind durch das Heimatgesetz
geregelt. Sie bestehen zunächst für den Fälst daß ein i n d e n L a n -
bestellen rechts des Rheins beheimateter Mann
eine Ehe schließen will. Für die Eheschließung eines Pfälzers oder
des Angehörigen eines anderen deutschen Bundesstaates bestehen
keine Beschränkungen. Es kann nämlich, wenn ein in den Landes-
teilen rechts des Rheins beheimateter Mann eine Ehe schließen will,
die Heimatgemeinde ans gewissen Gründen Einspruch erheben, so ins-
besondere so lange gegen den, der heiraten will, oder seine Braut ein
Strafverfahren wegen Verbrechens oder Vergehens bei Gericht an-
hängig ist oder wenn der Mann oder die Braut zu einer Zuchthaus-
strafe, oder wegen Raubs, Diebstahls, Betrugs und ähnlicher Straf-
taten zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens vier Wochen verurteilt
worden sind und seit Verbüßung der Strafe noch keine drei Jahre ver-
strichen sind, weiter wenn der Mann oder die Braut in den letzten drei
Jahren dreimal wegen Arbeitsscheue, Landstreicherei oder Bettelns
verurteilt wurden, aber auch dann, wenn der Mann in den letzten drei
Jahren öffentliche Armenunterstützung beansprucht oder erhalten hat,
oder wenn der Mann oder die Braut sich mit Leistungen gegenüber
der Heiniatgemeindc im Rückstände befinden.. Um die Durchführung
dieses Einspruchsrechts zu sichern, hat jeder in den Landesteilen rechts
des Rheins beheimatete Mann vor der Verehelichung ein Zeugnis der
Distriktsverwaltnngsbehördc seiner Heimat beizubringen, daß ein der-
artiges Einspruchsrecht gegen feine Ehe nicht besteht. Damit diese
Bestimmung auch zur Durchführung kommt, ist bestimmt, daß baye-
rische Standesbeamte, die eine Ehe ohne Beibringung des distrikts-
polizeilichen Zeugnisses schließen, mit Geldstrafe bis 600 M. belegt
werden, während für den Fall, daß die Eheschließung durch einen
nicht bayerischen Standesbeamten erfolgt, die Eheschließenden selbst
Geldstrafe bis 150 M. oder Haft bis zu 30 Tagen zu erwarten haben.
Eine Eheschließung, die ohne das distriktspolizeiliche Zeugnis er-
folgt, zieht aber nicht die Unwirksamkeit der Ehe nach sich; die Ehe ist
vielmehr gültig, nur hat sie für die Ehefrau und die Kinder dieser
Ehe in bezug auf die Heimat nicht die Wirkungen einer gültigen Ehe.
Eine polizeiliche Beschränkung anderer Art besteht für Auslä n
d e r, d. h. Personen, die keinem deutschen Bundesstaate angehören.
'Für das übrige Reich mit einziger Ausnahme üon Elsaß-
Lothringen sind derartige Beschränkungen durch ein besonderes Reichsgcsetz
aufgehoben.
Vom Familienrecht
155
Diese haben ein Zeugnis der Distriktsverwaltungsbehörde des Ortes,
an dem der das Aufgebot anordnende Standesbeamte seinen Sitz hat,
beizubringen, daß der Eheschließung kein Hindernis im Wege steht.
Das Zeugnis wird nur dann erteilt, wenn der Nachweis erbracht wird,
daß nach den im Heimatlande des Mannes geltenden Gesetzen die
Eheschließung zulässig ist und dieselbe Wirkung hat, wie wenn sie im
Heimatlande selbst erfolgt wäre.
Aktive Militär Personen bedürfen zur Eingehung der
Ehe der Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde.
3. Die Form der Eheschließung.
Vor der Eheschließung hat der Standesbeamte (s. Nr. 340) ein 454
Aufgebot (d. h. eine öffentliche Bekanntmachung des Ehevor-
habens zum Zwecke der Ermittelung etwaiger Ehehindernisse) zu ver-
anlassen, und zwar soll das Aufgebot in jeder Gemeinde, in welcher
einer der Verlobten seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
hat oder innerhalb der letzten sechs Monate gehabt hat, zwei Wochen
lang an der Gemeindetafel angeschlagen sein.
Die Eheschließung findet in Gegenwart zweier Zeugen vor dem 455
Standesbeamten statt und wird von diesem in das Heiratsregister
(s. Nr. 340) eingetragen. Die kirchliche Trauung darf der Geistliche
bei Vermeiden gerichtlicher Strafe erst nach der bürgerlichen Trauung
vornehmen.
4. Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen.
Die Rechte und Pflichten der Ehegatten gegeneinander ergeben 456
sich im allgenieinen von selbst aus dem Wesen der Ehe als der innig-
sten Lebensgemeinschaft zweier Personen; es ist daher hier nur
weniges darüber zu sagen.
Dem Manne steht als Haupt der Familie die Entscheidung in
den gemeinschaftlichen Angelegenheiten, insbesondere hinsichtlich der
Wahl des Wohnortes und der Wohnung zu; stellt sich diese Ent-
scheidung jedoch als ein Mißbrauch des ehemännlichen Rechtes dar
(z. B. wenn der Mann aus bloßer Laune ständig den Wohnort wech-
seln wollte), so braucht die Frau ihm nicht zu folgen.
Die Frau erwirbt mit der Eheschließung den Rainen, den Wohn- 457
sitz, die Staatsangehörigkeit, in Bayern auch die Heiinat ihres
Mannes. Sie ist zur Leitung des gemeinsamen Hauswesens berechtigt
nnd verpflichtet, und zu diesem Zweck steht ihr auch die sog.
„Schlüsselgewalt" zu, d. h. sie ist befugt, die zur Leitung des
Hauswesens erforderlichen Rechtsgeschäfte (insbesondere Haushal-
tungseinkäufe) für Rechnung des Mannes zu besorgen. Mißbraucht
156
Das bürgerliche Recht
die Frau jedoch diese Schlüsselgewalt, indem sie z. B. die Mittel des
Haushalts vergeudet, so kaun der Mann sie beschränken; doch muß
diese Beschränkung in das Güterrechtsregister des Amtsgerichts (s.
Nr. 461) eingetragen werden, da sie sonst nur gegenüber solchen Per-
sonen gelten würde, denen sie durch öffentliche Anzeige oder sonstwie
bekannt geworden ist.
458 Zur Verfügung über ihr eigenes Vermögen bedarf die Frau
an sich weder der Mitwirkung noch der Zustimmung ihres Mannes;
doch können ohne Zustimmung des Mannes vorgenommene Verfü-
gungen der Frau natürlich nicht die Verwaltungs- und Nutznießungs-
rechte beschränken, welche dem Manne kraft des bestehenden Güter-
rechts (s. unten) etwa am Vermögen der Frau zustehen.
5. Das eheliche Güterrecht.
459 Es bestimmt, welche Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Behandlung
des Vermögens der beiden Ehegatten während der Ehe und bei ihrer
Auflösung gelten. Es sind hierbei folgende Fälle zu unterscheiden:
460 Haben die Eheleute eine besondere Vereinbarung nicht getroffen,
so gilt kraft Gesetzes der G ü t e r st a n d der sog. Verwal-
tn n g s g e m e i n s ch a s t, d. h. es bleibt in diesem Falle das beider-
seitige Vermögen der Ehegatten dem Eigentum nach völlig getrennt,
und es ist nur das Vermögen der Frau während der Ehe der Ver-
waltung und Nutznießung des Mannes unterworfen. Der eigenen
Verwaltung und Nutznießung der Frau bleibt jedoch vorbehalten (und
heißt daher Vorbehaltsgut), was ihrem persönlichen Gebrauch
dient (z. B. ihre Kleider und Schmucksachen) und was sie sich selbst
durch Arbeit erwirbt. Für die Schulden des Manues haftet das
Frauenvermögen nicht. Gefährdet der Mann durch seine Verwaltung
das Vermögen der Frau, so kann sie völlige Gütertrennung
beanspruchen, wodurch sie die Verwaltung ihres eigenen Vermögens
wiedererlangt.
461 Die Ehegatten können aber ihr eheliches Güterrecht auch ver-
tragsmäßig ordnen, indem sie vor oder während der Ehe vor
Gericht oder vor einem Notar (in Bayern nur vor einem Notar) einen
Ehevertrag abschließen, der, um auch gegenüber dritten Perso-
nen wirksam zu sein, auf Antrag der Ehegatten in bas beim Amts-
gericht geführte G ii t e r r e ch t s r e g i st e r eingetragen wird. Diese
Eintragungen werden in dem für die Bekanntmachungen des
Amtsgerichts bestimmten Blatt veröffentlicht und können von jeder-
mann eingesehen werden. Verlegt der Ehemann seinen Wohnsitz in
einen anderen Gerichtsbezirk, so ist die Eintragung im Register
daselbst zu wiederholen.
Vom Familienrecht
157
Durch Ehevertrag können die Eheleute insbesondere entweder 462
die allgemeine Gütergemeinschaft vereinbaren, bei
welcher das Vermögen des Mannes und der Frau zu einem beiden
gemeinschaftlich gehörenden G e s a m t g u t verschmolzen wird, dessen
Verwaltung dem Manne zusteht, oder sie können die sog. E r r u n -
genschaftsgemein schaft festsetzen. Bei letzterem Güter-
stande wird Gesanitgut nur das Errungene, d. h. das von den Ehe-
leuten während der Ehe durch entgeltliches Rechtsgeschäft Erworbene,
während alles in die Ehe eingebrachte oder während dieser von Todes
wegen, durch Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung
oder als Ausstattung erworbene Vermögen Sondereigentum jedes
Ehegatten verbleibt, sog. eingebrachtes Gut; doch hat auch hier der
Mann am Frauengut die Verwaltung, die Nutzungen fallen in das
Gesamtgut. Bei der sog. Fahrnisgemeinschaft ferner wird
das ganze beiderseitige Vermögen Gesamtgut mit Ausnahme des un-
beweglichen Vermögens, das ein Ehegatte bei der Eingehung der
Ehe besitzt oder während der Ehe auf die im vorhergehenden Satz be-
zeichnete Weise erwirbt. Endlich kann auch die bereits oben erlvähnte
Gütertrennung durch Ehevertrag bedungen werden.
Die allgemeine Gütergemeinschaft" wird auch nach dem Tode 46z
eines der Ehegatten zwischen den gemeinschaftlichen Kindern (einerlei,
ob die Kinder minderjährig oder volljährig sind, und ob sie
noch dem gemeinschaftlichen Haushalt angehören oder nicht) und deni
überlebenden Ehegatten, falls letzterer die Fortsetzung nicht ablehnt,
fortgesetzt, und zwar bleibt bei dieser fortgesetzten Güter-
gemeinschaft das Gesamtgut in der Verwaltung des überleben-
den Ehegatten bis zu dessen Tod oder Wiederverheiratung oder bis die
Gemeinschaft durch Erklärung des überlebenden Ehegatten aufgehoben
wird. Wegen Gefährdung der Interessen der Kinder kann die fort-
gesetzte Gütergemeinschaft auf Klage auch durch gerichtliches
Urteil aufgehoben werden. Während der Dauer der fortgesetzten
Gütergemeinschaft kann der überlebende Ehegatte insbesondere über
die Nutzungen des Gesamtguts frei verfügen.
6. Die Ehescheidung.
Eine Ehe kann außer durch den Tod nur durch richterliches Ur- 464
teil aufgelöst werden, und zwar ist der eine Teil berechtigt, gegen
den anderen auf Scheidung zu klagen wegen unheilbarer,
schwerer Geisteskrankheit, wenn diese während der Ehe
mindestens drei Jahre gedauert hat, sowie wegen gewisser Fälle *
* Auch bei der Fahrnisgemeinschaft ist nach dem Tode eines Ehegatten
die Fortsetzung möglich, wenn sie durch Ehevertrag vereinbart ist.
158
Das bürgerliche Recht
schweren Verschuldens? In letzterer Hinsicht kommen als Eheschei-
dungsgründe in Betracht: Ehebruch, L e b e n s n a ch st e l l u n g
lind bösliche V e r l a s s u n gsi sowie s o n st i g e schwere Ver-
fehlungen (z. B. Mißhandlungen und Beschimpfungen), welche
eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet haben,
daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet
werden kann. In diesen Fällen muß jedoch die Klage, sofern die Ehe-
gatten noch in häuslicher Gemeinschaft miteinander leben, innerhalb
sechs Monaten seit Kenntnis des Scheidungsgrundes erhoben werden;
auch erlischt das Recht aus Scheidung durch Verzeihung?
465 Eine geschiedene Frau kann ihren früheren Namen wieder an-
nehmen oder den Namen des Mannes weiterführen. Das letztere
kann der Mann ihr jedoch untersagen, wenn die Frau allein für
schuldig an der Scheidung erklärt worden ist. Der an der Scheidung
schuldige Teil ist verpflichtet, für den standesgemäßen Unterhalt des
anderen Ehegatten auch späterhin, soweit erforderlich, zu sorgen. Die
Kinder darf der nicht schuldige Eheteil bei sich behalten; wurde die
Scheidung durch beide Teile verschuldet, so verbleiben in der Regel
die Töchter und die noch nicht sechs Jahre alten Knaben der Mutter,
die älteren Knaben dem Vater. Im Streitfälle entscheidet auch hier-
über das Gericht.
7. Nichtige und anfechtbare Ehen.
466 Eine Ehe kann unter gewissen Voraussetzungen auf erhobene
Klage vom Gericht auch für nichtig erklärt werden, z. B. wenn der
eine Ehegatte zur Zeit der Eheschließung geistesgestört oder bereits
verheiratet gewesen ist, oder wenn die Ehe wegen Verwandtschaft,
Schwägerschaft oder wegen Ehebruchs verboten war. Schließlich ist in 3
3 Die gegenseitige Abneigung ist nach jetzigem bürgerlichem
Recht kein Scheidungsgrund mehr. Auch eine Scheidung auf Grund
beiderseitiger Einwilligung ist nicht mehr statthaft.
* Wegen böslicher Verlassung kann aus Ehescheidung nur
geklagt werden, wenn der Aufenthalt des in böslicher Absicht fortgegangenen
Ehegatten seit einem Jahre unbekannt ist, oder wenn dieser Ehegatte einem
rechtskräftigen gerichtlichen Urteile, das ihn zur Rückkehr verpflichtet, ein
Jahr lang in böslicher Absicht nicht Folge geleistet hat.
3 Ueber das Verfahren in Ehescheidungsprozessen
s. Nr. 621. Rechtskräftige Ehescheidungsurteile werden von Amts wegen
im Heiratsregister vermerkt.
Die kirchlichen Vorschriften in Ansehung der Ehe werden durch diese
Bestimmungen nicht berührt.
Für Bayern wurde auf Wunsch der kirchlichen Oberbehörden werter
angeordnet, daß die Pfarrämter, in München bei Katholiken das Erzbischöf-
liche Stadtkommissariat, von den Sühneterminen in Ehesachen zu verstän-
digen sind. Es soll dadurch den Geistlichen ermöglicht werden, auf die Ver-
söhnung der Ehegatten hinzuwirken.
Vom Familienrecht
159
manchen Fällen auch gestattet, eine gültig abgeschlossene Ehe durch
Klage auzusechten und auf diesem Wege durch Richterspruch ihre Nich-
tigkeit herbeizufiihren. Dies ist z. B. möglich, wenn der anfechtende
Eheteil bei der Eheschließung über die Person oder über aus-
schlaggebende persönliche Eigenschaften" des anderen Ehegatten sich
im Irrtume befand, oder wenn er durch Drohung oder arglistige
Täuschung zur Ehe bestimnit worden ist. Jedoch findet auf Grund
einer Täuschung über Vermögensverhältnisse nie die Anfechtung
statt. Die Anfechtungsklage muß spätestens bor Ablauf eines halben
Jahres seit Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung oder seit Be-
endigung der Zwangslage erhoben werden.
ii. Die Verwandtschaft.
l. Begriff der Verwandtschaft und der Schwägerschaft.
Ver w a n d t s ch a s t (auch Blutsverwandtschaft genannt) be- 467
steht zwischen Personen
a. dann, wenn eine von der anderen abstammt. Solche Personen
(d. h. die Eltern und ihre Kinder, Enkel, Urenkel usw.) sind mitein-
ander in gerader Linie^ verwandt. Die Verwandtschaft
kann aber auch dadurch begründet sein, daß
° Eine solche Anfechtung kann z. B. stattfinden, wenn dem einen Teile
bei Abschluß der Ehe nicht bekannt war, daß der andere Ehegatte wegen
schwerer Verbrechen bestraft lvar, oder daß er an schwerer ansteckender
Krankheit leidet.
‘ Der Ausdruck rührt daher, daß die direkte Abstammung einer Person
von einer anderen bei der Darstellung in Stammbäumen usw. durch eine
senkrechte, gerade Linie angedeutet wird, wobei es sich von selbst ergibt,
daß die Seitenverwandten seitlich zueinander zu stehen kommen. So
stellt in nebenstehendem Schema A den Vater, B die Mutter der beiden
Kinder C und D dar. E ist der Sohn des C, F der Sohn der D. C, E,
D und F sind also mit A und B (b. h. ihren Eltern und Großeltern) in
gerader.Linie verwandt; C und D sind als Geschwister in der Seitenlinie
nnleinander verwanlÜ; ebenso O und E (Tante und Neffe), sowie E und F
<G-schwijt°r»nd°r>. fcM
--------AA1
AO.
/
A D
f EO*
(UiW
f
°^~r
160
Das bürgerliche Recht
468 b, zwei Personen von derselben dritten Person abstammen. So
stammen Geschwister von den gleichen Eltern, Geschwisterkinder von
den gleichen Großeltern, Nachgeschwisterkinder von den gleichen Ur-
großeltern ab. Von solchen Personen sagt man, daß sie in der
Seitenlinie verwandt seien. Sie sind vollbürtig, wenn
sie'beide Stammeltern gemeinsam haben, halbbürtig, wenn
ihnen nur entweder der Stammvater oder die Stammutter gemein-
sam ist. Die aus derselben Ehe stammenden Kinder sind also voll-
bürtige Geschwister. Wenn dagegen z. B. eine Witwe wieder heiratet,
so sind die Kinder aus der zweiten Ehe einerseits und die Kinder aus
der ersten Ehe der Mutter anderseits halbbürtige Geschwister, weil
sie nur die Mutter, nicht auch den Vater gemeinsam haben?
469 Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach^der
Zahl der Pe vermittelnden Geburten."""Es sind also Eltern mit ihren
KiliöKisDnüDs "Grad verwandt; denn hier war zur Entstehung nur
eine Geburt nötig. Großeltern sind mit ihren Enkeln im 2. Grad
verwandt. Ebenso Geschwister untereinander; denn hier waren
gleichfalls nur zwei Geburten nötig, um sie von gemeinsamen Eltern
entstehen zu lassem Mit den Kindern meines Bruders oder meiner
| Schwester bin ich im 3. Grad verwandt. Zwischen Geschwisterkindern
besteht eine Verwandtschaft 4. Grades usw.
470 S ch w ä g e r s ch a f t besteht zwischen einem Ehegatten und den
Blutsverwandten des anderen Ehegatten. Man unterscheidet auch
hier die Schwägerschaft in gerader Linie (d. h. das Verhält-
nis zu den mit dem anderen Ehegatten in gerader Linie verwandten
Personen, also das Verhältnis des einen Ehegatte! zu den Kindern
des anderen Ehegatten, d. h. den Stiefkindern, und zu den Eltern des
anderen Ehegatten, d. h. den Schwiegereltern) und die Schwägerschaft
in der Seitenlinie (d. h. das Verhältnis zu den Seitenver-
wandten des anderen Ehegatten, z. B. zu dessen Geschwistern). 9
8 Zur Verdeutlichung diene nachfolgendes Schema:
T M
CO A 0-0
Frau M. hat nach dem Tode ihres ersten Mannes (C) den D gehei-
ratet. Ihre Kinder aus den beiden Ehen (A und B) sind halbbürtige Ge-
schwister, weil sie nur die Mutter gemeinsam haben.
8 Dagegen besteht zwischen den Verwandten des einen Ehegatten
einerseits nnd denen des anderen Ehegatten anderseits (z. B. zwischen den
Männern zweier Schwestern) keine eigentliche Schwägerschaft mehr.
Vom Familienrecht
161
2. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Dieses Verhältnis, obgleich vorwiegend von den Gesetzen der 471
Moral beherrscht, ist doch in seinen wichtigsten Beziehungen auch vom
Recht geregelt. So erkennt auch das Recht die in den Geboten der
Sittlichkeit begründete Verpflichtung der Eltern und Kinder an, ein-
ander im Falle der Bedürftigkeit den Unterhalt zu gewähren; ebenso
die Verpflichtung der Eltern, den Töchtern bei ihrer Verheiratung
eine angemessene Aussteuer mitzugeben.
Die Kinder stehen, so lange sie minderjährig sind, unter der 4/2
elterlichen Gewalt des Vaters, d. h. dem Vater steht
die Sorge für die Person und das Vermögen der Kinder zu, und er
hat namens ihrer auch in persönlichen und Vermögensangelegen-
heiten als ihr vom Gesetze berufener Vertreter (als gesetzlicher
Vertreter) zu handeln; doch darf er gewisse besonders wichtige
Rechtsgeschäfte (z. B. den Verkauf oder die Belastung von Grund-
stücken der Kinder oder die Ausschlagung von Erbschaften, welche
ihnen angefallen sind) nur mit Genehmigung des Vormundschafts-
gerichts (d. h. des Amtsgerichts) vornehmen. Dieses Gericht ist auch
befugt, eineni Vater, der feine Elternpflichten vernachlässigt oder
nicht imstande ist, die Kinder vor sittlichem Verderben zu bewahren,
die Sorge für die Person oder das Vermögen der Kinder zu ent-
ziehen und nötigenfalls anzuordnen, daß die letzteren in Zwangs-
erziehung (d. h. zwangsweise in einer anderen Familie oder in einer
Anstalt) untergebracht werden (f. Nr. 821).
Während der Minderjährigkeit der Kinder steht dem Vater an 473
dem ihnen gehörigen (etwa ihnen beim Tode der Mutter oder-
anderer Verwandten zugefallenen) Vermögen die Nutznießung
zu, d. h. die Einkünfte des Vermögens gehören ihm, da er auch die
Kosten der Erziehung zu bestreiten hat. Den Grundstock des Ver-
mögens selbst darf er jedoch nicht verbrauchen. Deshalb muß auch der
Vater beim Tode der Mutter und ebenso, wenn er sich wieder verhei-
raten will, zur Sicherung des Vermögens der Kinder ein vollständiges
Verzeichnis der diesen gehörigen Vermögensstiicke anfertigen und dem
Amtsgerichte einreichen.
Ist der Vater gestorben oder verhindert, für seine Kinder zu sor- 474
gen, so steht die elterliche Gewalt in gleichem Umfange der
Mutter zu. Hierzu kann ihr jedoch vom Amtsgericht ein B e i -
st a n d bestellt werden, wenn der Vater dies vor seinem Tode letzt-
willig angeordnet hat, oder wenn die Mutter es wünscht, oder wenn
es aus besonderen Gründen, z. B. wegen des Umfanges der Vermö-
gensverwaltung, geboten erscheint. Geht die Mutter eine neue Ehe
ein, so verliert sie die elterliche Gewalt; ihren Kindern wird als-
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
162
Das bürgerliche Recht
dann ein Vormund bestellt, der sie bei Rechtsgeschäften vertritt linb
ihr Vermögen verwaltet; doch behält die Mutter das Recht und die
Pflicht, für die Person der Kinder unter der Beistandfchaft des Vor-
munds zu sorgen.
3. Die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder.
Kinder, welche während der Ehe oder binnen 302 Tagen nach
deren Auslösung geboren werden, gelten als ehelich, sofern nicht der
angebliche Vater in einem gegen das Kind gn richtenden Rechtsstreit
nachweist, daß er nicht der Vater des Kindes sein kann.
Unehelich geborene Kinder führen den Familien-
namen der Mutter und haben zu dieser und deren Verwandten
die gleiche rechtliche Stellung, wie eheliche Kinder, insbesondere
auch hinsichtlich des Erbrechts. Die uneheliche Mutter hat zwar das
Recht Mb die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, aber
keine elterliche Gewalt über das Kind; dessen Vermögensverwaltung
und gesetzliche Vertretung bei Rechtsgeschäften steht dem vom Amts-
gericht zu bestellenden Vormunde zu. Zwischen dem unehelichen Kinde
und seinem Vater besteht kein rechtliches Band der Verwandtschaft,
insbesondere kein Erbrecht. Das Kind führt nicht den Namen des
Vaters, aitcf) wenn dieser es anerkannt hat. Jedoch hat der Vater
den Unterhalb des unehelichen Kindes regelmäßig bis zu dessen
16. Lebensjahr, unter Umständen auch darüber hinaus, zu bestreiten?"
Ein uneheliches Kind wird dadurch ehelich, daß die
Eltern nachträglich miteinander die Ehe eingehen. Ferner kann ein
uneheliches Kind auch ohne eine Verheiratung der Eltern auf Antrag
seines Vaters durch eine Verfügung der Staatsgewalt" für ehelich
erklärt werden; hierdurch erhält das Kind den Namen des Vaters
uni) diesem gegenüber (nicht auch gegenüber dessen Verwandten) das
gesetzliche Erbrecht.
4. Die Annahme an Kindesstatt.
Diese (früher auch Adoption genannt) kann von einem
Ehepaar oder auch von einer einzelnen Person vorgenommen werden;
doch muß der Annehmende in der Regel mindestens 50 Jahre alt 10 11
10 Wer auf Zahlung von Unterhaltsbeiträgen für ein uneheliches Kind
gerichtlich belangt ist und seine Vaterschaft noch nicht in öffentlicher Urkunde
anerkannt hat, wird von der Unterhaltspflicht frei, wenn er nachweist, daß
Vater des Kindes auch ein anderer sein kann.
11 Die Ehelichkeitserklärung erfolgt in Bayern durch den
König Der Antrag auf Ehelichkeitserklärung ist bei dem Amtsgericht, und
zwar in der Regel bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Vater seinen
Wohnsitz hat, einzureichen.
Vom Familienrecht
163
und mindestens 18 Jahre älter als das anzunehmende Kind fein;* 12
auch darf er keine ehelichen Abkömmlinge haben.
Der Annahmevertrag muß vor Gericht oder vor einem Notar
(in Bayern nur vor einem Notar) abgeschlossen werden und bedarf
gerichtlicher Bestätigung. Durch ihn erhält das angenommene Kind
die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (ins-
besondere den Familiennamen und das Erbrecht). Dagegen wird durch
die Kindesannahme zwischen dem Kinde und den Verwandten des
Adoptivvaters kein Verwandtschastsverhältnis begründet; auch hat
der Adoptivvater selbst gegenüber dem Adoptivkinde kein Erbrecht.
ui Die Vormundschaft.
1. Die Vormundschaft über Minderjährige.
Fiir Minderjährige, die nicht unter elterlicher Gewalt 479
stehen oder deren Eltern in keiner Beziehung zur Vertretung des
Kindes berechtigt sind, wird vom Vormundschastsgericht (d. h. vom
Amtsgericht) ein Vormund bestellt, welcher für die Person des
Mündels und für dessen Vermögensverwaltung zu sorgen und in
Rechtsangelegenheiten als sein gesetzlicher Vertreter zu
handeln hat.
Als Vormund wird derjenige bestellt, den die Eltern etwa letzt- 480
willig als solchen bezeichnet haben; in zweiter Linie sind zur Füh-
rung der Vormundschaft die Großväter des Mündels berufen. Sind
sie nicht mehr am Leben, so wird der Vormund vom Gericht (insbe-
sondere aus der Zahl der Verwandten und Verschwägerten des Mün-
dels) ausgewählt. Vor dem Großvater eines unehelichen Kindes darf
seine Mutter als Vormund bestellt werden.
Die Führung der Vormundschaft ist ein Ehrenamt. 481
Die Uebernahme ist eine staatsbürgerliche Pflicht; sie darf nur aus
Gründen, welche im Gesetz besonders bestimmt sind, abgelehnt
werden.^
Der Vormund wird vom Vormundschaftsgericht zu treuer und
gewissenhafter Führung seines Amts eidesstattlich ver-
pflichtet. Es liegt ihm zunächst die Aufgabe ob, das vorhandene
12 Von diesem Erfordernisse kann jedoch unter Umständen Befreiung
bewilligt werden.
12 Insbesondere darf die Uebernahme einer Vormundschaft ablehnen,
wer bereits 60 Jahre alt ist, ferner wer selbst mehr als 4 minderjährige
Kinder hat, wer durch Krankheit oder Gebrechlichkeit an der Führung
verhindert ist, und wer bereits mehr als eine Vormundschaft oder Pfleg-
schaft führt. Frauen sind stets zur Ablehnung berechtigt.
II*
164
Das bürgerliche Recht
482
Vermögen des Mündels zu verzeichnen und das Verzeichnis dem Ge-
richt einzureichen. Bei Verwaltung des Vermögens untersteht der
Vormund der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts, dem er auch in be-
bestimmten Zwischenräumen jeweils schriftlich über die Verwaltung
Rechnung abzulegen hat. Die Kapitalien des Mündels sind sicher
anzulegen, und zwar, soweit Wertpapiere und Sparkassen in Be-
tracht kommen, nur in solchen Wertpapieren und bei solchen Spar-
kassen, welche von der Behörde als m ü n d e l s i ch e r14 bezeichnet sind.
Wichtigere Verfügungen (z. B. die Veräußerung oder Belastung von
Grundstücken, den Abschluß von Miet- oder Pachtverträgen, die Auf-
nahme von Darlehen für den Mündel, die Eingehung von Bürg-
schaften usw.) darf der Vormund nur mit Genehmigung des Gerichts
vornehmen.
In der Ueberwachung der Tätigkeit des Vormundes wird das
Vormundschaftsgericht unterstützt durch den im Falle eines Bedürf-
nisses von ihm zu ernennenden Gegenvormund 15, sowie durch
den G e in e i n d e w a i s e n r a t. Letzterer ist auch sonst zur Unter-
stützung des Vormundschaftsgerichts in allen vormundschaftlichen An-
gelegenheiten des Gemeindebezirks berufen.
Der G e m e i n d e w a i s e n r a t besteht in Bayern in Gemein-
den mit städtischer Verfassung sowie in sonstigen Gemeinden mit mehr
als fünftausend Einwohnern aus einer Mehrzahl von Personen
(einem Kollegium), nämlich dem Bürgermeister als Vorsitzenden und
einer Anzahl von Waisenräten. In den übrigen Genieinden haben
die Aufgaben des Gemeindewaisenrates einzelne Personen, die Wai-
senräte, zu erfüllen. In größeren derartigen Gemeinden können auch
mehrere Waisenräte ausgestellt werden, doch handeln sie immer nur
als Einzelpersonen; jedem wird ein bestinnnter, örtlich begrenzter
Bezirk zugeteilt. Die Waisenräte werden gewählt, in den Gemeinden
niit städtischer Verfassung von den in einen Wahlkörper vereinigten
Magistratsmitgliedern und Gemeindebevollmächtigten, in den übrigen
Gemeinden von der Gemeindeverwaltung.
Zur Unterstützung des Gemeindewaisenrats können auch W a i -
senpslegerinnen aufgestellt werden. Sie werden vom Ge-
" In Bayern sind insbesondere nachstehende Wertpapiere
für mündelsicher erklärt: Die Pfandbriefe der Bayerischen
Hypotheken- und Wechselbank, der Süddeutschen Bodenkreditbank, der Baye-
rischen Vereinsbank, der Bayerischen Handelsbank und der Vereinsbank m
Nürnberg, weiter die Pfandbriefe und die Kommunalobligationen der Baye-
rischen Landwirtschaftsbank und der Pfälzischen Hypothekenbank in Ludwigs-
hasen a. Rh., endlich die Schuldverschreibungen bayerischer Gemeinden.
15 Ein Gegenvormund ist besonders dann zu bestellen, wenn mit der
Vormundschaft eine nicht unerhebliche Vermögensverwaltung verbunden ist.
Vom Familienrecht
165
meindewaisenrat, in Gemeinden, in denen der Gemeindewaisenrat
nicht als Kolleginm organisiert ist, aber vom Bürgermeister aufge-
stellt?«
Auf Grund letztwilliger Verfügung der Eltern des Mündels oder 48z
in geeigneten Fällen auch auf den Antrag von Verwandten wird end-
lich für eine Vormundschaft vom Amtsgericht auch ein Familien-
rat eingesetzt: er besteht aus dem Vormundschaftsrichter als dein
Vorsitzenden und aus Verwandten oder Verschwägerten des Mündels
und tritt an die Stelle des Vormundschaftsgerichts, ist also insbeson-
dere zuständig zur Ernennung, Ueberwachung und Entlassung des
Vormundes und zur Genehmigung von Rechtsgeschäften desselben.
2. Die Vormundschaft über Volljährige und die Pflegschaften.
Volljährige stehen unter Vormundschaft nur dann, wenn 484
sie wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht oder Ver-
schwendung entmündigt sind (s. Nr. 347): für sie kommen als Vor-
münder in erster Reihe die Eltern und der Ehegatte in Betracht.
Während des Entmündigungsverfahrens (s. Nr. 622) werden sie er-
forderlichenfalls einstweilen unter vorläufige Vormund-
schaft gestellt.
Für solche Geschäfte, bei welchen ein Minderjähriger von 485
seinen Eltern oder seinem Vormunde nicht vertreten werden kann,
wird ihm zur Vertretung seiner Interessen ein besonderer Pfle-
ger bestellt. So z. B. für eine Erbschaftsverhandlung, bei welcher
der Vater selbst in der Weise beteiligt ist, daß seine Interessen denen
des Kindes zuwiderlaufen, oder für die Verwaltung eines Ver-
mächtnisses, das dem Kinde mit der Bestimmung zugewendet
wurde, daß dem Vater oder Vormunde die Verwaltung nicht zu-
stehen solle.
Für einen Volljährigen kann ferner (jedoch in der Regel 486
nur mit seiner Einwilligung) ein Pfleger ernannt werden, wenn
er infolge körperlicher Gebrechen (z. B. wegen Taubheit oder Blind-
heit) seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Ein solcher 10
10 In Bayern sind die Rechte und Pflichten des Vormunds auch den
Verwaltungskommissionen einiger städtischer Waisen-
häuser eingeräumt. Desgleichen kann bei Minderjährigen, die unter
Aufsicht eines Gemeindebeamten in einer Familie oder irr einer Anstalt
erzogen werden •— bei unehelichen Kindern auch dann, wenn sie unter Auf-
sicht der Gemeindebeamten in der mütterlichen Familie erzogen werden -
der G e m e i nd e b e a m te in erster Linie vom Vormundschaftsgerichte als
Vormund bestellt werden, also vor den Personen, die zunächst das Recht
hätten, Vormund zu werden. Desgleichen können in solchen Fällen den
Gemeindebeamten durch Gemeindestatut die Rechte eines Vormunds über-
tragen werden. Hier bedarf es also nicht einmal der Bestellung durch das
Vormundschaftsgericht.
166
Das bürgerliche Recht
Pfleger wird nur für bestimmte Angelegenheiten bestellt, wenn kör-
perliche oder geistige Gebrechen den Betreffenden nur an der Besor-
gung dieser Angelegenheiten verhindern.
Endlich wird für einen an unbekanntem Orte Abwesenden, dessen
Vermögensangelegenheiten einer Fürsorge bedürfen, ein Abwe-
senheitspfleger vom Gericht bestellt.
E. Wom §vBvecbte.
i. Die gesetzliche Erbfolge.
487 Mit dem Tode einer Person geht deren Vermögen (d. h. das
Aktivvermögen und die Schulden) als Ganzes auf andere Personen,
die Erben, über. Hat der Verstorbene, welcher Erblasser ge-
nannt wird, weder durch Testament noch durch einen Erbvertrag eine
andere Bestimmung getroffen, so erben die im Gesetze als Erben
bezeichneten Personen, die sog. gesetzlichen Erben. Gesetzliche
Erben aber sind die Verwandten, sowie der überlebende Ehe-
gatte des Erblassers und in Ermanglung beider die Staats-
kasse (der sog. Fiskus).
In welcher Reihenfolge sind nun diese gesetzlichen Erben zur
Erbfolge berufen?
1. Erbfolge der Verwandten?
488 Das Gesetz teilt die Verwandten in verschiedene Ord-
nungen ein und bestimmt, daß das Vorhandensein eines Erben
einer früheren Ordnung stets alle Verwandten einer späteren Ord-
nung von der Erbschaft ausschließt.
Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die
Abkömmlinge (d. h. Kinder, Kindeskinder usw.) des Erblassers. Meh-
rere Kinder des Erblassers erben zu gleichen Teilen; ist ein Kind
beim Tode des Erblassers bereits gestorben, so erben seine Kinder oder
Kindeskinder zusammen seinen Anteil. *
* Für einzelne besondere Vermögensmassen bestehen
Ausnahmen von den allgemeinen Grundsätzen über die Vererbung. Bei
ihnen soll erreicht werden, daß sich der Besitz ungeteilt erhält. Das Ver-
mögen wird deshalb, wenn mehrere Angehörige vorhanden sind, nicht geteilt,
sondern es geht nur auf ein bevorzugtes Mitglied der Familie über, so
insbesondere bei den Familienfideikommissen (s. wegen des Näheren Nr. 429),
bei den Besitzungen der Standesherren (s. Nr. 151), bei den Lehen. Soweit
jedoch die Inhaber derartigen Vermögens neben dem dem besonderen Ver-
band unterliegenden Vermögen noch anderes freies Vermögen (sogenanntes
A l l 0 d) besitzen, tritt auch bei ihnen die gewöhnliche Erbfolge ein.
Vom Erbrecht
167
Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erb- 489
lassers und deren Abkömmlinge (also die Geschwister, Neffen und
Nichten usw.) des Erblassers. Hinterläßt ein kinderlos gestorbener
Erblasser seine beiden Eltern, so fällt sein Nachlaß an diese je zur
Hälfte. Lebt der Vater oder die Mutter nicht mehr, so treten an die
Stelle des verstorbenen Elternteils dessen Abkömmlinge, d. h. zunächst
die Geschwister des Erblassers. (Hieraus ergibt sich, daß vollbürtige
Geschwister (s. Nr. 468), falls beide Eltern bereits gestorben sind,
mehr erben wie halbbürtige; denn sie sind sowohl im Vater- wie im
Mutterstamm als Erben berufen, während halbbürtige Geschwister
nur entweder im Mutter- oder im Vaterstamm erben.) Ist eines der
Geschwister bereits gestorben, so erben dessen Kinder oder Kindes-
kinder zusammen dessen Erbteil?
Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern des 490
Erblassers und deren Abkömmlinge. Hier fällt der Nachlaß an die
vier Großeltern zu gleichen Teilen. Der Anteil, der einen bereits ge-
storbenen Großelternteil treffen würde, wenn er noch am Leben wäre,
fällt an dessen Kinder (d. h. an die Oheime und Tanten des Erb-
lassers) oder deren Abkömmlinge (die Geschwister, Geschwisterkinder
usw. der Eltern des Erblassers)?
Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern
des Erblassers und deren Abkömmlinge. Hier wie in jeder der fer-
neren Ordnungen sind (anders als in den früheren Ordnungen) je-
weils die dem Grade nach nächsten Verwandten (s. Nr. 469) zur Erb-
folge berufen, mehrere gleich nahe zu gleichen Teilen.
2. Erbfolge des Ehegatten.
Der Witwer oder die Witwe einer verstorbenen Person ist 491
neben deren Blutsverwandten als Erbe berufen. Es
erbt4 nämlich der überlebende Ehegatte neben Abkömmlin- *
' Sind also z. B. noch der Vater, 2 Geschwister und 3 Kinder eines ver-
storbenen Bruders des Erblassers am Leben, die Mutter aber gestorben,
so erbt der Vater die Hälfte, jedes der 2 Geschwister ein Sechstel und
jedes der Kinder des verstorbenen Bruders den dritten Teil eines Sechstels,
d. h. ein Achtzehntel des Nachlasses.
3 Sind Abkömmlinge eines bereits gestorbenen Großelternteils nicht
vorhanden, so fällt ihr Anteil dem anderen Teil dieses Großelternpaares
oder dessen Abkömmlingen zu; lebt auch dieser andere Teil nicht mehr,
noch auch Abkömmlinge von ihm, so erben die andern Großeltern oder
deren Abkömmlinge allein.
* Das eigene Vermögen des überlebenden Ehegatten und der Anteil,
der diesem an dem ehelichen Gesamtgut zusteht, gehören selbstverständlich
nicht zum Nachlasse des Erblassers. Hat z. B. der unter Hinterlassung von
Kindern gestorbene Erblasser mit seiner Ehefrau in Errungenschaftsgemein-
schaft (s. Nr. 462) gelebt und ist bei seinem Tode neben dem eigenen Ver-
168
Das bürgerliche Recht
gen des Erblassers ein Viertel, neben Eltern oder
Geschwistern oder deren Abkömmlingen die Hälfte des
Nachlasses. Neben Großeltern erbt er gleichfalls mindestens
die Hälfte des Nachlasses; würden aber neben noch lebenden Groß-
eltern (nach der dritten Ordnung) zugleich Abkömmlinge verstorbener
Großeltern erben, so fallen die an sich auf diese Abkömmlinge treffen-
den Anteile gleichfalls dem überlebenden Ehegatten zu? Sind
auch keine Großeltern des Erblassers mehr am Leben,
so erbt der Ehegatte den ganzen Nachlaß.
3. Erbfolge des Fiskus.
Ist weder ein Verwandter noch ein Ehegatte des Erblassers vor-
handen, so ist der Fiskus des Bundesstaates, dem der Erblasser ange-
hört hat, gesetzlicher Erbe.
ii. Testament und Erbvertrag.
Die gesetzliche Erbfolge kann durch T e st a m e n t e, d. h. einsei-
tige letztwillige Verfügungen des Erblassers sowie durch Erbver-
träge eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
1. Der Inhalt der Testamente.
Der Testamentsinhalt kann sehr mannigfaltig sein. Zu-
nächst kann ein Testament selbstverständlich eine Erbeinsetzung
enthalten. Der so eingesetzte T e st a m e n t s e r b e nimmt die gleiche
Rechtsstellung ein wie ein gesetzlicher Erbe.
Zulässig ist auch, daß der Erblasser im Testament neben dem-
jenigen, der zunächst sein Erbe sein soll (dem sog. V o r e r b e n), einen
N a ch e r b e n einsetzt, welcher erst mit dem Eintritt eines im
mögen der Witwe ein Gefamtgut von 80 000 M. und ein eingebrachtes Gut
des Ehemannes im Werte von 20 000 M. vorhanden, so findet folgende
Verteilung statt: Zunächst hat die Witwe (abgesehen von ihrem eigenen
Vermögen) als Teilhaberin au der durch den Tod aufgelösten Gütergemein-
schaft (nicht als Erbin) die Hälfte des Gesamtgutes mit 40 000 M. zu bean-
spruchen. Die andere Hälfte mit 40 000 M. bildet zusammen mit dem
eingebrachten Gut des Erblassers den Nachlaß, welcher also zusammen
60 000 M. beträgt. Hiervon fällt der Witwe als Erbteil ein Viertel
(15 000 M.), den Kindern der Rest (45 000 M.) zu.
3 Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten der zweiten Ord-
nung (Eltern, Geschwistern usw.) oder neben Großeltern zur Erbfolge be-
rufen, oft erhält er ferner, abgesehen von seinem obengenannten gesetzlichen
Erbteil, als sogenannten Voraus alle zum ehelichen Hausstande gehörigen
Gegenstände sowie die Hochzeitsgefchcnke. Gehört endlich der überlebende
Ehegatte zu den erbberechtigten Verwandten des Erblassers, so erbt er zu-
gleich als Verwandter.
Vom Erbrecht
169
Testamente bezeichneten Ereignisses (meistens mit deni Tod des
Vorerben) die noch vorhandene Erbschaft erhält. In solchen Fällen ist
der Vorerbe verpflichtet, die Erbschaft dem Nacherben unversehrt zu
erhalten; es steht ihm also im wesentlichen nur die Verwaltung der
Erbschaft und der Genuß ihrer Einkünfte zu. Seine Ver-
sügungsmacht über die Erbschaftsgrundstücke wird in diesem Falle
durch einen entsprechenden Grundbucheintrag zugunsten des Nach-
erben beschränkt?
Der Erblasser kann ferner im Testament ein Vermächtnis 495
anordnen, d. h. einem anderen, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen
Vermögensvorteil zuwenden. Mit deni Tode des Erblassers erwirbt
der Vermächtnisnehmer noch nicht ohne weiteres den Gegen-
stand des Vermächtnisses, sondern nur den Anspruch gegen den mit
dem Vermächtnis beschwerten Erben oder Vermächtnisnehmer auf
Leistung des gemachten Gegenstandes.
Erlaubt ist weiter, daß der Erblasser im Testament einem Erben 496
oder einem Vermächtnisnehmer eine sog. Auflage macht, d. h. die
Verpflichtung zu einer bestimmten Leistung (z. B. zur Unterhaltung
seines Grabes) auferlegt, ohne einem andern ein Recht auf die Lei-
stung zuzuwenden.
Bestellt der Erblasser im Testament zugleich einen T e st a - 497
m e n t s v 0 l l st r e ck e r , so hat dieser regelmäßig nicht nur die
Ausführung der letztwilligen Verfügungen (z. B. die Auszahlung der
Vermächtnisse) zu besorgen, sondern auch die Auseinandersetzung
(Teilung) des Nachlasses unter den Erben zu bewirken und, bis dies
geschehen ist, den Nachlaß zu verwalten. Der Erblasser kann aber auch
(z. B. weil er dem Erben die Fähigkeit, das Vermögen beisammen zu
halten, nicht zutraut) dem Testamentsvollstrecker über die Vollziehung
des Testaments hinaus die fernere selbständige Verwaltung des Nach-
lasses übertragen.
2. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung.
Minderjährige können ein Testament (aber kein eigen- 498
händiges Testament, s. Nr. 499) ohne Zustimmung ihres gesetzlichen
Vertreters errichten, sobald sie das 16. Lebensjahr vollendet haben.
° Der Erblasser kann aber dem Vorerben auch die unbeschränkte Ver-
fügung über den Nachlaß einräumen, indem er den Nach erben nur aus
den 1l e b e r r e st, d. h. auf dasjenige einseht, was von der Erbschaft beim
Tode des V 0 r e r b e n noch übrig sein wird.
Die Nacherbeinsetzung wird z. B. gewählt, wenn ein kinderloser Erb-
lasser seine Frau als Erbin einsehen, aber auch verhindern will, daß das
Vermögen nach ihrem Tod an deren Verwandte, anstatt an seine eigenen
Verwandten falle, oder wenn ein Erblasser seine Enkel vor der Gefahr
sichern will, daß sein Sohn die Erbschaft leichtsinnig verbrauche.
170
Das bürgerliche Recht
Unfähig zur Testameutserrichtung sind dagegen die wegen Geistes-
krankheit, Geistesschwäche, Trunksucht oder Verschwendung Entmün-
digten. Auch Personen, die nicht entmündigt sind, können selbstver-
ständlich nicht testieren, so lange sie sich infolge Geistesstörung in
einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande befin-
den. Ein nicht nur vorübergehend in solcher Weise geistig Erkrankter
kann aber auch in einer lichten Zwischenzeit kein gültiges Testament
errichten.
3. Dic verschiedenen Testamentssormen.
Die einfachste Testamentsform ist diejenige des sog. eigenhän-
digen T e st a m e n t sll Zu seiner Gültigkeit ist nur erforder-
lich, daß das Testament seinem ganzen Inhalte nach eigenhändig vom
Erblasser geschrieben und unterschrieben ist und daß es den Ort sowie
den Tag seiner Errichtung enthält.
Ein Testament kann ferner vor einem Richter oder einem
Notar^ in Gegenwart von zwei Zeugen errichtet werden; der
Richter muß zu dieser Verhandlung einen Gerichtsschreiber oder zwei
Zeugen, der Notar einen zweiten Notar oder zwei Zeugen zuziehen.
Hierbei übergibt der Erblasser entweder eine Schrift offen oder ver-
schlossen dem Richter oder Notar mit der Erklärung, daß sie seinen
letzten Willen enthalte (in diesem Fall kann der Inhalt des Testa-
ments vor den Mitwirkenden geheim gehalten werden), oder er erklärt
mündlich seinen letzten Willen. In beiden Fällen nimmt der Richter-
oder Notar über die Erklärung ein Protokoll auf, welches von dem
Erblasser, dem Richter oder dem Notar und den übrigen mitwirkenden
Personen unterzeichnet werden muß. Alsdann versiegelt er das
Ganze und nimmt es in amtliche Verwahrung.
Wenn ein Notar (oder ein Richter) vorübergehend nicht zu er-
reichen ist und der vorzeitige Tod des Erblassers zu befürchten steht,
so kann letzterer vor dem Bürgermeister und zwei Zeugen ein sog. 7 8
7 Bei Errichtung eigenhändiger Testamente laufen rechts-
unkundige Personen leicht Gefahr, daß der letzte Wille wegen eines Form-
fehlers oder eines mit dem Gesetze in Widerspruch stehenden Inhalts später-
hin als rechtsunwirksam erklärt werden könnte. Auch führen solche Testa-
mente nicht selten zu Prozessen über ihre Echtheit. Wird diese bestritten,
so muß sie von demjenigen, der sich auf das Testament beruft, bewiesen
werden. Endlich besteht bei eigenhändigen Testamenten die Gefahr des
Verlorengehens und der absichtlichen Beseitigung durch Beteiligte. Dieser
Gefahr kann der Erblasser allerdings dadurch vorbeugen, daß er das Testa-
ment in amtliche Verwahrung gibt; dieses kann in Bayern nur bei einem
Notar geschehen.
8 In Bayern können öffentliche Testamente nur vor einem Notar
errichtet werden.
Vom Erbrecht
171
Nottestament (auch Dorftestament genannt) errichten. Auf
gleiche Weife oder vor drei Zeugen kann ein Testament errichtet
werden von Personen, die sich an einem dtirch eine Krank-
heitsepidemie, Ueberfchwemmnng oder dergleichen abgesperrten Orte
aufhalten (sog. A b f p e r r u n g s t e st a m e n t). Ferner kann auf
einer Seereife an Bord eines deutschen Schiffes vor drei Zeugen ein
sog. Seetestament errichtet werden. Alle diese Testamente haben
nur Gültigkeit, wenn der Erblasser stirbt, ehe drei Monate vom Weg-
fall der Hindernngsgründe ab verflossen find. Besondere Vorschriften
bestehen endlich für die T e st a m e n t e der im Felde befindlichen
M i l i t ä r p e r s o n e n und von Angehörigen der Marine.
4. Aufhebung eines Testaments.
Da ein Testament den letzten Willen des Erblassers darstellen 502
soll, kann es von ihm bis zu seinem Tode jederzeit widerrufen wer-
den. Dieser Widerruf kann entweder in einem anderen Testa-
mente ausdrücklich erfolgen oder stillschweigend durch Zu-
rücknahme des öffentlich errichteten Testaments aus der amtlichen
Verwahrung oder durch absichtliche Vernichtung des eigenhändigen
Testaments oder endlich durch Errichtung eines mit dem Inhalte des
früheren Testaments sachlich nicht vereinbaren neuen Testaments.
5. Ablieferung und Eröffnung der Testamente.
Die Nachlaßgerichte, d. h. die Amtsgerichte, erhalten durch die 50z
Standesämter Kenntnis von den Todesfällen. Sie haben dann dafür
zu sorgen, daß die Testamente, die der Verstorbene etwa hinterließ,
eröffnet, d. h. daß ihr Inhalt zur Kenntnis der Beteiligten gebracht
wird. Sie haben die Eröffnung in Bayern in der Regel selbst vor-
zunehmen; befindet sich jedoch das Testament verschlossen in der amt-
lichen Verwahrung eines bayerischen Notars und hat dieser seinen
Amtssitz an einem anderen Ort als das Nachlaßgericht, so hat der
Notar die Eröffnung vorzunehmen.
Wer ein Testament in Besitz hat, ist verpflichtet, es unverzüglich,
nachdem er von dem Tode des Erblassers Kenntnis erhalten hat, an
das Nachlaßgericht abzuliefern. Besteht Verdacht, daß jemand ein
Testament verheimlicht, so kann er von dem Gericht zur Leistung des
Offenbarungseides angehalten werden.
6. Erbverträge und Erbverzichte. Gemeinschaftliche Testamente.
Ein Erblasser kann auch über seine künftige Beerbung mit einem 504
andern einen Vertrag (Erbvertrag) schließen, durch welchen er den
anderen Teil oder einen Dritten als Erben einsetzt oder Vermächt-
172
Das bürgerliche Recht
nisse usw. anordnet. Solche Erbverträge" müssen, um gültig
zu sein, gerichtlich oder notariell und unter Beobachtung der für-
ordentliche öffentliche Testamente vorgeschriebenen Formen abgeschlos-
sen werden. Sie können nicht, wie sonstige letztwillige Verfügungen,
einseitig, d. h. ohne Zustimmung des anderen Vertragsteils, wider-
rufen werden.
505 Ehegatten sind befugt, in einer und derselben Urkunde ein
gemeinschaftliches Testament zu errichten. Solche Testa-
mente können in der Regel von einem Teil einseitig nur widerrufen
werden durch eine dem anderen Ehegatten gegenüber in öffentlicher
Urkunde abzugebende Erklärung; nach dem Tode des anderen Ehe-
gatten ist regelmäßig der Widerruf ausgeschlossen. Insofern weisen
sie also eine gewisse Aehnlichkeit mit den Erbverträgen auf.
506 Zulässig ist endlich auch ein Erbverzichtsvertrag, d. h.
ein zwischen dem Erblasser und einem zukünftigen Erben ge-
schlossener Vertrag, durch welchen der Erbe ans sein Erbrecht, und
damit auch auf sein Pflichtteilsrecht (s. Nr. 607), verzichtet.
in. Pflichtteil und Erbunwürdigkeit.
507 Der Grundsatz, daß jeder Erblasser durch letztwillige Verfügun-
gen oder durch Erbverträge die Ansprüche der gesetzlichen Erben auf
den Nachlaß nach Belieben ausschließen oder beschränken kann, erleidet
eine Ausnahme zugunsten der nächsten Angehörigen des Erblassers,
nämlich zugunsten seiner Abkömmlinge, seiner Eltern und
seines Ehegatten. Diese Angehörigen können nämlich verlangen,
daß sie aus der Erbschaft wenigstens den sog. Pflichtteil erhalten.
Dieser Pflichtteil beläuft sich aus die H ü l f t e i h r e s g e s e tz l i ch e n
Erbteils, d. h. er besteht in der Hälfte des Betrages, den die
Pflichtteilsberechtigten als gesetzliche Erben bekommen hätten, wenn
der Erblasser nicht anderweit über seinen Nachlaß verfügt hätte?"
° Erbverträge werden besonders häufig zwischen Ehegatten
oder Verlobten in derselben Urkunde mit einem Ehevertrage (s. Nr. 461)
abgeschlossen, wobei sich beide Teile für den Todesfall Zuwendungen ver-
sprechen. Vielfach werden auch Erbverträge mit Verpflegungsverträgen
verbunden in der Weise, daß der eine Teil den andern in lebenslängliche
Verpflegung übernimmt, wogegen der letztere zugunsten des ersteren von
Todes wegen verfügt.
10 Hinterläßt z. B. ein Erblasser seine Witwe und 2 Kinder, so be-
trägt der Pflichtteil der Witwe ein Achtel des Nachlasses, der Pflichtteil
jedes Kindes dagegen drei Sechzehntel des Nachlasses; denn bei der gesetz-
lichen Erbfolge hatte die Witwe ein Viertel und jedes der Kinder die
Hälfte der übrigen drei Viertel, also jedes drei Achtel des Nachlasses er-
halten.
Vom Erbrecht
173
Die Pflichtteilsberechtigten werden vom Gesetze 508
nicht als Erben behandelt, d. h. ihnen fällt nicht etwa mit dem
Tode des Erblassers der sie treffende Teil des Nachlasses im Stück
nebst den darauf haftenden Schulden an, sondern sie können nur von
demjenigen, welcher Erbe wird, den Wert ihres Pflichtteils in Geld
verlangen. Damit übrigens nicht der Erblasser das Pflichtteilsrecht
bei seinen Lebzeiten durch Schenkungen absichtlich schmälern könne,
gibt das Gesetz den Pslichtteilsberechtigten die Befugnis, zu verlan-
gen, daß bei Feststellung der Höhe des Nachlasses, aus welchem sich der
Pflichtteil berechnet, auch diese Schenkungen dem beim Tode vor-
handenen Nachlaßvermögen hinzugerechnet werden.
Der Erblasser darf aber durch letztwillige Verfügungen 509
auch den Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteilsanspruch entziehen,
sie also völlig enterben, wenn sie sich bestimmter schwerer, ins-
besondere strafbarer Verfehlungen gegen ihn, seinen Ehegatten oder-
feine Abkömmlinge schuldig machen. Bei Kindern und deren Abkömm-
lingen ist eine völlige Enterbung auch dann zulässig, wenn sie
einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führen. Ferner kann
der Erblasser wegen Verschwendung oder Ueberschuldung eines Ab-
könrmlings eine sogenannte Beschränkung des Pflicht-
teils in guter Absicht anordnen, indem er entweder die ge-
setzlichen Erben des Pslichtteilsberechtigten als Nacherben (s. Nr. 494)
oder Nachvermächtnisnehmer einsetzt oder die Verwaltung des Pflicht-
teils aus die Lebenszeit des Pslichtteilsberechtigten einem Testaments-
vollstrecker (s. Nr. 497) überträgt.
Ihres Erbrechts überhaupt und damit auch ihres Anspruchs auf 510
den Pflichtteil gehen verlustig Personen, welche erbunwürdig
sind. Wer nämlich den Erblasser vorsätzlich getötet oder zu töten ver-
sucht oder ihn testierunsähig gemacht hat, wer eine Testamentserrich-
tung widerrechtlich verhindert oder im Wege der Täuschung oder durch.
Drohung veranlaßt oder wer ein Testament gefälscht oder zerstört hat,
dessen Erbrecht (beruhe es nun aus dem Gesetz oder auf Testament)
kann von den anderen Beteiligten wegen Erbunwürdigkeit angefoch-
ten werden.
iv. Die rechtliche Stellung der Erben.
1. Die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft.
Mit dem Augenblicke des Todes des Erblassers geht, wie wir 511
bereits sahen, dessen Nachlaß als Ganzes (nämlich die Aktiven und
Passiven) auf den oder die Erben über. Jedoch haben die Erben
(mit Ausnahme des Fiskus) das Recht, die Erbschaft auszuschlagen.
Diese Ausschlagung der E r b s ch a s t, zu der zumeist die
174
Das bürgerliche Recht
Ueberschuldung des Nachlasses den Anlaß gibt, muß gegenüber detn
Nachlaßgericht^ entlveder zu Protokoll oder schriftlich in öffentlich be-
glaubigter Form erklärt werden, und zwar innerhalb 6 Wo-
chen (falls aber der Erblasser im Auslande wohnte oder der Erbe
bei Beginn der Frist sich dort aufhält, innerhalb 6 Monaten), seit-
dem der Erbe von seiner Berufung zur Erbschaft Kenntnis erlangt
hat. Die Ausschlagung ist nicht mehr zulässig, wenn der Erbe die Erb-
schaft ausdrücklich oder stillschweigend (d. h. durch Handlungen, die
auf den Annahmewillen schließen lassen, z. B. durch den Antrag auf
Auseinandersetzung oder durch die nicht dringliche Veräußerung von
Nachlaßgegenständen) angenommen hat.
2. Die Haftung der Erben für die Nachlaßschuldcn.
Da sich beim Erbgange das Vermögen des Erblassers mit dem-
jenigen des Erben vermischt, so h a f t e t d e r E r b e auch mit
seine m eigenen Vermögen für alle Schulden des
Erblassers. Mehrere Erben haften grundsätzlich
s a m t v e r b i n d l i ch (s. Nr. 379), d. h. jeder haftet (vorbehaltlich
seines teilweisen Rückgriffs auf die Miterben) für den ganzen Betrag
der Erbschaftsschulden.
Die Vermengung des Nachlasses mit dem Vermögen des
Erben kann jedoch die Ansprüche der Gläubiger des Erblassers ge-
fährden, besonders wenn der Erbe überschuldet oder verschwenderisch
ist. Andererseits wäre es auch unbillig, wenn bei einer überschuldeten
Erbschaft der Erbe, nachdem er in Unkenntnis der Ueberschuldung oder
aus Pietät gegen den Erblasser die Erbschaft angenommen hat, gezwun-
gen sein sollte, unter allen Umständen für die Erbschaftsschulden mit
seinem eigenen Vermögen aufzukommen. Das Gesetz gibt daher zu-
nächst den Gläubigern des Erblassers das Recht, eine Nachlaßver-
waltung zu beantragen. In diesem Falle wird die Verwaltung
des Nachlasses dem Erben entzogen und dem gerichtlich bestellten Nach-
laßverwalter übertragen, welcher die Verwertung zu besorgen und aus
dem Erlöse die Nachlaßgläubiger zu befriedigen hat. Der Erbe Hafter
alsdann mit seinem eigenen Vernwgen nicht mehr für die Nachlaß-
schulden. Um diese Befreiung von der persönlichen Haftung zu er-
langen, kann aber auch der Erbe selbst die Anordnung der Nachlaß-
verwaltung beantragen, vorausgesetzt, daß er auf etwaiges Verlan-
gen der Nachlaßgläubiger innerhalb der ihm vom Gericht gege-
benen Frist ein vollständiges Erbfchaftsinventar^ (ein 11 12
11 Nachlaßgericht ist in Bayern das Amtsgericht, und zwar jenes, in
dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte.
12 Das Erbschaftsinventar kann er in Bayern entweder selbst
errichten; er hat aber hierbei einen Notar zuzuziehen; oder er kann beantra-
Vom Erbrecht
17
Verzeichnis aller zum Nachlasse gehörigen Gegenstände mit Angabe
des Werts und aller Nachlaßschulden) errichtet hat. Sind die vorhan-
denen Aktiven des Nachlasses so gering, daß die Anordnung einer
Nachlaßverwaltung sich wegen der damit verknüpften Kosten nicht
lohnt, so haftet der Erbe mit feinem eigenen Vermögen dann nicht
für die Erbschaftsschulden, wenn er den Nachlaß den Erbschaftsgläubi-
gern herausgibt, damit sie sich im Wege der Zwangsvollstreckung, so-
weit möglich, daraus befriedigen.
Bei einer Ueberschuldung des Nachlasses können endlich sowohl 5
die Nachlaßgläubiger als die Erben die Eröffnung des N a ch l a ß-
konkurses (f. Nr. 641 u. ff.) beantragen: damit erlischt gleich-
falls die persönliche Haftung der Erben für die Erbschaftsschulden.
v. Das Verfahren zur Sicherung, Feststellung und
Anseinanderfehnng der Erbschaft und zur Ermittlung
der Erben. Der Erbschein.
Beim Eintritt eines Todesfalls hat in Bayern der Standes- 5
beamte dem Amtsgericht, zu dessen Bezirke er gehört, Anzeige
hiervon zu erstatten. Das Amtsgericht hat zu prüfen, ob der
Nachlaß gegen Verschleppung oder sonstige Schädigungen gesichert
ist. Wenn eine Sicherung notwendig ist, hat das Amtsgericht die er-
forderlichen Maßregeln zu treffen. Als solche kommen insbesondere
in Betracht die Aufnahme eines sog. Nachlaßverzeichnisses* 13,
d. h. eines Verzeichnisses der zum Nachlaß gehörigen Gegenstände,
die Anlegung von Siegeln an die zum Nachlaß gehörigen Gegen-
stände oder an die Wohnung oder an die Geschäftsräume des Ver-
storbenen, die Wegnahme und gerichtliche Verwahrung von Geld,
Wertpapieren und Kostbarkeiten. Unter Umständen kann auch eine
Nachlaßpflegschaft angeordnet werden, d. h. es wird eine 5
Person, der sogenannte Nachlaßpfleger, aufgestellt, der die Ver-
waltung der zum Nachlaß gehörigen Gegenstände zu übernehmen,
z. B. ein Geschäft weiterzuführen oder eine Wohnung zu kündigen hat.
gen, daß das Inventar amtlich aufgenommen wird. In diesem Falle hat
das Nachlaßgericht die Errichtung einem Notar zu übertragen; es kann mit
der Errichtung aber bei kleineren Nachlässen auch einen Gerichtsschreiber
betrauen.
13. Das Nachlaßverzeichnis ist in Bayern in der Regel durch den
Notar aufzunehmen; beträgt der Wert des Nachlasses ohne Abzug der
nur 2000 M. oder nicht erheblich mehr, so kann auch der Gerichtsschreiber
das Verzeichnis aufnehmen. Das Nachlaßgericht hat darnach entweder
einen Notar oder einen Gerichtsschreiber mit der Aufnahme des Verzeich-
nisses zu betrauen.
176
Das bürgerliche Recht
Für besonders dringende Fälle hat der B ü r g e r m e i st e r die zur
Sicherung des Nachlasses erforderlichen Maßregeln zu treffen. Er
hat hiervon sofort das Amtsgericht zu verständigen.
518 In Bayern wird abweichend von den Bestimmungen des Bürger-
lichen Gesetzbuches in jedem Fall von Amts wegen, d. h. ohne
daß einer der Beteiligten es verlangt, durch das Nachlaßgericht, das
ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Verlebte seinen letzten
Wohnsitz hatte, fe st ge st eilt, wer Erbe eines Verstorbe-
n e n geworden i st. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Ver-
lebte einen die Beerdigungskosten übersteigenden Nachlaß nicht hin-
terließ; in solchen Fällen wird der Erbe nur ausnahmsweise festge-
519 stellt. Bei Ermittlung des Erben hat das Amtsgericht auch dafür zu
sorgen, daß Grundstücke, die zuni Nachlaß gehören, im Grundsteuer-
kataster und im Grundbuch oder, wo das Grundbuch noch nicht einge-
führt ist, im Hypothekenbuch auf die Erben umgeschrieben werden.
In ähnlicher Weise hat es dafür zu forgen, daß zum Nachlaß gehörige
Hypotheken auf die Erben umgeschrieben werden.
520 Für gewisse Fälle verlangt das Gesetz die Vorlage eines sog.
Erbscheines, d. h. eines in einem besonderen reichsgesetzlich ge-
regelten Verfahren, das Garantien für Zuverlässigkeit bietet, ausge-
stellten Zeugnisses des Nachlaßgerichts, wer Erbe eines Verstorbenen
geworden ist. Dieser Erbschein wird in der Regel nur erteilt, wenn
ein Testament vorgelegt wird, oder im Falle der gesetzlichen Erbfolge,
wenn die Verwandtschaft durch öffentliche Urkunden nachgewiesen
wird. In Bayern haben die Nachlaßgerichte die Beteiligten hierbei zu
unterstützen und die Urkunden von den Standesämtern oder Pfarr-
ämtern in der Regel felbst zu erholen.
521 Sind mehrere Erben vorhanden, so ergibt sich meistens das Be-
dürfnis nach einer fogenannten Nachlaßausei nander-
f e tz u n g, d. h. einer Teilung der Nachlaßgegenstände unter die ver-
schiedenen Erben. In Bayern hat das Amtsgericht von Amts wegen
den Beteiligten hierbei behilflich zu fein; es hat, wie das Gesetz sich aus-
drückt, die Auseinandersetzung zu vermitteln. Die amtliche Vermitt-
lung unterbleibt, wenn die Beteiligten sich unter sich ohne Ein-
mischung des Gerichts auseinandersetzen oder, wenn sie überhaupt
nicht teilen wollen, ein Fall, der häufig eintritt, wenn nur Kinder
und ein überlebender Eheteil Erben find. Zum Zweck der Auseinan-
dersetzung stellt das Gericht zunächst die Teilungsnmsse fest, d. h. es
erhebt, was überhaupt zum Nachlasse gehört, und dann macht es Tei-
lungsvorschläge, d. h. es schlägt vor, was der einzelne erhalten soll.
Ueber das Verfahren sind hierbei Vorschriften im Einzelnen gegeben.
Vom Erbrecht
177
Gehören Grund st ückezumNachlaß, so soll das Nachlaßgericht 522
nach Feststellung der Teilungsmasse die weitere Vermittlung einen!
Notar überweisen. Auch in anderen Fällen kann, wenn sämtliche Be-
teiligte es wollen, die Vermittlung einem Notar übertragen werden.
Es können die Beteiligten auch selber, bevor noch das Gericht die Aus-
einandersetzung von Anits wegen in die Hand nimmt, die Ausein-
andersetzung entweder beim Nachlaßgericht oder bei einem Notar be-
antragen. Es erfolgt dann die Auseinandersetzung in ähnlicher Weise
wie bei der Auseinandersetzung von Anits wegen.
Solange die Auseinandersetzung nicht erfolgt ist, leben die Erben 52z
in sog. Erbengemeinschaft. Während ihrer kann ein Erbe
allein über seinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenständen nicht
verfügen; er kann also z. B. seinen Anteil an einem Grundstück nicht
verkaufen; wohl aber kann er seinen ganzen Anteil an der Erbschaft
veräußern. Die Miterben haben hierbei das gesetzliche Verkaufsreckch
(s. Nr. 396), damit sie den Eintritt eines Fremden in die Erben-
gemeinschaft verhindern können.
vi. Die Ausgleichungspflicht der Abkömmlinge.
Wird jemand von seinen Kindern oder deren Abkömmlingen 524
nach der gesetzlichen Erbfolge beerbt, so ist anzunehmen, daß der Erb-
lasser keines seiner Kinder bevorzugen wollte. Diese müssen daher
bei der Auseinandersetzung des Nachlasses die Zuwendungen, welche
sie bei Lebzeiten des Erblassers von diesen! erhalten haben, sich auf
ihren Erbteil anrechnen lassen. Aber nicht bezüglich aller solcher
Vorempfänge besteht diese Ausgleichungspslicht, son-
dern in der Regel nur bezüglich der erhaltenen sog. A u s st a t t u n g,
d. h. bezüglich desjenigen, was ein Abkömmling mit Rücksicht auf seine
Verheiratung oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebens-
stellung zur Begründung oder Erhaltung der Wirtschaft oder der Le-
bensstellung erhalten hat. Zuschüsse dagegen, die zu dem Zwecke
gegeben worden sind, als laufende Einkünfte verwendet zu
werden, sowie Aufwendungen für die Vorbildung zu
einemBerufe sind nur insoweit zur Ausgleichung zu bringen, als
sie das den Vermögensverhältnissen des Erblassers entsprechende Maß
überstiegen haben.
Rücksichtlich aller hiernach an sich ausgleichungspflichtigen Zu-
wendungen kann aber der Erblasser schon bei der Hingabe oder durch
letztwillige Verfügung (soweit hierdurch der Pflichtteil der anderen
Kinder nicht verletzt wird) anordnen, daß sie auf den Erbteil nicht an-
zurechnen seien. Andererseits kann er auch bestimmen, daß Zuwendun-
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 12
178
Das bürgerliche Recht-
gen, welche an sich nicht zur Ausgleichung zu kommen hätten, ans den
Erbteil angerechnet werden sollen.
525 Die Ausgleichung findet bei der Auseinandersetzilng i n
der Weise st a t t, daß die sänitlichen ausgleichungspflichtigen
Zuwendungen dem Nachlasse, soweit er den Abkömmlingen zukommt,
hinzugerechnet und aus dem so ergänzten Nachlasse die Erbteile berech-
net werden. Auf diese Erbteile werden sodann den einzelnen Erben
ihre ausgleichungspflichtigen Zuwendungen angerechnet."
526 Besteht über die Höhe der Vorempfänge Streit, so sind die Erben
verpflichtet, ein Verzeichnis aufzustellen und unter Umständen dessen
Richtigkeit und Vollständigkeit mit dem sog. Offenbarungseid
zu bekräftigen.
F. Wom Kxanbebs- und WecHsàechte.
1. Die Gesetzgebung.
527 Der Handel (das ist die aus den Umsatz der Güter gerichtete
Tätigkeit, s. Nr. 1226) kann seinem Wesen nach nicht an der Scholle
hasten, sondern strebt ins Weite; für ihn ist daher eine gemeinsanre,
einheitliche Gesetzgebung von besonderer Wichtigkeit. Dies hat dazu
geführt, daß bereits zur Zeit des Deutschen Bundes in den deutschen
Einzelstaaten ein einheitliches Handels- und Wechselrecht geschaffen
wurde in dem Handelsgesetzbuch vom Jahre 1861 und der
Wechselordnung vom Jahre 1847. Sie sind beide mit der
Gründung des Reichs Reichsgesetze geworden und haben auch in
Oesterreich Geltung. Das Handelsgesetzbuch hat bei Gelegenheit der
Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zahlreiche Abänderungen
erfahren. Ferner bestehen daneben verschiedene handelsrechtliche Ein-
• zelgesetze des Reichs.
2. Der Handelsstand.
528 Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuchs ist, wer ein
Handelsgewerbe betreibt. Das tut aber nicht nur, wer sich ausschließ-
lich mit dem Handel von Waren besaßt, sondern auch der Fabrikant,
" Beträgt z. B. der den zwei Kindern (A und B) des Erblassers zu-
kommende Nachlaß 35 000 M., und hat A ausgleichungspslichtige Zuwen-
dungen in Höhe von 10 000 M., B solche int Betrage von 5000 M. erhalten,
so beläuft sich der Nachlaß unter Hinzurechnung dieser Zuwendungen aus
35 000 + 10 000 + 5000 = 50 000 M. Das Erbteil jedes Kindes beträgt
also 25 000 M., woraus sich A 10 000 M., B 5000 M. anrechnen lassen
muß, so daß A noch 15 000 M., B noch 20 000 M. erhält. Hat ein aus-
gleichungspflichtiger Miterbe durch die Zuwendung mehr erhalten, als sein
aus diese Weise berechneter Erbteil beträgt, so ist er zur Herauszahlung des
Mehrbetrags nicht verpflichtet.
Vom Handels- und Wechselrecht
179
der Bankier, die Versicherungsgesellschaft, der Spediteur, der Fracht-
führer, der Kommissionär, der Handlnngsagent, der Verlagsbuch-
händler, der Druckereibesitzer usw. Sie alle sind Kaufleute. Auch
Frauen können Kaufleute sein.
Die F i r m a eines Kaufmanns ist der Name, unter den: er im 529
Handel seine Geschäfte betreibt und seine Unterschrift abgibt. Eine
bekannte Firma, die das Vertrauen ihrer Kundschaft besitzt, ist ein
wertvoller Bestandteil eines Geschäfts; die Firma bleibt deshalb in
der Regel unverändert, auch wenn das Geschäft durch Todesfall oder
im Wege des Verkaufs ans einen neuen Besitzer übergeht. So kommt
es, daß eine Firma sich keineswegs immer mit dem Namen des gegen-
wärtigen Inhabers deckt. Tie Firma und ihr jeweiliger Inhaber
werden in das bei dem Anitsgericht geführte Handelsregister
eingetragen, das von jedermann eingesehen werden kann. Auch wer-
den die Eintragungen in den öffentlichen Blättern bekannt gemacht.
Jeder Kaufmann ist verpflichtet, ordnungsmäßige Geschäfts- 53«
b ii ch e r zu führen und bei Beginn seines Geschäfts ein Inventar,
d. h. ein vollständiges Verzeichnis seines Vermögens, sowie eine B i-
l a n z, d. h. einen das Verhältnis des Vermögens und der Schulden
darstellenden Abschluß, zu fertigen. Eine Bilanz ist ferner jeweils
nach Ablauf eines Geschäftsjahres, ein neues Inventar ist bei größe-
ren Warenlagern jeweils mindestens alle zwei Jahre aufzustellen.1
Unter dem Geschäftsperfonal des Kaufmanns nehmen eine be- 531
sondere Vertrauensstellung ein die P r o k u r i st e n; denn die Ertei-
lung der Prokura, welche in das Handelsregister eingetragen werden
muß, gibt dem Prokuristen die Befugnis, alle Geschäfte und Rechts-
handlungen, die der Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt, für
die Firma vorzunehmen, sowie namens der Firma Unterschriften ab-
zugeben. Eingehend geordnet sind ferner im Handelsgesetzbuch die
Verhältnisse der H a n d l u n g s g e h i l s e n , d. h. der in einem Han- 532
delsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellten Perso-
nen, worunter auch die Handlungsreisenden zählen. Von ihnen zu
unterscheiden sind die Handlungsagenten, welche, ohne als 533
Handlungsgehilfen angestellt zu sein, ständig für einen Kaufmann
den Abschluß von Geschäften vermitteln, und zwar in der Regel gegen
Provision, d. h. gegen Bezug eines gewissen Prozentsatzes aus dem
Preise der verkauften Waren. Die Handelsmäkler (s. Nr. 405)
dagegen besorgen zwar gleichfalls die Vermittelung von Handelsge-
schäften, aber nicht ständig im Dienste des gleichen Kaufmanns. Sie
spielen besonders bei den Börsen (s. Nr. 1049) eine wichtige Rolle. *
' Die Unterlassung der richtigen Buchführung und Bilanzziehung
wird dann gerichtlich bestraft, wenn der Kaufmann in Konkurs gerät
(s. Nr. 651).
12*
180
Das bürgerliche Recht
3. Die Handelsgesellschaften.
534 a. Wenn zwei oder mehr Personen sich zum Zwecke des Betriebs
eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma zu einer soge-
nannten offenen Handelsgesellschaft vereinigen, so hastet jeder Gesell-
schafter den Gläubigern für die Gesellschaftsschulden samtverbindlich
und persönlich, d. h. nicht nur mit seinem Anteil am Gesellschaftsver-
mögen, sondern mit seinem ganzen Vermögen. Diese Haftung besteht
auch nach der Auslösung der Gesellschaft oder nach dem Ausscheiden
eines Gesellschafters noch fünf Jahre lang fort. Zur Vertretung der
Gesellschaft, welche (wie übrigens alle Arten von Handelsgesellschaf-
ten) in das Handelsregister (s. Nr. 529) eingetragen werden muß, ist
jeder Gesellschafter berechtigt, wenn er nicht durch den Gesellschafts-
vertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist.
535 b. Will sich jemand bei dem Handelsgewerbe eines andern mit
einem bestimmten Kapital an Gewinn und Verlust beteiligen, so kann
er das in der Weise tun, daß er nach außen überhaupt nicht hervor-
tritt und nur zu dem Geschäftsinhaber in einem Vertragsverhältnis
steht. Dieser führt alsdann das Geschäft nach außen vollständig als
sein eigenes und unter seiner eigenen Firma. Der mit seinem Kapi-
tal Beteiligte heißt in diesem Falle „stiller Gesellschafter" und die Ge-
sellschaft ist eine stille Gesellschaft.
536 c. Man kann sich aber an dem Handelsgeschäft eines andern mit
einer bestimmten Vermögenseinlage (ohne weitere persönliche Haf-
tung) auch öffentlich als „Kommanditist" beteiligen. Die Komman-
ditisten einer solchen Kommanditgesellschaft, welche auch eine eigene
Firma führt, hasten alsdann mit ihrer Einlage, die zum Handels-
register anzumelden ist, den Gesellschastsgläubigern für die Verbind-
lichkeiten der Gesellschaft. Ist das Kapital der Kommanditisten ent-
sprechend groß, so kann es auch in übertragbare Anteile von einer be-
stimmten Größe (Aktien) eingeteilt werden; alsdann ist die Gesell-
schaft eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, welche sich von den unten
näher zu besprechenden Aktiengesellschaften im wesentlichen nur da-
durch unterscheidet, daß bei ihr neben den nur mit dem Aktienbetrag
hastenden Aktionären auch Gesellschafter beteiligt sind, die für die Ge-
sellschaftsschulden persönlich (mit ihrem ganzen Vermögen) haften.
537 ck. Eine besonders bedeutsame Rolle in Industrie und Handel
spielen die bereits erwähnten Aktiengesellschaften, eine Gesellschafts-
form, die hauptsächlich dann gewählt wird, wenn ein Unternehmen
sehr große Kapitalien erfordert. Bei der Aktiengesellschaft gibt es
keine persönlich haftenden Gesellschafter; es haftet für die Schulden
der Gesellschaft nur das zusammengeschossene Grundkapital, welches
in gleiche oder verschieden große Anteile zerlegt ist. Die Geschäftsan-
Vom Handels- und Wechselrecht
181
teile sowie die über sie ausgestellten, entweder auf den jeweiligen In-
haber oder den Namen lautenden Scheine heißen Aktien. Die Ak-
tien müssen in der Regel mindestens auf den Betrag von 1000 Mark
gestellt werden, doch ist die Ausgabe von Aktien im Nennbeträge von
mindestens 200 Mark dann zulässig, wenn der Bundesrat es gestattet
oder wenn bestimmt wird, daß sie nur mit Zustimmung der Gesell-
schaft übertragen werden dürfen. Der jährliche Reingewinn der Ge-
sellschaft wird auf die Aktionäre als „Dividend e" verteilt. Da
die Aktien, besonders wenn sie aus den Inhaber gestellt sind, leicht
übertragen werden können, so bilden sie häufig einen Gegenstand des
Handelsverkehrs und haben an den Börsen ebenso wie andere Wert-
papiere einen Marktpreis (K u r s), der in Prozenten des Nennwerts
ausgedrückt wird? Die Höhe dieses Kurses ist besonders abhängig
von dem Vertrauen, das dem Unternehmer entgegengebracht wird,
und von der Höhe der gezahlten Dividenden?
Die Vertretung der Aktiengesellschaft und die Leitung der Ge- 538
schäftsführung geschieht durch den aus einem oder mehreren Mit-
gliedern bestehenden V 0 r st a n d; daneben besteht ein Aussichts-
rat, der bei Vermeidung gerichtlicher Bestrafung darüber zu wachen
hat, daß die für die Geschäftsführung zum Schutz der Aktionäre und
der Gesellschastsgläubiger gegebenen gesetzlichen Vorschriften beachtet
werden. Die Aktionäre üben ihre Rechte in der Generalver-
sammlung aus, und zwar zählt in ihr bei den Beschlußfassungen
in der Regel jede Aktie als eine Stimme.
Nicht selten werden schwindelhaste Gründungen von Aktien- 539
gesellschasten ins Werk gesetzt, besonders aus die Weise, daß ein un-
rentables geschäftliches Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um- * *
* Ist z. B. der Kurs einer Aktie 110, so heißt das, daß eine Aktie
im Nennbeträge von 1000 Mark mit 1100 Mark bezahlt wird.
* Will eine Aktiengesellschaft durch Ausgabe weiterer Aktien ihr
Grundkapital erhöhen, so räumt sie diesen neuen Aktien, um deren Absatz
zu sichern, häufig vor den alten, den sog. Stammaktien, gewisse Vor-
rechte hinsichtlich der Teilnahme am Reingewinn usw. ein. Solche bevor-
zugte Aktien heißen Prioritätsaktien oder schlechtweg Prioritäten.
Sie sind wohl zu unterscheiden von den Prioritätsobligationen,
d. h. den Schuldverschreibungen über Anleihen, welche von den Gesell-
schasten ausgegeben werden mit der Bestimmung, daß die Inhaber ihren
zugesagten festen Zins aus dem Reingewinn erhalten müssen, bevor an die
Aktionäre eine Dividende verteilt wird. Die Inhaber der Prioritäts-
obligationen, welche gleichfalls häufig einfach Prioritäten genannt werden,
sind also lediglich zinsberechtigte Darlehensgläubiger der Gesellschaft, nicht
selbst Mitglieder oder Aktionäre.
Bei wiederholten Anleihen (sog. Emissionen) gehen die Obliga-
tionen der früheren Emission denen der späteren Emissionen in bezug aus
Zinsgenutz usw. in der Regel vor.
r
182 Das bürgerliche Recht
gewandelt wird, wobei die Gründer für ihre eingebrachten, zu hoch
angeschlagenen Sacheinlagen (Fabrikgebäude, Geschäftseinrichtungen,
Patente usw.) die Aktien übernehmen, den Kurs der letzteren
durch unlautere Mittel vorübergehend in die Höhe treiben und sie
zum Schaden des Publikums verkaufen. Zum Schutze der All-
geineinheit gegen solche Machenschaften findet vor der Eintragung
einer Aktiengesellschaft zum Handelsregister eine eingehende Prü-
fung des Gründungshergangs statt, unb der Vorstand
wie der Aufsichtsrat hasten strafrechtlich für die Richtigkeit der hier-
bei geinachten Angaben.
540 Löst sich eine Aktiengesellschaft (oder eine andere Handelsgesell-
schaft) freiwillig aus, so wird ihre L i q u i d a t i 0 n , d. h. die Abwick-
lung ihrer Geschäfte und die Verwertung und Verteilung des Gesell-
schaftsvermögens, durch Liquidatoren besorgt, welche nötigenfalls
durch das Gericht zu bestellen sind.
541 e. Eine weitere Gattung von Handelsgesellschaften sind die
durch ein besonderes Reichsgesetz geregelten Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung. Sie können zu jedem erlaubten Zwecke ge-
gründet werden und müssen stets in ihrer Firma den Zusatz „mit
beschränkter Haftung" führen. Bei ihnen haftet den Gläubigern nur
das von den Gesellschaftern zusammengeschossene S t a m m -
kapital, welches mindestens 20 000 M. betragen muß; doch kann
die Gesellschaft in gewissen Grenzen Nachschüsse von ihren Mitglie-
dern fordern. Die Stammanteile der einzelnen Gesellschafter können
verschieden groß sein, müssen sich aber aus mindestens 500 Mark be-
laufen. Sie sind zwar veräußerlich, aber nur mittels gerichtlichen
oder notariellen Vertrags, da sie nicht, wie die Aktien, von Hand zu
Haud gehen sollen; auch kann die Gültigkeit der Veräußerung von
der Genehmigung der Gesellschaft abhängig gemacht werden. Die
Gesellschaft wird durch einen oder mehrere G e s ch ä s t s s ü h r e r
vertreten. Die Gesellschafter fassen ihre Beschlüsse in Versammlun-
gen oder durch schriftliche Erklärungen. Eine Liste der Gesellschafter
ist alljährlich zum Handelsregister einzureichen.
542 l. Von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, insbesondere für
das kleinere Gewerbe und die Landwirtschaft, sind endlich die (zuerst
von Schulze-Delitzsch begründeten, gleichfalls durch ein besonderes
Reichsgesetz geregelten) Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften.
Sie sind in erster Linie dazu bestimmt, ihren Mitgliedern zu dienen
durch gemeinsamen und daher billigeren Einkauf ihrer geschäftlichen
oder hauswirtschaftlichen Bedürfnisse oder durch Vermittelung des
Verkaufs ihrer Produkte oder durch Gewährung billiger: Kredits.
Vom Handels- und Wechselrecht
183
Es zählen dazu die Konsumvereine, die Rohstoffvereine, die Magazin-
vereine, die Vorschuß- und Kreditvereine u. dgl?
Die Genossenschaften können solche sein m i t u n b e - 54z
schränkter Haftpflicht; bei ihnen (kenntlich durch den Fir-
menzusatz „e. G. m. u. H.") hasten alle Mitglieder den Gläubigern
der Genossenschaft mit ihrem ganzen Vermögen. Bei den Genossen-
schaften mit unbeschränkter N a ch s ch u ß p s l i ch t („e. G. m.
u. N.") haftell zwar auch die Mitglieder persönlich für die Schulden,
aber nicht unmittelbar, sondern nur in der Form, daß die Genossen-
schaft von ihnen die erforderlichen Nachschüsse verlangen kann. Ist
endlich die Haftung im voraus aus einen bestimmten Betrag be-
schränkt, so ist die Genossenschaft eine solche mit beschränkter
Haftpflicht („e. G. m. b. H.")? Die Konsumvereine dürfen
Waren regelmäßig nur an ihre Mitglieder verkallsen, die Vorschuß-
vereine Darlehen nur ihren Mitgliedern gewähren.
Die Genosseilschaften müssen eineil Vorstand ulld einen Auf- 544
sichtsrat haben; die Mitglieder üben ihre Rechte in der General-
versammlung aus. Eine Liste der Mitglieder wird vom Vorstand
und vom Amtsgericht, in dessen Genoss enschaftsregi st er
die Genossenschaft eingetragen ist, geführt. Die Geschäftsführung
der Genossenschaften muß mindestens in jedem zweiten Jahr geprüft
werden. Die Priifung geschieht bei Genossenschaften, die sich zur
Verfolgung ihrer gemeinsamen Interessen zil einem Verbände ver-
einigt haben, in der Regel durch einen von diesem Verbände bestellten,
in anderen Fällen durch einen vom Gericht bestellten Revisor.
4. Tic Handelsgeschäfte. 54;
Die eingehenden Vorschriften, welche das Handelsgesetzbuch hin-
sichtlich der Handelsgeschäfte gibt, beziehen sich besonders auf den
Handelskauf und aus die Kommissions-, Speditions- lind Fracht-
geschäfte.
Der K 0 m ui i s s i 0 n ä r übernimmt es gewerbsmäßig, Waren
und Wertpapiere im eigenen Namen, aber auf Rechnung eines ande-
ren (des Komittenten) zu saufen oder zu verkaufen.
Der Spediteur besorgt gewerbsniäßig im eigenen Namen,
aber für Rechnulig eines andern (des Versenders) die Versendung von
Gütern durch Frachtführer oder durch Verfrachter von Seeschiffen. * *
^ ' lieber die volkswirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaften s.
* Nicht zu verwechseln mit den oben (Nr. 541) besprochenen Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung.
184
Das bürgerliche Recht
Der Frachtführer übernimmt gewerbsmäßig die Beförde-
rung von Gütern zu Lande oder auf Flüfsen oder fonstigen Binnen-
gewässern.
546 Von den ausführlichen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über
das Seerecht mag nur einiges hier Erwähnung finden: Der
Eigentümer eines Handelsschiffes wird Reeder, der Führer (Ka-
pitän) des Schiffes wird Schiffer genannt. Die Verpfändung
eines Schiffes nebst Ladung (zu welcher der Schiffer befugt ist, wenn
er des aufgenommenen Geldes unterwegs zur Erhaltung und Wei-
terbeförderung der Ladung bedarf) heißt Verbodmung. Unter
Havarie ferner versteht man die Schäden, welche ein Schiff oder
die Ladung auf der See durch besonderen Unfall erleiden. Hat der
Schiffer behufs Errettung von Schiff und Ladung aus einer gemein-
samen Gefahr vorsätzlich Opfer gebracht, z. B. durch Kappen eines
Mastes oder Ueberbordwerfen eines Teils der Ladung, so spricht man
von großer Havarie. Der erwachsene Schaden wird in solchem
Falle auf das Schiff, die Ladung und die Fracht nach Verhältnis des
Werts verteilt.
547 Die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt und der
Flößerei endlich sind in besonderen Reichsgesetzen geordnet (f.
Nr. 1281).
5. Das Wechselrccht.
548 Schon im Mittelalter zeigte sich das Bedürfnis, bei Zahlungen,
die in ein anderes Land (zumal mit einem anderen Münzsystem) be-
wirkt werden mußten, den mühsamen, kostspieligen und gefahrvollen
Transport größerer barer Geldsummen zu vermeiden. Die Geld-
wechsler in den italienischen Handelsstädten ermöglichten dies feit
dem 13. Jahrhundert dadurch, daß sie Geschäftsfreunde oder Gefchäfts-
teilhaber, welche an den Haupthandelsplätzen des Auslandes ansässig
waren, beauftragten, dort für sie Zahlung zu leisten. Wollte z. B.
ein in Florenz wohnender Kaufmann in Paris eine Zahlung von 500
Dukaten machen, so zahlte er diesen Betrag in Florenz bei einem
Wechsler ein und erhielt von diesem dagegen einen Brief an dessen
Geschäftsfreund in Paris, worin letzterer beauftragt wurde, dortselbst
an den Vorzeiger des Briefs 500 Dukaten auszuzahlen; diesen Brief
übersandte der Florentiner Kaufmann sodann als Zahlung feinem
Pariser Gläubiger.
549 So entstand der sogenannte „gezogene Wechse l", auch
„T r a t t e" genannt, in der noch heute üblichen, unten durch ein Bei-
Vom Handels- und Wechselrecht
185
spiel veranschaulichten Form.'' Ein solcher Wechsel i st also eine
in bestimmter Form von dem Aussteller einem anderen (dem sog.
„Bezogenen") erteilte Anweisung, an einem bestimmten
Tage eine gewisse Geldsumme an den Aus steiler
oder an eine von diesem bezeichnete dritte Person
zu zahlen. Der Wechsel kann übrigens auch (anstatt auf einen
bestimmten Tag) „auf Sicht" gestellt werden; einen solchen sog.
S i ch t w e ch s e I hat der Bezogene auf Vorzeigen zu bezahlen.
Ist der Bezogene bereit, den Zahlungsauftrag anzunehmen, also 550
den Wechsel zu akzeptieren (insbesondere, weil er dem Aussteller
aus irgend welchem Geschäfte den Betrag, auf den der Wechsel lautet,
schuldig ist), so schreibt er seinen Namen quer über die linke Seite des
Wechsels (s. das Muster). Damit verpflichtet er sich, am Verfalltag die
Wechselsumme an denjenigen zu zahlen, welcher sich unter Vorlage des
Wechsels als empfangsberechtigt ausweist. Der Aussteller behält
nämlich den Wechsel regelmäßig nicht selbst, sondern er überträgt ihn
auf einen andern gegen einstweilige Zahlung der Wechselsumme, an
der jedoch der Abnehmer selbstverständlich, da der Wechsel erst später
fällig wird, den Zins für die Zwischenzeit („D i s k 0 n t" genannt)
abzieht.7 In gleicher Weise kann der Abnehmer den Wechsel
Vorderseite eines gezogenen Wechsels:
Mannheim, den 6- August 1905.
Für M
Drei Monate nach heute zahlen Sie gegen diesen Wechsel an die Ordre
von mir selbst die Summe von
Ä
ä Den Wert erhalten, und stellen ihn auf Rechnung laut Bericht.
An Herrn Max Müller / 16
-r, 7 , , , - /CcvUS
in Frankfurt a. M.
Anmerkung: In diesem Muster ist Karl Maurer der Aus-
steller, Max Müller der Bezogene und Akzeptant. Die Worte
„Den Wert erhalten, und stellen ihn auf Rechnung laut Bericht" sind eine
althergebrachte, oft bedeutungslose Formel.
In der Möglichkeit einer solchen Weiterbegebung (Diskontie-
rung) liegt ein Hauptvorteil des Wechsels; denn durch diese Weiterbege-
bung bekommt der Kaufmann, welcher für eine erst in einigen Monaten
fällige Warenforderung einen Wechsel auf seinen Schuldner gezogen hat.
186
Das bürgerliche Recht
Weiter übertragen und so fort. Diese Uebertragung geschieht seweils
durch einen schriftlichen Vermerk auf der Rückseite („in dosso") des
Wechsels (s. die untenstehende Abbildung s); man nennt daher diese
Uebertragung Indossierung und den Uebertragcndeit den I n -
5 51 i> off ernten. Zahlt der Akzeptant nicht am Verfalltage an den
Wechselinhaber, so läßt letzterer über die Nichtzahlung durch einen
Notar, einen Gerichts- n oder einen Postbeamten10 eine förmliche
Urkunde, den Wechselprotest, aufnehmen. Er saun alsdann
die Wechselsumme nebst Zinsen und Kosten in dem sehr beschleunigten
Wechselprozeßverfahren (s. Nr. 620) nicht nur vom Akzeptanten, son-
dern von jedem beitreiben, der seinen Namen aus den Wechsel gesetzt
den Wert des Wechsels (bic sog. Valuta) sofort bar in die Hand, und
er kann dieses Geld in seinem Geschäfte weiter verwenden.
Im internationalen Verkehr ersetzt ferner der Wechsel fast völlig die
Barzahlungen. Hat z. B. ein deutsches Geschäftshaus eine Zahlung in
London zu leisten, so kauft es bei einer Bank oder an einer Börse einen in
London zahlbaren Wechsel und bewirkt mit diesem die Zahlung. Da hier-
nach die Wechsel wie Waren gekauft und verkauft werden, so haben sie auch
wie diese einen von der Größe des Angebots und der Nachfrage abhängigen
Marktpreis, einen sog. Kurs. Die Höhe dieses Wechselkurses wird
durch die Gestaltung des Handelsverkehrs zwischen den Ländern bestimmt.
Ist nämlich die Ausfuhr eines Landes größer als seine Einfuhr, oder hat
es viel Geld im Auslande angelegt, so empfängt es mehr Zahlungen, als
cs zu leisten hat; die Wechsel auf dieses Land sind daher gesucht, Ivas einen
hohen Wechselkurs zur Folge hat. So kommt es, daß ein hoher Wechselkurs
ein günstiges Zeichen für den Außenhandel oder den Geldreichtum eines
Landes bedeutet.
° In Bayern durch einen Gerichtsvollzieher.
10 Durch einen Postbeamten nicht in allen Fällen, insbesondere nicht
bei Wechseln von mehr als 800 M.
Vom Handels- und Wechselrecht
187
hat. Hat einer dieser Wechselschuldner gezahlt, so kann er seinerseits
den Rückgriff anf den Akzeptanten oder auf jeden nehmen, der v o r
i h m den Wechsel unterschrieben hat, also insbesondere auch auf
den Aussteller."
Der im Gefchästsleben weniger häufig vorkommende sog. 552
eigene Wechsel ist ein in Wechselform gekleideter Schuldschein,
in welchem sich der Aussteller verpflichtet, an eilte bestimmte Persolt
oder nach deren Weisung an einem bestimmten Tage eine bestimmte
Summe zlt zahlen. Hier ist also (im Gegensatze zum gezogenen
Wechsel) Aussteller derjenige, der die Zahlung verspricht. Die Ueber-
tragung (Indossierung) eines solchen Wechsels findet in gleicher Weise
statt, wie beim gezogenen Wechsel.
So wichtig und unentbehrlich der Wechselverkehr irn kausmänni- 553
schen Leben ist, so sehr ist doch dem Kleingewerbetreibenden und dem
Privatmann dringend zu raten, sich der Wechsel überhaupt nicht oder
doch nur mit größter Vorsicht zu bedienen. Denn, wer seinen Namen
aus einen Wechsel gesetzt hat, der muß darauf rechnen, daß der ihm
voraussichtlich unbekannte künftige Wechselinhaber am Verfalltag
ohne Nachsicht von ihm die Zahlung verlangen und nötigenfalls
binnen kurzem im Vollstreckungswege betreiben werde.
G. Wom Schuh des geistigen KigentumsA
1. Das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst.
Dem Verfasser eines Schriftwerks (z. B. einer Wissenschaft- 554
lichen oder belletristischen Schrift, eines Vortrages usw.) steht das
ausschließliche Recht zu, sein Werk zu vervielfältigen und gewerbs-
mäßig zu verbreiten, es in andere Sprachen oder Mundarten zu iiber-
setzen oder in anderer Form (z. B. dramatisch) zu bearbeiten. Ent-
sprechendes gilt von musikalischen Kompositionen sowie
von Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen. Dieser 11
11 Der Grund für diese Haftung aller auf dem Wechsel stehenden Vor-
männer besteht darin, daß, wie schon erwähnt, jeder Vormann bei der Wei-
terbegebung des Wechsels von seinem Abnehmer einstweilen den Wert des
Wechsels (die sog. Valuta) erhalten und gleichzeitig stillschweigend die
Haftung für den richtigen Eingang der Wechselsumme übernommen hat.
sobald daher die Protcsterhebung gezeigt hat, daß der im Wechsel liegende
Zahlungsauftrag nicht erfüllt wird, so muß jeder Vormaun seinen Nach-
männern die Wechselsumme zurückgeben und ihnen überdies die entstandenen
Unkosten usw. erstatten.
* Der Schutz des geistigen Eigentums ist durch eine Reihe besonderer
Reichsgesetze geregelt.
188
Das bürgerliche Recht
Schutz des Urheberrechts tritt ohne weiteres, nicht etwa erst auf Grund
besonderer Anmeldung, ein und dauert nach dem Tode des Urhebers
regelmäßig noch 30 Jahre lang. Anonyme und Pseudonyme (d. h.
ohne Namen oder mit erfundenem Namen erschienene) Werke sind
ohne besondere Anmeldung nur 30 Jahre von der Veröffentlichung
ab geschützt. Bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung des Ur-
heberrechts, also insbesondere bei unbefugtem Nachdruck einer Schrift,
bei unberechtigter öffentlicher Ausführung eines Theaterstücks oder
Musikwerkes oder bei unstatthafter Nachbildung eines Kunstwerks
kann der geschädigte Urheber gerichtliche Bestrafung des Täters und
Vernichtung der zum Nachdruck benutzten Formen, Platten usw. sowie
Schadensersatz verlangen.
555 Zum Zwecke des gegenseitigen Schutzes des Urheberrechts an
Literatur- und Kunstwerken haben die meisten europäischen Staaten
einen internationalen Verband, die Berner Uebereinkunst
(ergänzt durch die Pariser Zusatzakte), geschlossen. Daneben bestehen
deutsche Verträge mit einzelnen außerdeutschen Staaten.
556 Schließt der Verfasser einer Schrift mit einer Verlagsbuchhand-
lung einen Verlagsvertrag^ ab, so erhält damit der Verleger
das Recht und die Pflicht, das Werk gegen Zahlung des vereinbarten
Honorars (welches in einer festen Summe oder in einem Anteil am
Reingewinn oder auch in beiden bestehen kann) auf eigene Rechnung
in einer bestimmten Anzahl von Exemplaren, welche eine sog. Auflage
bilden, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Beim sog. Kommis-
sionsverlag tritt der Verleger nur nach außen als solcher auf,
der Druck und Verkauf geschieht hier aus Rechnung des Verfassers.
557 Der Verfertiger einer Photographie hat während 10
Jahren das ausschließliche Recht der Vervielfältigung; doch steht das
Nachbildungsrecht an Porträts, die aus Bestellung geliefert werden,
nicht dem Verfertiger, sondern dem Besteller zu.
2. Der Schutz der Warenbezeichnungen.
558 Ein Gewerbetreibender, dessen Waren bekannt und beliebt sind,
hat ein erhebliches Interesse daran, sie oder ihre Umhüllung
oder Verpackung mit einem besonderen N a m e n (z. B. Salvatorbier,
Sanatogen, Odol usw.) oder einer besonderen Fabrik- oder
Schutzmarke (z. B. einem Tierbild oder einem Wappenschild
oder einem Stern oder dgl.) zu versehen, damit der Ursprung der
Ware aus diese Weise jedem, der den Namen oder das Zeichen kennt,
in die Augen fällt. Eine solche Warenbezeichnung genießt, *
* Vom Verlagsvertrag handelt gleichfalls ein besonderes Reichs-
gesetz.
Vom Schutz des geistigen Eigentums
189
vorausgesetzt, daß sie nicht vorher schon von andern gebraucht wurde,
gesetzlichen Schutz gegen Nachahmung, wenn sie auf Anmeldung in
die beim Kaiserlichen Patentamte zu Berlin geführte Zeichen-
rolle eingetragen ist. Der Schutz wird zunächst auf 10 Jahre er-
teilt, auf erneute Anmeldung aber verlängert.
3. Der Schutz von Mustern und Modellen.
Nene gewerbliche Muster und Modelle (z. B. neu erfundene For- 559
men und Zeichnungen von Broschen, Ringen, Eßgeräten, Trink-
gefäßen usw. oder neue Muster in Stoffen) erhalten gesetzlichen
Schutz gegen Nachbildung dadurch, daß sie unter Uebergabe von Zeich-
nungen oder von Exemplaren der betreffenden Ware in das bei ge-
wissen Amtsgerichten geführte M u st e r r e g i st e r eingetragen wer-
den. Vor der Eintragung findet eine Prüfung der Neuheit nicht statt,
ja die Muster können sogar verschlossen übergeben werden. Wird jedoch
später jemand vom angeblichen Erfinder des eingetragenen Musters
wegen dessen Nachbildung verklagt, so steht ihm frei, nachzuweisen,
daß das Muster nicht neu war und daher trotz der Eintragung nicht
geschützt ist. Der Schutz der Muster und Modelle wird nach Wahl auf
1—3 Jahre gewährt, aus Antrag aber gegen Zahlung der festgesetzten
Gebühren verlängert.
4. Der Patent- und der Gebrauchsmusterschutz.
Für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche Verwertung ge- 560
statten, kann beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin
ein Patent erwirkt werden, welches dem Erfinder das Recht der
ausschließlichen Verwertung sichert.
Die Patentanmeldung geschieht in der Regel durch einen technisch
vorgebildeten und gepriiften Patentanwalt. Das unter dem
Reichsamt des Innern stehende Patentamt, welches in mehrere Ab-
teilungen gegliedert ist, prüft aus die Anmeldung zunächst eingehend,
ob die Erfindung wirklich neu, d. h. noch nicht im Jnlande offenkundig
benutzt und auch noch nicht während der letzten 100 Jahre in Druck-
schriften beschrieben worden ist. Sodann macht es die Anmeldung
öffentlich bekannt, und schließlich erläßt es die Entscheidung dariiber,
ob das Patent zu erteilen oder die Anmeldung zurückzuweisen ist.
Weist ein anderer nachträglich nach, daß das Patent nicht hätte erteilt
werden dürfen, so wird es für nichtig erklärt. Unterläßt der Patent-
inhaber während dreier Jahre die Verwertung des Patents, so wird
es zurückgenommen. Der Patentschutz dauert 15 Jahre, erlischt aber,
wenn die von Jahr zu Jahr um 50 M. steigende Patentgebühr nicht
entrichtet wird.
190
Das bürgerliche Recht
561 Der Patentinhaber kann das Patent, wenn er es nicht selbst ver-
werten will, an einen andern verkaufen oder es ihm auch gegen Bezah-
lung einer Gebühr für jedes gefertigte Stück (sog. Lizenzgebühr)
zur Verwertung überlassen. Patente, deren Verwendung zur
öffentlichen Wohlfahrt dient, kann das Reich gegen Entschädigung
an sich ziehen.
562 Der G e b r a u ch s m u st e r s ch u tz 3 ist ein leichter zu erreichen-
der Schutz für kleinere Erfindungen, und zwar werden hierdurch ge-
gen Nachahmung geschützt Arbeitsgerätschaften oder Gebranchsgegen-
stände, welche ihrem Zweck durch eine neue Gestaltung, Anordnung
oder Vorrichtung dienen sollen (z. B. ein neu erfuudenes Werkzeug,
das zugleich als Hammer, Zange und Meißel dienen kann, oder eine
neue Art von Tintenzeug, Korkzieher usw.). Der Schutz wird zu-
nächst auf drei Jahre vom Patentamt erteilt; doch prüft das letztere
hier nicht die Neuheit der Erfindung; vielrnehr bleibt jedem, der die
Neuheit bestreiten will, überlassen, auf Löschung des Gebrauchs-
nmsters Klage zu erheben.
56z Eine Verletzung des Patentrechts oder des Gebranchsmuster-
rechts wird auf Antrag strafgerichtlich verfolgt; sie verpflichtet über-
dies den Täter, an den Geschädigten Schadensersatz oder eine Buße
zu zahlen.
Ueber den gegenseitigen Schutz von Erfindungen hat das Deutsche
Reich gleichfalls mit einer Reihe außerdeutscher Staaten Verträge
abgeschlossen.
5. Kapitel.
Acrs IioitproZeßverfclbren.
i Zweck, Begriff und Grundsätze des
Zivilprozetzverfatzrens.
564 In einem geordneten Staatswesen ist im allgemeinen kein Raum
für die sog. S e l b st h i l f e , d. h. für die eigene, gewaltsame Durch-
setzung unserer Rechte gegenüber Personen, welche ihnen zuwider-
handeln; denn abgesehen davon, daß der Blick des nach seiner Mei- *
* Der Gebrauchsmusterschutz ist nicht zu tierwechseln mit
dem oben (Nr. 659) erwähnten Schutz von M u st e r n und Mo-
dellen; der letztere bezieht sich nur aus die künstlerische Form eines Ge-
genstandes, während ein durch Gebrauchsmusterschutz geschützter Gegenstand,
wie erwähnt, durch eine neue Gestaltung seinem Zweck in besonderer Weise
dienen soll.
Zweck, Begriff und Grundsätze des Zivilprozeßverfahrens
191
nung im Rechte Verletzten häufig durch Leidenschaft getrübt ist, würde
jede Gewaltanwendung in der Regel wieder mit Gewalt beantwortet
werden, und bald könnte von Recht überhaupt kaum mehr die Rede
fein. Wer daher feine Rechte gegenüber einem Widerstrebenden zur
Geltung bringen lvill, mutz zunächst im geordneten gerichtlichen Ver-
fahren feinen Anspruch feststellen lassen itnb sodann mit Durchfüh-
rung des Richterfprnchs die hierfür vom Staate bestellten Organe
beauftragen.
Den Inbegriff der Rechtsgrundsütze über das Verfahren, welches 565
dazn dient, die privaten Rechtsansprüche zur gerichtlichen Anerkennung
und zur Durchführung zu bringen, nennen wir das Zivil-
Prozeßrecht. Dasselbe ist in der am 1. Oktober 1879 in Kraft
getretenen, im ganzen Reiche geltenden Zivilprozeßord-
nung f ü r d a s D e u t f ch e R e i ch enthalten.
Von dem Strafverfahren unterscheidet sich der Zivilprozetz 566
grundsätzlich dadurch, daß das erstere von den Gerichten in der Regel
ohne Zutun der Beteiligten durchgeführt wird, weil das öffentliche
Interesse die Bestrafung der Uebeltäter verlangt. Im Zivilprozeß
dagegen handelt es sich nur um private Interessen, deren Verfolgung
den Privatpersonen, den Parteien, überlassen wird. Es herrscht daher
im Zivilprozeß im Gegensatz zum Strafprozeß der Grundsatz
des Parteibetriebs: die Partei selbst ladet in der Klageschrift
den Beklagten zur gerichtlichen Verhandlung, d. h. sie fordert ihn auf,
zu einem vom Gericht bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen;
sie selbst oder der von ihr beauftragte Gerichtsschreiber läßt die
Klageschrift den: Gegner zustellen. Wenn ferner die Parteien den
Rechtsstreit nicht weiter betreiben, so ruht das Verfahren. Das schließ-
lich erwirkte Urteil mutz, um rechtskräftig zu werden, im Auftrage
der Partei dem Gegner zugestellt werden, imb Sache der Partei ist
schließlich auch die Vollstreckung des Urteils.
Mit dem Grundsätze des Parteibetriebs hängt enge zusammen, 567
daß das Gericht im Zivilprozeßverfahren an die Vorträge
und Antrüge der Parteien gebunden ist, d. h. das
Gericht kann einer Partei nie mehr und nichts anderes zusprechen,
als sie verlangt; eine Behauptung ferner, die vorn Gegner nicht be-
stritten wird, hat dem Gericht als wahr zu gelten, lind eine bestrit-
tene Behauptung, sür welche von der behauptenden Partei kein Be-
weis erbracht wird, ist vom Gericht nicht zu berücksichtigen.
Früher (man erinnere sich an die Zeiten des ehemaligen Reichs- 568
kammergerichts, vor welchem die Prozesse häufig viele Jahrzehnte
lang dauerten) hat man mit dem schriftlichen Zivilprozeßverfahren
schlimme Erfahrungen gemacht. Unser deutsches Prozeßverfahren be-
192
Das Zivilprozeßverfahren
ruht daher auf dem Grundsätze der Mündlichkeit, d. h.
die Entscheidungen werden gefällt auf Grund einer Verhandlung, in
welcher der ganze Prozeßstoff von den Parteien oder ihren Vertretern
mündlich vorgetragen wird; dies schließt selbstverständlich nicht aus,
daß diese Verhandlungen, welche grundsätzlich öffentlich
sind (f. Nr. 205), durch Schriftsätze der Parteien vorbereitet werden,
was in größeren Sachen schon deshalb nötig ist, weil die Parteien
sich sonst häufig auf die gegnerischen Behauptungen nicht erklären
könnten.
569 Endlich ist auch der Grundsatz des wechselseitigen
G e h ö r s in unserem Zivilprozeßverfahren durchgeführt, d. h. es wird
in der Regel keine Entscheidung zugunsten einer Partei getroffen,
ohne daß die Gegenpartei vorher gehört wurde; denn, wie schon ein
altes deutsches Rechtssprichwort sagt: „Eines Mannes Rede ist keine
Rede, man muß sie hören alle Beede."
ii Die Zuständigkeit der Gerichte.
Die Gerichtspersonen.
57v Wer eine Rechtssache beim Gericht anhängig machen will, muß
sich zunächst fragen, welchen Gerichten (Amtsgerichten, Landgerichten
usw.) die Verhandlung und Entscheidung von Streitigkeiten dieser
Art zusteht, d. h. welche Gattung von Gerichten für solche Rechts-
sachen fachlich zuständig ist. Zeigt es sich hierbei beispiels-
weise, daß für den Rechtsstreit die sachliche Zuständigkeit der Amts-
gerichte begründet ist, so kann die Klage keineswegs bei jedem belie-
bigen Amtsgerichte des Deutschen Reiches erhoben werden (denn darin
würde eine unerträgliche Belästigung des Beklagten liegen), sondern
nur vor demjenigen Amtsgerichte, welches vom Gesetz wegen der ört-
lichen Beziehungen des Beklagten oder des streitigen Rechtsverhält-
nisses zu dem Gerichtsbezirk als örtlich z u st ä n d i g für die
Rechtssache erklärt ist. Ein Gericht muß also, um zur Entscheidung
eines Rechtsstreits berufen zu sein, sowohl sachlich als örtlich für die
Verhandlung und Entscheidung zuständig sein.
1. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte.
571 a. D i e Amtsgerichte
(bei ihnen erfolgt die Entscheidung durch einen Richter) sind sachlich
zuständig für vermögensrechtliche Streitigkeiten über Beträge von
nicht mehr als 300 Mark/ wobei die Nebenforderungen (Zinsen, *
* Es ist beabsichtigt, die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte dem-
nächst wesentlich zu erhöhen.
Zuständigkeit der Gerichte. Die Gerichtspersonen
193
Kosten u. dgl.) nicht mitzählen; ferner (ohne Rücksicht aus den Streit-
wert) für Streitigkeiten wegen Viehmängeln ltnb für solche ous
Miet- und Dienstverhältnissen u. dgl., da diese Prozesse einer raschen
Erledigung bedürfen; endlich für das Entmündigungsverfahren (s.
Nr. 622) und das Aufgebotsverfahren (s. Nr. 626).
d. Die Landgerichte. 572
Bei ihnen sind zur Verhandlung und Entscheidung der Zivilpro-
zesse Zivilkammern gebildet, welche jeweils aus drei Richtern
einschließlich des Vorsitzenden bestehen. Sie find in e r st e r I n st a n z
fachlich zuständig für alle nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte
gehörigen Sachen, also insbesondere für Rechtsstreitigkeiten über Be-
träge von mehr als 300 M., ferner für Klagen ans Ehescheidung oder
auf Wiederherstellung des ehelichen Lebens u. dgl. Sodann haben die
Landgerichte als zweite I n st a n z über die Berufungen und Be-
schwerden gegen die Urteile und Beschlüsse der Amtsgerichte zu
urteilen.
Zur Entscheidung handelsrechtlicher Streitigkeiten sind in grö- 573
ßeren Städten bei den Landgerichten neben den Zivilkammern
Kammern für Handelssachen gebildet, bestehend aus
einem Mitgliede des Landgerichts als Vorsitzenden und zwei nicht
rechtskundigen Beisitzern aus dem Handelsstand (Handelsrich-
tern), welche auf Vorschlag der Handelskammern (s. Nr. 1233)
durch den König jeweils auf die Dauer von drei Jahren ernannt
werden. Das wichtige Amt der Handelsrichter ist ein Ehrenamt?
c. D i e O b e r l a n d e s g e r i ch t e. 574
Diese haben in ihren mit fünf Mitgliedern besetzten Zivil-
senaten ausschließlich über die Berufuugen und Beschwerden gegen
die erstinstanzlichen Urteile und die Beschlüsse der Landgerichte zu
entscheiden?
6. Das Reichsgericht, 575
welches dazu berufen ist, die Einheit der Rechtsprechung im ganzen
Reiche aufrechtzuerhalten, entscheidet in seinen mit je sieben Mit- *
" Kammern für Handelssachen können nach Bedürfnis auch außerhalb
des Landgerichtssitzes bei einem Amtsgericht errichtet werden; bei diesen
sog. detachierten Kammern für Handelssachen führt in
der Regel ein Amtsrichter den Vorsitz. In Bayern hat man hiervon nur in
einem Falle, für den Bezirk des Amtsgerichts Ludwigshafen a. Rh., Ge-
brauch gemacht.
* Das Oberlandesgericht zu Berlin führt noch von altersher die Be-
zeichnung „K a m m e r g e r i ch t".
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
13
194
Das Zivilprozeßverfahren
gliedern besetzten Zivilsenaten über die Revisionen und Be-
schwerden gegen Berufungsurteile und Beschlüsse der Oberlandes-
gerichte. Näheres hierüber s. Nr. 616.
. In Bayern hat über Revisionen gegen Urteile und über Be-
schwerden gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte in gewissen Sachen
(im wesentlichen sind es die Sachen, in denen die Klage ans Landes-
recht, nicht aus Reichsrecht gestützt ist) an Stelle des Reichsgerichts ein
Bayern eigentümliches Gericht, das Ober st e Landesgericht
in M ü n ch e n, zu entscheiden.
e. Die besonderen Gerichte.
Die Zuständigkeit der vorerwähnten sogenannten ordent-
lichen Gerichte ist jedoch für manche Streitigkeiten au§=
geschlossen und ersetzt durch besondere Gerichte. Für Bayern
ist hierüber zu bemerken:
Die G e w e r b e g e r i ch t e, welche in allen Gemeinden mit über
20 000 Einwohnern bestehen müssen, haben über gewerbliche Streitig-
keiten zwischen Arbeitgebern und ihren Arbeitern oder zwischen diesen
Arbeitern untereinander zu entscheiden. Sie sind mit einem von
der Gemeinde bestellten Vorsitzenden sowie mit Beisitzern besetzt, welche
letztere je zur Hälfte aus der Zahl der Arbeitgeber und der Arbeiter-
gewählt werden. Rechtsanwälte und Personen, die das Verhandeln
vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, sind in diesem Verfahren, das
sich möglichst einfach und rasch abwickeln soll, nicht zugelassen. Gegen
die Urteile der Gewerbegerichte steht den Parteien die Berufung an
das Landgericht zu, sofern der Wert des Streitgegenstandes mehr als
100 Mark beträgt.
Die Kaufman nsgerichte, gleichfalls mindestens in allen
Städten von mehr als 20 000 Einwohnern bestehend, sind zur Ent-
scheidung von Streitigkeiten zwischen Kaufleuten und deren Geschäfts-
personal berufen. Sie haben im wesentlichen die gleiche Organisation
und das gleiche Verfahren wie die Gewerbegerichte, mit denen sie
auch meistens den Vorsitzenden und die Einrichtungen für den Bureau-
dienst usw. gemeinsam besitzen. Ihre Urteile unterliegen der Beru-
fung an das Landgericht nur bei einem Streitgegenstand von mehr
als 300 Mark.
Die Rheinschissahr tsgerichte in der Pfalz, die aut
einer Vereinbarung zwischen den Rheinuserstaaten, der sog. Rhein-
schifsahrtsakte, beruhen, sind bestimmt zur Entscheidung gewisser mit
der Rheinschisfahrt zusammenhängender Rechtssachen. Als solche sind
in Bayern die dem Rhein benachbarten Amtsgerichte bestimmt, und
Zuständigkeit der Gerichte. Die Gerichtspersonen
195
zwar jedes für die seinem Bezirk entsprechende Uferstrecke. Berufungs-
gericht ist das Landgericht Frankenthal/
2. Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte. 580
Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit der Gerichte gilt der
Grundsatz, daß jedermann mit allen beliebigen Klagen 4 5 * 7 bei dem-
jenigen Gericht belangt werden kann, in dessen Bezirk er seinen Wohn-
sitz ° oder (falls er keinen festen Wohnsitz besitzt) seinen Aufenthalt hat.
Dort ist also sein allgemeiner Gerichtsstand. Daneben
gibt es aber noch eine Reihe von besonderen Gerichts-
st ä n d e n. So ist z. B. für Klagen aus Verträgen auch das Gericht
örtlich zuständig, in dessen Bezirk die streitige Verpflichtung zu er-
füllen ist ;T für Klagen aus Schadensersatz wegen unerlaubter Hand-
lungen ist auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die
Handlung begangen wurde usw. Sind hiernach für eine Klage sowohl
der allgemeine Gerichtsstand als auch besondere Gerichtsstände
gegeben, so steht dem Kläger frei, welches der verschiedenen zuständigen
Gerichte er angehen will.
3. Vereinbarungen über Zuständigkeit.
Ein an sich sachlich oder örtlich unzuständiges Gericht wird durch 581
Vereinbarung der Parteien zuständig, soweit nicht ein ausschließlicher
Gerichtsstand begründet ist. Die Parteien können z. B. vereinbaren,
daß für alle aus einem bestimmten Vertrage entstehenden Streitig-
keiten ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitgegenstandes ein bestimm-
tes Amtsgericht zuständig sein soll.
4 Außerdem können zur Erledigung geringfügiger Streitigkeiten, deren
Gegenstand 60 M. nicht übersteigt, Gemeindegerichte errichtet wer-
den. In Bayern bestehen solche nicht, wohl aber in Baden und Württemberg.
* Ausgenommen sind die sich ans Grundstücke beziehenden ding-
lichen Klagen; für diese ist ausschließlich das Gericht örtlich zustän-
dig, in dessen Bezirk das betreffende Grundstück gelegen ist.
° Der Wohnsitz ist für jeden an dem Orte begründet, wo er den
Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Es schadet nichts, wenn
jemand einen Teil des Jahres z. B. auf Reisen oder zur Heilung abwe-
send ist.
7 Auf die Begründung dieses sog. Gerichtsstandes des Er-
füllungsortes zielen die in Katalogen, Bestellscheinen und dergl.
häufig vorkommenden, sehr unverfänglich klingenden Vermerke, wie „Er-
füllungsort Berli n". Ein solcher Vermerk hat zur Folge, daß die
betreffende Firma bei etwaigen aus dem Vertragsverhältnisse entspringen-
den Streitigkeiten an dem als Erfüllungsort genannten Orte klagen kann,
was selbstverständlich für den entfernt wohnenden Kunden unter Umständen
sehr mißlich ist. Der bloße Vermerk in einer mit der Ware übersandten
Rechnung (auch „Faktura" genannt), bildet aber noch keine rechtswirk-
same Vereinbarung.
13
196
Das Zivilprozeßverfahren
Wird ferner eine Klage vor einem sachlich oder örtlich unzu-
ständigen Gericht erhoben und der Beklagte unterläßt es, die Unzu-
ständigkeit geltend zu machen, so gilt sein Schweigen als Zustim-
mung. Das Gericht wird daher als aus Grund stillschweigender Ver-
einbarung zuständig betrachtet.
4. Ausschließung und Ablehnung der Richter.
582 Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes selbstver-
ständlich in den Fällen ausgeschlossen, in denen er selbst Par-
tei ist oder eine Partei vertritt oder mit einer solchen nahe verwandt
oder verschwägert oder am Ausgange des Rechtsstreits beteiligt ist;
ebenso, wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger ver-
nommen worden ist oder in einer früheren Instanz als Richter bei
der Entscheidung mitgewirkt hat. Abgesehen aber von diesen Fällen
kann jede Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit
dann ablehnen, wenn irgend ein Grund vorliegt, welcher geeignet
ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen,
z. B. wenn er mit einer der Parteien verfeindet oder nahe befreun-
det ist.
ui. Die Prozeßparteieri.
1. Parteifähigkeit und Prozeßfähigkeit. Streitgenossenschaft.
58z Partei (d. h. Kläger oder Beklagter) kann in einem Zivilprozeß
jedermann sein, der rechtsfähig ist (s. Nr. 338), also auch Kinder
jeden Alters sowie Entmündigte. Minderjährige und Entmündigte
können aber in der Regel ihre Prozefse weder selbst führen noch mit
der Prozeßsührung selbst einen Vertreter beauftragen; vielmehr muß
für sie im Rechtsstreit ihr gesetzlicher Vertreter (s. Nr. 472 und 479)
handeln. Sie sind mithin zwar rechtsfähig und parteifähig,
aber nicht p r 0 z e ß s ä h i g?
584 In einem Rechtsstreit können auch mehrere Personen gemein-
schaftlich gegen einen Dritten klagen oder zusammen von einem Drit-
ten verklagt werden, wenn zwischen ihren Streitsachen ein bestimm-
ter Zusammenhang besteht. Z. B. ist es zulässig, daß mehrere Grund- 8
8 Minderjährige sind übrigens nicht in allen Fällen prozeß-
unfähig. Es gilt nämlich der Grundsatz, daß jedermann insoweit seine
Prozesse selbst führen kann, als er sich auch durch Verträge selbst verpflich-
ten kann. Nun können aber minderjährige Personen in gewissen Fallen, wie
bei Nr. 346 gezeigt, selbständig Verträge abschließen und daher auch die aus
ihnen entspringenden Prozesse selbst führen. Das gleiche gilt für die nicht
wegen Geisteskrankheit Entmündigten (s. Nr. 347).
Die Prozeßparteien
197
besitzer, deren Grundstücke ans dem gleichen Anlasse von der Zwangs-
enteignung betroffen werden, gemeinsam den Fiskus wegen der Ent-
schädigung verklagen, oder daß ein Gläubiger seinen Hauptschuldner
und dessen Bürgen in derselben Klage belangt. Solche gemeinsame
Kläger oder gemeinsame Beklagte sind einander Genossen im Streit,
weshalb sie S t r e i t g e n o s s e n genannt werden?
2. Die Prozeßvollmacht.
Im Verfahren vor den Amtsgerichten kann jede prozeßsähige 585
Partei ihre Rechte selbst wahrnehmen; im Verfahren vor den Land-
gerichten dagegen und vor den übrigen höheren Gerichten herrscht der
sog. Anwaltszwang, d. h. jede Partei muß durch einen beim
Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten sein.
Jeder solche Prozeßbevollmächtigte gilt für den Gegner und für 586
das Gericht als zu jeder beliebigen Prozeßhandlung befugt, mag auch
fein Auftraggeber ihm bestimmte einschränkende Weisungen erteilt
haben; doch kann die vollmachtgebende Partei in der von ihr auszu-
stellenden schriftlichen Prozeßvollmacht bestimmen, daß der Bevoll-
mächtigte nicht berechtigt sein solle, den Rechtsstreit ganz oder teil-
weise durch Vergleich oder durch Verzicht auf den Klaganspruch
oder durch Anerkennung des Klaganspruchs zu erledigen. Eine
solche Einschränkung der Vollmacht gilt also auch gegenüber deni Ge-
richt und dem Gegner. 9
9 Es kann aber jemand sich an einem zwischen anderere Personen an-
hängigen Rechtsstreit auch beteiligen, ohne selbst Partei zu werden. Wer
nämlich ein rechtliches Interesse daran hat, daß in einem anhängigen
Prozesse die eine Partei obsiege, kann dieser Partei zum Zwecke ihrer Un-
terstützung als sogenannter Nebenintervenient beitreten. Dieser
Beitritt wird in der Regel dadurch veranlaßt, daß die unterstützte Partei
von dem Reichtsstreit, in den sie verwickelt worden ist, der betreffenden Per-
son durch Zustellung eines Schriftsatzes förmliche Mitteilung gemacht hat.
Eine solche förmliche Mitteilung nennt man Streitverkündung.
Zu ihr ist jede Partei berechtigt, welche für den Fall eines ihr ungünstigen
Ausgangs des Rechtsstreits einen Ersatzanspruch gegen den Dritten zu haben
glaubt oder für diesen Fall einen Ersatzanspruch des Dritten befürchtet.
Ein Beispiel wird dies leichter verständlich machen: 8 hat den A, von
dem er eine Kuh gekauft hatte, auf Rückgängigmachung des Kaufs ver-
klagt, weil die Kuh an einem sog. Währschaftsfehler (s. Nr. 395) leide. A,
welcher seinerseits das Tier von C erworben hatte, will, falls er den Rechts-
streit verliert, gegen diesen seinen Rückgriff nehmen, weshalb er ihm jetzt
schon den Streit verkündet. C kann alsdann dem A als Nebeninter-
venient beitreten und als solcher im Prozesse alles vortragen, was etwa zur
Abweisung der Klage des 8 führen kann. Tritt er dem Rechtsstreite nicht
bei, so kann er späterhin, wenn A auf ihn seinen Rückgriff nimmt, nicht
einwenden, der erste Prozeß sei unrichtig entschieden oder von A mangel-
haft geführt worden.
198
Das Zivilprozeßverfahren
587 3. Die Prozeßkosten und das Armenrecht.
Die im Rechtsstreit endgültig unterliegende Partei hat in der
Regel alle Kosten zu tragen, also nicht nur die eigenen, son-
dern auch die dem Gegner erwachsenen Kosten, sowie die Gerichts-
kosten. Wenn dagegen jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so
werden die Kosten auf beide Parteien angemessen verteilt. Die von
einer Partei der anderen zu erstattenden Prozeßkosten werden nach
Beendigung des Verfahrens auf Antrag vom Gericht in einem be-
sonderen Beschlusse festgesetzt und können auf Grund dieses sog.
K o st e n s e st s e tz u n g s b e s ch l u s s e s zwangsweise beigetrieben
werden. Bei den Amtsgerichten kann die Festsetzung sofort im Urteil
erfolgen.
588 Die Höhe der Gerichtskosten ist durch das Reichs -Gerichts-
ko st engesetz geregelt. Abgesehen von ben Auslagen (Zeugen-
gebühren, Schreibgebühren usw.) kommen Gerichtsgebühren zur Er-
hebung, welche nach dem Wert des Streitgegenstandes abgestuft
sind/o imb zwar wird jeweils eine besondere Gerichtsgebühr erhoben
für die gesamten miindlichen Verhandlungen, für die Beweisauf-
nahmen und für die Entscheidung.
589 Personen, welche nicht imstande sind, die Prozeßkosten aufzu-
bringen, dürfen deshalb doch in einem geordneten Staate nicht des
Rechtsschutzes entbehren. Es wird ihnen daher, vorausgesetzt, daß ihre
Prozeßführung nicht mutwillig oder aussichtlos erscheint, auf Vor-
lage eines (in der Regel von dein Armenpflegschaftsrat auszustellen-
den) Unvermögenszengnisses fiir den Prozeß das A r m e n r e ch t be-
willigt. Damit werden sie einstweilen vom Bezahlen der Gerichts-
kosten befreit, und es wird ihnen zugleich ein Gerichtsvollzieher (für
die Zustellungen und Vollstreckungen) und, soweit nötig, ein Rechts-
anwalt völlig unentgeltlich beigeordnet.
iv. Das Verfahren bis zum Urteil.
1. Das Verfahren vor den Landgerichten.
590 Im landgerichtlichen Verfahren muß die Klageschrift von
einem beim Gericht zugelassenen Rechtsanwalt bei diesem eingereicht
werden. Sie muß (abgesehen von der selbstverständlichen Bezeich-
nung der Parteien und des Gerichts) die Tatsachen, auf welche sich der 10
10 Bei einem Prozesse, der sich um einen großen Geldwert dreht, sind
daher die Gebühren hoch, mag die Sache einfach oder verwickelt sein. Bei
kleinen Streitwerten dagegen sind die Gebühren stets nieder, wenn die
Sache auch noch so schwierig ist.
Das Verfahren bis zum Urteil
199
Klaganspruch stützt, ferner einen bestimmten Klagantrag, sowie die
Erklärung enthalten, daß der Kläger den Beklagten vor das Prozeß-
gericht zirr mündlichen Verhandlung lade und ihn auffordere, einen
beim Gericht zugelassenen Rechtsanwalt für sich zu bestellen. Der
Vorsitzende des Gerichts setzt auf die Klageschrift die Termins-
b e st i m m u n g , d. h. den Vermerk, wann die Verhandlung statt-
finden soll. Es ist sodann Sache des Klägers oder seines Vertreters,
dem Beklagten ein Exemplar der Klageschrift mit der Terminsbestim-
mnng zustellen gu lassen.11
Erscheint im Verhandlungstermin der Beklagte trotz ordnungs- 591
mäßiger und rechtzeitiger Zustellung der Klage nicht, so gelten die
Tatsachen, welche der Kläger in der Klageschrift behauptet hat, als zu-
gestanden; rechtfertigen sie den Klagantrag, so wird auf Antrag des
Klägers gegen den Beklagten ein Verfäumnisurteil erlassen.
Bleibt dagegen der Kläger im Termine aus, so wird die Klage auf
Antrag des Beklagten durch Verfäumnisurteil abgewiesen. Gegen
diese Versäumnisurteile kann der Verurteilte binnen zweier Wochen
nach der Zustellung den Einspruch einlegen, welcher einer beson-
deren Begründung nicht bedarf, und dessen Einlegung zur Folge hat,
daß nunmehr der Prozeß weiter verhandelt wird, als wenn das Ur-
teil nicht ergangen wäre. Das Urteil bleibt aber zunächst bestehen
und kann, wenn es für vorläufig vollstreckbar erklärt ist (vorbehaltlich
des künftigen Rückersatzes) einstweilen vollstreckt werden.
Erscheinen in einem Verhandlungsterinin beide Streitteile nicht, 592
so ruht das Verfahren, bis eine Partei es durch Ladung des
Gegners aufs neue in Lauf setzt. Wenn beide Parteien oder ihre
Vertreter erscheinen, aber Vertagung des Termins beantragen,
so muß das Gericht diesem Antrag stattgeben.^
Erscheinen beide Teile, so verliest zunächst der klägerische Ver- 59z
treter den Klagantrag und der Gegner den Gegenantrag, worauf der
ganze Prozeßstoff von den Vertretern in freier Rede und Gegenrede
vorgetragen wird und gleichzeitig für die bestrittenen Behauptungen * 12
u Ist der Aufenthalt einer Partei unbekannt, so kann das Gericht auf
Antrag des Gegners bewilligen, daß die im Reichtsstreite notwendig wer-
denden Zustellungen an sie öffentlich, d. h. durch Anschlag an die Gerichts-
tafel und (bei Ladungen) durch Einrückung in Zeitungen erfolgen dürfen.
Diese öffentlichen Zust ellungen werden vom Gerichtsschreiber be-
sorgt und haben die gleiche Wirkung, wie wenn das zuzustellende Schriftstück
der betreffenden Partei selbst übergeben worden wäre.
12 Von diesen Vertagungen auf Antrag der Parteien rührt die oft
beklagte lange Dauer mancher Prozesse hauptsächlich her. Terminsver-
tagungen finden sehr selten von Amts wegen, sondern meistens auf Antrag
der Parteien statt, weil die Vertreter von ihren Parteien noch keine genü-
genden Informationen erhalten haben oder anderweit beschäftigt sind.
200
Das Zivilprozeßverfahren
Beweise angeboten werden. Will der Beklagte gegenüber dem Klag-
anspruche einen damit in Zusammenhang stehenden Gegenanspruch
geltend machen/" so kann er zu diesem Zweck in der Verhandlung
eine Widerklage erheben.
594 Zeigt sich im Laufe der Verhandlung, daß über einzelne Behaup-
tungen noch Beweise erhoben werden müssen (z. B. durch Verneh-
mung von Zeugen), so ordnet das Gericht durch Beweisbeschluß
die Erhebung an. Diese findet, da sie zumeist vor dem
ganzen Gericht mit Rücksicht auf die dazu erforderliche Zeit nicht vor-
genommen werden kann, in der Regel vor einem durch das Gericht
damit beauftragten Gerichtsmitglied in einem befonderen Beweis-
a u f n a h m e t e r m i n statt. Um Vernehmung entfernt wohnender
Zeugen und Sachverständigen wird gewöhnlich das Amtsgericht ihres
Wohnorts ersucht.
595 Nach Erhebung aller Beweise findet vor dem Prozeßgericht die
S ch l u ß v e r h a n d l u n g statt, in welcher von bcn Parteien noch-
mals der ganze Prozeßstoff unter Darlegung der Ergebnisse der Be-
weisaufnahmen vorgetragen wird, worauf das Gericht nach gehei-
mer Beratung entweder sofort oder in einem besonderen Verkün-
dungstermin das Urteil verkündet.
596 Die Urteile enthalten zunächst die Urteilsformel, in
welcher in knapper Fassung ausgesprochen ist, welcher Anspruch zu-
oder aberkannt wird, ferner den T a t b e st a n d , d. h. eine kurze
Darstellung des gesamten Sach- und Streitstandes, und endlich die
E n t f ch e i d u n g s g r ü n d e , die dartun, aus welchen Gründen so
erkannt wurde, wie aus der Urteilsformel ersichtlich ist.
2. Das Verfahren vor den Amtsgerichten
597 ist im wesentlichen das gleiche wie vor den Landgerichten; doch ge-
staltet es sich formloser, und die Parteien müssen dabei, wie bereits
erwähnt, nicht durch Anwälte vertreten sein.
Die Klage, sowie sonstige Parteierklärungen können im amts-
gerichtlichen Prozesse zu Protokoll des Gerichtsschreibers abgegeben
werden, welcher alsdann auch ohne ausdrücklichen Parteiauftrag die
Zustellung an den Gegner veranlaßt. Die Beweisaufnahmen wer-
den, wenn nicht ein auswärtiges Amtsgericht um deren Vornahme
ersucht werden muß, stets durch den erkennenden Richter selbst vor-
genommen, was ermöglicht, daß die Schlußverhandlung sich zumeist
unmittelbar an die Beweisaufnahme anschließt. *
* Erkennt dagegen der Beklagte den Klaganspruch an, so wird sofort
gegen ihn uns Antrag ein Anerkenntnis urteil erlassen.
In Nr. 597 ist am Schlüsse des ersten Absatzes beizufügen:
„Die Einspruchsfrist gegen Versäumnisurteile lsiehe
Nr. 691) beträgt nur eine Woche."
Das Beweisverfahren
201
Auch ohne vorherige Klagerhebung kann beim Amtsgericht eine 598
Verhandlung stattfinden und ein Urteil erlassen werden, wenn beide
Parteien an einem ordentlichen Gerichtstage14 zusammen vor dem
Gericht erscheinen und ihm ihre Sache vortragen. Hiervon wird
namentlich in den Fällen Gebrauch gemacht, in denen ein Schuldner
zugunsten seines Gläubigers ein Anerkenntnisurteil für seine Schuld
gegen sich ergehen lassen will.
Endlich kann auch ein Kläger, bevor er sich entschließt, beim
Amtsgericht oder Landgericht eine förmliche Klage zu erheben, den
Gegner zu einer Sühneverhandlung vor das Amtsgericht laden.
v. Das Beweisverfahren insbesondere.
Eine Tatsache, welche von der Gegenpartei nicht ausdrücklich oder 599
stillschweigend zugestanden wird, und deren Richtigkeit auch nicht g e-
r i ch t s k u n d i g (d. h. allgemein bekannt) ist, muß, wenn sie seitens
des Gerichts berücksichtigt werden soll, von der Partei, welche sie be-
hauptet hat, bewiesen werden. Die Beweislast für eine
Tatsache trifft mit anderen Worten stets denjenigen,
der sie behauptet. Das ist aber nicht immer gerade der
Kläger. Wohl muß dieser die zur Begründung der Klage gehören-
den Behauptungen beweisen. Häufig aber gibt der Beklagte diese
Behauptungen als richtig zu und beantragt gleichwohl Klagabwei-
sung, indem er die „Einrede" vorträgt, der an sich ursprünglich
begründete Klaganspruch sei infolge anderer Tatsachen weggefallen
oder doch zurzeit nicht gerechtfertigt; alsdann muß der Beklagte die
einredeweise vorgebrachten Tatsachen beweisen. So z. B., wenn er
gegenüber einer Klage aus Rückzahlung eines Darlehens den Emp-
fang zugibt, aber die Einrede der bereits erfolgten Rückzahlung oder
der Stundung geltend macht.
Ueber das Ergebnis der Beweisaufnahme hat das Gericht nach 600
seiner freien Ueberzeugung zu entscheideu, ohne an bestimmte Beweis-
regeln, wie sie das frühere Recht kannte, gebunden zu sein; es gilt
also der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.
Die verschiedenen Beweismittel sind Zeugen, Sachverständige,
richterlicher Augenschein, Urkunden und Eid.
1. Die Zeugen.
Zur Ablegung des Zeugnisses über Wahrnehmungen, welche für 601
einen Rechtsstreit von Bedeutung sind, ist grundsätzlich jedermann bei
" Als sog. ordentliche Gerichtstage werden bei den Amts-
gerichten bestimmte Wochentage jeweils dauernd festgesetzt.
202
Das Zivilprozeßverfahren
Vermeidung von Geld- oder Haftstrafeu verpflichtet. Das Zeug-
nis darf jedoch verweigern, wer mit einer der Parteien
verlobt oder verheiratet oder nahe verwandt oder verschwägert ist:
ferner Geistliche, Aerzte, Rechtsanwälte usw., soweit sie durch ihren
Beruf zur Geheimhaltung von Tatsachen verpflichtet sind, die ihnen
in demselben anvertraut wurden. Auch kann jedermann das Zeugnis
verweigern über Fragen, deren Beantwortung ihm oder seinen An-
gehörigen einen unmittelbaren Vermögensschaden verursachen oder
zur Unehre gereichen oder eine strafgerichtliche Verfolgung zuziehen
würde, oder deren Beantwortung nur unter Preisgebnng eines Kunst-
oder Gewerbegeheimnisses möglich wäre.
602 Die Zeugen werden, sofern sie 16 Jahre alt und bei ge-
sundem Verstände, auch nicht infolge einer früheren Verurteilung
wegen Meineides eidesunsähig sind, eidlich vernommen, d. h.
sie schwören „bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß sie die
reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen
werden". Einer Verletzung seiner Eidespslicht macht sich also nicht
nur der Zeuge schuldig, welcher auf seinen Eid eine unwahre Tatsache
behauptet, sondern auch derjenige, welcher irgend eine für die Sache
erhebliche Tatsache verschweigt (s. Nr. 260).
60z Unbeeidigt werden in der Regel die Zeugen v e r n 0 m-
m e n , welche zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt wären, von
diesen: Verweigerungsrecht aber keinen Gebrauch machen, oder welche
am Ausgange des Rechtsstreits unmittelbar beteiligt sind.
604 Für ihre Zeitversänmnis und die aufgewendeten Reisekosten er-
halten die Zeugen sowie die Sachverständigen Ersatz nach Maßgabe
der Reichsgebührenordnung für Zeugen und S a ch -
v e r st ä n d i g e.
2. Die Sachverständigen
605 werden gleichfalls eidlich vernommen, und zwar lautet ihr Eid dahin,
daß sie ihr Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Ge-
wissen erstatten werden. Sie dienen dazu, dem Richter die zur Be-
urteilung einzelner Fragen notwendige Sachkunde zu geben, indem sie
z. B. sich darüber anssprechen, ob der Tod eines Menschen ans eine bei
einem Unfall erlittene Verletzung zurückzuführen sei, oder ob eine ge-
lieferte Maschine den zu stellenden technischen Anforderungen ent-
spreche usw.
3. Die Urkunden.
606 Die Urkunden, von denen bereits im Strafrechte die Rede war
(s. Nr. 282), sind entweder öffentliche, d. h. solche, die von einer
öffentlichen Behörde oder Amtsperson innerhalb ihrer Amtsbefugnisse
in der vorgeschriebenen Form ansgestellt sind, oder private U r -
Das Beweisverfahren
203
künden. Während die ersteren keines Echtheitsbeweises bedürfen,
da dieser sich aus ihrer Form ergibt, muß die Echtheit der Privat-
urkunden, falls sie bestritten wird, bewiesen werden, was insbesondere
durch Zeugen oder durch Eideszuschiebnng (s. Nr. 608) sowie unter
Umständen durch S ch r i f t v e r g l e i ch u n g geschehen kann.
Befindet sich eine Urkunde, auf welche eine Partei sich berufen 607
will, in den Händen des Gegners, so kann von diesem die Heraus-
gabe insbesondere dann verlangt werden, wenn sie ihrem Inhalte
nach für beide Teile gemeinschaftlich ist, oder wenn der Gegner selbst
im Prozesse zur Beweisführung auf sie Bezug genommen hat. Be-
hauptet der Gegner, er besitze die Urkunde nicht, so ist er auf Antrag
verpflichtet, über die Unmöglichkeit der Herausgabe (lat. — editio)
den sog. Editi 0 nseid dahin zu leisten, daß er weder die Urkunde
besitze, noch sie beseitigt habe, noch wisse, wo sie sich befinde.
4. Der Parteicid.
Wer eine Tatsache behauptet, kann zu deren Beweis dem sie be- 608
streitenden Gegner den E i d z u s ch i e b e n , d. h. er kann verlangen,
daß der Gegner die Nichtwahrheit der Behauptung beschwöre. Will
der Gegner den Eid nicht selbst leisten, so kann er ihn an die Gegen-
partei zurückschieben, d. h. verlangen, daß diese selbst die Wahr-
heit ihrer Behauptung beschwöre. Da aber niemanden eine Eides-
leistung über eine Tatsache zugemutet werden darf, von der er keine
eigene Kenntnis haben kann, so ist die Eideszuschiebnng oder -Zurück-
schiebung nur zulässig über solche Tatsachen, welche der Schwurpflich-
tige selbst oder feine Nechtsvorgänger oder Vertreter wahrgenonnneu
haben, oder welche in eigenen Handlungen dieser Personen bestehen?''
Ueber eigene Handlungen und Wahrnehmungen des Schwurpflich-
tigen darf dieser den Eid in der Regel nur als sog. Wahrheits - 609
e i d leisten, d. h. er muß unmittelbar die Wahrheit oder Unwahrheit
beschwören. Ueber Handlungen und Wahrnehmungen seiner Rechts-
vorgänger oder Vertreter dagegen kann ihm der Natur der Sache nach
regelmäßig nur der sog. Ueberzeugungseid auferlegt werdeu,
er habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Ueberzeu-
gung erlangt, daß die Tatsache nicht wahr oder daß sie wahr sei.15 16
15 Z. B.^kann jemand, der auf Rückgabe einer ihm zur Aufbewahrung
übergebenen Sache verklagt ist, dem Kläger selbstverständlich nicht etwa den
Eid über seine Behauptung zuschieben, die Sache sei gelegentlich einer
Feuersbrunst bei ihm (dem Beklagten) verbrannt.
16 Verklage ich z. B. jemanden auf Rückzahlung eines ihm selbst ge-
gebenen, von ihm bestrittenen Darlehens, so kann ich in der Regel verlangen,
daß er den Wahrheitseid dahin leiste, es sei nicht wahr, daß er das
Darlehen erhalten habe. Ginge jedoch die Klagebchauptung dahin, das Dar-
lehen sei in Abwesenheit des Beklagten s. Zt. seinem jetzt verstorbenen Vater
204
Das Zivilprozeßverfahren
6i° Auch ohne daß eine Partei der anderen über die streitigen Be-
hauptungen den Eid zuschiebt, kann das Gericht, wenn ein anderer
Beweis nicht voll erbracht worden ist, der einen oder anderen Partei
einen Eid darüber auferlegen (sog. richterlicher Eid).
611 Wird ein zugeschobener Eid verweigert, so gilt die Behauptung,
über welche der Eid zugeschoben worden war, als voll bewiesen.
Ebenso gilt natürlich, wenn jemand die Leistung des von ihm der
Gegenpartei zugeschobenen, von dieser aber zurückgeschobenen Eides
verweigert, seine Behauptung als widerlegt. Wird dagegen ein zu-
geschobener oder zurückgeschobener Eid geleistet, so steht die beschwo-
rene Tatsache endgültig fest, und es können nachträglich weder in der
gleichen noch in einer höheren Instanz gegen sie andere Beweis-
mittel vorgebracht werden. Deshalb wird auch zumeist der Eid einst-
weilen der Partei noch nicht abgenommen, sondern es wird zunächst
612 nur durch ein sog. bedingtes Endurteil ausgesprochen, daß
die Partei den Eid zu leisten habe und was für Rechtsfolgen aus der
Leistung oder der Verweigerung des Eides abgeleitet würden.17
Gegen dieses Urteil können die Parteien die zulässigen Rechts-
mittel einlegen, um vielleicht in der höheren Instanz zunächst noch
andere Beweise anzubieten oder auch darzutun, daß es auf den Eid
überhaupt nicht ankomme. Erst wenn das bedingte Urteil rechts-
kräftig geworden ist, findet der Eidestermin statt, und nach der Eides-
leistung oder Eidesverweigerung werden die im bedingten
Endurteile im voraus angekündigten Rechtsfolgen durch unbedingtes
Urteil ausgesprochen.
vi. Die Rechtsmittel und die Wiederaufnahme des
Verfahrens.
613 Gegen die Urteile der Amtsgerichte findet binnen eines Monats
von der Zustellung ab die Berufung an das Landgericht statt,
welches endgültig entscheidet. Ebenso kann gegen die von den
Landgerichten in erster Instanz erlassenen Urteile die Berufung an
gegeben worden, so hätte der Beklagte nur den Ilcberzcugungseid
zu leisten, des Inhalts, daß er die Ueberzeugung von der Unwahrheit der
klägerischen Behauptung erlangt habe.
17 Ein solches bedingtes Endurtcil lautet z. B.:
Der Beklagte hat folgenden Eid zu leisten: „Es ist nicht wahr, daß ich
vom Kläger im Januar des Jahres 1906 ein Darlehen von 600 M. erhalten
habe." Leistet der Beklagte diesen Eid, so wird der Kläger mit der Klage
abgewiesen unter Verfüllung in die Kosten des Rechtsstreits. Verweigert
dagegen der Beklagte die Leistung des Eides, so wird er verurteilt, an den
Kläger 600 M. zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Rechtsmittel. Die Wiederaufnahme des Verfahrens
205
das Oberlandesgericht eingelegt werden. In beiden Fällen muß die
Bernfungsschrift beim Berufungsgericht von einem daselbst zuge-
lassenen Rechtsanwalt eingereicht werden.
Bei der Berufung wird der Rechtsstreit vor dem Berufungs- 614
gerietst, soweit dies beantragt ist, völlig von neuem verhandelt; es
können von jeder Partei neue Tatsachen und Beweise vorgebracht
werden. Grundsätzlich hiervon verschieden ist das Rechtsmittel der
Revision, welche gegen die von den Oberlandesgerichten in der 615
Berufungsinstanz erlassenen Urteile gleichfalls innerhalb Monatsfrist
an das Reichsgericht eingelegt werden kann, falls es sich für die
Partei um einen Wertbetrag von mehr als 2500 M. handelt; wie im
Strafverfahren (Nr. 316) muß die Revision innerhalb bestimmter
Frist begründet werden. Durch die Einrichtung des Reichsgerichts
als Revisionsinstanz soll erreicht werden, daß die Auslegung der Ge-
setze in allen wichtigen Fragen im ganzen Reiche einheitlich erfolgt;
denn eine solche einheitliche Rechtsprechung der Gerichte ist naturge-
mäß für die Rechtssicherheit im Handel und Wandel von großer Wich-
tigkeit. Das Reichsgericht hat daher bei der Entscheidung über die
Revision nur die in Betracht kommenden Rechtsfragen nachzuprüfen,
während die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, sofern
sie nicht auf einer Verletzung von Verfahrensvorschriften beruhen, mit
der Revision nicht angegriffen werden können.
D i e B e s ch w e r d e endlich ist ein Rechtsmittel, das gegen eine 616
Reihe von Beschlüssen und Verfügungen der Gerichte (z. B. gegen die
Versagung des Armenrechts oder gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse)
gegeben ist. Ueber die Beschwerde entscheidet jeweils das übergeord-
nete Gericht in der Regel ohne vorherige mündliche Verhandlung
durch Beschluß.
Auch nachdem ein Urteil bereits rechtskräftig geworden ist, kann 617
eine Partei unter gewissen Voraussetzungen das Verfahren wieder
aufnehmen, indem sie eine besondere Klage auf Aufhebung oder Ab-
änderung des Urteils erhebt. Eine solche W i e d e r a u f n a h nl e
des Verfahrens ist zulässig, wenn in dem früheren Verfahren
bestimmte schwere Verfahrensfehler vorgekommen sind, z. B. wenn bei
der Entscheidung ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter (s. Nr. 582)
mitgewirkt hat. Eine Wiederaufnahme ist vom Gesetz ferner zuge-
lassen in gewissen Fällen, in welchen die Unrichtigkeit des ergangenen
Urteils nachträglich klar zutage liegt, z. B. weil es sich auf die fest-
gestelltermaßeu falsche eidliche Aussage einer Partei oder eines Zeu-
gen oder Sachverständigen stützt, oder weil nachträglich eine für die
Entscheidung wichtige, anders lautende Urkunde aufgefunden wurde.
206
Das Zivilprozeßverfahren
vii. Die besonderen Verfahrensarten.
1. Das Mahnverfahren.
618 Häufig will ein Schuldner seine Schuld gar nicht bestreiten, aber
er kann nicht zahlen, weil er kein bares Geld besitzt. Auch in diesen
Fällen muß der Gläubiger, wenn er im Wege der Zwangsvollstreckung
sich Befriedigung verschaffen will, zunächst seine Forderung gerichtlich
feststellen lassen. Hierzu dient ein einfaches Verfahren, das Mahn-
verfahren. In diesem erläßt das Amtsgericht auf schrift-
lichen oder mündlichen Antrag des Gläubigers ohne vorherige nähere
Feststellung des Sachverhalts einen Zahlungsbefehl an den
Schuldner, d. h. den Befehl, binnen einer Woche bei Vermeidung der
Zwangsvollstreckung entweder die Schuld nebst Kosten zu bezahlen
oder beim Amtsgericht Widerspruch zu erheben. Erhebt der Schuldner
619 Widerspruch, so wird der Prozeß im gewöhnlichen Verfahren
beim Amtsgericht oder, falls das Landgericht zuständig ist, bei
diesem durchgeführt. Unterläßt dagegen der Schuldner die Erhe-
bung des Widerspruchs, ohne jedoch zu zahlen, so wird aus Antrag
des Gläubigers vom Amtsgericht ein Voll st reckungsbefehl
erlassen, d. h. der Zahlungsbefehl wird für vollstreckbar erklärt, und
aus Grund dieses Vollstreckungsbesehls kann der Gläubiger
die Zwangsvollstreckung betreiben. Doch kann der Schuldner auch
noch gegen den Vollstreckungsbefehl binnen zweier Wochen nach Zu-
stellung Einspruch einlegen, wie gegen ein Versäumnisurteil
Cf. Nr. 591).
2. Der Urkunden- und Wechselprozeß.
620 Zur raschen Durchführung von Ansprüchen, welche sich ausschließ-
lich auf Wechsel oder andere Urkunden stützen, sieht die Zivilprozeß-
ordnung ein besonderes Verfahren vor. Dieses ist beschleunigt
hauptsächlich dadurch, daß (in Wechselsachen) der Verhandlungs-
termin mit sehr kurzer Frist anberaumt wird, und daß der Beklagte
den Beweis für seine etwaigen Gegenbehauptungen nur durch Ur-
kunden oder durch Zuschiebung des Eides führen darf, welch letzterer
sofort abgenommen, nicht erst durch ein bedingtes Endurteil
auferlegt wird. Kann der Beklagte auf solche Art seine Einwendun-
gen nicht beweisen, so wird er im Urkunden- oder Wechselprozeß einst-
weilen verurteilt; doch wird ihm im Urteil die Befugnis vor-
behalteil, seine Rechte nachträglich im ordentlichen Prozeßverfahren
noch geltend zu machen.
3. Das Verfahren in Ehesachen.
621 Das Verfahren in diesen Sachen, wozu besonders die Eheschei-
dungsklagen gehören, weist gegenüber dem gewöhnlichen Prozeßver-
Die besonderen Verfahrensarten
207
fahren verschiedene Abweichungen auf, welche darauf beruhen, daß
ans sittlichen Gründen und im öffentlichen Interesse der Bestand der
Ehe nicht lediglich von der Willkür der Beteiligten abhängen darf.
Eine Ehescheidungsklage kann in der Regel erst eingereicht werden,
nachdem ein vor dem Amtsgericht anberaumter Sühneverfuch 18 er-
folglos geblieben ist. Ferner hat das Gericht in solchen Prozessen auch
die von der Gegenpartei nicht bestrittenen Parteibehauptungen aus
ihre Wahrheit zu prüfen, und es ist behufs Aufrechterhaltung einer
Ehe auch befugt, von Amts wegen Beweise zu erheben. Endlich kann
in Ehesachen auch die Staatsanwaltschaft zur Wahrung des öffent-
lichen Interesses am Verfahren teilnehmen durch Stellung von An-
trägen und durch gutachtliche Aeußerung; sie wird daher von allen
solchen Verhandlungen jeweils benachrichtigt.
4. Das Entmündigungsverfahren.
Eine Person kann, wie bereits früher erörtert (s. Nr. 347), 622
wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, wegen Verschwendung
und wegen Trunksucht aus Antrag vom Amtsgericht entmündigt wer-
den. Das hierbei einzuhaltende Verfahren ist, obgleich es kein eigent-
liches Prozeßverfahren darstellt, doch in der Zivilprozeßordnung
geregelt.
Der Entmündigungsantrag kann von dem Ehegatten oder dem 62z
gesetzlichen Vertreter des zu Entmündigenden, in gewissen Fällen auch
von seinen Verwandten gestellt werden. Bei Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche ist ferner auch die Staatsanwaltschaft, bei Trunk-
sucht und Verschwendung unter Umständen auch der beteiligte Armen-
pflegschastsrat zur Stellung des Antrags berechtigt.
Nachdem der Entmündigungsantrag gestellt ist, veranstaltet das 624
Amtsgericht von Amts wegen alle erforderlichen Ermittelungen, ver-
nimmt den zu Entmiindigenden und erhebt die Beweise, insbesondere
die nötigen Gutachten von Aerzten. Auch der Staatsanwalt ist be-
fugt, in dem Verfahren jederzeit durch Stellung von Anträgen mitzu-
wirken, wenn es sich nicht um eine Entmündigung wegen Verschwen-
dung oder Trunksucht handelt.
Das Amtsgericht entscheidet über den Entniündigungsantrag 625
durch Beschluß. Wird hierdurch die Entmündigung ausgesprochen,
so kann der Entmündigte seine etwaigen Einwendungen noch geltend
machen, indem er beim Landgericht Klage auf Aufhebung des Be-
schlusses gegen den Staatsanwalt erhebt. Ein ähnliches Verfahren
findet statt, wenn späterhin wegen Wegfalls des Entmündigungs-
grundes die Aushebung der Entmündigung beantragt wird.
18 Wegen Benachrichtigung der Geistlichkeit s. Nr. 464, Anm. 6.
208
Das Zivilprozeßverfahren
5. Das Aufgebotsverfahren.
Das bürgerliche Recht gestattet in zahlreichen Fällen ein Auf-
gebotsverfahren, d. h. eine öffentliche gerichtliche Aufforderung an un-
bekannte Personen oder an Personen unbekannten Aufenthalts zur
Anmeldung gewisser Ansprüche oder Rechte bei Vermeiden ihres
Verlustes. So findet z. B. ein Aufgebotsverfahren statt, wenn
eine verschollene Person für tot erklärt werden soll, damit ihre Erben
sich in den Besitz ihres Vermögens setzen können (s. Nr. 342), oder
wenn eine verloren gegangene Urkunde (z. B. ein Sparkassenbuch, ein
Wechsel oder ein Staatsschuldschein) für kraftlos erklärt werden soll,
damit dem Berechtigten eine neue solche Urkunde ausgestellt werden
könne.
Für das Aufgebotsverfahren sind die Amtsgerichte zuständig.
Wird ein zulässiger Ausgebotsantrag gestellt, so bestimmt das
Gericht einen Aufgebotstermin und fordert in dem Auf-
gebot, welches durch Anschlag an die Gerichtstasel und durch Ein-
rückung in Zeitungen veröffentlicht wird, alle Berechtigten aus, ihre
Ansprüche spätestens in diesem Termin geltend zu machen. Meldet
sich niemand, so wird im Ausgebotstermin das Ausschluß urteil
(im Verschollenheitsverfahren die Todeserklärung) erlassen.
6. Das schiedsrichterliche Verfahren.
Vertragsparteien können vereinbaren, daß die aus einem be-
stimmten Rechtsverhältnisse etwa entspringenden Rechtsstreitigkeiten
anstatt durch die zuständigen Gerichte durch eine oder mehrere Privat-
personen als Schiedsrichter entschieden werden. Die Schieds-
richter werden in solchen Fällen, wenn ein Schiedsspruch notwendig
wird, durch die Parteien selbst ernannt. Sie können Zeugen und
Sachverständige, welche freiwillig vor ihnen erscheinen, unbeeidigt
vernehmen. Wird die Beeidigung oder eine andere richterliche Hand-
lung erforderlich, so wird sie aus Antrag von dem zuständigen Gericht
vorgenommen. Der von den Schiedsrichtern gefällte Schieds-
spruch ist von ihnen zu unterschreiben, den Parteien zuzustellen
und alsdann auf der Gerichtsschreiberei niederzulegen. Eine
Zwangsvollstreckung kann aus dem Schiedsspruch nur stattfinden,
nachdem das zuständige Gericht ihre Zulässigkeit durch ein sog. V oll-
st r e ck u n g s u r t e i l ausgesprochen hat.
viii. Die Zwangsvollstreckung.
1. Die Grundlagen der Vollstreckung.
Die Zwangsvollstreckung findet statt aus Grund von rechtskräf-
tigen (d. h. mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren) oder für vor-
Die Zwangsvollstreckung
209
läufig vollstreckbar erklärten Urteilen; ferner aus Vollstreckungsbe-
fehlen (f. Nr. 619), aus Vergleichen, die vor Gericht abgefchlossen
wurden, aus Koftenfestsetzungsöefchlüssen (f. Nr. 587) und auf Grund
von fog. vollstreckbaren Urkunden; letztere sind von einem
Gericht oder von einem Notar aufgenommene Urkunden, in denen ein
Schuldner feine Zahlungsverpflichtung anerkennt und zugleich aus-
drücklich erklärt, daß er sich der sofortigen Zwangsvollstreckung
unterwerfe.^
Will ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung betreiben, so muß er 630
sich zu diesem Zweck zunächst eine voll st reckbare Ausferti-
gung des betreffenden Urteils, Vergleichs usw. erteilen lassen, d. h.
eine Ausfertigung, auf welcher ausdrücklich beurkundet ist, daß sie
zum Zweck der Zwangsvollstreckung ausgestellt werde.
2. Die verschiedenen Vollstreckungsarten.
Die Durchführung der Zwangsvollstreckung gestaltet sich natur- 631
gemäß verschieden, je nach dem Inhalte des zu vollstreckenden Urteils
usw. Hierüber ist folgendes zu bemerken:
a. Ist eine Geldsorderung beizutreiben, so kann
der Gläubiger nach freier Wahl und unter Umständen auch gleich-
zeitig
1. den Gerichtsvollzieher mit der Pfändung und öffentlichen 632
Versteigerung von Fahrnissen des Schuldners beauf-
tragen. Doch dürfen dem Schuldner solche Gegenstände, deren
er für seinen und seiner Familie Unterhalt oder zur Ausübung
seines Berufes notwendig bedarf (die sog. Kompetenz-
st ü ck e), nicht gepfändet werden. Werden bei dem Schuldner
Sachen gepfändet, welche einem Dritten gehören, so kann letzterer
gegen den Gläubiger sog. Widerspruchsklage auf Aus-
hebung der Pfändung erheben, falls dieser sich weigert, die Ge-
genstände freizugeben. Steht dagegen dem Dritten an den ge-
pfändeten Sachen nur ein Pfandrecht zu (wie z. B. dem Ver-
mieter an den in die Mieträume eingebrachten Sachen des
Mieters, s. Nr. 399), so kann er nur verlangen, siir seine Pfand-
forderung aus dem Versteigerungserlöse vor dem betreibenden
Gläubiger befriedigt zu werden.
2. Der Gläubiger kann ferner auch etwaige Geldsorder un - 633
gen, welche dem Schuldner gegen einen Dritten zustehen, durch
das Amtsgericht pfänden und sich überweisen lassen. Hier-
durch erlangt er die Befugnis, die Forderung von dem Dritten 18 *
18 Wegen der späteren Zwangsvollstreckung zugunsten der in einem Kon-
kurse festgestellten Forderungen s. Nr. 649; wegen der Vollstreckung aus
einem Zwangsvergleich s. Nr. 650 Anm.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
14
210
Das Zivilprozeßverfahren
Zum Zwecke seiner Befriedigung für sich einzuziehen und nötigen-
falls den Dritten auf Zahlung zu verklagen. Gewisse Forde-
rungen des Schuldners dürfen jedoch mit Rücksicht auf dessen
Fortkommen nicht gepfändet werden; fo z. B. der noch nicht ver-
diente oder noch nicht fällige Arbeits- und Dienstlohn, sowie die
Gehälter und Pensionen von Beamten und ihrer Hinterblie-
benen. Uebersteigen jedoch diese Gehaltsbezüge usw. jährlich den
Betrag von 1500 M., so ist der dritte Teil des Mehrbetrages der
Pfändung unterworfen.
3. Der Gläubiger kann endlich auch die Zwangsvoll -
ftreckungin das unbewegliche Ver m ö g e n des
Schuldners betreiben, und zwar, ohne daß er vorher die Voll-
streckung in Fahrnisse versucht haben müßte. Zu diesem Zweck
kann er zunächst, falls er die Vollstreckung noch nicht gleich durch-
führen will, zur Sicherung seiner Forderung eine sog.
Zwangs Hypothek auf Grundstücke des Schuldners in das
Grundbuch eintragen lassen; jedoch ist eine solche Eintragung
nur gestattet, wenu die Forderung ohne Zinsen und Kosten mehr
als 300 M. beträgt; auch findet aus Grund eines Vollstreckungs-
besehls (s. Nr. 619) eine solche Eintragung nicht statt. Der
Gläubiger kann aber auch sofort die Z w a n g s v e r st e i ge-
rn ngvonGr und st ücken des Schuldners betreiben. Dieses
Verfahren ist in einem besonderen Reichsgesetz, dem Zwangsver-
steigerungsgesetz, geregelt. Die Zwangsversteigerung wird auf
Antrag des Gläubigers vom Amtsgericht angeordnet. Ihre
Durchführung liegt in Bayern den Notariaten ob. Im Ver-
steigerungstermin wird ein Zuschlag nur erteilt, wenn minde-
stens soviel geboten wird, daß daraus alle Gläubiger Befriedi-
gung erhalten, deren Ansprüche (auf Grund von Hypothekenein-
trägen usw.) dem Anspruch des die Zwangsvollstreckung betrei-
benden Gläubigers vorgehen, und daß ferner die Kosten des Ver-
fahrens gedeckt werden (sog. „geringstes Gebot"). Die
dritte hierher gehörige Form ist die 3toang§berlDa[ =
tung, die die Nutzungen des Grundstücks für den Gläubiger
verwertet?"
b. Lautet das zu voll st reckende Urteil usw. aus
Herausgabe einer beweglichen Sache oder auf Räumung eines
Grundstücks oder einer Wohnung, so findet die Zwangsvollstreckung 20
20 Für diejenigen Lande steile Bayerns, für die das
Grundbuch nicht angelegt ist, bemißt sich das Zwangsverstei-
gernngsverfahren von Grundstücken noch nicht nach dem Reichszwangsverstei-
gerungsgesetz, sondern nach der Bayerischen Subhastationsordnung; doch ist
in ihr das Verfahren ähnlich geregelt.
Die Zwangsvollstreckung
211
einfach in der Weise statt, daß durch den Gerichtsvollzieher die Sache
dem Schuldner weggenommen oder das Grundstück bezw. die Woh-
nung geräumt wird.
c. Ist endlich der Schuldner zur Vornahme 636
oder zur Unterlassung einer bestimmten Hand-
lung (z. B. zur Niederlegung eines Bauwerks oder zur Unterlassung
der Benützung eines Weges) verurteilt, so wird die Vollziehung
des Urteils dadurch herbeigeführt, daß entweder der Gläubiger die
betreffende Handlung mit Ermächtigung des Gerichts auf Kosten des
Schuldners durch einen Dritten vornehmen läßt, oder daß der Schuld-
ner auf Antrag des Gläubigers vom Gericht zu den fraglichen Hand-
lungen oder Unterlassungen durch Geld- oder Haftstrafen angehalten
wird.
3. Der Offenbarungseid.
Zeigt es sich, daß die Zwangsvollstreckung in die Fahrnisse des 637
Schuldners zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht führt,
so kann dieser, wenn er glaubt, der Schuldner besitze noch weitere, ihm
nicht bekannte Vermögensstücke, ihn vor das Amtsgericht laden
mit der Aufforderung, im Termin ein vollständiges Verzeichnis seines
Vermögens (d. h. aller, auch der unpfändbaren Fahrnisse, Forderungen
und Grundstücke) vorzulegen und den Offenbarungseid dahin
zu leisten, daß er sein Vermögen so vollständig angegeben habe, als
er dazu imstande sei. Erscheint der Schuldner auf diese Ladung nicht
oder verweigert er ohne Grund die Leistung des Eides, so wird gegen
ihn vom Gericht auf Antrag Haftbefehl erlassen. Auf Grund
dieses Haftbefehls kann der Gläubiger den Schuldner durch den Ge-
richtsvollzieher verhaften und auf seine (des Gläubigers) Kosten so
lange in Haft behalten lassen, bis er zur Leistung des Eides bereit ist;
die Haft darf jedoch nicht länger als 6 Monate dauern.
Ein Schuldner, der den Offenbarungseid geleistet hat, ist inner- 638
halb der nächsten 5 Jahre zur nochmaligen Leistung des Eides auch
einem anderen Gläubiger gegenüber nur verpflichtet, wenn glaubhaft
gemacht wird, daß er inzwischen weiteres Vermögen erworben habe.
Deshalb wird auf dem Amtsgerichte eiu jedermann zugängliches Ver-
zeichnis geführt, in welchem die Personen, welche während der letzten
6 Jahre den Offenbarungseid geleistet haben, namhaft gemacht sind.
ix. Arreste und einstweilige Verfügungen.
Nicht selten befürchtet ein Gläubiger mit Recht, sein Schuldner 639
werde, bevor gegen ihn ein Urteil erwirkt und vollstreckt werden kann,
seine zugreifbaren Vermögensstücke beiseite schaffen oder auf andere
Weise die künftige Zwangsvollstreckung vereiteln. In solchen Fällen
14*
212
Das Konkursverfahren
kann der Gläubiger, wenn er seine Forderungen und die Unistände,
welche seine Befürchtung begründen, glaubhaft macht, beim Gericht
zu seiner Sicherung den dinglichen A r r e st, d. h. die
einstweilige Beschlagnahme von Vermögensstücken des Schuldners,
sowie, falls nötig, sogar den persönlichen Arrest, d. h. die
Verhaftung des Schuldners, erwirken. Der dingliche Arrest wird
durch Pfändung von Fahrnissen oder Forderungen des Schuldners
oder durch Eintragung einer Sicherungshypothek auf feine Grund-
stücke vollzogen. Hierdurch erlangt der Gläubiger für feine Forde-
rung ein Pfandrecht, das so lange bestehen bleibt, bis er ein vollstreck-
bares Urteil erwirkt hat und auf Grund dessen die Vollstreckung
durchführt.
640 Ferner kann das Gericht auf Antrag, so lange ein Rechtsstreit
noch nicht spruchreif ist, aus dringenden Gründen für die Dauer des
Rechtsstreits auch eine einstweiligeVerfügungin Beziehung
auf den Streitgegenstand erlassen (indem es z. B. anordnet, daß ein
Pferd, um dessen Besitz sich der Streit dreht, einstweilen bei einem
Dritten untergebracht werde), oder es kann das streitige Rechtsver-
hältnis durch einstweilige Verfügung vorläufig ordnen (indem es
z. B. in einem Rechtsstreit über die Unterhaltspflicht dem Beklagten
aufgibt, zunächst für die Dauer des Prozesses dein Kläger den Unter-
halt durch Zahlung einer bestinunten Geldrente zu gewähren).
6. Kapitel.
Icrs Konkursverfahren.
641 Geschäftsleute wie auch andere Personen können durch eigenes
Verschulden oder durch ungünstige Verhältnisse in die Lage kommen,
daß sie ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr zu erfüllen ver-
mögen: Sie werden zahlungsunfähig und müssen ihre Zah-
lungen einstellen, obgleich vielleicht eine wirkliche Ueberschuldung (ein
Ueberwiegen der Schulden über das vorhandene aktive Vermögen)
nicht einmal vorhanden ist. Würde in solchen Fällen nicht das Ge-
richt gleichmäßig für die Interessen aller Gläubiger sorgen, so wür-
den regelmäßig diejenigen Gläubiger, welche am raschesten zugreifen
können, das noch vorhandene Vermögen an sich ziehen und die übrigen
würden leer ausgehen. Um dies zu verhüten, wurde das durch die
R e i ch s k 0 n k u r s 0 r d n u n g geregelte Konkursverfahren
eingeführt, so genannt, weil es bezweckt, das noch vorhandene Ver-
mögen des gemeinsamen Schuldners (des „G e in e i n s ch u l d -
n e r s") unter alle miteinander konkurrierenden Gläubiger auf eine
gerechte Weife zu verteilen.
Das Konkursverfahren
213
Das Konkursverfahren wird, sofern überhaupt ein den Kosten, 642
welche es verursacht, entsprechendes Aktivvermögen noch vorhanden ist,
aus Antrag des Gemeinschuldners oder eines Gläubigers durch das
Amtsgericht (Konkursgericht) eröffnet. Diesem Gericht liegt
überhaupt die Leitung des ganzen Verfahrens ob. Gleichzeitig mit
der Eröffnung, welche dem Gemeinschuldner jede Verfügung über
sein Vermögen entzieht, ernennt das Gericht vorläufig einen K 0 u =
kursver Walter, sowie erforderlichenfalls zu dessen Unterstüt-
zung und Ueberwachung einen aus einer Anzahl von Gläubigern oder
Gläubigervertretern gebildeten Gläubigerausschuß. Es gibt
ferner bekannt, daß an den Gemeinschuldner in Zukunft keinerlei
Zahlungen mehr geleistet werden dürfen, und setzt einen Termin für
die erste, beim Amtsgericht abzuhaltende Versammlung der Konkurs-
gläubiger fest. Endlich bestimmt es den Konkursgläubigern eine
Frist, innerhalb welcher ihre Forderungen beim Gericht anzumelden
sind, und beraumt einen weiteren Termin zur Prüfung dieser For-
derungen an. Alles dieses wird in öffentlichen Blättern bekannt ge-
macht. Die bekannten Konkursgläubiger erhalten daneben beson-
dere Mitteilung.
Im ersten Termin (W a h l t e r m i n) wird von den Gläubigern 64z
Beschluß darüber gefaßt, ob der vom Gericht ernannte Konkursver-
walter sowie der etwa bestellte Gläubigerausschuß bestätigt oder
durch einen anderen ersetzt werden soll, ob dem Gemeinschuldner wäh-
rend der Dauer des Verfahrens aus der Masse eine Unterstützung ge-
währt werden, ob sein Geschäft für Rechnung der Masse zunächst wei-
tergeführt werden soll usw.
In dem bereits erwähnten P r ü f u n g s t e r m i n werden die 644
von den Gläubigern angemeldeten, durch den Gerichtsschreiber in eine
Tabelle eingetragenen Forderungen einzeln erörtert. Wird hierbei
gegen eine Forderung durch den Konkursverwalter oder einen Gläu-
biger Widerspruch erhoben, so bleibt dem hiervon betroffenen Gläu-
biger nichts übrig, als die Richtigkeit seiner Forderung im Prozeß-
wege feststellen gn lassen. Die im Termin unwidersprochen geblie-
benen Forderungen gelten als festgestellt.
Die Konkursmasse wird gebildet aus dem gesamten einer 645
Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögen des Gemeinschuldners,
welches ihm zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehörte; es
fallen also nur die zum persönlichen Lebensunterhalt des Gemein-
schuldners und seiner Familie unentbehrlichen Stücke nicht in die
Masse. Nicht selten ist die Konkursmasse erheblich geschmälert dadurch,
daß einzelne Gläubiger mit oder ohne Willen des Gemeinschuldners
kurz vor Eröffnung des Verfahrens für ihre Forderungen zum Nach-
teil der übrigen Gläubiger sich noch Befriedigung oder eine Siche-
214
Das Konkursverfahren
rung (z. B. durch Pfändung) verschafft haben. Solche Rechts-
handlungen kann der Konkursverwalter namens der Konkurs-
masse unter den im Gesetze genau bestimmten Voraussetzungen
(nötigenfalls im Wege der Klage) als wirksam anfechten und
damit bewirken, daß das unrechtmäßig den einzelnen Gläubigern
Zugeflossene in die Masse zurückgewährt werden muß. Insbesondere
unterliegen Verträge, welche der Gemeinschuldner vor Eröffnung
des Verfahrens mit seinem Ehegatten oder seinen Verwandten
abgeschlossen hat, in weitem Umfange der Anfechtung. Behufs Fest-
stellung, ob der Gemeinschuldner keine Vermögensstücke durch Ver-
heimlichung der Masse entzogen hat, ist er ferner verpflichtet, auf
Verlangen den Osfenbarungseid (s. Nr. 637) zu leisten.
646 Ausgabe des Verwalters ist es, die Konkursmasse zu
verzeichnen, zu verwalten und zu verwerten. Aus dem hierbei sich er-
gebenden Erlös werden zunächst die gerichtlichen und sonstigen Kosten
des Verfahrens gedeckt und die Verbindlichkeiten berichtigt, welche
der Verwalter zum Zweck der Erfüllung wechselseitiger Verträge als
zu Recht bestehend anerkennen oder zur Abwicklung der Geschäfte neu
eingehen mußte. Sodann werden die Gläubiger befriedigt, welchen
647 das Gesetz einen Anspruch aus vorzugsweise Befriedi-
gung zugesteht; dahin gehören insbesondere die Lohn- und Gehalts-
forderungen des Dienst- und Geschäftspersonals des Gemeinschuldners
für das letzte Jahr vor Eröffnung des Verfahrens und in gleichem
Umfange die Steuer- und Umlagesorderungen des Staates, der Ge-
meinden und der Kirchen, die Kur- und Pflegekosten der Aerzte, Tier-
ärzte, Apotheker usw. Der sodann verbleibende Rest der Masse wird
an die übrigen Konkursgläubiger nach Verhältnis ihrer Forderun-
gen verteilt. Betragen z. B. diese Forderungen zusammen 100 000
Mark und der zu verteilende Erlös aus der Konkursmasse beträgt
60 000 Mark, so erhält jeder Gläubiger 50 Prozent seiner Forde-
rung ausbezahlt. Wer ein gesetzliches oder vertragsmäßiges Pfand-
recht an einem zur Masse gehörigen Gegenstand besitzt, kann zunächst
648 hieraus seine abgesonderte Befriedigung suchen; wird er
hierbei nicht voll gedeckt, so nimmt er mit dem Rest seiner Forderung
als gewöhnlicher Konkursgläubiger an der Masse teil.
Sobald die Konkursmasse völlig zu Geld gemacht und die Vertei-
lung beendigt ist, legt der Verwalter die Schlußrechnung über
seine Geschäftsführung ab, worauf das Verfahren durch das Gericht
aufgehoben wird.
649 Nach Aushebung des Verfahrens können die Konkursgläubiger,
soweit sie nicht vollständig befriedigt wurden, ihre Ansprüche gegen
ihren Schuldner nach Belieben geltend machen und zu diesem Zwecke,
sobald er von neuem Vermögen erwirbt, jederzeit ohne weiteres auf
Das Konkursverfahren
215
Grund eines vollstreckbaren Auszugs aus der Koukurstabelle die
Zwangsvollstreckung gegen ihn betreiben. Es leuchtet ein, daß hier-
durch dem Gemeinschuldner häufig jede Möglichkeit genommen wird,
sich und seiner Familie wieder eine gesicherte Existenz zu gründen.
Dieser mißlichen Lage kann er, besonders wenn er etwa von Ver-
wandten oder Freunden mit Geldmitteln oder durch Bürgschaftslei-
stung unterstützt wird, dadurch sich entziehen, daß er während des
Konkursverfahrens mit seinen Gläubigern einen Vergleich abschließt,
wonach diese ihm Stundung gewähren oder (was häufiger ist) gegen
Zahlung eines annehmbaren Prozentsatzes ihrer Forderungen aus
Zahlung des Restes dauernd verzichten. Der Abschluß eines solchen
Vergleichs, der häufig auch im Interesse der Gläubiger gelegen ist,
könnte aber durch den Widerspruch eines einzigen Gläubigers gehin-
dert werden; das Gesetz bestimmt daher, daß unter gewissen Voraus- 65
setzungen ein derartiger Vergleich mit zwingender Kraft für alle
Konkursgläubiger trotz des Widerspruchs einer Minderheit von Gläu-
bigern abgeschlossen werden kann. Man spricht alsdann von einem
Zwangsver gleicht
Der Ausbruch des Konkurses allein hat, da er nicht immer aus 65
einem strafbaren Verschulden beruht, noch nicht eine strafgerichtliche
Verfolgung des Gemeinschuldners zur Folge. Wurde der Konkurs
aber durch übermäßigen Aufwand oder durch Börsenspiel und der-
gleichen herbeigeführt, oder hat der Gemeinschuldner unterlassen, in
der vorgeschriebenen Zeit die Bilanz seines Vermögens (s. Nr. 630) zu
ziehen oder seine Handelsbücher ordentlich und übersichtlich zu führen,
so ist gegen ihn wegen einfachen Bankerutts^ auf Gefäng- *
* Ein solcher Zwangsvergleichsvorschlag muß allen Gläu-
bigern gleiche Rechte zusichern. Ueber ihn wird in einem Vergleichstermin
abgestimmt, und zwar ist zu seiner Annahme erforderlich, daß die Mehrzahl
aller erschienenen Gläubiger zustimmt, und daß zugleich die Forderungen
der zustimmenden Gläubiger mindestens drei Vierteile der Gesamtsumme
aller stimmberechtigten Forderungen betragen. Der Vergleich bedarf der
Bestätigung durch das Konkursgericht. Nach rechtskräftiger Bestätigung wird
das Konkursverfahren aufgehoben. Der Zwangsvergleich ist für alle nichtbe-
vorrechtigten Konkursgläubiger bindend, also auch für diejenigen, welche ihm
nicht zugestimmt haben, oder welche ihre Forderungen überhaupt nicht im
Konkurse angemeldet hatten. Gläubiger, deren Forderungen durch Pfand-
rechte oder durch Bürgschaften dritter Personen gesichert find, gehen dieser
Sicherheiten durch den Vergleich nicht verlustig. Auf Grund einer vollstreck-
baren Ausfertigung des Zwangsvergleiches kann gegen den Gemeinschuldner
sowie gegen die Personen, welche sich etwa im Vergleich für mithaftbar
erklärt haben, ohne weiteres die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden.
* Der Ausdruck „B a n k e r u t t", aus dem Italienischen stanunend,
(banca rotta — zerbrochene Bank), deutet auf den ehemaligen Gebrauch,
dem zahlungsunfähigen Wechsler auf offenem Markte seine Wechselbank zu
zerbrechen.
216
Das Konkursverfahren
nis (bei mildernden Uniständen auf Geldstrafe) zu erkennen. Hat er
jedoch die vorerwähnten Handlungen oder Unterlassungen begangen
in der Absicht, feine Gläubiger zu benachteiligen, fo wird er wegen
betrügerischen Bankerutts vor das Schwurgericht gestellt
und, falls nicht mildernde Umstände vorliegen, mit Zuchthausstrafe
belegt.
3. Teil.
Das Deüiet der inneren Verwaltung.
1. Abschnitt.
Bedeutung, Organisation und Verfahren der inneren
Verwaltung im allgemeinen.
A. Wegriff und Hlmfcrug der inneren Werwcrttung.
Wir sahen bisher, wie der Staat durch seine Gerichte die Rechts- 652
streitigkeiten der einzelnen untereinander entscheidet (Zivilrechts-
pflege), und wie er strafend einschreitet gegen solche, die seine Rechts-
ordnung verletzen (Strafrechtspflege). Aber damit sind seine Auf-
gaben keineswegs bereits erschöpft. Neben der Rechtspflege ist viel-
mehr die auf die Sicherheit und den Bestand des Staates und auf
die Wohlfahrt der Staatsangehörigen gerichtete Tätigkeit von größter
Bedeutung. Man nennt diese Tätigkeit die Verwaltung im
weiteren Sinne des Wortes.
Von dem großen Gebiete dieser Verwaltung hat man seit alters- 65z
her einzelne Teile, die ihres Umfangs und ihrer Bedeutung wegen
besondere Organisationen und besondere Behörden erfordern, aus-
geschieden, nämlich die Verwaltung der auswärtigen Staatsange-
legenheiten, des Heer- und Marinewesens und der Finanzen (d. h. der
Staatseinnahmen und Staatsausgaben, sowie des Staatsvermö-
gens). Was übrig bleibt, wird die i n n e r e V e r w a l t u n g ge-
nannt. Diese umfaßt demnach allgemein die gesamte Staatstätig-
keit, welche gerichtet ist auf den Schutz und die Förderung des körper-
lichen, geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Lebens. So sorgt die
innere Verwaltung für die leibliche Sicherheit der Staatsangehöri-
gen, für Unterricht und Bildung, für Gesundheits- und Armenpflege,
218
Die innere Verwaltung
für Aufrechterhaltung der guten Sitte und Ordnung itfw. Sie ist
ferner auf Förderung der Landwirtschaft und der Gewerbe, wie auf
Hebung des Handels und des Verkehrs bedacht.
654 Von der Rechtspflege (Justiz) ist die Verwaltung ihrem
Wesen nach scharf getrennt: Dem Richter liegt ausschließlich ob, die
Gesetze zur Anwendung zu bringen; er hat in Zivilprozessen zu ent-
scheiden, auf wessen Seite nach dem Gesetze das Recht ist, er
hat bei der Strafrechtspflege festzustellen, ob und wie eine Handlung
nach dem Gesetze mit Strafe geahndet werden muß. Für eine
Fürsorgetätigkeit ist hier ini allgemeinen kein Raum. Anders bei der
Tätigkeit des Verwaltungsbeamten. Wohl hat auch dieser selbstver-
ständlich die Gesetze und Verordnungen strenge zu beachten; seine
Maßnahmen und Anordnungen dürfen nicht in die wohlerworbenen
Rechte der Privatpersonen eingreifen, und sie müssen ferner den Vor-
schriften entsprechen, welche in den Gesetzen und Verordnungen für
die einzelnen Gebiete der Verwaltung gegeben sind. Aber der Ver-
waltungsbeamte vollzieht nicht bloß die Gesetze, er entfaltet darüber
hinaus innerhalb der ihm durch die Gesetze gezogenen Grenzen
eine freie, auf die Förderung des allgemeinen Wohles gerichtete
Tätigkeit?
655 Aus dieser grundsätzlichen Verschiedenheit der richterlichen und
der Verwaltungstätigkeit entspringt auch die verschiedene Stellung
der Richter und der Verwaltungsbeamten gegenüber ihren vorgesetzten
Behörden. Da nämlich die Richter allein und ausschließlich dem Ge-
setze zu folgen haben, so müssen sie bei ihren Entscheidungen auch un-
abhängig sein von etwaigen Weisungen der vorgesetzten Behörden.
Welche Maßnahmen dagegen bei der Verwaltung im einzelnen Falle
zweckmäßig sind, das vermag im Zweifel die obere Behörde besser zu
beurteilen, als die untere; daher hat jede Verwaltungsbehörde den
Weisungen der vorgesetzten Behörde Folge zu leisten.
656 Der Staat übt die innere Verwaltung nicht ausschließlich durch
seine eigenen Behörden und Beamten aus; vielmehr hat er einzelnen
öffentlichen Korporationen (Bayern insbesondere den politischen Ge-
meinden, den Distrikten und den Kreisen) in gewissem Umfange die
Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten überlassen, lau spricht
daher im Gegensatze zu der eigentlichen Staatsverwaltung
von der Selb st Verwaltung der Gemeinden und Kreise.
i Man denke z. B. an den Bau von Straßen und Eisenbahnen, Schul-
häusern, Irrenanstalten, an die Veranstaltung von Ausstellungen zur He-
bung der Gewerbe u. dergl. In allen diesen Fällen ist die Verwaltungs-
tätigkeit im wesentlichen frei, nur durch wenige Vorschriften sowie durch die
Rücksicht auf die vorhandenen Geldmittel gebunden.
Die bayerische innere Staatsverwaltung
219
B. ^rgcmisctfiott und ^erfaßren 6er bayerischen
SLclcrtsrerwnttnng.
1. Das Staatsministerium des Innern. 657
Die oberste Leitung der inneren Verwaltung steht in
Bayern dem Ministerium des Innern in München zu. Ausgenommen
sind von dessen Wirkungskreis die Kirchen- und Schulangelegenheiten;
für diese besteht ein besonderes Ministerium, das Staatsministe-
riumdesJnnernsürKirchen-undSchulangelegen-
h e i t e n (Nr. 193). Ferner ist in Bayern aus dem Bereich des Mini-
steriums des Innern das Verkehrswesen ausgeschieden, das einem be-
sonderen Verkehrsmini st erium unterstellt ist, und endlich
sind auch dem Mini st erium des K. Hauses und des
Äußern einige Angelegenheiten der inneren Verwaltilng zuge-
wiesen.
Dem Ministerium des Innern sind zunächst einige Zentral- 658
st e l l e n untergeordnet, das sind Behörden, denen in Unterordnung
unter dem Ministerium bestimmte Angelegenheiten für das ganze
Land zugeteilt sind. Solche sind: Die Agrikulturbotanische Anstalt
(s. Nr. 1129), die Flurbereinigungskommission (s. Nr. 1141), das
Hydrotechnische Bureau (s. Nr. 1257), die Landgestütsverwaltung
(s. Nr. 1152), die Landesinspektoren für Milchwirtschaft (s. Nr. 1133),
für Obst- und Gartenbau (s. Nr. 1134), sür Hopsenbau (s. Nr. 1135),
für Tierzucht (s. Nr. 1132), sür Weinbau (s. Nr. 1131), für Fischerei
(s. Nr. 1180), die Landeskulturrentenkommission (s. Nr. 1146), das
Landesversicherungsamt (s. Nr. 1181, Anm. 6), die Moorkultur-
anstalt (s. Nr. 1130), die Normaleichungskommission (s. Nr. 1059), der
Obermedizinalausschuß (s. Nr. 865), das Allgemeine Reichsarchiv
(s. Nr. 826), das Statistische Landesamt (s. Nr. 826), die Versiche-
rungskammer (s. Nr. 1099), der Verwaltungsgerichtshos (s. Nr. 670),
das Wasserversorgungsbureau (s. Nr. 1259), die Zentralimpsaustalt
(s. Nr. 895, Anm. 5).
2. Die Kreisregierungen.
Diese — acht an Zahl — sind die Mittel st eilen sowohl für 659
die innere Verwaltung, wie sür die Finanzverwaltung. Der örtliche
Bezirk, auf den sich die Wirksamkeit einer Kreisregierung erstreckt,
heißt Regierungsbezirk, auch Kreis. Es bestehen bei ihnen drei Abtei-
lungen, die eine, die Kammer des Innern, für die innere Verwal-
tung, die beiden anderen, nämlich die Kammer der Finanzen und die
Kammer der Forsten, fiir die Finanzverwaltung, und zwar die
letztere für das Forst-, Jagd- und Triftwesen, die erstere für die
sonstigen Angelegenheiten der Finanzverwaltuug.
220
Die innere Verwaltung
660
An der Spitze der Regierung steht der Regierungspräsident, an
der Spitze jeder Kammer ein Regierungsdirektor. Jeder Kammer
sind eine Anzahl Nebenbeamte beigegeben, die verschiedene Bezeich-
nungen führen. Hervorzuheben sind: die Regierungsräte, die Regie-
rungs- und Bauräte, die Regierungs- und Medizinalräte, die Regie-
rungs- und Veterinärräte, die Regierungs- und Fiskalräte, die Regie-
rungs- und Forsträte, die Regierungs- und Stenerräte, die Kreis-
schulinspektoren, die Gewerbeaussichtsbeaniten.
Die Verfassung der Regierungen ist im allgemeinen bureau-
kratisch (s. Nr. 189, Anm. 29); verantwortlich ist nach außen in der
Regel der Regierungspräsident. Ausnahmsweise erfolgt die Be-
ratung und Entscheidimg durch das Kollegium. Wegen der näheren
Verhältnisse der Kammern der Forsten s. Nr. 1433. Wegen der ver-
waltungsrechtlichen Senate s. Nr. 671. Die Regierungen sind insbe-
sondere auch zuständig sür die Verbescheidung der Beschwerden gegen
die Distriktsverwaltungsbehörden?
3. Die Distriktsverwaltungsbehörden.
a. Die äußeren Organe der inneren Verwaltung sind
verschieden gestaltet für die bedeutenderen Städte einerseits und das
übrige Land andererseits. Eine Reihe von Städten (zurzeit nur in:
rechtsrheinischen Bayern, allein auch in der Pfalz ist es nun möglich,
solche zll schaffen), sind nämlich „unmittelbar^? In diesen obliegt die
Erledigung der Angelegenheiten der inneren Verwaltung gemeind-
lichen Organen, (s. Nr. 710.) Für das übrige Land bestehen Be-
zirksämter, es sind zurzeit 163? Letztere sind die äußeren
Behörden für das Gebiet der inneren Verwaltung; sie sind hierbei
die Vollzugsorgane der Kreisregierungen und der Ministerien, haupt-
" Die Regierungen sind auch die Mittelstellen für die Angelegenheiten
des Ministeriums des Königlichen Hauses und des Aeußern, und zwar anch
insoweit, als es sich nicht um Angelegenheiten der inneren Verwaltung
handelt.
b Es bestehen 43 unmittelbare Städte in Bayern: München,
Nürnberg, Augsburg, Würzburg, Fürth, Regeusburg, Bamberg, Hof, Bay-
reuth, Aschaffenburg, Amberg, Landshut, Erlangen, Ingolstadt, Straubing,
Kempten, Passau, Ansbach, Schweinfurt, Rosenheim, Freising, Memmin-
gen, Neu-Ulm, Kulmbach, Schwabach, Kaufbeuren, Kitzingen, Neuburg a. D.,
Nördlingen, Rothenburg a. T., Forchheim, Eichstätt, Traunstein, Deggen-
dorf, Weißenburg, Liudau, Landsberg, Neumarkt i. O., Dillingen, Bad Kis-
singen, Günzburg, Donauwörth, Dinkelsbühl.
4 Die Einteilung des Landes in Distriktsverwaltungsbehörden schließt
sich an die Einteilung in Amtsgerichtsbezirke an. In etwa der Hälfte der
Fälle deckt sich der Bezirk der Distriktsverwaltungsbehörde mit dem eines
Amtsgerichts, in den anderen umfaßt er zwei, bisweilen noch mehr Amts-
gerichtsbezirke. Andererseits erstreckt sich öfters anch der Bezirk der Amts-
gerichte auf die Bezirke mehrerer Distriktsverwaltungsbehörden.
Die bayerische innere Staatsverwaltung
221
sächlich der des König!. Hauses uttd des Aeußern, des Innern und
des Kultusministeriums. Die Dienstaufsicht steht den Regierungen
und dem Ministerium des Innern zu. Eine Hauptaufgabe der
Bezirksämter bildet die A u f f i ch t ü b e r d i e mittelbaren,
zu ihrem Bezirk gehörigen Gemeinden in den Gemeinde-
angelegenheiten (f. wegen des Näheren Nr. 680)? Weiter gehört
zu ihrem Wirktingskreis auch die Handhabung der Polizei, d. h.
die Anwendung von Zwangsmaßregeln bei Maßnahmen der inneren
Verwaltung (s. wegen des Näheren Nr. 914)?
Die Verfaffung der Bezirksämter ist bureaukratisch (s. 661
Nr. 189 Anm. 6). An der Spitze steht der Bezirksaintmann? dem als
Nebenbeanite ein oder mehrere Bezirksamtsassessoren beigegeben
sind. Wo örtliche Verhältnisse es verlangen, werden sogenannte
exponierteAssessoren aufgestellt, d. h. es wird einem Assessor
der Amtssitz an einem vom Bezirksamtssitze entfernten Ort angewiesen.
Für die Besorgung der Geschäfte, die keine wissenschaftliche Vor-
bildung erfordern, die sogenannten formellen Geschäfte, sind Bezirks-
amtssekretäre, Bezirksamtsassistenten, Bezirksamtsdiener und soge-
nannte Inzipienten (— Anfänger) aufgestellt.
Hilfsorgane der Bezirksämter sind die Verwaltungen der mittel-
baren Gemeinden. Außerdem steht ihnen als Vollzugsorgan die
Gendarmerie zur Verfügung (s. Nr. 919). 662
d. Eine besondere Organisation besteht für M ü n ch e n. Dort 66z
wird zwar wie in jeder unmittelbaren Stadt die innere Verwaltung
durch die Gemeindebehörde, den Stadtmagistrat, ausgeübt; doch sind
diesem eine Reihe von Tätigkeiten, die sonst den Gemeindebehörden
° Die Aufsicht über die unmittelbaren Städte obliegt
den Kreisregierungen, Kammern des Innern.
a Eine Strafgewalt zur Verfolgung von Nebertretungen, wie sie
nach der Strafprozeßordnung den Bezirksämtern eingeräumt lverdeu
könnte, ist ihnen nicht verliehen.
Die Stellen der Bezirksamtmänner und Bezirks-
amtsassessoren werden nur Bewerbern verliehen, die die gleichen,
juristischen Staatsprüfungen wie die Richter abgelegt haben.
Die Beamten des formellen Dienstes haben eine Prüfung zu bestehen
— doch kann hiervon auch abgesehen werden — und außerdem eine gewisse
Beschäftigung bei Behörden aufzuweisen.
Als sogenannte Inzipienten, d. h. als Bewerber für den formel-
len Dienst werden nur Personen aufgenommen, die das 18. Lebensjahr,
wenn sie die Berechtigung zum Eiujährig-Freiwilligen-Militärdienst be-
sitzen, das 20. Lebensjahr nicht überschritten haben. Notwendig ist der
Nachweis einer besonderen Vorbildung nicht. Während der ersten vier
Jahre erhalten sie in der Regel ieitie Bezahlung, Bewerber mit der Berech-
tigung zum Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst können solche schon nach
einem Jahre erhalten.
222
Die innere Verwaltung
zustehen, entzogen und einer besonderen staatlichen Behörde, der K.
Polizeidirektion, übertragen, so z. B. die Fürsorge für öffent-
liche Sicherheit und Ordnung, die Straßenpolizei, die Sittenpolizei,
die Fremdenpolizei. An deren Spitze steht der Polizeipräsident; unter
ihm stehen als Vorstand einer besonderen Abteilung ein Polizeidi-
rektor und ferner eine Reihe weiterer Bearnter unter den Bezeichnun-
gen Regierungsräte, Regierungsassessoren, Bezirksamtsassessoren,
Bezirkskommissäre, Sicherheitskommissäre und anderen Benennun-
gen. Auch sind ihr Bezirksärzte und Bezirkstierärzte beigegeben. Zu
deu Kosten der Polizeidirektion wird die Gemeinde München herange-
zogen; sie hat ein Drittel des Betrages zu leisten, um den die Aus-
gaben für die Polizeidirektion 1 200 000 M. übersteigen. Die übrigen
Ausgaben deckt die Staatskasse.
664 Einzelne Geschäftsabteilungen der Polizeidirektion Haben eine
gewisse Selbständigkeit erlangt und sind zu eigenen Aemtern, den
P 0 l i z e i ä m t e r n, ausgebildet worden. Ihnen sind einzelne
Stadtbezirke zugeteilt, in denen sie auch, getrennt von den sonstigen
Geschäftsräumen der Polizeidirektion, selbständige Geschäftsräume
haben. Sie haben unter Leitung der Polizeidirektion verschiedene
Geschäfte selbständig zu erledigen, so z. B. die Meldungen der
Dienstboten, Arbeiter und Fremden entgegenzunehmen, vorläufige
Maßnahmen bei Unglücksfällen, Bränden usw. zu treffen; es obliegt
ihnen auch das Kostkinderwefeu, der Vollzug der Arbeiterschutzvor-
schriften, die Heimatsfeststellung.
665 Neben der Polizeidirektion besteht fiir München auch die Lokal-
baukommission, der ebenfalls die Besorgung einiger, sonst für
die unmittelbaren Städte den Magistraten obliegender Angelegen-
heiten zukommt.
666 c. Für jede Distriktsverwaltungsbehörde wird für die amtstier-
ärztlichen Verwaltungsgeschäfte und zur Beratung der Distrikts-
verwaltungsbehörde ein amtlicher Tierarzt mit der Bezeichnung
Bezirkstierarzt aufgestellt. Die Distriktsgemeinden können
daneben besondere Tierärzte, Distriktstierärzte genannt,
aufstellen (s. Nr. 1159).
C. Die bayerische 'Merwabtungsrechtspfbege.
067 1. Während die im bürgerlichen Rechte (Zivilrecht) begründeten
Ansprüche schon in frühester Zeit durch die in Streitfällen zur Ent-
scheidung berufenen biirgerlichen Gerichte geschützt waren, entbehrten
die aus dem öffentlichen Rechte (f. Nr. 35) entspringenden Ansprüche
lange Zeit des Schutzes durch Gerichte. Erst in neuester Zeit wurde
in Deutschland, und zwar zuerst in Baden eine Verwaltungs-
Die bayerische Verwaltungsrechtspflege
223
rechtspflege geschaffen, zu deren Ausübung Verwaltungs-
gerichte bestehen.
2. In B a y er n ist die Verwaltungsrechtspflege nicht vollständig 668
ausgebildet. Es gilt nicht der Grundsatz, daß wie für alle bürgerlichen
Rechte der Zivilrechtsweg offen steht, so auch für alle dem öffentlichen
Rechte ungehörigen Ansprüche der Verwaltungsrechtsweg beschritten
werden kann, sondern er ist nur in gewissen einzelnen, im Gesetze ein-
zeln aufgeführten Angelegenheiten zulässig. Der Verwaltungsrechts-
weg ist z. B. zulässig bei Streitigkeiten über Erwerb und Besitz der
Reichs- und Staatsangehörigkeit, über Freizügigkeit, über religiöse
Kindererziehung, über das Recht der Grundeigentümer zur Aus-
übung der Jagd, über den Umfang des Selbstverwaltungsrechts der
Gemeinden, über kirchliche Simultanverhältnisse, über Ansprüche und
Verbindlichkeiten aus dem Kirchen- und Pfarrverbande.
Außerdem ist auch die Organisation der Verwaltungs - 669
g e r i ch t e nicht ausgebildet. Als selbständiges Gericht besteht näm-
lich nur der V e r w a l t u n g s g e r i ch t s h 0 f in München; dieser
ist aber im wesentlichen nur oberste Instanz und daneben in einigen
besonders bestimmten Angelegenheiten, in denen es überhaupt nur
eine Instanz gibt, die einzige verwaltungsrechtliche Instanz. Un-
tere Instanzen sind, von geringen Ausnahmen abgesehen, die allgemei-
nen Organe der inneren Verwaltung, also Magistrate, Bezirksämter
und Kreisregierungen,' sie sind deshalb in derselben Sache nicht selten
zugleich Partei und Richter und auch persönlich nicht mit den Garan-
tien ausgestattet, die man auf den: Gebiet der Zivilrechtspflege und
der Strafrechtspflege für die Richter fordert. Ihre Entscheidungen
sind jedoch, soweit sie verwaltungsrechtlicher Natur find, insoferne ge-
schützt, als sie nicht von den Ministerien aufgehoben werden können.
3. Der Verwaltungsgerichtshof, dessen Mitglieder 670
richterliche Rechte haben, ist besetzt mit einem Präsidenten, zwei
Senatspräsidenten und einer Anzahl Räten? Die Ernennung zum
Richter des Verwaltungsgerichtshofs ist bedingt durch den Nachweis
der Fähigkeit zum Richteramt. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet
in der Regel in Senaten von fünf Mitgliedern. Zur Vertretung der
öffentlichen Interessen ist beim Verwaltungsgerichtshof ein General-
staatsanwalt mit Staatsanwälten als Nebenbeamten aufgestellt.
Dieser ist an die Weisungen des beteiligten Ministeriums gebunden.
Die dienstliche Aufsicht über den Verwaltungsgerichtshof hat das
Ministerium des Innern, es kann sie jedoch gegenüber den Richtern
Sind beim Verwaltungsgerichtshof in einem einzelnen Fall die er-
forderlichen Richter nicht vorhanden, so können zur Ergänzung Mitglieder
des Obersten Landesgerichts beigezogen werden.
224
Die innere Verwaltung
nur mit denselben Einschränkungen üben wie das Justizministerium
gegenüber den Richtern des Obersten Lalldesgerichts.
671 4. Wie erwähnt, sind in den unteren Instanzen keine be-
sonderen Verwaltungsgerichte aufgestellt, sondern die Verwaltungs-
behörden zur Ausübung der Verwaltnngsrechtspslege berufen. Für die
Kreisregierungen ist jedoch bestimmt, daß sie die verwaltungsrecht-
lichen Entscheidungen durch besondere Senate zu erlassen haben, die
aus drei Mitgliedern besteheil. Die Senate werden durch den
Regierungspräsidenten gebildet. In ähnlicher Weise können bei den
Magistraten für verwaltungsrechtliche Angelegenheiten Senate aus
fünf Mitgliedern gebildet werden. Die Zuständigkeit der Verwal-
tungsbehörden für Verwaltungsrechtssachen bemißt sich nach der Zu-
ständigkeit für die Behandlung der Sache als Verwaltuilgssache. Es
ist deshalb jede Behörde für jede Sache, soweit sie Verwaltungs-
behörde ist, auch zugleich Verwaltungsgericht, wenn es sich llicht um
eine Sache handelt, für die es überhaupt feinen Rechtsweg gibt.
672 5. Für das V e r w a l t u n g s r e ch t s v e r f a h r e n gilt das
Offizialprinzip, d. h. die mit der Sache befaßte Behörde hat
von selber (von Anlts wegen) das Sachverhältnis zu ermitteln. Die
Verhandluligeil sind vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor den
Senaten der Kreisregierungen in der Regel, bei den Distriktsverwal
tungsbehörden nur ausnahlnsweise, mündlich und öffentlich. Wenn
die Parteien nicht erscheinen, so wird gleichwohl verhandelt. Die
Beteiligten können sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen und
mit Beiständen erscheinen; Personen, die ohne Rechtsanwälte zu sein,
die Vertretung oder Beistandsleistung geschäftsmäßig betreiben,
können zurückgewiesen werden. Die Beigabe von Armenanwälten
findet nicht statt.
67z Gegen die Entscheidungen, mit Ausnahme der des Verwaltungs-
gerichtshofs, ist B e s ch w erde zulässig. Die Beteiligten sind, wenn
ihnen die Bescheide eröffnet werden, über ihr Beschwerderecht, über
die Behörde, bei der die Beschwerde einzulegen ist, und die Be-
schwerdefrist zu belehren. Im allgemeinen ist die Beschwerdefrist
eine vierzehntägige. Gegen rechtskräftige Bescheide kann die Wieder-
aufnahme des Verfahrens beantragt werden, wenn neue Tatsachen
vorgebracht werden, die zu einem abweichenden Bescheide führen
können.
D. Die ßcrperifcßen Sebbstnerwnttnngskorper.
674 In der Pflege der öffentlichen Interessen nimmt neben der
Staatsverwaltung die Selbstverwaltung (s. Nr. 666) einen
wichtigen Platz ein. Sie erzieht die Bürger zu öffentlicher, gemein-
Die politischen Gemeinden
225
nütziger Tätigkeit und Gesinnung und nimmt überdies der Staats-
verwaltung einen erheblichen Teil der Geschäfte ab, insbesondere
solche, deren richtige Besorgung eine genaue Kenntnis der örtlichen
Verhältnisse voraussetzte
In Bayern gibt es drei Arten von Selbstverwaltungskörpern: 675
1. die politischen Gemeinden, auch Gemeinden schlechthin genannt,
2. die Distriktsgemeinden und 3. die Kreisgemeinden.
i Die politischen Gemeinden.
1. Allgemeines.
1. Im Mittelalter erfreuten sich die Gemeinden in der Verwal- 676
tung ihrer Angelegenheiten einer so weitgehenden Selbständigkeit,
daß hinter dieser die Staatshoheit ganz in den Hintergrund trat.
Durch den absoluten Staat des 18. Jahrhunderts jedoch wurde dieses
Recht der Selbstverwaltung völlig beseitigt. Es ist das Verdienst des
Freiherrn von Stein, zunächst in Preußen durch Einführung der
Städteordnung vom Jahre 1808 den Grundsatz der G e -
meindesreiheit wieder zur Anerkennung gebracht zu haben.
Seither wurde die Selbstverwaltung der Gemeinden, Kreise, Provin-
zen usw. im ganzen jetzigen Deutschen Reiche durchgeführt, und zwar
wurde in Deutschland die Mitte eingehalten zwischen dem streng zen-
tralisierten Frankreich einerseits, das nur eine sehr eingeschränkte
Selbstverwaltung kennt, und England anderseits, woselbst der Ge-
meinde und der Grafschaft fast die ganze örtliche Verwaltung zuge-
wiesen ist.
2. Die Verhältnisse der politischen Gemeinden fanden für 677
Bayern rechts des Rheins zuerst eine zusammenfassende
Regelung durch das Gemeindeedikt des Jahres 1818; eine
Ergänzung hierzu bildete das G e m e i n d e u m l a g e e d i k t des
Jahres 1819. Das Gemeindeedikt erfuhr eine Aenderung und Neu-
fassung durch das Revidierte Gemeindeedikt des Jahres
1834. In der Pfalz galten um diese Zeit noch in der Hauptsache
die Grundsätze des französischen Gemeinderechts. Eine Neuge-
staltung brachte dann für das Gemeinderecht das Jahr 1869; in
diesem ergingen zwei vollständig neue G e m e i n d e 0 r d n u n g e n ,
die eine für Bayern rechts des Rheins, die andere für die Pfalz; sie
haben unterdessen in einigen Punkten Aenderungen erfahren, insbe-
sondere brachte das Jahr 1908 für einen Teil der Gemeindewahlen
die Verhältniswahl und für die Pfalz das Pfälzische Städteverfas-
sungsgesetz und damit die Möglichkeit, ebenso, wie es im diesseitigen
Bayern stets möglich war, unmittelbare Städte einzuführen.
Glock-Schiedermair, Bürgerrunde. 15
226
Die innere Verwaltung
678 3. Der Wirkungskreis der Gemeinden ist sehr ausgedehnt.
Gesetzliche Grenzen, durch die sie gehindert wären, freiwillig etwas in
ihrem Wirkungskreis aufzunehmen, sind ihnen nicht gesetzt. Als Aus-
gaben der Genieinden führen die Gemeindeordnungen im besonderen
an die Herstellung und Unterhaltung der nötigen Gemeindegebäude,
öffentlichen Uhren und Begräbnisplätze und der erforderlichen Feuer-
löschanstalten und Löschgeräte, die Sorge für Reinlichkeit und Unter-
haltung der Ortsstraßen, öffentlichen Brunnen, Wasferleitungen und
Abzugskanäle, die Herstellung und Unterhaltung der Gemeindewege,
Brücken und Stege, Fähren, Wegweiser, Orts- und Warnungs-
tafeln. Neben diesem eigentlichen Wirkungskreis haben
die Gemeinden auch einen sogenannten ü b e r t r a g e u e n Wir-
kungskreis, d. h. sie haben (staatliche) Geschäfte zu besorgen, die
sich nicht notwendig aus ihrer Stellung als selbständige Organisation
ergeben; in dieser Eigenschaft sind sie die Vollzugsorgane der Be-
zirksämter für die Angelegenheiten der inneren Verwaltung und ins-
besondere für die Handhabung der örtlichen Polizei. Daneben sind
ihnen durch besondere Gesetze eine Reihe von Verpflichtungen aufer-
legt, so hauptsächlich auf dem Gebiet des Armenwesens (s. Nr. 904),
des Schulwesens (s. Nr. 780) und der Militärverwaltung. Eine
Gerichtsbarkeit, wie dies in einigen Staaten Deutschlands der Fall
ist, ist den Gemeinden in Bayern nicht iibertragen. Es obliegt ihnen
aber die Vornahme von Sühneversuchen bei Beleidigungen und
Körperverletzungen (s. Nr. 323).
679 4. Die Tätigkeit der Organe der Gemeinde ist nicht Staats-
verwaltung, sondern eine von dieser verschiedene Verwaltung,
Gemeindeverwaltung. Sie stehen deshalb grundsätzlich nicht in
einem Unterordnungsverhältnis zu den Organen der Staatsverwal-
tung, die Gemeindeverwaltung besteht neben, nicht unter der Staats-
verwaltung. Doch sind der Freiheit der Gemeinden Beschränkungen
680 gesetzt, sie stehen unter sogenannter Staatsaufsicht. Diese wird
in den unmittelbaren Städten von der Kammer des Innern der
Kreisregierung, in den übrigen Gemeinden von den Bezirksämtern
ausgeübt. Der Umfang, in dem sich die Staatsaufsicht geltend ma-
chen kann, ist verschieden, je nachdem es sich um die eigentlichen
Gemeindeangelegenheiten oder um die Polizeiverwaltung handelt.
Auf dein letzteren Gebiet, worunter man nach der Ausdrucksweise der
Gemeindeordnung im wesentlichen das versteht, was wir jetzt innere
Verwaltung nennen (f. Nr. 652), ist die Selbständigkeit der
Gemeinden gering. Sie sind insoweit Vollzugsorgane der Staats-
behörden und an deren Weisungen gebunden. Innerhalb ihres
eigentlichen Wirkungskreises aber, also auf allen Gebieten, in denen
die Gemeinden nicht staatliche Geschäfte, sondern ihre eigenen Ange-
Die politischen Gemeinden
227
legenheiten besorgen, können die Aufsichtsorgane nur eingreifen, wenn
die Gemeinden gesetzlichen Vorschriften zuwiderhandeln, so z. B.,
wenn sie ihrer Pflicht zur gesetzlich vorgeschriebenen Instandhaltung
von Wegen oder zur Unterstützung Armer nicht nachkommen; die Auf-
sichtsbehörden können aber keine Anweisungen darüber geben, wie die
Gemeinden ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen sollen, z. B. nicht
darüber, mit welchen! Material sie die Straße bauen, in welcher
Weise, ob durch Geld oder durch Unterbringung in Anstalten, sie den
Annen unterstützen wollen.
Die Aufsichtsbehörden haben, um ihrer Aufgabe gerecht werden 68:
zu können, die Pflicht und das Recht, von der Tätigkeit der Gemein-
den Einsicht zu nehmen, sie haben insbesondere das Recht zur Visita-
tion der Kassen, sie können gesetzwidrige Beschlüsse ausheben und,
wenn die Gelneinde die ihr obliegenden Verpflichtungen binnen der
ihr zu setzenden Frist nicht erfüllt, selber die erforderlichen Anordnun-
gen an Stelle der Gemeinde treffen. Für gewisse in der Gemeinde-
ordnung einzeln bestimmte Verwaltungsgeschäfte sind aber die
Gemeinden auch auf dem Gebiete der eigentlichen Gemeindeangele-
genheiten an die Genehmigung der Aufsichtsbehör-
den gebunden, es sind ihnen also hier nicht bloß gesetzliche Schranken
gesetzt, sondern die Aufsichtsbehörden können- nach ihrem freien Ermes-
sen in die Verwaltungstätigkeit der Gemeindeorgane eingreifen, so
bei der Verteilung von Gemeindegründen, bei Veränderung oder Be-
seitigung öffentlicher Denkmäler oder Bauwerke von geschichtlichen!
oder künstlerischem Wert, bei Gründung von Gemeindeanstalten,
aus denen den Gemeinden eine dauernde Verbindlichkeit erwächst. Ge-
gen aussichtliche Verfügungen der Kreisregierungen können die Ge-
nieinden den Verwalt ungsrechtsw eg beschreiten, wenn hier-
durch ihr Selbstverwaltnngsrecht beeinträchtigt ist.
6. Der örtliche Bezirk, den die Gemeinde umfaßt, heißt die 682
Gemeindemarkung. Grundsätzlich muß in Bayern jedes
Grundstück einem Gemeindebezirk zugehören. Eine Ausnahme von
diesem Satze kennt nur die Gemeindeordnung für die Landesteile
rechts des Rheins. Es können nämlich größere Waldungen, Gebirge
und Seen, die schon vor dem Erlaß der Gemeindeordnung aus dem
Gemeindeverband ausgeschlossen waren, außerhalb desselben verblei-
ben; sie heißen ausmärkische Bezirke. Für sie wird auch die 68z
Ortspolizei von den Distriktspolizeibehörden geübt. Die iin öffent-
lichen Interesse begründeten Verpflichtungen der Genieinden, wie z. B.
die Herstellung von Wegen, obliegen in diesen Bezirken den Eigen-
tümern der dazu gehörenden Grundstücke.
Innerhalb des Gemeindebezirkes können wieder Sonderbezirke 684
mit einer gewissen Selbständigkeit bestehen: die Ortschaften;
15*
228
Die innere Verwaltung
insbesondere bleibt jeder Ortschaft, die ein eigenes Vermögen, z. B.
Waldungen besaß, dieses vorbehalten; sie hat auch das Recht, es durch
besondere Organe zu verwalten.
685 Mehrere benachbarte, zu derselben Distriktsgemeinde gehörige
Gemeinden können in eine Biirgermeisterei vereinigt werden.
Die zur Biirgermeisterei vereinigten Gemeinden behalten ihre beson-
deren Gemeindeausschüsse, in der Pfalz ihre besonderen Gemeinde-
räte. Sie haben aber nur einen gemeinschaftlichen Bürgermeister.
Die Gemeindeausschüsse, in der Pfalz die Gemeinderäte, können zu
einer Versammlung zusammentreten, und als solche für den ganzen
Bürgermeistereibezirk verbindliche ortspolizeiliche Vorschriften erlas-
sen. Die Bezüge des Bürgermeisters und des Gemeindeschreibers und
Dieners, die für die Geschäfte der Biirgermeisterei verwendet werden,
werden von den beiden Gemeinden gemeinsam getragen. Die Verei-
nigung zur Bürgermeisterei erfolgt in der Regel durch übereinstim-
mende Beschlüsse der beteiligten Gemeindeausschüsse (Gemeinderäte)
und Genehmigung durch die Kreisregierung.
2. Die Gemeindeangehörigkcit.
686 Die Gemeindeangehörigkeit ist doppelter Art: das Heimatrecht
und das Gemeindebiirgerrecht. Das Wesen des Hei m a t r e ch t s
besteht in Pflichten der Gemeinde hinsichtlich der Heimatberechtigten,
nämlich einerseits in der Pflicht, ihnen Aufenthalt zu gewähren —
der Heimatberechtigte kann aus polizeilichen Griinden aus der Ge-
meinde nicht ausgewiesen werden — und andrerseits in der Pflicht
der Gemeinde, den Heimatberechtigten im Fall der Hilfsbedürftigkeit
Unterstützung zu gewähren. (S. wegen des Näheren Nr. 906.)
Das Wesen des Bürgerrechts besteht in dem Recht, an der Rege-
lung der Gemeindeangelegenheiten mitzuwirken und an den Nut-
zungen des G e m e i n d e g u t § teilzunehmen.
1. Das Heimatrecht.
687 Das I n st i t u t des H e i m a t r e ch t s ist Bayern eigen-
tümlich; in den übrigen deutschen Staaten mit Ausnahme von Elsaß-
Lothringen ist die Heimatgesetzgebung ersetzt durch die Gesetzgebung
über den Unterstützungswohnsitz? Das Heimatrecht, das zuerst im
Jahre 1825, und zwar nur für Bayern rechts des Rheins eine zusam-
menfassende Regelung gefunden hatte, wurde im Jahre 1869 für ganz
Bayern neu geregelt; seitdem sind in verschiedenen Punkten Aende-
rungen erfolgt und es machen sich manche Bestrebungen geltend, die *
* Auch in Elsaß-Lothringen wird am 1. April 1910 das Gesetz über
den Unterstützungswohnsitz in Kraft treten.
Die politischen Gemeinden
229
das Heimatrecht den Grundsätzen näher bringen wollen, von denen die
Gesetzgebung iiber den Unterstützungswohnsitz ausgeht, hauptsächlich
nach der Richtung, daß die Pflicht zilr Unterstützung leichter von der
Gemeinde, der der einzelne einmal angehört, losgelöst und der Ge-
meinde, die der einzelne zum Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen
Tätigkeit gewählt hat, zugewiesen werden soll.
Jeder Bayer hat seine H e i in a t in der Gemeinde, tu 688
der seine Eltern heimatberechtigt sind; bei ehelichen Kindern ent-
scheidet die Heimat des Vaters, bei unehelichen die der Mutter. Diese
sogenannte ursprüngliche Heimat kann geändert werden;
a. „Definitiv angestellte" Beamte des Staats, der Kirche, der
Gemeinde, einer öffentlichen Korporation oder Stiftllng erwerben
die Heimat in der Gemeinde ihrer Anstellung, Volksschullehrer in der
Gemeinde des Schulsitzes, Offiziere, Aerzte im Offiziersrang und
obere Beamte der Militärverwaltung in der Gemeinde ihrer
Garnison oder ihres Amtssitzes.
d. Ehefrauen erwerben die Heimat des Mannes.
L. Wer das Bürgerrecht in einer Gemeinde erwirbt, erwirbt
damit zugleich das Heimatrecht.
d. Das Heimatrecht kann weiter durch die Gemeinde verliehen
werden; hierzu ist in Gemeinden mit städtischer Verfassung die Zu-
stimmung der Gemeindebevollmächtigten notwendig.
e. Bayern, die keine Heimat haben, können unter gewissen Vor-
aussetzungen das Heimatrecht ersitzen, d. h. durch vierjährigen, unter
Umständen siebenjährigen Aufenthalt von selbst ohne ausdrückliche
Verleihung durch die Gemeinde erwerben.
k. Pfälzer, d. h. in einer Gemeinde der Pfalz beheimatete Per-
sonen, endlich können in jeder pfälzischen Gemeinde, in der sie sich
niederlassen, die Heimat dadurch erwerben, daß sie eine dahin-
gehende Erklärung bei dem Bürgermeisteramt der bisherigen und
der neuen Gemeinde abgeben.
Die Heimat der Kinder und der Ehefrauen ist eine sogenannte 589
unselbständige Heimat, d. h. sie wird durch Verände-
rungen in der Person dessen, von dem sie abgeleitet ist, ergriffen;
ändert sich deshalb die Heimat des Vaters oder des Mannes, so ändert
sich auch die der Kinder und der Frau. Diese unselbständige Heimat
kann zu einer selbständigen werden, so für die Frau, wenn der Mann
stirbt oder die Ehe geschieden wird, für die Kinder, wenn der Vater
stirbt, für Söhne, wenn sie heiraten.
Wie erwähnt, kann die Heimat auch durch Verleihung (s. 690
unter d.) erworben werden. Personen, die in einer Gemeinde rechts
des Rheins beheimatet sind, haben unter gewissen Umständen ein
230
Die innere Verwaltung
Recht auf V e r l e i h u n g d e r H e i m a t, und zwar sowohl in
rechtsrheinischen, wie in pfälzischen Gemeinden; Pfälzer haben dies
Recht nur, wenn sie in einer rechtsrheinischen Gemeinde das Hoimat-
recht erwerben wollen? Der Anspruch setzt voraus, daß sich der Be-
werber im Alter der Volljährigkeit, ununterbrochen vier Jahre lang
freiwillig und selbständig in der Gemeinde ausgehalten hat, direkte
Steuern während dieser Zeit entrichtet, seine Verpflichtungen gegen
die Gemeinde und die Armenkasse erfüllt und Armenunterstiitzung
weder beansprucht noch erhalten hat. Als selbständig gelten hierbei
nicht: entmündigte Personen, Dienstboten und Gewerbegehilsen,
die in die häusliche Gemeinschaft des Dienstherrn aufgenommen sind,
und Kinder, die dem elterlichen Hausstande angehören und vom
Familienhaupt unterhalten werden. Anspruch aus Verleihung des
Heimatsrechts haben aber auch solche Personen, die sich im Alter der
Volljährigkeit ununterbrochen sieben Jahre lang in der Gemeinde
aufgehalten und während dieser Zeit Armenunterstiitzung weder
beansprucht noch erhalten haben. In diesem zweiten Falle entfallen
also die Erfordernisse der Selbständigkeit, der Steuerveranlagung
und der Erfüllung der gemeindlichen Verpflichtungen; dafür ist die
Dauer des Aufenthalts verlängert.
691 Der Anspruch auf Erwerb des Heimatsrechts kann unter den
bezeichneten Voraussetzungen auch bon der bisherigen Heimatge-
meinde des Berechtigten geltend gemacht werden; diese ist also in die
Lage gesetzt, in diesen Fällen einen Heimatberechtigten, von dem sie
fürchtet, daß er ihr lästig fällt, auf eine andere Gemeinde abzu-
schieben; doch hat der Heimatberechtigte hiergegen ein Einspruchs-
recht, wenn die Heimatveränderung siir ihn mit erheblichen Nach-
teilen verbunden wäre.
692 Der Erwerb der Heiinat kann in gewissen Fällen von der neuen
Gemeinde von der Entrichtung der H e i m a t g e b ü h r abhängig
gemacht werden. Fiir die Bemessung der Höhe der Gebühr sind den
Gemeinden durch das Gesetz Schranken gesetzt. Personen, die in der
oben angegebenen Weise auf Grund siebenjährigen Aufenthalts das
Heimatrecht erwerben, sind unter Umständen von der Entrichtung
der Gebiihr befreit. Eine ähnliche Bestimmung besteht fiir den
Heimaterwerb in der Pfalz.
69z Die Heimat g e h t v e r l 0 r e n durch Erwerbung der Heimat
in einer anderen bayerischen Gemeinde und durch Verlust der *
* Für Pfälzer besteht das Bedürfnis zu einer derartigen Bestimmung
dann nicht, wenn sie die Heimat in einer pfälzischen Gemeinde erwerben
wollen, da sie ja für diesen Fall von dem oben unter t erwähnten Erwerbs-
grund Gebrauch machen können.
Die politischen Gemeinden
231
bayrischen Staatsangehörigkeit. Ein Verzicht auf die Heimat ohne
gleichzeitigen Erwerb einer neuen Heimat ist wirkungslos.
Neben der (eigentlichen) Heimat gibt es auch eine vor- 694
läufige Heimat. Eine solche kann nur eine Person haben, die
keine (eigentliche) Heimat besitzt. Die vorläufige Heimat schafft für
Personen, die die aus dem Heimatrecht fließenden Rechte nicht bean-
spruchen können, vorübergehend den erforderlichen Ersatz hierfür.
Sie ist notwendig für Personen, die die bayerische Staatsangehörig-
keit nicht besitzen und aus Bayern, weil sie z. B. unterstützungsbe-
dürftig werden, ausgewiesen werden sollen, aber vorerst, weil noch
Hinderungsgründe bestehen, — es bestreitet z. B. der Heimatstaat
die Uebernahmepslicht — nicht weggewiesen werden können. Sie ist
weiter notwendig für Bayern, deren Heimat nicht feststeht, oder für
Personen, deren Staatsangehörigkeit sich nicht ermitteln läßt, z. B.
Findelkinder oder Geisteskranke, die irgendwo plötzlich aufgegriffen
werden; für solche wird dann durch die Distriktsverwaltungsbehörde,
in deren Bezirk die Person ihren Wohnsitz hat oder sich aufhält, eine
Gemeinde als vorläufige Heimat bestimmt. Es sind hierbei für die
Auswahl der Gemeinde gewisse Normen gegeben, so werden z. B.
Findelkinder der Gemeinde zugewiesen, in deren Bezirk sie gesunden
werden.
Angehörigen eines anderen deutschen Staates kann in Bayern die 695
Ausnahme in den Staatsangehörigkeitsverband nicht versagt werden.
Sie kann deshalb auch nicht an die Bedingung des Erwerbs einer
Heimat geknüpft werden. Für solche Personen tritt dann, wenn sie
nicht freiwillig eine bayerische Heimat erwerben, ebenfalls eine vor-
läufige Heimat ein, und zwar in der Gemeinde, in der sie sich nie-
derlassen.
Die vorläufige Heimat steht der wirklichen Heimat gleich, soweit 696
diese das Recht zum Aufenthalt gewährt; dagegen begründet sie nicht
das Recht aus Unterstützung gegenüber der Gemeinde, in der sie
besteht, sondern unterstützungspslichtig ist gegenüber solchen Personen
der Staat.
2. D a s G e m e i n d e b ü r g e r r e ch t.
a. In Bayern rechts des Rheins wird das Bürgerrecht 697
nur durch ausdrückliche Verleihung erworben; die Verleihung
erfolgt durch die Gemeindeverwaltung; in Gemeinden mit städtischer
Verfassung ist die Zustimmung der Gemeindebevollmächtigten not-
wendig, wenn das Bürgerrecht einer Person verliehen werden soll,
der es auch versagt werden könnte. Befähigt zur Erwerbung des
Bürgerrechts sind nur selbständige, volljährige Männer, die in der
Genieinde wohnen und in ihr mit einer direkten Steuer angelegt sind.
232
Die innere Verwaltung
Als selbständig im Sinn dieser Bestimmungen sind nicht zu erachten
Entmündigte, weiter Dienstboten und Gewerbegehilfen, die in die
häusliche Gemeinschaft des Dienstherrn ausgenommen sind, endlich
Kinder, die dem elterlichen Hausstand all gehören und vom Familien-
haupte unterhalten werden.
Besitzen zum Erwerbe befähigte Personen in der Gemeinde das
Heiiilatrecht oder haben sie zwei Jahre lang in der Genleinde gewohnt
und direkte Steuern und Umlagen entrichtet, so haben sie ein Recht
auf Verleihung des Bürgerrechts. Unter gewissen
Voraussetzungen kann ihnen jedoch die Gemeinde das Bürgerrecht
versagen, so wenn sie innerhalb der letzten zwei Jahre uni Armen-
nnterstützung nachgesucht haben, wenn ihnen die bürgerlichen Ehren-
rechte aberkannt sind, und in ähnlichen Fällen. Auch N i chi-
ba y e r n kalln das Bürgerrecht verliehen werden, doch wird die Ver-
leihung erst wirksam, wenn sie Bayern geworden silld. Deutsche,
die in der Gemeinde ein besteuertes Wohnhaus besitzen oder mit
direkten Steuerll mindestens in demselben Betrag wie einer der drei
höchstbesteuerten Einwohner angelegt sind, haben auch dann ein
Recht auf Verleihung des Bürgerrechts, wenn sie nicht die Be-
fähigung in dem oben angegebenen Sinne besitzen? Auch juristische
Personen llnd Vereinigungen haben dieses Recht.
Andrerseits haben die Gemeinden in gewissen Fällen auch das
Recht, Personen, d i e z u m Erwerb des B ii r g e r r e ch t s
befähigt silld, hierzu z u z w i n gen, nämlich solche Personell, die seit
fünf Jahre in der Gemeinde wohnen und hierbei direkte Steuern
von jährlich 5,14 Mark, bei größeren Gemeinden von jährlich
6,86 Mark entrichtet haben.
Das Biirger rechtwird für die Regel verloren, sobald
die Befähigung zum Erwerbe in Wegfall kommt.
Die Gemeinden können von jedem Bürger eine A u f it ci h m e -
gebühr verlangen; diese darf in den größeren Gemeinden
171,43 Mark, in den kleinsten Gemeinden 42,86 Mark nicht über-
steigen; bei Nichtdeutschen können die doppelteil Gebühren erhoben
werden.
In der Pfalz erwerben Pfälzer, d. h. Personen, die in
einer pfälzischen Gemeinde beheimatet sind, das Biirgerrecht fräst
Gesetzes, d. h. ohne ausdrückliche Verleihung, wenn sie volljährig uild
selbständig sind lnld in der Gemeinde wohnen und mit einer direkten
Steuer angelegt sind. Selbständig im Sinile dieser Bestimnlungeil
silld nicht: entmündigte Personen und Dienstboten ulid Gewerbege- 3
3 Darnach können auch Frauen und Kinder Gemeindebnrger sein.
Die politischen Gemeinden
233
Hilfen, die in die häusliche Gemeinschaft des Dienstherrn aufge-
nommen siitd, endlich Kinder, die dem elterlichen Hausstand ange-
hören und vom Familienhaupte unterhalten werden. Anderen,
nicht in der Pfalz beheimateten Personen, also
Personen, die in einer Gemeinde rechts des Rheins beheiniatet sind
oder überhaupt die bayerische Staatsangehörigkeit nicht besitzen, kann
das Bürgerrecht durch den Gemeinderat verliehen werden; sie habeil
hierauf gegen die Gemeinde ihres Wohnsitzes Anspruch, wenn sie
volljährig und selbständig sind, zwei Jahre in der Gemeinde gewohnt
haben und innerhalb dieser Zeit die Steuer und die Gemeindeab-
gaben entrichtet haben. Die Gemeinde kann ihnen jedoch unter ge-
wissen Voraussetzungen das Bürgerrecht versagen, so wenn sie inner-
halb der letzten zwei Jahre um öffentliche Armenunterstützungen
nachgesucht haben, wenn ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte aber-
kannt sind, lind in weiteren ähnlichen Fällen. Bei Verleihung des
des Bürgerrechts ist die Heimatgebühr zu entrichten. Bei Nicht-
bayern wird die Verleihung erst wirksam mit dem Erwerb der
bayerischen Staatsangehörigkeit.
Personen, die in einer anderen Gemeinde beheiniatet siild, können 70z
vom Gemeinderat zur Erwerbung des Bürgerrechts
und Bezahlung der Heimatgebühr gezwungen werden, wenn
sie volljährig und selbständig sind, seit fünf Jahren in der Gemeinde
wohnen und lnit Grund-, Haus- oder Gewerbesteuer im Gesamt-
betrag von 5 M. 14 Ps. (3 Gulden) allgelegt sind.
Das Bürgerrecht erlischt nur nlit dem Verlust des Heililat- 704
rechts; die Ausübung ruht jedoch, wenn der Bürger seineil Wohllsitz
ill eine andere Gemeinde verlegt oder nicht mehr mit einer direkteil
Steuer in der Gemeinde angelegt ist oder die Selbständigkeit verliert.
Der Unterschied zwischen Erlöschen und Ruhen des Bürgerrechts
zeigt sich dariil, daß ein ruhendes Bürgerrecht ohne weiteres wieder
voll in Kraft tritt, wenn der Hemmungsgrund wegfällt, also z. B.
der Wohnsitz wieder zurückverlegt wird, während ein erloschenes Ge-
meindebürgerrecht nicht wieder auflebt. Selbstverständlich kanll
aber auch in letzterem Fall unter den gesetzlichen Voraussetzungen eia
neues Bürgerrecht erworben werdell.
c. Die beiden Gemeindeordnungen kennen auch ein Ehren- 705
bürgerrecht; dieses verleiht weder Rechte noch Pslichtell,
sondern ist nur eine Auszeichnung. Es wird rechts des Rheins vom
Magistrat mit Zustimmung der Gemeindebevollmächtigten, in Land-
gemeinden vom Gemeindeausschuß mit Zustimmung der Gemeinde-
versammluNg, in der Pfalz vom Gemeinderat verlieheil. Ausländern
kallil es llur mit königlicher Bestätigung verlieheil werden.
234
Die innere Verwaltung
3. Dic Gcmeindcorganc.
1. Allgemeines.
°6 Die Gestaltung der Gemeindeorgane ist verschieden in Bayern
rechts des Rheins und in der Pfalz.
07 a. In Bayern rechts des R h e i n s ist die Organisation
wiederum verschieden, je nachdem es sich um Gemeinden mit städtischer
Verfassung oder um solche mit Landgemeindeverfassung handelt.
Dafür, ob eine Gemeinde die eine oder die andere Verfassungsart hat,
sind nicht die Eigenschaften derselben, wie etwa die Einwohnerzahl,
sondern lediglich historische Gründe entscheidend. Gemeinden, die zur
Zeit der Einführung der Gemeindeordnung bereits im Laufe der
Jahrhunderte „Stadt- oder Marktrecht" erworben hatten, durften die
städtische Verfassung annehmen. Andere Gemeinden erhielten die
Landgemeindeversassnng. Es ist auch vorgesehen, daß ein Ueber-
gang von der einen zur anderen Verfassung erfolgen kann, so
daß in der Regel doch die größeren Gemeinden die städtische, die
kleineren die Landgemeindeverfassung haben. Während die Land-
gemeindeversassung mit Zustimmung von zwei Dritteln der Ge-
meindebürger ohne weiteres eingeführt werden kann, erfordert die
Annahme der städtischen Verfassung die Genehmigung des Königs.
08 Die Bezeichnung eines Ortes als Stadt, Markt oder Dorf
besagt nichts darüber, ob der Ort die städtische oder die Landge-
meindeverfassung besitzt; es sind dies bloß Titel; doch geht die Ge-
meindeordnung davon aus, daß die städtische Verfassung nur in
Orten, die Städte oder Märkte sind, bestehen soll.
09 b. In der Pfalz besteht — soweit nicht unmittelbare Städte in
Frage kommen, von denen unter c. die Rede ist — nur eine Form
der Gemeindeverfassung. Gemeinden, die bis zur Einführung der
Gemeindeordnung des Jahres 1869 den Namen Stadt geführt haben,
haben ihn beibehalten, doch kommt dieser Bezeichnung eine Be-
deutung für die rechtliche Stellung der Gemeinde nicht zu. Neu
kann der Titel Stadt nur mit Bewilligung des Königs angenommen
werden.
10 c. Eine besondere Stellung nehmen die k r e i s u n m ittel-
baren Städte, auch schlechthin unmittelbare Städte genannt,
ein; sie werden so genannt, weil sie nicht wie die anderen Gemeinden
dem Bezirksamt untergeordnet sind, sondern unmittelbar unter den
Kreisregierungen stehen. Die Organe der unmittelbaren Städte sind
mit einigen Aenderungen, von denen später die Rede sein wird, die
gleichen wie bei den sonstigen Gemeinden mit städtischer Verfassung;
wesentlich ist, wie bemerkt, nur, daß sie aufsichtliche Weisungen von:
Bezirksamt nicht empfangen können. Ihre Stellung zeichnet sich aber
Die politischen Gemeinden
235
Vor denen der sonstigen Gemeinden auch dadurch aus, daß ihnen hin-
sichtlich der Polizeiverwaltung die gleichen Befugnisse wie den Be-
zirksämtern, also höhere Befugnisse wie den sonstigen Gemeinden, ein-
geräumt sind, sie sind wie die Bezirksämter nicht „Ortspolizeibe-
hörden", sondern Distriktspolizeibehörden?? Bis zum Jahre 1908 711
bestanden unmittelbare Gemeinden nur in Bayern rechts des Rheins;
durch das Pfälzische Stüdteverfassungsgesetz von 1908 wurde es er-
möglicht, solche auch in der Pfalz zu schassen.
2. Die einzelnenOrgane.
a. Bei den Organen der Gemeinden unterscheidet man die 712
Verwaltungsbehörden und die Gemeindevertre-
tungen; erstere sind die die Verwaltung der Gemeinden führenden
Organe, letztere treten den erstgenannten beschränkend zur Seite.
b. In den Gemeinden> mit städtischer Versass u n g 71z
rechts des Rheins ist Verwaltungsbehörde der Magistrat, Gemeinde-
vertretung das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten. Der M a -
g i st r a t besteht aus dem Bürgermeister, wenn notwendig, einem
oder mehreren rechtskundigen Magistratsräten und einer Anzahl bür-
gerlicher Magistratsräte, die je nach der Einwohnerzahl zwischen 6
und 20 schwankt. Die unmittelbaren Städte müssen mindestens ein
rechtskundiges Magistratsmitglied aufstellen; in größeren Städten
können zwei bis drei Bürgermeister ausgestellt werden. Für das Bau-
wesen, die Schulangelegenheiten, die Forstwirtschaft, die Gesundheits-
pflege und die Medizinalpolizei können sachkundige Personen als
„technische Mitglieder" des Magistrats aufgestellt werden. Gemein-
den ohne rechtskundiges Magistratsmitglied haben einen Stadt- oder
Marktschreiber auszustellen, wenn nicht der Bürgermeister die
Prüfung für den mittleren Staats- und Gemeindeverwaltungsdiensll
s N * ^^ndere Bestimmungen bestehen in dieser Richtung für München,
° Die unmittelbaren Städte sind bei Nr. 660, Anm. 3, einzeln aufge-
führt.
° Die Prüfungen für den m i t t l e r e n Staats- und
Gemeindeverwaltungsdien ft werden abwechselnd bei den ver-
schiedenen Kreisregierungeu abgehalten. Voraussetzung für die Zulassung
ist die Ableistung eines Vorbereitungsdienstes. Dieser kann bei einer
Distriktsverwaltungsbehörde oder bei einer mittelbaren Gemeinde abgeleistet
werden, bei einer Gemeinde mit Landgcmeindeverfassung aber nur mit
Genehmigung der Kammer des Innern der Regierung. Er hat für die Regel
entweder drei Jahre nach Erlangung des Berechtigungsscheines zum Eiujährig-
Freiwilligendienst, wobei der vor Vollendung des siebzehnten Lebensjahres
zurückgelegte Dienst nicht gerechnet wird, oder fünf Jahre nach Vollendung
des sechzehnten Lcbensfahrs zu umfassen. Diese Prüfung haben auch die
Stadt- und die Marktschreiber abzulegen.
236
Die innere Verwaltung
oder die Prüfung für das Richteramt oder den höheren Dienst der
inneren Verwaltung bestanden hat. Nicht rechtskundige Bürger-
meister und Magistratsräte werden auf sechs Jahre gewählt; alle
drei Jahre tritt die Hälfte der letzteren aus.
4 Gemeindevertretung sind die G e m e i n d e be v o l l m ä ch t i g -
ten; sie werden auf neun Jahre gewählt, alle drei Jahre tritt das
ältere Drittel aus. Die Zahl der Gemeindebevollmächtigten soll drei-
mal so groß sein, als die der bürgerlichen Magistratsräte. Größere
Städte sollen vom Magistrat in Distrikte eingeteilt werden; an der
Spitze eines Distrikts steht ein Distriktsvorsteher. Sie werden vom
Magistrat auf drei Jahre ernannt und haben den Magistrat in seiner
Tätigkeit zu unterstützen.
5 c. In den Gemeinden rechts des Rheins, die die L a n d ge-
ni e i n d e v e r s a s s u n g haben, ist Gemeindeverwaltung der
Gemeindeausschuß. Er setzt sich zusammen aus dem Bürger-
meister, dem Beigeordneten und aus 4—24 Gemeindebevollmächtigten,
innerhalb dieser Grenzen bestimmt sich die Zahl der Gemeindebevoll-
mächtigten verschieden je nach der Einwohnerzahl. Die Mitglieder
des Gemeindeansschusses werden ans sechs Jahre gewählt.
6 Gemeindevertretung ist die Gemeindeversammlung,
d. i. die Versammlung aller stimmberechtigten Gemeindebnrger. Die
Leitung der Versammlung steht dem Bürgermeister zu. Zur Abstim-
mung geniigt in der Regel die absolute Stimmenmehrheit der Anwe-
senden.
In den vom Wohnsitz des Bürgermeisters entfernten Orten
kann ein dort wohnendes Mitglied des Gemeindeausschusses, in dessen
Ermanglung cht vom Gemeindeausschuß gewählter O r t s s ü h r e r ,
als Gehilfe des Bürgermeisters für die Polizeiverwaltung ausgestellt
werden.
7 6. Die Gemeindeverwaltung ist in der Pfalz der Gemein-
de r a t; er besteht aus dem Bürgermeister, aus einem, in Gemeinden
mit mehr als 2500 Einwohnern aus zwei Adjunkten und ans 6—24
Gemeinderäten. Die Zahl der letzteren bemißt sich nach der geringe-
ren oder größeren Einwohnerzahl. Die Mitglieder des Gemeinde-
rats werden ans fünf Jahre gewählt. In Gemeinden mit mehr als
10 000 Einwohnern können für den Bürgermeister und die Adjunkten
sowie neben den Gemeinderäten berufsmäßige besoldete Gemeinde-
ratsmitglieder aufgestellt werden; diese werden zunächst auf drei
Jahre gewählt. Werden sie dann wieder gewählt, so werden ihre
Verhältnisse durch besondere Dienstverträge geregelt.
8 Gemeindevertretung ist die Gemeindeversa m m l u n g.
Sie ist die Versanunlung aller stimmfähigen Gemeindebürger. Die
Die politischen Gemeinden
237
Leitung der Versammlung steht dem Bürgermeister zu. Maßgebend
ist in der Regel die absolute Mehrheit der Stimmen.
Seit dem Pfälzischen Städteverfassungsgesetz des Jahres 1908 ist ~
es auch möglich, daß pfälzischen Städten die Verfassung der
städtischen Gemeinden rechts des Rheins und die
K r e i s u n m i t t e l b a r k e i t verliehen wird (s. wegen die-
ser Begriffe Nr. 710). Die Verleihung dieser Stellung erfolgt auf
Antrag der Gemeindeverwaltung durch den König. Der Antrag be-
darf der Zustimmung von zwei Dritteilen der abstimmenden Ge-
meindebürger. Mit der Verleihung treten für die betreffende
Stadt mit unwesentlichen Ausnahmen alle Vorschriften in Kraft, die
die befondere Verfassung der städtischen Gerneinden sowie die Sonder-
stellung der kreisunmittelbaren Städte rechts des Rheins begründen.
3. Die Besetzung der Gemeiildeämter, insbe-
s o n d e r e d i e G e m e i n d e w a h l e n.
a. Die wichtigsten Gemeindeämter werden im Wege der Wahl be- 7
letztst so werden gewählt: in den Gemeinden mit städtischer
Verfassung die Gemeindebevollmächtigen durch die Gemeinde-
bürger, die Magistratsräte (die rechtskundigen und die bürgerlichen)
und die Bürgermeister durch die Genieindebevollinächtigten; in den
Landgemeinden in Bayern rechts des Rheins die Gemeinde-
bevollmächtigten, die Beigeordneten und die Bürgermeister durch die
Gemeindebürger; in der Pfalz (soweit nicht unmittelbare Ge-
meinden in Betracht kommen) die unbesoldeten Gemeinderäte durch
die Gemeindebürger, die Bürgermeister, Adjunkten und besoldeten
Gemeinderatsmitglieder durch die Gemeinderäte.
b. Wählbar sind im allgemeinen nur Gemestchebürger, die 7
das füufundzwauzigste Lebensjahr vollendet haben. Besondere Vor-
aussetzungen sind erforderlich für die Wahl zum juristischen oder
technischen Magistratsmitglied und zum besoldeten Gemeinderats-
mitglied. Angehörige des aktiven Heeres können nicht gewählt
werden. Die Stelle eines Bürgermeisters, Beigeordneten oder eines
Magistratsrats ist mit dein aktiven Dienstverhältnis eines Staats-
dieners, Geistlichen, öffentlich angestellten Lehrers oder eines besol-
deten Bediensteten der Gemeinde oder der Kirche nicht vereinbar.
Die Gewählten dürfen untereinander nicht in gewisser, in den Ge-
meindeordnungen im einzelnen bestimmter Weise verwandt sein.
Soweit die gemeindlichen Aemter nicht durch Wahlen besetzt werden,
erfolgt die Besetzung durch Ernennung durch Gemeindebehörden. So wer-
den im Wege der Ernennung durch den Magistrat besetzt: die Stellen der
technischen Magistratsmitglieder und der Stadt- und Marktschreiber.
238
Die innere Verwaltung
c. Die regelmäßigen Gemeindewahlen finden in
Gemeinden mit städtischer Verfassung alle drei Jahre, in den iibrigen
Gemeinden rechts des Rheins alle sechs, in den übrigen Gemeinden
der Pfalz alle fünf Jahre statt.
cl. Für die Wahl sind Wählerlisten, d. h. L i st e n der
W a h l st i m m b e r e ch t i g t e n aufzustellen, diese sind zehn Tage
lang zur Einsicht durch die Gemeindebürger aufzulegen, es können
hiergegen Erinnerungen erhoben werden, über die in einem be-
sonderen Verfahren zu entscheiden ist. Niemand kann wählen oder-
gewählt werden, der nicht in diese eingetragen ist, oder nachweist, daß
sein Wahlrecht erst nach Abschluß anerkannt wurde oder erst nach Ab-
lauf der Einspruchsfrist entstanden ist. Die Wahlen werden von
eineni W a h l k o m in i s s ä r geleitet, diesem steht ein von den
Wählern aus ihrer Mitte ernannter Wahlausschuß zur Seite.
Die Abstimmung ist geheim und geschieht durch Wahlzettel auf
weißem Papier und von gleicher Größe, die mit dem Gemeindesiegel
versehen sind. Das Wahlergebnis wird, nachdem es festgestellt ist,
öffentlich bekannt gemacht. Die gewählten Bürgermeister, rechts-
kundigen Magistratsräte, Beigeordneten und Adjunkten bedürfen der
staatlichen Bestätigung, deren Erteilung in dem freien
Ermessen der zuständigen Behörden liegt. Zur Prüfung der Recht-
mäßigkeit der Gemeindewahlen ist teilweise der Verwaltungsrechts-
weg eröffnet.
e. Seit dem Gemeindewahlgesetz vom 15. August 1908 sind für
einen Teil der Wahlen neue Beftimnmngen getroffen. Es sollen
nämlich nunmehr in Gemeinden mit mehr als 4000 Einwohnern * 8
die regelmäßigen Wahlen der Gemeindebevollmächtigten, der bürger-
lichen Magistratsräte, der nicht berufsmäßigen Gemeinderäte, der
nicht berufsmäßigen Adjunkten und der Ersatzmänner nach den
Grundsätzen der sogenannten Verhältniswahl (auch Pro-
portionalwahl genannt) erfolgen?
Bei der regelmäßigen, bisher allein üblichen Wahlart entscheidet
lediglich die Mehrheit der Stimmen, so daß es der unterliegenden
Partei selbst, wenn sie an Stimmenzahl ganz nahe an die siegende
Partei herankommt, nicht gelingt, ihre Kandidaten dnrchzubringen.
Dein will die Verhältniswahl abhelfen, es soll durch sie erreicht
werden, daß die Zahl der Mandate unter die einzelnen Wähler-
8 Es sind dies zurzeit 115.
8 Und zwar sowohl in Gemeinden mit städtischer Verfassung wie in
solchen mit Landgemeindeverfassung.
Unter Umständen können auch Ergänzungswahlen nach dieser Wahl-
art erfolgen.
Die politischen Gemeinden
239
gruppen (die Parteien) nach dem Verhältnis der hierfür abgegebenen
Stimmen verteilt wird. Die gewählten Abgeordneten sollen unter-
einander in demselben Zahlenverhältnis stehen, in dem die Stimmen
der einzelnen in die Wahl eintretenden Parteien stehen.
Dieser Zweck kann aus verschiedene Weise erreicht werden. Für 726
die bayerischen Gemeindewahlen wurde das sogenannte propor-
tionale L i st e n s y st e m gewählt. Es hat jede Partei eine soge-
nannte Vorschlagsliste aufzustellen, enthaltend die Kandidaten der
Partei. Nach der Wahl wird festgestellt, wie viel Stimmen aus jede
gewählte Person treffen und wie viel gültige Stimmen (gleichgültig
für welche Kandidaten) im ganzen abgegeben worden sind, diese Zahl
z. B. 410 190, wird durch die Zahl der zu besetzenden Stellen, z. B. 20,
geteilt. Dadurch steht fest, welche Stimmenzahl durchschnittlich auf
einen Kandidaten trifft, das sind im gegebenen Falle 10 19 532,8.
Dann wird gezählt, wie viele der abgegebenen Stimmen auf die
Kandidaten jeder Vorschlagsliste zusammentreffen, z. B. auf die Vor-
schlagsliste A 243 809 Stimmen; diese Zahl wird durch die Durch-
schnittszahl, in unserem Falle 19 532,8, geteilt und der Vorschlagsliste
werden dann soviel Stellen zugewiesen, als sich bei dieser Teilung
ergeben, d. i. in unserem Falle 12. Ist diese Zahl geringer, als die
Zahl der in der Vorschlagsliste eingestellten Kandidaten, die in
unserem Falle vielleicht 30 beträgt, so sind unter diesen 30 Personen
jene 12 gewählt, die die meisten Stimmen unter den Kandidaten
dieser Liste erhalten haben.
Das Listensystem kann ein freies oder ein gebundenes 727
Listensystem sein. In dem letzteren Falle kann nur gauz im Anschlüsse
an die aufgestellten Vorschlagslisten gewählt werden; das bayerische
Recht hat das erstere System gewählt. Darnach kann der Wähler
für Kandidaten verschiedener Vorschlagslisten stimmen. Es ist in dem
bayerischen Gesetz weiter bestimmt, daß für Kandidaten gestimmt
werden kann, die aus keiner Liste stehen. Diese sind dann gewählt,
wenn aus sie eine höhere als die Durchschnittszahl, d. i. in unserem
Falle 19632,8, trifft. Durch die Aufstellung der Vorschlagslisten wird
erreicht, daß die Stimmen, die der einzelne mehr als die Durchschnitts-
zahl erhält, den übrigen mit ihm in einer Vorschlagsliste enthaltenen
Personen zugute kommt, während, wenn er als Einzelkandidat auf-
tritt, die Stimmen, die er über die Durchschnittszahl erhält, verloren
sind.
Man hat weiter in Bayern das System der verbundenen 728
Listen gewählt. Es kann nämlich den Vorschlagslisten die Er-
Aus rechnerischen Gründen wird die Zahl der Kandidaten hierber
um 1 vermehrt.
240
Die innere Verwaltung
klärung beigefügt werden, daß die „Listen miteinander verbunden sein
sollen". Das hat die Wirkung, daß die verbundenen Listen bei der
Teilung durch die Durchschnittszahl als Einheit erscheinen, wodurch
eiue Verwertung der Bruchteile möglich ist; die darnach auf die ver-
bundenen Listen treffende Kandidatenzahl wird unter ihnen wieder
nach dem Verhältnis ihrer Stimmen verteilt. Im einzelnen er-
fordert die Durchführung des Prinzips der Verhältniswahl eine
Reihe weiterer einzelner Bestimmungen und umständlicher Berech-
nungen, aus die hier nicht eingegangen werden kann.
4. Die Zuständigkeitder G e m e i n d e o r g a n e.
Die eigentliche Trägerin der gemeindlichen Tätigkeit ist die Ge-
meindeverwaltung, also Magistrat, Gemeindeausschuß oder Gemeinde-
rat. Der Bürgermeister hat in Gemeinden mit städtischer Verfassung
die Geschäfte zu besorgen, die sich zur Behandlung durch ein Kollegium
(wie es Magistrat, Gemeindeausschuß oder Gemeinderat sind) nicht
eignen, in den Landgemeinden und in den Gemeinden der Pfalz (so-
weit es nicht unmittelbare Städte sind) obliegt ihm allein (nicht dem
Gemeindeausschuß oder dem Gemeinderat) die Handhabung der Orts-
polizei. Die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung ist nur ge-
geben, wo sie ausdrücklich festgesetzt ist.
4. Der Gemeindehaushalt.
1. D a s Vermögen der Gemeinden.
Die Gemeinden sind verpflichtet, ben Grundstock ihres Vermögens
ungeschmälert zu erhalten und veräußerte Teile des Er-
trägnisse abwerfenden Vermögens durch Erwerbung anderer Ertrag
liefernder Wertgegenstände zu ersetzen. Abweichungen von diesem
Grundsätze können nur mit Genehmigung der vorgesetzten Verwal-
tungsbehörde erfolgen. Die Verteilung von Gemeindegründen ins-
besondere ist nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen erlaubt.
Die Erträgnisse des Gemeindevermögens sind zur Bestreitung der
Gemeindebedürfnisse zu verwenden. Die Verteilung von Ueber-
schüssen ist nur dann zulässig, wenn alle Gemeindebedürfnisse ohne
Erhebung von Gemeindeumlagen (s. Nr. 733) und örtlichen Ver-
brauchssteuern (s. Nr. 732) gedeckt sind ltnb wenn größere Ausgaben
für außerordentliche Bedürfnisse nicht in Aussicht stehen.
2. Die Deckung des Gemeinden usw an ds.
a. Für die Deckung der Gemeindeausgaben sind in erster Linie
zu verwenden die Erträgnisse des Vermögens der G e-
meinden oder der für besondere Zwecke, z. B. für Armenunter-
stützung vorhandenen Stiftungen, ferner die für die Benützung von
Gemeindeanstalten, z. B. von Leihanstalten, Wagen, Reinigungs-
Die politischen Gemeinden
241
anfinden, festgesetzten Gebühren und die sonstigen Erträgnisse solcher
Anstalten. Soweit diese (und einige weitere unerhebliche Einnahme-
qneUen) zur Bestreitung der Gemeindebedürfnisse nicht ausreichen,
können die Gemeinden Verbranchsstenern nni) Gemeindeumlagen
erheben.
b. Verbrauchs st euern (s. Nr. 1378), auch Ausschläge 732
oder Oktrois genannt, dürfen nur in gewissen, gesetzlich genau
bestimmten Fällen erhoben werden. Als solche sind hauptsächlich
üblich in Bayern rechts des Rheins, der Malz- und Bieranfschlag,
der Fleisch--, Getreide- und Mehlaufschlag, in der Pfalz der Malz-
und Bierausschlag, der Attsschlag von Fleisch und Wein. Zum Zwecke
der Erhebung dieser Abgaben sind bei der Einmündung lebhafter
Straßen in den Gemeindebezirk häufig Gefüllsstellen errichtet.
c. Die Gemeinde Umlagen sind direkte Steuern (s. 733
Nr. 1377), sie unterscheiden sich ihrem Wesen nach von den direkten
Staatsstenern nur dadurch, daß sie an die Gemeinde und nicht an
den Staat geschuldet werden. Umlagepflichtig sind alle, die in der
Gemeinde mit einer direkten Staatsstener angelegt sind (s. wegen der
einzelnen direkten Staatsstellern Nr. 1446 u. ss.), auch wenn sie nicht
im Gemeindebezirk wohnen. Frei sind von der Umlagepslicht der
König und Gebäude und Grundstücke, die unmittelbar zil Zweckeil des
Staates, des Gottesdienstes, des öffentlichen Unterrichts und der
öffentlichen Wohltätigkeit dienen. Die Umlagen werden im gleichen
Verhältnis wie die indirekten Staatssteuern als verhältnismäßige
Zuschläge zu ihnen erhoben. Die Beschlllßfassnng über die Einfüh-
rung neuer oder die Erhöhung bestehender Umlagen steht in Gemein-
den ulit städtischer Verfassung den: Magistrat unter Zustimmung der
Genleindebevollmächtigten, in den Landgemeinden in Bayern rechts
des Rheins der Gemeindeversammlung, in der Pfalz (soweit nicht
etwa auch dort Städte die Unmittelbarkeit erlangen werden,
s. Nr. 710) dem Gemeinderate zu. Wird mehr als ein Drittel der
sämtlichen in der Gemeillde angelegten Steuern von fünf oder weni-
ger als fünf Personell gezahlt, so haben in den Landgemeiilden und
ill den Gemeinden der Pfalz (die nicht unmittelbare Städte siild)
diese sog. H ö ch st b e st e u e r t e n einen gewissen Einfluß auf die
Beschlußfassung.
ck. Neben den bisher erwähnten, in Geld bestehenden Leistungen 734
kennen die Gemeindeordnnngeil auch NaturaUeistilllgen, die soge-
nannten Gemeindedien st e; sie sind entweder Handdienste, d. h.
von dem Verpflichteten durch seine eigene Arbeitskraft zu leistende
Dienste, oder Spaulldienste, d. i. Dienstleistung mit Gespannen. Als
solche kommen vor z. B. die Leistung der Nachtwachen oder die Leistung
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 16
242 Die innere Verwaltung
von Fuhrwerksdienst zur Herbeischaffung von Steinen oder Sand
zum Straßenbau.
Z5 e. Durch ein besonderes Gesetz ist den Gemeinden die Einführung
der sog. Besitzveränderungsabgabe gestattet. Sie ist eine
Abgabe, die bei Veränderungen im Besitze oder im Eigentum unbe-
weglicher im Gemeindebezirk gelegener Sachen anfällt, und beträgt
ein Viertel derjenigen Gebühr, die aus Anlaß der Veränderung als
Gebühr an die Staatskasse zu entrichten ist; die Einhebung erfolgt
in Form eines Zuschlags zu der Staatsgebühr. Die Abgabe kann
nur mit Genehmigung des Ministeriums des Innern eingeführt
werden. Die Genehmigung wird nicht erteilt in Gemeinden, in
denen fast nur in landwirtschaftlichen Grundstücken ein Besitzwechsel
stattfindet; sie soll hauptsächlich in Städten oder deren Umgebung
erhoben werden, wo ein häufiger Verkehr in Grundstücken stattfindet
und wo die Grundstücke namentlich zu Bauplätzen verwendet werden.
3. Die Schulden der Gemeinden.
36 Die Aufnahme von Anlehen kann nur zur Abtragung
gekündigter Kapitalien oder zur Bestreitung unvermeidlicher oder
zum dauernden Vorteil der Gemeinde gereichender Ausgaben statt-
finden und nur dann, wenn die Deckung dieser Ausgaben aus ande-
ren Hilfsquellen der Gemeinde nicht ohne Ueberbürdung der Ge-
meindeangehörigen geschehen kannst^ Für alle Schulden müssen Til-
gungspläne angefertigt werden, die nachhaltige Einnahmen für die
Tilgung aufzuweisen haben. Zur Aufnahme der Anlehen ist in Ge-
meinden mit städtischer Verfassung die Zustimmung der Gemeinde-
bevollmächtigten notwendig, wenn dadurch der Schuldenstand ver-
mehrt wird, also nicht gleichzeitig gleich hohe Rückzahlungen erfolgen,
in den übrigen Gemeinden ist die Zustimmung der Gemeindever-
sammlung erforderlich, in der Pfalz jedoch nur in den Fällen, in
denen die aufsichtliche Genehmigung erforderlich ist. Die aufsichtliche
Genehmigung ist dann erforderlich, wenn die Schuld eine bestimmte
je nach der Größe der Einwohnerzahl verschiedene Höhe erreicht, die
sich in Bayern rechts des Rheins zwischen 857,14 M. (— 500 Gulden)
und 17 142,86 M. (=10 000 Gulden), in der Pfalz zwischen 1000 und
20 000 M. bewegt. Auch in anderen Fällen kann die Aufsichtsbehörde
die Aufnahme unter gewissen Voraussetzungen verbieten.
37 Zur Vermeidung von S ch u l d a u f n a h m e n sollen die
Gemeinden durch alljährliche Rücklagen aus den ordentlichen Ein- 12
12 Die Schulden sämtlicher bayerischen Gemeinden be-
trugen Ende 190b rund 614 Millionen Mark, das Gesamtvermögen
der Gemeinden betrug damals rund 119514 Millionen Mark.
Die politischen Gemeinden
243
nahmen Fonds anlegen, so für Schulhausbailten nnd Straßenver-
besserungen, dann insbesondere Grunderwerbungsfonds, um die recht-
zeitige Befchaffung von Grund und Boden für kiinftige gemeindliche
und gemeinnützige Unternehmungen zu ermöglichen.
4. DieFiihrung des Gemeindehaushalts.
Wie jeder verständige Privatmann, fo muß sich auch die Ge- 738
meindeverwaltung stets irrt vornehinein einen Ueberblick über die
Ausgaben verschaffen, die ihr demnächst bevorstehen, und sich über die
Befchaffung der Einnahmen zur Deckung dieser Ausgaben schlüssig
machen. Zu diesem Zweck hat die Gemeinde alljährlich einen Vor-
anschlag über die Einnahmen und Ausgaben (das Gemeinde-
b u d g e t) auszustellen. Der Voranschlag hat sich auf ein Kalender-
jahr ztl erstrecken, er ist vierzehn Tage lang öffentlich aufzulegen,
jeder Umlagepflichtige kann Erinnerungen dagegen abgeben. Die
Feststellung des Voranschlags erfolgt dann in Gemeinden mit städti-
scher Verfassung durch die Gemeindebevollmächtigten, in den Land-
gemeinden rechts des Rheins durch den Gemeindeausschuß, in den Ge-
meinden der Pfalz (abgesehen von den unmittelbaren Städten) durch
den Gemeinderat. Der festgestellte Voranschlag ist der Aufsichtsbe-
hörde vorzulegen, damit diese Gelegenheit zu etwaigem aufsichtlichen
Eingreifen hat. Der Voranschlag bildet dann die Grundlage des Ge-
meindehaushalts. Ueber unvorhergesehene Auslagen, die sich nach-
träglich ergeben, ist besonders Beschluß zu fassen.
Nach Schluß des Geschäftsjahrs ist über die Einnahme und Aus- 739
gaben Rechnung zu stellen. Die Rechnungen müssen in den un-
mittelbaren Städten bis 1. Juli, in den übrigen Gemeinden bis 1. Mai
fertig gestellt sein und vierzehn Tage lang öffentlich aufgelegt werden.
Jedem Umlagepslichtigen steht es frei, Erinnerungen dagegen abzu-
geben. Die Rechnungen werden von den Gemeindebevollmächtigten
beziehrmgsweise dem Gemeindeausschuß oder dem Gemeinderat fest-
gestellt und dann der Aufsichtsbehörde zur Prüfung und Verbeschei-
dung vorgelegt. Die Prüfung hat sich in den unnrittelbaren Städten
nur daraus zu erstrecken, ob kein Anlaß zur Ausübung des Aufsichts-
rechts gegeben ist, irr den anderen Gemeinden hat auch eine rech-
nerische Prüfung stattzufinden.
ii. Die Diftriktsgemeinden.
1. Allgemeine Stellung.
Die D i st r i k t s g e m e i n d e n sind ein weiterer, neben den 740
politischen Genreindeir bestehender Gemeindeverband. Sie erstrecken
16*
244
Die innere Verwaltung
sich räumlich auf den Bezirk einer Distriktsverwaltungsbehörde, in
der Pfalz auf einen Kanton?
Den Organen der Distriktsgemeinde steht aber nicht die gleiche
Selbständigkeit zu, wie den Organen der politischen Gemein-
den. Die Beschlüsse des Distriktsrats (s. Nr. 742) werden nämlich in
der Regel nur dann wirksam, wenn sie die staatliche Genehmigung
gefunden haben; während die Beschlüsse des Distriktsausschusses
(s. Nr. 745) zwar an sich wirksam sind, aber seitens der Staatsregie-
rung aufgehoben werden können, wenn sie den Gesetzen oder den Ver-
ordnungen zuwiderlaufen. Die Bezirke der unmittelbaren Städte
(s. Nr. 710) nehmen an dem Distriktsgemeindeverband nicht teil?
2. Die Organe der Distriktsgemeinden.
Die Organe der Distriktsgemeinde sind der D i st r i k t s r a t
und der Distriktsausschuß. Ersterer wird gebildet aus den Vertretern
der zum Distrikte gehörenden Gemeinden; jede Gemeinde mit bis
2000 Seelen sendet einen Vertreter, größere Gemeinden wählen für
je 2000 Seelen einen weiteren Vertreter. Hierzu kommen, und zwar
mit einem Achtel der Vertreter der Gemeinden, die Grundeigen-
tümer des Bezirks, die die höchste Grundsteuer entrichten (die soge-
nannten Personalisten), ferner Vertreter der größeren Grund-
besitzer, die nicht schon als Personalisten Zutritt haben — diese wer-
den von den fünfzig höchstbesteuerten Grundbesitzern gewählt —■ und
endlich ein Vertreter des Staates in Distrikten, in denen der Staat
an den Distriktsumlagen beteiligt ist.
Die Mitglieder des Distriktsrats müssen das dreißigste Lebens-
jahr zurückgelegt haben. Die Wahl der Mitglieder erfolgt ans drei
Jahre. Der König kann aber den Distriktsrat vor Ablauf der drei
Jahre auflösen, dann hat binnen acht Wochen eine neue Wahl statt-
zufinden.
Der Distriktsrat versammelt sich in der Regel jährlich einmal;
er wird von dem Bezirksamte einberufen. Vorsitzender ist der Be-
girfSamtmann oder sein Stellvertreter, der Vorsitzende stimmt nur
bei Stimmengleichheit mit und gibt so in diesem Falle den Ausschlag.
Die Sitzungen sind öffentlich. *
* Die Pfalz war im Jahre 1817 in 31 Bezirke, Kantone genannt, ein-
geteilt worden.
2 Wenn, wie es seit Erlaß des Pfälzischen Städteversassungsgesetzes
von 1908 möglich ist, an pfälzische Städte die Kreisunmittelbarkest ver-
liehen werden wird, so bleiben diese im Disiriltsberbnnd, solnnfle sie uo.%
Verhältnis nicht im Wege der Vereinbarung lösen.
Die Distriktsgeinemden
245
Der Distriktsausschuß wird vom Distriktsrat aus seiner 745
Mitte gewählt, er besteht aus vier bis sechs Mitgliedern. Vorstand
ist der Bezirksmntmann oder sein Stellvertreter. Der Distriktsaus-
schuß besteht solange, als der Distriktsrat, der ihn wählte, besteht.
Auch hier stimmt der Vorstand nur, wenn ein Stichentscheid erforder-
lich ist. Der Distriktsausschuß tritt nur zusammen, wenn er vom
Vorstand einberufen wird?
Die Angelegenheiten der Distriktsgemeinde werden im allgemei- 746
nen vom Distrikts rate behandelt, der D i st r i k t s a u s s ch u ß
erledigt in der Hauptsache nur die laufenden, minder erheblichen Ge-
schäfte. Wie eingangs bemerkt, sind die Beschlüsse des Distriktsrats
nur wirksam, wenn sie die staatliche Genehmigung gefunden haben.
Die Verhandlungen des Distrikts sind deshalb von dem Bezirksamt
der Kreisregierung vorzulegen; diese verbescheidet sie sodann. Die
Beschlüsse des Distriktsrats, die ja minder erheblich sind, bedürfen
dieser Genehmigung nicht.
3. Die Aufgaben der Distriktsgemeinden.
Zu den Ausgaben der Distriktsgemeinden gehören in der Haupt- 747
fache die Anlegung und die Unterhaltung von Distriktsstraßen
(s. Nr. 1263), die Beschaffung von Feuerlöschmaschinen, die Anlegung
von Armenhäusern, Krankenhäusern und ähnlichen Anstalten, die
Errichtung von Distriktssparkassen. Soweit die Erträgnisse des Ver-
mögens der Distriktsgemeinde oder sonstige ihr zufließende Einnah-
men, z. B. Staatszuschüsse, für Erfüllung dieser Zwecke nicht reichen,
sind Distriktsumlagen zu erheben. Sie werden nach dem 748
Verhältnis der in dem Distrikt zur Erhebung kommenden direkten
Staatssteuern, also durch prozentuale Zuschläge zu diesen erhoben.
Die Distriktsgemeinde hat j u r i st i s ch e Persönlichkeit auf
dem Gebiete des Privatrechts, sie kann also Vermögen erwerben und
Schulden haben.
in. Die Kreisgemeinden.
1. Allgemeine Stellung.
Die Kreisgemeinden bilden den dritten, räumlich noch weiter 749
als die Distriktsgemeinden ausgedehnten G e m e i n d e v e r b a n d.
Ihr Bezirk fällt mit dem der Regierungsbezirke (s. Nr. 669) zusam- 3
3 In den Angelegenheiten der Di st riktsarrnen pflege
nehmen an den Sitzungen des Distriktsrates und des Distriktsausschusses
der Bezirksarzt und zwei vom Distriktsausschuß gewählte Pfarrer teil. Sie
haben volles Stimmrecht.
246
Die innere Verwaltung
men. Von einer eigentlichen Selbstverwaltung kann bei ihnen nicht
geredet werden; denn die Entscheidung hinsichtlich der Angelegenhei-
ten der Kreisgemeinden steht dem König zu; die Beschlüsse der Or-
gane der Kreisgemeinde sind nur wirksam, wenn sie die Genehmi-
gung des Königs gefunden haben. Die Kreisgemeinden besitzen aber
selbständiges Vermögen, sie können Kreisumlagen erheben, haben
öffentlich-rechtliche Aufgaben zu erfüllen und treten auch sonst als
Einheit auf dem Gebiet des öffentlichen Lebens auf.
2. Die Organe der Kreisgemeinden.
750 Die Organe der Kreisgemeinden sind der Land rat und der
L a n d r a t s a u s s ch u ß; ersterem obliegt im allgemeinen die Lei-
751 tung der Geschäfte, letzterer hat nur einzelne Aufgaben. Der Laud-
rat setzt sich zusammen aus Vertretern der Distriktsgemeinden des
Regierungsbezirks; im allgemeinen entsenden je zwei Distriktsge-
nieinden zusammen einen Abgeordneten. Hierzu kommen Vertreter
der unmittelbaren Städte des Regierungsbezirks — die Zahl der Ver-
treter jeder Stadt steigt mit der Einwohnerzahl jeder Stadt —,
Vertreter der größeren Grundbesitzer des Kreises, drei Vertreter der
Pfarrer des Regierungsbezirkes, endlich in Regierungsbezirken, in
denen sich eine Universität befindet, ein Vertreter der letzteren. Jedes
Mitglied des Landrats muß das dreißigste Lebensjahr vollendet
haben. Die Landräte werden auf sechs Jahre gewählt. Der Land-
rat entscheidet über die Gültigkeit der Wahlen.
752 Der Landrat versammelt sich jährlich einmal. Der König kann
jedoch ihn auch zu außerordentlichen Sitzungen berufen. Die Ver-
handlungen sind öffentlich, ausnahmsweise können geheime Sitzungen
stattfinden. Sie werden von dem Präsidenten, der von den Mitglie-
dern mit absoluter Stimmenmehrheit gewählt wird, geleitet. Nach
Schluß der Versammlung werden die Verhandlungen durch die
Kreisregieruug dem Ministerium des Innern vorgelegt und von dem
König verbeschieden. Die Entschließung wird als Landratsab-
schied bezeichnet.
75Z Der Landrat wählt aus seiner Mitte den Laudratsaus-
s ch u ß. Dieser besteht aus sechs Mitgliedern und wird alle drei
Jahre erneuert; er versammelt sich nur, wenn er von der Kreisregie-
rung einberufen wird. An seiner Spitze steht ein von dem Land-
ratsausschuß aus seiner Mitte gewählter Vorstand.
3. Die Aufgaben der Kreisgemeinden.
754 Die Hauptbedeutung der Kreisgemeinden lieg! darin, daß sie
für gewisse öffentliche Zwecke aufzukommen und die hierzu erforder-
Die Kreisgemeinden
247
lichen Mittel zu beschaffen haben, fo insbesondere für den Schutz und
die Unterhaltung der Ufer öffentlicher Flüsse, in der Regel auch für
die Instandhaltung der Flüsse und Bäche mit erheblicher Hochwasser-
gefahr/ fihr gewisse Schulen, für Heilanstalten, namentlich Kranken-,
Entbindungs- und Irrenanstalten, Armenhäuser und Findelhäuser.
Die Organe der Kreisgemeinden haben die hierfür erforderlichen An-
ordnungen zu treffen und die Mittel zu beschaffen. Hierzu kom-
men noch einige weitere Befugnisse der Organe der Kreisgemeinden,
wie die Aeußerung über den Zustand des Regierungsbezirkes und
über etwaige „Gebrechen" der Verwaltung, Abgabe von Gutachten
über die Verwaltung des Regierungsbezirkes u. a.
Die Kreise haben auch das Recht, allgemeine Abgaben (Um - 755
l a g e n) zur Bestreitung der Bedürfnisse des Kreises zu erheben. Die
Erhebung von Umlagen ist von der Genehmigung des Königs abhän-
gig. Sie werden als verhältnismäßige Zuschläge zu den direkten
Staatssteuern erhoben. Umlagepflichtig sind alle im Regierungs-
bezirke mit solchen Steuern veranlagten Personen.
E. Die ^ertt>aCfuitgsorgcmi[aftoit 6er crußer-
bcryerischen Staaten.
1. Preußen.
Das Königreich ist zum Zweck der staatlichen Verwaltung in 756
12 Provinzen eingeteilt? Jede Provinz umfaßt eine Anzahl
von Regierungsbezirken (zusammen 36) und jeder Regie-
rungsbezirk wieder schließt eine größere Anzahl von Kreisen ein.
Die Provinzen und die Kreise sind aber nicht nur Staatsverwal-
tungsbezirke, sondern zugleich Selbstverwaltungskörper (sog. Kom-
munalverbände) mit selbständiger, vom Staate verschiedener Rechts-
persönlichkeit und mit eigenen Organen (Provinziallandtagen, Pro-
vinzialausschüssen, Kreistagen, Kreisausschüssen).
2. Die Provinzen.
Die st a a t l i ch e Verwaltung jeder Provinz wird unter 757
Aufsicht der Minister von den Oberpräsidenten geführt. Zur
Mitwirkung bei diesen Geschäften ist der P r 0 v i n z i a l r a t be-
rufen, welchem außer dem Oberpräsidenten noch ein höherer Verwal- * *
* Diese Verpflichtungen fallen weg, wenn durch besondere Umstände
eine Verpflichtung Dritter begründet ist.
* Die Stadt Berlin bildet einen besonderen Verwaltungsbezirk
für sich.
248
Die innere Verwaltung
tungsbeamter und fünf vom Provinzialausschuß (f. unten) auf sechs
Jahre gewählte Mitglieder angehören.
58 Die Provinz als Selb st Verwaltungskörper stellt
sich als eine Zusammenfassung der zu ihr gehörigen Kreise'dar; daher
werden die Provinzialabgaben aus die Kreise umgelegt, und die ein-
zelnen Kreise wählen auch die Abgeordneten des für jede Provinz
mindestens alle zwei Jahre einmal zusauunentretenden Provin-
ziallandtages? Dieser Provinziallandtag vertritt die Pro-
vinz, stellt den Voranschlag siir den Provinzialhaushalt fest, beschließt
iiber die Aufnahme von Anleihen und die Erhebung von Abgaben
der Provinz, wählt die Proöinzialbeamten und begutachtet aus Ver-
langen der Regierung Gesetzentwürfe usw. Er wählt ferner einen
P r 0 v i n z i a l a u s s ch il ß , der die Beschlüsse des Provinzialland-
tages vorzubereiten und auszuführen, sowie das Vermögen und die
Anstalten des Provinzialverband.es zu verwalten hat. Zur Besor-
gung der laufenden Geschäfte wählt der Provinziallandtag endlich
noch einen Landesdirektor (Landeshauptmann), welcher den
Provinzialverband nach mißen vertritt.
b. Die R e g i e r il n g s b e z i r k e.
59 Ihre staatliche Verwaltung wird durch die Bezirksregieriing
(auch „Regierung" schlechtweg genannt) besorgt, welche sich in drei
Abteilungen (siir Angelegenheiten des Innern, für Kirchen- und
Schillsachen, für direkte Steuern, Domänen und Forsten) gliedert.
An der Spitze der Regierung steht der Regierungspräsident.
Dem Regierungspräsidenten steht der Bezirksausschuß
zur Seite; dieser ist nicht nur mit Geschäften der Landesverwaltung
betraut, fonbern auch als mittleres VerwaltungsgerichE tätig. Er
besteht aus dem Regierungspräsidenten als Vorsitzenden und sechs
weiteren Mitgliedern, von denen zwei vom König aus Lebenszeit er-
nannt, vier durch den Provinzialmlsschuß (s. oben) gewählt werden.
c. Die Kreise
60 Diese siiid, wie bereits erwähnt, sowohl staatliche Verwaltungs-
bezirke als Selbstverwaltungskörper. Man uilterscheidet Land-
kreise und Stadtkreise, und zwar bildet jede größere Stadt
regelmäßig einen Stadtkreis. * 2
2 Die Eröffnung, Leitung und Schließung des Provinziallandtags
steht dem Oberpräsidenten als königlichem Kommisfar zu..
2 Das oberste Berwaltungsgericht in Preußen ist das O b e r v e r wal-
tu n g s g e r i ch t zu Berlin.
Die Verwaltungsorganisation der außerbayerischen Staaten 249
An der Spitze der Kreisverwaltung steht der vom König er-
nannte Land rat; er ist gleichzeitig Organ der Staatsregierung
und Leiter der Kommunalverwaltung des Kreises.
Den Kreisverbänden als S e l b st v e r w a l t u n g s - 761
körpern liegen mannigfache Aufgaben ob, z. B. die Anlegung von
Wegen, Brücken, Eisenbahnen usw. Sie erhalten hierfür Zufchiisse
aus der Staatskasse, sind aber auch befugt, zur Deckung ihrer Aus-
gaben Kreissteuern auf die Gemeinden und Gutsbezirke umzulegen.
Der Kreisverband wird durch den Kreistag vertreten, dessen Ab-
geordnete durch die ländlichen Großgrundbesitzer und die Gemeinden
gewählt werden. Der Kreistag wählt den Kreisausfchuß, wel-
cher unter dem Vorsitz des Landrats die laufende Verwaltung des
Kreises führt. Dieser Kreisausfchuß (in den Stadtkreisen Stadtaus-
fchutz genannt) bildet aber zugleich (mit dem Landrat an der Spitze)
auch eine entscheidende Stelle in Sachen der staatlichen Verwaltung
des Kreises; endlich wird er auch als unterstes Verwaltungsgericht
tätig.
In den Stadtkreisen werden die Selbstverwaltungsgeschäfte des 762
Kreistages und des Kreisausschusses von den städtischen Behörden
wahrgenommen.
Die Landkreise sind in manchen Provinzen für die Zwecke der
staatlichen Verwaltung (insbesondere der Polizeiverwaltung) in
A m tsbezirke eingeteilt. An ihrer Spitze steht jeweils ein
A m t s v 0 r st e h e r , welchem ein A m t s a u s s ch u ß als Beirat
beigegeben ist.
2. Sachsen.
Das Königreich ist für die staatliche Verwaltung in fünf 76z
Kreishauptmannschasten (mit je einem Kreishauptmann
an der Spitze) eingeteilt, denen jeweils ein Kreisausschuß beigegeben
ist. Jeder Kreishauptmannschaft unterstehen eine Anzahl von
Amtshauptmann schäften; diesen steht jeweils ein Bezirks-
ausschuß zur Seite.
Für die Zwecke der Selbstverwaltung bilden die Amtshaupt-
mannschasten je einen Bezirksverband, welcher durch die Bezirksver-
sammlung vertreten wird.
3. Württemberg.
Der staatlichen Verwaltung dienen hier die vier Kreise, in 764
welche das Königreich eingeteilt ist (Neckar-, Schwarzwald-, Jagst-
und Donaukreis). Jeder Kreis umfaßt eine größere Anzahl von
Oberämtern mit je einem Oberamtmann an der Spitze.
250
Die innere Verwaltung
S e l b st v e r w a l t u n g s k ö r p e r sind
1. Die Gemeinden, deren Ortsvorsteher Stadtschultheiß oder
Schultheiß genannt wird.
2. Die A m t s k ö r p e r s ch a f t e n , die Vereinigung der zu
dem Bezirk eines Oberamts gehörigen Gemeinden. Sie haben
zahlreiche Aufgaben und eigene Vermögensverwaltung, ihre
Organe sind die A m t s v e r s a m m l u n g und der B e -
zirksrat. Unter ihren Beamten ist besonders der Amts-
pfleger hervorzuheben, der das Kassen- und Rechnungswesen
besorgt.
3. Die Gemeindeverbände, die freiwillige Vereinigung
mehrerer Gemeinden außerhalb der Amtskörperschaft und
4. die B e z i r k s v e r b ä n d e, die Vereinigung mehrerer
Amtskörperschaften.
4. Baden.
765 Zum Zweck der unmittelbaren Besorgung der Aufgaben der
inneren Verwaltung ist das Großherzogtum in 53 Amtsbezirke
eingeteilt. Jeder dieser Bezirke wird durch ein Bezirksamt
verwaltet, an dessen Spitze ein A m t s v 0 r st a n d steht, der meist
den Titel Oberamtmann oder Geheimer Regierungsrat führt.
Jeweils eine größere Anzahl von Bezirksämtern bildet den Be-
zirk eines Landeskommissärs, der als Bevollmächtigter des
Ministeriums des Innern die unmittelbare Aufsicht über sie ausübt.
Selb st verwaltungskör per sind außer den Gemein-
den die 11 Kreisverbände, deren jeder mehrere Amtsbezirke
umfaßt, und die Bezirksverbände, Verbände einzelner Ge-
meinden innerhalb des Kreisverbandes; letztere find verhältnis-
mäßig feiten.
766 V e r w a l t u n g s g e r i ch t erster Instanz ist in der Regel der
bei jedem Bezirksamt gebildete Bezirksrat, ein Kollegium von
6 bis 9 Mitgliedern unter dem Vorsitz des Amtsvorstands; die Be-
rufung gegen seine Urteile geht an den Verwaltungsge-
rich t s h 0 f in K a r l s r u h e. In bestimmten Fällen dagegen ent-
scheidet der Verwaltungsgerichtshof als Verwaltungsgericht erster
und letzter Instanz.
5. Elsaß-Lothringen.
Hierüber siehe Nr. 59.
2. Abschnitt.
Das geistige und das körperliche Leben.
A. Unterricht und KvZiebnng.
8 i. Zur Einführung.
Der einzelne vermag seinen Kindern nur ganz ausnahmsweise 767
selbst die Summe von Kenntnissen zu vermitteln, deren sie im späteren
Leben bedürfen; daher hat der Staat die Leitung des Unterrichts-
wesens in seine Hand genommen. In Deutschland hat man schon
früh die hervorragende Bedeutung einer guten Volksbildung erkannt
und demgemäß eifrig an der Verbesserung des Schulwesens gear-
beitet. Dieser Arbeit verdankt nicht zum kleinsten Teil das deutsche
Volk die führende Stellung, welche es jetzt unter den Kulturstaaten
der Erde einnimmt?
Das Unterrichtswesen ist im Deutschen Reiche Sache 768
der E i n z e l st a a t e n. Das Reich übt nur insofern einen gewissen
mittelbaren Einfluß daraus aus, als es durch die beim Reichsamt des
Innern gebildete R e i ch s s ch u l k 0 m m i s s i 0 n darüber wacht, daß
nur die Zeugnisse solcher Schulen als zum militärischen Dienst eines
Einjährig-Freiwilligen berechtigend anerkannt werden, welche sich auf
der erforderlichen Höhe befinden.
Die oberste Leitung und Beaufsichtigung des Unterrichts- und 769
Erziehungswesens ist in Bayern Sache des S t a a t s Ministe-
riums des Innern für Kirchen- und Schulung e-
legenh eiten (häufig als Kultusministerium bezeichnet). Unter 1
1 Einen guten Maßstab für die Bildung eines Volkes bietet die Zahl
seiner sog. Analphabeten (— Nichtkenner des Alphabets), d. h. derer,
welche nicht lesen und schreiben können. Solche Analphabeten sind im
Deutschen Reich fast gar nicht mehr vorhanden, während sie z. B. in Spa-
nien und Portugal 75, in Italien 60, in Frankreich und England 15 Prozent
der gesamten Bevölkerung ausmachen.
252
Die innere Verwaltung
ihm sind die allgemeinen Organe der inneren Verwaltung, das sind
die Kammern des Innern der Kreisregierungen und die Distrikts-
verwaltungsbehörden, damit befaßt.
770 Zur Besorgung der Angelegenheiten der humanistischen und der
realistischen Mittelschulen ist im Kultusministerium eine beson-
dere M i n i st e r i a l a b t e i l n n g errichtet. Außerdem ist beim
Kultusministerium gur gutachtlichen Tätigkeit aus diesem Gebiet ein
besonderes „Kollegium", der O b e r st e Schulrat, gebildet. Letz-
terer besteht aus dem Kultusminister oder dem Vorstand der vorbe-
zeichneten Ministerialabteilung oder einem besonders bezeichneten
Mitglied des Obersten Schulrats als Vorsitzenden und aus ordent-
lichen und außerordentlichen Mitgliedern; ordentliche Mitglieder
sind die Mitglieder der bezeichneten Ministerialabteilung und eine
Anzahl besonders einberufener Mitglieder. Letztere versehen ihre
Tätigkeit als Mitglieder des Obersten Schulrats nur im Nebenamt.
Sie werden jeweils ans säns Jahre ans den Lehrern der Mittelschulen
und der Hochschulen entnommen. Außerordentliche Mitglieder sind
ein Arzt und sonstige für besondere Fälle ernannte Personen. Wie
erwähnt, hat der Oberste Schulrat nur eine gutachtliche, nicht eine
entscheidende Stinune. Sein Geschäftsgang im einzelnen wird durch
eine Geschäftsordnung geregelt.
77x Als weitere technische Organe sind zu erwähnen die S ch u l k 0 m-
Missionen. Für die oberste fachmännische Begutachtung wichti-
gen Angelegenheiten der Kunstgewerbeschulen, der Fachschulen und
Fortbildungsschulen, der Anstalten zur Heranbildung von Volksschul-
lehrern und Volksschullehrerinnen, der höheren weiblichen Unter-
richtsanstalten und der Volksschulen ist die L a n d e s s ch u I k 0 m -
Mission gebildet. Diese ist ein besonderes Kollegium des Kultus-
ministeriums und setzt sich zusammen aus dem Referenten des Mini-
steriums und aus besonders ernannten Mitgliedern, die teils den
nacherwähnten Kreisschulkommissionen (s. Nr. 772), teils den
Kreisen sonstiger auf dem Gebiet des Unterrichts erfahrener Personen
entnommen werden. Die Mitgliedschaft wird inr Nebenamt geführt.
Den Vorsitz führt der Kultusminister, der sich durch ein Mitglied der
Landesschulkommission vertreten lassen kann.
772 Für die fachmännische Beratung wichtiger Angelegenheiten der
Lehrerbildungsanstalten, der höheren weiblichen Unterrichtsanstalten,
der Volksschulen und der Fortbildungsschulen ist bei jeder Kreis-
regierung eine Kreis sch ulkommission gebildet. Sie setzt
sich zusammen ans dem mit der Behandlung des Schulwesens befaß-
ten Beamten der Kreisregierung, dem Kreisschulinspektor (s. Nr. 787)
und einer Anzahl weiterer Mitglieder, die vom König aus den Schul-
Unterricht und Erziehung
263
aufsichtsbeantten und aus dem Kreise der Lehrer an den dorbezeich-
ueten Anstalten ernannt werden. Den Vorsitz führt der Negierungs-
Präsident, der sich durch ein Mitglied der Kommission vertreten lassen
kann.
8 2. Die Volksschulen.
1. In Bayern besteht (wie auch in den anderen deutschen Staateit) 773
der V o l k s s ch u l z w a n g, d. h. alle in Bayern wohnenden " Eltern
oder sonstigen erziehungsberechtigten Personen sind verpflichtet, die
Kinder zur Schule zu schicken. * Die Schulpflicht beginnt für Knaben
und Mädchen mit der Vollendting des sechsten Lebensjahres tind
dauert regelmäßig zehn Schuljahre. Hiervon treffen sieben Jahre ans
die Werktagsschulpflicht und drei auf die Sonntagsschulpflicht. Aufge-
nommen werden für die Regel nur solche Kinder, die bereits bei Be-
ginn des Schuljahres das sechste Lebensjahr zurückgelegt haben und
geistig und körperlich genügend entwickelt sind. Die Kreisregiernngen
können jedoch für ihren Regierungsbezirk oder für Teile hiervon ge-
statten, daß auch solche Kinder ausgenommen werden, die das sechste
Lebensjahr noch vor Ablauf des Kalenderjahres vollenden. Die Ent-
lassung aus der Werktagsschnle erfolgt am Schlüsse des siebenten
Werktagssckplljahres, wenn der Schulpflichtige die Schlußprüfung be-
steht; besteht er sie nicht, so kann er zu weiterem Besuch der Werktags-
schule längstens aus die Dauer eines Schuljahres angehalten werden.
Für Kinder des achten Schuljahres können besondere 774
Werktagsschulklassen eingerichtet werden. Der Eintritt in diese ist
an sich freiwillig; es kann jedoch die Gemeindeverwaltung mit Geneh-
migung der Kreisregierung und regelmäßig unter Zustimmung
der Gemeindevertretung den Besuch dieser achte» Werktagsschul-
klassen zur Zwangspslicht machen. Der Besuch des achten Schul-
jahres wird auf die Sonntagsschulpslicht angerechnet.
Die Sonntagsschnlpslicht beginnt mit dem Austritt 775
aus der Werktagsschule und endet mit dem zehnten Schuljahr, wenn
der Schulpflichtige die Entlassungspriifung besteht. Besteht er sie
nicht, so kann er angehalten werden, die Sonntagsschule weiter, läng-
* Die Staatsangehörigkeit der Kinder ist gleichgültig.
^Ausnahmen bestehen nur in Fällen, in denen für genügenden
Ersatz gesorgt ist, so beim Besuch von realistischen oder humanistischen Mittel-
schulen, landwirtschaftlichen Winterschulen, höheren Unterrichtsanstalten für
Mädchen, oder wenn für einen vollständigen Privatunterricht in den Gegen-
ständen der Volksschule gesorgt ist. In den letzteren Fällen ist die Geneh-
migung der Distriktsschulbehörde, in unmittelbaren Städten der Stadtschul-
kommission notwendig.
254
Die innere Verwaltung
stens auf ein Jahr zu besuchen. Sountagsschulpflichtige sind auch
zum Besuche des ösfeutlicheu oder für sie besonders eingerichteten Re-
ligionsunterrichts, der sogenannten C h r i st e n l e h r e, verpflichtet.
Der Besuch der Sonntagsschnle wird durch den Besuch einer Fortbil-
dungsschule ersetzt, deren Unterricht von der Kreisregierung als Er-
satz anerkannt ist. In derselben Weise, in der ein achtes Werktags-
schuljahr eingeführt werden kann, kann der Besuch einer bestimmterl
Fortbildungsschule an Stelle der Sonntagsschnle zur Pflicht gemacht
werden.
Schulpflichtige Schiiler, die die Schule wieder-
holt versäumen, können durch die Schuldiener oder durch die
Organe der Ortspolizeibehörden vorgeführt werden. Die Eltern,
Pslegeeltern, Vormünder, Dienst- und Lehrherren säumiger Schul-
pflichtiger werden, wenn die Versäumung nicht entschuldbar 4 ist, vor
die Schulsitzung, d. h. eine besondere Versammlung der Mitglieder
der Ortsschulbehörde (s. Nr. 784—785) geladen. Erscheinen sie nicht
oder können sie keine geniigende Entschuldigung vorbringen, so sind
sie das erste Mal zu warnen, bei weiteren Versäumnissen können sie
für jede versäumte Schulzeit in eine Geldstrafe von 10—50 Pfennigen
genommen und neuerdings gewarnt werden. Ist auch dieses Mittel
erfolglos, so werden sie im Wege des ordentlichen Strafverfahrens
durch die Gerichte mit Geld oder Hast bestraft.
7 2. Jede Gemeinde soll wenigstens eine Volksschule besitzen,
doch können ausnahmsweise auch mehrere Gemeinden zu einer Volks-
schule vereinigt oder Teile einer Gemeinde dem Schulsprengel einer
Nachbargemeinde zugewiesen oder endlich Teile verschiedener Ge-
meinden zu einem besonderen Schulsprengel verbunden werden. In
größeren Gemeinden sind mehrere Schulen mit räumlich abgegrenz-
ten Bezirken zu errichten.
8 Die Volksschulen sind in Bayern regelmäßig konfessionelle
Schulen, d. h. es ist bei der Leitung der Schulen und bei der Un-
terrichtserteilung konfessionellen Rücksichten ein Einfluß eingeräumt;
es dürfen insbesondere an Volksschulen einer bestimmten Konfession
nur Lehrer dieser Konfession angestellt werden. Ausnahmsweise „in
außerordentlichen durch zwingende Verhältnisse bedingten Fällen"
können die Konsessionsschulen in konfessionell gemischte, sogenannte
Simultanschulen (von simultanere — gemeinsam) umgewan-
delt werden. Die Umwandlung erfordert die Zustimmung der Ge- 1
1 Als entschuldbare Versäumnis gilt: Krankheit, unge-
stüme Witterung bei entlegenen Schularten, Unentbehrlichkeit des Schul-
pflichtigen zu häuslichen oder landwirtschaftlichen Dienstleistungen in Not-
lagen, Teilnahme an ungewöhnlichen Familienereignissen.
Unterricht und Erziehung
255
meindevertretungen, häufig genügt bei der Beschlußfassung hierüber
nicht die einfache Stimmenmehrheit, sondern es wird eine Mehrheit
von zwei Dritteilen oder drei Vierteilen der Stimmen erfordert. Er-
richtet eine Gemeinde eine neue Schule, ohne daß sie hierzu verpflichtet
wäre, so sind leichtere Erfordernisse aufgestellt. Ein Zwang zum Be-
such einer Simultanschule darf nicht eintreten, solange der Besuch
einer Konfessionsschule möglich ist.
Die Beschlußfassung über die Errichtung neuer und die 779
Aufhebung bestehender Volksschulen und über die Bildung und Aende-
rung der Schulsprengel steht den Kammern des Innern der Kreis-
regierungen zu. Gegen deren Entscheidungen kann Beschwerde an
das Kultusministerium eingelegt werden.
3. Die Ausbringung der Mittel zur Errichtung und 78o
zum Unterhalt der Schulen ist Sache der politischen Gemeinden.
Greift der Bezirk einer Schule über den Bezirk der Gemeinde hinaus,
so haben die zum Bezirk vereinigten Gemeinden und Gemeindeteile
den Bedarf aufzubringen, und zwar, wenn andere Mittel nicht vor-
handen sind, nach dem Verhältnis der indirekten Staatssteuern, die
von den im Schulsprengel wohnenden Beteiligten zu entrichten sind.
In dieser Weise ist der sachliche Bedarf, also im wesentlichen der Auf-
wand für die Schulgebäude, wie der persönliche Bedarf, das sind die
Ausgaben für die Lehrer, auszubringen. Die Errichtung einer neuen
Lehrstelle kann gefordert werden, wenn die Zahl der Schüler einer
mit einem Lehrer besetzten Volksschule nach einem fünfjährigen
Durchschnitt achtzig übersteigt; bestehen an der Schule schon zwei oder
mehr Schulklassen, so können die Mittel für einen weiteren Lehrer
dann verlangt werden, wenn die Zahl der Schüler einer Klasse nach
einem fünfjährigen Durchschnitt hundert übersteigt. An geistliche
Gesellschaften oder religiöse Vereine kann der Volksschnlunterricht
nilr mit Zustimmung der Gemeinde übertragen werden.
Das Schulgeld, dessen Erhebung den Gemeinden freisteht, 781
darf für Werktagsschüler 72 Pfennig und für Sonntagsschüler 36
Pfennig im Vierteljahr nicht übersteigen. Besuchen mehrere Kinder
einer Familie die Schule, so kann nilr für das jüngste der volle Be-
trag gefordert werden, für die übrigen ist nur die Hälfte zu zahlen.
Gemeinden, die den vollen Bedarf für die Volksschulen ohne 782
Ueberbürdung nicht aufbringen können, können Zuschüsse ans
K r e i s m i t t e l n beanspruchen. Den Kreisen sind hierzu besondere
Mittel, insbesondere die sogenannte K r e i s s ch u l d 0 t a t i 0 n , zu-
gewiesen.
Die v e r m ö g e n s r e ch t l i ch e Verwaltung der Volks- 78z
schulen steht nicht den Schnlallssichtsorganen, sondern den Organen
25G
Die innere Verwaltung
der Gemeinden zu. Greift der Sprengel der Schule über die Mar-
kung einer Gemeinde hinaus, so hat die vermögensrechtliche Verwal-
tung dieser Schule (die Sprengelschule genannt wird), in der Regel
die Gemeindeverwaltung der Schulsitzgemeinde, die durch Mitglieder
aus den anderen Teilen verstürkt wird.
784 4. Die unmittelbare Aufsicht über die Schulen führen
in den unmittelbaren Städten die Lvkalschnl-
inspektionen, auch Stadtbezirksschulinspektionen genannt; sie
bestehen in der Regel aus dem Pfarrer als Vorsitzenden und einem
Magistratsrat als ordentlichen Mitgliedern, zu ihnen tritt häufig ein
Volksschullehrer; daneben können noch außerordentliche Mitglieder
vorhanden sein, lieber den Lokalinspektionen stehen die Lokal-
s ch u l k 0 m m i s s i 0 n e n, auch Stadtschulkommissiou genannt, und
die Magistrate, von denen erstere die technischen Angelegenheiten allein
erledigen, während die Behandlung der übrigen durch beide Organe
gemeinsam erfolgt. Die Lokalschulkommission setzt sich in der Regel
zusammen aus den ordentlichen Mitgliedern der Lokalschulinspektio-
nen, einer Anzahl Lehrer und dem Bürgermeister, letzterer ist Vor-
sitzender.
785 In den mittelbaren Gemeinden der Landes-
t e i I e r e ch k s d e s R h e i u s wird die unmittelbare Aufsicht von
den L 0 k a l s ch u l i n s p e t t i 0 n c 11 ausgeübt; sie setzen sich in der
. Regel zusammen aus dem Pfarrer als Vorsitzenden, dem Bürger-
meister und Abgeordneten des Gemeindeausschusses bei Landgemein-
den, des Magistrats bei Gemeinden mit städtischer Verfassung, hierzu
[tritt häufig -sin Volksschu l lebn. In den Ge m e i n d e u~ de r
PD a lz, denen die städtische Verfassung oder die Kreisunmittelbar-
keit nicht verliehen ist, wird die nächste Aufsicht von den Orts-
s ch u l k 0 m m i s s i 0 n e u ausgeiibt. Sie sind in der Regel gebildet
aus dem Bürgermeister als Vorsitzenden, einem Mitglied des Ge-
meiuderats, den Pfarrern beider Konfessionen und einem Volksschul-
lehrer.
786 Ueber den Lokalschulinspektionen und den Ortsschulkommissionen
stehen in den mittelbaren Gemeinden als nächstes Aufsichtsorgan die
Distriktsschulinspektionen und die Bezirksämter; die Ab-
grenzung der Zuständigkeit ist dieselbe wie bei den Lokalschulkommis-
sionen und den Magistraten. Distriktsschulinspektor ist in der Regel
ein Pfarrer; sind beide Konfessionen (Katholiken und Protestanten)
im Bezirke vertreten, so sind meistens zwei Inspektoren bestellt. Die
Bestellung erfolgt durch die Kreisregierungen.
787 Die Oberleitung für den Bezirk eines Regierungsbezirkes
steht den Kammern des Innern der Kreisregierungen und die
Die Volksschulen
257
oberste Leitung dem Kultusnünisterium zu; ersteren stehen als
fachmännische Organe die Kreisschulkommissionen zur
Seite, sür das letztere ist zur sachmünnischen Begutachtung die
Landesschulkommission geschaffen (s. Nr. 771). Als
weiteres technisches Organ ist bei jeder Regierung ein fachmännisch
gebildeter K r e i s s ch u l i n s p e k t o r aufgestellt. Den wesent-
lichsten Bestandteil seiner Wirksamkeit bildet die Vornahme außer-
ordentlicher Visitationen der Volksschulen des Regierungsbezirks.
5. Die Lehrer der Volksschulen sind entweder Volks- /88
schullehrer — diesen ist eine ordentliche Lehrstelle übertragen -
oder ständige Schulverweser — diese haben eine Schulstelle selb-
ständig zu versehen, ohne die Bezüge eines Volksschullehrers zu be-
ziehen —- oder zeitweilige Verweser — diese haben eine Lehrstelle vor-
übergehend zu versehen — oder endlich Hilfslehrer — diese haben
unter der Leitung eines Volksschullehrers Unterricht zu erteilen.
Alle diese Stellen können auch weiblichen Personen übertragen werden.
Die Besetzung der Lehrstellen erfolgt durch die Kammern des Innern
der Kreisregierungen. Es bestehen aber bisweilen Präsentations-
rechte (vergleiche wegen dieses Begriffes Nr. 853 Anm. 27).
Die Vorbildung der Lehrer erfolgt zunächst durch den 789
dreijährigen Besuch einer P r ä p a r a n d e n s ch u l e; daran schließt
sich der zweijährige Besuch eines S ch u l l e h r e r s e m i n a r s ,
während dieser Zeit haben die Zöglinge in der Regel auch in dein
Seminargebäude zu wohnen. Die Aufnahme in die Seminarien ist
von dem Bestehen der Präparandenschlußprüfung abhängig; ebenso
ist beim Austritt aus dem Seminar die Seminarschlußprüsung abzu-
legen. Diejenigen, die die Prüfung bestanden haben, die Schul-
d i e n st e x p e k t a n t e n , finden meistens nach einjähriger Schul-
praxis Verwendung als Hilfslehrer und haben dann vier Jahre nach
der Seminarschlußprüfung sich der Anstellungsprüfung zu unter-
ziehen, die bei den Kreisregierungen abgehalten wird. Damit ist die
Befähigung zur Führung einer selbständigen Schulstelle erworben.
Für weibliche Bewerber sind die gleichen Erfordernisse aufge-
stellt, sie sind aber, da genügende öffentliche Anstalten mangeln,
großenteils angewiesen, die Ausbildung für die Prüfungen ans pri-
vatem Wege zu suchen.
Die M i n d e st b e z ü g e der Lehrer und L e h r e - 790
r i n n e n sind gesetzlich festgelegt, sie bewegen sich von 1200 M. sür die
Volksschullehrer bis herab ans 820 M. für die Hilfslehrer, dazu
kommt der Anspruch auf Gewährung von Dienstwohnungen oder
von Mietentschädigungen an Stelle solcher. Außerdem werden den
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 17
258
Die innere Verwaltung
Volksfchullehrern und Volksschullehrerinnen, den Verwesern und
Verweserinnen Dienstalterszulagen aus der Staatskasse gewährt,
deren Höhe von der jeweiligen Bewilligung durch die Kammern ab-
hängt? Der Ruhegehalt dien st unfähiger Lehret wird
aus besonderen zu diesem Zweck bestimmten Kreisanstalten bestritten.
Reichen deren Mittel nicht ans, so sind andere Mittel der Kreise heran-
zuziehen. Auch leistet der Staat Zuschüsse. Die Unterstützung der
Hinterbliebenen der Volksschullehrer erfolgt durch besondere
für diesen Zweck errichtete Kreisvereine? Hierzu kommen Unter-
haltsbeiträge aus Staatsmitteln. Für die Gewährung von Ruhe-
gehalten und von Unterstützungen an Hinterbliebene besteht weiter
eine mit staatlichen Mitteln gegründete „Pensions-und R e -
likten-Unter st ützungs -Zuschußkasse".
8 3. Die Fachschulen.
Während die Volksschulen und Mittelschulen dazu bestimmt sind,
die im Leben ohne Riicksicht auf einen bestimmten einzelnen Beruf
notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, dienen die Fachschulen, deren
Bedeutung in neuerer Zeit immer mehr gewürdigt wird, dazu, eine
besondere Vorbildung für einen bestimmten Beruf zu geben.
Die Organisation der Fachschulen in Bayern ist sehr mannigfach,
sie beruht häufig auf besonderen für die einzelne Anstalt getroffenen
Anordnungen. Hervorzuheben sind: die landwirtschaftlichen
Fortbildungsschulen, sie sollen die Kenntnisse der im Alter
der Sonntagsschulpflicht stehenden bäuerlichen Jugend in den Ele-
mentargegenständen festigen; die landwirtschaftlichen Win-
ters ch ulen? sie sollen den Söhnen von Landwirten nach Vollen-
dung des Volksschulunterrichts durch llnterricht in den Wintermona-
ten eine landwirtschaftlich fachliche Ausbildung gewähren und zu- *
* In Gemeinden mit 10 000 und mehr Einwohnern erhalten die Lehrer
keine Dienstalterszulagen, dagegen die Gemeinden Zuwendungen aus der
Staatskasse; sie haben ihrerseits die Bezüge der Lehrer zu erhöhen.
° Lehrer, die infolge Verschuldens vom Dienste enthoben wurden, sind
auf staatliche Unterhaltsbeiträge angewiesen.
7 Die Lehrer in München nehmen an den Kreisvereinen nicht teil.
8 Die an den landwirtschaftlichen Winterschulen angestellen Lehrer
haben nach Schluß der Schulzeit als Wanderlehrer zu wirken, ste
sollen hierbei die Landwirtschaft fördern und die Landwirte mit den wissen-
schaftlich und praktisch bewährten Verbesserungen der Betriebsweise ver-
traut machen.
Die Fachschulen
259
gleich die in der Volksschule erworbenen Kenntnisse ergänzen und er-
weitern ; die gewerblichen Fortbildungsschulen, sie sol-
len die fiir den Gewerbebetrieb erforderliche Fachbildung verschaffen:
daneben bestehen unter verschiedenen Namen Fachschulen
für das Baugewerbe, fiir Maschinenkunde und Elektrotechnik, fiir
Keramik, fiir Textilindustrie, fiir Holzbearbeitung, ferner Handels-
schulen und andere.
§ 4. Die humanistischen und die realistischen
Mittelschulen.
1. A n d e n h u m a n i st i s ch e n u n d a n d e n r e a l i st i s ch e n 79Z
Mittelschulen wird die allgemeine wissenschaftliche Bildung er-
worben, die hauptsächlich als Grundlage dienen soll fiir die später
durch die Universitäten und die sonstigen Hochschulen zu erwerbende
Fachbildung? Die Oberaufsicht über diese Anstalten steht für das Ge-
biet der technischen Fragen (in bezug auf Unterricht und Disziplin)
dem Kultusministerium zu, die Fürsorge für die äußeren Verhält-
nisse der Anstalten obliegt zunächst den Kreisregierungen. Die Per-
sonalfragen werden im allgemeinen unmittelbar vom Kultusmini-
sterium behandelt.
2. Die Regierungen der deutschen Staaten haben 794
hinsichtlich der Einrichtung der humanistischen Gymnasien g e m e i n-
same Grundsätze vereinbart, so insbesondere hinsichtlich
der Zahl der Kurse, des Aufnahmealters und der Gegenstände der
Reifeprüfung (Absolutorial-, Maturitätsprüfung). Weiter wurde
vereinbart, daß das Reifezeugnis, das ein Angehöriger des Deutschen
Reichs an einem Gymnasium oder einem Realgymnasium (einer
Realschule I. Ordnung) irgend eines deutschen Staates als Schüler
der Anstalt erworben hat, in jedem Bundesstaat diejenigen Berechti-
gungen gewährt, die mit dem Reifezeugnis der Anstalten dieses
Staates verbunden sind; hinsichtlich der Reifezeugnisse der Realgym-
nasien (Realschulen I. Ordnung) jedoch nüt der Einschränkung, daß
diesen nur diejenigen Berechtigungen zuerkannt sind, die mit ihnen in
dem Ausstellungsstaat verbunden sind. 1
1 Wer an einer humanistischen oder r e a I i ft i s ch e n Mit-
telschule als Lehrer verwendet werden will, hat in der
Regel das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums, eines Realgym-
nasiums oder eiuer Oberrealschule vorzulegen, ein drei- bis vierjähriges llni-
versitätsstudium nachzuweisen, nach dessen Schluß eine Prüfung abzulegen
und regelmäßig hernach noch einen pädagogisch-didaktischen Kurs von ein-
jähriger Dauer zu besuchen.
17*
260
Die innere Verwaltung
795 3. In Bayern bestehen vier H a u p t f o r m e n von humani-
stischen und realistischen Mittelschulen.", " Die humanistische »
Gymnasien haben den Zweck, die männliche Jugend
aus der Grundlage höherer allgemeiner Bildung zu selbstän-
digem Studium vorzubereiten. Der lateinischen und der griechischen
Sprache sind erheblich nlehr Unterrichtsstunden als den anderen
Fächern gewidmet; englische und italienische Sprache sind nur Wahl-
fächer. Französische Sprache ist Pflichtfach; auch Arithmetik, Mathe-
matik und Physik werden als Pflichtfach gepflegt. Der Unterricht
umfaßt neun Jahreskurse. Wer in die erste Klasse eintreten will, muß
in der Regel das zehnte Lebensjahr vollendet haben oder in denl be-
treffenden Kalenderjahr noch vollenden. Der Vorstand führt den
Titel Rektor; ihm steht ein Konrektor zur Seite; die Rektoren einiger
Anstalten führen den Titel Oberstudienrach Zur Beratung wichtiger
Angelegenheiten, zur Erhaltung der Einheit und des Zusammen-
hangs des Unterrichts, zur wechselseitigen Mitteilung der ans die
Anstalt beziiglichen Wahrnehmungen finden Sitzungen des Lehrer-
rats statt, der sich in der Hauptsache aus allen „Ordinarien", d. h.
denjenigen Lehrern zusammensetzt, die in einer Klasse die meisten
Stunden erteilen. Die ordentlichen Lehrer der wissenschaftlichen
Fächer führen teils den Namen Gymnasiallehrer, teils den Namen
Gymnasialprofessor; außerdem werden den Anstalten nach Bedarf
Assistenten zugewiesen.
796 Als Anstalten, die nur einen Teil des Unterrichts vermitteln, der an
den humanistischen Gymnasien erteilt wird, erscheinen die P r 0 -
g y m n a s i e n und die Lateinschulen; erstere weisen sechs
Unterrichtsklassen auf, entsprechend den sechs unteren Klassen der
humanistischen Gymnasien, letztere fünf oder weniger Klassen, ent-
sprechend den betreffenden Klassen des humanistischen Gymnasiums.
Die Vorstände der Progymnasien führen den Titel Rektor, die der 10 11
10 Bayern zählt zurzeit 46 humanistische Gymnasien, 32 Progymnasien,
9 Lateinschulen, 4 Realgymnasien, 46 Realschulen, 9 Oberrealschulen.
11 In neuerer Zeit hat man vielfach als einen Mangel empfunden, daß
bei dem jetzigen Lehrplan der Mittelschulen die Eltern genötigt sind, sich
darüber, welche Schule ihre Kinder dauernd besuchen sollen, bereits zu ent-
schließen, wenn diese Kinder erst 9 oder 10 Jahre alt sind, ein Alter, in wel-
chem häufig noch gar nicht erkennbar ist, ob die Kinder für ein höheres Stu-
dium überhaupt befähigt sein werden, und in welchem noch seltener bereits
eine auf einen künftigen Beruf hinweisende besondere Begabung hervortritt.
Ilm diesem Mißstande zu begegnen, hat man in verschiedenen Städten
Deutschlands versuchsweise sog. Reformgymnasien errichtet. In
Bayern ist dem Realgymnasium in Nürnberg eine Reformschule ange-
gliedert.
Die Mittelschulen
261
Lateinschulen den Titel Subrektor, die ordentlichen Lehrer der erste-
ren den Titel Gymnasiallehrer, die der letzteren den Titel Studien-
lehrer. Am Schlüsse der sechsten Klasse findet an den Progymnasien
eine Abgangsprüsung statt. Schüler, die von einer Lateinschule an
ein Gymnasium oder an ein Progymnasium übertreten, werden nur
aus Probe aufgenommen. Mit den drei unteren Klassen der Pro-
gynmasien und Lateinschulen können Realklassen verbunden werden.
4. Die Realgymnasien bezwecken, aus dem in den unteren 797
drei Klassen des humanistischen Gymnasiums gelegten Grunde wei-
terbauend, eine höhere allgemeine Bildung unter besonderer Beto-
nung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer zu gewähren.
Sie umfassen sechs Jahreskurse mit den Ordnnngszisfern vier bis
neun. Der lateinischen und der französischen Sprache ist eine nicht
unerhebliche Stundenzahl gewidinet. Das Ausnahmealter ist ent-
sprechend den: Aufnahmealter bei den humanistischen Gymnasien
geregelt. Für den Vorstand und den Lehrerrat gilt das bei den
humanistischen Gymnasien Gesagte. Den Lehrerrat bilden jedoch hier
nicht die Ordinarien, sondern die Lehrer gewisser (der wichtigeren)
Fächer. Die Bezeichnung der Lehrer ist die gleiche wie bei den huma-
nistischen Gymnasien. Eine Anzahl der Realgymnasien hat nun einen
selbständigen Unterbau.
5. Die Realschulen sollen aus sprachlich-historischer und 798
mathematisch-naturwissenschaftlicher Grundlage eine höhere bürger-
liche Bildung gewähren; sie umfassen sechs Jahresklassen. Ausnahms-
weise kann auch die Errichtung von Realschulen gestattet werden,
die nur die vier unteren Klassen umfassen, sogenannte „vierklassige
Realschulen". Für Schiller der 6. und 6. Klasse kann eine besondere
Handelsabteilung gebildet werden. Wegen des Eintritts-
alters gilt das bei den humanistischen Gymnasien Gesagte. Der Vor-
stand führt den Titel Rektor; die ordentlichen Lehrer werden als
Reallehrer bezeichnet; nach Bedarf werden Assistenten aufgestellt.
Es besteht ein Lehrerrat mit denselben Ausgaben und mit ähnlicher
Zusammensetzung wie bei den Realgymnasien. Mit den drei unteren
Klassen von Realschulen können Lateinklassen verbunden werden.
6. O b e r r e a l s ch u l e n bestehen in Bayern erst seit l. Septem- 799
ber 1907; sie sollen allgemein bildende Unterrichtsanstalten mit deni
Ziele der Vorbereitung zum Hochschulstudium sein. An der Spitze
steht der Rektor, der bei einigen Anstalten den Titel Oberstudienrat
führt, neben diesen! steht ein Konrektor; die Lehrer führen die Be-
zeichnungen Professor oder Reallehrer; zur Aushilfe werden Assisten-
ten beigegeben. Die Anstalten umfassen neun Jahreskurse, die Mehr-
262
Die innere Verwaltung
zahl der Stunden is^für den Unterricht in den Naturwissenschaften,
in der französischen Sprache, tu der deutschen Sprache, in der Mathe-
matik und im Zeichnen bestintnit.
7. Als besondere technische Unterrichtsanstalt besteht ein „T e ch -
nikum" zu Nürnberg, und als Institut ztlr Fortbildung und Aus-
bildung von Lehrern der gewerblichen Fortbildungsschulen und der
Gewerbeschulen besteht die „B a u g e w e r k s ch u l e mit Ge-
werbe I e h r e r i n st i t u t" zu München.
§ 5. Die Hochschulen.
I. Die Universitäten.
1. Die Universitäten dienen den wissenschaftlichen Studien über-
haupt und besonders der Vorbereitung zu den wissenschaftlichen Be-
rnfsarten. Sie sind die Pflanzstätten der Wissenschaft und ihre
Bliite ist für das Kultur- und Geistesleben des deutschen Volkes von
größter Bedeutung.
Die Hochschulen leiten ihre Angelegenheiten selbständig mtter der
Oberaufsicht der Staatsregierung (d. h. in Bayern des Ministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten). Für sie gilt der
Grundsatz der Freiheit der w i s s e tt s ch a s t l i ch e n For-
s ch u n g, d. h. die Lehrer sind in ihrer Forschung und Lehrtätigkeit
an keinerlei Voraussetzungen, insbesondere nicht etwa an kirchlich-
dogmatische Lehrsätze, gebunden. Bei Neubesetzung voit Lehrstühlen
sind die Hochschulen befugt, der Regierung Vorschläge zu.machen.
Die Universitäten siitd ferner berechtigt, nach vorausgegangener
Prüfung die Doktorwürde zu verleihen. An Personen, welche
sich um die Wissenschaft besonders verdient gemacht haben, wird zn-
weilen diese Würde von den Hochschulen als besondere Ehrung
(honoris causa) verliehen (Ehrendoktore tt).
Bayerit besitzt drei Universitäten: i tt M ü tt ch e tt,
Wti rzburgund Erlangen; att der Spitze eitter jeden steht ein
Rektor, itt Erlangen ein Prorektor.^ Der Rektor (Prorektor) wird
voit den ordentlichen ttnd den außerordetttlichen Professoren gewählt
und bedarf der Bestätigung durch den König. Die eigetttliche Lei-
tung obliegt betn Senat; dieser setzt sich in der Hauptsache zusammen
aus deut Rektor (in Erlangen dem Prorektor) und einer Anzahl Pro-
sessorett als Senatoren. Fiir die Verlvaltung des Vermögens der
llniversitäten bestehen besondere Verwaltuttgsattsschüsse.
AIs Rektor der Universität Erlangen gilt der König.
Die Hochschulen
263
Die Laufbahn der Hochschullehrer beginnt in der Regel mit der 803
Niederlassung („Habilitierung") als Privatdozent; diese be-
ziehen noch keinen Gehalt, sondern nur die Vorlesungshonorare
ihrer Hörer. Die für bestimmte Fächer dauernd angestellten Lehrer
heißen ordentliche Professoren, im Gegensatz zu den
außerordentlichen Professoren, welche nicht Inhaber
eines ständigen Lehrstuhls und daher auch nicht vollstimmberechtigte
Mitglieder ihrer Fakultät sind. Verdiente Beamte oder Gelehrte
endlich erhalten mit dem Ehrentitel eines Honorarprofessors
nicht die Pflicht, sondern nur das Recht, an einer Universität zu
lehren.
Die Lehrer sind in Fakultäten (= Wissenssächer) zusam- 804
mengesaßt, in der Hauptsache bestehen auch in Bayern wie an den
sonstigen Universitäten vier Fakultäten, die theologische, die juri-
stische, die medizinische und die philosophische; die letztere umfaßt
auch die mathematischen und die naturwissenschaftlichen Fächer. An
der Spitze der Fakultäten steht der Dekan, der jährlich wechselt."
Mit den Universitäten ist regelmäßig eine Reihe besonderer
Anstalten verbunden: Bibliotheken, Kliniken, Seminare und sonstige
wissenschaftliche Institute verschiedener Art.
2. Die Aufnahme der Studierenden in den Universitätsverband 805
(die Erwerbung „des a k a d e m i s ch e u Bürgerrecht s") ge-
schieht durch Immatrikulation. Diese besteht in der Verpflichtung
auf die Universitätssatzungen, die durch den Rektor erfolgt, und in
der eigenhändigen Eintragung des Namens des Studierenden in das
Matrikelbuch der Universität, d. i. das Verzeichnis der Studierenden.
Zur Aufnahme als Studierender wird in der Regel die Vorlegung
des Reifezeugnisses eines hunmnistischen Gynmasiums, eines Real-
gymnasiums oder einer Oberrealschule erfordert. Wissenschaftlich ge-
bildete Männer reiferen Alters können zum Besuche einzelner Vor-
lesungen als „Hörer" zugelassen werden, eine Immatrikulation ist
für sie nicht notwendig.
Die Studienzeit ist in Sommer- und Winter - S e m e st e r 806
(-Halbjahre) geteilt. Für die einzelnen Vorlesungen, welche der
Student „belegt", hat er ein für das Semester berechnetes Honorar
zu entrichten; doch gibt es auch honorarfreie Vorlesungen. Uebrigens
herrscht an den Universitäten volle S t u d i e n s r e i h e i t, d. h. es
'3 In München besteht eine besondere staatswirtschaftlichc Fakultät. Die
philosophische Fakultät in München hat zwei Dekane. Die theologische Fa-
kultät ist in München und Würzburg eine katholisch-, in Erlangen eine
protestantisch-theologische.
264
Die innere Verwaltung
besteht kein Zwang in der Auswahl oder zum Besuch der Vorlesungen;
dagegen schreiben allerdings die verschiedenen Prüfungsordnungen
vor, daß zu den Prüfungen nur zugelassen wird, wer nachweist, daß
er bestimmte Vorlesungen, und zwar unter llmständen in bestimm-
ter Reihenfolge, gehört hat.
Weibliche Studierende, die das Reifezeugnis eines
deiltschen humanistischen Gymnasiums, eines deutschen Realgymna-
siums oder einer deutschen Oberrealschule besitzen, können in Bayern
in gleicher Weise wie männliche Studierende zur Immatrikulation
zugelassen werden. Weibliche Personen, die die bezeichneten Erforder-
nisse erfüllen, ferner weibliche Personen, die sich über den Besuch
einer Lehrerinnenbildungsanstalt und die erfolgreiche Ablegung der
Seniinarfchlußprüfung oder über den Besuch einer höheren Mädchen-
schule und die erfolgreiche Ablegung der Lehrerinnenprüfung in den
neueren Sprächet! ausweisen, können ohne weiteres als Hörerinnen
zugelassen werden, für andere weibliche Personen kann die Zulassung
als Hörerinnen nur niit ministerieller Genehmigung erfolgen.
II. Die Technische Hochschule.
1. Die Technische Hochschule in München, früher Poly-
technikum genannt, soll „eine vollständige wissenschaftliche Ausbildung
für den technischen und den Lehrberuf gewähren sowohl in den für
die allgemeine Bildung erforderlichen Kenntnissen als auch in den-
jenigen Disziplinen, die auf den exakten Wissenschaften und darstel-
lenden Künsten beruhen". Sie gliedert sich in sechs A b t e i l u n -
g e n, eine allgemeine Abteilung, eine Bauingenieur-, eiue Architek-
ten-, eine Maschineningenieur-, eiue chemische und eine landwirt-
schaftliche Abteilung. An der Spitze steht der R e k t o r, er führt den
Titel Magnifizenz und wird vom König ernannt; neben ihm ist ein
Prorekto r, d. i. der jeweils abgehende Rektor, vorhanden; daneben
besteht ein Senat, der sich aus dem Rektor, dem Prorektor und den
Vorständen der Abteilungen zusammensetzt. Die ordentlichen Lehrer
führen die Bezeichnung Professoren, sie gliedern sich in ordentliche
und außerordentliche, neben ihnen sind Lehrer, Assistenten und
Privatdozenten vorhanden. Fiir die wichtigeren Angelegenheiten
tritt das Gesamtkollegium, das sind sämtliche Professoren,
zusammen.
2. Wer als S t u d i e r e n d e r A u f n a h m e finden will, hat das
Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums, eines Realgymna-
siums, einer Oberrealschule, des bayerischen Kadettenkorps, oder einer
gleichwertigen nicht bayerischen Anstalt vorzulegen. Zur Aufnahme
in die landwirtschaftliche Abteilung genügt auch das Zeugnis über
Die Hochschulen
265
den Besuch einer landwirtschaftlichen Hochschule oder Akademie. All-
jährlich finden an den einzelnen Abteilungen Diplomprüfun-
gen (früher Absolutorialprüfungen genannt) für die verschiedenen
Fächer statt. Das Diplom befähigt dessen Träger zum Uebertritt in
die Praxis des höheren technischen Staatsdienstes. Studierende, die
eine Diplomprüfung bestanden haben, können den Titel „D i p l o m-
Jngenieur", Studierende der landwirtschaftlichen Abteilung den
Titel „Diplom-Landwirt" erhalten. Die Technische Hochschule
hat das Recht, nach näherer Maßgabe der Promotionsordnung die
Würde eines Doktors oder eines Ehrendoktors der
technischen Wissenschaften zu verleihen.
3. Zwischen den Regierungen von Preußen, 8
Bayern, Sachsen, Wiirttemberg, Baden, Hessen
und B r a u n s ch w e i g ist vereinbart, daß das Studium an den in
diesen Staaten bestehenden technischen Hochschulen für die Zulassung
zu den Staatsdienstprüfungen für das Hochbau-, Ingenieur- und
maschinentechnische Fach als gleichwertig anzusehen sei.
III. Die Lyzeen.
1. Die Lyzeen sind Spezialschulen für das philosophische 8
und katholisch-theologische Studium, sie haben vorzugsweise den
Zweck, die akademische Bildung zum geistlichen Beruf für diejenigen
zu vermitteln, die keine Universität besuchen. Es bestehen in Bayern
sechs königliche Lyzeen zu Freising, Passau, Regensburg, Bamberg,
Dillingen und Augsburg.^ An der Spitze stehen Rektoren, die vom
König ernannt werden; die Professoren scheiden sich in ordentliche
und außerordentliche, sie stehen den Professoren der Universitäten im
Range gleich und werden vom König ernannt.
2. Zur Aufnahme als Studierende r wird für die Regel die 8
Vorlegung des Reifezeugnisses eines humanistischen Gymnasiums
des Deutschen Reichs gefordert. Wissenschaftlich gebildete Männer
reiferen Alters können als „Hörer" zugelassen werden; damit ist
ihnen der Besuch einzelner Vorlesungen gestattet. Der Unterricht
umfaßt vier Jahreskurse, von denen einer aus das philosophische,
drei auf das theologische Studium treffen. Die an einem Lyzeum
zugebrachte Studienzeit wird hinsichtlich des philosophischen und
des theologischen Studiums der Universitätsstudienzeit gleichgeachtet.
IV. Tic K. Forstliche Hochschule zu Aschaffenburg.
1. Sie ist zunächst dazu b e st i m m t, jungen Männern, die sich z
dem bayerischen Staatsforstverwaltungsdienst zuwenden wollen, 13
13 Daneben besteht noch ein bischöfliches Lyzeum zu Eichstätt.
266
Die innere Verwaltung
Während der zwei ersten Jahre des für sie vorgeschriebenen Fach-
studinms die erforderliche Ausbildung zu geben. Sie soll aber auch
anderen Studierenden, die den Eintritt in den bayerischen Staats-
forstverwaltungsdienst nicht anstreben, eine sorstwissenschastliche Aus-
bildung bieten. Die Oberleitung obliegt dem Kultusministe-
rinin und dem Finanzministerium gemeinschaftlich.
814 Die Lehrer sind entweder Professoren, und zwar ordentliche
und außerordentliche, oder Dozenten oder Assistenten. An der Spitze
steht ein Direktor, dem der aus ¿eit Professoren und den Dozenten gebil-
dete Lehrerrat zur Seite tritt. Zur Ausnahme als Aspirant für
den bayerischen Staatsforstverwaltungsdienst wird das Reifezeugnis
eines im Deutschen Reiche gelegenen humanistischen oder Realgym-
nasiums oder einer bayerischen Oberrealschule gefordert. Andere
Studierende haben den Nachweis der zum Verständnis der Vor-
lesungen erforderlichen allgemeinen Bildung zu erbringen. Die
Aspiranten des bayerischen Staatsforstverwaltungsdienstes haben
eine Absolutorialprüsung abzulegen, der sie sich hinsichtlich
eines Teiles der Fächer schon am Schlüsse des ersten Studienjahres
unterziehen können. Die übrigen Hörer können Prüfungen in den
einzelnen Fächern ablegen.
V. Die Akademie für Landwirtschaft und Brauerei.
815 1. Sie befindet sich in Weihenstephan und soll Studierenden
höhere Ausbildung in Landwirtschaft und Brauerei gewähren, außer-
dem Personen, die bereits landwirtschaftliche Kenntnisse besitzen, und
Interessenten aus anderen Berusskreisen Gelegenheit zur Ausbil-
dung aus dem Gebiet der Landwirtschaft und Brauerei geben, Kurse
zur Ausbildung landwirtschaftlicher Wanderlehrer veranstalten und
auch sonst die Landwirtschaft und die Brauerei fördern.
816 Vorbedingungen für die Ausnahme sind mindestens
die wissenschaftliche Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militär-
dienst, mindestens einjährige praktische Lehrzeit und Zurücklegung
des siebzehnten Lebensjahres. Das vollständige Lehrmaterial für
das Studium der Landwirtschaft ist aus vier, für das der Brauerei
aus zwei Semester verteilt.
817 2. Mit der Anstalt sind Nebenanstalten verbunden:
die K. G a r t e n b a u s ch u l e zur Ausbildung von Gärtnern und
Baumwärtern, die K. B r e n n e r e i s ch u l e zur Ausbildung von
Arbeitern für Brennereien und zur Weiterbildung von Brennmei-
stern, Brennereibesitzern und sonstigen Interessenten, die K. Mol-
ke r e i s ch u l e zur Heranbildung von Arbeitern für Molkereibe-
triebe, zur Anleitung für die Pflege von Milchvieh und Jungvieh
und für die Haltung von Schweinen, die S a a t z u ch t a n st a l t als
Die Hochschulen
267
Mittelpunkt der Bestrebungen für die Züchtung landwirtschaftlicher
Kulturpflanzen und als Organ zur Förderung der Entwicklung der
landwirtschaftlichen Saatgutzüchtung, die P r ü f u n g s a n ft a l t
und Auskunftsstelle für landwirtschaftliche und
Brauerei m aschinen zur Prüfung von Maschinen, Geräten
und technischen Einrichtungen für landwirtschaftliche und für
Branereibetriebc und zur Erteilung von Ausschlüssen au die Land-
wirte und ihre Vertretungen aus dem Gebiet des Maschinenwesens."
§ <>. Die privaten Erziehungs- und ttntcrrichtsanftaltcn.
Private Erziehungs- und Unterrichtsanstal - 8
t e u, d. h. solche, die weder vom Staate, noch von den Kreisen er-
richtet werden, noch von den Gemeinden zur Erfüllung einer gesetz-
lichen Verpflichtung gegründet werden, dürfen ohne staatliche Geneh-
migung nicht errichtet werden. Die staatliche Genehmigung ist auch
erforderlich für Waisenhäuser, Rettungshäuser, Kleinkinderbewahr-
anstalten und ähnliche Wohltätigkeitsanstalten, die zugleich Erzie-
hungsanstalten sind. Sie wird je nach der Bedeutung der Anstalt
vonl Kultusministerium, den Kammern des Innern der Kreisregie-
rungen oder den Distriktsverwaltungsbehörden erteilt. An den An-
stalten dürfen als Leiter, Lehrer und Bedienstete nur Personen tätig
sein, gegen deren sittliche und bürgerliche Unbescholtenheit keine Be-
denken bestehen; die Begründer und Unternehmer haben die erforder-
lichen Mittel nachzuweisen; die Lehrer müssen die für ihr Fach ein-
gerichteten staatlichen Prüfungen bestanden haben. Die Anstalten
unterstehen der Aufsicht des Staates; diese wird in der Regel zunächst
von den zur Genehmigung zuständigen Organen geübt. Die Auf-
sichtsbehörden haben die Anstalten wenigstens einmal im Jahre zu
besichtigen. Die Genehmigung zum Anstaltsbetrieb kann aus wich-
tigen Gründen zurückgenommen werden.
§ 7. Die öffentlichen Erziehungsanstalten.
In Bayern besteht eine Anzahl öffentlicher E r z i e - 8
hungsanstalte n, deren Zöglinge häufig die staatlichen Schulen
besuchen, so das Georgianum für Studierende der Theologie in
München, das Königliche Maximilianeum in München, begründet
nach den letztwilligen Verfügungen des Königs Maximilian II. zur
Ausbildung von jungen Männern für die höheren Aufgaben des
Staatsdienstes, das Adelige Julianum zu Würzburg, das Max
Joseph-Stift in München, die an verschiedenen Orten befindlichen
Erziehungsinstitute, Alumneen und Knabenseminare.
" Wegen der Tierärztlichen Hochschule s. Nr. 1158 Anm. 4.
268
Die innere Verwaltung
8 8. Die Fürsorge für blinde, taubstumme und
krüppelhafte Kinder.
Der Fürsorge für Blinde dient vor allem die Blinden-
erziehungsanstalt in München, sie ist bestimmt für den Unterricht
und die Erziehung Blinder; mit ihr ist eine Blindenbeschäftigungs-
anstalt verbunden; ferner ist ihr eine Versorgungsanstalt für ehe-
malige weibliche Zöglinge der Blinöenerziehungsanstalt angeglie-
dert. Auch aus der Anstalt entlassene Blinde werden durch die
Anstalt in ihrer Erwerbstätigkeit unterstützt. Neben dieser zen-
tralen Anstalt bestehen noch in verschiedenen Städten Blindenanstal-
ten von örtlicher Bedeutung. Zur Erziehung taubstummer
Kinder besteht das Zentral-Taubstummeninstitut in München; dem
gleichen Zweck dienen eine Anzahl von ähnlichen Anstalten in den
Provinzen; der Fürsorge für arme krüppelhafte Kinder
dient die Zentralanstalt für Erziehung und Bildung krüppelhafter
Kinder in Miinchen.
8 8. Die Zwangserziehung.
Gegen minderjährige, d. h. noch nicht einundzwanzig Jahre alte
Personen, kann die Zwangserziehung angeordnet
werde n, wenn sie notwendig ist, um das sittliche Verderben, unter
Umständen auch, um die körperliche Verwahrlosung des Minderjäh-
rigen zu verhüten. Sie tritt häufig dann ein, wenn die Eltern ihre
Erziehungspflicht vernachlässigen oder sich eines ehrlosen oder unsitt-
lichen Verhaltens schuldig machen. Sie besteht darin, daß der Min-
derjährige dem Kreis, in dem er bisher lebte, entzogen und in einer-
geeigneten Familie oder einer Erziehnngs- oder Besserungsanstalt
untergebracht wird.
Die Zwangserziehung w i r d vo m V o r m n n d s ch a f t s g e -
richt, d. i. das Amtsgericht, angeordnet; der Vollzug dieser
Anordnung obliegt den Distriktsverwaltungsbehörden; diese bestim-
men, ob der Minderjährige in einer Familie oder in einer Anstalt
und in welcher Familie oder in welcher Anstalt er untergebracht wer-
den soll. Das Vormundschaftsgericht kann die Zwangserziehung auch
wieder aufheben. Sie soll über das achtzehnte Lebensjahr nur aus-
nahmsweise fortgesetzt werden. Die Zwangserziehung erfolgt ans
öffentliche Kosten, bei Personen, die in Bayern beheimatet sind,
auf Kosten der Heimatgemeinde, bei anderen Personen auf
Kosten des Staates. Heimatgemeinde und Staat können aber aus
etwaigem Vermögen des Minderjährigen oder solcher Personen, die
ihm gegenüber unterhaltspflichtig sind, Ersatz verlangen. Kann die
Die Zwangserziehung
269
Heimatgemeinde in dieser Weise zu einem Ersatz nicht kommen, so
sind ihr die Kosten zu ein Fünftel von der Distriktsgemeinde, 31t zwei
Fünftel aus der Staatskasse zu ersetzen.^
B. Wissenschaft und Kunst.
I. Die oberste Leitung.
Die 0 b e r st e L e i t u n g der auf Wissenschaft und Kunst bezllg- 82z
liehen Angelegenheiten obliegt in der Hauptsache dem Kultusmini-
sterium; unter ihm stehen eine Reihe von Anstalten und Einrichtun-
gen, die der Pflege der Wissenschaft und der Kunst dienen.
II. Die Anstalten zur Förderung der Wissenschaft.
1. Der Förderung der Wissenschaft dienen die bereits erwähn- 824
ten Schulen, vor allem die Hochschulen; im übrigen ist zimächst her-
vorzuheben die Akademie der Wissenschaften in München.
Sie ist ein Verein von Gelehrten zur Pflege der Wissenschaften, ins-
besondere auch zur Schaffung von Werken, die ein einzelner nicht
schaffen könnte. Ausgeschlossen sind aus ihrem Wirkungskreis die
„besonderen positiven Wissenschaften", wie Theologie, Jurisprudenz,
Nationalökonomie und Medizin. Dagegen fallen in ihr Gebiet Philo-
sophie, Philologie, Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften. An
der Spitze steht ein Präsident, er wird vom König ernannt. Der
Erwerb der Mitgliedschaft erfolgt durch freie Wahl durch die Mit-
glieder, die Wahl bedarf der königlichen Bestätigung.
2. Der bayerische Staat hat eine Reihe wissenschaftlicher 825
Sammlungen; ans diesen mögen hervorgehoben werden; der
Botanische Garten und das Pflanzenphysiologische Institut, die Eth-
nographische Sammlung, die Geologische Sammlung, das Müuzkabi-
uett, die Paläontologische Sammlung, die Sternwarte, das Erd-
magnetische Observatorium. Fiir die Verwaltung der einzelnen
Sammlungen sind Direktoren bestellt. Die Aufsicht über diese 15
15 Die Unterbringung in eine Zwangscrziehungsanstalt kann auch in
einem Strafurteil ausgesprochen werden, in welchem auf Freisprechung
eines jugendlichen Angeklagten nur deshalb erkannt wird, toeil er die zur
Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlung erforderliche Einsicht zur
Zeit der Tat noch nicht besessen hat (s. Nr. 239). In diesen Fällen erfolgt
die Unterbringung durch die Distriktsverwaltungsbehörde; die Dauer der
Verwahrung bestimmt die Kreisregierung, die Kosten fallen, soweit sie nicht
aus dem Vermögen des Kindes oder unterhaltungspflichtiger Verwandter
gedeckt werden können, der Staatskasse zur Last.
270
Die innere Verwaltung
Sammlungen wird von dem Generaldirektor der wissen-
schaftlichen Sammlungen des Staats geführt.
3. Daneben bestehen eine Reihe sonstiger Anstalten zur Förde-
rung der Wissenschaft und der Kunst, so die H o f - und Staats-
bibliothek zu M ii n ch e n , die Universitätsbibliotheken, die
Königliche Bibliothek zu Bamberg und eine Anzahl Provinzialbiblio-
theken/o ferner, unter dem Ministerium des Königlichen Hauses und
des Aeußern stehend, das Geheime Haus- tind Staats-
archiv zu München, und unter dem Ministerium des Innern
stehend, die st a a t l i ch e n Archive, nämlich das Allgemeine
Reichsarchiv 31t München und die an verschiedenen Orten des
Königsreichs errichteten Kreisarchive, weiter das ebenfalls unter die-
sem Ministerium stehende S t a t i st i s ch e Landesamt zu Mün-
chen (früher Statistisches Bureau genannt), dessen Hauptaufgabe es
ist, das für die Landes- und die Reichsstatistik zu liefernde Material
zu sammeln, zu bearbeiten und zu veröffentlichen. Zur Unterstützung
steht ihm der im wesentlichen aus Vertretern der Ministerien, der Wis-
senschaft, der Landwirtschaft, der Industrie, der Gewerbe und des
Handels gebildete S t a t i st i s ch e Beirat zur Seite.
Als Reichsbehörde ist zu erwähnen die Physikalisch-tech-
nische R e i ch s a n st a l t zu Charlottenburg für die ver-
suchsmäßige Förderung der exakten Naturforschung und Präzisions-
technik.
III. Tic zeichnende, malende und plastische Kunst.
1. Der Förderung der bildenden Kunst dient in erster Linie die
Akademie der bildenden K ü n st e in Miinchen. Sie ist
einerseits eine Lehr- und Bildnngsanstalt^ und anderseits eine
Knnstgesellschaft. Der Unterricht umfaßt alle Zweige der bildenden
Kunst und erfolgt vorzugsweise durch praktische Ausbildung, daneben
wird auch theoretischer Unterricht erteilt. In ihrer zweiten Eigen-
schaft erscheint die Akademie als „gelehrte Gesellschaft" und dient in
der bei solchen üblichen Weise den Zwecken der Kunst, so durch Her-
stellung der Verbindung mit anderen Künstlern, durch Beratung
10 Die Befähigung zur Anstellung im höheren Biblio-
thek d i e n st wird durch Ableistung eines einundeinhalbjährigen Vorbe-
reitungsdienstes und Ablegung der bibliothekarischen Fachprüfung erworben.
Die Zulassung zum Vorbereitungsdienst wird nur erteilt bei Vorlegung des
Reifezeugnisses eines deutschen humanistischen Gymnasiums, eines Real-
gymnasiums oder einer Oberrealschule und des Zeugnisses über das Be-
stehen einer Staats- oder Hochschulabgangsprüfung, so einer der Prüfungen
für den Unterricht in den Sprachen oder der ersten juristischen Prüfung.
37 Die Zahl der Schüler im Semester bewegt sich zwischen 400 und 500.
Die Anstalt hat den Charakter einer Hochschule.
Wissenschaft und Kunst
271
künstlerischer Fragen, durch Veranstaltung von Ausstellungen. An der
Spitze steht ein Direktor, dem Professoren und Dozenten beigegeben
sind.
2. Der bayerische Staat besitzt an verschiedenen Orten, Hauptfach- 828
lich in München, K u n st s a m m l u n g e n. Fiir die oberste Leitung
und Verwaltung der staatlichen Gemäldesammlungen des König-
reichs ist der „Zentralgemäldegalerie-Direktor" be-
rufen. Daneben besteht eine Direktion zur Verwaltung der Königl.
Graphischen Sa m m l u n g (früher als Kupferstich- und Hand-
zeichnungen-Sammlung bezeichnet). Fiir die Begutachtung der die
staatlichen Kunstsammlungen berührenden gemeinschaftlichen Ange-
legenheiten sowie fiir besonders wichtige Angelegenheiten der ein-
zelnen Kunstsammlungen ist eine besondere Kommission, die Gene-
r a l k 0 m m i s s i 0 n der Kunstsammlungen des Staa-
tes, errichtet. Den Vorsitz führt der Kultusminister oder ein von
ihm bestellter Vertreter. Zur Beratung iiber Erwerbungen für die
staatlichen Kunstsammlungen werden Spezialkommissionen gebildet.
IV. Die Akademie der Tonkunst.
Die Akademie der Tonkunst (früher als Konservatorium fiir 829
Musik bezeichnet) bezweckt die höhere Ausbildung ans dem Gesamt-
gebiet der Musik; mit ihr sind ein Seminar zur Ausbildung für den
Lehrberuf im Klavierspiel und eine Vorschule für die Orchesterinstrn-
mente verbunden. An der Spitze stehen ein erster und ein zweiter
Direktor, von denen der erstere die kiinstlerischen, der zweite die ge-
schäftlichen Angelegenheiten verwaltet. Neben ihnen sind ein Sekre-
tär und eine Anzahl von Lehrern und Lehrerinnen bestellt. Die Be-
handlung wichtigerer Angelegenheiten erfolgt durch einen Lehrerrat.
Zur Aufnahme wird in der Regel die Zurücklegung des sechzehnten
Lebensjahrs, eine gewisse allgemeine Bildung und ein gewisses Mas;
technischer Kenntnisse erfordert; die Ausnahme ist von dem Bestehen
einer Prüfung abhängig.
V. Die Erhaltung anthropologisch, geschichtlich oder künstlerisch
wertvoller Gegenstände.
1. Zur Pflege der prähistorischen und historischen Denkmale 830
Bayerns besteht in München das Generalkonservatorium
der K n n st d e n k m a l e und Altertümer Bayerns.
Diesem obliegt hauptsächlich die Auszeichnung und Erhaltung der
Denkmale, die Ueberwachung der Ausgrabungen und Funde, die
Fiirsorge für öffentliche Museen, die nicht unter staatlicher Verwal-
tung stehen. Dem Konservatorium sind eine Konservierungs- und
eine Restaurationsanstalt beigegeben. Zur Förderung der Bestre-
272
Die innere Verwaltung
bungen zur Erhaltung prähistorisch und historisch merkwürdiger
Gegenstände ist bestimmt, daß Grabungen nach solchen Gegenständen
nur mit Genehmigung der Distriktsverwaltungsbehörde vorgenom-
men werden dürfen, und daß, wenn solche Gegenstände bei Erd-,
Bau- oder Abbrucharbeiten zufällig gefunden werden, der Orts-
polizeibehörde Anzeige zu machen ist.
831 2. Es sind eine Reihe von Maßnahmen getroffen zur Erhaltung
der aus alter Zeit überkommenenen h i st 0 r i s ch oder k ü n st -
l e r i f ch wertvollen Baudenkmäler. Bei den Distrikts-
Verwaltungsbehörden wird ein Verzeichnis der in ihrem Bezirke vor-
handenen, geschichtlich und architektonisch interessanten Baudenk-
mäler geführt. Durch ortspolizeiliche lind distriktspolizeiliche Vor-
schriften ist Sorge dafür getroffen, daß alte Befestigungsanlagen mit
ihren Mauern, Gräben, Türmen erhalten werden. Die Gemeinde-
verwaltungen, Distriktspolizeibehörden und Landbauämter sind an-
gewiefen, dafür zu sorgen, daß von interessanten bürgerlichen Wohn-
häusern, bevor sie abgebrochen werden, Aufnahmen gemacht werden.
Die Behörden, die die Aufsicht über die Verwaltung des Kirchen-
vermögens haben, haben auf Erhaltung der kirchlichen Kunftschätze
und des inneren Gesamtbildes der kirchlichen Monumentalbauten
hinzuwirken.^
832 3. Zur Sammlung aller für die Geschichte des heutigen Bayerns
merkwürdigen Gegenstände, wobei neben der Geschichte des Fürsten-
hauses auch vorzüglich das Volksleben berücksichtigt werden soll, ist
das bayerische National m u s e u m in München bestimmt.
C. Acrs Kirsch enwesen.
I. Die Stellung des Staates zum religiösen Bekenntnis und zu
den Kirchen.
833 1. Die kirchlichen Organisationen sind ebenso wie andere Erschei-
nungen des gesellschaftlichen Lebens etwas neben dem Staat Bestehen-
des. Sie treten jedoch in unseren modernen Staaten in rechtliche
Beziehungen zu der Staatsgeivalt. Die Normen, durch
die die Verhältnisse der religiösen Organisationen geregelt werden, 18
18 Zum Schuh der Naturgebilde Bayerns, deren Erhaltung einem
idealen Interesse der Allgemeinheit dient, hat sich durch den Zusammenschluß
einer Reihe von einschlägigen Vereinigungen ein Landesausschuß
für Naturpflege gebildet, dem eine große Anzahl in verschiedenen
Teilen des Landes gebildeter Ausschüsse für Naturpslege fördernd zur «Leite
steht.
Das Kirchenwesen
273
gehen deshalb an sich von den zur Normgebung bestimmten Organen
der religiösen Vereinigungen aus; allein der Staat läßt ihnen nicht
volle Freiheit; er regelt kirchliche Verhältnisse teils selbst, teils setzt
er den Organen der Kirche Schranken und so hat das Kirchenrecht
teils kirchlichen, teils staatlichen Ursprung?" Im Mittelalter brachte
die katholische Kirche den Standpunkt zur Anerkennung, daß kirchliche
Verhältnisse nur durch die Kirche geregelt werden dürfen; der
moderne Staat hat es verstanden, diesen Grundsatz zu erschüttern,
und läßt der Kirche nur innerhalb der von ihm durch die Staats-
gesetze gezogenen Grenzen die Freiheit. Bisweilen erfolgte die
Regelung kirchlicher Verhältnisse durch Verträge zwischen dem Staat
und der Kirche, die sogenannten K o n k o r d a t e. So hat insbesondere
Bayern im Jahre 1817 ein Konkordat mit dem päpstlichen Stuhl ver-
einbart, durch das eine grundsätzliche Regelung der Verhältnisse der
katholischen Kirche im bayerischen Staat erfolgte und das neben dem
sogenannten Religionsedikt, einem Teil der Verfassungsurkunde, die
Grundlage für die Stellung der Kirche in Bayern bildet.
2. Durch die Verfassungsurkunde ist jedem Einwohner Bayerns 834
die Gewissensfreiheit gesichert, d. h. er darf in Gegenständen
des Glaubens und des Gewissens keinem Zwang unterworfen werden
und es darf niemand, gleichgültig zu welcher Religion er sich beken-
nen mag, die einfache Hausandacht untersagt werden. Es ist deshalb
auch einem jeden die Wahl seines Glaubensbekenntnisses freigestellt
lind Beschränkungen, die die Satzungen der Religionsgesellschaften in
dieser Richtung ausstellen, haben in Bayern keine rechtliche Wirksam-
keit. Diese Selbstbestimmung steht aber nur solchen Personen zu, die
das 21. Lebensjahr zurückgelegt haben und im Besitze ihrer Geistes-
kräfte sind.
Der Austritt aus einer Glaubensgesellschaft und der 835
Übertritt von einer Kirche zu einer anderen können nur durch per-
sönliche Erklärung bei dern Pfarrer oder dem sonstigen geistlichen
Vorstand der Kirche, die verlassen werden soll, und dem der neuge-
wählten Kirche erfolgen?" 19 20
19 Unter kanonischem Recht (sogenannt nach den canon63 —
Rechtssatzungen der Kirche) versteht man alles von kirchlichen Organen aus-
gehende Recht, gleichgültig, welche Gebiete es regelt, und so hat denn auch im
Mittelalter die katholische Kirche nicht bloß kirchliche Verhältnisse in den Be-
reich ihrer Gesetzgebung gezogen, sondern fast alle Gebiete des Rechtslebens
geregelt, so insbesondere auch strafrechtliche, zivilrechtliche und prozessuale
Vorschriften getroffen.
20 Hinsichtlich der religiösen Erziehung der Kinder
sind besondere Bestimmungen für die Kinder aus gemischten Ehen getroffen;
maßgebend ist für die Religion der Kinder in erster Linie die Bestimmung
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 18
274
Die innere Verwaltung
Durch ein besonderes Reichsgesetz wurde dann weiter der Grund-
satz ausgesprochen, daß das religiöse Bekenntnis der Staatsangehö-
rigen ohne Einfluß auf die bürgerlichen lind staatsbürgerlichen
Rechte ist.
8z6 Z. Die Stellung des Staates gegenüber den Glaubensge-
fell f ch a f t e n ist in Bayern verschieden, je nachdem sie als
öffentliche Kirchengesellschasten oder als Privat-
kirche n g e s e l l s ch a f t e n anerkannt sind. Als öffentliche Kirchen-
gesellfchaften sind in Bayern nur anerkannt die katholische, die luthe-
rische und die reformierte Kirche. Als private Glaubensgesellschaften
sind anerkannt die griechische Kirche, die Altkatholiken, die Angli-
kaner, die Jrvingianer, die Mennoniten, die Methodisten, die Herren-
hnter und die Israeliten.^ Die Anerkennung als private oder als
öffentliche Glaubensgesellschaft erfolgt durch den König. Nur den
öffentlichen Glaubensgefellschaften ist gestattet, ihren Gottesdienst in
voller Oesfentlichkeit auszuüben und nur ihre Diener haben die Stel-
lung öffentlicher Beamter. Den Privatkirchengesellschaften dagegen
sind zwar gottesdienstliche Zusammenkünfte gestattet, dagegen dür-
fen sie sich nicht der Glocken oder des sonstigen Gepränges der öffent-
lichen Kirchen bedienen; ihre Religionsdiener sind im Verhältnis
zum Staat nur Privatpersonen und ihre sonstigen Befugnisse bemes-
sen sich nach den ihnen bei der Ausnahme gesetzten Bedingungen.
837 4. Im einzelnen ist der Einfluß, den der Staat auf die Glau-
bensgesellschasten ausübt, verschieden, je nachdem es sich um innere
Kirchenangelegenheiten, um Gegen st ände ge-
mischter Natur oder um weltliche Kirchenange-
legenheiten handelt. Für weltliche Angelegenheiten
hat der Staat den Grundsatz aufgestellt, daß er allein entscheidet.
Was weltliche Angelegenheiten sind, ist durch die Bestimmungen der
Versassungsurkunde festgesetzt. Dazu gehören insbesondere die
Regelung der Vermögensverhältnisse der Geistlichen und der Kirchen,
die Pflicht zur Erbauung und Erhaltung der Kirchen und die Zulas-
eines etwaigen Ehevertrages; ist ein solcher nicht vorhanden, so folgen die
Söhne der Religion des Vaters, die Töchter der der Mutter. Die Religion
der Kinder ans ungemischten Ehen, bemißt sich im allgemeinen nach den Be-
stimmungen der Eltern. Für Streitigkeiten über die religiöse Erziehung
der Kinder ist der Verwaltnngsrechtsweg eröffnet. In erster Instanz ent-
scheidet die Distriktsverwaltungsbehörde; gegen deren Entscheidung kann
Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshos eingelegt werden.
21 Die Zahl der Katholiken beträgt in Bayern 4 608 469, die der
Lutheraner und Reformierten 1 844 699, die der Juden 65 341, die der An-
gehörigen sonstiger Bekenntnisse 15 863.
Das Kirchenwesen
275
sung zu Kirchenpfründen. In Gegenständen g e m i s ch t e r 838
Natur erfolgt die Regelung durch Zusammenwirken der staatlichen
und der kirchlichen Organe. Zu den Gegenständen dieser Art zählt
die Verfassuugsurkunde die Anordnungen über den Gottesdienst, des-
sen Ort, Zeit und Zahl, die Errichtung geistlicher Gesellschaften, die
Einteilung in Diözesen, Dekanats- und Psarrsprengel. In den
inneren rein religiösen Angelegenheiten hat der 8zg
Staat der Kirche im allgenieinen freie Hand gelassen, doch nimmt er
auch hier das Recht in Anspruch, Beschwerden gegen Mißbrauch der
geistlichen Gewalt entgegenzunehmen und ihnen abzuhelfen, bei Spal-
tungen zur Herstellung der Einigkeit mitzuwirken; vor allem aber
beansprucht der bayerische Staat das sogenannte Plazetrecht 84°
(vom lateinischen placere = gefallen), d. h. es darf kein Gesetz und
keine sonstige Anordnung der kirchlichen Gewalt publiziert oder voll-
zogen werden, ehe nicht der König sie geprüft und genehmigt hat.
Im Eingang der kirchlichen Ausschreibungen ist ausdrücklich zu er-
wähnen, daß die königliche Genehmigung erfolgt sei. Das Plazet ist
nicht erforderlich bei Weisungen, die lediglich aus bereits genehmig-
ten Verordnungen hervorgehen, ferner für Anordnungen, die nur für
die Geistlichkeit, nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind.
5. Die Allsgaben für kirchliche Zwecke sind in erster 841
Linie aus den Erträgnissen des Vermögens der kirchlichen Stiftungen
zll bestreiten: man unterscheidet hierbei das P s r ü n d e v e r -
ln ö g e it,22 23 d. h. das für den Unterhalt des Geistlichen bestimmte Ver-
mögen, und das K i r ch e n st i s t u n g s v e r m ö g e n, d. h. das für
sonstige kirchliche Zwecke, z. B. zur Instandhaltung der Kirche be-
stimmte Vermögen. Die Verwaltung des P s r ü n d e v e r m ö g e n s 842
obliegt (bei protestantischen Pfarreien unter Mitwirkung des Kirchen-
vorstalldes) dem Inhaber der Pfriillde. Er llntersteht jedoch einer
staatlichen Aufsicht (sogenannten Kuratel), die im wesentlichen von den
Kreisregierungen ausgeübt wird. Er bedarf der Genehmigung der letz-
teren insbesondere, wenn Bestandteile des Psründevermögens ver-
äußert loerdeil solleu, wenn Kapitalien ausgeliehen werdeil oder
Rechtsstreite geführt werden sollen. Die Verwaltung des K i r ch e n - 843
stistungsvermögens obliegt einem besonderen Organ, der
Kirchenverwaltung.22 Sie besteht aus dem Pfarrer, einem Vertreter
22 Zur Aufbesserung der aus den Pfründeeinkünften fließenden Bezüge
der Geistlichen gewährt der bayerische Staat erhebliche Zuschüsse.
23 In der Pfalz wird das katholische Kirchenvermögen durch die so-
genannten Fabrikrätc, die sich aus fünf oder neun Bürgern, dem Pfarrer
und einem Gemeinderatsmitglied zusammensetzen, das protestantische durch
die Presbyterien verwaltet.
18*
276
Die innere Verwaltung
der politischen Gemeinde und aus zwei bis acht besonders gewählten
Mitgliedern. Die Kirchenverwaltung hat auch die Kirchengemeinde
zu vertreten. Die Beschlüsse der Kirchenverwaltung sind säst in allen
Angelegenheiten nur dann wirksam, wenn sie die Genehmigung der
sogenannten Kuratelkirchenbehörden, das sind die Bezirksämter und
die Kreisregierungen, gefunden haben.
844 Zu den Erträgnissen des Kirchenverntögens kommen an weiteren
Einnahmen Geschenke, so die K l i n g e l b e u t e l s a m m l u n -
gen, ferner die K i r ch e n st u h I g e I d e r und Zuschüsse aus
anderen reichen K i r ch e n st i s t u n g e n. Soweit die Ein-
nahmen nicht ausreichen, sind für eine bestimmte Gemeinde Kir-
chengemeinden m lagen zu erheben. Sie können nur für be-
bestimmte, gesetzlich vorgeschriebene Zwecke erhoben werden lind wer-
den durch verhältnismäßige Zuschläge zu den direkten Staatssteuern
aufgebracht. Umlagepflichtig sind die im Bezirke der Gemeinde woh-
nenden Angehörigen der die Umlage erhebenden Konfession. Die
Einführung der Umlagen erfolgt durch Beschluß der Kirchengemeinde-
versammlung; an deren Stelle kann jedoch auch auf Antrag der Kir-
chenverwaltung eine sogenannte K i r ch e n g e m e i n d e r e Prä-
sentation treten, deren Mitglieder in ähnlicher Weise wie die
Mitglieder der Kirchenverwaltungen gewählt werden?*
845 Kirche n st e u e r n, d. h. solche kirchliche Abgaben, die zur Dek-
kung der kirchlichen Bedürfnisse nicht bloß einer einzelnen Kirchen-
gemeinde, sondern des ganzen Landes oder doch größerer kirchlicher
Verbände bestimnit sind, bestehen zurzeit in Bayern noch nicht. Für
die protestantischen Kirchen, und zwar sowohl für die rechts des
Rheins, wie für die der Pfalz ist in jüngster Zeit dem Könige die Er-
mächtigung erteilt worden, solche einzuführen.^ Sie dürfen aber nur
für bestimmte Zwecke erhoben werden, vor allem zur Unterstützung
überbürdeter Kirchengemeinden und zur Bestreitung der Bezüge der
Geistlichen und ihrer Hinterbliebenen. Sie werden in Form eines
verhältnismäßigen Zuschlags zu den direkten Staatssteuern erhoben.
Kirchensteuerpflichtig sind alle Protestanten, die mit einer direkten
Steuer veranlagt sind. Ueber die Ausgaben, die aus den Kirchen-
steuern zu bestreiten sind, und über die Erhebung der Steuer beschlie-
ßen besondere, den Generalsynoden nachgebildete Steuerst) n o-
d e n. * 25
In der Pfalz ist der Rechtszustand hinsichtlich der Erhebung von
Kirchenumlagen ein anderer; doch sind auch hier die Pfarreiangehörigen
nach Maßgabe der Steuer umlagepflichtig. Die Festsetzung der Umlagen
erfolgt auf Antrag des Gemeinderats durch das Bezirksamt.
25 Bisher wurde hiervon nicht Gebrauch gemacht.
Das Kirchenwesen
277
II. Die katholische Kirche.
1. Während dem Protestantismus lokale Gemeinden wesentlich 846
sind und die Verbindung der Gemeinden zu einem größeren Ganzen
nur eine zufällige Erscheinung ist, tritt die katholische Kirche rechtlich
als eine Einheit auf. Es gibt nur eine katholische Kirche, Bis-
tümer und Pfarreien sind nichts selbständiges, sondern nur Teile
eines Ganzen. Die oberste Kirchengewalt ruht völlig in den Händen
des Papstes, nachdem das vatikanische Konzil vom Jahre 1870
festgestellt hat, daß die Bischöfe lediglich die Bevollmächtigten des
Papstes sind und daß der Papst in Gegenständen des Glaubens und
der Moral unfehlbar ist. Den obersten Staats- und Kirchenrat des
Papstes bilden die Kardinäle; ihnen steht auch beim Freiwerden 847
des päpstlichen Stuhles die Wahl des neuen Papstes zu. Unter
ihnen sind besonders zu erwähnen der K a r d i n a l k ä m m e r e r,
dem die Aussicht über die Verwaltung der Einkünfte des Papstes
obliegt, und der K a r d i n a l st a a t s s e k r e t ä r, der beim päpst-
lichen Stuhle gewissermaßen die Stellung eines Ministers des Aus-
wärtigen einnimmt. Die päpstlichen Gesandten bei den Regierungen
der weltlichen Staaten heißen N u n t i e n, die mit einem einzelnen
Auftrag betrauten Legaten (s. Nr. 1297). Auch nach Bayern ist,
und zwar mit dew Sitz in München, ein Nuntius entsandt.
2. In Bayern bestehen acht Bistümer; zwei hiervon, näm- 848
lich München-Freising und Bamberg, sind Metropolitanbistümer
(auch Erzbistümer genannt), sechs einfache Bistümer, nämlich Augs-
burg, Passau und Regensburg, gehörig zum Metropolitanbezirk
München-Freising, und Würzburg, Eichstätt und Speyer, gehörig zum
Metropolitanbezirk Bamberg. Der Metropolit ist nicht etwa schlecht-
hin Vorgesetzter der Bischöfe, sondern beide haben im wesentlichen die
gleiche Stellung; sie haben in Unterordnung unter den Papst die
Kirche zu leiten; es ist deshalb für die Diözese des Metropoliten nicht
neben ihm noch ein Bischof bestellt. Vor den übrigen Bischösein den
sog. Suffraganbischöfen, zeichnet sich der Metropolit nur dadurch ans,
daß ihm in den zu seinem Metropolitanbezirk gehörigen Diözesen
einzelne Rechte zustehen, so insbesondere das Recht, die Bischöfe zu
Versammlungen, den sog. Provinzialsynoden, zu berufen.
Hinsichtlich der Besetzung der bischöflichen S t ü h I e 849
ist die Freiheit der Kirche in Bayern erheblich eingeschränkt; es ist
nämlich der König berechtigt, für die erzbischöflichen und bischöflichen
Stiihle würdige und taugliche Geistliche, die die nach kanonischem
Rechte erforderlichen Eigenschaften besitzen, zu ernennen; diese hat
dann der Papst einzusetzen. Der bayerische Staat hat sich dem päst-
278
Die innere Verwaltung
lichen Stuhl gegeuiiber verpflichtet, den Bischöfen ein jährliches
Reineinkommen zuzuweisen, das für München 20 000 Gulden beträgt,
bei den übrigen Bistümern allmählich herabgeht bis auf 8000 Gulden.
850 Dem Bischof steht eine Anzahl von Gehilfen zur Seite, das
Domkapitel. Dieses besteht aus zwei „Würdenträgern", dern
P r 0 b st, der die Leitung der äußeren Angelegenheiten hat, dein
Dekan, dem die Leitung des Gottesdienstes obliegt, und ans zehn
einfachen „Kanoniker n" bei den Metropolitankirchen, und acht
„Kanonikern" bei den bischöflichen Kirchen. Außerdem umfaßt das
Kapitel noch mindestens sechs Kapitelvikare. Auch für den Unterhalt
der Mitglieder des Kapitels hat der Staat zu sorgen und er wirkt
bei deren Besetzung erheblich mit.
851 Bei jedem Erzbischof und jedem Bischof besteht ein sogenanntes
O r d i n a r i a t, d. i. eine besondere Behörde für die Behandlung der
Diözesanangelegenheiten. Die Ordinariate sind ein Verwaltungs-
organ des Erzbischofs oder des Bischofs und gliedern sich in zwei
Abteilungen, das sog. Generalvikariat und den allgemeinen geistlichen
Rat.
852 3. Die Bistümer teilen sich in Dekanate; jedes der letzteren
umfaßt mehrere Pfarreien. An der Spitze des Dekanats steht der
Dekan. Die Geistlichen des Dekanats treten zu Versammlungen, dem
sogenannten L a n d k a p i t e 1/° zusammen. Der Dekan wird auf
Vorschlag des Landkapitels vom Bischof ernannt. Die Wahl wird
vorn Bischof der Staatsregierung angezeigt. Ihm obliegt eine aus-
sichtliche Tätigkeit über die Geistlichen seines Bezirks.
85 z 4. Pfarreien gibt es in Bayern etwas über 3000. Der Pfarrer-
Hat für den Bezirk der Pfarrei die Seelsorge zu verwalten; ihm
stehen bisweilen Gehilfen zur Seite. Von diesen sind zu erwähnen
die Kuratkaplane und die Kooperatoren. Für einen großen Teil der
Pfarreien steht dem König das Patronatsrecht27 zu, insbesondere für
Den Gegensatz hierzu bilden die dem Bischof zur Seite stehenden so-
genannten Domkapitel.
27 Unter Patronatsrecht versteht man das Recht, bei der Besetzung
von (geistlichen) Aemtern mitzuwirken. Die Besetzung der Aemter erfolgt
dnrch den Bischof; besteht aber für das Amt ein Patronatsrecht, so ist der
Bischof bei der Besetzung nicht frei, sondern er hat das Amt der Person zu
verleihen, die der Patronatsherr „präsentiert". Der Präsentierte muß
selbstverständlich den allgemeinen Erfordernissen, die für die Inhaber dieses
Amtes ausgestellt sind, genügen. In der Regel hat der Patronatsherr auch
Nebenrechte, so einen bevorzugten Platz in der Kirche und das Recht, von der
Verwaltung Einsicht zu nehmen. Das Patronatsrccht wird in der Regel
durch die sog. Fundatiou erworben, d. h. durch Erbauung der Kirche oder
durch Anweisung von Grund und Boden zur Errichtung der Pfründe.
Das Kirchenwesen
279
alle Pfarreien, auf die die Vorfahren des Königs dieses Recht in der
gewöhnlichen Weife erworben haben, aber auch bei Pfarreien, bei
denen das P a t r o n a t s r e ch t in älterer Zeit später aufgehobenen
geistlichen Korporationen zustand. Bei Pfarreien, für die keinerlei
Patronatsrecht besteht und die deshalb von den Bischöfen an sich frei
besetzt werden könnten, sind letztere in Bayern doch insoweit be-
schränkt, als sie die Pfarreien nur an Personen vergeben können, die
dem König genehm sind. Die Bestätigung des Königs ist auch erfor-
derlich bei Pfarreien, für die ein privates Patronatsrecht besteht.
Die Genehmigung durch den König finden nur solche Bewerber, die
sich dem sogenannten Pfarrkonkurs unterziehen, d. i. einer
durch staatliche Vorschriften eingehend geregelten Prüfung, die vor
einer durch den Bischof gebildeten Prüfungskommission stattfindet.
6. Die Errichtung geistlicherGesellschasten und 854
Institute, also insbesondere die Zulassung von Orden, die Er-
richtung von K l ö st e r n, aber auch die Errichtung von geistlichen
Bruderschaften, Kongregationen, dritten Orden bedarf der könig-
lichen Genehmigung. Auch über die Ordensgelübde dürfen ohne
Mitwirkung der Staatsregierung keine Bestimmungen getroffen
werden. In Bayern bestehen zurzeit 101 Männerklöster mit 6 Fi-
lialen und etwas iiber 2000 Mitgliedern und 76 Frauenklöster mit
1036 Filialen ■ und über 13 000 Mitgliedern. Der Jesuiten-
0 r d e n (und die ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kon-
gregationen) ist durch Reichsgesetz vom ganzen Reichsgebiet ausge-
schlossen. Die Errichtung von Niederlassungen ist ihm nicht gestattet.
Seinen Mitgliedern kann, soweit sie Deutsche sind, der Aufenthalt an
bestimmten Orten oder Bezirken untersagt oder angewiesen werden. III.
III. Die evangelischen Kirchen.
1. Wie in anderen deutschen Staaten, so ist auch tu Bayern die 855
Kirchengewalt in der evangelischen Kirche auf dem Grundsatz des
S u m mepiskopats ausgebatlt, d. h. die Kirchengewalt steht in
vollem Unifange dem Landesherrn ztt. Der König übt sie jedoch nicht
selber aus, sondern bedient sich hierzu besonderer Behörden, des
Oberkonsistoriums für Bayern rechts des Rheins und des Konsisto-
riums zu Speyer für die Pfalz. Doch hat er sich eine Reihe sehr wich-
tiger Gegenstände zur selbständigen Entschließung Vorbehalten, so vor
allem neue organische Einrichtungen und allgemeine Verordnungen,
Anstelltlng ttnd Beförderung bei geistlichen Amtsstellen, Errichtung
von Pfarreien und die Verbescheidttng der Beschliisse allgemeiner
Synodalversammlungen.
280
Die innere Verwaltung
856 2. Die Protestanten bilden seit dem Jahre 1848 zwei s e lö-
st ä n d i g e Kirchen, die eine sür Bayern rechts des Rheins, die
andere sür die Psalz. Letztere umfaßt Lutheraner und Reformierte.
In Bayern rechts des Rheins nehmen die Reformierten eine gewisse
Selbständigkeit ein; es wurde ihnen nämlich eine eigene Synode und
ein eigenes leitendes Organ, das Moderamen, in Unterordnung unter
dem Oberkonsistoriunt bewilligt.
857 3. Die rechtliche Grundlage für die Organisation der evangelischen
Kirche bildet wie sonst so auch in Bayern die Gemeinde (der
Pfarrsprengel), d. h. die Vereinigung der evangelischen Christen eines
bestimmten, regelmäßig örtlich abgegrenzten Kreises, sür den die
priesterliche Befugnis durch einen Geistlichen (den Pastor oder
Pfarrer) geübt wird. Zur Zeit bestehen in Bayern rechts des Rheins
etwas über 800, in der Pfalz etwas über 200 Pfarreien. Die Pfarr-
stellen werden durch den König besetzt. Dieser hört vorher das Ober-
konsistorium bei Psarrstellen in Bayern rechts des Rheins, das Kon-
sistorium zu Speyer bei den Pfarreien der Pfalz.
858 Die Pfarreien sind zu D e k a n a t e n vereinigt. An deren Spitze
steht der Dekan; auch dieser wird vom König ernannt. Bayern rechts
des Rheins gliedert sich in 64, die Psalz in 16 Dekanate.
859 Die Dekanate sind dann wieder in K 0 n s i st 0 r i a l b e z i r k e
zusammengefaßt, und zwar in Bayern rechts des Rheins in zwei Be-
zirke, in der Pfalz in einen Bezirk. An der Spitze jedes Konsistorial-
bezirks steht ein K 0 n s i st 0 r i u m, und zwar fiir Bayern rechts des
Rheins zu Ansbach und Bayreuth, für die Pfalz zu Speyer. Die
Konsistorien bestehen aus einem Direktor und drei Räten; die Mit-
glieder der Konsistorien werden voin König ernannt, ihre Gehälter
werden ans der Staatskasse bestritten.^ Während für die Pfalz das
Konsistorium zu Speyer das oberste Organ der Kirche ist, besteht für
Bayern rechts des Rheins eine weitere, den Konsistorien vorgesetzte
Behörde, das O b e r k 0 n s i st 0 r i u m z u M ii n ch e n, besetzt mit
einem Präsidenten und vier Räten, die einschließlich des Präsidenten
ebenfalls vom König ernannt werden; auch ihre Gehälter sind aus
die Staatskasse übernommen.^
860 4. In der geschichtlichen Entwicklung des Protcstantisnms zeigt
sich fast allenthalben die Erscheinung, daß den Gemeinden neben 28 29
28 In Bayern rechts des Rheins besteht neben den Konsistorien für die
Reformierten das M 0 d e r a m e n. Es seht sich zusammen aus einem
Präses und einem Assessor, sie sind reformierte Pfarrer und werden von der
reformierten Synode gewählt und vom König bestätigt.
29 Das Dekanat München ist keinem Konsistorium unterstellt;
es steht unmittelbar unter dem Obcrkonsistorium.
Das Kirchenwesen
281
den unter 3 bezeichneten Organen des sog. Kirchenregiments ein
Einfluß auf dieLeitung der kirchlichen Angelegen-
heiten eingeräumt wurde. So bestehen auch in Bayern für
die Kirchengemeinden K i r ch e n v o r st ä n d e, in der Pfalz und in
den reformierten Gemeinden rechts des Rheins, Presbyterien
genannt. Sie fetzen sich zusammen aus den Geistlichen der Pfarrei
und einer Anzahl weltlicher Mitglieder, die von den Angehörigen der
Gemeinde gewählt werden. Ftir die Dekanatsbezirke bestehen die
sogenannten D i ö z e f a n f y n o d e n. Die Diözesansynoden setzen 86
sich in Bayern rechts des Rheins und in der Pfalz in der Hauptsache
zusammen aus dem Pfarrer und einem weltlichen Abgeordneten jeder
Gemeinde.
Für die Konsistorialbezirke bestehen Generalsynoden, und 86
zwar für Bayern rechts des Rheins seit dem Jahre 1848 nur eine ver-
einigte Synode für die beiden Konsistorialbezirke?o Die Zusammen-
setzung der Synoden ist durch besondere Wahlordnungen geregelt.
Die Generalsynoden für Bayern rechts des Rheins und ftir die Pfalz
setzen sich zusammen aus einem geistlichen und einem weltlichen Ab-
geordneten jeden Dekanats, wozu ftir Bayern rechts des Rheins noch
ein Abgeordneter der theologischen Fakultät der Universität Erlangen
tritt. Die Generalsynoden treten regelmäßig alle vier Jahre zu-
sammen.
D. Acrs Gesundheitswesen.
Die körperliche Gesundheit ist nicht nur an sich eines unserer 86
wertvollsten Güter, sondern auch die Vorbedingung einer gesunden
und kräftigen, geistigen und wirtschaftlichen Entwicklung. Mit Recht
sagt ein lateinischer Spruch: „Nulla mens sana nisi in corpore
sano" (Nur in einem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele).
Die Sorge für die Erhaltung und Wiedererlangung der Gesundheit
ist zunächst Sache jedes einzelnen. Da jedoch dieser vielfach machtlos
ist gegenüber gefährdenden Einwirkungen durch andere wie gegen-
über der Gewalt der Verhältnisse, so tritt auch hier der Staat helfend
ein durch Ausbildung des ärztlichen und sonstigen Heilpersonals und
durch Einrichtung mannigfacher Veranstaltungen zur Heilung von
Krankheiten (H e i l w e s e n), sowie durch Fernhaltung gesundheit-
licher Störungen der verschiedensten Art (sogenannte G e s u n d -
heitspflege und G e s u n d h e i t s p o l i z e i). 30
30 Für die reformierten Pfarrgemeinden rechts des
Rheins besteht eine besondere Synode; sie setzt sich zusammen ans den Pfar-
rern der reformierten Gemeinden und einem Vertreter jeder Pfarrgemeiude.
282
Die innere Verwaltung
8 1. Die Behörden und Beamten.
864 1. Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Gesundheitswesens ist
zum Teil vom! Reich in die Hand genommen. Die Leitung dieser
Angelegenheiten obliegt dem Reichsgesundheitsamt zu
Berlin, das dem Reichsamt des Innern unterstellt ist. Ihm ist ein
Reichsgesundheitsrat als beratende Behörde beigegeben,
dessen Mitglieder vom Bundesrat gewählt werden.
865 Die oberste Leitung des bayerischen Medizinalwese ns
obliegt dem Ministerium des Innern und unter diesem den allge-
meinen Organen der inneren Verwaltung, d. s. die Kammern des
Innern der Kreisregierungen und die Bezirksämter.
An technischen Organen ist in erster Linie der Obermedizi-
ualausschuß zu erwähnen. Jhin obliegt die Beratung und Be-
gutachtung der Angelegenheiten des Medizinalwesens, einschließlich
der Medizinalpolizei, des Apothekenwesens und des Veterinärwesens,
außerdem die Vertretung der medizinischen Angelegenheiten iiber-
haupt, er soll insbesondere auch der praktischen Medizinalverwaltung
neue Errungenschaften der Wissenschaft vermitteln. Er setzt sich zu-
sammeu aus dem Medizinalreferenten des Ministeriums des Innern
und einer Anzahl vom König ernannter Mitglieder. Die Amtsdauer
der Mitglieder beträgt vier Jahre.
866 Am Sitze jeder Kreisregierung wird ein Kreisiuediziual-
a u s s ch u ß errichtet; er ist begutachtendes und beratendes Organ der
Kreisregierung in den dieser obliegenden Angelegenheiten des Me-
dizinalwesens, des Apothekerwesens und des Veterinärwesens. Er
besteht aus dem Regierungs- und Medizinalrat und aus sechs vom
König ernannten Mitgliedern. Auch deren Amtsdauer beträgt vier
Jahre.
867 Bei den medizinischen Fakultäten der drei Landesuniversitäten
sind Medizinal-Komiteen errichtet. Diese bestehen aus dem
Dekan der Fakultät als Vorsitzenden und vier vom König ernannten
Beisitzern. Sie sind dazu berufen, Obergutachten in gerichtlichen An-
gelegenheiten abzugeben.
868 Der ärztliche Dienst bei den Landgerichten, den Distrikts-
verwaltungsbehörden und den Amtsgerichten wird von den Land-
gerichtsärzterB und von den Bezirksärzten versehen. Bei 1
1 Aerzte, die in den bayerischen Staatsdienst treten wollen, haben sich
einer besonderen Prüfung zu unterziehen. Die Zulassung zur
Prüfung setzt die im Deutschen Reich erwirkte Approbation und die Promo-
tion als Arzt voraus. Die Prüfung setzt sich zusammen aus einem schrift-
Das Gesundheitswesen
283
jedem Landgericht wird (in der Regel) ein Landgerichtsarzt aufge-
stellt, der die ärztlichen Angelegenheiten, die sich bei dem Landgericht
ergeben, zu erledigen hat. Bei jedem Bezirksamt wird ein Bezirksarzt
erster Klasse aufgestellt, der die ärztlichen Angelegenheiten des Be-
zirksamts und der von dessen Bezirk mnsaßten Amtsgerichte zu er-
ledigen hat. Bei Amtsgerichten, in deren Bezirk sich nicht der Sitz eines
Bezirksamts befindet, kann ein Bezirksarzt zweiter Klasse oder ein
Stellvertreter des Bezirksarzts aufgestellt werden. Für die ärztlichen
Geschäfte bei unmittelbaren Städten können Bezirksärzte erster oder
zweiter Klasse ausgestellt werden. Werden solche nicht aufgestellt, so
sind diese Geschäfte von dem Bezirksarzt zu erledigen, der bei dem
einschlägigen Bezirksamt aufgestellt ist.
8 2. Das Heilpersonal und die Apotheken.
1. Die Aerzte.
Unsere Reichsgesetzgebung saßt die Ausübung der Heilkunde als 869
ein Gewerbe aus und hat sie daher (entsprechend dem Grundsätze der
Gewerbefreiheit) im allgemeinen freigegeben.
Als Arzt oder mit einer arztähnlichen Benennung darf sich
jedoch nur derjenige bezeichnen, welcher von der Zentralbehörde (d. h.
dem zuständigen Ministerium) eines Bundesstaats die (für das ganze
Gebiet des Reichs wirksame) ärztliche Approbation erhalten
hat. Diese Approbation, d. h. das Zeugnis der Befähigung zur Aus-
übung des Arztberuss, wird aber nur Personen erteilt, welche nach voll-
ständiger Absolvierung einer deutschen neunklassigen Mittelschule
(Gymnasium, Realgymnasium oder Oberrealschule) mindestens zehn
Semester an den Universitäten die Medizin studiert, daselbst die vor-
geschriebenen beiden Prüfungen bestanden und sodann noch minde-
stens ein Jahr lang sich an einer Universitätsklinik, Universitütspoli-
klinik, einem medizinischen nichtklinischen Universitätsinstitut, einein
besonders dazu ermächtigten Krankenhalls oder selbständigen medi-
zinisch-wissenschaftlichen Institut praktisch beschäftigt haben.
Ten Aerzten sind durch die bayerische Gesetzgebung verschiedene 870
Berusspflichten auferlegt. Wer sich als Arzt (auch für Zahn-
ärzte gilt diese Bestimmung) niederlassen will, hat von der Wahl
seilles Wohnorts der Distriktspolizeibehörde Anzeige zil erstatten und
hierbei den Nachweis zu liefern, daß er approbiert ist. Auch Beründe-
rungen des Wohilorts sind anzuzeigen. Bon dem Auftreten gewisser
lichen, einem praktischen und einem mündlichen Teil und wird von einer
Kommission von fünf Mitgliedern abgehalten, deren Vorsitzender der Medi-
zinalreferent des Ministeriums des Innern ist.
284
Die innere Verwaltung
ansteckender Krankheiten, das bei Ausübung ihres Bernstes zu ihrer
Kenntnis gelangt, haben sie der Distriktspolizeibehörde, bisweilen
auch der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. Geheimnisse, die
ihnen bei Ausübung ihres Berufs anvertraut wurden, miissen sie be-
wahren.
Die VergütungfürdieDienstleistungender Aerzte
ist zunächst dem freien Uebereinkommen überlassen. Für Fälle, in
denen ein solches nicht stattfindet, ist in Bayern in besonderen, vom
Staate aufgestellten Gebiihrenordnungen die Vergütung, die die
Aerzte für ihre Dienstleistungen zu beanspruchen haben, genau ge-
regelt; es bestehen zwei Gebührenordnungen, die eine für Dienst-
leistungen der Aerzte in der Privatpraxis, die andere für Dienst-
leistungen bei Behörden.
871 Die Aerzte des Bezirkes einer Distriktsverwaltungsbehörde oder
eines größeren Bezirks können sich zu einem Bezirksverein ver-
einigen. Ein Beitrittszwang kann nicht geschaffen werden. Der Zweck
der Bezirksvereine ist Förderung des wissenschaftlichen Strebens der
Mitglieder, Wahrung der Standesehre der Mitglieder und Schlich-
tung von Streitigkeiten unter ihnen durch ein Schiedsgericht.
872 Fiir jeden Regierungsbezirk ist eine Aerztekammer er-
richtet. Diese setzen sich zusammen aus Abgeordneten der Bezirks-
vereine des Regierungsbezirks. Ihr Zweck ist die Beratung von An-
gelegenheiten, die die ärztliche Wissenschaft oder die öffentliche Ge-
sundheitspflege betreffen, und die Wahrung der Standesinteressen
der Aerzte. Sie treten regelmäßig jährlich einmal zusammen. Zur
Besorgung der in der Zwischenzeit anfallenden minder erheblichen
Angelegenheiten ist ein ständiger Ausschuß der Kammer tätig.
2. Die Zahnärzte.
87z Diese müssen nach Absolvierung eines deutschen Gymnasiums,
eines deutschen Realgymnasiums oder einer deutschen Oberrealschule
und nach einem zahnärztlichen Studium von wenigstens drei Seme-
stern an einer deutschen tlniversität sich einer Vorprüfung unter-
ziehen; Abiturienten von Oberrealschnlen müssen lateinische Sprach-
kenntnisse in bestimmtem Umfang nachweisen. Voraussetzung für die
Zulassung zur H a u p t p r ü s u n g ist ein weiteres Studium an einer
deutschen Universität, das mit dem vorangegangenen Studium min-
destens sieben Semester, darunter wenigstens drei nach bestandener
Vorprüfung umfassen muß. Ein einfacherer Studiengang besteht fiir
Personen, die die ärztliche Prüfung im Deutschen Reich vollständig
bestanden oder die Approbation als Arzt erlangt haben.
Das Gesundheitswesen
285
Die Approbation wird nach bestandener Hauptprüfung von
den Zentralbehörden, das sind die zuständigen Ministerien derjenigen
Bundesstaaten, die eine oder mehrere Landesuniversitäten haben, so-
wie dem Ministerium für Elsaß-Lothringen erteilt; sie ist für das
das ganze Reich giiltig.
In gleicher Weise wie für die Aerzte (s. Nr. 870), so bestehen
auch für die Zahnärzte in Bayern Gebührenordnunge n.
3. Die Apotheker und die Apotheken.
Der selbständige Betrieb einer Apotheke erfordert zunächst eine
Approbation als Apotheker. Dieses Befähigungszeugnis wird
mit Wirkung sür das ganze Reichsgebiet von den zuständigen Mi-
nisterien der Bundesstaaten^ denjenigen erteilt, welche die reichs-
rechtlich vorgeschriebenen beiden pharmazeutischen Prüfungen^ be-
standen haben und darauf zwei Jahre als Apothekergehilfen praktisch
tätig gelvesen sind.
Abgesehen von dieser Approbation ist aber überall im Deutschen
Reiche zum Betrieb einer Apotheke noch eine besondere behördliche
Erlaubnis, die sogenannte Konzession, erforderlich. Man unter-
scheidet in Bayern, wie auch anderwärts, Realkonzessionen
und Personalkonzessionen. Mit dem Besitze gewisser
Hausgrundstücke ist nämlich von altersher als eine sog. Realberechti-
gung die Befugnis verknüpft, daselbst eine Apotheke zu betreiben.
Den Besitzern solcher Anwesen, welche wegen des mit ihnen verbun-
denen Rechts häufig sehr hoch im Preise stehen, wird, sobald sie ihre
Approbation als Apotheker nachweisen, ohne weiteres die Konzession
(Realkonzession) erteilt. Fiir die in neuerer Zeit gegründeten Apo-
theken dagegen wird jeweils nur eine persönliche, nicht veräußerliche
und nicht vererbliche Konzession (Personalkonzession) demjenigen Be-
werber erteilt, welcher hierauf nach Alter und Prüfung die nächste
Anwartschaft hat.
Das sind in Bayern das Ministerium des Innern und das Kultus-
ministerium.
° Die Apotheker müssen nach Absolvierung der drittletzten Klasse eines
Gymnasiums, eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule zunächst
eine Lehrzeit von drei Jahren (nach vollständiger Absolvierung einer neun-
klassigen Mittelschule eine Lehrzeit von nur zwei Jahren) in einer deutschen
Apotheke durchmachen und sodann die pharmazeutische Vorprüfung bestehen;
hierbei müssen die früheren Schüler einer Oberrealschule den Nachweis
lateinischer Sprachkenntnisse erbringen. Es folgt sodann eine einjährige
Gehilfenzeit in einer deutschen Apotheke, hierauf ein zweijähriges Studium
an deutschen Universitäten oder technischen Hochschulen und endlich die
pharmazeutische Hauptprüfung.
286
Die innere Verwaltung
876 Der Geschäftsbetrieb in den Apotheken steht unter behördlicher,
durch die Bezirksärzte und die Bezirksämter geübter Aussicht. Die
Arzneimittel müssen nach den im „Arzneibuch für das Deut-
sch e R e i ch" enthaltenen genauen Vorschriften zubereitet, aufbewahrt
und vorrätig gehalten werden. Ihre Preise sind nach der gleichfalls
für das ganze Reich einheitlich festgesetzten A r z n e i t a x e zu be-
rechnen. Gewisse Heilmittel, Drogen und chemische Präparate dürfen
nur in den Apotheken verkauft werden.
877 An Orten, an denen wegen mangelnden Absatzes oder im In-
teresse der benachbarten Apotheken die Errichtung einer selbständigen
Apotheke nicht angezeigt ist, kann die Errichtung einer F i l i a l -
apotheke durch einen benachbarten Apotheker gestattet werden,
desgleichen kann unter gewissen Voraussetzungen Aerzten die Haltung
einer sogenannten Handapotheke gestattet werden.
878 Als Standesvertretung der Apotheker besteht für jeden Regie-
rungsbezirk eine Apothekerkammer. Sie fetzt sich zusammen
aus gewählten Vertretern der Eigentümer der öffentlichen Apotheken
des Regierungsbezirks einerseits und der übrigen approbierten Apo-
theker, die in den Apotheken des Regierungsbezirks tätig sind, sowie
der aktiven Militärapotheker des Regierungsbezirks anderseits. Die
Aufgabe der Apothekerkammern besteht in der Förderung des Apo-
thekenwefens und in der Förderung der Interessen des Apotheker-
standes. Jede Kammer wählt einen Vorstand. Die näheren Ver-
hältnisse der Kammern werden durch Satzungen, die sie sich selbst nnt
Genehmigung des Ministeriums des Innern geben, geregelt.
4. Die Hebammen.
879 Zur Ausübung des Berufs als Hebammen werden in Bayern in
der Regel nur solche Frauenspersonen zugelassen, die das Befähi-
gungszeugnis einer bayerischen Prüfungsbehörde besitzen. Zur
Vorbildung für diese Prüfung bestehen vier öffentliche Heb-
ammenschulen; doch kann die Zulassung zur Prüfung auch Be-
werberinnen erteilt werden, die die erforderlichen Kenntnisse in an-
derer Weise erworben haben. Jede Hebamme hat die Wahl ihres
Wohnorts der Distriktspolizeibehörde anzuzeigen und sich dem Be-
zirksarzt vorzustellen. Die Gemeinden und die Distrikte können be-
sondere Gemeinde- oder D i st r i k t s h e b a m m e n aufstellen,
doch werden dadurch andere Hebammen von der Ausübung ihrer
Tätigkeit nicht ausgeschlossen. Die Hebammen stehen unter der A u f -
sichtderDistriktsPolizeibehörde, welch letztere sich hier-
bei mit dem Bezirksarzt ins Benehmen zu setzen hat. Die Bezahlung
der Hebammen bleibt zunächst der freien Vereinbarung vorbehalten:
Das Gesundheitswesen
287
für Fälle, in denen eine vorherige Vereinbarung nicht getroffen ist
und in denen auch nachträglich eine Einigung nicht erfolgt, ist eine
staatlich aufgestellte Gebührenordn u n g maßgebend.
5. Die Bader.
Den Titel Bader dürfen in Bayern nur Personen führen, die die 880
sogenannte Approbation als Bader erlangt haben. Die Bader
dürfen die Heilkunde im gewissen Umfang ausüben und insbesondere
gewisse chirurgische Verrichtungen vornehmen. Wenn sie sich als
Bader niederlassen, haben sie der Distriktsverwaltungsbehörde An-
zeige zu erstatten und sich dem Bezirksarzt vorzustellen. Die Zulas-
sung als Bader erfordert regelmäßig die Zurücklegung einer genau
geregelten Lehrzeit, das Bestehen der sogenannten Vorprüfung, eine
genau geregelte Tätigkeit als Gehilfe, die Teilnahme an einem Un-
terrichtskurs und schließlich das Bestehen der sogenannten Approba-
tionsprüfung. Die Bezahlung der Bader bleibt an sich der freien
Vereinbarung vorbehalten, als Norm für streitige Fälle, in denen
keine Vereinbarung vorliegt, ist eine Gebührenordn u n g auf-
gestellt.
8 3. Gesun-heitspftege und Gesun-Heitspolizei.
I. Eben so wichtig wie die Heilung Erkrankter, ja sogar für das 881
gesamte Volkswohl noch wichtiger, ist die Sorge für die Erhal-
tung der Gesundheit des Volkes. Die hierauf abzielende
staatliche Fürsorge nennt man die öffentliche Gesundheits-
pflege? Insoweit die Behörden hierbei mit Zwangsmitteln oder
mit Strafen vorgehen müssen, spricht man von Gesundheits-
polizei.
l l. Schutz gegen schädliche Nahrungsmittel, Gebrauchsgegenstände
u. dgl.
Gegen die Verfälschung der Nahrungs- und Genußmittel im all- 882
gemeinen, sowie dagegen, daß gewisse Waren von gesnndheitsgefähr-
dender Beschaffenheit (Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink-
und Kochgeschirre, Petroleum) in Verkehr gebracht werden, richtet sich 4
4 linier „Hygien e" (born griechischen — Gesundheit) berste!?
man die Lehre von der Erhaltung und Förderung der menschlichen Gesund-
heit. So spricht man von der Wohnungshygiene, der Beschäftigungshygiene,
der Ernährungs-Hygiene usw. und versteht darunter die gesundheitlichen
Grundsätze über Wohnung, Arbeit, Ernährung usw.
288
Die innere Verwaltung
das sogenannte N a h r u n g s m i t t e l g e s e tz des Reichs (vom
Jahre 1879) mit strengen Strafandrohungen. Dieses Gesetz gestattet
auch den Polizeibeamten, zur Kontrolle die Verkaufsräume zu betre-
ten und Proben der Waren zum Zweck der Untersuchung gegen Ent-
gelt zu entnehmen. Zur Durchführung der technischen Untersuchun-
gen dienen die Untersilchungsanstalten für Nahrungs- und Genuß-
mittel. An solchen bestehen in Bayern teils staatliche Anstalten, die
mit den Universitäten verbunden sind, teils in einigen Städten, näm-
lich in Fürth, Nürnberg und Regensburg, gemeindliche Anstalten;
hierzu kommt noch fiir die Pfalz die landwirtschaftliche Kreisversnchs-
station zu Speyer.
Neben diesen allgemeinen Vorschriften bestehen jedoch für ver-
schiedene wichtige Nahrungs- und Genußmittel u. dgl. noch besondere
Bestimmungen. Es kommen hier in Betracht:
1. Das Fleisch.
Der Verkehr mit Fleisch ist durch ein Reichsgesetz über die
Schlachtvieh- und Fleischbeschau einheitlich geregelt. Hiernach unter-
liegt das zum menschlichen Genuß bestimmte Schlachtvieh (Rindvieh,
Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Esel, Maultiere, Maulesel und
Hunde) der amtlichen Untersuchung, welche sowohl vor der Schlach-
tung (S ch l a ch t v i e h b e s ch a u) als nach ihr (F l e i s ch b e s ch a u)
vorgenommen werden muß. Die sogenannten N o t s ch l a ch t n n -
gen (von Tieren, deren Verenden zu befürchten ist,) sind von der
ersten und die auf den eigenen (privaten) Gebrauch beschränkten
H a u s s ch l a ch t u n g e n sind, falls keine Erkrankungsmerkniale
sichtbar, von beiden Untersuchungen befreit.
Die Schlachtvieh- und Fleischbeschau bildet in Bayern einen Ge-
genstand der örtlichen Polizeiverwaltung. Zu ihrer Vornahme sind
in den einzelnen Gemeinden Beschaubezirke gebildet; kleinere Ge-
meinden können sich zu einem Beschaubezirk vereinigen oder sich einer-
größeren Gemeinde anschließen. Die Schlachtvieh- und Fleischbeschau
ist in den Beschaubezirken jener Gemeinden, in denen approbierte
Tierärzte ihren Wohnsitz haben, diesen übertragen, in den übrigen
Bezirken werden besondere Fleischbeschauer bestellt.
Das bei der Beschau als ungenießbar befundene Fleisch darf nicht
in den Verkehr gebracht werden. Das vollwertige Fleisch wird durch
Aufdruck eines Farbstempels als „b a n k w ü r d i g" bezeichnet, wäh-
rend als „n i ch t b a n k w ü r d i g" gestempelt wird solches Fleisch,
welches zwar minderwertig, aber doch entweder sofort oder nach ent-
sprechender Behandlung (z. B. durch Kochen, Dämpfen, Pökeln usw.)
zum Genusse tauglich ist. Das nicht bankwürdige Fleisch darf nur
Das Gesundheitswesen
289
auf einer besonderen Verkaufsstelle (Freibank) oder sonst unter
ortspolizeilicher Kontrolle feilgeboten und regelmäßig nur zum Ge- .
brauch im Privathaushalt (nicht in Wirtschaften) abgegeben werden.
Pferdefleisch ist beim Verkauf als solches ausdrücklich zu bezeichnen
und darf nicht im gleichen Raum mit anderem Fleisch feilgeboten
werden.
Das vom Ausland eingehende Fleisch wird an der Zollgrenze 885
untersucht. Die Einfuhr von Würsten und von Büchsenfleisch
(Fleifchkonferven) ist völlig verboten.
Durch ortspolizeiliche Vorschriften können in Bayern Anord-
nungen getroffen werden, daß das Vieh nur in öffentlichen
Schlachthäusern geschlachtet werden darf; es können für diese
Schlachthäuser Schlachtordnungen gegeben und Bestimmungen für
den Verkauf des Fleisches in den Schlachthäusern und außerhalb der-
selben getroffen werden.
2. Butter und Schweineschmalz 886
werden in neuerer Zeit vielfach durch die aus Rinderfett bereitete
Kunstbutter (Margarine) und durch Kunstspeifefett ersetzt. Ein
Reichsgesetz (das sog. Margarinegesetz) gibt, um Täuschungen
des Publikums zu verhüten, genaue Vorschriften über die Feilhaltung
und die Bezeichnung dieser Ersatzmittel und unterwirft ihre Fabri-
kation einer polizeilichen Ueberwachung.
3. Künstliche Süßstoffe. 887
Mit Rücksicht auf die gesundheitliche Bedeutung der Zuckernah-
rung und zum Schutz des Zuckerrübenbaus verbietet das Süßstoff-
g e s e tz des Reichs, künstliche Süßstoffe, welche ohne entsprechenden
Nährwert eine höhere Süßkraft als Zucker besitzen (sog. Saccha-
r i n), herzustellen, zu verkaufen, bei der gewerblichen Herstellung
von Nahrungs- oder Genußmitteln zu verwenden oder aus dem Aus-
lande einzuführen. Doch find Ausnahmen von diesen! Verbot ge-
stattet; insbesondere ist, da die künstlichen Süßstoffe zu einzelnen
Zwecken, z. B. in der Medizin, nicht entbehrlich sind, der Verkauf in
den Apotheken erlaubt, und einzelnen Fabriken ist die Fabrikation
unter amtlicher Ueberwachung freigegeben.
4. D e r Wein. 888
Ein besonderes Reichsgefetz bestimmt, welche Zusätze zum Wein
und welche Herstellungsarten des Weines verboten sind. Weine, welche
diesen Vorschriften nicht entsprechen, dürfen nicht feilgehalten oder
verkauft werden. Gestattet ist nach dem Gesetze die gebräuchliche Kel-
lerbehandlung, die Vermischung (der sog. Verschnitt) mit anderem
Weine, die Entsäuerung mittels Kalks und (in gewissem Umfange)
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 19
290
Die innere Verwaltung
m e r) aufbewahrt werden. Ueber die Abgabe gewisser Gifte sind
ein Zusatz von Zucker; doch darf der gezuckerte Wein nicht als „Natur-
wein" bezeichnet werden. Zum Zweck der Durchführung dieser Vor-
schriften unterliegen die Geschäftsräume, Keller, Geschäftsbücher usw.
der Weinproduzenten und Weinhändler einer strengen Kontrolle durch
Beamte und Sachverständige.
5. Die Milch.
Das Verkaufen und Feilhalten der Milch von kranken Kühen ist
verboten, desgleichen von unreiner, übelschmeckender und blaufleckiger
Milch, selbst wenn sie nicht verfälscht im Sinne des oben erwähnten
Nahrungsmittelgesetzes ist. Abgerahmte Milch (sogenannte Mager-
milch) darf aus Märkten, auf der Straße und in Verkaussläden nur
in Gefäßen seilgehalten werden, die die Aufschrift „Abgerahmte
Milch" oder „Magermilch" tragen. Ergibt sich der Verdacht einer
Milchfälschung, so kann die Polizeibehörde in der Stallung, aus der
die Milch stanunt, die sogenannte Stallprobe vornehmen; diese besteht
darin, daß die Kühe unter polizeilicher Aufsicht gemolken und cnt§
der hierbei gewonnenen Milch Proben zur Untersuchung und zur Ver-
gleichung mit der beanstandeten Milch entnommen werden. Der
Verkehr mit Milch wird durch die Distrikts- und die Ortspolizei-
behörden überwacht. Zur vorläufigen Prüfung der Milch aus Ver-
fälschung dient die Milchwage (der Laktodensimeter); eingehendere
Untersuchungen werden durch die Untersuchungsanstalten für Nah-
rungs- und Genußmittel vorgenommen.
6. Giftige Stosse.
Ein besonderes Reichsgesetz verbietet die Verwendung ge-
sundheitsschädlicher Farben zur Herstellung, Aufbewah-
rung und Verpackung von Nahrungs- und Genußmitteln, zur Herstel-
lung von Schönheitsmitteln, Spielwaren, Tapeten, Möbel- und
Teppichstosfen, Bekleidungsstücken usw., sowie zum Anstreichen von
Wohn- oder Geschäftsräumen.
Blei- oder zinkhaltige Geschirre und Gesäße
müssen den Vorschriften eines diesen Gegenstand behandelnden Reichs-
gesetzes entsprechen.
Ueber den V e r k e h r mit Giften bestehen eingehende lan-
desrechtliche Bestimmungen. Als Regel gilt: In Bayern müssen
Vorräte von Giften, die zum Verkauf gehalten werden, übersichtlich
geordnet und von anderen Wa-ren getrennt aufbewahrt werden.
Die Vorratsgesäße müssen die Aufschrift „G i s t" und die Angabe ihres
Inhalts enthalten. Gewisse Gifte müssen in einem besonderen von
allen Seiten durch feste Wände umschlossenen Raume (Gistkam-
Das Gesundheitswesen
291
Vormerkungen, die insbesondere den Namen des Empfängers ent-
halten, das sogenannte G i f t b u ch, zu führen. Gift darf nur an
solche Personen abgegeben werden, welche als zuverlässig bekannt
sind und das Gift 31t einem erlaubten Zweck benutzen wollen. Sofern
der Abgebende von dem Vorhandensein dieser Voraussetzungen keine
sichere Kenntnis hat, darf er Gift nur gegen einen von der Orts-
polizeibehörde ausgestellten Erlaubnisschein abgeben. Wer
den Handel mit Giften betreiben will, hat der Ortspolizeibehörde
Anzeige zu erstatten. Zum Handel mit gewissen Giften ist sogar
polizeiliche Genehmigung notwendig.
P h 0 s p h 0 r z ü n d h ö l z e r dürfen (wegen der init der Fabri -
kation für die Arbeiter verknüpften Gesundheitsgefahr) im ganzen
Reichsgebiet nicht mehr angefertigt und seit 1. Januar 1908 auch
nicht mehr in Verkehr gebracht werden.
III. Schutz gegen ansteckende Krankheiten.
In früheren Zeiten haben sich die Staaten zu Zeiten schwerer 893
Krankheitsepidemien gegen ihre Einschleppung (insbesondere
der Cholera und Pest) durch völlige Absperrung zu schützen gesucht.
Das ist heutzutage nicht mehr möglich. Anstatt dessen haben die
europäischen Staaten zum Schutz gegen die Einschleppung der
Cholera aus dem Auslande eine internationale Ueberein-
kunft getroffen, nach welcher die Regierungen verpflichtet sind, sich ge-
genseitig Mitteilung von entstehenden Choleraherden zu machen. Bei
drohender Einschleppungsgefahr kann die Einfuhr gewisser Gegen-
stände, welche als Ansteckungsträger gefährlich sind, verboten, die
Desinfektion des Reisegepäcks und der Waren an der Grenze, sowie
die Ueberwachung ankommender Reisenden angeordnet werden. Eine
sog. Quarantäne, zufolge deren die Reisenden eine gewisse Zeit
lang zur Beobachtung abgesperrt gehalten werden, ist nur im
Schiffsverkehr zulässig. Gegen die Ausbreitung der Pest
sind ähnliche internationale Abkommen getroffen worden.
Mit der Bekämpfung der Verbreitung g e m e i n g e - 894
sährlicher Krankheiten im In lande befaßt sich ein
ausführliches Reichsgesetz. Es schreibt vor, daß jeder Fall von Aussatz,
Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest oder Blattern (Pocken) der Po-
lizeibehörde, d. i. in Bayern die Ortspolizeibehörde, angezeigt wer-
den mutz. Diese hat in Bayern die Anzeige an die Distriktspolizei-
behörde zu leiten und letztere läßt die Krankheit durch den beamteten
Arzt (Bezirksarzt) ermitteln und ordnet sodann die nötigen Schutz-
nmtzregeln (insbesondere ärztliche Beobachtung, Absperrung und Des-
infektion) an.
19*
292
Die innere Verwaltung
895 Den besten Schutz gegen die Ansteckung mit Blattern oder
Pocken bildet die seit langer Zeit bewährte, durch Reichsgesetz vom
Jahre 1874 allgemein vorgeschriebene Impfung mit Schutz-
pocken? Dieser Impfung sind alle Kinder in der Regel zweimal zu
unterziehen und zwar in dem aus das Geburtsjahr folgenden Kalen-
derjahr und zum zweiten Male in dem Kalenderjahre, in welchem sie
ihr 12. Lebensjahr vollenden. Sie wird vom öffentlichen Jmpfarzt
(d. i. in Bayern in der Regel der Bezirksarzt) kostenfrei vorgenom-
men. Bleibt die Impfung erfolglos, so ist sie im nächsten Jahre und
nötigenfalls nochmals im dritten Jahre zu wiederholen. Ueber jede
Impfung wird vom Arzte ein Impfschein ausgestellt. Eltern und
Pflegeeltern, welche ihre Kinder der Impfung trotz amtlicher Auf-
forderung entziehen, haben Geldstrafe zu gewärtigen.
IV. Die Jrrenfürsvrge.
896 Die öffentlich-rechtliche Fürsorge für die Geisteskranken obliegt
zunächst den Distriktsverwaltungsbehörden. Diese haben ein Ver-
zeichnis der G e i st e s k r a n k e n ihres Bezirks zu führen und
sie gemeinsam mit deml Bezirksarzt zu überwachen. Wird ein Geistes-
kranker gemeingefährlich, hat er insbesondere einen Angriff
gegen Personen oder fremdes Eigentum verübt oder die öffentliche
Sittlichkeit gefährdet und kann ein Strafverfahren gegen ihn wegen
seines Geisteszustandes nicht durchgeführt werden, so hat die Polizei-
behörde seine Verwahrung anzuordnen und insbesondere nötigenfalls
seine Unterbringung in einer Irrenanstalt zu verfügen. Diese An-
ordnungen können jedoch nur nach Durchführung eines Verfahrens
erfolgen, das unnötige Freiheitsbeschränkungen hintanhalten soll?
° Die Impfung stützt sich auf die Erfahrung, daß Personen, welche
an den Pocken erkrankt waren, gegen eine erneute solche Erkrankung ans
lange Zeit hinaus geschützt sind. Sie bezweckt daher, durch Uebertragung
des von Kühen entnommenen Krankheitsstosfes bei den Geimpften eine nur
sehr geringe, aber vor künftiger Wiederansteckung gleichwohl sichernde Er-
krankung künstlich hervorzurufen. Die Gegnerschaft, welche die Impfung
bei einzelnen immer noch findet, rührt zum größten Teil daher, daß früber
der Impfstoff (die sog. Lymphe) den kurz zuvor geimpften Personen ent-
nommen wurde, wobei allerdings zuweilen auch andere Krankheitsstoffe
mitübertragen worden sein mögen. Solche Folgen der Impfung sind aus-
geschlossen seit der allgemeinen Einführung der Tierlymphe, welche
von sorgfältig untersuchten und beobachteten Kühen gewonnen wird. Die
Folge der allgemeinen Impfung ist, daß die Blattern, welche in früherer
Zeit ungemein verheerend auftraten, heute bei uns fast ganz verschwunden
sind. Zur Gewinnung von Lymphe besteht in Bayern die Zentralimpf-
a n st a l t.
° Selbstverständlich kann bei Gefahr auf Verzug eine vorläufige
Unterbringung ohne weiteres erfolgen.
Das Gesundheitswesen
293
Der Anordnung hat die Anhörung des gesetzlichen Vertreters des
Geisteskranken und, wenn es tunlich ist, auch des letzteren selbst, fer-
ner des behandelnden Arztes vorauszugehen, vor allem aber kann sie
nur nach gutachtlicher Aeußerung des Bezirksarztes, der den Kranken
persönlich zil ilntersuchen hat, erfolgen.
Die Irrenanstalten sind hauptsächlich öffentliche An- 897
st a l t e n und zwar Anstalten der Kreisgemeinden. Deren Satzun-
gen bieten Gewähr dafür, daß tiur Personen, deren Zustand es for-
dert, wider ihren Willen verwahrt werden. Daneben bestehen ver-
schiedene Privatirrenan st alten; solche dürfen nur mit staat-
licher Genehmigung errichtet werden. Leiter darf nur ein fachmän-
nisch gebildeter approbierter Irrenarzt sein, der mehrjährige Praxis
hinter sich hat. Die Satzungen der Anstalt bedürfen der Genehmi-
gung der Distriktsverwaltungsbehörde, die Anstalten sind alljährlich
durch die Distriktsverwaltungsbehörden zu besichtigen. Die Auf-
nahme von Pfleglingen kann, wenn die Einschafsung nicht ohnehin
durch die Distriktsverwaltungsbehörde wegen Genieingefährlichkeit
des Pfleglings angeordnet ist, nur mit deren Genehmigung erfolgen."
V. Das Leichen- und Begräbniswesen.
Menschliche Leichen dürfen erst dann beerdigt werden, wenn vor- 898
her die sogenannte L e i ch e n s ch a u erfolgt ist. Zu diesem Zwecke
werden Leichenschaubezirke gebildet, und für jeden Bezirk ein Leichen-
schauer, die in erster Linie aus den Aerzten oder Badern genommen
werden, aufgestellt. Jeder Todesfall ist alsbald und, wenn der Tod
bei Nacht erfolgt, spätestens am nächsten Morgen dem Leichenschauer
anzuzeigen. Die Anzeige obliegt dem Familienhaupt, wenn ein sol-
ches nicht vorhanden ist oder wenn es verhindert ist, demjenigen, in
dessen Wohnung oder in dessen Haus sich der Sterbefall ereignet hat.
Ueber die Leichenschau hat der Leichenschauer ein Zeugnis, den Lei-
ch e n s ch a u s ch e i n, auszustellen, er darf ihn nur erteilen, wenn er
die volle Gewißheit gewonnen hat, daß der Tod eingetreten ist. In
der Regel darf die Beerdigung nicht früher als 48 Stunden und nicht
später als 72 Stunden nach Eintritt des Todes erfolgen.
Die Begräbnisplätze (Friedhöfe) sind in Bayern ent- 899
weder eine Einrichtung der Gemeinde oder der Kirche; ersterensalls
stehen die näheren Bestimmungen über ihre Benutzung den gemeind-
lichen, andernfalls den zur Verwaltung des Kirchenstistungsver-
Kranke, die sich f r e i w i l l i g melden können vorläufig auf-
genommen werden, desgleichen solche Kranke, bei denen Gefahr auf Verzug
besteht; die Genehmigung der Distriktsverwaltungsbehörde ist in diesen
Fällen nachzuholen.
294
Die innere Verwaltung
mögens berufenen Organen zlr. Die Verbringung einer Leiche an
einen andern Ort als den regelmäßigen Beerdigungsort darf nur
auf Grund eines sogenannten Leichenpaffes erfolgen. Es ist
dies eine schriftliche Bewilligung einer staatlichen Behörde, in der
Regel der Distriktsverwaltungsbehörde. Die nähere Regelung des
Bestattnngswefens erfolgt durch ortspolizeiliche oder distriktspolizei-
liche Vorschriften.
9»o Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß jemand eines nicht
natürlichen Todes gestorben ist oder wird der Leichnam eines
Unbekannten gefunden, so darf die Beerdigung nur mit schriftlicher
Genehmigitng des Staatsanwalts oder des Amtsgerichtes erfolgen.
VI. Sonstige gesundheitspolizeiliche Bestimmungen.
9»r Eingehende Bestimmungen sind auch über den Handel mit Arz-
neimitteln getroffen, die dem freien Verkehr über-
lassen f i d, d. h. auch außerhalb der Apotheken abgegeben wer-
den dürfen. Wer solche Arzneimittel — gleichgültig, ob sie zur Hei-
lung oder Verhütung der Krankheiten von Menschen oder von Tieren
bestimmt sind — feilhält oder verkauft, hat der Distriktspolizeibe-
hörde Anzeige zu erstatten; die Behälter, in denen die einzelnen Arz-
neimittel aufbewahrt werden, sind übersichtlich geordnet und getrennt
von den übrigen Waren aufzustellen. Die Betriebe unterstehen der
Aufsicht der Distriktsverwaltungsbehörden und der Bezirksärzte.
Diese haben auch Visitationen vorzunehmen. Häufig werden die
freien Arzneimittel von den Drogenhandlungen geführt?
902 Geheim mittel dürfen nur in Gefäßen und Umhüllungen
abgegeben werden, die eine Inschrift tragen, die den Namen des
Mittels und des Verfertigers ersehen läßt. Die öffentliche Ankün-
dignng und Anpreisung von Geheimmitteln ist verboten. Auf den
Gefäßen und Umhüllungen, in denen Geheimmittel angeboten wer-
den, diirfen Empfehlungen, Bestätigungen von Heilerfolgen und
ähnliches nicht angebracht werden.
E. Das Jlrttienvoefen.
903 1. Die öffentliche Armenpflege ist in Bayern durch ein besonderes
Gesetz, das Armengefetz, geregelt. Bayern nimmt auf diesem
Gebiet eine Sonderstellung ein; für das ganze übrige Reich (für 8
8 Unter Drogen (oder Droguen) versteht man die rohen oder halb-
zubereiteten Produkte des Tier-, Pflanzen- und Mineralreichs, welche haupt-
sächlich in der Medizin und in der Technik benützt werden.
Das Armenwesen
295
Elsaß-Lothringen erst ab 1. April 1910) gilt das auf wesentlich ande-
ren Grundlagen aufgebaute Gesetz über den U n t e r st ü tz u n g s-
w o h n f i tz.
2. Die öffentliche Armenpflege obliegt in Bayern hauptsächlich 9°4
den politischen Gemeinden; neben ihnen werden auch d i e
D i ft r i k t s- und die Kreisgemeinden herangezogen. Die
Armenunterstützung beschränkt sich darauf, das zur Erhal-
tung des Lebens oder der Gesundheit Unentbehrliche zu gewähren.
Die Unterstützten haben sich zu einer ihren Kräften angemessenen
Arbeit verwenden zu lassen.
3. Die Unterstützungspslicht ist entweder eine endgültige 905
oder eine vorläufige. Grundsätzlich obliegt die endgül-
tige Unter st ützungspslicht bei Personen, die in Bayern
heimatberechtigt sind, der Heimatgemeinde. Hiervon bestehen haupt-
sächlich zwei Ausnahmen, nämlich Dienstboten, Gewerbegehilsen,
Lehrlinge, Fabrik- oder Lohnarbeiter, die außerhalb ihrer Heimatge-
meinde in Dienst oder Arbeit stehen, sind bei Erkrankungen neunzig
Tage lang von der Gemeinde, in der sie in Dienst oder Arbeit stehen,
zu unterstützen? Außerdem ist an Personen, die sich in einer Ge-
meinde unmittelbar vor Eintritt der Unterstützungsbedürstigkeit
mindestens sechs Monate lang freiwillig und ununterbrochen ausge-
halten haben, aus vier Wochen Krankenhilse und Unterstützung zur
Bestreitung des Lebensunterhalts zu gewähren. Diese zwei Arten
von Personen können also nicht an die Heimatgemeinde verwiesen
werden.
Die vorläufige Unter st ützungspslicht besteht darin, 90b
daß an Personen, deren Heimat unbekannt oder bestritten ist, oder
deren Unterstützung von der hierzu verpflichteten Gemeinde nicht ge-
leistet wird, so lange von der Aufenthaltsgemeinde Unterstützung zu
gewähren ist, bis die Heimatgemeinde herangezogen werden kann,
ferner darin, daß auch anderen in der Gemeinde nicht heimatberech- 1
1 Von Personen der bezeichneten Art können die Gemeinden einen
regelmäßigen Krankenkassebeitrag von wöchentlich höchstens fünfzehn Pfennig
erheben. Dieser Beitrag kann auch vom Heimatberechtigten erhoben werden.
Personen, die darnach beitragspflichtig sind, erhalten, wenn sie erkranken,
ein R e ch t aus Gewährung von Krankenpflege, ärztlicher Hilfe und von
Heilmitteln auf neunzig Tage. Für sie sind die Leistungen dann nicht eine
Armenunterstützung, sondern nur die Gegenleistungen für die gezahlten
Beiträge. Diese Bestimmungen gelten aber nur für Personen, die nicht der
reichsgesetzlichen Krankenversicherung unterliegen. Vgl. wegen der letzteren
296
Die innere Verwaltung
tigten Personen die unverschiebliche' Unterstützung zu leisten und für-
einfache Beerdigung von Leichen zu forgen ist. In allen diesen Fäl-
len der vorläufigen Unterstützung- kann von der Heimatgemeinde Er-
satz verlangt werden.
907 4. Zur Besorgung der auf die Armenpflege bezüglichen Angele-
genheiten der Gemeinde besteht ein besonderes Organ, der Arme n-
pflegschaftsrat; er setzt sich in der Hauptsache zusammen aus
dein Bürgermeister, aus Abgeordneten der Gemeindeorgane (Magist-
rat, Gemeindebevollmächtigte, Gemeindeausschutz, Gemeinderat), aus
besonders gewählten Armenpflegschaftsräten, aus den Pfarrvorständen
der Gemeinde und dem Bezirksarzte, der etwa in der Gemeinde seinen
Sitz hat. Vorstand ist in Gemeinden mit städtischer Verfassung und
in der Pfalz der Bürgermeister, in den Landgemeinden der Pfarrer
der Konfession, der die Mehrheit der Gemeindeangehörigen zugehört.
908 5. Bei Personen, die in Bayern keine Heimat
habe n, tritt im allgemeinen die vorläufige Unterstützungspflicht der
Aufenthaltsgemeinde in gleicher Weise ein, wie bei Personen, die in
Bayern beheimatet sind. Fiir solche Unterstützungen kann die unter-
stützende Gemeinde in der Regel Ersatz ihrer Auslagen vom bayerischen
Staat verlangen. Zwischen dem deutschen Reich oder Bayern einer-
seits und verschiedenen fremden Staaten anderseits sind Staats-
verträge geschlossen wegen der Uebernahme der unterstützungsbedürf-
tigen gegenseitigen Angehörigen und des Ersatzes der Unterstützungen.
Wegen der Unterstützung von Angehörigen eines der deutschen Bun-
desstaaten und von Elsatz-Lothringen wurden in der sogenannten
Eisenacher Uebereinkunft Vereinbarungen getroffen.
Demnach find diese Staaten und umgekehrt ihnen gegenüber auch
Bayern verpflichtet, den gegenseitigen Angehörigen Kur und Ver-
pflegung nach denselben Grundsätzen wie bei eigenen Angehörigen zu
gewähren und zwar solange, bis ihre Rückkehr in ihren Heimatstaat
ohne Nachteil für ihre oder anderer Gesundheit geschehen kann. Die
gegenseitigen Kosten erstatten sich die Staaten nicht.
909 6. P r i v a t p e r s 0 n e n, die Hilfsbedürftige unterstützen, könne,:
von den unterstützungspflichtigen Gemeinden nur dann Ersatz ver-
langen, wenn die Hilfe so dringend war, daß eine vorherige Anzeige
bei dem Armenpflegschaftsrat des Ortes der Hilfeleistung nicht statt-
finden konnte. Der Ersatzanspruch erlischt, wenn nicht innerhalb
48 Stunden nach dem Beginn der Hilfeleistung Anzeige hiervon an
den Armenpflegschaftsrat erstattet wird.
' So ist z. B. Personen, die durch Verlust ihrer Barmittel in Verlegen-
heit sind oder die plötzlich in die Lage versetzt sind, sich Kleider beschaffen zu
müssen, die erforderliche Hilfe durch die Aufenthaltsgemeinde zu gewähren.
Das Armenivesen
297
7. Die Distriktsarmenpflege umfaßt hauptsächlich die 9-0
Unterstützung der mit Armenlasten überbürdeten Gemeinden des
Distrikts, die Einrichtung von Distriktsarmenhäusern, Beschäftigungs-
anstalten, Armenkolonien, Distriktsanstalten zur Erziehung armer
verwahrloster Kinder und die Ansammlung eines besonderen Distrikts-
armenfonds. Als mit Armenlasten überbürdet gelten Gemeinden,
wenn die Umlagen, die die Armenzwecke erfordern, eine solche Höhe
erreichen, daß hiedurch der Nahrungsstand eines erheblichen Teiles
der Umlagepflichtigen gefährdet ist. Der Aufwand, der den Distrikten
durch die Unterstützung der mit Armenlasten überbürdeten Gemeinden
erwächst, ist diesen znm Teil wieder von den Kreisgemeinden zu er-
statten. Die Armenangelegenheiten der Distrikte werden von deren
ordentlichen Organen, dem Distriktsrat und dem Distriktsansschuß
besorgt, doch werden diese hiebei durch Bezirksärzte und Pfarrer
verstärkt.
8. Der Kreisarmenpflege obliegt namentlich die Unter- 911
Haltung und Begründung von Wohltätigkeits- und Beschäftigungs-
anstalten, Armenkolonien, Irrenhäusern und die Unterstützung der
mit Armenlasten überbürdeten Distriktsgemeinden und unmittelbaren
Städte. Die Kreisarmenpflege wird von den ordentlichen Organen
der Kreisgemeinden, dem Landrate und dem Landratsausschuß, be-
sorgt.
9. Personen, die, obwohl sie im Besitze genügender Mittel sind, 912
öffentliche Armenunterstützung erlangt haben, oder zwar zur Zeit
der Unterstützung hilfsbedürftig waren, aber binnen zehn Jahren
nach Empfang der Unterstützung ein Vermögen erworben haben, das
ihnen die Ersatzleistung ermöglicht, sind hiezu verpflichtet.
Desgleichen sind Personen, die gegenüber einem Hilfsbedürftigen
unterhaltspflichtig sind, gebunden, wenn sie ihre Unterhaltspflicht
nicht erfüllten, Ersatz für die von der Gemeinde gemachten Aufwen-
dungen zu leisten. Die öffentlichen Armenpflegen können aus dem
Nachlaß der von ihnen im Laufe der zehn letzten Jahre vor dem Tode
unterstützten Personen vollen Ersatz für die gewährte Unterstützung
verlangen, wenn nicht arme Pflichtteilsberechtigte vorhanden sind.
10. Die öffentliche Armenpflege findet eine wichtige Unterstützung 91z
und Ergänzung in der Privat Wohltätigkeit. Hier sind be-
sonders zu nennen die im ganzen Reich organisierten und zu einem
Verbände zusammengeschlossenen Frauenvereine, welche zu-
nächst die Fürsorge für Verwundete und Kranke im Krieg bezwecken,
aber auch im Frieden durch freiwillige Armenpflege, Errichtung ge-
meinnütziger Anstalten der verschiedensten Art, sowie durch Ausbil-
dung und Erhaltung von Krankenpflegerinnen eine wirksame Tätig-
298
Die innere Verwaltung
keit entfalten. Zu erwähnen sind weiter die Krankenschwe-
stern der beiden christlichen Konfessionen; ferner die Einrichtung
von Volksküchen und von A r b e i t s n a ch w e i s a n st a l t e n;
von Arbeiterkolonien, welche den durch Wandern und Bet-
teln heruntergekommenen Arbeitern die Rückkehr zur Arbeit und zu
geregeltem Leben ermöglichen sollen; die Naturalverpfle-
gung s st a t i o n e n für mittellose Wanderer; die K i n d e r a s y l e,
Krippen, Herbergen oder wie die zahlreichen Wohltätigkeits-
anstalten sonst heißen mögen.
F. Die 'MobiZei.
1. Begriff.
Man unterscheidet in der Tätigkeit der Verwaltung die Wohl-
fahrtspflege, welche durch Anregung, Belehrung und Gewäh-
rung von Einrichtungen oder Hilfsmitteln das Wohl der Gesamtheit
wie der einzelnen Staatsbürger zu fördern sucht, und die P o l i z e i,
unter welcher die sich des Zwangs oder der Strafe bedienende Ver-
waltungstätigkeit verstanden wird. Da aber Zwang und Strafen
wohl aus keinem Gebiet der Verwaltung völlig zu entbehren sind, so
durchdringt die Polizei mehr oder weniger alle Verwaltungszweige.
Man spricht daher z. B. von Gesundheitspolizei, Forstpolizei,
Veterinärpolizei, Gewerbepolizei, Maß- und Gewichtspolizei, Schiss-
sahrtspolizei, Eisenbahnpolizei, Baupolizei usw. Einzelne dieser Ge-
biete, aus denen die polizeiliche Tätigkeit besonders überwiegt, werden
unten (Nr. 922 u. fs.) noch näher zu betrachten sein.
2. Die Polizeibehörden und ihre Befugnisse.
Die mit Polizeigewalt ausgestatteten Behörden heißen Polizei-
behörden. Man unterscheidet in Bayern zunächst die Orts-
polizeibehörden, diese üben die Polizeigewalt innerhalb des
Umfangs einer politischen Gemeinde aus. Ortspolizeibehörde ist in
Gemeinden mit städtischer Verfassung der Magistrat unter Leitung
des Bürgermeisters; in beschränktem Umfang, soweit sich die Geschäfte
zur Behandlung durch ein Kollegium d. h. durch eine Mehrheit von
Personen, wie sie der Magistrat ist, nicht eignen, wird die Polizei-
verwaltung vom Bürgermeister allein erledigt. Ortspolizeibehörde
in den Landgemeinden und in den Gemeinden der Pfalz (soweit sie
nicht unmittelbare Städte sind) ist der Bürgermeister allein. Ueber
den Ortspolizeibehörden stehen die D i st r i k t s p o l i z e i b e h ö r -
den, das sind die Bezirksämter für den Umfang ihres Bezirkes und
Die Polizei
299
die Magistrate und die Bürgermeister der unmittelbaren Städtw für
deren Bezirk, wobei die Zuständigkeit zwischen Magistrat nnb Bür-
germeister in gleicher Weise wie hinsichtlich der Ortspolizei geschieden
ist. Ueber den Distriktspolizeibehörden stehen die Kammern des
I n n e r n der Regierungen, denen die Polizeigewalt fiir den Umfang
eines Regierungsbezirkes, und über diesen steht wieder das S t a a t s-
m i n i st e r i u m des Inner n, dem sie für das ganze Königreich
zusteht.
Die P o l i z e i g e w a l t der genannten Behörden ist aber nicht 9-
unbeschränkt, sondern durch gesetzliche Bestimungen, hauptsächlich
durch das bayerische Polizeistrafgesetzbuch und den die Ueber-
tretungen behandelnden Abschnitt des Reichsstrafgesetzbuchs ein-
gehend geregelt. Allgenieine Anordnungen, Vor-
schriften, Gebote oder Verbote, d.h. solche, die sich nicht
an eine bestimmte Person sondern an jeden richten, können nur auf
Grund einer durch Gesetz erteilten Ermächtigung erlassen werden.
Sie haben entweder in der Form einer Verordnung, oder einer
ober-, einer distrikts- oder einer ortspolizei-
lichen Vorschrift zu erfolgen. Welche dieser Formen im ein-
zelnen Fall in Betracht kommt, wird entweder durch das Gesetz selbst
oder, wenn dieses feine Bestimmung enthält, durch königliche Ver-
ordnung festgesetzt. Die ortspolizeilichen Vorschriften werden von
den Magistraten (in München auch von der Polizeidirektion und der
Lokalbaukommifsion), den Gemeindeausschüssen und den Gemeinde-
räten, distriktspolizeiliche von den Distriktspolizeibehörder?, ober-
polizeiliche, soweit sie nur für einen Regierungsbezirk gelten sollen,
von den Kreisregierungen, soweit sie für das ganze Land gelten sollen,
von den Ministerien erlassen. Letztere können sie auch bloß für den
Umfang eines Regierungsbezirks erlassen? Orts- und distriktspoli-
zeiliche Vorschriften, die eine fortdauernde Geltung haben sollen, sind
den Regierungen vorzulegen, sie werden nur dann wirksam, wenn sie
die Regierung entweder ausdrücklich genehmigt oder wenn diese
binnen dreißig Tagen keine Beanstandungen erhebt. Die polizei-
lichen Vorschriften sind in der im Gesetze im einzelnen vorgeschrie-
benen Form öffentlich bekannt zu machen. Die Gerichte haben,
wenn sie auf Grund einer polizeilichen Vorschrift (fei es eine Ver- *
* In München kommen neben dem Magistrat die Polizeidirektion und
die Lokalbaukommifsion in Betracht.
Soweit distriktspolizeiliche Vorschriften durch die Magistrate unmit-
telbarer Städte, die ja gleichzeitig Distriktspolizeibehörden sind, erlassen
werden, sind sie, obwohl sie fachlich distriktspolizeiliche Vorschriften sind, doch
als ortspolizeiliche zu behandeln.
o Wegen der Form der Verordnungen s. Nr. 156.
300
Die innere Verwaltung
ordnung, eine ober-, eine distrikts- oder eine ortspolizeiliche
Vorschrift) eine Strafe ausfprechen sollen, zu prüfen, ob sie
gesetzlich gültig ist, also insbesondere, ob sie sich innerhalb der Befug-
nisse hält, die der Polizeibehörde durch das Gesetz eingeräumt wurden,
ob sie von der zuständigen Behörde und ob sie in den vorgeschriebenen
Formen erlassen wurde. Dagegen darf der Richter ihre Notwendig-
keit und ihre Zweckmäßigkeit nicht prüfen und er hat auch dann zu
strafen, wenn er sie für überflüssig oder ungeeignet hält.
9 > 7 Hinsichtlich der Ausübung p o l i z e i l i ch en Zwanges
gegen bestimiute einzelne Personen ist zu unter-
scheiden, ob die Polizeibehörden ein Gesetz vollstrecken wollen, dessen
Uebertretung mit Strafe bedroht ist, oder ob es sich um den Vollzug
eines Gesetzes handelt, bei dein eine Strafnorm auf Zuwider-
handlungen nicht gesetzt ist. In den Fällen der ersteren Art kann die
Polizeibehörde nur dann zwangsweise vorgehen, wenn eine rechts-
kräftige Verurteilung erfolgt ist. So ist bestimmt, daß gestraft wird,
wer einen Bau ohne polizeiliche Genehmigung aufführt. In diesem
Falle kann die Polizeibehörde erst nach Durchführung des Strafver-
fahrens, in dem festgestellt wird, ob es sich in der Tat um einen Fall
handelt, in dem baupolizeiliche Genehmigung notwendig ist, mit
Zwangsmaßregeln zur Abstellung des ordnungswidrigen Zustands
einschreiten. In den Fällen, in denen das Gesetz keine im Wege des
Strafprozesses zu verhängende Strafe androht, können die Polizei-
behörden zur Durchführung des Gesetzes Ungehorsamsstrafen an-
drohen, und zwar die Bürgermeister der Landgemeinden bis zu 6 M>,
Polizeibehörden höheren Rangs bis zu 9 M., bisweilen bis zu 45 M.
und, wenn der Pflichtige die vorgeschriebene Handlung innerhalb der
ihm gesetzten Frist nicht erfüllt, sie auch selber auf seine Kosten vor-
nehmen lassen.
918 Daneben sind den Polizeibehörden noch verschiedene Ermäch-
tigungen für besondere Fälle gegeben, so können sie in
Notfällen Tiere, z. B. wild gewordene Stiere oder bösartige Hunde
töten lassen, oder unter Umständen Anstalten schließen oder Woh-
nungen räumen lassen.
3. Die Gendarmerie und die sonstigen polizeilichen Vollzugs-
organe.
919 Die Gendarmerie ist dazu berufen, die Zivilbehörden bei
der Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu
unterstützen. Sie ist nach militärischen Grundsätzen organisiert, die
Regelung des Dienstes selbst aber obliegt dem Ministerium des In-
nern und unter diesem den Kammern des Innern der Regierungen
Die Polizei
301
und den Bezirksämtern. Die Disziplin wird vom Kriegsministerium
gehandhabt. Hinsichtlich militärischer Verbrechen und Vergehen
unterstehen auch die Unteroffiziere und Mannschaften der Gen-
darmerie der Militärgerichtsbarkeit, die für die Offiziere schlechthin
begründet ist.
Der Oberbefehl über die Gendarmerie wird von dem Gen-
darmerie-KorPskomnrando gefiihrt; Korpschef ist ent-
weder ein General oder ein Oberst. Sie gliedert sich in Abteilungen,
die dem Umfang eines Regierungsbezirkes entsprechen; die Ab-
teilungen gliedern sich wieder in Bezirke, entsprechend den Sprengeln
der Bezirksämter, und die Bezirke zerfallen ihrerseits in Stationen.
An der Spitze der Abteilungen steht der Abteilungskommandeur, ein
Stabsoffizier oder ein Hauptmann, an der Spitze der am Sitze eines
Bezirksamts befindlichen Station steht ein Oberwachtmeister und an
der Spitze der sonstigen Stationen ein Wachtmeister?
Die Gendarmerieossiziere stehen lediglich unter ihren mili-
tärischen Vorgesetzten; die übrige Mannschaft steht mit unbedeuten-
den Ausnahmen hinsichtlich der Dienstleistung ausschließlich unter
den Polizeibehörden. Die allgemeinen Anordnlmgen über den
Dienst gehen vom Ministerium des Innern aus.
Für München obliegt die Erledigung der sonst der Gendarmerie 920
obliegenden Aufgaben einer besonderen Organisation, der K. S ch u tz-
mannschaft in München. Sie ist ein, allerdings militärisch
organisiertes, Zivilinstitut und ist, unter der Oberleitung der Re-
gierung von Oberbayern und des Ministeriums des Innern, der
Polizeidirektion München angegliedert. Die Angehörigen der Schutz-
mannschaft unterstehen der bürgerlichen Gerichtsbarkeit.
Neben diesen staatlichen Sicherheitsorganen bestehen zur Hand- 921
habung der örtlichen Polizei gemeindliche Organe
unter verschiedenen Bezeichnungen: Schutzleute, Gemeindediener,
Polizeidiener, Flurwächter, Marktaufseher und andere.
4. Die Baupolizei.
Ueber die Ausführung und die Beschaffenheit der Bauten sind 922
in der Bauordnu n (st eingehende Vorschriften erlassen, z. B. über
Die Ergänzung der Offiziere des Korps erfolgt aus den
Oberleutnanten und Leutnanten des aktiven Heeres und aus inaktiven
Oberleutnanten und Leutnanten, denen beim Ausscheiden aus dem Heer
die Aussicht auf Anstellung im Zivildienst verliehen wurde. Die Mann-
schaft ergänzt sich durch freiwilligen Zugang aus den Reservisten
und Landwehrpfüchtigen. Zur Ausbildung besteht die Gendarmerie-
schule in München.
° Für München besteht eine besondere Bauordnung, die aber auf
ähnlichen Grundsätzen beruht, wie die allgemeine Bauordnung.
302
Die innere Verwaltung
das Baumaterial, über die Fundierung und die Stärke der Mauern,
über die Anlage der Feuerstätten und Kamine, über die Höhe der
Gebäude und die Einteilung in Stockwerke, iiber die Beschaffenheit
der Dachungen, über Altanen, Erker und Oberlichtschachte, über
Winkel, Hofräume und Ntickgebäude u. a.
Daneben bestehen eine Reihe formeller Vorschriften für die Aus-
führung der Bauten. In Betracht kommen zunächst die Bestim-
mungen über die B a u l i n i e und die Höhenlage (das
Niveau). Unter Vauliuie versteht man eine mittels wagrechter
Bestimmung festgesetzte Stute, unter Höhenlage (Niveau) eine mittels
lotrechter Bestimmung festgestellte Fläche. Die Festsetzung der Bau-
linien und der Höhenlagen erfolgt für die unmittelbaren Städte, in
der Pfalz außerdem auch für die Städte mit mehr als 10 000 Ein-
wohnern, durch die Kammern des Innern der Kreisregierungen, für
die übrigen Orte durch die Bezirksämter. Wer an bestehenden oder
neu anzulegenden öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen in
Städten, Märkten oder zusammenhängend gebauten Dörfern, an
eiltet Staatsstraße, einer Distriktsstraße oder einem Gemeinde-
verbindungsweg ein erheblicheres Gebäude aufführen will, hat in der
Regel die Baulinie, einschließlich der etwa festgesetzten Höhenlage,
einzuhalten, er darf weder hinter ihr zurückbleiben, noch sie über-
schreiten. Wenn eine Baulinie noch nicht festgesetzt ist, so hat eine
Festsetzung ztt erfolgen, vorher darf eine erheblichere Bauführung
nicht vorgenommen werden.
Die Bewilligung zu Bauführungen in neuen Bauanlagen von
Städten, Märkten und zusammenhängend gebauten Dörfern darf
erst erteilt werden, wenn vorher die Stratzensicherung erfolgt
ist, d. h. wenn vorher die Herstellung des Straßenkörpers für den
betreffenden Teil der Straße von einer Querstraße bis zur nächsten
Querstraße und für die Verbindung mit einer bereits bestehenden
Straße gesichert ist oder wenigstens Sicherheit dafür geleistet wird,
daß die Herstellung binnen einer zu bestimmenden Frist erfolgt.
Erheblichere Bauten (welche Bauten als solche gelten, ist in der
Bauordnung im einzelnen genau festgesetzt) dürfen nur dann her-
gestellt werden, wenn hierzu die baupolizeiliche Genehnti-
g u n g erteilt ist. Die Verbescheidnng der Gesuche obliegt den
Distriktsverwaltungsbehörden in erster, den Kammern des Innern
der Kreisregierungen in zweiter Instanz. Zur Erlangung der bau-
polizeilichen Genehmigung sind Pläne vorzulegen; über deren Be-
schaffenheit bestehen eingehende Vorschriften. Für die technische
Prüfung der Baupläne sowie für die Ueberwachung der plan- und
vorschriftsmäßigen Bauführung sind bei den Distriktsverwaltungs-
Die Polizei
303
behörden Sachverständige aufgestellt. Diese haben alle genehmigungs-
pflichtigen Neubauten und die bedeutenderen Hauptausbesserungen
und Hauptänderungen nach der Vollendung zu besichtigen. Sie haben
auch während der Ausführung des Baues, namentlich bei allen
größeren und schwierigeren Bauten, desgleichen bei umfangreicheren
mit genehmigungspflichtigen Bausührungen zusammenhängenden
Abbruchsarbeiten Nachschau zu halten.
5. Die Wohnungspolizei.
In allen Gemeinden Bayerns ist eine polizeiliche Beaufsichtigung 926
der Wohnungen und der Wohnungsräume eingerichtet, sie verfolgt
den Zweck, die Wohnungsverhältnisse, namentlich der Minderbemit-
telten, zu verbessern itnb Mißstände zu beseitigen. In größeren
Orten werden für diesen Zweck besondere Wohnungskommissionen
bestellt. Diesen werden nötigenfalls als Hilssorgane besondere
Wohnungsinspektoren beigegeben. Die Tätigkeit der Mitglieder der
Wohnungskommission ist eine ehrenamtliche, das will sagen, daß
für sie keine Vergütung erteilt wird. Neu hergestellte Wohnungen
und Wohnungsräume dürfen ohne polizeiliche Genehmigung nicht
bezogen werden; diese darf nur erteilt werden, wenn die Wohnungen
oder die Wohnungsräume vollständig fertig und geniigend aus-
getrocknet sind. Ueber die Beschaffenheit der Wohnungen hinsichtlich
der Licht- und Luftzufuhr, über Belegung der Schlafräume, iiber
das sogenannte Schlasgängerwesen und ähnliche Verhältnisse sind
genaue Vorschriften getroffen.
Zur einheitlichen Durchführung der Wohnungsaufsicht und zur 927
Förderung der Wohnungsfürsorge für ganz Bayern ist beim Mini-
sterium des Innern ein Regierungsrat als Zentralwohnung s-
i n s p e k t 0 r aufgestellt.
6. Die Feuerpolizei.
Von Wichtigkeit für die Verhinderung von Bränden ist zunächst 928
die Ordnung des K a m i n k e h r e r w e s e n s. Die Reinigung der
Kamine und die Vornahme der damit zusammenhängenden Geschäfte
darf in Bayern nur durch die besonders ausgestellten Kaminkehrer
und Kaminkehrergeschäftssührer und ihre Gehilfen erfolgen. Jeder
Kaminkehrer ist ans einen bestimmten Bezirk beschränkt. An den
durch die Distriktsverwaltungsbehörde (in der Pfalz bisweilen auch
von den Bürgermeistern) festgesetzten Kehrterminen hat er alle
Kamine zu reinigen, er hat hierbei auch darauf zu achten, daß sich die
Feuerstätten in einem guten Zustand befinden, über die Reinigungen
hat er ein Kehrbnch zu führen. Die Bezirke der Kaminkehrer werden
304
Die innere Verwaltung
durch die Distriktsverwaltungsbehörden festgesetzt. Die Verleihung
der Stellen als Kaminkehrer erfolgt durch die Distriktsverwaltungs-
behörden. Voraussetzung ist vor allem das Bestehen der Meister-
prüfung. Den Witwen der Kaminkehrer koinmt eine Unterstützung
aus den Erträgnissen des Kehrbezirks zu?
Ein weiteres Mittel zur Hintanhaltung von Feuerschäden ist die
F e u e r b e s ch a u. Es werden nämlich siir jede Gemeinde, bei
größeren Gemeinden für Teile der Gemeinde, Feuerbeschaukommis-
sionen gebildet. Diese bestehen in der Hauptsache aus einem Ver-
treter der Ortspolizeibehörde und einem Bauverständigen (einem
Bautechniker, einem Maurermeister oder einem Zimmermeister); es
können auch Kaminkehrer beigezogen werden, desgleichen kann die
Ortsseuerwehr einen Vertreter abordnen. Die Kommission tritt
mindestens alle zwei Jahre zu einer allgemeinen Feuerbeschau zu-
sammen. Bei der Feuerbeschau werden die Gebäude und die An-
wesen aus feuergefährliche Zustände und auf sicherheitsgefährliche
Baugebrechen untersucht, es ist insbesondere den Kaminen und den
Feuerstätten Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Tätigkeit der
Kommissionen wird von den Distriktsverwaltungsbehörden über-
wacht. In Städten, in denen zur Vornahme der Feuerbeschall tech-
nisch gebildete Bedienstete vorhanden sind, kann die Feuerbeschau in
anderer Weise geregelt werden.
Der Bekämpfung eines bereits entstandenen Feuers dienen vor
allem die an vielen Orten bestehenden freiwilligen Feuerwehren.
Sie sind zum Bayerischen Landesseuerwehrverband vereinigt. Wo
freiwillige Feuerwehren, d. h. solche, bei denen der Beitritt und die
Tätigkeit der Mitglieder aus freier Vereinbarung beruht, nicht
bestehen, werden Pslichtseuerwehren gebildet. Die Errichtung und
die Organisation der letzteren erfolgt durch ortspolizeiliche oder
distriktspolizeiliche Vorschrift. In diesem Falle ist die Nichterfüllung
der den Beteiligten auferlegten Pflichten unter Strafe gestellt.
Aus jährlichen Beiträgen von den Einnahmen der staatlichen Brand-
versicherungsanstalt und aus jährlichen Abgaben, die den in Bayern
zugelassenen Mobiliar-Feuerversicherungsgesellschasten auferlegt sind,
ist der sog. Fonds für Förderung des Feuerlösch-
wesens gebildet. Dieser ist zur Unterstützung verunglückter
Feilerwehrmänner und ihrer Hinterbliebenen, sowie zur Förderung
des Feuerlöschwesens, wozu mich die Wasserversorgung der Ge-
meinden gerechnet wird, bestimmt.
° Besondere Bestimmungen bestehen für die aus älterer Zeit stammen-
den Kaminkehrer-Realrechte.
Die Polizei
305
Wer in seiner Wohnung oder den dazu gehörigen Gebäuden 931
einen Brand wahrnimmt, hat bei Meidung von Bestrafung sofort die
öffentliche Hilfe anzurufen. Wer bei einem Brand von der
Polizeibehörde zur Hilfe aufgefordert, diese nicht leistet,
obgleich er dieses ohne erhebliche eigene Gefahr tun könnte, wird
gestraft.
7. Das Paß- und Meldewesen.
a. Während früher die freie Bewegung der Bevölkerung durch 932
den sog. Paßzwang eingeschränkt war, bedürfen jetzt Deutsche
weder zum Ausgang aus dem Deutschen Reich noch zur Rückkunft
oder zum Aufenthalt und Reisen innerhalb desselben eines Reise-
papiers. Auch von Ausländern sollen solche Papiere nicht gefordert
werden. Die Paßpflichtigkeit kann jedoch, wenn die staatliche Sicher-
heit oder die öffentliche Ordnung durch Krieg, innere Unruhen oder
sonstige Ereignisse bedroht erscheint, vorübergehend allgemein oder
für bestimmte Bezirke oder Reisen eingeführt werden.
Ungeachtet der Aufhebung des Paßzwanges ist doch jedermann 933
verpflichtet, sich auf amtliches Verlangen über seine Person genügend
auszuweisen. Hierzu können besonders die H e i m a t s ch e i n e und
die Staatsangehörigkeitsausweise (s. Nr. 121 Anm.)
dienen. Ferner werden für Reisen ins Ausland förmliche Pässe aus-
gestellt, an deren Stelle häufig die leichter und billiger zu erlangen-
den Paßkarten treten. Pässe und Paßkarten werden in der
Regel von den Magistraten der unmittelbaren Städte und den Be-
zirksämtern, in München von der Polizeidirektion ausgestellt. Im
Ausland sind die deutschen Gesandten und Konsuln zur Ausstellung
von Pässen an Deutsche befugt, desgleichen die Gesandten von Bun-
desstaaten, doch letztere in der Regel nur für Angehörige ihres Bun-
desstaates. Neben den Gesandten und Konsuln sind aber auch für im
Ausland wohnende Bayern die oben bezeichneten Distriktspolizei-
behörden, und zwar die der Heimat, zur Ausstellung der Papiere
berufen.
Die Bestimmungen über die polizeilichen A n m e l - 934
düngen und Abmeldungen sind in Bayern nicht ein-
heitlich für das ganze Königreich geregelt, sondern durch ober- oder
ortspolizeiliche Vorschriften getroffen. Nach den gesetzlichen Bestim-
mungen, die die Grundlage dieser polizeilichen Vorschriften bilden,
kann bestimmt werden, daß Fremde, die sich in einer Gemeinde auf-
halten, binnen acht Tagen bei der Ortspolizeibehörde Anzeige zu
erstatten haben, daß Gastwirte und Herberggeber über die Ankunft
und die Abreise der von ihnen beherbergten Personen Anzeigen zu
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 20
306
Die innere Verwaltung
erstatten und Ausschreibungen zu führen haben n. a. Zuwiderhand-
lungen gegen diese Anordnungen sind strafbar.
8. Die Presse.
935 Unter der Presse eines Landes versteht man den Inbegriff alles
dessen, was daselbst gedruckt wird. Die Presse unterlag früher man-
cherlei behördlichen Beschränkungen, besonders der sog. Zensur,
d. h. keine Druckschrift durfte ohne vorherige amtliche Prüfung und
Erlaubnis verbreitet werden. Heute ist in Deutschland durch das
Reichspreßgesetz die Preßfreiheit grundsätzlich aner-
kannt. Die Befugnis zur Ausübung des Preßgewerbes oder zur
Herausgabe und zur Verbreitung von Druckschriften kann niemanden
mehr, und zwar weder auf polizeilichem noch auf richterlichem Wege,
entzogen werden; doch können im Auslande erscheinende Zeitungen
oder Zeitschriften im Jnlande vom Reichskanzler auf nicht länger
als zwei Jahre verboten werden, wenn wegen ihres Inhalts binnen
Jahresfrist zweimal eine Verurteilung erfolgt ist.
936 Die Preßfreiheit darf jedoch nicht dazu führen, daß unter ihrem
Schutze unbekannt bleibende Personen straflos Vergehen verschiedener
Art, wie Beleidigungen, Aufreizungen zum Klassenkampf usw. öffent-
lich verüben können. Deshalb enthält das Preßgesetz gewisse Ord-
nungsvorschriften für die Presse. Zunächst muß jede Druckschrift den
Namen des Druckers (d. h. desjenigen, in dessen Druckerei sie her-
gestellt ist,) enthalten, sowie (bei Biichern, Zeitungen und Zeitschriften)
den Namen des Verlegers, auf dessen Rechnung Druck und Ver-
breitung erfolgen. Periodische Druckschriften (d. h. in monatlichen oder
kürzeren Fristen erscheinende Zeitungen und Zeitschriften) müssen
daneben auch den Namen des Redakteurs (d. h. des verantwort-
lichen Schriftleiters) tragen. Der Redakteur einer solchen Zeitung
oder Zeitschrift ist (nach § ll des Preßgesetzes) verpflichtet, auf Ver-
langen einer beteiligten Behörde oder Privatperson eine Berichti-
gung mitgeteilter Tatsachen aufzunehmen. Die Berichtigung hat in
demselben Teil der Druckschrift und mit derselben Schrift, wie der zu
berichtigende frühere Artikel und, soweit sie nicht von größerem Um-
fang als dieser ist, kostenfrei zu geschehen. Von jeder Nummer einer
periodischen Druckschrift hat der Verleger ein sog. Pflichtexem-
plar an die Polizeibehörde des Ausgabeorts abzuliefern.
937 Enthält eine in einer Druckschrift enthaltene Veröffentlichung
den Tatbestand einer strafbaren Handlung (z. B. einer Be-
leidigung), so haftet in der Regel als Täter der Redakteur, solange
er den Verfasser oder Einsender nicht nennt. In ähnlicher Weise
haftet auch der Verleger, der Drucker und sogar der Verbreiter der
Die Polizei
307
Druckschrift. Die durch die Presse verübten Vergehen lverdeu in
Bayern, Württemberg, Baden und Oldenburg mit einzelnen Aus-
nahmen durch die Schwurgerichte abgeurteilt (s. Nr. 299, Abs. 2).
Bei gewissen Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des 938
Preßgesetzes, sowie wenn der Inhalt einer Druckschrift gewisse Straf-
gesetze verletzt (z. B. durch beleidigende oder unzüchtige Artikel oder
Bilder), kann eine polizeiliche Beschlagnahme der Druckschrift
stattfinden; doch mutz alsdann in bestimmten kurzen Fristen die Ent-
scheidung des Gerichts über die Zulässigkeit der Beschlagnahme herbei-
geführt werden.
9. Vereine und Versammlungen.
Das Reich svereinsgesetz von 1908 hat mit den verschie- 939
denen landesrechtlichen Beschränkungen für Vereine und Versamm-
lungen durchgreifend aufgeräumt und grundsätzlich die freie Vereins-
bildung auch für Frauen gewährleistet. Beschränkungen sind nur noch
zum Schutze von Leben und Gesundheit der Teilnehmer, eine Auf-
lösung nur solcher Vereine zulässig, deren Zweck den Strafgesetzen zu-
widerläuft.
Für Vereine, die eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten
bezwecken (politische Vereine), ist binnen gesetzlich bestimmter Frist die
in deutscher Sprache abgefahte Satzung, sowie ein Verzeichnis der
Vorstandsmitglieder der zuständigen Polizeibehörde einzureichen, in
gleicher Weise ist eine Aenderung der Satzung oder in der Zusammen-
setzung des Vorstandes anzuzeigen. Ausnahme s. Nr. 941, Ziff. 1.
Oeffentliche politische Versammlungen müssen 940
mindestens 24 Stunden vor ihrem Beginn der Polizeibehörde^
angezeigt werden; einzelne Ausnahmen sind zugelassen; vgl. Nr. 941,
Ziff. 2.
Oeffentliche Versammlungen unter freiem
Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen
oder Plätzen bedürfen der Genehmigung der Polizeibehörde/
gleichgültig, welchen Zweck die Versammlung oder der Aufzug ver-
folgt?. Eine Versagung der Genehmigung ist nur wegen Gefähr-
0 D. i. in Bayern die Ortspolizeibehörde, in München die Polizei-
direttion.
D. i. in Bayern die Distriktspolizeibehörde, in München die Polizei-
direktion.
Gewöhnliche Leichenbegängnisse oder ortsübliche Hochzeitszüge sind
nach Reichsrecht, Aufzüge und Aufmärsche der Feuerwehren, Sanitäts-
kolonnen, Kriegervereine, Innungen, Schulen sowie die Aufzüge zu gesel-
20*
308
Die innere Verwaltung
düng der öffentlichen Sicherheit zuläfsig. Das Waffentragen in
öffentlichen Versammlungen oder in einem Aufzuge ist im allgemeinen
unzulässig.
Personen unter 18 Jahren sind von der Teilnahme an politischen
Vereinen oder Versammlungen ausgeschlossen.
Die Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen sind in deut-
scher Sprache zu führen. Ausnahmen läßt das Gesetz teils unmittel-
bar zu (vgl. Nr. 941 Zifs. 2), teils räumt es die Befugnis zur Zu-
lassung der Landesgesetzgebung ein.
Zur Sicherung der Unabhängigkeit bei öffentlichen Wahlen ent-
hält das Vereinsgesetz folgende Ausnahmebestimmungen:
1. Vom Tage der amtlichen Bekanntmachung des Wahltages bis
zur Beendigung der Wahlhandlung gelten nur vorübergehend gebil-
dete sog. Wahlvereine nicht als politische Vereine. (Nr. 939, Satz 3.)
2. Innerhalb des gleichen Zeitraums sind Versammlungen der
Wahlberechtigten von der A n z e i g e Pflicht befreit, es dürfen die Ver-
handlungen in solchen Versammlungen auch in nichtdeutscher Sprache
geführt werden, sofern es sich in diesem Fall um Wahlen für den
Reichstag oder die gesetzgebenden Versammlungen der Bundesstaaten
und Elsaß-Lothringens handelt?
Ueber die Rechtspersönlichkeit der Vereine und deren Eintragung
irt das Vereinsregister s. Nr. 350.
ligen und sportlichen Zwecken sind nach den bayerischen Aussührungsbestim-
mnngen weder genehmigungs- noch anzeigepflichtig. Oefsentliche Versamm-
lungen unter freiem Himmel, die nicht aus öffentlichen Plätzen und Straßen
stattfinden, bedürfen in Bayern keiner Genehmigung, wenn sie mindestens
vierundzwanzig Stunden vor dem Beginn von dem Veranstalter unter
Angabe von Zeit und Ort bei der Ortspolizeibehörde angezeigt wurden.
° In Bayern ist außerdem in allen Fällen der Mitgebrauch einer nicht-
deutschen Sprache gestattet.
3. Abschnitt.
Das wirtschaftliche Leben.
1. Kapitel.
Z)ie OviindZüge bev tkeo^etischenW'c'tkswivtschcrfLsl'eb^e.
a. Bedeutung und Entwicklungsstufen der
Volkswirtschaft.
Alle Mittel zur Befriedigung unserer verschiedenartigen Bednrf- 942
nisse (der Ernährung, Bekleidung, Wohnung, des Schmuckes usw.')
nennen wir Güte r. Die planmäßige lnenschliche Tätigkeit, welche
ans hinreichende Versorgung mit solchen Gütern gerichtet ist, heißt
wirtschaftliche Tätigkeit oder Wirtschaft. Wie aber der einzelne
sein Leben nicht abgeschlossen für sich, sondern zugleich als Glied seines
Volkes führt, so unterscheiden wir auch seine Privatwirtschaft
von der Volkswirtschaft, d. h. der planmäßigen Tätigkeit des
ganzen Volkes zur Befriedigung seiner Bedürfnisse.
Die Volkswirtschaft eines jeden Landes ist (ebenso wie sein 943
Recht) nicht etwas Willkürliches oder plötzlich Entstandenes, sondern
das Ergebnis seiner gesamten vorhergegangenen Kulturentwicklung.
Sie hat eine ganze Wirtschaftsgeschichte mit verschiedenen
Entwicklungsstufen hinter sich.
In der wirtschaftlichen Entwicklung der europäischen Kulturvölker
unterscheiden wir (nach dem Nationalökonomen Bücher) drei Haupt-
stufen oder Epochen, welche aber selbstverständlich nicht zusammen-
hanglos sich aneinander gereiht haben, sondern ineinander übergriffen
in der Weise, daß bereits in den friiheren Epochen Erscheinungsformen
der künftigen Entwicklungsstufen sich zeigten und umgekehrt.
310
Das Wirtschaftsleben
944 Auf der sog. Stufe der geschloffenen Hauswirt-
schaft (Eigenproduktion, taufchlofe Wirtschaft) erzeugte jede Haus-
wirtschaft im wesentlichen selbst durch die eigenen Familienmitglieder
oder durch Sklaven, Hörige oder Leibeigene die Güter, deren sie
bedurfte (Nahrungsmittel, Kleidung, Waffen usw.). Dies war die
Wirtschaftsform des alten Griechenland und des römischen Reichs in
den frühesten Zeitperioden, sowie der germanischen und romanischen
Völker im frühen Mittelalter.
945 Es folgte die sog. Stufe der Stadtwirtschaft, für
die die deutschen Städte des Mittelalters das beste Beispiel liefern.
Aus dem hörigen Fronarbeiter der ersten Epoche wurde der freie
Bauer und der freie Handwerker. So entstanden die einzelnen Be-
rufsstände. Aus den geschlossenen Hauswirtschaften des Adels, der
Kirchenfürsten und der Klöster entwickelten sich die Einzelwirtschaften
der Städte, gekennzeichnet dadurch, daß jede Stadt und ihre wirt-
schaftlich dazu gehörige Umgebung ein in sich im wesentlichen abge-
schlossenes Produktions- und Absatzgebiet bildete. Hier gab es noch
keinen Zwischenhandel; der Konsument mußte die Ware unmittelbar
vom Produzenten erwerben, und nur der einheimische Handwerker
hatte das Recht, aus dem einheimischen Markte seine Waren zu ver-
kaufen. Der Handwerkerstand war in sog. „Zünften" organisiert,
die iiber den Gewerbebetrieb ihrer Mitglieder strenge Aufsicht
übten. Einen über das Stadtgebiet hinausgreifenden Handel gab es
damals fast nur aus deu Jahrmärkten und Messen und nur für
Waren, die in der Stadt nicht erzeugt werden konnten, wie Ge-
würze und Südfrüchte, Pelze, seine Tuchwaren u. dgl.
946 Der Anbruch der dritten Wirtschaftsepoche, der Stufe itrt =
serer heutigen Volkswirtschaft, hängt in Deutschland zu-
sammen mit dem Erstarken der landesfürstlichen Macht gegenüber
den bisher unabhängigen Städten und dem Landadel. Die Landes-
fürsten strebten darnach, ihr Territorium auch wirtschaftlich als Ein-
heit zu gestalten; sie setzten an Stelle der einzelnen städtischen Mün-
zen ihre Landesmünzen, erließen Landesordnungen, die das
Markt-, Gewerbe- und Handelsrecht einheitlich regelten, und schufen
auf diese Weise größere, einheitliche Wirtschaftsgebiete an Stelle der
bisherigen zahlreichen kleinen. Die Vereinigung der deutschen Staa-
ten im Deutschen Zollverein (im Jahre 1831 u. folg.) und die Grün-
dung des neuen Deutschen Reiches gaben endlich dem deutschen Volke
das, was die westeuropäischen Staaten schon seit Jahrhunderten
besaßen, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, eine nationale Volks-
wirtschaft.
947 Aber die neuzeitliche Volkswirtschaft macht nicht Halt an den
Staatsgrenzen. Kein Staat kann sich mehr wirtschaftlich von dem
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre ZU
andern absperren, ohne in Unkultur zu versinken. Unsere vervoll-
kommneten Verkehrsmittel dienen heutzutage dem unaufhörlichen,
regen wechselseitigen Austausch der Güter aller Weltteile. Man ist
daher berechtigt, auch von einer alle Volkswirtschaften umfassenden
Weltwirtschaft zu sprechen.
Den Unterschied zwischen unserer heutigen Volks- und Weltwirt- 948
schaft und der Privatwirtschaft einer früheren Kulturstufe vermag
man sich am besten zu vergegenwärtigen, wenn man betrachtet, welcher
Tätigkeit die Gegenstände ihre Entstehung und Form verdanken, deren
wir alle, und zwar auch der einfachste Arbeiter, zur Lebenshaltung
bedürfen. Die Baumwolle unserer Kleidung stammt aus Amerika,
die Wolle vielleicht aus Australien, die Leinwand aus Rußland, das
Stieselleder aus Brasilien. Indien liefert die Gewürze, China den
Reis, Java den Kaffee. An der Gewinnung und Bearbeitung aller
dieser Stoffe arbeiteten eine große Anzahl Menschen. Zahlreiche
Fabriken des In- und Auslandes mußten ferner tätig sein, um die
Möbel, Betten, Geschirre, Uhren usw. zu verfertigen, die wir täglich
benützen. Die Kulturarbeit von Jahrhunderten, unzählige Erfin-
dungen waren aber nötig, um ein solches Zusammenarbeiten der
Völker zu ermöglichen? Mit Recht hat man in dem Organismus
unserer heutigen Volkswirtschaft den einzelnen und seine Tätigkeit
verglichen mit der Zelle eines tierischen Organismus, die durch
beständigen Austausch mit den Nachbarzellen Nahrung aufnimmt und
wieder abgibt; sie vermag nicht allein für sich zu bestehen, sondern nur
als Teil eines lebenden Organismus ihre Ausgabe zu erfüllen.
b. Begriff und Geschichte der Volkswirtschaftslehre und
Volkswirtschaftspolitik.
Die Wissenschaft, welche es sich zur Aufgabe macht, die Ursacheu 949
und Wirkungen in den Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens der
Völker klarzulegen, heißt die Volkswirtschaftslehre oder
Nationalökonomie? Sie erforscht insbesondere die allge-
meinen Regeln, welchen die Erzeugung, der Umlauf, die Verteilung
und der Verbrauch der Güter unterworfen sind. Aus Grund der durch 1
1 Man ersieht aus obigem Beispiel auch, wie unrichtig es ist, wenn
zuweilen schlechtweg behauptet wird, die Arbeiter hätten keinen Anteil an
den Segnungen unserer Kultur. Vgl. Conrad, „Grundriß der polit. Oeko-
nomie", dem dieses Beispiel entnommen ist.
" Den für das Studium der Nationalökonomie sich Interessierenden ist
unter anderen Werken zu empfehlen: Conrad, Grundriß zum Studium
der politischeu Oekonomie, 4 Bände, sowie Leroy-Beaulieu, Grund-
riß der Nationalökonomie, bearbeitet von Ramsperger. Ferner für Vor-
312
Das Wirtschaftsleben
diese Wissenschaft gewonnenen Erkenntnis lehrt sodann die Volks-
wirtschaftsPolitik die Grundsätze, nach welchen die Staats-
gewalt die Volkswirtschaft am zweckmäßigsten fördert. Je nach den
einzelnen Wirtschaftszweigen, auf welche sich die Volkswirtschafts-
politik richtet, nimmt sie verschiedene Namen an, z. B. Gewerbe-
Politik, Handelspolitik, Sozialpolitik, Land-
wirtschaftspolitik usw.
Entsprechend dem Stande der volkswirtschaftlichen Erkenntnis
hat man zu verschiedenen Zeiten verschiedene Systeme zur Förderung
der Volkswirtschaft verfolgt.
Vom 16.—18. Jahrhundert herrschte das sog. Merkantil-
s y st e m , welches als wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe ansah,
den Geldreichtum des Volkes, welcher die Grundlage seiner Macht sei,
zu vermehren durch Förderung des inländischen Gold- und Silber-
bergbaues, durch künstliche, im Wege einer absolutistisch-bureaukra-
tischen Staatsverwaltung angestrebte Hebung der Industrie, durch
Beförderung des Ausfuhrhandels und Verhinderung der Warenein-
fuhr aus dem Ausland mittels sogenannter Prohibitivzölle.
Diesem System traten um die Zeit der französischen Revolution
die sog. Physiokraten entgegen, welche das freie Waltenlassen
der Natur und des Individuums forderten, sich gegen das Zuviel-
regieren wendeten^ und in der Landwirtschaft die allein produktive
Arbeit erblickten.
Der Begründer der eigentlichen, wissenschaftlichen Volkswirt-
schaftslehre ist der Schotte Adam Smith (1723—1790), welcher
die zerstreuten Lehrsätze der früheren Schulen von ihren Einseitig-
keiten befreite und zu einem wissenschaftlich begründeten System zu-
sammenfügte. Er kommt zunächst in der Wirtschaftspolitik zu dem-
selben Ergebnis, wie die Physiokraten, indem er davon ausgeht, daß
im wirtschaftlichen Leben Naturgesetze walten, die man sich selbst über-
lassen müsse. Das Selbstinteresse des einzelnen führe ihn von selbst
dazu, so zu handeln, wie es der Gesamtheit förderlich sei. Der kurz-
sichtige Egoismus werde durch die Konkurrenz im Zaume gehalten.
geschrittenere: W. Noscher, System der Volkswirtschaft, 5 Bände,
S ch m oller, Grundriß der allg. Volkswirtschaftslehre, 2 Bände, und
Schön bergs Handbuch der politischen Oekonomie, 4 starke Bände.
Neben diesen Werken wurde für die vorliegende Arbeit unter anderen
noch benützt: Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben
von L. Elster, 2 Bände, 1898, und G o t t he i n e r , Leitfaden der prakt.
Volkswirtschaftslehre.
* Dieses physiokratische S y st e m wird herkömmlich charakte-
risiert durch die in einem Vortrag des Finanzministers Gournay an König
Ludwig XV. enthaltenen Worte: „Laissez faire, laissez
passer, car le monde va de lui même."
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre 313
Da die letztere sich aber nur bei wirtschaftlicher Freiheit entwickeln
könne, so sei es Ausgabe des Staates, die bisherigen unnatürlichen
Schranken (Monopole, gewerbliche Gebundenheit durch Zünfte, Pro-
hibitiv- und Schutzzölle usw.) zu beseitigen. Auch der Verkehr mit
dem Auslande müsse frei sein, um eine internationale Arbeitsteilung
durchzuführen, welche für die Gütererzeugung ebenso bedeutsam sei,
wie die Arbeitsteilung bei der inländischen Produktion. Smith
betrachtet die Arbeit als die ursprünglichste und (neben Kapital und 953
Bodenkraft) hauptsächlichste Quelle des Nationalreichtums: der letz-
tere bestehe nicht in einem möglichst großen Besitz an Geld, sondern
in den durch die Arbeit im Zusammenwirken mit Kapital und Boden-
kraft erzeugten und zur Befriedigung der Bedürfnisse verfügbaren
Gütern. Produktiv sei also nicht nur die Landwirtschaft, sondern
ebenso die Industrie, welche die Stosse durch Bearbeitung brauchbarer
und wertvoller macht, sowie der Handel, durch welchen die Güter in
die Hand derjenigen gebracht werden, welche ihrer bedürfen.
Die Smith'sche Lehre (auch das Smith'sche Jndustriesystem ge- 954
nannt) wurde seither in vielen Beziehungen berichtigt und erweitert.
Von den neueren Richtungen ist zunächst zu nennen die (vornehmlich
von den Nationalökonomen Knies und Roscher vertretene) sog. histo-
rische Schule, welche auf die Notwendigkeit hinwies, nicht bloß
durch rein philosophische Deduktionen abstrakte Wirtschaftsgesetze zu
konstruieren, weil es keine absolute Lösung wirtschaftlicher Fragen
gäbe: vielmehr sei stets auf die wirtschastsgeschichtliche Entwicklung
und die konkreten Zustände nach Nationalität, Zeit und Ort Rücksicht
zu nehmen. Von Bedeutung war ferner die theoretisch sich an Smith
anlehnende Freihandelsschule (von den Gegnern auch Man- 955
chesterschule genannt, weil die englische Freihandelspartei seinerzeit
von Manchester in England ausging). Unter ihrem Einfluß vollzog
sich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland die gesetz-
liche Durchführung der Wirtschastssreiheit, die sreihändlerische Um-
bildung des Zolltarifs und der Abschluß von Handelsverträgen mit
mäßigen Vertragszöllen. Im Gegensatze hierzu verlangte die Schutz- 956
z 0 l l p a r t e i autonome (d. h. nicht vertragsmäßige) Zolltarife mit
erhöhten Zollsätzen zum Schutze der Industrie und der Landwirtschaft.
Diese sog. Schutzzölle verhindern zwar nicht die Einfuhr der von
ihnen betroffenen Gegenstände, aber, indem sie den inländischen Preis
der eingeführten Waren erhöhen, gestatten sie die Anforderung eines
höheren Preises für die im Jnlande erzeugten gleichartigen Güter
und ermöglichen aus solche Weise die Erhaltung einer Landwirtschaft,
welche andernfalls bei den niedrigen Produktionskosten des Auslandes
nicht mehr konkurrenzfähig bliebe, sowie die Erstarkung einzelner,
noch in der Entwicklung begriffener Industriezweige.
314
Das Wirtschaftsleben
957 Besonderes Interesse beansprucht heutigen Tages der sogenannte
Sozialismus, welcher infolge der Ausbildung des großen
Fabrik- und Maschinenbetriebs und des daraus entsprungenen feind-
lichen Klassengegensatzes zwischen den Unternehmern (Kapitalisten)
und den Arbeitern entstand. Er bekämpft unsere ganze jetzige Eigen-
tums- und Erwerbsordnung und fordert eine neue Gesellschaftsord-
nung, in welcher die Produktionsmittel (d. h. Grund und Boden und
das Kapital) sich nicht im Privateigentum, sondern im Gemeineigen-
tum des Staates befänden, und wobei die gesamte Produktion von
letzterem planmäßig geleitet, einem jeden seine Arbeit zugeteilt und
der Ertrag ebenso von Staats wegen verteilt würde. Allein diese
Lehre verkeimt, daß gerade das eigene Interesse am Erfolg, die Ge-
wißheit, die Früchte der eigenen Anstrengung sicher zu genießen, den
wirksamsten Sporn für die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen
bildet und die stärkste Anspannung aller Kräfte, das rastlose Streben
nach Verbesserungen erzeugt. Diese Triebfeder würde in einem sozia-
listisch geleiteten Staatswesen fortfallen, und es ist nicht abzusehen,
wodurch sie ersetzt werden sollte, da der Gemeinsinn bei den meisten
Menschen leider weniger entwickelt ist. Abgesehen aber hiervon würde
der in einem solchen Staate herrschende Zwang und die Willkür, welche
bei einer behördlichen Verteilung der Arbeit und des Arbeitsertrages
unvermeidlich hervortreten müßte, bald völlig unerträglich werden.
958 Noch weiter als der Sozialismus geht der Kommunismus,
welcher nicht nur eine Gemeinschaft der Produktionsmittel, sondern
eine allgemeine Gütergemeinschaft, also auch eine solche der Ver-
brauchsgüter, fordert. Der Anarchismus endlich verwirft über-
haupt jede staatliche Ordnung. Die Verwirklichung feiner Ideale
würde nicht zu dem von ihm erträumten harmonischen Zusammen-
leben der Menschen, sondern zum Kampf aller gegen alle, zum Zustand
der Raubtierwelt führen.
959 Den richtigen Kern int wissenschaftlichen Sozialismus 4 erken-
nend, betonen die sog. K a t h e d e r s 0 z i a l i st e n (an ihrer Spitze
Adolf Wagner und Gustav Schmoller), daß die scheinbare wirtschaft-
liche Gleichheit und Freiheit aller für die wirtschaftlich Schwachen
vielfach gerade die Ungleichheit und Unfreiheit bedeute, und daß daher
der Staat verpflichtet sei, sich dieser in größerem Umfang als bisher
anzunehmen. Sie halten zu diesem Zwecke ein stärkeres Eingreifen
des Staats in unser Wirtschaftsleben (durch Uebernahme mancher
Großbetriebe usw.) für geboten. *
* Nicht völlig gleichbedeutend mit diesem wissenschaftlichen Sozialis-
mus ist die Sozialdemokratie, d. h. die politische Parier,
welche die sozialistischen Ideale mittels Einführung einer Volkshcrrschaft zu
verwirklichen strebt.
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
315
Unsere heutige Volkswirtschaftspolitik hat 960
aus allen diesen Lehrmeinungen Nutzen gezogen: Sie vermeidet, sich
durch abstrakte Wirtschastsprinzipien leiten zu lassen und würdigt die
Bedeutung der wirtschastsgeschichtlich gewordenen konkreten Zustände.
Sie erkennt ferner grundsätzlich die Freiheit der Gewerbe und des
Handels an und fördert letzteren durch Abschließung von Handelsver-
trägen. Neben den zur Bestreitung der Staatsausgaben nötigen soge-
nannten Finanzzöllen erhebt sie Schutzzölle in gleichfalls mäßigen
Grenzen nur da, wo Landwirtschaft oder Industrie eines solchen
Schutzes noch dringend bedürfen. Sie hat endlich erkannt, daß das
Gehen- und Geschehenlassen keineswegs alle wirtschaftlichen Uebel zu
beseitigen vermag, und betrachtet es als ihre Ausgabe, durch die Ge-
setzgebung die wirtschaftlich Schwachen zu stützen und überhaupt för-
dernd überall da einzugreifen, wo die Kräfte der einzelnen versagen.
c. Die Erzeugung der Güter.
I. Begriff und Arten.
Unter Gütererzeugung oder Produktion versteht man die 961
Neuschaffung wirtschaftlicher Güter oder die Werterhöhung solcher
Güter durch eine daraus gerichtete menschliche Tätigkeit.
Man unterscheidet zunächst die in der Gewinnung der Natur- 962
erzeugnisse bestehende Produktion (die sog. Rohstoff- oder Ur-
produktion) und die in der Bearbeitung dieser Rohstoffe beste-
hende Produktion (die R 0 h st 0 s s b e a r b e i t u n g). Sobald die
Rohstosfproduktion und die Rohstossbearbeitung nicht mehr lediglich
zur Deckung des eigenen Bedarfs, sondern zum Zweck des Verkaufs
stattfindet, bildet sich daneben der Handel aus, welcher gleichfalls
als Produktionszweig zu betrachten ist, weil er den Wert der Waren
erhöht, indem sie durch ihn dahin gelangen, wo sie gebraucht werden.
Den erwähnten drei Produktionsarten entsprechen die folgenden 96z
Gewerbe: a. die Land- und Forstwirtschaft, der Berg-
b a u, die I a g d u n d d i e F i s ch e r e i, welche alle die Urproduktion
zum Gegenstand haben; d. die mit der Rohstossbearbeitung sich be-
fassende I n d u st r i e (auch Gewerbe im engeren Sinne genannt),
welche das Handwerk und die Fabriken umfaßt; c. die aus den Güter-
austausch gerichteten Handels- und Verkehrsgewerbe.
II. Die Faktoren der Gütererzeugung.
Zur Erzeugung der Güter wirken regelmäßig drei Kräfte zusam- 964
men: die Natur, die menschliche Arbeit und das K a -
316
Das Wirtschaftsleben
P 11 q I. Selbst wo nämlich die Natur willig und ohne besondere
Pflege ihre Früchte spendet, bedarf es doch zu deren Gewinnung min-
destens des Einsammelns und Einbringens, also der Arbeit. Ferner
sind schon auf der niedrigsten Wirtschaftsstuse Mittel erforderlich, um
die Gütergewinnung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Diese Mit-
tel, wozu ebensowohl Pfeil und Bogen des Jägers, wie Nachen und
Netz des Fischers, Hacke, Spaten und Pflug des Landwirts, wie die
teuersten Maschinen des Fabrikanten gehören, bilden das Kapital.
1. D i e Natur.
965 Unter der Natur als erstem Prodllktionsfaktor darf man nicht
etwa nur die Erdoberfläche und was darauf wächst, sowie die unter-
irdischen Schätze der Erde verstehen, sondern die ganze den Menschen
umgebende Schöpfung, also auch die in ihr enthaltenen mecha-
nischen, physikalischen und chemischen Kräfte, wie die Wind- und die
Wasserkraft, die Wärme, die Elektrizität usw.
966 Die wirtschaftlich benutzbaren Gaben der Natur sind über die
verschiedenen Länder der Erde sehr ungleichmäßig verteilt; allein,
einem Gesetz der Ausgleichung entsprechend, welchem wir auch sonst
im Leben der Völker wie der einzelnen begegnen, haben sich nicht die
von der Natur am verschwenderischsten bedachten Teile der Erde, son-
dern die Länder der gemäßigten Zone, deren Bewohner um ihr Da-
sein mit der Natur ringen und kämpfen müssen, zu einer höheren
wirtschaftlichen und geistigen Kulturstufe emporgeschwungen; denn
der von der Natur gebotene Ueberflutz, sowie der Einfluß des tropi-
schen Klimas stumpft Körper und Geist ab und läßt die Tatkraft und
Arbeitslust nicht zur Eickwicklung kommen.
967 Auf den ersten Wirtschaftsstusen überwiegt bei der Gütererzeu-
gung die Natur. Je mehr Güter der Mensch ihr aber abgewinnen
will, desto mehr Arbeit und Kapital muß er z. B. bei Bebauung einer
gleich großen Strecke Landes aufwenden; er muß, wie man sagt, von
der extensiven zur intensiven Wirtschaft übergehen.
2. D i e Arbeit.
968 Man unterscheidet produktive und unproduktive
Arbeit. Produktiv ist eine Arbeit dann, wenn sie unmittelbar
oder mittelbar dazu beiträgt, die für den Menschen notwendigen oder-
nützlichen Güter zu vermehren; dazu aber gehört die geistige Arbeit
nicht weniger, als die körperliche, wenn dies auch die heutige soziali-
stische Theorie nur in beschränktem Umfang gelten läßt, indem sie,
wie es scheint, durch ihre gegenüber der geistigen Arbeit an den Tag
gelegte Mißachtung die ebenso unberechtigte Geringschätzung wett-
machen will, welche in früheren Zeiten die höheren Klassen gegen-
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
317
über der Handarbeit zeigten? Oder sollte wirklich die Arbeit des
Physikers und Chemikers, deren unermüdlicher Forschung das wirt-
schaftliche Leben der Völker die größten Fortschritte verdankt (man
denke z. V. an die Erfindung der Dampfmaschine und an die elek-
trische Industrie), unproduktiv sein? Dient etwa die Arbeit des
Ingenieurs, welcher eine neue Maschine auf dem Papier konstruiert,
der Produktion weniger, als die des Arbeiters, der nach diesen Plänen
die einzelnen Teile der Maschine anfertigt und zusammensetzt? 6
Die Produktivität der Arbeit gewinnt durch das Zusammen - 969
wirken der Arbeiter; denn viele Arbeiten (z. B. das Heben
schwerer Lasten) können von einzelnen Menschen allein überhaupt
nicht bewältigt werden. Noch weit wichtiger ist aber die sog. A r -
beitsteilung, unter welcher man die Verteilung einer wirt-
schaftlichen Tätigkeit aus verschiedene Personen versteht. Schon aus
der niedrigsten Kulturstufe findet eine solche Arbeitsteilung innerhalb
der Familie statt, indem der Mann die Arbeiten übernimmt, welche
größere Körperkraft und größeren Mut erfordern (wie z. B. die Jagd
und die Fischerei), während der Frau die Bereitung der Nahrung, War-
tilng der Kinder u. dgl. zufällt. Im Lauf der Entwicklung der Kul-
tur bildet sich aber weiter eine Teilung der Tätigkeit der Bevölkerung
in die verschiedenen Berufs- und Gewerbszweige aus, ein Entwick-
lungsgang, der mit der Verfeinerung des Lebens und mit der Ver-
vielfältigung der Bedürfnisse immer weiter fortschreitet und zugleich
mit der Verbesserung der Verkehrsmittel zu einer internatio-
nalen Arbeitsteilung führt (vgl. Nr. 948). Von befon- 97»
derer Bedeutung ist aber die Arbeitsteilung in den Fa-
briken; sie besteht darin, daß man jede Arbeit, soweit möglich, in
eine Reihe einfacher Verrichtungen zerlegt, deren jede einzelne beson-
deren Arbeitern oder auch einer Maschine übertragen wird. Von der
Bedeutung, den Vorteilen und Nachteilen dieser Art von Arbeits-
teilung wird späterhin noch näher die Rede sein (s. Nr. 1188). * *
° Diese Mißachtung rührt hauptsächlich daher, daß körperlich schwer
arbeitende Personen geneigt sind, die geistige Arbeit für mühelos zu halten.
Sehr mit Unrecht; denn das angestrengte, insbesondere das schöpferische
geistige Schassen ist nichts anderes als ein unaufhörliches, aufreibendes
Ringen nach Erkenntnis und Gestaltung.
* Uebrigens ist dieser Streit über die Produktivität der geistigen Ar-
beit im Grunde genommen recht müßig. Er beruht meist auf dem Irr-
tume, als sei jede nicht eigentlich produktive Arbeit wertlos und unnötig.
Und doch gehört z. B. die Arbeit des Richters, des Arztes, des Lehrers, des
Geistlichen, des Künstlers größtenteils zu den wirtschaftlich nicht eigentlich
produktiven und doch wertvollsten und unentbehrlichsten Tätigkeiten. Der
Mensch lebt eben nicht vom Brot allein. Die Erzeugung wirtschaftlicher
Güter ist für die Menschheit zwar notwendig, aber nicht das einzige und
höchste. Es gibt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideale Lebensgüter.
318
Das Wirtschaftsleben
3. Das K a p i t a L
971 Unter dem als Produktionsfaktor in Betracht kommenden Ka-
pital verstehen wir denjenigen Teil des Vermögens, welcher, selbst
Produkt menschlicher Arbeit, wieder zur Produktion weiterer Güter
bestimmt ist. Der gewöhnliche Sprachgebrauch umfaßt aber unter
dem Begriff Kapital nicht nur diese sog. Produktivkapi-
talien, wozu hauptsächlich die Roh- und Hilssstoffe, die Werk-
zeuge, Maschinen und Fabriken gehören, sondern auch die sog. E r -
werbskapitalien, d. h. die Güter, welche, ohne der Produk-
tion zu dienen, von ihren Besitzern zu Erwerbszwecken verwendet
werden. Darunter fällt z. B. ein Wohnhaus, das ich an einen anderen
vermiete, und das Geld, das ich einem anderen zur Verwendung für
laufende Bedürfnisse gegen Verzinsung leihe; denn Haus wie Geld
werden in diesen Fällen dazu verwendet, mir einen Erwerb zu schas-
sen, und doch dienen sie nicht zur Erzeugung neuer Güter.
972 Das Produktivkapital eines Unternehmens ist teils st e h e n d e s
Kapital, d. h. solches, welches durch den bestimmungsgemäßen
Gebrauch nicht sofort verbraucht wird, sondern bestehen bleibt (wie
z. B. Baulichkeiten, Wirtschaftsinventar, Maschinen und Werkzeuge),
teils umlaufendes Kapital, das durch den Gebrauch ständig
in andere Formen übergeführt, also verbraucht wird; dazu ge-
hört vor allem das bare Geld, welches zur Anschaffung der zu bear-
beitenden Rohstoffe und zur Bezahlung der Arbeitslöhne dient, als
Teil des Erlöses aus den erzeugten Waren in den Betrieb zurück-
fließt und dort immer aufs neue zur Fortsetzung des Betriebs ver-
wendet wird. Man nennt daher die umlaufenden Kapitalien eines
Geschäfts auch Betriebskapital, während man die Summe
der zum Geschäfte gehörenden stehenden Kapitalien als das A n -
l a g e k a p i t a l dieses Geschäfts bezeichnet.
973 Ohne die Hilfe der Produktionsmittel, d. h. des Kapitals, würde
die menschliche Kultur in den Uranfängen stecken geblieben sein. Die
Entstehung der Kapitalien beruht auf der Sparsamkeit, Arbeit-
samkeit und Sorge für die Zukunft. Alle diese Antriebe würden
jedoch nicht wirken können, wenn der Arbeitende und Sparende nicht
bestimmt darauf rechnen könnte, daß er und nach seinem Tode seine
Familienangehörigen die Früchte seiner Sparsamkeit auch wirklich
genießen dürfen, indem das Gesetz sein Recht anerkennt, über das Er-
worbene frei zu schalten und es seinen Angehörigen zu hinterlassen.
Daher bilden die in allen zivilisierten Staaten eingeführten Rechts-
institute des Privateigentums und des Erbrechts die Hauptgrund-
lage der Kapitalbildung und damit jeder höheren wirtschaftlichen
und kulturellen Entwicklung.
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
319
III. Die Verbindung der Produktivkräfte zum Unternehmen.
1. ' D i e Stellung und B e d e il t u n g des Unter-
u e h m e r s.
Die produktiven Kräfte (Natur, Arbeit und Kapital) werden 974
zum Zweck der Produktion und des Absatzes der Güter durch den
Unternehmer auf dessen Rechnung und Gefahr niiteinander
verbunden. Nur bei kleinen Betrieben (z. B. bei denen der kleinen,
ausschließlich mit Hilfe ihrer Familienangehörigen arbeitenden Land-
wirte und Handwerker) ist der Kapitalist und der Arbeiter in einer
Person vereinigt. Alle größeren Unternehmungen bedürfen zahl-
reicherer Arbeitskräfte; daher müssen sich hierbei die Arbeiter mit dem
Kapitalisten zu gemeinschaftlicher Tätigkeit zusammenfinden. Die
Leitung dieser Unternehmungen kann der Natur der Sache nach
meist nur dem Besitzer des Kapitals zustehen. Er ruft das Unter-
nehmen ins Leben; er legt sein Vermögen, sein geistiges Schassen,
sein Organisations- und Kombinationstalent, seine kaufmännischen
und technischen Kenntnisse ein. Scheitert das Unternehmen, so ver-
liert er oft alles, ja, er erleidet sogar, wenn er in Konkurs gerät, Ein-
buße an seiner Ehre. Unablässig muß er daraus sinnen, wie er die
Produktionskosten vermindern, den Betrieb vervollkommnen, die Er-
zeugnisse verbessern und ihren Absatz sichern soll. Es ist daher nicht
richtig, daß der Unternehmer, wie die Sozialisten vielfach behaupten,
ein faules Rentnerleben führe und seinen Arbeitern gegenüber die
Stellung eines Zuchtmeisters oder Schmarotzers einnehme. Volks-
wirtschaftlich betrachtet ist er der Leiter der gesamten Gütererzeu-
gung, und seinem Unternehmungsgeiste ist ein großer Teil der Ent-
deckungen und Erfindungen mit zu verdanken, welche unsere wirt-
schaftliche Entwicklung in so außerordentlichem Maße gefördert haben.
Der ihm als Entgelt für sein Risiko und seine Tätigkeit zufallende
Unternehmergewinn (s. Nr. 996) ist daher, soweit er mit einer aus-
reichenden und angemessenen Entlohnung der Arbeiter Hand in Hand
geht, keineswegs zu beanstanden.
2. D i e Formen der Unternehmungen.
In ihren Formen sind die Unternehmungen überaus verschieden. 975
Gegenüber dem Kleinbetriebe bietet der Großbetrieb
Vorteile dadurch, daß er eine vollkommenere Durchführung der Ar-
beitsteilung, die Verwendung großer Maschinen und der besten Be-
triebsmethoden und damit die Lieferung billigerer und besserer Pro-
dukte ermöglicht.
Man unterscheidet ferner Einzelunternehmu n g e n und 976
gesellschaftliche Unternehmungen. Bald bietet die
320
Das Wirtschaftsleben
eine, bald die andere Form größere Vorteile, je nachdem es bei der
Art des Unternehmens mehr auf die persönliche Tüchtigkeit und un-
gehemmte Verfügungsfreiheit des Leiters oder mehr auf die Größe
des Kapitals ankommt. Die verschiedenen Arten von Handelsgesell-
schaften haben wir schon früher (Nr. 534 u. ff.) kennen gelernt. Die
977 dort besprochenen Aktiengesellschaften, bei welchen eine
große Zahl von Unternehmern sich mit übertragbaren Vermögensein-
lagen (Aktien) beteiligt, sind sehr geeignet für wirtschaftliche Unter-
nehmungen, zu denen ein großes Kapital erforderlich ist und deren
Rentabilität im voraus nicht mit Sicherheit übersehen werden kann.
Von solchen Aktiengesellschaften werden heutzutage zahllose Eisen-
bahnen, Fabriken, Berg- und Hüttenwerke, Banken und Versiche-
rungsanstalten betrieben. Sie ermöglichen, da die einzelnen Aktien
meist nur auf 1000 Mark lauten, auch dem kleinen Kapital, sich an
industriellen Unternehmungen zu beteiligen. Gleichwohl ist eine
solche Beteiligung jedem zu widerraten, der nicht unter Umständen
auch den Verlust feiner Einlage verschmerzen kann; denn trotz aller
gesetzlichen Schutzmaßregeln kommen, wie schon früher erwähnt, bei
und nach der Gründung von Aktiengesellschaften nicht selten schwin-
delhafte Manipulationen vor, deren Folgen auf diejenigen fallen,
welche die Aktien später in gutem Vertrauen erwarben. Auch ver-
leitet der Wunsch, die Dividenden zu steigern, die Aktiengesellschaften
leicht zu gewagten Geschäften.
978 Auch der Staat tritt vielfach als Unternehmer auf,
z. B. im Betrieb von Eisenbahnen, Domänen, Berg- und Hütten-
werken und Staatsforsten. In der Regel läßt er in den betreffenden
Produktionszweigen die Privatbetriebe mit seinen eigenen Unter-
nehmungen frei konkurrieren; auf einzelnen Gebieten jedoch hat er
sich das ausschließliche Betriebsrecht (genannt Monopol) vorbe-
halten, wie z. B. im Deutschen Reich bezüglich der Post und Tele-
graphie und in Oesterreich-Ungarn, Italien und Frankreich hinsicht-
lich des Tabakverkaufs (Tabakmonopol).
979 Ein nicht rechtliches, aber tatsächliches Monopol bezwecken die
sog. Ringe, d. h. die Vereinigungen von Spekulanten oder Händ-
lern zum Zweck des Ankaufs von Warenvorräten einer bestimmten
Gattung, um auf dem Markte eine Knappheit an solchen Waren und
damit eine große Preissteigerung zu erzielen. Im neuzeitlichen
980 Wirtschaftsleben sind ferner überaus bedeutsam die sog. Kartelle
oder Syndikate. Unter ihnen versteht man die Vereinigungen
der Unternehmer eines bestimmten Produktionszweiges zum Zweck
der einheitlichen Festsetzung des Preises und zur Regelung des
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
321
Warenabsatzes unter Vermeidung gegenseitiger Konkurrenz? Ver-
einigen sich zu diesem Zweck solche Unternehmungen so enge mit-
einander, daß die einzelnen Unternehmen ihre wirtschaftliche Selb-
ständigkeit völlig verlieren, so spricht man von Fusionen oder 981
Trusts; solche, die ganze Produktion einzelner Warengattungen
beherrschende Trusts mit ungeheuren Kapitalien haben sich beson-
ders in jüngster Zeit in Amerika gebildet? Zweifellos haben die
Kartelle und Trusts insoweit eine wirtschaftliche Berechtigung, als sie
durch Verteilung der Absatzgebiete und Regulierung der Preise die
Nachteile einer übermäßigen Produktion und einer ungezügelten, oft
zahlreiche Existenzen vernichtenden Konkurrenz beseitigen. Anderseits
droht von ihnen häufig die Gefahr einer Ausbeutung der Konsumen-
ten und der Arbeiter, welch letztere in ihrem Kampfe um bessere Ar-
beitsbedingungen gegenüber solch gewaltigen Vereinigungen der Ar-
beitgeber unter Umständen wehrlos werden können.
3. Die Vereinigungen der w i r t s ch a f t l ich
S ch w a ch e n insbesondere.
Während in den bisher erörterten Vereinigungen die größeren 982
Kapitalisten sich zu gemeinsamer Verwertung ihres Kapitals zusam-
menschließen, vereinigen sich in den Erwerbs- und Wirt-
schaftsgenossenschaften die wirtschaftlich schwachen, weniger
kapitalkräftigen Personen zu gemeinsamer Verfolgung von Wirt-
schafts- und Erwerbszwecken. Das erforderliche Gesellschaftskapital
bringen hierbei die Genossen auf, und zwar teils aus eigenen Mit-
teln (durch sofortige oder allmähliche kleine Einlagen oder Gut-
schreibung von Gewinnanteilen), teils durch Inanspruchnahme von
fremdem Kapital, das ihnen anvertraut wird, weil jeder Genosse
regelmäßig für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft mit feinem
ganzen Vermögen oder mindestens bis zu einem bestimmten Betrage
haftet?
Die für den Mittelstand und besonders für die Handwerker der y8z
Städte bestimmten Genossenschaften hat im Jahre 1850 zuerst
Hermann Schulze aus Delitzsch in das Leben gerufen. Be- 7 8
7 Verbinden sich mehrere Personen nur vorübergehend für einzelne,
auf gemeinsame Rechnung einzugehende Geschäfte (z. B. mehrere Banken
zur Uebernahme einer Staatsanleihe), so bilden sie ein sog. Konsortium,
t i u m.
8 Zu erwähnen ist z. B. der S t a h l t r u st sowie der Standard-
O i I - T r u st in Newyork. Dieser versorgt die halbe Welt mit Petroleum
und zahlte im Jahre 1902 aus einem Stammkapital von 400 Millionen
Mark 48 Prozent Dividende.
/ Wegen der rechtlichen Gestaltung der Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften siehe im übrigen bei Nr. 542.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
21
322
Das Wirtschaftsleben
sondere Bedeutung unter ihnen haben die Vorschuß - und Kre-
dit v e r e i n e gewonnen, welche den Zweck verfolgen, den Geschäfts-
betrieb ihrer Mitglieder durch Gewährung verzinslicher Darlehen zu
unterstützen, ferner die Rohstoffgenoffenfchaften zum
gemeinschaftlichen Einkauf von Rohstoffen, die Konsumvereine
zum gemeinschaftlichen Ankauf von Lebensbedürfnissen im großen und
Absatz im kleinen an die Mitglieder, die W e r k g e n o s s e n s ch a f -
t e n zur gemeinschaftlichen Anschaffung und Benützung von Maschinen
und die Magazingenossenschaften zum Wareneinkauf für
gemeinsame Rechnung. Am wenigsten entwickelt haben sich die Ge-
nossenschaften, welche nach dem Plane des Sozialisten Ferdinand
Lassalle den Arbeitern ermöglichen sollten, die Produktion selbst in die
Hand zu nehmen; es sind das die Produktivgenossenschaf-
ten, deren Mitglieder ihre Geldmittel und Arbeitskräfte vereinigen,
um Güter für gemeinsame Rechnung und Gefahr zu erzeugen und zu
verkaufen.
984 Die landwirtschaftlichen Genossenschaften ver-
danken ihre Blüte hauptsächlich den Bemühungen des Bürgermeisters
Raiffeisen in Heddesdorf bei Neuwied. Allgemein verbreitet sind
hier neben den Kreditgenossenschaften (Darlehens-
kassen vereinen) die Konsumgenossenschaften zur
Beschaffung von Betriebsmitteln, wie Sämereien, Dung- und Futter-
mitteln, Geräten, Brennmaterial usw., ferner die Molkereige-
nossenschaften und sonstigen Genossenschaften zum gemeinschaft-
lichen Verkauf und zur vorherigen Verarbeitung landwirtschaftlicher
Erzeugnisse. Die Ausbreitung und Fortbildung dieses landwirt-
schaftlichen Genossenschaftswesens ist für den Bauernstand fast eine
Lebensfrage; denn es setzt ihn in den Stand, sich neben dem Groß-
grundbesitz zu behaupten und die Hilfe von Zwischenhändlern und
Wucherern entbehren zu können; auch veranlaßt es ihn zur Vornahme
von Verbesserungen in seinen Betrieben (z. B. durch Verwendung
künstlicher Dung- und Futtermittel), die sonst unterbleiben würden.
985 Die nach Tausenden zählenden Genossenschaften Deutschlands
haben sich zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen zu mehre-
ren Genossenschastsver bänden vereinigt. Ferner haben
die landwirtschaftlichen Genossenschaften genossenschaftliche
Zentralkaffen gebildet, welche hauptsächlich dazu dienen, die
wechselnden Geldbedürfnisse der einzelnen Genossenschaften unter-
einander auszugleichen?"
10 In Bayern besteht der Landesverband bayerischer
Handwerkergenossenschaften. Als Mitglieder können ihm bei-
treten alle Handwerkergenossenschaften, ferner alle gewerblichen Genossen-
schaften, deren Mitglieder der Mehrzahl nach Handwerker sind. Er bezweckt
Grundzüge der theoretischen Volkstvirtschaftslehre
323
d. Der Umlauf der Güter.
1. Begriff des Güterumlaufs. — Der Haudel.
Auf unserer heutigen Wirtschaftsftufe ist die frühere Produktion 986
für den eigenen Bedarf fast völlig ersetzt durch die auf Tausch berech-
nete Produktion. Fast jeder Produzent erzeugt einzelne Waren weit
iiber seinen Bedarf hinaus, um durch ihren Verkauf die Geld-
mittel zur Befriedigung seiner sonstigen Bediirfnisse zu erhalten. An
die Produktion der Güter schließt sich daher ihr Uebergang
an denjenigen an, welcher sie braucht und verbraucht, den sog. Kon-
sumenten. Dieser Uebergang heißt der Umlauf oder die Zir-
kulation der Güter; er vollzieht sich durch den Handel.
Unter dem Handel versteht man hiernach die auf den Umsatz 987
der Güter durch Tausch und Kauf gerichtete Tätigkeit. Der gewerbs-
mäßige Handel sticht die günstigsten Bezugs- und Absatzquellen auf
und sorgt dafür, daß die Waren an dem Ort und zu der Zeit vor-
handen sind, wo sie gebraucht werden. Er verbürgt durch diese seine
berufsmäßige Vermittlung zwischen Produzenten und Konsumenten
einen regelmäßigen und schnellen Güterumlauf und bildet daher eine
Tätigkeit, welche wirtschaftliche Werte schafft und erhält. Wir wer-
den uns mit ihm später noch näher zu beschäftigen haben (s. Nr. 1226).
2. Wert und Preis der Güter.
Der Wert eines Gutes, welches wir für uns selbst gebrauchen 988
wollen, richtet sich nach dem Nutzen, den es für uns hat; das ist sein
Gebrauchswert. Wollen wir aber für das Gut andere Güter
eintauschen, so bemißt sich sein Tauschwert für un§ nach der
Menge der Güter, die wir dafür eintauschen können. Der in einer
bestimmten Menge anderer Güter ausgedrückte Tauschwert eines
Gutes heißt sein Preis. Der in Geld ausgedrückte Tauschwert heißt
Geldpreis.
Für die Höhe des Preises der Güter sind in der Regel eine Reihe 989
mannigfacher Umstände maßgebend, z. B. einerseits der Gebrauchs-
wert, den die Sache für den Käufer besitzt, und auf der anderen Seite
die für den Verkäufer unter Umständen wegen der Verderblichkeit der
Ware bestehende Notwendigkeit, sie zu veräußern.
hauptsächlich die Förderung des gewerblichen Genossenschaftswesens und die
Vertretung gemeinsamer Interessen des Handwerks im Genossenschafts-
wesen. Außerdem besteht die Bayerische Zentralhandwerker-
g e n 0 s s e n s ch a f t s k a s s e. Ihre Aufgabe ist, den Geldausgleich unter
den Genossenschaften, die Mitglieder sind, herbeizuführen, ihnen Kredit zu
gewähren und müßig liegende Gelder zu verzinsen. Sie erhält staatliche
Zuschüsse.
21*
324
Das Wirtschaftsleben
Der bei freier Konkurrenz an einem Orte für eine Ware sich all-
gemein bildende Preis heißt ihr Marktpreis. Seine Höhe ist
hauptsächlich abhängig von der Größe des Angebots
und derNachfrage. Wollen nämlich eine größere Anzahl von
Verkäufern ihre Ware absetzen, ohne daß genügend Käufer dafür vor-
handen find, ist also das Angebot an Ware groß, so wird jeder Ver-
käufer, um feine Ware an den Mann zu bringen, einen möglichst
niedrigen Preis fordern. Umgekehrt wird bei großer Nachfrage, aber
kleinem Angebot, d. h. wenn viele Kauflustige, aber wenig verkäuf-
liche Waren vorhanden sind, der Preis der letzteren steigen, da die
Käufer, um Waren zu erhalten, einander überbieten werden. Der
Preis steigt daher, wenn die Nachfrage gegenüber dem Angebot über-
wiegt, er sinkt, wenn der umgekehrte Fall eintritt. Auf die Dauer
990 wird er sich jedoch annähernd auf der Höhe der notwendigen Produk-
tionskosten halten; denn wenn er unter diese heruntersinkt, so
wird die nicht mehr lohnende Produktion so lange eingestellt, bis das
verminderte Angebot wieder ein Steigen des Preises zur Folge
hat. Uebersteigt dagegen der Preis eine Zeitlang erheblich die
Produktionskosten, so wird die lohnende Produktion so lange in
größerem Umfange betrieben, bis das verstärkte Angebot wieder zu
einem Sinken des Preises führt. So wirkt die freie Konkurrenz, einer
der mächtigsten Faktoren im heutigen Wirtschaftsleben, auf eine
Regulierung der Preisbildung ein, welche ini allgemeinen die Inter-
essen der Produzenten und Konsumenten ausgleicht.
3. Die Natural-, die Geld- und die Kreditwirtschaft.
991 a. Der Taufchverkehr macht mit der wirtschaftlichen Entwicklung
der Völker verschiedene Entwicklungsstadien durch. Alls der Kind-
heitsstufe eines Volkes tauscht jedermann die ihm entbehrlichen Waren
unmittelbar aus gegen solche, deren er bedarf (sog. Natural-
w i r t s ch a f t). Aber so einfach ein solcher Tauschverkehr aussieht,
so vielen praktischen Schwierigkeiten begegnet er; denn der Tausch-
lustige muß dabei jeweils eine Person suchen, welche gerade die ge-
wünschte Ware besitzt und hergeben will, und welche ihrerseits die ihr
angebotene Ware brauchen kann; ferner muß der Wert der zu ver-
tauschenden Waren ungefähr gleich groß sein, was selbstverständlich
häufig nicht der Fall ist. Brauchte z. B. zur Zeit der Naturalwirt-
schaft ein Besitzer von Rindern für seine Wirtschaft Salz, so mußte
er jenwnden suchen, der nicht nur Salz auszutauschen bereit war, son-
dern auch gerade ein Rind brauchen konnte. Aber wenn auch eiu sol-
cher Salzbefitzer gefunden war, so konnte er doch vielleicht nicht so
viel Salz abgeben, als ein Rind wert war, oder der Viehbesitzer konnte
vielleicht so viel Salz nicht brauchen, weil er fürchten mußte, daß es
ihm bei langer Aufbewahrung verderben würde.
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre 325
b. Diese Mißstände der Naturalwirtschaft führen sehr bald bei 992
allen Völkern dazu, daß der Wert der Waren gemessen wird nach
dem Wert eines Gegenstandes, welcher allgemeine Beliebtheit und
Wertschätzung genießt, und daher auch gern allgemein in Zahlung
genommen wird. Dieser allgemein als Wertmesser sowie als Tausch-
und Zahlungsmittel „geltende" Gegenstand heißt Geld. Mit
der Einführung des Geldes treten an Stelle jedes Tauschgeschäfts
zwei getrennte Rechtsgeschäfte: Zuerst erfolgt der Verkauf der
eigenen Waren gegen Geld, und dann wird dieses Geld zum An-
kauf der gewünschten Ware verwendet. Der Viehbesitzer wird also
nunmehr, um bei unserem obigen Beispiele zu bleiben, zunächst sein
Rind gegen Geld verkaufen und von dem gelösten Gelde nur
soviel als nötig dazu verwenden, um von einem beliebigen Salz-
besitzer (nicht nur von einem solchen, der gerade ein Rind braucht) die
Menge Salz zu kaufen, deren er zurzeit bedarf.
Als Geld diente in früheren Zeiten vielfach das Vieh, daher auch 993
das lateinische Wort pecunia (ursprünglich Vieh bedeutend) für
Geld." In vielen Gegenden Asiens und Afrikas nehmen die Kauri
(als Schmuck dienende Porzellanschnecken), in Afrika nehmen Baum-
wolltücher von bestimmter Größe jetzt noch die Stelle des Geldes ein.
Mit zunehmendem Tauschverkehr kamen und kommen jedoch alle Völker
dazu, Metalle, und zwar anfänglich Eisen, dann Kupfer und Silber
und schließlich Gold als Geld zu benützen; denn gerade die Edel-
metalle eignen sich hierzu ganz besonders wegen ihrer mannigfachen
Verwendbarkeit zu Schmuck- und Gebrauchsgegenständen, wegen ihrer
Transportfähigkeit, welche auf dem im Verhältnis zu ihrem Wert
geringen Umfange beruht, ferner wegen ihrer Dauerhaftig-
keit (sie werden vom Rost nicht angegriffen), wegen ihrer Teilbarkeit
in beliebig große Stücke und endlich wegen ihrer verhältnismäßigen
Wertbeständigkeit.
Ursprünglich wurden die Edelmetalle bei jedem Austausch zuge- 994
wogen und ans ihre Echtheit geprüft, was selbstverständlich sehr zeit-
raubend und mühevoll war. Man gelangte daher bald dazu, diese
jedesmalige Wägung und Prüfung dadurch zu ersetzen, daß man den
Metallstücken ein gleiches Gewicht gab und sie mit einem obrigkeit-
lichen Stempel versah, welcher Feingehalt und Gewicht anzeigte. Die
so geprägten Geldstücke nennt man Münze n.11 12 Mit der Verwen-
11 Bekannt sind die Wertschätzungen nach Rindern bei Homer. Vom
Wort necunia stamrnt auch der jetzt nvch gebrauchte Ausdruck „pekuniär".
12 Von unserem staatlichen Geld- und Münzwesen wird späterhin die
Rede sein (s. Nr. 1008).
326
Das Wirtschaftsleben
düng gemünzten Metallgeldes aber gelangten die Völker auf die Stufe
der Geldwirtschaf t.13
995 c. Bei dem hochentwickelten Güteraustausch der neuesten Zeit
treten in weitem Umfange im Handelsverkehr und besonders im Ver-
kehr mit dem Auslande an Stelle der Zahlungen mit barem Gelde die
Zahlungen mit übertragbaren Wechseln, Anweisungen, Banknoten
und anderen Kreditpapieren, sowie mittels Ueberschreibens eines
Bankguthabens aus den Zahlitngseinpsänger. Man spricht daher
heutzutage von einem teilweisen Verdrängen der Geldwirtschaft durch
die Kreditwirtschaft. Näheres über die Ausgestaltung dieser
Kreditwirtschaft s. bei Nr. 1023.
E. Die Verteilung -er Güter.
1. Das Einkommen im allgemeinen.
996 Aus dem Erlöse der erzeugten Güter fließt zunächst als A r --
beitsl 0 hn , Grund- und Kapitalrente und Kapital-
z i n s denjenigen ihr Anteil zu, von welchen die obenerwähnten drei
Produktionsfaktoren (die Arbeit, die Naturkräste und das Kapital)
stammen. Der verbleibende Ueberschuß gehört dem Unternehmer als
sog. U n t e r n e h m e r g e w i n n. Von diesem letzteren, welcher den
Ersatz für das Risiko und die gesamte physische und geistige Mühe-
waltung des Unternehmers bildet, war bereits früher (Nr. 974) die
Rede. Den Arbeitslohn, die Kapital- und Grundrente und den
Kapitalzins werden wir später noch etwas näher ins Auge zu fassen
haben.
997 Der Anteil des einzelnen an dem Ertrag der Produktion bildet
sein Einkommen. Daß die Einkommen der Menschen ungleich
sind, ist eine ebenso allbekannte wie unabänderliche Tatsache, unab-
änderlich deshalb, weil ja auch die Menschen selbst an Befähigung,
Tatkraft, Arbeitslust und Fleiß ungleich sind, so daß, wenn heute das
Ideal so vieler, die Ausgleichung des Besitzes, verwirklicht würde,
13 Der Geldreichtum eines Volkes bildet zwar einen Bestandteil seines
Reichtums überhaupt, ist aber mit diesem keineswegs gleichbedeutend. Noch
wichtigere Bestandteile des Nationalreichtums bilden die in Ländereien,
Fabriken, Warenvorräten usw. produktiv angelegten Kapitalien. So ist der
Vorrat Englands an Gold und Silber nur ungefähr halb so groß, als der-
jenige Frankreichs, und doch besitzt England infolge seines blühenden Welt-
handels den größeren Reichtum. Ein zu großer Vorrat an Edelmetallen
bedeutet also einen schlecht verwendeten Reichtum eines Volkes, gleichwie ein
Privatmann von seinem Reichtum einen schlechten Gebrauch macht, wenn
er unterläßt, ihn produktiv anzulegen.
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
327
binnen ganz kurzer Frist die gleichen Unterschiede von Reich und Arm
wieder hervortreten müßten. Eine Ordnung der Einkommensverhält-
nisse durch die Staatsgewalt, wie die sozialistische Partei sie anstrebt,
wäre nur unter Beseitigung jeder persönlichen Freiheit, die wir doch
als eines unserer edelsten Güter schätzen, möglich; überdies würde
eine vollkommen gerechte Verteilung des Einkommens durch die Be-
hörde über die menschliche Kraft hinausgehen. Der Staat muß sich
deshalb darauf beschränken, durch seine Gesetzgebung (z. B. durch die
Erbrechtsgesetzgebung, durch die Besteuerung und durch die Arbeiter-
schutzgesetzgebung) die am meisten fühlbaren Härten zu mildern. So 998
sehr übrigens eine allzugroße Ungleichheit der Einkommensverhält-
nisse zu beklagen ist, da sie einerseits unverhältnismäßigen Luxus
begünstigt, anderseits den Mittelstand verdrängt und die untersten
Klassen zu einer unzureichenden Lebenshaltung verurteilt, so wäre
doch auch eine allzu gleiche Verteilung des Besitzes im Interesse einer
kräftigen wirtschaftlichen Fortentwicklung nicht einmal besonders wün-
schenswert; denn erfahrungsgemäß werden die meisten Kulturfort-
schritte nicht etwa durch die große Masse angebahnt, sondern durch
einzelne, die an Besitz, Bildung und Leistungsfähigkeit hervorragen.
2. Der Arbeitslohn.
Der Arbeitslohn (bei höheren Dienstleistungen auch Gehalt oder 999
Honorar genannt) kann entweder in Naturprodukten bezahlt werden,
wie dies in früheren Zeiten überwiegend geschah (sog. Natural-
lohn), oder er wird in Geld entrichtet (G e l d l 0 h n).
Neben dem nach der Arbeitszeit bemessenen, früher allgeniein 1000
üblichen Lohn, dem sog. Zeitlohn (Tagelohn, Wochenlohn, Jahres-
lohn), hat sich mit der Entwicklung des Maschinenbetriebs der
Stücklohn oder Akkordlohn stark eingebürgert, bei welchem
der Arbeiter nach dem Maße der geleisteten Arbeit bezahlt wird, z. V.
nach der Zahl der ausgehobenen Kubikmeter Erde oder der zutage
geförderten Zentner Kohle oder der gewebten Meter Band. Dieses
Stücklohnsystem hat den Vorteil, daß es den Fleiß der Arbeiter an-
spornt und deren ständige Beaufsichtigung entbehrlich inacht. Ander-
seits bringt es häufig die Gefahr einer Verschlechterung der Arbeit
und einer freiwilligen Ueberanstrengung der Arbeiter mit sich.
Man hat auch schon wiederholt das Interesse der Arbeiter an deii 1001
Unternehmungen anzuregen und den zwischen ihnen und den Unter-
nehmern bestehenden Gegensatz zu überbrücken gesucht dadurch, daß
man den Arbeitern neben ihrem Lohne einen Teil des Reingewiiins
(bis zu 20 Prozent) zusicherte. Erhebliche praktische Bedeutung haben
diese Versuche jedoch nicht erlangen können, weil der Arbeiter den
Hauptteil seines Lohnes sofort zu seiner Lebensführung braucht und
328
Das Wirtschaftsleben
1002
1003
1004
1005
daher in festen Beträgen erhalten muß, so daß die Beteiligung an
dem überdies unsicheren Gewinn wirtschaftlich für ihn nur eine unter-
geordnete Rolle spielt. Auch die sog. Produktivgenossenschaften
(s. Nr. 983), bei welchen der Unterschied zwischen Arbeiter und Unter-
nehmer völlig verschwindet, scheitern meist an dem Mangel einer-
freiwilligen Disziplin und einer einheitlichen, zielbewußten Leitung.
Da der Arbeitslohn nichts anderes ist als der Preis der Arbeit,
so richtet sich seine Höhe (ebenso wie der Preis der Waren, s. Nr. 989)
im allgemeinen nach der Größe des Arbeitsangebots und der Arbeits-
nachfrage. Doch kann der Arbeitslohn aus die Dauer nicht sinken
unter die Kosten, welche zum llnterhalt des Arbeiters und seiner
Familie unbedingt notwendig sind 1\ und nicht dauernd den Wert
übersteigen, welchen die Arbeit für den Arbeitgeber hat.
Von der den Arbeitern zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingun-
gen gewährten sog. Koalitionsfreiheit, von den aus Grund
ihrer gebildeten Arbeiter Vereinigungen und den
Arbeitseinstellungen (Streiks) zur Erzielung besserer Löhne usw.
wird späterhin noch zn reden sein (s. Nr. 1205).
3. Die Kapital- und die Grundrente. Der Kapitalzins.
Der Teil des Reinertrags eines Unternehmens, welcher auf die
Leistung des Kapitals zurückzuführen ist, heißt Kapitalrente.
Ebenso nennen wir den auf den Grund und Boden entfallenden Teil
des Reinertrags die Grundrente. Daß die letztere nicht etwa,
wie man früher lehrte, ständig steigt, das zeigen zur Genüge die
pekuniären Schwierigkeiten, mit denen gerade in neuerer Zeit unsere
Landwirtschaft zu kämpfen hat.
Der K a p i t a l z i n s ist der Preis für die Nutzung eines frem-
den Kapitals. Die Berechtigung des Zinsnehmens für ausgeliehene
Geldkapitalien ist von manchen Philosophen und Kirchenrechtslehrern
sowie auch von sozialistischer Seite bestritten worden, weil es natur- 14
14 Das von dem Nationalökonomen Ricardo aufgestellte und von den
Sozialisten früher vielfach als Agitationsmaterial gebrauchte sog. „eherne
L 0 hngese tz", wonach der Arbeitslohn überhaupt auf die Dauer nicht
über den zur Lebensführung unbedingt notwendigen Betrag steigen könne,
weil sonst vermehrte Eheschließung und erhöhte Kinderzahl das Arbeits-
angebot so lange vermehre, bis der Lohn wieder aus das Mindestmaß herab-
gedrückt werde, dieses angebliche Gesetz ist durch die Tatsachen längst wider-
legt worden. So wenig zu bestreiten ist, daß der Arbeitslohn auf nicht weni-
gen Gebieten auch jetzt noch zu niedrig ist, und daß zur Verbesserung der
Lage der arbeitenden Klassen immer noch sehr viel zu tun übrig bleibt, so
ist anderseits doch ebenso sicher, daß im allgemeinen die Lebenshaltung der
Handarbeiter in den letzten 35 Jahren sich mehr gebessert hat, als vorher im
Laufe zweier Jahrhunderte.
Grundzüge der theoretischen Volkswirtschaftslehre
329
widrig sei, daß Geld wieder Geld erzeuge. Mit Unrecht; denn in
Wirklichkeit handelt es sich hier um leihweise Ueberlassnng eines Pro-
dnktivkapitals, das dem Entleiher Gewinn bringt; es ist daher nur
billig, daß er einen Teil dieses Gewinnes als Zins dem Ausleiher
abgibt, welcher die Nutzung des Kapitals während der Dauer des Dar-
lehensverhältnisses entbehren muß und überdies unter Umständen
seinen Verlust zu befürchten hat.
Die Höhe des Kapitalzinses hängt hauptsächlich ab von der Größe 1006
des Kapitalangebots und der Kapitalnachfrage, von dem Ertrag,
welcher aus der Verwendung des Kapitals zu erhoffen ist, und von
der Verlustgefahr (dem Risiko), welche für den Verleiher mit dem
Ausleihen nach den Umständen des Falles verknüpft ist. In früheren
Zeiten hat man die Höhe des zulässigen Zinssatzes gesetzlich festgestellt.
Jetzt ist man hiervon abgekommen; doch wird mit Fug und Recht
noch als Wucher bestraft das Nehmen übermäßiger Zinsen oder son-
stiger Vorteile unter Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit
oder des Leichtsinns des Darlehensnehmers. Hierüber s. Nr. 285.
Der landesübliche Zinsfuß zeigt das Bestreben, mit der Vermeh- 1007
rung des Volksreichtums zu sinken. Während er noch vor 30 Jahren
in Deutschland allgemein 5 Prozent betrug, hält er sich gegenwärtig
auf etwa 4 Prozent und wird voraussichtlich noch weiter herabgehen,
wenn auch zu Zeiten eines besonderen industriellen Aufschwunges die
starke Kapitalnachfrage eine vorübergehende Steigerung des üblichen
Zinsfußes zur Folge hat. So schwer ein allgemeiner Rückgang des
Zinsfußes besonders die kleinen Rentner trifft, so bietet er doch vom
allgemein volkswirtschaftlichen Standpunkte aus den Vorteil, daß er
einerseits den arbeitslosen Gewinn vermindert, anderseits den Streb-
samen billige Kapitalien zur Unterstützung ihrer Arbeitskraft zur
Verfügung stellt und hierdurch die Produktiouskraft der Gesamtheit
fördert.
2. Kapitel.
irnd Krrebit-, Wcrnk- rrnd HZovsenwesen,
Mcrtz- irnd ^»ewichtsrvesen ir. dgb'.
a. Metall- und Papiergeld. Banknote».
Wahrend oben (Nr. 992) vou der Entstehung uud volkswirt- 1008
schaftlichen Bedeutung des Geldes die Rede war, ist hier noch die der-
zeitige Ausgestaltung unseres Geldweseus kurz zu schildern.
330
Das Wirtschaftsleben
1. Münzhoheit und Münzregal.
Da der Staat allein imstande ist, den: geprägten Gelde durch
sein Ansehen das allgemeine Vertrauen zu verschaffen und dafür zu
sorgen, daß nur vollwertige Münzen in Umlauf sind, so hat er schon
früh nicht nur die Münzhoheit, d. h. das Recht, das Münz-
wesen gesetzlich zu regeln, sondern auch das Münzregal, d. h.
das ausschließliche Recht der Münzprägung, in Anspruch genommen.
009 Im ehemaligen Deutschen Reiche stand die Münzprägung grund-
sätzlich dem Kaiser zu; aber schon im frühen Mittelalter wurde dieses
Recht auch den geistlichen und weltlichen Großen und später sogar den
Städten erteilt, was eine außerordentliche Zersplitterung des Münz-
wesens zur Folge hatte. Diese traurigen Münzzustände besserten sich
zwar zu Beginn des 19. Jahrhunderts einigermaßen mit dem Weg-
fall zahlreicher kleinerer Staatsgebilde, aber gleichwohl wirkte die
noch gebliebene Verschiedenheit der Münzsysteme (im Süden süddeut-
sche und österreichische Gulden und Kreuzer, im Norden Taler und
Groschen) aus Handel und Verkehr überaus erschwerend und hem-
mend. Erst das neue Deutsche Reich brachte durch die Münzgesetz-
gebung vom Jahre 1873 in dem Marksysteme1 ein einheitliches
deutsches Münzwesen.
Die Münzhoheit steht dem Reiche zu; die Münzgesetze sind daher
Reichsgesetze; dagegen erfolgt die Prägung der Münzen in Landes-
münzanstalten, deren gegenwärtig sechs in Tätigkeit sind?
2. Die Technik des Münzwesens.
010 Den deutschen Goldmünzen ist (als sog. M ü n z g r u n d g e -
w i ch t) zugrunde gelegt das Pfund Feingold, aus welchem nach dem
gesetzlich festgelegten Münzfuß jeweils 139^ Zehnmarkstücke
(also 1395 Mark in Gold) geschlagen werden. Neben diesen! Gehalt
an Gold (dem sog. Feingehalt oder Korn) erhalten aber die
Münzen, um sie härter und dadurch haltbarer zu machen, eine Bei-
mischung von Kupfer, welche man die Legierung nennt, so daß *
* Die wichtigsten ausländischen M ü n z s y st e m e sind:
England: 1 Pfund Sterling (£) — 20 Shillings zu 12 Pence —20,40 M.
Frankreich: 1 Frank zu 100 Centimes= 0,80 M.
Italien: 1 Lira zu 100 Centesimi — 0,80 M.
Schweiz: 1 Frank zu 100 Rappen —0,80 M.
Oesterreich-Ungarn: 1 Krone zu 100 Heller — 0,85 M.
Rußland: 1 Rubel zu 100 Kopeken = 2,16 M. (in Gold 3,20 M.).
Nord-Amerika: 1 Dollar zu 100 Cents — 4,20 M.
2 Auf den deutschen Münzen ist der Herstellungsart an einem auf-
geprägten Buchstaben erkennbar; es bedeutet: A Berlin, D München, E
Dresden bzw. die Muldner Hütte bei Freiberg, E Stuttgart, G Karlsruhe,
J Hamburg.
Geld und Kredit
331
das sog. Rauhgewicht oder Schrot, d. h. das Gewicht der
fertigen Münze, einen Feingehalt von neun Zehitteln und eine Legie-
rung von einen: Zehntel enthält. Bei der Prägung der Münzen,
welche mittels Maschinen geschieht, dürfen die Abweichungen von dem
vorgeschriebenen Feingehalt bei jedem Stück höchstens zwei Tausend-
stel betragen. Münzen, bei welchen diese sog. Fehlergrenze (auch io
Uemeckinm genannt) überschritten ist, müssen wieder eingeschmolzen
werden. Goldmünzen ferner, welche beim Umlauf durch Abnützung
mehr als fünf Tausendstel ihres Gewichts verloren haben, besitzen
das sog. Passier ge wicht nicht mehr; sie brauchen von Pri-
vaten bei Zahlungen nicht mehr als vollwichtig angenommen zu wer-
den, aber sie werden, wenn sie nicht gewaltsam beschädigt sind, vom
Staate noch in Zahlung genommen und eingeschmolzen.
3. Die Kurant- und die Scheidemünzen.
Die Hauptmünzen (sog. K u r a n t m ü n z e n) eines jeden Lau- 'o
des sollen so beschaffen sein, daß ihr wirklicher Metallwert dem Nenn-
betrag gleichkommt. Das ist in Deutschland bei den Goldmünzen
der Fall und deshalb kann auch bei uns jedermann aus Feingold sich
in den staatlichen Münzanstalten Goldmünzen präge:: lassen? Dabei
bezieht jedoch die Staatskasse eine Prägegebühr (genannt
S ch l a g s ch a tz) von 2,8 Tausendstel. Um diesen kleinen Betrag
werden also die Goldrnünzen unterwertig ausgegeben, was übrigens
insofern einen Vorteil mit sich bringt, als es verhindert, daß allzu-
viel gemünztes Gold ins Ausland abfließt^ oder in der Goldindu-
strie eingeschmolzen wird.
Neben den Kurantmünzen braucht n:an aber für den Kleinver- io
kehr noch Münzen von geringerem Wert. Wollte nian diese voll-
wertig aus Gold herstellen, so wären sie zu klein, während sie, wenn
vollwichtig aus billigeren: Metall geprägt, zu groß wären. Man
prägt daher aus Kupfer, Nickel und Silber sog. Scheidemün-
zen, deren Metallwert erheblich geringer ist, als ihr Nennwert.
In Deutschland dürfen solche Scheidemünzen, wozu übrigens auch
unsere Ein-, Zwei-, Drei- und Fünfmarkstücke zählen, nur in solchem
Umfange geprägt werden, daß auf den Kopf der Bevölkerung nicht
mehr als ein gesetzlich bestimmter Betrag entfällt. Im Verkehr
müssen Silberscheidemünzen nur bis zum Betrag von 20 Mark, Nickel- * 4
0 Tatsächlich macht von dieser Befugnis allerdings nur die Reichsbank
Gebrauch.
4 Das inländische Geld gilt selbstverständlich im Auslande nicht als
Geld, sondern als Ware, deren jeweiliger Marktpreis (der sog. Kurs-
wert) von mancherlei Umständen, besonders aber von dem augenblicklichen
Preis des darin enthaltenen Edelmetalls abhängt.
332
Das Wirtschaftsleben
und Kupferscheidemünzen nur bis zum Betrag von einer Mark in
Zahlung genommen werden?
4. Die Währung.
1014 Die meisten Länder der Jetztzeit haben sowohl Gold- als Silber-
münzen; aber meistens ist nur einer dieser beiden Geldarten die ge-
setzliche Kraft beigelegt, daß alle Zahlungen in beliebiger Höhe mit
ihr geleistet werden können. In England z. B. kann jemand, der
einem anderen 1000 Pfund Sterling schuldet, eine gültige Zahlung
nur in Gold leisten, in Indien dagegen könnte er sie nur in Silber be-
wirken; denn England hat, weil dort nur Gold gesetzliches Zahlungs-
mittel ist, die G 0 l d w ä h r u n g , während in Indien die Silber-
währung gilt. Es gibt aber auch Länder mit der sog. Dop-
pelwährung (Bimetallismus), in welchen Gold und Silber in
gleicher Weise gesetzliche Zahlungsmittel sind. Diese Doppelwährung
besteht hauptsächlich in Frankreich, Italien, Belgien, der Schweiz und
Griechenland, welche Länder miteinander die sog. lateinische
M ü n z u n i 0 n geschlossen haben.
1015 Infolge der mannigfachen Nachteile, welche die Doppelwährung
mit sich bringt? sind gegenwärtig fast alle Länder bestrebt, zur Gold-
° Der Umlauf ausländischer Scheidemünzen ist bet
uns verboten; doch sind für die Greuzbezirke Ausnahmen von diesem Ver-
bot gemacht.
° Die Doppelwährung leidet besonders an folgendem Uebel-
staude: Da bei diesem System Gold und Silber gleichmäßig als Zahlungs-
mittel gelten, so muß durch die Münzgesetzgebung das Wertverhältnis zwi-
schen den beiden Metallen bestimmt nnd unabänderlich festgesetzt werden.
So ging z. B. die französische Münzgesetzgebung vom Jahre 1803 davon aus,
daß ein Gramm Gold soviel wert sei als 15,6 Gramm Silber, was auch den
damaligen Metallpreisen entsprach. Aber im Laufe der Zeit änderte sich das
tatsächliche Wertverhältnis. Der Preis des Silbers ist infolge erhöhter
Produktion ständig gefallen und beträgt zurzeit nur noch ungefähr V--4 des
gleichen Gewichts Gold, also nicht einmal mehr halb soviel als früher. Da
der Silbergehalt der Silbermünzen jedoch der gleiche bleibt, so werden diese
minderwertig, gewissermaßen zur Scheidemünze, und können selbstverständ-
lich zu Zahlungen ins Ausland nicht mehr verwendet werden. Eine weitere
Folge des Sinkens des Silberpreises besteht aber darin, daß das Doppel-
währnngsland Gefahr läuft, sein Gold ins Ausland abfließen zu sehen.
Wenn nämlich der Metallwert des Silbergcldes z. B. nur noch aus die
Hälfte seines Nennwertes sich beläuft, so wird man mit inländischen Gold-
münzen im Auslande Silber in Barren einkaufen und daraus in der Münze
den doppelten Betrag an Silbergeld prägen lassen. Um nicht sein Gold
völlig zu verlieren, wird daher ein solcher Staat die Ausprägung von Sil-
berkurantmünzen einstellen müssen, wie dies denn auch die Länder der la-
teinischen Münzunion bereits seit einer Reihe von Jahren getan haben.
Immerhin werden auch dann noch alle Zahlungen möglichst nur in dem min-
derwertigeren Silbcrgeld geleistet werden, und wer Zahlungen in Gold
Geld und Kredit
333
Währung überzugehen. Mit Recht hat daher Deutschland, das früher
Silberwährung hatte, diesen Schritt alsbald nach seiner politischen
Einigung getan. Allerdings blieben die alten Silbertaler bis zum
1. Oktober 1907 noch unbegrenzt gesetzliches Zahlungsmittel; erst
mit diesem Tage vollzog sich bei uns der Uebergang von der bisherigen
sog. hinkenden Goldwährung zur reinen Gold-
währ u n g. Die Außerkurssetzung der österreichischen Vereinstaler
war bereits früher erfolgt.
5. Das Papiergeld.
Ein Ersatzmittel für Metallgeld bildet das vom Staate ausge- ivib
gebene Papiergeld, das sich seinem Wesen nach als eine auf den In-
haber lautende, unverzinsliche Schuldverschreibung des Staates dar-
stellt. Dem letzteren verschafft es, so lange es sich in Umlauf be-
findet, ein unverzinsliches Darlehen, und im Verkehr ist es wegen der
Leichtigkeit seiner Aufbewahrung und Versendung beliebt. Aber die
Ausgabe solchen Papiergeldes ist nur dann unbedenklich, wenn sie sich
in mäßigen Grenzen hält, wenn ferner der Staat jederzeit bereit
und imstande ist, es auf Verlangen zum Nennwert einzulösen,
und wenn endlich kein Zwangskurs besteht, d. h. keine Ver- 1017
pflichtung der Privaten, es zum Nennwert in Zahlung zu nehmen.
Diese Voraussetzungen sind für das Deutsche Reich erfüllt: Unser
einziges Papiergeld sind die vom Reiche ausgegebenen Reichs-
kassenscheine von 6 und 10 (früher von 6, 20 und 50) Mark,
deren Gesamtbetrag (120 Millionen Mark) dem im Juliusturm zu
@£cmimu bar aufbewahrten Reichskriegsschatz gleichkommt. Diese
Scheine werden von allen öffentlichen Kassen in Zahlung genommen
und von der Reichshauptkasse jederzeit gegen bares Geld eingelöst,
müssen dagegen im Privatverkehr nicht in Zahlung genonunen wer-
den. Wegen dieser Einlösungspflicht des Reichs und wegen des Nicht-
bestehens eines Zwangskurses genießt unser Papiergeld solches Ver-
trauen, daß es im Verkehr als den: Metallgeld völlig gleichwertig
behandelt wird.
Wenn dagegen ein in ungünstiger Finanzlage befindlicher Staat 1018
immer mehr Papiergeld ausgibt, so kann er es schließlich nicht mehr
gegen Bargeld einlösen. Je mehr sein Kredit sinkt, desto mehr ver-
liert sein Papiergeld an Wert. Vergeblich sucht er dieser Entwer-
tung dadurch vorzubeugen, daß er für das Papier den Zwangskurs
einführt und damit zur eigentlichen Papierwährung übergeht; denn
haben will, muß ein besonderes Aufgeld (sog. Agio) sich gefallen lassen,
d. h. er muß die Goldmünzen zu einem höheren Werte als zu ihrem Nenn-
wert annehmen.
334
Das Wirtschaftsleben
jeder Verkäufer fordert dann trotz des Zwangskurfes für den Fall,
daß er mit Papiergeld bezahlt wird, von vornherein entsprechend
mehr für feine Ware. So bleibt der Tauschwert des Papiergeldes
immer mehr hinter dem des Metallgeldes zurück 7 * (Agio oder Auf-
geld des Metallgeldes, D i s a g i o des Papiergeldes). Da ferner
zu Zahlungen in das Ausland nur das Metallgeld verwendet wer-
den kann, so fließt dieses immer mehr in das Ausland ab?
6. Die Banknoten.
Außer den Reichskassenscheinen sind im Deutschen Reiche Bank-
noten im Umlauf, welche zwar eiu Gelderfatzmittel bilden, aber doch
nicht zum eigentlichen Papiergeld zu rechnen sind, da sie nicht vom
Staate ausgegeben werden. Diese Banknoten sind gedruckte, un-
verzinsliche, regelmäßig auf 100, 500 oder 1000 Mark 9 lautende
Schuldscheine, welche von den gesetzlich dazu ermächtigten Banken,
den Noten- oder Zettelbanken, ausgegeben werden, wobei
die ausgebende Bank die Verpflichtung übernimmt, sie jederzeit auf
Verlangen des jeweiligen Inhabers gegen bares Geld einzulösen.
Niemand ist verpflichtet, solche Banknoten im Verkehr in Zahlung zu
nehmen; gleichwohl werden sie, da die Notenbanken als durchaus zah-
lungsfähig bekannt sind, wie bares Geld zuni vollen Nennwerte
genommen.
Der Vorteil der Banknoten besteht neben der Annehmlichkeit,
welche sie bei Zahlung und Versendung größerer Geldsummen bieten,
darin, daß sie eine große Menge Metallgeld für andere Zwecke ver-
fügbar machen. Von hoher wirtschaftlicher Bedeutung sind sie aber
besonders deshalb, weil durch Ausgabe bereitgehalteuer Banknoten
jederzeit eine dem jeweiligen Bedarf entsprechende, schleunige Ver-
7 Der russiche Papierrubel z. B. gilt meist nur ungefähr zwei Drittel
soviel als der russische Goldrubel.
° Ein Beispiel, wohin eine ungezügelte Ausgabe von Papiergeld führt,
bietet die Assignatenwirtschaft in Frankreich zur Zeit der fran-
zösichen Revolution. Jene Scheine wurden in dem ungeheuren Gesamt-
beträge von 45 Milliarden Franken mit Zwangskurs ausgegeben. Aber ob-
gleich die schwersten Strafen, sogar die Todesstrafe denjenigen angedroht
wurden, welche sich weigerten, die Assignaten zum Nennwerte in Zahlung
zu nehmen, so stiegen doch die Preise, wenn man mit diesen Papieren zahlen
wollte, ins Unermeßliche, so daß man für ein Pfund Butter mehrere
Hundert Livres, für ein Paar Stiefel 1000 Livres in Assignaten zahlte. Ihr
Kurs sank nach und nach aus den 800. Teil ihres Nennwertes, und schließlich
benutzte man sie zum Tapezieren der Zimmer, da man sie anderweitig nicht
mehr verwenden konnte.
° Die Reichsbank ist seit dem Jahre 1906 ermächtigt, auch Banknoten
zu 20 und 50 M. auszugeben.
Geld und Kredit
335
Mehrung an umlauffähigen Zahlungsmitteln ermöglicht wird. Wenn
nämlich (z. B. infolge großer Barzahlungen an das Ausland) im In-
lande eine Geldknappheit entsteht, welcher nicht sofort durch große
Neuprägungen abgeholfen werden kann, oder wenn durch politische
Verwicklungen oder durch den Ausbruch einer wirtschaftlichen Krisis
Zahlungsstockungen eintreten, so ist es von größten! Wert, daß die
großen Notenbanken, und zwar in erster Reihe unsere Reichsbank, in
kürzester Frist durch Notenausgabe nötigenfalls mehrere Hundert
Millionen Mark der soliden Geschäftswelt zur Verfügung stellen und
ihr damit über vorübergehende — aber ohne solche Hilfe verhängnis-
volle — Zahlungsschwierigkeiten hinweghelfen können. Sobald der
Geldbedarf wieder zurückgeht, fluten die Banknoten an die Banken
zurück, um dort für künftige Fälle aufbewahrt zu werden. Auf diese
Weise werden die Notenbanken zum Regler des gesamten Geld-
umlaufs.
Abgesehen von der Reichsbank sind zurzeit im Deutschen Reich 1021
nur noch vier Banken 10 zur Ausgabe von Banknoten berechtigt. Sie
unterstehen staatlicher Aufsicht, und ihr Geschäftsverkehr ist verschie-
denen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. Besonders ist, um
die Einlösung der Noten für alle Fälle zu sichern, bestimmt, daß jede
Notenbank mindestens ein Drittel des Gesamtbetrags ihrer umlau-
fenden Banknoten in Bargeld oder in Neichskassenscheinen und den
Rest in kurzfristigen diskontierten Wechseln als Deckung bereit hal-
ten muß.
Da die Notenausgabe den Betriebsfonds der Banken vergrößert 1022
und ihnen wegen der Unverzinslichkeit der Noten einen finanziellen
Gewinn verschafft, so könnten die Banken geneigt sein, eine zu große
Anzahl von Banknoten auszugeben. Das Bankgesetz schreibt daher
vor, daß alle Notenbanken zusammen (abgesehen von den durch bare
Deckung sicher gestellten Noten) nur eine bestinimte Menge ausgeben
dürfen, und es verteilt („kontingentiert") diesen Gesamtbetrag des
sog. ungedeckten, steuerfreien Notenumlaufs aus die einzelnen Banken
in festen Beträgen. Will eine Bank mehr durch Bardeckung nicht
gesicherte Noten ausgeben, als diesem ihrem gesetzlichen Anteil 11
(„Kontingent" genannt) entspricht, so muß sie für diesen überschießen-
den Betrag eine Steuer von 5 Proz. an das Reich entrichten. * 98
" Es sind das die sächsische Bank in Dresden, die badische
Bank, die bayerische und die württembergische Notenbank. Die
zahlreichen übrigen ehemaligen Notenbanken haben alle im Lause der Jahre
aus das Recht der Notenausgabe verzichtet.
n Dieses steuerfreie, ungedeckte Kontingent der Reichsbank beträgt ge-
genwärtig 472 829 OCX) M., dasjenige der übrigen Notenbanken zusammen
98 771 OOO M. Dagegen beläuft sich der ganze (gedeckte und ungedeckte)
336
Das Wirtschaftsleben
I02Z
1024
b. Das Kreditwesen im allgemeinen.
1. Begriff und Voraussetzungen des Kredits.
Kredit (von dem lateinischen Worte creckere — anvertrauen
herrührend) bedeutet das Vertrauen, welches jemand genießt,
daß er feinen geschäftlichen Verpflichtungen nachkommen werde. Der
Kreditgeber schenkt dem Kreditnehmer das Vertrauen,
daß dieser ein ihm gegebenes Darlehen rechtzeitig zurückgeben
oder den ihm gestlindeten Kaufpreis für Waren rechtzeitig zahlen
werde. Dieses Vertrauen beruht zum Teil auf dem Glauben des
Kreditgebers, daß der Schuldner nach feinen Vermögens- und Er-
werbsverhältnissen imstande fein werde, zu zahlen, und daß er auch
den guten Willen zur Erfüllung feiner Verbindlichkeiten besitzen
werde. Von Wichtigkeit für die Kreditgebung ist aber auch, daß ein
widerstrebender Schuldner rasch und sicher mit Hilfe der Gerichte ge-
zwungen werden kann, feinen Verbindlichkeiten nachzukommen; in
Ländern, welche kein gutes Gerichtsverfahren und keine zuverlässigen
Richter besitzen (lvie z. B. Rilßland), kann sich daher der Kredit nur
wenig entwickeln.
2. Arten des Kredits.
Nicht nur Privatpersonen, sondern auch die öffentlichen Körper-
schaften, wie der Staat, die Gemeinden, Kreise und Kirchenverbände,
nehmen Kredit in Anspruch, weshalb man zwischen privatem und
öffentliche in Kredit unterscheidet. Von größerer praktischer
Bedeutung ist aber die Unterscheidung zwischen dem Kredit, welcher
sich allein aus das persönliche Vertrauen zum Schuldner und auf
dessen allgemeine Vermögenslage stützt (sog. P e r s 0 n a l k r e d i t),
und dem Kredit, welcher eingeräumt wird hauptsächlich mit Rücksicht
darauf, daß der Schuldner an einzelnen seiner Vermögensstücke dein
Kreditgeber für dessen Forderung ein Pfandrecht einräumt. Dieser
letztere, der sog. Realkredit, heißt Mobiliarkredit, wenn
der Schuldner dem Gläubiger an beweglichen, in den Besitz des letz-
teren übergeheiiden Sachen ein Psaiidrecht, auch Faustpfandrecht ge-
nannt (s. Nr. 447), einräumt;12 er wird Jmmobiliar- oder
Notenunilaus der Reichsbank allein häufig aus IV2 Milliarden Mark und
mehr. Im Falle des Eingehens einer Notenbank wächst jeweils ihr Kon-
tingent der Reichsbank zu.
12 Mit der Gewährung von Mobiliarkredit befassen sich unter anderen
die der staatlichen Aufsicht unterstehenden Psandleihan st alten oder
Leihhäuser, welche, um der wucherischen Ausbeutung der unbemittelten Ein-
wohner durch Pfandleiher vorzubeugen, in größeren Städten häufig von der
Stadtverwaltung betrieben werden; sie beleihen die verschiedensten Gegen-
Geld und Kredit
337
Hypothekarkredit genannt, wenn der Schuldner Grilndstücke
als Pfand einsetzt, d. h. mit einer Hypothek zugunsten des Gläubigers
belastet. Der Hypothekarkredit kann nur in solchen Ländern eine
größere Bedeutung erlangen, in welchen ein entwickeltes Hypotheken-
recht und sorgfältig geführte Grundbücher 13 dem Gläubiger die Gel-
tendmachung seines Pfandrechts auf alle Fälle sichern, wie dies in
hohem Maße bei uns, weit weniger dagegen z. B. in Frankreich und
Nordamerika der Fall ist.
3. Vorteile und Gefahren des Kredits.
Die große wirtschaftliche Bedeutung des Kredits liegt zunächst 1025
darin, daß vielfach nur durch ihn eine produktive Verwertung der
Kapitalien ermöglicht wird, indem er die Kapitalien in die Hände
solcher Personen leitet, die sie am besten zu verwerten imstande sind.
Der Kredit verschafft z. B. einer tüchtigen aber wenig bemittelten
Persönlichkeit ein Kapital, das diese befähigt, ein selbständiges Unter-
nehmen zu gründen und sich so emporzuarbeiten." Er allein ermög-
licht ferner allen denen, die nicht selbst einen Produktionszweig be-
treiben können (z. B. Beamten, Arbeitern, Witwen und Waisen),
selbst kleine Ersparnisse (man denke an die Sparkassen, welche schon
die kleinsten Beträge verzinsen) nutzbar anzulegen, und regt damit
mächtig zum Sparen und zur Vorsorge für die Zukunft an.
Von besonderer Wichtigkeit für den wirtschaftlichen Verkehr wird 1026
der Kredit weiter dadurch, daß im Handelsverkehr regelmäßig der
Kreditnehmer seinem Gläubiger über seine Schuld nicht etwa einen
gewöhnlichen Schuldschein ausstellt, der bloß dazu bestimmt ist, auf-
bewahrt zu werden und späterhin nötigenfalls als Beweismittel für
die Forderung zu dienen. Vielmehr erhält diese Schuldverschreibung
meist die Form eines Wechsels," Schecks, Jnhaberpapiers oder dgl.
Alle diese sog. Kreditpapiere haben das Gemeinsame,
daß sie übertragbar sind. Der Kreditgeber, der für seine For- * 13 * 15
stände unter Ausstellung eines bis zu einem gewissen Zeitpunkt einzulösen-
den Pfandscheines.
Im Handelsverkehr werden die in den Docks und Lagerhäusern nieder-
gelegten Waren (insbesondere Nohstoffe, wie Baumwolle, Getreide, Kaffee)
vielfach verpfändet gegen Ausstellung von übertragbaren Lagerpfand-
scheinen, genannt Warrants. Von der Beleihung von Edelmetallen,
Wertpapieren, Waren usw. durch Banken (sog. Lombardgeschäste)
wird noch späterhin die Rede sein (s. Nr. 1039).
13 Ueber das Hypothekenrecht s. Nr. 437, über die Bedeutung und Füh-
rung der Grundbücher s. Nr. 418.
" Aus solche Weise gleicht der Kredit manche Härten aus, die unserer
aus das Privateigentum gegründeten Gesellschaftsordnung anhaften.
15 Ueber die Wechsel, ihre Gestaltung und Bedeutung s. Nr. 548.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 22
338
Das Wirtschaftsleben
derung sich ein solches Kreditpapier ausstellen ließ, braucht also nicht
Zu warten, bis der Verfalltag der Schuld gekommen ist; er muß nicht
bis dahin sein Geld entbehren, sondern er kanil das Papier gegen
Zahlung seines Wertes weiter geben. So gehen die Kreditpapiere
bis zu ihrer Fälligkeit im Verkehr von Hand zu Hand wie das Geld;
ja, sie sind sogar für Zahlungen größerer Summen und an entferntere
Plätze ein weit bequemeres Zahlungsmittel als das Geld. Wird auf
solche Weise schon im inländischen Verkehr in großem Umfang durch
Verwendung der Kreditpapiere bei Zahlungen Zeit, Mühe und Kosten
erspart, so wäre der internationale Handel in seiner jetzigen Aus-
dehnung aus Grund von Barzahlungen überhaupt nicht mehr durch-
zuführen. Der aus Milliarden sich belaufende Umsatz zwischen den
einzelnen Ländern vollzieht sich fast ausschließlich durch Verwendung
von Kreditpapieren.
027 Hierdurch wird zugleich der Volkswirtschaft Metallgeld in
sehr erheblichem Umfange erspart. Man hat berechnet, daß gegen-
wärtig in Deutschland mindestens neun Zehntel aller Umsätze durch
den Kredit vermittelt werden.^ Würden an deren Stelle Barzah-
lungen treten, so wäre die weitere Ausmünzung mehrerer Milliarden
an Gold und Silber nötig, wozu übrigens die vorhandenen Edel-
metallmengen bei weitem nicht ausreichen würden.
028 Anderseits darf aber auch nicht verkannt werden, daß der an un-
rechter Stelle gewährte Kredit mancherlei Gefahren in sich birgt. Der
zu Produktionszwecken gewährte sog. Produktivkredit ver-
leitet leicht zu gewagten Unternehmungen, die in keinem Verhältnisse
zu dem Vermögen des Unternehmers stehen. Volkswirtschaftlich
überwiegend schädlich ist ferner der nur zum Verbrauch gewährte
029 Kredit (Verbrauchskredit, auch K 0 n s u m t i 0 n s k r e d i t
genannt, da er die Verschwendung begünstigt. Hierher gehört das in
Deutschland leider eingebürgerte Borgsystem, das einerseits den
seine Waren aus Kredit abgebenden Kaufmann zwingt, entweder mit
einem großen Betriebskapital zu arbeiten oder seinerseits wieder von
seinem Großhändler oder Fabrikanten Kredit zu beanspruchen, wäh-
rend es anderseits das Publikum daran gewöhnt, schon zu verzehren,
was erst erworben werden sollN Ein schädlicher Auswuchs der
Kreditgewährung ist endlich der Wucher, welcher durch besondere
Strafgesetze (s. Nr. 285) bekämpft wird. 16 17
16 Mit Recht spricht man deshalb davon, daß heutigentags die Geld-
wirtschaft zum Teil durch die Kreditwirtschast ersetzt sei. Siehe
Nr. 995.
17 Die Kaufleute suchen die Barzahlung zu fördern durch Gewährung
von Rabatt. Dem gleichen Zwecke dienen die in neuerer Zeit entstan-
denen Rabattsparvereine; hier treten an die Stelle des Rabatts
Die Banken und Sparkassen
339
c. Die Banken und Sparkassen.
1. Ihre Bedeutung.
Die Banken^ sind Unternehmungen zur Vermittelung des Geld- iozo
und Kreditverkehrs. Dem Geldverkehr dienen sie durch Handel mit
Münzsorten, Edelmetallen und Wertpapieren, während sie für den
Kreditverkehr eine überaus wichtige Rolle spielen dadurch, daß sie auf
eigene Gefahr von Kaufleuten und sonstigen Privaten Geld, das bei
diesen gerade keine Verwendung findet, darlehensweise aufnehmen
und wieder als Gläubiger verleihen. Auf diese Weise bringen die
Banken die Kapitalien in Umlauf und zu angemessener Ver-
wendung.
Sie sind teils Einzelnnternehmungen, teils gesellschaftliche Unter- iozi
nehmungen, insbesondere Aktiengesellschaften. Neben den Privat-
banken gibt es auch öffentliche, d. h. von öffentlichen Korporationen,
insbesondere vom Staat betriebene Banken, so in Bayern die K. Bank
in Nürnberg.
2. Die wichtigsten Bankgeschäfte.
Die hauptsächlichsten Geschäfte der heutigen Banken sind:
a. Der An- und Verkauf von Edelmetallen, ausländischen Münz- i»Z2
sorten, Wechseln und Effekten?" Unter letzteren versteht man die
an der Börse gehandelten („börsengängigen") Wertpapiere, haupt-
sächlich die Aktien ltnb Staatsschuldscheine?" * 1 * * * * 20
die Rabattmarken, d. h. Anweisungen auf den bei dem Verein von den
Kaufleuten hinterlegten Rabattbetrag, welcher jedoch, um den Sammel- und
Sparbetrieb anzureizen, erst erhoben werden darf, wenn er eine gewisse
Summe erreicht hat.
38 Im Mittelalter hatten die Geldwechsler in Italien ihre Geld-
schüsseln öffentlich auf Tischen, ital. banco, aufgestellt; daher rührt die heu-
tige Bezeichnung als Bank.
1S Dieser Handel mit Wechseln, Effekten und anderen Waren, welche
einen Kurs haben, heißt Arbitrage, wenn er unter Ausnutzung der
verschiedenen Höhe der an verschiedenen Handelsplätzen vermerkten Kurse
erfolgt. Haben z. B. Wechsel auf London in Amsterdam einen niedrigeren
Kurs, als in Berlin, so kauft der Arbitrageur sie in Amsterdam ein, um
sie in Berlin wieder zu verkaufen.
20 Anlehenspapiere des Staats, der Gemeinden, Hypothekenbanken usw.
heißen Inhaber Papiere, wenn sie in Schuldverschreibungen bestehen,
welche den jeweiligen Inhaber berechtigen, die Zinsen und das Ka-
pital selbst (sobald es fällig wird) in Empfang zu nehmen, so daß also
jede Uebertragung des Papiers ohne weiteres die Uebertragung der Forde-
rung in sich schließt. Zur Ausgabe solcher Jnhaberpapiere ist regelinäßig
staatliche Genehmigung notwendig.
22*
340
Das Wirtschaftsleben
1033 b. Die Besorgung von Geschäften der verschiedensten Art für
andere, wie z. B. die Einziehung von Geldern (das sog. Inkasso),
die Besorgung von Auszahlungen, der kommissionsweise Kauf und
Verkauf von Wertpapieren, die Einlösung von Zinscoupons und
Dividendenscheinen usw. Mit Kunden, welche derartige und andere
Geschäfte ständig von einer Bank für sich besorgen lassen, steht diese in
laufender Rechnung oder Kontokurrent.
1034 c. Die Aufbewahrung von Geld, Wertpapieren, Schmuck-
sachen usw. Diese sog. Depositen sind entweder „verschlossene
Depots" in verschlossenen oder versiegelten Kästen oder Paketen,
oder „offene Depot s", bei welchen die Bank nicht nur die Auf-
bewahrung, sondern auch die Verwaltung der Wertpapiere über-
nimmt, insbesondere die Verpflichtung, die Coupons rechtzeitig einzu-
lösen und die etwaige Auslosung der Papiere zu überwachen.
1035 Während auch bei diesen offenen Depositen die Bank über die
ihr anvertrauten Wertpapiere in keiner Weise für ihre eigenen Zwecke
verfügen öarf,21 besteht der gewöhnliche, volkswirtschaftlich
ungleich wichtigere Depo fiten verkehr darin, daß die Kunden
ihre lausenden Einnahmen, soweit sie diese nicht unmittelbar ge-
brauchen, bei der Bank zu deren freier geschäftlicher Benützung als
Darlehen (meistens gegen mäßige Verzinsung) einlegen mit dem Vor-
behalt der jederzeit oder unter Einhaltung einer Kündigungsfrist zu-
lässigen Zurückforderung. Die Vorteile dieses Depositenverkehrs be-
stehen zunächst für das Publikum darin, daß die nicht sofort gebrauch-
ten deponierten Gelder verzinst werden, daß sie gegen Verlust
durch Feuer und Diebstahl im eigenen Hause geschützt sind und daß
mit ihnen durch Anweisungen aus die Bank aus die bequemste Weise
Zahlungen geleistet werden können. Die Depositenbanken ihrerseits
können, da erfahrungsgemäß nie alle Depositengelder zugleich zurück-
gezogen werden, einen großen Teil zu gewinnbringenden Ge-
schäften verwenden, woraus die volkswirtschaftlich wichtige Tatsache
folgt, daß vermöge des Depositenverkehrs bedeutende Summen, die
sonst tot im Kasten liegen würden, fortwährend in nutzbringendem
Umlaufe erhalten werden.
1036 Haben viele Kaufleute bei derselben Bank solche Depots, so
können sie Zahlungen untereinander aus die einfachste Art dadurch be-
21 Zur Verhütung von Unterschlagungen an diesen eigentlichen Depots
hat ein besonderes Reichsgesetz, das sog. Depotgesetz, eingehende, durch
strenge Strafbestimmungen geschützte Vorschriften für die Banken getroffen.
Die Verwahrung der Depots geschieht heutzutage zur größeren Sicher-
heit der Kunden bei den größeren Banken vielfach in feuersicheren Stahl-
kammern und zwar in Schubkästen, zu welchen jeweils nur der Eigentümer
des Depots den Schlüssel hat.
Die Banken und Sparkassen
341
wirken, daß die Bank auf ihre Weisung an dem Konto desjenigen, der
eine Zahlung machen will, ihren Betrag abschreibt und den
gleichen Betrag dem Konto des Zahlungsempfängers zuschreibt. Man
nennt diese Art des Geldverkehrs durch Ueberschreibung von Teilen
des Kontos des einen Bankkunden auf das Konto eines anderer: Kun-
den den Giroverkehr (ital.: giro = Kreis), weil hierbei das
Gelde sich gewissermaßen ständig in einem Kreislauf befindet.
Dieser Giroverkehr hat in Deutschland besonders bei der Reichs-
bank einen großen Umfang und große Bedeutung erreicht; denn da
die Reichsbank an allen wichtigeren Plätzen ihre Bankstellen hat, so
können alle Kaufleute, welche bei ihr ein sog. Girokonto besitzen, im
Wege einer solchen Ueberschreibung untereinander ihre Zahlungen
bewerkstelligen.
Die Besitzer eines Bankdepots verfügen darüber am be- 1
guemsten durch sog. Schecks, d. h. schriftliche Anweisungen an die
Bank, auf Grund des vorhandenen Guthabens an die in dem Scheck
bezeichnete Person oder den Ueberbringer eine Zahlung in bestimmter
Höhe zu leisten. Zu diesem Zweck übergibt die Bank ihren Kunden
ein Scheckbuch mit gedruckten, numerierten Anweisungsformularen,
welche einzeln herausgerissen und nach Bedürfnis ausgefüllt werden.^
Mit diesen Schecks kann der Depotinhaber selbst oder durch beliebige
Beauftragte die gewünschten Beträge bei der Bank erheben; er kann
damit aber auch Zahlungen an dritte Personen machen, sofern diese
mit dieser Zahlungsart einverstanden sind.^
22 Ein solcher Scheck lautet z. B.:
Soll der Scheck zu einer Zahlung, z. B. an Herrn Albert Bürger, ver-
wendet werden, so treten an Stelle der Worte „an mich oder Ueberbringer"
die Worte: „an Herrn Albert Bürger oder Ueberbringer".
23 Für den Empfänger bringt diese Zahlungsart mit Schecks allerdings
die Unbequemlichkeit mit sich, daß er der Bank, auf welche der Scheck ausge-
342
Das Wirtschaftsleben
Die Rechtsverhältnisse des Scheckverkehrs sind neuerdings ähn-
lich denen des Wechselverkehrs durch ein besonderes Reichsgesetz ge-
regelt worden; besonders hervorzuheben ist, daß jeder Scheck binnen
bestimmter Frist zur Zahlung vorgelegt werden muß, im Inland aus-
gestellte und zahlbare Schecks binnen zehn Tagen nach der Ausstellung.
ioz8 Neben den Banken befaßt sich seit 1. Januar 1909 auch die Post
mit dem Scheckverkehr, ihre Organe sind die P o st s ch e ck ä m t e r.
Bei dieser vollzieht er sich im allgemeinen in derselben Weise wie bei
den Banken, Einzahlungen aus ein Konto können durch Barzahlung
oder Ueberweisung von einem anderen Konto, Rückzahlungen durch
Überweisung aus ein anderes Konto (Giroverkehr siehe Nr. 1036) oder
mittels Schecks erfolgen. Die eingezahlten Beträge werden nicht
verzinst, dagegen werden für die Tätigkeit der Postscheckämter und
Postanstalten Gebühren erhoben. Es ist zu wünschen, daß mit der
Einbürgerung des Postscheckverkehrs eine mäßige Verzinsung, wie
sie schon in anderen Ländern gewährt wird, eintreten kann..
Zum Postscheckverkehr wird jedermann zugelassen.
ck. Die Kreditgewährung gegen F a u st p f a n d
oder gegen Hypothekensicherheit (Kreditbanken).
I0Z9 Das kurzfristige Darlehen gegen Faustpfand wird, weil es zuerst
in der Lombardei auskam, L o m b a r d g e s ch ä f t genannt. Die
Lombardbanken geben solche Darlehen auf Münzen, Gold- und Sil-
berbarren, Gold- und Silbergerät (sog. Edelmetallo m bar d),
ferner auf börsengängige Wertpapiere (sog. Effekten lo ur-
bar d), sowie aus leicht aufzubewahrende und leicht abzusetzende
stellt ist, diesen erst vorweisen muß, um das Geld zn erhalten. Daher hat
sich die Zahlung durch Schecks bei uns noch nicht recht einbürgern können.
Anders in England und Nordamerika, wo nicht nur jeder Geschäftsmann,
sondern auch jeder einigermaßen begüterte Privatmann bei einer Bank
ein Konto hat und durch sie seine Geldgeschäfte besorgen läßt. Er präsentiert
daher die in Zahlung genommenen Schecks nicht selbst zur Einlösung, sondern
übergibt sie seinem Bankier, der sie einer größeren Zentralbank, bei der er
ein Konto hat, zur Uebertragung auf sein Guthaben einliefert. So fließen
die Schecks aus London und dem größten Teil Englands ständig bei den
großen Londoner Banken zusammen. Diese wiederum haben für sich eine
gemeinsame Abrechnungsstelle (das sog. Clearinghouse in
London) eingerichtet, in der jeweils täglich die gegenseitigen Forderungen
zusammengestellt und die zu fordernden und zu zahlenden Ucbcrschüsse fest-
gestellt werden. Aber auch diese Ueberschüsse werden nicht etwa in bar aus-
bezahlt, sondern mittels des Girokontos, welches die beteiligten Banken bei
der Bank von England haben, übertragen. So vollzieht sich Tag für Tag ein
ungeheurer Umsatz ohne Anwendung irgendwelcher Barmittel.
Aehnliche Einrichtungen befinden sich übrigens auch in Deutschland;
insbesondere hat die Reichsbank eine solche Abrechnungsstelle ins Leben
gerufen.
Die Banken und Sparkassen
343
Waren (W a r e u I o m 5 sl r d). Solche Waren werden vom Eigen-
tümer hänfig zur Ausbewahrung den großen Lagerhäusern über-
geben, worüber letztere Lagerscheine (sog. Warrants) ausstellen, ohne
welche die Ware nicht aus dem Depot herausgegeben wird. Diese
Lagerscheine werden bei der Lombardierung der Bank als Pfand ein-
gehändigt.
Die Hypothekenbanken (Bodenkreditgesellschaften) dienen 1040
dem Immobiliarkredit. Sie verwenden die Kapitalien, welche sie sich
durch Ausgabe von verzinslichen, aus den Inhaber lautenden
Schuldverschreibungen (sog. Hypothekenpfandbriesen) beschaffen, zu
hypothekarisch gesicherten Darlehen an Grundbesitzer. Diese Darlehen
sind häufig solche, bei welchen die Rückzahlung in Annuitäten,
d. h. in jährlichen Abzahlungen in der Weise erfolgt, daß der Schuld-
ner beispielsweise jährlich 5 % zu zahlen hat, wovon nur 4 % als
Zins, der Rest aber als Kapitalrückzahlung gerechnet wird, so daß
aus den laufenden Einkünften des Schuldners nach und nach das
ganze Kapital in einer Anzahl von Jahren zurückbezahlt wird. Solche
Annuitätendarlehen bieten besonders für die Landwirte große Er-
leichterungen. Die Hypothekenbanken sind private Gesellschaften 1041
(Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien, s.
Nr. 536), aber sie bedürfen der staatlichen Genehmigung und ihr Ge-
schäftsbetrieb ist durch ein besonderes Reichsgesetz verschiedenen Be-
schränkungen sowie der staatlichen Beaufsichtigung unterworfen. Die
Inhaber der Hypothekenpfandbriefe sind dadurch gesichert, daß die
Hypotheken der Bank ihr gemeinsames Pfand bilden; und zwar
müssen die im Umlauf befindlichen Pfandbriefe jederzeit durch Hypo-
theken von mindestens gleicher Höhe und mindestens gleichem Zins-
betrag gedeckt sein. Ein staatlich bestellter Vertreter der Inhaber der
Hypothekenpfandbriefe (ein sog. Treuhänder) hat das Vorhan-
densein der vorgeschriebenen Deckungsmittel zu überwachen und die
Hypothekenurkunden unter Mitverschluß der Bank zu verwahren.^
Hierher gehören ferner die Sparkassen (Sparbanken), 1042
welche den Zweck haben, der weniger bemittelten Bevölkerung die
zinstragende Anlegung kleiner Summen zu ermöglichen, hierdurch
den Spartrieb zu pflegen und aus den eingelegten Spargeldern den
gleichen Bevölkerungskreisen Darlehen gegen Bürgschaften oder Hypo-
" Einen ähnlichen Geschäftsbetrieb wie die Hypothekenbanken haben in
Preußen die landschaftlichen Pfandbriefen st alten oder
Landschaften, worunter man die landwirtschaftlichen Kreditgenossen-
schaften der Großgrundbesitzer versteht; ebenso die zur Förderung landwirt-
schaftlicher Meliorationen (Verbesserungen) ins Leben gerufenen Landes-
kultur-Rentenbanken. Bei beiden werden die Mittel durch Aus-
gabe verzinslicher, aus den Inhaber lautender Pfandbriefe beschafft.
344
Das Wirtschaftsleben
1043
1044
thekensicherheit zu gewähren. Diese Sparkassen sind zum Teil reine
Privatanstalten und unterstehen alsdann keiner staatlichen Ge-
nehmigung oder Aufsicht. In Bayern aber sind sie in der Regel A n -
st alten der Gemeinden oder der Distrikt e.25 Für
die Einrichtung dieser sind seitens des Staates Grundbestimmungen
ausgestellt, die eine ordnungsmäßige Verwaltung und die Sicherheit
der Einlagen gewährleisten. Jede Sparkasse bedarf demnach einer
Satzung, die nur mit Genehmigung der vorgesetzten Verwaltungs-
behörde erlassen werden kann. Der Ueberschuß der Sparkasse ist zur
Anlegung eines Reservefonds zu verwenden, der auf mindestens zehn
Prozent der Gesamteinlagen zu bemessen ist. Die Sparkasse hat jähr-
lich einen Geschäftsbericht zu erstatten und zu veröffentlichen. Die
gemeindlichen und distriktiven Sparkassen sind in Bayern als ge-
eignet zur Anlegung von Mündelgeld erklärt.
e. Ein besonders wichtiges Geschäft der Banken ist endlich das
bereits bei Nr. 650 besprochene Diskontieren, d. h. Ankäufen
von noch nicht fälligen Wechseln oder sonstigen nicht verzinslichen
Wertpapieren unter Abzug des Zinses für die Zeit bis zum Fällig-
keitstermine (des sog. Diskonts). Die Bedeutung dieses Dis-
konto- oder Eskomptgeschäfts wird durch die Tatsache
beleuchtet, daß in Deutschland ständig Wechsel im Betrag von unge-
fähr vier Milliarden Mark sich in Umlauf befinden.
Der Diskontosatz der großen Banken, d. h. der aufs Jahr-
berechnete Diskontozinsfuß, wird ständig veröffentlicht. Er ist je nach
den wirtschaftlichen Konjunkturen ständigen Schwankungen unter-
worfen; er steigt beispielsweise, wenn infolge eines Aufschwunges der
Produktion die Nachfrage nach kurzen Darlehen, wie die Banken sie
durch Diskontierung von Wechseln geben, sich steigert; er fällt da-
gegen, wenn infolge einer Erschlaffung des Geschäftslebens die Bar-
bestände bei den Banken sich anhäufen.
3. Die Neichsbank2°.
Von ihr war schon bei Besprechung der Notenbanken (Nr. 1019)
die Rede. Betrachten wir hier etwas näher die Gestaltung und Be-
deutung dieses größten und wichtigsten deutschen Kreditinstituts.
Die Reichsbank hat die Ausgabe, den Geldumlauf im Reiche zu
regeln, die Zahlungsausgleichungen zu erleichtern und für die Nutz-
barmachung verfügbaren Kapitals zu sorgen. Ihr Grundkapital von
25 In Bayern bestanden 1905 203 gemeindliche und 150 distinktive
Sparkassen.
28 Der Deutschen Reichsbank entspricht in Frankreich die Bank von
Frankreich, in England die Bank von England.
Die Banken und Sparkassen
345
180 Millionen Mark ist in 100 000 auf den Namen lautende Stamm-
anteile von 3000 und 1000 Mark zerlegt. Die Besitzer dieser Stamm-
anteile vertreten ihre Interessen in einer Generalversammlung und
durch einen aus ihrer Mitte gewählten Zentralausschuß. Jedoch
ist die Reichsbank keineswegs eine gewöhnliche private Aktien-
gesellschaft; sie steht vielmehr, um eine die öffentlichen Interessen
wahrende Geschäftsführung zu sichern, unter der Leitung und Ober-
aufsicht des Reichs. Die unmittelbare Leitung wird unter Aufsicht
des Reichskanzlers ausgeübt durch das Reichsbankdirek-
torium, dessen Präsident und Mitglieder auf Vorschlag des Bun-
desrats vom Kaiser ernannt werden; die Oberaufsicht dagegen führt
das Reichsbankkuratorium, bestehend aus dem Reichs- 1045
kanzler und mehreren, teils vom Kaiser, teils vom Bundesrat ernann-
ten Mitgliedern. Die zahlreichen Beamten der Reichsbank haben die
gleichen Rechte und Pflichten wie die Reichsbeamten. Auch an dem
Gewinn der Reichsbank nimmt das Reich teil; er wird derart ver-
teilt, daß zunächst die Anteilseigentümer 3y2 Prozent Dividende er-
halten; sodann fließt ein gewisser Betrag dem Reservefonds zu und
der Rest wird zu drei Vierteln dem Reiche, zu einem Viertel den An-
teilseignern überwiesen. Die Reichsbank ist ferner verpflichtet, als
„Reichshauptkasse" die Zentralkassengeschäfte des Reichs zu führen.
Endlich ist das Reich jeweils nach 10 Jahren und nach vorheriger
Kündigung berechtigt, die Reichsbank in eigenen Besitz zu erwerben.
In der Wahl ihrer Geschäfte ist die Reichsbank durch das Bank- 1046
gesetz im Interesse der Sicherheit ihres Betriebs verschiedenen Be-
schränkungen unterworfen. Ihr Hauptsitz ist in Berlin; daneben hat
sie aber im ganzen Reiche mehrere Hundert Zweigniederlassungen,
und zwar an den größeren Plätzen sog. Reichsban khaupt-
st e l l e n , an den mittleren sog. R e i ch s b a n k st e l l e n und an den
kleineren sog. Reichsbanknebenstellen. Die Nebenstellen
sind jeweils einer der beiden erstgenannten Zweigniederlassungen
unterstellt.
4. Die K. Bank zu Nürnberg.
Die K. Bank ist eine unter dem Finanzministerium stehende 1047
Staatsanstalt mit kaufmännischer Geschäftsführung. Sie hat
vorzugsweise den Zweck, als Depositen-, Wechsel- und Leihbank ver-
fügbares Kapital nutzbar zu machen und insbesondere durch Darlehen
den Handel, die Industrie, die Gewerbe und die Landwirtschaft zu
fördern. Ihr Hauptsitz ist zu Nürnberg; an verschiedenen Orten des
Königreichs bestehen Zweiganstalten. Vom Staate wurde ihr ein
Betriebskapital zugewiesen. Der Staat hat die „vollkommene
Garantie" für die Bank übernommen.
346
Das Wirtschaftsleben
048 Die Verwaltung und Geschäftsleitung obliegt einer besonderen
Behörde, der K. Bankdirektion. Für den Geschäftsbetrieb am
Hauptsitze in Nürnberg ist ein besonderes Organ, die H a u p t b a n k,
bestellt, für den Geschäftsbetrieb an den Zweigniederlassungen sind
F i l i a l b a n k e n eingerichtet.
d. Die Börsen.
049 An den größeren Handelsplätzen befinden sich Börse n. Man
versteht darunter den Ort oder das Gebäude, wo sich zu bestimmten
Zeiten die Kaufleute gewisser Geschäftszweige zusammenfinden, um
ihre Handelsgeschäfte miteinander abzuschließen und nach den gezahl-
ten Preisen die durchschnittlichen Tagespreise festzustellen. Die Bör-
sen stellen also eine Art von Markt dar, aus welchem Angebot und
Nachfrage der Verkäufer und Käufer zusammentreffen; sie unterschei-
den sich aber von den eigentlichen Märkten dadurch, daß bei ihnen
nicht Geschäfte über an Ort und Stelle geschaffte Waren, sondern nur
Geschäfte über bestimmte Gattungen von vertretbaren Waren abge-
schlossen werden, die häufig noch gar nicht vorhanden sind.
050 Nach dem Gegenstand der Geschäfte unterscheidet man die
Effekten - oder F 0 n d s b ö r s e n , an welchen Wertpapiere. Wech-
sel und Geldsorten gehandelt werden, und die Waren- oder Pro-
duktenbörsen für den Handel mit Waren, die nach Proben ge-
liefert werden können, wie Getreide, Mehl, Kaffee, Baumwolle.
051 Die an den Börsen abgeschlossenen Geschäfte sind teils solche,
welche alsbald zu erfüllen sind (sog. Effektivgeschäste oder
K a s s a g e s ch ä f t e), teils Termingeschäfte oder Zeitge-
schäfte, bei welchen die Erfüllung erst an einem späteren Termine
zu erfolgen hat; diese werden auch Ultimogeschäfte genannt,
wenn der Lieserungstermin, wie vielfach üblich, auf den letzten Tag
eines Monats festgesetzt ist.
052 Die Termingeschäfte entsprechen vielfach einem wirklichen wirt-
schaftlichen Bedürfnisse. Wer z. B. zu einem bestimmten späteren
Zeitpunkte ein größeres Quantum Weizen braucht, wird mit Recht
jetzt schon einen festen Abschluß auf diesen Termin machen, uni nicht
durch eine künftige etwaige Preissteigerung in Schwierigkeiten zu
geraten. Häufig aber werden diese Termingeschäfte auch zu Spe-
kulationen benützt. Aus das Steigen der Kurse („a I a
hauss e") spekuliert jemand, der zu einem bestimmten Preis ein-
kauft in der Erwartung, daß bis zum Lieserungstermin der Markt-
preis (Kurs) steigen und er so in den Stand gesetzt wird, die
Ware mit Gewinn weiter zu verkaufen. Bei der Spekulation auf
Die Börsen
347
das Fallen der Kurse („a la baiss e") dagegen verkauft der Händ-
ler Waren, die er erst anschaffen muß, in der Hoffnung, daß der
Marktpreis am Lieferungstermin niedriger fein werde, so daß er sie
billiger einkaufen kann, als er sie abzugeben zugesagt hat.
Die Spekulation geht aber noch weiter und wird zum reinen 105z
Börsenspiel, wenn bei solchen Termingeschäften die Absicht der Ver-
tragsparteien von vornherein nicht aus eine Lieferung der verkauften
Waren, sondern nur auf die Zahlung der Differenz zwischen dem
vereinbarten Preis und dem zur Zeit des Lieferungstermins gelten-
den Tagespreis gerichtet ist. Die Forderungen aus solchen Diffe-
renzgeschäften sind im allgenieinen nicht einklagbar.
Aber auch zu sonstigen unsauberen Machenschaften, z. B. zu 1054
Kurssteigerungen durch Verbreitung falscher Nachrichten (sog. Preis-
treiberei oder Börsenjobberei) bietet die wirtschaftlich notwendige
und niitzliche Tätigkeit der Börse leider mannigfache Gelegenheit.
Diese Erfahrungen haben in Deutschland zur Erlassung eines B ö r -
sengesetzes geführt. Darnach bedarf die Errichtung einer Börse
der Genehmigung der Landesregierung; diese führt auch die Aufsicht
über die Börse entweder selbst oder durch die Handelsorgane (Han-
delskammern, kaufmännische Korporationen) und bestellt einen
S t a a t s k 0 in m i s s a r zur Ueberwachung des Geschäftsverkehrs?'
Für jede Börse ist mit Genehmigung der Landesregierung eine Bör-
senordnung über Verwaltung der Börse und Regelung des
Börsenverkehrs zu erlassen und ein Ehrengericht zu bilden, wel-
ches die Börsenbesucher wegen mit der Ehre oder dem kaufmännischen
Vertrauen nicht zu vereinbarender Handlungen mit Verweis sowie
mit zeitweiliger oder dauernder Ausschließung von der Börse be-
strafen kann. Ferner sind bei den Börsen, die dem Handel mit Ge-
treide oder Erzeugnissen der Getreidemüllerei dienen, durch die Lan-
desregierungen Kommissionen zur Verhängung von Ordnungs-
strafen wegen Abschlusses verbotener Terminsgeschäfte (s. Nr. 1056)
in diesen Sachen zu bilden. Sie bestehen aus einem Reichs- oder
Staatsbeamten als Vorsitzenden und je zwei Vertretern des Handels
und der Landwirtschaft. Gegen ihre Entscheidungen ist Beru-
fung an die vom Bundesrat bestellte B e r u f u n g s k 0 m m i s s i 0 n
zulässig.
Zur Vermittelung der Geschäfte sind an den Börsen beeidigte 1055
Makler mit Beamtenstellung tätig, welche über jedes Geschäft eine 27
27 Dem Bundesrat steht in den seiner Beschlußfassung überwiesenen
Börsenangelegenheiten als begutachtender sachverständiger Beirat ein
Börsenausschuß zur Seite, dessen Mitglieder zur Hälfte von den Bör-
senorganen vorgeschlagen und zur Hälfte aus Vertretern des Handels und
der Industrie vom Bundesrat berufen werden.
348
Das Wirtschaftsleben
Urkunde, „S ch l u ß s ch e i n" genannt, ausstellen. Auf Grund dieser
Schlußscheine werden am Schlüsse der Börse die für die einzelnen
Warengattungen und Effekten gezahlten Durchschnittspreise durch den
Börsenvorstand festgestellt und in den Kurszetteln und Preis-
übersichten veröffentlicht, aus denen die Interessenten des ganzen
Landes die Marktpreise ersehen können. Diese Preisübersichten der
Warenbörsen bieten insbesondere auch den Landwirten einen Schutz
gegen die Willkür der Händler.
56 Zur Sicherung des Publikums vor Verlusten durch unsichere
Wertpapiere, besonders durch solche des Auslands, bestimmt das Bör-
sengesetz, daß an der Börse nur Wertpapiere gehandelt und notiert
werden dürfen, die von einer besonderen Börsenkommission, der sog.
Z u l a s s u n g s st e l l e, nach vorhergegangener Prüfung zum Han-
del zugelassen sind.^ Zum Zweck der Bekämpfung der Ausartung
des Börfenterminhandels hat das Börsengesetz ferner den Termin-
handel in Getreide und Erzeugnissen der Getreidemüllerei, abgesehen
von eng begrenzten Ausnahmen, untersagt und vorsätzliche Zuwider-
handlungen mit schweren Ordnungs- und gerichtlichen Strafen be-
droht, den Terminhandel in Anteilen an Bergwerks- und Fabrik-
unternehmungen von der Genehmigung durch den Bundesrat,^ im
übrigen die Entstehung einer Verbindlichkeit aus einen: Vörsen-
termingeschäft im allgemeinen davon abhängig gemacht, daß auf
beiden Seiten Kaufleute, die im Handelsregister eingetragen sind,
oder deren Eintragung das Handelsgesetzbuch für nicht erforderlich
erklärt, eingetragene Genossenschaften oder ihnen gesetzlich gleich-
gestellte Personen beteiligt sind. Dies gilt auch, wenn es sich um
reine Differenzgeschäfte handelt.
e. Mas;- und Gewichtswesen u. dgl.
57 Aehnlich wie das Münzwesen wies auch das frühere deutsche
Maß- und Gewichtswesen eine iibergroße, für Handel und Verkehr
störende Vielgestaltigkeit auf. Eine einheitliche Gestaltung hat auch
hier erst die Reichsgesetzgebung zum Abschluß gebracht.
Nach der deutschen Maß- und Gewichtsordnung ist
die Grundlage für die Maße, und zwar für die Längen-, Flächen-,
Raum- und Hohlmaße, bekanntlich das Meters" welches an Größe
^Deutsche Reichs- und Staatsanleihen bedürfen dieser Zulas-
sung nicht.
2° Dieser kann den Terminhandel auch in andern Waren oder Wert-
papieren verbieten.
b° Das gleiche Maß- und Gewichtssystem gilt für die meisten Kultnr-
staaten der Erde kraft der von ihnen abgeschlossenen internationalen
Maß- und Gewichtswesen u. dgl.
349
dem vierzigmillionsten Teil eines durch die Pole der Erde gehenden
größten Kreises gleichkommt. Dieses Meter bildet aber zugleich die
Grundlage unseres, gleichfalls mit dezimaler Teilung ausgestalteten
Gewichtssystems; denn ein Kilogranim ist das unter dem Druck einer
Atmosphäre festgestellte Gewicht eines Kubikdezimeters (—Liters)
destillierten Wassers bei -j- 4 Grad Celsius.
Zum Zumessen und Zuwägen im öffentlichen Verkehr dürfen 1058
nur gestempelte Maße, Gewichte und Wagen verwendet wer-
den. Auch die zum Weinversand benutzten Fässer müssen amtlich
gestempelt fein. In Gast- und Schankwirtschaften verwendete
Schankgefäße für Wein und Bier müssen mit einem den Raum-
gehalt in Litermaß bezeichnenden (nicht amtlich hergestellten) Füll-
strich versehen fein. Von der Einhaltung dieser Vorschriften über-
zeugt sich die Polizeibehörde von Zeit zu Zeit durch Untersuchungen.
Die technische Regelung und die Ueberwachung des Maß- und i»59
Gewichtswesens, steht für das Reich (mit Ausnahme Bayerns) der
N 0 r m a l e i ch u n g s k 0 in m i s f i 0 n zu Berlin zu. Für Bayern
tritt an deren Stelle eine dem Ministerium des Innern untergeord-
nete Zentralstelle, die K. Bayerische Normaleichungs-
k 0 m m i f f i 0 n zu München. Letztere ist jedoch verpflichtet, die
wesentlichen Bestimmungen, so über Material, Gestalt, Bezeichnung
und sonstige Beschaffenheit der Maße und Gewichte, über die Be-
dingungen der Stempelfähigkeit der Wagen und ähnliches gleich-
förmig mit den von der Normaleichungskommission des Reichs erlas-
senen Bestimmungen zu regeln. Die Eichung (Prüfung) und
Stempelung der Maße, Gewichte und Wagen erfolgt durch besondere
Eichämter.^
Auch für die Elektrizität wurde reichsgesetzlich ein einheit- 1060
liches Maßsystem eingeführt: Das Ohm als Maßeinheit für den
elektrischen Widerstand, das Ampere für die Stromstärke und das * 31
Meterkonvention, an der auch Deutschland beteiligt ist. Das ge-
meinschaftliche Urmaß und Urgewicht wird in Paris aufbewahrt. Nach dem
damit verglichenen, von der Normaleichungskommission verwahrten Platin-
meterstab und Platinkilogramm werden unsere Normalmaße und Normal-
gewichte hergestellt.
31 Diese Eichämter sind in Bayern entweder solche für Maße, Ge-
wichte und Wagen oder solche für Präzisionsgegenstände oder solche für Gas-
messer. Sie werden von Eichmeistern, früher Verifikatoren genannt, geleitet;
letztere werden von dem Ministerium des Innern ernannt. Daneben bestehen
noch in einzelnen Gemeinden gemeindliche Faßeichanstalten. Die Eichmeister
und die Leiter der gemeindlichen Faßeichanstalten stehen neben der Normal-
eichungskommission auch unter der Aufsicht der Kreisregierungen und der
Distriktspolizeibehörden.
350
Das Wirtschaftsleben
Volt für die elektromotorische Kraft. Die Prüfung und Beglaubi-
gung elektrischer Meßgeräte erfolgt durch die Physikalisch-
Technifche Reichsanstalt zu Charlottenburg, deren Wirksam-
keit sich auch auf Bayern erstreckt.
1061 Zur Sicherung des Publikums vor Täuschungen beim Ankauf
von Gold- und S i l b e r w a r e n ist für diese ein für das ganze
Reich geltender Stempel eingeführt, welcher den Feingehalt an Gold
oder Silber angibt. Bringen die Fabrikanten oder Verkäufer diesen
Stempel auf ihren Waren an (was übrigens in ihrem Belieben steht),
fo haften sie für die Richtigkeit des angegebenen Feingehalts. Im
Gegensatz zu Schmucksachen dürfen Geräte aus Gold oder Silber nur
dann mit dem Feingehaltsstempel versehen werden, wenn sie einen
gesetzlich bestimmten Gehalt an Edelmetall besitzen.
1062 Gewehre, Revolver und andere Handfeuerwaffen dürfen
nur feilgeboten werden, nachdem sie (im Interesse der Sicherheit des
Publikums) amtlich auf ihre Zuverlässigkeit geprüft und mit Prü-
fungszeichen versehen sind.
Die astronomische Ortszeit ist bekanntlich, da sie sich nach dem
10’3 Stand der Sonne richtet, für alle nicht unter dem gleichen Längen-
grad liegenden Orte verschieden, was mannigfache Schwierigkeiten
für den Verkehr, besonders für den Eisenbahnverkehr, mit sich brachte.
Man hat daher reichsgesetzlich für das ganze Reich eine Einheitszeit
eingeführt. Sie heißt die mitteleuropäische Einheits-
zeit^^ weil sie zugleich für die übrigen Länder Mitteleuropas (be-
sonders Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Italien, Schweden, Nor-
wegen und Dänemark) gilt.
3. Kapitel.
Die ^{rbextevvexfidfyevunQ.
1064 Sozial bedeutet an sich alles, was die bürgerliche Gesellschaft
betrifft. Unter Sozialpolitik und sozialer Gesetzge-
bung versteht man aber heutzutage vorzugsweise diejenige Politik
und diejenige Gesetzgebung, welche die Fürsorge für die wirtschaftlich
schwachen Mitglieder der Gesellschaft bezweckt. Diese Fürsorge wendet
sich vor allem den Lohnarbeitern zu, welche infolge der mit Einfüh-
rung des maschinellen Großbetriebs verknüpften Veränderung der 82
82 Diese Einheitszeit stimmt ungefähr mit der Ortszeit von Stargard
und Görlitz überern. In Bayern geht die Einheitszeit der Münchener Orts-
zeit um dreizehn Minuten und der Ortszeit von Ludwigshafen a. Rh. um
sechsundzwanzig Minuten vor.
Die Arbeiterversicherung
351
Produktions- und Einkommensverhältnisse großenteils in eine be-
drängte Lage geraten sind.
Einen bedeutenden Teil unserer neuzeitlichen sozialen Gesetz-
gebung, die sog. Arbeiterschutzgesetzgebung, werden wir
noch später näher kennen lernen (s. Nr. 1211). Hier wollen wir einen
Einblick tun in die Bedeutung und Gestaltung unserer Arbeiter-
versicherung, welche sich nicht nur auf die industriellen, sondern
auch auf die übrigen Lohnarbeiter erstreckt.
Die für ihren Lebensunterhalt auf den täglichen Arbeitsverdienst 1065
angewiesene Bevölkerung vermag nur verhältnismäßig selten für die
wirtschaftliche Sicherstellung ihrer Zukunft zu sorgen, weshalb sie
den Wechselfällen des Lebens, wie Krankheit, Unfälle, Alter und Ar-
beitslosigkeit sie mit sich bringen, meist wehrlos preisgegeben ist.
Unsere Reichsgesetzgebung hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, für
die Zukunft dieser Bevölkerungsklassen, soweit möglich, zu sorgen im
Wege einer zwangsweisen Versicherung, deren Kosten durch Beiträge
der Arbeitgeber, der Arbeiter und der Reichskasse aufgebracht wer-
den. Diese soziale Reform, welche auch im Auslande ungeteilte An-
erkennung und Bewunderung fand, hat seit ihrem Bestehen zahllosen
Arbeitern ihre Arbeitskraft erhalten und sie wie ihre Familien vor
Not und Entbehrung geschützt. Sie wurde eingeleitet durch eine
Botschaft, welche Kaiser Wilhelm 1. am 17. November 1881 dem
Reichstage zugehen ließ? Zurzeit die Kranken-, Unfall-, Jnvaliden-
und Altersversicherung umfassend, wird diese soziale Versicherungs-
gefetzgebung voraussichtlich in einer Witwen- und Waisenversorgung,
sowie in der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit (sofern letztere sich
als praktisch ausführbar erweist) ihren Abschluß finden.
I. Die Krankenversicherung.
Das erste der drei großen Versicherungsgesetze war das Kran - 1066
kenversicherungsgesetz vom Jahre 1883; es hat inzwischen
wesentliche Umgestaltungen erfahren. *
* In dieser denkwürdigen Kaiserlichen Botschaft heißt es:
„Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage die Förderung
des Wohles der Arbeiter von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit
um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott unsere Re-
gierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst
das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürg-
schaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicher-
heit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinter-
lassen."
Allein im Jahre 1903 wurden aufgewendet für die Krankenversicherung
rund 200 Millionen, für die Unfallversicherung 117 Millionen, für die In-
validen- und Altersversicherung 131 Millionen Mark, zusammen also rund
352
Das Wirtschaftsleben
1067 1. D i e Krankenversicherung erstreckt sich auf
alle in der Industrie, dem Handel und dem Handwerk gegen Lohn
oder Gehalt dauernd beschäftigten männlichen und weiblichen Arbei-
ter; ferner auf Betriebsbeamte, Werkmeister usw., sofern ihr Jahres-
verdienst nicht 2000 Mark übersteigt.
2. Die verschiedenen Krankenkassen.
1068 Die Absicht der Gesetzgebung ging dahin, die Krankenversicherung
berufsgenossenschaftlich zu gestalten in der Art, daß die durch gleich-
artige Interessen verbundenen Kreise der Versicherungspflichtigen
jeweils sich zum Zwecke gegenseitiger Versicherung zu besonderen, von
ihnen selbst verwalteten Kassen zusammenschließen. Es gibt
sechs Arten solcher Krankenkassen, nämlich:
1069 a. Die sog. Ortskrankenkassen. Diese am meisten ver-
breiteten Kassen werden in der Regel für alle in einem bestimmten
Berufszweig beschäftigten Personen eines Orts (z. B. für
die Metallarbeiter einer Gemeinde) errichtet und stehen unter
der Aufsicht der Gemeinde. Die Verwaltung ihrer Angelegen-
heiten führen jedoch diese (wie auch die nachstehend unter b—d
genannten Kassen) durchaus selbständig in Gemäßheit eines von
ihnen errichteten Kassen statuts. Die Kassenmitglieder, wozu
die Versicherten wie deren Arbeitgeber gehören, bilden die Gene-
ralversammlung. Diese wählt die Mitglieder des Kassen-
00 r st andes, dem die Leitung der Verwaltung obliegt. Bei gro-
ßen Ortskrankenkassen besteht die Generalversammlung nicht aus
sämtlichen Kassenmitgliedern, sondern aus Vertretern, welche von
diesen Mitgliedern gewählt werden.
1070 b. Betriebs- oder Fabrikkrankenkassen können
von Unternehmern, welche in ihren Betrieben mehr als 50 versiche-
rungspflichtige Personen beschäftigen, für diese errichtet werden.
Durch das Kassenstatut kann dem Unternehmer der Vorsitz im Vor-
stand und in der Generalversammlung übertragen werden.
c. Baukrankenkassen sind auf behördliche Anordnung
bei Eisenbahn- und Kanalbauten und ähnlichen Bauten von dem
Bauherrn für die bei ihm beschäftigten Arbeiter zu errichten.
d. Jnnungskrankenkassen dürfen für die Gesellen
und Lehrlinge der Mitglieder einer gewerblichen Innung (s. Nr. 1198)
gebildet werden.
e. Die K n a p p s ch a f t s k a s s e n für die Bergwerkbetriebe
entsprechen in ihren Leistungen den oben erwähnten Fabrik-
krankenkassen.
448 Millionen Mark in einem einzigen Jahre. Seither aber sind diese Auf-
wendungen noch sehr erheblich gestiegen.
Die Arbeiterversicherung
353
f. Die sog. Freien Hilfskassen. Diese Kassen, welche 1071
schoir lange vor Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung be-
standen, sind aus Gegenseittgkeit und auf freier Uebereinkunft be-
ruhende Unterstützungskassen, lvie sie z. B. von den deutschen Gewerk-
schaften und Gewerkvereinen (s. Nr. 1206) für ihre Mitglieder (als
Kranken-, Begräbnis-, Invaliden- und Altersversorgungskassen)
gegründet wurden. Die Mitglieder einer solchen Hilfskasse, welche
das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß an Krankenunterstützung
gewährt, brauchen einer der übrigen Krankenkassen nicht anzugehören?
Alle versicherungspslichtigen Personen, die keiner der erwähnten 1072
Kassen angehören, unterliegen der G e m e i n d e k r a n k e n Ver-
sicherung. Hinsichtlich der letzteren gelten aber in Bayern nicht
alle reichsgesetzlichen Bestimmungen. Bayern hat nämlich, Gebrauch
machend von der reichsgesetzlichen Ermächtigllng, eine landesgesetzlich
geregelte Krankenversicherung an die Stelle der Gemeindekranken-
versicherung zu setzen, bestimmt, daß die durch das bayerische Armen-
gesetz geregelte Krankenversicherung an die Stelle der reichsgesetzlichen
Gemeindekrankenversicherung tritt. Doch sind, soweit Personen, die
der reichsgesetzlichen Krankenversicherungspslicht unterliegen, in Frage
kommen, auf die bayerisch rechtliche Krankenversicherung die haupt-
sächlichsten reichsgesetzlichen Bestimmungen, insbesondere die über die
Leistungen der Versicherung und über die Beiträge ausgedehnt worden,
so daß Besonderheiten im wesentlichen nur hinsichtlich der Organi-
sation bestehen?
3. Die Kosten der Krankenversicherung werden 107z
durch Beiträge ausgebracht, welche zu 2/3 von den Versicherten, zu 1/\
von den Arbeitgebern zu tragen sind. Die Arbeitgeber haben den
ganzen Beitrag vorzuschießen und sind berechtigt, den aus die
Arbeiter entfallenden Anteil diesen am Lohn abzuziehen. Ihnen
liegt auch die An- und Abmeldung der Arbeiter zur Versicherung ob:
sie hat jeweils binnen drei Tagen zu geschehen.
Die Versicherungsbeiträge dürfen bei der Gemeindekrankenver-
sichernng 3 % des ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter
12 Die freien Hilfskassen erhalten unter gewissen, gesetzlich bestimmten
Voraussetzungen die Rechte einer juristischen Person (s. Nr. 349); sie führen
alsdann die Bezeichnung einer eingeschriebenen Hilfskasse,
weil ihr Name in ein von der Verwaltungsbehörde geführtes Hilfskassen-
register eingeschrieben wird.
3 Für diejenigen Personen, die lediglich nach bayerischem Recht kranken-
versicherungspslichtig sind, und für die deshalb bloß die Bestimmungen des
Armengesetzcs (nicht auch die des Reichsrechts) gelten, kann die Gemeinde
die oben geschilderte (der reichsrechtlichen nachgebildete) Krankenversicherung
ausdehnen (f. Nr. 905 Anm. 1).
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
23
354
Das Wirtschaftsleben
nicht übersteigen; bei Orts-, Fabrik-, Bau- und Jnnungskranken-
kassen sind sie auf höchstens 4 % des Durchschnittslohnes der betei-
ligten Arbeiterklasse bemessen.
74 4. D i e K r a n k e n u n t e r st ü tz u n g wird bei jeder Erkran-
kung für längstens 26 Wochen (also ein halbes Jahr) gewährt. Sie
umfaßt bei der Gemeindekrankenversicherung:
a. vom Beginn der Krankheit ab freie ärztliche Behand-
lung, Arzneien sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche
Heilmittel;
d. ferner im Falle einer durch die Krankheit bedingten Erwerbs-
unfähigkeit vom 3. Krankheitstag ab für jeden Arbeitstag ein
Krankengeld in Höhe der Hälfte des ortsüblichen Lohns
gewöhnlicher Tagelöhner.
An die Stelle dieser Leistungen kann auch freie Kur und Ver-
pflegung in einem Krankenhause treten. In diesem Falle ist aber
den Angehörigen, wenn der Erkrankte bisher deren Unterhalt aus
seinem Verdienste bestritten hat, die Hälfte des Krankengeldes zu
zahlen.
75 Die Orts-, Betriebs-, Bau- und Jnnungskran-
k e n k a s f e n haben die gleiche Krankenunterstützung zu gewähren.
Doch bemißt sich bei ihnen das zu zahlende Krankengeld in der Regel
höher als bei der Gemeindekrankenversicherung, nämlich auf die Hälfte
des durchschnittlichen Tagesverdienstes der betreffenden Arbeiterklasse
(nicht der gewöhnlichen Tagelöhner) bis zu einem Verdienst von 4 M.
oder auch auf die Hälfte des wirklichen Arbeitsverdienstes des Ver-
sicherten bis zu einem Verdienste von 5 M. Auch haben diese Kassen
an W ö ch n e r i n n e n für mindestens sechs Wochen die gleiche Unter-
stützung wie an Kranke zu leisten und im Falle des Todes eines Ver-
sicherten ein Sterbegeld mindestens im zwanzigsachen Be-
trage des durchschnittlichen Tagelohnes zu zahlen. Doch können sie
sich auch noch zu weiteren Leistungen in ihrem Statut verpflichten.
II. Die Unfallversicherung.
76 Die zwangsweise Unfallversicherung soll für den Fall einer im
A r b e i t s b e t r i e b e sich ereignenden Körperverletzung oder Tötung
eines Versicherten diesem oder seiner Familie einen Ersatz für den aus
dem Unfall erwachsenden Vermögensschaden gewähren. Sie wurde
in den Jahren 1884—1887 eingeführt durch mehrere, inzwischen auf
Grund der gewonnenen Erfahrungen neu gefaßte Gesetze: das Ge-
werbeunfallversicherungsgesetz, das Unfallversicherungsgesetz für Land-
und Forstwirtschaft, das Barlunfallversicherungsgesetz und das See-
unfallversicherungsgesetz.
Die Arbeiterversicherung
355
1. Die Unfallversicherung erstreckt sich auf alle 1077
Arbeiter und alle (mit nicht mehr als jährlich 3000 M. angestellten)
Betriebsbeamtem Werkmeister und Techniker, welche beschäftigt sind
in Fabriken, Transportunternehmungen und sonstigen Gewerbe-
betrieben aller Art, ferner in der Land- und Forstwirtschaft, bei
Bauten, in der Schiffahrt usw. Die Versicherung kann aber auch aus-
gedehnt werden auf selbständige kleinere Betriebsunternehmer, aus
Hausgewerbetreibende (s. Nr. 1187) und auf höher besoldete Betriebs-
beamte. Eine solche Ausdehnung ist durch ein bayerisches Landes-
gesetz erfolgt aus alle Unternehmer land- und forstwirtschaftlicher
Betriebe; sämtliche bayerischen Landwirte sind daher in die Unfall-
versicherung eingeschlossen?
Unter den gleichen Voraussetzungen wie für freie Arbeiter tritt 1078
nach einem besonderen Reichsgesetz aus Kosten des Staats auch eine
Unfallsür sorge für Gefangene ein. Gefangene, welche
infolge eines bei der Gefangenenarbeit erlittenen Unfalls in ihrer
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt sind, erhalten demgemäß nach ihrer
Entlassung eine Geldrente, welche jedoch niedriger bemessen ist, als
die Unfallrente der freien Arbeiter.
Reichsbeamte wie bayerische Staatsbeamte,
welche in einem reichsgesetzlich der Unfallversicherung unterliegenden
Betriebe beschäftigt sind, beziehen ans Grund besonderer gesetzlicher
Bestimmungen bei Betriebsunfällen gleichfalls Entschädigungen,
welche nach gleichen Grundsätzen, wie die Unfallentschädigungen der
Arbeiter, bemessen sind. Bayerische Staatsbeamte werden ebenso
behandelt, wenn sie überhaupt in Ausübung ihres Dienstes einen
Unfall erleiden, auch wenn der Betrieb, in dem sie den Unfall erleiden,
der Unfallversicherung nicht unterliegt.
2. Die Kosten der Unfallversicherung werden nicht 1079
von den Versicherten, sondern ausschließlich von den Arbeitgebern
getragen. Zu diesem Zwecke sind die Unternehmer gleicher oder ähn-
licher Betriebe zu B e r u f s g e n 0 s s e n s ch a f t e n vereinigt. So
gibt es z. B. eine „Ziegeleiberufsgenossenschaft", eine „süddeutsche
Textilberufsgenossenschaft" usw. Diese Berufsgenossenschaften werden
für'bestimmte Bezirke gebildet; ihr gehören kraft Gesetzes alle in
ihrem Bezirk gelegenen Betriebe der betreffenden Gattung an. Sie
besitzen eigene Rechtspersönlichkeit und verwalten ihre Angelegenheiten
selbständig nach Maßgabe des Genossenfchaftsstatuts,
welches von der G e n 0 s s e n s ch a f t s v e r s a m m l u n g (d. h. der
4 Im Jahre 1902 genossen im Deutschen Reiche rund 19 Millionen
Personen die Vorteile der Unfallversicherung. In diesem Jahre allein wur-
den 108 Millionen Mark an Entschädigungen bei 711 000 Entschädigungs-
fällen ausbezahlt.
23*
356
Das Wirtschaftsleben
1080
1081
1082
Gesamtheit der zur Genossenschaft gehörigen Unternehmer) sestgesetzt
wird. Die Genossenschastsversammlung wählt auch den mit der Füh-
rung der lausenden Geschäfte betrauten Geuossenschastsvor-
st a n d. Manche Genossenschaften sind zum Zwecke der Führung der
Geschäfte in Unterbezirke (sog. Sektionen) gegliedert. Auch
können sie für einzelne Orte besondere Vertrauensmänner
ausstellen. Für die landwirtschaftliche Unfallver-
sicherung bestehen in Bayern aus Grund reichsgesetzlicher Er-
mächtigung einige besondere, von den allgemeinen reichsrechtlichen
Vorschriften abweichende Bestimmungen.
Da der Aufwand für die Unsallentschädigungen sowie die Ver-
waltungskosten aus die einzelnen Mitglieder der Genossenschaft um-
gelegt werden, so hat diese nicht nur ein allgemein menschliches,
sondern auch ein Geldinteresse daran, allen Betriebsunfällen nach
Möglichkeit vorzubeugen. Zu diesem Zweck sind die Genossenschaften
ermächtigt, sog. Unsallverhütungsvorschristen zu erlas-
sen. Durch solche Vorschriften kann den Unternehmern zur Pflicht
gemacht werden, in ihren Betrieben für bestimmte Einrichtungen zur
Verhütung von Unfällen (z. B. für gewisse Schutzvorrichtungen an
Maschinen) zu sorgen, und es kann auch den Arbeitern zum gleichen
Zweck die Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln (z. B. das Tragen
von Schutzbrillen) bei Strafe geboten werden. Ueber die Befolgung
dieser Vorschriften wachen die Fabrikinspektionen.
Die Berufsgenossenschasten unterstehen der Aufsicht desReichs-
v e r s i ch e r u n g s a m t s ° zu Berlin, welchem als nicht ständige
Mitglieder auch gewählte Vertreter der Arbeitgeber und Arbeiter
angehören. In den meisten größeren Bundesstaaten sind übrigens
für deren Gebiet auch Landesversicherungsämter" mit
ähnlicher Organisation errichtet worden. Wo dies geschehen ist, sind
die Befugnisse des Reichsversicherungsamts zum Teil aus sie über-
gegangen.
3. Die Unsallentschädigung besteht im Ersatz
der Heiln ngskosten^ sowie für den Fall der Erwerbsunfähig-
keit in einer Unfallrente, welche je nach dem Grade der einge-
° Das Reichsversicherungsamt ist auch in Sachen der Invalidenver-
sicherung (f. Nr. 1084) die oberste aufsichtsührende und entscheidende Be-
hörde.
6 Für Bayern ist ein solches L a n d e s v e r s i ch e r u n g s a m t mit
dem Sitz in München errichtet; es steht unter der Aufsicht des Ministeriums
des Innern. Seine Wirksamkeit beschränkt sich aus Berufsgenossenschasten,
die nur solche Betriebe umfassen, deren Sitz in Bayern liegt Dem Landes-
versicherungsamt obliegt zugleich die Beaufsichtigung der bayerischen Ver-
sicherungsanstalten der Invalidenversicherung.
Die Arbeiterversicherung
357
tretenen Erwerbsunfähigkeit bis zu 66-/7 Prozent, bei völliger Hilfs-
losigkeit sogar bis zur vollen Höhe des bisherigen Arbeitsverdienstes
zu bemessen ist. Falls an Stelle dieser Leistungen dem Versicherten
von der Berussgenossenschaft freie Kur und Verpstegung in einer
Heilanstalt gewährt werden, so erhalten die Angehörigen daneben zu
ihrem Unterhalte eine Rente.
Wird der Versicherte durch den Unfall getötet, so erhalten die
Hinterbliebenen mindestens 50 M. Sterbegeld. Ferner hat die
Witwe bis zu ihrer Wiederverheiratung und jedes Hinterbliebene
Kind bis zur Zurücklegung des 15. Lebensjahres Anspruch ans eine
Rente in Höhe von je 20 Prozent des früheren Jahresarbeitsver-
dienstes. Auch Eltern, Großeltern und Enkel beziehen eine Rente,
wenn sie in dem Getöteten ihren Ernährer verloren haben. Doch
dürfen die Renten aller Hinterbliebenen zusammen 60 Prozent des
Jahresarbeitsverdienstes nicht übersteigen.
Die Auszahlung der Renten geschieht monatlich durch die Post-
anstalten.
4. Behufs F e st st e l I u n g der Unfallentschädigung io8z
ist jeder Unfall durch den Arbeitgeber binnen drei Tagen der Orts-
polizeibehörde sowie der Berufsgenossenschaft schriftlich anzuzeigen.
Nachdem durch die alsbald eingeleitete Untersuchung der Sachverhalt
ermittelt ist, erläßt der Vorstand der Genossenschaft den Bescheid,
durch welchen der Entschädigungsanspruch entweder abgelehnt oder
in bestimmter Höhe anerkannt wird. Gegen diesen Bescheid kann
innerhalb eines Monats B e r n f n n g an das „Schiedsge-
richt für Arbeiterversicherung" eingelegt werden. Als
ständige Vorsitzende dieser Schiedsgerichte, welche für ihren Bezirk
in allen Unfall- und Jnvalidenversicherungssachen zur Entscheidung
von Streitigkeiten über die Entschädigungen berufen sind, werden
von der Regierung Staatsbeanite bestellt, während die Beisitzer aus
der Zahl der Arbeitgeber und der Versicherten jeweils ans fünf Jahre
gewählt werden. Gegen diese Entscheidung des Schiedsgerichts kann
noch Rekurs an das R e i ch s v e r s i ch e r n n g s a m t (in ge-
wissen Fällen anstatt dessen der Rekurs an das Landesversicherungs-
amt) eingelegt werden.
III. Die Invalidenversicherung.
Die Aussicht, im Alter und bei eintretender Invalidität auf 1084
Die Leistungen der Berufsgenossenschaften beginnen (mit Rücksicht
auf das von den Krankenkassen zu gewähreude Krankengeld) in der Regel
erst mit der 14. Woche nach dem Unfälle; doch tritt bereits mit der fünften
Woche eine dem Betricbsunternehmer zur Last fallende Erhöhung des Kran-
kengeldes ein.
358
Das Wirtschaftsleben
Almosen oder Armenunterstützung angewiesen zu sein, bildete für
unsere Lohnarbeiter stets eine Hauptquelle der Erbitterung gegen die
bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Indem die Einführung
der Invalidenversicherung hiergegen Abhilfe schuf, hat sie erheblich
Zu einer Milderung der sozialen Gegensätze unserer Zeit beigetragen.
085 1. G e g e n st a n d der Versicherung.
Die Invalidenversicherung bildet eine notwendige Ergänzung der
durch die Kranken- und die Unfallversicherung den Arbeitern gewid-
meten Fürsorge. Während nämlich, wie oben gezeigt, die Kranken-
versicherung für das erste halbe Jahr einer Erkrankung Platz greift,
und die Unfallversicherung für die Folgen von Unfällen eintritt,
welche mit der Arbeit zusammenhängen, erhalten nach dem I n vali-
de n Versicherungsgesetz vom Jahre 1899 (das ursprüngliche
Gesetz war im Jahr 1889 erlassen) eine Invalidenrente alle
Versicherten, welche infolge Krankheit,^ Gebrechlichkeit oder eines mit
der Arbeit nicht zusammenhängenden Unfalls dauernd oder doch
länger als ein halbes Jahr erwerbsunfähig geworden, d. h. außer-
stande sind, ein Drittel desjenigen zu verdienen, was körperlich und
geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in
derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegten. Die Invaliden-
versicherung enthält aber weiter auch eine Altersversorgung, indeni
sie allen Versicherten, welche das 70. Lebensjahr zurückgelegt haben,
ohne Riicksicht auf deren etwa noch vorhandene Erwerbsfähigkeit eine
Altersrente gewährt.
086 2. D e r K r e i s ü e r V e r s i ch e r t e n umfaßt ungefähr 13
Millionen Deutsche. Es sind nämlich kraft Gesetzes vorn vollendeten
16. Lebensjahre an versichert alle männlichen und weiblichen, gegen
Lohn oder Gehalt beschäftigten Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehr-
linge, Dienstboten, See- und Binnenschiffer; ferner alle mit einem
Jahresverdienst von nicht mehr als 2000 M. angestellten Betriebs-
beamten u. dgl., Handlungsgehilfen und -Lehrlinge (ausgenommen
diejenigen in Apotheken), Lehrer und Erzieher. Nach dem Gesetze
kann die Versicherungspflicht durch den Bundesrat auch ausgedehnt
werden auf kleinere, ohne Lohnarbeiter tätige Betriebsunternehmer 8
8 Bei Krankheiten, welche eine lange oder ständig dauernde Erwerbs-
unfähigkeit befürchten lassen, können die Versicherungsanstalten (s. Nr. 1092)
vorbeugend eingreifen, indem sie insbesondere für eine planmäßige Heil-
behandlung in einer geeigneten Anstalt Sorge tragen. Zu diesem Zwecke
haben die Versicherungsanstalten in günstiger Lage eine bedeutende Anzahl
von Genesungsheimen u. dgl. errichtet, in welchen vornehmlich die
leider so verbreitete Lungenschwindsucht im Anfang ihrer Entwicklung mit
Erfolg bekämpft wird.
Die Arbeiterversicherung
359
und auf die sog. Hausgewerbetreibenden, welche zu Hause für andere
Unternehmer arbeiten. Dies ist z. B. geschehen hinsichtlich der Haus-
gewerbetreibenden der Tabakindustrie und der (die Spinnerei, We-
berei u. dgl. umfassenden) sog. Textilindustrie.
Ferner können Angestellte, welche mehr als 2000 M., aber nicht 1087
über 3000 M. Jahreseinkommen beziehen, sowie kleinere Gewerbe-
treibende und Betriebsunternehmer freiwillig (als sog. Selbst-
versicherte) an der Versicherung teilnehmen, jedoch nur, wenn
sie vor vollendetem 40. Lebensjahr eintreten. Personen endlich,
welche aus ihrem die Versicherung begründenden Arbeitsverhältnisse
ausscheiden, können gleichwohl die Versicherung freiwillig fortsetzen
(sog. W e i t e r v e r s i ch e r u n g).
3. DieAusbringungder Mittel geschieht in der Weise, 1088
daß zunächst das Reich zu jeder gezahlten Rente jährlich 50 M. bei-
steuert. Das Uebrige ist seitens der Versicherten und ihrer Arbeit-
geber zu gleichen Teilen durch Beiträge zu decken, die für jede Woche
zu entrichten sind, in welcher der Versicherte gegen Lohn beschäftigt
ist (sog. „Beitragswoche"). Die Höhe dieser Beiträge
richtet sich nach dem Jahreseinkommen der einzelnen Versicherten;
diese letzteren sind nämlich nach der Höhe ihres Jahresverdienstes in
fünf Lohnklassen eingeteilt, und die Beiträge für die Mitglieder der
einzelnen Lohnklassen sind (zunächst für die Zeit bis zum 31. Dezem-
ber 1910) aus 14, 20, 24, 30 und 36 Ps. für die Woche festgesetzt.
Die Entrichtung der Beiträge geschieht dadurch, daß 1089
der Arbeitgeber Marken, welche bei den Postanstalten zu kaufen sind,
in eine für jeden Versicherten zu führende Q u i t t u n g s k a r t e
einklebt. Diese Quittungskarten sind selbstverständlich stets sorg-
fältig aufzubewahren, da sie als Nachweis der Zahlung vorgelegt
werden müssen, wenn späterhin eine Rente beansprucht wird. Der
Arbeitgeber kann die Hälfte des von ihm für die Versicherung aus-
gelegten Betrages den: Versicherten bei der Lohnzahlung in Abzug
bringen.
Eine R Ücker st attung der gezahlten Beiträge an
den Versicherten findet nur in gewissen Fällen statt. So können z. B.
weibliche Personen, welche infolge Verheiratung aus der Versicherung
ausscheiden, sowie die hinterlassenen Witwen und Waisen der Ver-
sicherten die Hälfte der siir sie geleisteten Beiträge zurückfordern, falls
solche Beiträge für mindestens 200 Wochen entrichtet worden waren.
4. D i e Wartezeit. Ebenso wie häufig (nach dem bayrischen 1090
Beamtengesetz tritt Pensionsberechtigung sofort ein) die Beamten
erst nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren peusionsberechtigt
werden, erhält auch bei der Invalidenversicherung der Versicherte im
360
Das Wirtschaftsleben
Fall der Erwerbsunfähigkeit oder der Vollendung des 70. Lebens-
jahres die gesetzliche Rente nur dann, wenn seit Beginn der Versiche-
rung eine gewisse sog. Wartezeit abgelaufen ist. Diese berechnet sich
nach Beitragswochen (s. oben bei Nr. 1088), und zwar zählt zu den
Beitragswochen auch die Zeit, während welcher wegen Krankheit des
Versicherten oder wegen seiner Einziehung zum Militärdienst Bei-
träge nicht gezahlt worden sind. Für die Invalidenrente beträgt die
Wartezeit 2OO Beitragswochen (also rund vier Jahre), wenn während
dieser Zeit mindestens 100 Wochenbeiträge wirklich geleistet worden
sind, andernfalls 5OO Beitragswochen (also ungefähr IO Jahre). Für
die Altersrente wird eine Wartezeit von 1200 Beitragswochen (also
von zusammen rund 24 Jahren) verlangt.
091 5. Die Höhe der Renten bestimmt sich nach der Lohn-
klasse des Versicherten. Es bemißt sich die Altersrente je nach
der Lohnklasse auf jährlich 110, 140, 170, 200 oder 230 M. Die
Invalidenrente beläuft sich ihrem Grundbetrage nach auf
jährlich 110, 120, 130, 140 oder 150 M., wozu jedoch für jede ehe-
malige Beitragswoche ein Zuschlag von 3, 6, 8, 10 oder 12 Pfennigen
(je nach der Lohnklasse des Versicherten) kommt, so daß die Jahresrente
im Alter aus ungefähr 450 M. anwachsen kann.
Die Auszahlung der Renten geschieht durch die Post in
monatlichen Teilbeträgen.
092 6. D i e V e r s i ch e r u n g s b e h ö r d e n.
Die Geschäfte der Invalidenversicherung werden für das Ge-
biet eines oder mehrerer Bundesstaaten oder für größere Teile
(Provinzen) desselben Bundesstaates durch besondere Versiche-
rn n g s a n st a l t e n ° besorgt. Diese werden von dauernd ange-
stellten Beamten geleitet, denen gewählte Vertreter der Arbeitgeber
und der Versicherten zur Seite stehen. Für Unterbezirke der Ver-
sicherungsanstalten können äitr Besorgung der Verwaltungsgeschäfte
besondere Renten st ellen errichtet werden.
09z Die Anmeldung von Ansprüchen auf Bewilligung
einer Invalidenrente hat in Bayern bei der Gemeindebehörde des
Wohn- oder Beschäftigungsorts des Versicherten zu erfolgen. Die
Gemeindebehörde hat die Anmeldung dem Bezirksamt vorzulegen,
dieses hat die zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Er-
hebungen anzustellen und die Verhandlungen mit gutachtlicher
Aeußerung dem Vorstande der zuständigen Versicherungsanstalt zu
° Für Bayern sind acht Versicherungsanstalten, und zwar je eine für
den Umfang eines Regierungsbezirkes am Sitze der Kreisregierung errichtet,
sie unterliegen der Beaufsichtigung durch das Landesversicherungsamt (s.
Nr. 1081 Anm. 6).
Das Versicherungswesen
361
übersenden. In unmittelbaren Städten und in sonstigen besonders
bestimmten Gemeinden, obliegen die nach dem Dargelegten von den
Bezirksämtern vorzunehmenden Geschäfte ebenfalls der Gemeinde-
behörde. Die Versicherungsanstalt erläßt den Feststellungsbescheid.
Hiergegen kann Berufung an das Schiedsgericht für Arbeiterver-
sicherung ergriffen und gegen dessen Entscheidung kann weiterhin
Revision an das Reichsverficherungsamt eingelegt werden.
4. Kapitel.
Ans sonstige Wersicbemngswesen.
1. Die Bedeutung der Versicherung.
Mannigfache Gefahren bedrohen jederzeit unsere wirtschaftliche 1094
Existenz. Der Ernährer der Familie kann durch frühzeitigen Tod
dahingerafft oder durch Krankheit oder Unfall erwerbsunfähig wer-
den, bevor er durch Ersparnisse seine und seiner Angehörigen Zukunft
sicherstellen konnte. Unsere liegende und fahrende Habe kann vom
Feuer zerstört, der Viehstand kann durch Krankheiten, die Feldfrüchte
können durch Hagelfchlag vernichtet werden. Infolge eigener Ver-
sehen oder durch Verschulden von Personen, für welche wir haften
müssen, sowie durch Beschädigungen, welche unsere Haustiere anricht-
ten, können wir in die Lage kommen, große Schadenssummen zahlen
zu müssen.
Den einzigen wirksamen Schutz gegen die Folgen derartiger 1095
Unglücksfälle, welche nur zu häufig den wirtschaftlichen Untergang
der Betroffenen herbeiführen, bietet die segensreiche und volkswirt-
schaftlich bedeutsame Einrichtung der Versicherung. Sie beruht
auf einer Verteilung des Risikos und Schadens auf eine große Anzahl
von Personen, welche alle von den gleichen Mißgeschicken bedroht sind,
während diese doch erfahrungsgemäß nur einige von ihnen wirklich
treffen. Ermöglicht wird die Versicherung dadurch, daß alle Versicher-
ten regelmäßige, verhältnismäßig kleine, aus dem laufenden Einkom-
men zu leistende Beiträge (sog. Prämien) zahlen, welche ange-
sammelt werden und dazu dienen, den von einem Schaden Betrof-
fenen ihn zu ersetzen.
Indem die Versicherung für die nachteiligen Folgen von Un- 1096
glücksfällen verschiedener Art Ersatz gewährt, schützt sie den Betroffenen
vor Not und ermöglicht ihm die Fortsetzung oder baldige Wieder-
aufnahme feiner wirtschaftlichen Tätigkeit. Sie nimmt ihm von
vornherein die lähmende Sorge um die Zukunft und gibt damit seiner
362
Das Wirtschaftsleben
Arbeit mehr Ruhe, Freudigkeit und Stetigkeit. In vielen Fällen
nötigt sie endlich geradezu zur Zurücklegung von Ersparnissen für die
Zukunft und hat hierdurch auch Hoheit sittlichen Wert.
Diefe große Bedeutung des Versicherungswefens hat jetzt auch zur
Erlassung eines Reichsgefetzes geführt, das insbesondere weitgehende
Bestimmungen zum Schutz des Versichertlngsnehmers enthält.
2. Die Arten der Versicherung.
097 Die meisten Versicherungszweige verdanken ihre Entwicklung der
neuesten Zeit. Don Bedeutung sind heiltzutage vornehmlich neben
der später noch zu betrachtenden Lebens-, Feuer-, Hagel-,
Vieh- u u d H a s t ps l i ch t v e r s i ch e r tl n g die U n f a l l Ver-
sicherung (gegen die wirtschaftlichen Folgen körperlicher Unfälle),
die T r a tt s p 0 r t v e r s i ch e r u n g gegen Verluste, welche beim
See- oder Landtransport an Gütern entstehen können, die Ver-
sicherung gegen Einbruchsdieb st ahl und die Glas-
versicherung für wertvolle Glasscheiben.
3. Die Träger der Versicherung.
098 Die Versicherung hat ans einigen Gebieten der Staat in die
Hand genommen. In Bayern ist dies geschehen für die Feuerver-
sicherung von Gebäuden (die Jmmobiliarbrandversicherung), die
Hagelversichernng, endlich die Versicherung vor: Vieh unter besonderer
Ausscheidung der Versicherung von Pferden. Zur Ausübung dieser
Tätigkeit ist die V e r s i ch e r u n g s k a m 111 e r in München be-
rufen. Sie hat vier Abteilungen, nämlich für Brandversicherung, für
Hagelversicherung, für Viehversicherung (umfassend Vieh mit Aus-
nahme der Pferde) und für Pferdeversicherung. Fiir die Zwecke der
Brandversicherung hat sie auch äußere Orgaue, nämlich 61 an ver-
schiedenen Orten des Königreichs aufgestellte B r a n d Versicher-
ungsinspektoren. Im übrigen werden die Versicherungsge-
099 schäfte von Privatgesellschaften betrieben, und zwar teils von
Aktiengesellschaften, teils von sogenannten Gegen-
seitigkeitsgesellschaften, d. h. von freiwillig gebildeten
Personenvereinigungen, welche das Risiko und die Schäden in der
Weise gemeinsam tragen, daß aus den von allen Mitgliedern zu
entrichtenden Versicherungsprämien die von einem Schaden wirklich
betroffenen Mitglieder die Entschädigung erhalten. Hier sind also
alle Mitglieder zugleich Versicherer und Versicherte, und die etwaigen
Geschästsgewinne fließen (im Gegensatz zu den Aktiengesellschaften)
wieder den Mitgliedern zu in Gestalt von Dividenden, welche in
der Regel an den zu zahlenden Prämien in Abzug gebracht werden.
Das Versicherungswesen
363
Die durch (bezahlte) Beamte besorgte Geschäftsführung wird durch
eine Generalversammlung der Mitglieder, sowie durch einen von
dieser gewählten Aufsichtsrat geleitet und beaufsichtigt?
Der Bestand einer Versicherungsgesellschaft kann unter Um-
ständen durch zeitweise außergewöhnliche Häufung von Schadensfällen
gefährdet werden; um sich hiergegen zu schützen, versichern die Gesell-
schaften sich für solche Fälle ihrerseits wieder anderwärts. Solche sog.
Rückversicherungen werden entweder von mehreren Gesell-
schaften gegenseitig untereinander oder mit besonderen Rückversiche-
rungsgesellschasten abgeschlossen.
4. Die Beaufsichtigung des Versicherungswesens.
Die privaten Versicherungsunternehmen (einschließlich der aus-
ländischen, soweit diese bei uns Geschäfte betreiben) unterliegen einer
staatlichen Beaufsichtigung. Diese wird, sofern der Geschäftsbetrieb
aus das Gebiet eines Bundesstaates beschränkt ist, durch Landesbe-
hörden — in Bayern ist dies die Kreisregierung, Kammer des Innern,
in deren Bezirk die Unternehmung ihren Sitz hat — im übrigen
durch das Kaiserliche A u s s i ch t s a m t für P r i v a t Ver-
sicherung zu Berlin gestihrt. Diesem steht ein aus 40—60 Sach-
verständigen der verschiedenen Versicherungszweige gebildeter V er-
st ch e r u n g s b e i r a t zur Seite, dessen Mitglieder vom Kaiser je-
weils auf fünf Jahre ernannt werden. Das Aussichtsamt versagt die
für den Geschäftsbetrieb erforderliche Erlaubnis, wenn der Geschästs-
plan einer Gesellschaft den gesetzlichen Vorschriften oder den Interessen
der Versicherten zuwiderläuft; auch überwacht es fortlaufend den
ganzen Geschäftsbetrieb, um die Beteiligten vor Schädigungen zu
bewahren.
5. Die Lebensversicherung insbesondere.
Die Lebensversicherung, welche meist den Zweck verfolgt, situ
den Fall eines frühzeitigen Todes des Familienhauptes die Zukunft
der Familie vor Not zu sichern, ist eine für die Volkswohlsahrt hervor- 1
1 Behufs ständiger Erweiterung des Kreises der Versicherten bedienen
sich die Versicherungsgesellschaften der Hilfe der von ihnen angestellten
A g e n te n , welche wieder von den für größere Bezirke bestellten Ge-
ne r a l a g e n t e n beaufsichtigt und in ihrer Tätigkeit unterstützt werden.
Da die Agenten auf Provisionen angewiesen zu sein pflegen, welche die Ge-
sellschaften ihnen für die Vermittelung neuer Versicherungsverträge und
für den regelmäßigen Einzug der Prämien bezahlen, so neigen sie häufig da-
zu, die Bedingungen ihrer Gesellschaft in mehr verlockenden als der Wahr-
heit entsprechenden Farben zu schildern. Es ist daher dringend zu raten,
beim Abschlüsse von Versicherungsverträgen sich nicht an solche Anpreisungen,
sondern ausschließlich an die gedruckten Versicherungsbedignungen zu halten,
welche allein für den Vertragsinhalt maßgebend sind.
i i oo
I 101
I 102
304
Das Wirtschaftsleben
IIOZ
ragend wertvolle Einrichtung, von der nur zu wünschen bleibt, daß sie
auch bei uns eine immer weitere Benützung finden möge. In Eng-
land und Amerika ist sie bereits die beliebteste Weise des Sparens.
Bei ihr bieten die Gegenseitigkeitsanstalten gegenüber den Aktien-
gesellschaften den Vorzug, daß sie ausschließlich den Interessen der
Versicherten zu dienen vermögen?
Unter den Begriff der Lebensversicherung fallen verschiedene
Versicherungsformen. Die wichtigsten sind:
a. D i e Versicherung auf den Todesfall. Hier ver-
pflichtet sich die Gesellschaft, beim Tode des Versicherten (mag er
auch schon bald nach Beginn der Versicherung eintreten) ein bestimmtes
Kapital oder eine bestimmte jährliche Rente an die Hinterbliebenen
auszuzahlen. Der Aufnahme hat regelmäßig eine ärztliche Unter-
suchung des zu Versichernden vorherzugehen; denn die Gesellschaften
versichern begreiflicherweise nur solche Personen, deren Gesundheits-
zustand die Erreichung eines normalen Lebensalters erhoffen läßt.
In je früherem Lebensalter die Versicherung eingegangen wird, desto
kleiner ist selbstverständlich die jährlich zu zahlende Prämie?
' Die vier größten deutschen Lebensversicherungsgesellschaften aus
Gegenseitigkeit sind die „Gothaer L e b c n s v e r s i ch e r u n g s b a n k",
die „L e b e n s v e r s i ch e r u n g s g e s e I t s ch a f t zu L e i p z i g", die
„Stuttgarter Lebensversicherungsbank" und die „K a r l s-
ruher Lebensversicherung, vormals Allgemeine Ver-
sorgungsanstal t".
Welche Bedeutung die Lebensversicherung in Deutschland bereits er-
langt hat, ist daraus ersichtlich, daß Ende 1905 bei deutschen Gesellschaften
über 2 Millionen Personen für ein Kapital von zusammen 10 Milliarden
Mark versichert waren.
3 Die Höhe der Prämien ist nämlich abhängig von der Anzahl der Jahre,
während welcher der Versicherte nach der Durchschnittsberechnung voraus-
sichtlich noch leben und daher Prämien zahlen wird. Diese sog. mittlere
Lebenserwartung ist aber nicht etwa für jeden immer gleich dem
Unterschied zwischen seinem Lebensalter und der durchschnittlichen Lebens-
dauer aller Menschen; sie ist vielmehr für die verschiedenen Altersstufen
verschieden groß, weil die Sterblichkeit in gewissen Perioden des Lebens
(z. B. in der frühesten Jugend) größer ist als in anderen Zeitabschnitten.
Von 100 Personen z. B., welche das 40. Lebensjahr erreicht haben, sterben
einige wohl schon in den nächsten Jahren, während andere ein sehr hohes
Alter erreichen; im Durchschnitt aber erreichen solche Personen nach der
Sterblichkeitsstatistik ein Alter von ungefähr 67 Jahren. Personen dagegen,
welche bis zum 60. Lebensjahr vom Tode verschont geblieben sind, besitzen
im Durchschnitt die Aussicht, ungefähr 72 Jahre alt zu werden. Die Lebens-
versicherungsgesellschaften haben nun aus Grund langjähriger Beobachtungen
die mittlere Lebensdauer für jede Altersklasse in sog Sterblichkeits-
tafeln festgestellt und bedienen sich ihrer zur Berechnung der Höhe der
Prämien. Nur auf diese Weise können sie mit einer gewissen Sicherheit da-
raus rechnen, die späterhin fällig werdenden Versicherungssummen aus den
von jeder Altersklasse gezahlten Prämien bestreiten zu können.
Das Versicherungswesen
365
b. Die sog. abgekürzte Lebensversicherung hat in i -04
neuerer Zeit große Verbreitung erlangt. Bei ihr ist die Versiche-
rungssumme bei Erreichung eines bestimmten Alters (z. B. des 60.
Lebensjahres) auszuzahlen, sofern nicht der Tod des Versicherten und
damit die Verpflichtung zur Auszahlung der Versicherungssumme
schon früher eintritt. Da sie sonach mit der Versicherung aus den
Todesfall eine Altersversicherung verbindet, bietet sie dem Ver-
sicherten die erfreuliche Aussicht, das Versicherungskapital vielleicht
selbst noch genießen zu können. Einen Vorteil dieser Versicherungs-
sorm bildet ferner ihre Anwendbarkeit in Fällen, in welchen die Ge-
sellschaften wegen des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers
eine reine Versicherung auf den Todesfall nicht eingehen können.
c. Bei den Versicherungen aus den Lebensfall 1105
wird dem Versicherten die Versicherungssumme nur ausgezahlt, sofern
er ein bestimmtes Alter oder ein bestimmtes Ereignis erlebt. Hier-
her gehört die reine Altersversicherung, ferner die Aus-
steuerversicherung und die M i l i t ä r d i e n st Versiche-
rung, welche Eltern für ihre Kinder einzugehen pflegen, um bei
deren Verheiratung beziehungsweise beim Eintritt in den Militär-
dienst die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu haben.
d. Bei der Leibrenten Versicherung endlich wird in der 1 >06
Regel ein Kapital eingezahlt, um sogleich oder von einem bestimmten
Zeitpunkte ab eine jährliche lebenslängliche Rente zu erhalten.
6. Die Feuerversicherung für Gebäude.
Diese erfolgt in Bayern durch die öffentliche B r a n d v e r s i ch e- 1107
r u n g s a n st a l t. Die Verwaltung obliegt der Versichernngs-
kammer (s. Nr. 1098), die unter Aussicht des Staatsministeriums des
Innern steht. Die Teilnahme an der öffentlichen Brandversichernng
ist im allgemeinen freigegeben, nur für Gebäude des Staates, der
Gemeinden und ähnliche Gebäude besteht ein direkter Versicherungs-
zwang. Für die übrigen Gebäude besteht ein indirekter Beitritts-
zwang insofern, als kein Gebäude in Bayern bei einer anderen An-
stalt versichert werden kann. Dem Eintretenden steht es im allge-
meinen frei, die Höhe der Versicherungssumme zu bestimmen, doch
darf die Summe in keinem Fall den Wert des versicherten Gebäudes
überschreiten. Der Gesamtbedars der Anstalt wird nach den Grund-
sätzen der Gegenseitigkeit von sämtlichen Mitgliedern der Anstalt be-
stritten; der Beitrag des einzelnen richtet sich nach der Größe seiner
Versicherungssumme und der Feuergefährlichkeit des versicherten
Gegenstandes. In letzterer Hinsicht sind die Gebäude in vier Klassen
eingeteilt. Die Beiträge werden nach den Grundsätzen, die für die
366
Das Wirtschaftsleben
1108
1109
IIIO
1111
1112
Erhebung und zwangsweise Beitreibung der Staatssteuern bestehen,
erhoben und beigetrieben.
Die Entschädigung wird in der Regel nur unter der Bedingung
gezahlt, daß das Gebäude aus der alten Stelle wieder aufgebaut und
daß die Entschädigung lediglich zu diesem Zwecke verwendet wird.
Ausnahmsweise kann durch das Bezirksamt oder durch die Kreis-
regierung eine anderweitige Verwendung des Geldes, insbesondere
zu einem Wiederaufbau an anderer Stelle bewilligt werden. Keine
Entschädigung wird entrichtet, wenn der Entschädignngsberechtigte
sich der Brandstiftung oder des Betrugs an der Anstalt schuldig ge-
macht hat. Falls ein Brandsall sich ereignet, hat die Gemeindebehörde
sofort dem Brandversicherungsinspektor Kenntnis zu geben; dieser
nimmt die Schadensschützung vor; die Festsetzung der Entschädigung
erfolgt durch die Versicherungskammer.
Die Zahl der Brandsälle, die unter die Versicherung sielen, be-
trug im Jahr 1906 3016; die gezahlten Entschädigungen beliefen sich
in demselben Jahre aus 6 831 200 Mark.
7. Die Fenerversichcrung der Fahrnisse.
Diese ist in Bayern nicht verstaatlicht; sie erfolgt durch private
Versicherungsgesellschaften, doch hat der Staat sie einer besonderen
Aufsicht unterstellt. Vom Abschluß jedes Versicherungsvertrags, sowie
von der Festsetzung jeder Brandentschädigung hat die Versicherungs-
unternehmung der Ortspolizeibehörde, in deren Bezirk sich die ver-
sicherten Gegenstände befinden, Mitteilung zu machen. Letztere hat
zu prüfen, ob keine Ueber- oder Doppelversicherung gegeben ist, die
Anzeigen zu sammeln und dem Brandversicherungsinspektor vorzu-
legen. Der Staat hat auch Vorsorge getroffen, daß die sog. „not-
leidenden Risike n", d. h. zu versichernde Gegenstände, die
wegen großer Feuergefahr oder aus anderen Gründen bei keiner Ge-
sellschaft Ausnahme finden würden, Gelegenheit gitr Versicherung
haben. Es sind das insbesondere Objekte in sog. gemiedenen Orten,
d. h. besonders gefährlichen Orten. Zu diesem Zweck haben sich die
in Bayern zugelassenen Privatseuerversicherungsgesellschaftcn zu
einer Versicherungsgemeinschaft zusammengetan, die die „notleiden-
den Risiken" übernimmt. Zur Mobiliarbrandversicherung waren im
Jahre 1905 fünsunddreißig Gesellschaften in Bayern zugelassen.
8. Die Hagelversicherung.
Die Versicherung gegen Hagelschäden erfolgt durch die öffentliche
Hagelversicherungsanstalt in München. Die Verwaltung obliegt der
Versicherungskammer (Nr. 1098), die auch insoweit unter Leitung des
Das Versicherungswesen
367
Ministeriums des Innern steht. Die Anstalt ist ans dem Prinzip der
Gegenseitigkeit aufgebaut (Nr. 1099). Bei ihr besteht keinerlei Bei-
trittszwang; man kann deshalb auch bei Privatgesellschaften gegen
Hagel versichern. Bei der Gründung wurde ihr aus der Staatskasse
eiu Stammkapital von einer Million zugewiesen; außerdem gewährt
ihr der Staat jährliche Zuschüsse.
Die Versicherungsbedingungen, insbesondere die Beitritts- "'3
gebühren werden durch die Anstaltsverwaltung festgesetzt; die Bei-
träge sind nach Gefahrenklassen abgestuft. Sie werden wie die
Staatssteuern eingehoben und zwangsweise beigetrieben. Wer wegen
Hagelschadens Entschädigung beansprucht, hat binnen zwei Tagen
nach Eintritt des Schadens Anzeige bei der Gemeinde zn erstatten;
diese hat binnen vierundzwanzig Stunden der Anstaltsverwaltung
Kenntnis zu geben. Letztere setzt nach Vornahme der erforderlichen
Erhebungen die Entschädigung fest. Eintritts- und Austrittserklä-
rungen hat die Gemeindeverwaltung entgegenzunehmen. Die im
Jahre 1906 gezahlte Entschädigungssumme betrug 3 693 425 M. Die
Zahl der Hagelschäden belief sich in diesem Jahre auf 2489.
9. Die Viehversicherung.
Sie ist in Bayern vom Staate in die Hand genommen und kann "H
ans die Versicherung von Vieh jeder Art mit Ausnahme der Pferde
erstreckt werden. Entschädigt werden zurzeit Verluste, die durch Um-
stehen oder Notschlachtung von Rindvieh und Ziegen oder dadurch
entstehen, daß das Fleisch eines geschlachteten Rindviehstückes poli-
zeilich als zum Geuuß für Menschen untauglich, nur bediugt tauglich
oder erheblich herabgesetzt im Nahrungs- und Genußwert erkannt
wird. Die Versicherung erfolgt durch Ortsviehversicherungsvereine,
die zu einem, das ganze Königreich umfassenden Verband, die öffent-
liche Viehversicherungsanstalt, mit dem Sitz in München vereinigt
sind. Die Ortsviehversicherungsvereine sind aus den Grundsätzen der
Gegenseitigkeit und der Freiwilligkeit aufgebaut, sie werden in der
Regel für eine Gemeinde oder mehrere Gemeinden, ausnahmsweise
für Teile von Gemeinden, errichtet. Die Verwaltung der Versiche-
rungsanstalt erfolgt durch die Königliche Versichernngskammer. Auf-
nahme in den Verband finden nur solche Vereine, die die von der
Anstalt aufgestellten Bestimmungen iiber die Organisation der Ver-
eine und iiber das Verhältnis der Versicherten zum Verein, das
sogenannte Normalstatut, angenommen haben.
Die eine Hälfte der Entschädigunge n wird in jedem Falle 1115
von der Anstatt gezahlt, die andere Hälfte ist von dem in Betracht
kommenden Ortsviehversicherungsverein zu tragen. Die Höhe der
368
Das Wirtschaftsleben
Entschädigung wird nach Maßgabe des Normalstatuts in jedem Falle
von dem einschlägigen Vereine festgesetzt, die Festsetzung von der
Anstalt nachgeprüft. Die Anstalt zahlt an den Versicherten die ganze
Entschädigung aus nnb verlangt ihrerseits von dem Ortsviehversiche-
rungsverein die diesen treffende Hälfte zurück. Zur Bestreitung
der die Anstalt endgültig treffenden Kosten (das sind die Verwal-
tungskosten und die eine Hälfte der Entschädigungen), für die das
eigene Vermögen der Anstalt nicht ausreicht, erhebt die Anstalt von
den einzelnen Vereinen Beiträge, die nach Maßgabe der bei den
einzelnen versicherten Werte verteilt werden. Die Anstalt erhielt
bei der Errichtung eine staatliche Zuwendung von 600 000 M.
und empfängt außerdem jährliche Zuschüsse aus Staatsmitteln.
10. Die Pferdeversicherung.
Für die Versicherung der Pferde besteht in Bayern eine besondere,
von der Versicherung der übrigen Tiere ausgeschiedene staatliche
Organisation. Sie soll gegen die Verluste schützen, die durch Um-
stehen oder notwendig gewordenes Töten von Pferden entstehen;
Pferde, die über fünfzehn Jahre alt sind und kranke Pferde sind von
der Versicherung ausgeschlossen. Die Grundlage der Versicherung
bilden örtliche P s e r d e v e r s i ch e r u n g s v e r e i n e , die für eine
oder mehrere Genieinden, ausnahmsweise auch für Teile von Gemein-
den auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Freiwilligkeit
gebildet werden. Diese Vereine sind in einen Verband, die Pferde-
versicherungsanstalt, mit dem Sitz in Miinchen vereinigt.
Aufnahme in den Verband finden nur solche Vereine, die das von der
Anstalt aufgestellte Normalstatut, das die Organisation der einzelnen
Vereine und das Verhältnis zu den Versicherten regelt, angenommen
haben. Die Verwaltung der Anstalt wird durch die Königliche Ver-
sicherungskammer geführt.
Die Hälfte der Entschädigung wird in jedem Schadensfälle von
der Anstalt, die andere Hälfte von dem in Betracht kommenden
Pferdeversicherungsverein gedeckt. Die Schadensfestsetzung erfolgt
durch den einzelnen Verein, sie wird von der Anstaltsverwaltung
nachgeprüft, die festgesetzte Entschädigung wird durch die Anstalts-
verwaltung ausgezahlt. Diese fordert dann von dem einzelnen Ver-
ein die Hälfte der Entschädigung ein. Die durch eigene Mittel nicht
gesteckten Ausgaben der Anstalt, die sich durch die Deckung der
anderen Hälfte und an Verwaltungskosten ergeben, werden auf die
einzelnen Vereine nach Maßgabe der bei ihnen versicherten Werte ver-
teilt. Der Anstalt wurde bei ihrer Errichtung aus der Staatskasse
ein Stammkapital von 500 000 M. zugewiesen; außerdem erhält sie
jährlich erhebliche Zuschüsse aus Staatsmitteln.
Das Versicherungswesen
369
11. Die Haftpflichtversicherung.
Diese Art der Versicherung verfolgt den Zweck, den Versicherten m8
wenigstens teilweise gegen die Folgen seiner gesetzlichen Haftpflicht,
d. h. gegen die Vermögenseinbuße zu decken, welche er dadurch erleidet,
daß er anderen Personen Ersatz zu leisten hat für Schäden, die diesen
zugefügt werden durch Tiere des Versicherten oder durch Versehen des
Versicherten selbst oder solcher Personen, für welche er haften muß.
Die Haftpflichtversicherung hat besonders im Hinblick auf die ver-
schärften Haftpflichtbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (s.
Nr. 408 ff.) in neuester Zeit eine größere Ausbildung und Verbrei-
tung erfahren. So versichern sich z. B. Rechtsanwälte gegen die Er-
fatzpflicht, welche aus etwaigen Fehlern in der Prozeßführung ihnen
gegenüber ihren Auftraggebern erwachsen kann, Beamte gegen die
pekuniären Folgen dienstlicher Versehen, Tierbesitzer gegen den Scha-
den, den ihre Tiere Dritten zufügen, usw. Regelmäßig erhält der
Versicherte aber nur einen Teil (z. B. drei Viertel) seines Schadens
ersetzt, da er sonst kein genügendes eigenes Interesse mehr an der Ver-
meidung der Haftpflichtfälle haben würde.
5. Kapitel.
Die LcrnbwiwLschcrfk und die MiekzucHt.
I. Tic Entwicklung und Bedeutung der Landwirtschaft.
Wenn in der Landwirtschaft die Hervorbringung der Boden- 1119
erzeugnisse der Hauptsache nach der Naturkraft überlassen und nur
wenig Arbeit und Kapital auf eine Steigerung des Ertrags ver-
wendet wird, so nennt man einen solchen Betrieb einen exten-
siven. Als intensiv dagegen wird eine Bewirtschaftung des
Landes bezeichnet, welche darnach strebt, vermittels angemessener
Bebauung, Verwendung von Düngemitteln und Benützung zweck-
mäßiger Maschinen den Ertrag des Bodens möglichst zu steigern.
Die älteste Wirtschaftsart in Deutschland war die extensive 1,20
B r a n d w i r t s ch a f t, bei welcher der Wald von Zeit zu Zeit abge-
holzt, das Holz verbrannt und auf dem durch die Asche gedüngten
Boden Getreide gepflanzt wurde; ferner die rohe Weidewirt-
schaft, bei welcher der größte Teil des Bodens ständig als Weide
benützt wurde und nur ein kleiner Teil dieser durch das Vieh mäßig
gedüngten Weiden jeweils in großen Zwischenräumen als ziemlich
dürftiges Ackerland Verwendung fand. Beide Wirtschaftsformen
sind noch jetzt in den rauheren Gebirgsgegenden zu Hause.
G lock-Sch iedermair, Bürgerkundc.
24
370
Das Wirtschaftsleben
I 121
I 1 22
1123
Ungefähr seit der Zeit Karls des Großen ist in Deutschland
neben der Verwendung ständiger Viehweiden eine geregelte Bewirt-
schaftung bestimmter, dauernd dem Getreidebau dienender Felder zur
Einführung gelangt, und zwar meist nach dein sog. Dreiselder-
s y st e m. Hierbei war das gesamte Ackerland eines Dorfes in drei
große Felder eingeteilt, deren jedes in einem Jahre mit der bereits
im Herbst gesäten Winterfrucht und im nächsten Jahre mit der im
Frühjahr gepflanzten Sommersrucht bestellt wurde, während es im
dritten Jahre brach (d. h. unbebaut) liegen blieb, damit der Boden
von innen heraus wieder neue Kraft gewinne. Es war also jeweils
ein Drittel der Gemarkung mit Winterfrucht und das zweite Drittel
mit Sommersrucht bepflanzt, loährend das letzte Drittel brach lag.
Da die Grundstücke jedes einzelnen aus diesen drei Feldern zerstreut
durcheinander lagen, so war die notwendige Folge dieses (ungefähr
ein Jahrtausend, nämlich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts herr-
schenden) Dreifeldersystems, daß die Bestellungs- und Erntearbeiten
aus jedem der drei Felder durch alle Beteiligten gleichzeitig nach
festen Regeln vorgenommen werden mußten. Dieser sogenannte
Flurzwang aber wirkte hemmend auf die Entwicklung der Land-
wirtschaft ein. Zu einer gleichmäßigen Fortentwicklung konnte
ohnedies unsere Landwirtschaft damals wegen der unruhigen Zeiten
des Mittelalters und mehr noch wegen der Niederhaltung und Be-
drückung des Bauernstandes durch den gutsherrlichen Adel nicht ge-
langen. In den späteren Jahrhunderten lasteten dazu noch die
Greuel und Verwüstungen des Bauernkrieges und des dreißigjährigen
Krieges schwer aus der landbebauenden Bevölkerung.
Eine allmähliche Besserung trat in Bayern erst ein in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im Anfang des 19. Jahr-
hunderts. In jene Zeit fällt auch die Ausdehnung des Kartosselbaues
und die Einführung der Futterpflanzen, wodurch die Brache ent-
behrlich wurde. So gelangte man allmählich zu dem intensiveren
System der F r u ch t w e ch s e l w i r t s ch a s t, bei welchem ein jähr-
licher Wechsel im Anbau der verschiedenen Getreidearten und der
anderen Feldgewächse stattfindet, so daß der Boden niemals an ein-
zelnen Nährstoffen eine zu große Einbuße erleidet.
Durch die im Jahre 1808 für ganz Bayern erfolgte Aushebung
der Leibeigenschaft und durch die Aushebung der Zehnten, Gülten,
Frohnden und Weiderechte, wie iiberhaupt aller aus dem gutsherrlich-
bäuerlrchen Verhältnisse beruhenden Abgaben, Lasten und Dienstbar-
keiten, die hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
erfolgte, aber noch nicht ganz durchgeführt ist, wurde die drückendste
Fejsel der Landwirtschaft gelöst. Einen weiteren Aufschwung nahm
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
371
diese sodann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts dadurch, daß
die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung ihr nutzbar
gemacht wurden; dies geschah besonders durch Justus Liebig, den Be-
gründer der A ck e r b a u ch e m i e, welche ermöglicht, dem Boden je-
weils diejenigen chemischen Bestandteile, deren er bedarf, in Form von
künstlichen Düngemitteln zuzusetzen und damit 31t der von einem
bestimmten Wechsel der Frnchtarten unabhängigen, der sogenannten
freien Wirtschaft, überzugehen. Durch Einführung zahl- 1124
reicher verbesserter Geräte und Maschinen wurde endlich der land-
wirtschaftliche Betrieb immer mehr vervollkommnet und hier-
durch eine wesentliche Erhöhung des Reinertrags erzielt. Wenn
gleichwohl unsere Landwirtschaft seit Ende der siebenziger Jahre sich
in gedrückter Lage befindet und um ihre Existenz zu kämpfen hat,
so rührt dies hauptsächlich von der durch die Entwicklung des Welt-
verkehrs hervorgerufenen Konkurrenz mit ausländischem Getreide
her, welche die Inlandspreise herabdrückte, und dazu noch zeit-
lich zusammenfiel mit einem allgemeinen Sinken des Geldwerts und
einem Steigen der Produktionskosten.
Die Frage der Beseitigung des so entstandenen Mißverhältnisses '^5
zwischen Bodenwert und Reinertrag (die sog. Agrarfrage) ist
eine der brennendsten Fragen der Gegenwart. Ihre Lösung wird
allerdings in erster Reihe von einer Zusammenfassung aller Kräfte
der Beteiligten, insbesondere von einer möglichst zweckmäßigen Ge-
staltung des Betriebs und, wo die Kräfte der einzelnen nicht aus-
reichen, in ihrem korporativen Zusammenschluß zu suchen sein.
Daneben aber kann und darf die Landwirtschaft zurzeit der tatkräf-
tigen Unterstützung durch die Staatsgewalt nicht entbehren.
Ein dauernder Zurückgang der Landwirtschaft würde die Wirt- ^26
schaftliche Kraft und politische Machtstellung des Staates in ihren
Grundfesten erschüttern. Der landwirtschaftlichen Bevölkerung, wel-
cher mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Deutschen
Reiches angehört, liegt zunächst die bedeutsame Ausgabe ob, die für
das ganze Volk unentbehrlichsten Nahrungsmittel (Brot, Fleisch und
Milch) zu schassen; tatsächlich ist sie noch imstande, ungefähr sieben
Achtel des gesamten deutschen Getreidebedarfs und weitaus den
größten Bedarf an Vieh selbst zu decken. Verlören wir unsere Land-
wirtschaft, so würden wir ganz aus die (besonders in Kriegszeiten)
unzuverlässige Zufuhr aus dem Auslande angewiesen sein und damit
in Abhängigkeit von diesem geraten. Die Landwirtschaft liefert aber
auch das Rohmaterial für eine große Reihe von Gewerben und bildet
daher eine Hauptstütze der Industrie. Sie ist zugleich der sicherste
und regelmäßigste Abnehmer für einen großen Teil der Erzeugnisse
dieser heimischen Industrie, weshalb es im eigensten Interesse der
24*
372
Das Wirtschaftsleben
letzteren liegt, die Landwirtschaft in einem kaufkräftigen Zustande zu
erhalten. Endlich umfaßt die Landwirtschaft den kräftigsten und ge-
sündesten Teil der gesamten Bevölkerung; sie führt den Städten, in
deren Getriebe sich die Nervenkraft eines Geschlechts nach wenigen
Generationen zu erschöpfen pflegt, ständig neues Blut zu und liefert
die brauchbarste Mannschaft für das Heer. So bildet sie eine der
festesten Stützen unseres Staates.
ll. Die Organe zur Förderung der Landwirtschaft und der
Tierzucht.
27 1. Die ober st e Leitung des Landwirtschafts-
wesens, einschließlich der Viehzucht, gehört in Bayern zur Zu-
ständigkeit des Staatsministeriums des Innern. Ausführende Be-
hörden sind die Regierungen, Kammern des Innern, die Bezirks-
ämter und die Gemeindebehörden. Neben diesen besteht aber eine
Reihe technischer Organe.
28 2. In erster Linie ist der kultur technische Dien ft her-
vorzuheben. Er umfaßt hauptsächlich die Mitwirkung bei der Vor-
bereitung, Ausführung und Überwachung von Bodenkulturunter-
nehmungen der Genossenschaften, Gemeinden und Privaten, insbe-
sondere die Ausarbeitung von Gutachten, Plänen und Kosten-
anschlägen, die Mitwirkung bei der Aufstellung von Projekten zur
Instandhaltung von Gewässern und die Mitwirkung bei der tech-
nischen Überwachung der Privatflüsse und Bäche.
Der kulturtechnische Dienst ist dem Staatsbaudienst angegliedert.
Die äußeren Vollzugsbehörden sind einundzwanzig an verschiedenen
Orten Bayerns errichtete K u l t u r ä m t e r , deren Vorstand die
Bezeichnung Bezirks-Kulturingenieur führt. Diesem
sind Regierungsbaumeister, Kulturbauführer, Kulturaufseher und
Kulturvorarbeiter untergeordnet. Zur Erledigung des höheren
kulturtechnischen Dienstes ist jeder Regierung und dem Ministerium
des Innern ein kulturtechnischer Referent beigegebenll 1
1 Die Verwendung im höheren kulturtechnischen
Dienst setzt voraus: den Erwerb des Diploms eines Kulturingenieurs
au der Technischen Hochschule in München oder einer vom Ministerium des
Innern als gleichwertig anerkannten anderen deutschen Hochschule, die
Ableistung eines dreijährigen Vorbereitungsdienstes und das Bestehen der
staatlichen praktischen Prüfung für den höheren kulturtechnischen Staats-
dienst. In den mittleren kulturtechnischen Staatsdien st
werden in der Regel nur Anwärter ausgenommen, die die kulturtechnische
Schule in Pfarrkirchen absolviert haben.
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
373
/
3. Weitere O r g a n e sind:
a. Die Agrikultur botanische St u ft a 11 mit dem Sitze -129
in München; ihr obliegt die Förderung des landwirtschaftlichen
Pflanzenbaus und die Vornahme botanischer Versuche und von Unter-
suchungen aus sonstigen Gebieten der landwirtschaftlichen Praxis.
b. Die K. M 0 0 r k u l t u r a n st a l t, die im Winter ihren Sitz 1 izo
in München, im Sommer in einem der größeren bayerischen Moor-
gebiete hat; sie hat die Aufgabe, die Kultur und Bewirtschaftung der
Moore und die rationelle Verwerüing des Torfes zu fördern. Man
hat hierbei auch den Versuch gemacht, Gefangene zur Moorkultur her-
anzuziehen.
c. Der L a n d e s i n s p e k t 0 r für Weinbau, dessen Sitz uz 1
zurzeit Neustadt a. Hardt ist. Er hat sich mit den Verhältnissen des
bayerischen Weinbaus vertraut zu machen und ihn zu fördern. Auch
hat er Interessenten in Weinbauangelegenheiten Auskunft und Rat
zu erteilen.
6. Der L a n d e s i n f p e k t 0 r für Tierzucht in München. 1132
Er hat die landwirtschaftliche Tierzucht insbesondere durch Wander-
lehrtätigkeit zu fördern.
e. Der Landesinspektor für Milchwirtschaft mit -1 zz
dem Sitze in München. Seine Aufgabe ist, auf Entwicklung und Ver-
vollkommnung der Milchwirtschaft in Bayern hinzuwirken. Zu
diesem Zweck hat er insbesondere Wanderlehrtätigkeit zu entfalten.
t. Der Landesinspektor fiir Ob st- und Garten - 1154
b a u mit dem Amtssitz in München. Er hat im Benehmen mit den
Organen des landwirtschaftlichen Vereins, den Obst- und Gartenbau-
vereinen und den landwirtschaftlichen Wanderlehrern Obst- und
Gartenbau zu heben.
g. Der Landesinspektor für Hopfenbau zu Weihen- uz;
stephan, der den Hopfenbau zu fördern hat.
4. Hohe Bedeutung für die Förderung der Landwirtschaft kommt 1136
dem Landwirtschaftlichen Verein in Bayern zu.
Sein Zweck ist die Förderung und Vertretung der landwirtschaftlichen
Angelegenheiten; seine Organe sind in landwirtschaftlichen Ange-
legenheiten der ständige Beirat der Organe der Staatsregierung.
Er gliedert sich in Kreisvereine und B e z i r k s v e r -
eine. Die Mitglieder einer Distriktsgemeinde oder einer unmittel-
baren Stadt bilden je einen Bezirksverein, — solche sind es zurzeit
235 —, die eines Regierungsbezirkes den Kreisverein und die des
ganzen Landes den Gesamtverein. Die Organe des Bezirksvereins
374
Das Wirtschaftsleben
sind die Bezirksausschüsse, die des Kreisvereines die landwirtschaft-
Z7 lichen Kreisausschüsse, die des Gesamtvereins der L and wir t-
schastsrat in Miinchen. Letzterem obliegt die Wahrnehmung
der landwirtschaftlichen Interessen des Landes, die Erstattung von
Gutachten bei gesetzgeberischen und organisatorischen Maßnahmen
aus dem Gebiet der Landwirtschaft, die Mitwirkung bei zentralen
Einrichtungen zur Förderung der Landwirtschaft.
38 Beim Landwirtschaftsrat ist mit staatlichen Zuschüssen eine
„Baustelle" errichtet. Sie erteilt Behörden und Privaten in den
Angelegenheiten des Bauwesens Rat und Auskunst und leistet auch
unmittelbare technische Hilfe bei Bauausführungen. Neben dem all-
gemeinen Landwirtschaftlichen Verein bestehen landwirtschaftliche
Sondervereine, so Tierzuchtvereine, Obst- und Gartenbauvereine,
Ankaufs- und Absatzvereine, Dampsdreschmaschinengenossenschasten
u. a. Es sind zurzeit über 6000.
39 5. Aus Vertretern der landwirtschaftlichen Vereine aller deutschen
Staaten ist der Deutsche L a n d w i r t s ch a s t s r a t gebildet,
der dazu dient, die Interessen der deutschen Landwirtschaft in ihrer
Gesamtheit öffentlich zu vertreten und diesen Interessen in allen
wichtigen Fragen durch Begutachtung, Vorstellungen und Anträge
bei den Regierungen Gehör zu verschaffen. Daneben besteht die aus
Fachmännern zusammengesetzte Deutsche Landwirtschasts-
g e s e l l s ch a s t, die den Landbau durch Veranstaltung von regel-
mäßigen Ausstellungen, Versammlungen usw. zu heben sucht.
III. Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft.
40 1. In manchen Gemeindebezirken ist die zweckmäßige Bewirt-
schaftung der Grundstücke sehr erschwert, weil der Besitz des einzelnen
in kleine Parzellen zersplittert ist, die sich an verschiedenen Plätzen be-
finden, und weil die Anlage der Feldwege unzweckmäßig ist. Eine
Abhilfe bietet das Institut der Flurbereinigung, das durch
ein besonderes bayerisches Gesetz geregelt ist. Sie bezweckt eine bes-
sere Benützung von Grund und Boden durch Zusammenlegung von
Grundstücken und durch Regelung der Feldwege. Jeder Beteiligte er-
hält wieder so viel Grundbesitz, als er vor der Regelung besessen hat,
jedoch zusammenhängend. Die Flurbereinigung kann, wenn einzelne
Beteiligte sich dagegen sträuben, auch zwangsweise durchgeführt
werden; es ist aber notwendig, daß die Mehrzahl der Beteiligten da-
mit einverstanden ist (sind weniger als zwanzig beteiligt, so muß
sogar eine Mehrheit von drei Fünftel vorhanden sein), weiter, daß
die Mehrheit mehr als die Hälfte der Bereinigungssläche besitzt und
außerdem mehr als die Hälfte der von den beteiligten Grundstiicken
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
375
zu entrichtenden Grundsteuer bezahlt. Die Leitung und Durchführung
der Flurbereinigungen erfolgt durch eine befondere Behörde, die
beim Staatsminifterium des Innern gebildete Flurbereini -
gungskommissio n. Nötigenfalls können auch für die ein-
zelnen Regierungsbezirke befondere Flurbereinigungskommissionen
gebildet werden. Die Ausführung der Arbeiten erfolgt bei Flur-
bereinigungen geringeren Umfangs durch einen Geometer, bei
umfangreicheren Arbeiten durch einen besonders gebildeten Flur-
bereinigungsausfchuß. Zur Entscheidung von Streitigkeiten wird
eilt Schiedsgericht gebildet.
2. Im Interesse der Landwirtschaft wird der Handel mit
ländlichen Grundstücken, der oft Gelegenheit zur Aus-
beutung bietet, behördlich überwacht. Wer mit ländlichen Grund-
stücken gewerbsmäßig handelt, hat ein Geschäftsbuch zu siihren; er
hat vor Zertrümmerung eines Gutes der Distriktsverwaltungs-
behörde Anzeige zu machen, und dieser die erforderlichen Aufschlüsse
zu geben. Befondere Bestimmungen bestehen für den Handel mit
Waldgrundstücken.
3. Die Staatsregierung wendet ihre Aufmerksamkeit Krank-
heiten und Tieren (Infekten) zu, die dem Pflanzenbau
schädlich sind; sie belehrt die Landwirte hierüber und gibt ihnen die
zur Bekämpfung erforderlichen Mittel an die Hand. Insbesondere
fördert der Staat die O b st b a u m z u ch t. Die Kreiswanderlehrer,
die Vorstände der Gartenbaufchulen, der Landesinfpektor für Obst-
und Gartenbau, geben hierüber unentgeltlich sachverständigen Rat;
die Gemeinden erhalten staatliche Unterstützungen für Anpflan-
zungen.
Für das ganze Reich sind gewisse Einfuhrverbote erlassen
worden zum Schutze gegen den Kartoffelkäfer, gegen die dem
Obst schädliche San Jo sie-Schildlaus und gegen den gefähr-
lichsten Feind des Weinbaus, die Reblaus. Zur Bekämpfung der
letzteren haben die am Weinbau besonders beteiligten europäischen
Staaten eine internationale Reblauskonvention
geschlossen. Ein besonderes Reichsgesetz ordnet eine ständige Ueber-
wachung aller Weinbaubezirke, die Vernichtung der von der Reblaus
ergriffenen Reben und die Desinfektion des verseuchten Bodens an.
Aus verseuchten Flächen kann der Anbau von Reben zeitweise ganz
verboten werden. Die von diesen Maßregeln betroffenen Reben-
besitzer erhalten Entschädigung aus der Staatskasse. Die Entschä-
digungen werden in Bayern durch eine aus drei weinbauverständigen
Personen gebildete Kommission ermittelt und durch die Kreisregie-
rungen, Kammern des Innern, festgesetzt.
1141
1142
-143
1144
376
Das Wirtschaftsleben
45 4. Die Durchführung von Kulturunternehmungen ist häufig
nicht möglich, weil es den Beteiligten an den erforderlichen Mitteln
fehlt. Um Abhilfe zu schassen, wurde für Bayern die Landes-
kultur renten an st alt errichtet. Sie ist in erster Linie
dazu bestimmt, Darlehen für Kulturunternehmungen zu gewähren;
als folche gelten hauptfächlich Bewüsferungs- und Entwässerungs-
anlagen, Flurbereinigungen (f. Nr. 1140), Urbarmachung öder
Flächen, Verbesserungen (sogenannte Meliorationen) von Feldern,
Wiesen, Weiden und Moorgründen, Aufforstung öder Flächen,
Fifchereianlagen, Herstellung von Wasserleitungen und andere ähn-
liche Unternehmungen. Außer für Kulturunternehmungen gewährt
die Landeskulturrentenanstalt auch Mittel zur Herstellung von Stau-
und Triebwerksanlagen und von Sammelbecken zur Erzeugung und
Abgabe von elektrischer Kraft für das Kleingewerbe und die Land-
wirtschaft und zu Kleinwohnungsbauten für die minderbemittelte
Bevölkerung und die Ansiedlung landwirtschaftlicher Arbeiter.
46 Die Darlehen können in der Regel durch die Anstalt nicht
gekündigt werden. Die Zurückzahlung erfolgt durch jährliche Zu-
schläge zu den gezahlten Zinsen, doch steht dem Schuldner auch frühere
Zurückzahlung frei. Die Darlehen sind in der Regel durch Hypo-
thekenbestellung sicher zu stellen. Zur Verbescheidung der Gesuche
um Darlehen, zur Auszahlung der Darlehen und zur Ueberwachung
der Darlehensverwendung ist eine eigene Behörde beim Ministerium
des Innern gebildet, die Landeskultur-Rentenkommis-
sion. Die Darlehensgesuche sind in der Regel bei der Distrikts-
verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das Unternehmen durchgeführt
werden soll, anzubringen. Diese hat die erforderlichen Erhebungen
für die Prüfung des Gesuchs zu pflegen.
47 Zur Beschaffung der Mittel für die Darlehensgewährungen hat
der bayerische Staat ein besonderes Anlehen, dieLandeskultur-
Rentenschuld, ausgenommen; die einzelnen Schuldver-
schreibungen werden als Landeskultur-Renten scheine
bezeichnet. Der Höchstbetrag, zu dem Landeskultur-Rentenscheine
ausgegeben werden dürfen, beträgt zurzeit fünfzig Millionen Mark.
48 5. Weiter unterstützt der Staat die Landwirtschaft durch die
Forderung der ebenfalls dem landwirtschaftlichen Kredit dienenden
Bayerischen Landwirtschastsbank in München.
Eine unmittelbare pekuniäre Unterstützung wird dem Landbau end-
lich zuteil durch die nicht unerheblichen Getreide- und Vieh-
z ö l l eü welche als Schutzzölle (s. Nr. 1420) den Zweck haben, die * 50
* Die Getreidezölle betragen z. B. für Weizen und Spelz 7 M.
50 Pf., für Roggen, Gerste und Hafer 7 M. aus 100 Kilogramm, gegenüber
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
377
Getreidepreise zu erhöhen und hierdurch dem inländischen Getreide
auf dem Markte den Wettbewerb mit dem Auslandsgetreide zu er-
möglichen. Allerdings werden diese Getreidezölle von vielen Seiten
scharf bekämpft, weil sie eine Verteuerung des unentbehrlichsten
Nahrungsmittels (des Mehls und Brots) verursachen, und es wäre
zu wünschen, daß die Lage unserer Landwirtschaft sie bald entbehrlich
erscheinen lassen möchte?
IV. Tie Viehzucht.
Die Viehzucht ist eines der wichtigsten Förderungsmittel des
Laudbaus. Sie ist mit ihm fast untrennbar verbunden, da sie einer-
seits für Felder und Wiesen den Dünger liefert und anderseits eine
angemessene Verwertung zahlreicher Erträgnisse des Landbaus
(Stroh, Futtermittel usw.) ermöglicht. Ihre Hauptbedeutung liegt
aber darin, daß sie für den Landmann eine ergiebige Einnahmequelle
ist; Fleisch, Fell, Milch u. a. und endlich die Tiere selbst bringt er
aus den Markt.
1. Vou großer Bedeutung für die Viehzucht ist die Erzielung
guter und zweckentsprechender Tierrassen. Die erforderlichen Zucht-
tiere kann sich nicht jeder Landwirt, insbesondere nicht der halten,
der nur kleinen oder mittleren Besitz hat. Das Gesetz verpflichtet
deshalb in Bayern die Gesamtheit der Besitzer saselbaren Rind-
viehs (d. s. Kühe und über ein Jahr alte Kalbinnen) einer Ge-
meinde, zusammen die erforderlichen Z u ch t st i e r e anzuschaffen und
zu unterhalten. Dieser ist es zunächst überlassen, im Wege der freien
Vereinbarung, insbesondere im Wege der Genossenschastsbildung die-
ser Verpflichtung nachzukommen. Erfüllen sie aber freiwillig diese
Ausgabe nicht oder nicht in genügender Weise, so hat die Gemeinde-
verwaltung die notwendigen Anordnungen zu treffen und für
Deckung der Auslagen zu sorgen. Sie werden für die Regel durch
Erhebung von Sprunggeldern und von Umlagen der beteiligten
Grundbesitzer bestritten. Viehbesitzer, die selbst geeignete Stiere
halten, sind von der Teilnahme an diesen Vereinigungen befreit; auch
Mitglieder von Zuchtvereinigungen können hiervon befreit werden.
Ländern dagegen, mit welchen wir dnrch Zollverträge verbunden sind,
mindestens 5 M. 50 Pf. beziehungsweise 5 M. und 4 M.
3 Von der Gestaltung und Bedeutung des landwirtschaftlichen Genossen-
schaftswesens war bereits früher (s. Nr. 984) die Rede; desgleichen von
dem Wert eines ausgebildeten Grundbuch- und Hypothekenrechts (Nr. 418)
und von den für die Landwirtschaft wichtigen Hypothekenbanken (Nr. 1040).
Ueber die staatliche Hagel- und Viehverficherung s. Nr. 1112—1117. Wegen
des landwirtschaftlichen Unterrichtswesens f. Nr. 792 und 815.
378
Das Wirtschaftsleben
ns1 Weiter ist zur Schaffung eines guten Viehstandes erforderlich,
daß nicht ungeeignete Zuchtstiere zur Deckung verwendet werden. Es
ist deshalb für Bayern bestimmt, daß zur Bedeckung fremder Kühe
und Kalbinnen nur solche Zuchtstiere verwendet werden dürfen, die
durch eine besondere sachverständige Kommission, den Kör aus -
s ch ll ß, angekört, d. h. als zur Zucht tauglich, anerkannt worden
sind und einen Körschein erhalten haben.
1 r52 2. H e n g st e, die im Privatbesitz sind, dürfen zur Bedeckung von
Stuten nur dann verwendet werden, wenn sie durch besondere für
diesen Zweck gebildete Körausschüsse als zur Zucht geeignet erklärt
sind. Der Staat geht hier noch weiter und stellt selber zur Zucht
geeignete Hengste, sogenannte Beschälhengste, zur Verfügung. Zu
diesem Zwecke unterhält er besondere Gestütsanstalten; diese sind teils
Landgestüte, teils Stammgestüte. Landgestüte bestehen fünf, in
Erding, Landshut, Zweibrücken, Ansbach und Augsburg. In den
Lanügestüten werden die erforderlichen Beschälhengste gehalten
und von dort aus für die Dauer der Deckzeit an hierzu geeignete
Orte, die Beschälstationen, abgegeben. Stamm g estüte bestehen
in Achselschwang und Zweibrücken. In diesen werden selber Hengste
gezogen und Hengstfohlen, die gekauft werden, aufgezogen. Die
Leitung des Gestütswesens obliegt unter der Oberleitung des Staats-
ministeriums des Innern der K. L a n d g e st ii t s v e r w a l t u n g ,
an deren Spitze der K. O b e r l a n d st a l l m e i st e r steht. Außer-
dem werden für vorzügliche Leistungen auf dem Gebiete der Pferde-
zucht alljährlich P r e i s e v e r t e i l u n g e n abgehalten.
”53 3. Durch schlechten H u f b e s ch l a g kann erheblicher Schaden
angerichtet werden. In Bayern sind deshalb nur solche Personen
besugt, das Hufbeschlaggewerbe zu betreiben, die eine besondere Prü-
sung abgelegt haben. Die Prüfungen finden alljährlich mindestens
einmal statt; sie werden von besonderen Prüfungskommissionen abge-
halten, die für jeden Regierungsbezirk bei den Kreisregierungen ge-
bildet werden. Zur Ausbildung im Hufbeschlag sind auch besondere
Hnfbeschlagschulen errichtet und zwar zu München, Landshut, Zwei-
brücken, Regensburg, Nürnberg, Würzburg und Augsburg. Absol-
venten dieser Schulen und solche der Militärlehrschmiede bedürfen
keines weiteren Prüfungszeugnisses.
1154 4. Zur Förderung der Rinderzucht werden alljährlich in jedem
Regierungsbezirk in einer vom landwirtschaftlichen Kreisallsschuß
festgesetzten Zahl und Reihenfolge Rin der schauen abgehalten.
Hierbei werden die Aussteller vorzüglicher Tiere aus öffentlichen
Mitteln prämiiert.
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
379
5. Ter Staat wendet seine Aufmerksamkeit auch der Hebung 1155
der N u tz g e f t ii g e l z u ch t zu. Es werden staatliche Zuschüsse an
Geslügelzuchtstationen und Mustergeflügelhöfe, an Genossenschaften
für Eierverwertung und Gefliigelmast irnd für Geslügelausstellungen
gewährt und Lehrkurse und Wandervorträge iiber die ländliche Nutz-
geflügelzucht gehalten.
6. Endlich ist zur Förderung der Bienenzucht im Anschluß
an das Zoologische Institut der Universität Erlangen eine Anstalt
für Bienenzucht errichtet. Diese veranstaltet insbesondere auch Lehr-
kurse zur Ausbildung in der Bienenzucht.
V. Tie Bekämpfung der Tierkrankheiten.
1. Das dem Schutz und der Pflege der Haustiere dienende 1156
Veterinärwesen umfaßt das Tierheilwesen und die
V i e h s e u ch e n p 0 l i z e i (auch Veterinärpolizei genannt). Die
letztere hat zum Gegenstand die Verhütung und Unterdrückung der
ansteckenden Tierkrankheiten, der Viehseuchen. Sie ist im wesent-
lichen Gegenstand der Reichsgesetzgebung, da die Abhaltung und Be-
kämpfung der Seuchen häufig die Sperrung der Reichsgrenzen gegen
die ausländische Vieheinfuhr, sowie im Inland umfangreiche, unter
Umständen mit militärischer Hilfe durchzuführende Absperrmaß-
regeln nötig macht. Zuwiderhandlungen gegen solche Maßregeln
sind wegen des unberechenbaren Schadens, den sie nach sich ziehen
können, mit besonders strengen, in einzelnen Fällen bis zu Zucht-
haus ansteigenden Strafen bedroht.
2. Tie Leitung des Veterinär wese ns gehört in 1157
Bayern zum Geschäftsbereich des Staatsministeriums des Innern.
Ausführende Behörden sind die allgemeinen Organe der inneren Ver-
waltung, nämlich die Kreisregierungen, Kammern des Innern, und
die Distriktsverwaltungsbehörden.
Die Tierheilkunde wird durch die Tierärzte ausgeübt. Sie 1158
erlangen ihre Vorbildung auf den tierärztlichen Hochschulen 4 5 und
bedürfen zur Ausübung ihres Berufes einer vorherigen Approba-
tion, d. h. eines Befähigungsnachweises, der auf Grund einer Prü-
sung erteilt wird?
4 Für Bayern besteht eine tierärztliche Hochschule zu
München, früher Zentralticrarzneischule genannt. Solche Hochschulen
bestehen u. a. auch in Berlin, Hannover, Dresden und Stuttgart.
5 Die Tierärzte müssen ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine
Oberrealschule oder eine als gleichwertig anerkannte Lehranstalt absolviert
und sodann aus Grund eines Studiums von zusammen sieben Semestern
zuerst eine naturwissenschaftliche und dann eine Fachprüfung bestanden
haben.
Das Wirtschaftsleben
1159
380
Wie amtliche Ärzte, so sind in Bayern auch amtlicheTier-
ü r z t e bestellt. Die Ausgaben der amtlichen Tierärzte sind haupt-
sächlich die Mitwirkung bei der Bekämpfung der Viehseuchen und bei
der Schlachtvieh- und Fleischbeschau, die Beaufsichtigung der Schlacht-
häuser, der Metzgereien und ähnlicher Geschäftsbetriebe, die Mit-
wirkung bei der Handhabung der Gesundheits- und Nahrungsmittel-
polizei und die Mitwirkung bei öffentlichen Maßnahmen zur Hebung
der landwirtschaftlichen Tierzucht.
Als amtlicher Tierarzt ist für den Bezirk eines jeden Bezirks-
amts ein B e z i r k s t i e r a r z t bestellt. Die unmittelbaren Städte
können Tierärzte als Gemeindebeamte bestellen, diese können vom
Ministerium des Innern mit der Wahrnehmung des bezirkstierärzt-
lichen Dienstes für den Bezirk der Stadt betraut werden und führen
dann die Bezeichnung Städtischer Bezirkstierarzt. Wer-
den solche in unmittelbaren Städten nicht ausgestellt, so werden auch
hier Bezirkstierärzte wie für die Bezirksamtssprengel bestellt. Für
die veterinärpolizeiliche Beaufsichtigung der Einfuhr von Tieren, von
Nohstofsen und von Gegenständen, die Träger des Ansteckungsstosses
von Tierseuchen sein können, aus dem Ausland werden Grenz-
tierärzte ausgestellt, denen Assistenten beigegeben werden können.
Endlich können die Distriktsgemeinden besondere Tierärzte ausstellen,
die den Titel Distriktstierärzte führen; diesen können für
den Bezirk des Distrikts auch einzelne Geschäfte des Bezirkstierarztes
übertragen werden.
Als höhere tierärztliche Beamte sind bei den Kreisregierungen
für den Umfang des Regierungsbezirks Tierärzte mit dem Titel
Regie r un gs - und Veterinärrat bestellt und außerdem ist
bei dem Ministerium des Innern ein amtlicher Tierarzt aufgestellt,
dessen Tätigkeit sich aus das ganze Land erstreckt.
Tierärzte, die die Stelle eines amtlichen Tierarztes erreichen
wollen, haben in der Regel eine einjährige Praxis als Tierarzt,
über die verschiedene nähere Bestimmungen getroffen sind, abzulegen
und ferner sich einer Prüf u n g zu unterziehen, die jährlich einmal
vor einer besonders gebildeten Kommission abgehalten wird, deren
Vorsitzender der tierärztliche Referent des Ministeriums des In-
nern ist.
Auch der O b e r m e d i z i n a l a u s s ch u ß und die Kreis-
m e d i z i n a l a u s s ch ü s s e (s. Nr. 865 und 866) kommen, und
zwar ersterer für das Ministerium des Innern, letztere für die Kreis-
regierungen als sachverständige Organe für Angelegenheiten des
Veterinärwesens in Betracht.
Die Landwirtschaft und die Viehzucht
381
Als Organ zur Vertretung der Interessen der Tierärzte eines >i6o
Kreises sind von der Staatsregierung die für jeden Kreis gebildeten
Tierärztlichen Kreisvereine anerkannt. Diese haben aus
Verlangen der Regierung über Gegenstände des Veterinärwesens
Gutachten abzugeben. Sie können atls eigener Initiative Anträge
an die Regierung stellen. Die Statuten der Vereine bedürsen der
Genehmigung der Kreisregierung; letztere kann zu den Beratungen
einen Kommissär abordnen; jeder Verein hat einen Vorstand, einen
Schriftführer und einen Kassier zu wählen.
3. Die Bekämpfung der Viehseuchen ist, abgesehen von der n6i
Rinderpest (s. wegen dieser Nr. 1163), durch das Neichsseuchengesetz
geregelt. Darnach sind die Besitzer von Haustieren verpflichtet, so-
bald sich bei letzteren Erscheinungen einer Seuchenkrankheit zeigen,
der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. Die Anzeigepslicht er-
streckt sich insbesondere auf Milzbrand, Tollwut, Rotz der Pferde,
Maul- und Klauenseuche des Rindviehs, der Schafe, Ziegen und
Schweine, Lungenseuche des Rindviehs, Bläschenausschlag der
Pferde und des Rindviehs, Rotlauf der Schweine und Geflügelcholera.
Die Ortspolizeibehörde hat, sobald sie durch diese Anzeige oder-
anderweitig Kenntnis von deni Ausbruch der Seuche erlangt, der
Distriktspolizeibehörde Mitteilung zu machen. Letztere ermittelt mit
dem amtlichen Arzt, d. i. in der Regel der Bezirkstierarzt, den Sach-
verhalt und ordnet die nötigen Schutzmaßregeln teils selbst
an, teils erwirkt sie deren Anordnung durch die Kreisregierung oder
das Ministerium des Innern. Auf diese Weise kann verfügt werden,
daß die erkrankten oder seuchenverdächtigen Tiere abzusondern und zu
beobachten seien, daß über die seuchenverdächtigen Anwesen die Ver-
kehrssperre verhängt werde, daß die noch gesunden Tiere geimpft, die
erkrankten oder verdächtigen Tiere getötet, ihre Kadaver unschädlich
gemacht und die Ställe desinfiziert werden. Die Abhaltung von
Vieh- und Pferdemärkten kann im Falle des Ausbruchs einer Seuche
untersagt werden.
Für die auf polizeiliche Anordnung getöteten Tiere wird reget- 1162
müßig und für die sonst an der Seuche gefallenen Tiere in bestimmten
Fällen Entschädigung gewährt. Letztere erfolgt aus der
Staatskasse. Die hierbei notwendig werdenden Schätzungen nimmt
eine Kommission vor, die aus dem beamteten Tierarzt und zwei
weiteren Sachverständigen besteht. Über die Pflicht zur Entschädi-
gungsleistung und die Höhe der Entschädigung beschließt die Kreis-
regierung, Kammer des Innern; gegen deren Entscheidung ist Be-
schwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig. Wer vom Ausbruch
382
Das Wirtschaftsleben
einer Seuche oder vorn Seuchenverdacht nicht rechtzeitig Anzeige er-
stattet oder die polizeilich angeordneten Schutzmaßregeln nicht befolgt,
hat keinen Anspruch auf Entschädigung.
6z 4. Gegen die Rinderpest, eine durch ihre große An-
steckungsfähigkeit und ihre verheerende Wirkung besonders verderb-
liche Seuche, hat ein besonderes Reichsgesetz ähnliche Schutzmaß-
regeln vorgesehen. Die Entschädigungen werden hier aus der Reichs-
kasse vergütet.
6. Kapitel.
Die Icrgb urrb die Mscheuei.
64 Die gesetzliche Regelung der Jagd und der Fischerei ist keine An-
gelegenheit des Reichs; daher sind die Bestimmungen hierüber in
besonderen Landesgesetzen enthalten.
I. Die Jagd.
65 1. Die Jagdrechte auf fremdem Grund und Boden, welche früher
besonders den adeligen Gutsherren zustanden und bei rücksichtsloser
Ausübung eine schwere Bedriickung der Landwirte enthielten, finb
heutzutage in Deutschland fast überall beseitigt. Das Eigentum an
Grund und Boden umfaßt nunmehr auch das Recht zur Jagd auf
ihm. Diirste jedoch jeder Eigentümer eines noch so kleinen Grund-
stücks aus ihm die Jagd selbst ausiiben, so würde der Wildstand in
kürzester Frist vernichtet sein. Es ist deshalb vielfach angeordnet, daß
die Jagd durch die Gemeinde ausgeiibt werden muß, wobei die Nut-
zungen dann wieder dem Eigentümer zufließen.
66 2. Das Jagdrecht ist in Bayern rechts des Rheins und in der
Pfalz teilweise verschieden geregelt. In Bayern rechts des
Rheins steht das Jagdrecht grundsätzlich dem Eigentümer des
Grundstücks zu. Die Bestellung eines dinglichen Jagdrechts aus
fremdem Grund und Boden ist unzulässig. Der Eigentümer darf
aber das Jagdrecht nur dann selber ausüben, wenn er einen zusam-
menhängenden Grundbesitz von mindestens 240 Tagwerk — etwa
80 ha im Flachland und 400 Tagwerk = etwa 133 ha im Hochgebirge
oder an Seen und Fischteichen mindestens 50 Tagwerk —etwa 17 ha
besitzt? In allen übrigen Fällen wird das Jagdrecht durch die Ge-
meinde ausgeübt. Die Gemeinde hat die Jagd in der Regel zu ver-
pachten, die Pachtschillinge fließen in die Gemeindekasse, sie werden
1 Auch aus deu unmittelbar au die Behausung anstoßenden Hosräumen
und Hausgärten und aus Grundstücken, die mit einer Mauer oder einer
dichten Umzäumung versehen sind, darf er selber jagen.
Die Jagd und die Fischerei
383
aber den beteiligten Grundbesitzern, denen das Jagdrecht zusteht,
verrechnet. Für einen Jagdbezirk können nicht mehr als drei Pächter
zugelassen werden. Ausnahmsweise kann die Gemeinde die Jagd in
Selbstverwaltung durch höchstens drei Gemeindeglieder ausiiben
lassen, auch hier haben die Erträgnisse den Jagdberechtigten zu gute
zu kommen.
Der Jagdberechtigte (d. h. der Eigenjagdberechtigte oder der 1167
Jagdpächter) kann anderen Personen die Erlaubnis geben, zu jagen;
doch muß dies schriftlich geschehen, er kann auch andere Personen
mit aus die Jagd nehmen (sogenannte I a g d g ä st e).
3. Auch das pfälzisch eRecht geht davon aus, daß das Jagd- t168
recht ein Bestandteil des Grundeigentums ist und daß Jagdrechte an
fremdem Grund und Boden nicht bestehen können. Der Grundeigen-
tümer darf in der Pfalz dann sein Jagdrecht selbst ausüben, wenn
er einen zusammenhängenden Waldbesitz von 200 rheinländischen
Morgen, etwa 80 ha oder mehr, besitzt? In allen anderen Fällen wird
das Jagdrecht durch die Gemeinde ausgeübt, diese darf zur Ausübung
nur den Weg der Verpachtung wählen. Daneben besteht eine Be-
sonderheit. Grundbesitzer, die zusammenhängende Grundstücke von
100 rheinländischen Morgen (etwa 40 ha) und darüber besitzen, müssen
diese nach dem Dargelegten zwar durch die Gemeinde verpachten
lassen, aber sie Haben persönlich das Recht, die Feldjagd aus diesen
Grundstücken neben dem Pächter auszuüben. Jagdgäste sind unter
denselben Voraussetzungen wie in Bayern rechts des Rheins zum
Jagen berechtigt.
4. Das Recht, selbst zu jagen, oder die Pacht einer Jagd berech- 1169
tigen aber für sich allein noch nicht dazu, auch tatsächlich aus die
Jagd zu gehen. Wer jagen will, muß in Bayern rechts des Rheins
eine Jagdkarte besitzen. Sie wird von der Distriktspolizei-
behörde ausgestellt und muß in jedem Kalenderjahr erneuert werden,
gilt aber für ganz Bayern. Die Jagdkarten werden Personen, die ent-
mündigt sind oder unter Polizeiaufsicht stehen, verweigert; auch
Minderjährigen, Personen, die in gewisser Weise vorbestraft sind,
sowie auch in gewissen sonstigen Fällen kann sie verweigert werden.
Auch Jagdgäste dürfen nur dann jagen, wenn sie ini Besitz einer
Jagdkarte sind. In der Pfalz werden anstelle der Jagdkarten
Jagdwasfenscheine ausgestellt; auch hier erfolgt die Aus-
stellung von der Distriktspolizeibehörde mit Wirkung aus ein Kalen-
derjahr und für ganz Bayern. In ähnlicher Weise wie für Bayern
- In Staatswaldungen und auf abgeschlossenen Grundstücken darf die
Jagd stets selbst ausgeübt werden, auch wenn sic nicht den angegebenen
Umfang erreichen.
384
Das Wirtschaftsleben
rechts des Rheins wird die Ausstellung au Personen, von denen ein
Mißbrauch zu erwarten ist, verweigert.
5. über die Ausübung und die Behandlung der
Jagd und den Verkehr mit Wildbret bestehen jagd polizeiliche
Vorschriften, und zwar die gleichen für Bayern rechts des
Rheins und für die Pfalz. Darnach hat, wer die Jagd ausübt, die
für die einzelnen Wildarten festgesetzte Hegezeit zu beachten Die
Jagd auf Rehgeißen, Gems- und Rehkitze und aus Auer- und Birk-
hennen ist, von einigen Ausnahmefällen abgesehen, verboten. Ergibt
sich in einem Jagdbezirk ein der Forst- oder Landwirtschaft nachtei-
liger übermäßiger Wildstand, so ist der Jagdausübungsberechtigte
auf Anordnung der Distriktspolizeibehörde verpflichtet, ihn in der
Zeit und in dem Umfange, wie es ihm von dieser Behörde vor-
geschrieben wird, zu mindern. Vom Beginn des fünfzehnten Tages
der für eine Wildart festgesetzten Hegezeit bis zu deren Ablauf ist es
verboten, derartiges Wild lebend oder tot, ganz oder zerlegt in Ver-
kehr zu bringen. Die Frist kann unter gewissen Fällen verlängert
werden; auch bestehen für besondere Fälle Ausnahmen. Zum Jagd-
betrieb dürfen keine Fang- und Fallgruben, keine Schlingen ltnb keine
vergifteten Köder verwendet werden.
171 6. Der Wildschaden, d. h. der Schaden, der durch Fasanen
oder durch jagdbare Säugetiere, also z. B. durch Hirsche, Rehe, Hasen
an Grundstücken angerichtet wird, ist zu ersetzen. Die Ersatzpflicht
trifft den Jagdberechtigten. In Fällen, in denen die Gemeinde das
Jagdrecht ausübt, trifft die Erfatzpflicht die Gemeinde; die Ge-
meinde kann aber von den Grundeigentümern Ersatz verlangen. Der
in Baumschulen, in Obstgärten und an einzeln stehenden jungen
Bäumen angerichtete Schaden wird dann nicht vergütet, wenn die
Herstellung der gewöhnlichen Schutzvorrichtungen unterlassen wurde.
Der Beschädigte muß den Ersatzanspruch binnen sechs Tagen, nachdem
er von der Beschädigung Kenntnis erhalten hat, bei der Ortspolizei-
behörde anmelden.
172 Die der Landwirtschaft nützlichen Vögel sind durch ein beson-
deres Reichsgesetz geschützt, welches auch das Zerstören und Ausheben
ihrer Nester oder Brutstätten bei Strafe verbietet. Dem gleichen
Zwecke dient eine internationale Vogelschutzkon ven-
t i 0 n. Dieser ist allerdings Italien, wo die Jagd auf die durch-
ziehenden Singvögel in großem Maßstabe betrieben wird, leider noch
nicht beigetreten.
15 Diese ist z. B. für Hirsche auf die Zeit vom 16. Oktober bis 30. Juni,
für Rehböcke auf die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai, für Hasen auf die
Zeit vom 16. Januar bis 30. September, für Feldhühner und Wachteln auf
die Zeit vom 1. Dezember bis 19. August festgesetzt.
Die Jagd und die Fischerei
385
II. Die Fischerei.
1. Das Fischereiwesen wurde in Bayern mit Wirksamkeit vom 1173
1. April 1909 neu geregelt. Das Fischereirecht steht demnach
in öffentlichen Gewässern (s. Nr. 1267) dem Staat, in Privat-
gewässern dem Eigentümer des Gewässers zu; es ist aber zulässig,
durch besondere Rechtsgründe, abweichend von dieser Norm, anderen
Personen das Fischereirecht einzuräumen, dies sind die sogenannten
selbständigen Fischereirechte. In einzelnen Teilen Bayerns stand
früher jedermann das Recht zu, in den öffentlichen Gewässern die
Angelsischerei auszuüben, dieses Recht ist aufgehoben. Desgleichen
sind sonstige ähnliche Rechtsverhältnisse, nach denen die Fischerei von
einer unbegrenzten Personenzahl ausgeübt werden konnte, beseitigt
worden.
2. Die Fischereirechte können nicht beliebig ausgeübt werden, sie 1174
unterliegen verschiedenen Einschränkungen. Der selbständige
Fischereibetrieb ist in der Regel nur gestattet, wenn das Fischerei-
recht sich aus einen solchen räumlichen Umfang erstreckt, daß eine
ordnungsmäßige Bewirtschaftung möglich ist. In fließenden Ge-
wässern wird regelmäßig eine Uferlänge von mindestens zwei Kilo-
metern gefordert. Fischereirechte, die diesen Umfang nicht haben,
können nicht allein ausgeübt werden, solche Rechte, und zwar in der
Regel alle Rechte einer Gemeinde, werden durch die Distriktsverwal-
tungsbehörde zu einem gemeinschaftlichen Fischereibetrieb vereinigt;
und es darf dann nicht der einzelne fischen, sondern es sind zur Aus-
übung des Fischereirechts entweder besondere Fischer zu bestellen,
oder es ist das Recht aus gemeinsame Rechnung zu verpachten, oder
es sind endlich Genossenschaften zur Ausübung des Rechtes zu bilden.
Für geschlossene Gewässer, d. s. kiinstlich angelegte Fichteiche, der
Fischzucht dienende ständig abgesperrte Rinnsale und ähnliche Gewäs-
ser gelten die Einschränkungen des Rechts nicht, hier ist der Fischerei-
berechtigte freier gestellt.
Besondere Bestimmungen gelten für die K 0 p p e l s i s ch e r e i. "75
Letztere liegt vor, wenn an derselben Gewässerstrecke mehrere Fischerei-
rechte bestehen oder an derselben Gewässerstrecke mehreren Personen
ein Fischereirecht zusteht. Hier kann insbesondere die Ausübung
der Rechte durch eine Fischereiordnung geregelt werden, die die
Distriktsverwaltungsbehörde erläßt. Auch hier entfallen diese Be-
schränkungen bei geschlossenen Gewässern.
3. Fischereipachtverträge müssen in der Regel für 1176
mindestens zehn Jahre geschlossen und dürfen nur mit höchstens drei
Personen eingegangen werden. Der Vertrag muß schriftlich abge-
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 25
386
Das Wirtschaftsleben
1177
1178
1179
1180
faßt werden, eine Ausfertigung des Vertrags muß bei der Distrikts-
polizeibehörde hinterlegt werden. Erlaubnisscheine, durch die
der Fifchereiberechtigte oder der Fischereipächter oder der Vorstand
einer Fischereigenossenschaft Dritte zrim Fischen ermächtigt, können
in der Regel nur mit Genehmigung der Distriktsverwaltungsbehörde
ausgestellt werden. Sie müssen durch die Ortspolizeibehörde beglau-
bigt werden.
4. Zur geregelten Aufsichtsführung und zu gemeinsamen Maß-
nahmen zum Schutze und zur Hebung des Fischbestandes, ferner zur
gemeinsamen Bewirtschaftung und Nutzung der Fischwasser können
ans den Fischereiberechtigten eines Fischwassers oder eines Fischerei-
gebietes öffentliche Fischereigenossenschaften ge-
bildet werden. Die Bildung kann, wenn sie nicht freiwillig erfolgt,
unter gewissen Voraussetzungen auch zwangsweise durch die Kammer
des Innern der Kreisregierungen erfolgen. Die Verhältnisse der
einzelnen Genossenschaft werden durch eine besondere Genossenschafts-
satzung geregelt, die durch Mehrheitsbeschluß der Genossen festgestellt
wird; bei Zwangsgenossenschaften erläßt die Kreisregierung auch
die Genossenschaftssatzung.
5. Wer Fische oder Krebse fängt, muß nicht bloß das Recht zum
Fischen haben, sondern in der Regel auch im Besitze einer auf seine
Person ausgestellten Fischer karte sein. Sie wird durch die
Distriktsverwaltungsbehörde des Wohnorts ausgestellt und ist höch-
stens ein Kalenderjahr wirksam, wirkt aber für das ganze Königreich.
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Ausstellung verweigert
werden, so an Personen unter achtzehn Jahren, an Personen, die
unter Polizeiaufsicht stehen oder in gewisser Weise vorbestraft sind.
6. Besondere Bestimmungen bestehen hinsichtlich der Zeit und der
Art des Fischfangs, des Schutzes des Fischlaichs, der Anlegung von
Fischwegen bei Errichtung von Dämmen, Schleusen oder anderen
Wasserwerken, zum Schutze der Fische gegen Beschädigungen durch
Triebwerke und für andere ähnliche Verhältnisse. Der Vollzug des
Fischereigesetzes obliegt, soweit nicht privatrechtliche durch die Gerichte
zu entscheidende Streitigkeiten in Frage kommen, den Behörden der
inneren Verwaltung.
7. Der Förderung der Fischerei und der Fischzucht dient auch die
K. biologische Versuchs st ation für Fischerei an ^der
Tierärztlichen Hochschule in München. Sie hat den Zweck, im In-
teresse der Fischerei und Fischzucht wissenschaftliche Untersuchungen
insbesondere aus dem Gebiet der Fischkrankheiten, der Fischer-
nährung und der Fischwasserverunreinigung anzustellen, an Fischer,
Die Jagd und die Fischerei
387
Fischzüchter nud sonstige Fischerei-Interessenten Deutschlands Aus-
künfte und Ratschläge zu erteilen und durch Veröffentlichungen aus
diesen Gebieten aufklärend und belehrend 31t wirken.
Weiter ist in München ein Landesinspektor für F i -
scheret aufgestellt, der im Benehmen mit den Fifchereivereinen
auf die Hebung der Fischerei und der Fischzucht in Bayern hinzu-
wirken hat; er ist auch das sachverständige Organ der Staatsregierung
für fischereiwirtschaftliche Fragen.
7. Kapitel.
Acrs Gewerbe.
I. Begriff des Gewerbes. Die Verwaltung des Gewerbewesens.
Während die Land- und Forstwirtschaft, der Bergbau, die Jagd 1181
und die Fischerei daraus gerichtet sind, der Natur die für die mensch-
liche Wirtschaft dienenden Roherzeugnisse abzugewinnen, befassen sich
die Gew erb e1 mit der weiteren Verarbeitung dieser Erzeugnisse;
sie bilden also gewissermaßen das Mittelglied zwischen der sog. Ur-
erzeugung und dem den Umsatz der Güter vermittelnden Handel (s.
Nr. 962). Die gesamte gewerbliche Tätigkeit eines Landes oder
irgend eines räumlich begrenzten Gebiets nennt man seine I n -
d u st r i e.
Das Gewerbewesen im weiteren Sinne hat seine gesetzliche Rege- 1182
lung hauptsächlich durch ein mnfassendes vielfach geändertes Gesetz,
die Gewerbeordnung s ii r das Deutsche R e i chch ge-
funden. Verschiedene Gebiete sind für Bayern noch durch das ältere,
durch die Reichsgewerbeordnung zum großen Teil ersetzte bayerische
Gesetz über das „Gewerbswesen" geregelt.
Das Reich übt die 0 b e r st e Aussicht über das Gewerbewesen 1183
durch das Reichsamt des Innern aus. Die Ausführung der reichs-
gesetzlichen Vorschriften und die sonstige Förderung des Gewerbe- *
* Im weitesten Sinne versteht man unter Gewerbe nicht nur die
obengenannte industrielle Erwerbstätigkeit, sondern überhaupt jede auf
Erwerb gerichtete Berufstätigkeit; in diesem Sinne spricht
man daher auch von einem Landwirtschaftsgewerbe, einem Handelsgewerbe
usw.
Zu den Gewerben, deren Verhältnisse die Gewerbeordnung regelt,
gehören im wesentlichen nicht nur die oben erwähnten Jndustriegewerbe
(Gewerbe der Stoffbcarbcitung), sondern auch die Handelsgewerbe und die
Gewerbe, welche (wie z. B. das der Agenten) in der Leistung solcher per-
sönlicher Dienste bestehen, die keine höhere Ausbildung voraussetzen.
25*
388
Das Wirtschaftsleben
Wesens^ ist aber Sache der Einzelstaaten. In Bayern ist die oberste Be-
hörde zum Vollzüge der Reichsgewerbeordnung und zur sonstigen
Förderung des Gewerbewesens das Ministerium des K. Hauses und
des Aeußern, doch obliegen verschiedene Angelegenheiten auf diesem
Gebiete auch dem Ministerium des Innern, z. B. die Anlegung von
Dampfkesseln, die Verhältnisse der Kaminkehrer, die Errichtung von
Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die gewerbliche Stellen-
vermittelung. Vollzugsbehörden der Ministerien sind die Kammer
des Innern der Kreisregierungen und die Distriktsverwaltungs- und
die Ortspolizeibehörden.
1184 Zur Beratung wichtiger wirtschaftlicher und sozialer Angelegen-
heiten ist beim Ministerium des K. Hauses und des Aeußern die
Zentralstelle für Industrie, Gewerbe und Handel
gebildet; sie besteht aus drei Abteilungen, und zwar für Industrie
und Handel, für Handwerk und Gewerbe und für Arbeiterschutz und
-Wohlfahrt. Die Abteilungen sind aus Vertretern der einschlägigen
Berufszweige gebildet; so befinden sich in den beiden ersten Abtei-
lungen unter anderen je acht Vertreter der Handelskammern und
außerdem in der ersten Abteilung drei bis sieben Mitglieder großer
bayerischer industrieller und kaufmännischer Betriebe, in der zweiten
Abteilung drei bis sieben Mitglieder großer bayerischer gewerblicher
Verbände, in der dritten Abteilung unter anderen zwei von den Kor-
porationen der Handlungsgehilfen in München und Nürnberg ge-
wählte Handlungsgehilfen und drei bis fünf Mitglieder großer
bayerischer Arbeiterverbände. Den Vorsitz im Gesamtkollegium führt
der Minister des K. Hauses und des Aeußern oder ein höherer
Beamter dieses Ministeriums. Der Zentralstelle ist ein technischer
Referent, der den Titel Gewerbeinspektor führt, beigegeben.
Ihm obliegt unter anderem die technische Revision der gewerblichen
vom Staate unterstützten Genossenschaften, die Beratung von Hand-
werkern beim Einkauf von Maschinen und Werkzeugen und ähnliches.
^ Der Förderung der Gewerbe dienen in erster Reihe das bereits früher
(Nr. 792) besprochene gewerbliche und kunstgewerbliche Un-
terrichtswesen sowie die zahlreichen, auf freiem Zusammenschluß
der Gewerbetreibenden beruhenden, vom Staate vielfach unterstützten Ge-
werbevereine. Die gewerbliche Ausnützung von Erfindungen und
Herstellungsarten wird durch die Gesetze über den Patent- und
Gebrauchsmusterschutz usw. (s. Nr. 560 u. folg.) sichergestellt.
Gegen die sich unehrlicher Mittel bedienende Konkurrenz finden die Ge-
werbetreibenden Schutz durch das Gesetz über den unlauteren
Wettbewerb (Nr. 286).
Das Gewerbewesen
389
II. Die geschichtliche Entwicklung des Gewerbes.
Das Gewerbe gelangte in Deutschland zuerst zur Ausbildung in 1185
den mittelalterlichen Städten. Dort rief das Bedürfnis des Schutzes
bereits in früher Zeit Vereinigungen der Gewerbetreibenden hervor,
die sog. Gilden, welche später als Zünfte und Innungen
bezeichnet wurden. Sie dienten zur Vertretung der Interessen ihrer
Mitglieder gegenüber den städtischer: Grundherren, zur gegenseitigen
wirtschaftlichen Unterstützung, zur Aufrechterhaltung der Ordnung
und zur Pflege der Geselligkeit. Unstreitig haben sie in ihrer Blüte-
zeit, welche in das 14. und 16. Jahrhundert fiel, das Gewerbe
mächtig gefördert. Allmählich aber verknöcherten sie und mißbrauch-
ten ihre Macht. Je mehr die innere Zerklüftung des Reichs, die
Mehrung der Zollschranken, die inneren Kriege, besonders der Dreißig-
jährige Krieg, eine Verarmung des Volkes herbeiführten, desto mehr
suchten die Zünfte das Einkommen ihrer Mitglieder zu sichern und
jede Konkurrenz fernzuhalten durch Ausbildung des Zunftzwanges,
durch übermäßige Ausdehnung des Lehrganges und Verteuerung des
Meisterwerkes, durch Erschwerung der Niederlassung und durch Aus-
dehnung der sog. Zwangs- und Bannrechte, vermöge deren die Ein-
wohner bestimmter Bezirke oder einzelne Klassen verpflichtet
waren, ihre Bediirfnisse bei den Zunftmitgliedern zu decken.
Jeder Fortschritt im Handwerk wurde gehemmt und besonders die ”86
Anwendung neuer Erfindungen wurde verhindert, indem die Zünfte
genaue und bindende Vorschriften über die technische Handhabung der
einzelnen Gewerbebetriebe erließen. Ebenso stemmten sie sich selbst-
verständlich der Ausbildung des Fabrikbetriebes entgegen. Vergebens!
Die großen Erfindungen des vergangenen Jahrhunderts führten
durch die neuen Maschinen eine völlige Umgestaltung der Technik deö
Gewerbebetriebs herbei und gaben den Anstoß zu den wirtschaftlichen
und sozialen Umgestaltungen unserer Zeit, unter deren Druck auch die
Fesseln des alten Zunftwesens zersprangen. An die Stelle des Zunft-
zwanges trat in Deutschland -im Laufe des vorigen Jahrhunderts
der Grundsatz der Gewerbefreiheit, welcher mit den
nötigen Einschränkungen auch unsere heutige Gewerbegesetzgebung
noch beherrscht.
Die wirtschaftlichen Umwälzungen der neuesten Zeit haben das 1187
Handwerk aus manchen Gebieten des gewerblichen Lebens verdrängt *
und zwei neue Betriebssysteme ausgebildet, die sog. Hausindu-
strie und den F a b r i k b e t r i e b.
4 Dagegen wird das Handwerk auf den Gebieten, welche cs jetzt noch
inne hat, sich wyhl im wesentlichen behaupten und auch künftig bei fleißiger
Ausübung und Verwendung der von der heutigen Technik gebotener: Hilfs-
mittel ausreichenden Erwerb sichern.
390
Das Wirtschaftsleben
Bei der H a u s i n d u st r i e arbeiten die sog. Heimarbeiter im
wesentlichen auf dieselbe Weise wie die Handwerker, aber nicht aus
eigene Rechnung, sondern für einen Unternehmer (auch „Verleger"
genannt), der ihnen meist die Rohstoffe und Muster, häufig auch die
nötigen Maschinen und Werkzeuge liefert und die fertige Ware nach
dem Stück bezahlt. So wird die Uhrenfabrikation, die Strohslechterei
und die Weberei, in den Städten die Mäntel- und Kleidersabrikation,
als Hausindustrie betrieben.
Jit den Fabriken dagegen vereinigt der Unternehmer eine
größere Anzahl von Arbeitern gegen Tag- oder gegen Stücklohn zu
gemeinsamer Tätigkeit, deren wirtschaftlicher Erfolg gegenüber der
gewöhnlichen Handarbeit in hohem Grad gesteigert wird durch An-
wendung von Maschinen, sowie durch die Arbeitsteilung.
Unter der letzteren versteht man bekanntlich die Zerlegung einer
Arbeit in eine Reihe einfacher Verrichtungen, deren jede einzelne von
einem anderen Arbeiter oder, soweit möglich, von Maschinen aus-
geführt wird. Die gewaltige Erhöhung der gesamten Arbeitsleistung^
durch eine solche Arbeitsteilung beruht daraus, daß jeder Arbeiter in
den ihm zugewiesenen Verrichtungen eine Fertigkeit erlangt, wie er
sie sonst niemals sich aneignen könnte; auch ist jeder Wechsel in der
Arbeit mit einem Zeitverlust verbunden, der hier wegfällt. Aller-
dings stehen diesen Vorteilen der Arbeitsteilung leider auch nicht gu
unterschätzende Nachteile gegenüber; sie bestehen hauptsächlich darin,
daß die einförmige Arbeit einzelne Organe des Körpers überan-
strengt, die anderen dagegen verkümmern läßt, daß sie ferner geistig
abstumpft und im Falle der Arbeitslosigkeit den Uebergang zu einer-
anderen Tätigkeit erschwert.
III. Die allgemeinen Grundzüge der Gewerbegesetzgebung.
Nach der deutschen Gewerbeordnung steht der Betrieb eines belie-
bigen Gewerbes jedermann (Mann oder Frau) grundsätzlich frei. Nur
ist der Beginn des Gewerbebetriebs der Gemeinde- oder Polizei-
behörde (in Bayern der Gemeindebehörde) anzuzeigen?
° Als Beispiel für diese Wirkung der Arbeitsteilung führt schon Adam
Smith die Stecknadelfabrikation an. Ein einzelner Arbeiter könnte für sich
allein täglich kaum 20 Stecknadeln anfertigen. In den Fabriken ist nun
die Herstellung einer Stecknadel in 18 verschiedene Verrichtungen zerlegt;
dies hat zur Folge, daß zehn Arbeiter an einem Tage ungefähr 48 000
Nadeln anfertigen können. Durch die Arbeitsteilung in Verbindung mit
der Verwendung von Maschinen ist also in diesem Falle die Leistungsfähig-
keit des einzelnen Arbeiters durchschnittlich um das 240 fache gesteigert.
° Um Täuschungen des Publikums über die Person des wirklichen
Geschäftsinhabers zu verhüten, find die Laden- und Wirtschaftsbesitzer ver-
pflichtet, an der Außenseite oder am Eingang ihres Geschäfts ihren Vor-
Das Gewerbewesen
391
Der Grundsatz der Gewerbefreiheit erleidet jedoch im öffentlichen
Interesse verschiedene Einschränkungen, von denen die wichtigsten die
folgenden sind:
1. Gewisse gewerblicheAnlagen, deren Betrieb 1190
für den Besitzer, die Nachbarschaft oder überhaupt für das Publikum
erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen
herbeiführen können, bedürfen einer besonderen Genehmi-
gung. Diese wird in Bayern von der Distriktsverwaltungsbehörde
erteilt oder versagt, nachdem das beabsichtigte Unternehmen vorher
durch amtliche Veröffentlichung in der Zeitung mit der Aufforderung
zur allgemeinen Kenntnis gebracht worden ist, etwaige Einwen-
dungen anzumelden. Zu solchen genehmigungspflichtigen Anlagen
gehören z. B. chemische Fabriken, Hammerwerke, Gasanstalten, Kalk-
öfen, Seifensiedereien, Schlachtstätten der Metzger, Gerbereien u. dgl.
Dampfkessel müssen vor ihrer Inbetriebnahme amtlich unter-
sucht werden; auch wird ihr Betrieb in Bayern periodisch visitiert.
Die Vornahme der Prüfungen und Untersuchungen erfolgt in Bayern
durch besondere Revisionsvereine.
2. Zu einer Reihe weiterer Gewerbebetriebe ist ferner eine beson- 1191
de re Erlaubnis (sog. Konzession) der Verwaltungsbehörde er-
forderlich.
Einer solchen (in Bayern von der Distriktsverwaltungsbehörde
zu erteilenden) Konzession bedarf jeder, der die G a ft w i r t f ch a f t
(mit Beherbergung von Gästen) oder die S ch a n k w i r t s ch a f t
oder den Verkauf von Branntwein im kleinen (unter
zwei Litern) betreiben will. Die Konzession wird versagt, wenn die
Persönlichkeit des Nachsuchenden keine Sicherheit für einen anstän-
digen Betrieb bietet oder wenn die Wirtfchaftsräumlichkeiten den
polizeilichen Anforderungen nicht entsprechen oder wenn ein Be-
dürfnis des Publikums fiir einen solchen Betrieb nicht besteht?
und Zunamen anzubringen. Kaufleute, die eine Handelsfirma (f. Nr. 529)
führen, haben diese Firma und, wenn in ihr nicht ihr Vor- und Zu-
name enthalten ist, auch diesen anzubringen.
In den größeren Städten (von mindestens 15 000 Einwohnern) ist
jedoch die Erteilung der Konzession für Gast- und Schankwirtschaften nur
dann von dem Vorhandensein eines Bedürfnisses abhängig, wenn dies durch
Ortsstatut vorgeschrieben ist.
Mit dem Besitze einzelner bestimmter Grundstücke ist in Bayern von
altersher das Recht zum Betrieb einer Wirtschaft verknüpft (sog. reale
Wirtschaftsrechte). Will ein neuer Eigentümer oder Pächter eines
solchen Anwesens daselbst die Wirtschaft betreiben, so ist ihm die Erlaubnis
ohne Rücksicht auf die Bedürfnisfrage zu erteilen.
392
Das Wirtschaftsleben
Der Betrieb der Wirtschaften untersteht der polizeilichen Beauf-
sichtigung; insbesondere wird die rechtzeitige nächtliche Schließung
(die Einhalttlng der sog. „Polizeistunde") überwacht. Die Nichtein-
haltung der Polizeistunde zieht für den Wirt, unter Umständen auch
für die Gäste polizeiliche Bestrafung nach sich.
1192 Von einer besonderen Genehmigung ist ferner abhängig der Be-
trieb von privaten Kranken-, Entbind ungs - und Irren-
an st alten, sowie von Schauspielunternehmungen.
Einer Erlaubnis der Distriktsverwaltungsbehörde bedürfen endlich
Personen, welche das Geschäft eines Pfandleihers, Pfand-
Vermittlers, G e s i n d e v e r m i e t e r s oder StellenVer-
mittlers betreiben wollen. Der Geschäftsbetrieb dieser Personen
steht unter polizeilicher Kontrolle; sie sind in Bayern verpflichtet,
bestimmt vorgeschriebene Geschäftsbücher zil führen und deren Ein-
sicht der Polizei zu gestatten.
119z 3. Einzelne Gewerbebetriebe sind zwar nicht konzes-
sionspflichtig, aber sie können Personen untersagt werden,
welche in ihren Geschäften sich als unzuverlässig erwiesen haben. Hier-
her gehört unter anderen das Gewerbe der Bauunternehmer und Bau-
leiter, ferner die Erteilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunter-
richt, der Trödelhandel, der Handel mit Vieh und ländlichen Grund-
stücken, das Gewerbe der Rechtskonsulenten, der Vermittlnngsagenten
für Liegenschaftsverkäufe, Darlehen und Heiraten, sowie das
der Versteigerer. Diese Gewerbe unterliegen zumeist gleichfalls einer
besonderen polizeilichen Beaufsichtigung.
1194 4. Gewisse Berufe, deren mangelhafte Ausübung der Allgemein-
heit erheblichen Schaden zufügen könnte, setzen die amtliche Erteilung
eines Befähigungszeugnisses (sog. Approbation) voraus. Hier-
her gehört der Beruf der Medizinalpersonen (Aerzte s. Nr. 869, Apo-
theker s. Nr. 874, Tierärzte s. Nr. 1158, Hebammen s. Nr. 879), sowie
der Seeschiffer und Seesteuerleute (Nr. 1291). Wegen des Huf-
schmiedgewerbes s. Nr. 1153.
1195 5. Obrigkeitliche Taxen können nur festgesetzt werden
für Schornsteinfeger (s. Nr. 928); ferner für Dienstmänner, Droschken-
kutscher u. dgl., deren Geschäftsbetrieb iiberhaupt von der Ortspolizei-
behörde geregelt werden darf. Bäcker können von der Ortspolizei-
behörde angehalten werden, Preise und Gewichte ihrer Waren am
Verkaufslokal öffentlich anzuschlagen. Aehnliche Vorschriften bestehen
hinsichtlich der Preisverzeichnisse der Gastwirte und hinsichtlich der
Taxen der Gesindevermieter und Stellenvermittler.
1196 6. Der Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausierhandel)
ist wegen der damit verbundenen Belästigung und Gefährdung des
Das Gewerbewesen
393
Publikums mancherlei Beschränkungen unterworfen; wer ihn außer-
halb seines Wohnorts ausüben will, muß im Besitz eines von der
Distriktsverwaltungsbehörde ausgestellten Wandergewerbe-
scheines sein. Solche Wandergewerbescheine, deren Erteilung aus
gesetzlich bestimmten Gründen versagt werden kann, sind auch für um-
herziehende Musikanten und Schausteller vorgeschrieben.
Inhaber stehender Geschäfte, welche selbst oder durch ihre Reisen- 119?
den auswärts Bestellungen aussuchen oder Waren aufkaufen wollen,
bedürfen hierfür keines Wandergewerbescheins, sondern nur einer sog.
Legitimationskarte, welche gleichfalls von der Distrikts-
Verwaltungsbehörde ausgestellt wird. Solche Geschäftsreisende dürfen
aber zur Ausnahme von Bestellungen in der Regel unaufgefordert
nur Kaufleute, nicht auch Privatpersouen, besuchen; doch sind für ge-
wisse Geschäftszweige (z. B. für den Verkauf von Wein und von
Leinen- und Wäschesabrikaten) Ausnahmen hiervon zugelassen.
IV. Die Organisation des Handwerks.
1. D i e I n n u n g e n.
Nach der Gewerbeordnung können die selbständigen Gewerbe- 1198
treibenden zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen
zu einer Innung zusammentreten.
A u f g a b e d e r I n n u n g e n ist die Pflege des Gemeingeistes
sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den
Jnnungsmitgliedern, die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses
zwischen Meistern und Gesellen und die Fürsorge für das Herbergs-
wesen und den Arbeitsnachweis, die nähere Regelung des Lehrlings-
wesens und die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Jn-
nungsmitgliedern und ihren Lehrlingen. Die Innungen sind aber
auch befugt, ihre Wirksamkeit noch aus andere, den Jnnungsmitglie-
dern gemeinsame gewerbliche Interessen auszudehnen; insbesondere
können sie Fachschulen, Unterstützungskassen und gemeinsame Ge-
schäftsbetriebe einrichten, Gesellen- und Meisterprüfungen veranstalten
und über diese Prüfungen Zeugnisse ausstellen.
Die Ausgabe der Innung, die Einrichtung ihrer Verwaltung und 1199
die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder werden durch das Jnnungs-
st a t u t geregelt. Nach diesem muß bei jeder Innung zur Ver-
tretung der Interessen der Gesellen auch ein von diesen gewählter
Gesellenausschuß bestehen.
Die Gewerbeordnung hatte ursprünglich den früheren Jnnungs-
zwang gänzlich beseitigt, indem sie den Beitritt zu einer bestehenden
394
Das Wirtschaftsleben
200
201
Innung in das freie Belieben jedes einzelnen stellte. Späterhin hat
die Gesetzgebung jedoch, um das Handwerk in seinen! Existenzkampf
gegen die Großindustrie zu stärken, nicht nur die Rechte und Auf-
gaben der Innungen erweitert, sondern auch zur Erleichte-
rung der Bildung von Innungen den I n n u n g s z w a n g unter-
gewissen Voraussetzungen wieder eingeführt. Es gibt daher neben
den freien Innungen nunmehr auch sog. Z w a n g s i n n u n -
gen, denen alle innerhalb eines Bezirks ansässigen, das gleiche Hand-
werk ausübenden Gewerbetreibenden angehören müssen. Eine solche
Zwangsinnung kann aus Antrag Beteiligter von der Verwaltungs-
behörde gebildet werden, wenn die Mehrheit der beteiligten Hand-
werker sich dafür entscheidet. Sie haben mit gewissen Einschränkungen
die gleichen Aufgaben und Befugnisse wie eine freie Innung; insbe-
sondere dürfen sie keine gemeinschaftlichen Betriebe errichten und ihre
Mitglieder in der Preisfestsetzung für Waren und Leistungen oder
in der Annahme von Kunden nicht beschränken.
Die Gemeindebehörden und die staatlichen Verwaltungsbehörden
beaufsichtigen die Innungen und sind unter Umständen auch zu deren
Schließung berechtigt.
Alle oder mehrere derselben Aufsichtsbehörde unterstehenden In-
nungen können zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen einen
I n n u n g s a u s s ch u ß bilden. Innungen, welche nicht derselben
Aufsichtsbehörde unterstehen, können sich zu I n n u n g s v e r b ä n -
den zusannnenschließen.
2. D i e Handwerkskammern.
Das gesetzliche Organ zur Vertretung der Interessen des Hand-
werkerstandes sind die Handwerkskammern, deren es in Bayern acht,
je eine für jeden Regierungsbezirk, gibt. Ihre Mitglieder werden
jeweils ans sechs Jahre von den Innungen, Gewerbevereinen und
sonstigen Handwerkervereinigungen gewählt. Bei jeder Kammer ist
(wie bei den Innungen) ein Gesellenausschuß zur Vertretung
der besonderen Interessen der Gesellen gebildet. An den Sitzungen
der Kammer und ihres Vorstandes nimmt ein Kommissar der Staats-
regierung teil.
Die Handwerkskammern sollen in allen wichtigen, die Interessen
des Handwerks berührenden Angelegenheiten gehört werden. Ihnen
liegt ferner hauptsächlich ob die nähere Regelung des Lehrlingswesens,
die Erstattung von Mitteilungen und Gutachten an die Staats- und
Gemeindebehörden über Fragen des Handwerks sowie die Bildung
von Prüfungsausschüssen für die Gesellenprüfung.
Das Gewerbewesen
395
V. Die gewerblichen Arbeiter.
1. D i e Arbeiterfrage.
Die Entwicklung des heutigen Fabritbetriebs hatte zur Folge, daß -202
zwischen den Arbeitern und den Unternehmern ein Gegensatz entstand,
wie ihn die frühere Zeit in ähnlicher Schärfe nicht gekannt hatte.
Während ehemals die Arbeiter mit ihren Meistern, deren häuslicher
Gemeinschaft sie zumeist auch angehörten, durch mannigfache persön-
liche Beziehungen verknüpft waren, und hoffen durften, selbst einmal
Meister zu werden, stehen sich die heutigen Fabrikarbeiter und die
Unternehmer in der Regel lediglich als Vertragsparteien gegenüber.
Abgesehen davon, daß die Größe der Unternehmungen und die durch
sie geforderte strenge Disziplin die Ankniipsung persönlicher Bezie-
hungen sehr erschweren, bilden die Besitz- und Bildungsunterschiede
zwischen beiden Klassen eine Kluft, welche um so mehr empfunden
wird, als diese Unterschiede es dem Arbeiter in den meisten Industrie-
zweigen fast unmöglich machen, sich jemals zur Stellung des Unter-
nehmers eniporzuschwingen. Dazu kommt, daß der Lohn der Arbeiter
mit deren erheblich gesteigerten Ansprüchen an die Lebenshaltung
nicht gleichen Schritt hielt, und daß die gesteigerte Volksbildung den
Arbeitern das Bewußtsein ihrer untergeordneten und vielfach gedrück-
ten Lage gab.
Die Frage, wie dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen Arbeiter- 120z
schaft und Unternehmertum zu überbrücken und damit der soziale
Friede wiederherzustellen ist, wird als die Arbeiterfrage be-
zeichnet. Ihre Lösung ist eine der wichtigsten Aufgaben der heutigen
Zeit.
Anfänglich glaubte die Staatsgewalt, in dem geschilderten Kampf
sich neutral halten zu müssen; aber bald überzeugte man sich, daß
die Arbeiterbevölkerung eines besonderen staatlichen Schutzes bedarf.
So entstand die sog. A r b e i t e r s ch n tz g e s e tz g e b u n g (s. Nr. 1204
1209 u. folg.), welche bezweckt, den Arbeitern durch Sicherung von
Leben und Gesundheit die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sowie die
Arbeiterversichernng (s. Nr. 1064), mittels welcher die von
Krankheiten, Unfällen oder Invalidität betroffenen Arbeiter durch
Geldmittel unterstützt und ihre Arbeitsfähigkeit, soweit möglich, wie-
derhergestellt wird.
Abgesehen von der Staatshilse, welche doch nur in den dringend- 1205
sten Fällen Platz greisen kann, ist die Arbeiterschaft zur Verbesserung
ihrer wirtschaftlichen Lage aus ihre eigene Kraft, die S e l b st h i l s e,
angewiesen. Eine solche Selbsthilfe ist aber, da der einzelne Lohn-
arbeiter dem Unternehmer gänzlich machtlos gegenübersteht, nur
möglich bei gemeinsamem Vorgehen, das ihrem Verlangen Nachdruck
396
Das Wirtschaftsleben
Verleiht. Das Gesetz sichert daher den Arbeitern die sog. Koali-
tionsfreiheit zu, d. h. das Recht, sich zum Schutze ihrer gemein-
samen Interessen zu Verbänden zusammenzuschließen. Diese Arbei-
terverbände heißen Gewerkschaften oder Gewerkvereine?
Ursprünglich bestand ihre Hauptaufgabe in der Bildung von Hilfs-
kaffen zur Unterstützung ihrer Mitglieder in den Fällen der Krank-
heit, der Invalidität und des Todes. Dieser Zweck ist jedoch seit
Durchführung der staatlichen Arbeiterversicherung in den Hintergrund
getreten, und die Gewerkschaften verfolgen seither vorwiegend die
Aufgabe, durch Einrichtung von Arbeitsnachweisan st alten
ihre Mitglieder unentgeltlich über die sich bietenden Arbeitsgelegen-
heiten zu unterrichten, die beschäftigungslosen Arbeiter zu unter-
stützen nnb besonders auf Festsetzung günstiger Arbeitsbedingungen
hinzuwirken. Dem letzteren Ziele dienen vornehmlich die „A u s -
st ä n d e" oder „Streik s", d. h. Arbeitseinstellungen in großem
Maßstabe behufs Erzwingung höherer Löhne, kürzerer Arbeitszeit
oder sonstiger besserer Arbeitsbedingungen? Solche Streiks werden
ermöglicht dadurch, daß die Arbeiter in die Gewerkschaftskasse wöchent-
liche Beitrüge zahlen zur Bildung eines Streikfonds, aus welchem
während der Dauer der Arbeitseinstellung die Mitglieder Unterstüt-
zungen erhalten; sie sind häufig berechtigt, uni begründete Forderun-
gen der Arbeiter durchzusetzen, nicht selten aber werden sie mutwillig
ins Werk gesetzt und bringen dann zwecklos zahlreiche Familien in
Not und Entbehrung. Sie verschärfen auf beiden Seiten die Erbit-
terung und fügen der Industrie häufig unberechenbaren Schaden zu;
denn die davon betroffenen gewerblichen Betriebe verlieren, abgesehen
von dem durch ihren Stillstand verursachten Verlust an Kapital und
Arbeitskraft, infolge der Ausstände leicht dauernd ihre Absatzgebiete,
worunter selbstverständlich wieder die Arbeiter mit leiden, mögen
sie auch aus dem Streike als Sieger hervorgegangen sein.
Staat und Gesellschaft haben mithin die Aufgabe, nach Kräften
aus eine Vermeidung und schnelle Beseitigung der Streiks hinzu-
wirken. Es steht zu hoffeu, daß in dieser Richtung die Gewerbegerichte *
* In Deutschland haben sich die Gewerkschaften zu ihrem Schaden
größtenteils nicht als rein wirtschaftliche sondern zugleich als politische Ver-
einigungen entwickelt. So gibt es die freisinnigen sog. Hirsch-Dun-
ckerschen Gewerkvereine, die sozialdemokratischen sog. freien
Gewerkschaften und die christlichen Gewerkschaften.
9 Die Erzwingung der Teilnahme an einem Streik gegenüber Ar-
beitswilligen ist verboten. Das sog. S t r e i k p o st e n st e h e n, d. h. das
Wachestehen, um die am Streik sich nicht beteiligenden Arbeiter (die sog.
Streikbrecher) an der Fortsetzung der Arbeit zu hindern, ist strafbar,
sofern dabei gegen die Arbeitswilligen Gewalt, Drohungen oder Beschim-
pfungen angewendet werden.
Das Gewerbewesen
397
(s. Nr. 577), welche zur Beilegung der Ausstände von beiden Seiten
als sog. Einigungsämter angerufen werden können, eine im-
mer segensreichere Tätigkeit entsalten. In einzelnen Gewerben ferner
(z. B. im Buchdruckergewerbe) haben sich die sämtlichen Arbeiter und
Unternehmer bereits zu sog. Tarisgemeinschaften vereinigt,
in denen Arbeitslöhne und Arbeitszeit genau geregelt sind. Mit der
fortschreitenden Ausbildung der Gewerkschaften werden voraussichtlich
solche Gemeinschaften mehr und mehr gebildet und damit die Streiks
hoffentlich immer seltener werden.
2. Die Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter
im allgemeinen.
Das Verhältnis zwischen den Arbeitern und Arbeitgebern ist im
allgemeinen durch freie Uebereinkunft geregelt. Der Arbeits-
vertrag kann, wenn nichts anderes vereinbart ist, bei Gesellen und
Gehilfen mit vierzehntägiger Feist von jedem Teil ausgekündigt
werden. Bei den sog. Betriebsbeamten (Werkmeistern, Technikern,
Chemikern, Zeichnern u. dgl.) kann die Kündigung nur mit sechs-
wöchiger Frist und nur auf Schluß des Kalendervierteljahres erfolgen.
Gewisse wichtige Gründe berechtigen jedoch zur sofortigen Lösung
jedes Arbeitsverhältnisses. Unberechtigter Austritt und unberechtigte
Entlassung verpflichten den Vertragsbrüchigen Teil zur Entschä-
digung.^
Die Lohnzahlung muß bar geschehen. Verboten ist die
Zahlung in Waren (das sog. „T r u ck s y st e m", von dem
englischen Worte trucll— Tausch), da bei dieser Zahlungsart dem
Arbeiter Waren, welche er nicht brauchen kann, zu hohem Preise auf-
gedrängt werden könnten. Die Arbeitgeber dürfen ferner ihren
Arbeitern keine WarenausKredit verkaufen; doch ist ihnen die
Verabfolgung von Lebensmitteln, Wohnung, Feuerung u. dgl., sowie
von Werkzeugen und Arbeitsstoffen zum Selbstkostenpreis unter An-
rechnung aus den Lohn gestattet. Der noch nicht verdiente oder noch
nicht fällige Arbeitslohn darf in der Regel nicht gepfändet werden,
soweit er nicht für das Jahr die Summe von 1500 M. übersteigt.
Minderjährige (s. Nr. 344) Personen dürfen als Arbeiter nur
beschäftigt werden, wenn sie mit einem polizeilich ausgefertigten
Arbeitsbuch versehen sind. Der Arbeitgeber bewahrt es aus und
bescheinigt darin die Art und Dauer der Beschäftigung. Die Aus-
stellung des Arbeitsbuchs geschieht regelmäßig nur auf Antrag oder
mit Zustimmung des Vaters oder Vormunds; an diese wird es auch 10
10 Die gewerblichen Streitigkeiten zwischen den Arbeitgebern und ihren
Arbeitern oder zwischen den Arbeitern desselben Arbeitgebers werden von
den Gewerbegerichten entschieden. Hierüber siehe Nr. 577.
1209
1210
398
Das Wirtschaftsleben
in der Regel bei Beendigung des Arbeitsderhältnisses ausgefolgt. Für
minderjährige Fabrikarbeiter sind ferner zumeist besondere Lohn-
zahlungsbücher auszustellen, welche den Eltern und Vormün-
dern die Höhe des jeweiligen Verdienstes ersichtlich machen sollen.
Bei ihrem Austritt können alle Arbeiter ein Z e u g n i s über die
Art und Dauer ihrer Beschäftigung, sowie auch über ihre Führung
fordern.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Gesetzesbestimmung, wonach
die Gewerbeunternehmer verpflichtet sind, in ihren Betrieben alle
Einrichtungen zu treffen, welche zur Sicherung von Leben, Gesund-
heit und Sittlichkeit ihrer Arbeiter erforderlich sind. Was in dieser
Hinsicht im einzelnen zu geschehen hat, kann der Bundesrat vor-
schreiben, und er hat demgemäß auch für die einzelnen Gewerbszweige,
Fabriken usw. besondere, sehr eingehende Schutzvorschriften
erlassen, die sich nicht nur aus die Einrichtung, Lüftung und Reini-
gung der Arbeitsräume und aus die Anbringung von Schutzvorrich-
tungen an Maschinen usw. beziehen, sondern auch die zu gewährenden
Arbeitspausen regeln und für manche Gewerbszweige (z. B. für
Bäckereien und Wirtschaften) auch die höchstens zulässige Arbeitszeit
vorschreiben (sog. Maximalarbeitstag).
Auch die für Körper, Geist und Gemüt gleich notwendige Sonn-
tagsruhe ist für die Arbeiter eingehend gesetzlich geregelt, indem
in fast allen industriellen Gewerben die Sonntagsarbeit ganz unter-
sagt ist, während im stehenden Handelsgewerbe die Gehilfen, Lehr-
linge und Arbeiter an den hohen Feiertagen überhaupt nicht, im
übrigen aber an Sonn- und Feiertagen nicht länger als fünf Stun-
den beschäftigt werden dürfen. Doch sind mancherlei Ausnahmen
(z. B. für Notfälle und in der Weihnachtszeit) gestattet, und für die
näheren Festsetzungen ist im Hinblick aus die Verschiedenheit der ört-
lichen Bedürfnisse den Ortsbehörden und den staatlichen Verwaltungs-
behörden ein erheblicher Spielranm belassen.
Diese Vorschriften über die gewerbliche Sonntagsruhe bezwecken
zwar zunächst nur den Schutz der Arbeiter, Gehilfen usw.; sie kommen
aber auch den selbständigen Gewerbetreibenden zugute, und sind über-
haupt für die Allgemeinheit von Bedeutung, weil das Gesetz bestimmt,
daß zu den Stunden, an welchen im Handelsgewerbe die Gehilfen
usw. nicht beschäftigt werden dürfen, auch die Verkaussläden geschlossen
bleiben müssen.
3. Die Lehrlinge, Gesellen und Meister.
Die L e h r l i n g e sind der väterlichen Zucht des Lehrherrn unter-
worfen; dieser hat die Pflicht, sie gehörig zu unterweisen und zn
beaufsichtigen, sowie zum Besuch der Fortbildungs- oder Fachschule
Das Gewerbewesen
399
anzuhalten. Das Halten einer zu großen Anzahl von Lehr-
lingen kann untersagt, auch kann unzuverlässigen Personen die
Befugnis zur Beschäftigung von Lehrlingen entzogen werden. Per-
sonen, die sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden
(s. Nr. 228), dürfen überhaupt keine Lehrlinge halten. Jeder Lehr-
vertrag ist schriftlich abzuschließen. Während einer Probezeit,
welche mindestens vier Wochen und höchstens drei Monate währt, kann
das Lehrverhältnis von jedem Teil einseitig gelöst werden; später ist
dies nur aus bestimmten Gründen, namentlich beim Uebergang des
Lehrlings in ein anderes Gewerbe, gestattet. Ein die Lehre unbefugt
verlassender Lehrling kann binnen einer Woche polizeilich zur Fort-
setzung der Lehre angehalten werden. Die unberechtigte Auslösung
des Lehrvertrags verpflichtet den Vertragsbrüchigen Teil zum Scha-
densersatz. Nach Beendigung der Lehre erhält der Lehrling ein
Lehrzeugnis oder einen von der Innung ausgestellten Lehr-
brief.
Neben diesen allgemeinen Bestimmungen bestehen siir die
Handwerkslehrlinge besondere, ihre gründliche Ausbildung
bezweckende Vorschriften. Für sie kann die Dauer der Lehrzeit in den
einzelnen Gewerbezweigen von der Handwerkskammer (s. Nr. 1201)
festgesetzt werden. Ferner sind für sie Gesellenprüfungen
eingerichtet, die von einem bei jeder Innung gebildeten, nötigenfalls
von der Handwerkskammer errichteten P r ii f u n g s a u s s ch u ß
abgenommen werden. Die Lehrlinge sind zur Ablegung dieser Prü-
fung nicht verpflichtet, sollen aber dazu angehalten werden.
Zum Halten von Lehrlingen in Handwerksbetrieben sind seit dem
1. Oktober 1908 im allgemeinen nur solche Personen berechtigt, welche
über 24 Jahre alt sind und eine Meisterprüfung bestanden haben.
Haben sie die Meisterprüfung nicht für das Gewerbe oder den Ge-
werbszweig bestanden, in dem die Anleitung der Lehrlinge erfolgen
soll, so haben sie die Befugnis dann, wenn sie in diesem Gewerbe oder
Gewerbszweige entweder die Lehrzeit zurückgelegt und die Gesellen-
prüfung bestanden, oder fünf Jahre hindurch persönlich das Hand-
werk selbständig ausgeübt haben oder während der gleich langen Zeit
als Werkmeister oder in ähnlicher Stellung tätig gewesen sind.
Personen, die am 1. Oktober 1908 die Befugnis zur Anleitung
von Lehrlingen auf Grund der bisherigen Bestimmungen besaßen,
dürfen ihre Lehrlingen auslehren. Sind sie in diesem Zeitpunkte
mindestens fünf Jahre hindurch mit der Befugnis zur Anleitung von
Lehrlingen in ihrem Gewerbe tätig gewesen, so m u ß, andernfalls
kann ihnen auf ihren Antrag die weitere Befugnis dazu verlieheu
werden.
400
Das Wirtschaftsleben
1217 Den Meistertitel in Verbindung mit der Bezeichnung eines Hand-
werks dürfen seit dem 1. Oktober 1908 nur Handwerker führen, die für
dieses Handwerk die M e i st e r p r ii f u n g vor einer besonderen (von
der Staatsverwaltungsbehörde bestellten) Prüfungskommission be-
standen haben und über 24 Jahre alt sind."
4. Die Fabrikarbeiter. — Der Kinderschutz.
1218 a. Für Fabriken und fabrikähnliche Betriebe, in welchen in der
Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, hat der Arbeitgeber
nach Anhörung der in der Fabrik beschäftigten volljährigen Arbeiter
eine für beide Teile verbindliche Arbeitsordnung zu erlassen,
welche besonders Bestimmungen enthält über die Einteilung und
Dauer der Arbeit, über die Zeit und Art der Lohnzahlung, über die
Kündigungsfristen, über die Höhe und Verwendung der wegen Ver-
stößen gegen die Fabrikordnung festzusetzenden Geldstrafen u. dgl.
In größeren Betrieben wählen in der Regel die Arbeiter eine Anzahl
von Vertrauensmännern, den sog. Arbeiterausschuß, welcher
die Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten hat. Wo ein
solcher Ausschuß besteht, ist er vor Erlassung der Arbeitsordnung zu
hören, und zu gewissen Festsetzungen derselben ist seine Zustimmung
notwendig. Die Arbeitsordnung muß der unteren Verwaltungs-
behörde eingereicht, jedem Arbeiter bei seinem Eintritt ausgehändigt
und in der Fabrik öffentlich ausgehängt werden.
1219 b. Die Arbeitszeit ist (abgesehen von den bei Nr. 1211
erwähnten Bestimmungen für einzelne Betriebe) gesetzlich nur für
jugendliche Arbeiter und für Arbeiterinnen geregelt, und zwar folgen
dermaßen: Kinder, welche noch nicht 13 Jahre alt oder noch
schulpflichtig sind, dürfen in Fabriken überhaupt nicht beschäftigt
werden. Bei Kindern zwischen 13 und 14 Jahren darf die Beschäfti-
gung täglich höchstens sechs Stunden, bei j u n g e n L e u t e n zwischen
14 und 16 Jahren täglich höchstens 10 Stunden dauern. Nachtarbeit
ist bei ihnen nicht zulässig; auch sind bestimmte Ruhepausen vorge-
schrieben. Arbeiterinnen über 16 Jahre dürfen nicht über
11 Stunden täglich (an den Tagen vor Sonn- und Festtagen nicht
über 10 Stunden und nur bis o1/? Uhr nachmittags) beschäftigt wer-
den; ferner weder bei Nachtzeit noch unterirdisch (in Bergwerken).
Wöchnerinnen dürfen vier Wochen nach der Niederkunft gar nicht, die
nächsten zwei Wochen nur dann beschäftigt werden, wenn ein ärztliches
Zeugnis dies für zulässig erklärt. Von manchen dieser Vorschriften
können die Verwaltungsbehörden in gewissen Fällen Ausnahmen
gestatten.
11 Jedoch sind die Handwerker, welche am 1. Oktober l9O8 die Befugnis
zur Führung des Meistertitels in Verbindung mit der Bezeichnung eines
Handwerks erworben hatten, zu seiner Führung auch fernerhin berechtigt.
Das Gewerbewesen
401
Endlich kann für einzelne, der Gesundheit oder Sittlichkeit be- 1220
sonders gefährliche Fabrikationszweige der Bundesrat die Beschäfti-
gung von jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen gänzlich unter-
sagen oder von besonderen Bedingungen abhängig machen. Von
dieser Befugnis hat er in vielen Fällen Gebrauch gemacht.
c. Es wurde bereits oben erwähnt, daß Kinder in Fabriken 1221
u. dgl. überhaupt nicht beschäftigt werden dürfen. Aber auch in
anderen gewerblichen Betrieben ist die Verwendung solcher noch nicht
13 Jahre alter oder noch schulpflichtiger Kinder durch ein besonderes
Kinderschutzgesetz stark eingeschränkt. Besonders streng sind
die sehr eingehenden Bestimmungen dieses Gesetzes hinsichtlich der
Beschäftigung fremder (d. h. nicht eigener) Kinder; sie ist keinesfalls
gestattet, bevor der Arbeitgeber für das Kind bei der Ortspolizei-
behörde eine besondere Arbeitskarte erwirkt hat.
5. B e st i m m u n g e n für offene Verkaufs st ellen.
Für das Laden- und Kontorpersonal ist gesetzlich nach beendeter 1222
Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens 10 Stunden (in Städten
von mehr als 20 000 Einwohnern bei Geschäften mit zwei oder mehr
Gehilfen oder Lehrlingen eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden)
sowie eine angemessene Mittagspause vorgeschrieben. Für Laden-
geschäfte mit zwanzig und mehr Gehilfen und Lehrlingen find ferner
Arbeitsordnungen zu erlassen, für welche entsprechende Be-
stimmungen wie für die Fabrikordnungen gelten.
Die Verkaufsläden dürfen regelmäßig nur von fünf Uhr 122z
morgens bis neun Uhr abends geöffnet fein. Außerhalb dieser Zeit
dürfen auch sonst an öffentlichen Orten Waren nicht seilgeboten wer-
den. Auf Antrag von zwei Dritteln der beteiligten Ladenbesitzer kann
aher von der Verwaltungsbehörde für alle oder einzelne Geschäfts-
zweige ein früherer Ladenschluß (jedoch nicht vor acht Uhr-
abends) oder eine spätere Ladenöffnung (jedoch nicht nach sieben Uhr
morgens) verfügt werden.
6. Die staatliche Aufsicht.
Zur Durchführung der den Schutz der Arbeiter bezweckenden 1224
Vorschriften, sind besondere G e w e r b e a u s s i ch t s b e a in t e be-
stellt. Die oberste Aufsicht über das gesamte Gewerbeaufsichtspersonal
Bayerns übt der Z e n t r a l i n s p e k t 0 r für Fabriken und
Gewerbe aus. Im übrigen ist Bayern in verschiedene Aussichts-
bezirke eingeteilt. Jeder Regierungsbezirk bildet zugleich einen Auf-
sichtsbezirk, nur Oberbayern und die Pfalz zerfallen in zwei Aufsichts-
bezirke. Für jeden Aufsichtsbezirk ist ein Gewerberat bestellt,
der seine Tätigkeit unter der Leitung des Zentralinspektors ausübt.
Zu Gewerberäten und als Zentralinspektor werden nur Bewerber
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 26
402'
Das Wirtschaftsleben
mit wissenschaftlicher Vorbildung ernannt, die entweder eine höhere
technische Lehranstalt absolviert haben lind praktisch tätig waren oder
mehrere Jahre eine größere gewerbliche Anlage mit technischem Be-
triebe geleitet haben.
7. Das Arbeiter museum.
Der Förderung des Arbeiterschutzes dient auch das K. Bayerische
A r b e i t e r m u s e u m zu München. Es hat vor allem die Be-
strebungen auf dem Gebiete des Arbeiterfchutzes zu fördern, empfeh-
lenswerte Neuerungen in bezug auf Unfallverhütung, Gewerbe-
Hygiene, Wohnungs- und Nahrungswesen zur Anschauung zu bringen,
neue Schutzvorrichtungen zu prüfen und ähnliches. Die nächste
Leitung hat einer der Gewerbeaufsichtsbeamten zu München. Die
oberste Aufsicht obliegt dem Ministerium des K. Hauses und des
Aeußern.
8. Kapitel.
Aerr Acrndet und der: Werrkebrt. §ns stncrtticbe
Muuwesen.
a. Der Handel.
1. Unter dem Handel versteht man bekanntlich die gewerbs-
mäßige Tätigkeit, welche Gewinn erzielen will durch Einkauf und
Wiederveräußerung von Gütern. Der Kaufmann nimmt dem Pro-
duzenten die Arbeit und das Risiko ab, sich selbst einen Konsumenten
zu suchen, und anderseits erleichtert er dem Konsumenten die Deckung
seines Bedarfs; so bildet er den vielfach unentbehrlichen Vermittler
zwischen beiden. Der Handel sucht die Ware da auf, wo sie in ver-
hältnismäßigem Ueberflusse vorhanden und daher billig ist, und ver-
bringt sie dahin, wo sie dringender begehrt und daher teuerer bezahlt
wird; er führt hierdurch eine zweckmäßige örtliche und zeitliche Ver-
teilung der Waren und zugleich eine teilweise Ausgleichung der ört-
lichen Preisverschiedenheiten herbei. Endlich wird er auch nicht mit
Unrecht ein Vorkämpfer der Kultur genannt, da vorwiegend er es ist,
der, wenn auch zunächst nur materiellen Interessen nachgehend, die
Verbindungen der Völker anknüpft und unterhält. Anderseits kommt
es allerdings auch nicht selten vor, daß der Handel in schädliche Spe-
kulationen ausartet und sich dadurch in Widerspruch setzt mit den
allgemeinen volkswirtschaftlichen Interessen/
1 Eine bei der heutigen industriellen Massenproduktion kaum zu ver-
meidende Heimsuchung des Handels bilden die zeitweise auftretenden
sog. Handelskrisen. Zumeist durch eine zu große Produktion von
Waren (Ueberproduktion) oder auch durch zu geringen Verbrauch derselben
Der Handel
403
2. Man unterscheidet den lediglich zwischen Kaufleuten betrie- 1227
denen Großhandel und den Klein- oder Detailhandel
zwischen Kaufleuten und Konsumenten. Zum Kleinhandel gehört
auch der H ö ck e r h a n d e l (von offenem Stand aus), der T r ö d e l-
handel (mit gebrauchten Sachen) und der bereits (bei Nr. 1196)
erwähnte Hausierhandel (ohne festen Verkaufsort, iru Um-
herziehen).
Dem iin Inlands betriebenen sog. Binnenhandel steht der
Außenhandel (Handel mit dem Auslande) gegenüber. Der
letztere heißt Einfuhr- oder Ausfuhrhandel, je nachdem
die Waren aus dem Auslande eingeführt oder aus dem Jnlande aus-
geführt werden. Werden die eingeführten Waren ohne weitere Be-
handlung wieder ausgeführt, so spricht man von Durchfuhr-
handel.
3. Wenn man den Gesamtwert der Warenausfuhr eines Landes 1228
dem Wert der gesamten Einfuhr gegenüberstellt, so erhält man die sog.
Handelsbilanz dieses Landes? Zeigt sich hierbei, daß der
Wert der ausgeführten Waren überwiegt, so nennt man die Handels-
bilanz eine aktive, im umgekehrten Falle eine passive. In frü-
herer Zeit (unter dem sog. Merkantilsystem, s. Nr. 950) hielt man eine
passive Handelsbilanz für ein sicheres Zeichen wirtschaftlichen Nieder-
gangs; denn man glaubte, daß bei einer solchen Bilanz nach und nach
alles Geld aus dem Lande fließen müsse, weil mehr an das Ausland
gezahlt als von dort eingenommen werde. Man suchte daher die Ein-
fuhr möglichst zu beschränken, begünstigte die Ausfuhr durch besondere
Ausfuhrprämien und verbot sogar die Ausfuhr von Bargeld. Von
dieser irrtümlichen Auffassung ist man jedoch zurückgekommen. Eine
passive Waren- oder Handelsbilanz ist nämlich keineswegs immer
gleichbedeutend mit einer ungünstigen Wirtschaftsbilanz 1229
überhaupt; denn für letztere kommt nicht nur der Warenverkehr in
Betracht; vielmehr ist auch zu berücksichtigen alles sonstige Einkom-
men, welches das Inland aus dem Auslande zieht, insbesondere aus
den im Ausland mit inländischem Gelde betriebenen industriellen und * *
(Unterkonsumtion) entstehend, haben sie Absatzstockungen und Rückgang der
Preise zur Folge, und dauern so lange, bis durch Einschränkung der Produk-
tion, Erstarkung der Konsumtions- oder Kaufkraft oder durch Erschließung
neuer Absatzgebiete das richtige Verhältnis zwischen Warenangebot und
Warennachfrage wiederhergestellt ist.
* Zum Zwecke der statistischen Feststellung des deut-
schen Warenverkehrs mit dem Auslande haben unsere
Zollbehörden über alle ein-, aus- und durchgeführten Waren genaue Auf-
zeichnungen zu machen. Zur Deckung der hierdurch erwachsenden Kosten
wird von den ein- oder ausgeführten nicht zollpflichtigen Waren eine niedrig
bemessene statistische Gebühr erhoben.
26*
404
Da§ Wirtschaftsleben
1230
1231
1232
Schiffahrtsunternehmungen, ferner an Zinsen für die in fremden
Ländern in Form von Staatsanleihen, Eisenbahnobligationen usw.
ausgelieheneu Kapitalien und endlich aus dem ausländischen Frem-
denverkehr iin Jnlande. So hat England feit vielen Jahren eine stark
passive Handelsbilanz, während feine Wirtfchaftsbilanz, besonders
weil feine Kapitalien in der ganzen Welt gewinnbringend arbeiten,
keineswegs ungünstig ist, wie schon der meist hohe Stand der Wechsel-
kurse aus London (s. Nr. 550 Anm.) zeigt. Aehnlich verhält es sich
mit unserer deutschen Wirtschaftsbilanz, obgleich auch wir ständig eine
Passive Handelsbilanz auszuweisen haben.
4. Die heutige Handelspolitik (s. Nr. 949) ist, da eine
unmittelbare staatliche Einwirkung aus den Handel seinem Wesen
widerstrebt, hauptsächlich auf Durchführung möglichster Han-
delsfreiheit gerichtet, d. h. sie ist bestrebt, den Handel frei von
den in früheren Zeiten ihm angelegten Hemmungen sich entwickeln zu
lassen. Die ehemaligen Einfuhr- und Ausfuhrverbote, Ausfuhr- und
Durchfuhrzölle sind daher fast völlig beseitigt, und Einfuhrzölle wer-
den nur in dem Umfange erhoben, wie dies zur Deckung der Staats-
ausgaben erforderlich oder zum Schutz der einheimischen Landwirt-
schaft und Industrie dringend geboten erscheint.
Die vom Deutschen Reich mit einer Reihe von Staaten (besonders
mit Oesterreich-Ungarn, Rußland, Italien, der Schweiz, Belgien,
Serbien und Rumänien) meist auf die Dauer von 10—12 Jahren
abgeschlossenen Handelsverträge verfolgen den Zweck, die Aus-
fuhr unserer Erzeugnisse nach diesen Ländern für eine Reihe von
Jahren rechtlich zu sichern und gegen Zollerhöhungen zu schützen. In
manchen dieser Verträge ist die Höhe der beiderseits zulässigen Ein-
fuhrzölle für die verschiedenen Warengattungen einzeln bestimmt,
während andere Handelsverträge in dieser Hinsicht nur die sog.
M e i st b e g ü n st i g u n g s k l a u s e l, d. h. die Bestimmung enthal-
ten, daß alle Rechte imb Vergünstigungen, welche der eine Vertrags-
staat einem dritten Staate eingeräumt hat oder künftig ein-
räumen wird, ohne weiteres auch dem andern Vertragsstaate zu-
gestanden sein sollen.
Für die Fachbildung der Kaufleute wird durch staatliche Errich-
tung oder Unterstützung von kaufmännischen Fachschulen
(s. Nr. 792) gesorgt.
Eine feste Rechtsordnung für die Handelsverhältnisse, das Han-
delsrecht (s. Nr. 527), gibt dem Handel eine starke Stütze, und
ihm dient endlich auch, teils ausschließlich, teils vorwiegend, die be-
reits früher besprochene Gesetzgebung über Börsen (Nr. 1049),
Maße und Gewichte (Nr. 1057) und über das M ü n z w e s e n
(Nr. 1008).
Die Eisenbahnen
405
5. Für die Förderung und Vertretung der Interessen des Handels iazz
und der Gewerbe, der Industrie und des Bergbaus sind in Bayern
Handelskammern und Handelsgremien gebildet.
Für jeden Regierungsbezirk hat mindestens eine Handelskammer zu
bestehen. Die Handelsgremien werden für einzelne Orte oder kleinere
Bezirke, in denen ein Bedürfnis besteht, errichtet. Die Handels-
kammern bestehen aus gewählten Mitgliedern und aus Abgeordneten
der Handelsgremien.
Wahlberechtigt sind die Interessenten des Bezirkes der Kammer. 1234
Bei den Handelskammern bestehen Ausschüsse der Kleingewerbe-
treibenden und der Handlungsgehilfen und der technischen Ange-
stellten. Für die Handelsgremien sind wahlberechtigt die Inter-
essenten des Bezirks des Gremiums. Die Handelskammern sind dem
Ministerium des K. Hauses und des Aeußern untergeordnet, sie
wählen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Den Sitzungen wohnt
ein von der Kammer des Innern der einschlägigen Regierung er-
nannter Kommissär bei. Die Handelskammern haben sich zu dem
Bayerischen Handelskammertag zusammengeschlossen.
B. Die Eisenbahnen.
1. Die seit dem vierten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts 1 1235
entstandenen Eisenbahnen waren in den meisten Staaten z u -
nächst Privat unternehm ungen. Als sich aber bald ihre
außerordentliche Bedeutung für den Verkehr herausstellte, der durch
sie eine völlige Umwälzung erfuhr, und als sich zeigte, daß die Bahn-
gesellschaften naturgemäß mehr ihre eigenen Interessen als die
des Verkehrs verfolgten und nur die gewinnbringenden Strecken aus-
bauten, übernahmen die meisten Staaten die Privatbahnen und gin-
gen dauernd zu dem Staatsbahnsystem über. Dieses System
ermöglicht eine gleichmäßige Verteilung des Eisenbahnnetzes über das
ganze Land und die volle Berücksichtigung der Verkehrsinteressen; es
wahrt zugleich besser das militärische Interesse für den Kriegsfall und
ist überdies (wenigstens in manchen Staaten, z. B. in Preußen) eine
wichtige Einnahmequelle des Staates geworden.
Heutzutage sind in Deutschland die dem größeren Fernverkehr I236
dienenden sog. Hauptbahnen oder V 0 I l b a h n e n fast aus-
schließlich Staatsbahnen, desgleichen überwiegend die sog. Neben-
bahnen (Sekundärbahnen), welche die einzelnen Landesteile an die *
* Die erste Eisenbahn trat im Jahre 1825 in England
(zwischen den Städten Stockton und Darlington) ihre Fahrt an. I n
Deutschland wurde die erste Eisenbahn (zwischen Nürnberg und Fürth)
im Jahre 1835 eröffnet.
406
Das Wirtschaftsleben
Hauptbahnen tlnd darnit an den Fernverkehr anschließen sollen. Die
meist schmalspurig gebauten sog. Kleinbahnen (Lokalbahnen)
dagegen, welche für den allgemeinen Verkehr nur geringe Bedeutung
haben und hauptsächlich den örtlichen Verkehr innerhalb eines Ge-
meindebezirks oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln, befin-
den sich vielfach im Eigentum und Betrieb von privaten Bahngesell-
schaften.
2Z7 Die Staatsbahnen gehören den einzelnen Bundesstaaten. Das
Reich besitzt eigene Eisenbahnen nur in Elsaß-Lothringen; sie werden
von der Generaldirektion zu Straßburg geleitet und stehen unter der
Aufsicht eines besonderen Reichsamts für die Verwal-
tung der Reichseisenbahnen.
238 2. Nach der Reichsversassung sollen die Eisenbahnen wie ein
einheitliches Netz angelegt, ausgerüstet und verwaltet
werden; diese Bestimmung gilt allerdings für Bayern nicht, allein
Bayern hat freiwillig über die einschlägigen Punkte Bestimmungen
erlassen, die den für das übrige Reich erlassenen im wesentlichen
gleichen. Demzufolge bestehen eine Eisenbahn-Bau- und Be-
triebsordnung für das Reich und eine Eisenbahn-Bau- und
Betriebsordnung für Bayern, die beide die technische Seite des Be-
triebs regeln und die der Aufrechterhaltung der Ordnung dienenden
Bahnpolizeivorschriften enthalten,^ weiter Signalordnungen
für das Reich und für Bayern. Daneben wurde die Eisenbahn-
verkehrsordnung erlassen, die mit einigen Zusätzen auch in
Bayern eingeführt wurde; sie enthält die Bestimmungen über die
Beförderung von Personen und Gütern und setzt insbesondere die
hieraus für die Eisenbahn und das sie benutzende Publikum ent-
stehenden Rechte und Pflichten fest? Die Aufsicht über die Durch-
führung dieser Vorschriften wird für das Reich, abgesehen von
Bayern, durch das dem Reichskanzler unterstellte R e i ch s eisen-
bahnamtzu Berlin geübt. Für Bayern tritt an dessen Stelle auch
insoweit das Verkehrsministerium.
239 Die Beförderung der Personen und Güter geschieht nach festen
Vergütungssätzen, den sog. Tarifen, deren Ausstellung an sich
den einzelnen Bundesstaaten zusteht; doch haben die in dem „Verein
deutscher Eisenbahnverwaltungen" verbuudenen deutschen Eisenbahnen *
* Auf die vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung von Eisenbahntrans-
porten sind im Strafgesetzbuch schwere Strafen gesetzt.
3 Ueber die Schadensersatzpflicht der Bahnen für die
bei ihrem Betriebe sich ereignenden Tötungen und Gesundheitsbeschä-
digungen s. Nr. 411.
Die Eisenbahnen
407
Normalgütertarife 4 vereinbart, und auch über Einführung eines ein-
heitlichen Perfonentarifs ist nunmehr zwischen den deutschen Regie-
rungen ein Abkommen getroffen worden?
Der Eisenbahn frachtverkehr mit dem Aus-
lande ist durch ein zwischen fast allen Staaten des europäischen
Festlandes zu Bern abgeschlossenes internationales Uebereinkommen
geregelt.
3. Die oberste Leitung nnd Verwaltung der bayerischen Staats- 1240
eisenbahnen obliegt dem Verkehrsmini st eri um (s. Nr. 195).
Unter diesem stehen sechs Eisenbahndirektionen; letztere
haben innerhalb ihres Bezirkes, ebenso wie das Verkehrsministe-
rium für das ganze Land, die gesamte Verwaltung der Staats-
eisenbahnen, der staatlichen Schifsahrts- und Kanalbetriebe und der
staatlichen Kettenschleppschissahrt. Sie haben weiter aber auch die
Aufsicht aus Privateisenbahnen, sowie über den Privatbetrieb mit
Dampfschiffen, die durch eigne Triebkraft bewegt werden, zu führen.
An der Spitze jeder Eisenbahndirektion steht ein Präsident.
Einzelne Geschäftsaufgaben sind aus dem Bereich der Eisenbahn- 1241
direktionen ausgenommen; für sie sind besondere Aemter bestellt, die
die ihnen zugewiesenen Angelegenheiten für das ganze Land oder doch
für das ganze rechtsrheinische Bayern besorgen, so ein Reklama-
tion s a m t der Staatseisenbahnen rechts des Rheins für die Er-
ledigung der Entschädigungsansprüche aus dem Frachtvertrag, ein
Verkehrsamt der Staatseisenbahnen rechts des Rheins für
Fahrplan- und Personentarissangelegenheiten, ein Tarif amt der
Staatseisenbahnen rechts des Rheins für das Gütertarifwesen, ein
Maschinenkonstruktionsamt, ein Baukon st ruk-
tionsamt, ein Versicherungsamt für die Arbeiterver-
sicherung u. a.
Für die Ausführung und Ueberwachung des örtlichen Dienstes, 1242
sowie zur Erledigung bestimmter Verwaltungsgeschäfte sind I n -
spektionen errichtet, und zwar Betriebsinspektionen
für den Betriebs-, Verkehrs-, Abfertigungs- und Kassendienst, B a u -
Zur Begünstigung des Transports von Massenerzeugnissen (wie
z. B. Kohlen, Holz, Getreide) aus oder nach abgelegenen Landesteilen dienen
die sog. Staffeltarife, d. h. Tarife, nach welchen die Fracht mit der
Länge der Beförderungsstrecke stufen- oder staffelweise verhältnismäßig
niedriger wird.
° Eine Betriebsmittelgemeinschast, d. h. eine Verein-
barung über gemeinschaftliche Benutzung des gesamten Wagenmaterials, der
Lokomotiven usw., war beabsichtigt; sie ist jetzt wenigstens teilweise in einer
Güterwagengemeinschast erreicht worden. Sie wird vielleicht
die Vorläuferin einer vollständigen Betriebsgemeinschast sein,
wie sic bereits bei Gründung des Reichs geplant war.
408
Das Wirtschaftsleben
Inspektionen für die Unterhaltung der Bahnanlagen und für
Neubauten, M a f ch i n e n i n f p e k t i o n e n für den Zugbeförde-
rungs- und Wagenaufsichtsdienst u. a. Den Betriebsinfpektionen
sind die Bahn- und Güterstationen, die Lokalbahnbetriebsleitungen
und die amtlichen Auskunftsstellen, den Bauinfpektionen die Bahn-
meistereien und Brückenmeistereien und den Mafchineninfpektionen
die Betriebswerkstätten, die Lokomotivstationen und andere Organe
unterstellt?
124z Dem Verkehrsministerium ist der L a n d e s e i s e n b a h n r a t
beigegeben. Er besteht aus achtundzwanzig Mitgliedern, die vom
König ernannt werden. Es können hierbei gewisse Interessenver-
tretungen Mitglieder vorschlagen, so die Handelskammern und die
Kreisausschüsse des landwirtschaftlichen Vereins. Der Landeseisen-
bahnrat hat die Ausgabe, in wichtigen, den Handel, die Gewerbe oder
die Landwirtschaft berührenden Fragen des Eisenbahnbetriebs, der
staatlichen Schifsahrts- und Kanalbetriebe und der staatlichen Ketten-
schleppschiffahrt Gutachten abzugeben. Er wird jährlich mindestens
zweimal berufen; den Vorsitz führt der Verkehrsminister oder ein von
ihm bestellter Stellvertreter.
1244 4. Die Mittel zum Bau der staatlichen Eisenbahnen wer-
den in Bayern in der Regel durch Anlehen ausgebracht, so entstand die
sog. Eisenbahnschuld (s. Nr. 1443). Bahnen von bloß ört-
licher Bedeutllng führt der Staat nur dann aus, wenn die
Interessenten mindestens den für den Bahnbau und dessen Zubehör
nötigen Grilnd und Boden kostenfrei gur Verfügung stellen.
1245 Die Erbauung von E i s e n b a h n e n , die als öffentliche
Transportmittel dienen sollen, durch Private, setzt in Bayern
die Bewilligung der Staatsregierung voraus. Die Bewilligung wird
in zwei Stufen erteilt, zunächst zu den Vorarbeiten durch das Ver-
kehrsministerium, die Projektierungskonzession, dann zum Bau und
Betrieb selbst durch den König, die Eisenbahnkonzession. Die Bewil-
ligung zum Bau und zum Betrieb wird nur aus bestimmte Zeit, und
zwar höchstens aus neunundneunzig Jahre erteilt.
° Die Verwendung im höheren Dienst der bayerischen
Staatseisenbahnen hat das Bestehen der praktischen Prüfung für
den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst, den Staatsbaudienst oder der
höheren maschinentechnischen Dienstprüsung zur Voraussetzung. Wegen
der Prüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst s. Nr. 207
Anm. 2, wegen der Prüfung für den Staatsbaudienst sst Nr. 1254 Anm. 1;
die Zulassung zur höheren maschinentechnischen Dienstprüsung erfordert das
Reifezeugnis eines humanistischen oder eines Realgymnasiums oder einer
bayerischen Oberrealschule, das Diplom der Technischen Hochschule in
München für Maschinen- oder für Elektroingenieure und eine zweieinhalb-
jährige praktische Tätigkeit im Dienst der bayerischen Staatseisenbahnen.
Die Eisenbahnen
409
c. Post und Telegraphie.
' 1. Mit der Gründung des Reichs wurde das deutsche Post- und 1246
Telegraphenwesen, das vorher in einem Zustande völliger Zersplitte-
rung sich befunden hatte, für das Reichsgebiet als einheitliche, unter
der obersten Leitung des Kaisers stehende Verkehrsanstalt eingerichtet
und seither als solche verwaltet. Die Gesetzgebung aus diesem Ge-
biete steht daher dem Reiche zu. Die Ueberschiisse aus den Einnah-
men fließen in die Reichskasse. An ihnen haben jedoch Bayern
und Württemberg keinen Anteil. Diese beiden Länder haben
nämlich als sog. Reservatrecht (s. Nr. 45) ihre eigene Post- und Tele-
graphenverwaltung (Bayern auch eigene Marken) behalten und
regeln hiernach ihren inneren Post- und Telegraphenverkehr, sowie
den mit den benachbarten ausländischen Staaten selbständig.
Der außerordentliche Aufschwung des Postwesens erstreckte sich 1247
(hauptsächlich dank der verdienstvollen Tätigkeit des deutschen Ge-
neralpostmeisters von Stephan, gestorben 1897) auch aus den inter-
nationalen Verkehr. Der aus Deutschlands Anregung abgeschlossene
Weltpo st der ein umfaßt alle zivilisierten Länder der Erde.
Innerhalb seines ganzen Gebiets werden Briese, Postkarten, Druck-
sachen usw. unter gleichmäßigen Bedingungen zu einheitlichen, nie-
drigen Sätzen versandt, so daß man z. B. bekanntlich einen Brief für
20 Ps. in die entferntesten Länder und Erdteile schicken kannst Auch
über den Austausch von Wertbriefen, Postanweisungen, Paketen, Post-
austrägen usw. sind zwischen den wichtigsten der beim Weltpostverein
beteiligten Staaten Vereinbarungen abgeschlossen worden. In ähn-
licher Weise ist die telegraphische Beförderung durch einen inter-
nationalen Telegraphenvertrag geregelt; dieser wird
ergänzt durch einen internationalen Funkentelegraphen-
vertrag.
2. Die Organisation der Behörden der Reichspost - 1248
Verwaltung ist diese: Oberste Reichsbehörde ist das von einem
Staatssekretär geleitete Reichspostamt zu Berlin. Unter ihm
stehen 41 Oberpo st direktionen mit je einem Oberpostdirek-
tor an der Spitze. Der unmittelbare Post- und Telegraphenbetrieb
wird von den Postämtern (I., II. und III. Klasse) besorgt, welche
von Postdirektoren, Postmeistern oder Postverwaltern geleitet werden;
in größeren Städten bestehen besondere Telegraphen- und
T e l e p h 0 n ä m t e r. In kleineren Orten sind P 0 st a g e n t u r e n * 20
Auf Grund einer mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika
getroffenen Vereinbarung beträgt seit 1. Januar 1909 für die auf dem
direkten Seeweg auszutauschenden Briefe das Porto nur 10 Pf. für k
20 Gramm.
410
Das Wirtschaftsleben
1249
1250
1251
1252
oder Po st Hilfsstellen eingerichtet, deren Besorgung ange-
sehenen Ortseinwohnern übertragen wird. Die höheren Postbeamten
werden vom Kaiser ernannt.
3. Die oberste Leitung des Post- und Telegraphenwesens in
Bayern steht dem Verkehrsministerium (s. Nr. 195) zu. Unter
diesem stehen acht O b e r p 0 st d i r e k t i 0 n e n. Letztere haben
innerhalb ihres Bezirks die gesamte Verwaltung des Post- und Tele-
graphenwesens. An der Spitze steht der Oberpostdirektor. Aehnlich
wie bei den Eisenbahnen sind auch hier für die Erledigung einzelner
Angelegenheiten Aemter errichtet, deren Zuständigkeit das ganze
Land umfaßt, so ein R e v i s i 0 n s a m t für die Rechnungsprüfung,
ein V e r I a g s a ui t für Post- und Gebührenmarken, ein Tele-
graphenkonstruktionsamt für das technische Telegraphen-
und Telephonwesen u. a.
Als äußere Dien st st eilen stehen unter den Oberpost-
direktionen die Post-, Telegraphen- und Telephonämter, die Post-
agenturen, die Posthilfsstellen, die sonstigen Telegraphenanstalten
und die Postställe.
4. Damit die Post ihre Aufgabe als gemeinnützige, dem Verkehr
dienende Anstalt voll erfüllen kann, mußten ihr gewisse Vorrechte ein-
geräumt werden. Dahin gehört der sog. Po st zwang (Postmono-
pol), wonach allein die Post berechtigt ist, verschlossene Briefe und
politische, öfter als einmal wöchentlich erscheinende Zeitungen gegen
Bezahlung zu befördern. Auch steht das Recht, Telegraphen- und
Telephonanlagen zu errichten und zu betreiben, allein der Telegra-
phenverwaltung zu. Doch sind in beiden Beziehungen einzelne Aus-
nahmen zugelassen. Funkentelegraphenanlagen dürfen nur mit Ge-
nehmigung des Reichs errichtet und betrieben werden.
Gegen vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdungen des
Telegraphenbetriebs bieten strenge, im Strafgesetzbuche ent-
haltene Strafbestimmungen Schutz.
Die Wahrung des Brief- und des Telegraphen-
geheimnisses ist allen Behörden und Beamten der Post- und
Telegraphenverwaltung zur strengsten Pflicht gemacht.
5. Sowohl im inneren bayerischen Verkehr wie ini deutschen
Wechselverkehr (d. h. für Postsendungen, die für Orte in anderen
deutschen Staaten bestimmt sind,) genießen in Bayern Porto-
freiheit und zwar für ankommende und abgehende Sendungen:
Die regierenden Fürsten des Deutschen Reichs, ihre Gemahlinnen und
Witwen, die Reichsbehörden in reinen Reichsdienstangelegenheiten,
die Militär-, die Reichs- und die Staatsbehörden in reinen Militär-
und Marineangelegenheiten, hierzu kommen aber nur für den inneren
Verkehr Bayerns die Mitglieder des K. Hauses. Außerdem bestehen
Post und Telegraphie
411
noch Portobefreiungen und Portovergünstigungen für Sendungen an
Militärpersonen.
Der P o st v e r k e h r der bayerischen öffentlichen 125z
Behörden und Organe ist darnach grundsätzlich portopflichtig. Um
aber den Behörden und Organen das Abfertigungsgeschäft zu er-
leichtern, werden bei Sendungen der Zivilstaatsverwaltungen mit
Ausnahme der Staatseisenbahnverwaltung die Postgebühren in der
Regel nicht einzeln entrichtet, sondern die Sendungen werden unfran-
kiert zur Post gegeben, dafiir aber entrichten die anderen Verwal-
tungen Baufchbeträge an die Postverwaltung. Es besteht sogenannte
Portoablösung.
d. Bauwesen, Wege- und Wasierrecht.
1. Die Behörden?
a. Die oberste Leitung des Staatsbauwesens, des Straßen- und 1254
des Wasserwesens obliegt in Bayern dem Ministerium des Innern.
Bei diesem ist zu diesem Zwecke eine besondere Abteilung, die
Ober st e Baubehörde, gebildet. Sie hat die Flußkarten und
die Beschreibungen der Verhältnisse der Straßen-, Brücken-.und Land-
bauten (die Straßen-, Brücken- und Landbaukataster) zu führen, die
Dienstinstrnktionen für das Staatsbailwesen auszuarbeiten, alle
Gegenstände technischer und finanzieller Art auf dem Gebiet des
Straßen-, Brücken-, Wasser- und Hochbauwesens, die sich bei den
sämtlichen Zivilstaatsministerien ergeben? zu bearbeiten, endlich den
gesamten Staatsbaudienst zu überwachen. Zur Erledigung von An-
gelegenheiten, die der Ausnützung der Wasserkräfte dienen, ist bei
der Obersten Baubehörde eine besondere Wasserkraft-Abtei-
lung errichtet, die sich auch mit der Abgabe von Gutachten über die
Ausnützung von Wasserkräften durch Private befaßt. *
* Wer in Bayern Anstellung im höheren Staatsbaudienst
finden will, muß ein humanistisches oder ein Realgymnasium oder eine
bayerische Oberrealschule absolviert, an der Technischen Hochschule den für
Hochbau- und Jngenieurwissenschasten vorgeschriebenen Unterricht besucht
und die Diplomprüfung (Absolutorialprüfung) mindestens mit der Note 3
bestanden haben, zwei Jahre bei Staatsbaubehörden praktisch tätig gewesen
sein — mit der Genehmigung der Obersten Baubehörde kann ein Teil der
Praxis auch bei Kreis- und Gemeindebauten genommen werden — und
endlich die praktische Staatsprüfung bestanden haben. Diese wird alljährlich
bei der Obersten Baubehörde, und zwar zum Teil mit besonderen Ausgaben
für die Kandidaten des Landbaufachs und des Jngenieurfachs abgehalten.
* Eine Einschränkung besteht für die Vcrkehrsverwaltung.
412
Das Wirtschaftsleben
255 b. Vollzugsbehörden sind zunächst die Kreisregierungen, Kam-
mern des Innern. Ihnen obliegt die Leitung und Beaufsichtigung
des Staatsbauwcsens, des Straßen- und Wasserwesens für einen
Regierungsbezirk. Für diese Zwecke sind bei den Regierungen R e -
g i e r u n g s- und Kreisbau rate und Regierungs- und
Kreisbauassessoren sowohl für das Landbatt- wie für das
Jngenieursach aufgestellt.
256 c. Die untersten Vollzugsbehörden sind die Distriktsverwaltungs-
behörden und die B a u ä m t e r. Es bestehen besondere Bauämter
für den Landbau, die Landbauämter; ihrer sind es stebenundzwanzig
und besondere Bauämter für den Straßen-, Brücken- und Wasserbau,
die Straßen- und Flußbauämter, vierundzwanzig an der Zahl. Die
Bauämter haben für die bauliche Unterhaltung der in ihrem Bezirk
befindlichen Bauten zu sorgen, die Herstellung neuer Bauten zu lei-
ten und den Bezirksämtern bei Ausiibung der Staaisaufsicht über
die Distrikte, Gemeinden und Stiftungen Gutachten zu erstatten.
Neben diesen allgemeinen Baubehörden bestehen einzelne be-
sondere Aemter für besondere Zwecke, zunächst
257 cl. das hydrotechnische B u r e a u in München, das der
Obersten Baubehörde als besondere Abteilung beigegeben ist. Der
Vorstand führt die Bezeichnung Direktor. Es hat das vorhandene
hydrotechnische Material zu sauuneln, die Beobachtungen auf diesem
Gebiet fortzusetzen und zu verwerten, die leitenden Gesichtspunkte
für eine Wasserstands- und Hochwasserprognose, für einen Nachrich-
tendienst und für die Bekämpfung der Hochwasser- und Eisgefahr
aufzustellen und hydrotechnische Fragen von größerer Wichtigkeit zu
begutachten.
258 Es hat auch bereits, gesondert für das Donaugebiet und für
das Maingebiet, einen Hochwasser nachrichtendien st einge-
richtet; dieser bezweckt rasche Verbreitung der Nachrichten iiber Hoch-
wasser und Eisgang zur Verhütung von Schäden.
259 e. Für die Zwecke der Wasserversorgung ist eine besondere dem
Ministerium des Innern untergeordnete Zentralstelle mit dem Sitz
in München, das Königliche Wasserversorgungsbureau,
gebildet. Es hat hauptsächlich die Aufgabe, bei der Bildung öffent-
licher Wasserversorgungsgenossenschaften und bei der Verbesserung
der Wasserversorgungsverhältnisse durch die Gemeinden Beihilfe
durch Aufstellung von Entwürfen und durch Leitung der Bauausfüh-
rung, ferner durch Begutachtung der Entwürfe anderer Techniker zu
unterstützen. Außerdem hat es beim Vollzüge des Wassergesetzes
mitzuwirken. Die Beihilfe des Bureails wird in der Regel kosten-
los gewährt. Der Vorstand führt die Bezeichnung Direktor.
Bauwesen, Wege- und Wasserrechte
413
1. Zur Beratung wichtiger wasserwirtschaftlicher Angelegenhei- 1260
ten, z. B. Ausnutzung der Wasserkräfte zur Gewinnung elektrischer
Kraft, Ausbau der Wasserstraßen u. a., ist beim Ministerium des
Innern der W a s s e r w i r t s ch a s t s r a t errichtet; er hat nur eine
beratende, nicht eine entscheidende Stimme. Der Wasserwirtschafts-
rat besteht aus Beaniten der beteiligten Ministerien und der son-
stigen mit den in Betracht kommenden Angelegenheiten befaßten
höheren Behörden, aus besonders berufenen Ingenieuren und Pro-
fessoren und aus Vertretern einschlägiger Organisationen. Hierzu
können unter besonderen Umständen noch sonstige Mitglieder kom-
men. Den Vorsitz führt der Minister des Innern oder der älteste
anwesende Ministerialbeamte. Die Mitgliedschaft wird ehrenamt-
lich verwaltet.
g. Zur Bekämpfung der Wassergefahr, die die Wildbäche mit sich 1261
bringen, sind zwei, den Bauämtern gleichgestellte Sektionen für
Wildbachverbauung eingerichtet. Diese haben die Projekte
für Wildbachverbauung zu bearbeiten, die Ausführung der Arbeiten
zu leiten und die Unterhaltung der ausgeführten Arbeiten zu iiber-
wachen. Sie haben weiter auch bei ähnlichen Unternehmungen mit-
zuwirken, so bei Regelung von Privatfliissen und bei sonstigen Vor-
kehrungen gegen Hochwassergefahr.
2. Das Straßenwesen.
a. D i e S t a a t s st r a ß e n , D i st r i k t s st r a ß e n und 1262
gemeindlichen Wege.
Das Straßenwesen entbehrt in Bayern der einheitlichen Rege-
lung; eine solche ist aber in Aussicht geuommen. Fiir die Pfalz gel-
ten uoch die Bestimmungen des französischen Rechts. Die Regelung
fiir das rechtsrheinische Bayern ist folgende: Man unterscheidet zu-
nächst Staatsstraßen; diese werden vom Staate angelegt und
unterhalten unter Leitung der allgemeinen Staatsbaubehörden
(Nr. 1254—1256); ihre Länge beträgt 6777 Kilometer. Daneben be-
stehen Distriktsstraßen; diese sind dazu bestimmt, den Verkehr 126z
innerhalb der Distrikte zu vermitteln; sie werden von den Distrikts-
gemeinden angelegt und unterhalten. Die Distrikte sind verpflichtet,
die erforderlichen Straßen anzulegen. Ihre Länge beträgt 18 381
Kilometer. Die dritte Art sind die gemeindlichen Wege. Sie sind
teils O r t s st r a ß e n, die den Verkehr innerhalb der bebauten Teile 1204
vermitteln, teils Gemeindeverbindungswege fiir den
Verkehr der Gemeinden und der Ortschaften unter sich, endlich
Feldwege, Flur Wege, Waldwege. Ortsstraßen und Ge-
meindeverbindungswege werden von den Gemeinden unterhalten,
414
Das Wirtschaftsleben
doch kann durch ortspolizeiliche Vorschrift die Pflicht zur Herstellung
der Bürgersteige (Trottoirs) den Hauseigentümern auferlegt wer-
den. Die Herstellung und Unterhaltung der Feldwege, Flurwege,
Waldwege ist Sache der Beteiligten. Für die Anlegung von Staats-
straßen und Distriktsstraßen, ausnahmsweise auch für die gemeind-
lichen Wege besteht eilt Zwangsenteignungsrecht (Nr. 428). Kreis-
straßen bestehen nicht.
b. D i e Straßen Polizei.
265 Für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den
Straßen sorgt die S t r a tz e n p 0 l i z e i. Die für sie maßgebenden
Bestimmungen sind im Reichsstrasgesetzbuch, im bayerischen Polizei-
strafgesetzbuch und in oberpolizeilichen, distriktspolizeilichen und orss-
polizeilichen Vorschriften enthalten. Dazu gehören insbesondere die
Gebote, auf Brücken aus Holz oder Eisen nur im Schritt zu fahren
oder zu reiten, bei Schneebahn nicht ohne Geläute zu fahren, bei
Nacht die Fuhrwerke zu beleuchten, wenn ein Fuhrwerk vorfahren
will, nach rechts auszuweichen, damit dieses nach links vorfahren
kann, entgegenkommenden Fuhrwerken nach rechts auszuweichen.
266 Besondere Vorschriften bestehen für den Radsahrverkehr und
für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (Automobilen und Motor-
rädern). Für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ist vom 1. April 1910
ab in erster Reihe ein besonderes Reichsgesetz maßgebend. Nach die-
sem bedarf jedes Kraftfahrzeug, das aus öffentlichen Wegen oder
Plätzen in Betrieb gesetzt werden soll, der Zulassung zum Ver-
kehr durch die zuständige Behörde. Wer aus öffentlichen Wegen oder
Plätzen ein Kraftfahrzeug führen will, bedarf der Erlaubnis der
zuständigen Behörde; diese Erlaubnis wird in der Form eines für
das ganze Reich gültigen Führerscheins erteilt. Die Entzie-
hung der Fahrererlaubnis mit Wirkung für das ganze Reich ist unter
bestimmten Voraussetzungen möglich.
Strafen sind u. a. darauf gesetzt, wenn der Führer eines Kraft-
fahrzeugs nach einem Unfall es unternimmt, sich der Festellung des
Fahrzeugs oder seiner Person zu entziehen, oder wenn er eine bei
dem Unfall verletzte Person vorsätzlich in hilfloser Lage verläßt.
3. Das Wasserrecht.
267 1. Das bayerische Wasserrecht, das neuerlich durch das Wasser-
gesetz eine erschöpfende Regelung gesunden hat, hat zur Grundlage
die Unterscheidung zwischen öffentlichen Gewässern und
Privatgewässern. Oefsentliche Gewässer sind die Flüsse und
Flußteile, die zur Schiffahrt oder Floßfahrt dieneu, und die Neben-
Bauwesen, Wege- und Wasserrecht
415
arme solcher Flüsse, ferner die vom Staate errichteten Kanäle? so-
weit sie durch die Staatsregierung der Schiff- oder Floßfahrt er-
öffnet sind. Hierzu kommen einige Seen, nämlich solche, die von jeher
als öffentliche Gewässer behandelt wurden; die übrigen Gewässer
sind Privatgewässer.
2. Die öffentlichen Gewässer stehen im Eigentum des 1268
Staates, die User gehören den Eigentümern der anliegenden Grund-
stücke. Diese haben zugunsten des Gewässers das Begehen des
Ufers durch das Aufsichtspersonal, das Landen und Befestigen der
Schiffe und Flöße und ähnliches zu dulden. Sie haben insbesondere
den sogenannten Leinpfad zu gestatten, d. i. den Pfad, der von
Menschen und Tieren, um die Schisse vom Ufer aus mittels einer
Leine zu ziehen, begangen wird.
3. Die Privatgewässer sind entweder geschlossene, d. h. 1269
vom Grundeigentums des Wassereigentümers umschlossene Gewässer,
wie Brunnen, Weiher, Quellen, oder Privatslüsse und Bäche, die den
Grundbesitz mehrerer Eigentümer berühren. Das Eigentum au
geschlossenen Gewässern steht dem Eigentümer des sie umgebenden
Grundbesitzes zu. Die Privatflüsse und Bäche werden als Bestand-
teil der Grundstücke, zwischen denen sie hindurch fließen, behandelt.
Gehören die Ufer verschiedenen Personen, so wird die Eigentums-
grenze durch eine durch die Mitte des Flußes zu denkende Linie ge-
bildet.
4. In öffentlichen Gewässern wie in Privatflüssen und Bächen >270
ist der Gebrauch des Wassers durch Schöpsen mit Handgefüßen
zum Baden, Waschen, Tränken, Schwemmen, sowie zur Eisbahn
einem jeden gestattet. Zur Entnahme von Eis, Sand, Kies, Steinen
und ähnlichem ist bei öffentlichen Flüssen und solchen Privatflüssen
und Bächen, die im Eigentum des Staates stehen, Genehmigung des
Straßen- und Flußbauamts (unter Umständen des Forstamts), bei
sonstigen Privatflüssen und Bächen die Genehmigung des Eigen-
tümers erforderlich.
Die Gewässer sind rein zu h a l t e n, es dürfen ihnen im all- 1271
gemeinen Flüssigkeiten und andere nicht feste Stoffe, die eine schäd-
liche Veränderung der Eigenschaften des Wassers zur Folge haben,
nur mit Erlaubnis der Distriktsverwaltungsbehörde zugeführt wer-
den. Das Einbringen fester Stosse, die das Wasser schädigen oder *
* An Kanälen von Bedeutung besitzt Bayern nur den Ludwig-
Donau-Mainkanal, der die Donau und den Main verbindet, und in der
Pfalz den Frankenthaler-Kanal.
416
Das Wirtschaftsleben
den Wasserabfluß nachteilig beeinflussen, wie z. B. das Einwerfen
von Schutt, voir Unrat, von Tierkörpern ist verboten, doch kann die
Distriktsverwaltungsbehörde Ausnahmen ztllassen.
Jede andere Benutzung des Wassers von öffentlichen Gewässern,
wie z. B. die Errichtung von Schöpfwerken, Badehäusern, Wasch-
häusern, ist nur mit Genehmigung der Distriktsverwaltungsbehörde
gestattet. Besondere Bestimmungen bestehen über die Errichtung
von Stauanlagen.
5. Eingehende Bestimmungen sind über die I n st a n d h a l -
t tl n g der Gewässer getroffen. Die Unterhaltung und der
Schutz der User der öffentlichen Flüsse ist Sache der Kreisgemeinden,
im übrigen erfolgt die Instandhaltung der öffentlichen Gewässer
durch den Staat. Den Kreisgemeinden obliegt auch die Instandhal-
tung der Privatflüsse, bei denen eine erhebliche Hochwassergefahr be-
steht. Die Erhaltung der sonstigen Privatflüsse und der Bäche und
der geschlossenen Gewässer ist Sache der Beteiligten.
6. Zur Benützung der Gewässer, insbesondere zur Herstellung
und Unterhaltung von Bewässerungs- und von Entwässerungsan-
lagen, zur Instandhaltung von Gewässern (Reinigung und Rän-
mung, zum Schutz der Ufer u. a.) und endlich zur Herstellung und
Unterhaltung von Trink- und Nutzwasserleitungen können öffent-
liche W a s s e r g e n o s s e n s ch a s t e n gebildet werden. Die Bildung
kann entweder durch freiwillige Vereinbarung der Beteiligten erfol-
gen (freiwillige Genossenschaften) oder durch Mehrheitsbeschluß der
Beteiligten mit zwangsweiser Beiziehung der Minderheit (Genossen-
schaften mit Beitrittszwang) oder lediglich durch Verfügung der
Kreisregierung (Zwangsgenossenschaften). Die Bildung der zwei
letzteren Arten von Genossenschaften, die einen Eingriff in das freie
Belieben des einzelnen enthält, kann nur unter gewissen Voraus-
setzungen erfolgen. Die näheren Verhältnisse der einzelnen Genossen-
schaften werden durch die Genossenschaftssatzung geregelt.
7. Zur Förderung der Benutzung und der Instandhaltung der
Gewässer läßt das Gesetz Eingriffe in das E i g e n t u m u n d
in die Entschließungssreiheit der einzelnen zu, so
kann für verschiedene Zwecke die Zwangsenteignung nach den all-
gemeinen für sie geltenden Bestimmungen (s. Nr. 428) erfolgen
unter anderm, um Grund- oder Quellwasser zu gewinnen, das zur
Befriedigung eines unabweisbaren wirtschaftlichen Bedürfnisses
einer Ortschaft notwendig ist. Das von den Berechtigten nicht be-
nutzte Wasser eines Privatslusses kann von den Eigentümern anderer
Grundstücke unter gewissen Voraussetzungen gegen Entschädigung be-
Bauwesen, Wege- und Wasserrecht
417
ansprucht werden; zum Zwecke der Bewässerung und Entwässerung,
der Förderung der Teichwirtschaft, für Stau- und Triebwerks-
anlagen kann unter Umständen der Eigentümer eines fremden
Grundstücks gezwungen werden, die Zuleitung oder die Ableitung
von Wasser über sein Grundstück, z. B. durch eine Röhrenleitung, zu
dulden u. a.
8. Bei jeder Distriktsverwaltungsbehörde wird ein Wasser- -275
b u ch geführt. Dieses ist dazu bestimmt, über die Rechtsverhältnisse
der Stauanlagen und Triebwerke mit gespannter Wasserkraft an
öffentlichen und Privatgewässern, der Anlagen zur Zuführung von
Flüssigkeiten in solche Gewässer und der Bewässerungs- und Entwäs-
serungsanlagen Auskunft zu geben. Die Einsicht in die Wasser-
bücher und ihre Beilagen steht jedem frei, der ein berechtigtes Inter-
esse hieran hat; unter dieser Voraussetzung kann auch die Erteilung
von Auszügen gefordert werden.
9. Zur Handhabung der Aussicht über die Benutzung und die 1276
Instandhaltung der Gewässer wird eine regelmäßig wiederkehrende
technische Besichtigung der Gewässer vorgenommen, die Wasser
schau. Die Beteiligten sind verpflichtet, den mit der Wasserschau
Beauftragten die Besichtigung der Anlagen und der Grundstiicke
zu gestatten und die erforderliche Auskunft zu erteilen.
e. Die Binnenschiffahrt.
1. Neben dem Eisenbahnverkehr spielt die Binnenschiffahrt 1277
(Fluß- und Kanalschisfahrt) hauptsächlich für den Güterverkehr eine
große Rolle; der Transport von Massengütern, wie Kohle, Holz
und Getreide, ist nämlich zu Wasser zwar langsamer, aber erheblich
billiger als der Eisenbahntransport; denn ein einziger Dampfer kann
eine Reihe von Lastschisfen auf- oder abwärts schleppen, von denen
jedes einzelne soviel Güter wie ein ganzer Eisenbahnzug saßt.
In früheren Zeiten war die Entwicklung der Flußschiffahrt sehr 1278
gehemmt durch die Zölle und Abgaben, welche die zahlreichen geist-
lichen und weltlichen Fürsten sowie auch die Städte von ihr erhoben.
Erst aus dem Wiener Kongresse (1815) wurden alle schiffbaren Flüsse
für die freie Schiffahrt geöffnet. Heute sind die Flußzölle völlig auf-
gehoben. Sonstige Schisfahrtsabgaben dürfen nach der Reichsver-
fassung nur für die Beniitzung von Verkehrsanstalten erhoben wer-
den und die gewöhnlichen Herstellungs- und Unterhaltungskosten
nicht übersteigen.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
27
418
Das Wirtschaftsleben
279 Die Kanäle (künstliche Wasserstraßen) dienen vorwiegend
dazu, verschiedene Flußläuse miteinander zu verbinden oder für die
Schiffahrt an die Stelle einer nicht schiffbaren Strecke eines Fluß-
laufs zu treten. Sie erfordern meist ein großes Anlagekapital und
häufig auch beträchtliche Betriebskosten, besonders zur Bedienung
von Schleusen, mittels welcher der Wasserspiegel des Kanals gehoben
wird, um mit den Schiffen die vorhandenen Bodenerhebungen zu
überwinden. Während in Bayern das Kanalwesen wenig entwickelt
ist (vergl. wegen der bayerischen Kanäle Nr. 1267, Anm. 3) sind
andere Staaten, besonders Preußen, auf den Ausbau ihres Kanal-
netzes fehr bedacht.
280 2. Zur Regelung des Verkehrs auf den größeren Gewässern an
denen mehrere Staaten Anteil haben, sind internationale
Vereinbarungen getroffen. Bayern ist beteiligt an Verträgen
hinsichtlich der Donau, von denen hauptsächlich die Donau-
dampffchiffahrtsakte zu erwähnen ist, die als Grundsatz
ausstellt, daß die Schiffahrt auf der Donau von dem Orte, wo sie
schiffbar wird, bis ins Schwarze Meer und umgekehrt aus diesem bis
zu dem bezeichneten Ort völlig frei fein soll. Weiter ist Bayern be-
teiligt an Vereinbarungen hinsichtlich des Rheins und des
B 0 d e n s e e s, so an der Rheinschiffahrtsakte aus dem
Jahre 1868, die die Verhältnisse auf dem Rhein von Bafel abwärts
bis ins offene Meer regelt, und an der internationalen Schiff-
fahrts - und Hafen ordnung für den Bodensee. Zur
Ausführung und zur Ergänzung dieser Vereinbarungen sind zahl-
reiche fchiffahrtspolizeiliche Vorschriften erlassen worden, wie über
die Befähigungszeugnisse der Schiffer, über die Eichung und Unter-
suchung der Schiffe u. a.
281 Die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt, insbeson-
dere die zwischen dem Schiffseigentümer, dem Schiffsführer und der
Schiffsmannschaft bestehenden Rechtsverhältnisse sind reichsrechtlich
durch das Binnenschiffahrtsgesetz geordnet. Alle größeren
Schiffe müssen in dos Schiffs regi st er eingetragen sein, welches
bei bestimmten Amtsgerichten geführt wird; iiber die Eintragungen
werden Schiffsbriefe erteilt. Die Verpfändung solcher Schiffe
kann rechtsgültig nur durch Eintrag in dieses Register erfolgen?
3. Die Bestimmungen über Benützung und Instandhaltung der
Flußläufe sind in dem bayerischen Wafsergesetze enthalten, von dem
bereits früher (Nr. 1267) gesprochen wurde. 1
1 Wegen der bayerischen Rhein schiffahrtsgerichte s. Nr. 579
Anrn.
Die Seeschiffahrt
419
F. Die Seeschiffahrt.
1. Allgemeines.
Industrie und Handel bedürfen zu ihrer Entfaltung notwendig 1282
der Schiffahrt, welche den Personen- und Güterverkehr mit den über-
seeischen Ländern vermittelt. Daher ist der gewaltige Aufschwung,
den der deutsche Schiffsbau und Schifsahrtsverkehr feit Gründung
des Reichs genommen hat, für unsere Volkswirtschaft von großer
Bedeutung. Abgesehen davon ist aber die deutsche Seeschiffahrt auch
an sich ein lohnender und wichtiger Erwerbszweig geworden. Unter
den deutschen Schiffahrtsgesellschaften nehmen der im Jahre 1875 zu
Bremen gegründete „Norddeutsche Lloyd" und die bereits
zehn Jahre früher ins Leben gerufene „Hamburg-Amerika-
nische Paketfahrt - Aktiengesellschaft" weitaus die
erste Stelle ein. Sie verfügen über eine gewaltige Dampferflotte,
deren Schiffe an Schnelligkeit, Ausstattung und Führung anerkann-
termaßen zu den besten der Welt gehören.
Alle deutschen Kauffahrteischiffe (worunter man die 128z
zum Erwerb durch die Seeschiffahrt bestimmten Schiffe versteht) bil-
den eine einheitliche Handelsflotte oder Handelsmarine und
genießen, wo sie sich auch befinden mögen, den Schutz des Reichs, so
lange sie die R e i ch s f l a g g e führen. Hierzu aber find sie in der
Regel nur berechtigt, wenn sie in deutschem Eigentum stehen und in
dem von dem Amtsgericht ihres Heimathafens geführten Schiffs-
r e g i st e r eingetragen sind. Hierüber wird ihnen eine Urkunde
(das sog. Schiffszertifikat) ausgestellt.
Die gewerbsmäßige Schiffahrt auf hoher See (d. h. mehr als 1284
drei Seemeilen vom Land entfernt) steht selbstverständlich den Schif-
fen aller Länder frei. Der Verkehr unserer Schiffe in den Häfen und
Küstengewäsfern des Auslandes ist durch zahlreiche Schiffahrts-
verträge gesichert, welche das Reich mit den einzelnen ausländi-
schen Staaten abgeschlossen hat. Die deutsche K ü st e n f r a ch t -
fahrt, d. h. die Güterbeförderung von einem deutschen Seehafen
nach dem anderen, steht zwar grundsätzlich nur den deutschen Schiffen
zu; sie ist aber durch Verträge und Kaiserliche Verordnungen auch den
Schiffen zahlreicher ausländischer Staaten eingeräumt worden.
Der größtenteils auf Reichskosten erbaute, vom Reich verwaltete 1285
Kaiser Wilhelm-Kanal (Nord-Ostsee-Kanal) erspart den
Schiffen die gefährliche Umschiffung der jütischen Halbinsel und bietet
besonders auch unserer Kriegsflotte eine rasche Verbindung zwischen
Nord- und Ostsee.
27*
Das Wirtschaftsleben
420
2. Förderung und Schutz der Seeschiffahrt.
286 Dem Schutze der Schiffahrt gegen die ihr drohenden Gefahren
dienen zunächst die einheitlich geordneten Schiffahrtszeichen
zur Bezeichnung der Fahrwasser und Untiefen (Leuchttürme, Feuer-
schiffe, Baken, d. h. weithin sichtbare, hölzerne Gerüste, verankerte
Seetonnen usw.); ferner die vom Kaiser zur Verhütung des Zusam-
menstoßens der Schiffe ans See erlassenen Vorschriften über das Aus-
weichen und die Anwendung von Lichter- und Schallsignalen.
287 Eine besondere Strandungsordnung enthält Vorschrif-
ten über Rettung von Personen, Bergung von Gütern und Schif-
fen und über die Rechte an dem sog. Strandgut, d. h. den aus
dem Wasser geretteten oder an den Strand gespülten Gegenständen.
Die Verwaltung des Strandguts liegt den S t r a n d u n g s -
am tc r n (Strandhauptleuten) ob, während den ihnen unterge-
ordneten S t r a n d v ö g t e n das eigentliche Hilfs- und Rettungs-
werk übertragen ist. Um die Rettung Schiffbriichiger macht sich fer-
ner überaus verdient die auch von der Regierung geförderte „G e -
f e l l s ch a f t zur Rettung Schiffbrüchige r", deren Hilfs-
stationen über die ganze Küste der Nord- und Ostsee verteilt sind.
288 Die Ursachen der vorgefallenen Seeunfälle werden durch die an
den Küsteuplätzen errichteten Seeämter festgestellt. Diese sind
mit einem richterlichen Beamten als Vorsitzenden und vier Beisitzern
besetzt, von denen mindestens zwei Berufsschiffer fein müssen. Das
Seeamt fällt nach mündlicher und öffentlicher Verhandlung feinen
Spruch iiber die Ursachen des Unfalls; es ist berechtigt, zugleich den
für schuldig befundenen Schiffern, Steuerleuten und Maschinisten
die Befugnis zur Ausübung ihres Gewerbes zu entziehen. Gegen
diese Entscheidungen ist die Beschwerde an das Ob er fee amt zu
Berlin zulässig.
289 Die Ladungsfähigkeit der Schiffe wird im Interesse der Sicher-
heit des Betriebs und zum Zwecke der Berechnung der Schiffahrts-
abgaben durch Schiffsver Messung festgestellt und in sog.
Meßbriefen beurkundet. Die Oberaufsicht iiber die Tätigkeit
der Vermessungsämter führt das Kaiserliche Schiffsvermessuugsamt
zu Berlin.
290 Der Förderung der Seeschiffahrt dient endlich die in Verwaltung
des Reichs befindliche Deutsche See warte zu Hamburg. Sie
gibt die für die Schiffahrt unentbehrlichen Schiffahrtskarten her-
aus, sorgt für Beschaffung richtiger nautischer Meßinstrumente (Kom-
passe, Sextanten usw.) und veröffentlicht auf Grund der Mitteilun-
gen ihrer zahlreichen Beobachtungsstationen und Signalstellen fort-
laufend die auch für das Inland wichtigen Witterungsberichte, welche
einen Schluß auf die Witterung der kommenden Tage gestatten.
Die Seeschiffahrt
421
3. Die Verhältnisse der Schiffsbesatzung.
Die Schiffskapitäne müssen ihre Befähigung (für Küsten- 1291
fahrt, kleine Fahrt oder große Fahrt) nach Zurücklegung einer ge-
wissen Dienstzeit durch Bestehen einer Prüfung nachweisen. Aehn-
lichen Prüfungen haben sich auch die Steuerleute (als regel-
mäßige Stellvertreter des Kapitäns) sowie die M a s ch i n i st e n
der Seedampfschifse und die L 0 t s e n 1 zu unterziehen. Die Vorbil-
dung wird auf Navigationsschulen und Navigationsvorschulen er-
worben.
Die Rechtsverhältnisse der Schiffer (Kapitäne), Schiffsoffiziere 1292
und Schiffsmannschaften sind in der S e e m a n n s 0 r d n u n g ein-
gehend geregelt. Jeder Schiffsmann muß ein von dem S e e -
mannsamt^ ausgestelltes Seefahrtsbuch (ungefähr dem Ar-
beitsbuch der jugendlichen Fabrikarbeiter entsprechend) haben. Vor
dem Seemannsamt wird auch der im Gesetz ausführlich geregelte
Dienstvertrag der Schiffsleute (der „H euervertra g") geschlossen
(sog. „Anmusterung") sowie die Beendigung des Dienstverhält-
nisses (sog. „Abmusterung") beurkundet. Diese Vorschriften
dienen dazu, sowohl die Rechte und Pflichten der Schiffsleute sicher-
zustellen, als nach Möglichkeit ein Entlaufen der Mannschaft, welches
den Schiffer in eine sehr schwierige Lage bringen ckann, zu verhüten.
Dem Schiffsführer steht gegenüber der Besatzung eine weitgehende
Disziplinargewalt zu, und gegen Schiffs meuter ei sind im Ge-
setz strenge Strafen (für die schwereren Fälle Zuchthausstrafe) an-
gedroht.
Hilfsbedürftige deutsche Seeleute im Auslande 129z
müssen von jedem heimfahrenden deutschen Kauffahrteischiff mitge-
nommen werden.
1 Lotsen sind ortskundige Seeleute, welche die Schiffe nach und aus
dem Hafen führen. Auf das Lotsensignal an Bord kommend, übernehmen
sie während der Ein- und Ausfahrt den Befehl auf dem Schiffe. Die Lotfen-
stationen sind nach Bedürfnis auf die Küste verteilt. Sie stehen unter der
Oberaufsicht eines Lotsenkommandeurs.
' Die Seemannsämter sind nicht zu verwechseln mit den oben (Nr. 1288)
erwähnten Seeämtern. Im Auslande haben die deutschen Konsulate
(s. Nr. 1302) die Verrichtungen der Seemannsämter wahrzunehmen.
4. Teil.
Die auswärtigen Angelegenheiten.
1. Ueberblick.
1294 Die frühere Zersplitterung Deutschlands machte sich besonders
schmerzlich fühlbar in seinen Beziehungen zum Ausland, dem gegen-
über es infolge des Mangels einer Zusammenfassung seiner Kräfte
zumeist zur Ohnmacht verurteilt war. Das ist anders geworden seit
Errichtung des Deutschen Reiches, welches nunmehr als achtung-
gebietendes Ganzes anderen Staaten gegenübersteht und seinen An-
gehörigen den Schutz, den sie vordem so schwer vermissen mußten, voll
zu gewähren vermag.
1295 Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten ist fast aus-
schließlich Sache des Reichs? Sie untersteht dem Kaiser: insoweit
1 Allerdings haben auch jetzt noch die Einzelstaaten das Recht, für ihre
Angelegenheiten im Auslande besondere diplomatische Vertreter (Gesandte)
zu bestellen und solche zu empfangen; doch ist diese Befugnis von geringer
praktischer Bedeutung, nachdem fast alle Verwaltungszweige, welche Be-
ziehungen zu auswärtigen Staaten bieten, aus das Reich übergegangen sind.
Bayern hat je einen „außerordentlichen Gesandten und bevoll-
mächtigten Minister" entsandt nach Italien, Oesterreich-Ungarn, dem Päpst-
lichen Stuhl und nach Rußland, einen Ministerresidenten nach der Schweiz,
und einen gemeinschaftlichen Geschäftsträger nach Paris für Frankreich und
Belgien. In Bayern sind beglaubigt Gesandte der soeben bezeichneten
Staaten, ferner von Griechenland, Großbritannien, den Niederlanden,
Persien, Portugal, Schweden und Spanien; ein großer Teil hiervon ist
gleichzeitig beim Deutschen Kaiser beglaubigt und hat seinen Sitz in Berlin.
An Höfen, bei denen bayerische Gesandte beglaubigt sind, sind sie zu
bevollmächtigen, die Gesandten des Reichs, wenn diese verhindert sind, zu
vertreten. Das Reich ist verpflichtet, als Entgelt hierfür und dafür, daß an
Orten, an denen Bayern eigene Gesandtschaften unterhält, die bayerischen
Angelegenheiten von den Gesandten des Reichs nicht zu erledigen sind, eine
Vergütung zu entrichten.
Ferner lassen auch jetzt noch die größeren deutschen Staaten sich
untereinander durch ständige Gesandte vertreten; denn wenn auch die
wichtigsten gemeinschaftlichen Angelegenheiten nunmehr der Reichsgesetz-
Die Gesandtschaften und Konsulate
423
sich jedoch die mit fremden Staaten einzugehenden Verträge- auf Ge-
genstände beziehen, die in das Gebiet der Reichsgesetzgebung fallen
(weil sie dem Reiche Lasten oder seinen Angehörigen Verpflichtungen
auferlegen, wie z. B. die Zoll- und Handelsverträge, die Konsular-
verträge usw.), ist nach Artikel 11 der Reichsverfassung zu ihrem Ab-
schluß die Zustimmung des Bundesrats und zu ihrer Gültigkeit auch
die Genehmigung des Reichstages erforderlich.
Das Organ des Reichskanzlers für die Verwaltung der auswär- 1296
tigen Angelegenheiten ist das unter einem Staatssekretär stehende
Auswärtige Amt (s. Nr. 107). Diesem sind unterstellt die
Gesandtschaften, welche das Reich im Auslande in allen völ-
kerrechtlichen Beziehungen vertreten, und ferner die besonders mit
Wahrung der handelspolitischen Beziehungen betrauten Konsu-
late. Während also die Gesandten die allgemeinen staatlichen In-
teressen des Reichs zu vertreten haben, liegt den Konsulaten vor-
wiegend die Vertretung der deutschen Handelsinteressen im Aus-
land ob.
2. Die Gesandtschaften.
Die mit den Geschäften der sog. hohen Politik (Diplomatie) be- 1297
trauten Gesandten sind nach Rang und Stellung eingeteilt in Bot-
schafter, Gesandte im engeren Si n n e (auch bevoll-
mächtigte Minister genannt), M i n i st e r r e s i d e n t e n und G e -
schäststräger. Botschafter werden regelmäßig nur bei den
größeren Staaten bestellt; ihnen stehen die sog. Legaten oder
Nuntien des Papstes gleich. Die bei einem Staat beglaubigten
Gesandten auswärtiger Staaten bilden zusammen das diploma-
tische Korps, an dessen Spitze als sog. Doyen das rangälteste
Mitglied steht.
Den Gesandten sind nach Bedürfnis Hilfsarbeiter beigegeben: 1298
Botschasts- oder Legationsräte, Dolmetscher (auch Dragomanen ge-
nannt), Attaches; ferner in neuerer Zeit häufig auch M i l i t ä r b e -
gebung unterliegen, so sind doch noch auf manchen Gebieten Besprechungen
und Unterhandlungen zwischen den einzelnen Bundesstaaten zu pflegen.
Es bekleiden daher viele Bundesratsbevollmächtigte zugleich das Amt eines
Gesandten ihres Bundesstaats beim preußischen Hos, und Preußen seiner-
seits unterhält bei den meisten deutschen Staaten besondere Gesandtschaften.
Bayern entsendet je einen „außerordentlichen Gesandten und bevollmäch-
tigten Minister" nach Preußen, Sachsen und nach Stuttgart für Württem-
berg, Baden und Hessen, und empfängt auch seinerseits von diesen Staaten
mit Ausnahme von Hessen Gesandte.
" Die Verträge werden entweder mit einem einzelnen Staate ab-
geschlossen (Einzelverträge) oder zwischen einer größeren Anzahl
von Staaten (internationale Verträge).
424
Die auswärtigen Angelegenheiten
129Y
izoo
IZOI
IZÜ2
vol^mächtigte, welche die Aufgabe haben, ihre Regierung über
den Stand des Militär- und Marinewesens des fremden Staates auf
dem Laufenden zu erhalten. Zur Beförderung des schriftlichen Ver-
kehrs der Gesandtschaft mit der Heimatsbehörde dienen vielfach
Feldjäger oder Kuriere, da wichtige diplomatische Schrift-
stiicke der ausländischen Post nicht anvertraut werden?
Die Gesandten werden vor ihrem Dienstantritt regelmäßig vom
Souverän in feierlicher Audienz empfangen, wobei sie ihr B e g l a u -
bigungsfch reiben (die sog. Kreditive) überreichen. Eben-
so erfolgt bei der Abberufung die Uebergabe eines Abberufungs-
fchreibens. Brechen Feindseligkeiten aus, so werden die beider-
seitigen Gesandten abberufen; sie verlangen alsdann ihre Pässe.
Die Gesandten genießen, da sie als Vertreter ihres Staatsober-
hauptes gelten, gewisse Ehrenvorzüge; ihre Beleidigung führt, wenn
nicht ausreichende Genugtuung gegeben wird, zu schweren Konflikten.
Der Gesandte genießt ferner das sog. Recht der Exterrito-
rialität, d. h. er, feine Familie, fein Gefchäftsperfonal, feine
Dienerschaft und seine Wohnung werden rechtlich so behandelt, als ob
sie sich im Gebiet ihres eigenen Staates und außerhalb des Territo-
riums (extra territorium) des fremden Staates befänden. Dieses
Recht umfaßt sowohl die persönliche Unantastbarkeit als die Unbe-
tretbarkeit der Wohnung sowie die Befreiung von der Zivil- und
Strafgerichtsbarkeit und von den persönlichen Steuern und Abgaben
des fremden Staates.
Neben ihren eigentlichen Geschäften find die deutschen Gesandten
auch befugt zur Vornahme von Zustellungen, zur Beglaubigung der
Echtheit von Urkunden (Legalisierung), zur Ausstellung von
Pässen und, soweit sie vom Reichskanzler dazu besonders ermächtigt
sind, zur Vornahme von Eheschließungen und Führung der Standes-
register für deutsche Reichsangehörige.
3. Die Konsulate.
Nach dem deutschen Konsulatsgesetz (vom Jahre 1867) haben die
Reichskonsuln die Aufgabe, das Interesse des Reichs, namentlich
° Die Zulassung zur Vorbereitung für den diplomati-
sch e n D i e n st in Bayern ist abhängig von dem Bestehen der ersten juri-
stischen Prüfung und dem Besitze hinreichenden Vermögens und der für den
diplomatischen Dienst erforderlichen persönlichen Eigenschaften. Offiziere
können, ohne die erste juristische Prüfung abgelegt zu haben, zugelassen wer-
den. Die Zugelassenen haben als Praktikanten des Ministeriums des Aeu-
ßern und in der Regel auch als Attaches bei den Gesandtschaften in^ Ver-
wendung zu treten und sich nach „entsprechender Vorbereitungszeit" der
diplomatischen Prüfung, in der juristische, volkswirtschaftliche, geschichtliche
und Sprachenkenntnisse gefordert werden, zu unterziehen.
Die Gesandschaften und Konsulate
425
in bezug auf Handel, Verkehr und Schiffahrt, tunlichst zu schützen
und zu fördern, die Beobachtung der Staatsverträge zu überwachen
und den im Auslande befindlichen Deutschen sowie den Angehörigen
befreundeter Staaten (den sog. Schutzgenossen) in ihren Angelegen-
heiten Rat und Beistand zu gewähren. Die Eintragung in das von
den Konsuln geführte Verzeichnis der in ihrem Bezirke wohnenden
deutschen Reichsangehörigen und Schutzgenossen (die sog. Matri-
kel) schützt, wie wir bereits sahen, die ausgewanderten Deutschen
vor dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit. Die Konsulate
sind ferner zuständig zur Beglaubigung der Echtheit von Urkunden
(Legalisierung), zur Zustellung von Schriftstücken, zur Ausstellung
von Pässen und, sofern sie hierzu vom Reichskanzler besonders
ermächtigt wurden, zur Vernehmung von Zeugen, zur Abnahme von
Eiden, Vornahme von Eheschließungen zwischen Deutschen und Füh-
rung der Standesregister für diese. Sie unterstützen Deutsche, welche
im Ausland hilfsbedürftig geworden sind, und sorgen nötigenfalls
für deren Rückbeförderung in die Heimat. Sie treffen die Maß-
regeln, welche zur Sicherung des Nachlasses der in ihrem Bezirke
verstorbenen Deutschen notwendig werden. Sie haben endlich hin-
sichtlich der deutschen Schiffe die Schiffahrtspolizei auszuüben und
führen in den Häfen die Geschäfte der Seemannsämter (f. Nr. 1292):
daher haben auch die Führer der deutschen Schiffe jeweils deren
Ankunft und Abfahrt bei ihnen zu melden.
In den hinsichtlich der Rechtspflege weniger zivilisierten Län- izoz
dern, in welchen es durch Herkommen oder Staatsverträge gestattet
ist (z. B. in China, Persien und der Türkei), steht ferner den Kon-
suln über Deutsche und Schutzgenossen auch eine Gerichtsbarkeit
(K o n s u l a r g e r i ch t s b a r k e i t) zu, welche sich sowohl auf Zivil-
rechtsstreitigkeiten wie auf Strafsachen (mit Ausnahme der Schwur-
gerichtsfälle), auf das Konkursverfahren und auf die sogenannte
freiwillige Gerichtsbarkeit (s. Nr. 203) erstreckt. In weniger wich-
tigen Sachen entscheidet der Konsul als Einzelrichter, in wichtigeren
dagegen das Konsulargericht, welches aus dem Konsul als
Vorsitzenden und zwei bis vier aus angesehenen Gerichtseingesessenen
gewählten Beisitzern besteht. Gegen ihre Entscheidungen ist zumeist
die Berufung oder Beschwerde an das Reichsgericht zulässig.
Im übrigen bestimmen sich die Rechte der Konsuln in den ein- 1304
Seinen Staaten teils nach den mit diesen abgeschlossenen Handels-,
Schiffahrts- und Freundschaftsverträgen, teils nach den besonders
vereinbarten Konsularverträgen.
Die deutschen Konsulate sind dienstlich den Gesandtschaften ,305
unterstellt. Man unterscheidet Wahlkonsuln (Konsuln im
426
Die auswärtigen Angelegenheiten
Ehrenamt, meist Kaufleute, welche häufig dem Staat, in dem sie resi-
dieren, als Untertanen angehören) und Berufskonsuln, d. h.
eigentliche, besonders ausgebildete Beamte des Staats, der sie aus-
sendet. Die Berufskonsuln müssen entweder juristische Bildung be-
sitzen oder eine besondere Prüfung bestanden haben. Dem Range
nach unterscheidet man Generalkonsuln, denen die Oberlei-
tung der in einem größeren Bezirk liegenden Konsulate zusteht,
ferner Konsuln an wichtigen Handelsplätzen, Vizekonsuln
an minder wichtigen Plätzen oder als Hilfsarbeiter bei größeren
Konsulaten und endlich K o n s u l a r a g e n t e n , d. h. Privatbevoll-
mächtigte der Konsuln ohne selbständige konsularische Befugnisse.
zo6 Die Konsuln dürfen ihre amtliche Tätigkeit erst ausüben, nach-
dem ihnen von der Regierung des fremden Staates hierzu Geneh-
migung erteilt worden ist;- man nennt diese Genehmigung das
Exequatur (lat. = er vollziehe). Zur Erteilung des Exequatur
an die ausländischen Konsuln in Deutschland sind die betreffenden
Landesregierungen zuständig; dagegen werden alle deutschen Kon-
suln im Auslande 4 vom Kaiser ernannt; sie sind daher Reichsbeamte.
4. Die deutschen Schutzgebiete.
Z07 Kolonien haben für das Mutterland teils den Zweck, den Handel
zu befördern und der heimischen Industrie neue und feste Absatzgebiete
zu schassen (Handelskolonien), teils dienen sie zur Anlage
ausgedehnter, durch die Eingeborenen zu bearbeitender Pflanzungen
(sog. Plantagen) und machen damit, abgesehen von dem sich hieraus
ergebenden Gewinn, zugleich das Mutterland im Bezüge von Kolo-
nialwaren vom Auslande unabhängig (Pslanzungskolo-
n i e n), oder sie eignen sich endlich zur Besiedelung und Bebauung
durch Einwanderer und bieten so der Auswanderung der überschüssigen
Bevölkerung des Mutterlandes ein bestimmtes Ziel (Ackerbau-
k 0 l 0 n i e n).
308 Zu den Zeiten, als die übrigen Mächte ihren großen Kolonial-
besitz erwarben, ging Deutschland infolge seiner damaligen politischen
Ohnmacht leer aus. Gleichwohl umfaßt der seit Gründung des
Reichs (und zwar erst seit dem Jahre 1884) erworbene Kolonialbesitz
bereits ein Gebiet, das ungefähr fünfmal so groß ist als das Reich
selbst. Er besteht zurzeit aus folgenden Besitzungen:
4 Einzelne deutsche Bundesstaaten haben auch jetzt noch in anderen
deutschen Staaten Konsuln bestellt zur Vertretung der Interessen ihrer Ange-
hörigen, so Bayern in Baden, Bremen, Hamburg, Lübeck, Preußen, Sachsen
und Württemberg, doch ist deren Tätigkeit von verhältnismäßig geringer Be-
deutung.
Die Schutzgebiete
427
1. Deutsch-Ostafrika (infolge der Expedition des Dr. Karl >309
Peters im Jahre 1884 erworben);
2. Kamerun .und Togo in Westafrika (feit 1884);
3. Deutsch-Südwestafrika (Deutfch-Nama- und Deutsch-
Damaraland, feit 1884), in schweren Kämpfen mit den aufständigen
Eingeborenen vom Reiche behauptet;
4. die Marshall-, Brown- und Providence-Ju-
sein, das Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea mit den Inseln
des Bismarck-Archipels und die (von Spanien 1899 abgetretenen)
Inselgruppen der Karolinen, Palau und Marianen;
5. das Schutzgebiet von K i a u t s ch 0 u, 1898 als Stützpunkt für
den Handel und die Kriegsflotte dem Reiche von China pachtweise
unentgeltlich auf 99 Jahre überlassen, und endlich
6. die westlichen Samoain sein in Polynesien, 1900 laut
Abkommen mit England und den Vereinigten Staaten von Amerika
auf das Reich übergegangen.
Alle diese Besitzungen kommen, da sie zumeist in der Tropenzone iz>»
liegen, vorwiegend als Pslanzungs- und Handelskolonien in Betracht,
mit Ausnahme von Deutsch-Südwestasrika, das für eine größere euro-
päische Einwanderung Wohl geeignet ist. Anfangs überließ das Reich
die Besiedelung im wesentlichen der Tätigkeit der Privatpersonen,
insbesonders der Handelsgesellschaften, und es beschränkte sich aus den
Schutz und die allgemeine Aussicht. Daher rührt die auch jetzt noch
beibehaltene Bezeichnung als deutsche Schutzgebiete. Im Laufe
der Jahre hat aber das Reich, da dieses Vorgehen sich nicht bewährte,
die Verwaltung selbst in die Hand genommen, so daß die Schutzgebiete
zu eigentlichen Kolonien geworden sind.
Die Schutzgebiete gehören nicht zum Reichsgebiet, wes- 13 n
halb ihre Bewohner auch nicht Reichsangehörige sind, soweit sie
nicht eine deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt oder sonstwie
erworben haben? Auch zählen die Schutzgebiete nicht zum deutschen
Zollgebiet; die aus ihnen stammenden Waren müssen daher beim
Eingang in das deutsche Zollgebiet verzollt werden, und zwar zu den
gleichen Zollsätzen wie Waren aus den durch Verträge am meisten
begünstigten ausländischen Staaten (s. Nr. 1231).
Die Schutzgewalt über die Schutzgebiete wird vom Kaiser aus- 1312
geübt. Ihre Verwaltung untersteht dem Reichskolonialamt
(s. Nr. 107). Bei diesem können unter Hinzuziehung von Sachver-
° Den Eingeborenen der Schutzgebiete und den daselbst ansässigen Aus-
ländern kann aber vom Reichskanzler die Reichsangehörigkeit verliehen
werden.
428
Die auswärtigen Angelegenheiten
ständigen Kommissionen zu dem Zweck gebildet werden, das Reichs-
kolonialamt bei der Verwaltung der Schutzgebiete in beratender Weise
zu unterstützen. Der oberste Beamte jedes Schutzgebietes heißt Gou-
verneur (auf den Marshallinseln Landeshauptmann); diese sowie
die übrigen Beamten (Bezirksamtmänner, Oberrichter, Bezirksrichter
usw.) stehen als Kaiserliche Beamte im Reichsdienst. Die Gerichts-
barkeit in den Schutzgebieten ist im wesentlichen nach den für die
Konsulargerichtsbarkeit (s. Nr. 1303) geltenden Vorschriften geregelt.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Bekämpfung des Skla-
venhandels o bestehen in den Schutzgebieten S ch u tz t r u p p e n aus
eingeborenen Soldaten unter deutschen Offizieren und Unter-
offizieren.
1313 Die Kosten der Verwaltung der Schutzgebiete werden
zunächst aus ihren eigenen Einkünften, besonders durch Zollabgaben
gedeckt, nötigenfalls aber vom Reich bestritten. Der Kostenvoranschlag
für die Schutzgebiete wird jeweils getrennt vom eigentlichen Reichs-
hausbaltetat aufgestellt.
1314 Das Verständnis für die Bedeutung unseres Kolonialbesitzes hat
sich in weiten Kreisen des deutschen Volkes nur langsam entwickelt.
Welch große Bedeutung ihm jetzt zugemessen wird, zeigt die Errichtung
verschiedenartiger Lehranstalten, in denen alle, die ihr Beruf in die
Kolonien führt, die hierfür nötigen praktischen und theoretischen
Kenntnisse sich aneignen können. Wohl die bedeutendste dieser Art
ist das am 20. Oktober 1908 eröffnete Hamburger Kolonial-
institut, eine Schöpfung des Staates und der Stadt Hamburg,
das in feiner Art den Universitäten und den technischen Hochschulen
gleichzustellen ist und gleicherweise dem Ansiedler und dem Beamten
die zu erfolgreichem Wirken in den Kolonien erforderliche Vertiefung
seines Wissens wie dem Gelehrten aus der Fülle praktischer Erfah-
rungen neue Anregungen bieten will.
1315 Von den Schutzgebieten sind noch zu unterscheiden die deutschen
sog. Interessensphären, d. h. die an die deutschen Besitzun-
gen anstoßenden, aber noch nicht in Besitz genommenen (innerafrika-
nischen) Gebiete, auf welche die übrigen Kolonialmächte laut den
mit ihnen abgeschlossenen Verträgen keine Hoheitsrechte beanspruchen
dürfen, so daß sie also der künftigen deutschen Besitzergreifung vor-
behalten find. 6
6 Der Sklaven raub und Sklavenhandel ist durch ein be-
sonderes Rcichsgcsctz mit schweren Strafen bedroht.
1
5. Teil.
Heer und ArLegMotte.
a. Einleitung.
Dem deutschen Heere und der deutschen Flotte fällt die Ausgabe 1316
zu, das Reich gegen äußere Feinde zu verteidigen. Heer und Flotte
sind zugleich die Grundlage der politischen Weltstellung des Reichs;
denn in der auswärtigen Politik der Völker gilt nur der Wille, hinter
welchem die Macht steht. Daneben dient die bewaffnete Macht auch
der Erhaltung der inneren Sicherheit für den Fall, daß die Polizei-
organe hierfür nicht ausreichen sollten.
Die gesamte Landmacht des Reiches bildet nach der Reichsver-
fassung ein einheitliches Heer, ein d c u t s ch e s R e i ch s h e e r. Es
steht (und zwar im Kriege unbeschränkt) unter dem Oberbefehl des
Kaisers. Die Einrichtung des Heeres, sowie die Ausbildung und
Bewaffnung der Truppen sind einheitlich geregelt. Die Gesetzgebung
über das Militärwesen steht dem Reiche zu, und der ganze Heeres-
aufwand wird aus Mitteln des Reiches bestritten?
Gleichwohl ist die Besorgung der Heeresangelegenheiten nicht so 1317
ausschließlich Sache der Reichs, wie dies der Fall ist bei der Kriegs-
flotte, welche ausschließlich vom Kaiser organisiert, befehligt und ver-
waltet wird. Vielmehr setzt sich das Herr aus den verschiedenen
Truppenteilen (den sog. „Kontingenten") der Bundesstaaten
zusammen, und die Bundessürsten haben an sich als Herren ihres
Kontingents das Recht, für ihren Truppenteil das Heerwesen zu ver-
walten und besonders auch die Offiziere zu ernennen. In Wirklich-
keit haben jedoch nur Bayern, Württemberg und Sachsen die eigene
Verwaltung ihrer Truppenteile behalten? Im weitesten tlmfange 1
1 Eine Ausnahme besteht für Bayern (s. Nr. 165 Anm. 21).
' Diese Bundesstaaten besitzen daher auch noch ihre eigenen Kriegs-
ministerien.
430
Heer und Kriegsflotte
ist dies bei Bayer n der Fall, dessen Heer nach dem Versailler
Bündnisvertrag einen in sich geschlossenen Bestandteil des Reichs-
heeres mit selbständiger Militärhoheit seines Königs bildet; es steht
zwar im Kriege unter dem Befehle des Kaisers, im Frieden aber
kommt diesem nur das Recht der Besichtigung zu. Sachsen und
Württemberg haben ihre Beziehungen zu Preußen durch beson-
dere Militärkonventionen geregelt. Die Ernennung der Offiziere
in Generalsstellungen geschieht für diese Truppenleile teils durch den
Kaiser, teils mit dessen Zustimmung durch den Landesherrn.
131 s Die übrigen deuts chen Bundesstaaten und unter
ihnen vornehmlich Baden und Hessen haben gleichfalls mit Preu-
ßen Militärkonventionen abgeschlossen, durch welche ihre Kontingente
mehr oder weniger vollständig in dem preußischen Kontingente aus-
gegangen sind, die badischen und hessischen Truppenteile bilden daher
unmittelbare Bestandteile der preußischen Armee; ihre Offiziere sind
preußische Offiziere, werden vom König von Preußen ernannt und
leisten diesem den Fahneneid. Den Landesherren sind jedoch als den
Chefs ihrer Truppenteile gewisse Ehrenrechte vorbehalten; sie können
die Truppen jederzeit inspizieren und nötigenfalls zur Aufrecht-
erhaltung der Ordnung oder Sicherheit verwenden. Sie stehen ferner
zu den in ihrem Gebiet stationierten Truppen im Verhältnis eines
kommandierenden Generals und sind befugt, die zu ihrer persönlichen
Dienstleistung bestimmten Offiziere (die sog. Adjutanten) sich aus-
zuwählen.
b. Die Zusammensetzung und Verwaltung des Heeres.
1. Die verschiedenen Waffengattungen.
1319 Unser Landheer weist folgende Truppengattungen auf:
a. Die Infanterie oder die Fußtruppen.
Diese führen von altersher die Bezeichnung Grenadiere, Muske-
tiere oder Füsiliere. Dazu kommen noch die I ä g e r und Schützen.
d. Die Kavallerie oder Reiterei.
Man unterscheidet nach dem Körperbau der Reiter und Pferde die
leichte Reiterei (Husaren, Dragoner, Chevaulegers) und die
schwere Reiterei (Ulanen, Kürassiere, schwere Reiter). Hier-
her zählen ferner die I ä g e r zu Pferde.
c. Die Artillerie oder Geschütztruppen.
Sie zerfällt in die F e l d a r t i l l e r i e, welche für den Krieg im
offenen Felde bestimmt ist und daher leicht fahrbare Geschütze mit
Zusammensetzung und Verwaltung des Heeres
431
reichlicher Bespannung führt, und in die F u ß a r t i l l e r i e; diese
dient dazu, die eigenen Festungen zu verteidigen und die fremden
anzugreifen, und hat daher schwere, große Geschütze.
d. Die Pioniere oder Jngenieurtruppen >520
sind besonders ausgebildet und ausgerüstet für das Anlegen und Zer-
stören von Verschanzungen, Wegen und Brücken, Telegraphenleitun-
gen usw.
e. Die Verkehrstrupperl,
bestehend aus Eisenbahn-, Telegraphen- und Luft-
schiffer truppen, dienen zum Bau von Eisenbahnen sowie den
Zwecken der Telegraphie und der Luftschiffahrt.
t. Der Train
hat die Aufgabe, dem Heere den gesamten Wagenpark nachzuführen
und zu schützen, welcher das Gepäck, die Lebensmittel, die Munition
und den sonstigen Kriegsbedarf enthält.
Bayern hat nicht alle diese Waffengattungen s. Nr. 1322 Anm.
2. Die Gliederung der Truppcnkörper.
Das gesamte Heer ist gegliedert in 23 Armeekorps, deren 1321
eines im Frieden ungefähr 25 000, im Krieg rund 36 000 Mann stark
ist. Jedes Armeekorps wird von einem Generalkommando
geleitet, an dessen Spitze der kommandierende General steht. Zum
Generalkommando gehören ferner der Generalstab des Korps
(s. Nr. 1328), die Adjutantur ^ und die obersten Beamten der Militär-
verwaltung des Korps, nämlich der Korpsintendant, der Generalarzt
und der Korps-Stabsveterinär (s. Nr. 1332).
Jedes Korps hat seinen Korpsbezirk, innerhalb dessen die einzel-
nen Regimenter und sonstigen Formationen des Korps ihren Stand-
ort haben, und aus welchem sich in der Regel auch seine Truppen
rekrutieren?
Je 3—5 Armeekorps stehen unter einer Armeeinspektio n?
deren es im ganzen sechs gibt; die Inspektion führt in der Regel ein * *
3 Adjutanten sind die den Truppenbefehlshabern zur Unter-
stützung in ihren Dienstgeschäften beigegebenen Offiziere. Die Adjutanten
der Kontingentsherren heißen General- oder Flügeladjutanten
und sind Generale oder Stabsoffiziere.
* Die das Gardekorps bildenden preußischen Garderegimenter beziehen
ihren Mannfchaftsersatz aus ganz Preußen sowie aus Elsaß-Lothringen. Die
Garderegimenter sind besonders ausgezeichnete Truppenteile. Das
vornehmste ist das Gardedukorps s— Leibwache), ein Kürassier-
regiment, dessen Chef der Kaiser ist. In Bayern nimmt das Jnfanterie-
Leibregiment eine ähnliche Stellung ein.
° Neben diesen allgemeinen Armeeinspektionen gibt es noch solche für
einzelne Waffengattungen, z. B. eine Generalinspektion der
Kavallerie, 5 Kavallerieinspektionen umfassend, ferner eine I n s p e k -
432
Heer und Kriegsflotte
Eoneralfeldmarfchall oder ein Generaloberst. Im Kriege werden
jeweils nach Bedarf mehrere Armeekorps zu einer Armee vereinigt.
1322 . Ein Armeekorps setzt sich aus allen Waffengattungen zusammen,
ist daher zu selbständigem und isoliertem Auftreten in allen Kriegs-
r lagen befähigt; es umfaßt (neben den erforderlichen Fußartillerie-,
Pionier-, Train- und Verkehrstruppen) in der Regel zwei D i v i f i 0-
n e n.o Jede dieser Divisionen enthält mehrere Brigaden, welche
je aus zwei Regimentern der gleichen Waffengattung bestehen. In
der Regel hat eine Division zwei Jnsanteriebrigaden, eine Kavallerie-
brigade und eine Feldartilleriebrigade, so daß sie also zusammen
4 Jnfanterieregimenter, 2 Kavallerieregimenter und 2 Feldartillerie-
7regimenter aufweist. Befehligt wird zumeist die Division von einem
Generalleutnant, die Brigade von einem Generalmajor und das
Regiment von einem Oberst 7 oder einem Oberstleutnant (Oberststell-
vertreter).
1323 Ein Infanterie-Regiment (im Frieden 1200—1800
Mann stark) besteht aus 2 oder 3 Bataillonen. Ihre Führer
find die Majore. Jedes Bataillon umfaßt 4 Kompagnien
von je 140—160 Mann (im Kriege gegen 250 Mann). Der für die
Ausbildung und Disziplin Verantwortliche Führer der Kompagnie ist
der Hauptmann (Kompagniechef). Ihm sind ein Oberleutnant, meh-
rere Leutnants sowie die nötigen Unteroffiziere * unterstellt. Für
den inneren Dienst ist die Kompagnie in K 0 r p 0 r a l f ch a f t e n von
je 12—20 Mann gegliedert, welche je einem Korporalfchaftsführer
t i 0 n der Feldartillerie. Für Bayern besteht eine besondere Ge-
neralinfpektion der Armee.
° Bayern hat drei Armeekorps, deren jedes aus zwei Divisionen be-
steht, so daß im ganzen sechs Divisionen vorhanden sind. Es bestehen in
Bayern vierundzwanzig Jnfanterieregimenter, zwei Jägerbataillone, eine
Maschinengewehrabteilung, zwei schwere Reiterregimenter, zwei Ulanen-
regimenter, sieben Chevaulegersregimenter, zwölf Feldartillerieregimenter,
zwei Fußartillerieregimenter, drei Pionierbataillone, ein Cisenbahnbatail-
lon mit einer Kraftfahrabteilung, ein Telegraphendetachement mit einer
Funkentelegraphenabteilung, eine Luftschifserabteilung, drei Trainbatail-
lone. Am 1. Oktober 1909 wird ein achtes Chevaulegersregiment errichtet
werden.
7 Die Obersten, Oberstleutnants und Majore gehören zu der Rang-
klasse der sog. Stabsoffiziere; die Leutnants und Oberleutnants
zählen zu den sog. Subalternoffizieren.
* Unter den Unteroffizieren der Kompagnie nimmt die oberste stelle
der Feldwebel ein; er ist das Organ des Hauptmanns für die Rege-
lung des Dienstes und die Verwaltung. Der Vizefeldwebel dient
vorzugsweise der Anleitung der jüngeren Unteroffiziere und als Offiziers-
stellvertreter im äußeren Dienst. Nach einer Anzahl von Dienstjahren er-
halten die Unteroffiziere den Rang eines Sergeanten.
Bei der Kavallerie und der Feldartillerie entspricht dem Feldwebel und
dem Vizefeldwebel der Wachtmeister und der V i z e w a ch t m e i st e r.
Zusammensetzung und Verwaltung des Heeres
433
Sergeanten, Unteroffizier oder auch Gefreiten)^ unterstehen. Meh-
rere Korporalfchaften bilden eine Inspektion unter einem
Leutnant.
Die Kavallerie-Regimenter gliedern sich in 5 Eska- 1324
drons von je 130—140 Mann. Die Eskadron, welche der Kom-
pagnie bei den Fußtruppen entspricht, wird von einem Rittmeister
geführt und ist in Unteroffiziers-Beritte und Offiziers-Beritte (den
Korporalfchaften und den Inspektionen der Infanterie entsprechend)
eingeteilt.
Die Feldartillerie-Regimenter bestehen meist aus 1325
zwei Abteilungen (den Bataillonen entsprechend), deren jede
regelmäßig 3 Batterien von je 100—130 Mann umfaßt. Bat-
teriechef ist der Hauptmann. Bei sog. reitenden Batterien
ist die Mannschaft beritten, bei den fahrenden Batterien
wird sie auf den Geschützen oder Wagen mitgeführt. Jede Batterie
hat 4 oder 6 Geschütze nebst Fahrzeugen; sie zerfällt in „Züge" von
je 2 Geschützen unter einem Leutnant als Zugführer. Jedes einzelne
Geschütz wird von einem Unteroffizier (Geschützführer) kommandiert.
Die Jäger und Schützen, die Pioniere und der
Train find nicht in Regimenter, sondern nur in Bataillone for-
miert.
3. Der Generalstab.
Außerhalb der bisher erwähnten Truppenkörper steht der >326
Generalstab der Armee. Die ihm angehörenden Offiziere bilden ein
besonderes Korps mit eigener Uniform^ und bevorzugtem Avance-
ment.
Der große G e n e r a l st a b in Berlin" hat im Frieden 1327
die kriegerische Tätigkeit des Heeres vorzubereiten. Dahin gehört
das Entwerfen und Ausarbeiten genauer Pläne für die im Kriegs-
fall eintretende Mobilmachung (d. h. Kriegsbereitmachung) des
Heeres und für die Zufammenziehung und die Operationen der
Armeen, ferner das Sammeln von Nachrichten und statistischem
Material über die fremden Heere, die Herstellung genauer Karten für * 10 11
^ Zu Gefreiten werden die Soldaten bei guter Führung zunächst
befördert; sie gehören noch nicht zu den Unteroffizieren, werden aber als
Korparalschaftsführer, Wachthabende, Führer kleiner Kommandos u. dgl.
verwendet.
10 Die Generalstabsoffiziere tragen an den Seiten der Beinkleider
breite rote Streifen; diese sind aber zum Unterschied von den Generals-
streifen nicht hellrot (ziegelrot), sondern bläulichrot (himbeerrot).
11 Außer dem großen Generalstab in Berlin gibt es noch einen bayeri-
schen in München und einen sächsischen in Dresden.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
28
434
Heer und Kriegsflotte
das eigene Land und die etwaigen ausländischen Kriegsschauplätze,
sodann die Ausbildung von Offizieren für die höhere Truppenfüh-
rung und endlich^ die Pflege der kriegswissenschaftlichen Bildung
namentlich durch Studium und Bearbeitung der Kriegsgeschichte. Im
Kriege unterstützt der große Generalstab die oberste Heeresleitung
durch Erteilen von Auskunft über das feindliche Heer und den Kriegs-
schauplatz sowie dadurch, daß er die allgemeinen Anordnungen der
obersten Befehlshaber in Einzelbefehle für die verschiedenen Truppen-
körper (über deren Unterbringung, Märsche und Gefechte) aus-
arbeitet.
Z28 Daneben bestehen noch besondere General st übe bei den
Armeekorps, bei den Divisionen und bei den Gouvernements
der großen Festungen. Ihnen liegt für ihren Bereich die Vorbereitung
der Mobilmachung ob, und im Kriege wie bei den Manövern haben
sie bei diesen Truppenkörpern die gleichen Aufgaben zu erfüllen, wie
der große Generalstab bei der obersten Heeresleitung.
4. Die Heeresverwaltung.
Z2y Die Erziehung, Ausbildung, Ernennung, Versetzung usw. der
Offiziere, die Unterbringung, Verpflegung und Ausrüstung der Trup-
pen, die Sorge für ihre Gesundheit und ihre kirchlichen Bedürfnisse,
die Militärrechtspflege, die Bereitstellung der Kriegsmittel usw. ver-
ursachen eine Menge von Verwaltungsgeschäften, deren oberste Be-
aufsichtigung und Leitung dem preußischen Kriegsmini st e-
r i u m^ zu Berlin zusteht. Für die unter unmittelbarer Leitung
des Kaisers zu erledigenden Geschäfte bedient dieser sich feines M i l i-
tärkabinetts. In Bayern besteht eine besondere Königliche
Adjutantur.
Von den verschiedenen Zweigen der Militärverwal-
tung sind insbesondere zu nennen:
zzo a. die sog. Intendanturen,
deren eine für jedes Armeekorps besteht. Ihnen liegt die Sorge für
die Unterbringung, Verpflegung und Bekleidung der Truppen sowie
das Kassen- und Rechnungswesen ob. An der Spitze der Korpsinten-
dantur steht der Korpsintendant, welchem die erforderliche Anzahl
von Intendantur-Räten, -Assessoren, -Sekretären usw. beigegeben ist.
Den Intendanturen unterstehen die Proviant- und die Bekleidungs-
ämter, die Garnison- und die Lazarettverwaltungen usw., ferner die
Zahlmeister, denen das Zahlungs- und Rechnungswesen bei den
Truppen übertragen ist. 12
12 Bayern, Württemberg und Sachsen haben für ihre Militärverwaltung,
wie bereits erwähnt, besondere Kriegsministerien; f. wegen des bayerischen
Kriegsministeriums Nr. 196.
Zusammensetzung und Verwaltung des Heeres
435
b. Das Militär gesundheitswese n. izzi
An der Spitze des aus den Militärärzten und deren Hilfsperso-
nal bestehenden Sanitätskorps steht derGeneralarztder
Armee. Für Bayern ist ein besonderer G e n e r a l st a b s a r z t
der A r ni e e bestellt. Das Sanitütswesen der einzelnen Armeekorps
wird durch die Generalärzte geleitet. Bei den Divisionen,
Truppenteilen und Anstalten sind Generaloberärzte, Ober-
st a b s ä r z t e, Stabsärzte, Oberärzte usw. angestellt.
c. Das militärische E r z i e h u n g s- und U n t e r r i ch t s - 1ZZ2
w e s e n.
Hierher gehört die Verwaltung der Kadettenanstalten, der
Kriegsschulen und der Kriegsakademie, der Unterofsiziersschulen, der
Schießschulen, des Militür-Reitinstituts usw.^.
d. Das Militärjustizwesen,
von welchem bereits früher (bei Nr. 326) gesprochen wurde.
e. Das Militär veterinärwesen
unter einem Inspektor und den Korpsstabsveterinären."
l. Die militärischen Fabriken: Munitionsfabriken,
Gewehrsabriken, Artilleriewerkstätten, Pulverfabriken u. dgl.".
c. Die Heeresstärke und der Ersatz des Heeres.
1. Die Heeresstärke.
Die Friedensstärke des deutschen Heeres (auch Friedens- 1333
Präsenz st ärke genannt), d. h. die Zahl der im Frieden stets unter
den Fahnen befindlichen Soldaten, wurde in der Reichsverfassung
zunächst aus ein Prozent der Bevölkerung angenommen. Seit deni
Jahre 1874 wird sie jeweils durch Gesetz aus eine Anzahl von Jahren
bestimmt. Anfangs geschah dies aus 3 Jahre (sog. Triennat), später
aus 7 Jahre (sog. Septennat); jetzt erfolgt die Festsetzung jeweils aus
5 Jahre (sog. Quinquennat). Gegenwärtig beträgt die Frie- 13 * 15
13 Bayern besitzt an besonderen Militärbildungsanstalten die Kriegs-
akademie, die Artillerie- und Ingenieurschule, die Kriegsschule, das Kadetten-
korps, die Equitationsanstalt (für die Ausbildung im Reiten), sämtliche zu
München, die Militärschießschule zu Augsburg, die Unterossizierschule zu
Fürstenfeldbruck, die Militärlehrschmiede und die Oberseuerwerkerschule zu
München.
"In Bayern sind vier Korpsstabsveterinäre, außerdem Oberstabs-
veterinäre, Stabsveterinäre und Oberveterinäre bestellt.
15 Bayern besitzt an militärischen Fabriken eine Gewehrfabrik zu
Amberg, eine Geschützgietzerei und Geschoßsabrik zu Ingolstadt, Artillerie-
werkstätten zu München, ein Hauptlaboratorium und eine Pulverfabrik zu
Ingolstadt.
28*
436
Heer und Kriegsflotte
densstärke rund eine halbe Million Mann ohne die Einjahrig-Frei-
willigen, die Offiziere, Unteroffiziere, Aerzte und Militärbeamten.
IZZ4 Dieses Friedensheer bildet die Schule des Volkes für den Krieg
und zugleich den festen Rahmen für das Kriegsheer. Im Kriegsfälle
nämlich wird es sehr erheblich verstärkt durch Einberufung der in
früheren Jahren ausgebildeten Mannschaften, von denen die jüngeren
die sog. Reserve, die älteren die L a n d w e h r I. und II. Auf-
gebots bilden. Die ältesten und die jüngsten (noch nicht zum
Militär einberufenen) Mannschaften zählen zum Landsturm, der
im Kriege nur bei außerordentlichem Bedarf zur Verstärkung der
Feldarmee, sonst aber zur Verteidigung des Landes verwendet wird.
Die Gesamt -Kriegsstärke unseres Heeres wird (ebenso wie die
im Kriege zu bildenden Neuformationen) streng geheimgehalten; doch
schätzt man sie auf rund iy2 Millionen Mann.
2. Der Heeresersatz.
1335 Da die vollständig ausgebildeten Soldaten alljährlich von den
Fahnen entlassen werden, so muß jedes Jahr auch wieder die zur
Erhaltung der gesetzlichen Friedensstärke erforderliche Anzahl von
Rekruten zum Militärdienst eingezogen werden. Diese regelmäßige
Ergänzung des Heeres heißt das Militär-Ersatzgeschäft; es
ist in folgender Weise geregelt:
Das ganze Reichsgebiet ist (den 22 Linienarmeekorps entspre-
chend) in 22 Ersatzbezirke eingeteilt, welche wieder in Brigadebezirke
zerfallen. Diese wiederum gliedern sich in L a n d w e h r b e z i r k e ,
an deren Spitze jeweils der B e z i r k s k o m m a n d e u r steht. Die
Landwehrbezirke endlich sind in Aushebungsbezirke geteilt,
welche in der Regel mit dem Staatsverwaltungsbezirk (in Bayern
mit dem Bezirk einer Distriktsverwaltungsbehörde) zusammenfallen.
1336 Jeder wehrpflichtige Deutsche wird mit dem 1. Januar des Jah-
res, in welchem er das 20. Lebensjahr vollendet", militärpflich-
tig, d. h., er hat sich der Aushebung zu unterwerfen. Zu diesem
Zwecke muß er sich zunächst während der zweiten Hälfte des Januar
bei der Ortsbehörde seines dauernden Aufenthaltsorts oder (wenn
er einen solchen nicht hat) seines Geburtsorts zur Eintragung seines
Namens in die sog. Rekrutierungs-Stammrolle (d. h.
das Verzeichnis der Gestellungspflichtigen) melden". Er erhält sodann 16 17
16 Wer kräftig genug ist und schon vor Erreichung des militärpflichtigen
Alters in das Heer eintreten will, kann sich bereits nach vollendetem 17. Le-
bensjahr als „Freiwilliger" melden; alsdann steht ihm die Wahl des
Truppenteils frei.
17 Wer sich zur Stammrolle nicht anmeldet oder in den Musterungs-
oder Aushebungsterminen nicht erscheint, hat Strafe zu gewärtigen und kann
Heeresstärke und Heeresersatz
437
eine Vorladung zur sog. M u st e r u n g , welche durch die Ersatz-
kommission des Aushebungsbezirks vorgenommen wird. Diese
Ersatzkommission besteht aus dem Landwehrbezirkskommandeur und
einem höheren Beamten der Zivilverwaltnng (in Bayern in unmittel-
baren Städten in der Regel dem Bürgermeister, im übrigen in der
Regel dem Bezirksamtmann). Zur Unterstützung sind ihr ein
Jnsanterieoffizier uitd ein Militärarzt beigegeben. Bei der
Musterung, welche gewöhnlich im März stattfindet, werden die
erschienenen Militärpflichtigen ärztlich auf ihre militärische Brauch-
barkeit untersucht. Wer noch nicht kräftig genug erscheint oder mitten
in der Vorbereitung zu einem Lebensberuf steht oder in seiner Familie
unentbehrlich ist, kann zunächst für eine gewisse Zeit zurückgestellt
werden. Im übrigen sind aber die Entscheidungen der Ersatzkommis-
sion nur vorbereitend; die endgültige Entscheidung über die Einzie-
hung der Rekruten steht der später zusammentretenden Oberersatzkom-
mission (s. unten) zu. An das Musterungsgeschäft schließt sich unmit-
telbar die sog. L o s u n g^ an. Wenn nämlich mehr brauchbare
Mannschaften vorhanden sind als für den Bezirk dem Bedarf ent-
spricht, so wird über die Reihenfolge der Einziehung zum Dienst durch
das Los entschieden. Diejenigen, welche hierbei die höchsten Losnum-
mern ziehen, werden zunächst nicht einberufen. Auf sie kann aber,
wenn der Aushebungsbezirk späterhin nicht genügend brauchbare
Rekruten liefert, während der nächsten zwei Jahre noch zurückgegriffen
werden; geschieht dies jedoch nicht, so werden sie im dritten Jahre der
Ersatzreserve (s. Nr. 1342) überwiesen.
Das eigentliche Aushebungsgeschäft wird durch die
O b e r e r f a tz k o m m i s s i o n vorgenommen, welche gewöhnlich im
Mai zu diesem Zweck die einzelnen Aushebungsbezirke bereist. Ihr
gehört der Jnfanteriebrigadekommandeur (Generalmajor) sowie ein
höherer Beamter der Staatsverwaltung (er wird in Bayern vom Mi-
nisterium des Innern bestellt) an. Es wirken ferner der zuständige
Bezirkskommandeur, der Brigadeadjutant und ein höherer Militär-
arzt mit. Der Oberersatzkommission werden die einzelnen Militär-
pflichtigen vorgestellt, und sie entscheidet in der Regel endgültig^,
wer vom Dienst ausgeschlossen ist (z. B. wegen früherer Verurteilung 18 19
unter Umständen das Recht aus Zurückstellung verlieren oder sogar als sog.
unsicherer Heerespslichtiger sofort in das Heer eingereiht
werden.
18 Die Einjahrig-Freiwilligen nehmen an der Losung nicht teil.
19 Gegen diese Entscheidung der Oberersatzkommission kann aber noch
die Entscheidung der hoch st en Ersatzbehörde angerufen werden;
diese besteht aus dem kommandierenden General des Armeekorps und einem
hohen Beamten der Staatsverwaltung.
438
Heer und Kriegsflotte
zur Zuchthausstrafe, f. Nr. 225), wer auszumustern, d. h. völlig zu
befreien ist (wegen dauernder Untauglichkeit), wer dem Landsturm
I. Aufgebots oder der Erfatzreferve zu überweifen ist, (wegen nur be-
dingter Tauglichkeit oder aus anderen Gründen), wer noch zurückzu-
stellen ist20, und wer endlich als tauglich auszuheben ist.
1339 Die ausgehobenen Mannschaften (die sog. Rekruten) werden
durch die Oberersatzkommifsion den einzelnen Waffengattungen und
Truppenteilen zugeteilt, aber zunächst wieder in ihre Heimat
entlassen bis zu ihrer Einberufung, welche bei der Infanterie und
Artillerie regelmäßig um die Mitte des Oktober, bei der Kavallerie
zu Beginn des Oktober erfolgt. Sie gehören bis dahin zu den Per-
sonen des Beurlaubtenstandes und stehen unter der Aufsicht und Kon-
trolle des Landwehrbezirkskommandos.
O. Die Wehrpflicht und die Heeres lasten.
1. Begriff und Dauer der Wehrpflicht.
1340 Das deutsche Heer ist ein Volksheer; denn es beruht auf der
allgemeinen Wehrpflicht. Darunter versteht man, daß
20 Die Zurückstellung wegen körperlicher Schwäche,
geringer Körpergröße oder wegen heilbarer Krankheiten von längerer Dauer
darf höchstens zwei Jahre lang geschehen; find die Betreffenden dann noch
nicht zum Militärdienst geeignet, so werden sie der Erfatzreferve oder dem
Landsturm I. Aufgebots überwiesen oder gänzlich ausgemustert.
Mit Rücksicht auf ihre bürgerlichen Verhältnisse
können auf Ansuchen z. B. zurückgestellt werden die einzigen Ernährer
hilfloser Familien oder erwerbsunfähiger Eltern, der unentbehrliche Sohn
eines zur Arbeit und Aufsicht unfähigen Grundbesitzers, Pächters oder Ge-
werbetreibenden usw. Dauern diese Verhältnisse nach 2 Jahren noch fort,
so werden die betreffenden Militärpflichtigen der Erfatzreferve oder dem
Landsturm I. Aufgebots überwiesen. Bei diesen Entscheidungen haben
neben den regelmäßigen Mitgliedern der Ersatzkommission oder der Ober-
erfatzkommifsion bürgerliche Mitglieder teilzunehmen. Treten die oben be-
sprochenen häuslichen Verhältnisse erst nach der Aushebung ein, so können
die Soldaten auf Ansuchen der Angehörigen von der Truppe wieder entlassen
werden.
Eine Zurückstellung wegen der Vorbereitung zu
einem Lebensberus kann nicht länger als im ganzen auf 4 Jahre
erfolgen.
Militärpflichtige, die sich dauernd im Auslande
aushalten, können 2 Jahre zurückgestellt werden. Diese können sich
übrigens aus ihre Militürtauglichkeit auch von den im Ausland ansässigen
Aerzten untersuchen lassen, welche zu solchen Untersuchungen amtlich be-
sonders bestellt sind.
Wegen Zurückstellung der Einjährig-Freiwillig en
s. Nr. 1346.
Die Wehrpflicht
439
jeder Deutsche zum Heeresdienst verpflichtet ist und sich in der Aus-
übung dieser Pflicht nicht (wie dies in früheren Jahren statthaft war)
vertreten lassen kanrUst
Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und dauert
bis zum vollendeten 45. Lebensjahre.
2. Tie Dienstpflicht und die Landsturmpflicht im allgemeinen.
Die Wehrpflicht zerfällt in die Dienstpflicht und in die Land- >341
sturmpflicht.
Die Dien st Pflicht besteht darin, daß jeder wehrpflichtige
Deutsche zunächst 7 Jahre lang (in der Regel vom 20. bis 27. Jahre)
dem stehenden Heere anzugehören hat, und zwar zuerst dem aktiven
Heer in ununterbrochenem Dienst („bei der Fahne") und später der
Reserve. Während der folgenden 5 Jahre gehört er zur Landwehr^
ersten Aufgebots und von da ab zur Landwehr zweiten Aufgebots
bis zum 31. März des Jahres, in welchem er das 39. Lebensjahr
vollendet.
Abweichend hiervon ist die Dienstpflicht der E r f a tz r e f e r v e r342
geregelt, welche zur Ergänzung des Heeres bei Mobilmachungen und
zur Bildung von Ersatztruppenteilen dient. Ihr werden, wie wir
bereits sahen, besonders die Mannschaften zugeteilt, welche körperlich
minder tauglich sind oder ihrer bürgerlichen Verhältnisse wegen nicht
zum aktiven Dienst ausgehoben wurden, oder welche als überzählig
ausgelost worden sind. Die Ersatzreservepflicht dauert 12 Jahre.
Während dieser Zeit können die Ersatzreservisten zu drei Uebungen
von 10, 6 und 4 Wochen eingezogen werden; diese Uebungen finden
jetzt nicht mehr mit der Waffe statt, sondern sie dienen der Ausbildung
in besonderen militärischen Dienstzweigen, z. B. in der Krankenpflege,
der Verwaltung usw. Nach Ablauf der 12 Jahre treten die Ersatz-
reservisten in die Landwehr zweiten Aufgebots oder (falls sie nicht
geübt haben) in den Landsturm ersten Aufgebots über.
Der Landsturm zerfällt (wie die Landwehr) in zwei Aufge- 1343
böte. Das erste Aufgebot umfaßt die Wehrpflichtigen vom
17. bis in das 39. Lebensjahr; ihm gehören daher nur Mannschaften
an, welche im aktiven Heere nicht gedient haben. Dem zweiten
Aufgebot dagegen gehören die gedienten und ungedienten Wehrpflich- * 22
^ Von der Wehrpflicht ausgenommen sind nur die
Mitglieder der regierenden Fürstenhäuser und gewisser Familien des hohen
Adels.
22 Die Landwehr bildet im Kriege großenteils besonders for-
mierte Truppenkörper, welche zur Verteidigung des Landes und als Reserve
des Heeres verwendet werden.
440
Heer und Kriegsflotte
tigen vom 39. bis zum 45. Lebensjahre an, soweit sie nicht wegen
Untauglichkeit völlig ausgemustert sind. In Friedenszeiten sind die
Landsturmpslichtigen keiner militärischen Kontrolle und keiner
Uebung unterworfen. Im Kriegsfall wird der Landsturm durch den
Kaiser, in Bayern durch den König, und zwar nach Jahresklassen, zu
den Waffen gerufen.
3. Der aktive Militärdienst insbesondere.
1344 Der sog. aktive, ununterbrochene Dienst bei der Fahne währte
früher für alle Truppen 3 Jahre; jetzt dauert er so lange nur noch
für die Kavallerie und die reitende Feldartillerie, während er für die
übrigen Waffengattungen (Fußtruppen, fahrende Artillerie und
Train) auf 2 I a h r e herabgesetzt ist23.
Dieser Grundsatz erleidet jedoch folgende Ausnahmen:
a. Katholische Geistliche sind von dem aktiven Mili-
tärdienst befreit; sie werden der Ersatzreserve zugewiesen und haben
auch bei dieser keine Uebungen zu leisten.
d. Volksschullehrer und Volksschulkandidaten dienen ent-
weder als Einjährig-Freiwillige oder ein Jahr bei der Infanterie.
1345 c. Junge Leute, welche die erforderliche Bildung durch das Zeug-
nis einer zur Ausstellung eines solchen berechtigten Lehranstalt2^ oder
durch das Bestehen einer besonderen Prüfung nachweisen, brauchen als
sog. Einjährig-Freiwillige nur ein Jahr bei der Fahne
zu dienen und können sich den Truppenteil selbst wählen. Aus ihnen
gehen die Reserve- und Landwehroffiziere hervor (s. Nr. 1358).
Auf Grund des erwähnten Schulzeugnisses muß jedoch um die
Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-Dienst noch besonders nach-
gesucht werden. Das Gesuch muß spätestens bis zum 1. Februar des
Jahres, in welchem der Betreffende das 20. Lebensjahr vollendet, bei
der Prüfungskommission für Einjährig-Freiwillige eingereicht wer-
den. Dem Gesuche sind (abgesehen von dem Schulzeugnis) beizu-
legen: 1. Ein Geburtszeugnis. 2. Eine Erklärung des Vaters oder
23 Zur Ausgleichung gehören die Mannschaften, welche 3 Jahre bei der
Fahne gedient haben, nur 3 Jahre (anstatt 5) der Landwehr I. Auf-
gebots an.
Im Kriege haben alle Mannschaften so lange zu dienen, als ein Be-
dürfnis besteht.
24 Die Lehranstalten, deren erfolgreicher Besuch zum Einjährig-Frei-
willigen-Dienst befähigt, werden von der Reichsschulkommission
(s. Nr. 768) bestimmt.
Junge Leute, welche aus dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst, des
Kunstgewerbes, der Technik usw. sich in hervorragender Weise ausgezeichnet
haben, können ohne weiteren Nachweis ihrer wissenschaftlichen Bildung
von der obersten Ersatzbehörde zum Einjährig-Freiwilligen-Dienst zugelassen
werden.
Die Wehrpflicht
441
Vormunds, daß er bereit ist, während der aktiven Dienstzeit die
Kosten der Bekleidung, Ausrüstung und Wohnung sowie des Unter-
halts zu tragen. 3. Die obrigkeitliche Bescheinigung, daß der Vater
oder Vormund auch hierzu imstande ist. 4. Ein Unbeschol-
tenheitszeugnis, welches für die Zöglinge höherer Schulen durch deren
Direktor, sür andere junge Leute durch die Polizeibehörde oder durch
die ihnen vorgesetzte Dienstbehörde auszustellen ist.
Die Einjahrig-Freiwilligen können vor dem Eintritt ihres 1346
militärpflichtigen Alters bet der Ersatzbehörde ihres Aushebungs-
bezirks unter Vorlage des Berechtigungsscheines ihre Zurückstel-
l u n g bis zum 1. Oktober des Jahres beantragen, in welchem sie das
23. Lebensjahr vollenden. Ausnahmsweise (z. B. zur Vollendung des
Studiums) ist noch eine weitere Zurückstellung bis zum 26., in beson-
deren Fällen sogar bis zum 28. Lebensjahre zulässig. Wer sich nicht
rechtzeitig zum Dienstantritt meldet, verliert die Berechtigung zum
Einjährig-Freiwilligen-Dienst.
Aerzte und Tierärzte dienen regelmäßig ein halbes Jahr 1347
mit der Masse, das andere Halbjahr als Unterärzte. Ebenso dienen
Apotheker während des zweiten Halbjahres in einer Militär-
apotheke.
4. Ter Beurlaubtenstand.
Zum Beurlaubtenstand gehören außer den ausgehobenen und 1348
in die Heimat beurlaubten Rekruten (s. Nr. 1339) die Angehörigen
der Reserve und Landwehr sowie die Ersatzreservisten.
Die Personen des Beurlaubtenstandes sind der m i l i t ä r i s ch e n
Kontrolle unterworfen. Sie wird von den Landwehrbezirks-
kommandos und von den unter ihrer Leitung stehenden Meldeämtern
und Bezirksfeldwebeln ausgeübt. Dieser Kontrolle dienen die jährlich
zweimal stattfindenden Kontrollversammlungen sowie die
Meldungen, welche beim Wechsel des Wohnsitzes, beim Antritt
längerer Reisen usw. von den Personen des Beurlaubtenstandes zu
erstatten sind.
Die Beurlaubten werden auch zu militärischen U e b u n - 1349
gen einberufen, und zwar in der Regel die Reservisten zweimal bis
zu je 8 Wochen, die Landwehrmänner ersten Aufgebots zweimal auf
je 8—14 Tage, die Ersatzreservisten dreimal (aus 10, 6 und 4 Wochen).
Während dieser Uebungen erhalten die Familien der Einberufenen
aus Verlangen Unterstützungen. Das gleiche gilt im Kriegsfalle sür
bedürftige Familien der einberufenen Mannschaften. Die gezahlten
Unterstützungsbeiträge werden aus der Reichskasse erstattet.
442
Heer und Kriegsflotte.
5. Verletzungen der Wehrpflicht.
iZ5o Wegen Verletzung der Wehrpflicht wird gerichtlich bestraft, wer,
um sich feiner aktiven Dienstpflicht zu entziehen, sich in das Aus-
land begibt oder nach Erreichung des militärpflichtigen Alters von
dort nicht zurückkehrt; ferner Reserveoffiziere und Militärärzte der
Reserve, welche ohne Erlaubnis auswandern, endlich jeder Wehr-
pflichtige, der zur Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr ent-
gegen einer allgemeinen Anordnung des Kaisers auswandert^.
Gefängnisstrafe und unter Umständen auch Verlust der bürger-
lichen Ehrenrechte trifft solche, die, um sich der Erfüllung der Wehr-
pflicht zu entziehen, sich durch Selbstverstümmelung oder
auf sonstige Weife dienstuntauglich machen oder bei der Gestellung
Mittel anwenden, die auf Täuschung berechnet sind.
6. Die Heereslasten.
1351 Abgesehen von dem persönlichen Militärdienst verpflichtet das
Gesetz die Staatsbürger auch zu sachlichen Leistungen verschiedener
Art für die Kriegsmacht.
IZ52 a. Hierher gehört zunächst die Qua r tierlei st ungs-
p f l i ch t, d. h. die Pflicht, den Truppen in den Garnisonen (falls da-
selbst ausreichende Kasernen noch nicht erbaut sind) sowie auf Mär-
schen, an Orten vorübergehenden Aufenthalts (sog. Kantonnements)
und in den Manövern Wohnungs- und Stallräume zu gewähren.
Den auf Märschen oder im Manöver befindlichen Truppen ist ferner
neben der Quartierleistung auch Naturalverpflegung zu
stellen; auch sind ihnen die nötigen Futtervorräte (sog. Fou-
rage) zu liefern, und endlich sind die Besitzer von Zugtieren und
Wagen zur Leistung von Vorspann verpflichtet. Für alle
diese Leistungen werden von den Militärbehörden zunächst die Ge-
meinden in Anspruch genommen, und diese verteilen sie auf die Ein-
wohner nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit. Für das Geleistete
wird die im Gesetz bestimmte Entschädigung^ gewährt; deren Aus-
zablung geschieht gleichfalls durch Vermittelung der Gemeinde-
behörde.
1353 Ersatz erhalten auch die Besitzer landwirtschaftlicher Grundstücke
für den auf diesen durch Truppenübungen angerichteten Schaden.
Die Höhe dieser sog. Flurschäden wird, wenn eine gütliche Eini- 25 *
25 Wegen des militärischen Landesverrats f. Nr. 247.
2° Die Entschädigung für Quartierleistung heißt Servis; ihre Höhe
bestimmt sich nach einem Tarif, welcher auf der Einteilung aller Ortschaften
in mehrere Servisklasscn beruht.
Die Heereslasten
443
gung nicht erzielt wird, festgestellt durch eine Abschätzungskommission,
welcher neben militärischen Mitgliedern auch ein Zivilkommissär
sowie mehrere Sachverständige angehören.
Die Eisenbahnen sind jederzeit zu Truppentransporten zu 1354
bestimmten Tarifsätzen verpflichtet. Ebenso kann die Kriegsmarine
von den Besitzern von Schisssfahrzeugen im Notfälle
ihre Ueberlassung fordern zum Zwecke des Transports von
Truppen und Materialien an Bord und von Bord der Kriegsschiffe.
d. In ähnlicher Weise sind die Leistungen für den 1355
Kriegsfall gesetzlich geregelt. Die Besitzer von Pferden sind
im Falle einer Mobilmachung verpflichtet, sie aus Verlangen
gegen Ersatz des vollen Werts der Militärverwaltung zu überlassen.
Zur Vorbereitung dieser Pserdeaushebung wird schon im
Frieden der Pferdebestand des Landes regelmäßigen Musterungen
unterzogen, zu denen die Pferde vorgeführt werden müssen.
c. In der Umgebung von Festungen ist die Fernhaltung 1536
aller Anlagen erforderlich, welche dem Angreifer eine Deckung ge-
währen könnten. Zu diesem Zweck ist das außerhalb der Befesti-
gungslinie liegende Gelände in drei gürtelförmige sog. Rayons
eingeteilt. Innerhalb dieser Rayons sind Geländeveränderungen
und bauliche Anlagen teils ganz untersagt, teils nur mit Genehmi-
gung der Festungskommandantur gestattet, und zwar sind diese Be-
schränkungen in unmittelbarer Nähe der Festungswerke (im 1. Rayon)
naturgemäß am größten. Gegen die aus Bebauung der Rayons
bezüglichen Anordnungen der Kommandantur kann die Entscheidung
der R e i ch s r a y 0 n k 0 m m i s s i 0 n angerufen werden.
Im Fall der Armierung der Festung (d. h. der In-
standsetzung für den Krieg) müssen aus Verlangen innerhalb der Ra-
yons alle Anlagen und Pflanzungen (regelmäßig gegen Entschädi-
gung) beseitigt werden.
e. Die Verhältnisse der Militärpersonen.
1. Die Offiziere erhalten zum großen Teil ihre Erziehung und 1357
Ausbildung im sog. Kadettenkorps, in welchem besonders die
Söhne von Offizieren billige Ausnahme finden. Das Korps zerfällt
in die Voranstalten (für die jüngeren Kadetten) und in die Haupt-
kadettenanstalt zu Groß-Lichterfelde bei Berlin^. Von dieser aus
treten die Kadetten als Fähnriche oder Leutnants in die Armee ein.
Wer Offizier werden will, ohne dem Kadettenkorps angehört zu
haben, muß zunächst eine Mittelschule mindestens bis zur Prima 27
27 Bayern besitzt ein besonderes Kadettenkorps in München.
444
Heer und Kriegsflotte
besuchen und sodann als sog. Fahnenjunker (früher Avanta-
geur genannt) in das Heer eintreten. Nach Ablegung des (für Abitu-
rienten indessen nicht erforderlichen) Fähnrichsexamens erfolgt die Er-
nennung zum Fähnrich und nach weiterer Dienstzeit und theoreti-
scher Vorbereitung (zumeist auf einer der Kriegsschulen^) die Offi-
ziersprüfung. Die Ernennung zum Offizier geschieht aus Grund der
durch das Offizierskorps des Truppenteils vorzunehmenden Wahll".
358 Die Reserveoffiziere, durch welche im Kriegsfall der er-
höhte Bedarf an Offizieren gedeckt wird, müssen nach tadelfreier
Zurücklegung der Einjährigen-Dienstzeit zwei achtwöchige militärische
Uebungen durchmachen. Nach der ersten werden sie zu Vizefeldwebeln
(oder Vizewachtmeistern) befördert, nach der zweiten findet ihre Wahl
zum Offizier durch das gesamte Offizierskorps des Landwehrbezirks
und alsdann ihre Ernennung statt.
359 2. Neben den Militärgerichten, welchen in Strafsachen alle Mi-
litärpersonen unterworfen sind (s. Nr. 326), gibt es fiir die Offiziere
(einschließlich der Reserve- und Landwehroffiziere und der mit
Uniform verabschiedeten Offiziere) noch besondere Ehren-
gerichte; diesen steht die Entscheidung darüber zu, ob ein Offizier
durch ein (wenn auch gerichtlich nicht strafbares) Verhalten der Ehre
oder den Verhältnissen des Offiziersstandes zuwider gehandelt hat.
Ist dies festzustellen, so werden zunächst durch einen aus drei Offi-
z6o zieren bestehenden Ehrenrat die nötigen Ermittelungen veran-
staltet, oder es wird eine förmliche ehrengerichtliche Untersuchung ge-
führt. Die schließliche Entscheidung, welche entweder auf Frei-
sprechung oder auf Warnung, Entlassung mit schlichtem Abschied oder
auf Entfernung aus dem Offiziersstande lauten kann und der Bestä-
tigung durch den obersten Kriegsherrn bedarf, wird vom Ehren-
gericht selbst erlassen; es besteht, wenn sich das Verfahren
gegen einen Stabsoffizier richtet, aus einem General und 9 Stabs- 23
23 Die für die höheren Kommandostellen erforderliche kriegswissen-
fchaftliche Ausbildung erhalten die hierzu befähigten Offiziere auf der
Kriegsakademie in Berlin. Bayern besitzt eine besondere Kriegs-
akademie zu München.
22 In Bayern wird, soweit nicht Zöglinge des Kadetten-Korps in
Frage kommen, für die Regel erfordert das Reifezeugnis für die Universität,
erworben aus einem deutschen humanistischen Gymnasium, Realgymnasium
oder einer Oberrealfchule mit neunjährigem Lehrgänge, ferner einjähriger
Truppendienst, während dessen nach mindestens sechsmonatiger Dienstzeit
Beförderung zum Fähnrich erfolgt, Besuch der Kriegsschule und Bestehen
der Offiziersprüfung. Hierauf erfolgt die Ernennung zum Offizier wie
bei den übrigen Kontingenten. Für besondere Fälle ersetzt das Bestehen
der Fähnrichsprüfung, die beim Kadettenkorps abgehalten wird, den Besitz
des Reifezeugnisses.
Die Verhältnisse der Militärpersonen
445
Offizieren des Armeekorps, fönst aus dem gesamten Offizierskorps
des betreffenden Regiments, selbständigen Bataillons oder Landwehr-
bezirks.
Dem erwähnten Ehrenrat müssen die Offiziere auch von allen
Ehrenhändeln, in die sie verwickelt werden, Anzeige machen; er hat
die Aufgabe, solche Streitigkeiten, wenn möglich, beizulegen und auf
diese Weife Zweikämpfe (Duelle) zu verhindern.
3. Für alle Militärpersonen (ausgenommen die Militärbeam- 1361
tert) ruht das aktive (nicht aber das passive) Wahlrecht zum
Reichs- und zum Landtag. Auch die Teilnahme an politi-
schen Vereinen und Versammlungen ist den Militär-
personen untersagt, weil alle politischen Umtriebe vom Heer und von
der Marine ferngehalten werden sollen.
Zur Verheiratung bedürfen Militärpersonen der Geneh-
migung ihrer Vorgesetzten. .
Hinsichtlich der Besteuerung genießen die Militärpörsonen 1362
Vorzüge. Das Militäreinkommen der Personen des Unterofsiziers-
und Gemeinenstandes, sowie für den Fall der Mobilmachung das
Militäreinkommen aller Angehörigen des aktiven Heeres sind bei
Erhebung der Staatssteuern außer Betracht zu lassen. Diese Be-
stimmung hat für Bayern, wo die Gemeindeumlagen in Form von
Zuschlügen zur Staatssteuer erhoben werden, die weitere Folge, daß
insoweit auch die Pflicht zur Entrichtung der Umlagen entfällt. Da-
gegen gilt die in der Mehrzahl der deutschen Staaten eingeführte
Gemeindeabgabenbesreiung des Einkommens der aktiven Offiziere
und der Militärbeamten im Ossiziersrang in Bayern nicht.
4. Die Pensionen und sonstigen Versorgungen der Militär- '363
Personen sind durch besondere Reichsgesetze, insbesondere durch das
Ossizierspensionsgesetz, das Mannschaftsversorgungsgesetz und das
Militärhinterbliebenengesetz geregelt.
Die Osfizierspensionen werden nach ähnlichen Grundsätzen be-
rechnet wie die Pensionen der Reichsbeamten (s. Nr. 116). Offiziere
und Mannschaften, welche durch den Krieg invalide geworden sind,
erhalten zu der regelmäßigen Pension eine Kriegszulage und im
Falle einer Verstümmelung oder sonstigen besonders schweren Ver-
letzung eine weitere besondere Zulage.
Zur Bestreitung der durch den deutsch-französischen Krieg stark 1364
angewachsenen Pensionslasten wurde aus Mitteln der französischen
Kriegsentschädigung ein Reich sinvalidensonds von ur-
sprünglich 187 Millionen Talern gebildet, welcher von einer beson-
deren Reichsbehörde verwaltet wird. Er ist im Laufe der Jahre be-
reits erheblich zusammengeschmolzen.
446
Heer und Kriegsflotte
365 Um tüchtige Kräfte für den U n t e r 0 f f i z i e r s d i e n st zu
gewinnen, werden den sog. Kapitulanten, d. h. den Soldaten,
welche nach Beendigung ihrer Dienstzeit sich verpflichten, weiter zu
dienen, um zu Unteroffizieren befördert zu werden, besondere Vor-
teile geboten. Sie erhalten nach zwölfjähriger Dienstzeit den sog.
Zivilverforgungsfchei n^; auf Grund dieses Scheins
haben sie als sog. M i l i t ä r a n w ä r t e r Anspruch auf vorzugs-
weise Verwendung in zahlreichen Subaltern- und Unterbeamtenftel-
lungen der Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden, der Eisenbahn-
verwaltungen usw. An Stelle des Zivilversorgungsscheins können
diese Kapitulanten aber auch als sog. Zivilversorgungsentschädigung
eine Rente von monatlich 12 Mark oder eine einmalige Geldabfin-
dung von 1500 Mark erhalten.
f. Die Kriegsflotte.
366 Unserer Kriegsflotte (auch Kriegsmarine genannt) liegt die
Ausgabe ob, im Kriege unsere Küsten gegen feindliche Angriffe zu
verteidigen und den Flotten feindlicher Mächte entgegenzutreten. Sie
hat ferner unsere Angehörigen im Auslande, unsere Kolonien und
Schutzgebiete, unsere Handelsflotte sowie überhaupt unsere See-
interessen zu schützen. Mit Recht sagt man im Hinblick aus die natio-
nale Bedeutung unserer aus den Export angewiesenen Industrie,
unseres Welthandels und unserer Schiffahrt, daß Deutschlands Zu-
kunft aus dem Wasser liege. Es wird daher ein unvergängliches Ver-
dienst Kaiser Wilhelms II. bleiben, daß er die Notwendigkeit einer-
starken deutschen Kriegsflotte frühzeitig erkannt und unermüdlich
auf deren Ausbau hingewirkt hat.
367 1. Die Kriegsflotte ist ausschließlich Reichsangelegenheit.
Ihre Stärke ist durch das Flottengesetz vom Jahre 1900 bestimmt;
sie soll nach diesem Gesetz bis zum Jahre 1917 derart erhöht werden,
daß sie alsdann b e st e h t :
a. a u s der S ch l a ch t s l 0 t t e. Zu dieser gehören:
4 Geschwader von je 8 Linienschiffen^. Das 1. und 2.
Geschwader bilden die aktive Schlachtflotte, das 3.
und 4. Geschwader die Reserve-Schlachtflotte;
30 Kapitulanten, welche wegen körperlicher Gebrechen im aktiven Dienst
nicht mehr verwendet werden können, erhalten den Zivilversorgungsschein
auch schon nach kürzerer als zwölfjähriger Dienstzeit. Die nicht zu den
Kapitulanten gehörenden Unteroffiziere können beim Ausscheiden aus dem
Militärdienst einen (dem Zivilversoraungsschein entsprechenden) Anstel-
lungsschein für den Unterbeamtendienst erhalten.
31 Die Linienschiffe, deren Name daher rührt, daß sie im See-
kampf in einer Linie fahren, sind die gepanzerten eigentlichen Schlacht-
Die Kriegsflotte
447
8 Große Kreuzer und 24 Kleine Kreuzer als Aufklä-
rungsschiffe^;
2 Flottenflaggschiffe^;
b. aus der Auslandsflotte, welche
3 Große Kreuzer und
10 Kleine Kreuzer umfaßt;
c. aus der fog. Materialreferve mit
4 Linienschiffen,
3 Großen Kreuzern und
4 Kleinen Kreuzern;
6. aus der Torpedoflotte, den Kanonenbooten und
den Schul- und Spezialfchiffen.
Die aktive Schlachtflotte wird ganz, die Reserve-Schlachtflotte
wird zur Hälfte ständig im Dienst gehalten. * 32 33
schiffe. Die Größe der Schiffe wird nach ihrer Wa sserverdrängung
(sog. Deplacement) bestimmt, d. h. nach dem Gewicht des von ihnen
verdrängten Wassers, welches gleich groß ist wie ihr eigenes Gesamtgewicht.
32 Die Kreuzer (kleine und große, gepanzerte und ungepanzerte)
dienen in erster Reihe als sog. A u s k l ä r u n g s s ch i f f e , d. h. sie suchen
die feindliche Schlachtslotte aus, um deren Stärke und Bewegungen aus-
zukundschaften, und sie übernehmen den Vorpostendienst bei der eigenen
Schlachtflotte, um diese vor überraschenden Angriffen der Torpedoslottillen
zu bewahren. Sodann haben die Kreuzer im sog. Kreuzerkrieg die Aufgabe,
den eigenen Scehandel zu schützen und den fremden zu zerstören durch
Wegnahme der fremden Handelsschiffe als Seebeute (sog. Prise, vom
französischen prendre). Im Seekrieg wird nämlich nicht (wie im Land-
krieg) das Privateigentum der Angehörigen des feindlichen Staates geschont,
sondern es unterliegt, sofern es nicht unter einer neutralen Flagge fährt,
der Wegnahme. Zu dieser Wegnahme (genannt Kaperei) werden zu-
weilen sogar von manchen Staaten noch Privatsahrzeuge durch Ausstellung
sogenannter Kaperbriefe ermächtigt. Uebrigens unterliegen auch
Schiffe neutraler Staaten der Wegnahme, sofern sie sog. Kriegskon-
terbande, d. h. Kriegsbedarf für den Gegner, mit sich führen. Besondere,
im Kriege gebildete Prise ngerichte entscheiden darüber, ob eine Weg-
nahme statthast war oder nicht; im letzteren Falle ist die Prise freizugeben.
Um ihre Ausgabe zu erfüllen, müssen die Kreuzer eine größere Ge-
schwindigkeit als die feindlichen Schlachtschiffe sowie einen großen sog.
Aktionsradius besitzen, d. h. sie müssen weite Fahrten ohne Er-
gänzung ihrer Kohlen- und Munitionsvorräte machen können.
33 Flaggschiff heißt das durch die Admiralsflagge ausgezeichnete
Schiff, auf welchem der Admiral den Befehl führt.
Die allgemeine deutsche Kriegsslagge des Heeres und
der Marine ist weiß und wird durch ein liegendes schwarzes Kreuz, dessen
Schnittpunkt durch einen preußischen Adler in weißem Felde verdeckt ist, in
vier Felder geteilt. Das obere innere dieser Felder zeigt die Farben schwarz-
werß-rot und das Eiserne Kreuz.
448
Heer und Kriegsflotte
Reichskriegshäfen sind der Kieler Hafen und der Jade-
hafen (Wilhelmshaven); sie sind gegen Anlagen und Einrichtungen,
welche im Krieg von Nachteil fein könnten, in ähnlicher Weife ge-
sichert wie die Festungen.
z68 2. Den Oberbefehl über die Flotte führt der Kaiser
selbst; er bestimmt deren Einrichtung und Zusammensetzung und
ernennt die Offiziere und Beamten. Zu feiner unmittelbaren Unter-
stützung dient das Marinekabinett (entsprechend dem Militär-
kabinett, f. Nr. 1329). Von den zahlreichen sonstigen Marinebehörden
seien hier als die wichtigsten nur erwähnt der A d m i r a l st a b der
Marine (dem Generalstab der Armee entsprechend, s. Nr. 1326),
ferner das unter einem Staatssekretär stehende Reichsmarine-
a m t (die oberste Reichsbehörde für die Verwaltung der Marine-
angelegenheiten, entsprechend dem Kriegsministerium), sowie die
M a r i n e st a t i o n e n für die Ostsee in Kiel und für die Nordsee in
Wilhelmshaven.
369 3. Die Mannschaften der Kriegsschiffe heißen Matrose n^. Sie
rekrutieren sich hauptsächlich aus der seemännischen Bevölkerung des
Reichs, wozu die Seeleute von Berus, die See- und Küstensischer, die
Schissszimmerleute, Maschinisten, Schifssheizer usw. zählen. Da-
gegen rekrutiert sich besonders aus der Landbevölkerung die aus meh-
reren Seebataiüonen bestehende Marineinfanterie, d. i. eine
im Jnfanteriedienst ausgebildete Marinetruppe zur Verteidigung der
Kriegshäsen und Kolonialhäsen und zur Verwendung als Expedi-
tionskorps im Ausland (z. B. seinerzeit in China); ebenso die mehrere
Abteilungen umfassende Marineartillerie, welcher die Bedie-
nung der Küstenartillerie, der Minensperren und der Torpedobatte-
rien obliegt, sowie endlich die W e r s t d i v i s i 0 n e n^.
370 Die aktive Dienstzeit in der Marine beträgt regelmäßig drei
Jahre. Im übrigen gelten hinsichtlich der Wehrpflicht, des Ersatz-
wesens und des Beurlaubtenstandes entsprechende Vorschriften wie
für das Landheer. Der Reserve, Ersatzreserve und Landwehr daselbst
entspricht die Marinereserve, die Marineersatzreserve und die Seewehr
ersten und zweiten Aufgebots. 34 35
34 Die Obermatrosen entsprechen den Gefreiten des Landheeres,
die Maate den Unteroffizieren, die Obermaate den Sergeanten, die
Deckossiziere und Oberdeckoffiziere den Vizefeldwebeln und
Feldwebeln.
Das Unteroffizierskorps der Marine rekrutiert sich großenteils aus
den bereits in jugendlichem Alter eintretenden Schiffsjungen; diese
werden in der Schiffsjungenabteilung ausgebildet.
35 Die Werften (in Danzig, Kiel und Bremerhaven) haben die
Kriegsschiffe zu bauen, auszurüsten und im Stand zu erhalten.
Internationale Abkommen über Kriegführung
449
4. Das Offizierskorps der Marine ergänzt sich Haupt- 1371
fachlich aus den Seekadetten. Zur Vorbereitung der Offiziere dient
die Marineschule; zur höheren kriegswifsenschaftlichen und
marinetechnifchen Ausbildung der Offiziere ist die Marineaka-
d e m i e bei Kiel bestimmt.
Die Dien st grade der Marineoffiziere entsprechen
denen des Landheeres. Es gibt Großadmirale (dem Generalfeld-
marschall entsprechend), Admirale (— den kommandierenden Gene-
ralen), Vizeadmirale (— Generalleutnant), Konteradmirale (= Ge-
neralmajor), Kapitäne zur See (— Oberst), Fregattenkapitäne
(= Oberstleutnant), Korvettenkapitäne (— Major), Kapitänleut-
nants (= Hauptmann), Oberleutnants zur See und Leutnants zur
See.
Offiziersrang besitzen auch die Maschineningenieure der Marine;
sie bilden ein besonderes Marine-Ingenieur- Korps.
G. Internationale Abkommen über Kriegführung.
Zum Schutze der Verwundeten im Kriege haben im Jahre 1864 1372
zu Gens alle europäischen und eine Anzahl außereuropäischer Staaten
ein (im Jahre 1906 neu gefaßtes) Abkommen geschlossen. Das in
dieser GenserKonvention vereinbarte Neutralitätszeichen für
die Verwundeten und für das Heil- und Pflegepersonal ist das
„Rote Kreuz" im Weißen Felde; es wird teils als Armbinde
getragen, teils als Fahne geführt. Gegen unbefugten Gebrauch zu
gewerblichen usw. Zwecken ist es durch ein besonderes deutsches Gesetz
geschützt.
Im Jahre 1899 tagte im Haag (Holland) unter Beteiligung 1373
von 26 Staaten eine Friedenskon seren z^°. Sie führte zum
Abschlüsse verschiedener Konventionen, welche allerdings zum Teil nur
mit Vorbehalten unterzeichnet worden sind. Eine dieser Konventionen
betrifft die friedliche Erledigung internationaler
Streitfälle. Hiernach sollen vor Ergreifung der Waffen immer
erst die guten Dienste oder die Vermittelung einer befreundeten Macht
angerufen werden. Zu diesem Zweck ist die Einsetzung internatio-
naler Untersuchungskommissionen und eines ständigen internationa-
len Schiedshofs vorgesehen, dessen Bureau sich im Haag befindet. 30
nicht
30 Die Ergebnisse der 2. Friedenskonferenz vom Jahre 1907 sind noch
veröffentlicht.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
29
450 Heer- und Kriegsflotte
iZ74 Ein weiteres Abkommen regelt die Gesetze und Gebräuche
des Landkrieges, indem es Bestimmungen trifft über die Be-
handlung der Kriegsgefangenen, der Parlamentäre und der Spione,
über die zulässigen Mittel zur Schädigung des Feindes, über Be-
lagerungen und Bombardements, über Waffenstillstände, über die
Behandlung der Bevölkerung eines im Kriege besetzten Landes und
über die Behandlung, welche neutrale Staaten den von ihnen fest-
gehaltenen Truppen eines kriegführenden Staates angedeihen lassen
müssen. Geschosse zur Verbreitung erstickender oder giftiger Gase
sowie solche, welche sich im menschlichen Körper plattdrücken oder aus-
dehnen (sog. Dumdumgeschosse) wurden verboten. Endlich wurden
die Grundsätze der oben erwähnten Genfer Konvention aus den See-
krieg ausgedehnt.
6. Teil.
VaF Finanzwesen.
A. Allgemeiner Teil.
I. Die staatliche Finanzwirtschaft im allgemeinen. iZ75
Je umfangreicher die Tätigkeit des Staates wird, desto mehr
Geldmittel sind für sie erforderlich. Aufgabe der Finanz-
Verwaltung ist es, diese Mittel herbeizuschaffen und zu ver-
walten. Die gesamte Tätigkeit der Staatsbehörden, welche auf Be-
schaffung dieses Geldbedarfs sowie auf Verwaltung des Staatsver-
mögens und der Staatsschulden gerichtet ist, heißt die Finanz-
Wirtschaft. Um sich vor schlimmen Ueberraschungen zu sichern,
muß der Staat seine Wirtschaft nach einem bestimmten Plane ein-
richten. Im sog. Staatshaushalt ist daher die Aufstellung
eines Voranschlags der zu erwartenden Einnahmen und Aus-
gaben unumgänglich notwendig. Von der Aufstellung dieses Vor-
anschlags, des sog. Staatshaushaltsetats oder Budgets,
und von der Mitwirkung der Volksvertretung hierbei wurde bereits
früher (s. Nr. 78 und 164) gesprochen. Vgl. ferner Nr. 1390 und 1426.
Insoweit der Staat als Inhaber von Vermögensrechten oder als 13
Träger von solchen Pflichten in Betracht kommt, wird er Fiskus
(Staatskasse, Ärar) genannt. Der Fiskus kann Verinögen erwerben
und Verpflichtungen eingehen, Verträge abschließen, gewerbliche Un-
ternehmungen betreiben und wie eine Privatperson vor den Gerichten
klagen oder verklagt werdend
Die Ausgaben des Staates werden zunächst bestritten aus den
Einkünften des Staatsvermögens sowie aus den Neinerträgnissen
seiner wirtschaftlichen Unternehmungen (z. B. der Post und der *
* Etwas anderes als der Fiskus ist die Z i v i l l i st e (f. Nr. 161); diese
bezeichnet die vermögensrechtliche Persönlichkeit des Königs.
29*
452
Das Finanzwesen
Eisenbahnen), ferner aus den Gebühren, welche für die Tätigkeit der
Gerichte und der Verwaltungsbehörden erhoben werden, aus den
Geldstrafen usw.
II; Die Steuern.
l377 Soweit die bisher erwähnten Einnahmequellen nicht ausreichen,
erhebt der Staat zur Deckung feiner Ausgaben von den Staatsange-
hörigen Abgaben, die fog. Steuern.
Man.unterscheidet direkte und indirekte Steuern. Diese
Unterscheidung wird in verschiedenem Sinn gebraucht. Nach der
wörtlichen Bedeutung sind unter direkten Steuern solche zu verstehen,
die unmittelbar (direkt) von den Personen erhoben werden, die durch
sie endgültig belastet bleiben sollen, wie z. B. die Vermögens- und
die Einkommenssteuern? während die indirekten Steuern von
den Personen, von denen sie eingehoben werden, nicht dauernd
getragen, sondern auf andere Personen „abgewälzt" werden. Das
geschieht z. B. mit den Zöllen und V e r b r a u ch s st e u e r n , die
auf Nahrungs- und Genußmittel, Gebrauchsgegenstände u. dgl.
gelegt, von dem Entrichter regelmäßig aus den Preis der Waren zu
Lasten des Verbrauchers geschlagen werden; dieser zahlt also die
Steuer nicht unmittelbar, sondern mittelbar (indirekt)?
J378 Eine andere, in der Finanzpraxis herrschende Unterscheidung
erblickt in den direkten Steuern solche Steuern, die ans Grund
feststehender dauernder Tatsachen nach darüber gefiihrten Listen
(K a t a st e r n) fortlaufend erhoben werden, während die i n d i r e k -
t e n Steuern an zufällige Ereignisse (Einfuhr, Verbrauch, Vornahme
bestimmter Rechtsgeschäfte) nach Tarifen anknüpfen. Auch im
Sinn dieser Unterscheidung sind Vermögens- und Einkommenssteuern
direkte Steuern (K a t a st e r st e u e r n), die Einfuhrzölle und die
Verbrauchsabgaben indirekte Steuern (T a r i s st e u e r n); letzteren
1379 treten die Verkehrs st euern hinzu, das sind Abgaben, die
erhoben werden bei Vornahme von Rechtsgeschäften oder beim Ueber-
gang von Vermögensstücken in eine andere Hand. Hierher gehören
z. B. die Wechselstempelsteuer, die allgemeine Stempelsteuer, die Erb-
schasts- und Schenkungssteuer und die Grundstücksverkehrssteuer
(Besitzveränderungsabgabe). *
* Progressive Steuern nennt man (im Gegensatz ^ zu den
proportionalen) solche Stenern, bei denen die größeren Vermögen
oder Einkommen verhältnismäßig stärker belastet werden als die geringeren.
* Soweit direkte Stenern durch die Gemeinden erhoben werden, spricht
man in Bayern von Umlagen; indirekte Stenern der Gemeinden werden
häufig Aufschläge genannt.
Die Staatsschulden im allgemeinen
453
III. Die Staatsschulden.
Nicht selten können Staaten ihre Ausgaben nicht durch die lau- 138
senden Einnahmen decken. Häufig ist ihneu auch daran gelegen,
bestimmte größere Ausgaben eines Jahres auf eine Reihe von Jahren
zu verteilen. In beiden Fällen nehmen sie zur Deckung der Aus-
gaben Anleihen^ aus. So entstehen die Staatsschulden.
1. D i e Arten der Staatsschulden.
Die Anleihen gehören zu den Finanzschulden. Sie 138
werden von der Finanzverwaltung zur Bestreitung von Ausgaben
aufgenommen, für die sonstige Mittel nicht zur Verfügung stehet!.
Im Gegensatz zu ihnen stehen die V e r w a l t u n g s s ch u l d e n, die
sich unausgesetzt aus der Tätigkeit der einzelnen Verwaltungen er-
geben, z. B. durch Ausführung von Bauten, Annahme von Depositen.
Finanzschulden bilden, wenn sie anschwellen, infolge der notwendigen
ständigen Verzinsung und allmählichen Tilgung eine schwere Last.
Unbedenklicher sind sie, wenn sie als A n l a g e s ch u l d e n eingegangen
werden zur Ermöglichung nutzbringender Anlagen, wie Eisenbahnen,
Kanäle usw.; denn diese Anlagen bilden ein der Schuld entsprechendes
Kapitalvermögen, und ihre Nutzungen dienen zur regelmäßigen Zah-
lung der Schuldzinsen und zur allmählichen Abtragung (Amorti-
sierung) des Schuldkapitals. Es erscheint auch durchaus gerechtfertigt,
in solchen Fällen durch Aufnahme von Anleihen das nachkommende
Geschlecht, dem die Anlagen gleichfalls dienen, auch an der Tragung
ihrer Kosten teilnehmen zu lassen.
Eine weitere wichtige Unterscheidung ist diejenige in Schulden, 138
welche nur für eine kurze Zeit aufgenommen werden (sog. schwe-
bende Schulden) und solche, die aus eine längere Zeitdauer
berechnet sind (sog. dauernde Schulden). Die Aufnahme
schwebender Schulden dient hauptsächlich dazu, dem Staatshaushalt
die notwendigen lausenden Wirtschaftsmittel zuzuführen, bis die zur
Deckung der Ausgaben bestimmten Steuern, Zölle usw. eingegangen
sind. Zu diesem Zwecke werden in der Regel verzinsliche, in wenigen
Monaten wieder einzulösende sog. S ch a tz a n w e i s u n g e n° aus- *
4 Von der Aufnahme von Anleihen ist die Uebernahme von
Garantien zu unterscheiden, durch welche ein Staat sich z. B. zuweilen
für die Verzinsung eines Eisenbahnkapitals verbürgt.
Die Ausnahme von Staatsanleihen wie die Uebernahme von Garantien
darf regelmäßig nur aus Grund eines Gesetzes, also nur mit Zustimmung
der Volksvertretung, erfolgen.
* Im Reich sind auch Schatzanweisungen, die erst nach mehreren Jahren
fällig werden, also den eigentlichen Anleiheschuldverschreibungen nahe-
kommen, ausgegeben worden.
454
Das Finanzwesen
gegeben. Die dauernde Schuld wird häufig auch als fundierte
Schuld bezeichnet, weil es früher üblich war, zu ihrer Verzinsung
und allmählichen Tilgung bestimmte Staatseinnahmen vorzusehen
oder auch den Gläubigern zu verpfänden. Heutzutage kommt eine
solche Sicherstellung der Staatsgläubiger durch Verpfändung von
Staatseinnahmen (z. B. der künftig zu erhebenden Zölle oder
Steuern) in der Regel nur noch in finanziell weniger geordneten
Staaten vor.
-z8z 2. D i e Aufnahme der Anleihen.
Die Aufnahme (sog. Emission) der dauernden Anleihen er-
folgt regelmäßig durch Ausgabe von Schuldverschreibungen
(sog. Obligationen oder Partialobligationen), welche
auf den Inhaber lauten. Da das Forderungsrecht aus diesen Schuld-
verschreibungen gegenüber der Staatskasse stets dem Besitzer des
Papiers zusteht, so ist zur Uebertragung der Forderung an einen
anderen nur die Uebergabe des Wertpapiers erforderlich. An Stelle
der Ausgabe von Schuldverschreibungen findet vielfach (z. B. im
Deutschen Reich, in Preußen, Frankreich und England) auch die Ein-
tragung der Schuld in ein S t a a t s s ch u l d b u ch auf den Namen
eines bestimmten Gläubigers statt, was zwar für die Uebertragung
und Verpfändung weniger bequem ist, aber unbedingte Sicherheit
gegen Diebstahl und zufälligen Verlust bietet.
1Z84 Die Unterbringung einer neuen Anleihe im Publikum wird
häufig im Wege der sog. öffentlichen Subskription bewirkt,
d. h. der Staat lädt alle Kapitalbesitzer ein, sich an der Anleihe zu
beteiligen und zu diesem Zwecke ihren Namen und den Betrag, mit
welchem sie sich beteiligen wollen, in die Listen einzutragen, welche an
den festgesetzten Zeichnungsstellen ausgelegt sind. Wird hierbei die
Anleihe überzeichnet, d. h. übersteigt die gezeichnete Gesamtsumme den
Anleihebedars, so findet eine verhältnismäßige Herabsetzung der
einzelnen gezeichneten Beiträge statt. Nicht selten aber bedient sich
der Staat zur Emission der Anleihen der Vermittelung von
Banken, welche zu diesem Zweck ein sog. Konsortium bilden
(s. Nr. 980 Anm.) und die Anleihe fest oder kommissionsweise über-
nehmen, um sie alsdann im eigenen Namen beim Publikum unterzu-
bringend
° Je nachdem bei Ausnahme von Anleihen die Subskription oder die
Unterbringung durch Bankhäuser ausschließlich oder doch vorzugsweise im
Jnlande oder im Auslande stattfindet, spricht man von einer inlän-
dischen oder einer ausländischen Anleihe.
Die Staatsschulden im allgemeinen
455
3. Die Verzinsung der Staatsschulden.
Abgesehen von den durch Ausgabe von Papiergeld aufgenom- 1385
menen Schulden sind die Staatsschulden regelmäßig verzinslich. Die
Höhe des Zinses richtet sich nach dem Vertrauen (Kredit), welches der
Staat genießt, sowie nach dem Umsang der Kapitalien, welche beim
Publikum zur Anlegung in Staatspapieren verfügbar sind. Befin-
det sich z. B. die Industrie in einem Lande gerade in starkem Auf-
schwünge, so beansprucht sie den größten Teil der verfügbaren Kapi-
talien; die Staaten müssen daher während einer solchen Lage des
Geldniarktes bei der Aufnahme einer Anleihe entweder eilte höhere
Verzinsung festsetzen oder die Papiere zu einem niedrigeren Kurse
(— Börsenpreis) ausgeben. Beides hat die gleiche Wirkung; denn
wer z. B. ein vierprozentiges Wertpapier zum Kurse von 95 (also
unter pari) kaust, dessen Anlagekapital verzinst sich zu 4,21 Prozent;
kauft er das Papier dagegen zum Kurse von 105 (also über pari),
so beträgt die Verzinsung des angelegten Kapitals nur etwa 3,81
Prozent.
Bei den sog. Lotterie- oder Prämienanleihen treten 1386
ganz oder teilweise an Stelle der Zinsen Lotteriegewinne (sog. Prä-
mien). Bei diesen Anleihen wird jeweils durch das Los festgestellt,
welche Schuldverschreibungen zurzeit einzulösen sind, sowie ob und
welche Gewinne auf sie entfallen. Solche Jnhaberpapiere mit Prä-
mien dürfen in Deutschland nur als Anleihen des Reichs oder
eines Bundesstaats und nur aus Grund eines Reichsgesetzes aus-
gegeben werden.
Die Zahlung der Zinsen der Staatspapiere (wie auch der von 1387
Gemeinden, Aktiengesellschaften usw. ausgegebenen Wertpapiere)
geschieht meistens halbjährlich, in der Regel auf die Weise, daß von
dem Kuponsbogen, welcher der Obligation beigegeben ist, jeweils
der fällige Kupon (Zinsschein) abgetrennt und von einer öffent-
lichen Kasse eingelöst wird. Sind alle Zinsscheine aufgebraucht, so
wird gegen Rückgabe des am Ende des Bogens befindlichen Erneue-
rungsscheins (des sog. Talons) ein neuer Zinsbogen ausgehändigt.
Bei dauerndem Sinken des allgemeinen Zinsfußes ist es für 1388
einen Staat, dessen Papiere auf pari oder darüber stehen, zweckmäßig,
eine Herabsetzung seines Zinsfußes eintreten zu lassen. Solche
Konvertierungen oder Konversionen (d. h. Schuldumwand-
lungen) werden bewerkstelligt, indem der Staat die Schuldverschrei-
bungen kündigt und ihren Inhabern freistellt, ob sie das
Kapital zurückempfangen oder niedriger verzinsliche Obligationen an
Stelle der bisherigen annehmen wollen. Für den letzteren Fall zahlt
der Staat beim Umtausch häufig noch eine besondere sog. Konver-
456
Das Finanzwesen
tierungsprämie. Mit solchen Konvertierungen wird häufig die Kon-
solidation verbunden, d. h. die Zusammenziehung mehrerer
Anleihen von verschiedenen Zins- und sonstigen Bedingungen zu einer
einzigen, einheitlich gestalteten.
4. D i e Tilgung der Staatsschulden.
1389 Jeder Staat muß daraus bedacht sein, seine Schulden aus den
laufenden Einnahmen nach und nach zu tilgen. Diese sog. A m 0 r -
t i s i e r u n g geschah früher regelmäßig nach einem bereits bei Auf-
nahme der Anleihe aufgestellten Tilgungsplan, welchem zufolge jähr-
lich durch das Los festgestellt wird, welche Obligationen zu kündigen^
und zurückzuzahlen sind. Wo dieses System besteht, müssen die
Besitzer der Obligationen jeweils die Verlosungslisten nachsehen oder
ihren Bankier mit diesem Geschäft beauftragen. Häufiger wird
jedoch heutzutage die Amortisierung dadurch bewirkt, daß der Staat
alljährlich eine bestimmte Anzahl seiner Obligationen an der Börse
zum Tageskurs ankaufen läßt.
b. Der Reichshanshalt.
I. Die Ordnung des Reichshaushalts im allgemeinen.
1390 Die oberste Finanzverwaltungsbehörde des Reichs ist das dem
Reichskanzler unterstehende, von einem Staatssekretär geleitete
R e i ch s s ch a tz a m t zu Berlin. Von dieser Behörde wird unter
Mitwirkung der übrigen obersten Reichsbehörden alljährlich (jeweils
für die Zeit vom 1. April bis 31. März) der Reichshau shalts-
e t a t aufgestellt, welcher alle voraussichtlichen Einnahmen und Aus-
gaben des Jahres namhaft macht.
Der Reichshaushaltsetat ist im wesentlichen ein B r u t t 0 e t a t,
d. h. es werden darin nicht nur reine Einnahmen und Ausgaben,
sondern die gesamten Einnahmen eines Verwaltungszweigs einerseits
und die gesamten in demselben Zweige vorhergesehenen Ausgaben,
auch soweit sie zur Erzielung einer Einnahme dienen, anderseits
nachgewiesen. Eine Ausnahme gilt hinsichtlich der Reichssteuern und
der Zölle, bei denen die den einzelnen Bundesstaaten zukommenden
Erhebungs- und Verwaltungskosten — in der Regel prozentuale An-
teile der Roheinnahme — vorweg abgezogen sind.
Der Reichshaushaltsetat1 zerfällt in einen ordentlichen und
in einen außerordentlichen Etat; letzterer enthält die Aus- *
* Den Inhabern der Obligationen steht ein Kündigungsrecht nicht zu.
* Der Voranschlag des Reichshaushalts wurde für das
Rechnungsjahr 1909 in Ausgabe und Einnahme auf rund 2850 Millionen
Mark festgestellt. Dazu kam noch der (jeweils gesondert aufgestellte) Vor-
anschlag für die Schutzgebiete mit rund 99 Millionen Mark.
Der Reichshaushalt
457
gaben, die in den regelmäßigen Einnahmen nicht Deckung finden und
daher aus Anleihen beglichen werden müssen (siehe Nr. 1381). Das
Ziel, nur Ausgaben für werbende Anlagen und für außerordent-
liche Zwecke in den außerordentlichen Etat aufzunehmen, ist im Reich
noch nicht erreicht worden.
Ueber die Verwendung alter Einnahmen ist durch den Reichs- 1391
kanzler dem Bundesrat und Reichstag zur Erteilung der Entlastung
(sog. Decharge) alljährlich Rechnung zu legen. Die Vorprüfung und
Ueberwachung der voranschlagsmätzigen Verwendung wird besorgt
durch die preußische Oberrechnungskammer, welche in dieser Eigen-
schaft die Benennung „Rechnungshof des Deutschen
Reiches" siihrt und eine besondere, unabhängige Reichsbehörde
bildet.
Zur Bestreitung der Ausgaben des Reichs dienen 1392
zunächst die Einnahmen aus seinen Verwaltungen, insbesondere aus
dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen, sodann die Zölle und
Reichssteuern, weiterhin, soweit diese Einnahmen nicht ausreichen,
die sogenannten M a t r i k u l a r b e i t r ä g eck die die Bundesstaaten
nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl auszubringen haben.
Die Matrikularbeiträge werden in der Höhe, die zur Deckung
des Fehlbetrags nötig ist, vom Reichskanzler ausgeschrieben; in der
Bewilligung von Ausgaben durch den Reichstag liegt sonnt zugleich
die Bewilligung der Matrikularbeiträge in der zum Ausgleich der
Einnahmen mit den Ausgaben erforderlichen Höhe. Damit nun nicht
der Fall eintritt, daß durch die Einnahmen aus den Verwaltungen
des Reichs und aus den gesetzlich festgelegten Zöllen und Reichssteuern
die Ausgaben gedeckt und so Matrikularbeiträge überflüssig werden,
ist auf Betreiben des Reichstags (sogenannte F r a n k e n st e i n s ch e
Klausel) bestimmt worden, daß ein Teil der Branntweinsteuer
(siehe Nr. 1401) und gewisser Reichsstempelabgaben (siehe Nr. 1409)
zwar für Rechnung des Reichs vereinnahmt, aber vom Reich wieder
' Sowohl die Matrikularbeiträge der Bundesstaaten als die Steuer-
überweisungen des Reichs an die letzteren sind in den einzelnen Etatsjahren
sehr verschieden hoch, je nach dem jährlichen Ertrag der Zölle und Steuern
des Reichs und nach dem Bedarf des Neichshaushalts. Diese Schwankungen
aber verursachen im Haushalt der Bundesstaaten erhebliche Störungen, da
in diesen der gesamte Voranschlag gleichfalls im voraus (in manchen
Staaten auf zwei Jahre) festgestellt werden mutz. Um diesem Mitzstaude,
soweit möglich, abzuhelfen, hat ein Reichsgesetz vom Jahre 1906 bestimmt,
datz künftighin die Matrikularbeiträge, insoweit sie die Steuerüberweisungen
um mehr als 40 Pf. aus den Kopf der Bevölkerung übersteigen, erst im
drittsolgcnden Jahre an das Reich zu entrichten sind. Die zurzeit im Reichs-
tag behandelte Reichsfinanzreform strebt unter andcrm an, die
Ueberweisungen aus einen bestimmten Betrag zn fixieren und die Höhe
der Matrikularbeiträge möglichst auf eine Reihe von Jahren festzulegen.
458
Das Finanzwesen
den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerungszahl
überwiesen werden. Diese U e b e r w e i s u n g e n, die die Bundes-
staaten erhalten, und die Matrikularbeiträge, die sie nach dem Etat
schulden, werden gegeneinander aufgerechnet und, sofern die Matri-
kularbeiträge, wie das seit 1899 regelmäßig der Fall ist, die Ueber-
weisungen übersteigen, der Ueberschuß zur Reichskasse abgeführt.
II. Das Vermögen und die Schulden des Reiches.
Das Deutsche Reich besitzt eigenes Vermögen (z. B. Reichs-
eisenbahnen, Dienstgebäude, einen Reichskriegsschatz, Jnvalidenfonds,
Festungsbaufonds usw.), aber auch eigene Schulden. Diese wur-
den aufgenommen durch Ausgabe von (unverzinslichen) Reichs-
k a s s e n s ch e i n e n (s. Nr. 1017), von Schatzanweisungen
(s. Nr. 1382) und von Reichsschuldverschreibungen auf
den Inhaber. Die letzteren können durch Eintragung in das Reichs-
s ch u l d b u ch zu Berlin in sog. Buchschulden auf den Namen eines
bestimmten Gläubigers (vgl. Nr. 1383) umgewandelt werden.
Die Tilgung der Reichsschuld, welche im Oktober 1908
über vier Milliarden Mark betrug, ist umsomehr geboten, als
diese Schuld zum weitaus größten Teil eine reine Finanzschuld
(s. Nr. 1381) ist. Ein Reichsgesetz vom Jahre 1906 bestimmt daher
auch, daß vom Jahre 1908 ab alljährlich mindestens drei Fünftel
Prozent der gesamten Anleiheschuld getilgt werden müssen. Die Til-
gung geschieht durch Ankauf von Schuldverschreibungen; zu dieser
Tilgung ist es aber bisher nicht gekommen.
Die Verwaltung der Reichsschulden wird durch die
preußische Hauptverwaltung der Staatsschulden unter der Benen-
nung Reichsschuldenverwaltung geführt; die fortlaufende
Aufsicht übt eine Reichsschuldenkommission aus, welche
aus je sechs Mitgliedern des Bundesrats und des Reichstags sowie
dem Präsidenten des Rechnungshofs zusammengesetzt ist.
III. Die Reichssteuern.
Zur Deckung der Ausgaben des Reichs werden nur indirekte
Steuern, und zwar Verbrauchssteuern sowie Verkehrssteuern erhoben? *
* Der Ertrag der Reichs steuern wurde für das Rechnungs-
jahr 1909 auf rund 572,1 Millionen Mark veranschlagt; darunter die Zucker-
steuer mit 141,4 Millionen, die Reichsstempclsteuer mit 117,4 Millionen, die
Branntweinsteuer mit 120,5 Millionen, die Salzsteuer mit 57,2 Millionen,
die Brausteuer mit der llebergangsabgabe von Bier mit 55,2 Millionen, die
Erbschaftssteuer mit 30 Millionen, die Wechselstempelsteuer mit 17 Millionen,
die Zigarettensteuer mit 15,3 Millionen, die Tabaksteuer mit beinahe 11 Mil-
lionen, die Schaumweinsteuer mit 5,4 Millionen, der Spielkartenstempel mit
1,7 Millionen.
Der Reichshaushalt
459
Die Steuergesetze des Reichs enthalten Bestimmungen über die Höhe
der einzelnen Steuern und über das Verfahren bei ihrer Erhebung.
Die Erhebung indessen geschieht für Rechnung des Reichs durch die
Behörden der Bundesstaaten gegen eine, bei den einzelnen Abgaben
verschiedene, aus der Reichskasse fließende Vergütung. Eine Anzahl
besonderer Reichsbeamter, die Reichsbevollmächtigten für
Z ö l l e u n d S t e u e r n u n d f ü r d i e E r b f ch a f t s st e u e r und
die Stationskontrolleure, haben darüber zu wachen, daß
diese Erhebung einheitlich nach Vorschrift der Steilergesetze des
Reichs erfolgt.
Im einzelnen sind folgende Steuern zu erwähnen:
1. Die S a l z st e u e r.
Sie beträgt 12 M. für 100 Kilogramm und wird von den Be-
sitzern der Salzbergwerke, Salinen usw. erhoben. Salz für gewerb-
liche und landwirtschaftliche Zwecke ist steuerfrei, wenn es denatu-
riert, d. h. mit einem Zusatz vermischt ist, der es für Menschen
ungenießbar inacht.
2. Die T a b a k st e u e r.
Diese Steuer wird regelmäßig vom getrockneten Tabak als Ge-
wi ch t s st e u e r (45 M. für 100 Kilogramm) erhoben; nur bei
kleinen Anbauflächen von weniger als 4 Ar findet anstatt dessen die
Erhebung einer F l ä ch e n st e u e r (4,6 Pf. auf einen Quadratmeter)
statt. Bei der Ausfuhr von Rohtabak oder Tabakfabrikaten wird die
bereits gezahlte Steuer zurückvergütet.
3. Die Zigaretten st euer.
Neben der Tabaksteuer wird vom Zigarettentabak sowie voii fer-
tigen Zigaretten und von Zigarettenhülsen und -Blättchen beim
Fabrikanten eine besondere Steuer erhoben, welche je nach dem Klein-
verkaufspreis sich aus 1,50—10 M. für 1000 Zigaretten und auf 2 M.
für 1000 Hülsen und Blättchen oder auf 0,80—7 M. für das Kilo-
gramm Zigarettentabak bemitzt.
4. Die Z u ck e r st e u e r ,
die sehr erhebliche Beträge liefert, wird in Höhe von 14 M? auf
100 Kilogramm Rohzucker beim Fabrikanten erhoben. Der aus-
geführte Zucker bleibt steuerfrei. Früher gewährten manche Staaten,
um die inländische Zuckerproduktion zu fördern, bei der Ausfuhr
sogar besondere Ausfuhrprämien. Durch die i n t e r n a L i o -
nale zwischen fast allen europäischen Staaten im Jahre 1902 abge- *
* Eine auf 1. April 1909 vorgesehene Herabsetzung auf 10 M. ist noch
nicht eingetreten.
460
Das Finanzwesen
schlossene Zuckerkonvention wurde jedoch die Aufhebung dieser
Prämien und eine Begrenzung der Zuckereinfuhrzölle vereinbart.
Dies hatte eine wesentliche Verbilligung des Zuckers zur Folge.
401 6. D i e Branntweinsteuer.
Die Fabrikation des Branntweins aus Kartoffeln, Getreide, Obst
und Trebern hat sich in Deutschland zu einem wichtigen Neben-
gewerbe der Landwirtschaft entwickelt. Die Verwendung der Kar-
toffel zum Brennen machte vielfach erst eine ausgiebige Benützung
des im Osten Deutschlands vorherrschenden Sandbodens möglich. Die
Gesetzgebung über Besteuerung des Branntweins mußte daher auf
diese landwirtschaftliche Industrie Riicksicht nehmen. Sie ist hierdurch
recht verwickelt geworden.
402 Zunächst wird von dem fertigen Branntwein eine Verbrauch s-
abgäbe erhoben, und zwar bis zu einer gewissen Menge, welche für
jedeBrennerei entsprechend ihrem Anteil an dem iniJnland verbrauch-
ten Branntwein alle fünf Jahre neu festgesetzt wird, 60 Pf. vom Liter,
für die über dieses sog. Kontingent hinaus von der Brennerei erzeugte
Menge aber 70 Pf. vom Liter. Daneben wird erhoben eine Mais ch-
b 0 t t i ch st e u e r, bemessen nach dem Raumgehalt der Maischbottiche,
von landwirtschaftlichen Brennereien (Brennereien, die einen Neben-
betrieb eines landwirtschaftlichen Betriebs darstellen und ausschließlich
Getreide oder Kartoffeln verarbeiten), eine Branntwein m a t e-
r i a l st e u e r, bemessen nach der Menge des verwendeten Materials,
von sogenannten Materialbrennereien (Brennereien, die lediglich
nichtmehlige Stosse mit Ausnahme von Rüben und Rübensaft, also
z. B. Obst verarbeiten), endlich ein Zu schlagzur Verbrau ch s-
abgäbe von allen andern sogenannten gewerblichen Brennereien
(Branntweinfabriken). Großbetriebe, d. h. im allgemeinen Brenne-
reien, die mehr als 200 Hektoliter Alkohol jährlich erzeugen, haben
40z einen weiteren Zuschlag (B r e n n st e u e r) zu entrichten, der
nach dem Umfang der Erzeugung von 2 M. bis 6 M. 60 Pf. für den
Hektoliter ansteigt. Gewisse neu entstandene gewerbliche Brennereien
haben einen festen Satz von l6 M. Brennsteuer für den Hektoliter zu
entrichten. Die Brennsteuer soll nur bis 30. September 1912 erhoben
werden.
Für den ins Ausland gehenden Branntwein wird keine Ver-
brauchsabgabe erhoben und außerdem bis 30. September 1912 aus
den Erträgnissen der Brennsteuer eine Ausfuhrprämie von 6 M. für
den Hektoliter gewährt, um den inländischen Branntweinprodnzenten
den Mitbewerb auf den: Weltmärkte zu ermöglichen.
Der Reichshaushalt
461
Der zu gewerblichen und ähnlichen Zwecken bestimmte, in der
Regel zu denaturierende (s. Nr. 1397) Branntwein ist steuerfrei.
6. Die Brau- oder B i e r st e u e r.
Sie wird nach dem Gewicht des zur Bierbereitung verwendeten 1404
Malzes und Zuckers bemessen; die Steuer steigt von 4 bis 10 M.
(eine Erhöhung ist in Aussicht genommen) für 100 Kilogramm je
nach der Menge des in einem Jahre verwendeten steuerpflichtigen
Braustoffs. Sie ist als V e r m a h l u n g s st e u e r geordnet. Die
Brauereien müssen sogenannte M a l z st e u e r m ü h l e n mit selbst-
tätiger Verwiegungseinrichtung, die unter steueramtlichem Verschluß
steht, halten und ausschließlich benützen. Die Menge des aus die
Mühle gebrachten Malzes wird versteuert, kleinere Brauereien zahlen
eine Abfindung.
Die Brausteuer wird nur innerhalb der sog. norddeutschen 1405
Brau st euerge meinschaft als Reichssteuer erhoben, während
Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen eigene Bier-
steuern als Landessteuern erheben. Infolgedessen müssen diese
Staaten entsprechende Ausgleichungsbeträge an die Reichskasse be-
zahlen und die einzelnen süddeutschen Staaten sowie die norddeutsche
Brausteuergemeinschaft erheben (zur Ausgleichung der Unterschiede
in der Besteuerung) bei der Einfuhr von Bier in ihr Gebiet Ueber-
gangsabgaben; anderseits gewähren sie bei der Ausfuhr aus
ihrem Gebiet eine Steuerrückvergütung.
7. Die Schaumweinsteuer 1406
beläuft sich beim Schaumwein aus Trauben auf 50 Pf., beim Schaum-
wein aus Obst und Beeren auf 10 Pf. für jede ganze Flasche.
8. Die Spielkarten st euer 1407
beträgt für kleinere Spiele 30, für größere 60 Pf. Sie wird beim
Fabrikanten gegen Stempelung der einzelnen Spiele erhoben.
9. Die Wechsel st empel st euer 1408
muß entrichtet werden, bevor der Wechsel in den inländischen Verkehr
gebracht wird, durch Verwendung von gestempelten Wechselformularen
oder durch Aufkleben von Wechselstempelmarken, die bei den Post-
ämtern käuflich sind.
10. Die Reichs st empelabgaben. 1409
Diese Bezeichnung umfaßt eine Anzahl von Steuern sehr ver-
schiedener Art, denen nur das eine gemeinsam ist, daß ihre Entrich-
tung durch Verwendung von Stempelmarken oder gestempelten Vor-
drucken erfolgt oder durch den Aufdruck von Stempeln bestätigt wird.
402
Das Finanzwesen
1410 Zu den Stempelabgaben zählen 2. die sog. Emissions-
steuer, die bei der Ausgabe von Aktien, Bergwerkskuxen (s.
Nr. 1440), Renten- und Schuldverschreibungen (s. Nr. 1383), aber
nicht von Staatspapieren des Reichs und der Bundesstaaten zu ent-
richten ist; d. die sog. B ö r s e n st e u e r , die beim Ankauf oder bei
sonstiger Anschaffung von Wertpapieren oder ausländischem Geld
oder bei börsenmäßigen Handelsgeschäften über Waren durch Auf-
kleben von Stempelmarken auf die über diese Geschäfte auszustellen-
den Schlußscheine (f. Nr. 1055) bezahlt wird; c. die Lotterie-
steuer wird bei Veranstaltung von öffentlichen Lotterien oder Aus-
spielungen in Höhe von 20—25 Prozent des Preises sämtlicher Lose
beim Veranstalter im voraus erhoben. Unter diese Steuer fallen
auch die Wetteinsätze bei öffentlichen Rennen u. dgl.; bei diesen muß
der Veranstalter des Wettbetriebs (Buchmacher) jedem Wettenden
einen versteuerten Ausweis über seinen Einsatz ausstellen; d. die
1 Frachturkunden st euer trifft die Versendung von Fracht-
gütern zu Wasser oder auf der Eisenbahn bei ganzen Wagenladungen;
sie wird entrichtet durch Verwendung gestempelter Vordrucke von
Frachtbriefen, Ladescheinen usw. oder durch Auskleben von Stempel-
marken auf diese Urkunden; e. die Fahrkarten st euer wird von
den Eisenbahnverwaltungen, Trambahnen und Dampfschiffahrtsun-
ternehmungen entrichtet und von ihnen regelmäßig auf den Preis
14-2 der Fahrkarten geschlagen; t. die Steuer aus Kraftfahr-
zeuge (Automobile und Motorräder) ist nach der Zahl der Pferde-
kräfte der Maschinen abgestuft. Gegen Zahlung der Steuer wird eine
gestempelte Erlaubniskarte ausgefolgt, vor deren Lösung die Inge-
brauchnahme des Fahrzeugs verboten ist, und die der Führer des
Fahrzeugs unterwegs stets bei sich haben mutz; §. die S t e u e r a u f
die Vergütungen der Aussichtsräte von Aktiengesell-
schaften usw. berechnet sich auf 8 Prozent der den Aufsichtsräten ge-
währten Gewinnanteile, Tantiemen, Gehälter u. dgl.; sie ist von den
Gesellschaften zu entrichten, aber ihnen von den Mitgliedern des Auf-
sichtsrats zu erstatten.
1413 11. Die Erbschasts- und Schenkungssteuer.
Die Erbschaftssteuer wird für jeden einzelnen Erben oder Ver-
mächtnisnehmer aus seinem Erwerb unter Berücksichtigung seines
Verhältnisses zum Erblasser berechnet und von ihm erhoben. Sie
beträgt (je nach dem Grade der Verwandtschaft usw. mit dem Erb-
lasser) 4—10 Prozent des angefallenen Betrags; doch findet eine
progressive (d. h. mehr und mehr steigende) Erhöhung dieser Steuer-
sätze statt, wenn der Erwerb mehr als 20 000 M. beträgt.
Di- Zolle 463
Von der Steuer befreit bleiben unter anderen: 1. der Ehegatte
sowie Abkömmlinge des Erblassers; 2. die nicht mehr als 10 000 M.
betragenden Anfälle an Eltern und Voreltern; 3. die Zuwendungen
an Dienstboten u. dgl. im Betrag von nicht über 3000 M.; 4. die
Zuwendungen an Kirchen oder zu kirchlichen, gemeinnützigen oder
mildtätigen Zwecken im Betrag von nicht mehr als 5000 M.; 5. alle
Erbteile und Vermächtnisse von nicht mehr als 500 M.
Die Festsetzung der Steuer liegt den Erbschaftsämtern" ob. 1414
Die Schenkungen unter Lebenden unterliegen den gleichen
Steuersätzen, wie die Erbschaften und Vermächtnisse.
Den Bundesstaaten verbleibt ein Drittel der Roheinnahme aus
dieser Steuer; sie sind überdies befugt, für eigene Rechnung Zuschläge
zu erheben. In Bayern besteht teilweise das bayerische Erb-
schastssteuergesetz fort, insofern es nämlich auch Anfälle an
Eltern und Voreltern unter 10 000 M. heranzieht, und zwar werden
Anfülle an Eltern (die zum Teil allerdings auch nach bayerischem
Recht steuerfrei sind) mit vier Prozent, solche an Großeltern und son-
stige Voreltern mit sechs Prozent besteuert.
IV. Die Zölle".
So lange in Deutschland jeder Staat sich von den anderen durch 1415
Zollschranken abschloß, waren Handel und Verkehr in ihrer Entwick-
lung allenthalben gehemmt. Es war daher ein weltgeschichtliches
Ereignis, als mit dem Jnslebentreten des D e u t s ch e n Z 0 l l v e r -
eins (welchem sämtliche Staaten des jetzigen Reichs mit Ausnahme
von Mecklenburg, Holstein und den Hansastädten beitraten) alle
Schlagbäume sich für einen fortan von Binnenzöllen freien Verkehr
öffneten. Der Zollverein führte die wirtschaftliche Einigung Deutsch-
lands herbei, welche die Vorstufe und Vorbedingung bildete für die in
dem Deutschen Reiche sich erfüllende politische Einigung.
Das Deutsche Reich bildet nach der Reichsversassung ein Zoll- 1416
und Handelsgebiet, umgeben von einer gemeinschaftlichen Zollgrenze.
Binnenzölle dürfen nicht mehr erhoben werden und die Erhebung
sogenannter Uebergangsab gaben (s. Nr. 1405) ist nur noch
insoweit statthaft, als in einem Bundesstaate inländische Erzeugnisse
der betreffenden Art einer inneren Steuer unterliegen. Solche Ueber-
gangsabgaben kommen nur noch für Bier und Fleisch vor. Dem
° Das sind in Bayern die Rentämter.
° Die Zölle sind die ergiebigste Einnahmequelle des Reichs. Für das
Rechnungsjahr 1909 wurden sie aus 629,6 Millionen Mark veranschlagt.
464
Das Finanzwesen
deutschen Zollgebiet sind angeschlossen das (nicht
zum Deutschen Reich gehörende) Großherzogtum Luxemburg sowie
(ihrer Lage wegen) einige österreichische, zu Tirol gehörige Gemein-
den. Anderseits gehören einzelne kleine deutsche Gebietsteile (wie
Helgoland und die badische Gemeinde Büsingen) mit Rücksicht aus
ihre Lage nicht zum deutschen Zollgebiet. Solche sog. Zollaus-
schlüsse haben zu den Ausgaben des Reichs durch Zahlung einer
bestimmten Summe beizutragen. Früher gehörten dazu auch die Ge-
bietsteile von Hamburg und Bremen; sie wurden jedoch im Jahre
1888 gleichfalls dein Zollgebiet einverleibt. Die Schutzgebiete
gehören nicht zum deutschen Zollgebiet (s. Nr. 1311).
1417 Die Gesetzgebung über das Zollwesen steht ausschließlich dem
Reich zu; die Erhebung der Zölle und die Verwaltung des Zollwesens
dagegen ist den Bundesstaaten übertragend Diese liefern den Er-
trag nach Abzug der Erhebungskosten in die Reichskasse ab.
1418 Die einzelnen Zölle werden, sofern die einzuführenden Waren
aus einem Lande stammen, mit welchem das Reich einen Handels-
oder Zollvertrag abgeschlossen hat (hieriiber s. Nr. 1231), nach dem
betreffenden Vertragszolltarif erhoben. Aus die Waren
aus anderen Ländern dagegen ist der durch Reichsgesetz festgestellte
allgemeine Zolltarif anzuwenden, den man im Gegensatz zu den
Vertragstarisen auch als a u t 0 n 0 m e n T a r i f bezeichnet. Dieser
Tarif enthält (im Gegensatz zu früheren Zeiten) keinerlei Ausfuhr-
oder Durchfuhrzölle mehr, sondern nur noch Einfuhrzölle.
Gegenüber Staaten, welche deutsche Waren ungünstiger als die
anderer Staaten behandeln, kann der Bundesrat die Erhebung höhe-
rer Zölle, sogenannter Kampfzölle oder Retorsionszölle
(d. h. Wiedervergeltungszölle), beschließen.
1419 Manche Staaten bemessen die Zölle nach dem Werte der Waren
(sog. Wertzölle); sie lassen zu diesem Zweck entweder die ein-
gehenden Waren durch die Zollbeamten einschätzen oder sie geben die
Schätzung den Zollpflichtigen anheim, mit dem Recht der Zollverwal-
tung, die Waren zu dem angegebenen Preise an sich zu ziehen. Dieses
Verfahren ist jedoch mit mancherlei Schwierigkeiten verknüpft; die
deutschen Zölle werden daher mit wenigen Ausnahmen nach dem Ge-
wicht der Waren bemessen (sog. G e w i ch t s z ö l l e).
' Die oben (Nr. 1396) erwähnten Reichsbevollmächtigten
und Stationstontrolleure haben auch das Verfahren der Ichu-
desbehörden in Zollangelegenheiten zu überwachen. Wegen der Organisation
der Zollbehörden in Bayern s. Nr. 1427.
Die Zölle
465
Eine wichtige, schon mehrfach erwähnte Unterscheidung (vgl. 1420
Nr. 956 und 1148) ist diejenige der Finanzölle und der Schutzzölle.
Die Finanzzölle sollen eine dauernde, ergiebige Einnahme-
quelle für den Staat bilden. Die Schutzzölle dagegen haben den
Zweck, zu verhindern, daß ausländische Waren im Jnlande zu so bil-
ligem Preise verkauft werden, daß die im Jnlande erzeugten Waren
gleicher Art wegen ihrer höheren Herstellungskosten mit iEjnen nicht
mehr konkurrieren können. Diese Schutzzölle haben die Entwicklung
mancher Industrien vielfach gegenüber dem Wettbewerb des Auslan-
des überhaupt erst ermöglicht. Gegenwärtig komnien sie vornehmlich
unserer Landwirtschaft zugute.
Im Interesse des Verkehrs werden mancherlei Zollerleich- 1421
t erringen gewährt. So werden zollfrei eingelassen die im sog.
kleinen Grenzverkehr eingehenden Waren von geringer
Menge, ferner sog. Retourwaren, welche nur vorübergehend
(z. B. für Ausstellungen oder als Muster von Handlungsreisenden)
eingeführt werden, endlich Waren, die im sog. Veredelungs-
verkehr eingehen, d. h. um nach stattgehabter Verarbeitung (Ver-
edelung) wieder ausgeführt zu werden. Warenvorräte, welche mög-
licherweise ganz oder teilweise wieder ausgeführt werden, können un-
ter Aussetzung der Verzollung in sog. Zollniederlagen unter
Aufsicht der Zollbehörden aufbewahrt werden. Die Eigenschaft solcher
Zollniederlagen haben auch die noch bestehenden Freihafen-
gebiete in Hamburg, Bremen, Bremerhaven usw.
Um die Ausfuhr von Getreide, Oelfrüchten und Mühlenfabri- 1422
taten zu beleben, werden bei der Ausfuhr solcher Erzeugnisse E in-
su h r s ch e i n e erteilt, welche binnen einer bestimmten Frist zur
zollfreien Einfuhr einer entsprechenden Menge von Waren der glei-
chen oder auch anderer Gattung berechtigen.
Die Hinterziehung oder Defraudation des geschuldeten 142z
Zolls, sowie die verbotswidrige Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Wa-
ren ist mit Einziehung der geschmuggelten Waren (der Konter-
bande) und mit hohen Geldstrafen bedroht? Gefängnisstrafen von
längerer Dauer sind dagegen aus den von mehr als zwei Personen
verübten sog. Bandenschmuggel sowie auf den Schmuggel
im wiederholten Rückfall gesetzt. Zur Verhinderung des
Schmuggels wird die ganze Grenze von bewaffneten Grenzaufsehern
bewacht. Auch unterliegt im sog. G r e n z b e z i r k , der sich in der
Breite von mehreren Kilometern der Grenze entlang erstreckt, der 1424
b Wegen des Verfahrens in Zoll- und Steuer st raf-
fachen s. Nr. 321.
Glock-Schiedermair, Biirgerkunde.
30
466
Das Finanzwesen
Warenverkehr zur Verhütung des Schleichhandels einer strengeren
Aufsicht. Die Einfuhr darf nur auf bestimmten Straßen, den Z o l l-
straßen, stattfinden.
c. Der bayerische Landeshaushalt.
425 Die Feststellung des Voranschlags für die Einnahmen und Aus-
gaben des bayerischen Staates geschieht jeweils für zwei Jahre.
Diesen Zeitraum nennt man Budgetperiode oder Etats-
Periode? Hierfür bedarf es der Mitwirkung des Landtags, s. das
Nähere bei Nr. 164. Wegen der Kontrolle der Verwendung der be-
willigten Mittel durch den Landtag und den Obersten Rechnungshof
s. Nr. 167.
r I. Die Finanzbchördcn.
426 An der Spitze der bayerischen Finanzverwaltung steht das
Finanzministerium in München. Für die ihm untergeord-
neten Behörden besteht im allgemeinen eine doppelte Organisation.
Die eine für die allgemeine Finanzverwaltung? wozu auch die Ver-
waltung der direkten Steuern gehört, und eine besondere Organisation
für die Verwaltung der Zölle und der (meisten) indirekten Steuern;
die Mittelstellen der allgemeinen Finanzverwaltung sind die
Regierungsfinanzkammern, eine besondere Abteilung * *
1 Das bayerische Budget ist für die lausende Finanzperiode
1908 und 1909 für jedes Jahr festgesetzt, im ordentlichen Etat aus
546 032 094 M. Einnahmen und 548 332 094 M. Ausgaben, darunter
286 888 385 M. Verwaltungs- und Betriebsausgaben und 261 443 709 M.
Staatsaufwaudsausgaben, im außerordentlichen Etat mit 82 923 012 M.
Einnahmen und ebensoviel Ausgaben. Dabei sind in den ordentlichen Etat
die fortdauernden oder doch sonst regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben
eingestellt, in den außerordentlichen Etat die nicht regelmäßig wiederkehren-
den Aufwendungen. 2U§' Verwaltungs- und Betriebsausgaben versteht
man hierbei jene, welche durch die Gewinnung der Einnahmen, z. B. die
Einhebung der Steuern, erwachsen, und als Staatsaufwandsausgaben die
sonstigen Ausgaben, z. B. für die Rechtspflege.
* Die Bewerber für den höheren F i n a n z d i e n st der allgemeinen
Fiuanzverwaltung in Bayern müssen die Prüfung für den höheren Justiz-
und Verwaltungsdienst bestanden haben (geprüfte Rechtspraktikanten sein»,
s. Nr. 207 Anm. 2. Die Bewerber für den mittleren Fina uzdien st
-müssen ein bayerisches humanistisches oder Realgymnasium absolviert haben
und eine dreijährige Vorbereitungspraxis, teils bei einem Rentamt, teils
bei der. Gerichtsschreiberei eines Amtsgerichts, als Kameralprakti-
kanten, zurückgelegt und sodann die Prüfung für den mittleren Finanz-
dienst, I. Abteilung, "bestanden haben. Sie können Stellen bis zu der eines
Die bayerischen Finanzbehörden
467
der Kreisregierungen (s. Nr. 659). Die unteren Behörden der allge-
meinen Finanzverwaltung sind die Rentämter; solche bestehen
in Bayern 219. Sie sind besetzt mit einem Amtsvorstand, außerdem
bei den Aemtern, bei denen eine Kasseabteilung errichtet ist, mir
einem Kassaabteilungsvorstand; neben diesen sind Rentamtsassessoren
und niedere Beamte unter verschiedenen Bezeichnungen vorhanden.
An der Spitze der Verwaltung der Zölle und der
indirekten Steuern steht unter der Oberleitung des Finanz-
ministeriums die Generaldirektion der Zölle und indirekten Steuern
in München. Sie besteht aus zwei Abteilungen, die eine Abteilung
für Landessteuern und allgemeine Verwaltungsgegenstände, die
andere für Zölle und Reichssteuern; daneben besteht bei ihr eine
Technische Prüfungs- und Lehr an st alt, der haupt-
sächlich die Vornahme der für zoll- und steuerdienstliche Zwecke erfor-
derlichen Warenuntersuchungen obliegt. Der Vorstand der General-
direktion führt den Titel Präsident, die Vorstände der Abteilungen
den Titel Regierungsdirektor? Unter der Generaldirektion stehen
28 Hauptzollümter, 20 Zollämter, 81 Nebenzollämter, teils erster,
teils zweiter Klasse, eine große Anzahl Steuerämter, Steuerhebe-
stellen und Steuerstellen und 4 Salzsteuerämter. *
Rentamtmannes erreichen. In den mittleren Finanzdienst finden aber auch
Bewerber Aufnahme, die eine zehnjährige Dienstzeit als Rentamtsgehilfen,
als welche sie ohne besondere Vorbildung, in der Regel nach zwei- bis drei-
jähriger „Jnzipientenzeit", zugelassen werden, zurückgelegt haben und dann
die Prüfung für den mittleren Finanzdienst. II. Abteilung, bestanden haben.
Von der zehnjährigen Dienstzeit kann Dispensation erteilt werden; so wird
in der Regel bei Bewerbern mit der Berechtigung zum Einjährig-Freiwil-
ligen-Militärdienst nur eine fünfjährige rentamtliche Dienstzeit gefordert.
Den Bewerbern, welche sich nur der II. Abteilung der Prüfung unterzogen
haben, stehen nicht alle den Bewerbern erster Art zugänglichen Stellen offen.
* Wer in Bayern im höheren Zoll- und Steuerdien st Auf-
nahme finden will, muß entweder die Prüfung für den höheren Justiz- und
Verwaltungsdienst bestanden haben (geprüfter Rechtspraktikant sein) oder
(diefenfalls find ihm Stellen bis zum Oberzollinspektor zugänglich) ein
humanistisches Gymnasium, Realgymnasium oder eine Oberrealschule absol-
viert, zwei Semester die technische Hochschule in München besucht und die
Schlußprüfung bestanden haben. Er findet dann Aufnahme als Zollprak-
tikant; als solcher muß er eine zweieinhalbjährige Praxis zurücklegen,
während dieser Kurse bei der Akademie für Landwirtschaft und Brauerei in
Weihenstephan und bei der Generaldirektion der Zölle und indirekten
Steuern durchmachen und dann sich der Assistentenprüfung unterziehen.
Der mittlere Zolldienst erfordert, daß der Bewerber durch den Be-
such einer bayerischen Mittelschule die Berechtigung zum Einjährig-Frei-
willigen-Dienst erworben hat, dann eine mindestens fünfjährige Dienstzeit
in der Grenzwache zurücklegt, während dieser eine dreimonatige Praxis im
Steuerdienst durchmacht und dann die Prüfung für den mittleren Zoll- und
30*
142
468
Das Finanzwesen
1428 Daneben bestehen noch besondere Aemter für einzelne
besondere Verwaltungszweige, so für die Verwaltung
der staatlichen Bergwerke, Hütten und Salinen (s. Nr. 1442), der
Staatsschulden (s. Nr. 1443), für die Verwaltung verschiedener wirt-
schaftlicher Betriebe des Staates (s. Nr. 1429) u. a.
II. Die Staatsgüter.
*429 Der bayerische Staat besitzt verschiedene Vermögensgegenstände,
deren Nutzung und deren Erträgnisse zur Bestreitung der Staats-
bedürfnisse dienen. Der oberste Grundsatz der Verfassungsurkunde
für die Verwaltung des Staatsgutes ist, daß es „auf ewig unver-
äußerlich ist"; doch bestehen hiervon die durch die Sachlage ge-
botenen Ausnahmen; so dürfen Vertauschungen gegen Gegenstände
von gleichem Werte erfolgen; ebenso können zu Zwecken der Grenz-
berichtigung oder zur Beendigung von Rechtsstreitigkeiten Veräuße-
■ rangen erfolgen. Die Verwaltung der Staatsgüter obliegt im allge-
meinen den Behörden der allgemeinen Finanzverwaltung. Zu den
Staatsgütern gehören insbesondere auch die wirtschaftlichen Betriebe
des Staates, wie die Bäder Kissingen, Bocklet, Brückenau, Reichenhall
und Sieben, das Hofbräuhaus zu München, das Weingut in Unter-
franken, die Hoffischerei auf dem Chiemsee, für deren Verwaltung
besondere Organe bestehen. Die wichtigsten Staatsgüter bilden die
staatlichen Forsten und die staatlichen Bergwerke und Salinen
Cf. Nr. 1430 und Nr. 1438).
III. Die Forstwirtschaft.
1430 1. Der Wald 4 ist in verschiedener Hinsicht von allgemein volks-
wirtschaftlicher Bedeutung: Er liefert das nötige Brenn-, Nutz- und
Bauholz, sowie Jagd und Weide. Er hindert den zu raschen Abfluß
des Regen- und Schneewassers und bietet hierdurch den besten Schutz
sowohl gegen Überschwemmungen wie gegen das Austrocknen des
Erdbodens und das Versiegen der Quellen. An steilen Hängen schützt
er vor Schneesturz und Bergrutsch; er ist hier zugleich das unentbehr-
liche Befestigungsmittel des überdies in anderer Weise meist nicht be-
Steuerdienft, I. Abteilung, besteht. Außerdem können aber auch Grenzauf-
seher, die die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-Dienst nicht besitzen,
nach neunjähriger, und soweit sie Militäranwärter sind, nach dreijähriger
Dienstzeit, zur Prüfung für den mittleren Zoll- und Steuerdienst, II. Ab-
teilung, zugelassen werden. Diesen sind nicht alle Stellen zugänglich, die
von den erstgenannten erreicht werden können.
4 Die Wälder bedecken im Deutschen Reich etwa ein Viertel, im
Königreich Bayern etwa ein Drittel des ganzen Bodens.
Die Forstwirtschaft
469
nutzbaren Erdbodens. Wichtig ist endlich sein Einfluß aus das Klima
durch Ausgleichung der schroffen Gegensätze von Wärme und Kälte,
Dürre und Nässe.
Wohin eine unverständige Verwüstung der Waldungen führt,
das zeigt am eindringlichsten das Schicksal der Insel Sizilien, welche,
früher eines der fruchtbarsten Länder der Erde, der Abholzung des
Waldes zu einem großen Teil ihre heutigen traurigen wirtschaftlichen
Zustände verdankt. Der Staat hat aus allen diesen Gründen die
Verpflichtung, der Forstwirtschaft seine besondere Pflege und Aufsicht
angedeihen zu lassen.
2. Die staatliche Tätigkeit äußert sich auf dem Gebiete 1431
des Forstwesens in doppelter Weise. Der Staat hat zunächst für die
Verwaltung der im Staatseigentum befindlichen Wälder zu sorgen,
er hat aber weiter den Waldbesitz anderer, der Privaten und der
öffentlichen Körperschaften, in den Bereich seiner Tätigkeit zu ziehen,
damit diese in der Bewirtschaftung der Wälder entsprechend ver-
fahren; letztere Tätigkeit nennt man die Forstpolizei, die erstere die
Forstverwaltung. Für die Forstverwaltung und für die Forstpolizei
besteht deshalb auch eine besondere Behördenorganisation, doch ist
für ein Zusammenwirken der beiden Organisationen gesorgt.
3. Die oberste Leitung des Staatsforstwesens, einschließ- H32
lief) der Staatsjagden und der Staats-Trift-Anstalten obliegt dem
Finanzministerium. Bei diesem ist zur Bearbeitung dieser Ange-
legenheiten eine besondere Abteilung, die M i n i st e r i a l - F 0 r st -
a b t e i I u n g , gebildet, an deren Spitze ein Ministerialdirektor
steht. Mit dieser Abteilung ist für die Zwecke der Buchführung, für
den Rechnungsdienst und ähnliche Angelegenheiten eine F 0 r st b u ch-
Haltung verbunden, ferner ist ihr eine Kartographische
A n st a l t angegliedert. Die Ministerial-Forstabteilung, die, wie
bemerkt, zunächst die Staatsforsten zu verwalten hat, ist zugleich tech-
nisches Organ der obersten Forstpolizeibehörde, des Ministeriums
des Innern, für die Fragen der Forst- und der Jagdpolizei und für
dw Bewirtschaftung der Waldungen der Gemeinden und sonstigen
öffentlichen Verbände.
Zur Leitung des Staats-Forst-, -Jagd- und -Tristwesens für den 143z
Umfang der einzelnen Regierungsbezirke sind die Kammern der
Forsten der einzelnen Regierungen errichtet; s. wegen dieser
Nr. 659. Diesen sind ebenfalls F 0 r st b u ch h a l t u n g e n für den
Buchhaltungs- und Rechnungsdienst und ähnliche Angelegenheiten
beigegeben. Hinsichtlich der Mitwirkung bei den forstpolizeilichen
Angelegenheiten und bei der Verwaltung der Waldungen der öffent-
lichen Verbände stehen die Kammern der Forsten zu den Kammern
470
Tas Finanzwesen
1434
H35
des Innern der Regierungen in einem ähnlichen Verhältnis, wie die
Ministerial-Forstabteilung zu dem Ministerium des Innern. Die
Kammer der Forsten der Regierung der Pfalz hat hinsichtlich der
Leitung und Verwaltung des Forstwesens der Gemeinden und Stif-
tungen besondere weitergehende Aufgaben.
Die unmittelbare (sogenannte äußere) Verwaltung der Staats-
Forsten, -Jagden und -Triften obliegt den F 0 r st ä m t e r n , deren
Vorstände die Bezeichnung F 0 r st m e i st e r fuhren. Ihnen stehen
als Hilfspersonal für den leitenden Dienst die Forstamtsassessoren,
für den Vollzugsdienst und den Forst- und Jagdschutz Förster, Forst-
assistenten und Waldwärter zur Seite. Die Forstmeister haben auch
bei der Ausübung der Forst- und Jagdpolizei mitzuwirken, außerdem
sind sie bei der strafrechtlichen Verfolgung der Forststrafsachen be-
teiligt und nehmen im Strafverfahren eine Stellung ein, wie sie im
ordentlichen Strafverfahren den Amtsanwälten zukommt. Die Forst-
ämter der Pfalz haben ferner die Bewirtschaftung der Waldungen
der Gemeinden und der Stiftungen zu führen, während in Bayern
rechts des Rheins die Forstämier in dieser Richtung in der Regel
nur eine aussichtliche Tätigkeit entfalten. Die Forstamtsassessoren
können ihren Amtssitz auch an einem anderen Orte als dem Sitze des
Forstamts haben?
4. Die oberste Leitung der F 0 r st p 0 l i z e i steht den: Ministe-
rium des Innern zu. Ausgeübt wird sie in erster Instanz durch die
Distriktsverwaltungsbehörden (Bezirksämter und Magistrate unmit- *
* Die Ausnahme in den bayerischen Staatsforst-
verwaltungsdienst (höheren Forstdienst) erfordert zunächst ein
zweijähriges Studium an der Forstlichen Hochschule zu Aschaffenburg (s.
Nr. 813). Zur Ausnahme wird das Reifezeugnis eines im Deutschen Reich
gelegenen humanistischen oder Realgymnasiums oder einer bayerischen Ober-
realschule verlangt. (Bei letzterem ist außerdem der Nachweis der erforder-
lichen Kenntnisse in der lateinischen Sprache zu erbringen.) Studierende,
die die Absolutorialprüsung bestanden haben, haben mindestens zwei Jahre
ihre Studien an einer deutschen Universität fortzusetzen und mindestens ein
Jahr die praktischen Uebungen an der forstlichen Versuchsanstalt zu München
zu besuchen. Der Besuch der letzteren kann während der Universitätszeit
stattfinden. Am Schlüsse der Universitätszeit haben sie die theoretische
Schlußprüfung abzulegen, dann mindestens drei Jahre praktisch tätig zu sein
und sich schließlich dem praktischen Staatsexamen zu unterziehen, das all-
jährlich in München abgehalten wird.
Die Aufnahme in den höheren Betriebsvollzug-, Betrieb s-
hilfs- und Forst schutzdien st, das sind die Stellen der Forstassi-
stenten, Förster und Forstbuchhaltungsbeamten, erfordert den Besuch einer
Waldbauschule. Letztere umfassen vier Kurse und stehen unter der Leitung
eines Forstamtsvorstands. Als Vorbildung wird nur der Besuch der Volks-
schule verlangt.
Das Berg-, Hütten- und Salinenwesen
471
telbarer Städte), in zweiter Instanz durch die Kammern des Innern
der Kreisregierungen; ausnahmsweise entscheidet die Kreisregierung
in erster, das Ministerium des Innern in zweiter Instanz. In ver-
schiedenen Angelegenheiten tritt an die Stelle des Bezirksamts eine
Kommission, die aus dem Vorstande des Bezirksamts und zwei Bei-
sitzern besteht; der Distriktsrat wählt regelmäßig vier Beisitzer, aus
denen für den einzelnen Fall jeweils zwei zugezogen werden.
5. Ueber die Führung der Forstwirtschaft durch die Eigentümer *436
der Waldungen ist eine Reihe eingehender Bestimmungen getroffen.
Für die Bewirtschaftung der Waldungen der Gemeinden
und Stiftungen sind in der Regel Wirtschaftspläne aufzu-
stellen, sie sind den Forstpolizeibehörden zur Prüfung vorzulegen. Zur
Ausführung des Betriebs haben sie geeignete Förster auszustellen,
sie können den Betrieb auch den Forstämtern übertragen. Privat-
waldungen können zum Zwecke der Weiterbenutzung als Forst
nur mit Genehmigung der Regierung, Kammer des Innern, verteilt
werden. Weiter bestehen eingehende Bestimmungen über Forst-
berechtigungen, das sind dingliche Rechte zur Nutzung eines
einem anderen gehörigen Waldes. Es sind insbesondere Bestimmun-
gen getroffen, um unter gewissen Voraussetzungen die Umwandlung
angemessener Forstrechte in gemessene, bisweilen auch in Geldleistun-
gen oder die Ablösung zu ermöglichen. Außerdem bestehen Bestim-
mungen, die die Rodungen (d. h. das Ausstocken der Wurzeln,
wenn es erfolgt, um den Boden der Holzzucht zu entziehen) einschrän-
ken, weiter solche zur Erhaltung der Schutzwaldungen, zur
Aufforstung von Waldblößen und ähnliche.
6. Für die Pfalz bestehen hinsichtlich der Forstpolizei (s. oben 1437
unter 4 und 5) besondere aus älterer Zeit stammende Bestimmungen.
Das Forstgesetz, durch das diese Verhältnisse für das rechtsrheinische
Bayern geregelt wurden, findet aus die Pfalz keine Anwendung.
Hervorzuheben ist, daß auch hier die Gemeinden und Stiftungen
Wirtschaftspläne auszustellen haben, und daß den Eigentümern von
Privatwaldungen Beschränkungen auferlegt sind, die die nachhaltige
Ertragbarkeit des Waldes sichern und Ausrottungen und Urbar-
machungen von Waldboden nur in gewissen Grenzen zulassen. Wegen
der zur Verwaltung der Forsten zuständigen Organe s. oben unter 3.
IV. Das Berg-, Hütten- und Salinenwesen 6.
Das Eigentumsrecht an Grund und Boden ist insoserne einge- 1458
schränkt, als es sich nicht aus die dem Bergbau unterliegenden, im
Das Bergwesen gehört der eigentlichen Finanzverwaltung nur inso-
weit an, als die Verwaltung der staatlichen Bergwerke, Hütten und Salinen
in Frage kommt.
472
Das Finanzwesen
Berggesetze besonders aufgeführten Mineralien, wie Gold, Silber,
Eisen, Kupfer, Arsenik, Schwefel, Kohle u. a. erstreckt. Es gilt im
allgemeinen der Grundsatz der Bergbausreiheit. Darnach hat für die
Regel der Eigentümer jedermann zu gestatten, auf feinem Grund und
Boden zu s ch ü r f e n, d. h. nach bergmännisch zu gewinnenden Mine-
ralien auf ihren natürlichen Lagerstätten zu suchen. Der Schürfer ist
seinerseits verpflichtet, dem Eigentümer den Schaden an seinem
Grundstück zu ersetzen. Wer sodann ein Mineral entdeckt hat, hat zu
muten, d. h. beim Oberbergamt um Verleihung des Bergwerks-
eigentums für das von ihm gefundene Mineral nachzusuchen. Ent-
spricht die Mutung den gesetzlichen Erfordernissen, so ist ihm für
einen gewissen Bezirk (Feld genannt), der eine im Gesetz bestimmte
Fläche nicht überschreiten darf, jedoch bis in die „ewige Teufe" reicht,
das Bergwerkseigentum zu verleihen. Letzteres gewährt ihm die aus-
schließliche Befugnis, das in der Verleihungsurkunde bezeichnete
Mineral in seinem Felde aufzusuchen und zu gewinnen.
14ZY Der Betrieb des Bergwerks unterliegt der st a a t l i ch e n Auf-
sicht. Der Bergwerkseigentümer ist verpflichtet, das Bergwerk zu
betreiben, wenn das öffentliche Interesse es erfordert; er hat einen
Betriebsplan aufzustellen, der durch die Aufsichtsbehörden zu prüfen
ist; zur Leitung und Aufsicht darf er nur Personen aufstellen, die die
erforderliche Befähigung besitzen. Er hat sich insbesondere auch den
bergpolizeilichen Anordnungen zu fügen, die Sicherheit des Lebens
und der Gesundheit der Arbeiter, Sicherheit der Baue, Sicherheit der
Oberfläche im Interesse des Verkehrs und ähnliches bezwecken.
Diese staatliche Tätigkeit, die Berghoheit, wird unter Lei-
tung des Ministeriums des Aeußern durch das Oberbergamt und die
drei ihm untergeordneten Berginspektionen zu München, Bayreuth
und Zweibrücken ausgeführt; der Berginspektiou Bayreuth ist ein
exponierter Assessor mit dem Sitze in Schwandorf beigegeben? Da-
neben ist noch für die erforderlichen markfcheiderischen Ge-
schäfte, d. h. für die Vermessung der Grubenfelder und deren Abgren-
zung, für jeden Jnspektionsbezirk ein Markscheider aufgestellt. 7
7 Wer in Bayern zum höheren Staatsdienst im Berg-,
Hütten- und Salinenwesen zugelassen werden will, muß ein
deutsches humanistisches oder Realgymnasium oder eine deutsche Oberreal-
schule absolviert haben, eine einjährige Vorlehre bei einem Bergwerk und
einem Hüttenwerk verbracht und dann vor staatlichen Beamten eine Probe-
grubensahrt mit Erfolg abgelegt haben. Hieran schließt sich ein vierjähriges
Studium an einer Universität oder an einer technischen Hochschule oder an
einer Bergakademie Deutschlands oder Oesterreichs. Ein Jahr hievon muß
mindestens an einer Bergakademie zugebracht werden. Während dieser
Zeit hat er sich einer Vorprüfung und am Schlüsse der Hauptprüsung vor
Die bayerischen Staatsschulden
473
Besonders geregelt sind die Verhältnisse für den Fall, daß an 1440
einem Bergwerk mehrere beteiligt sind. Sie bilden zusammen eine
Gewerkschaft, d. h. eine den Handelsgesellschaften ähnliche Ge-
meinschaft; der einzelne führt die Bezeichnung Gewerke, die Anteile,
meist hundert, heißen Kuxe. Die Gewerken nehmen nach dem Ver-
hältnis ihrer Kuxe an Gewinn und Verlust teil.
Die Arbeiter der Bergwerke und der damit zusamenhängenden 1441
Anstalten, der sogenannten Aufbereitungsanstalten, sowie die Ar-
beiter der Salinen sind zu den K n a p P s ch a f t s v e r e i n e n zu-
samengeschlossen. Diese bezwecken Unterstützung ihrer Mitglieder bei
Krankheiten und bei Arbeitsunfähigkeit und Unterstützung der
Witwen und der Kinder verstorbener Mitglieder.
Für die Verwaltung der staatlichen Berg - 1442
werke, Hütten und Salinen besteht eine besondere Be-
hördenorganisation. An deren Spitze steht, in Unterordnung unter
dem Finanzministerium, die Generaldirektion der Berg-,
Hütten- und Salzwerke, mit einem Generaldirektor als
Vorstand. Zur Besorgung der Handelsgeschäfte ist ihr ein besonderes
Handelsbureau beigegeben. In Unterordnung unter ihr bestehen zur
Betriebsausführung Bergämter, Hüttenämter, Berg- und Hütten-
ämter, Salinenämter, Berg- und Salinenämter, meistens mit einem
Bergmeister als Vorstand. Der Reinertrag der staatlichen Bergwerke,
Hütten und Salinen betrug 1905 1 144 016 M.
Die Staatsbetriebe haben ein Monopol für die Gewinnung
von Salz. Das Aufsuchen und die Gewinnung von Steinsalz so-
wie der Solquellen ist nämlich von der Bergbaufreiheit ausgenommen
und dem Staate vorbehalten.
V. Die bayerischen Staatsschulden.
Die bayerischen Staatsschulden betrugen im Jahre 1908 144z
1986 604 856 M.; darunter fielen auf die allgemeine Staatsschuld
303 695 773 M., auf die Eisenbahnschuld, entstanden durch den Bau
der Staatseisenbahnen, 1 551 386 400 M., auf die Grundrentenschuld,
entstanden durch Ablösung der Grundlasten, 107 209 982 M. und end-
lich auf die Landeskulturrentenschuld, entstanden durch Maßnahmen
besonderen, an der technischen Hochschule in München gebildeten Prüfungs-
kommissionen zu unterziehen. Nach Bestehen dieser Prüfung hat sich der
Kandidat einer zweieinhalbjährigen praktischen Ausbildung, und zwar teils
im Dienstbereich der Bergbehörden, teils bei den Berg-, Hütten- und
Salinenwerken des Staates zu unterziehen und dann noch die praktische
Prüfung vor einer besonderen Prüfungskommission abzulegen.
474
Das Finanzwesen
-444
zur besseren wirtschaftlichen Ausnützung des Bodens, 25 312 700 M.
Die Verwaltung der Staatsschulden obliegt unter der Oberleitung des
Finanzministeriums der Direktion der Staatsschuldenverwaltung in
München; unter dieser steht für die Verwaltung der allgemeinen
Staatsschuld die Staats-Schuldentilgungs-Hauptkasse, für die Ver-
waltung der Eisenbahnschuld die Eisenbahnbau-Dotations-Hauptkasse,
für die Verwaltung der beiden übrigen Schulden die Grundrenten-
Ablösungskasse, die zugleich als Landeskulturrentenkasse tätig wird?
Wegen der Mitwirkung des Landtags bei Verwaltung der Staats-
schulden s. Nr. 168. Die Höhe der schwebenden Schuld (s. Nr. 1382)
ist aus höchstens 35 Millionen Mark festgesetzt. Aus diesen Betrag
können Schatzanweisungen ausgegeben werden.
VI. Die direkten Steuern Bayerns
1. Im allgemeinen.
Die direkten Steuern Bayerns sind aufgebaut auf dem S y st e m
der Ertrags steuern. Dieses steht im Gegensatz zu dem
System der Einkommensbesteuerung. Der Ertragsbesteuerung ist
wesentlich, daß sie die einzelnen Ertragsquellen, wie z. B. Kapital-
zinsen, Verdienst durch Gewerbetätigkeit ersaßt, ohne Rücksicht auf die
sonstigen Verhältnisse des zu Besteuernden. Personen z. B., die ein
Gewerbe von gleichem Umfang betreiben, werden auch mit gleichen
Sätzen besteuert, ohne Rücksicht darauf, daß der eine infolge sonstiger
Einnahmequellen, wie z. B. Kapitalrenten, ein sehr vermögender
Mann, der andere verschuldet ist. Beim System der Einkommens- 8 *
8 Buchschulden des Staats (s. Nr. 1383) gibt es in Bayern nicht.
Dagegen können sich die Inhaber von bayerischen Staatsschuldverschrei-
bungen dadurch sichern, daß sie die Papiere aus den Namen
umschreiben lassen. Diese Umschreibung erfolgt aus Antrag des
Inhabers durch die oben bezeichneten Kassen; sie kann auch wieder gelöscht
werden. Für die Umschreibung und für die Löschung sind 50 Pf. für jede
Schuldverschreibung zu entrichten.
8 Um die mehrfache Besteuerung derselben Vermögensbestandteile in
verschiedenen Bundesstaaten zu verhüten, bestimmt ein Reichsgesetz, daß ein
Deutscher zu direkten Steuern grundsätzlich uur in dem Bundesstaat heran-
gezogen werden darf, in dem er seinen Wohnsitz hat. Abweichend davon
dürfen der Grund- und Gebüudcbcsitz und der Betrieb eines stehenden Ge-
werbes, sowie das aus diesen Quellen fließende Einkommen nur in dem
Bundesstaat besteuert werden, in dessen Gebiet der Grund- und Gebäudcbesih
liegt oder die Betriebsstätte zur Ausübung des stehenden Gewerbes unter-
halten wird.
Hat ein in Reichs- oder Staatsdiensten stehender Deutscher in meh-
reren Bundesstaaten einen Wohnsitz und in einem von ihnen einen dienst-
lichen Wohnsitz, so darf er zu direkten Staatssteuern nur in dem Bundes-
staat des dienstlichen Wohnsitzes herangezogen werden.
Die Steuern Bayerns
475
besteuerung (der sogenannten allgemeinen Einkommensteuer) wird
die Leistungsfähigkeit des Einzelnen im ganzen erfaßt; es werden
seine Jahreseinnahmen nach Abzug der Ausgaben in ihrer Gesamtheit,
seine gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse zur Grundlage der Be-
steuerung genommen. Der Ertragssteuer ist charakteristisch, daß sie
nicht die Steuerfähigkeit einer Person nach ihrem Vermögen oder
Einkommen einheitlich zusamenfaßt, wie es die allgemeine Einkom-
mensteuer tut, sondern die einzelnen Ertragsobjekte zugrunde legt.
Als solche Objekte erscheinen in Bayern Grund und Boden, Häuser,
Kapitalzinsen, Gewerbebetriebe und sonstige Erträgnisse; demgemäß
besteht in Bayern die Grundsteuer, die Haussteuer, die Kapitalrenten-
steuer, die Gewerbesteuer mit der Hausiersteuer und die spezielle Ein-
kommensteuer, welch letztere alle Erträgnisse erfaßt, die nicht von
einer der andern Steuern getroffen sind und von der allgemeinen Ein-
kommensteuer in dem oben erwähnten Sinn vollkommen ver-
schieden ist.10
2. Die Grundsteuer.
Die Regelung der Grundsteuer geht auf das Jahr 1828 zurück; 1445
sie will die Erträgnisse von Grund und Boden belasten. Das Grund-
steuergesetz setzt nicht eine bestimmte Abgabe fest, die von den Erträg-
nissen des Grund und Bodens zu entrichten ist, sondern es beschränkt
sich darauf, die Festsetzung einer sog. „Steuerverhältniszahl" für
jedes Grundstück zu regeln; durch das jeweilige Finanzgesetz wird so-
dann für die einzelnen Budgetperioden, d. i. also immer für zwei
Jahre, bestimmt, wie viel Prozente der Steuerverhältniszahl als
Steuer zu entrichten sind.
Die Steuerverhältniszahl ist sonach der Wert, mit dem jedes 1446
Grundstück für die Besteuerung in Betracht kommt. Sie stellt ein
Produkt dar, dessen einer Faktor der Flächeninhalt des Grundstücks,
dessen anderer Faktor dessen Ertragsfähigkeit ist. Die Größe der
einzelnen Grundstücke wurde durch die zu diesem Zwecke erfolgte
Landesvermessung (s. Nr. 140) festgestellt. Die Ertragsfähigkeit ist
abgestuft nach „Bonitätsklassen" und es weist sonach jedes Grundstück
je nach seiner Ertragsfähigkeit eine, zwei, drei und mehr Bonitäts-
klassen auf. Die Bonitätsklassen bestimmen sich darnach, wie viel
10 Die Erträgnisse der direkten Steuern sind von der
Regierung im Budget für jedes Jahr der Finanzperiode 1908 und 1909 mit
folgenden Beträgen veranschlagt: Grundsteuer mit ca. 10 Millionen,
Haussteuer mit ca. 9 Millionen, Gewerbesteuer mit ca. 12 Millionen,
Hausiersteuer mit ca. 210 000 M., Kapitalrentensteuer mit ca. 7 Millionen,
spezielle Einkommensteuer mit ca. 4 Millionen Mark.
476
Das Finanzwesen
Achtel Scheffel (— 27,7947 Liter) Korn das Grundstück von einem
bayerischen Tagwerk (— 3407,27 Quadratmeter) trägt. Es gehört
sonach ein Grundstück, von dem ein Tagwerk 1/s Scheffel trägt, der
ersten Bonitätsklasse, ein Grundstück, von dem ein Tagwerk 2/s
Scheffel trägt, der zweiten Klasse an usw. Grundstücke, die anders als
durch Kornbau nutzbar gemacht werden, werden nach einem durch das
Gesetz festgelegten Wertverhältnis nach dem Normalmaßstab von
Achtel Scheffeln Korn abgeschätzt; so wird bei Wiesen ein Heu- und
Grummetertrag von l2/3 Zentner einem Achtel Scheffel Korn gleich-
geachtet. Die Einschätzung der Grundstücke nach diesen Gesichts-
punkten ist längst erfolgt, und zwar in der Weise, daß der Ertrag von
gewissen Grundstücken, den „Mustergründen", ermittelt und daß dann
durch Vergleichung der einzelnen Grundstücke mit den Mustergründen
deren Verhältniszahl festgestellt wurde. Um es zu ermöglichen, dieses
Wertverhältnis der Grundstücke, das nach dem Dargelegten lediglich
nach Achtel-Schesseln Korn ausgedrückt werden könnte, auch in Geld
auszudrücken, ist weiter bestimmt, daß ohne Rücksicht auf den je-
weiligen Wert des Korns das Scheffel mit acht Gulden (— 135/7 M.)
anzusetzen ist.
447 Diese Steuerverhältniszahl ist für jedes Grundstück unabänder-
lich festgesetzt; sie ändert sich also auch nicht, wenn die Erträgnisse des
Grundstückes infolge von Verbesserungen, die seit der Einschätzung
erfolgt sind, aus das Doppelte oder noch mehr erhöht wurden oder
wenn sie gesunken sind. Die Steuerverhältniszahl bringt sonach für
jedes Grundstück dessen Ertragsfähigkeit in Achtel Scheffel Korn oder
in bayerischen Gulden zum Ausdruck. Die Grundsteuer, die der
Einzelne darnach zu entrichten hat, ergibt sich in der Weise, daß sie
aus der Steuerverhältniszahl nach dem durch das Finanzgesetz be-
stimmten Prozentsatz berechnet wird. Für die laufende Finanzperiode
1908/1909 werden 76/10 Pfennig von jeder Einheit der Steuerver-
hältniszahl für jedes Jahr erhoben.
448 Straßen, öffentliche Plätze und erträgnislose Grundstücke, wie
z. B. überkieste Plätze, entrichten keine Grundsteuer.
3. Die Haussteuer.
449 Sie beruht ebenfalls auf einem Gesetze aus dem Jahre 1828 und
ist ähnlich ausgebaut wie die Grundsteuer. Sie will dieNutz-
ungen aus denHäusern treffen. Auch bei ihr wird durch
das Gesetz nur die Steuerverhältniszahl festgesetzt, während das je-
weilige Finanzgesetz bestimmt, wie viel Prozente der Steuerverhält-
niszahl für jedes Jahr der Budgetperiode zu erhalten sind. Die
Steuerverhältniszahl bemißt sich nach der Mietertragsfähigkeit der
Die Steuern Bayerns
477
Grundstücke. Diese wird ermittelt bei vermieteten Häusern^durch Er-
hebung des Mietertrags, bei anderen Häusern nach zwei Systemen;
nämlich in Gegenden, wo noch Häuser vermietet werden, durch Ver-
gleichung mit den Erträgnissen der letzteren; in Gegenden, wo nicht
vermietet wird, als Arealsteuer, d. h. nach dem Flächeninhalt
des überbauten Grund und Bodens, wobei sür ein Ar ein Ertrag
von fünf Mark angenommen wird.
Die Haussteuer ist nicht unabänderlich; es kann unter gewissen 1450
Voraussetzungen sowohl von der Steuerbehörde wie von den Be-
teiligten eine Neuregelung beantragt werden. Steuerfrei
sind Kirchen, öffentliche Schul- und Erziehungshäuser und ähnliche
Gebäude. Für die Jahre 1908 und 1909 werden 3 85/100 Pfennig für
jede Mark der Steuerverhältniszahl erhoben.
4. Die Grubenfeldabgabe.
Sie ist von den Bergwerkseigentümern oder deren gesetzlichen 1451
Vertretern zu entrichten und richtet sich nach der Größe des Gruben-
feldes, d. h. nach der Größe des Raumes, für den das Recht erworben
ist, andere vom Bergbau auszuschließen.
5. Die Einkommensteuer.
D i e (spezielle) Einkommen st euer ist zu entrichten 1452
a. von dem Einkommen aus Lohnarbeit, z. B. dem Verdienst des
Dienstboten, Gewerbegehilfen, Fabrikarbeiters; b. von dem Ein-
kommen aus wissenschaftlicher oder künstlerischer Beschäftigung, so aus
dem Geschäftserwerb der Rechtsanwälte, Notare, Aerzte; c. von dem
Einkommen aus Besoldungen, Ruhegehalten usw. der Beamten und
ihrer Hinterbliebenen, aus länger gesicherten Dienstbezügen von
Privatbediensteten und aus ähnlichen sonstigen Einnahmen.
Für die Regel werden die Einkommen der Ehefrau und unselb-
ständiger Kinder mit dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes
als ein Einkommen versteuert. Die Steuer beträgt bei einem Ein-
kommen bis zu 500 M. 50 Pf., bei einem Einkommen von 500—700 M.
1 M. und sie steigt in ähnlicher Weise progressiv weiter (s. Nr. 1377
Anm. 2); so beträgt sie bei Einkommen von 2000 M. 10 M., bei 5500
Mark Einkommen 50 M.; bei 14 000 M. Einkommen 200 M.
Befreit von der Einkommensteuer sind hauptsächlich die Ge- r453
meinden, ferner Unterstützungs-, Pensions-, Kranken- und ähnliche
Kassen, der Arbeitsverdienst von Personen, die das achtzehnte Lebens-
jahr noch nicht zurückgelegt haben, weibliche Personen, deren Ein-
kommen 500 M. jährlich nicht übersteigt und die auch aus anderen
478
Das Finanzwesen
1454
H55
Quellen (z. B. aus Kapitalrenten) nur so viel einnehmen, daß ihre
Gesamtbezüge im Jahr nicht mehr als 700 M. ausmachen, besonders
hilfsbedürftige Personen, wie Witwen, vaterlose Minderjährige, wenn
ihre Einnahmen einen gewissen Betrag nicht übersteigen. Außerdem
können auch sonstige Umstände Steuerermäßigung und bei geringerem
Einkommen sogar Steuerbefreiung rechtfertigen, wie besondere, die
Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigende Verhältnisse, z. B. an-
dauernde Krankheit, und zwar bei Personen, deren Gesamteinkünste
im Jahre 5000 M. nicht überschreiten. Personen, deren Gesamtbezüge
700 M. jährlich nicht übersteigen und deren einkommensteuerpslichtige
Bezüge 500 M. im Jahr nicht übersteigen, sind auf Antrag von der
Steuer zu befreien.
Die Steuerpflicht besteht in der Regel am Orte des Wohnsitzes.
Zur Ermittlung der Steuerpflichtigen haben die
Gemeindebehörden Verzeichnisse der einkommensteuerpflichtigen Per-
sonen des Gemeindebezirks herzustellen und den Rentämtern mitzu-
teilen. Die Grundlage dieser gemeindlichen Verzeichnisse bilden An-
meldungen der Hausbesitzer für die im Hause wohnenden Personen,
der Haushaltungsvorstände für die in ihrem Haushalt befindlichen
Personen, der Gehalt- und Lohngeber für die Personen, die von ihnen
Bezüge erhalten, und der Vorstände der öffentlichen Behörden. Diese
Anmeldungen hat die Gemeindebehörde nachzuprüfen. Die Rent-
ämter haben dann die gemeindlichen Listen ebenfalls einer Kontrolle
zu unterziehen. Die Festsetzung der Steuer erfolgt für Personen
mit nicht mehr als 3000 M. Einkommen durch das Rentamt, für Per-
sonen mit größerem Einkommen durch besondere Steuerausschüsse,
deren Mitglieder von gemeindlichen oder distriktiven Organen ge-
wählt werden. Gegen die rentamtliche Einsteuerung kann Berufung
eingelegt werden zu Berufungskommifsionen, die für jeden Regie-
rungsbezirk gebildet werden, gegen deren Entscheidung kann Be-
schwerde an die beim Finanzministerium gebildete Oberberu-
fungskommission eingelegt werden. Sie kann nur auf
Rechtsgründe gestützt werden oder Mängel des Verfahrens rügen. Die
Einsteuerung erfolgt auf vier Jahre. Zur Sicherung einer richtigen
Besteuerung enthält das Gesetz auch verschiedene Strafbestimmungen.
6. Die Kapitalrentensteuer.
Sie ist zu entrichten aus Zinsen von An-
leihen des Staates und der Gemeinden, aus Pfand-
briefen, Hypothekenforderungen, aus Aktien, Geschäfts-
anteilen, aus Zinsen, die in unverzinslichen Forderungen,
z. B. in Wechseln enthalten sind, und aus ähnlichen Ein-
Die Steuern Bayerns
479
fünften. Sie beträgt bei einer Jahresrente von 70 bis 100 M.
I1/2 Proz., von da an bis 400 M. 2 Proz., von da an bis 700 M.
21/2 Proz. und steigt so weiter bis zum Höchstsatz von 4 Proz., der bei
einer Jahresrente von mehr als 100 000 M. beginnt. Steuerfrei sind
Vermögen, die Zwecken der Wohltätigkeit, des Unterrichts, des Kultus
und ähnlichen Zwecken dienen, ferner schutzbedürftige Personen, wie
Witwen und vaterlose Minderjährige, die im ganzen nicht mehr als
700 M. Einkommen besitzen, solange ihre Kapitalrente 400 M. im
Jahr nicht übersteigt. Es kann unter gewissen Voraussetzungen, so
bei außergewöhnlicher Belastung durch Unterhalt von Kindern,
Steuerermäßigung, unter Umständen auch Steuerfreiheit gewährt
werden. Bezüge der Ehefrauen und der unselbständigen Kinder
werden in der Regel als einheitliche Kapitalrente des Haushaltungs-
vorstands versteuert.
Die Grundlage der E i n st e u e r u n g bilden „F a s s i 0 n e n" 1456
der Steuerpflichtigen, d. h. Erklärungen, wie hoch sich die Rente
beläuft. Diese Erklärung ist abzugeben unter der Versicherung, daß
sie nach bestem Wissen und Gewissen gemacht ist. Das Rentamt prüft
die Erklärung nach. Der für die Einkommensteuer bestellte Steuer-
ausschuß setzt auch die Kapitalrentensteuer fest; gegen die Festsetzung
besteht Berusungs- und Beschwerderecht wie bei der Einkommen-
steuer. Die Kapitalrentensteuer wird alle zwei Jahre neu festgestellt:
zur Sicherung der Besteuerung bestehen, wie bei der Einkommen-
steuer, Strafbestimmungen.
7. Die Gewerbesteuer.
Ihr unterliegen die Gewerbe und die gewerbsmäßig betrie- 1457
beiten Erwerbsarten. Ausgeschlossen sind von ihr der Betrieb der Land-
wirtschaft, der Jagd und der Fischerei und der Verkauf der eigenen
Erzeugnisse dieser Betriebe. Die Gewerbesteuer setzt sich aus zwei Ab-
gaben zusammen, der Normalanlage und der Betriebsanlage. Welche
Normalanlage und welche Betriebsanlage für das einzelne Gewerbe
zu entrichten ist, ergibt sich aus dem Gewerbe st euertaris, das
ist eine dem Gewerbesteuergesetz beigefügte Zusammenstellung der
Gewerbe und sonstigen gewerbsmäßig betriebenen Erwerbsarten, in
der bei jeder einzelnen Betriebsart die Normalanlage und die Grund-
sätze für die Berechnung der Betriebsanlage angeführt sind. So ist
z. B. für die Flickschneider ausgeführt als Normalanlage 0,50 M.
oder 1 M. oder 2 M. und hinsichtlich der Betriebsanlage bemerkt:
Als Betriebsanlage wird für den ersten Gehilfen der halbe, für jeden
folgenden der ganze Betrag der für das Gewerbe bestimmten Normal-
anlage in Ansatz gebracht. Für Bankanstalten ist als Normalanlage
480
Das Finanzwesen
458 festgesetzt 1000 M. oder 2000 M. und hinsichtlich der Betriebsanlage
bestimmt, daß sie nach denk jährlichen Ertrage des Gewerbes festzu-
setzen ist. Je nach dem Umfange des Geschäftsbetriebs ist von jedem
Gewerbe die jeweils bestimmte höhere oder niedere Normalanlage zu
entrichten. Als Anhaltspunkte für die Bemessung der Betriebsanlage
sind zugrunde zu legen die Zahl der Gehilfen, die Menge der
Erzeugnisse, die Zahl der verwendeten Maschinen und ähn-
liches, oder die Höhe des Ertrags. Zur Berechnung der Höhe der
Steuer ist eine besondere Tabelle ausgestellt, die für die einzelnen Er-
träge klassenweise die Steuer bestimmt, so z. B. für einen Jahresertrag
von 500 M. bis 750 M. 1 M. Betriebsanlage, für einen solchen von
12 500 M. bis 13 000 M. 330 M. Betriebsanlage.
459 Unter gewissen Umständen treten Steuerbefreiungen
oder Minderungen der regelmäßigen Steuer ein, so sind
steuerfrei Gewerbesteuerpflichtige, die kein oder nur geringes Be-
triebskapital haben, wenn ihr Jahreserträgnis aus dem Gewerbe
unter 500 M. bleibt und ihr Gesamteinkommen (das z. B. auch
Kapitalrenten umfaßt) jährlich 700 M. nicht übersteigt' wenn be-
sondere die Einträglichkeit des Gewerbes beschränkende Verhältnisse
vorliegen, kann von der Erhebung der Normalanlage abgesehen
werden.
460 Die Grundlage der Gewerbe st eueranlage bildet ein
von der Gemeindebehörde auszustellendes Verzeichnis der im Ge-
meindebezirke betriebenen Gewerbe und dort wohnenden Gewerbe-
treibenden. Die Gemeinde fordert ferner alle Pflichtigen aus, eine
Steuererklärung abzugeben, das heißt die zur Berechnung der Steuer
erforderlichen Angaben zu machen. Der Erklärung ist die Versiche-
rung beizufügen, daß die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen
gemacht sind. Wer die Erklärung innerhalb der von der Gemeinde
gesetzten Frist nicht abgibt, kann gegen die dann ohne seine Erklä-
rung erfolgte Steuerveranlagung kein Rechtsmittel einlegen. Die
Steuererklärungen und das Verzeichnis der Steuerpflichtigen gibt
die Gemeinde an das Rentamt. Letzteres prüft die Steuererklärungen
nach. Für jeden Rentamtsbezirk wird dann ein Steuerausschuß ge-
bildet, der in der Hauptsache aus Mitgliedern besteht, die bald von den
gemeindlichen Organen, bald von den Organen des Distrikts gewählt
werden. Der Steuerausschuß setzt die Normal- und die Betriebs-
anlage für jeden Steuerpflichtigen fest; ausnahmsweise erfolgt die
Einsteuerung durch das Rentamt selbst. Gegen die Beschlüsse des
Steuerausschusses und gegen die rentamtliche Einsteuerung kann
Berufung an eine für jeden Regierungsbezirk gebildete Berufungs-
kommission und gegen deren Entscheidungen Beschwerde an die bei der
Die Steuern Bayerns
481
Einkommensteuer erwähnte Oberberufungskommission ergriffen
werden. Alle zwei Jahre erfolgt eine neue Steueranlage.
Die Gewerbesteuer schließt zugleich die sogenannte Waren - 1461
Haus st euer in sich. Es werden nämlich gewerbliche Unterneh-
mungen, die ihrem Geschäftsbetrieb eine außergewöhnliche Ausdeh-
nung geben und durch die Grundsätze und die Formen ihre Geschäfts-
betriebs von den üblichen Formen wesentlich abweichen, mit einer
Normalanlage belegt, die unter Hinzurechnung der Betriebsanlage
ein halbes Prozent bis drei Prozent des Geschäftsumsatzes betragen
kann; als solche Unternehmungen sind im Gesetze angeführt: Waren-
häuser, Abzahlungsgeschäfte, Versandtgeschäfte.
8. Die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen (Hausier-
steuer).
Der Hausiersteuer unterliegt der im Umherziehen betriebene Ge- 1462
Werbebetrieb (s. Nr. 1196). Das Gesetz geht im allgemeinen davon aus,
daß derjenige, der nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung
eines Wandergewerbescheines bedarf, auch hausiersteuerpslichtig ist.
Die Steuer setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, der „Normal-
anlage" und der „Betriebsanlage". Erstere ist ein fester Satz, der
für alle Gewerbe von einer gewissen Art, z. B. für alle Menagerie-
inhaber oder alle Topfbinder, alle Händler mit Leinenwaren, gleich
ist; letztere ist ein wechselnder Satz, der die Verhältnisse des einzelnen
Gewerbes berücksichtigt und je nach Merkmalen, die auf eine größere
Ausdehnung des Betriebs hindeuten, eine ergiebigere Heranziehung
ermöglicht, so erhöht sich die Betriebsanlage z. B. nach der Zahl der
Begleiter des Topsbinders oder des Leinenwarenhändlers. Zur
Bemessung der Steuer ist dem Gesetz ein sogenannter Steuer-
t a r i f beigefügt, in dem die einzelnen Gewerbearten unter Bei-
fügung der Normalanlage und der für die Betriebsanlage maß-
gebenden Grundsätze aufgeführt sind. An der Hand dieses Tarifs
erfolgt dann die Besteuerung der einzelnen Gewerbetreibenden.
Die Steuer ist für jedes Kalenderjahr und zwar voraus zu ent- 146z
richten. Wer ein der Hausiersteuer unterliegendes Gewerbe aus-
üben will, hat es vor Eröffnung des Betriebs anzumelden. Die
Steuer wird dann vom Rentamt festgesetzt. Die Mitwirkung eines
Steuerausschusses, wie sie z. B. die Gewerbesteuer verlangt, findet
nicht statt.
VII. Die indirekten Steuern Bayerns.
1. Der Malzaufschlag.
Wie erwähnt (s. Nr. 1405), gilt in Bayern das Reichsbrausteuer- 1464
gesetz nicht; an Stelle dieser Steuer wird in Bayern der sogenannte
Glock- Schiedermair, Bürgerkunde. 31
482
Das Finanzwesen
Malzausschlag erhoben. Unter Malz versteht man Getreide, das
künstlich zum Keimen gebracht wurde. Steuerpslichtig ist aber nur
solches Malz, das zur Erzeugung von Bier oder Essig verwendet
werden soll, Malz, das zu anderen Zwecken verwendet werden soll, ist
steuerfrei. Um zu erreichen, daß durch die Besteuerung des Malzes
auch alles Bier zur Steuer herangezogen wird, ist bestimmt, daß in
Bayern zur Bierbereitung außer Wasser und Hopsen nur Malz ver-
weudet werden darf. Die Verwendung von Ersatzmitteln für Malz ist
ausgeschlossen.
465 Die Steuer beträgt sechs Mark vom Hektoliter Malz. Wenn
jedoch in einer Betriebsstätte in einem Jahr mehr als 10 000 Hekto-
liter Malz verwendet werden, so kommen hierzu noch Zuschläge.
Unter Umständen kann die Steuer bei kleineren Brauereien auf
fünf Mark herabgehen. Wird Bier aus Bayern ausgeführt, so wird
der Malzausschlag zurückvergütet.
2. Tic Hundegebühr.
466 Für jeden über vier Monate alten Hund hat der Besitzer in jedem
Kalenderjahr eine Gebühr an den Staat zu entrichten; sie bewegt sich
je nach der Größe der Gemeinde, in der der Hund gehalten wird,
zwischen drei Mark und fünfzehn Mark. Für Weiler, Einöden und
alleinstehende Anwesen beträgt sie stets drei Mark, ohne Rücksicht aus
die Größe der Gemeinde. Im Januar oder im Februar jeden Jahres
(der genaue Zeitpunkt ist öffentlich bekannt zu geben) sind die der
Gebühr unterliegenden Hunde der Ortspolizeibehörde zur Besteue-
rung anzumelden. Die Gebühr ist bei der Anmeldung zu entrichten.
Hunde, die später steuerpslichtig werden (also etwa erst später er-
worben werden), sind nachträglich anzumelden. Der Reinertrag der
Steuer verbleibt dem Staat nur zur Hälfte, zur Hälfte fällt er der
Gemeinde zu, in der die Gebühr erhoben wurde.
3. Die Gebühren.
467 Neben den erwähnten Abgaben bestehen noch eine Reihe verschie-
den gearteter Abgaben, die als Gebühren schlechthin bezeichnet werden,
weil sie in einem besonderen, unter dem Namen Gebührengesetz ver-
öffentlichten Gesetz geregelt sind. Dieses ordnet z. B. Abgaben an, die
bei gewissen Anstellungen, z. B. als Notar, als Königlicher Kämmerer,
oder bei Verleihung des Adels, oder für die Bewilligung zur An-
nahme fremder Orden zu entrichten sind. Weiter regelt es die Ab-
gaben, die bei Inanspruchnahme der Tätigkeit der inneren oder
Finanzverwaltung zu entrichten sind, z. B. für Wohnungsaufschlüsse,
für Dienstbotenbücher, für Zeugnisse der Amtsärzte, für Reisepässe,
Die Steuerreform in Bayern
483
für Doktordiplome, für die Verleihung der Erlaubnis zum Betrieb
einer Eisenbahn und ähnliches. Vor allem aber sind durch das Ge-
bührengefetz auch die Abgaben geregelt, die bei Veränderungen im
Eigentum an Grundstücken zu entrichten sind und in der Regel 1—2
Proz. des Wertes des Grundstückes betragen. Diese vertreten in
Bayern die Stelle der in anderen Staaten üblichen sogenannten Ver-
kehrssteuern.
4. Die Erbschaftssteuer.
Die bayerische Erbschaftssteuer hat feit der Ein- 1468
führung der Reichserbschaftssteuern nur mehr geringe Bedeutung;
siehe wegen des Näheren Nr. 1414.
VIII. Die Grundzüge der bayerischen Steuerreform.
Die bayerische Regierung ist zurzeit mit einer vollständigen 1469
Neuordnung des bayerischen Steuersystems befaßt. Als Hauptfteuer-
quelle soll hierbei eine allgemeine Einkommensteuer (f. Nr. 1444)
zugrunde gelegt werden. Diese soll etwa zwei Dritteile der gesamten
Staatseinnahmen, soweit diese aus Steuern bestehen, erbringen.
Daneben werden aber noch Ertragsfteuern (f. Nr. 1444) erhoben. Da-
durch soll erreicht werden, daß das aus Vermögensbesitz (z. B. aus
Kapitalien) stammende Einkommen, das sogenannte „fundierte"
Einkommen, höher herangezogen wird, als das aus Arbeit und Be-
rufstätigkeit stammende, das sogenannte „unfundierte" Einkommen.
Man nimmt hierbei an, daß ersteres, weil es auf gesicherten (nicht
von Gesundheit und anderen Zufälligkeiten abhängigen) Grundlagen
beruht, eine größere Belastung vertragen könne. Durch diese Er-
tragsfteuern soll etwa ein Drittel des gesamten Bedarfs an direkten
Steuern erbracht werden. Die bestehenden Ertragsfteuern sind hier-
bei selbstverständlich erheblich umzubilden. An Ertragsfteuern sollen
erhoben werden: Gewerbesteuer, Kapitalrentensteuer, Grundsteuer,
Haussteuer und Hausiersteuer.
Infolge dieser Umbildung der Staatsfteuern ist auch eine, übri- 1470
gens auch aus anderen Gründen notwendig gewordene Neuordnung
des Befteuerungsrechts der Gemeinden (politische
Gemeinden, Distriktsgemeinden und Kreisgemeinden) veranlaßt. Die
Gemeinden find auch in Zukunft in der Hauptsache auf Umlagen, d. h.
Zuschläge zu den Staatsfteuern, angewiesen, aber im Gegensatz zu dem
jetzigen System, wobei in der Hauptsache rein verhältnismäßige Zu-
schläge in Frage kommen, soll in Zukunft derjenige zu den gemeind-
lichen Steuern höher herangezogen werden, der an den gemeindlichen
31*
484
Die Steuerreform in Bayern
Einrichtungen ein höheres Interesse hat, das sind in erster Linie die
Grund- und Hausbesitzer und die Gewerbetreibenden.
i Daneben werden aber den Gemeinden verschiedene selbständige
Steuern zugewiesen, so die W a r e n h a u s st e u e r , die die Waren-
häuser und ähnliche gewerbliche Unternehmungen, wie Großbasare,
Abzahlungsgeschäfte, Versandtgeschäfte, treffen soll, die Wert-
z u w a ch s st e u e r , die die Wertsteigerung von Grundstücken treffen
soll, die nicht auf die Tätigkeit des Besitzers, sondern auf äußere
Umstände, wie auf das Wachstum und die Betriebsamkeit des Ge-
meinwesens und feiner Gefamteinwohnerfchaft zurückzuführen ist, die
schon bisher bestehende Besitzveränderungsabgabe
(s. Nr. 735) und die Hundeabgabe, die als Hundegebühr schon
bisher bestand, aber zur Hälfte dem Staate zufiel.
Register.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
A.
Aberkennung der bürgerlichen Ehren-
rechte 228.
Abgekürzte Lebensversicherung 1104.
Abgeordneten, Kammer der — 163.
Abgesonderte Befriedigung im Kon-
kursverfahren 648.
Ablehnung der Richter 582.
Abmusterung der Seeleute 1292.
Abneigung, gegenseitige, kein Ehe-
scheidungsgrund 464 Anm.
Abolitionsrecht 206.
Abrechnungsstelle der Banken 1037
Anm.
Absolute Majorität 25.
— Monarchien 14.
Absperrungstestamente 501.
Abstimmungen im Reichstag 102, im
Landtag 186.
Abteilungen der Kammer der Abge-
ordneten 185, der Feldartillerie-
regimenter 1325.
Abtreibung, Verbrechen der — 272.
Abtretung von Forderungen 387.
— von Hypotheken 438.
Abwesenheitspflegcr 486.
Ackerbauchemie 1124.
Ackerbaukolonien 1307.
Achtes Schuljahr 774.
Adel, Erwerb u. Verlust 150 ff.,
hoher Adel 151.
Adelsmatrikel 152.
Adelsvorrcchte 153.
Adjunkten in der Pfalz 717.
Adjutanten 1321.
Adjutantur, königliche 1329.
Admirale 1371.
Admiralstab der Marine 1371.
Adoption 478.
Aemter der Eisenbahnverwaltung
1241, der Postverwaltung 1249.
Aerzte 869, Staatsprüfung 868 Anm.
— Zeugnisverweigerungsrecht ders.
601
— Militärdienst 1347.
Acrztekammcr, bayerische 872.
Agilolfinger 132.
Agio des Metallgeldes 1015 Anm.,
1018.
Agrarfrage 1125.
Agrikulturbotanische Anstalt 1129.
Akademie der bildenden Künste in
München 827.
— für Landwirtschaft und Brauerei
in Weihenstephan 815.
— der Tonkunst 829.
— der Wissenschaften 824.
Akademisches Bürgerrecht 805.
Akkordlohn 1000.
Aktiengesellschaften 537, deren volks-
wirtschaftliche Bedeutung 977.
Aktionsradius der Schiffe 1367 Anm.
Aktives Wahlrecht 25.
Allgemeine Gütergemeinschaft der
Ehegatten 462.
— Fortsetzung derselben 463.
Allgemeine Staatsschuld 1443.
Allgemeines Reichsarchiv 826.
Allod 488 Anm. 1.
Altenteil 434.
Alterspräsident im Reichstag 95.
Altersrenten 1085, 1091.
Altersversicherung, soziale 1084, pri-
vate 1105.
486
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Altertümerfürsorge 830.
Altkatholiken 836.
Alumneen 819.
Amnestie 319 Anm.
Amortisierung von Staatsschulden
1389.
Amtsanmaßung, unbefugte 257.
Amtsanwälte 295.
Amtsausschüsse in Preußen 762.
Amtsbezirke in Preußen 762, in Ba-
den 765.
Amtsblätter der Ministerien 156
Anm. 11.
Amtsgerichte, Organisation 208, sach-
liche Zuständigkeit im Zivilpro-
zeß 571, Verfahren vor dens. im
Zivilprozeß 597.
Amtshauptmannschaftcn in Sachsen
763.
Amtskörperschaften in Württemberg
764.
Amtspfleger in Württemberg 764.
Amtsverbrechen und -vergehen 289.
Amtsvcrsammlungcn ln Württem-
berg 764.
Amtsvorstände in Baden 765.
Amtsvorsteher in Preußen 762.
Analphabeten 767 Anm.
Anarchie 8.
Anarchismus 958.
Aneignung herrenloser Sachen 444.
Anerkenntnisurteil 593 Anm.
Anfechtbare Ehen 466.
— Verträge 367.
Anfechtung von Rechtsgeschäften we-
gen Irrtums 361, wegen arg-
listiger Täuschung oder Dro-
hung 362, von Rechtshandlungen
im Konkursverfahren 645, von
Ehen 466.
Angebot und Nachfrage als Preis-
faktoren 989.
Anglikaner 836.
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
304.
Anlagekapital 972.
Anlageschulden des Staates 1381.
Anlchen der Gemeinden 736.
Anmusterung der Seeleute 1292.
Annahme von Erbschaften 511.
— an Kindesstatt 478.
Annahmeverzug des Gläubigers 386.
Annuitätendarlehen 1040.
Anonyme Werke, Schutz des Urheber-
rechts 554.
Anschuldigung, falsche 268.
Anstaltsvormunö 482 Anm.
Anstiftung zu Straftaten 244.
Anwaltskammern 216.
Anwaltszwang im Zivilprozeß 585.
Anwenderecht 427.
Anzeige von Verbrechen, Verpflich-
tung hierzu 258.
Anzeigepflicht bei Viehseuchen 1161.
Apanagen 161.
Apotheken, Betrieb ders. 875.
Apotheker 874, Militärdienst 1347.
Apothekerkammern 878.
Approbationen für einzelne Berufe
1194, der Aerzte 869, der Zahn-
ärzte 873, der Apotheker 874, der
Bader 880.
Arbeit als Produktionssaktor 964,
968.
Arbeiter, Verhältnisse der gewerb-
lichen 1202.
Arbeiterausschüsse 1218.
Arbeiterfrage, Bedeutung ders. 1202.
Arbeiterinnen, Beschäftigung in Fa-
briken 1219.
Arbeiterkolonien 913.
Arbeitermuseum 1225.
Arbeiterschutzgesetzgcbung 1211.
Arbciterversicherung 1064.
Arbeitsbücher der gewerblichen Ar-
beiter 1210.
Arbeitshaus 230.
Arbeitslohn 999.
Arbeitsnachweisanstaltcn 913, 1206.
Arbeitsordnungen in Fabriken 1218,
für Ladengeschäfte 1222.
Arbeitsteilung 969, in Fabriken 1188.
Arbeitsvertrag der gewerblichen Ar-
beiter 1209.
Arbeitszeit in Fabriken 1219.
Arbitrage 1032 Anm.
Archive, staatliche 826.
Arealstcuer 1449.
Arglistige Täuschung, Anfechtung von
Rechtsgeschäften wegen — 362.
Aristokratische Republiken 17.
Armeeinspektionen 1321.
Armeekorps 1321, Bayerns 1322.
Armeen 1321.
Armengesetz 903.
Armenpflegsschaftsrat 907.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.) 487
Armenrecht, Bewilligung dess. im
Zivilprozeß 589.
Armenwesen 903.
Armierung der Festungen 1356.
Arreste im Zivilprozeß 639.
Arreststrafen beim Militär 223.
Artillerie 1319.
Artillerie- und Ingenieurschule 1332
Anm.
Artillerieregimenter Bayerns 1322
Anm.
Arzneibuch für das Deutsche Reich
876.
Arzneimittel, Handel mit — 901.
Arzneitaxe, deutsche 876.
Assignatenwirtschaft in Frankreich
1018 Anm.
Aufenthaltsbeschränkungen 229.
Aufgebot vor Eheschließung 454.
Ausgebotsversahren 626, zwecks Todes-
erklärung 342.
Aufgeld des Metallgeldes 1018.
Aufklärungsschiffe 1367.
Auflagen in Testamenten 496.
Auflassung von Grundstücken 392, 430.
Auflauf 251.
Aufnahme in den Staatsverband 120,
als Gemeindebürger 697.
Ausrechnung bei gegenseitigen Forde-
rungen 391.
Aufruhr 251.
Aufschläge 732, 1377 Anm.
Aufsichtsamt, Kaiserliches, für Privat-
versicherung 1101.
Aufsichtsräte, bei Aktiengesellschaften
538, Besteuerung der Vergütun-
tungen ders. 1412.
Aufwandsentschädigungen der Land-
tagsabgeordneten 178.
Aufzüge, öffentliche 940 und Anm.
Auseinandersetzung des Nachlasses
521.
Ausfuhrhandel 1227.
Ausfuhrprämien für Zucker 1400, für
Branntwein 1403.
Ausgleichungspflicht der Abkömmlinge
524.
Aushebungsbezirke 1335.
Aushebungsgeschüft, militärisches 1338.
Ausländer, Stellung ders. 117, Ehe-
schließung 453.
Auslandsflotte 1367.
Auslieferungsverträge 222.
Ausmärkische Bezirke 683.
Ausschlagung von Erbschaften 511.
Ausschließung der Richter 582.
Ausschlußurteile im Aufgebotsverfah-
ren 627.
Ausschüsse des Bundesrats 74, der
Kammern des Landtags 184.
Aussetzung Hilfloser 272.
Aussichtsrecht 432.
Ausstände der Arbeiter 1207.
Ausstcrttung, Ausgleichungspslicht be-
zügl. 524.
Aussteuerversicherung 1105.
Austrag 434.
Auswärtiges Amt 107, 1296.
Auswanderungsfreiheit 129.
Auswanderungsgesetz 129 Anm.
Außenhandel 1227.
Außerordentliche Professoren an Uni-
versitäten 803.
Außervcrfolgungssetzung in Strafsa-
chen 303.
Automobile, Verkehr mit 1266, Be--
steuerung 1412.
Autonomer Zolltarif 1418.
Autonomie der Adelsfamilien 151.
B.
Baden, Verwaltungsorganisation 765.
Bader 880.
Badische Bank 1021 Anm.
Badisches Landrecht 332 Anm.
Bäder Bayerns 1429.
Bäume, gesetzlicher Abstand von der
Grenze 426.
Bahnmeistereien 1242.
Bahnstationen 1294.
Baken 1286.
Balköne, Abstand von der Grenze
425.
Bandenschmuggel 1423.
Bank, Königliche zu Nürnberg 1047.
Bankdirektion 1048.
Banken 1030.
Bankerutt, einfacher und betrüglicher
651.
Bankgeschäfte, die wichtigsten 1032.
Banknoten 1019.
Bannrechte 1185.
488
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuinmern.)
Bataillone 1323.
Batterien 1328.
Bauämter 1286.
Baudenkmäler, historische, deren Er-
haltung 831.
Baugewerkschule in München 800.
Bauinspektionen 1242.
Baukonstruktionsamt 1241.
Baukrankenkassen 1070.
Baukunst, strafbare Verletzung von
Regeln ders. 287.
Baulinie 923.
Baumwolltücher als Geld 993.
Bauordnungen 922.
Baupolizei 922.
Baustelle des bayerischen Landwirt-
schaftsrats 1138.
Bauten, polizeiliche Genehmigung
ders. 928.
Bauunfallversicherungsgesetz 1076.
Bayerische Landwirtschaftsbank 1148.
Bayerische Notenbank 1021 Anm.
Bayerisches Landrecht 332 Anm.
Bayern, Entstehung 131, sein Gebiet
138, Unteilbarkeit 138, Landes-
grenzen 139, Landesfarben 148,
Landeswappen 146, die Staats-
angehörigen 147, Staatsform 187,
Thronfolge 187.
Beamte des Reichs 112, Bayerns 198.
— Unfallfürsorge für dies. 1078.
Beamtengesetz, bayerisches 198.
Bedingte Begnadigung 232.
Bedingte Endurteile im Zivilprozeß
612.
Bedingter Strafaufschub 232.
Bedingungen bei Rechtsgeschäften 368.
Bedrohung 276.
Befangenheit, Ablehnung der Richter
wegen 882.
Begnadigung Verurteilter 188, 319.
Begräbniswesen 898.
Begünstigung, strafbare 248.
Beihilfe zu Straftaten 244.
Beistand für die Mutter 474.
Beitragswochen bei der Invalidenver-
sicherung 1088.
Bekleidungsämtcr, militärische 1330.
Belagerungszustand 62 Anm.
Beleidigung 268.
Berechtigte Interessen, Wahrnehmung
ders. bei Verübung von Beleidi-
gungen 269.
Bcrgämter 1442.
Bergakademien 1439 Anm.
Bergbau 1438.
Bergbaufreiheit, Grundsatz der 1438.
Bergbehörden 1439, 1442.
Berghoheit 1439.
Berg-, Hütten- und Salinendienst
1439 Anm.
Berginspektionen 1439.
Bergmeister 1442.
Bergwesen 1438.
Berichtigungen in Zeitungen 936.
Berner Uebereinkunft über Schutz des
Urheberrechts 858.
Berufsgenossenschaften für Unfallver-
sicherung 1079.
Berufskonsuln 1305.
Berufung in Strafsachen 315, 316, im
Zivilprozeß 613.
Berufungskommission 1054.
Beschlagnahmen im Strafverfahren,
302, von Druckschriften 938.
Beschwerden im Zivilprozeß 616.
Besitz, Schutz desselben 414.
Besitzverändcrungsabgabe der Gemein-
den 735.
Besondere Gerichte 212, in Zivilsachen
576.
Bestätigungsorder in Militärstrafsa-
chen 331.
Bestechung von Beamren 289.
Betriebsausgaben des Staats 168
Anm.
Betriebsinspektionen 1242.
Betriebskapital 972.
Betriebskrankenkassen 1070.
Betriebsmittelgcmeinschaft der Eisen-
bahnen 1239 Anm.
Betriebswerkstättcn 1242.
Betrug 281.
Betrunkenheit als Strafausschlie-
ßungsgrund 237.
Beugung des Rechts durch Richter 290.
Beurlaubtcnstand beim Heer 1348.
Bevölkerung Bayerns 147.
Beweggrund bei Straftaten 235 Anm.
Bewegliche Sachen, Rechte an dens.
442.
Bcweisbeschlüsse im Zivilprozeß 594.
Beweislast, Verteilung ders. im Zi-
vilprozeß 599.
Beweisrcgeln, keine — in Strafsachen
307 Anm., in Zivilsachen 600.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
489
Beweisverfahren im Zivilprozeß 599.
Beweiswürdigung, Grundsatz der
freien — 600.
Bewußtlosigkeit als Strafausschlie-
ßungsgrund 237.
Bezirksämter, Organisation und Auf-
gaben 660, in Baden 765.
Bezirksärzte 868.
Bezirksamtmänner 661.
Bezirksamtsassessoren 661.
Bezirksausschüsse in Preußen 759.
Bezirksfeldwebel 1348.
Bezirkskulturingenieure 1128.
Bezirksräte badische 766, Württember-
gische 764.
Bezirkstierärztc 666, 1159.
Bczirksverbände, badische 765, sächsi-
sche 763, Württembergische 764.
Bezirksvereine der Aerzte 871, land-
wirtschaftliche 1136.
Bezüge der Lehrer und Lehrerinnen
790.
Bibliothekdienst 826 Anm. 16.
Bibliotheken, öffentliche 826.
Bienenzucht 1155.
Biersteuer 1404.
Bigamie 266, 451.
Bilauzen der Kaufleute 530.
Bimetallismus 1014.
Binnenhandel 1227.
Binnenschiffahrt 1277.
Binnenschiffahrtsgesetz 1281.
Biologische Versuchsstation für Fi-
scherei 1180.
Bischöfe 848, 849.
Bistümer 848.
Blattern, Maßregeln gegen — 894,
Impfung 895.
Bleihaltige Geschirre und Gefäße,
Verwendung ders. 891.
Blinde, Fürsorge für — 820.
Blindenbeschäftigungsanstalt 820.
Blindenerzichungsanstalt 820.
Blutschande 265.
Bodensee, Schiffahrt daselbst 1280.
Börsen 1049.
Börsenausschuß 1054 Anm.
Börsengesetz 1054.
Börsenjobberei 1054.
Börsenordnungen 1054.
Vörsensteuer 1410.
Bösliche Verlassung als Eheschei-
dungsgrund 464.
Bonitätsklassen bei der Grundsteuer
1446.
Botanischer Garten 825.
Botschafter 1297.
Brandstiftung 287.
Brandversicherungsanstalt in Bayern
1107.
Brandversicherungsinspektorcn 1098.
Brandwirtschnft 1120.
Branntweinsteuer 1401.
Branntweinverkauf im kleinen 1191.
Brauerei, Akademie für 815.
Braustcuer 1404.
Brausteuergemeinschast, norddeutsche
1405.
Brennereischule in Weihenstephan
817.
Brennsteuer vom Branntwein 1403.
Briefgeheimnis, Verletzung dess. 284,
Wahrung durch die Postbehörde
1251.
Brigaden 1322.
Brown-Inseln 1309.
Bruderschaften 854.
Brückenmeistereien 1242.
Brunnenvergiftung 287.
Bruttovoranschlag des Reichs 1390.
Buchschulden 1383, 1443 Anm.
Budget der Staaten im allg. 28, 1375,
des Reichs 78, 1390, Bayerns 165,
1425, der Gemeinden 738.
Budgetperiode, bayerische 165, 1425.
Bürgerliche Ehrenrechte, Aberkennung
228.
Bürgerliches Gesetzbuch 333.
Bürgerliches Recht, Begriff 34, 332.
Bürgermeister 712 ff.
Bürgermeisterei 685.
Bürgerrecht, akademisches 805, Ge-
meindebürgerrecht 697, Staats-
bürgerrecht 117.
Bürgschaftserklärung 406.
Bundesexekution 72.
Bundesrat, Rechtsstellung und Zu-
sammensetzung 66, Zuständigkeit
69, Verhandlungen 73.
Bundesratsbcvollmüchtigte 68.
Bundesstaat, Begriff 20, Streitigkei-
ten zwischen dens. 72.
Bureaukratische Geschäftsbchandlung
189 Anm.
Butter, Verkehr mit 886.
490
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuimnern.)
C.
(siehe auch unter K.).
Chevaulegers 1319.
Chevaulegersregimenter Bayerns 1322
Anm.
Cholera, Maßregeln gegen — 893,
894.
Christenlehre 775.
Christentum, Einführung in Bayern
133.
Clearinghouse in London 1037 Anm.
Codex Maximilianeus Bavaricus civilis
332.
D.
Dampflesselaufsicht 1190.
Darlehen 402.
Darlehenskassenvereine 984.
Dauernde Staatsschulden 1382.
Decharge des Reichskanzlers 78, 1391.
Deckoffiziere 1369 Anm.
Degradationsstrafe beim Militär 223.
Dekanate, katholische 852, protestan-
tische 858.
Dekane der Univerfitätsfakultäten 804,
evangelische 858, katholische 850,
852.
Demokratien 18.
Demokratische Republiken 18.
Denkschriften zu Gesetzentwürfen 70.
Deplacement der Schiffe 1367 Anm.
Depositenverkehr der Banken 1034.
Depotgesetz 1035 Anm.
Detailhandel 1227.
Deutscher Bund, ehemaliger 41.
Deutsches Reich, Staatsrecht dess. 40,
Entstehung des Reichs 40, rechtl.
Natur 44, Aufgaben 48, Gebiet
57, Bestandteile 58.
Deutsch-Neuguinea 1309.
Deutsch-Ostafrika 1309.
Deutsch-Südwestafrika 1309.
Diebstahl, einfacher, schwerer, im wie-
derholten Rückfall 277.
Dienstalterszulagen der Lehrer und
Lehrerinnen 790.
Dienstaufsicht über die Gerichte 206.
Dienstbarkeiten, Grunddienstbarkeiten
432, beschränkte persönliche 433.
Dienstboten, Haftung des Dienst-
herrn für dies. 410.
Dienstbotenrecht 403 Anm.
Diensteid der Reichsbeamten 114.
Dienstpflicht, militärische 1341.
Dienstverträge 403.
Differenzgeschäfte 1053.
Dingliche Rechte, Begriff 336.
Dinglicher Arrest im Zivilprozeß 639.
Dinglicher Gerichtsstand 580 Anm.
Diözesanspnoden 861.
Diözesen (Bistümer) 848.
Diplomatischer Dienst, Vorbereitung
hierfür 1298 Anm.
Diplomatisches Korps 1297.
Diplomingenieur, Titel 809.
Diplomlandwirt 809.
Diplomprüfungen an der Technischen
Hochschule 809.
Direkte Steuern 1377, 1444.
Direktion der Staatsschuldenverwall
tung 1443.
Disagio des Papiergeldes 1018.
Diskont (beim Wechsel) 550.
Diskontogeschäft der Banken 1043.
Diskontozinsfuß 1043.
Dispositionsfonds des Kaisers 60.
Distriktsarmenpflege 745 Anm. 910.
Distriktsausschüsse 745.
Distriktsgemeinden 740.
Distriktspolizeibehörden 915.
Distriktspolizeiliche Vorschriften 916.
Distriktsräte 742.
Distriktsschulinspektionen 786.
Distriktsstraßen 1263.
Distriktstierärzte 666, 1159.
Distriktsumlagen 748.
Distriktsverwaltungsbehörden 660.
Distriktsvorsteher 714.
Disziplinargerichtshof, bayerischer 201,
in Leipzig 115.
Disziplinarkammern der bayerischen
Beamten 201.
Disziplinarkammern für Reichsbeamte
115.
Disziplinarverfahren gegen Reichs-
beamte 115, gegen Landesbeamte
201.
Dividende der Aktiengesellschaften
537.
Divisionen 1322, Bayerns 1322 Anm.
Doktorwürde, Verleihung 801, 809.
Dolus 235.
Domkapitel 850.
Donaudampfschiffahrtsakte 1280.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
491
Doppelbesteuerung, Beseitigung der —
1444 Anm. 7.
Doppelehe 266, 451.
Doppelwährung 1014.
Dorf, Bezeichnung als 708.
Dorftcstamente 501.
Doyen des diplomatischen Korps 1297.
Dragomanen 1298.
Dragoner 1319.
Draufgabe 383.
Dreibund 62 Anm.
Dreifelderwirtschaft 1121.
Drogenhandlungen 901 Anm.
Drohung, Anfechtung von Rechts-
geschäften wegen — 362.
Drucker, Verantwortlichkeit desf. 936.
Druckschriften, Beschlagnahme ders.
938.
Dumdumgeschosse, Verbot ders. 1374.
Durchfuhrhandel 1227.
E.
Ebenbürtigkeit der Standesherrn 151.
Edelmetalle als Geld 993.
Edelmetall-Lombard 1039.
Editionseid im Zivilprozeß 607.
Effekten 1032.
Effektenbörsen 1050.
Effektenlombard 1039.
Effektivgeschäfte an Börsen 1051.
Ehe, Abschluß, Wirkungen, Scheidung
ders. usw. 449.
Eheaufgebotc 454.
Ehebruch 266, als Ehescheidungsgrund
464, Ehehindernis 452.
Ehegatte, Erbrecht 491, Pflichtteil 507.
Eheliches Güterrccht 459.
Ehelichkeit eines Kindes, Anfechtung
ders. 475.
Ehelichmachung unehelicher Kinder
477.
Ehemllndigkeit 450.
Ehernes Lohngesetz 1002 Anm.
Ehesachen, Verfahren in — 621.
Ehescheidung 464.
Eheschließung, Erfordernisse 450,
Form 454, polizeiliche Beschrän-
kungen 453.
Eheverbote 451.
Eheverträge 461.
Ehrenbürgerrecht 705.
Ehrendoktoren 801.
Ehrengerichte, der Rechtsanwälte 216,
militärische 1359, für Börsenbc-
sucher 1054.
Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte
216.
Ehrenrat, militärischer 1360.
Ehrenrechte, Aberkennung der bürger-
lichen — 228.
Ehrenzeichen, bayerische 160 Anm. 18.
Eichämter 1059 Anm.
Eichmeister 1059 Anm.
Eichwesen 1059.
Eidesleistung der Landtagsmitglieder
177 Anm., 180, der Zeugen im
Zivilprozeß 602.
Eideszuschicbnng und -Zurückschiebung
im Zivilprozeß 608.
Eigene Wechsel 552.
Eigenhändige Testamente 499.
Eigentümerhhpotheken 440.
Eigentum, Begriff 415, Schutz des
geistigen — 554.
Eigentumsübertragung bei Grund-
stücken 430, bei Fahrnissen 442.
Einbruchsdiebstahl, Versicherung gegen
— 1097.
Einfuhrhandel 1227.
Einfuhrscheine für zollfreie Einfuhr
1422.
Eingaben an den Prinzregenten 162
Anm., an den König 160 Anm.
Eingeschriebene Hilfskassen 1071.
Einheitszeit 1063 Anm.
Einigungsämtcr, Gewerbegerichte als
— 1208.
Einjährig-Freiwillige 1345.
Einkommen, Begriff 997.
Einkommensteuer, allgemeine 1444,
spezielle 1452.
Einreden im Zivilprozeß 599.
Einspruch gegen Versäumnisurteile
591, gegen Vollstreckungsbefehle
619.
Einspruchsrecht gegen die Eheschlie-
ßung 453.
Einstellung des Verfahrens in Straf-
sachen 303.
Einstweilige Verfügungen im Zivrl-
prozeß 640.
Einzelgerichte 210.
492
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Raudnummern.).
Einzelhaft 231.
Einziehung, gerichtliche von Sachen
230.
Eisenacher Uebereinkunft 908.
Eisenbahnbataillon 1322 Anm.
Eisenbahn-Bauinspektionen 1242.
Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
1238.
Eisenbahnbau-Dotations-Hauptkasse
1443.
Eisenbahn-Betricbsinspektionen 1242.
Eisenbahndienst 1242 Anm.
Eisenbahndirektionen 1240.
Eisenbahnen, Haftpflicht derselben 411,
Verpflichtung zum Truppentrans-
port 1354.
Eisenbahnfahrkartcnsteucr 1411.
Eiscnbahnfrachtverkehr, internationa-
ler 1239.
Eisenbahnkonzessionen 1245.
Eisenbahnrat, bayerischer 1243.
Eisenbahnschuld 1443.
Eisenbahntarife 1239.
Eisenbahntransporte, strafbare Ge-
fährdung solcher 287.
Eisenbahnverkehrsordnung 1238.
Eisenbahnwesen 1235.
Eisernes Kreuz 63 Anm.
Elektrizität, Maßeinheiten für dies.
1060, Entwendung ders. 277 Anm.
Elsaß-Lothringen 59, Vertretung im
Bundesrat 67 Anm.
Elterliche Gewalt des Vaters 472, der
Mutter 474.
Elterliche Nutznießung 473.
Eltern, Pflichtteil derselben 507, Ver-
hältnis zwischen Eltern und Kin-
dern 471.
Emissionen von Staatsanleihen 1383,
der Aktiengesellschaften 537 Anm.
Emissionssteuer 1410.
Enklaven, bayerische 138.
Enqueten 70.
Enteignungsgesetz 428.
Enterbung Pflichtteilsberechtigter 509.
Entlassung aus dem Staatsverband
124.
— vorläufige, von Strafgefangenen
231.
Entmündigung, Gründe und Folgen
ders. 347.
Entmündigungsverfahren 622.
Entschädigung unschuldig Verhafteter
301, Anm. 5, unschuldig Verur-
teilter 318.
Entstehung Bayerns 131.
Equitationsanstalt 1332 Anm.
Erbbaurecht 431.
Erben, rechtliche Stellung 511, Haf-
tung für Nachlaßschulden 512,
deren Feststellung 518.
Erbengemeinschaft 523.
Erbfolge der Verwandten 488, des
Ehegatten 491, des Fiskus 492.
Erblasser 487.
Erbmonarchien 13.
Erbprinz in Bayern 160 Anm 16.
Erbrecht, Begriff 34, 333, Grundzüge
487.
Erbschaften, Annahme u. Ausschlagung
511, Sicherung, Feststellung und
Auseinandersetzung 516.
Erbschaftssteuer des Reichs 1413,
Bayerns 1468.
Erbschaftsverzeichnis 514, 516.
Erbscheine 520.
Erbunwürdigkeit 510.
Erbverbrüderung 156 Anm.
Erbverträge 504.
Erbverzichtsverträge 506.
Erdmagnetisches Observatorium 825.
Erfüllungsort, Gerichtsstand des —
580 Anm.
Erker, Abstand von der Grenze 425.
Ermittelungsverfahren, militärge-
richtliches 329.
Erpressung 275.
Errungenschaftsgemeinschast der Ehe-
gatten 462.
Ersatzgeschäft des Heeres 1335.
Ersatzkommissionen 1336.
Ersatzreserve 1342.
Ersatzwahlen zum Reichstag 88.
Ersitzung von Grundstücken 430, von
beweglichen Sachen 443, von ding-
lichen Rechten 374.
Erstgeburtsrccht 60 Anm. 19, Einfüh-
rung in Bayern 135.
Ertragssteuern 1444.
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schasten 542, 982.
Erwerbskapital 971.
Erzbischöfliches Ordinariat 851.
Erzbistum 848.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
493
Erzeugung der Güter 961, Faktoren
ders. 964.
Erziehungsanstalten, private 818,
öffentliche 819.
Eskadron 1324.
Eskomptgeschäft der Banken 1043.
Etat 28, 1375, des Reichs 78, 1390,
Bayerns 165, der Gemeinden 738.
Etatmäßige Beamte 198.
Etatsperiode Bayerns 1425.
Ethnographische Sammlung 825.
Evangelische Kirche, Verfassung usw.
855.
Exekutive 11.
Exequatur der Konsuln 1306.
Extensiver Betrieb der Landwirtschaft
1119.
Exterritorialität, Recht der — 1300.
F.
Fabrikarbeiter, Bestimmungen für
1218.
Fabriken, Entwicklung ders. 1188,
militärische 1332 Anm.
Fabrikinspektoren 1224.
Fabrikkrankenkassen 1070.
Fabrikmarken, Schutz ders. 558.
Fabrikräte in der Pfalz 843 Anm.
Fachschulen 791.
Fähnriche 1357.
Fahnenjunker 1357.
Fahrkartcnsteuer 1411.
Fahrlässigkeit und Vorsatz 235, 236.
Fahrnisgemeinschaft der Ehegatten
462.
Fahrnisse, Rechte an dens. 442.
Fakultäten der Universitäten 804.
Falsche Anschuldigung 268.
Falscheid, fahrlässiger 261.
Familie, deren Bedeutung 1.
Familienfideikommisse 429.
Familienrat 483.
Familienrecht, Begriff 34, 333, Grund-
züge 449.
Familienverträge und Autonomie des
Adels 151.
Farben, Verbot der Verwendung ge-
sundheitsschädlicher 890.
Fassionen bei der Besteuerung 1456.
Faßeichanstalten 1059 Anm.
Fehlergrenze der Münzen 1011.
Feingehalt der Münzen 1010
Feldartillerie 1319.
Felddiebstahl 277 Anm.
Feldjäger 1298.
Feldwebel 1323 Anm.
Feldwege 1264.
Fenster, gesetzlicher Abstand von der
Grenze 425.
Festnahme, vorläufige von Beschul-
digten 301.
Festungen, Beschränkungen des
Grundeigentums bei — 1356.
Festungshaft 226.
Festungsrahons, Bebauung ders. 1356.
Feuerbeschau 929.
Feuerpolizei 928.
Feuerversicherung für Gebäude 1107,
für Fahrnisse 1110.
Feuerwehr 930.
Filialapotheken 877.
Filialbanken, K. 1048.
Finanzbehörden, bayerische 1426,
Strafbescheide ders. 321.
Finanzdienst, Vorbereitung hierfür
1426 Anm.
Finanzkammern 1426.
Finanzkontrolle in Bayern 167.
Finanzministerium 194, 1426.
Finanzschulden des Staates 1381.
Finanzverwaltung, Begriff 37, 1375.
Finanzwesen im allgemeinen 1375,
des Reichs 1390, Bayerns 1425.
Finanzwirtschaft, Begriff 1375, der
Gemeinden 730.
Finanzzölle 1420.
Finderlohn 445.
Firma, Bedeutung ders. 529.
Fischerei 1173, unbefugte Ausübung
284.
Fischereigenossenschaften 1177.
Fischereipachtvertrüge 1176.
Fischerkarten 1178.
Fiskalräte 659.
Fiskus 1376.
— Begriff 351, Erbrecht dess. 492.
Flagge des Reichs 1367, Bayerns 145,
Beschimpfung ausländischer Flag-
gen 248.
Fleischbeschau 883.
Fleischbeschauer 883.
494
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Fleischkonserven, Verbot der Einfuhr
885.
Flottenflaggschiffe 1367.
Flottenplan, deutscher 1367.
Flügeladjutanten 1321 Anm.
Flurbereinigung 1140.
Flurbereinigungskommission 1141.
Flurschadenersatz bei Truppenübun-
gen 1353.
Flurwcge 1264.
Flurzwang 1122.
Fonds zur Förderung des Feuerlösch-
wesens 930.
Fondsbörsen 1050.
ForderungsPfändungen 633.
Formelles Strafrecht 219.
Forschungsfreiheit an den Universitä-
ten 801.
Forstämter 1434.
Forstamtsassessoren 1434.
Forstassistcnten 1434 Anm.
Forstberechtigungen 1436.
Forstbuchhaltung 1432, 1433.
Forstdienst 1434 Anm.
Forstfrevel 325.
Forstgesetz 325 Anm.
Forstliche Hochschule 813, Versuchs-
anstalt 1434 Anm.
Forstmeister 1434.
Forstpolizei 1431, 1435, 1437.
Forstpolizeiübertretungen 325.
Forstrechte 1436.
Forstrügesachen 325.
Forststrafrecht und Forststrafversah-
ren 325.
Forstverwaltung 1431.
Forstwirtschaft 1430.
Fortbildungsschulen 792.
Fortgesetzte Gütergemeinschaft 463.
Frachtgeschäft 545.
Frachturkundensteuer 1411.
Franken, Herrschaft ders. in Bayern
134.
Frankensteinsche Klausel 1392.
Französisches Zivilrecht 332 Anm.
Frauen als Lehrerinnen 789, Stu-
dium an den Universitäten 807.
Frauenvereine 913.
Fregattenkapitäne 1371.
Freibank 884.
Freie Landwirtschaft 1124.
Freifahrt der Landtagsmitglieder 178.
| Freihafengebiete 1421.
Freihandelsschule 955.
Freiheitsberaubung 275.
\ Freiwillige Gerichtsbarkeit, Begriff
203.
Freiwillige Rekruten 1336 Anm.
Freizügigkeit 128.
Friedenskonferenzen, Haager 1373.
Friedensleistungen für die Truppen
1352.
Fricdenspräsenzstärke des Heeres
1333.
Friedhöfe 898.
Fristsetzung beim Verzug des Schuld-
ners 385.
Fruchtwechselwirtschaft 1122.
Füsiliere 1319.
Fuhrwerke, Ausweichen ders. 1265.
Fundierte Staatsschulden 1382.
Fundsachen, Rechte an 445.
Funkcntelegraphcnanlagen 1250.
Funkentelegraphenvertrag 1247.
Fußartillerie 1319.
Fusionen 981.
G.
Gardedukorps 1321 Anm.
Gardekorps 1321 Anm.
Garderegimenter 1321 Anm.
Gartenbauschule in Weihenstephan
817.
Gastwirte, gesetzliches Pfandrecht ders.
448, Haftung für eingebrachte
Sachen 376 Anm.
Gastwirtschaften, Betrieb derselben
1191.
Gattungsschulden 377.
Gebot, geringstes 634.
Gcbrauchsgegenstände, Schutz gegen
schädliche 882.
Gebrauchsmusterschutz 562.
Gebrauchswert der Güter 988.
Gebühren 1467.
Geburtsregister 340.
Gefängnisstrafe 226.
Gefangene, Unfallfürsorge 1078.
Gesangenenbefreiung 252.
Geflügelzucht 1155.
Gefreite 1323 Anm.
Gegenseitigkeitsgesellschaften 1094.
Gegenvormünder 482.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummerm)
495
Gegenzeichnung der Minister 16, 159,
des Reichskanzlers 104.
Gehalt der Reichsbcamten 116.
Geheime Borbehalte bei Willens-
erklärungen 369.
Geheimes Haus- und Staatsarchiv
826.
Geheimnisse, Verrat von Berufsge-
heimnissen 284.
Geheimmittel, Verkehr mit — 902.
Gehilfe zu Straftaten 244.
Geisteskranke, Bestrafung unsittlichen
Verkehrs mit — 266, Fürsorge
für sie 896.
Geisteskrankheit als Ehescheidungs-
grund 464, als Strafausschlie-
ßungsgrund 237, Entmündigung
wegen ders. 347.
Geistesschwäche, Entmündigung wegen
ders. 347.
Geistliche, Militärdienst der katholi-
schen 1344, Zeugnisverweigerungs-
recht 601.
Geistliche Gesellschaften 864, Schen-
kungen und letztwillige Zuwen-
dungen an sie 352 Anm.
Geistlicher Rat 861.
Geld, Entstehung und Bedeutung
992.
Geldlohn 999.
Gcldreichtum eines Volkes, Bedeutung
dess. 994 Anm.
(Geldstrafen 227.
Geld- und Kreditwesen 1008.
Geldwirtschaft 994.
Gemälde, Schutz des Urheberrechts
554.
Gemeindeämter 720.
Gemeindeaufwand, dessen Deckung
731.
Gemeindcausschuß 715.
Gemeindebeamte 720.
Gemcindebevollmächtigte 714.
Gemcindebürgerrecht 697.
Gemeindedienstc 734.
Gcmeindeedikt 677.
Gemeindefreiheit, Grundsatz der —
676.
Gemeindegerichte 678, 579 Anm 4.
Gcmeindehaushalt 730, 738.
Gemeindekrankenversicherung 1072.
Gemeindemarkung 682.
Gemeinden, die Verfassung und Ver-
waltung 676.
Gcmeindeordnungen, bayerische 677.
Gemeindeorgane 706.
Gcmeinderat 717.
Gemeindercchnung, Stellung und
Prüfung 739.
Gemeindeschulden 736.
Gcmeindeumlagen 733.
Gemeindeumlagenedikt 677.
Gemeindcvcrbindungswcge 1264.
Gemeindevermögen 730.
Gemeindeversammlung 716, 718.
Gemeindevoranschlag 738.
Gemeindcwahlen 720.
Gemeindewaisenrat 482.
Gemeindcwege 1264.
Gemeingefährliche Verbrechen u. Ver-
gehen 287.
Gemeinschaftliche Testamente 505.
Gcmcinschuldner im Konkursverfah-
ren 641.
— Unterstützung dess. 643.
Gendarmerie 919.
Gendarmerie-Korpskommando 919.
Gcndarmerieschule 919 Anm.
General, kommandierender 1321.
Generalärzte 1331.
Generaldebatte im Reichstag 98.
Generaldircktion der Berg-, Hütten-
und Salzwerke 1442.
Generaldirektion der Zölle und in-
direkten Steuern 1427.
Generaldirektor der wissenschaftlichen
Sammlungen 825.
Generalinspektionen 1321 Anm.
Generalkommando des Armeekorps
1321.
Generalkommission der Kunstsamm-
lungen des Staates 828.
Gcneralkonscrvatorium 830.
Generalkonsuln 1305.
Generalleutnant 1322.
Generalmajor 1322.
Generaloberarzt 1331 Anm.
Generalstaatsanwalt beim Verwal-
tungsgerichtshof 670, beim Ober-
sten Landesgericht 295 Anm.
Generalstab, der große 1326, 1327, bei
den Armeekorps 1328, bayerischer
und sächsischer 1327 Anm.
Generalsynoden, evangelische 862.
496
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Generalversammlung der Aktienge-
sellschaften 538.
Generalvikariat 851.
Genesungsheime der Versicherungsan-
stalten 1085 Anm.
Genfer Konvention 1372.
Genossenschaften 542, 983.
Genossenschaftliche Zcntralkassen 985.
Genossenschaftsregister 544.
Genossenschaftsverbände 985.
Geologische Sammlung 825.
Geometer, bayerische 144 Anm. 6.
Georgiannm 819.
Gerichte, Unabhängigkeit 204, Organi-
sation 208, Hilfspersonen ders.
213.
Gerichtsärzte 868.
Gerichtsherr im Militärstrafversah-
ren 329.
Gerichtshof für Kompetenzkonflikte
197.
Gerichtskostengesetz 588.
Gerichtskundigkeit im Zivilprozetz 599.
Gerichtsoffizier im Militärstrasver-
fahren 329.
Gerichtsschreiber 213, Funktionen in
Strafsachen 309.
Gerichtsstand, allgemeiner und be-
sonderer 580, vereinbarter 581.
Gerichtstage, ordentliche bei den
Amtsgerichten 598.
Gerichtsvcrfassungsgcsctz 204, 293.
Gerichtsvollzieher 213.
Geringstes Oiebot 634.
Gesamtgläubigerschaft 380.
Gesamtgut der Ehegatten 462.
Gesamtministerium 189.
Gesamtschuldnerschaft 379, 380.
Gesamtstrafe für mehrere Straftaten
226 Anm.
Gesandte 1297, in Bayern beglau-
bigte und Bayerns 1295.
Geschäftsbücher der Kaufleute 530.
Geschäftsfähigkeit, Begriff 343.
Geschäftsführer der G. m. b. H. 541.
Geschäftsordnungen der Kammern
des Landtags 182.
Geschäftsträger 1297.
Geschichte, Förderung der — 830.
Geschlechter, Entwicklung ders. 2.
Geschworene, falsche Entschuldigungs-
gründe für Nichterscheinen 257,
Funktionen 310, Auswahl und
Beeidigung 317, Obmann ders.
312, 313, Pflichten 314 Anm.
Geschworenenbank, Bildung ders. 311.
Gesellenausschüsse bei Innungen 1199,
bei den Handwerkskammern 1201.
Oiesellenprüfungen 1215.
Gesellschaften mit beschränkter Haf-
tung 541.
Gesetze, Begriff 32.
Gesetzesentwürfe, Ausarbeitung und
Vertretung ders. 27, Behandlung
im Reichstag 98, im bahr. Land-
tag 186, 187.
Gesetz- und Verordnungsblatt, baye-
risches 156 Anm. 10.
Gesetzliche Erben 487.
Gesetzliche Pfandrechte an Fahrnissen
448.
Gesetzliche Vertreter, Begriff 345, die
Eltern als solche 472, 474, die
Vormünder 479.
Gesindevermieter 1192.
Gestüte 1152.
Gesundsheitspflege, staatliche 863, 881.
GesundheitsPolizei 863, 881.
Gesundheitswesen 863.
Getreidezölle 1148 Anm.
Gewährfristcn beim Viehkauf 395.
Gewerbe, Begriff 1181, geschichtliche
Entwicklung 1185.
Gewerbeaufsichtsbeamte 1224.
Gewerbebetrieb im Umherziehen 1462.
Gewerbefrciheit, Grundsatz der —
1186, Einschränkungen 1189.
Gewerbegerichte 577.
Gcwerbeinspektor 1184.
Gewerbeordnung für das Deutsche
Reich 1182.
Gcwerberäte 1224.
Gewerbesteuer 1457, 1462.
Gewerbesteuertarif 1457.
Gewcrbeunfallversicherungsgesetz 1076.
Gewerbevereine 1183 Anm.
Gewerbewesen 1181.
Gewerbliche Fortbildungsschulen 792.
Gewerkschaften der Arbeiter 1206.
— Bergbaugewerkschasten 1440.
Gewcrkvercine 1206.
Gewichtswesen 1057.
Gewichtszölle 1419.
Gewissensfreiheit 834.
Gewohnheitsrecht 32.
Gezogene Wechsel 549.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
497
Gifte, Beibringung ders. 274, Ver-
kehr mit denf. 892.
Gilden im Mittelalter 1185.
Girokonto 1036.
Giroverkehr 1036.
Gläubigerausschuß im Konkursver-
fahren 642, 643.
Glasversicherung 1093.
Glaubensfreiheit 834.
Glücksspiel, gewerbsmäßiges 284.
Gnadenquartal 116 Anm.
Goldwährung^ 1014.
Goldwaren, Stempelung 1061.
Gottesdienst, Störung dess. 262.
Gotteslästerung 262.
Gouverneur in den Schutzgebieten
1312.
Gräber, Beschimpfung ders. 262.
Graphische Sammlung 828.
Grenadiere 1319.
Grenztierärzte 1159.
Grenzverkchr, Zollerleichterungen in
dems. 1421.
Griechische Kirche 836.
Grober Unfug 292.
Großadmirale 1371.
Großbetriebe 975.
Großhandel 1227.
Grubenfeldabgabc 1451.
Grundbuchämter 419.
Grundbuchanlegung in Bayern 417.
Grundbuchblatt 419.
Grundbücher, Zweck und Einrichtung
ders. 418.
Grunddienstbarkeiten 432.
Grundeigentum, Beschränkungen 421,
Erwerb und Verlust 430.
Grundrechte des deutschen Volkes 127.
Grundrente 1004.
Grundrentenablösungskasse 1443.
Grundrentenschuld 1443.
Grundschulden 441.
Grundsteuer 1445.
Grundsteuerkataster 143.
Grundstücke, Handel mit 1142, Rechte
an dens. 417, Zwangsvollstreckung
in dies. 634.
Güter, Begriff der wirtschaftlichen —
942.
Gütergemeinschaft, allgemeine der Ehe-
gatten 462, Fortsetzung ders. 463.
Güterrecht, eheliches 459.
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde.
Güterrechtsrcgister 461.
Güterstationen 1242.
Gütertrennung unter Ehegatten 460,
462. "
Güterwagengemeinschaft 1239 Anm. 5.
Gymnasien 793 fs.
Haager Friedenskonferenzen 1373.
Haftbefehle gegen Beschuldigte 301,
gegen ausgebliebene Angeklagte
305, zum Zwecke des Strafvoll-
zugs 319, im Militärstrafver-
sahren 329, wegen Verweigerung
des Offenbarungseides im Zivil-
prozeß 637.
Haftgeld 383.
Haftpflichtgesetz 411.
Haftpflichtversicherung 1118.
Haftstrafe 227.
Hagelversicherung 1112.
Halbbürtige Verwandte 468.
Hammelsprung 102 Anm.
Handapotheke 877.
Handdienste der Gemeindeangehöm-
gen 734.
Handel als Produktionszweig 962,
Aufgabe 1226, Begriff und Wert
987.
Handelsbilanz der Länder 1228.
Handelsflotte 1283.
Handelsfreiheit 1230.
Handelsgeschäfte 545.
Handelsgesellschaften 534, juristische
Persönlichkeit ders. 350.
Handelsgesetzbuch 527.
Handelsgremien 1233.
! Handelskammern 1233.
Handelskammertag 1234.
Handelskolonien 1307.
Handelskrisen 1226 Anm.
Handelsmäkler 533.
Handelspolitik, heutige 1230.
Handelsrecht, Grundzüge 527.
Handelsregister 529.
Handelsrichter 573.
Handelssachen, Kammer für — 573.
Handelsschulen 792.
Handelsverträge 1231.
Handfeuerwaffen, Prüfung und Be-
glaubigung ders. 1062.
32
498
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Standnummern.)
Handgeld 383.
Handgeschenke, Formlosigkeit ders. 397.
Handlungsagenten 533.
Handlungsgehilfen 532.
Handwerk, Organisation dess. 1198.
Handwerkskammern 1201.
Handwerkslehrlinge 1215.
Hauptbank K. 1048.
Haupteisenbahnen 1236.
Hauptlcute 1323.
Hauptmängel bei Viehkäufen 395.
Hauptverfahrcn in Strafsachen 305.
Hauptverhandlung, vor dem Schöf-
fengericht und der Strafkammer
306, vor dem Schwurgericht 312,
vor dem Militärgericht 330.
Hauptzollämter 1427.
Hausfriedensbruch 254.
Hausgesetze des Adels 151.
Haushalt der Gemeinden 730.
Hausierhandel 1196, 1227, Besteuerung
1462.
Hausiersteuer 1462.
Hausindustrie 1187.
Hausschlachtungen 883.
Haussteuer 1449.
Haussuchungen im Strafverfahren
302.
Hauswirtschaft, geschlossene 944.
Havarien von Seeschiffen 546.
Hebammen 879.
Hebammenschulen 879.
Hecken, Abstand von der Grenze 426.
Heereseinteilung Bayerns 1322 Anm. ;
Heeresersatz 1335.
Heereslasten 1351.
Heeresverwaltung 1329.
Hehlerei 280.
Heilwesen, staatliches 863.
Heimatgebühr 692.
Heimatrecht, bayerisches 686, 687.
Heimatscheine 121 Anm., 933.
Heiratsregister 340.
Helgoland 58 Anm., nicht zum deut-
schen Zollgebiet gehörig 1416.
Herrenhaus, preußisches 24.
Herrenhuter 836.
Herrenlose Sachen, Aneignung ders.
444.
Herzöge, in Bayern 132.
Heuervertrag der Seeleute 1292.
Hilfskassen, freie und eingeschriebene
1071.
Hilfslehrer 788.
Hilfsschöffen 297.
Hinkende Goldwährung 1015.
Hinterlegung im Falle des Annahme-
verzugs 386.
Historische Schule der Nationalöko-
nomie 954.
Hochbauwescn, staatliches 1254.
Hochschulen 801.
Hochseefischerei 1173 Anm.
Hochverrat 246, gegen auswärtige
Staaten 248.
Hochwnssernachrichtendienst 1258.
Höckerhandcl 1227.
Höchstbesteuerte der Gemeinden 733.
Höhenlage von Bauten 923.
Hörer an den Hochschulen 801 ff.
Hofämter, bayerische 160 Anm. 17.
Hofbräuhaus 1429.
Hof- und Staatsbibliothek 826.
Hoheitszeichen, Beschimpfung auslän-
discher 248.
Hoher Adel 161.
Honorarprofessoren an Universitäten
803.
Hüttenämter 1442.
Hüttenwesen 1438.
Hufbcschlaggewcrbc, Zulassung zu
dems. 1158.
Hufbeschlagschulen 1153.
Humanistische Gymnasien 795.
Humanistische Mittelschulen 793.
Hundegebühr 1464.
Husaren 1319.
Hydrotechnisches Bureau 1257.
Hygiene 881 Anm.
Hypothekarkredit 1024.
Hypotheken 437.
Hypothekenbanken 1040.
Hypothekenbriefe 438.
Hypothekcnbuchsystem 418 Anm.
I.
Immatrikulation bei den Universi-
täten 805.
Jmmobiliarbraudversicherung 1107.
Immobiliarkredit 1024.
Imperative Mandate 89.
Impfung gegen Blattern 895.
Indirekte Steuern 1377, 1396, 1464.
Indizienbeweise 307 Anm.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
499
Indossierung von Wechseln 550.
Industrie, Begriff 1181.
Infanterie 1319.
Jnfanterieleibregiment 1321 Anm.
Jnfantcrieregimenter Bayerns 1322
Anm.
Jnhaberpapiere 1032 Anm.
Initiative, Recht der — 27, 77, 187.
Inkasso 1033.
Innere Verwaltung, Begriff und Um-
fang 657.
Innern, Ministerium des — 192, 657.
Innungen in früherer Zeit 1185,
jetzige 1198.
Jnnungsausschüsse 1200.
Jnnungskrankenkassen 1070.
Jnnungsstatut 1199.
Jnnungsverbände 1200.
Jnnungszwang 1199.
Inspektionen der Verkehrsverwaltung
1242, der Kavallerie 1321 Anm.,
der Feldartillerie 1321 Anm.
Instanzen, verschiedene 205.
Jnsubordinationsstrafen beim Mili-
tär 223.
Intendanturen 1330.
Intensiver Landwirtschaftsbetrieb
1119.
Interessen, Wahrnehmung berechtigter
269.
Interessensphären, deutsche — in
Afrika 1315.
Interpellationen 68, im Reichstage
79, 100, im Landtage 183.
Invalidenrente 1085, 1091.
Invalidenversicherung 1084.
Jnventare der Kaufleute 530.
Inzipienten der Bezirksämter 661
Anm. 7.
Irrenanstalten 897.
Irrenanstalten, Genehmigung 1192.
Jrrenfürsorge 896.
Irrtum bei Willenserklärungen 360.
Jrvingianer 836.
Israelitische Religionsgemeinschaft
836.
I (»♦
Jäger (Truppen) 1319, 1322 Anm.
Jagd 1164.
Jagdkarte 1169.
; Jagdpolizeiliche Vorschriften 1170.
Jagdvergehen 284.
Jagdvcrpachtung 1166, 1168.
Jagdwaffenschcin 1169.
Jesuitenorden 854.
Jugend als Strafausschließungs-
oder Milderungsgrund 239.
Julianum 819.
Juristen, Vorbereitung der 207 Anm.
Juristische Personen, Begriff 349, Ar-
ten 350.
Justiz im Gegensatze zur Verwaltung
654.
Justizministerium 191.
K.
Kabinettsjustiz 206.
Kadettenanstalten 1357.
Kadettenkorps 1357.
Kaiser, der deutsche 60.
Kaiser Wilhelm-Kanal 1285.
Kameralpraktikanten 1426 Anm.
Kamerun 1309.
Kaminsegerwesen 928.
Kammer der Abgeordneten 163 ff.,
der Reichsräte 163 ff.
Kammergericht zu Berlin 574 Anm.
Kammern der Landgerichte 210, für
Handelssachen 573, des Innern
659, der Finanzen 659, der For-
sten 659, 1433.
Kampfzölle 1418.
Kanäle 1267 Anm., 1240, 1279.
Kanoniker 850.
Kanonisches Recht 833 Anm.
Kantone in der Pfalz 741.
Kanzel, Mißbrauch ders. 256.
Kaperei Anm. 1367.
Kapitäne zur See 1371.
Kapitänleutnants 1371.
Kapital als Produktionsfaktor 964,
971.
Kapitalrente 1004.
Kapitalrentensteuer 1455.
Kapitalzins, volkswirtschaftlich be-
trachtet 1005.
Kapitelvikare 850.
Kapitulanten (für die Unteroffiziers-
lausbahn) 1365.
Kardinäle 847.
Kardinalkämmerer 847.
32*
500
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Kardinalstaatssekretär 847.
Karolinen (Inseln) 1309.
Kartelle, wirtschaftliche 980.
Kartelltragen, Bestrafung dess. 273.
Kartoffelkäfer 1144.
Kartographische Anstalt der Forftver-
Wallung 1432.
Kassaabteilungsvorständc der Rent-
ämter 1426.
Kassageschäfte an Börsen 1051.
Katastcrbureau in München 144.
Katastervermessung 143 Anm. 3.
Kathedersozialisten 959.
Katholische Kirche, Verfassung usw.
846.
Kauffarteischiffe 1283.
Kaufmann, Begriff 528.
Kaufmannsgerichte 578.
Kaufvertrag 392.
Kaurimuscheln als Geld 993.
Kautionshypotheken 439 Anm.
Kavallerie 1319.
Kavallerieregimenter Bayerns 1322
Anm.
Kellerbehandlung des Weines 888.
Kelten als Ureinwohner Bayerns 131.
Kiautschou, Schutzgebiet von — 1309.
Kinder, Straffälligkeit 239, Pflicht-
teil ders. 507, Beschäftigung in
Fabriken 1219, Verhältnis zwi-
schen Kindern und Eltern 471,
Religiöse Erziehung 835 Anm.
Kiuderschutzgesctz 1221.
Kindesannahme (Adoption) 478.
Kindesunterschiebung 263.
Kindsmord 271.
Kirche, Austritt aus derselben 834,
Verübung von beschimpfendem Un-
fug daselbst 262.
Kirchen, Rechtsstellung im allgemei-
nen 833.
Kirchenangelegenheiten 837.
Kirchengemeinden, evangelische 857.
Kirchengemeinderepräsentation 844.
Kirchengemeindeumlagen 844.
Kirchengesellschaften 836.
Kirchenhoheit des Staates 833.
Kirchenpatrone 853 Anm.
Kirchenrecht 31.
Kirchensteuern 845.
Kirchenstiftungsvermögen 834.
Kirchenverwaltung 843.
Kirchenvorstände 860.
Kirchenwesen 833.
Kirchliche Gemeinschaften, Beschimp-
fung ders. 262.
Klageschrift, Inhalt im Zivilprozeffe
590.
Klassenhaß, Anstiftung zum — 256.
Kleinbahnen 1236.
Kleinbetriebe 975.
Kleinhandel 1227.
Kliniken der Universitäten 804.
Klöster 854.
Knabenseminare 819.
Knappschaftskassen 1070.
Knappschastsvereine 1441.
Koalitionsfreiheit der Arbeiter 1205.
König, dessen Stellung 157.
Königliches Haus 160 Anm. 16.
Königswürde, Verleihung an Bayern
135.
Körausschüsse 1151, 1152.
Körperverletzung 276.
Körscheine 1151.
Körung der Hengste 1152, der Zucht-
stiere 1151.
Kognaten 60 Anm.
Kollegialgerichte 210.
Kollegialische Geschäftsbehandlung 189
Anm.
Kollusionsgefahr, Verhaftung wegen
— 301 Anm.
Kolonialinstitut, Hamburger 1314.
Kolonien 1307.
Kommanditgesellschaften und solche
auf Aktien 536.
Kommissionen im Reichstag 98, zur
Ausarbeitung von Gesetzentwür-
fen 70, bei Getreidebörsen 1054,
beim Kolonialamt 1312.
Kommissionsgeschäft 545.
Kommissionsverlag 556.
Kommunalverbände 674, 740, 749.
Kommunismus 958.
Kompanien 1323.
Kompetenzgerichtshof, bayerischer 197.
Kompetenzstückc 632.
Konfessionelle Schulen 778.
Konkordate zwischen dem Papst und
den Staaten 136, 833.
Konkurrenz verschiedener Straftaten
226 Anm.
Konkursgericht 642.
Konkursgläubiger, bevorrechtigte und
sonstige 647.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
501
Konkursordnung 641.
Konkursmasse 645, Verteilung ders.
646.
Konkursverfahren, Grundzüge 641.
Konkursverwalter 642.
Konrektoren 795, 797, 799.
Konservative Partei 94 Anm.
Konsistorialbezirke 859.
Konsistorien 859.
Konsolidierung von Staatsschulden
1388.
Konsortien 980 Anm.
Konstituierung des Reichstags 95, der
beiden Häuser des Landtags 181.
Konstitutionelle Monarchien 14.
Konsularagenten 1305.
Konsulargerichte 1303.
Konsulargerichtsbarkeit 1303.
Konsularvertrüge 1304.
Konsulatswesen 1302.
Konsumtionskredit 1029.
Konsumvereine 983, 984.
Konteradmirale 1371.
Konterbande im Zollverkehr 1423.
Kontingentierung der Notenbanken!
1022.
Kontokorrent 1033.
Kontrollversammlungen, militärische
1348.
Konventionalstrafen 382.
Konversionen der Staatsschulden 1388.
Konvertierung der Staatsschulden
1388.
Konvertierungsprämien 1388.
Konzessionspflicht der Apotheker 875.
Konzessionspflichtige Gewerbe 1191.
Koppelfischerei 1175.
Korn der Münzen 1010.
Korporalschaften 1323.
Korps-Stabsveterinär 1321.
Korvettenkapitäne 1371.
Kosten des Strafverfahrens 308, der
Zivilprozesse 587.
Kostenfestsetzungsbeschlusse 'im Zivil-
prozeß 587.
Kraftfabrabteilung 1322 Anm.
Kraftfahrzeuge, Besteuerung ders.
1412.
Krankenanstalten, Genehmigung 1192.
Krankengeld 1074.
Krankenkassen, die verschiedenen 905
Anm., 1068.
Krankenversicherung der Arbeiter 1066.
Krankheiten, Schuh gegen ansteckende
893.
Kreditbanken 1038.
Kreditive der Gesandten 1299.
Kreditpapiere 1026.
Kreditvercine 983, 984.
Kreditverleumdung 268.
Kreditwesen 1023.
Kreditwirtschaft, Begriff 995.
Kreisarmenpflege 911.
Kreisausschüsse in Preußen 761.
Kreisbauassessoren 1255.
Kreisbauräte 1265.
Kreise 659, in Preußen 760, in Würt-
temberg 764.
Krcisgemeinden 749.
Kreishauptmänner, sächsische 763.
Kreishauptmannschaften in Sachsen
763.
Kreismedizinalausschuß 866.
Kreisregierungen 659.
Kreisschuldotation 782.
Kreisschulinspektoren 787.
Kreisschulkommissionen 772.
Kreisstraßen 1264.
Kreistage in Preußen 761.
Kreisumlagen 755.
Kreisunmittelbare Städte 660, 710.
Kreisvcrbände, badische 765.
Kreisvereine für die Hinterbliebenen
der Lehrer 790, landwirtschaftliche
1136, tierärztliche 1160.
Kreisverwaltung in Preußen 756,
760.
Kreuzerflotte 1367.
Kriegsakademie 1357 Anm. 28.
Kriegserklärung 62.
Kriegsslagge, deutsche 1367 Anm.
Kriegsflotte 1366.
Kriegsgerichte, militärische 327.
Kriegsgerichtsräte 327.
Kriegshäfen des Reichs 1367.
Kriegsherr für Bayern und das Reich
63.
Kriegskonterbande 1367 Anm.
Kriegsleistungen für die Truppen
1355.
Kriegsministerium 196.
Kriegsschulen 1357.
Kriegsstärke des Heeres 1344.
Kriegsverschollenheit 342.
502
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuimnern.)
Kriegs- oder Belagerungszustand 62
Anm.
Kriminalpolizei 300 Anm. 3.
Kronamter 150.
Kronobersthofmeister 150.
Kronoberstkammerer 150.
Kronoberstmarfchall 150.
Kronoberstpostmeister 150.
Kronprinz des deutschen Reiches 60,
Anm., Bayerns 160 Anm. 16.
Krüppel, Fürsorge für — 820.
Kiinste, Forderung bers. 823.
Kiirassiere 1319.
Küstenfischerei 1173 Anm.
Küstenfrachtfahrt 1284.
Kulturamter 1128.
Kulturtechnische Schule in Pfarrkir-
chen 1128 Anm.
Kulturtechnischer Dienst 1128.
Kultusministerium 193, 769.
Kunst, deren Forderung 823.
Kunstdenkmale, Erhaltung ders. 830.
Kunstsammlungen des Staates 828.
Kunstwerke, Schutz des Urheberrechts
554.
Kupons der Wertpapiere 1387.
Kuppelei 267.
Kurantmünzen 1012.
Kuriere 1298.
Kurse der Aktien 537.
Kurswert des Geldes 1012 Anm.
Kurszettel 1055.
Kurwürde, Verleihung an Bayern 135.
Kuxe (-Bergwerksanteile) 1440.
L.
Ladenoffnung und Ladenfchluh 1223.
Lastige Gewerbeanlagen, Genehmi-
gung ders. 1190.
Lagerpfandscheine 1024 Anm., 1039.
Lagerscheine 1039.
Laienrichter 211.
Laktodensimeter 889.
Landbauamter 1256.
Landesaufnahme, trigonometrische 140.
Landesausschuh von Elsah-Lothringen
59, für Naturpflege 831 Anm.
Landesdirektoren in Preuhen 758.
Landcseisenbahnrat 1243.
Landesfarben, bayerische 145.
Landesfeuerwehrverband 930.
Landesgesetzgebung, Gebiet ders. 155.
Landesgrenzen, bayerische 139.
Landeshauptmanner in Preuhen 758,
in den Schutzgebieten 1312.
Landesherrliche Berordnungen 156.
Landesinspektor für Fischerei 1180,
für Hopfenbau 1135, für Milch-
wirtschaft 1133, für Obst- und
Gartenbau 1134, für Tierzucht
1132, für Weinbau 1131.
Landeskommissare, die badischen 765.
Landeskultur 1128.
Landeskultur-Nentenanstalt 1147.
Landeskultur-Nentenbanken 1041 Anm.
Landeskultur-Rcntenkasse 1443.
Landeskultur-Rentenkommission 1146.
Landeskultur-Rentenschcine 1147.
Landeskultur-Rentenschuld 1147, 1443.
Landespolizeibehorde, überweisung an
dies. 230.
Landesschulkommission 771.
Landesverband bayerischer Handwer-
kergenossenschaften 985 Anm.
Landesvermessung 140.
Landesverrat, militàrischer und dr-
plomatischer 247.
Landesversicherungsamtcr 1081, 1092.
Landeswappen, bayerisches 146.
Landfriedcnsbruch 255.
Landgerichte, Organisation 208, Zu>
stândigkeit im Strafprozeh 299,
im Zivilprozeh 572, Verfahren
im Zivilprozeh 590.
Landgcrichtsarzte 868.
Landgestütc 1152.
Landkapitel, katholifche 852.
Landkarten 140.
Landkreife in Preuhen 757.
Landrate in Preuhen 760, in Bayern
750.
Landratsabschicd 752.
Landratsausschusr 751.
Landrecht, bayerisches 332 Anm.
Landschaften (Pfandbriefanstalteni
1041 Anm.
Landfturm 1334, 1338, 1343.
Landtag, der bayerische 163.
Landtagsmitglieder, allgemeine Stel-
lung 177, Verhaftungen 177, Auf-
wandsentfchadigung 178.
Landtagswahl 174.
Landwehr 1334, 1341.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
503
Landwehrbezirke 1335.
Landwehr-Bezirkskommandeure 1335.
Landwehrmänner, Übungen ders.
1349.
Landwirtschaft, Akademie für 815,
Entwicklung und Bedeutung 1119,
Förderung ders. 1127.
Landwirtschaftliche Schulen 792, 815.
Landwirtschaftliche Sondervereine
1138.
Landwirtschaftlicher Verein 1136.
Landwirtschaftsbank, bayerische 1148.
Landwirtschaftsgesellschaft, deutsche
1139.
Landwirtschaftsrat, deutscher 1139,
bayerischer 1137.
Lateinische Münzunion 1014.
Lateinschulen 796.
Lebenserwartung, mittlere 1103 Amu.
Lebensnachstellung als Ehescheidungs-
grund 464.
Lebensversicherung 1097.
Legalisierung von Urkunden durch Ge-
sandte oder Konsuln 1301, 1302.
Legaten des Papstes 847.
Legierung der Münzen 1010.
Legislaturperioden 26, des Reichstags
89, des bayer. Landtags 171.
Lcgitimationskarten der Geschäfts-
reisenden 1197.
Legitimationsprüfungen im Reichstag
97, im Landtag 180.
Lehrbriefe 1214.
Lehrer an Mittelschulen 793 Anm. 9.
Lehrergehälter an Volksschulen 790.
Lehrerseminare 789.
Lehrlinge, Rechtsverhältnisse ders.
1214.
Lehrverträge 1214.
Lehrzeugnisse 1214.
Leibeigenschaft, Aushebung in Bayern
1123.
Leibgeding 434.
Leibregiment 1321 Anm.
Leibrenten 434.
Leibrcntenversicherung 1106.
Leibzucht 434.
Leichenpässe 899.
Leichenschau 898.
Leichenschauer 898.
Leichen- und Begräbniswesen 898.
Leihvertrag 398 Anm.
Leinpfad 1268.
Leistung an Ersüllungsstatt 391.
Leistungsverzug des Schuldners 384.
Leutnants zur See 1371.
Lichtössnungen, Abstand von der
Grenze 425.
Liebig, Justus 1123.
Linearerbsolge 60 Anm.
Linienschiffe 1367.
Liquidation von Handelsgesellschaften
540.
Listenshstem 726.
Literaturwerke, Schutz des Urheber-
rechtes 554.
Lizenzgebühren für Patentverwer-
tung 561.
Lohngeseh, ehernes 1002 Anm.
Lohnzahlungsbücher für Fabrikarbei-
ter 1210.
Lokalbahubetriebsleitungen 1242.
Lokalbahnen 1236.
Lokalbaukommission 665.
Lokalschulinspektion 784, 785.
Lokalschultommission 784.
Lokomotivstationen 1242.
Lombardgeschäfte 1039.
Losung beim Militärersatzgeschäst
1337.
Lotsen 1291.
Lotsensignale 1291 Anm.
Lotsenstationen 1291 Anm.
Lotterieanleihen 1386.
Lotteriestcuer 1410.
Lotterievergehen 284.
Luftschifferabteilung 1322 Anm.
Lutheraner 856.
Luxemburg, Großherzogtum 58 Anm.
Zollanschluß 1416.
Lyzeen 811.
M.
Maate 1369 Anm.
Mäklervertrag 405.
Mängel, Haftung für — beim Kauf
394.
Märkte 708.
Magazingenossenschaften 983,
Magistrat 713.
Magistratsräte 713.
Mahnung des Schuldners, Wirkung
ders. 384.
504
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Mahnverfahren im Zivilprozeß 618.
Maischbottichsteuer vom Branntwein
1402.
Majestätsbeleidigung 248.
Major 1323.
Majorität, absolute 25.
Makler an Börsen 1055.
Malzaufschlag 1464.
Malzsteuermühlen 1404.
Manchcstcrschule 955.
Margarincgesetz 886.
Marianen (Inseln) 1309.
Marineakademie 1371.
Marineartillerie 1369.
Marineersatzreserve 1370.
Marineinfanterie 1369.
Marine-Jngenieur-Korps 1371.
Marinekabinett, Kaiserliches 1368.
Marineoffiziere, Ausbildung und
Dienstgrade 1371.
Marinereserve 1370.
Marineschule 1871.
Marinestationen 1368.
Markscheider 1439.
Marktpreis der Güter 989.
Marktschreiber 713.
Markung der Gemeinden 682.
Marshall-Jnseln 1309.
Maschinengewehr-Abteilung 1322
Anm.
Maschineninspektionen 1242.
Maschinenkonstruktionsamt 1241.
Maschinisten auf Seeschiffen 1291.
Mast- und Gewichtswesen 1057.
Materialreserve der Flotte 1367.
Materialsteuer vom Branntwein 1402.
Materielles Strafrecht 219.
Matrikel der Konsuln 123, 1302, der
Universitäten 805.
Matrikularbeiträgc der Bundesstaaten
1392.
Matrosen 1369.
Max Joseph-Stift 819.
Maximalarbeitstag der Arbeiter 1211.
Maximilianeum 819.
Medaillen bayerische 160 Anm. 18.
Mediatisierungen 40 Anm.
Medizinalkomiteen 867.
Medizinalwcsen 863.
Meineid und Unternehmen der Ver-
leitung dazu 260.
Meistbegünstigungsklausel in Han-
delsverträgen 1231.
Meisterprüfungen 1216.
Meistertitel, Berechtigung zur Füh-
rung 1216.
Meldeämter, militärische 1348.
Meldewesen, polizeiliches 934.
Mennoniten 836.
Mentalreservationen 359.
Merkantilsystem 960.
Messungsämter 144.
Meterkonvention, internationale 1057
Anm.
Methodisten 836.
Metropolitanbistümer 848.
Meuterei von Gefangenen 252, von
Seeleuten 1292.
Mietvertrag 398.
Milch, Beaufsichtigung des Verkehrs
mit — 889.
Mildernde Umstände im Strafrecht
226 Anm.
Militäranwärtcr, Ansprüche ders.
1365.
Militttranwaltschaft beim Neichsmili-
tärgericht 328.
Militärbevollmächtigte 1289.
Militärbildungsanstalten Bayerns
1332 Anm.
Militärdienstversicherung 1105.
Militäretat Bayerns 165 Anm.
Militärgesundheitswesen 1331.
Militärhoheit in Bayern 63.
Militärkabinett des Kaisers 1329.
Militärkonventioncn 1317, 1318.
Militärlehrschmiede 1153, 1332 Anm.
Militärpcrsoncn, Testamente ders.
501, Verhältnisse ders. 1357, Ehe-
schließung 453.
Militärpflichtigkeit 1336.
Militärschiestschule 1332 Anm.
Militärstrafgcsetzbuch 223.
Militärstrafverfahren 326.
Minderjährige, deren Handlungsfä-
higkeit 343, Prozeßfähigkeit 683
und Anm., Testierfähigkeit 498,
zivilrechtliche Haftung für dies.
410.
Minister ohne Portefeuille 189 Anm.
Ministeranklagen 159 Anm.
Ministerialforstabteilung 1432.
Ministerien, die einzelnen 189.
Ministerrat 189.
Ministerresidenten 1297.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummerm)
505
Mittäter, zivilrechtliche Haftung meh-
rerer 409.
Mittäterschaft 243.
Mitteleuropäische Einheitszeit 1063
Anm.
Mittelschulen 793.
Mobiliarbrandversicherung 1110.
Mobiliarkredit 1024.
Modellschub 559.
Moderamen 856, 859.
Molkereigenossenschaften 984.
Molkereischule in Weihenstephan 817.
Monarchien 13.
Monopole 978.
Moorkulturanstalt 1130.
Mord 271.
Motive bei Straftaten 236 Anm.
Motorräder, Besteuerung ders. 1412.
Mündelhppotheken 438 Anm.
MUndelsicherc Wertpapiere 481 Anm.
Mündlichkeit im Zivilprozeß 568.
Münzanstalten 1009.
Münzen, Begriff und Entstehung 994,
ausländische 1009 Anm.
Münzfuß 1010.
Münzgrundgewicht 1010.
Münzhoheit 1008.
Münzkabinett 825.
Münzregal 1008.
Münzunion, lateinische 1014.
Münzverbrechen 259.
Münzwesen 1008.
Mundraub 277 Anm.
Musikalische Werke, Schutz des Urhe-
berrechts 554.
Musketiere 1319.
Musterregister, Eintragungen zum —
559.
Musterschutz 569.
Musterungsgeschäft, militärisches 1335.
Mutter, elterliche Gewalt ders. 474.
Mutung 1438.
N.
Nachbarrccht 423.
Nachdruck, Bestrafung dess. 554.
Nacherben 494.
Nachfrage und Angebot als Preissak-
toren 989.
Nachlaß, Sicherung des — 516.
j Nachlaßauseinandersetzung 521.
Nachlaßgericht 516 ff.
Nachlaßkonkurs 515.
Nachlaßpfleger 517.
Nachlaßschulden, Haftung der Erben
für dies. 512.
Nachlaßverwaltung 513.
Nachlaßverzeichnis 516.
Nachrede, üble 268.
Nachwahlen für den Reichstag 88.
Nahrungsmittelgesetz 882.
Namensänderungen 341.
Nationalliberale Partei 94 Anm.
Nationalmuseum 832.
Nationalökonomie, Begriff und Ge-
schichte 949.
Natur, als Produktionsfaktor 964,
965.
Naturalisation von Ausländern 121.
Naturallohn 999.
Naturalverpflegungsstationen 913.
Naturalwirtschaft 991.
Naturpflege 831 Anm.
Naturrecht 33.
Navigationsschulen 1291.
Nebcncisenbahnen 1236.
Nebcnintervcntion 584 Anm.
Nebenklagen in Strafsachen 324.
Nebenzollämter 1427.
Neuwahlen für den Landtag 176.
Nichtigkeitserklärung von Ehen 466.
Nießbrauch 435.
Nötigung 275.
Norddeutscher Bund 43.
Norddeutscher Lloyd 1282.
Nord-Ostsee-Kanal 1285.
Normaleichungskommissioncn zu Ber-
lin und zu München 1059.
Normalstatut der Viehversicherung
1114, der Pferdeversicherung
1116.
Notare 214.
Notariatskammcrn 214.
Notenbanken 1019.
Notschlachtungen 883.
Notstand als Strafausschließungs-
grund 238.
Nottestamentc 501.
Notweg 424.
Notwehr als Strafausschließungs-
grund 238.
Notzucht 266.
Nürnberger Bank 1047.
506
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Nuntien des Papstes 847.
Nutzgeflügelzucht 1155.
Nubnießung, gesetzliche des Vaters
473.
Oberämter in Württemberg 764.
Oberberufungskommission für Steuer-
sachen 1454.
Oberdeckoffiziere 1369 Anm.
Oberersatzkommissionen 1338.
Oberfeuerwerkerschule 1332 Anm.
Obergeometer 144.
Oberhaus der Lords 24.
Oberkonsistorium 859.
Oberkriegsgerichte 327.
Oberlandesgerichte, Organisation 208,
sachliche Zuständigkeit im Zivil-
prozeß 574.
Oberlandstallmeister 1152.
Oberleutnants zur See 1371.
Obermaate 1369 Anm.
Obermatrosen 1369 Anm.
Obermedizinalausschuß 865.
Oberpolizeiliche Vorschriften 916.
Oberpostdirektionen 1248, 1249.
Oberpräsidenten in Preußen 757.
Oberrealschulcn 799.
Oberreichsanwalt 295.
Obersecamt zu Berlin 1288.
Oberst 1322.
Oberstaatsanwälte 295.
Oberstabsärzte 1331.
Oberste Baubehörde 1254.
Oberster Rechnungshof 167.
Oberster Schulrat 770.
Oberstes Landesgericht zu München
315 575.
Obersthofmarschallstab 160 Anm. 17.
Obersthofmcisterstab 160 Anm. 17.
Oberstkämmererstab 160 Anm. 17.
Oberstleutnant 1322.
Oberststallmeisterstab 160 Anm. 17.
Oberverwaltungsgericht in Berlin
759 Anm.
Objektives Recht 336.
Obligationenrecht, Begriff 34, 333,
Grundzüge 375.
Obstbaumzucht 1143.
Ochlokratie 17.
Oeffentliche Gewässer 1268.
Oeffentliche Kirchengesellschasten 836.
Oeffentliche Testamente 500.
Oeffentliche Zustellungen im Zivil-
prozesse 590 Anm.
Oeffentliches Recht, Begriff und Ein-
teilung 35.
Öffentlichkeit der Gerichtsverhand-
lungen 205.
Oertliche Zuständigkeit der Gerichte
im Zivilprozeß 570, 580, der
Strafgerichte 304 Anm.
Ofsenbarungseid des Schuldners im
Zivilprozeß 637, des Gemein-
schuldners im Konkursverfahren
645, über Nichtbestehen eines
Testaments 503, über Vor-
empfänge 526.
Offene Handelsgesellschaften 534.
Offizialbetrieb 672.
Offiziersberitte 1324.
Oktroi der Gemeinden 732.
Orden usw. 63 Anm., bayerische 160
Anm. 18, Verlust 228, religiöse
Ordensgesellschaften 854.
Ordentliche Gerichte 209, 576.
Ordentliche Professoren an Univer-
sitäten 803.
Ordinariate, bischöfliche 851.
Ortschaften 684.
Ortsführer 716.
Ortskrankenkassen 1069.
Ortspolizei, deren Verwaltung 915.
Ortspolizeibehörden 915.
Ortspolizeiliche Vorschriften 916.
Ortsschulkommissioncn 785.
Ortsstraßen 1264.
Ortsviehversicherungsvereine 1114.
Ortszeit, astronomische 1063.
P.
Pachtvertrag 398.
Pässe, Ausstellung ders. 933.
Paketfahrt - Aktiengesellschaft, Ham-
burg-Amerikanische 1282.
Paläontologische Sammlung 825.
Palau (Inseln) 1309.
Papiergeld 1016.
Papst, oberste Kirchengewalt dess. 846.
Parlamentarische Regierung 15.
Parteibetrieb im Zivilprozeß 566.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
507
Partcicidc im Zivilprozeß 608.
Parteien, Begriff und Bedeutung 29,
die hauptsächlichsten im Reichstag
94 Anm.
Parteifähigkeit im Zivilprozeß 583.
Partialobligationen 1383.
Partikularrechte, frühere deutsche 332
Anm.
Passiergewicht der Münzen 1011.
Paßkarten, Erteilung ders. 933.
Paßwesen 932.
Paßzwang 932.
Patentamt in Berlin 560.
Patentanwälte 560.
Patentschutz 660.
Patronatsrecht 853 Anm.
Pensionen der Neichsbeamten 116, der
bayerischen Beamten 200, der
Militärpersonen 1363, der Lehrer
790.
Pensions- u. Relikten-Nnterstützungs-
Zuschußkasse 790.
Persönliche Rechte, Begriff 336.
Personalarrest im Zivilprozeß 639.
Personalkredit 1024.
Personal-Union 19.
Personen, natürliche 338, juristische
349.
Personenstand, Beurkundung dess.
339.
Pest, Maßregeln gegen die — 893,
894.
Petitionskommission des Reichstags
99.
Petitionsrecht des Reichstags 79, des
bayerischen Landtags 164.
Pfälzisches Städteverfassungsgesetz
677.
Pfändung von Fahrnissen 632, von
Forderungen 633.
Pfalz, Vereinigung mit Bayern 135.
Pfandbricfanstalten, landschaftliche
1041 Anm.
Pfandleihanstalten 1024 Anm.
Pfandleihgewerbe 1192.
Pfandrechte an Fahrnissen 447.
Pfarreien, katholische 853, evangelische
857.
Pfarrer, evangelische 857.
Pfarrkonkurs 853.
Psarrpfründe 841.
Pfarrstellen, Besetzung katholischer
853.
Pferdeaushebung 1355.
Pferdefleisch, Verkauf von — 884.
Pfcrdeversicherung 1116.
Pflanzenphysiologisches Institut 825.
Pflanzungskolonien 1307.
Pfleger, Minderjähriger 485, Voll-
jähriger 486.
Pflichtexemplare von Zeitungen usw.
936.
Pslichtfeuerwchr 930.
Pflichtteil der Erben 507.
Pfründevermögen 841.
Phosphorzündhölzer, Verbot ders. 892.
Photographien, Schutz des Urheber-
rechts 557.
Physikalisch-technische Reichsanstalt
in Charlottenburg 826, 1060.
Physiokratisches System 951.
Pionierbataillone Bayerns 1322 Anm.
Pioniere 1320.
Plazet, landesherrliches 840.
Plenum des Reichstags 97.
Pöbelherrschaft 17.
Politische Gemeinden 676.
Polizei, Begriff 914, Kriminalpolizei
300.
Polizeiämter 664.
Polizeiaufsicht 229.
Polizeibehörden 915.
Polizeidirektion München 663.
Polizeimannschaft 921.
Polizeipräsident 663.
Polizeistunde 1191.
Polizeivorschriften 916.
Polytechnikum 808.
Portefeuille der Minister 189 Anm.
Portoablösung 1253.
Portofreiheit 1252.
Positives Recht 33.
Postämter 1248, 1249.
Postagenturen 1248, 1249.
Posthilfsstellcn 1248, 1249.
Postscheckverkehr 1038.
Postställe 1249.
Postwesen 1246.
Postzwang 1250.
Prägegebühr der Münzen 1012.
Prämien bei Versicherungen 1095.
Prämienanleihen 1386.
Präparandenschulen 789.
Präsidenten der Kammern des Land-
tags 181.
Pragmatische Beamte 198 Anm.
508
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Preis der Güter 988.
Preisübersichten der Börsen 1055.
Presbyterien 860.
Presse 935, Verantwortlichkeit ders.
936.
Preßfreiheit 935.
Preußen, Verwaltungsorganisation
756.
Preußisches Allgemeines Landrecht
332 Anm.
Primogenitur 60 Anm., 488 Anm.
Prinzen des Königlichen Hauses 160
Anm. 16.
Prinzrcgent 162.
Prioritätsaktien und Prioritätsobli-
gationen 537 Anm.
Prise 1367 Anm.
Prisengerichte 1367 Anm.
Privatdozenten 803.
Private Erzichungs- und Unterrichts-
anstalten 818.
Privatgewässer 1269.
Privatkirchengesellschaften 836.
Privatklagen 323.
Privatrecht, Begriff 34, Grundzüge
332.
Privatwirtschaft 942.
Privatwohltätigkeit 913.
Probst in der katholischen Kirche 850.
Produktenbörsen 1050.
Produktion der Güter 961, Faktoren
ders. 964.
Produktivgenossenschaften 983, 1001.
Produktivkapital 971.
Produktivkredit 1028.
Professoren an Mittelschulen 793 ff.,
an Hochschulen 801 ff.
Progressive Steuern 1377 Anm.
Progymnafien 796.
Projektierungskonzession für Eifen-
bahnen 1245.
Prokuristen 531.
Proportionalwahl 724.
Proportionale Steuern 1377 Anm.
Prorektoren 802, 808.
Protestanten 855.
Protcstantenedikt 136.
Protcstbeamte 551.
Proviantämter 1330.
Providence-Jnscln 1309.
Provinzen, preußische 756.
Provinzialausschüsse, preußische 758.
Provinziallandtage, preußische 758.
Provinzialräte in Preußen 757.
Provinzialsynoden 848.
Prozeßfähigkeit im Zivilprozeß 583.
Prozeßkosten im Zivilprozeß 587.
Prozeßvollmacht im Zivilprozeß 585.
Prüfung für den Finanzdienst 1426
Anm., für den mittleren Staats-
und Gemeindeverwaltungsdienst
713 Anm. 6, für den Zoll- und
Steuerdienst 1427 Anm., s. im
übrigen bei Vorbereitung.
Prüfungsanstalt für landwirtschaft-
liche und Brauereimafchinen 817.
Prüfungstermin im Konkursverfah-
ren 644.
Pseudonyme Werke, Schutz des Ur-
heberrechts 564.
£.
Quarantane 893.
Quartierleistungspflicht 1352.
Quinquennat für Festsetzung der
Friedensprâsenzstarke 1333.
Quittung, Verpslichtung zur Ausstel-
lung 390.
Quittungskartcn bei der Invalider,-
versicherung 1089.
R.
Rabatt 1029 Anm.
Rabattsparvereine 1029 Anm.
Raiffeisen, Begründer der landwirt-
schaftlichen Genossenschaften 984.
Raub 279.
Rauch, Belästigung durch usw. — 423.
Rauhgewicht der Münzen 1010.
Realgymnasien 797.
Realistische Mittelschulen 793.
Realkredit 418, 1024.
1 Reallasten 434.
Realmittelschulen 793.
Realschulen 798.
Realunionen 19.
Realwirtschaftsrechte 1191 Anm.
Reblaus, Bekämpfung ders. 1144.
Reblauskonvention, internationale
1144.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
509
Rechnungen, Prüfung der, über die
Staatsausgaben 167, der Ge-
meinden 739.
Rechnungshof des Deutschen Reiches
1391.
Nechnungsnachwcisungen, staatliche
167.
Rechnungsstellung durch die Vor-
münder 481.
Recht, Begriff und Bedeutung 30.
Rechtsanwälte 215, Amtsvergehen
ders. 290, Zeugnisverweigerungs-
recht ders. 601.
Rechtsanwaltsordnung 214.
Rechtsbeugung durch Richter 290.
Rechtsfähigkeit der Personen 338.
Rechtsgeschäfte, Begriff 353, ein- und
zweiseitige 354, Abschluß und In-
halt 363.
Rechtsmittel im Zivilprozeß 613.
Rechtspraktikanten 207 Anm.
Rechtsprechung und Verwaltung 11.
Redakteure, Verantwortlichkeit ders.
936.
Redefreiheit der Reichstagsabgeordne-
ten 91, der Landtagsmitglieder
177.
Reeder 546.
Rcformgymnasien 795 Anm.
Reformierte 856.
Regentschaft 162.
Regierungen 659.
Regierungsbezirke, preußische 759,
bayerische 749.
Regierungsdirektoren 659.
Regierungsfinanzkammern 1426.
Regierungspräsidenten in Preußen
759, in Bayern 669.
Regierungsräte 659.
Regimenter 1323 und ff.
Reichsangehörige 117.
Reichsamt des Innern 108, desgl. für
die Reichseisenbahnen 111.
Reichsanwältc 295.
Reichsbank 1044.
Reichsbankdirektorium 1044.
Reichsbankkuratorium 1045.
Reichsbankstellen 1046.
Reichsbeamte 112, Ernennung 113,
Pflichten 114, vermögensrechtliche
Ansprüche 116.
Reichsbeamtengesetz 112.
Reichsbehörden 105.
Reichsbevollmächtigte für Zölle und
Steuern und für die Erbschafts-
steuer 1396.
Reichsdeputationshauptschluß v. 1803
40 Anm.
Reichsdruckerei 110.
Reichseisenbahnamt 111, 1238.
Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothrin-
gen 1237.
Reichsfinanzreform 1392 Anm.
Reichsflagge, Führung durch Seeschiffe
1283.
Reichsgebiet 57.
Reichsgericht, Organisation 208, Re-
visionsgericht in Strafsachen 315,
in Zivilsachen 575, 615.
Rcichsgesetzblatt 53.
Reichsgesetze, Entstehung ders. 52,
Wirkung 56.
Reichsgesetzgebung, Umfang ders. 48.
Reichsgesundheitsamr zu Berlin 864.
Reichsgesundheitsrat 864.
Reichshauptkasse 1045.
Reichshaushalt, dessen Ordnung im
allg. 1390.
Reichshaushaltsetat 1390.
Reichsinvalidenfonds 1364.
Reichsjustizamt 110.
Reichskanzlei 104.
Reichskanzler 104.
Reichskassenscheine 1017, 1393.
Reichskolonialamt 107, 1312.
Reichslande Elfaß-Lothringen 59.
Reichsmarineamt 108, 1368.
Reichsmilitärgericht 328.
Reichspostamt 110, 1248.
Reichspreßgesetz 935.
Reichsräte, Kammer der — 163, 169.
Reichsrayonkommission 1356.
Reichsrecht bricht Landesrecht 56.
Reichsritterschaft 154.
Reichsschatzamt 109, 1390.
Reichsschuldbuch 1393.
Reichsschuldenkommission 1395.
Rcichsschuldenvcrwaltung 1395.
Reichsschuldverschreibungen 1393.
Reichsschulkommission 768.
Reichsstempelabgaben 1409.
Reichssteuern 1396.
Reichstag, Bedeutung und Zuständig-
keit 77, Wahlrecht und Wählbar-
keit 80, Wahlkreise 83, Wahlver-
sahren 85, Stellung der Abgeord-
«
510
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuinmern.)
neten 89, Verhandlungen des
Reichstags 94, Vertagung, Schlie-
ßung und Auflösung 103.
Reichstagsabgeordnete, Stellung 89,
Entschädigung 90 u. Anm., Rede-
u. Abstimmungsfreiheit, Unter-
suchungen und Verhaftungen 91,
Verlust des Mandats 92.
Rcichstagsgebäude 94 Anm.
Reichstagspräsident, Wahl 95, Befug-
nisse 96.
Reichstagsverhandlungen, Straflosig-
keit für wahrheitsgetreue Be-
richte 91 Anm.
Reichstagswahlgeseh 80 Anm.
Reichsunmittelbarkeit 151.
Reichsverfassung 45.
Reichsvcrsicherungsamt 1081, 1083,
1093.
Reichsverwesung 162.
Reklamationsamt 1241.
Rekruten 1339, freiwillige 1336 Anm.
Rckruticrungsstammrolle 1336.
Rektoren an den Hochschulen 801, 808,
811, an den Mittelschulen 795,
796, 797, 798, 799.
Religiöses Erziehungsrccht 835 Anm.
Religionsedikt 136.
Religionsvergehen 262.
Rcligionswcchsel 835.
Religionswesen 833.
Remedium der Münzen 1011.
Rentämter 1426.
Rcntamtsassessoren 1426.
Rcntenschulden 441.
Rentenstellen der Versicherungsanstal-
ten 1092.
Repräsentative Republiken 18.
Republiken 12, 17.
Rcservatrechte der Bundesstaaten 45,
Bayerns 45 Anm.
Reserve (beim Heer) 1334, 1341.
Reserveoffiziere 1358.
Reservisten, Uebungen ders. 1349.
Resolutionen der Volksvertretung 68
Anm.
Retorsionszölle 1418.
Retourwaren, Zollbehandlung ders.
1421.
Revision in Strafsachen 315, 316, im
Zivilprozeß 615.
Revisionsamt der Postverwaltung
1249.
Rhätische Stämme als Ureinwohner
Bayerns 131.
Rhein, Schiffahrt aus demselben
1280.
Rheinbundsstaaten 40.
Rheinschiffahrtsakte 1280.
Rheinschiffahrtsgerichte 579.
Richter, Unabhängigkeit ders. 204, Vor-
bildung 207, Ausschließung und
Ablehnung ders. 682, Strafe der
Rechtsbeugung 290.
Richterliche Eide im Zivilprozeß 610.
Rinderpest 1163.
Rinderschauen 1154.
Rindviehversicherung 1114.
Rindviehzucht 1150.
Ringe von Händlern oder Spekulan-
ten 979
Rittmeister 1324.
Rodungen 1436.
Römisches Recht, ehemalige Geltung
332 Anm.
Rohstoffproduktion u. Rohstoffbearbei-
tung 962.
Rohstoffvereine 983.
Rotes Kreuz 1372.
Rückversicherungen 1100.
Ruhen des Verfahrens im Zivilpro-
zeß 592.
Ruhegehalt der bayerischen Beamten
200.
Ruhestörung 292.
S.
Saatzuchtanstalt in Weihenstephan
817.
Saccharin, Herstellung u. Verkauf usw.
887.
Sachbeschädigung 283.
Sachen, bewegliche und unbewegliche,
vertretbare 413.
Sachenrecht, Begriff 34, 333, Grund-
züge 413.
Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
im Zivilprozeß 570, 571, der
Strafgerichte 296, 304 Anm.
Sachsen, Verwaltungsorganisation 763.
Sachverständige im Strafverfahren
305, 306, im Zivilprozeß 605,
falsche Entschuldigungsgründe für
Nichterscheinen 257.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
511
Sachverstandigengebuhren 604.
Sachwucher 285.
Sachsische Bank 1021 Anm.
Sachsisches Burgerliches Gesetzbuch,
ehemaliges 332 Anm.
Sakularisierungen 40 Anm.
Salincnamter 1442.
Salinenwesen 1438.
Salisches Gesetz 13.
Salzmonopol in Bayern 1442.
Salzsteuer 1397.
Salzsteueramter 1427.
Sammlungen, wissenschaftliche 825.
Samoainseln 1309.
Sanitatskorps 1331.
Sanktion der Reichsgesehe 53, der
baherischen Gesetze 156.
Schadensersatz, Verpslichtung zu 409.
Schankgefafre, Fullstrich ders. 1058.
Schankwirtschaft 1191.
Schatr, Rechte auf einen gefundenen
— 446.
Schatzanweisungen 1382, 1443.
Schaumweinsteuer 1406.
Schauspielunkernehmungen, Geneh-
migung ders. 1192.
Scheckverkehr 1037.
Scheidcmunzen 1013.
Scheinvcrtrage 358.
Schenkungen, Form u. Widerrus 397.
Schenkungssteuer 1413.
Scherz, Willenserklarungen im — 358.
Schiedsgerichte fur Arbeiterversiche-
rung 1083, 1093.
Schiedsrichterliches Verfahren 628.
Schiedsspruche, Behandlung ders. 628.
Schiffahrtsabgaben 1278.
Schiffahrtsvertrage 1280, 1284.
Schiffahrtszeichen 1286.
Schiffbruchige, Gesellschaft zur Ret-
tung ders. 1287.
Schiffer, Begrifs 546.
Schiffsbricfe, Erteilung ders. 1281.
Schiffsjungen 1369. Anm.
Schiffskapitane auf Seeschiffen 1291.
Schisfsmehbriefe 1289.
Schiffsregister 1281, 1283.
Schiffsvermessung 1289.
Schiffsvermessungsamt zu Berlin 1289.
Schiffszertifikate 1283.
Schikane, Ausubung eines Rechts zur
— 368, 422.
Schildlaus, Bekampfung ders. 1144.
Schlachtflotte, deutsche 1367.
Schlachthauser 885.
Schlachtviehbeschau 883.
Schlaqschad 1012.
Schliissel, falsche 277 Anm.
Schlusselgewalt der Ehefrau 457.
Schlust der Debatte im Reichstag 96.
Schluhrechnung im Konkursverfahrer^
648.
Schluftscheine uber Biirsengeschafte
1055.
Schmuggel von zollpslichtigen Warerc
1423.
Schoffen, Auswahl u. Funktionen 297,
Ausschliehungs- u. Ablehnungs-
grunde 297 Anm., falsche Ent- .
schuldigungsgrunde fur Nichter
scheinen 257.
Schiiffengerichte, Organisation 297,
Zustandigkeit 298.
Schonzeiten bet der Jagd 1170 Anm.
Schreilwersehen bei Rechtsgeschaften
360.
Schriftvergleichung in Prozessen 606.
Schrot der Miinzen 1010.
Schurfen nach Mineralien 1438.
Schulbedarf 780.
Schulden des Rerchs 1393, Bayerns
1443, der Gemeinden 736.
Schuldienstexpektanten 789.
Schuldfrage und Strafausmessungs>
frage 307.
Schuldschcine, Verpslichtung zur Rtick-
gabe nach Zahlung 390.
Schuldubcrnahme 389.
Schuldverhaltnisse, Recht der —, Be-
griff 34, 333, Grundzuge 375.
Schuldverschreibungen des Stoats
1383.
Schulgebaude, Bau und Unterhaltung
780.
Schulgeld 781.
Schulkommissionen 771.
Schullehrerseminar 789.
Schulpflicht, Dauer ders. 774, 775.
Schultheihe in Wurttemberg 764.
Schulversaumnis 776.
Schulverweser 788.
Schulze-Delitzsch, Grunder der Ge-
nossenschaften 983.
Schulzwang 773.
512
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Schutzgebiete, die deutschen 1307, Vor- !
anschlug für diese 1390 Anm.. !
wählen nicht zum Reichstag 83 I
Anm.
Schutzgenossen, deutsche im Ausland
1302.
Schutzmannschaft in München 92o.
Schutzmarken 558.
Schutztruppen, deutsche 1238.
Schutzwalduugen 1436.
Schutzzölle 956, 1148, 1420.
Schutzzollpartei 956.
Schwägerschast, Begriff 470.
Schwebende Staatsschulden 1382, 1443.
Schweineschmalz, Verkehr mit 886.
Schwerinstage im Reichstage 99 Anm.
im Landtag 184.
Schwurgerichte, Zuständigkeit 299, für
Preßvergehen 937, Zusammen-
setzung und Verfahren 310.
Seeämter 1288.
Seefahrtsbücher der Seeleute 1292.
Seeleute, Verhältnisse ders. 1291,
Heimbeförderung hilfsbedürftiger
— 1293.
Seemannsämter 1292, im Ausland
1302.
Seemaunsordnung 1292.
Seerecht 546.
Seeschiffahrt 1282.
Seetestamente 501.
Seeunfallversicherungsgesetz 1076.
Seeverschollenheit 342.
Seewarte, deutsche 1290.
Seewehr 1370.
Seitenverwandtschaft 468.
Sekretäre der Gerichte 213.
Sektionen für Wildbachverbauung
1261.
Selbsthilfe im Zivilrecht 369, unzu-
lässige 564.
Selbstschuldnerschaft bei Bürgschaft
407.
Sclbstvcrsichcrung bei der Invaliden-
versicherung 1087.
Selbstverstümmelung Militärpflichti-
ger, Bestrafung 1350.
Selbstverwaltung, Begriff und Be-
deutung 656, 674.
Semester bei Hochschulen 806.
Senat, französischer 24, der Hochschu-
len 801 ff., der Oberlandesge-
richte und des Reichsgerichts 210,
verwaltungsrechtlicher 671.
Sergeanten 1323 Anm.
Servistarif 1352 Anm.
Sessionen, parlamentarische 26.
Seuchen, Verletzung der Sperrmatz-
regeln 287.
Seuchengesetz 1161.
Seucheupolizei 1156.
Sicherung des Beweises, Antrag auf
— 395, des Nachlasses 516.
Sicherungshypotheken 439.
Sichtwechsel 549.
Sicgclbruch 257.
Signalordnung für Eisenbahnen
1238.
Silberwährung 1014.
Silberwaren, Stempelung 1061.
Simultanschulen 778.
Sitte, Verträge gegen die gute — 366.
Sittlichkeitsverbrechen 264.
Sitzungsperioden, parlamentarische
26, des Reichstages 94, des Land-
tags 179.
Sklavenraub- und Handel 1312.
Smith, Adam 952.
Sonntagsruhe, gewerbliche 1212.
Sonntagsschulpflicht 775. ,
Souveränität, Begriff und Inhalt 11.
Sozialdemokratische Partei 94 Anm.,
959 Anm.
Sozialismus, wissenschaftlicher 957.
Sozialpolitik 1064.
Spanndienste der Gemeindeangehöri-
gen 734.
Sparkassen 1042.
Speditionsgeschäft 545.
Spekulationen a 1a dausse und a la
baisse 1052.
Spezialdebatte im Reichstag 98.
Spiel begründet keine Verbindlich-
keiten 366.
Spielkartensteuer 1407.
Sprechoersehen bei Rechtsgeschäften
360.
Sprengelschulc 783.
Sprengstosfgesetz 224, 288.
Sprengung gesetzgebender Körper-
schaften, Bestrafung 249.
Staat, Begriff und Entstehung 3,
seine Ausgaben 5, zusammenge-
setzte Staaten 19.
Staatenbund 20.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
513
Staatsangehörigkeit, Begriff und Be-
deutung 117, Erwerb und Ver-
lust 119.
Staatsangehörigkeitsausweise 933,
121 Anm.
Staatsanleihen 1381 u. ff., bayerische
1443, Mitwirkung der bayerischen
Stände 168.
Staatsanwaltschaft 294, Mitwirkung
in Ehesachen 621, im Entmün-
digungsverfahren 623—625.
Staatsaufsicht über die Gemeinden
680.
Staatsaufwandsausgaben 165 Anm.
Staatsbaudienst 1254 Anm.
Staatsbauwescn 1254.
Staatsbibliothek 826.
Staatsbürger, deren Rechte und
Pflichten 7, 126, 148.
Staatseinrichtungen, Verleumdung,
ders. 256.
Staatsformen, die verschiedenen 11.
Staatsgarantien 1380 Anm.
Staatsgebiet, das bayerische 138.
Staatsgcrichte 208.
Staatsgewalt, Widerstand gegen die-
selbe 250.
Staatsgüter 1429.
Staatshaushaltsvoranschlag 1375.
Staatsjagden 1432.
Staatskonkurs der Juristen 207 Anm.
Staatsministerien in Bayern 190.
Staatsministerium des Innern 192,
657, des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten 193,
657.
Staatsobligationen 1383.
Staatsrat in Bayern 188.
Staatsrecht, Begriff 36, des Reichs
40, Bayerns 131.
Staatsschuldbücher 1383, 1443.
Staatsschulden, Arten 1381, Auf-
nahme 1383, Verzinsung 1385,
Tilgung 1389, des Reichs 1393,
bayerische 168, 1443.
Staatsschuldentilgungshauptkasse 1443.
Staatsschuldenverwaltung, bayerische
1443.
Staatsschuldenwesen 1443.
Staatssekretäre 106.
Staatsstraßen 1262.
Staatstristen 1432.
Staatsverbrechen 246.
Glock-Schiedermair, Bllrgerkunde.
Stabsärzte 1331.
Stabsoffiziere 1322 Anm.
Stadtbezirksschulinspektion 784.
Stadtkreise in Preußen 760.
Stadtschrciber 713.
Stadtschulkommission 784.
Stadtwirtschaft, Stufe der — 945.
Städte, unmittelbare, 660, 710.
Städtcverfassungsgesek, pfälzisches
677.
Ständeversammlung 163.
Staffeltarife 1239 Anm.
Stahltrust 981 Anm.
Stammaktien 537 Anm.
Stammgestüte 1152.
Standard-Oil-Trust 981 Anm.
Standesamtliche Geschäfte im König-
lichen Haus 190 Anm.
Standesbeamte 340.
Standeshcrren 151.
Standesnebenregister 341 Anm.
Standesregister 339, Auszüge 341,
Führung im Auslande 1301, 1302.
Standgerichte, militärische 327.
Stationskontrolleure des Reichs 1396.
Statistik 826, Statistik des Waren-
kehrs mit dem Auslande 1228
Anm.
Statistisches Landesamt 826.
Steckbriefe 301, gegen Verurteilte
319.
Stehendes Kapital 972.
Stellenvermittler 1192.
Stempelabgaben des Reichs 1409.
Stephan, Generalpostmeister von —
1247.
Sterbegelder bei der Unfallversiche-
rung 1082, bei den Krankenkas-
sen 1075.
Sterberegister 340.
Sterblichkeitstafeln der Lebensversiche-
rungsgesellschaften 1103 Anm.
Sternwarte 825.
Steuerämter 1427.
Steuerassessoren 144.
Steuerdienst, Vorbereitung hierfür
1427 Anm.
Steuergemeinden 143.
Steuerhebestellcn 1427.
| Steuerhinterziehung, Bestrafung der-
selben 321.
Steuerkataster 143.
Steuerkatasterkommission 144.
33
514
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuminern.)
Steuern, Begriff und Einteilung
1377, des Reichs 1396, bayerische
1444.
Steuerleute auf Seeschiffen 1291.
Steuerräte 144.
Steuerreform, bayerische, deren
Grundzüge 1469.
Steuerstellen 1427.
Steuerstrafverfahrcn 321.
Steuersynodeu 845.
Steuerüberweisungen des Reichs an
die Bundesstaaten 1392.
Steuerverhältniszahl 1445, 1449.
Stichwahlen 25, zum Reichstag 88,
zum bayerischen Landtag 175.
Stiftungen 352.
Stille Gesellschaften 535.
Stillschweigende Willenserklärungen
356.
Stimmrecht, Strafe für Verhinde-
rung der Ausübung 249.
Sträucher, gesetzlicher Abstand von
der Grenze 426.
Strafanträge 240.
Strafaufschub, Bewilligung dess. 319,
bedingter Strafaufschub 232.
Strafausmessungsfrage 307.
Strafausschließungsgründe 237.
Strafbefehle, amtsrichterliche 320.
Strafbescheide der Finanzbehörden
321.
Strafe, Wesen und Zweck 218.
Strafgerichte, Organisation und Zu-
ständigkeit 296, 304 Anm.
Strafgesetzbuch für das Reich 220.
Strafgesetze im allg. 220.
Strafkammern der Landgerichte 298.
Strafmilderungsgründe 237.
Strafprozeßordnung 293.
Strafprozeßrecht, Begriff 39, Grund-
züge 219.
Strafrecht, Begriff 38, Grundzüge
218.
Strafrechtspflege, Begriff 202.
Strafrcgister 300 Anm.
Straftaten, Einteilung 233, Tatbe-
stand 234, Vorsatz u. Fahrlässig-
keit 235, Strafausschließungs- u.
Milderungsgründe 237, Vorbe-
reitung und Versuch 242, Teil-
nahme und Begünstigung 243,
die einzelnen Straftaten 246.
Strafunmündigkeit bei Kindern 239.
Strafverfahren 293.
Strafverfügungen, polizeiliche 322.
Strafvollstreckung 319.
Strandgut 1287.
Straudungsämter 1287.
Strandungsordnung 1287.
Strandvögtc 1287.
Straßen- und Flußbauämter 1256.
Straßenpolizei 1265.
Straßenraub 279.
Straßensicherung bei Bauten 924.
Straßenwesen 1262.
Streikbrecher 1207 Anm.
Streikpostenstehen 1207 Anm.
Streiks 1207.
Streitgenossenschaft im Zivilprozeß
584.
Streitverkündung im Zivilprozes;
584 Anm.
Studienfreiheit an Universitäten 806.
Stücklohn 1000.
Subalternoffiziere 1322 Anm.
Subhastationsordnung, bayerische 634
Anm. 19.
Subjektives Recht 336.
Subrektoren 796.
Subskription von Anleihen 1384.
Sühneverhandlungen vor den Amts-
gerichten 598, im Privatklagever-
fahren 323, in Ehesachen 464
Anm. 4.
Süßstoffgesetz 887.
Suffraganbischöfe 848.
Summepiskopat 855.
Suzeränität 1l Anm.
Syndikate 980.
2-.
Tabaksteuer 1398.
Tagesgebühren der Landtagsmitglie-
der 178.
Taler, Außerkurssetzung 1015.
Talons der Wertpapiere 1387.
Tarifamt 1241.
Tarifgemeinschaften 1208.
Tatbestand der strafbaren Handlun-
gen 234, objektiver und subjekti-
ver Tatbestand 235 Anm.; der
Urteile im Zivilprozeß 596.
Taubstumme, Fürsorge für — 820.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
515
Tausch 396.
Tauschwert der Güter 988.
Taxen, obrigkeitliche 1195.
Technikum in Nürnberg 800.
Technische Hochschule 808.
Technische Mitglieder des Magistrats
713.
Technische Mittelschulen 793.
Technische Prüfungs- und Lehranstalt
1427.
Teilnahme an strafbaren Handlungen
243.
Teilzahlungen, Unzulässigkeit ders.
390.
Telegraphenämter 1249.
Telegraphengeheimnis, Wahrung durch
die Behörden 1251.
Telegraphenkonstruktionsamt 1249.
Telegraphenleitungen, strafbare Stö-
rungen ders. 287.
Telegraphenvertrag, internationaler
1247.
Telegraphenwesen 1246.
Telephonämter 1249.
Terminbestimmung im Zivilprozesse
590.
Termingeschäfte an Börsen 1051, 1056.
Testament, Begriff 493, Inhalt 494,
Fähigkeit zur Errichtung 498,
Formen 499, Aufhebung 502, Ab-
lieferung u. Eröffnung 503, ge-
meinschaftliche — 504.
Testamentserbe, Stellung dess. 493.
Testamentsvollstrecker 497.
Testierfähigkeit 498.
Theologen, katholische, Vorbereitung
als solche 811.
Thronfolge im Reiche u. in Preußen
60 Anm., in Bayern 157.
Thronreden im Reichstag 94.
Tierärzte, Vorbildung 1158, 1159,
amtliche 1159.
Tierärztliche Hochschulen 1158 Anm.
Tierärztliche Kreisvereine 1160.
Tierhalter, Haftung dess. für Schä-
den 412.
Tierheilwesen 1156.
Tierkrankheiten, Bekämpfung 1156.
Tierlymphe, Einführung ders. 895
Anm.
Titel, Verlust ders. 228.
Titulatur des Königs 160.
Todeserklärung Verschollener 342.
Todesstrafe 224.
Tötung auf Verlangen und fahrläs-
sige Tötung 271 Anm.
Togo 1309.
Tonkunst 829.
Topographische Karten 140 Anm.
Torpedoflotte 1367.
Totschlag 271.
Train (Truppenteil) 1320.
Trainbataillone Bayerns 1328 Anm.
Transportversicherung 1098.
Tratte, Begriff 549.
Treuhänder bei Hypothekenbanken
1041.
Triften, staatliche 1432.
Trigonometrische Landesaufnahme
140.
Trödelhandel 1227.
Trucksystem, Verbot dess. 1209.
Trunksucht, Entmündigung wegen —
347.
Truppenkörper, deren Gliederung
Trusts 971.
u.
Uebergangsabgabe 1416, von Bier
1405.
Uebernahme Armer durch andere
Staaten 908.
Neberschwemmung, Herbeiführung
einer — 287.
Uebertretungen, Begriff 233, einzelne
Arten 292.
Ueberweisungen von Einnahmen des
Reichs an die Bundesstaaten 1392.
Ueberzeichnung von Anleihen 1384.
Ueberzeugungseide im Zivilprozetz
609.
Ueble Nachrede 268.
Uebungen, militärische 1349.
Ulanen 1319.
Ulanenregimenter Bayerns 1322 Anm.
Ultimogeschäfte an Börsen 1051.
Umlagen 1377 Anm., der Gemeinden
733, der Distrikte 748, der Kreise
765, der Kirchen 844.
Umlauf der Güter 986.
Umlaufendes Kapital 972.
Umzugskosteu der Reichsbeamten 116.
Unabhängigkeit der Gerichte 204.
33*
516
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Uneheliche Kinder, rechtliche Stellung
475.
Unerlaubte Handlungen, zivilrechtliche
Folgen ders. 408.
Nnfallentschädigung, Feststellung ders.
1083.
Unfallfürsorge für Beamte und für
Gefangene 1078.
Unfallrenten 1082.
Nnfallverhütungsvorschriften 1080.
Unfallverschollenheit 342.
Unfallversicherung, soziale 1076, pri-
vate 1093.
Unfug, grober 292.
Ungehorsam gegen Gesetze usw. oder
militärische Befehle, Aufforde>
rung oder Anreizung hierzu 253.
Ungerechtfertigte Bereicherung, Haf-
tung für — 376 Anm.
Universitäten 801.
Unlauterer Wettbewerb, Bestrafung
286.
Unmittelbare Städte 660, 710.
Unsichere Heerespflichtige 1336 Anm.
Unterhaltsklagcn der unehelichen Kin-
der 476.
Unterhaltspflicht der Verwandten 471.
llnterhaus, englisches 24.
Untermiete 401.
Unternehmer, Stellung und Bedeu-
tung ders. 974.
Unternehmergewinn 974, 996.
Unternehmungen, die verschiedenen
Formen ders. 975.
Unteroffiziere 1323, Zivilversorgung
ders. 1365.
Unteroffiziers-Beritte 1324.
Nntcroffiziersschule 1332 Anm.
Unterricht und Erziehung 767.
Unterrichtsanstalten, private 818.
Unterschiebung von Kindern 263.
Unterschlagung 278.
Unterstützung Armer 903.
Unterstützungswohnsitzgesetz 687, 903.
Untersuchungsanstalten für Nah-
rungs- und Genußmittel 882.
Untersuchungsführer im Militärstraf-
verfahren 329.
Untersuchungshaft 301, Entschädigung
für unschuldig erlittene —, Frei-
lassung gegen Sicherheitsleistung
301 Anm.
Untersuchungsrichter 303.
Untreue 281.
Unzüchtige Handlungen an Kindern
264.
Urheberrecht, Schutz dess. 554.
Urkunden, öffentliche und private 606.
vollstreckbare 629.
Urkundenbeweis im Zivilprozeß 606.
Urkundenfälschung 282, Herbeiführung
einer falschen Beurkundung 341.
Urkundenprozeß 620.
Urproduktion 962.
Urteile im Zivilprozeß 596.
Urteilsgründe in Strafsachen 309.
Urteilsverkündung in Strafsachen 309.
V.
Valuta des Wechsels 550 Anm.
Vater, elterliche Gewalt dess. 472.
Vatikanisches Konzil 846.
Verantwortlichkeit der Mitglieder des
Landtags 177.
Verarbeitung, Eigentumserwerb durch
— 444.
Verbindung, Eigentumserwerb durch
— 444.
Verbodmung von Seeschiffen 546.
Verbrauchsabgabe vom Branntwein
1402.
Verbrauchsabgaben der Gemeinden
732.
Verbrauchskredit 1029.
Verbrauchssteuern 1378.
Verbrechen, Begriff 233.
Verdachtsstrafe, Unzulässigkeit ders.
307 Anm.
Verdunklungsgefahr, Verhaftung we-
gen — 301 Anm.
Veredelungsvcrkehr 1421.
Vcrehclichungszeugnis 453.
Vereine, juristische Persönlichkeit ders.
350, Zulässigkeit und Verbot ders.
939, 941.
Vereinigte Staaten von Nordamerika,
Staatsvertrag über Staatsbür-
gerrecht 123 Anm.
Vcreinsgesetz 939.
Vereinsregister, Eintragung zum —
350.
Verfassung des Reichs 45.
Verfassungseid 149.
Verfassungsgesetze 156, 186.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnuminern.)
517
Verfassungsmäßige Rechte der Bayern
148.
Versassungsrecht, Begriff 36.
Verfassungsstreitigkeiten in den Bun-
desstaaten 72.
Verfassungsurkunde des Reichs 45,
bayerische 136.
Verführung unerwachsener Mädchen
264.
Vergehen, Begriff 233.
Vergiftung von Brunnen 287.
Verhältniswahl 724.
Verhaftungen von Landtagsmitglie-
dern 177.
Verifikatoren 1059 Anm.
Verjährung der Strafverfolgung und
der Strafvollstreckung 241, von
zivilrechtlichen Ansprüchen 370.
Verkaufsstellen, Bestimmungen für
offene — 1222.
Verkehrsamt 1241.
Verkehrsministerium 195.
Verkehrssteuern 1379.
Verkehrstruppen 1320.
Verlagsamt der Postverwaltung 1249.
Verlagsvertrag 556.
Verlassung, bösliche als Eheschei-
dungsgrund 464.
Verleger einer Druckschrift, Verant-
wortlichkeit dess. 936.
Verleumdung Privater 268, von
Staatseinrichtungen 256.
Verlöbnis und Verlöbnisbruch 449.
Vermächtnisse 495.
Vermahlungssteuer 1404.
Vermessungswesen 140.
Vermieter, gesetzliches Pfandrecht
dess. 399.
Vermögen der Gemeinden 730.
Verordnungen, Begriff 32, 156, 916.
Verpfändung von Grundstücken 437,
von Fahrnissen 447, von Binnen-
schiffen 1281.
Versäumnisurteile im Zivilprozeß 591.
Versammlungen, Zulässigkeit u. Ver-
bot ders. 940, 941.
Verschnitt des Weines 888.
Verschollene, Todeserklärung ders.
342.
Verschwender, Entmündigung ders.
347.
Verschwiegenheitspflicht der Beamten
114.
Versicherungsagenten 1099 Anm.
Versicherungsamt der Verkehrsver-
waltung 1241.
Versicherungsanstalten für die Inva-
lidenversicherung 1092.
Versicherungsbeirat des Kais. Auf-
sichtsamts für Privatversicherung
1101.
Versicherungsgesellschaften 1099.
Versicherungskammer in München
1098.
Versicherungsprämien 1096.
Versicherungswesen im allg. 1094.
Verstrickungsbruch 257.
Versuch strafbarer Handlungen 242.
Versuchsstation für Fischerei 1180.
Vertagung der Verhandlungen im
Zivilprozeß 592.
Verteidiger, Bestellung durch das Ge-
richt 304.
Verträge, Begriff 354, gegenseitige
378, zugunsten Dritter 381,
Staatsverträge mit dem Aus-
lande 1295.
Vertragsantrag 363.
Vertragsstrafen 382.
Vertragszolltarife 1418.
Vertretbare Sachen 413.
Vertretungsvollmacht bei Rechtsge-
schäften 364.
Verwaltung, Begriff 37, 652, im Ge-
gensatz zur Justiz 11, 654.
Verwaltungsausgaben des Staats
165 Anm.
Verwaltungsgemeinschaft, eheliche 460.
Verwaltungsgerichte in Baden 766,
preußische 759.
Verwaltungsgerichtshof in München
669 ff., in Karlsruhe 766.
Verwaltungsrecht, Begriff 37.
Vcrwaltungsrechtspflege, bayerische
667.
Verwaltungsschulden 1381.
Verwaltungsstrafverfahren 322.
Verwandtschaft, Begriff 467, Grade
, ders. 469.
Verweser an den Volksschulen 788.
Verzeihung von Ehescheidungsgrün-
den 464.
Verzicht auf Grundeigentum 430.
Verzug des Schuldners oder Gläubi-
gers 384.
Verzugszinsen, gesetzliche 384.
518
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randiiuiiniiern.)
Peterinärpolizci 1156.
Veterinärräte 1159.
Vcterinärwcsen 1156, 1157, beim Mi-
litär 1332.
Veto 64, 76.
Viehkäufe, Vorschriften für — 395.
Viehseuchen, deren Bekämpfung 1161.
Viehseuchenpolizei 1156.
Viehversicherung 1114.
Viehversicherungsanstalt 1114.
Viehzölle 1148.
Viehzucht 1127, 1149.
Vizeadmirale 1371.
Vizefeldwebel 1323 Anm.
Vizekonsuln 1305.
Vizewachtmeister 1323 Anm.
Völkerrecht 31.
Vogelschuhgesetz 1172.
Vogelschubkonvcntion, internationale
1172.
Volk, Begriff 2.
Volksschulen 773.
Volksschullehrer 788.
Volksschulzwang 773.
Volksversammlungen, Zulässigkeit u.
Verbot ders. 940.
Volksvertretung im allg. 23.
Volkswirtschaft, Begriff und Entwick-
lungsstufen 942.
Volkswirtschaftslehre 942, Begriff u.
Geschichte insbef. 949.
Volkswirtschaftspolitik 949, heutige
960.
Volkszählungen 826.
Vollbürtige Verwandte 468.
Volljährigkeit 344.
Volljährigkeitserklärung 344.
Vollstreckbare Ausfertigungen von
Urteilen usw. 630.
Vollstreckungsbefehle 619.
Vollstreckungsurteile für Schieds-
sprüche 628.
Voranschlag der Staatshaushalte im
allg. 28, 1375, des Reichs 78, 1390,
Bayerns 165, 1425, der Gemein-
den 738.
Voraus der überlebenden Ehegatten
491 Anm.
Vorbehaltsgut der Ehefrau 460.
Vorbereitung für den ärztlichen Be-
ruf 868 Anm., 869, den Apothe-
kerberuf 874 Anm., das Baderge-
werbe 880, den Bibliothekdienst
826 Anm., den diplomatischen
Dienst 1298 Anm., den Eisen-
bahndienst 1242 Anm., den Fi-
nanzdienst 1426 Anm., den Forst-
dienst 1434 Anm., den Gemeinde-
verwaltungsdienst 713 Anm., den
Gendarmeriedienst 919 Anm., den
Geometerdienst 144 Anm., den
Hebammenberus 879, die in-
nere Verwaltung 207 Anm., 661
Anm., 713 Anm., den Justizdienst
207, den kulturtechnischen Dienst
1128 Anm., die Lehrer an den
Mittelschulen 793 Anm., die Leh-
rer und Lehrerinnen an den
Volksschulen 789, den Offiziers-
dienst 1357 Anm., die Rechtsan-
waltschaft 215, den Staatsbau-
dienst 1254 Anm., den Staats-
dienst im Berghütten- und Sali-
nenwesen 1439 Anm., den tier-
ärztlichen Berus 1158 Anm., den
zahnärztlichen Beruf 873, den
Zoll- und Steuerdienst 1427 Anm.
Vorbercitungshandlungen für Straf-
taten 242.
Vorempfänge der Erben 524.
Vorcrbcn 494.
Borführungsbefehle gegen ausgeblie-
bene Angeklagte 305.
Vorkaufsrecht, persönliches 396, ding-
liches 436, der Miterben 519.
Vorläufige Entlassung von Strafge-
fangenen 231.
— Festnahme eines Beschuldigten
301.
— Heimat 694.
— Vormundschaft 484.
Vormünder 479.
Vormundschaft über Minderjährige
479, über Volljährige 484.
Vorsatz und Fahrlässigkeit 235.
Vorschuswereine 983.
Voruntersuchungen im Strafverfah-
ren 303.
Vorverfahren in Strafsachen 300.
W.
Wachtmeister 1323 Anm.
Wählerlisten für die Reichstagswah-
len 85, für den Landtag 174, für
die Gemeindewahlen 723.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
519
Währung 1014.
Wälder, deren Nutzen 1430, deren Be-
wirtschaftung 1436.
Waffengattungen, die verschiedenen
1319.
Wahlberechtigte Einwohner der Ge-
meinden 720.
Wahlbezirke für die Neichstagswah-
len 84, für die Landtagswahlen
173.
Wahlergebnis, Strafe für Fälschung
249.
Wahlkommissäre für die Reichstags-
wahlen 86, für den Landtag 174,
für die Gemeindewahlen 723.
Wahlkommissionen im Reichstag 97,
Wahlkommissionen für die Land-
tagswahlen 174.
Wahlkonsuln 1305.
Wahlkreise, Begriff 25, für die Reichs-
tagswahlen 83, für die Landtags-
wahlen 173.
Wahlmonarchien 13.
Wahlperioden 26.
Wahlpflicht, moralische 130 Anm.
Wahlprüfungen im Reichstag 97, im
Landtag 180.
Wahlrecht, allgemeines u. beschränk-
tes, direktes und indirektes 25,
zum Reichstag 80, zum Landtag
171, Strafen für Verhinderung
der Ausübung 249.
Wahlstimmen, Strafe für Kauf oder
Verkauf ders. 249.
Wahltermin im Konkursverfahren
643.
Wahlverfahren für die Reichstags-
Wahlen 85, für die Landtagswah-
len 174.
Wahlvorstände für die Reichstags-
wahlen 86, für die Landtagswah-
len 174.
Wahrheitseide im Zivilprozetz 609.
Waisengelder für bayerische Beamte
200.
Waisenpflegcrinncn 482.
Waisenrttte 482.
Waldeck, Vertretung im Bundesrat
67 Anm.
Waldwege 1264.
Wandelung beim Kauf 394, 395.
Wandergewerbescheine 1196.
Wanderlehrer, landwirtschaftliche
792 Anm. 8.
Wappen, bayerisches 146.
Warenbezeichnungen, Schutz ders.
558.
Warenbörsen 1050.
Warenhaussteuer 1461.
Warenlombard 1039.
Warrants 1024 Anm., 1039.
Wartegeld der Reichsbeamten 116
Anm., der bayerischen Beamten
200.
Wartezeit bei der Invalidenversiche-
rung 1090, Ehehindernis 452.
Wasserbücher 1275.
Wassergenossenschaften 1273.
Wassergesetz 1267.
Wasscrkraftabteilung bei der Obersten
Baubehörde 1254.
Wasserschau 1276.
Wasserversorgnngsbureau 1259.
Wasserwirtschaftsrat 1260.
Wechselakzept 550.
Wechseldiskont 550.
Wechselkurse 550 Anm.
Wechselordnung, deutsche 527.
Wechselprotest 551.
Wechselprozesr 620.
Wechselrecht, Grundzüge 548.
Wechselseitiges Gehör im Zivilprozetz
568.
Wechselstempclsteuer 1408.
Wegegerechtigkeit 432.
Wehrpflicht 1340, Bestrafung von
Verletzungen ders. 322 Anm., 1350.
Weingesetz 888.
Weingut in Unterfranken 1429.
Weiterversicherung bei der Invaliden-
versicherung 1087.
Weltpostverein 1247.
Weltwirtschaft 947.
Werftdivisionen 1369.
Werften 1369 Anm.
Werkgenossenschaften 983.
Werkverträge 404.
Wert der Güter 988.
Wertzölle 1419.
Wertzuwachssteuer 1471.
Wettbewerb, Bestrafung des unlaute-
ren 286.
Wetten begründen keine Verbindlich-
keit 366.
520
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
Wettrennen, Besteuerung der Wett-
eiusätze 1410.
Widerklagen im Privatklageverfahren
- 323, in Zivilprozessen 593.
Widerruf von Schenkungen 397, von
Testamenten 502.
Widerspruch gegen Zahlungsbefehle
619.
Widerspruchsklagcn 632.
Widerstand gegen die Staatsgewalt
250.
Wiederaufnahme des Verfahrens in
Strafsachen 318, im Zivilprozeß
617.
Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand in Strafsachen 317.
Wildschaden 1171.
Willenserklärungen, rechtliche 355,
Form 356, Auslegung 357.
Willensmängel bei Rechtsgeschäften
Folgen ders. 358.
Winterschulen, landwirtschaftliche
792.
Wirtschaft, Begriff ders. 942, inten-
sive u. extensive 967.
Wirtschaften, Betrieb ders. 1191.
Wirtschaftliche Tätigkeit 942.
Wirtschaftsbilanz der Länder 1229.
Wirtschaftsgeschichte 943.
Wirtschaftsleben 942.
Wissenschaft, deren Förderung 823.
Wittelsbacher, die 135.
Witwen- u. Waisengeld der Reichs-
beamten 116 Anm., der bayeri-
schen Beamten 200.
Wöchnerinnen, Krankengeld usw. ders.
1075.
Wohnsitz 580 Anm. 6.
Wohnungen, Untersuchung ders.
926.
Wohnungsinspcktoren 926.
Wohnungskommissionen 926.
Wohnungspolizei 926.
Wohnungsrecht, dingliches 433.
Wucher 285.
Würste, Verbot der Einfuhr 885.
Württemberg, Verwaltungsorganisa-
tion 764.
Württembergische Notenbank 1021
Anm.
Z.
Zahlmeister 1330.
Zahlungsbefehle 618.
Zahnärzte 873.
Zehnten 434.
Zeichenrolle, Führung ders. 658.
Zeichnungen, Schutz des Urheberrechts
554.
Zeichnungsstellen für Staatsanleihen
1384.
Zeitgeschäfte an Börsen 1051, 1056.
Zeitlohn 1000.
Zensur, Aufhebung der — 935.
Zentralanstalt für krüppelhafte Kin-
der 820.
Zentralblatt für das Deutsche Reich
54 Anm.
Zentralgemäldegaleriedirektor 828.
Zcntralhandwerkergenossenschaftskasse
985 Anm.
Zcntralimpfanstalt 895 Anm.
Zentralinspektor für Fabriken und
Gewerbe 1224.
Zentralstelle für Industrie, Gewerbe
und Handel 1184.
Zentralstellen 658.
Zentral-Taubstnmmeninstitut 820.
Zentralwohnungsinspektor 927.
Zentrumspartei 94 Anm.
Zettelbanken 1019.
Zeugen, falsche Entschuldigungs-
gründe für Nichterscheinen 257.
Zeugengebühren 604.
Zeugenvernehmung in Strafsachen
305, im Zivilprozeß 601.
Zeugnisse für gewerbliche Arbeiter
1211, für Dienstboten 403 Anm.
Zeugnisverwcigerungsrecht im Straf-
prozeß 306, im Zivilprozeß 601.
Zigarettensteuer 1399.
Zinkhaltige Geschirre und Gefäße,
Verwendung ders. 891.
Zinsen, gesetzliche Verzugszinsen 384,
Verjährung 371.
Zinseszinsen, Verbot ders. 366, 384.
Zinsfuß, landesüblicher 1007.
Zinsscheine der Wertpapiere 1387.
Zirkulation der Güter 986.
Zivilkammern der Landgerichte 572.
Zivilliste des Königs 161.
Zivilprozeßordnung 565.
j Zivilprozeßrecht, Begriff 39.
(Die Zahlen bezeichnen die durchlaufenden Randnummern.)
521
Zivilprozeßversahren, Grundzüge 564.
Zivilrecht, Begriff 34, Grundzügc
332.
Zivilrechtspflcge, Begriff 202.
Zivilsenate der Oberlandesgerichte
574, des Reichsgerichts 575.
Zivilversorgungsscheine 1365.
Zölle 1378, 1415.
Zollämter 1427.
Zollausschlüsse 1416.
Zolldienst, Vorbereitung hierfür 1427
Anm.
Zollerleichterungen 1421.
Zollgrenzbezirke 1424.
Zollhinterziehung 1423.
Zollniederlagen 1421.
Zollstraßen 1424.
Zolltarife 1418.
Zollverein, deutscher 42, 1415.
Zollwesen 1415.
Zubehör, Begriff 413.
Zuchthausstrafe 225.
Zuchthengste, Beschaffung 1152.
Zuchtstiere, Beschaffung 1150.
Zuckerkonvention, internationale 1400.
Zuckerfteuer 1400.
Zünfte 1185.
Zulassungsstelle für Wertpapiere
1056.
Zurückstellung vom Militärdienst
1338 Anm.
Zuschlag zur Verbrauchsabgabe 1402.
Zustellungen, öffentliche im Zivilpro-
zesfe 590 Anm.
Zwang als Strafausschließungsgrund
237.
Zwaugsentcignuug von Grundstücken
428, 1274.
Zwangserziehung jugendlicher Perso-
nen 821.
Zwangshypotheken, Eintragung von
— 634.
Zwangsinnungen 1199.
Zwangskurs bei Papiergeld 1016.
Zwangsvergleiche im Konkursverfah-
ren 649.
Zwangsversteigerung von Grund-
stücken 634.
Zwangsverwaltung von Grundstücken
634.
Zwangsvollstreckung in Zivilsachen
629, Vereitelung ders. 284.
Zweck der Straftaten 235 Anm.
Zweikampf 273, beim Militär 1360.
Zweikammersystem 23.
Berichtigungen und Nachträge.
Nr. 164, Zeile 6 v. o. ist statt „vorzubeugen,, zu lesen „vor-
bringen".
Nr. 404 erhält folgende Zusätze:
Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß dieser An-
spruch auf Bewilligung einer Sicherungshypothek
in vielen Fällen keinen ausreichenden Schutz des
Unternehmers bildete; sehr oft war die von dem zu
errichtenden Gebäude erwartete Wertsteigerung schon
durch Hypotheken ausgenützt, bevor der Unternehmer
die ihm gebührende Leistung erlangen konnte, und er
hatte das Nachsehen, wenn der Eigentümer das durch
diese Hypotheken erlangte Geld statt zur Befriedigung
des Unternehmers anderweit verwendete. Deshalb
bestimmt jetzt ein Reichsgefetz, daß der Empfänger
von sog. Baugeld verpflichtet ist, es zur Be-
friedigung solcher Personen zu verwenden, die an der
Herstellung des Baues auf Grund eines Werk-, Dienst-
oder Lieferungsvertrags beteiligt find (B a u g l ä u -
big er). Als Baugeld bezeichnet das Gesetz Geld-
beträge, die zur Bestreitung der Kosten eines Baues
u. a. in der Weife gewährt werden, daß zur Sicherung
der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder
Grundfchuld an dern zu bebauenden Grundstücke
dient (B a u g e l d h y p o t h e k).
Das Gesetz geht aber noch weiter. In Gemein-
den, deren Bestimmung landesherrlicher Verordnung
vorbehalten ist, kann im Falle eines Neubaues auf
Ersuchen der Baupolizeibehörde (siehe Nr. 925) im
Grundbuch zu Lasten der Baustelle vor Beginn des
Baues der B a u v e r m e r k, der Vermerk, daß das
524
Nachtrag.
Grundstück bebaut werden soll, eingetragen werden.
Zufolge dieses Bauvermerks wird nach Beziehbarkeit
des Gebäudes auf Grund eines genau vorgeschriebenen
Verfahrens auf Ersuchen des Bauschöffen-
a m t e s zugunsten der B a tl g l ä u b i g e r eine
Bau Hypothek eingetragen, die Rang vor allen
nach Eintragung des Bauvermerks eingetragenen
Rechten hat; eine Ausnahme kann nur zugunsten
von Baugeldhypotheken eintreten.
Dantit der Bauvermerk den Baugläubigern auch
wirklich Sicherheit bietet, darf die Bauerlaubnis nur
erteilt werden, wenn die dem Bauvermerke vorgehen-
den oder gleichstehenden Belastungen drei Vierteile des
Baustellenwertes nicht übersteigen, oder wenn in
Höhe des Überschusses Sicherheit geleistet wird.
In Nr. 411 wird der die Änderung andeutende letzte Satz durch
folgenden zweiten Absatz ersetzt:
In ähnlicher Weise ist die Haftpflicht des Halters
folvie des Führers eines Kraftfahrzeugs (Automo-
bils, Motorrades u. a. m.) geregelt, wenn bei dem
Betriebe des Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der
Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt
oder eine Sache beschädigt wird. Doch ist der Umfang
der Haftpflicht bis zu bestimmten Höchstbeträgen be-
grenzt, sofern nicht nach anderen reichsgesetzlichen
Bestimmungen eine Ersatzpflicht in weiterem Um-
fange besteht.
Das 5. Kapitel des ersten Teiles erhält in den beigesetzten Rand-
nummern vom l. April 1910 ab folgende Fassung:
565 Ten Inbegriff der Rechtsgrundsätze über das
Verfahren, das dazu dient, die privaten Rechtsan-
sprüche zur gerichtlichen Anerkennung und zur Durch-
führung zu bringen, nennen wir das Z i v i l Pro-
zeßrecht. Es ist in der am 1. Oktober 1879 in
Kraft getretenen, im ganzen Reiche geltenden Z i -
vil Prozeßordnung für das Deutsche
Reich enthalten. In neuerer Zeit sind wesentliche
Änderungen, insbesondere hinsichtlich Zulässigkeit und
Form der Revision sowie Vereinfachung des amts-
Nachtrag.
525
gerichtlichen Verfahrens durch Gesetze aus den Jahren
1905 und 1909 herbeigeführt worden.
Von dem Strafverfahren unterscheidet sich der 566
Zivilprozeß grundsätzlich dadurch, daß das erstere
von den Gerichten in der Regel ohne Zutun der Be-
teiligten durchgeführt wird, weil das öffentliche In-
teresse die Bestrafung der Übeltäter verlangt. Im
Zivilprozeß dagegen handelt es sich nur um private
Interessen, deren Verfolgung den Privatpersonen,
den Parteien, überlassen wird. Es herrscht daher im
Zivilprozeß im Gegensatz zum Strafprozeß im allge-
meinen der Grundsatz des Parteibetriebs.
Doch tritt er nur im Verfahren vor den Landgerichten
und den höheren Gerichten besonders hervor: hier
ladet die Partei selbst in der Klageschrift den Beklag-
ten zur Verhandlung vor dem Gericht; sie selbst oder
der von ihr beauftragte Gerichtsschreiber läßt die
Klageschrift dem Gegner zustellen. Wenn ferner die
Parteien den Rechtsstreit nicht weiter betreiben, so
ruht das Verfahren. Das schließlich erwirkte Urteil
mutz, um rechtskräftig zu werden, im Aufträge der
Partei dem Gegner zugestellt werden, und Sache der
Partei ist schließlich auch die Vollstreckung des Ur-
teils. Im Verfahren vor den Amtsgerichten dagegen
findet in weitem Umfang eine auf Beschleunigung ge-
richtete, von Anträgen der Parteien unabhängige
Tätigkeit des Gerichts statt. Wegen des Näheren
siehe Nr. 597 des Nachtrags.
Früher (man erinnere sich an die Zeiten des ehe- 568
maligen Reichskammergerichts, vor dem die Prozesse
häufig viele Jahrzehnte lang dauerten) hat man mit
dem schriftlichen Zivilprozeßverfahren schlimme Er-
fahrungen gemacht. Unser deutsches Prozeßverfahren
beruht daher auf dem Grundsätze der Münd-
lichkeit, d. h. die Entscheidungen werden gefällt
auf Grund einer Verhandlung, in der der ganze
Prozeßstoff von den Parteien oder ihren Vertretern
mündlich vorgetragen wird; doch ist in dem Verfahren
vor den Amtsgerichten in gewissem Umfang die Be-
zugnahme auf Schriftstücke zulässig. Dies schließt
526
Nachtrag.
selbstverständlich nicht aus, daß diese Verhand-
lungen, die grundsätzlich ö s s e n t l i ch sind (s. Nr.
205), durch Schriftsätze der Parteien vorbereitet
werden, was in größeren Sachen schon deshalb nötig
ist, weil die Parteien sich sonst häufig auf die gegne-
rischen Behauptungen nicht erklären konnten.
In Nr. 571 und 572 sind die Zahlen „300" jeweils durch „600"
zu ersetzen.
Der letzte Satz der Nr. 572 ist zu streichen.
573a Die Zivilkammern der Landgerichte wie die
Kammern für Handelssachen haben auch als z w e i t e
I n st a n z über die Berufungen und die Beschwerden
gegen die Urteile und die Beschlüsse der Amtsgerichte
zu entscheiden.
3. Die Prozeßkosten und das Armenrecht.
587 Die im Rechtsstreit endgültig unterliegende Par-
tei hat in der Regel alle Kosten zu tragen, also nicht
nur die eigenen, sondern auch die dem Gegner er-
wachsenen Kosten, sowie die Gerichtskosten. Wenn da-
gegen jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so wer-
den die Kosten aus beide Parteien angemessen verteilt.
Die von einer Partei der anderen zu erstattenden
Prozeßkosten werden nach Beendigung des Verfahrens
auf Antrag von dem Gerichtsschreiber des Gerichts
erster Instanz in einem besonderen Beschlusse fest-
gesetzt und können aus Grund dieses sog. Kosten-
sestsetzungsbeschlusses zwangsweise beige-
trieben werden. Ein besonderer Antrag ist nicht
erforderlich, wenn die Partei vor der Verkündung des
Urteils die Berechnung ihrer Kosten eingereicht hat.
Gegen den Festsetzungsbeschluß können bei dem Ge-
richt selbst Erinnerungen erhoben werden.
596 Die Urteile enthalten zunächst die U r t e i l s-
s 0 r m e l, in der in knapper Fassung ausgesprochen
ist, welcher Anspruch zu- oder aberkannt wird, ferner
den T a t b e st a n d, d. h. eine kurze Darstellung des
gesamten Sach- und Streitstandes, und endlich die
E n t s ch e i d u n g s g r ü n d e, die dartun, aus wel-
Nachtrag.
527
chen Gründen so erkannt wurde, wie aus der Urteils-
formel ersichtlich ist.
Eine einfachere Form ist zugelassen, wenn durch
Versäumnisurteil oder durch Anerkenntnisurteil nach
dem Antrag des Klägers erkannt ist. Dieses Urteil
kann ohne Tatbestand und Gründe auf die bei den
Akten befindliche Urschrift oder Abschrift der Klage
oder auf ein damit zu verbindendes Blatt gefetzt
werden.
2. Das Verfahren vor den Amtsgerichten
weicht nunmehr von dem vor den Landgerichten in
wefentlichen Punkten ab; der Fortgang des Verfah-
rens fall von den größeren oder geringeren Kennt-
nissen der Parteien über das Prozeßrecht unabhän-
giger gemacht werden. Die Zustellungen — von Ur-
teilen ausgenommen — erfolgen von Amts wegen, die
Zustellung von Verfäumnisurteilen hat der Gerichts-
fchreiber auch ohne ausdrücklichen Parteiauftrag zu
vermitteln, die Termine werden von Amts wegen
bestimmt, die Ladungen gehen nicht von den Parteien
aus, das Gericht hat dafür zu sorgen, daß die Parteien
zu diesen Terminen geladen werden. Schon vor der
mündlichen Verhandlung, also ohne Beweisbeschluß,
kann das Gericht Anordnungen treffen, die nach der
Klageschrift oder den vorbereitenden Schriftsätzen zur
Aufklärung des Sachverhältnisses dienlich erscheinen,
z. B. den Parteien aufgeben, in ihren Händen befind-
liche Urkunden, auf die sie sich bezogen haben, vorzm
legen, Zeugen, auf die sich eine Partei bezogen hat,
sowie Sachverständige zur mündlichen Verhandlung
laden, oder die Einnahme des Augenscheins sowie die
Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
Die Klage sowie sonstige Parteierklärungen
können zu Protokoll des Gerichtsschreibers abgegeben
werden. Die Beweisaufnahmen werden, wenn nicht
ein auswärtiges Amtsgericht um deren Vornahme
ersucht werden muß, stets durch den erkennenden
Richter selbst vorgenommen; sie sollen, soweit tunlich,
sofort erfolgen, namentlich sollen Zeugen und Sach-
verständige, falls sie zur Stelle sind, oder ihre unver-
528
Nachtrag.
zügliche Gestellung möglich ist, sofort vernommen
Werden. Damit ist für eine möglichst rasche und doch
sachgemäße Erledigung zum Vorteil der Parteien und
des Gerichts Sorge getragen.
602 Die Zeugen werden, sofern sie über 16
Jahre alt und bei gesundem Verstand, auch nicht infolge
einer Verurteilung wegen Meineids eidesunfähig
sind, nach ihrer Vernehmung beeidigt.
Die Eidesnorm geht dahin, daß der Zeuge nach
besten: Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts
verschwiegen habe. Der Zeuge spricht nicht selbst diese
Worte, sondern der Richter spricht sie ihm mit der
Eingangssormel „Sie schwören bei Gott dem All-
mächtigen und Allwissenden" vor, worauf der Zeuge
spricht, „ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe"
(Eidesformel). Die gleichzeitige Beeidigung
mehrerer Zeugen ist zulässig, die Eidesformel wird
in diesem Fall von jedem Zeugen einzeln gesprochen.
Einer Verletzung seiner Eidespflicht macht sich also
nicht nur der Zeuge schuldig, der auf seinen Eid eine
unwahre Tatsache behauptet, sondern auch der, der
irgend eine siir die Sache erhebliche Tatsache ver-
schweigt (s. Nr. 260).
60z Unbeeidigt werden in der Regel die
Zeugen vernommen, die zur Verweigerung des
Zeugnisses berechtigt wären, von diesem Verweige-
rungsrecht aber keinen Gebrauch machen, oder
Personen, die ein rechtliches Interesse daran haben,
daß in den: Rechtsstreit eine Partei obsiege, sowie
Personen, die einen in dem Rechtsstreit geltend ge-
machten Anspruch, z. B. eine Forderung übertragen
haben (vgl. Nr. 387).
60; 2. Die Sachverständigen
haben die Aufgabe, dem Richter die zur Beurteilung
einzelner Fragen notwendige Sachkunde zu geben,
indem sie z. B. sich darüber aussprechen, ob der Tod
eines Menschen auf eine bei einem Unfall erlittene
Verletzung zuriickzusiihren sei, oder ob eine gelieferte
Nachtrag.
529
Maschine den zu stellenden technischen Anforderungen
entspreche usw.
Ihre Beeidigung erfolgt vor oder nach Erstat-
tung des Gutachtens, die Eidesnorm geht dahin,
daß der Sachverständige das von ihm erforderte Gut-
achten unparteiisch und nach bestem Wissen und Ge-
wissen erstatten werde oder erstattet habe. Die Eides-
leistung erfolgt in gleicher Weise wie durch den Zeu-
gen, der Sachverständige spricht also nur die Eides-
formel.
Gegen die Urteile der Amtsgerichte findet bin-
nen eines Monats von der Zustellung ab die Beru-
fung an das Landgericht statt, das endgültig ent-
scheidet. Ebenso kann gegen die von den Land-
gerichten in erster Instanz erlassenen Urteile die
Berufung an das Oberlandesgericht eingelegt werden.
In beiden Fällen muß die Berufungsfchrift beim Be-
rufungsgericht von einem daselbst zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden. Diese Einrei-
chung, nicht wie früher die Z u ft e l l u n g der
Berufungsfchrift an den Gegner, hat die Wirkung der
Berufung. Tie Zustellung der Berufungsfchrift an
den Gegner erfolgt von Amts wegen gleichzeitig mit
der von Amts wegen zu bewirkenden Bekanntmachung
des Verhandlungsterniins.
In Nr. 616 wird „Kostenfestfetzungsbeschlüsse" ersetzt durch „Be-
schlüsse des Gerichts auf Erinnerungen gegen Koften-
festsetzungsbefchlüsse des Gerichtsfchreibers."
Der letzte Satz der Nr. 618 erhält den Zusatz: „wenn er Einwen-
dungen gegen den Anspruch habe.
Erhebt der Schuldner Widerspruch, so wird
der Prozeß im gewöhnlichen Verfahren beim Amts-
gericht oder, falls der Anspruch an sich zur Zuständig-
keit der Landgerichte gehört und eine Partei vor der
Verhandlung zur Hauptsache darauf anträgt, nach
einem Verweifnngsbeschlutz des Amtsgerichts vor dem
Landgericht durchgeführt. Unterläßt dagegen der
Schuldner die Erhebung des Widerspruchs, ohne je-
doch zu zahlen, so wird auf Antrag des Gläubigers
530
Nachtrag.
Vom Gerichtsschreiber ein V o l l st r e ck u n g s b e -
seht erlassen, d. h. der Zahlungsbesehl wird für
vollstreckbar erklärt, und ans Grund dieses Vollstrek-
knngsbefehls kann der Gläubiger die Zwangsvollstrek-
kung betreiben. Doch kann der Schuldner auch noch
gegen den Vollstreckungsbefehl binnen zweier Wochen
nach Zustellung Einspruch einlegen, wie gegen
ein Versäumnisurteil (s. Nr. 591).
In Nr. 634, Satz 2 ist der letzte Satzteil zu streichen.
bz8 Ein Schuldner, der den Ofsenbarungseid gelei-
stet hat, ist innerhalb der nächsten fünf Jahre zur
nochmaligen Leistung des Eides auch einem anderen
Gläubiger gegenüber nur verpflichtet, wenn glaub-
haft gemacht wird, daß er inzwischen weiteres Vermö-
gen erworben habe. Deshalb wird auf dem Amtsge-
richte ein jedermann zugängliches Verzeichnis ge-
führt, in dem die Personen, die während der letzten
fünf Jahre den Offenbarungseid geleistet haben,
namhaft gemacht sind. Nach Ablauf von fünf Jahren
seit Schluß des Jahres, in dem die Eintragung in
das Schuldnerverzeichnis bewirkt ist, wird sie durch
Unkenntlichung des Namens oder Vernichtung des
Verzeichnisses gelöscht.
In Nr. 658 bei Landesversicherungsanit lies „1081 Anm. 6" an-
anstatt „1181 Anm. 6".
In Nr. 828 ist nun anstatt Zentralgemäldegaleriedirektor zu
lesen: Direktor der staatlichen Galerien.
Der Nr. 1017 wird als zweiter Absatz hinzugefügt:
Dagegen sind vom 1. Januar 1910 ab die Noten
der Reichsbank dem Papiergeld gleichgestellt; sie sind
gesetzliches Zahlungsmittel, also mit Zwangskurs.
Diese gesetzliche Regelung entsprach den tatsächlichen
Verhältnissen und rechtfertigte sich durch die unbe-
dingte Sicherheit, die die Reichsbank für die Einlö-
sung ihrer Noten bietet.
Der Nr. 1019 wird als letzter Satz hinzugefügt: Wegen der Noten
der Reichsbank vergleiche aber Nr. 1017, zweiter Ab-
satz.
Nachtrag-
531
In Nr. 1021 Zeile 2 b. u. ist zwischen „Wechseln" und „als" einzu-
schalten: oder vom 1. Januar 1910 ab auch in Schecks.
In Anm. 11 zu Nr. 1022 ist als zweiter Satz einzuschalten:
Vom 1. Januar 1911 ab erhöht sich das steuer-
freie ungedeckte Kontingent der Reichsbank auf
550 000 000 Mark.
In Nr. 1045 lautet der Schluß des Satzes „Auch an dem Gewinn
der Reichsbank nimmt das Reich teil":
sodann fließt ein gewisser Betrag dem Reservefonds
zu (vom 1. Januar 1911 ab 10 Proz. des nach Abzug
der Dividende verbleibenden Betrags) und der Rest
wird zu drei Vierteln dem Reiche, zu einem Viertel
den Anteilseignern überwiefen.
In Nr. 1086 Satz 2 sind die Worte „kraft Gesetzes" zu streichen,
statt „versichert" ist zu lesen „versicherungspflichtig".
In Nr. 1090 Satz 2 ist zwischen „zählt" und „zu" einzuschalten „bei
der Pflichtversicherung".
In Satz 3 ist das Wort „wirklich" zu ersetzen
durch „auf Grund der Versicherungspflicht".
Ter sechste Teil, Abschnitt B (der Reichshaushalt) erhält infolge der
im Juli d. I. (1909) zustandegekommenen Reichs-
finanzreform in den beigesetzten Randnummern fol-
gende Fassung:
Absatz 2: Die Matrikularbeiträge werden in der 1392
Höhe, die zur Deckung des Fehlbetrages nötig ick,
vom Reichskanzler ausgeschrieben; in der Bewil-
ligung der Ausgaben durch deu Reichstag liegt somit
zugleich die Bewilligung der Matrikularbeiträge in
der zum Ausgleich der Einnahmen mit den Ausgaben
erforderlichen Höhe. Damit nun nicht der Fall ein-
tritt, daß durch die Einnahmen aus den Verwaltun-
gen des Reiches und aus den gesetzlich festgelegten
Zöllen und Reichssteuern die Ausgaben gedeckt und
so mangels eines Fehlbetrags Matrikularbeiträge
überflüssig werden, ist seinerzeit auf Betreiben des
Reichstags, der die Verkiirzung feines Einnahmebe-
willigungsrechtes befürchtete, bestimmt worden (sog.
Frankensteinsche Klausel), daß ein Teil der Brannt-
weinsteuer und gewisse Reichsstempelabgaben zwar
Nachtrag.
auf Rechnung des Reiches vereinnahmt, aber vom
Reiche wieder den einzelnen Bundesstaaten nach Maß-
gabe ihrer Bevölkerungsziffer überwiesen werden.
Seit 1. April 1909 ist die Überweifung der Stempel-
abgaben weggefallen. Überweisungsfteuer ist daher
nur noch die vom 1. Oktober 1909 ab gegen früher fehr
erhöhte Branntweinverbrauchsabgabe (Nr. 1402 des
Nachtrags). Die Überweisungen, die die Ein-
zelstaaten erhalten, und die Matrikularbeiträge, die
sie nach dem Etat schulden, werden gegeneinander
aufgerechnet; sofern die Matrikularbeiträge, wie dies
feit einer Reihe von Jahren regelmäßig der Fall ge-
wesen ist und womit leider auch in Zukunft zu rech-
nen ist, die Überweisungen übersteigen, muß die Dif-
ferenz von den Bundesstaaten zur Reichskafse abge-
liefert werden.
Die Tilgung der R e i ch s f ch u l d, die im
Oktober 1908 über 4 Milliarden Mark betrug, ist um
so mehr geboten, als diese Schuld zum weitaus größten
Teile eine reine Finanzschuld (f. Nr. 1381) ist. Es
ist daher neuerdings reichsgesetzlich bestimmt worden,
daß vom 1. April 1911 ab die bis 30. September 1910
begebenen Reichsanleihen jährlich mit mindestens 1
Prozent, die später begebenen Anleihen, soweit sie für
werbende Zwecke bewilligt sind, mit mindestens 1.9
Prozent, im übrigen mit mindestens 3 Prozent, allent-
halben unter Hinzurechnung der durch die fortschrei-
tende Tilgung ersparten Zinsen, zu tilgen sind.
2. Die Tabak st euer.
Diese Steuer wird von dem innerhalb des Zoll-
gebiets erzeugten Tabak in gegorenem oder getrockne-
tem Zustande als G e w i ch t s st e u e r (57 M. für
100 Kilogramm — 45 M. von Zigarettentabak) er-
hoben; nur bei kleinen Anbauflächen von weniger
als 4 Ar findet statt dessen die Erhebung einer Flä-
ch e n st e u e r (5,7 Ps. aus einen Quadratmeter) statt.
Bei der Ausfuhr von Rohtabak oder Tabakerzeug-
nissen wird eine Abgabenvergütung gewährt.
Nachtrag.
533
3. D i e Zigaretten st euer.
Neben der Tabaksteuer wird vom Zigaretten- *399
tabak sowie von fertigen Zigaretten und von Zigaret-
tenpapier beim Fabrikanten eine besondere Steuer
erhoben, die se nach dem Kleinverkaufspreis sich aus
2—15 M. für 1000 Zigaretten oder auf 0,80—7 M.
für das Kilogramm Zigarettentabak und auf 1 M.
für 1000 Zigarettenhüllen benutzt.
Anm. 4 1400
Für den 1. April 1914 ist eine Herabsetzung aus 10 M.
vorgesehen.
5. D i e B r a n n t w e i n st e u e r.
Die Fabrikation des Branntweins aus Kar- 1401
toffeln, Getreide, Obst und Trebern hat sich in
Deutschland zu einem wichtigen Nebengewerbe der
Landwirtschaft entwickelt. Die Verwendung der Kar-
toffel zum Brennen machte vielfach erst eine ausgie-
bige Benützung des im Osten Deutschlands vorherr-
schenden Sandbodens möglich. Die Gesetzgebung über
Besteuerung des Branntweins mußte daher auf diese
landwirtschaftliche Industrie Rücksicht nehmen.
Zunächst wird von dem fertigen Branntwein eine 1402
Verbrauchsabgabe erhoben, und zwar bis zu
einer gewissen Menge, die für jede Brennerei ent-
sprechend ihrem Anteil an dem im Jnlande verbrauch-
ten Branntwein alle zehn Jahre neu festgesetzt wird,
1 M. 5 Pf. vom Liter, für die über dieses sog. Kon-
tingent hinaus von der Brennerei erzeugte Menge
aber 1 M. 25 Pf. vom Liter.
Diese außerordentliche Belastung soll jedoch nur
den im Jnlande verbrauchten Trinkbranntwein tref-
fen. Der Verbrauch von Branntwein zu gewerblichen
Zwecken, zu Putz-, Heizungs-, Koch- oder Beleuch-
tungszwecken bleibt davon frei und soll überdies mög-
lichst gefördert werden.
Dem wird durch eine neben der Verbrauchsabgabe 140z
zu erhebende Betriebsauflage Rechnung ge-
tragen, aus deren Erträgnissen für die Herstellung
vergällten (ungenießbar gemachten, denaturier-
534
Nachtrag.
î4°4
ten) Branntweins und für die Ausfuhr Vergütungen
gewährt werden, deren Höhe der Bundesrat jährlich
festsetzt. Die Betriebsauflage ist nach der Menge des
in einer Brennerei hergestellten Branntweins gestaf-
felt. Sie beträgt bei landwirtschaftlichen Brennereien
4—14 M. für das Hektoliter; sie wird nach erhöhten
Sätzen erhoben bei gewerblichen und bei Melasse-
brennereien, bei allen Brennereien während der Mo-
nate, in denen Hefe erzeugt wird, endlich bei land-
wirtschaftlichen Brennereien, die Kartoffeln oder
Mais derarbeiten, für den in der Zeit vom 16. Juni
bis 15. September eines Jahres erzeugten Brannt-
wein.
Um der Überproduktion vorzubeugen, wird für
jede Brennerei, die vor dem 1. Oktober 1907 betriebs-
fähig hergerichtet worden ist, die ihrem Betriebs-
umfange entsprechende Jahresmenge als Durch-
schnittsbrand festgesetzt; auch für gewisse Bren-
nereien anderer Art ist die Festsetzung eines Durch-
fchnittsbrandes zulässig. Für den außerhalb des
Durchschnittsbrandes hergestellten Branntwein
(Ü b e r b r a n d) tritt eine Erhöhung der Betriebs-
auslage ein; bei Brennereien, für die ein Durch-
schnittsbrand nicht festgesetzt ist, gilt als Überbrand
aller außerhalb des Kontingents hergestellter Brannt-
wein.
K l e i n b r e n n e r e i e n, das sind Brennereien,
die in einem Betriebsjahre nicht mehr als 10 Hekto-
liter Alkohol herstellen, können, sofern sie vor dem
1. Oktober 1909 betriebsfähig hergerichtet sind, statt
der Verbrauchsabgabe eine Abfindung zahlen. Auch
sind sie unter gewissen Voraussetzungen von der Be-
triebsauslage befreit.
6. Die Brau- oder Bi er st euer.
Die Brausteuer wird nach dem Gewichte des zur
Bierbereitung verwendeten Malzes und Zuckers be-
messen; die Steuer steigt von 14 bis 20 M. für 100
Kilogramm, je nach der Menge des in einem Jahre
verwendeten steuerpflichtigen Braustofses. Nach dem
1. August 1909 in Betrieb genommene Brauereien,
Nachtrag.
535
mit deren Bau nicht schon vor dem 1. Ja-
nuar 1909 begonnen worden ist, zahlen in den
ersten zehn Jahren eine erhöhte Steuer. Die Steuer
ist als B e r m a h l u n g s st e u e r geordnet. Die
Brauereien müssen sog. Malzsteuermühlen mit selbst-
tätiger Verwiegungsvorrichtung, die unter steuer-
amtlichem Verschluß steht, halten u.nb ausschließlich
benützen. Die Menge des aus die Miihle gebrachten
Malzes wird versteuert. Kleinere Brauereien zahlen
eine Abfindung.
7. Die S ch a u m w e i n st e u e r
betaust sich beim Schaumwein aus Trauben aus 1 M.
bis 3 M., beim Schaumwein aus Obst und Beeren
aus 10 Ps. sür jede ganze Flasche.
9. D i e W e ch s e I st e m p e l st e u e r
muß entrichtet werden, bevor der Wechsel in den in-
ländischen Verkehr gebracht wird, durch Verwendung
von gestempelten Wechselformularen oder durch Aus-
kleben von Wechselstempelmarken, die bei den Post-
ämtern käuflich sind. Für Wechsel, Die länger als
drei Monate lausen, wird eine weitere Abgabe siir
die nächsten neun Monate und weiterhin für je fernere
sechs Monate erhoben.
10. Tie Reichs st empelabgaben.
Diese Bezeichnung umfaßt eine Anzahl von
Steuern sehr verschiedener Art, denen nur das eine
gemeinsam ist, daß ihre Entrichtung regelmäßig
durch Verwendung von Stenipelmarken oder gestem-
pelten Vordrucken erfolgt oder durch den Ausdruck von
Stempeln bestätigt wird.
Zu den Stempelabgaben zählen a) die sog.
Emissionssteuer, die bei der Ausgabe von
Aktien, Anteilscheinen der deutschen Kolonialgesell-
schasten, Bergwerkskuxen (s. Nr. 1440), Renten- und
Schuldverschreibungen (s. Nr. 1383), aber nicht von
Staatspapieren des Reichs und der Bundesstaaten
zu entrichten ist; d) die T a l o n st e u e r, die bei der
regelmäßig wiederkehrenden Ausgabe der Gewinnan-
teilscheine (bei Aktien) und der Zinsbogen (bei Rem
1406
1408
1409
1410
536
Nachtrag.
ten- und Schuldverschreibungen, ausgenommen die
des Reichs uitd der Bundesstaatelt) abzuführen ist!
c) die sog. Börsen st eue r, die beim Ankauf oder
bei sonstiger Anschaffung von Wertpapieren oder
ausländischem Geld oder bei börsenmäßigen Handels-
geschäften über Waren durch Aufkleben von Stempel-
marken auf die über diefe Geschäfte auszustellenden
Schlußscheine (s. Nr. 1055) bezahlt wird; ci) die
Lotterie st euer wird bei Veranstaltung von
öffentlichen Lotterien oder Ausspielungen in Höhe
von 20—25 Prozent des Preises sämtlicher Lose beim
Veranstalter im voraus erhoben. Unrer diese Steuer
fallen auch die Wetteinsätze bei öffentlichen Rennen n.
dgl. (Totalisator)^; bei diesen muß der Veranstalter
des Wettbetriebs (Buchmacher) jedem Wettenden einen
versteuerten Ausweis über seinen Einsatz ausstellen;
1411 e) die Fr achturkunden ft e u e r trifft die Ver-
sendung von Frachtgütern zu Wasser oder auf der
Eisenbahn (bei letzterer nur für Wagenladungen); sie
wird entrichtet durch Verwendung gestempelter Vor-
drucke von Frachtbriefen, Ladescheinen usw. oder durch
Aufkleben von Stempelmarken auf diese Urkunden;
t) die F a h r k a r t e n st e u e r wird non den Eisen-
bahnverwaltungen, Trambahnen und Dampfschiff-
fahrtsunternehmungen von Fahrkarten 1.—III. Klasse
entrichtet und von ihnen regelmäßig auf den Preis
*4>2 geschlagen; g) die Steuer auf Kraftfahr-
zeuge (Automobile und Motorräder) ist nach der
Zahl der Pferdekräfte der Maschinen avgestuft. Gegen
Zahlung der Steuer wird eine gestempelte Erlaubnis-
karte ausgefolgt, vor deren Lösung die Jngebrauch-
nahme des Fahrzeuges verboten ist, und die der
Führer des Fahrzeugs unterwegs stets bei sich haben
muß; h) die Steuer auf die Vergütungen
der Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften usw.
berechnet sich auf 8 Prozent der den Aufsichtsräten
gewährten Gewinnanteile, Tantiemen, Gehälter u.
dgl.; sie ist von den Gesellschaften zu entrichten, aber
ihnen boit den Mitgliedern des Aufsichtsrates zu er-
4a Die Hälfte des Steuerertrags wird den Bundes-
staaten zur Förderung der Pferdezucht überlassen.
Nachtrag.
537
statten; i) der Scheck st empel trifft mit dem festen
Betrage von 10 Pfennig die Schecks (s. Nr. 1037)
und die diesen gleichstehenden Bankquittnngen; be-
freit sind die Postschecks; k) der Grund st ücks-
übertragungs st empel wird beim Eigentums-
wechsel von Grundstücken einschließlich der Zwangs
Versteigerungen bis auf weiteres^ mit 2/3 vom
Hundert des Kaufpreises bzw. des Wertes erhoben;
vor Entrichtung der Abgabe soll die Eintragung des
Erwerbers im Grundbuch (s. Nr. 430) unterbleiben.
In Nr. 1414 Absatz 3 Satz 1 ist statt „ein Drittel" zu lesen „ein
Viertel".
12. Die Leuchtmittelsteuer. 1414a
Dieser untersallen elektrische Glühlampen und
Brenner für solche, Glühkörper für Gas-, Spiritus-,
Petroleum- und ähnliche Glühlampen, Brennstiste
für elektrische Bogenlampen, Quecksilberdampf- und
ähnliche Lampen.
13. D i e Z ü n d w a r e n st e u e r. 1414b
Zündhölzer, Zündspähnchen und Zündstäbcheu
unterliegen einer Steuer in Höhe von 1 Ps. für jede
Schachtel mit einem Inhalt von weniger als 30 Stück,
von I1/2 Pf. für jede Schachtel mit 30—60 Stück und
mit 1 y2 Psg. für je 60 Stück bei größeren Behält-
nissen. Zündkerzchen werden mit 5 Ps. für je 20
Stück besteuert. Bei der Einführung aus dem Aus-
lande ist sie von dem Einbringenden (neben dem Zoll)
zu entrichten.
Anm. 7a: 1419
Die wichtigste Ausnahme stellt der anläßlich der Reichs-
finanzreform 1909 eingeführte Zollzuschlag aus aus-
ländische Tabakblätter und Zigarren dar. Er beträgt
40 Proz. vom Fakturenwert. Er wird neben dem Gewichts-
zoll erhoben von Zigarren bei ihrer Einführung, von Tabak
bei dessen tlebergang an den Fabrikanten. Bei unzuläng-
lichen Wertanmeldungen hat die Reichsfinanzverwaltung das
Recht des Ankaufs gegen Zahlung des um 5 Proz. erhöhten
angemeldeten Wertes.
4b Vom 1. April 1912 ab soll der Grundstücksstempel
herabgesetzt und dafür eine Reichswertznwachssteuer ein-
geführt werden.
Im gleichen Verlage erschienen:
Welrniig im ßluise
von
Charlotte M. Mason
Bd. I Die Erziehung von Kindern
unter neun Jahren
80, 264 Seiten, eleg. geb. Ae. 3.50
Bd. II Eltern und Kinder
8°, 250 Seiten, eleg. geb. M. 3.50
Bd. III Erziehung während der Schulzeit
30, 288 Seiten, eleg. geb. M. 350
Wir können nur wiederholen: Nichts ist vergessen, zu
erwähnen und zu erwägen, was sür die Erziehung des
Kindes bis zum neunten Jahr (Band I) notwendig ist, und
alles ist gesagt mit einer Wärme und Klugheit, die die
Lektüre des Buches zum Genuß macht und die sicher jeder
auch nur einigermaßen strebsamen und nachdenkenden Frau
zur dringlichen Aufforderung werden wird, den Versuch zu
machen, ihre Kinder nach diesen Erziehungsprinzipien und
Anweisungen zu erziehen, Wir meinen, cs muß beim
Lesen dieses Buches den Muttern zum klaren Bewußtsein
werden, daß Kindererziehung eine heilige Arbeit ist. Die
Ausstattung ist vorzüglich.
Die Lehrerin in Schule und Haus.
Die Gesetzgebung
des Reichs und der deutschen Staaten
in übersichtlichen Zusammenstellungen
unter Mitwirkung vvn
Amtsgerichtsrat W. Coermann in Straßburg i. E., Oberfinanzrat Dr. R.
Kloß in Dresden, Landgerichtsrat Dr. I. Lehr in Darmstadt, Staats-
anwalt I. Schiedermair in Nürnberg, Landrichter Dr. K. Schneidler in
Rottweil und Justizrat Weißler, Rechtsanwalt und Notar in Halle a. S.
herausgegeben von
Landgerichtsrat Dr. A. Glock^ in Karlsruhe
Der Herausgeber, dem maßgebende Juristen der deutschen Bundesstaaten zur Seite
stehen, ermöglicht durch planvolle Gruppierung der Reichs- und Landesgesetzgebung ein
leichtes und sicheres Überblicken aller größeren deutschen Rechtsgebiete. Er begnügt sich
daher nicht mit dem einfachen Abdruck der Titel der Gesetze, Verordnungen, sondern bietet
ein systematisches Register der Gesetze und Verordnungen der Reichs- und der Einzelstaaten.
Jeder Band bildet ein selbständiges Ganzes und enthält in organischer Verschmelzung
die gesamte Reichs-, sowie die Landesgesetzgebung des berr. Staates.
Die praktische Brauchbarkeit dieses von der Presse einmütig günstig be-
urteilten Werkes, wird durch die periodische Herausgabe von Nachträgen wesentlich
erhöht. Die nieisten Ministerien haben das Werk den in Betracht kommenden Behörden
zur Anschaffung empfohlen.
Es erschienen bisher die Ausgaben für:
mit Nachtrag auf 1. Januar 1905. Preis des Werkes
------ gebunden M. 7.60, Preis der Nachtrags kartoniert M. 2.40
5b(lt)Cnt Preis des Werkes gebunden M. 12.—
sirslîitrtî Nachtrag auf 1. Januar 1907. Preis des
vUnjuiuim Werkes geb. M. 7.60, Preis des Nachtrags M. 1.60
Preis des Werkes gebunden M. 7.60
Slîsfliflî "à Nachtrag auf 1. Januar 1909. Preis des Werkes ge-
------ü— bunden M. 7.60, Preis des Nachtrags kartoniert M. 1.80
^hMirttClUlJCl ß Preis des Werkes gebunden ea. M. 9.—
In Arbeit befindet sich die Ausgabe
Preutzen
* Nach seinem Tode weitergeführt von Or. E. Salzer Karlsruhe
Freiburger Abhandlungen
ans dem Gebiete des öffentlichen Rechts
herausgegeben von
W. v. Rohland, Heim. Rosin, Rich. Schmidt
Heft 1 Das Strafrecht der franzö-
sischen Encyclopädie. Ein
Beitrag zur Geschickte der Auf-
klärung im XVIII. Jahr-
hundert. Von Dr. A- Freiherrn
von Overbeck Mk. 3.—
Heft II Prozeßrecht und Strafrecht.
Betrachtungen zur Systematik
und zur Gesetzesform des
modernen Zivilprozeßrechts.
Von Professor Dr. Richard
Schmidt Mk. 1.80
Heft III Der Vollzug der Freiheits-
strafen in Baden. Von Dr.
Julius Appel Mk. 3.—
Heft IV Der strafrechtliche Schutz des
Briefes. Dogmatisch und
rechtsvergleichend dargestellt
von Dr. Eugen Gerhard
Mk. 1.80
Heft V Die Berhältniswahl im deut-
schen Bcrwaltnngsrecht, ins-
besondere bei Gewerbe- und
Kaufmannsgerickten, Berg-
arbeiter-Ausschüssen, Kranken-
kassen usw. Von Dr. H.
Luschka Mk. l.60
Heft VI Die Entwickelung der richter-
lichen Unabhängigkeit im
neuesten deutschen und öster-
reichischen Rechte. Von Dr.
Gustav Aubin Mk. 1.80
Heft VII Die Verletzung fremder Ge-
heimnisse. Von Dr. Leon
Serexhe Mk. 1.60
Heft VIII Zwangsvollstreckung in Hypo-
theken. Von Dr. Hugo Karl
Hauser Mk. 1.80
Hest IX Der Staatsbeamte als Ab-
geordneter m der Verfassungs-
entwicklung der deutschen
Staaten. Von Dr. Wilb.
Clauß Mk. 2.80
Heft X Niederlassungsfreiheit und
Ausweisungsrecht. Dargestellt
aus der Grundlage des deutsch-
sckweizerischen Vertrages vom
31. Mai 1890. Von Dr.
A. Freiherr von Overbeck
Mk. 3.—
Heft XI Niccolc) Machiavelli und die
allgemeine Staatslehre der
Gegenwart. Von Dr. Alfred
Schmidt Mk. 2.40
Heft XII Über den Umfang des Ber-
ordnungsrechts und das Recht
zur Verhängung des Belage-
rungszustandes in Italien.
Von Privatdozent Dr. Hans
Gmelin Mk. 4.—
Heft XIII Das Recht der gesetzlichen
Berufsvcrtretungen (Berufs-
kammern) in allgemeiner Dar-
stellung nach Reichsrecht,
preußischem und badischem
Recht. Von Dr. Ernst
Kuhlmann Mk. 1.80
Heft XIV Können juristische Personen
strafrechtlichen Besitz (Gewahr-
sam) haben. Ein Beitrag zur
Gewahrsamslehre. Von Dr.
Karl Bender Mk. I.—
Heft XV Das Rechtsmittel der Be-
schwerde im heutigen deutschen
Strafprozeß unter Berücksich-
tigung des Militärstrafpro-
zesses. Von Dr. Joh. B.
Ferdinand. Alk. 4.20
Die Kausalität als Weglveiser
durch die Philosophie zu einer
praktischen Weltanschauung
von
Julius Fischer
Rechtsanwalt, Karlsruhe
80, 69 Seiten geh. M. 1.80
Diese Schrift betrachtet von einem bestimmten logischen
Gedanken aus den Gang der Philosophie, den uns die Ge-
schichte erzählt. Sie will das Verständnis des Zusammenhangs
fördern, den Laien in die philosophischen Fragen einführen, den
Schüler unterstützen und dem Berufsphilosophen Anregung geben,
neue Probleme zu stellen und zu lösen.
Sie verdient das imgeteilte Interesse aller Denkenden,
die den Weg feststellen wollen, den die Philosophie in ihrem
Suchen nach Wahrheit genommen hat, die aus diesem Wege
bemüht sind, eine Weltanschauung zu finden, welche so praktisch
ist, das; deren Prinzipien im menschlichen Leben selbst befolgt
werden können.
Studien
zur
Bevölkerungsbewegung
in Deutschland
in den letzteil Jahrzehnten
mit besonderer Berücksichtigung der ehelichen Fruchtbarkeit
von
Dr. Paul Mlnubert
Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br.
80, 280 Seiten geh. Mk. 8.—
Das Buch ist musterhaft gearbeitet, mit unermüdlichem Fleiße,
mit einer Umsicht, welche jeden die Sterbeziffer, Heiratsziffer, Geburten-
ziffer beeinflussenden Faktor, wie insbesondere Veränderungen im Alters-
aufbau, aufs sorgfältigste berücksichtigt und ohne irgend welches in
Betracht kommende Material außer Acht zu lassen.
Professor Lujo Brentano in Frankfurter Zeitung.
Auch dieses Buch Momberts ist für uns Ärzte von hohem In-
teresse. Der Inhalt dieses Buches, das geradezu enormes statistisches
Quellenmaterial aus ganz Europa und der gesamten Kulturwelt ent-
hält, lvird dadurch zu einer unersetzlichen Fundgrube für alle Forscher,
die sich mit Bevölkerungsfragen befassen.
Münchener Medizinische Wochenschrift.
Analytische
Geometrie der Ebene
Elementares Lehrbuch
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höhere L e h r a n ft a \ t c n
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Die „Südwestdeutsche Schulblätter" schreiben: Das Buch füllt wirklich
eine Lücke in der mathematischen Literatur aus. Es bringt selbstverständlich
stofflich nichts Neues, dafür aber endlich einmal eine ziemlich vollständige,
elementare, methodische und doch streng wissenschaftliche Bearbeitung der
Geometrie des Punktes, der Graden und der Kurven zweiten Grades.
Es ersetzt auf dem behandelten Gebiete nicht nur die bekannten größern
Werke sondern übertrifft dieselben weit an Verwendbarkeit in der Schule.
Die neue Wochenschrift
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Bürgerkunde, Deutsche Staats- und Rechtskunde
für Bayern
Dr. A. Glock* und I. Schiedermair
* Nach dessen Tod weitergeführt von E. Burger, Notariatsinspekior in Karlsruhe
Nachträge und Berichtigungen
Ausgegeben im April 1911
Zu Nr. 57: Nach der am 1. Dezember 1910 vorgenommenen Volks-
zählung betrug die Bevölkerung rund 64,9 Millionen. Davon entfallen auf
Preußen 40,1 Millionen, auf Bayern 6,9, auf Sachsen 4,8, auf Württem-
berg 2,4, auf Baden 2,1, auf Elsaß-Lothringen 1,9, auf Hessen 1,3 Millionen.
Weitere hier in Betracht kommende Angaben waren noch nicht zu er-
langen.
Zu Nr. 80 ist dem dritten Satze bei den Worten „öffentliche Armen-
unterstützung" als Anmerkung 33 a beizufügen: Nicht als Armenunter-
stützung im Sinne dieser Bestimmung sind anzusehen: 1. Die Kranken-
unterstützung. — 2. Die einem Angehörigen wegen körperlicher oder geistiger
Gebrechen gewährte Anstaltspflege. — 3. Unterstützungen zum Zwecke der
Jugendfürsorge, der Erziehung oder der Ausbildung für einen Beruf. -
4. Sonstige Unterstützungen, wenn sic nur in der Form vereinzelter Lei-
stungen zur Hebung einer augenblicklichen Notlage gewährt sind. —
5. Unterstützungen, die erstattet sind. (Neichsgesetz vom 15. März 1909.1
In Nr. 113 muß der Inhalt der zweiten Klammer lauten: z. B. ver
zu der preußischen Oberrechnungskammer hinzutretenden Mitglieder, durch
die sie zum Rechnungshof des Deutschen Reichs, s. Nr. 1391, ergänzt wird.
171 Die Berechtigung, zum Landtag zu wählen, wird nunmehr nicht
mehr durch jede Armenunterstützung genommen; insbesondere ist diese
Wirkung nicht verbunden mit Krankenunterstützungen, mit Unterstützungen
zum Zwecke der Jugendfürsorge, der Erziehung und der Ausbildung für
einen Beruf, und mit Unterstützungen, die wieder erstattet sind.
193 Beim Kultusministerium ist nun eine besondere Ministerial-
abteilung für die humanistischen und technischen Mittelschulen gebildet.
209 Anm. 5. Die Zahl der Amtsgerichte Bayerns hat sich infolge der
Vereinigung der Amtsgerichte München I und München II auf 266
gemindert.
2
f
In Nr. 339 sind die Worte „den jeweiligen Stand der Bevölkerung" zu
ersetzen durch „das samilicnrechtliche Verhältnis einer Person zu anderen
Personen".
In Nr. 341 Anm. 4 Abs. 1 ist als zweiter Satz einzuschalten: In der
Pfalz geschieht diese Verwahrung bei den Landgerichten.
417 In Bayern ist nunmehr das Grundbuch im ganzen
Königreich angelegt; es kommt also, soweit nicht etwa unter dem
früheren Recht noch begründete Rechtsverhältnisse diesem noch vorüber-
gehend unterstehen, lediglich das neue Grundstücksrccht zur Anwendung.
In Nr. 485 lautet der Eingang künftig: Für solche Geschäfte, bei
denen ein unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft Stehender von dem
Gewalthaber oder Vormund nicht vertreten werden kann.
565 Die Zivilprozeßordnung hat weitere Änderungen durch ein Gesetz
vom Jahre 1910 erfahren.
Bei Nr. 571 ist die bisherige Anmerkung 1 zu streichen.
In Nr. 575 Absatz 1 sind die Worte „und Beschwerden" . . . „und
Beschlüsse" zu streichen.
597 Absatz 2: Die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil beträgt
nur eine Woche.
598 Absatz 2: Endlich kann auch ein Kläger, bevor er sich entschließt,
beim Amtsgericht oder Landgericht eine förmliche Klage zu erheben, bei dem
Amtsgericht, vor dem der Gegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat
(s. Nr. 580), die Bestimmung eines Termins zum Zwecke eines Sühne-
versuchs beantragen.
615 Die Revisionssumme ist von 2500 auf 4000 M. erhöht. Bestimmte
Urteile sind ohne Rücksicht auf die Höhe der Revisionssumme der Revision
zugänglich.
Der Nr. 616 ist zuzufügen: Gegen oberlandesgerichtliche Entschei-
dungen ist eine Beschwerde nicht zulässig.
619 Die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbefehl beträgt nur
eine Woche.
In Nr. 634 sind von dem zweiten Satze die Schlußworte „auch" bis
„statt" zu streichen. Die Anm. 20 ist als gegenstandslos zu streichen, weil
nunmehr das Grundbuch für ganz Bayern als angelegt gilt.
637 An Stelle der Ladung des Schuldners durch den Gläubiger vor
das Amtsgericht tritt der Antrag des Gläubigers an das Amtsgericht, zur
Vorlegung des Vermögensverzeichnisses und Leistung des Offenbarungs-
eides einen Termin zu bestimmen.
658 Bei Landesversicherungsamt lies Nr. 1081 Anm. 6 statt 1181
Anm. 6; bei Versicherungskammer lies Nr. 1098 statt Nr. 1099.
3
660 Auch in der Pfalz besteht nunmehr eine unmittelbare Stadt; es
ist Landau i. Pf.
661 Statt Nr. 189 Anm. 6 lies Nr. 189 Anm. 29.
698 Gewisse Armenunterstützungen haben nun nicht mehr die Wir-
kung, daß ihretwegen das Bürgerrecht versagt werden kann, so z. B.
Krankenunterstützungen, Unterstützungen zum Zwecke der Jugendfürsorge,
der Erziehung oder der Ausbildung für einen Berus u. ä.; doch kann in
diesen Fällen die Gemeinde bestimmen, daß das Heimatrecht nicht mit-
erworben wird.
702 Die Bemerkung unter Nachtr. Nr. 698 findet auch hier
Anwendung.
733 Wie die Staatssteuern, so wurden auch die Gemeindeumlagen
mit Wirkung vom 1. Januar 1912 an neu geregelt. Nach wie vor sind die
Gemeindeumlagen Zuschläge zu den direkten Staatssteuern, aber die
Zuschläge erfolgen nicht mehr bei allen Steuern im gleichen Verhältnis,
sondern nach einem sehr umständlichen System. Es werden nämlich zunächst
die Ertragssteuern des Reichs, des bayerischen Staates, der Kreisgemeinden,
der Distriktsgemeinden, der Gemeinden und der Ortschaften um ein Fünfte!
erhöht. Außerdem wird die Einkommensteuer in gewissen Fällen (nach
einem sehr umständlichen System) erhöht, und zwar von Y« bis zu V™ ihres
Betrags, um die Einkommen höher heranzuziehen, die aus dem Dienst-
und Arbeitsverhältnisse, aus wissenschaftlicher oder künstlerischer Beschäs-
ligung und überhaupt „aus Berus" herrühren. Nach Berechnung dieser
Erhöhungen werden in Ansatz gebracht: Sämtliche Grundsteuern, Haus-
steuern, Gewerbsteuern und Steuern vom Gewerbebetrieb im Umherziehen
mit den 2!4 fachen Beträgen, sämtliche Kapitalrentensteuern mit den 1^-
sachen Beträgen und sämtliche Einkommensteuern mit den halben Beträgen.
Aus der Steuersumme, die sich darnach ergibt, werden die Gemeindeumlagen
nach einem einheitlichen Prozentsätze berechnet. Mit diesem Prozentsätze
werden sie dann auch aus die einzelnen Pflichtigen entsprechend ihren
Steueransätzen ausgeschlagen. Umlagensrei sind Erträge aus Grund-
stücken des Reichs, des bayerischen Staates, der Kreisgemeinden, der
Distriktsgemeinden, der Ortschaften, die unmittelbar der Erfüllung öffent-
licher Ausgaben dienen, aus Grundstücken öffentlicher Unterrichts- und
Erziehungsanstalten, die unmittelbar Zwecken des Unterrichts und der
Erziehung dienen u. a.
Die Beschlußfassung über die Einführung oder die
Erhöhung von Gemeindeumlagen, sowie über Unterneh-
mungen und Einrichtungen, welche die Einführung oder Erhöhung von
Gemeindeumlagen erfordern, steht der Gemeindeverwaltung zu. Der
Beschluß bedarf in Gemeinden mit städtischer Verfassung der Zustimmung
der Gemeindebevollmächtigten und in Landgemeinden rechts des Rheins
der Zustimmung der Gemeindeversammlung. Dabei sind für die Land-
4
gemeinden rechts des Rheins und für die Gemeinden mit pfälzischer
Gemeindeverfassung Vorschriften getroffen, daß die sog. Höchstbesteuerten
ein bevorzugtes Stimmrecht haben. Höchstbesteuerte im Sinne des Gesetzes
sind dann vorhanden, wenn mehr als ein Drittel der Steuersumme, aus der
die Umlagen berechnet werden, auf fünf oder weniger als fünf Personen
trifft.
Für die einzelnen Ortschaften können Ortsumlagen erhoben
werden, dieses sind Zuschläge zu den direkten Steuern, die die Ortschaften
erheben; ihre rechtlichen Verhältnisse sind im übrigen die gleichen, wie
die der Gemeindeumlagen.
735 Die Besitzveränderungsabgabe hat eine Neuregelung
erfahren. Sie besteht in Zuschlägen zu gewissen staatlichen Abgaben zu-
gunsten der Gemeinden, sie darf die Hälfte der staatlichen Abgabe nicht
überschreiten. Als Staatsabgaben, die diesen Zuschlägen unterliegen,
erscheinen im allgemeinen alle die, die beim Übergang des Eigentums an
Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten auf einen anderen erhoben
werden. Die Einführung der Gebühr und die Bestimmung ihrer Höhe
erfolgt innerhalb der obenbezeichneten Schranke durch die Gemeinden selbst,
die jedoch hierzu die Genehmigung des Ministeriums des Innern nötig
haben. Die Höhe der Abgabe ist also in den verschiedenen Gemeinden ver-
schieden, und es gibt Gemeinden, in denen die Abgabe überhaupt nicht
anfällt. Befreit von der Abgabe sind Eigentums- und Rechtsübergänge
zwischen Ehegatten und gewissen nahen Verwandten und Verschwägerten,
endlich Eigentums- und Rechtsübergänge auf gemeinnützige Vereinigungen,
die sich mit der Erbauung, Beschaffung oder Verbesserung der Wohnungen
für die minderbemittelte Bevölkerung besassen.
735 L Bei den Veränderungen, welche die bayerische Steuergesetz-
gebung und das Umlagenrecht der Gemeinden (s. Nachtr. Nr. 1444 ff. und
733) erfahren haben, wurden den Gemeinden neue Steuern zugewiesen,
nämlich ein Teil der Hausiersteuern (s. Nachtr. Nr. 1462) und die Waren-
haussteuer und die Hundeabgabe; wegen dieser ist folgendes zu bemerken:
735 b Die Warenhaussteuer. Sie ist nunmehr durch ein besonderes
Gesetz, das Warenhaussteuergesetz, mit Wirkung vom 1. Januar 1912 an
neu geregelt. Es unterliegen ihr Warenhäuser, Großmagazine, Groß-
basare, Abzahlungsgeschäfte, Versandtgeschäfte und ähnliche Geschäfte, aber
nur dann, wenn der Geschäftsbetrieb zur gewinnbringenden Verwertung
größerer Betriebsmittel eine außergewöhnliche Ausdehnung hat, und durch
die Art des Geschästsversahrens von der üblichen Gewerbeausübung
wesentlich abweicht. Die Steuer fließt nicht dem Staat, sondern der
Gemeinde zu, in der das Gewerbe betrieben wird. Die Höhe der Steuer
richtet sich nach dem Geschästsumsatz; sie beträgt bis zu einem Geschästs-
umsatz von 300 000 M. 1—2%% und steigt bis zum Höchstsatz von 5—7%;
letzterer beginnt bei einem Umsatz von mehr als 6 000 000 M. Innerhalb
des Spielraums, der bei den einzelnen Posten gesetzt ist (1—2% %), ent-
scheiden verschiedene geschäftliche Verhältnisse über die Wahl des höheren
oder niederen Satzes, z. B. die Zahl der Zweiggeschäfte, die Zahl der
geführten Waren u. a.
735 e Die Hundeabgabe. Das Hundegebührengesetz ist mit Wirkung
vom 1. Januar 1912 ab ersetzt durch das Hundeabgabengesetz. Dessen
wesentlichen Bestimmungen sind folgende: Abgabenpslichtig ist, wer einen
Hund, der über 4 Monate alt ist, im Laufe des Jahres besitzt. Mitbesitzer
hasten als Gesamtschuldner ebenso wie mehrere Personen, die einen Hund
im Laufe des Jahres nacheinander besitzen. Tritt an die Stelle eines ver-
endeten oder getöteten Hundes ein Ersatzhund, so ist keine neue Abgabe zu
entrichten. Die Abgabe bewegt sich je nach der Größe der Gemeinde zwischen
3 und 15 M., die Gemeinden können die Abgabe mit aussichtlicher Geneh-
migung erhöhen. Hunde aus Einöden oder Weilern, in Pferchen gehaltene
Schäferhunde und von Forstschutzbeamten zum Forstschutz gehaltene Hunde,
jedoch nur einer für jeden Beamten, sind steuerfrei. Die Abgabe fällt den
Gemeinden zu, sie ist auch durch die Gemeinden einzuheben. Hunde, für
die die Abgabe nicht binnen acht Tagen nach der Mahnung entrichtet wird,
können durch die Polizei getötet werden.
748 Auch die Distriktsumlagen haben mit Wirksamkeit vom
1. Januar 1912 Änderungen erfahren, sie werden wie die Gemeindeumlagen
nicht mehr von allen direkten Staatssteuern mit dem gleichen Prozentsatz
erhoben, sondern nach dem gleichen Maßstab, wie die Gemeindeumlagen.
(Vgl. wegen der letzteren Nachtr. Nr. 733.)
755 Die Kreisumlagen sind vom 1. Januar 1912 an neu geregelt. Sie
werden ebenfalls nicht mehr im gleichen Prozentsätze von den direkten
Staatssteuern erhoben, sondern nach einem ähnlichen Maßstab wie die
Gemeindeumlagen (s. Nachtr. Nr. 733).
792 Eine umfassende Neuregelung haben nunmehr die Fachschulen
für das Baugewerbe gefunden. Es sind Bauschulen und Meister-
schulen für Bauhandwerker vorgesehen. Die Bauschulen haben die
Aufgabe, Baumeister und Bautechniker des Hochbausaches auszubilden. Der
Ausbildungsgang umfaßt fünf aufsteigende, halbjährige Kurse. Ein Teil
der Schulen hat Winter- und Sommerbetrieb; es kann aber auch bloß
Sommerbetrieb oder bloß Winterbetrieb stattfinden. Die Aufnahme in
den ersten Kurs setzt für die Regel voraus: Vollendung des 16. Lebens-
jahrs, zwölfmonatige Tätigkeit in einem Baugewerbe als Maurer, Zim-
merer usw. und das Bestehen einer Aufnahmeprüfung. Die M e i st e r -
schulen für Bauhandwerker haben die Ausgabe, Bauhandwerker
für die Meisterprüfung im Maurer-, Zimmerer- oder Steinmetzhandwerk
vorzubereiten. Die Schule umfaßt zwei fünfmonatige Winterkurse. Vor-
aussetzung für die Aufnahme ist für die Regel das Bestehen der Gesellen-
Prüfung in einem Bauhandwerk und das Zurücklegen des achtzehnten
Lebensjahrs.
794 Die unter dieser Nummer behandelten Vereinbarungen sind durch
eine neue Vereinbarung erseht; in dieser stellen die deutschen Bundes-
regierungen gemeinsame Grundsätze für die gegenseitige Anerkennung
der Neisezeugnisse aus, die an öffentlichen deutschen Gymnasien,
Realgymnasien und Oberrealschulen erworben werden. Die Grundsätze
beziehen sich hauptsächlich auf die Lehrdauer (9 Jahre), die Lehrfächer und
die Abhaltung und die Gegenstände der Reifeprüfung. Das Reifezeugnis
gewährt in einem anderen Bundesstaat alle Berechtigungen, welche in
beiden Bundesstaaten übereinstimmend dem Reifezeugnis der betreffenden
Schulgattung verliehen sind.
800 Die Baugewerkschule mit Gewerbelehrerinstitut zu München führt
nun die Bezeichnung K. Bauschule mit Gewerbelehrer-
in st i t u t in München.
812 Lyzeen. Zur Ausnahme als Studierender in der philosophischen
(nicht aber in der theologischen) Abteilung genügt nun auch das Reife-
zeugnis eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule des Deutschen
Reichs. Ausnahmsweise genügt zur Aufnahme in dieser Abteilung das
wissenschaftliche Besähigungszeugnis für den Einjährig-Freiwilligen-Dienst.
Auch Frauen können als „Hörerinnen" zugelassen werden, wenn sie lüe
entsprechende wissenschaftliche Vorbildung nachweisen.
813 u. 814 Die Forstliche Hochschule in Aschafsenburg ist aufgehoben;
der akademische forstliche Unterricht wird nunmehr in seinem ganzen
Umfang an der Universität München erteilt. S. Nachtr. Nr. 1434.
845 Eine K i r ch e n st e u e r ist nunmehr eingeführt. Sie wird im
rechtsrheinischen Bayern wie in der Pfalz für die Jahre 1911 bis 1913 in
der Form eines fünsprozentigen Zuschlags zu den direkten Staatssteuern
von den Protestanten erhoben.
Der Nr. 883 Abs. 2 ist beizufügen: Die Beschau von Pferden, Eseln,
Maultieren und Mauleseln ist den als Beschauern bestellten Tierärzten
ausschließlich vorbehalten, durch andere Beschauer kann sie nicht vor-
genommen werden.
Nr. 884 erhält folgende Neufassung: Das Ergebnis der Untersuchung
bei der Fleischbeschau — ob das Fleisch als Nahrungs- und Genußmittel
für Menschen tauglich, tauglich, aber im Nahrungs- und Genußwerte
erheblich herabgesetzt, untauglich oder endlich bedingt tauglich ist — wird
durch Ausdruck von Farbstempeln kenntlich gemacht. Pferdefleisch und
Hundesleisch wird durch einen besonderen Stempel als solches bezeichnet.
Untaugliches Fleisch darf nicht in Verkehr gebracht werden, bedingt taug-
liches erst, wenn es nach entsprechender Behandlung (z. B. durch Kochen,
Dämpfen, Pökeln usw.) zum Genusse für Menschen brauchbar gemacht ist.
7
Der Vertrieb und die Verwendung derartigen brauchbar gemachten
Fleisches, sowie von Pserdesleisch durch Fleischhändler, Gast-, Schank- und
Speisewirte ist polizeilichen Beschränkungen unterworfen, in den Geschäfts-
räumen dieser Personen muß sich ein aus den Verkauf oder die Ver-
wendung solchen Fleisches hinweisender Anschlag befinden; endlich dürfen
Fleischhändler in demselben Raume nicht auch anderes Fleisch seilhalten
oder verkaufen.
Der Nr. 892 Absah 2 ist als Anmerkung 4a beizufügen: Dieses Verbot
hat an Wirksamkeit wesentlich dadurch gewonnen, daß eine größere Anzahl
Staaten sich durch ein internationales Abkommen verpflichtet hat, in ihrem
Gebiet die Herstellung, die Einfuhr und das Feilhalten von Phosphorzünd-
hölzern zu verbieten.
Zu den in Nr. 894 genannten Krankheiten ist der Milzbrand getreten.
In Nr. 1009 Anmerkung 2 ist statt „Muldner Hütte" zu lesen „Mulden-
hütten".
In Nr. 1010 erhält Satz 1 folgende Neufassung: Den deutschen Gold-
münzen ist (als sog. Münzgrundgewicht) das Kilogramm Feingold
zugrundegelegt, aus dem nach dem gesetzlich festgelegten Münzfuß
1391h Zwanzigmarkstücke und 279 Zehnmarkstücke (also 2790 Mark in Gold)
geschlagen werden.
Im letzten Satze ist dürfen durch sollen zu ersetzen und ist hinter
Tausendstel einzuschalten: Abweichungen von dem Durchschnittsgewicht
höchstens zweiundeinhalb Tausendstel.
In Nr. 1012 Satz 2 ist Goldmünzen durch Zwanzigmarkstücke, in
Satz 3 die Zahl 2,8 durch 2,15 zu ersetzen. Der letzte Satz ist zu streichen
und dafür zu setzen: Von dieser Prägegebühr (6 Mark für das Kilogramm
Feingold) verbleiben der Münzstätte 5 M. 50 Pf., die restlichen 50 Pf. sind
an die Reichshauptkasse als Gewinn des Reichs abzuliefern. Sie wird bei
der Auszahlung des gemünzten Goldes, die auch in Zehnmarkstücken erfolgen
kann, abgezogen.
Der Nr. 1038 ist in Satz 2 bei dem Worte „Schecks" folgende Anmer-
kung 23 a beizufügen: Der Höchstbetrag eines Postschecks ist auf 10 000 M.
festgesetzt.
1142 Hinsichtlich des Handels mit ländlichen Grundstücken erging ein
neues Gesetz, das Güterzertrümmerungsgesetz. Darnach ist in
allen Fällen, in denen geschlossen bewirtschaftete landwirtschaftliche Grund-
stücke an einen Güterhändler, d. h. an eine Person, die gewerbsmäßig mit
ländlichen Grundstücken handelt, verkauft werden, der Gemeinde, in deren
Bezirk das Grundstück liegt, und den für die Gemeinde bestehenden gemein-
nützigen landwirtschaftlichen Darlehenskasfenvereinen ein Vorkaufsrecht
(f. Nr. 396) eingeräumt. Ferner ist jeder, der sich verpflichtet, das Eigen-
tum an geschlossen bewirtschafteten landwirtschaftlichen Grundstücken an
einen Güterhändler zu übertragen, berechtigt, innerhalb einer Woche nach
dem Abschlüsse des Vertrags von diesem zurückzutreten. Endlich ist jeder,
der bei Zertrümmerung eines solchen Anwesens durch einen Güterhändler
eines der Grundstücke erwirbt, berechtigt, innerhalb süns Tagen nach dem
Abschlüsse des Vertrags von diesem zurückzutreten. Die unter Nr. 1142
angeführten Bestimmungen gelten neben dem Güterzertrümmerungsgesetz
weiter.
1150 u. 1151 Diese Nummern haben mit Wirksamkeit vom 1. Januar
1912 an folgende Fassung zu erhalten: Von großer Bedeutung für die
Viehzucht ist die Erzielung guter und zweckentsprechender Tierrassen. Die
erforderlichen Zuchttiere kann sich nicht jeder Landwirt halten, insbesondere
nicht der, der nur kleinen oder mittleren Besitz hat. In dieser Richtung ist
nun für Bayern folgendes bestimmt: Überall, wo Rinderzucht oder
Schweinezucht betrieben wird, hat die Gemeinde die erforderlichen männ-
lichen Zuchttiere zu beschaffen und zu unterhalten; sie kann
die Haltung entweder in eigener Verwaltung besorgen oder an verlässige
Viehzüchter vergeben. Der Aufwand, der für die Haltung der Zuchttiere
erwächst, ist der Gemeinde von den Besitzern zuchtsähiger weiblicher Tiere
zu ersetzen. Einzelne Tierbesitzer, die die erforderlichen Tiere selbst halten,
und Mitglieder von Züchtervereinigungen können von der Beteiligung an
der Kostenausbringung befreit werden. Es können sich auch mehrere
Gemeinden zur Haltung der erforderlichen männlichen Zuchttiere ver-
einigen.
Bullen und Eber, gleichviel wem sie gehören, dürfen zur Paarung nur
verwendet werden, wenn sie „angekört" sind. Zur Vornahme der Körun-
gen (— Prüfungen) werden für jede Gemeinde besondere Organe, sog.
„Körausschüsse" gebildet. Diese nehmen die Prüfungen der Tiere vor.
Und für diejenigen Tiere, die als zuchttauglich erscheinen, werden Zeugnisse
hierüber, die sog. Körscheine, ausgestellt; diese Tiere gelten als „angekört".
Für Gemeinden, in denen die Ziegenzucht oder die Schaf-
zucht von erheblicher Bedeutung sind, können die dargelegten Bestim-
mungen auch aus diese Tiergattungen ausgedehnt werden.
Der Nr. 1192 Satz 2 ist bei „Stellenvermittlers" folgende Anmerkung 7a
beizufügen: Die vielfach beobachteten Nachteile der bisherigen Regelung
der gewerbsmäßigen Stellenvermittelung haben zur Erlassung eines strenge
Vorschriften für Stellenvermittler enthaltenden Neichsgesetzes geführt.
Hervorzuheben ist, daß dem gewerbsmäßigen Stellenvermittler der Betrieb
bestimmter Gewerbe (z. B. Gast- und Schankwirtschaft, gewerbsmäßige
Vermietung von Wohn- oder Schlafstellen, Handel mit Kleidungs-, Ge-
brauchs-, Genuß- oder Verzehrungsgegenständen) untersagt ist, weil die
Erfahrung gelehrt hat, daß diese Gewerbe zur Ausbeutung der Arbeit-
suchenden benützt werden. Stellenvermittler, die für weibliche Personen
Stellen im Auslande vermitteln, unterliegen einer verschärften Aufsicht,
9
damit der Verschleppung (Mädchenhandel) tunlichst vorgebeugt werden
kann.
1224 Nunmehr zerfällt auch Mittelfranken in zwei Aussichtsbezirke.
1266 a Ergänzt wird dieses Gesetz durch Aussührungsvorschriften des
Bundesrats und der Einzelstaaten. Die ersteren setzen, was hier hervor-
gehoben werden mag, die dem Führer des Kraftfahrzeugs im Interesse der
Sicherheit des Verkehrs obliegenden besonderen Verpflichtungen fest.
Der großen Ausbreitung des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen, der an
den Grenzen der einzelnen Staaten nicht Halt macht, ist durch ein inter-
nationales Abkommen Rechnung getragen.
1332 Das Militärveterinärwesen wird einer Neuregelung unterstellt.
Zu Anm. 39: Die Equitationsanstalt führt nun die Bezeichnung
Militärreitschule.
In Nr. 1367 lautet der Eingang des zweiten Satzes: Ihre Stärke ist
durch das Flottengesetz vom Jahre 1900 und das Ergänzungsgesetz vom
Jahre 1906 bestimmt; sie soll nach diesen Gesetzen......usw. wie im
Texte. In Buchstabe a ist 8 Große Kreuzer durch 13 Große Kreuzer, in
Buchstabe c ist 3 Großen Kreuzern durch 4 Großen Kreuzern zu ersetzen.
Anm. 32 Abs. 1 erhält folgenden Zusatz: Einschränkungen dieses See-
beuterechts ergeben sich aus den bei Nr. 1374 b in Ziffer 6 und 11 des Nach-
trags mitgeteilten Abkommen.
Die Nr. 1373 u. 1374 erhalten folgende Neufassung:
1373 Im Jahre 1899 tagte im Haag (Holland) unter Beteiligung von
26 Staaten die erste, im Jahre 1907 unter Beteiligung von 44 Staaten
die zweite Friedenskonferenz. Die zweite Friedenskonferenz führte
zur Erneuerung der drei auf der ersten abgeschlossenen Abkommen, sowie
zum Abschlüsse von acht weiteren Abkommen. Nicht alle Staaten haben sich
jedem Abkommen angeschlossen, andere haben nur mit Vorbehalten unter-
zeichnet, weitere haben sie nicht ratifiziert. Es sind folgende Abkommen:
1374 1. zur friedlichen Erledigung internationaler
Streitfälle. Darnach sollen vor Ergreifung der Waffen immer erst
die guten Dienste oder die Vermittlung einer befreundeten Macht angerufen
werden. Zur Beilegung von Streitigkeiten, die weder die Ehre noch
wesentliche Interessen berühren und einer verschiedenen Würdigung von
Tatsachen entspringen, ist die Einsetzung internationaler Untersuchungs-
kommissionen, zur Erledigung von Streitigkeiten überhaupt ist die Ermög-
lichung internationaler Schiedssprechung vorgesehen. Als Schiedsgericht
ist, wenn nicht die Parteien sich über Einsetzung eines besonderen Schieds-
gerichts einigen, der Ständige Schiedshof zuständig, der seinen
Sitz im Haag hat;
2. zur Beschränkung der Anwendung von Gewalt
bei der Eintreibung von V e r t r a g s s ch u l d e n;
10
3. über den Beginn der Feindseligkeiten. Gefordert
wird eine unzweideutige Benachrichtigung des Gegners (mit Gründen ver-
sehene Kriegserklärung oder Ultimatum mit bedingter Kriegserklärung)
und Anzeige des Kriegszustandes an die neutralen Mächte;
1374a 4. über die Gesetze und Gebräuche des Land-
kriegs. Es setzt den Begriff des Kriegführenden fest und enthält
Bestimmungen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, der Spione
und der Parlamentäre, über die Mittel zur Schädigung des Feindes,
Belagerungen und Beschießungen, über den Waffenstillstand und über die
Behandlung der Bewohner eines mit militärischer Gewalt besetzten feind-
lichen Gebietes. Die Plünderung von Städten oder Ansiedlungen ist
verboten;
5. über die Rechte und Pflichten der neutralen
Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs. Aus
der ersten Konferenz bildete es einen Bestandteil des in Ziffer 4 erwähnten
Abkommens. Es bestimmt, welche Handlungen die Kriegführenden gegen-
über Neutralen nicht vornehmen und deren Vornahme Neutrale auf ihrem
Gebiete nicht dulden dürfen, wie bei Neutralen untergebrachte Angehörige
einer Kriegsmacht und in Pflege befindliche Verwundete zu behandeln find,
welche Personen als Neutrale anzusehen sind und wieweit das aus dem
Gebiet einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial von einem
Kriegführenden benützt werden darf;
1374 d 6. über die Behandlung feindlicher Kauffahr-
teischiffe beim Ausbruche von Feindseligkeiten. Es
beruht auf dem Grundgedanken, daß das Privateigentum auch auf See
unverletzlich ist. Weder Schiff noch Ladung dürfen deshalb eingezogen
werden;
7. über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen
in Kriegsschiffe;
8. über die Legung von unterseeischen selb st-
tätigen Kontaktminen. Grundsätzlich find nur verankerte Minen
zugelassen, zur Sicherheit der friedlichen Schiffahrt sind alle möglichen Vor-
sichtsmaßregeln zu treffen. Denn durch nicht verankerte, mit der Strömung
treibende Minen, deren Wirkungsdauer zudem zeitlich nicht begrenzt ist,
kann sowohl außerhalb des Kriegsschauplatzes als unter Umständen erst
nach längerer Zeit großer Schaden angerichtet werden, der ganz ungerecht-
fertigt an den Feindseligkeiten nicht Beteiligte trifft;
9. über die Beschießung durch Seeftreitkräfte in
Kriegszeiten. Seine Bestimmungen entsprechen im wesentlichen den
über Beschießungen in Ziffer 4;
10. über die Anwendung der Grundsätze des Genfer
Abkommens auf den Seekrieg;
11
11. über gewisse Beschränkungen in der Ausübung
des Beuterechts im Seekriege. Es erklärt die auf See aus
neutralen oder feindlichen Schissen vorgefundenen Briespostsendungen der
Neutralen oder der Kriegführenden, mögen sie amtlicher oder privater
Natur sein, für unverletzlich, schließt Fahrzeuge harmlosen Charakters und
Fahrzeuge, die mit religiösen, wissenschaftlichen oder menschenfreundlichen
Aufgaben betraut sind, von der Wegnahme aus und regelt die Behandlung
der Besatzung der von einem Kriegführenden weggenommenen feindlichen
Kauffahrteischiffe;
12. über die Rechte und Pflichten der Neutralen
im Falle eines Seekriegs. Es bestimmt, welche Handlungen die
Kriegführenden gegenüber einer neutralen Macht und umgekehrt nicht vor-
nehmen dürfen.
1374 e Diese Abkommen werden durch zwei aus der ersten Friedens-
konferenz abgegebene Erklärungen ergänzt, wonach die Verwendung von
Geschossen, deren einziger Zweck die Verbreitung erstickender oder giftiger
Gase ist, und von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper aus-
dehnen oder platt drücken (sog. Dumdumgeschosse), verboten ist.
Die bisherige Anmerkung 36 ist zu streichen.
1390 Anm. 1. Der Voranschlag des Reichshaushalts wurde für
das Rechnungsjahr 1911 in Ausgabe und Einnahme aus rund 2925 Mil-
lionen Mark festgestellt ,2708 Millionen im ordentlichen Etat und 217 Mil-
lionen im außerordentlichen Etat); dazu tritt der Etat der Schutzgebiete
mit rund 122 Millonen (83 Millionen im ordentlichen und 39 Millionen
im außerordentlichen Etat).
In Nr. 1391 haben die letzten 4 Zeilen zu lauten: durch die preußische
Oberrechnungskammer, welche durch weitere vom Bundesrat zu ernennende
Mitglieder verstärkt unter der Bezeichnung „Rechnungshof des Deutschen
Reichs" eine besondere, unabhängige Neichsbehörde bildet.
Der Schlußsatz der Anmerkung 2 zu Nr. 1392 hat jetzt zu lauten: Die
weiteren Bestrebungen, die Überweisungen auf einen bestimmten Betrag zu
fixieren und die Höhe der Matrikularbeiträge möglichst aus eine Reihe von
Jahren festzulegen, sind bisher am Widerstande des Reichstags gescheitert.
Bei Nr. 1396 erhält Anm. 3 folgende Fassung: Der Ertrag der Reichs-
steuern ist für das Rechnungsjahr 1911 zusammen aus rund 842,6 Mil-
lionen Mark veranschlagt. Darunter die Salzsteuer mit 58,2 Millionen,
die Tabaksteuer mit 14,5 Millionen, die Zigarettensteuer mit 25,8 Mil-
lionen, die Zuckersteuer mit 151,9 Millionen, die Branntweinsteuer und
Essigsäureverbrauchsabgabe mit 164,1 Millionen, die Brausteuer und die
Übergangsabgabe von Bier mit 123,4 Millionen, die Schaumweinsteuer mit
10,9 Millionen, der Spielkartenstempel mit 1,8 Millionen, die Wechsel-
stempelsteuer mit 17,2 Millionen, die Reichsstempelabgaben mit zusammen
12
198 Millionen, die Erbschaftssteuer mit 39 Millionen, die Leuchtmittel-
steuer mit 9 Millionen, die Zündwarensteuer mit 15,8 Millionen, die
Zuwachssteuer mit 13 Millionen.
Nr. 1412 Buchstabe k erhält folgende Ergänzung: Von Grundstücken,
die zu sog. gebundenem Besitz (z. B. Familienfideikommissen, s. Nr. 429,
Lehen u. a. m.) gehören, ist statt des Grundstücksübertragungsstempels eine
jährliche Abgabe von zwei Neunzigsteln 4b des Wertes zu entrichten.
Anmerkung 4 b lautet künftig: In dieser Höhe wird Stempel und
Abgabe bis 30. Juni 1914 erhoben. Für später ist eine Herabsetzung davon
abhängig, daß die Zuwachssteuer (Nr. 1414 c) ein bestimmtes Mindest-
erträgnis einbringt.
Als Nr. 1414 c ist einzuschalten: 14. Die Zuwachs st euer. Sie
wird beim Übergang des Eigentums an inländischen Grundstücken von dem
Wertzuwachs erhoben, der ohne Zutun des Eigentümers entstanden ist.
Sie beträgt 10 %, wenn der Wertzuwachs nicht mehr als 10 % beträgt,
und steigt bis zu 30 %. Das Reich erhält von dem Ertrag der Zuwachs-
steuer die Hälfte, zwei Fünftel erhalten die Gemeinden, in deren Bereich
das Grundstück sich befindet, ein Zehntel erhalten die Bundesstaaten als
Entschädigung für die Verwaltung und Erhebung der Steuer.
Nr. 1415 Anm. 6: Für das Rechnungsjahr 1911 sind die Zölle auf
638,3 Millionen Mark veranschlagt.
1434 Die Ausnahme in den bayerischen Staatsforst-
verwaltungsdienst (höherer Forstdienst) Anm. 5 Absatz 1 ist neu
geregelt. Studierende, die eine Anstellung in dem bayerischen Staatsforst-
verwaltungsdienst erstreben, müssen das Reifezeugnis einer im Deutschen
Reich gelegenen neunklassigen Mittelschule (humanistischen Gymnasiums,
Realgymnasiums oder einer Oberrealschule) und letzterenfalls auch die
erforderlichen Kenntnisse in der lateinischen Sprache besitzen; sie müssen
dann ein mindestens vierjähriges Fachstudium, und zwar für die Regel an
der Universität München zurücklegen. Auf Grund dieses Studiums haben
sie sich einer Zwischenprüfung und der sog. theoretischen Schlußprüfung zu
unterziehen; der ersteren hat ein wenigstens viersemestriges, der letzteren
ein weiteres zweijähriges Fachstudium vorherzugehen. Haben sie die letztere
Prüfung bestanden, so müssen sie beim Finanzministerium um Zulassung
als Anwärter des bayerischen Staatsforstverwaltungsdienstes nachsuchen;
diese Zulassung finden sie nur dann, wenn sie den Nachweis der vollen Feld-
diensttauglichkeit erbringen. Die aufgenommenen Anwärter, „die Forst-
praktikanten", haben einen dreijährigen Vorbereitungsdienst bei bayerischen
Staatssorstbehörden abzuleisten und dann sich der Prüfung für den baye-
rischen Forstverwaltungsdienst zu unterziehen.
Nr. 1444 Die direkten Steuern Bayerns. 1. Im allgemeinen. Mit
Wirkung vom 1. Januar 1912 ab sind die direkten Steuern Bayerns
13
vollständig neu geregelt. Die Grundlage der Besteuerung bildet von
da an auch in Bayern eine allgemeine Einkommensteuer; dazu treten
ergänzend Ertragssteuern, nämlich die Grundsteuer und die Haus-
steuer, welche beide Veränderungen erfuhren, dann die Gewerbsteuer,
die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen (diese in ihrer
bisherigen Gestalt mit einer geringen Änderung) und die Kapital-
rentensteuer. In diesen einzelnen Gesehen sind gewisse ziffernmäßige
Steuersätze festgestellt. Damit ist aber die Staatsregierung noch nicht
ermächtigt, die Steuer zu erheben, sondern sie muß hierzu erst durch das
für jede Finanzperiode ergehende Finanzgesetz ermächtigt werden; in diesem
wird auch bestimmt, ob die Steuern mit den in den einzelnen Gesetzen fest-
gesetzten Beträgen als „Normalsteuer" oder ob sie mit einem Prozentsätze
der Normalsteuer und mit welchem Prozentsätze sie zu erheben sind.
1444 a Die (allgemeine) Einkommen st euer, eingeführt
vom 1. Januar 1912 an.
Der Steuer unterliegen die gesamten Jahreseinkünfte in
Geld und Geldeswert, einschließlich des Mietwerts der Wohnung im eigenen
Hause und des Wertes der zum Haushalte verwendeten Erzeugnisse und
Waren der eigenen Betriebe; es unterliegen ihr insbesondere die Ein-
künfte aus Grundstücken, Gebäuden und dem Betrieb der Land- und Forst-
wirtschaft, ferner aus Handel, Gewerbe und Bergbau, weiter aus Kapital-
vermögen, endlich aus Dienst- und Arbeitsverhältnissen, wissenschaftlichen
oder künstlerischem Beruf oder anderer gewinnbringender Beschäftigung.
Dagegen fallen nicht unter die Steuer Vermehrungen des Stammver-
mögens wie Erbschaften, Vermächtnisse, Schenkungen, Kapitalsauszah-
lungen aus Lebens- und Unfallversicherungen, Lotteriegewinne und ähn-
liche außerordentliche Einnahmen. Es sind auch gewisse Einkünfte aus
besonderen Gründen steuerfrei, wie z. B. Leistungen aus einer Kranken-
versicherung an die Versicherten, Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder von
öffentlichen Stiftungen für Zwecke des Unterrichts, der Erziehung, der
Wissenschaft und der Kunst u. a. Das Einkommen der Ehefrau wird hier-
bei gemeinsam mit dem des Mannes veranlagt, diese einheitliche Ver-
anlagung unterbleibt nur, wenn die Ehegatten dauernd getrennt leben.
An dem Einkommen dürfen die sogenannten Betriebsausgaben, d. h. die
zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einkünfte gemachten Aus-
gaben, ferner eine Reihe weiterer im Gesetze einzeln bezeichneter Ausgaben,
sog. Verbrauchsausgaben, abgezogen werden. Als Betriebsausgaben
erscheinen z. B. Mietzinse für die Gebäude, in denen ein Gewerbe betrieben
wird, die Unterhaltungskosten für bauliche Anlagen und Maschinen, Ab-
schreibungen für Abnützungen, Ausgaben für Heizung und Beleuchtung,
Aufwendungen für Gehalte und Löhne an die für den Betrieb angenom-
menen Personen u. a. Als abziehbare Verbrauchsausgaben gelten z. B.
Schuldzinsen, Beiträge an Versicherungen (Kranken-, Unfall-, Sterbe-,
14 —
Alters- usw. Versicherungen), soweit sie zusammen jährlich nicht mehr als
400 M. betragen, u. a.
Aus dem so berechneten Reineinkommen wird die Steuer nach Maß-
gabe eines Steuertariss erhoben, der die Steuer nach Einkommens-
stufen besonders bestimmt. Der Mindestsatz ist 1 M. für Einkommen
zwischen 601 und 700 M. Als weitere Sätze mögen hervorgehoben werden:
Es beträgt die Steuer für Einkommen zwischen 1001—1100 M. 6 M.; für
solche zwischen 2001 und 2100 M. 25.50 M.; für solche zwischen 4001 und
4200 M. 84.50 M., für solche zwischen 8001 und 8200 217 M.; für solche
zwischen 80 001 und 81 000 M. 3390 M. Ausnahmsweise werden auch Ein-
kommen unter 600 M. steuerpflichtig. In gewissen Fällen treten Ermäßi-
gungen ein. Ein Steuerpflichtiger, dessen Einkommen nicht mehr als
3000 M. beträgt und aus Grund gesetzlicher Verpflichtung Abkömmlingen
Unterhalt zu gewähren hat, kann folgende Ermäßigungen verlangen: Bei
einem oder zwei Abkönunlingen um eine Tarisstuse, bei drei oder vier um
zwei Tarifstufen, bei fünf oder sechs um vier Tarisstufen, bei sieben oder
mehr um sechs Tarisstufen. Ähnliche Ermäßigungen, aber erst bei minde-
stens drei Abkömmlingen, bestehen bei Einkommen bis 5000 M. Bei an-
dauernden Krankheiten, besonderen Unglückssällen, außergewöhnlicher
Belastung durch Unterhalt von Abkömmlingen können auch Einkommen
bis zu 6000 M. Ermäßigungen erhalten.
Vollständig einkommen steuerfrei sind das Reich, der Staat,
die Gemeinden, die öffentlichen Kirchengesellschasten, die Kirchengemeinden,
gemeinnützige Genossenschaften u. a., ferner natürliche (der Gegensatz ist
juristische) Personen, deren Einkommen nicht mehr als 600 M. beträgt;
männliche bayerische Staatsangehörige, deren Einkommen mehr als 300 M.
beträgt, genießen diese Steuerfreiheit nicht, wenn sie nicht schon eine andere
direkte Steuer von jährlich mindestens 50 Pf. entrichten.
Die Veranlagung der Steuer geschieht in folgender Weise:
Die Gemeinden stellen sogenannte Personenverzeichnisse, das sind Verzeich-
nisse der in der Gemeinde befindlichen Steuerpflichtigen aus. Die Grund-
lagen dieser Personenverzeichnisse bilden die sog. Hauslisten, die von den
Hausbesitzern, und die sog. Lohnlisten, die von den Arbeitgebern auszustellen
sind. Eine weitere Grundlage für die Veranlagung bilden die Steuer-
erklärungen; diese sind von den Steuerpflichtigen selbst abzugeben, sie haben
zu enthalten das Gesamtjahreseinkommen, die darauf ruhenden Lasten
und gewisse sonstige für die Steuererhebung erhebliche Umstände. Das
Rentamt nimmt eine Nachprüfung vor. Die Veranlagung selbst erfolgt
durch Steuerausschüsse. Für jedes Rentamt werden verschiedene Steuer-
bezirke gebildet, für jeden Bezirk wird ein Ausschuß gewählt; jeder Aus-
schuß besteht aus einem Vorsitzenden und drei bis sechs ständigen Mitglie-
dern; die Wahl der letzteren erfolgt durch die Organe der Gemeinden, unter
Umständen durch die Organe der Distrikte, die Vorsitzenden werden von den
Regierungsfinanzkammern ernannt. Gegen die Beschlüsse der Steueraus-
schüsse ist Berufung an die Berufungskommissionen zulässig. Solche
bestehen je eine für jeden Regierungsbezirk, sie bestehen aus einem vom
Finanzministerium ernannten Vorsitzenden und fünf von dem Landrat oder
dem Landratsausschuß gewählten Mitgliedern. Gegen die Entscheidungen
der Berufungskommission findet Beschwerde an die beim Finanzmini-
sterium gebildete Oberberufungskommission statt. Letztere besteht aus stän-
digen Mitgliedern, die die Staatsregierung ernennt, und aus nicht stän-
digen, die die Landräte oder Lundratsausschüsse der einzelnen Kreise
wählen.
1445 Die Grundsteuer. Bei ihr ist mit Wirkung vom 1. Januar 1912
eine Änderung insofern eingetreten, als nunmehr nicht mehr bloß die
Steuerverhältniszahl im Gesetz festgesetzt ist, sondern zugleich bestimmt ist,
daß von jeder Einheit der Steuerverhältniszahl vier Pfennig als Jahres-
steuer zu erheben sind. Hierbei wird dann wieder durch das Finanzgesetz
für die einzelnen Budgetperioden bestimmt, ob bloß diese zwei Prozent
(als Normalsteuer) zu erheben sind oder ob wieder ein Prozentsatz hiervon
zu erheben ist; s. Nachtr. Nr. 1444.
1449 Die Haussteuer. Hinsichtlich ihrer ist mit Wirkung vom
1. Januar 1912 eine Änderung insofern eingetreten, als nunmehr auch bei
ihr, wie bei den übrigen direkten Steuern, nicht mehr bloß die Steuer-
vcrhältniszahl festgesetzt ist, sondern zugleich bestimmt ist, daß hiervon zwei
Prozent als Jahressteuer zu erheben sind. Hierbei wird dann wieder
durch das Finanzgesetz bestimmt, ob bloß diese zwei Prozent (als Normal-
steuer) zu erheben sind oder ob wieder ein Prozentsatz hiervon zu erheben
ist; s. Nachtr. Nr. 1444.
1452—1454 Die spezielle Einkommensteuer ist ab 1. Januar 1912 be-
seitigt; an ihre Stelle tritt die allgemeine Einkommensteuer; s. Nr. 1444
des Nachtrags.
1455 Die Kapitalrentensteuer. Sie ist vom 1. Januar 1912 an zu
entrichten aus den Erträgen in Geld und Geldeswert aus Kapitalvermögen
(den sog. Kapitalrenten). Darunter fallen insbesondere Zinsen aus Dar-
lehen, Sparkasseneinlagen, Kontokorrentguthaben, ferner Dividenden und
sonstige Gewinnanteile von Aktiengesellschaften, Genossenschaften, Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung u. ä. Der Kapitalrente des Mannes ist
die der Frau, ähnlich wie bei der Einkommensteuer, hinzuzurechnen. An
dem Kapitalrentenbetrage dürfen die Schuldzinsen, soweit sie nicht Be-
triebsausgaben im Gewerbebetrieb des Pflichtigen sind, ferner die einem
steuerbaren Kapitalrentenbezuge durch besonderen Verpflichtungsgrund auf-
erlegten Lasten des bürgerlichen Rechts abgezogen werden.
Die Steuer wird nach einem nach der Höhe der Rente abgestuften
D a r i f erhoben. Sie beträgt darnach bei Kapitalrenten von 70—100 M.
1 %, Bet solchen bort nte^r als 100—400 M. 114 % unb steigt so loeitei Bis
sie die Höchstgrenze von 2 % Bei Kapitalrenten von mehr als 1000 M. an
erreicht.
Steuerfrei sind Witwen, geschiedene oder verlassene Ehefrauen,
vaterlose Minderjährige, erwerBsBeschränkte Personen, wenn ihre Kapital-
rente nicht mehr als 400 M. und ihr Gesamteinkommen nicht mehr als
800 M. Beträgt. Unter gewissen Voraussetzungen treten Ermäßigungen an
den Tarifsätzen ein, so Bei Steuerpflichtigen, deren Kapitalrente nicht mehr
als 1000 M. und deren Gesamteinnahmen nicht mehr als 2000 M. Beträgt,
Bis zur Hälfte. Die Veranlagung erfolgt in ähnlicher Weise wie
Bei der Einkommensteuer auf Grund von Steuererklärungen der
Pflichtigen.
1457 Die Gewerbesteuer von stehenden Gewerben. Diese ist ab
1. Januar 1912 in folgender Weise geregelt.
Cs unterliegen ihr die in Bayern Betriebenen Gewerbe, ein-
schließlich des Bergbaus und der aus Ausbeutung von Steinbrüchen und
Gewinnung von Kalk, Zement, Ton u. dgl. gerichteten Unternehmungen.
Ausgeschlossen sind von ihr die Land- und die Forstwirtschaft, die Jagd, die
Fischerei, der Obst-, Wein- und Gartenbau mit Ausnahme der Kunst- und
Handelsgärtnerei, die im Umherziehen betriebenen Gewerbe und die staat-
lichen Verkehrsanstalten. Gewerbesteuerfrei sind das Reich, der bayerische
Staat und gemeinnützige Genossenschaften.
Die Gewerbesteuer setzt sich aus einer Betriebskapitals-
anlage und einer Ertragsanlage zusammen. Den Maßstab
der Betriebskapitalsanlage bildet der Wert des Betriebskapitals. Zum
Betriebskapital gehören sämtliche dem Gewerbebetriebe gewidmeten Gegen-
stände und Rechte mit Ausnahme jener, die der Grund- und Haussteuer
unterliegen, so z. B. die Maschinen, die Werkzeuge, die Tiere, die Urheber-
rechte, die Vorräte an Kohlen und Holz, die Rohstoffe, die zum Verkauf
bestimmten Vorräte u. a. Den Maßstab für die Ertragsanlage bildet der
gewerbliche Reinertrag. Zur Berechnung der Steuer im einzelnen sind
Tarife aufgestellt, in denen nach der Höhe des Betriebskapitals die Betriebs-
anlage und nach der Höhe des Reinertrags die Ertragsanlage einzeln aus-
geworfen sind, so ist z. B. bei einem Betriebskapital von mehr als 4000 bis
6000 M. die Betriebskapitalsanlage auf 1,50 M., und bei einem Reinertrag
von mehr als 1500—2000 M. die Ertragsanlage auf 1,50 M. festgesetzt.
Bei Gewerbetreibenden, deren Betriebskapital nicht mehr als 4000 M. be-
trägt, wird keine Betriebskapitalsanlage und bei solchen, deren Reinertrag
nicht' mehr als 1500 M. beträgt, keine Ertragsanlage angesetzt. Doch besteht
insoweit eine Pflicht zur Entrichtung von Gemeindeumlagen.
Die V e'tan'lä gür n g der Steuer beginnt mit der Aufstellung
des Gewerbeverzeichnisses, d. i. ein von der Gemeindebehörde hergestelltes
Verzeichnis ber^fftt Gemeindebezirke betriebenen Gewerbe, ihrer Unter-
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nehmer und Vertreter; die Gemeinde kann hierzu die Mitwirkung der
Hausbesitzer in Anspruch nehmen. Außerdem hat jeder Gewerbetreibende
auf öffentliche Aufforderung der Gemeinde eine Steuererklärung abzu-
geben, d. h. eine schriftliche oder zu Protokoll der Gemeindebehörde abge-
gebene Erklärung über seine für die Berechnung der Steuer erheblichen Ver-
hältnisse; der Erklärung ist die Versicherung beizufügen, daß sie nach bestem
Wissen und Gewissen gemacht wird. Die weitere Behandlung der Veran-
lagung durch die Rentämter, die Steuerausschüsse, die Berufungskommis-
sionen und die Oberberufungskommission ist im wesentlichen die gleiche,
wie bei der Einkommensteuer.
1461 Die Warenhaussteuer ist mit Wirkung vom 1. Januar 1912 an
durch ein besonderes Gesetz neu geregelt, sie fließt nun den Gemeinden zu;
siehe wegen des näheren Nachtr. Nr. 735 b.
1462 Ein Teil der Hausiersteuer fällt nunmehr nicht mehr dem Staat,
sondern den Gemeinden zu, und zwar die Beträge, die von den sogenannten
Wanderlagern entrichtet werden; von letzteren spricht man dann, wenn sich
der den Gewerbebetrieb im Umherziehen Treibende vorübergehend in einem
Orte eine feste Verkaufsstelle einrichtet.
1464 Der Malzaufschlag. Auch diese Abgabe wurde neu geregelt. Ihr
unterliegt das zur Bierbereitung innerhalb Bayerns bestimmte, in Bayern
geschrotete Malz; Malz ist künstlich zum Keimen gebrachtes Getreide. Um
sämtliches Bier mit der Abgabe zu treffen, ist weiter bestimmt, daß zur
Bierbereitung andere Stosse als Malz, Hopfen, Hefe und Wasser nicht ver-
wendet werden dürfen. Der Malzaufschlag bemitzt sich nach dem Gesamt-
malzverbrauch der einzelnen Brauereibetriebe innerhalb eines Jahres; er
beträgt bis zu 1000 Doppelzentnern Malzverbrauch 15 M. für jeden Doppel-
zentner und steigt allmählich bis zu 20 M. für den Doppelzentner; der
Höchstsatz tritt ein bei einem Malzverbrauch von mehr als 6000 Doppel-
zentnern. Für neue Brauereien erhöhen sich die Sätze für die Regel um
25 Proz. Bei der Ausfuhr von Bier, das aus versteuertem Malz hergestellt
ist, kann der Malzausschlag zurückvergütet werden.
1466 Die Hundegebühr ist mit Wirkung vom 1. Januar 1912 an durch
eine neue Abgabe, die nun Hundeabgabe heißt, ersetzt; sie fließt den
Gemeinden zu; wegen des Näheren siehe Nachtr. Nr. 735 c.
1469—1471 Die bayerische Steuerreform. Sie ist nunmehr durch-
geführt; und es hat ihr zufolge die bayerische Steuergesetzgebung die im
Nachtrag dargestellte Gestaltung erfahren.
Georp-e< k^-rt-lnstifcrt
für ir x '/iöiionale
______________ SchulL.. • lorschung
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®ei,u*t*wvHt>tbliothoW
G. Braunsche Hofbnchdruckerei und Verlag, Karlsruhe 14
Die Gemeinschädlichkeit der
konstruktiven Jurisprudenz
Eine wissenschaftliche Streitschrift
von
Rechtsanwalt Ernst Fuchs, Karlsruhe
Preis M 3.60
Die Schrift verwirft unser ganzes juristisches System, die soge-
nannte „konstruktive" Jurisprudenz, als falsch und zeigt einer völlig
neuen psychologisch-soziologischen Rechtslehre den Weg.
„Es ist ein geradezu vernichtendes Urteil, das der bekannte geistvolle
Vorfechter der freiheit-rechtlichen Bewegung in Deutschland über den Unwert
unsrer heutigen gelehrten Rechtswissenschaft und Rechtspraxis des Zivilrechts
und des Zivilprozeßrechts fällt. . . . Sein Buch muß in der Tat revolu-
tionierend wirken. . . . Nicht nur dem zünftigen Juristen, auch dein an einer
gesunden Rechtspflege interessierten Laien bietet diese Kampfschrift viel Anregung
und Belehrung." Die Hilfe.
„......Wäre die Fuchssche Methode in unserer Gesetzgebung und in
unserer gerichtlichen Praxis verwirklicht, so würden zweifellos die meisten
Klagen über unsere Justiz bald verstummen und zum Segen des Pub-
likums das Hauptinteresse der Juristen von den heute so üppig wuchernden
und so hoch bewerteten begrifflichen, an die Gesetzesbuchstaben anknüpfenden
Deduktionen auf die fehlerfreie Erkenntnis des „Tatbestandes" gelenkt werden. Die
richtige Entscheidung zu finden, wird alsdann der fach-, lebens- und menschen-
kundigen Jnteresseiiabwäguiig nicht schwer fallen." Kölnische Zeitung.
„......Aus allen grotesken Fuchs'schen Kapuzinaden schaut das
Auge eines scharfen Beobachters, das Antlitz eines tvarmen Ide-
alisten heraus, dem das „richtige Recht" Herzenssache ist."
Deutsche Juristen-Zeituug.
„......Namentlich au Ernst Fuchs kann kein Jurist vorübergehen.
Mag er auch seinen Radikalismus, der sich übrigens nicht auf das Gebiet
des Rechts beschränkt, beklagen und die Maßlosigkeit in seiner Kampfesart
verwerfen, ohne den größten Nutzen wird keiner seine kenntnisreichen und
geistvollen Schriften lesen."
Oberlandesgerichtspräsident Dr. Börngcn, Jena
in der Verfügung vom 5. Mai 1910, bctr. die Ausbildung der Referendare.
Zn beziehen durch jede Buchhandlung oder direkt vom Berlag
G. Brauns che Hofbuchdruckerei und Verlag, Karlsruhe 14
Zivilprozeßordnung
nebst Gerichtsverfassungsgesetz
UE" für Gerichlsschreilrereibeamte "MW
zur Einführung in das Studium
und zum praktischen Gebrauch
Mit Mustern zu Protokollen ac. sowie einem Examiuatori um
Von Dr. A. Glock, Landgerichtsrat
Zweite, umgearbeitete und vermehrte Auslage
nach dem Tode des Verfassers von E. Burger, Notariatsinspektor
Preis in Leinwand gebunden M 4.80.
(Berücksichtigt u. a. auch die Novelle vom 1. Juni 1909 und bringt
in einem Nachtrag, der kostenlos beigegeben wird, die neuen Än-
derungen der Geschäftsordnungen, sowie die Bestimmungen
des neuen bad. Hinterlegungsgesetzes und des Gesetzes vom
22. Mai 1910 betr. die Zuständigkeit des Reichsgerichts).
„ . . . Ein Werk, für das wir dem Verfasser Dank sagen
müssen! Selten hat ein für Anwärter bestimmtes Lehrbuch seiner
ganzen Anlage nach so völlig unseren Beifall gefunden wie das
vorliegende. Man ersieht aus der Bearbeitung, lute vertraut dem
Herausgeber die Schwierigkeiten sind, die gerade der Gerichtsschreiber-
kandidat beiin Studium von Gesetzen hat, die ihm in keiner Weise
vorher erschöpfend vom Lehrstuhl aus erörtert sind. Rapps Leitfaden
ist wesentlich durch erschöpfendere Darstellung, die durchaus einfach
gehalten ist, übertroffen. Sehr gut gewählt sind die bei den ein-
zelnen Stellen eingefügten Beispiele von Anträgen, Protokollen, Klagen
usw. Wir freuen uns, daß das Werk einerseits nicht zu reich au
Stoff, anderseits nicht allzu dürftig ausgefallen ist, sondern die richtige
Mittelgrenze getroffen hat. Wir wünschen dem Werke reiche Ver-
breitung bei den Kandidaten des Gerichtsschreiberamtes. Als Hilfs-
mittel zur Ausbildung wird es auch in den Gerichtsschreibereien nicht
fehlen dürfen." Zeitschrift für mittlere Justizbeamte.
Zn beziehen durch jede Buchhandlung oder direkt vom Verlag
Organ des Deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung.
Schriftleitung: Clara Sander, Else Wirminghaus, beide in Köln. Erscheint
am I. jeden Monats (mit Ausnahme von Juli und August) und kostet
jährlich 6 Mark, halbjährlich (5 Hefte) 3 Mark. Unter Mitwirkung
hervorragender Schriftsteller und Schriftstellerinnen herausgegeben, ent-
hält die Zeitschrift einen redaktionellen und einen technischen Teil,
beide mit zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen, und einen
Schnittmuster-Bogen. JMPT Probehefte unberechnet uizd portofrei. "MG
Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder direkt vom Verlag:
G. Braunsche Hofbuchdruckerei und Verlag, Karlsruhe.