Verlag von Rermann Gesemuö in Ralle (Baale)
Fiir den neuzeitlichen Geographie- und Geschichtsunterricht empfehle ich:
Gegenwartskunde für die Schule. Herausgegeben von Seminarlehrer Otto
Ottsen. 1. Jahrgang 1916. Heft 1 — 12 zusammen M. 4,—. Einzelpreis des
Heftes M. — HO.
Heft 3. Die Balkanhalbinsel.
Heft 7. Aus der deutschen Vergangenheit des westlichen Kriegsschauplatzes. Von
Seminaroberlehrer Peter Geiß in Mors.
— Aus der Wirtschaftsgeographie des westlichen Kriegsschauplatzes. Von Se-
minarlehrer Otto Ottsen in Mörs.
Heft 9. Die Türkei.
Heft 12. Vom Kampf des Deutschtums im Osten. Von Seminaroberlehrer Peter
Geiß in Mörs.
Gegenwartskunde für die Schule. Herausgegeben von Seminarlehrer Otto
Ottsen. 2. Jahrgang 1917. Heft 1 —12 zusammen M. 4,—. Einzelpreis des
Heftes M. —50.
Heft 2 und 3. Unser Außenha-'
Heft 5. Kurland und seine Nai
Heft 7. Die Vereinigten Staatl co
Heft 8. Deutschlands Weltpolit M 55=11 Direktor Dr. Ernst Hartmann in
Grünberg. 00 ^
Spiekmann, Dr. G., Z>er Gest Z 11— ^ t in ausgeführten Lektionen.
Für die Hand des Lehrers ^ en methodischen Grundsätzen und
den neuen ministeriellen Be B Sf=5 ^ Beitet.
Teil I: Die Hohenzollern von t ^ i — II. bis zum Großen Kurfürsten.
Für die Mittelstufe von — ittelschulen und die Unterklassen
höherer Schulen. Viert« uj Ungebunden M. 2,80 u. Teue-
ruugszuschlag 70 Pf.; ge n. Teuerungszuschlag M- 1,—.
Teil II: Deutsche Geschichte von d> Z I — 's zum Ende des Großen Krieges.
Für die Oberstufe vou O »ttelschulen und die Mittelklassen
höherer Schulen. Dritte Auflage. 1913. Ungebunden M- 5,20 u. Teue-
rungszuschlag M. 1,30; gebunden M- 6,20 u. Teuerungszuschlag M. 1,60.
Teil III: Preußisch-deutsche Geschichte vom Ende des Großen Krieges bis zum Be-
ginn des 20. Jahrhunderts. Für die Oberstufe von Volks- und Mittel-
schulen und die Mittelklassen (Tertia, Untersekunda) höherer Schulen.
Dritte Auflage. 1016. Ungebunden M. 7,— u. Teuerungszuschlag M. 1,75;
gebunden M-8,— u. Teuerungszuschlag M. 2,—.
Schülerhefte für den Geschichtsunterricht in der Mittelschule. Bearbeitet
von vi. C. Spiclmann.
Heft 1: Die Hohenzollern vou Kaiser Wilhelm II. bis zum Großen Kurfürsten.
4. Aust. 1915. Kart. 50 Pf. u. Teueruugszuschlag 13 Pf. — Heft 2: Griechische,
römische und älteste deutsche Geschichte. 1911. KartA90 Pf. u. Teueruugszuschlag
25 Pf. — Heft 3: Deutsche Geschichte von der Völkerwanderung bis zum Ende des
Großen Krieges. 3. Ausl. 1911. Kart. 80 Pf. n. Teuernngsznsthlag 20 Pf. — Hest-1:
Preußisch-deutsche Geschichte vorn Ende des Großen Krieges bis zimr Beginn des.
20. Jahrhunderts. 3. Ausl. 1911. Kart. M- 1,— u. Teueruugszuschlag 25 Pf.
Verlag voti Dermatiti Gelenius in Dalle (Saale).
Kyringßaus, Professor Kr.) Die Vorgeschichte des Weltkrieges oder die
wichtigsten Katfachen der neuesten deutschen Geschichte von 1870
öis 1914. 1917. Kurz und verständlich dargestellt. In steifen Umschlag ge-
heftet. 60 Pfennig.
Inhalt: A. Festland.Politik unter Wilhelm I. und Bismarck. 1. Das Dreikaiserverhältnis
1872—78. — 2. Der Berliner Kongreß (1878) und seine Folgen. Der Dreibund (1882). —
3. Die bulgarisch-französische Krisis (1888) und ihre Folgen. — B. Wcltpolitik unter Wilhelm 11.
1. Die Annäherung Deutschlands an England 1890—94. — 2. Der Eintritt Japans und Nord-
amerikas in die Weltpolitik. Die wachsende Mißstimmung zwischen Deutschland und England
1895—1900. — 3. Burenkrieg. Chinawirren und Bruch mit England 1901. — 4. Die Ein-
kreisungspolitik Eduards VII. 1901—1907. Das englisch-französisch-russische Einvernehmen.
— 5. Die ersten Machtproben des Dreiverbandes 1908—1911. a) Die bosnische Krisis 1908.
b) Die zweite Marokkokrisis und der Tripoliskrieg 1911. — 6. Entspannungs- und Ver-
ständigungsjahre 1911—1913. — 7. Die Balkankriege 1912—13 und Neugruppierung der Mächte-
— 8. Vorbereitungen zum Weltkrieg durch Rüstungen und Abkommen 1912—14. — 9. Aus-
bruch des Weltkrieges 1914. - 10. Schluß.
Ist eS nach seinem Gewände auch nur ein Büchlein, so ist es doch nach seinem Inhalt ein bedeutungs-
volles Buch. Denn es bringt nichts anderes als die neueste deutsche Geschichte von 1870 bis 1914, allerdings
knapp, aber äußerst klar, allerdings gedrängt, aber doch überzeugend. Und mit diesen wichtigsten Tatsachen
aus dem 44 jährigen Zeitraum wird die Vorgeschichte zum Weltkriege entrollt. Denn die unselige Tat am
28. Juni 1914 war ja bloß der äußere Anlaß, der die längst gelegten Minen explodieren ließ. Weil so das
Buch eine klare, warme, bestimmte überzeugende Antworr auf die Frage: Wer trägt die Schuld am Welt-
kriege? gibt, wird es allen Deutschen, groß und Hein, warm empfohlen. Der geringe Preis ermöglicht leicht
die Anschaffung jedem deutschen Hause.
Rektor Friemel in Neukölln in „Die Schulpflege". 23. Jahrg. Nr. 44 v. 3.11. 17.
In seiner Schrift „Die Vorgeschichte des Weltkrieges" (Halle, Eesenius, 1917) hat es der Verfaffer,
Prof. Ehringhaus, verstanden, die sür die Politik Deutschlands wichtigsten Tatsachen der letzen 44 Jahre
mit sicherem Blick herauszuziehen und ln guter Gliederung übersichtlich vorzuführen. Dem Leser wird auf
diese Weile in anschaulicher Form ein Überblick über die politische Geschichte der neuesten Zeit vermittelt,
der dem Geschichkslehrer als Ergänzung des in dem eingeführten Lehrbuche gebotenen Stoffes überaus will-
kommen sein muß, um so willkommener, als die Schrift einen Einbrick in Verhältnisse gewährt, denen der
reifere Schüler sicherlich das lebhafteste Interesse entgegenbringt. Auch der gebildete Erwachsene wird das
Bändchen, das ihm auf 36 Seilen eine treffliche Übersicht dielet, gern und mit Nutzen zu Rate ziehen.
Geh. Studtenrat vr. Qutehl, Direktor der Oberrealschulei zu Cassel.
„Kurz und verständlich dargestellt" — diese Worte trägt das Schriftchen auf dem Titelblatt,
und diese Ankündigung wird vollständig erfüllt. Der Verfasser verfolgt den Gang der auswärtigen Politik
von 1871 bis zum Jahre 1914, überall die großen Züge herausarbeitend. Gerade das eben braucht der
Laie, der sich in einem weitangeleglen Werke mit allen Einzelheiten der großen Politik nicht zurecht finden
würde, und gerade die großen Richtlinien braucht der Schüler. Deshalb verdient diese kleine Schrift nicht
nur in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes gelesen zn werden, sondern sie verdient, auch Ein-
gang in die Schule zn finden. 0r. Engelmann.
Die Gabe, die der Verfasser in seinem Lernbuch der „Staatsbürgerkunde" bewiesen hat, weite und
verwickelte Gebiete kurz, klar und ilbersichtllch darzustellen, tritt auch in dem vorliegenden Werkchen wieder
zutage. Wir durchschreiten an seiner Hand die geschichtliche Entwicklung von 1870—1914, und der Kundige
merkt schnell, es ist eine sicheie, mit dem Stoffe wohl vertraute Hand, die hier führt. Alles Nebensächliche
bleibt unberührt, alles Wichtige wird knapp und klar dargestellt und in seiner Bedeutung gewürdigt. Das
Urteil bleibt bei aller Bestimmtheit stets sachlich und maßvoll. In erster Litlie werden dein Verfasser
Lehrende und Lernende aller Schulgattungen für diese Gabe dankbar sein; doch wäre es schade, wenn
das Heftchen auf diese Kreise beschränkt bliebe. Die schlichte und sachliche aller Phrase abholde Dar-
Verlag von Hermann Gelenius in Ralle (Saale)
stelluug machen es für Leser aller Bildungsgrade geeignet. Auch die Angehörigeil unserer gebildeten
Stämme haben ja bisher der Führung unserer äutzeren Politik nur sprunghaft und dann meist ge-
fühlsmäßig ihre Teilnahme zugewandt. Möchten recht Viele Von ihnen sich durch dies Büchlein zu ein-
gehenderer Beschäftigung mit diesen Fragen anregen lassen. Den Weg dazu weist ihnen der Ver-
fasser im Vorwort. Prof. Krüdener, Oberlehrer an der Oberrealschule tu Cassel.
Au breit ausladenden wie kurz gefaßten Darstellungen der weltpolitischen Ereignisse, die 1914 zur
Weltkatastrophe führten, ist auf dem Büchermarkt kein Mangel. Historiker von Beruf, Offiziere, Tages-
schriftsteller haben sich an der Aufgabe versucht, oft mit dem Bestreben, eine Hauptwurzel des erschütternden
Geschehens aufzudecken. So sind manche Werke nicht frei von Einseitigkeit, andere ungleichwertig in ihren
Teilen, noch anderen mangelt die Gabe, das scheinbar einfachste zu leisten, dem schlichten, ungelehrten Sinn,
den vielfältig verknüpften und verfilzten Zusammenhang des politischen Spiels und Wideriptels zu klären
und zu deuten. Das ist nun eine recht dankbare Aufgabe für erfahrene Schulmänner, die aus lebensvoller
Praxis die klare Gestaltung des Stoffes und den Ton des Vortrages zu finden wissen. Die oben angezeigte
Arbeit des Professors Ehringhaus ist aus solcher Werkstatt eines erfahrenen Pädagogen hervorgegangen.
Das Merkchen will auf 36 Seiten einführen in die tiefliegenden Ursachen des Weltkrieges, die inneren
Gründe aufzeigen, aus denen die furchtbare Saat anwuchs. Die scharf gegliederte Darstellung führt uns von
dem Dreikatserverhälinis 1872—78 durch alle wichtigen Probleme und ih>e Verknüpfung hindurch bis in die
entscheidenden Tage von 1914. Der Fachmann spürt hinter den knappen Formulierungen die gründliche, auf
eingehender Literaturkenntnis beruhende Sachkunde des Verfassers und freut sich an der echt volkstümlichen,
unbedingt klaren und anschaulichen Sprache, die eine besonders schätzenswerte Gabe ist. Aufrichtig kann
daher die Schrift dem Lehrer empfohlen werden, der für die Gestaltung seines Unterrichts nach einem
zuverlässigen Führer sucht, für die Hand des Schülers ist sie das geeignete Lernbuch, für weiteste
Kreise eine gründliche und doch leicht begreifliche Auseinandersetzung unserer politischen Jüngstver-
gangenheit und Einführung in das Verstehn der Jetztzeit.
Wenn bei dem kritischen Leser einzelne Wünsche nach breiterer Berücksichtigung mancher Punkte oder
Heranziehung noch weiterer Gcdanken sich regen, so beruhen diese Anregungen z. T. auf persönlicher Meinung,
oder waren bei der gebotenen knappen Fassung schwer anzubringen.
Mit Recht erblickt Verf. in dem beispiellosen Emporblühen des deutschen Reiches den gewichtigsten
Grund fitr die Feindschaft der Welt gegen uns. Deshalb würde ich es gern gesehen haben, wenn auf S. 20
mehr zahlenmäßige Angaben den Aufschwung sinnfälliger gemacht hätten. Auch der gewaltige Plan Englands,
den afrikanisch - astatisch-australischen Länderblock um den Indischen Ozean zu einer geschloffenen Einheit zu
gestalten, bedarf einer ausführlichen Erörterung, weil gerade die cingelaaertcn deutschen und türkischen Be-
sitzungen ein wichtiger Antrieb für die Engländer gewesen sind, beide Mächte als Feinde zu betrachten. Und
schließlich konnte Italiens Österreichhaß aus Grund aller Abneigung und der irredemistischen Wünsche auf
Südtirol, Istrien und Dalmatien stärker betont werden.
Es ist erfreulich zu sehen, wie wenig auch dem zu wünschen übrig bleibt, der den überreichen und
schwer zu bändigenden Stoff im Unterricht mehr als einmal erprobt hat. Möge also dem Heft der wohl-
verdiente Erfolg werden. Dr. Franz Becker, Oberlehrer am Oberlyceum in Kaffel.
Erziehung und Unterricht. 1917 Rr. 45. Zum genauen Verständnis der Vorgeschichte des Welt-
krieges ist eine Kenntnis der wichtigsten Tatsachen aus der neuesten Geschichte seit 1870 erforderlich. Da eine
Darstellung derselben sich in den gebräuchlichsten geschichtlichen Hilfsbüchern tiicht findet, ist dar angezeigte
Merkchen als zeitgemäße Ergänzung zu jenen Hilfsmitteln um so mehr zu begrützen, als die in Betracht
kommenden Tatsachen und Erctguiffe darin kurz, übersichtlich und leicht verständlich dargestellt sind.
GcgeuwartSkunde für die Schule. II. Jahrg. 1917. Das Heft bringt in gedrängter Übersicht die
wichtigsten Ereignisse von 1870—1914. Alles Nebensächliche ist fortgelassen. Da es den Stoff sehr über-
sichtlich ordnet und leichtverständlich geschrieben ist, so ist es wohl geeignet, den Schülern unserer höheren
und mittleren Lehranstalten als Unterlage für die Geschtchtsbetrachtung zu dienen. Jedem Lehrer wird es
bei der Vorbereitung auf den Unterricht wertvolle Dienste leisten. Ottfen.
Kriegstechnische Zeitschrift. Für Offiziere aller Waffe». XX. Jahrg. 1917. 9. u. 10. Heft.
Mit scharfem Blick und tiefem Verständnis hat Verfasser eine kleine Schrift geschaffen, die mit schlichten
einfachen Worten den Kern der Frage trifft. Keine phrasenhaften Ausführungen, soudern aus der
nackte»! Wirklichkeit geschöpfte und wohlbegriindete Feststellungen! Eine weite Verbreitung dieser
kleinen Schrift ist nur zu wünschen.
Phot. Bert. Jllustr.-Ges.
Wilhelm II.
Seit 1888 Deutscher Kaiser und König von Preußen.
1870—1914.
Einführung
in die
Politik und Weltgeschichte
der neuesten Zeit.
Volkstümliche Umarbeitung von
Heinrich Theodor List: „Grundzüge der deutschen
Austandspolitik seit der Errichtung des Reiches"
für Schule und ñaus
durch
Professor Fr. Ehrmghaus.
Mit 27 Bildnifsen.
Kalle (Saale).
Hermann Gesenius.
1918.
IV M
Qtercrtur.
A. Größere Werke.
Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Volks-Ausgabe. 5 M.
Bülow, „Deutsche Politik". 7 M.
Cgelhaaf, Geschichte der neuesten Zeit. 16 M.
Lindner, Weltgeschichte der letzten 100 Jahre. II. Band. Geschichte Europas
und der außereuropäischen Staaten bis zum Beginne des Weltkrieges. 8 M.
Nachfahl, Kaiser und Reich 1888—1913. 25 Zabre preußisch-deutscher Ge-
schichte. 7,50 M.
Reventlow, Deutschlands auswärtige Politik 1888—1914. 10 M.
D. Schäfer, Weltgeschichte der Neuzeit. 2 Bde. 18 M.
Deutschland und der Weltkrieg. Herausgegeben von Hinhe, Meinecke, Oncken,
Schumacher. 2 Bde. 15,40 M.
8. Kleinere Werke.
Haller, Der Ursprung des Weltkriegs. 1,50 M.
Hashagen, Amrisse der Weltpolitik. 2 Bde. je 1,50 M.
List, Deutschland und Mitteleuropa. 3 M.
— Grundzüge der deutschen Auslandspolitik. 1,50 M.
LrLunsLb.wsig
Ibuchbibiiothtk«
Einen Auszug — für Schüler und Schülerinnen — aus der „Ein-
führung" bietet:
Ehringhaus, „Die Vorgeschichte des Weltkriegs". Kurz und verständlich dar-
gestellt. 60 Pf.
Kurze, fesselnde Aufsätze über die wichtigsten Staatsmänner bringen die
Bücher von
Loeb, „Eduards unselige Erben". 1,50 M.
Haas, „Die Schürer des Weltbrandes". 2 M.
(Verlag Haas und Grabherr in Augsburg).
Ferner wird als sehr lesenswert empfohlen:
Pönsgen, Was haben die Engländer gegen uns? 20 Pf. Verlag der Aus-
kunftsstelle Vereinigter Verbände in Berlin N. 24, Fnedrichstr. 136.
r/f-j
Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort.
In weiten Kreisen unseres Volkes einpfiudet man ein lebhaftes Be-
dürfnis, sich über die Ursachen und Zusammenhänge des furchtbaren
Weltkrieges, in dem wir um unser Dasein kämpfen, Klarheit zu ver-
schaffen. Wenn auch ein abschließendes Urteil heute noch nicht möglich
ist, da das Urteil der Geschichte noch fehlt und viele Einzelheiten noch
nicht klar sind, so haben doch andererseits Freunde und Feinde von jahre-
lang zurückliegenden Ereignissen den Schleier des Geheimnisses gezogen
und sie zur eigenen Rechtfertigung oder zur Schädigung des Gegners
bekannt gegeben. Darum läßt sich auch schon jetzt eine Einführung in
die Geschichte der neuesten Zeit schreiben.
Die gewaltigen Ereignisse unserer Zeit haben das preußische Kul-
tusministerium veranlaßt, der neuen und neuesten Geschichte einen brei-
teren Raum zuzuweisen, damit die Jugend die Gegenwart bewußt durch-
lebt und die große Zeit nicht ohne bleibenden Segen an ihr vorüber-
geht und reiche Früchte trägt. Es sind ja auch schon einige größere
Werke erschienen, die Deutschlands neueste Geschichte behandeln.
1. von Reventlow, „Deutschlands auswärtige Politik Í888—1914"
10 M. 2. „Deutschland und der Weltkrieg" 14 M. 3. von Bülow,
„Deutsche Politik" 7 M. 4. Egelhaaf, „Geschichte der neuesten Zeit"
16 M. Für den Laien sind diese Bücher aber zu umfangreich und zu
teuer. Cs wttrde daher freudig begrüßt, als List das Buch „Deutschland
und Mitteleuropa" und als Sonderabdruck den ersten Teil desselben
„Grundzüge der deutschen Auslandspolitik seit der Errichtung des
Reiches" *) herausgab. Cs hat vielen als Führer gute Dienste geleistet,
ist aber eigentlich nur für Gebildete geschrieben. Daher bat mich der
Verfasser, es für weitere Kreise des Volkes und für die Schule umzu-
arbeiten, damit eine allgemeine Belehrung ermöglicht werde, die so
dringend nötig und wünschenswert ist. Wir alle sollen und wollen
wissen, warum der Weltkrieg entstanden ist, und wofiir unsere tapferen
Söhne kämpfen. Möge es dieser volkstümlich gehaltenen Schrift ver-
gönnt sein, an ihren: Teil etwas zur Kenntnis der neuesten Geschichte
und damit zur „Politisierung" unseres Volkes beizutragen.
Für Verbesserungsvorschläge werde ich stets dankbar sein.
Dem Verleger, Herrn Gesenius, sowie Herrn Oberlehrer Dr. Franz
Becker-Kassel möchte ich auch an dieser Stelle für ihre Teilnahme au dem
Buck) und für manchen Wink den gebührenden Dank ausfprechen.
Kassel, November 1917.
Professor Fritz Chringhaus.
*) Beide Büchse sind im Verlag von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) Berlin 1916 erschienen.
Literatur................................................................ II
Vorwort ............................................................. III
Inhalt......................................................... IV—VI
Einleitung............................................................... 1
A. Festlandspolitik im Zeitalter Kaiser Wilhelms I. und Bismarcks.
Die Vorherrschaft Deutschlands in Europa. 1871 — 1890. . 1 — 14
I. Abschnitt. Die Zeit des Dreikaiserverhältnisses. 1872 — 1875. 1—6
1. Der friedliche Grundzug des Deutschen Reiches............... 1, 2
2. Deutschlands Lage und Militarismus......................... 2, 3
3. Die Bündnispolitik Bismarcks....................................4—6
a) Frankreichs Rachegedanke.................................... 4
b) Das Dreikaiserverhältnis............................... 5, 6
II. Abschnitt. Der Verliner Kongreß und seine Folgen.
1878 — 1884 7—9
1. Der Türkisch-russische Krieg und der Berliner Kongreß ... 7
2. Die Folgen des Kongreßes .................................. 8, 9
a) Die russische Verstimmung 1878 .................... 8
b) Der Zweibund 1879 ...................................... 8, 9
c) Der Dreibund 1882 .......................................... 9
III. Abschnitt. Die Kolonialpolitik der Großmächte..................10—12
a) Der Erwerb Ägyptens durch England 1882 ............ 10
b) Frankreichs Kolonialpolitik............................10, 11
c) Rußland.................................•.............. 11
d) Der Erwerb deutscher Kolonien 1884/85 12
IV. Abschnitt. Die bulgarische und französische Krisis und
ihre Folgen. 1886 —1888 ............................. 13, 14
L. Weltpolitik unter Kaiser Wilhelm II.
Verschiebung der Mächtegruppen in Europa. 1890—1914 . 15-69
I. Abschnitt. Deutsch - englische Annäherung unter Caprivi.
1890-1894 15-19
a) Die Weltpolitik Kaiser Wilhelms...........................15-17
b) Die deutsch-englische Annäherung und der Helgoland-San-
sibar-Vertrag 1890 ................................... 18
c) Die französisch - russische Annäherung 1891............18, 19
V
Seile
II. Abschnitt. Die beginnende Spannung zwischen Deutschland
und England; die Annäherung Deutschlands
an den Zweiverband; der Eintritt Japans und
Nordamerikas in die Weltpolitik. 1894 — 1898 20—27
1. Das Erwachen des Ostens und der Chinesisch-japanische Krieg
(Schimonoseki) 1894/95 .................................... 20
2. Die englische Südafrika-Politik und die Krüger-Depesche 1896 21, 22
3. Die englische Handelseifersucht infolge des wirtschaftlichen Auf-
stiegs Deutschlands.........................................23, 24
4. Der deutsche Flottenbau 1898 . . .......................... 24, 25
5. Deutschlands Orientpolitik............................... 25
6. Englands Machterweiterung im Sudan und in den Kolonien . 26
7. Frankreichs Politik und die Schmach von Faschoda 1898 ... 26
8. Italiens Politik .............................................. 27
9. Der Eintritt Nordamerikas in die Weltpolitik und seine Folgen 27, 28
III. Abschnitt. Der Bruch Deutschlands mit England. 1899—1901 28—30
1. Der Vurenkrieg (1899—1902) und die Weltpolitik.............28, 29
2. Die Chinawirren und der Bruch mit England 1900/01 ... 29, 30
IV. Abschnitt. Die Cinkreisungspolitik Eduards VII. 1902—1908 30—46
1. Die Politik Eduards VII.................................30,31
2. Das englisch-japanische Bündnis 1902 und die Besuche
Eduards VII. 1903 . . . .........................• ... 31, 32
3. Der Ausbruch des Russisch-japanischen Krieges 1904 . . . . 32, 33
4. Das erste Marokko-Abkommen 1904—1906 ...................... 34—41
a) Das englisch-französische Einvernehmen 1904 Putsnte eordiale
— Marokko-Abkommen)......................................... 34
5. Die Politik Spaniens und Italiens........................ 35
6. Die Verlegung der englischen Flotte in die Nordsee .... 36
7. Die Siege Japans über Rußland 1904/05 .............. 37
8. Fortgang des ersten Marokko-Abkommens...................37—39
b) Besuch Kaiser Wilhelms in Tanger 1905 ................. 37, 38
c) Sturz Delcassds....................................38, 39
9. Das Ende des Russisch-japanischen Krieges; der Friede von
Portsmouth (1905) und seine weltgeschichtlichen Folgen ... 40
10. Das Ende des ersten Marokko-Abkommens........................ 41
d) Die Konferenz von Algeciras 1906 ..................... 41
11. Deutsch-englische Verständigungsversuche und die Großkampsschiff-
politik Englands 1907 ............................ 42, 43
12. Das englisch-russische Bündnis 1907 43—45
V. Abschnitt. Die ersten Machtproben des Dreiverbandes
1908—1911. Das bosnische (1908) und das zweite
Marokko-Abkommen (1911)............................46—55
1. Der Balkan und die Türkei...................................... 46
2. Das bosnische Abkommen 1908 09 .......................... 47, 48
-- VI ------
Seite
3. Die Cntspannungsjahre 1909—1911 ...................... 48—52
a) Das Marokko - Abkommen und Englands Flottenangst 1909 48, 49
b) Bülows Rücktritt und Vethmann-Hollwegs Verständigungs-
politik ................................. . , 49—51
c) Das Potsdamer Abkommen 1910......................... 52
4. Das zweite Marokko-Abkommen 1911........................52, 53
5. Der Tripoliskrieg 1911.................................. 54
YI. Abschnitt. Die Verständigungsversuche und die Neu-
gruppierung der Mächte infolge der Balkan-
kriege. 1911 — 1913...................................55-63
1. Deutsch-englische Verständigungsversuche und Neutralitätsver-
handlungen 1912.......................................55—57
2. Deutsch-russische Verständigung 1912........................ 57
3. Militärische Abkommen des Dreiverbandes.................57, 58
4. Die Valkankriege 1912/13 und die aus ihnen folgende Neu-
gruppierung der Mächte ...............................58—63
a) Der Balkanbund......................................58, 59
b) Der erste Valkankrieg 19'2/13....................... 60
c) Die Rüstungen zum Weltkrieg nach dem ersten Valkankrieg 61
ck) Der zweite Valkankrieg 1913......................... 62
e) Der Zerfall des Valkanbundes und die Neugruppierung der
Mächte infolge des zweiten Balkankrieges.............62, 63
VII. Abschnitt. Die scheinbare Entspannung vor Ausbruch des
Weltkrieges. 1913/14..............................63-67
a) Das Jahr 1913.......................................63—65
b) Das Jahr 1914.......................................65—67
YIII. Abschnitt. Der Ausbruch des Weltkriegs. 1914................ 67
IX. Abschnitt. Schluß. Wer trägt die Schuld am Ausbruch des
Weltkrieges?......................................68, 69
Anmerkungen......................................................70, 71
Zeittafel............................................................ 72
Einleitung
Wenn man sich über die Ursachen und Zusammenhänge des furcht-
baren Weltkriegs ein klares Bild verschaffen will, darf man nicht nur die
Ereignisse der letzten Jahre betrachten, sondern man muß die Geschichte
der letzten Jahrzehnte kennen. Denn wenn auch die Ermordung des
österreichischen Thronfolgerpaares in Serajewo (in Bosnien) am
28. Juni 1914 den äußeren Anlaß zum Weltkrieg bildete, so liegen doch
die inneren, tieferen Gründe viel weiter zurück.
Wir wissen jetzt, daß unser Kaiser recht hatte, als er am 4. August
1914 sagte, der Weltkrieg gehe nicht aus vorübergehenden Streuig-
keiten hervor, sondern sei das Ergebnis eines seit langen Jahren tätigen
Äbelwollens gegen Macht und Gedeihen des Deutschen Reiches. Der
eigentliche Grund ist tatsächlich die Gründung und das Aufblühen eines
geeinigten, starken Deutschen Reiches in der Mitte Europas. Wenn
wir daher im folgenden darstellen wollen, wie die Mächte Europas dazu
gekommen sind, das friedliebende Volk der Deutschen zu bekämpfen,
müssen wir mit dem Jahre 1871 beginnen und uns mit den wichtigsten
Tatsachen der äußeren Geschichte Deutschlands und seiner Gegner be-
kannt machen.
A. Seftlandspolitik im Zeitalter Kaiser Wilhelms I.
und Vismarcks. Oie Vorherrschaft Deutschlands
in Europa. 1871—1890.
I. Abschnitt.
Oie Zeit des Oreikaiserverheiltnisses. 1372—1875.
1. Der friedliche Grundzug des Deutschen Reiches.
Durch die Heldentaten des preußischen und deutschen Heeres war
in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 das neue Deutsche Reich
geschaffen worden. Die Herrschereigenschaften Kaiser Milhems I. — sein
Erkennen der Bedürfnisse des Landes, die Wahl der richtigen Männer
und das charaktervolle Festhalten an ihnen — gaben dem Staate das
Dreigestirn Bismarck—Moltke—Roon und ermöglichten die Verwirk-
lichung des jahrhundertealten deutschen Sehnens, ein einiges, deutsches
Reich.
Ehrtnghaus, 1870—1914.
I
2
Bismarcks weiter Blick sah voraus, daß das neue, geeinigte Deutsch-
land von den Großmächten als unangenehmer Nebenbuhler empfunden
werden würde. Bisher hatten nämlich die drei alten Großmächte Frank-
reich, Nußland und England die Welt beherrscht; letzteres war aber stets
darauf bedacht, das europäische Gleichgewicht herzustellen, d. h. keine
andere Großmacht des Festlandes zu mächtig werden zu lassen, damit
es ungestört die See beherrschen konnte. 1871 traten nun die Mittel-
mächte und Italien auch in die Reihe der Großmächte ein, und Deutsch-
land übernahm sogar bald durch Bismarcks meisterhafte Führung der
Geschäfte die Leitung Europas. Die alten Großmächte waren nicht
mehr unter sich und empfanden deshalb den neuen Zustand unangenehm.
Ja noch mehr, sie hatten zunächst auch Angst vor Deutschland. Sie be-
fürchteten, es würde nach den siegreichen Kämpfen von 1864, 1866,
1870/71 noch mehr Kriege führen, um seine Grenzen über alles frühere
deutsche Gebiet auszudehnen und eine Weltherrschaft aufzurichten, wie
es sie im Mittelalter unter den Hohenstaufen besessen hatte. Um diesen
Verdacht zu entkräften und den inneren Ausbau Deutschlands in Ruhe
zu ermöglichen, hielt Bismarck es für die höchste Aufgabe der deutschen
Politik, gemäßigt und friedliebend aufzutreten. Cr betonte deshalb
bei jeder Gelegenheit, „das Deutsche Reich ist ein saturierter (d. h. ge-
sättigter) Staat und bedroht niemanden".*) Sein kaiserlicher Herr hatte
schon bei der Kaiserproklamation in Versailles (18.1.1871) erklärt:
„Uns und unseren Nachfolgern wolle Gott verleihen, allezeit
Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberun-
gen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet
nationaler Wohlfahrt und Gesittung."
Und am 21. März 1871 sprach er in der Thronrede das Gelöbnis
aus, „das neue Deutschland wird ein zuverlässiger Bürge des europä-
ischen Friedens sein". Daß dies keine leeren Worte waren, beweist
die Geschichte; seit 1871 hat Deutschland weder unter Wilhelm I. noch
unter Wilhelm II. einen Krieg geführt — was gegenüber den Verleum-
dungen unserer Feinde nicht genug betont werden kann. Die Deutschen
haben ihre tatsächliche Vorherrschaft nicht zur Ausrichtung eines Welt-
reiches mißbraucht, wohl aber ihre Gegner England, Rußland und
Frankreich. Vor dem Lügenfeldzug im Welikrieg haben auch unsere
Feinde die friedliche Grundlage der deutschen Staatskunst immer wieder
lobend anerkannt.
2. Deutschlands Lage und Militarismus.
Wenn Deutschland trotz dieser friedlichen Grundstimmung sich ein
starkes Heer schuf, so geschah das nicht aus Croberungsabsichten, sondern
es wurde und wird hierzu genötigt durch seine geographische Lage. Es
hat nun einmal eine schwierigere und gefährdetere Lage als alle anderen
Großmächte.
) Siehe Anrn. 1 S. 70.
3
Nordamerika sowie die Inselstaaten England und Japan leben in-
folge ihrer Abgeschlossenheit durch das Meer ziemlich sicher und haben
keinen unmittelbaren Nachbarn, auf den sie Rücksicht nehmen müssen.
Rußland besitzt ein ungeheures Gebiet, ist im Norden und Süden
gesichert und rechnet schon seit Jahrhunderten nur mit der Westfront.
Bei einem Angriff von Osten können höchste Lebensinteresten dieses
Landes nicht bedroht werden. Frankreich hat nur an seiner Ostfront
ernsthafte Gegner und ist gegen Italien durch die Alpen, im Süden gegen
Spanien durch die Pyrenäen gesichert. Zur See bildet die große Küsten-
ausdehnung mehr eine Erschwerung der Einschließung als eine erhöhte
Bedrohung, da nur wenig Plätze einer unmittelbaren Beschießung aus-
gesetzt sind. Deutschland dagegen findet weder in seiner Gebietsgröße
noch auf den wichtigsten Fronten durch natürliche Grenzen Schutz. Es
hat mit den Großmächten des Festlands — den stärksten Militärmächten
der Welt — als möglichen Gegnern zu rechnen und kann an seiner kurzen
Nordseeküste leicht eingeschlossen werden. Cs ist also nicht zu viel ge-
sagt, wenn man behauptet, Deutschland hat eine viel gesährdetere Lage
als alle anderen Großmächte; danach muß auch seine Politik gerechter-
weise beurteilt werden. Diese seine unglückliche Lage z w i n g t es aber,
ein starkes Heer zu halten; wir müssen in dieser gegebenen Lage
stark und einig sein, wir müssen ein tüchtiges Heer haben, wenn wir
nicht erdrückt werden wollen. In Deutschlands unglücklicher Lage ist
also sein viel verschrieener und von den anderen Völkern so oft mißver-
standener „Militarismus" begründet, gegen den unsere Gegner angeblich
zu Felde ziehen müsten. Gegenüber den Verleumdungen unserer
Feinde sei nochmals darauf hingewiesen, daß Deutschland seine starke
Wehrmacht nur zu Verteidigungszwecken geschaffen und nie zu Crobe-
rungszwecken mißbraucht hat, wie andere Völker.*)
Beifolgende Übersicht aus dem lehrreichen Büchlein von Fischer-
Zühlke „Deutschland und der Weltkrieg", Verlag Teubner, zeigt außer-
dem, daß unsere Gesamtausgaben für Heer und Flotte geringer waren
als die unserer Feinde.
Deutschland England Frankreich
1881 -1890 . . . . 5,6 5,9 8,3 Milliarden Mark
1891 — 1900 . . 7,9 8,3 8,5
1901 1910 . . 11,7 16,7 10,1
1911 — 1913 . . 5,0 4,5 4,4
30,2 35,4 31,3 Milliarden Mark.
Wir geben für friedliche Zwecke viel mehr aus, als für Kriegszwecke;
in Deutschland war 1913 jeder 85. Mensch Soldat, in Frankreich schon
jeder 50. Diesen: ungesunden Militarismus in Frankreich entsprach
in England der „Marinismus"; denn seine Flotte war fast doppelt so
stark wie unsere. Schon diese Zahlen beweisen, daß Deutschland nicht
auf einen Eroberungskrieg ausging und nicht durch seinen Militarismus
die Welt bedrohte.
l*
) Siehe Anm. 2 S, 70.
4
3. Die Vündnispolitik Bismarcks.
a) Frankreichs Rachegedanken.
Außer der wehrhaften eigenen Stärke erfordert unsere geographische
Lage aber auch gebieterisch einen sicheren Rückhalt an Bundesgenossen.
Gerade weil Bismarck nach der Begründung des Deutschen Reiches auf
jede Vergrößerung desselben verzichtete und den Weltfrieden erhalten
wollte, suchte er sich durch Bündnisse gegen den Störenfried Frank-
reich zu sichern. Dieses alte, reiche Kulturland hatte sich nämlich über
Erwarten schnell von den Riederlagen 1870/71 erholt, aber das ruhm-
süchtige Volk konnte und wollte das bittere Gefühl der Niederlage, den
Verlust Elsaß-Lothringens und seiner Vormachtstellung in Europa nicht
vergessen. Wie die Franzosen innerlich dachten, zeigt aufs deutlichste
ein Brief des Franzosen Renan an den deutschen Theologen Strauß
— beide Männer haben ein berühmtes Buch „Das Leben Jesu" ge-
schrieben — aus dem Fahre 1871:
„Lasset uns diese unangenehme Geschichte so rasch wie möglich be-
enden; mögen wir nun alles abtreten, mögen wir den Frieden unter-
zeichnen, dann aber Haß bis in den Tod, Vorbereitungen ohne Rast,
Bündnisse schließen, mit wem es nur geht, unbegrenzte Nachgiebigkeit
gegen alle russischen Ansprüche, ein einziges Ziel, eine einzige Triebfeder
für das Leben, Vernichtung der germanischen Rasse."
Klingen diese Worte nicht prophetisch? Haben sie sich nicht Wort
für Wort erfüllt? Cs erscheint uns unbegreiflich, daß unsere westlichen
Nachbarn so viel Wert auf die Rückeroberung Elsaß-Lothringens legen.
Wir sagen und denken, Elsaß-Lothringen sei doch deutsches Gebiet ge-
wesen und 1871 von uns zurückerobert, die Franzosen aber denken
darüber anders.
1. Sie glauben, alles Land links des Rheins sei eigentlich franzö-
sisches Gebiet und ihnen von uns geraubt, der Rhein sei die
„natürliche Grenze" zwischen ihnen und uns; sie seien eigentlich
die rechten Nachfolger des alten Frankenreiches Karls des Großen.
Darum wollen sie auch die „natürlichen Grenzen" wieder herstellen
und Elsaß-Lothringen zurückerobern, es „desannektieren". Das
ist der Sinn der Revanche! Frankreich begehrt nicht eigentlich
Rache, sondern erstrebt Wiederherstellung — nämlich der natür-
lichen Grenzen.
2. Außerdem verbürgt der Besitz von Elsaß-Lothringen die Herrschaft
über Süddeutschland — wie zur Zeit des Rheinbundes.
3. Sodann ist Lothringen sehr erzreich; es liefert 2¡3 des Eisenerzes,
ohne das Deutschland fast wehrlos wäre (s. auch S. 23, 71).
4. Endlich hat Elsaß bei Mülhausen hochprozentige Kalilager. Diese
sind um so wichtiger, weil sie fast allen anderen Ländern außer
Deutschland fehlen, Deutschland allein Kali ausführt, und die an-
deren Völker, besonders Amerika, Kali nach dem Kriege für den
ausgehungerten Boden dringend nötig haben.
Anm. Wegen Punkt 3 verlangt England, wegen Punkt 4 Amerika die
Rückgabe Clsaß-Lothringens.
5
Da sich Frankreich allein zum Kampf gegen den stärkeren Nachbarn
zu schwach fühlte, so versuchte es Bundesgenossen gegen Deutschland zu
gewinnen. Hierfür kamen bei der Schwäche Italiens vor allem Öster-
reich und Rußland in Frage. Einflußreiche Kreise Österreichs waren
1870 sranzosensreundlich gewesen, und in Rußland gab es auch eine
starke deutschfeindliche Partei (siehe unter d), aber Bismarcks überlegener
Staatskunst gelang es, die beiden Kaiserreiche Deutschland zu nähern
und so Frankreich zu vereinzeln („isolieren").
b) Das Dreikaiserverhältnis.
Weil Bismarck eine Vereinigung der Mächte Frankreich, Öster-
reich, Rußland, „das Schreckgespenst der Koalition", wie sie gegen
Friedrich den Großen bestanden hatte, befürchtete, suchte er womöglich
ein Bündnis der drei Kaisermächte herbeizuführen. Cr wollte hierdurch
Deutschland sichern und ihm Zeit lassen, sich im Innern auszubauen und
durch Friedensarbeit den Vorsprung einzuholen, den andere, glücklichere
Völker im Laufe der letzten 200 Jahre erlangt hatten, während Deutsch-
land ohnmächtig am Boden lag.
Die Anknüpfung an Rußland war leicht; denn mit Rußland
stand Deutschland schon seit Jahrzehnten auf freundschaftlichem Fuß.
Zar Alexander II. war außerdem ein Resse und Verehrer des greisen
Kaisers Wilhelm, und dieser, im Zeichen russischer Freundschaft geboren
und erzogen, war stets russenfreundlich. Da Bismarck Rußland gegen
Polen und England möglichst unterstützte, bestanden gute Beziehungen
zwischen den Nachbarstaaten. Allerdings hatte infolge des Aufstiegs
Deutschlands, das ja jetzt die Ostsee beherrschte, in Rußland die Partei
der Panslawisten, d. h. Allslawen, immer mehr Anhänger gewonnen,
die eine Vereinigung aller slawischen Völker Europas unter russischer
Führung herbeiführen wollte und deutschfeindlich war — sie hat ja 1914
den Weltkrieg entfacht —, aber damals betrachtete und behandelte der
Zar sie noch als Revolutionäre.
Schwerer war es, Ö st e rr e i ch nach der Niederlage von 1866 für
ein Zusammengehen mit Deutschland zu gewinnen. Aber die Gleichheit
der Interessen, die Blutsverwandtschaft und vor allem die schonende Be-
handlung des geschlagenen Gegners durch Bismarcks weit voraus-
schauende Staatskunst im Frieden zu Rikolsburg 1866 — er hatte gegen
den Willen seines Herrn es durchgesetzt, daß Österreich kein Land ab-
zutreten und nur eine geringe Kriegsentschädigung zu zahlen brauchte —
hatten ein gutes Einvernehmen vorbereitet. Es ist dies eine der größten
Taten Bismarcks, die allein das spätere enge Bündnis zwischen Öster-
reich und Deutschland ermöglichte, das seither den Angelpunkt unserer
Politik bildet und uns im Weltkrieg Schulter an Schulter kämpfen läßt.
Da Österreich einsah, daß es seine 1866 verlorene Vorherrschaft über
Deutschland aufgeben müsse, so führten die Zusammenkünfte der Herr-
scher, besonders seit Andrassy Ministerpräsident war, ein freundschaft-
liches Verhältnis der Bruderstaaten herbei.
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Zwischen Österreich und Rußland bestanden — und bestehen —
freilich tiefe Gegensätze.
1. Rußland will bekanntlich aus wirtschaftlichen und religiösen
Gründen Herr von Konstanlinopel werden und die Vorherrschaft
über den Balkan ausüben. Es erstrebt vor allem freie Zugänge zum
Meer und eisfreie Häfen, besonders nach dem Mittelländischen Meer;
denn seine Hauptausfuhrgebiete (die Akraine — Getreide, Kaukasus —
Petroleum) liegen am Schwarzen Meer. Daher begehrt es schon
seit Jahrhunderten die Herrschaft über die Dardanellen. Dazu kommt
der Glaube, es sei seine gottgewollte Aufgabe, die Türken aus Europa
zu verjagen und auf der Hagm-Sophia-Moschee in Konstantinopel wie-
der das Kreuz aufzurichten. Österreich-Ungarn kann es aber nicht
dulden, daß eine andere Großmacht die Donaumündung und den Balkan
beherrscht; sein Lebensinteresse erfordert es, daß es nicht der natürlichen
Absatzwege beraubt und von drei Seiten von einer feindlichen Groß-
macht eingeschlossen wird.
2. Die Polen befanden sich in Österreich in bevorzugter Stellung,
in Rußland dagegen wurden sie unterdrückt; die russischen Polen er-
strebten daher den Anschluß an Österreich, Rußland aber wollte das
durch seine Kohlenlager, Industrie und Volksdichte reiche Polen nicht
verlieren.
3. Da Österreich-Ungarn zur Hälfte eine slawische Macht ist, würde
der Verlust der slawischen Gebiete, den der Panslawismus herbeiführen
wollte, die Großmacht zum Kleinstaat herabsinken lassen.
Der überlegenen, meisterhaften Staatskunst Bismarcks gelang es
aber trotz der bestehenden tiefen Gegensätze die beiden Freunde Deutsch-
lands zusammenzuführen. Im Jahre 1872 kamen die drei Kaiser von
Deutschland, Rußland und Österreich in Berlin zusammen; zwar wurde
hier zwischen ihnen kein Bündnis geschloffen — daher ist der Name Drei-
kaiserbündnis nicht richtig —, wohl kam es nur zu einem „ D r e i -
kaiserverhältnis", aber hierdurch war doch vor aller Welt das
gute Einvernehmen der Kaisermächte zum Ausdruck gebracht, und Frank-
reich stand ohne Bundesgenossen allein da. Weitere Besuche der Kaiser
vertieften noch die friedliche Stimmung, zumal sich auch Italien an die
drei Mächte anschloß.
England hatte zwar Deutschland 1864 große Schwierigkeiten
bereitet und war 1870/71 im Sinne schonender Behandlung Frankreichs
bemüht gewesen, aber es fand sich doch mit den vollzogenen Tatsachen
schnell ab, wozu der Rückhalt, den Bismarck an Rußland besaß, nicht
wenig beitrug. Da Deutschland damals noch keine Flotte und keine
Kolonien besaß und es noch kein wirtschaftlicher Nebenbuhler, sondern
ein guter Kunde Englands war, so bestanden zwischen ihm und uns
noch keine Neibungsslächen.
Die Beziehungen zu Spanien und der Türkei waren freundschaft-
liche; Nordamerika und Japan standen damals der europäischen Politik
noch fern.
Da weder Wilhelm I. noch Bismarck — ebensowenig wie später
7
Wilhelm II. — von einem Vorbeugungskrieg etwas wissen wollte, d. h.
da sie nicht den Gegner niederwerfen wollten, ehe er zu stark war (z. V.
Frankreich), so genoß Europa bté 1875 die Segnungen des Friedens.
Es war zwar ein bewaffneter, unzuverlässiger Frieden, da alle Staaten
stark gerüstet waren und Frankreich die Rachegedanken nicht aufgab;
aber kein Staat hatte den geringsten Anlaß, sich durch die Wiederauf-
richtung eines einigen, starken Deutschlands im Herzen Europas ge-
schädigt oder bedroht zu fühlen, und es ist und bleibt das Verdienst
Bismarcks, daß die Völker Europas den Frieden genießen und ihre
wirtschaftlichen Kräfte entfalten konnten, bis die Valkanfragen dem
europäischen Frieden ein Ende machten und das Dreikaiserverhältnis
auflösten.
II. Abschnitt.
ver Berliner Kongreß (1878) uncl seine Folgen.
1. Der Türkisch-russische Krieg und der Berliner Kongreß (1878).
Als sich 1875 die Christen in der Herzegowina — die damals zur
Türkei gehörte — wegen der ungerechten Eintreibung der Steuern er-
hoben und der Aufstand sich unter den Valkanstaaten ausbreitete, haben
ihn russische Panslawisten geschürt; denn sie wollten die Gelegenheit
benutzen, um sich einzumischen und die Türkei zu schwächen. Der Zar
Alexander aber fragte damals in Deutschland an, ob es im Fall eines
Krieges Rußlands mit Österreich neutral bleiben werde. Als Bis-
marck antwortete, Deutschland wünsche die Freundschaft zwischen den
beiden Staaten zu erhalten, könne aber auch nicht dulden, daß eine der
beiden Mächte so geschädigt würde, daß ihre Stellung als unabhängige
und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde, hatte dadurch die
Freundschaft mit Rußland den ersten Sprung erhalten. Rußland einigte
sich nun mit Österreich für den Fall einer Niederlage der Türkei (Reich-
stadt) und gestand ihm den Erwerb Bosniens und die Vorherrschaft über
den westlichen Teil des Balkans zu, während es im Osten maßgebend
sein wollte. Damals war — ganz im Gegensatz zu heute — Serbien
österreichfreundlich und Bulgarien russenfreundlich. Als die Türken die
Valkanvölker besiegten, gab der Zar dem Drängen der Panslawisten
nach und erklärte der Türkei den Krieg. Die Russen besiegten nach an-
fänglichen Mißerfolgen (Plewna) die Türken mit rumänischer Hilfe
völlig und zwangen sie zum Vorfrieden von San Stefano (bei Konstan-
Linopel). Hier sehten sie sich über die Abmachungen mit Österreich hin-
weg und wollten ein großbulgarisches, bis ans Ägäische Meer reichen-
des Reich schaffen, wodurch einerseits die Türkei in zwei Hälften aus-
einandergerissen, andererseits Bulgarien ein Diener Rußlands ge-
worden wäre, durch den es die Türkei beherrschen konnte. Doch jetzt
mischten sich die beiden Feinde Rußlands ein, Österreich und England.
Letzteres fühlte sich in Indien bedroht, da Rußland in den siebziger Jahren
immer tiefer in Asien vorgedrungen war, sah daher damals in Ruß-
land seinen Todfeind und unterstützte die Türkei. Beide drohten mit
8
Krieg, falls die Friedensbedingungen nicht geändert würden. Am den
Weltfrieden zu erhalten und die sichere Niederlage Nußlands zu ver-
hindern, erklärte sich Bismarck zur Vermittlung bereit und lud die
Mächte nach Berlin zu einem Kongreß (1878) ein. Daß er
hier den Vorsitz führte, ist kennzeichnend für das hohe Ansehen und
Vertrauen, welches das junge Neich durch ihn in der kurzen Zeit seines
Bestehens erlangt hatte. Die unmittelbaren Folgen der Konferenz —
Rumänien, Serbien und Montenegro wurden unabhängig, statt des er-
strebten großbulgarischen Reiches wurde nur ein der Türkei tribut-
pflichtiges Fürstentum Bulgarien geschaffen, Österreich durfte Bosnien
verwalten, Rußland erhielt das rumänische Vessarabien, England die
Insel Cypern — berührten Deutschland weniger; von um so einschnei-
denderer Bedeutung sind dagegen die mittelbaren Folgen gewesen.
2. Die Folgen des Kongresses,
a) D i e russische V e r st i m m u n g.
Obwohl Bismarck nur als „ehrlicher Makler" dem Frieden diente
und sür Deutschland nichts erwarb, obgleich er nach Möglichkeit für
Rußland eintrat, konnte er dessen Niederlage auf dem Kongreß doch
nicht verhindern. In Rußland war man natürlich mit dem Ergebnis
sehr unzufrieden, aber anstatt die Schuld England, Österreich und sich
selbst — den eigenen Übergriffen und maßlosen Forderungen — zuzu-
schreiben, beschuldigte man Deutschland grober Undankbarkeit für die
1866 und 1870 bewiesene Neutralität. Man erwartete eben von ihm
ein Eintreten für a l l e russischen Forderungen, als ob Deutschland noch,
wie früher unter Friedrich Wilhelm III. und IV., ein Diener Rußlands
wäre. Bismarck aber konnte und wollte sich nicht Rußland mit Haut
und Haar verschreiben und Österreich fallen lassen. Ihm stand außer-
dem der Weltfrieden höher als die Freundschaft mit Rußland, die ja
infolge der Hetze der Panslawisten auch unsicker geworden war. In-
folgedessen erkalteten die Beziehungen zwischen den beiden Mächten,
und die leitenden Kreise Rußlands haben seitdem mit Deutschland
innerlich gebrochen. Das Dreikaiserverhältnis war gesprengt, und die
Panslawisten beherrschten seitdem die öffentliche Meinung. Die ersten
Anfänge der heutigen offenen Feindschaft sind also hier zu suchen.
b) Der Zweibund 1879.
Wegen der deutschfeindlichen, panslawistischen Strömungen in
Rußland hielt Bismarck den vertraglichen Abschluß mit einer anderen
Großmacht für geboten. Rach Lage der Dinge konnte das nur ein
Bündnis mit Österreich-Üngarn sein, das in ganz Deutschland volks-
tümlich war, und wozu Andrassy schon längst die Hand geboten hatte.
Ohne Bedenken gegen ein solches war Bismarck wegen der Mannig-
faltigkeit der Völker des Donaustaates, der Gegnerschaft der Tschechen
und der Verschiedenheit der Valkaninteressen zwar nicht; daher hatte er
den Wunsch Andrasiys bisher auch nicht erfüllt. Als aber die Spannung
mit Rußland eintrat, schlossen die beiden deutschen Staaten am 15. Ok-
9
tober 1879 den Bund „des Friedens und der gegenseitigen Verteidi-
gung" zum Schuh gegen Rußland. Kaiser Wilhelm hat den Bünd-
nisvertrag nur widerstrebend vollzogen. In seinem echt ritterlichen Sinn
bestand er auf sofortiger vertraulicher Bekanntgabe desselben an den
Zaren. Die Mitteilung verfehlte nicht die von Bismarck erhoffte
dämpfende Wirkung aus die russische Politik. Die Hauptbestimmungen
des Zweibundes sind folgende:
1. Bei einem Angriff Rußlands auf einen der beiden Staaten stehen
sich beide mit ganzer Kraft bei und schließen nur gemeinsam
Frieden.
2. Beim Angriff einer anderen Macht (z. V. Frankreich) verhalten
sie sich wohlwollend neutral; Hilst aber Rußland dieser Macht,
dann stehen sich die Verbündeten mit ganzer Kraft bei.
Dieser Zweibund ist eine der festesten Bürgschaften des europäischen
Friedens geworden. Bismarck wollte auch Italien heranziehen, um eine
weitere Deckung gegen Frankreich zu haben; aber es konnte sich damals
noch nicht zum Bündnis entschließen, um nicht unnötigerweise in Gegen-
satz zu Frankreich zu geraten. Erst die nachteiligen Folgen seiner Ver-
einzelung trieben es 1882 dazu.
e) Der Dreibund 1882.
Frankreich hatte sich schon auf dem Berliner Kongreß die Zustim-
mung Englands und Deutschlands zur Besetzung von Tunis gesichert
und nahm daher 1881 das Land in Besitz. Dies rief aber in I t a l i e n
einen Sturm der Entrüstung hervor. Tunis war nämlich schon seit
langer Zeit von Italienern besiedelt, und diese erhoben auf das gegenüber-
liegende Land Anspruch, weil es eine alte römische Provinz war. Ob-
gleich die Italiener Frankreich freundlich gesinnt waren, da beide roma-
nische und katholische Völker sind und Italien nur durch Frankreichs Hilfe
seine Einheit im Kampf gegen Österreich errungen hatte, suchten sie in
ihrer Erregung Anschluß an Deutschland. Da sie österreichfeindlich
waren:
1. weil Österreich früher ihr Zwingherr war,
2. weil es ihr Nebenbuhler am Adriatischen Meer war,
3. weil weite Kreise Italiens die italienisch sprechenden Teile Öster-
reichs um Triest und Trient für sich begehrten (die Irredentisten),
wollte Italien zunächst nur ein Bündnis mit Deutschland schließen,
aber Bismarck hatte verlangt, daß es sich auch mit Österreich freundlich
stellte. „Der Weg nach Berlin geht nur über Wien." So kam im Mai
1882 der Dreibund zustande. Bismarck wußte wohl, daß dieses
Bündnis „die kälteste aller politischen Vernunstehen" war, aber er
hoffte doch dadurch zweierlei zu erreichen:
1. daß Italien Österreich im Fall eines Krieges mit Rußland nicht
„ins Bein beiße",
2. daß es im Fall eines Krieges Deutschlands mit Frankreich
„Trommler in die Alpen" stellen würde.
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Beides ist ja leider infolge des schmachvollen Treubruches Italiens
1914/15 nicht in Erfüllung gegangen, obgleich nur sein Anschluß an
den Zweibund ihm einen langen Frieden verschafft, seinen inneren
Fortschritt befördert und vor allem seine wirtschaftliche Lage verbessert
hatte. Für voll gesichert hielt sich Italien jedoch noch nicht, da der Drei-
bund bei seiner damaligen Schwäche zur See nicht imstande gewesen
wäre, die ausgedehnten Küsten Italiens zu schützen. Es bemühte sich
daher mit Zustimmung Bismarcks um die Zusicherung englischen
Schutzes gegen etwaige Übergriffe Frankreichs. Wenn auch England
kein Bündnis mit ihm schloß, so übernahm es doch tatsächlich diese Auf-
gabe durch sein derzeitiges starkes Mittelmeergeschwader.
m. Abschnitt.
Oie Kolonialpolitik äer Großmächte.
a) Der Erwerb Ägyptens durch England 1882.
England hatte schon 1878 die Insel Cypern von der Türkei er-
worben; 1882 benutzte es die Schwäche der Türkei, um sich auch noch
in dem reichen Lande Ägypten festzusetzen. Gegen den Vau des Suez-
kanals (1869 durch den Franzosen Lesseps vollendet) hatte es sich ge-
sträubt, weil es seinen Wert damals nicht erkannte; aber nach seiner
Vollendung erwarb es 1875 die Hälfte der Kanalaktien, um sich dadurch
den maßgebenden Einfluß auf diese wichtige Welthandelsstraße zu sichern,
die wegen des indischen Kolonialreiches für es von besonders großer Be-
deutung ist. Ein Aufstand der Ägypter gegen die Herrschaft der Europäer
gab ihm einen willkommenen Anlaß zum bewaffneten Einschreiten. Da
Frankreich kurzsichtigerweise aus Angst, sein Heer gegen Deutschland
zu schwächen, seine Mitwirkung bei der Unterdrückung des Aufstandes
ablehnte, schlug England ihn allein nieder und übernahm die ausschließ-
liche Schutzherrschaft über das Land. Der englische Feldzug nach dem
Sudan (Chartum) mißlang zwar, aber mit der Besetzung Ägyptens schuf
sich England ein zweites Indien in verkleinertem Maßstab und machte
sich zum Herrn des Suezkanals. Frankreich sah nun mit Ingrimm, wie
sein Einfluß dort zusammenbrach, und war in den nächsten Jahren sehr
englandfeindlich.
b) Frankreichs Kolonialpolitik.
Indessen waren seine Beziehungen zu Deutschland damals freund-
lich, besonders solange Ferry Minister war. Bismarck hatte nämlich
zur Verhütung des Rachekrieges die republikanische Partei unterstützt,
da viele ihrer Mitglieder nicht so rachedurstig waren wie die Mon-
archisten. Außerdem begünstigte er jeden Schritt Frankreichs, in außer-
europäischer Kolonialpolitik Ersatz für die Kriegsverluste zu finden und
seinen Ehrgeiz und seine Ruhmsucht zu befriedigen. Er glaubte, es
würde hierdurch von den Rachegedanken abgelenkt und käme in Gegen-
satz zu andern Mächten. Beides trat ja auch zunächst ein, aber
11
auch nur zunächst. Daher hatte er auch Frankreich veranlaßt, Tunis
zu erwerben. Daß dies den deutschen Interesten entsprach, darf man
heute wohl verneinen; denn dieses Land war durch seine Lage und
die schon eingeleitete italienische Vesiedclung als Kolonisationsgebiet
für Italien wie geschaffen. Es war zudem der einzige Cntschädigungs-
gegenstand, der nicht auf Kosten der Türkei ging. Das für uns Wich-
tigste wäre jedoch gewesen, daß Italien durch Tunis gestärkt und auch
in Afrika Nachbar und Nebenbuhler Frankreichs geworden wäre. Ita-
liens Interessen hätten dann wohl dafür gesorgt, das Gewonnene zu
sichern und zu vergrößern, was Anschluß an uns bedingt und das
heutige gewaltige französische Kolonialreich eingeengt hätte.
Auch in den achtziger Jahren unterstützte Bismarck Frankreichs
Kolonialpolitik in Afrika und Hinteraßen; nur so war es diesem
möglich, das große, zusammenhängende Kolonialreich in Nordafrika und
im Kongogebiet sich zu verschaffen und in Hinterindien das reiche Tong-
king und Annam zu besetzen. Bismarcks Erwartungen, hierdurch die
Franzosen von dem Rachekrieg gegen Deutschland abzulenken, haben
sich als irrig erwiesen. Die koloniale Betätigung der Franzosen schuf
naturgemäß Gegensätze zu Italien und England, aber diese wurden
überwunden; der unter der Asche ungedämpft fortbestehende Haß gegen
Deutschland jedoch wurde, wie wir jetzt genau wissen, besonders in den
Schulen großgezogen — die schlechte Behandlung unserer Gefangenen
ist eine Folge dieser jahrzehntelangen Erziehung zum Haß gegen
Deutschland —. Cr kam schon 1885 nach Ferrys Sturz zum Ausbruch
(siehe S. 14). Heute müssen wir es daher bedauern, daß wir selbst den
Franzosen zur Erwerbung eines so großen, mächtigen Kolonialreiches
verholfen haben, besten reiche Hilfsmittel ihnen nun im Kampf gegen
uns zu Gebote stehen.
e) Rußland.
Rußland war in den siebziger Jahren immer tiefer in Asien vor-
gedrungen, hatte sich dann Turkestans bemächtigt und war bis nach
Afghanistan vorgedrungen. England wurde dadurch sein Gegner, und
der englisch - russische Gegensatz schien den Weltkrieg herbeizuführen.
Bismarcks Staatskunst zog auch hieraus Nutzen. Cr wollte ja auch
nach 1879 „den Draht nach Petersburg nicht abreißen lasten", sondern
hielt auf gute Beziehungen zu Rußland, auch als 1881 der deutsch-
feindliche Zar Alexander III. den Thron bestiegen hatte. Dieser stand
nämlich ganz unter dem Einfluß einer nationalistischen Partei, die in
den Deutschen die aus Rußland lastenden wirtschaftlichen und politischen
Herren sah und dies Joch zerbrechen wollte, und seiner deutschfeindlichen
Frau — einer dänischen Prinzessin, der Schwester der Gemahlin
Eduards VII. —. Infolge des russisch-englischen Gegensatzes gelang es
Bismarck, vorübergehend wieder ein Band zwischen den drei Kaisern
von Deutschland, Rußland und Österreich zu knüpfen durch die
Dreikaiser - Zusammenkunft von Skierniewice 1884, auf der sich die
Mächte wohlwollende Neutralität im Fall eines Angriffskrieges zu-
sicherten. Dies Abkommen war freilich nur für drei Jahre geschlossen,
12
machte aber die Ostmächte damals zu Herren der Lage. Allerdings hatte
es einerseits wegen der bestehenden Gegensätze zwischen Österreich und
Nußland ebenso wie das Dreikaiserverhältnis keinen längeren Bestand,
und andererseits verhinderte die sranzosensreundliche Partei in Ruß-
land auch ein näheres Verhältnis zu Deutschland.
6) Erwerb deutscher Kolonien 1884/85.
Indessen benutzte Bismarcks meisterhafte Staatskunst die un-
gewöhnlich günstige Weltlage, um Deutschland „Schutzgebiete" zu
erwerben. In den siebziger Jahren war in Europa eine allgemeine
Kolonialmüdigkeit. Da man die Schätze des „schwarzen Erdteils" noch
nicht kannte, so begehrte niemand seine Länder. Daher hielt auch Bis-
marck den von einigen Vaterlandssreunden angeregten Gedanken, eigne
Kolonien zu erwerben, für verfrüht; er glaubte, sie seien unnötig und
brächten uns nur in Streit mit andern Mächten; er aber wollte vor
allem den Weltfrieden erhalten. Erst der Aufschwung unseres Handels
und unserer Industrie sowie die große Auswanderung der Deutschen
(siehe S. 16), ließ allmählich die Erkenntnis aufdämmern, daß wir
über See Landerwerb haben mußten zum Bezug von Rohstoffen und
als Absatzgebiet für die Industrieerzeugnisse. Cs ist das Verdienst
Bremer und Hamburger Kaufleute, daß sie zuerst in kühnem Hanseaten-
geist Kolonialland erwarben. Als der Bremer Kaufmann Lüderitz 1884
für seine Riederlasiungen in Südwestafrika den Schutz des Reiches be-
gehrte, fragte Bismarck bei England an, ob es dort Eigentumsrechte habe.
Als aber dieses den Anspruch erhob, alles noch herrenlose Land gehöre
von Gottes und Rechts wegen ihm — denn es ist der Überzeugung, es
sei das auserwählte Volk, das Gott für die Weltherrschaft bestimmt
habe — und die Hand aus diese Gebiete legen wollte, da ließ er in
Südwestafrika, Togo und Kamerun die deutsche Flagge hissen. Alle diese
Erwerbungen setzte er erst gegen nachhaltigen Widerstand Englands und
Frankreichs durch. Auch der Erwerb der Südsee-Inseln und von Deutsch-
Ostafrika durch Dr. Peters und Gras Pfeil setzte zu gleicher Zeit ein.
Bei allen Erwerbungen aber wünschte Bismarck das Reich auf die Aus-
übung der staatlichen „Schutzgewalt" zu beschränken — daher reden wir
auch von „Schutztruppen" — und alles weitere den privaten Handels-
gesellschaften zu überlasten. Erst nach seiner Amtszeit haben an die Stelle
der von unzulänglichen Gesellschaften verwalteten „Schutzgebiete" staat-
liche „Kolonien" treten müsten, und erst 1890 wurde eine besondere
Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt errichtet.
ünter dem Gesichtspunkt, das zukunftreiche gewaltige Kongobecken,
das England begehrte, der Allgemeinheit offen zu halten, setzte Bismarck
auf der Kongokonferenz in Berlin die Schaffung des belgischen
Kongostaates durch.
Diese verhältnismäßig schnellen und großen Erfolge in der so spät
aufgenommenen Kolonialpolitik erscheinen um so erstaunlicher, als
Deutschland nur über eine minderwertige Flotte verfügte, und erklären
sich lediglich aus der geschickten Ausnutzung der politischen Spannungen,
13
besonders zwischen England und Rußland, und der Vormachtstellung,
die Bismarck dadurch dem neuen Reiche in Europa geschaffen hatte.
Infolge der Gründung deutscher Kolonien beeilten sich die andern
Mächte, den schwarzen Erdteil, dessen Wert man jetzt allmählich erkannt
hatte, aufzuteilen. Frankreich vergrößerte seinen Besitz in Nord- und
Mittelafrika und schuf dort ein großes, zusammenhängendes Kolonial-
reich; England aber besetzte Ostasrika und suchte ein zusammenhängendes
Reich in Südafrika aufzurichten. Noch wichtiger waren jedoch die
Rückwirkungen auf die europäische Politik.
IV. Abschnitt.
Die bulgarische uncl französische Krisis (lS86—SS)
uncl ihre Folgen.
Fn weiten Kreisen Englands war man mit der schwächlichen Poli-
tik der liberalen Regierung, die Bismarck stets nachgeben mußte, un-
zufrieden. Das neue Ministerium (1886) wollte mit dem Grundsatz
des Friedens um jeden Preis und des Zurückweichens vor jedem fest
auftretenden Gegner brechen und wieder Macht und Einfluß gewinnen.
Cs benutzte daher die Balkanverhältnisse, um hier Zwietracht unter den
Festlandsmächten zu säen und das neue Dreikaiserverhältnis zu sprengen.
Die Russen wollten die Balkanstaaten bevormunden, diese aber ent-
zogen sich immer mehr ihrer Herrschaft und näherten sich Österreich.
England suchte nun die neuen Balkanstaaten zu kräftigen, um dadurch
den Einfluß Rußlands zu verhindern und das gute Verhältnis der
Dreikaisermächte zu zerstören. Den Anlaß zur Krisis gab die bulgarische
Frage. Auch die V u l g a r e n wollten kein willenloses Werkzeug Ruß-
lands sein; als sie aber 1884 selbständig, ohne Rußland zu fragen, Ost-
rumelien mit ihrem Land vereinigten, drängten die Russen ihren Fürsten
aus dem Land. Die bulgarische Thronsolgefrage ließ nun den Gegen-
satz zwischen Rußland und Österreich wieder ausleben. Österreich wider-
setzte sich hartnäckig der Wahl eines russischen Großfürsten, und Rußland
war empört, als sich die Vulgaren selbständig im Juli 1887 einen deut-
schen Prinzen und österreichischen Offizier, Ferdinand von Koburg-
Kohary, zum Fürsten wählten. Rur der geschickten Vermittlungspolitik
Bismarcks ist es zu danken, daß es damals nicht zum Krieg kam. Cr
nahm einerseits Rücksicht auf Rußland, andererseits duldete er aber
nicht die Niederwerfung Österreichs. Rußland wollte aber in seiner
Wut über Österreich 1887 den Vertrag von 1884 nicht mit ihm, sondern
nur mit Deutschland erneuern. Da sich damals in Frankreich der
Rachegedanke breit machte und der Anschluß an Rußland von ihm
lebhaft gewünscht wurde, andererseits die Feindschaft der Tschechen
gegen die Deutschen und die unberechenbare Entwickelung Österreichs
Bismarck keine zuverlässige Bürgschaft für den Bestand des Zweibundes
bot, so trug er kein Bedenken, 1887 mit Rußland den Vertrag zu er-
neuern und den sogenannten „R ückversicherungsvertrag" mit
ihm zu schließen. Ein Arteil über ihn ist erst möglich, wenn sein Inhalt
14
veröffentlicht ist. Aber soviel kann doch schon gesagt werden, daß ein
Verstoß gegen den Dreibund in ihm nicht enthalten ist. Der Vertrag
sollte wahrscheinlich Rußland den Rücken decken im Fall eines englischen
Angriffs und den Frieden zwischen Rußland und Österreich sichern,
da jeder wissen sollte, daß der Angreifer nicht von Deutschland unter-
stützt würde.
In F r a n k r e i ch war 1885 der deutschfreundliche Minister Ferry
gestürzt und ein revanchebegieriges Ministerium mit dem Kriegsminister
Boulanger an seine Stelle getreten. Als Rußland sich trotz des Geheim-
vertrags Frankreich näherte und der Zweifrontenkrieg drohte, veröffent-
lichte Bismarck die Bestimmungen des Zweibundes von 1879 und hielt
am 6. Februar 1888 seine denkwürdige Rede, die mit den stolzen Worten
schloß: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt".
Beides wirkte wie ein kalter Wasserstrahl, und der Krieg ging vorüber.
Aber schon 24 Stunden später fand in Paris eine Besprechung statt, in
der sich Frankreich und Rußland über einen Zusammenschluß einigten.
Da Bismarck den deutschen Banken, als der Krieg auszubrechen drohte,
geraten hatte, Rußland kein Geld zu leihen, so benutzte das reiche
Frankreich diese Gelegenheit sehr geschickt, um das geldbedürftige Ruß-
land für den Ausbau seines Heeres und seiner Eisenbahnen mit Geld
zu unterstützen. Durch diese „goldene Kette" sind die beiden Staaten
aneinander geschmiedet worden; die wirtschaftliche Annäherung hat das
politische Bündnis vorbereitet. Das französische Rache- und das russische
Geldbedürfnis führten einige Fahre später zum französisch - russischen
Bündnis. • i!
Fm Fahre 1890 erfolgte Bismarcks Rücktritt. Die Lage Deutsch-
lands um diese Zeit war folgende. Cs war mit 50 Millionen Ein-
wohnern mit Österreich-Ungarn (41 Mill.) und Ftalien (31 Mill.) im
Dreibund vereint und stand mit Rußland (85 Mill.) in geheimer
Rückendeckung. England mit seinen 37 Mill. europäischen Einwohnern
mußte sich um die Gunst Deutschlands bemühen; Frankreich (38 Mill.)
stand in verhaltener Feindschaft abseits. Freilich darf man nicht über-
sehen, daß im Dreibund die italienischen Frredentisten gegen Österreich
hetzten und daß auch Bismarck die zunehmenden deutschfeindlichen pan-
slawistischen Strömungen in Rußland nicht hatte unterdrücken können.
Die Stellung Deutschlands hatte sich in den letzten Fahren, besonders seit
es auch Kolonialpolitik trieb, offenbar verschlechtert?) Aber als Bismarck
1890 sein Amt niederlegen mußte, wurde sein Ausscheiden von Deutsch-
land und seinen Freunden mit Sorge, von Deutschlands Feinden mit
Freude aufgenommen. Cr hatte doch durch seine geschickte Staatskunst
die einander widerstrebenden Großmächte beherrscht und so nicht nur
Deutschland, sondern auch Europa den Frieden erhalten. Cr hatte
Deutschland die Vormachtstellung in Europa gegeben, obwohl er Fest-
landspolitik trieb. Darum kann man ohne Übertreibung seine Amtszeit
eine Zeit deutscher Vormachtstellung in Europa unter Bismarck oder das
Zeitalter Bismarcks nennen. *)
*) Siehe Anm. 3 S. 70.
B. weltpolttik unter ñaiser Wilhelm II.
Verschiebung der Machtoerhultnisse in Luropa.
1S90—1914.
I. Abschnitt.
Oie Annäherung Deutschlands an Lngland unter dem
Neichskanzler Caprivi. 1890—1894.
1. Deutschlands Aufstieg und die Weltpolitik Kaiser Wilhelms.
In Kaiser Wilhelm II. war ein junger, pflichtgetreuer Herrscher
an die Spitze des Deutschen Reiches getreten, der, in vielem zukünftige
Entwicklungen und Bedürfnisse voraussehend, sich unablässig bemühte,
sein Volk zu fördern und seinem Lande Zukunftsziele und Richtlinien
zu geben. Bismarcks Streben ging begreiflicherweise vor allem dahin,
sein Lebenswerk, das Deutsche Reich, zu befestigen und im Inneren aus-
zubauen. Cr sah die Gegenwart mehr als Krönung der Vergangenheit,
denn als Grundlage der Zukunft an und trieb daher Festlandspolitik.
Unter ihm und durch ihn war aber Deutschland ein anderes Land ge-
worden, das nun naturnotwendig über Europa hinausdrängte und daher
auch einen Wechsel in der Politik hervorrufen mußte.
Deutschland war 1871 noch ein vorwiegend ackerbautreibender
Staat; die Landwirtschaft war das Rückgrat der Volkswirtschaft, erzeugte
aber doch nur annähernd den eigenen Bedarf. Die Industrie stand 1871
der Frankreichs nach und war in vieler Beziehung von England und
Belgien abhängig. Der Außenhandel erfolgte größtenteils unter fremder
Flagge, wobei England und Skandinavien vorherrschten. Hinsichtlich
seiner Bedeutung für die Weltwirtschaft stand Deutschland hinter Frank-
reich und den Vereinigten Staaten und wurde von England um ein Viel-
faches übertroffen.
1890 aber war Deutschland in seiner Handelsbewegung schon un-
mittelbar hinter England getreten und stand in seiner Kohlen- und Eisen-
industrie nur England und Amerika nach. Frankreich aber war in jeder
Beziehung überflügelt. Der Aufstieg von Handel und Industrie fand
jedoch nicht in dem Maße statt, daß er der Gesamtheit des jährlichen
Zuwachses genügend Nahrung geben konnte. Die Bevölkerung
Deutschlands war in den letzten 20 Jahren von 40 auf 50 Millionen ge-
stiegen; da diese nicht ernährt werden konnten, mußten jährlich im Durch-
schnitt 125 000 auswandern; 1881 erreichte die Auswanderung mit
220 000 den Höhepunkt. Dem Deutschen Reich gingen somit in diesen
Zeiten fast 25 °/0 des Geburtenüberschusses verloren.
16
Das konnte und durfte nicht immer so bleiben; daher mußte Deutsch-
land seine Einnahmen vermehren, um die Bevölkerung ernähren zu
können. Bisher war es ein landwirtschaftlicher Staat, aber der Vod.n
konnte doch nicht beliebig vermehrt werden. Sodann brauchte es auch
Geld, um Waren zu kaufen. Wenn also nicht die überschüssige Be-
völkerung zur Auswanderung gezwungen werden und damit dem
Deutschtum verloren gehen sollte, mußte Deutschland auch ein Industrie-
staat werden: die Voraussetzungen dafür, Kohle und Eisen, hatte es
ja in reichem Maße; aber darüber hinaus fehlte fast alles — geschulte
Arbeiter, Maschinen, eine Flotte, Geld —, und die Erzeugnisse der
älteren Industrieländer beherrschten den Weltmarkt.
Aber das Deutsche Reich setzte sich trotz aller Widerstände durch.
Die deutsche Industrie nahm einen in der Geschichte einzig dastehenden
Aufschwung, wenn er auch langsam und nicht ohne Rückschläge erfolgte.
Die tatsächliche Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft zur Welt-
wirtschaft ist also nicht das Ergebnis bewußten Wollens irgendwelcher
führenden Staatsmänner, sondern die Auswirkung der natürlichen und
wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands.
Einige Zahlen werden den Aufstieg unseres Landes am besten
klarmachen:
Kohlen Eisen Schiffe Handel
1870. ... 30 Mill. t 1,5 Mill. t ca. 150 überseed. 5 Milliard. M.
1890.... 90 „ „ 5 „ „ „ 900 „ 8
Daraus ergab sich aber die Notwendigkeit, sowohl für den Bezug von
Rohstoffen zu sorgen, als auch Absatzmärkte für die Industrieerzeugnisse
zu beschaffen.
Allen diesen Umständen hatte Bismarck nicht genug Rechnung ge-
tragen; sein Gedanke vom gesättigten Deutschland konnte aber jetzt
nicht mehr aufrechterhalten werden. Die deutsche Industrie verlangte
Rohstoffe und Absatzgebiete. So wuchsen wir infolge unserer Über-
völkerung und des Aufschwungs der Industrie in den Welthandel und
die Weltwirtschaft hinein. Dem mußte auch unsere Politik Rechnung
tragen; aus der Weltwirtschaft ergab sich naturgemäß die Weltpolitik.
Richt Machthunger und Herrschsucht veranlaßten sie, wie unsere Gegner
behaupten, sondern die Verhältnisse nötigten uns zu diesem Schritt,
wenn anders Deutschland nicht verkümmern wollte.*) Cs ist das welt-
geschichtliche Verdienst unseres Kaisers, daß er mit klarem Blick erkannte,
daß die zunehmende Bevölkerung und der große wirtschaftliche Auf-
schwung Deutschlands die Teilnahme an der Weltwirtschaft und Welt-
politik verlangten, und daß er seinem Land Richtlinien für die neue Zu-
kunft wies.
Da wir durch den Welthandel Rebenbuhler der Großmächte, vor
allem Englands, geworden waren, suchte Wilhelm II. die deutsche Poli-
tik nach folgenden Gesichtspunkten zu gestalten:
*) Caprivi sagte: „Entweder muffen wir Menschen oder Waren ausführen".
17
1. Das Deutsche Reich mußte hinaus in die Welt, wenn es
leben wollte — unsere Zutunst liegt aus dem Wasser —, aber es
wollte keine kriegerischen Eroberungen machen; es erstrebte nur den
freien Wettbewerb unter den Kulturvölkern, es forderte nur freie
Betätigung im Schutz der Handelsinteressen, den Grundsatz der
„offenen Türe", d. h. es wollte in allen Gebieten, die noch nicht
von europäischen Mächten beseht waren (z. B. in China, Persien,
Marokko) ungestört Handel treiben. Zur Sicherung desselben brauchte
es eine deutsche Flotte. Selbstverständlich sollte auch fernerhin der
Dreibund die Grundlage der deutschen Auslandspolitik sein; denn
der Kern der deutschen Kraft lag nach wie vor in Europa. Ins-
besondere wurde die Notwendigkeit des festen Zusammenhaltens mit
Österreich-Ungarn betont.
2. Daneben aber hielt Wilhelm II. auch die Schaffung eines
Landwegs nach Asien für notwendig, damit Deutschland im Falle
eines Krieges nicht vollständig abgeschlossen werden könnte. Er hatte
deshalb schon 1889 durch einen Besuch in Konstantinopel Beziehungen
mit dem Sultan angeknüpft, die allmählich immer herzlicher wurden.
3. Dabei war Wilhelm II., ebenso wie Wilhelm I. und Bis-
marck, eifrig bestrebt, den Frieden zu erhalten, solange es die Sicherheit
des Reiches irgend gestattete, unter Voraussicht der ungeheuren Opfer
an Blut und Gut, die neuzeitliche Kriege fordern. Von 1890—1914
hat Deutschland auch keinen Krieg geführt, obwohl ihm die Gunst der
Verhältniße einen solchen oft nahegelegt hätte.
Da Deutschland erst in seine neuen Aufgaben hineinwachsen mußte
und noch keine Erfahrungen in der Weltpolitik hatte, da es außerdem
infolge seiner ungünstigen Lage immer auf seine Nachbarn Rücksicht
nehmen und seine Ziele und Pläne nicht so offen aussprechen konnte, wie
z. V. England, so hatte es einen schweren Stand; seine Politik ging
nicht ohne Schwanken vonstatten und hatte dadurch vielfach etwas Un-
sicheres und Unberechenbares; *) hierdurch kam Deutschland mit Unrecht
beim Auslande in den Verdacht, es strebe nach der Weltherrschaft.
Infolge der Neuheit der Ziele wurde Kaiser Wilhelm von seinem
Volk zunächst nicht verstanden, und es gehört auch zur Tragik seines
Lebens, wie schwer ihm seine Aufgabe durch seine eigenen Untertanen
gemacht wurde. Daß er mißverstanden wurde, bewirkten freilich zum
Teil die ersten Handlungen des „neuen Kurses", vor allem der Helgo-
land-Sansibar-Vertrag und seine Folgen.
Vor Eintritt in die Besprechung der Regierungszeit Kaiser Wil-
helms II. sei bemerkt, daß die richtige Einschätzung und Würdigung
zahlreicher Ereignisse heute noch schwer ist, da der beherrschende Über-
blick — das Urteil der Geschichte — fehlt, um mit Sicherheit Richtiges
und Falsches zu sondern. Sie ist auch vielfach eingeschränkt durch staat-
liche Pflichten und Rücksichten aus lebende Personen.
*) „Zick-Zaä-Kurs".
Ehringhaus, 1870 — 1914.
2
18
2. Die englisch-deutsche Annäherung durch den Helgoland-Sansibar-
Vertrag 1890.
Die erste folgenschwere Amtshandlung des neuen Reichskanzlers
Caprivi war das Abkommen über afrikanische Kolonien und Helgoland am
17. Juni 1890, der sogenann.e Helgoland-Sansibar - Vertrag.
Für den Verzicht aus das Sultanat Witu, die Somaliküste samt Inseln
und Anrechten auf Sansibar in Ostasrika sowie die Gebiete im Vetschuana-
land in Südafrika erhielt Deutschland neben der Anerkennung von
Deutsch-Ostafrika bis zu den großen Seen und dem Caprivizipfel in
Deutsch-Südwestafrika nur die kleine Insel Helgoland. Die damalige
Aufnahme des Vertrags in England war allgemeine Zufriedenheit. Der
Weltreisende Stanley sagte, man habe einen ganzen Anzug für einen
Hosenknopf umgetauscht; aber in Deutschland entstand ein Sturm der
Entrüstung. In England erkannte man damals den Wert von Helgo-
land nicht und überschätzte Sansibar, wie fast allgemein auch bei uns.
Heute erkennen wir alle den Besitz Helgolands als eine Lebensfrage für
Deutschland an und sind unserem Kaiser dafür dankbar, daß er uns diese
Insel, die die Nordsee beschützt, erworben und zu einer starken See-
festung umgewandelt hat. Trotzdem darf man behaupten, daß wir da-
mals nicht so große Opfer hätten zu zahlen brauchen. Caprivi war aber
weder ein Kolonialfreund noch ein großer Staatsmann, und er wollte
sich England nähern. Das Abkommen ist die erste Offenbarung des
neuen Kurses, der Anschluß an England suchte und damit in der Politik
einen jähen Wechsel eintreten ließ. Bismarck hatte England vereinzelt
und sich an Rußland angelehnt, Wilhelm II. war persönlich sehr eng-
landfreundlich — seine Mutter war eine Engländerin — und hielt eine
Verbindung der größten Landmacht mit der größten Seemacht für das
beste. Bei der Unsicherheit der damaligen russischen Politik suchte er
daher engeren Anschluß an das uns auch kulturell näher stehende Eng-
land, wodurch freilich das Verhältnis Deutschlands zu Rußland ge-
lockert und eine Annäherung Rußlands an Frankreich ermöglicht wurde.
3. Die russisch-französische Annäherung 1891.
Rußland war schon durch den Helgoland-Sansibar-Vertrag recht
beunruhigt worden; als dann im Herbst 1890 der Rückversicherungs-
vertrag nicht erneuert wurde, war es von der abgeschlossenen deutsch-
emglischen Annäherung überzeugt und leistete dem Liebeswerben Frank-
reichs nicht länger Widerstand. Warum dieser nicht erneuert wurde, ist
noch nicht geklärt. Schon unter Bismarck waren die Beziehungen zu
Rußland — was nicht immer gebührend gewürdigt wird — immer mehr
erkaltet, und die Erhaltung eng-sreundlicher Beziehungen war ihm nur
durch seinen persönlichen Einfluß auf den Zaren gelungen. Ein Bünd-
nis, das nur auf zwei Augen stand, verbot dem Deutschen Reich jede
Betätigung auf Gebieten, die für die Zukunft Deutschlands und Oster-
reich-Ilngarns von entscheidender Wichtigkeit werden mußten. Die
heutige enge Freundschaft zwischen Österreich und Deutschland war nie-
19
mals möglich, solange Deutschland durch geheime Abmachung an Ruß-
land gebunden war, und Deutschland konnte mit der russischen Rücken-
deckung nie der Freund der Türkei, die Bismarck nicht die Knochen eines
pommerschen Musketiers wert war, nie der Bulgariens, nie der Be-
freier der Westslawen werden. Da auch 1888 trotz des Geheimvertrags
der Krieg mit Rußland drohte und bei der scharfen Spannung zwischen
England und Rußland Deutschland leicht in Verwicklungen und einen
offenen Gegensatz zu England hineingezogen werden konnte, so näherte
man sich damals England, ohne darum Feindschaft gegen Rußland zu
wollen oder zu pflegen. Wenn es auch übertrieben ist, in der Nicht-
erneuerung die erste große Ursache des Weltkrieges und des Hasses
Rußlands gegen uns zu sehen, so muß man doch den mutwilligen Bruch
mit Rußland bedauern und als folgenschweren Fehler ansehen, der sich
auch sofort in doppelter Beziehung bemerkbar machte.
1. Rußland stand jetzt ohne Bündnis allein, und da es den deutsch-
englischen Vertrag als eine Drohung empfand, so näherte es sich Frank-
reich, um nicht allein zu stehen. Fm Fahre 1891 besuchte eine französische
Flotte den russischen Hafen Kronstadt, und dort hörte der selbstherrliche
Zar stehend und entblößten Hauptes die Marseillaise, das Lied der
französischen Revolution, an. Zwar wollte er noch kein Bündnis mit
der Republik schließen, aber die Annäherung war doch vollzogen und
führte bald den Abschluß des Bündnisses herbei. Wie diese Tatsache
wirkte, beweist am besten eine Stelle aus einem französischen Geschicht-
schreiber: „Diese öffentliche Huldigung des Zaren tat mehr als zehn
Verträge, um unser Volk zu überzeugen, daß die russische Allianz ge-
schlosien war. Bei der Nachricht hiervon verbreitete sich ein ungeheurer
Fubel im ganzen Land. Nirgends sprach man von etwas anderem als
vom heiligen Rußland, und die russische Nationalhymne wurde bis in
unsere Dörfer eine unzertrennliche Begleiterin der eigenen." Frank-
reich wollte Rußland hauptsächlich für seine Rachepläne gebrauchen,
dieses aber hielt sich zunächst, solange es in Asien beschäftigt war, zum
großen Leidwesen der Franzosen zurück und betrachtete den „Zweibund"
mehr als Schreck- und Druckmittel gegen den Dreibund. Daher trat
zwar keine dauernde Entfremdung zwischen Deutschland und Rußland
ein, wie man anfangs befürchtet hatte, aber die Annäherung an England
brachte uns doch nicht die gewünschten Früchte.
2. Durch die Aufgabe des Rückversicherungsvertrages war England
aus langer Vereinzelung erlöst und konnte nun nach altem Muster
je nach Wahl den einen Bund gegen den andern ausspielen. Da
Deutschland nun keine wirksame Rückendeckung an Rußland mehr hatte,
zeigte England, daß es jetzt keine Ursache mehr habe, auf deutsche
Wünsche besondere Rücksicht zu nehmen. Die Rückwirkung der bald
eintretenden deutsch-englischen Mißstimmung brachte gleichsam von selbst
auch eine Lockerung des Bandes zu Ftalien.
Da England Deutschland nur im englischen Fnteresie als Deckung
gegen seine im Zweibund geeinigten Feinde, Frankreich und Rußland,
betrachtete, so begannen sich die Wege Deutschlands und Englands
2*
20
immer mehr zu trennen, und das Deutsche Reich war bestrebt, sich dem
Zweibund zu nähern. Das geschah nach dem Rücktritt Caprivis unter
dem russenfreundlichen Reichskanzler Hohenlohe, besonders seit dem Re-
gierungsantritt des Zaren Nikolaus II. (1894), der eine deutsche Prin-
zessin geheiratet hatte (Alice von Hessen, die Schwester des Großherzogs
von Hessen-Darmstadt).
II. Abschnitt.
Das Erwachen des Ostens; der Eintritt Japans uncl
Nordamerikas in die weltpolitik. Die wachsende
Spannung zwischen Deutschland und England und
die Annäherung Deutschlands an den Zweibund.
1894-1898.
1. Der Chinesisch-japanische Krieg (Schimonoseki) 1894/95.
Das Jahr 1894 bedeutet einen weltgeschichtlichen Wendepunkt;
denn mit ihm beginnt nicht nur eine neue Gruppierung der Mächte um
England und Deutschland, sondern in ihm tritt vor allem zum erstenmal
die gelbe Rasse tätig in die Weltgeschichte ein. Vis daher hatten die
Großmächte Europas die Welt beherrscht, 1894 trat plötzlich Japan
dem russischen Eroberer in den Weg. Zn nur 30 Zähren hatte sich dies
Znselreich überraschend schnell in einen neuzeitlichen Staat verwandelt.
Wegen seiner starken Übervölkerung suchte es sich im gegenüberliegen-
den Korea, das von China abhängig war, festzusetzen. Da stieß es auf
den Widerstand Rußlands, das ebenfalls auf dieses Land die Hand
legen wollte, um einen eisfreien Hafen zu gewinnen. Rach den Miß-
erfolgen auf dem Balkan hatte es nämlich versucht, sich in Ostasien zu
entschädigen. Cs hatte Sibirien immer mehr kolonisiert und den Hafen
Wladiwostok (d. h. beherrsche den Osten) angelegt; seit 1891 hatte es
den Vau der großen sibirischen Eisenbahn begonnen. Da aber der neue
Hafen 4—5 Monate zufriert, suchte es südlichere Gebiete mit eisfreien
Häfen zu erlangen. Dadurch wurden Rußland und Zapan Neben-
buhler. Letzteres suchte möglichst schnell eine Entscheidung der korea-
nischen Frage mit China herbeizuführen und begann 1894 den Krieg,
um sich die Vormachtstellung in Korea zu sichern. Ein glänzender
Siegeszug zu Wasser und zu Land offenbarte aller Welt die in wenigen
Zähren und unbeobachtet geschaffene militärische Stärke — preußische
Offiziere waren die Lehrer der Japaner — und sicherten ihm im Frieden
von Schimonoseki (in Zapan) im April 1895 die Halbinsel Liau-
tung mit Port-Arthur, die Znsel Formosa und die Unabhängigkeit
Koreas. Da erhoben die europäischen Mächte Rußland, Frankreich
und Deutschland gegen die Festsetzung auf dem asiatischen Festlande
Einspruch. Warum? Rußlands Pläne wären durch die Herrschaft
Zapans über die Straße von Korea vernichtet worden, Frankreich tat es
wegen seiner Besitzungen in Hinterindien und des Handels mit China.
21
Deutschland aber hatte damals noch keine großen Handelsinteressen in
China und war doch japanfreundlich. Man geht wohl nicht fehl in der
Annahme, daß es sich dem Zweibund anschloß, weil wir die Beziehungen
zu ihm bessern und England unsere Selbständigkeit zeigen wollten, vor
allen Dingen aber deshalb, weil Rußland die Anlegung eines Flotten-
stützpunktes in Ostasien durch Deutschland im Fall der Unterstützung
nicht verhindern wollte. Wir unterschätzten damals — wie fast alle
Staaten, außer England — Japan und verfeindeten uns dadurch leider
mit ihm; denn Zapan hat diesen Schritt Deutschlands, gerade weil es
mit ihm befreundet war, nie vergessen und sich 1914 hierfür gerächt.
Es wäre vorteilhafter gewesen, wenn wir uns damals zurückgehalten
hätten; wir brauchten und durften uns der aufsteigenden Land- und See-
macht nicht in den Weg stellen, deren Freundschaft für uns eines Tages
von höchstem Wert werden konnte. Ob auch die Angst vor der „gelben
Gefahr" mitgewirkt hat, läßt sich heute noch nicht beurteilen. Jedenfalls
dürfen wir uns durch sie nicht bestimmen laßen, naturgemäße Feinde
unserer Gegner uns zu entfremden. Auf absehbare Zeit muß es unsere
Sorge sein, unsere heiligsten Güter gegen die uns feindlichen Völker
Europas zu wahren, und wir müssen die Abwehr der gelben Gefahr
füglich denen überlassen, die sie zunächst bedroht. Das weitblickende
England lehnte im letzten Augenblick eine Beteiligung am Einspruch
der Großmächte ab und näherte sich damit Japan, das schweren Herzens
nachgeben und sich mit Formosa begnügen mußte.
2. Die englische Südafrika-Politik und die Krügerdepesche 1896.
England hatte bisher in unverkennbarer und unbehaglicher Ver-
einzelung gestanden. Reue Großmächte und Rebenbuhler waren ent-
standen (Deutschland, Nordamerika); es war nicht mehr wie früher der
Herr der Welt. Daher ergriff das Weltherrschaftsstreben, der Imperia-
lismus, dort immer weitere Kreise und forderte Gegenwehr auf allen
Gebieten. Rur ungern hatte es die Annäherung Deutschlands an Ruß-
land gesehen, und das neue Ministerium versuchte das Zusammengehen
der beiden Mächte zu verhindern. Cs schlug deshalb Kaiser Wilhelm
die Teilung der Türkei vor. Dieser aber lehnte sie mit Recht ab, weil
sie uns nur mit Rußland in einen Krieg verwickelt hätte. England war
schon hierüber verstimmt, die Vurenfrage ließ die Mißstimmung dann
hell auflodern.
Die Engländer hatten den Plan gefaßt, eine großes, zusammen-
hängendes südafrikanisches Kolonialreich zu schassen. Seitdem nun im
Vurengebiet Gold und Diamanten gefunden worden waren, waren sie
ernstlich bestrebt, die Vurenrepubliken in ihr Reich einzugliedern. Da
Deutschland durch seine Kolonie in Südwestafrika den Buren benachbart
war, hatte es freundschaftliche Beziehungen zu ihnen angeknüpft. Eng-
land war es gelungen, Deutsch-Südwest von den Grenzen des Vuren-
landes abzudrängen; Deutschland war aber nicht gewillt, der Auf-
saugung der Buren tatenlos zuzusehen. In England erhob sich daher
22
schon 1895 eine wilde Pressehetze gegen Deutschland. Als nun im
Dezember 1895 ein Engländer Dr. Fameson im Einverständnis mit
dem Minister von Kapland Lecil Rhodes, dem eifrigsten Vorkämpfer
und Begründer des englischen südafrikanischen Kolonialreiches, sich durch
einen Überfall der Hauptstadt Pretoria bemächtigen wollte, wurde er
von den Buren gefangen genommen. Die deutsche Regierung erhob
gegen die Gewalttat Vorstellungen in London und sandte am 3. Januar
1906 ein Telegramm an den Vurenpräsidenten Krüger, in dem sie ihn be-
glückwünschte, daß es ihm gelungen sei, den Friedensstörer festzunehmen
und die ünabhängigkeit des Landes zu wahren. Diese Depesche erweckte
in ganz Deutschland Helle Begeisterung, zumal der „neue Kurs" bisher
vielfach sehr enttäuscht hatte. Sie entsprach eben dem Gerechtigkeits-
gefühl des Volkes und macht ihm alle Ehre; aber politisch betrachtet,
war sie doch ein Fehler. Denn da Deutschland keine leistungsfähige
Flotte hatte und ohne Rückhalt an Rußland war, konnnte es dem see-
beherrschenden England nicht entgegentreten. Deutschland trieb damals
— wie so oft — Gefühls-, nicht Realpolitik, wie Bismarck, d. h. es fragte
nicht, ob sein Verhalten ihm nützte oder schadete. Das unfehlbare Vis-
marcksche Augenmaß für die nackte Machtlage der Dinge hatte gefehlt,
sonst würde man sich weniger vorgewagt haben. In England aber erhob
sich ein furchtbarer Cntrüstungssturm, der sich in den wütendsten Be-
schimpfungen des Deutschen Kaisers und Reiches entlud und uns um
so mehr überraschte, als wir uns über die weitschauenden Pläne Eng-
lands — Schaffung eines großen südafrikanischen Kolonialreichs —
nicht klar waren. Die englische Regierung hinderte den Zeitungssturm
in keiner Weise und beeilte sich nun erst recht, den freien Vurenstaaten
ein Ende zu machen. Deutschland aber blieb gar keine andere Wahl,
als vor dem tatkräftigen Auftreten Englands zurückzuweichen; seitdem
hielt es sich zurück, aber England war verstimmt. Die Krügerdepesche hat
zwar noch nicht, wie vielfach geglaubt wird, den Bruch mit England
herbeigeführt, aber sie bedeutet doch einen Wendepunkt im Verhältnis
der beiden Staaten. Es entstand eine Mißstimmung, die nie wieder
ganz gehoben ist, zumal damals die englische Lügenpresse des Schrift-
stellers Harmsworth, des späteren Lord Rorthcliffe, gegründet wurde,
die gegen uns hetzte.*) Dieses Gift hat immer weiter schamlos um sich
gefressen und den gesunden Sinn des englischen Volks und der anderen
Staaten zersetzt, was uns erst während des Weltkrieges klar wurde.
Die Krügerdepesche war also ein Schlag ins Wasser, zumal auch
Frankreich uns damals nicht unterstützte, sondern offen erklärte, daß
Deutschland sein Feind sei, solange es Elsaß-Lothringen besitze. Da-
durch war auch ein engerer Anschluß Deutschlands an den Zweibund
unmöglich. Das Telegramm brachte zwar nicht den Bruch mit Eng-
land — der erfolgte erst 1901 durch das Jangtse-Abkommen (S. 30) —,
aber es gab England zuerst Veranlassung, seinem Handelsneid Ausdruck
zu geben; denn der eigentliche innere Grund zu dem Benehmen Cng-
*) Die Zeitung „Daily Mail".
23
lands gegen das kulturverwandte germanische Reich war dis Eifersucht
aus den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands im letzten Jahrzehnt,
besonders nach 1895.
3. Englands Neid auf Deutschlands wirtschaftlichen Aufstieg.
Schon früher (S. 16) ist gezeigt worden, wie Deutschlands Handel
und Industrie nach 1871 gestiegen war, aber anfangs ging es doch nur
langsam; allmählich aber holte Deutschland die anderen Länder ein
und überflügelte sie sogar. Während wir früher vorwiegend ein acker-
bautreibender Staat waren, der noch Getreide ausführte, blühte nun
unsere I n d u st r i e immer mehr aus.*) In der Kohlenförde-
rung näherten wir uns England immer mehr. 1875 förderte England
dreimal so viel wie wir, 1890 nur noch zweimal so viel.
1875 1890 1900 1913
Deutschland . . . 50 90 150 280 Mill. t.
England . . . . 150 180 220 290 „ „
In der Eisenerz gewinnung hat Deutschland sich England immer
mehr genähert und es schon 1903 überholt.
1875 1890 1900 1903 1913
Deutschland ... 2 5 8 10 25 Mill. t.
England .... 8 8 8'/, 0 15 „ „
Früher konnten wir die reichen Cisenlager Elsaß-Lothringens nicht ver-
werten, da sie zu viel Phosphor enthielten; erst als es 1878 durch das
Thomasverfahren gelang, das Eisen phosphorsrei zu machen, konnte
es zu Stahl verarbeitet werden.
Der Handel Deutschlands war von 1890 bis 1900 von 8 aus
11 Milliarden gestiegen, der Englands nur von 15 aus 18. Früher
erfolgte der Handel Deutschlands größtenteils unter fremder Flagge;
allmählich hatte es aber selbst Werften angelegt und Schisse gebaut.
Vald hatte es nicht nur die größten Schiffahrtsgesellschaften, Hamburg-
Amerika-Linie und Norddeutscher Lloyd, sondern auch die schnellsten
und besten Schisse der Welt. Unsere Kaufleute eroberten Schritt für
Schritt die Welt, die bisher England allein versorgt hatte, weil sie
mit guten Sprachkenntnissen ausgerüstet waren und sich den Völkern
bester anzupassen wußten als die selbstbewußten Engländer.
Bisher war England das Industrieland, der Kaufmann der
Welt gewesen, jetzt war Deutschland sein Nebenbuhler geworden. Das
erregte seine Eifersucht, und aus diesem Handelsneid ging die deutsch-
feindliche Stimmung hervor, die sich allmählich zum Haß auswuchs
und einer der Hauptgründe des Weltkrieges ist. Seit 1887 versuchten die
Engländer die deutschen Waren dadurch zu verdrängen, daß sie auf alle
deutschen Erzeugnisse den Stempel „Made in Germany" d. h. in
*) Daneben blieb unsere Landwirtschaft nicht nur bestehen — im Gegensatz
zu England — sondern nahm auch einen glänzenden Aufschwung, s. Anm. 5 S. 71.
24
Deutschland angefertigt aufdrucken ließen, aber sie erreichten hiermit
gerade das Gegenteil. Die fremden Waren wurden nun erst recht
gekauft, weil man merkte, daß sie gut waren. Seitdem entstand in dem
britischen Handelsvolk eine immer schärfere Stimmung gegen uns.
Sehr bezeichnend hierfür und ein sichtbares Anzeichen für die ersten
Wutausbrüche des Hasses ist ein Aufsatz in der englischen Zeitschrift
„Saturday Review" im September 1897. „England . . . und Deutsch-
land . . . wetteifern miteinander auf der ganzen Erde. Wo nur die
Flagge der Bibel folgte und der Handel der Flagge, da steht der deutsche
Geschäftsreisende im Kampf mit dem englischen Kaufmann. Gibt es
irgendwo ein Bergwerk auszubauen oder eine Eisenbahn zu bauen, so
kämpfen Deutsche und Engländer um den ersten Platz. Eine Million
kleiner Nadelstiche erzeugt den größten Kriegsfall, den die Welt je
gesehen hat. Wenn Deutschland morgen ausgelöscht
wäre,gäbe es übermorgen keinen Engländer in der
Welt, der nicht um so viel reicher wäre. Völker haben
jahrelang um eine Stadt oder ein Erbrecht gekämpft; müssen sie nicht
um einen jährlichen Handel von 300 Millionen Pfund Krieg führen________
Dieser Krieg ist gefahrlos, denn „England ist die einzige Großmacht,
die Deutschland ohne Gefahr bekämpfen könnte_______" Dieser lästerliche
Artikel schließt mit den Worten: „Deutschland muß also vernichtet
werden". Das amtliche England blieb freilich damals noch solchen
gemeinen Angriffen fern, aber ein Teil der englischen Geschäftswelt
war doch von solchen Gedanken erfüllt. And es blieb nicht bei Worten,
sondern die englische Presse hetzte, wie schon erwähnt, seitdem die ganze
Welt gegen uns auf. Als Englands Handel wieder zunahm, trat die
Handelseifersucht mehr in den Hintergrund, zumal wir Englands bester
Kunde waren und umgekehrt; aber sie verschwand nicht mehr, so daß der
belgische Gesandte Baron Greindl wohl mit seiner Äußerung von 1905
recht hat: „Die wahre Ursache des Haffes der Engländer gegen
Deutschland ist die Eifersucht, hervorgerufen durch die außergewöhnlich
rasche Entwickelung der deutschen Handelsflotte, des deutschen Handels
und der deutschen Industrie". Da unser Handel den Engländern schutz-
los preisgegeben war, wie „Butter an der Sonne" lag, schuf unser
Kaiser Derttschland auch eine Kriegsflotte.
4. Der deutsche Flottenbau 1898.
Während der ersten Negierungsjahre unseres Kaisers stand Eng-
land dem Ausbau der deutschen Flotte wohlwollend gegenüber, da es
sie als gefahrlos ansah. Man hielt sie für eine Spielerei, eine Laune
des Kaisers. Zuerst wurde auch nur gänzlich Unzulängliches erreicht.*)
Die Mehrheit des deutschen Volkes, noch ausgesprochener aber die des
Reichstags, brachte der Notwendigkeit einer starken Flotte nur ein recht
mangelhaftes Verständnis entgegen, und die amtliche Vertretung war
nicht geschickt genug, um der Schwierigkeiten Herr zu werden. Bismarck,
der wohl am schärfsten die veränderte und geschwächte Stellung Cng-
') Siehe Anm. 4 S. 70.
25
land gegenüber durchblickte, trat jetzt mehrfach in beeinflußten Zeitungs-
aufsätzen für die Notwendigkeit ein, den gestiegenen Seehandel durch
eine starke Flotte zu schützen. Auch seine Stimme verhallte im Winde.
Dagegen wurde 1895 ein für den Seehandel und Deutschlands Schlag-
fertigkeit zur See höchst wichtiges Bauwerk fertiggestellt, der Nord- und
Ostsee verbindende Kaiser-Wilhelm-Kanal. Es ist ein hohes Ver-
dienst unseres Kaisers, daß der Vau dieser schon seit langen Jahren von
Bismarck und Moltke geplanten Wasserstraße endlich in Angriff genom-
men und tatkräftig durchgeführt wurde. Da war es denn von der größten
Bedeutung, daß Kaiser Wilhelm II. 1897 endlich den geeigneten Mann
fand, der ihm bei der Schaffung einer starken Flotte hilfreich zur Seite
stand und dem wir unsere heutige Flotte hauptsächlich zu verdanken haben,
T i r p i tz. Dieser legte 1897 dem Reichstag zuerst einen festen Plan
zum allmählichen Vau einer Hochseeflotte vor. Sein Verdienst ist es,
1. daß er es durchsetzte, daß jährlich eine bestimmte Anzahl von Schiffen
gebaut und eine entsprechende Anzahl alter Fahrzeuge ausgeschieden
wurde, 2. daß er durch unausgesetzte Werbearbeit (durch Druckschriften,
gute Zusammenstellungen, den Flottenverein) den wirtschaftlichen Auf-
stieg Deutschlands in weiten Kreisen des Volkes bekannt machte und
so der Überzeugung Bahn brach, daß zum Schutz des Handels eine Flotte
unbedingt nötig sei, daß Neichsgewalt Seegcwalt sei und beide auf-
einander angewiesen seien. Fm November 1897 besetzte Deutschland
Kiautscbou und schuf sich damit einen Flottenstützpunkt für seine ostasia-
tische Politik. Gleichzeitig mit der Schaffung der deutschen Flotte trat
Deutschland mit dem Orient in nähere Verbindung.
5. Deutschlands Orient-Politik.
Nach dem Berliner Kongreß und vor allem nach der Besetzung
Ägyptens 1882 hatte England kein Fnteresie mehr für die Türkei, weil
sie ihm in ihrer Schwäche nicht gegen Nußland helfen konnte, und weil
es auch Arabien und Ägypten dauernd beherrschen wollte, um eine Ver-
bindung Kap - Kairo - Kalkutta, d. h. ein großes, zusammenhängendes
Kolonialreich von Südafrika bis Indien herstellen zu können. — Näheres
S. 46. — Cs suchte daher von jetzt an die Türkei zu schwächen und unter-
stützte die Mazedonier, Armenier, Kreter und Griechen in ihren Kämpfen
mit der Türkei. Deutschland dagegen erstrebte im Gegensatz zur englischen
Politik eine Stärkung der Türkei und wurde so ein Nebenbuhler Ruß-
lands und Englands. Cs suchte sich im Orient für das, was es in
Südafrika vor England zurückweichend aufgegeben hatte, neue Rohstoff,
gebiete und Absatzmärkte zu schaffen und auch Siedlungsland für seine
überschüssige Bevölkerung zu gewinnen, ünser Kaiser reiste im Herbst
1898 zum zweitenmale in den Orient und sprach damals in Damaskus
die berühmten Worte: „Mögen die 300 Millionen Mohammedaner,
die auf der Erde zerstreut sind, desien versichert sein, daß ewig der
deutsche Kaiser ihr Freund sein wird". Da England damals durch
Frankreich bedroht war, mußte es Deutschland den Vau der Bagdad-
bahn gestatten; aber es sah darin eine Bedrohung Indiens und seines
26
zukünftigen Kolonialreiches und entfremdete sich hierdurch dem Deut«
sehen Reich immer mehr. Zunächst freilich waren Rußland und Frank-
reich noch seine Feinde, und so versuchte es, Deutschland für sich gegen
den Zweibund zu gewinnen.
6. England erweitert seine Machtstellung in den Kolonien
und im Sudan.
Während das Vordringen Rußlands in Asien England mit großer
Sorge erfüllte und letzteres sich daher Japan immer mehr näherte, suchte
gleichzeitig der Minister Chamberlain die einzelnen englischen Kolonien
durch einen engeren Zusammenschluß an das Mutterland zu fesseln und
ein „größeres Britannien" zu schaffen. 1897 kamen die Minister der
Kolonien zum erstenmal zu einer Konferenz zusammen, die seitdem
jährlich tagte. Vor allem aber gelang es England 1898, sein Reich
durch die Eroberung des Sudan wesentlich zu erweitern. 1885 hatte
es ihn nicht erobern können, aber mit echt englischer Zähigkeit hielt es
an seinem Plan, die Rilländer und -quellen zu erobern, fest. Kitchener
drang seit 1896 in den Sudan vor, schlug die Eingeborenen bei
Omdurman und rückte weiter nach Süden vor. Da stieß er unerwartet
bei Faschoda auf eine französische Abteilung unter dem Hauptmann
Marchand, und nun drohte der Zusammenstoß der beiden alten Kolo-
nialgegner den Weltkrieg herbeizuführen.
7. Frankreichs Politik und die Schmach von Faschoda (1898).
Kaiser Wilhelm hatte keine Gelegenheit versäumt, um den Fran-
zosen Liebenswürdigkeiten und Höflichkeiten zu erweisen, um sie ver-
söhnlich zu stimmen. Cr hatte damit nur bei wenigen Erfolg, die
Mehrheit legte sein Verhalten als Schwäche aus und gab den Rache-
krieg nicht auf. Als die heftigen inneren Kämpfe (Panama- und
Dreyfuß-Skandal) erledigt waren, hatte Rußland endlich das ersehnte
„Bündnis" mit Frankreich abgeschlossen; jedoch ließ Alexander III.
keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er nicht bereit sei, das Werk-
zeug französischer Rachepläne zu werden. Um so erfolgreicher war die
französische Kolonialpolitik in Hinterindien und Afrika. Zn Nord-
afrika hatte es ein großes, zusammenhängendes Kolonialreich geschaffen
und erstrebte nun seine Ausdehnung bis an den Indischen Ozean.
Marchand erreichte 1898 F a s ch o d a am oberen Nil, und mit Abessinien
wurden aussichtsreiche Verhandlungen geführt. Da erhob England in
schroffer Form Einspruch und verlangte, daß die Franzosen diese Ge-
biete räumen sollten. Würde das stolze, ruhmbegierige Frankreich sich
diese „Schmach von Faschoda" gefallen lasten? Das französische Volk
schäumte vor Wut, aber die Regierung entschied sich aus persönlichen
und sachlichen Gründen für unbedingtes Zurückweichen vor England.
Der neue Minister des Auswärtigen, Delcasto, war einer der größten
Gegner Deutschlands und wollte den Rachekrieg; daher suchte er An-
schluß an England. Es war dies ein folgenschwerer Entschluß für
27
die Geschichte Frankreichs und Europas, eine Keimzelle des jetzigen
Weltkrieges.
Frankreich war freilich damals England gegenüber zu schwach; ein
Bündnis mit Deutschland suchte es nicht, andererseits hatte England
damals Deutschland festgelegt. Als der Krieg mit Nußland und Frank-
reich drohte, hatte Portugal die Zahlung seiner Schuldenzinsen ein-
stellen müßen. Cs war daher nicht ausgeschlossen, daß es zur Rettung
seiner Finanzlage über lang oder kurz an einen Verkauf seiner afrika-
nischen Kolonien würde denken müssen. England band Deutschland
durch ein Geheimabkommen (September 1898) über die Teilung des
Besitzes. Da es aber in der Folge die Vormundschaft über Portugal
übernahm, so lag es ganz in seiner Hand, den Eintritt der Teilung
nach Belieben festzusetzen. Jedenfalls haben wir bis 1914 nichts er-
halten, und es ist zu bedauern, daß Deutschland die günstige Gelegen-
heit in keiner Weise auszunutzen verstand und von England keine
Gegendienste verlangte. Das wäre um so berechtigter gewesen, als sich
seine Lage durch Italiens Verhalten verschlechtert hatte.
8. Italiens Politik.
Seit der Besetzung von Tunis hatte Italien jahrelang in ge-
spanntem Verhältnis zu Frankreich gestanden; beide Länder hatten sich
in erbitterter Zollsehde bekämpft. Nach dem Tode des deutschfreund-
lichen Ministers Erispi und der Niederlage der Italiener in Adua
(Abessinien) näherte sich Italien Frankreich. Dem französischen Ver-
treter Varröre gelang es in der Folge — vor allem auch durch Be-
stechungen der Zeitungen und die Beziehungen zu den Freimaurer-
logen — Italien immer mehr vom Dreibund abzuziehen; er wird daher
mit Recht der „Totengräber des Dreibundes" genannt. Im Jahre
1896 hatte sich außerdem der Kronprinz mit Helene, einer Tochter des
Fürsten Nikolaus von Montenegro, deren Schwestern an zwei russische
Großfürsten und den König von Serbien verheiratet sind, vermählt.
Seitdem wurde Italien immer österreichfeindlicher und russenfreund-
licher und sein Interesse aus das Adriatische Meer und Albanien gelenkt.
Die Annäherung an die Westmächte und die Verschärfung des Gegen-
satzes gegen Österreich gehen zeitlich und ursächlich zusammen. Das
ereignisreiche Jahr 1898 brachte noch eine Tatsache von großer Be-
deutung, den sichtbaren Eintritt Nordamerikas in die Weltpolitik.
9. Der Eintritt Nordamerikas in die Reihe der Weltmächte 1898 und
seine Folgen.
In Deutschland hatte man — noch bis 1917 — meist ganz falsche
Vorstellungen von den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Man
hielt sie für einen Friedensstaat, der keine Machtgelüste hatte. Tatsäch-
lich hat dieser Staat schon seit 100 Jahren weltpolitische Bestrebungen,
wie jede andere Macht. Schon die Verkündigung der Monroe-Lehre
(1823), daß Amerika den Amerikanern gehören solle, während es sich
nicht in europäische Verhältnisse mischen wolle, zeigte klar das Selbst-
28
gefühl der jungen Republik. Der Aufteilung der Welt unter die Groß-
mächte wollte Amerika nicht zusehen, und so wurde es auch in die Welt-
politik hineingetrieben, besonders unter seinem Präsidenten Kmley
(1897—1901). Aber erst der spanisch-amerikanische Krieg hat der Welt
die Augen über das Weltmachtstreben Nordamerikas geöffnet. 1898
begann es nämlich wegen des Besitzes von Kuba einen Krieg mit
Spanien, bohrte dessen veraltete Schisse in den Grund und nahm ihm
die westindischen Kolonien Kuba und Portorico sowie die ostasiatischen
Philippinen, letztere angeblich, um Deutschland zuvorzukommen. Hier-
mit trat es in die Reihe der Kolonialmächte ein und nahm seitdem
immer lebhafteren Anteil an den Vorgängen in Europa trotz der
Monroe-Lehre.
Die Vernichtung der spanischen Flotte hatte zur Folge, daß alle
Staaten ihre Flotten sehr verstärkten, so daß auch Deutschland sich
gezwungen sah, schon 1899 den 'ersten Bauplan von 1897 zu
verdoppeln. Rach dem zweiten Flottenbauplan, der 19u0*) unter
dem Eindruck der Lehren des Vurenkrieges angenommen wurde, wollte
Deutschland 38 Linienschiffe, 14 große und 38 kleine Kreuzer bauen.
Diese starke Hochseeflotte sollte nur zur Verteidigung dienen; sie sollte
nur so stark sein, daß kein Feind ohne schwere Verluste es wagen konnte,
uns anzugreifen (Risiko-Grundsatz). Deutschland wollte nach den Er-
klärungen des Reichskanzlers „seine Existenz als handeltreibende Welt-
macht sichern; denn das Deutsche Reich darf nicht abhängig sein von
dem guten Willen anderer Staaten; es muß auf eigenen Füßen stehen
und auf Achtung zählen können".
Da England es jetzt noch nicht für möglich hielt, daß wir diesen
Bauplan durchführen könnten, trat es uns damals noch nicht in den
Weg, zumal es wegen des englisch-russischen Gegensatzes und des
heraufziehenden Vurenkrieges Anschluß an Deutschland suchte.
III. Abschnitt.
Oer vruch mit Lnglancl. 1899—1901.
1. Der Vurenkrieg und die Weltpolitik.
In den nächsten Jahren wurde das weltpolitische Interesse vor
allem durch die Ereignisse in Südafrika und Ostasien in Anspruch ge-
nommen.
Im Oktober 1899 eröffneten die V u r e n zunächst mit gutem Erfolg
den Krieg mit England, da dieses die verstärkten Truppen nicht zurück-
zog. Cs fehlte ihnen jedoch die nötige militärische Vorbereitung, um
durch eine großzügige Eroberung des Kaplandes den Kampf zu ent-
scheiden; auch reichte ihre Artillerie nicht zur Bezwingung fester Plätze
aus. So hatte England Zeit, nach den ersten Niederlagen sein Heer
und seine Machtmittel zu ergänzen. Zum erstenmal leisteten ihm die
Kolonien Kanada und Australien bereitwillig Hilfe. Das heldenhafte
‘) Siehe Anm. 4 S. 70.
29
Ringen der kleinen VurenstaaLen war also von vornherein zum Er-
liegen verurteilt, wenn nicht von außen Hilfe kam. Letztere erhofften sie
auch mit Bestimmtheit von den Gegnern Englands, nach den Vorgängen
von 1895/96 aber besonders von Deutschland. Dieses war zwar, wie
alle anderen Völker, aus seiten der Buren und wünschte sehnlichst ein
Eingreifen der Regierung; diese aber hatte mit Recht aus den Gescheh-
nissen des Jahres 1896 die Lehre gezogen, daß sie allein, mit unzu-
reichenden Machtmitteln England, das damals das Meer unbeschränkter
denn je beherrschte, nicht angreifen könne. Da aber wandte
sich Ende 1900 Rußland an das Deutsche Reich, um ein gemeinsames
Einschreiten von Rußland, Frankreich und Deutschland zu veranlassen.
Fürst Vülow, der seit Oktober 1900 Reichskanzler war, stellte als Be-
dingung die gegenseitige Anerkennung der Gebiete und Grenzen der drei
Mächte. Als Rußland entgegnete, daß keine französische Regierung,
die den Frankfurter Frieden von 1871 anerkenne, sich auch nur einen
Tug am Ruder halten könnte, siel der Plan eines gemeinsamen An-
griffs unter den Tisch.
Es ist nach den Veröffentlichungen von 1908, aus denen her-
vorging, daß Kaiser Wilhelm für die Engländer einen Feldzugs-
plan ausgearbeitet hatte, kaum glaublich, daß Deutschland auch
im Fall der Anerkennung des Besitzstandes sich in einen Krieg mit Eng-
land eingelassen hätte. Wilhelm II. wollte den Krieg nicht; er wollte
die Verlegenheit Englands nicht ausnutzen, um es zu schwächen. Von
vielen Deutschen wurde und wird dies heute bedauert. Fm Kriegsfall
hätten die drei verbündeten Mächte die Vormachtstellung Englands in
Afrika und Asien brechen und die europäische Lage in einem für uns
günstigen Sinn beeinflussen können; da das französische Volk wegen
Faschoda noch sehr englandseindlich war, so hätte auch Delcasss dem
Willen des Volkes nachgeben müssen. England war natürlich darauf
bedacht, während des Burenkriegs, der außergewöhnliche Opfer von ihm
verlangte, sich Deutschland zu nähern, und Chamberlain wollte einen
germanisch-angelsächsischen Dreibund (England, Amerika, Deutschland)
schließen, vor allem aus Furcht vor den Russen. Deutschland wollte
jedoch das mühsam erreichte Einvernehmen mit seinem östlichen Nach-
barn für eine Vereinigung mit England nicht aufgeben, deren Früchte
ihm sehr zweifelhaft schienen. Vülow zog eine neutrale, vermittelnde
Stellung vor, er trieb „eine Politik der freien Hand", da er sich Eng-
land nicht unterordnen wollte und ihm nicht traute; leider versäumte er
aber, aus den Verhältnissen Vorteil zu ziehen. Nordamerika hingegen
nutzte die günstige Gelegenheit aus und nötigte England, aus seine alten
Anrechte beim Vau des Panamakanals zu verzichten.
2. Die Chinawirren und der Bruch mit England.
Noch während des Vurenkrieges, der sich bis 1902 hinzog, mußte
sich die Aufmerksamkeit der Welt wieder dem fernen Osten zuwenden.
Nach dem Frieden von Schimonoseki hatten sich Rußland in Port-
Arthur, Deutschland in Kiautschou und England in Weiheiwei festgesetzt.
30
Dadurch war in C h i n a ein furchtbarer Haß gegen die fremden Eindring-
linge hervorgerufen worden, der 1900 zu Aufständen und zur Ermordung
des deutschen Gesandten führte. Am China zu bestrafen und den Aufstand
niederzuwerfen, wurde ein Heer der Großmächte unter dem Oberbefehl
des Grafen Waldersee nach Asien entsandt. Rußland benutzte die Ge-
legenheit, um die Mandschurei zu besetzen. England schloß daher mit
Deutschland ein Abkommen betreffs des Bestandes Chinas und der
„offenen Türe", soweit der Einfluß beider Länder reiche, das sogenannte
Jangtse-Abkommen, da es sich besonders auf das Gebiet des Flusses
Jangtse bezog. Als die Großmächte ihre Truppen wieder aus Asien
zurückgezogen hatten, gelang es Rußland, sich Sonderrechte in der
Mandschurei von China zu sichern. In England entstand hierüber eine
große Erregung, und es wollte nun Deutschland und Japan zum Krieg
gegen Rußland vortreiben. Da Deutschland von vornherein die rus-
sische Einflußsphäre in der Mandschurei ausgeschaltet hatte, erklärte
Vülow im März 1901 öffentlich im Reichstag, aus die Mandschurei
beziehe sich der Vertrag nicht, und wies damit englisch-japanische Hoff-
nungen auf ein gemeinsames Vordringen im fernen Osten zurück. Da-
durch war die deutsche Politik in russischem Sinn festgelegt, der Zar
erschien auch im Herbst zur Flottenparade in Danzig, aber ohne daß
uns russische Zusicherungen eine Gewähr für die Zukunft geboten hätten.
Die britische Stimmung uns gegenüber schlug Ende 1901 allmäh-
lich um. Die Stellungnahme zum Jangtse-Abkommen und die heftigen
Vorwürfe deutscher Zeitungen wegen der Behandlung der Vurenfrauen
und Kinder in den südafrikanischen Konzentrationslagern und des Ge-
brauchs von Dumdumgeschossen waren die äußeren Arsachen. Der
eigentliche, tiefere Grund der englischen Mißstimmung war jedoch die
Erkenntnis, daß Vülow nicht gesonnen war, sich dauernd an England
anzuschließen, weil er befürchtete, von England, ähnlich wie zu Eaprivis
Zeiten, ins Schlepptau genommen zu werden. England gab daher das
Werben um die deutsche Freundschaft aus und suchte die zur Macht-
entscheidung im fernen Osten erforderliche militärische Kraft bei Japan
allein zu finden, zumal seit dem Regierungsantritt Eduards VII., der
durch seine Einkreisungspolitik einen neuen Zeitabschnitt heraufführte.
IV. Abschnitt.
Oie Linkreisungspolitik Lcluarcls VII. ocler clas englisch-
französisch-russische Linoernehmen (Oreiverbanch
1902—1908.
1. Die Politik Eduards VII.
Im Januar 1901 war die Königin Viktoria von England ge-
storben. Da sie ihren Enkel Wilhelm II. liebte, war ihr Tod für
Deutschland ein großer Verlust, zumal ihr Nachfolger Eduard VII.
seinen Ressen haßte und seine Frau die Schwester der deutschfeind-
31
lichen „Zarin-Mutter" war. Man kann nicht behaupten, daß König
Eduard unter allen Umständen den Krieg mit Deutschland gewollt hätte.
Sein Ziel war wahrscheinlich, uns durch Bündnisse zu umgeben, uns
mehr und mehr zu vereinzeln, uns allenthalben in den Weg zu treten
und uns auf diese Weise diplomatisch zu demütigen. Hierbei leisteten
ihm die englische Lügenpresse des jetzigen Lord Northclifse und
das Neutersche Telegraphenbureau durch ihre deutschfeindliche Bericht-
erstattung und schamlose, lügenhafte Verhetzung die wertvollsten Dienste.
Mit staunenswertem Eifer und großem Geschick und Erfolg hat Edu-
ard VII., der kein Mittel scheute, alles getan, was sich zur Einkreisung
des deutschen Nebenbuhlers tun ließ. Zn der richtigen Erkenntnis, daß
das allgemeine Mitgefühl mit den Buren Englands politische Lage
erschwere, arbeitete er zunächst auf den Friedensschluß hin, der im Zuni
1902 erfolgte. Nun erst hatte er freie Hand zur Niederwerfung seiner
Gegner, die durch den Burenkrieg verzögert worden war und England
zu einer vorsichtig zurückhaltenden Politik genötigt hatte.
2. Das englisch-japanische Bündnis und Eduards Besuche.
Das erste Bündnis schloß England im Januar 1902 mit Zapan.
Da es hauptsächlich gegen Nußland gerichtet war, sah man deutscher-
seits in ihm kein bedrohliches Ereignis. Als geschichtliche Tatsache ist
jedoch festzustellen, daß England hiermit aus langjähriger Vereinzelung
heraustrat und mit der aufsteigenden See- und Landmacht des fernen
Ostens ein Bündnis schloß, einen Vertrag mit einer „gelben Macht",
die bisher nicht als bündmsfähig galt. Die bald zutage tretende Tat-
sache war für England eine wesentliche Stärkung seiner Stellung im
fernen Osten, ja auch allgemein in der Welt, da ja dadurch auch die
ostasiatischen Schiffe zum Kampf gegen Deutschland frei wurden.
Eduard wußte, daß England allein den Kampf gegen Nußland
und vor allem gegen den Zweibund nicht aufnehmen könne; darum ver-
suchte er, die europäischen Staaten als Bundesgenossen zu gewinnen.
Cr besuchte 1903 die auswärtigen Höfe. Zunächst fuhr er nach Lissa-
bon und versprach Portugal die unangetastete Aufrechterhaltung seiner
Kolonien, dann nach Rom. Der folgenreichste Besuch war jedoch der
in Paris im Mai 1903. Delcasss hatte durch den sehr geschickten Ver-
treter Lambón in London und das Großkapital die französisch- englische
Annäherung gut vorbereitet; schon im Zuli erwiderten der Präsident
Loubet und Delcasse den Besuch in London, den die englische Preste
in begeisterten Zeilen feierte. Das Abschiedstelegramm König Eduards
lautete: „Cs ist mein heißester Wunsch, daß die Annäherung zwischen
unseren beiden Ländern von Dauer sein möge."
Am deutschen Hof wurde kein Besuch gemacht, obwohl Eduard doch
ein Oheim Kaiser Wilhelms war; die grundlegende Abkehr Englands
von Deutschland war vollzogen. Dagegen galt der nächste Besuch des
geschäftigen Königs dem Kaiser Franz Zoses (August 1903). Der Ver-
such, Österreich vom deutschen Bündnis zu lösen, mißlang; um so mehr
32
sehte England seine Hoffnung auf Frankreich. Schon 1903 trat Grey
für eine Annäherung an Rußland ein und bezeichnete das frühere Zu-
sammengehen mit Deutschland als einen Mißgriff.
Auch mit Nordamerika stellte sich England auf guten Fuß,
da es sich über die hohe Bedeutung der Vereinigten Staaten bei der
Austragung der in Aussicht stehenden Entscheidung nicht im Unklaren
war. Wirtschaftlich war ja die Union gleichfalls ein gefährlicher
Gegner, aber Deutschland war bedrohlicher; denn es war in höherem
Maße Nebenbuhler in Fertigfabrikaten und erschien auf den weiteren
Ausbau seiner Ausfuhr in höherem Maße angewiesen als Amerika bei
seinem großen Innenmarkt. Zudem ließ die Sprachgemeinschaft eher
eine friedliche Auseinandersetzung, ja eine große Gemeinschaft als mög-
lich erscheinen. Als entscheidend aber kam in Frage, daß bei Aus-
kämpfung einer Waffenentscheidung ein durchschlagender Erfolg gegen
die Union — wie England ja aus zwei Kriegen bekannt war — aus-
geschlosien war, daß alsdann Kanada verloren schien und möglicher-
weise das Gemeinschaftsgefühl aller Amerikaner auch den Verlust des
südamerikanischen Marktes zur Folge haben würde. Sodann lag
Amerika fern, Deutschland nahe. Deutschlands Flotte in der Nordsee
schien bedrohlicher als die Amerikas; von Deutschland trennte nur der
Kanal, und die erregte britische Phantasie hörte schon den dröhnenden
Einmarsch deutscher Truppen auf Londons Pflaster. Wahrlich Grund
genug, um England nicht eine Sekunde schwanken zu lasten in der politi-
schen Richtungnahme: weitgehendstes Entgegenkommen gegen Amerika.
Daher brachte es sogar die ein Jahrhundert unbedingt festgehaltene Vor-
herrschaft im Golf von Mexiko als Freundschaftsopfer und stimmte der
Befestigung des Panamakanals zu.
Die deutschen Bestrebungen, durch Austauschprofestoren, Reisen
und Kongreste in engere Fühlung zu Amerika zu kommen, konnte man
durch ähnliche Mittel ausgleichen. England gelang es vor allem, das
demokratische Amerika durch Beherrschung der Preste davon zu über-
zeugen, daß Deutschland ein absolut regierter Polizeistaat sei, der die
Vorherrschaft über die Welt erstrebe. Da die Deutschen in Ostasien
und Südamerika immer mehr Einfluß gewannen, so wurden die eng-
lischen Lügen geglaubt, zumal wir ihnen nicht genügend entgegentraten.
Amerika gewann so ein ganz falsches Bild von uns, und England ge-
lang es, jede ernsthafte Gefährdung der Einkreisung Deutschlands durcb
Amerika auszuschalten. Rur wenig entwickelte politische Urteilskraft
konnte zu einer anderen Erwartung kommen. Inzwischen kam das un-
vermeidliche Wetter im fernen Osten zum Ausbruch.
3. Der Ausbruch des Ruffisch-japanischen Krieges 1904.
Mit Ingrimm hatten die Japaner es mit ansehen müssen, daß
Rußland 1898 Port-Arthur und die Gebiete besetzte, aus denen sie 1895
trotz ihres Sieges über China verdrängt worden waren, und mit Be-
sorgnis sahen sie, daß die Rusten immer weiter nach China vordrangen.
Durch teilweise Räumung chinesischen Gebietes suchten letztere Zeit zu
33
gewinnen, aber sie bereiteten sich unterdessen durch sieberhaften Vau der
sibirischen Eisenbahn, durch Flotten- und Truppenverstärkungen im
fernen Osten aus die große Entscheidung vor, die ihnen die Stellung der
Vormacht in Ostasien und den Zugang zum eisfreien Weltmeer bringen
sollte. Fm Mürzsteger Abkommen mit Österreich sicherten sie sich die
vorläufige Ruhe auf dem Balkan. Österreich und Deutschland hatten
natürlich nichts gegen eine Ausdehnung Rußlands in Asien einzu-
wenden, ja sahen sie gern, weil es dadurch vom Balkan abgelenkt und
im Fall eines Sieges Englands gefährlichster Feind wurde. Fn kurzer
Zeit wäre Rußland am Ziele seiner Wünsche gewesen. Da führte das
überraschend scynelle Losschlagen Japans den Krieg herbei, auf den
England und Japan zielbewußt hingearbeitet hatten.
Fn mehrfachem Notenwechsel hatte Japan das Zurückweichen
Rußlands aus Korea und die Anerkennung dieses Landes als aus-
schließlich japanischen Interessengebietes durchzusetzen versucht. Am
28. Januar 1604 wurde der russischen Regierung mitgeteilt, daß eine
weitere Verzögerung der Antwort ernste Gefahren in sich schließe. Als
bis zum 5. Februar infolge Rußlands ünnachgicbigkeit keine Antwort
erfolgt war, erklärte Japan den Abbruch der Verhandlungen. Ohne
unmittelbare Kriegsertlärung landeten am 7. Februar die ersten japa-
nischen Truppen an der Südostgrenze Koreas, und am 8. Februar er-
folgte der bekannte Torpedobootsübersall der Japaner auf die noch sorg-
los aus der Außenreede von Port-Arthur liegende russische Flotte, wo-
bei zwei Panzerschiffe und ein Kreuzer schwer beschädigt und aus Monate
kampfunfähig gemacht wurden. Damit hatte der Krieg begonnen, und
Japan konnte nun ungefährdet seine Truppen auf das Festland werfen.
Die allgemeine Ansicht in Europa, vor allem in Deutschland, war,
daß zur See ein Sieg Japans möglich, daß jedoch aus dem Lande
jedenfalls mit einem russischen Endsieg zu rechnen sei. England, der
Verbündete Japans, erwartete und erhoffte mehr von ihm, ohne jedoch
den durchschlagenden Erfolg voraussehen zu können, der von Japan
erzielt wurde. Die Haltung der europäischen Großmächte während des
Krieges den Kriegführenden gegenüber geht am klarsten aus dem russi-
schen Gcneralstabswerk hervor. Hier wird England als der Hauptfeind
bezeichnet, der Japan in jeder Weise unterstützt habe und ohne dessen
Rückhalt es sich nie zum Vorgehen entschlossen hätte. Frankreich habe
versucht, als wohlwollend Neutraler sich so nützlich wie möglich zu
machen, habe aber dabA große Vorsicht gebrauchen müssen, um nicht
England auf den Plan zu rufen. Deutschland sei den alten Überliefe-
rungen treu geblieben, die die Kaiserhäuser von altersher verbunden
hätten, und Kaiser Wilhelm sei bemüht gewesen, sich wohlwollend zu
zeigen.
England hatte sich schon vor dem Kriege Frankreich genähert, um
nicht in einen Krieg mit Frankreich verwickelt zu werden — falls nämlich
Japan von Rußland und Frankreich angegriffen wurde, mußte England
Japan helfen —. Schon am 15. Februar erklärte daher Frankreich seine
Neutralität; der Besuch Eduards VII. im Frühling 1603 in Paris und
Ehringhcius, 1872— 1914. 3
34
der Gegenbesuch der französischen Staatsmänner im Juli 1903 brachte
hier die ersten Früchte. Fm April 1904 wurden die Beziehungen zwischen
den beiden früher so feindlichen Westmächten noch enger geknüpft durch
das Marokko-Abkommen.
4. Das erste Marokko-Abkommen 1904—1906.
a) Das englisch-französische Einvernehmen 1904.
Entente cordiale — Marokko - Abkommen.
Noch ehe es in Ostasien zu den ersten Gefechten gekommen war,
machte die französisch-englische Annäherung große Fortschritte. Am
8. April 1904 unterzeichneten beide Mächte ein bedeutungsvolles Ab-
kommen, desien Grundlinien schon beim Besuche der französischen
Staatsmänner in London festgelegt waren. Man nannte es „Entente
cordiale-, d. h. herzliches Einvernehmen: Es bestand aus einem öffent-
lichen und einem geheimen Vertrage, durch die alle Reibungsflächcn
auf kolonialem Gebiet beseitigt und ein herzliches Einvernehmen zwischen
den alten Nebenbuhlern begründet werden sollten. Die treibende Kraft
auf französischer Seite war auch hier, wie überhaupt bei der Annäherung
der beiden Staaten, Frankreichs Botschafter Paul Cambon in London,
auf englischer Eduard VII.
Fm offenen Teil des Abkommens verzichtete Frankreich auf seinen
Einfluß in Ägypten, den es ja damals doch nur noch dem Namen nach
besaß. Hiermit war der Wunsch der Engländer nach weiterer Sicherung
des Weges nach Fndien sowie nach Mehrung des afrikanischen Besitzes
erfüllt. Als Ausgleich hierfür verzichtete England auf seinen Einfluß
in Marokko und stimmte einer französischen Sonderstellung dortselbst
zu. Fn beiden Fällen sollte aber der politische Zustand der Länder be-
stehen bleiben. Außerdem wurden alte koloniale Streitfragen in Asien
und Afrika geregelt.
Fm geheimen Teil des Übereinkommens, der erst im November
1911 bekannt gegeben wurde, wurde Marokko zwischen Frankreich und
Spanien geteilt, und zwar so, daß das schwache Spanien den nördlichen
und Frankreich den südlichen Teil erhielt, während Ägypten England
überlasien wurde. Ein weiteres Abkommen zwischen Frankreich und
Spanien entsprach den Abkommen zwischen Frankreich und England.
Das Geheimabkommen war nur wenigen Ministern der drei Länder
bekannt. Italien, das wegen seiner Mittelmeerpolitik gegen diese Be-
sihveränderungen sein konnte, war schon dadurch gewonnen, daß man ihm
Tripolis versprach (1902). Schon daraus, daß England gegenüber
Gibraltar eine andere Macht sich festsetzen ließ, daß es also ein großes
Opfer brachte, indem es sich aus Marokko zurückzog, geht hervor, daß es
hiermit gute Beziehungen zu Frankreich und Spanien schaffen und das
Zustandekommen eines russisch-französisch-deutschen Einvernehmens aus-
schließen wollte. Das Abkommen sollte ein weiterer Schritt auf dem
schon eingeschlagenen Wege sein, Frankreich an England zu ziehen, rich-
tete also seine Spitze gegen Deutschland.
35
Die deutschen Beziehungen zu Marokko waren durch die Madrider
Konferenz 1880 mitgeregelt; damals war von allen beteiligten Mächten
die Unabhängigkeit anerkannt und ihnen die wirtschaftliche Gleichberech-
tigung zugestanden worden. Jetzt aber trafen die Westmächte selbständig
Verfügungen, die Marokko politisch in Abhängigkeit von Frankreich
brachten und es wirtschaftlich in kurzer Zeit abschlössen. Weil sie ihr
falsches Spiel der Welt nicht zeigen durften, wurde Deutschland, das doch
den Madrider Vertrag mit unterzeichnet hatte und wegen der Cisenschätze
des Landes mit Marokko in lebhaftem Handelsverkehr stand, gar nichts
mitgeteilt. Das offene Abkommen — von dem Geheimvertrag wußte
er ja nichts — erschien dem deutschen Reichskanzler nicht als eine der-
artige Bedrohung deutscher Interessen, daß Schritte dagegen getan
werden mußten; daher verhielt er sich zunächst abwartend.
5. Die Politik Spaniens und Italiens.
Cs ist schwer verständlich, daß Spanien, das von 1890 bis 1895
dem Dreibund angegliedert war und England wegen der Wegnahme
von Gibraltar zürnte, sich den Westmächten näherte; aber der junge
König Alfons XIII. stand damals unter englischem Einfluß und heiratete
auch bald darauf eine englische Prinzessin. Indessen ist die englische
Absicht nur teilweise gelungen. In allen Marokkofragen stand Spanien
freilich auf der Seite der Westmächte, aber es hat sich doch darüber
hinaus nicht als Glied in die Einschließungskette schmieden lassen.
Italien hatte ja aus Angst vor Frankreich schon immer in engen
Beziehungen zu England gestanden, aber seit dem Regierungsantritt
Viktor Cmanuels III. 1900 hatte es sich auch Frankreich genähert.
Seitdem aber England und Frankreich Freunde geworden waren und
Italien nicht mehr durch Frankreich bedroht war, näherten sich die
romanischen Schwestervölker. Die italienische Presse wurde durch den
französischen Botschafter Varröre erkauft und bearbeitet und log dem
Volke vor, Italien habe vom Dreibund keine Vorteile gehabt, es müsse
nur große Lasten für seine militärischen Rüstungen tragen. Das war
ja eine platte Lüge, gerade das Gegenteil war der Fall. Cs konnte die
Ausgaben für das Heer gerade deshalb niedrig halten, weil es durch
den Dreibund Schuh fand; aber das italienische Volk glaubte diese
Lügen. Als nun die Italiener den Feldzug gegen Abessinien verloren
hatten und die Westmüchte ihnen Tripolis anboten (1902), da waren
sie schnell franzosenfreundlich. Frankreich verstand es, Italien zunächst
von der Besitznahme von Tripolis fernzuhalten, und hielt ihm Albanien
und die Herrschaft über die Adria als Köder vor. Dadurch kam der
Irredentismus — s. S. 9 — wieder hoch, der Dreibund wurde erschüttert,
Italien von seinen Mittelmeerzielen abgelenkt und auf das Adriatische
Meer verwiesen. Letzteres hat aber für Italien keinen Wert; denn Triest
würde in italienischer Hand in einem Winkel des Staates liegen und
kein Hinterland haben; die alleinige Herrschaft über die Adria verlangt
aber die Zertrümmerung Österreichs. Auch die Heirat des Königs mit
3*
36
der montenegrinischen Prinzessin Helene (1896) hatte die Hinneigung
nach der Adria verstärkt und den Gegensatz gegen Österreich verschärft.
Fürst Vülow stellte zwar das englifch-französisch-italienifche Ab-
kommen über Marokko und Tripolis von 1902 als harmlos dar. „In
einer glücklichen Ehe muß der Gatte nicht gleich einen roten Kopf be-
kommen, wenn seine Frau einmal mit einem andern eine unschuldige
Extratour tanzt. Die Hauptsache ist, daß sie ihm nicht durchgeht, und
sie wird ihm nicht durchgehen, wenn sie es bei ihm am besten hat." Aber
der Dreibund war eben keine glückliche Che mehr und insofern das Bild
falsch. Jene Extratour war der Ansang zu dem schmählichsten Treu-
bruch der Weltgeschichte (1915). Obgleich Italien es beim Dreibund
am besten hatte — es wurde finanziell von ihm unterstützt und hatte in
ihm seinen besten Abnehmer —, ist es ihm 1915 durchgegangen. 1902
zwar erneuerte es nach schwierigen Verhandlungen den Dreibund, aber
schon 1903 betonte der König Cmanuel sowohl in London als auch
in Paris „die Freundschaft beider Völker und die glücklich vollzogene
Annäherung".
6. Die Verlegung der englischen Flotte in die Nordsee.
Deutschland hatte inzwischen nach dem festgelegten Bauplan seine
Flottenverstärkung eingeleitet, deren Durchführung noch viele Fahre er-
forderte. Dies veranlaßte England im Winter 1905/06 zu einem ent-
scheidenden Schritt in der Verteilung seiner Seestreitkräfte. Cs ver-
legte den Schwerpunkt der britischen Flotte aus dem Mittelländischen
Meer in die Nordsee und bildete hier die neue „Kanalflotte" aus
modernen Linienschiffen und Panzerkreuzern. Die Stärke war so be-
messen, daß sie gegenüber der gesamten deutschen Flotte eine unbedingte
Überlegenheit bedeutete. Außerdem legte man nach Gibraltar eine aus
stärksten und schnellsten Schiffen zusammengesetzte „Atlantische Flotte"
zur Verwendung im Ozean oder Mittelmeer. Diese Neuordnung der
britischen Seestreitkrüfte ist ein weltgeschichtlich wichtiger Schritt für
Deutschlands Geschichte. Cs ist der Abschluß jener Verhandlungen, die
durch die Schwenkung der französischen Politik nach der Schmach von
Faschoda eingeleitet wurden. Das Mittelländische Meer wurde nun-
mehr Frankreich allein überlassen, das daher fast ausschließlich seine
Mittelmeerslotte verstärkte. Die Rollen waren verteilt; England sollte
die Nordsee und den Atlantischen Ozean, Frankreich das Mittelländische
Meer beschützen, üm auch die letzten Zweifel darüber zu beseitigen,
gegen wen diese Maßnahmen gerichtet seien, sagte der englische Admiral
Lee in einer Rede (3. Februar 1905): „England müsse mit größerer
Besorgnis allein nach der Nordsee blicken. Dreimal gesegnet sei der,
der den ersten Schlag führe. Hoffentlich sei es die britische Flotte und
sie würde hoffentlich so wuchtig diesen Schlag führen, daß die andere
Flotte vernichtet sei, ehe man noch die Kriegserklärung in der Zeitung
gelesen hätte." Deutscherseits zog man auch aus dieser Herausforderung
keine Folgen, sondern setzte die Politik freier Hand ohne Bindung an
England oder Rußland fort, rüstete aber weiter.
37
7. Die Liege der Japaner über die Rusten 1904/05.
Inzwischen hatte Japan zu Lande und zu Wasser glänzende Cr-
solge. Rach dem Siege bei Liaojan wurde die Festung Port-Arthur
eingeschlossen. Schon im August begannew die Stürme aus ihre Vor-
stellungen. Die russischen Geschwader waren besonders unglücklich.
Der tüchtige Admiral Makarow geriet aus japanische Minen und ging
unter; in der Seeschlacht im Gelben Meer wurde im August der Kern
des Port-Arthur-Geschwaders vernichtet. In den Oktoberkämpfen am
Schaho mußten die Russen wiederum weichen, und Anfang Januar siel
Port-Arthur. Das erbitterte Ringen bei Mukden vom 7. bis 11. Mürz
1905 brachte den Rußen erneute Schläge. Als sie nun mit ihrer Ost-
seeflotte einen letzten Versuch machten, das Schicksal zu wenden, verhielt
sich Deutschland streng neutral. Beinahe wäre es jetzt zum Kampfe
Rußlands mit England gekommen, als russische Schisse englische
Fischersahrzeuge in der Rordsee für feindliche Torpedoboote hielten und
beschossen; aber die englische Staatsklugheit vermied ihn. Die russische
Gefahr war durch die vielversprechenden japanischen Erfolge schon hin-
reichend abgeschwächt. Cs erschien daher vorteilhaft, keine Zukunfts-
aussichten zu zerstören; denn als gefährlichster Gegner war in letzter Zeit
mehr und mehr das Deutsche Reich erschienen. Diese Tatsache wurde
gerade jetzt häufiger in englischen Zeitungen offen verkündet. In-
zwischen rückte der Zeiger der Weltgeschichte vor und brachte die
Marokko-Angelegenheit in den Vordergrund.
8. Fortgang des ersten Marokko-Abkommens,
b) Besuch Kaiser Wilhelms in Tanger 1905.
Im Oktober 1904 hieß es in einer Depesche des Bureaus Reuter
in London: „Der Marokkovertrag enthält eine Reihe geheimer Be-
stimmungen, die nicht veröffentlicht werden." Hierdurch wurde Deutsch-
land schon mißtrauisch, noch mehr unter dem Eindruck der englischen
Angriffe im Winter 1905. Als nun die Franzosen im Februar 1905
dem Sultan von Marokko eine Reihe von Forderungen vorlegten, die
auf eine vollkommene Aufrichtung einer Oberherrschaft hinauskamen,
hielt die deutsche Regierung ein längeres untätiges Zusehen für unter
der Würde des Reiches. Auf einer Vesuchsreise in Lissabon befindlich,
stellte Kaiser Wilhelm auf Anraten der Regierung seine Person in den
Dienst der Politik und fuhr nach Tanger weiter. Dort hob er in der
Begrüßungsrede hervor, sein Besuch gelte dem Herrscher des unab-
hängigen Landes, das dem friedlichen Wettbewerb aller Völker ohne
Sonderrechte und Ausschließung geöffnet bleiben sollte.
Was wollte Deutschland hiermit erreichen, und welches Ziel ver-
folgte es in Marokko? Die beste Aufklärung hierüber und über die
Ziele der deutschen Weltpolitik gibt die Rede, die Kaiser Wilhelm vor
seiner Ausfahrt am 23. März 1905 in Bremen hielt. Cr sagte damals:
„Ich habe mir gelobt, aus Grund meiner Erfahrungen in der Ge-
schichte, niemals nach einer öden Weltherrschaft zu streben. . . . Das
38
Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem
das neuerschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absolute Ver-
trauen eines ehrlichen, friedliebenden Nachbarn genießen soll, und daß,
wenn man dereinst vielleicht von einem deutschen Weltreich in der Ge-
schichte reden sollte, es nicht auf Politik begründet sein soll durch das
Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen
strebenden Völker." Deutlicher konnte nicht betont werden, daß die
deutsche Weltmachtpolitik nur auf friedlichem Weg ihr Ziel erreichen,
daß sie nur die Handelsfreiheit für die Zukunft sich sichern, daß sie, wie
man sagt, den Grundsatz der „offenen Türe" aufrecht erhalten wollte.
Die Erwerbung von Landbesitz in Marokko lehnte die deutsche Ne-
gierung stets ab, auch gegen eine bloße Vormachtstellung Frankreichs
hatte sie nichts einzuwenden, da Nordafrika ja französisches Kolonial-
gebiet ist und wir uns in Marokko nicht halten können. Wenn aber
Frankreich selbst seinem Freund England 1904 nur für 30 Fahre
Handelsfreiheit gestattete, so hatte Deutschland für seinen Handel gar
keine Freiheit zu erwarten, sobald Marokko französischer Besitz war.
Darum mußte Deutschland eingreifen, ehe dies geschah.
Warum war und ist die Erschließung überseeischer Gebiete, die
Politik der offenen Türe für Deutschland so nötig?
Da unsere Volkszahl und Industrie immer mehr wuchs, mußten
wir neue Bezugs- und Absatzgebiete suchen. Nun gab es aber in der
Welt nur noch wenige Staaten, die selbständig waren und in denen
die freie wirtschaftliche Betätigung Deutschlands möglich war. Alle
die Länder, die anderen Großmächten gehören, ziehen natürlich Landes-
angehörige den Fremden vor und erschweren diesen die Erschließung
ihres Gebietes und den freien Handel. Am so größeren Wert mußte
— und muß — Deutschland darauf legen, daß die noch nicht unter-
worfenen Länder, z. V. Marokko, Persien, China, für die Entfaltung
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit frei blieben, daß der Grundsatz der
offenen Türe gewahrt blieb, d. h. daß die Türen in das Land für
es offen gehalten wurden. Daß wir hierbei mit anderen Völkern, die
ebenfalls in dem betreffenden Land Handel trieben, aneinander stießen,
brachte die Sache mit sich und kann uns nicht zum Vorwurfe gemacht
werden.
c) Sturz Delcasses.
Sobald sich also die deutsche Regierung davon überzeugt hatte,
daß die Gleichberechtigung Dcutschands in Marokko bedroht war,
brachte sie durch Kaiser Wilhelms Landung in Tanger zum Ausdruck,
daß sie ein unabhängiges Land und die Gleichberechtigung aller Mächte
verlange. Deutschland wählte diese Form des Einspruches, weil es damit
aller Welt, die schon damals von England und Frankreich gegen uns
verhetzt wurde, kund tun wollte, was es in Marokko wollte. Am
11. April 1905 schlug es den Mächten die Einberufung einer neuen
Marokkokonferenz vor. Als Frankreich ängstlich wurde, versprach ihm
die englische Regierung Ende Mai 1905 seine Unterstützung im Fall
eines Krieges. Delcasso wollte es daraufhin auch zum Krieg kommen
lassen. Cr zeigte im Ministerrat auch eine Depesche des italienischen
Ministers Tittoni vor: „Deutschland wird nie wagen, Sie anzugreifen,
wenn Sie mit England verbündet sind"; aber da sowohl der Kriegs-
als auch der Marineminister erklärte: „Wir sind in keiner Weise ge-
rüstet", mußte Delcasso zurücktreten, und Frankreich nahm den Konferenz-
vorschlag an.
Damit war die Kriegsgefahr für dieses Mal beseitigt. Heute
müßen wir diesen Ausgang bedauern. Hätten wir damals diese gün-
stige Gelegenheit, Frankreich niederzuwerfen, benutzt, so Hütten wir uns
den jetzigen Weltkrieg erspart und unter wesentlich günstigeren Am-
ständen die Entscheidung der zugespitzten Lage herbeigeführt. Da
nämlich Rußland, Frankreichs Verbündeter, durch den japanischen
Krieg geschwächt worden war, hätte sich Deutschland mit ganzer Kraft
aus seinen alten Erbfeind werfen können. Frankreich wäre dann als
europäische Großmacht beseitigt, das uns einschnürende russisch-fran-
zösische Bündnis gesprengt worden. Deutschland wäre dann aller
Fesseln frei gewesen und hätte als entscheidende Macht in Europa
dagestanden. Deutschland ahnte ja damals nichts von den Geheim-
vertrügen und erhoffte von der Konferenz Erfüllung seiner Wünsche.
Vor allem aber wollte es in seiner Friedensliebe, die eben nur einen
unbedingt notwendigen Krieg führen wollte, die so überaus günstige
Gelegenheit damals nicht zur Niederwerfung Frankreichs benutzen. Es
gab hiermit der ganzen Welt einen deutlichen Beweis dafür, daß es
nicht darauf ausging, seine Nachbarn zu überfallen und eine Welt-
herrfchaft aufzurichten, wie es immer von unseren Gegnern behauptet
wird.
Auch damals suchte Englands Lügenpresie bei den Nachbarstaaten
Deutschlands, Holland, Belgien und Dänemark, Mißstimmung gegen
das Deutsche Neich zu erregen, indem sie ihm Croberungspläne und
das Streben nach einer deutschen Vorherrschaft über Europa an-
dichtete. Außerdem versuchte England in jeder Weise, Frankreich für
eine Ablehnung der Konferenz zu gewinnen. Da aber Deutschland mit
Rußland gut stand, wurde der Ausbruch des Kampfes vermieden. Eng-
land schämte sich aber nicht, in dem Kolonialkrieg mit den Aufständischen
in Deutsch-Südwestasrika diese als kriegführende Macht anzuerkennen
und ihnen Munition und Lebensmittel zu liefern.
Fe näher der Konferenztag rückte, desto enger wurde der Zusammen-
schluß der Westmäckte. Das neue liberale Kabinett in England über-
nahm (Dezember 1905) die Crbsckmft seines Vorgängers, aber es betrieb
die Geschäfte unter der Leitung des neuen Ministers Grey etwas vor-
sichtiger und heimlicher; er wurde hauptsächlich unterstützt von dem Ver-
trauten König Eduards VII., dem Gesandten in St. Petersburg und
späteren Anterstaatssekretär Ricolson. Es schloß mit Frankreich kein
Bündnis, um sich nicht zu binden, sondern hielt nur geheime Besprechun-
gen mit ihm ab. Fn ihnen versprach es die Landung von Truppen in
Nordfrankreich. Fanuar 1906 wurde auch Beloien, das sckwn seit Fahren
in fortschreitender friedlicher Arbeit (durch Kongresse, Presse, Schule,
40
Vorträge usw.) für Frankreich gewonnen war, ins Vertrauen gezogen,
mit den Plänen bekannt gemacht und ein Militärabkommen mit ihm
geschloffen. (Aufgedeckt 1914/15.) Dadurch, daß das neutrale Belgien
sich hierzu verleiten ließ, lud es eine schwere Schuld auf sich.
Vor dem Eingehen auf die Konferenz in Algeciras muß der weitere
Gang der Dinge im fernen Osten besprochen werden.
9. Das Ende des Russisch-japanischen Krieges. Der Friede von
Portsmouth und seine weltgeschichtlichen Folgen 1995.
Fn der Seeschlacht von Tsuschima (in der Koreastraße zwischen
Japan und Korea) am 27./28. Mai 1905, dem größten und entscheidend-
sten Seekampfe seit Nelsons Sieg bei Trafalgar (1805), vernichtete der
Admiral Togo die russische Ostseeflotte. Damit war Rußlands See-
macht gebrochen. Die Landmacht war aber schon so geschwächt, daß
sie für England und Japan nicht mehr gefährlich war. Unter Vermitte-
lung der Vereinigten Staaten, denen als Nebenbuhler der Japaner auf
dem Großen Ozean ein allzu glänzender Sieg derselben nicht erwünscht
war, kam im September 1905 der Frieden von Portsmouth (in
Nordamerika) zustande. Japan erhielt in diesem Vertrage Korea und
die Kwantung-Halbinsel mit Port-Arthur und übernahm damit die Vor-
herrschaft in Ostasien. Cs wurde damit die erste Land- und Seemacht des
Ostens, deren Selbstbewußtsein durch ihre glänzenden Siege gewaltig
gehoben wurde und eine den europäischen Großmächten kulturell und
militärisch ebenbürtige Macht. Aber die dringend nötige Kriegsentschädi-
gung wurde ihm verweigert, da England mit Recht hoffen konnte, da-
durch sowohl Japan für absehbare Zeit am goldenen Seil leiten als auch
Rußland sich nähern zu können. Um Zapan zu beruhigen, verlängerte
es den Bündnisvertrag mit ihm.
Schon hier sei im voraus darauf hingewiesen, daß Zapan trotzdem
in dem letzten Jahrzehnt immer selbständiger und reicher wurde und
sowohl Englands als auch Amerikas Wünsche oft nicht erfüllte. Die
beiden angelsächsischen Staaten näherten sich daher immer mehr, und cs
ist ziemlich sicher, daß sie sogar gegen einen zukünftigen Krieg mit
Zapan einen Geheimvertrag geschlossen haben. Zedenfalls ist der
amerikanisch-japanische Gegensatz einer der großen weltpolitischen Gegen-
sätze, die sich nicht so leicht beseitigen lassen und die wir stets im Auge
behalten müssen.
Da England nicht wünschte, daß Rußland zu sehr geschwächt
würde, damit es gegen die Mittelmächte gebraucht werden konnte, hatte
es die japanische Forderung einer Kriegsentschädigung nicht unterstützt.
Es änderte jetzt plötzlich seine ruffenseindliche Politik und kam Ruß-
land entgegen, um sich nach Riederringung des ersten Gegners mit
voller Kraft auf das nächste Ziel zu werfen, die Lahmlegung Deutsch-
lands durch politisch-militärischen Druck oder durch einen Krieg. Die
wichtigste Folge des Russisch-japanischen Krieges besteht aber darin, daß
Rußland nun die Früchte seiner 50 jährigen ostasiatischen Politik ver-
loren gab, sich von den englischen Staatsmännern — vor allem Nicol-
41
son — vom Osten ablenken ließ und sich wieder dem gefährlichen
Brandherd Europas, dem Balkan, zuwendete. Damit hatte England
außerordentlich viel erreicht und konnte nun mit gesteigerter Kraft gegen
Deutschland vorgehen, das ihm in letzter Zeit mehr und mehr als ge-
fährlichster Gegner erschienen war.
IO. Schluß des ersten Marokko-Abkommens,
d) D i e Konferenz von Algeciras 1906.
In Europa hatte sich 1905 unter englischem Einfluß Norwegen
von Schweden getrennt. Ein dänischer Prrnz mit einer englischen Ge-
mahlin bestieg den Thron in Norwegen — die Folgen haben wir im
Weltkrieg gespürt —. Man durfte hoffen, dem deutsch gesinnten
Schweden einen englischen Widersacher auf der skandinavischen Halb-
insel geschaffen zu haben. Das neue liberale Ministerium Englands
wurde bei uns mit Befriedigung und in der Hoffnung ausgenommen, daß
jetzt die Zeit der deutsch-englischen Mißverständnisse aufhören würde.
Weitsichtige deutsche Männer freilich blickten damals schon mit Sorge in
die Zukunft. Die Tatsachen ergaben auch sehr bald, daß England auch
unter der liberalen Leitung sein altes Ziel weiter verfolgte, wenngleich
daneben einige, wohl kaum von allen aufrichtig gemeinte, Verständi-
gungsversuche mit Deutschland einsetzten.
Unter diesen Verhältnissen trat am 17. Januar 1906 die Marokko-
konferenz in Algeciras, einem kleinen spanischen Küstenort bei
Gibraltar, zusammen. Unter dem Vorsitz des spanischen Ministers,
eines der wenigen in das Geheimabkommen Eingeweihten, führte man
2:/2 Monate lang vor der Welt eine Poste auf; denn die Besetzung
Marokkos war ja im Geheimvertrag besiegelt, schon ehe die Konferenz
begonnen hatte.
Zu seiner großen Überraschung wurde Deutschland auf ihr nur
von Österreich unterstützt, während alle übrigen Staaten infolge der
Verhetzungen Englands ihm als Gegner gegenübertraten. Italien
unterstützte gemäß dem Geheimvertrag über Tripolis Frankreich, aber
nicht seinen Dreibundsaenosten. Dasselbe tat Nußland — so erfolgreich
hatten die englischen Staatsmänner 1906 gearbeitet — trotz der von
Deutschland im Nussisch-japanischen Krieg bewiesenen freundschaftlichen
Haltung, die durch die 1917 erfolgte Veröffentlichung des Briefwechsels
zwischen dem Zaren und Kaiser Wilhelm aufs neue bewiesen worden
ist. In allen entscheidenden Fragen mußte daher Deutschland nach-
geben, da es fest entschlosten war, es nicht zum Krieg kommen zu
lasten. Das Ergebnis war zwar, daß die Selbständigkeit und Un-
abhängigkeit Marokkos und die wirtschaftliche Gleichberechtigung der
Mächte auf dem Papier anerkannt wurden, aber insgeheim hatten sich
ja die Gegner Deutschlands schon dahin geeinigt, dem allem ein Ende
zu machen. Der vorübergehende Erfolg, den der Kaiserbesuch in Tanger
gehabt hatte — die Erzwingung von Delcastes Rücktritt und die Ein-
berufung der Konferenz —, wurde restlos ausgewischt. Die Welt sah:
42
Mag Deutschland versprechen, was es will, England und Frankreich sind
doch stärker und sehen durch, was sie wollen. Marokko war also nur
vorläufig den Franzosen entrissen. Daß Deutschland auch jetzt nicht
mit dem Schwert sein gutes Recht holte, erklärt sich neben der großen
Friedensliebe der deutschen Regierung und des größten Teils des deut-
schen Volkes auch dadurch, daß Österreich nicht für einen Krieg wegen
Marokko zu haben war.
11. Deutsch-englische Verständigungsversuche und die Großkampfschiff-
politik Englands 1906.
Fm August 1906 fand das erste Zusammentreffen König Eduards
von England mit seinem Neffen Kaiser Wilhelm in Homburg v. d. H.
statt.. Eine Verständigung beider Länder schien möglich zu werden und
wurde deutscherseits mit Freuden begrüßt. Der angebliche Friedens-
bote war Lord Haldane, der bisherige englische Kriegsminister und einer
der wenigen in das geheime Marroko-Abkommen Eingeweihten. Er
erbat sich die Erlaubnis, zur Anbahnung einer Verständigung die be-
sonderen Verhältnisse des Festlandes studieren zu dürfen. Naturgemäß
interessierte ihn das deutsche Heerwesen am meisten; zur Kenntnis-
nahme desselben wurde leider die Genehmigung und Unterstützung der
Behörden so offenherzig erteilt, wie sie erbeten schien. Als er in
England einige Mal den vollen Erfolg seiner Reise hervorhob, glaubten
sich die vertrauensvollen Kreise in Deutschland dem Ziel einer deutsch-
englischen Freundschaft nahe; tatsächlich verstärkte Haldane nur das
englische Heerwesen.
Damals schlug England auch eine gegenseitige Feststellung der
Seestreitkräfte zwecks Beendigung des Wettrüstens vor. Der Augen-
blick schien ihm besonders dazu geeignet, da es sich durch den Vau von
G r o ß k a m p f s ch i f f e n (Dreadnought — Fürchte nichts) eine her-
vorragende Überlegenheit gesichert hatte. Diese großen Kriegsschiffe
hatten damals eine Wasserverdrängung von 18 000 Tonnen — heute
haben sie über 30 000 Tonnen — und mehr große, weittragende Ge-
schütze als die bisherigen Linienschiffe. England glaubte, Deutschlands
Werften seien nicht imstande, solche Schisse zu bauen. Da dieses da-
mals noch keine Großkampfschiffe hatte und somit England bei weitem
unterlegen war, konnte es sich auf ein Abrüsten nicht einlassen. Auch
auf dem zweiten Friedenskongreß im Haag (Fuli 1907) scheiterten die
englischen Bemühungen, eine Festsetzung der Flottenstärken durch-
zusetzen, an der gewandten Haltung des deutschen Vertreters Marschall
von Bieberstein, der es ablehnte, an diesbezüglichen Verhandlungen teil-
zunehmen. ' Freilich machte die englische Presse nun Deutschland in
der Welt schlecht, indem sie behauptete, es habe aus Machtgier alle
Friedensbestrebungen Englands hintertrieben. Weil unsere Feinde
immer wieder behaupten, Deutschlands zunehmende Flottenrüstung sei
der Anlaß der wachsenden Feindseligkeit zwischen den beiden ger-
manischen Staaten gewesen, sei hier besonders darauf hingewiesen, daß
nicht Deutschland, sondern England in der Steigerung der Zahl und
43
dem Vau größerer Schiffe den Ton angab. Cs beging damit freilich
einen großen Fehler. Die beiderseitige Flottenstärke war bis dahin
so, daß wir kaum je den offenen Kampf mit dem starken Gegner auf-
nehmen konnten. Als aber Deutschland auch Großkampfschiffe baute,
wurden alle älteren Schiffe entwertet, und England mußte wieder von
vorn anfangen. Wir konnten nun ii^der Zahl ein solches Verhältnis ge-
winnen, daß wir 1 y 15 den Kampf am Skagerrak mit Erfolg wagen konnten.')
Als England mit Schrecken sah, wie alle Mächte und besonders Deutsch-
land ihm im Vau von Großkampfschiffen folgten, wurde seine Stim-
mung uns gegenüber immer feindlicher. Am nun feine Politik weiten
Volkskreisen mundgerecht zu machen, wurde von jetzt an auch von der
englischen Regierung der Handelsneid großgezogen, außerdem aber
das Märchen von einem drohenden Einfall der Deutschen auf-
gebracht. Alle ernstlichen Versuche der Verständigungssreunde, den
Irrtum dieser Auffassungen darzulegen und zu beweisen, daß die beiden
Staaten sich gegenseitig in der Volkswirtschaft ergänzten und für beide
Platz in der Welt sei, waren infolgedessen erfolglos. Der belgische
Gesandte in London schrieb daher mit Recht am 24. Mai 1907: „Es
ist klar, daß das amtliche England im stillen eine Deutschland feindliche
Politik befolgt, die aus eine Isolierung abzielt. Aber es ist sicher sehr
gefährlich, die öffentliche Meinung in so offenkundiger Weise zu ver-
giften, wie es die unverantwortliche Presse tut." Im Jahre 1907
nahmen auch die Vestrebungen Eduards VII., Deutschland einzukreisen,
ihren Fortgang und erreichten dadurch ihr Ende, daß es ihm gelang,
auch den bisherigen, langjährigen Feind Rußland als starkes Glied in
die Kette einzufügen.
12. Das englisch ruffische Bündnis.
Das Frühjahr 1907 benutzte Eduard, um — ähnlich wie 1903 —
durch verschiedene Besuche an den Höfen Europas den Dreiverband zu
erweitern und zu befestigen. Cr besuchte zunächst den König Alfons
von Spanien und erreichte auch eine Annäherung dieser Macht an Eng-
land. Britische Werften erhielten den Auftrag zum Neubau der spani-
schen Flotte, und englische Marineoffiziere sollten zur Ausbildung heran-
gezogen werden. Die volle Übereinstimmung der englisch-sranzösisch-
spanischen Politik wurde in Roten festgelegt. Ein anschließender Be-
such beim König von Italien bestätigte das gute Verhältnis der beiden
Länder. Ämter englischer Vermittlung kam im Sommer 1907 auch ein
Vertrag Frankreichs mit Japan zustande, in dem dieses den französischen
Besitz in Hinterindien anerkannte. Eine denkbare Reibungsfläche war
hiermit in weitschauender Politik beseitigt. Die „friedliche Durch-
dringung" Marokkos konnte sranzösischerseits eingeleitet werden und
begann im Frühjahr 1907. Die für alle Staaten versprochene „offene
Türe" wurde bald durch allerlei Rechtsverdrchungen gesperrt, und im
August bot die Ermordung von Hafenarbeitern in Casablanca den Fran-
zosen willkommene Gelegenheit, mit stärkeren Kräften vorzugehen. *)
*) 1914 hatte England 40, Deutschland 26 Großkampfschiffe.
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In Südafrika gewann die englische Regierung die Vuren-
staaten in sehr geschickter Weise dadurch, daß sie ihnen weitgehende
Rechte in der Verwaltung ihres Landes zugestand. 1909 wurden sie
dann mit den übrigen Kapkolonien zur Union vereinigt; so wurde die
dritte große weiße Siedelungskolonie dem britischen Weltreich ein-
gefügt. Dadurch wurde es nicht nur im Innern befestigt, sondern die
Buren wurden auch den Deutschen immer mehr entfremdet. Die Folgen
davon zeigten sich im Weltkrieg.
Den größten Erfolg errang aber die englische Politik dadurch, daß
es ihr gelang, den alten Feind Rußland als Bundesgenossen zu ge-
winnen, obgleich Deutschland mit seinem östlichen Rachbarn gute
Beziehungen gepflegt hatte. Cs hatte seit 1895 fortgesetzt mit Ruß-
land gut gestanden und ihm während des Japanischen Krieges und in
der darauf folgenden Revolutionszeit getreulich den Rücken geschirmt.
Deutsche Banken hatten ihm wieder aufgeholfen, und die Beziehungen
der Herrscher waren durch die treu beratende Unterstützung, die Kaiser
Wilhelm dem Zaren in schweren Stunden gewährt hatte, besonders
innig. Die deutsche Regierung hatte auch jetzt die günstige Gelegen-
heit nicht benutzt, um über das geschwächte Rußland herzufallen, sie aber
leider auch in keiner Weise ausgenutzt, um entweder einen verträglichen
Freund zu gewinnen und Rußland von Frankreich zu trennen oder
Deutschlands Grenzen im Osten zu verbessern.
Und doch gelang es dem Geschick der britischen Staatsmänner
(Hardinge, Ricolson) und der englisch-russischen Presse, den Hebel an
den richtigen Stellen anzusehen, um Rußlands Politik in die gewünschte
englandfreundliche und deutschfeindliche Bahn zu führen. Die Aus-
dehnungsbestrebungen nach dem Osten waren nie volkstümlich gewesen
— nur die nach dem Balkan —. Reue hohe Ziele aber waren nötig,
um die Herzen über die traurigen inneren Zustände mit allrussischem
Patriotismus zu erfüllen. Rach altenglischer Art war die britische
Regierung bereit, Opfer zu bringen, wenn das hohe Ziel dies erforderte.
So knüpfte man an die Aufsassuna weiter russischer Kreise an, welche
die einflußreiche Zeitung Rowoje-Wremja — die auch von Rorthclisse
abhängig war — schon 1902 ausgesprochen hatte.
1. „Unser Land muß sich nach Süden ausdehnen; es muß nach dem
warmen Meere streben, nach Ländern, die für die Kultur geeig-
neter sind als der reiche Osten, der kein Markt für uns ist. Am
wichtigsten sind der Balkan und Kleinasien nebst den Meerengen,
die der Schlüssel zur Herrschaft im nahen Osten sind." — Dadurch
ließ sich also, wie schon ausgeführt wurde, Rußland wieder aus
den Balkan ablenken.
2. „An zweite Stelle muß Persien treten, weil es eine der nächsten
Straßen zum Indischen Ozean ist."
3. „An letzter Stelle folgt der ferne Osten, der auch einen Weg zu
den eisfreien Gewäsiern bietet, aber dieser Weg ist leider weit
und kann für das europäische Rußland nicht in Frage kommen."
45
Aus diesen Erwägungen ging das bedeutsame Abkommen vom
31. August 1907 hervor, ein weltgeschichtlicher Markstein. In ihm
wurde der innerasiatische Gegensatz zwar nicht gelöst, aber vertagt. Die
beiden Mächte teilten Persien unter sich in drei Interessensphären, von
denen die nördliche Rußland, die südliche England vorbehalten wurde,
während die Mitte neutral bleiben sollte. Wiederum wurde hiermit
von den Großmächten selbständig über ein Land verfügt, an dem wir
großes wirtschaftliches Interesse hatten, ohne uns und es selber zu fragen.
Beide Staaten verzichteten aus die Vorherrschaft über Afghanistan
und Tibet. Rußland nahm hiermit seine Eroberungspolitik gegenüber
der Türkei wieder auf, England aber, der frühere Beschützer der Türkei,
war ja wegen der Sicherung von Ägypten und Indien seit 1882 ihr
Gegner geworden — Näheres folgt S. 46 — und gab jetzt seine Zu-
stimmung zur Aufrichtung des Kreuzes auf der Moschee Hagia Sofia
in Konstantinopel! Damit trat aber auch die alte Spannung zwischen
Österreich und Rußland, die nie geruht hatte, wieder ein.
Konnte denn Deutschland den verhängnisvollen Abschluß dieses
englisch-russischen Abkommens nicht verhindern? Wohl muß es be-
fremden, daß Vülow auch nach Algeciras die Annäherung von Eng-
land und Rußland, von „Walfisch" und „Bär", nicht für möglich hielt;
wohl können wir es auch bedauern, daß Deutschland in seiner großen
Friedensliebe nicht die ungewöhnlichen Vorteile der damaligen Lage
irgendwie ausnutzte; aber das Bündnis konnte es wohl kaum verhindern,
weil es ja kein Land hatte, das es Rußland hätte opfern können. Was
hätten wir ihm geben können? England versprach viel; wie konnte
Rußland da trotz aller moralischen Verpflichtungen zaudern, in die Hand
einzuschlagen, die ihm so reiche Gaben bot!
August 1907 würde die Einkreisung Deutschlands vollkommen ge-
wesen sein, wenn es England auch gelungen wäre, Österreich und die
Türkei zu gewinnen. Eduard versuchte es 1908 noch einmal, Kaiser
Franz Josef vorn Dreibund zu lösen; aber dieser lehnte ab. And da die
Türkei nur zu gut wußte, daß ihr einziger wahrer Freund Deutschland
war, so blieb sie auch deutschfreundlich.
Aber trotzdem hatte Eduard VII. doch sehr, sehr viel erreicht: Das
englisch-französisch-russische Einvernehmen — der Dreiverband genannt,
weil es kein eigentlich schriftlich festgelegtes Bündnis sein sollte — war
geschlossen. Weder der jahrhundertealte französisch-englische Gegensatz,
noch die langjährige russisch-englische Feindschaft hatte den Weltkrieg
herbeigeführt, wie man allgemein erwartet hatte. Da Deutschland
unter Bülows Leitung eine „Politik der freien Hand" trieb, d. h. sich
mit keinem Staat verband, so gelang es der englischen Staatskunst,
sich mit des Deutschen Reiches Feinden gegen es zu verbünden.
Der Dreiverband war und ist ja ein unnatürliches Bündnis, da
seine Mitglieder ganz verschiedene, ja zum Teil stark widerstrebende
Interessen vertreten, aber der Haß gegen das aufstrebende Deutschland
einte sie zunächst. Italien und Spanien standen mit ihm in nahen Be-
ziehungen, und in den übrigen Staaten Europas wurden die Bewohner
46
durch die lügnerische, von England bestochene Presse in britischem,
deutschfeindlichem Sinn bearbeitet. Der Weltkrieg war in unvermeid-
licher Sicht, wenn die Mittelmächte nicht bereit waren, auf dem Balkan
und im Orient bedingungslos zugunsten des Dreiverbands abzudanken.
Doch da traten in der Türkei Ereignisse ein, die eine vollkommene
Umwälzung der dortigen Verhältnisse herbeiführten.
V. Abschnitt.
Oie ersten Machtproben cles Dreiverbandes. 1908—ISN.
Das bosnische (1908) uncl clas zweite MaroKKo-ÑbKommen
(1911).
1. Der Balkan und die Türkei.
Seit dem Berliner Kongreß hatte auf dem Balkan leidliche Ruhe
geherrscht. Serbien war damals noch österreichsreundlich und Bul-
garien noch russenfreundlich — gerade umgekehrt wie heute —. Erst
als durch die Ermordung des Königs und der Königin von Serbien
durch serbische Ofstziere der jetzige König Peter, ein Schützling Ruß-
lands und Schwiegersohn des Königs von Montenegro, den blut-
befleckten Thron bestieg, trat Serbien immer mehr in scharfen Gegensatz
zum österreichischen Rachbarstaat und ließ die großserbische Bewegung,
die eine Vereinigung aller Serbo-Kroaten erstrebte, immer mehr an-
wachsen. Solange Rußland ja in Asien beschäftigt war, blieb die
Ruhe auf dem Balkan erhalten. Inzwischen war aber England aus
einem Freund und Beschützer der Türkei ihr Feind geworden. Es
wollte ja nach der Besitzergreifung Ägyptens 1882 eine Bahn Kap—Kairo
bauen, die ganz in englischem Besitz sein sollte; aber noch ehe der Vau
vollendet war, faßte es den großartigen, kühnen Plan, diese afrikanische
Linie über Damaskus—Bagdad bis nach Kalkutta in Indien weiter-
zuführen. Dadurch sollte eine enge Verbindung zwischen Ägypten und
Indien hergestellt und auch der Indische Ozean von England beherrscht
werden. Am nun die Verbindung Indiens und Ägyptens zu sichern,
suchte es auch Arabiens Herr zu werden. Cs zettelte dort Aufstände
gegen seine rechtmäßigen Herren, die Türken, an, wollte Mekka und
Medina, die heiligen Stätten des Islam, besetzen und ein selbständiges,
arabisches Kalifat als Gegengewicht gegen den Sultan der Türkei, der
zugleich geistliches Oberhaupt der Mohammedaner ist, errichten, um ihm
dadurch die Schutzherrschaft über den Islam zu entwinden. Die Türken
aber bauten als Gegenstoß die Hedschasbahn nach Mekka und gaben
Deutschland die Erlaubnis zum Vau der Bahn durch Kleinasien nach
Bagdad. Beide Linien dienen nicht nur der wirtschaftlichen Er-
schließung des Landes, sondern vor allem auch seiner militärischen
Kräftigung; denn sie allein ermöglichen eine schnellere Mobilmachung
der weit entlegenen, unwegsamen türkischen Länder. England fürchtete
daher Gefahr für seinen Plan Kap-Kairo-Kalkutta und
47
bereitete dem Vau der Vagdadbahn die größten Schwierigkeiten. Außer-
dem hchte es die Armenier in Kleinasien und die Mazedonier in Europa
gegen die Türkei aus, wobei es jetzt in dem Erbfeind der Türkei, Ruß-
land, einen willkommenen Bundesgenossen fand.
Zum Erstaunen der Welt erschienen die beiden früheren Gegner
in der orientalischen Frage im Sommer 1908 vereint in einem Pro-
gramm zur Lösung der mazedonischen Frage. König Eduard traf näm-
lich am 19. Juli 1908 in Reval mit dem Zaren Nikolaus II. zu-
sammen. Hier wurde durch den Vertrauten des englischen. Königs,
Hardinge, und den russischen, dreiverbandsfreundlichen Minister Fs-
wolski die volle Übereinstimmung in der Orientfrage festgestellt. Sie
hatten aber vereinbart, daß im Verein mit Frankreich und den Balkan-
staaten der Vernichtungskrieg gegen den Zweibund zu führen sei, so-
bald Rußland sein Heer genügend verstärkt hätte. Als Zeit hierfür
erklärten die Russen die Fahre 1914—1916. Rach englischem Grund-
satz wurden auch jetzt wieder keine schriftlichen Abmachungen getroffen;
sie waren auch nicht nötig, da man sich beiderseits über das große Z.el
vollkommen im klaren war. Die mazedonischen Streitigkeiten sollten
den Anlaß zur Einmischung geben, um zunächst die Türkei, den Freund
der Mittelmächte, niederzuwerfen. Da brach plötzlich, ganz unerwartet,
in der Türkei die jungtürkische Revolution aus und warf alle Pläne über
den Haufen.
2. Das bosnische Abkommen 1908/09.
Die Erbitterung über die Ohnmacht des Staates nach außen, die
Verwahrlosung im Innern und die Gewaltherrschaft des mißtrauischen
Sultans Abdul-Hamid hatten zur Bildung einer jungtürkischen Partei
geführt/die eine westeuropäische Verfassung in ihrem Vaterland ein-
führen wollte. Sie stürzte nun den Sultan. Da die Iungtürkm aber
mehr in Paris und London ihren Sitz hatten, glaubte der Dreiverband,
mit dem deutschfreundlichen Sultan sei auch der deutsche Einfluß be-
seitigt. Zunächst hatte er darin auch Erfolg, besonders als nun Öster-
reich und die Türkei Gegner wurden. Da nämlich die Iungtürken auch
Vertreter aus Bosnien in ihr Parlament berufen wollten, verleibte
Österreich am 5. Oktober 1908 das seit 1878 mustergültig verwaltete
Gebiet von Bosnien und Herzegowina förmlich ein, weil es zur Siche-
rung^ Dalmatiens unentbehrlich war. Den angrenzenden Sandschak
Novibazar, auf den es gleichfalls vertragliche Vorrechte hatte, gab es
der Türkei zur Kundgebung seiner friedlichen Absichten zurück. Cs hatte
schon vorher die Dreibundgenossen in seine Pläne eingeweiht und auch
die Zustimmung Fswolskis zu diesem Schritt erhalten, der als Ent-
schädigung die Zustimmung Österreichs zur Dardanellen-Durchsahrt für
russische Kriegsschiffe erhielt.
Die Bekanntgabe der Einverleibung Bosniens rief in Europa un-
geheure Aufregung hervor. Auffälligerweise erhob gerade England Ein-
spruch. Dasselbe England, das kurz vorher die Türkei den Russen
opfern wollte, verweigerte ihnen jetzt die Durchfahrt durch die Darda-
— 48
nellen *) und hetzte die slawischen Völker auf. Da Rußland die Darda-
nellenfreigabe nicht erhalten konnte, wollte es nun auch die Einverleibung
Bosniens nicht gestatten. Der Weltkrieg erschien unvermeidlich. Aber
diesmal blieb Österreich fest, und es konnte es, weil Deutschland un-
zweideutig erklärte, daß es ihm mit seiner ganzen Macht beistehen werde.
Da Rußland noch nicht genügend gerüstet war und deshalb den Kampf
noch nicht wagen konnte, ging die Spannung im März des nächsten
Jahres friedlich aus. Unser unbedingtes Zusammenstehen mit Öster-
reich geschah damals nicht nur aus Nibelungentreue, sondern unser
Lebensintereste und unsere Pflicht verlangten es von uns, sonst Hütten
wir auch noch den letzten Freund eingebüßt, der ja auch von Eduard
beharrlich umworben wurde. Vülow bezog sich damals mit Recht auf
die Worte Bismarcks: „Ein Staat wie Österreich wird dadurch, daß
man ihn im Stich läßt, entfremdet und geneigt, dem die Hand zu bieten,
der seinerzeit der Gegner eines unzuverlässigen Freundes gewesen ist."
So hatten sich die Mittelmächte zwar nicht einschüchtern lassen und ge-
siegt, aber es war doch nur ein bedeutender Augenblickserfolg ohne
dauernde Wirkungen.
Am meisten geschädigt fühlte sich Serbien, das seine großserbischen
Pläne gescheitert sah und daher immer feindlicher gegen den Donau-
staat gesinnt wurde. Die Türkei war nach Zahlung einer Geldentschädi-
gung leidlich zufrieden. England hatte sein Ziel zwar nicht erreicht, zog
aber aus der bosnischen Krisis den großen Gewinn, daß von nun an
neben Serbien auch ganz Rußland — Adel, Bürger und Bauern —
wegen des Zurückweichens vor dem Zweibund von Haß und Rachedurst
gegen ihn erfüllt wurden. Weil aber Deutschland die Demütigung
Österreichs verhindert hatte, wurde nun das alte Wort des Russen
Skobelew: „Der Weg nach Konstantinopel geht durch das Branden-
burger Tor" Gemeingut des russischen Volkes, was ausgezeichnet in die
britischen Pläne paßte.
3. Die Cntspannungsjahre 1909—1911.
a) Das Marokko-Abkommen und Englands
F l o t t e n a n g st 1909.
Inzwischen machte Marokko wieder von sich reden. Frankreich
war gar nicht gewillt, die Verträge von Algeciras zu halten, und es
reizte Deutschland fortwährend durch allerlei Zwischenfälle. Sollten
wir dessentwegen den Weltkrieg entbrennen lassen? Die deutsche Re-
gierung hielt es für klüger, Frankreich entgegenzukommen, um damit
alle Reibungsflächen zu beseitigen und fortan mit dem westlichen Rach-
barn auf gutem Fuß zu leben. Sie schloß daber am 9. Februar 1909
ein Sonderabkommen mit ihm, in dem Frankreichs politische Sonder-
stellung anerkannt wurde, während dieses uns die wirtschaftliche Gleich-
berechtigung gewährleistete und nochmals versprach, die Unabhängigkeit
und Selbständigkeit Marokkos bestehen zu lassen. Da zu gleicher Zeit
*) Weil Österreich auch 1908 sich nicht von Eduard VII. gewinnen ließ, und
England keine Annäherung der drei Kaisermächte wünschte
49
Eduard VII. — acht Jahre nach seiner Thronbesteigung — den ersten
Besuch in Berlin abstattete, so lebte in Deutschland die friedliche Hoff-
nung wieder auf, daß nunmehr viel Stoff zum Streit beseitigt und der
politische Himmel aufgeklärt sei. Der belgische Gesandte in Berlin,
Baron Greindl, urteilte richtiger und schrieb im März 1909 seiner Re-
gierung: „Die Verfassung der Gemüter in England erinnert an die in
Frankreich während der Jahre 1866—1870. Damals hielten sich die
Franzosen für berechtigt, Deutschland an der Wiederherstellung seiner
Einheit zu hindern, weil sie darin eine Bedrohung ihrer bisherigen Vor-
herrschaft auf dem Festlande sahen. Ebenso betrachtet man heute in
London die Weigerung Deutschlands, sich vertraglich dazu zu verpflich-
ten, von der Gnade Englands abhängig zu bleiben, als einen unfreund-
lichen Akt und eine Bedrohung des europäischen Friedens."
Im Jahre 1909 wurde auch der Kongostaat, der bisher dem König
von Belgien persönlich gehört hatte, vom belgischen Staat übernommen.
England hatte dies hauptsächlich veranlaßt und verlangte als Entgelt,
daß Belgien sich trotz seiner Neutralität dem Dreiverband näher an-
schloß. Jedenfalls wurde dieses durch seine Kolonie noch mehr als bisher
in die Wcltpolitik hineingezogen und zum Anschluß an England gedrängt.
In England suchte man nach der Niederlage in dem bosnischen Ab-
kommen die eigenen Machtmittel zu verstärken. Um das Volk dafür ge-
fügig zu machen, wurden die Furchtanwandlungen vor der deutschen
Flotte künstlich erzeugt. Wie schon S. 43 ausgeführt wurde, harte
Deutschland doch Großkampfschiffe gebaut und damit Englands Pläne
vernichtet. Die englische Negierung und Preste überboten sich in Ver-
öffentlichungen über den übertrieben dargestellten Vau deutscher Schlacht-
schiffe. Man führte umfassende Verstärkungen der eigenen Seerüstung
durch, und Lord Roberts versuchte mit teilwcisem Erfolge sogar den deut-
schen Einfall aus britischen Boden als drohend hinzustellen — viele Eng-
länder hörten schon mit Schrecken den Tritt preußischer Soldaten auf
Londons Pflaster —, um eine allgemeine Dienstpflicht, mindestens aber
Heeresvermehrungen, durchzuführen. Von der Wehrpflicht woLte das
englische Volk jedoch nichts wissen — sie ist daher erst im Weltkrieg
eingeführt worden.
Zugleich gelang es der englischen Lügenpreste nur zu gut, auch den
Amerikanern Furcht vor dem „angriffslustigen und eroberungssüchtigen"
Deutschland einzuflößen und die öffentliche Meinung in der neuen Welt
gegen uns aufzupeitschen. Weil man in Deutschland die Macht der
Presse unterschätzte und nicht genug gegen dies Lügengewebe vorging,
fanden die Lügen und Verleumdungen unserer Feinde leider nur zu viel
Glauben. Daher war und ist auch heute die Stimmung der ganzen
Welt gegen uns.
6) Vülows Rücktritt rrnd Vethmann-Hollwegs
Verständigungspolitik.
Im Sommer 1909 trat Fürst B ü l o w — nächst dem Admiral Tir-
pitz der bestgehaßte Mann in England — zurück. Sein Nachfolger wurde
Ehringhaus, 1870— 1914. 4
50
von Vethmann-Hollweg, dem Kiderlen-Wächter als Staatssekretär des
Auswärtigen zur Seite trat. Vülow hatte sich durch sein mannhastes
Auftreten nach innen und außen viele Freunde erworben. Vor allem
hatte er dem Flottenbau zur Durchführung verholfen und die englischen
Pläne durchschaut; er stand England daher mißtrauisch gegenüber und
widerstrebte einem Bündnis mit ihm, das seiner Meinung nach Deutsch-
land nur zum Diener Englands gemacht hätte. Aber während seiner
Amtszeit wurde Deutschlands Stellung doch sehr geschwächt. 1900 war
nur das russisch-französische Bündnis vorhanden; als er 1909 ausschied,
war Deutschland fast ganz eingekreist und Italien dem Dreibund inner-
lich entfremdet. In entscheidenden Augenblicken, wie z. B. 1900, im
Burenkrieg und 1905 und 1906 in dem ersten Marokko-Abkommen, konnte
er den höchsten Entschluß, in günstiger Lage für Deutschlands Interessen
einzutreten und das Netzwerk der Feinde zu zerhauen, nicht fasten. Auch
andere denkbare Wege, der drohenden Einkreisung entgegenzuwirken —
etwa durch ein Bündnis mit Japan —, betrat er leider nicht. Mehr-
mals nutzte er die ungewöhnliche Gunst der Weltlage nicht genügend
aus, um daraus für uns Vorteile zu ziehen; den Großmächten, besonders
Italien gegenüber, hatte er viel zu viel Vertrauen. Aber seine Politik
entsprach — das muß zu seiner Entschuldigung gesagt werden — den
Ansichten von mindestens 90 Prozent des deutschen Volkes, das im tief-
sten Herzen dankbar war, daß der Friede erhalten blieb, und das nicht
bedachte, daß dann dereinst um so furchtbarere Vlutarbeit zum mindesten
wahrscheinlich wurde.
Sein Nachfolger von Beth mann- Hollweg brachte der eng-
lischen Regierung Vertrauen entgegen, weil er hoffte, die schwere Lage
Deutschlands, die ihm als Vülowsche Erbschaft zugefallen war, durch eine
Verständigung mit England entscheidend bessern zu können. Da er sich
sagte, daß Frankreich und Rußland nicht zu gewinnen seien, versuchte er
es mit England, um den drohenden Weltkrieg zu verbäten. Änter Vülow
wurde der Hauptwert auf die Politik der offenen Türe gelegt; dadurch
wurden unsere Unternehmer besonders auf fremde Gebiete verwiesen,
und wir wurden vom Ausland immer abhängiger. Unsere Rohstoffe
für die Industrie und die Ölfrüchte für die Landwirtschaft bezogen wir
von fremden Staaten. Je mehr wir aber dort Handel trieben, um so
mehr wuchs der Handelsneid der andern, um so leichter kam es zu Reibe-
reien und Zusammenstößen mit ihnen. Vethmann-Hollweg versuchte
daher, ein großes mittelafrikanisches Kolonialreich auf dem Wege der
Verständigung zu schassen, wo wir selbst die Rohstoffe ziehen und die
Waren absehen konnten. Vülow wollte der Sperrung der offenen Türe
durch den Vau einer großen Flotte vorbeugen, Vethmann-Hollweg wollte
Deutschlands Macht auf die Dauer weder auf das Wohlwollen an-
derer noch auf die Furcht vor Deutschland gründen, sondern nur auf
eigene Arbeit. Sein leitender Grundsatz war es daher bis zum Kriegs-
ausbruch, die deutsch-englische Spannung zu mildern; daneben wurde
tunlichste Annäherung an Rußland ins Auge gefaßt und Amerika mit
größter Rücksichtnahme behandelt, um den Zusammenschluß der ángel-
51
sächsischen Reiche, der besonders in wirtschastlicher Hinsicht sehr gefähr-
lia- werden konnte, zu verhindern. Kurz, es wurde alles getan, um die
unbedingte Friedensliebe Deutschlands m klarster Form zu heweisen.
Wenn dies Bestreben deS neuen Reichskanzlers auch gebilligt
werden kann, so sagen seine Gegner doch wohl mit Recht, daß er in seiner
Friedfertigkeit — besonders England gegenüber — zu weit ging. Die
Geschichte beweist doch, daß England stets seine Rebenbuhler nieder-
gerungen hat — erst Spanien, dann Holland, Frankreich, Rußland —.
Darum hätten wir ihm mit mehr Mißtrauen begegnen müssen. Erst zu
spät sahen wir infolgedessen ein, daß es uns über seine wahren Absichten
täuschte, urn uns m Sicherheit zu wiegen und desto leichter niederzuwerfen.
Schon im August 1909 begannen die Verhandlungen mit England,
aber sie waren vergeblich. Dagegen ha.Le sich Rußland scheinbar Deutsch-
land wieder genähert. Kaiser Wilhelm tras sich mit dem Zaren in den
Finnischen Schären (1909). Andererseits aber trat das schlechte Ver-
hältnis Rußlands zu Österreich in scharfer Form dadurch zutage, daß
der Zar unter dem Einfluß Zswolskis, um den König von Ftalien zu
besuchen, einen großen Umweg machte, damit er nur nicht durch öster-
reichisches Gebiet reiste. In R a c c o n i g i (in Ftalien) verständigten
sich die beiden Herrscher im Oktober 1909 dahin, daß Albanien an
Ftalien fallen solle, wenn es zu Änderungen auf dem Balkan kommen
sollte. Wahrscheinlich wurden hier aber noch wichtigere Beschlüsse —
Vorbereitung des Tripolis- und Valkankrieges — gefaßt, die uns noch
nicht bekannt sind.
Am 7. Mai 1910 starb König Eduard VII., der Schöpfer der Cin-
kreisungspolitik. Ob er den Weltkrieg mit Deutschland gewollt hat oder
es nur politisch so einkreisen wollte, daß es seinen Flottenbau einstellen
und in allen großen Tagesfragen sich Englands Willen fügen mußte,
ist noch nicht klar. Jedenfalls konnte seine Politik zum Kriege führen
und hat den Weltkrieg heraufbeschworen. Mit seinem Tode schien das
Haupthindernis einer Verständigung mit England entfernt zu sein; es
zeigte sich aber bald, daß die Richtung der britischen Politik mit d^m
Tode ihres Königs keine Veränderung erfahren hatte. Eduard VII. er-
lebte ja das Ziel seiner Regierung nicht mehr, aber er hatte dafür ge-
sorgt, daß sein Plan nicht mit ihm ins Grab sank. Fn England und
im Ausland hatte er den leitenden Männern Geist von seinem Geist
eingehaucht und klug die politischen Gegensätze benutzt, um eine Welt-
verschwörung gegen die Mittelmächte anzuzetteln. Darum wird er mit
Recht als Hauptschürer des Weltbrandes verflucht. Der belgische Baron
Greindl schrieh mit Recht am 13. Februar 1909: „Cs kann keinem ent-
gehen, daß der Weltfrieden niemals ernstlicher bedroht war, als seitdem
der König von England sich damit befaßt, ihn zu festigen. Er versichert
zwar stets, sein Ziel sei die Erhaltung des Friedens, das hat er aber
seit Beginn des erfolgreichen diplomatischen Feldzuges immer gesagt,
den er durchgeführt hat, um Deutschland zu vereinzeln." Der Minister
Grey setzte, wie wir jetzt klar sehen, die Politik seines Herrn und Meisters
listig und verschlagen fort.
52
c) Das Potsdamer Abkommen 1910.
Cine Entspannung der zugespitzten europäischen Lage trat dadurch
ein, daß Sasonow, der neue Minister Rußlands, der Nachfolger Is-
wolskis, scheinbar versuchte, freundschaftliche Beziehungen zu Deutsch-
land herzustellen. Im Dezember 1910 reiste der Zar mit ihm nach
Potsdam. Hier wurde das herzliche Verhältnis zu Kaiser Wilhelm
betont, und im nächsten Jahre während des zweiten Marokko-'Abkommens
auch eine deutsch-russische Verständigung über Persien und die Bagdad-
bahn erzielt. Die Wolken schienen wie fortgeblasen. Heute nehmen wir
an, daß Rußland w.gen seiner ungenügenden Rüstung Zeit gewinnen
wollte und darum alle deutsch-feindlichen Bestrebungen nach außen ver-
mied, während im Inneren gerade 1910/11 eine allgemeine Demschen-
hetze einsetzte. Wenn der Zar es vielleicht ehrlich meinte, so hatte er
nicht genügend Einfluß aus die Kriegspartei; außerdem wollte diese
es wohl auch den Westmächten nahelegen, daß Rußland nicht von ihnen
abhängig sei und nötigenfalls auch selbständig handeln könne. In Lon-
don und Paris entstand jedenfalls lebhafte Beunruhigung über das
scheinbare Abrücken des Dreiverbandsgenossen; beide Staaten bemühten
sich nun mit doppeltem Eifer um ihn und erhielten auch bald von
St. Petersburg die geheime Mitteilung, daß alles beim alten bleibe.
In Berlin aber übersah man die Deutschenhehe und die feindliche
Orientpolitik und glaubte zuversichtlich, die alte russische Freundschaft
sei wiederhergestellt. Wie der Dreiverband tatsächlich gesonnen war,
zeigte sich in seiner zweiten Machtprobe, der zweiten Marokkoentscheidung
von 1911.
4. Das zweite Marokko-Abkommen 1911.
Da man in England und Frankreich den damaligen Zustand als
unbefriedigend empfand, hielt man einen neuen Vorstoß für nötig, und
dazu sollte Marokko der Kampfgegenstand sein. Frankreich war nämlich
nicht gesonnen, die Abmachungen von 1906 und 1909 zu halten, sondern
nutzte die Wirren in Marokko aus, um den Sultan völlig von sich ab-
hängig zu machen. Im März war Delcasse wieder Minister geworden
und hatte gegen Deutschland gehetzt. Am 22. Mai 1911 zogen fran-
zösische Truppen zum Schutz der angeblich bedrohten Hauptstadt Fes
dort ein. Damit war aber die Selbständigkeit Marokkos vernichtet.
Die deutsche Regierung war auch entschlossen, jetzt fest zuzugreifen,
da sie damals durch Rußland sich im Rücken gedeckt glaubte, um die
Marokkostreitigkeiten nun endgültig zu erledigen. Zur itberraschung
der Gegner, die glaubten, Deutschland ließe sich einschüchtern, erklärte
v. Kiderlen-Wächter, Deutschland könne die Besetzung Marokkos nur
gegen anderweitige Entschädigungen anerkennen. Als die Verhand-
lungen sich hinzogen, wurde das deutsche Kanonenboot Panther nach
dem westmarokkanischen Hafen Agadir gesandt als Hinweis für Frank-
reich, daß Marokko noch keine französische Kolonie sei. Eine Besitz-
erwerbung von gewisien Teilen des Landes, die viele Deutsche wgen
seines Crzreichtums erhofften, war von vornherein nicht beabsichtigt.
53
sondern nur die Erlangung einer Entschädigung für den neuen Gebiets-
zuwachs Frankreichs. Leider enthüllte die deutsche Regierung ihre
Pläne nicht klar, so daß bei Freund und Feind Mißverständnisse ent-
standen. Frankreich war zunächst auch zu Verhandlungen bereit.
Kiderlen-Wächter und Eambon berieten über die Abtretung eines Teiles
von Französisch-Kongo. Da mischte sich England ein und trat mit
einer Schärfe gegen Deutschland auf, wie noch nie zuvor. Es wollte
nicht zugeben, daß wir überhaupt eine Entschädigung erhielten, erklärte,
es werde überhaupt keine Abmachung anerkennen, die ohne seine Mit-
wirkung zustande komme — dasselbe England, das doch hinter dem Rücken
Deutschlands Verträge über Marokko und Persien abgeschlossen hatte —
und stachelte Frankreich auf, Deutschland ohne Entschädigungen oder
nur mit ganz geringen abzuspeisen.
Wie kam England zu einem solchen Verhalten? Der innere An-
laß der englischen Erregung bei unseren Verhandlungen mit Frank-
reich war — ebenso wie bei den vorangehenden mit Rußland —
die Befürchtung, daß die kunstvoll gegen Deutschland geschmiedete
Cinkreisungspolitik Schaden leiden könne; es wollte also die d.utsch-
französische Entspannung verhindern. Cs versprach daher seinem Drci-
bundsgenossen für den Kriegsfall namhafte Unterstützung. Wie später
bekannt wurde, waren alle britischen Geschwader bereitgehaltcn, um sich
sofort aus die deutsche Flotte zu stürzen, den Kanal und die Nordsee
zu sperren und Truppentransporte zur französisch-belgischen Küste zu
decken. Es plante auch selbst eine Landung in Belgien, ohne sich um
dessen Neutralität zu kümmern, nur um sein Weltherrschaftsziel zu
erreichen — wie hat das heuchlerische England uns 1914 für unsern
Durchmarsch durch Belgien schlecht gemacht! —
Die deutsche Regierung konnte infolge ihrer zu großen Nachgiebig-
keit bei den folgenden Verhandlungen und der feindlichen Stellungnahme
Englands ihre Forderungen nicht durchsehen, da sie es um Marokkos
willen nicht zum Kriege kommen lassen wollte. So zogen sich die Ver-
handlungen hin; ohne daß der mehrmals drohende Krieg ausbrach, kam
endlich am 4. November eine Verständigung zustande. Deutschland er-
kannte unter dem Vorbehalt wirtschaftlicher Gleichberechtigung die fran-
zösische Herrschaft über Marokko an. Damit war also die Unabhängigkeit
und Selbständigkeit dieses Landes aufgegeben. Der Grundsatz der offenen
Türe stand aber doch nur auf dem Papier; denn in einer französischen
Kolonie kann er doch nicht durchgeführt werden. Das Feilschen der Fran-
zosen hatte sogar noch den Erfolg, daß wir nur einen kleinen Zuwachs im
Kongo-Hinterland erhielten. Mit Marokko konnte sich dieser Erwerb
nicht entfernt messen; daher waren weite Kreise unseres Volkes mit dem
Ausgang des Marokko-Abkommens unzufrieden. Aber bei der gegen uns
gerichteten Stellung der Großmächte, der Friedfertigkeit der Regierung
und des Volkes sowie der Abneigung Österreichs gegen einen Krieg
wegen Marokkos war auf friedlichem Wege nicht mehr zu erreichen.
Der Eindruck des Zurückweichens Deutschlands vor den West-
mächten war gewaltig. Frohlockend veröffentlichten jetzt die franzö-
54
fischen Zeitungen die geheimen Marokkoverträge, um der Welt damit
zu beweisen, daß Frankreich sein Ziel erreicht habe; das französische
Selbstbewußtsein stieg j^tzt ins Maßlose und verband sich nnt dem
Rachegedanken. Fast das ganze Volk begeisterte sich jetzt für den
bevorstehenden Krieg mit Deutschland, da es ja auf den Beistand Eng-
lands rechnen konnte. Mitten während der Marokkoentscheidung eröff-
nete Italien den Tripoliskrieg und brachte dadurch Deutschland und
Österreich in große Verlegenheit.
5. Der Tripoliskrieg 1911.
Die europäische Verwickelung benutzte nämlich Italien, um sich 1911
in Tripolis festzusetzen. Im September 1911 zeigte es der Türkei an,
daß es sich wegen dauernder Nichterfüllung seiner Forderungen betreffs
Tripolis entschlossen habe, es zu besetzen; sie möge Anordnungen treffen,
daß kein Widerstand geleistet würde. Als sie diese Anmaßung ab-
lehnte, erklärte Italien, gestützt auf seine Abmachungen mit den West-
mächten, den Krieg. Ls hielt den Augenblick für günstig, da die Mittel-
mächte durch das Marokko-Abkommen gebunden waren und die Türkei
durch die unglückliche Revolution noch erschüttert war. Deutschland
kam durch den Feldzug, in dem ein Dreibundsgenosse gegen einen engen
Freund des Deutschen Reiches einen mutwilligen Angriffskrieg führte,
in eine äußerst schwierige und unangenehme Lage. Da erst kurz zuvor
die bosnische Krisis beigelegt war, konnte das feindliche Ausland, zu-
nächst nicht ohne Erfolg, in Konstantinopel darauf Hinweisen, ein wie
wenig nützlicher Freund Deutschland sei; der angebliche Freund aller
Mohammedaner habe in der bosnischen Sache hinter Österreich ge-
standen, habe dann Marokko an die Franzosen verschachert — so wurde
jetzt der Sachverhalt verdreht — und könne oder wolle jetzt auch nicht
helfen. England hoffte ja durch diesen Feldzug die Beziehungen
Deutschlands zu Italien und zur Türkei zu lockern; darum hatte es die
Italiener zu diesem Krieg ermuntert. Nur dem staatsmünnischen Geschick
unserer Vertretung im osmanifchen Reich und dem weiten Blick
Envers war es zu danken, daß auch bei den Iungtürken sich die Über-
zeugung durchsetzte, daß Deutschland doch tatsächlich der einzige, un-
eigennützige Freund der Türkei sei, zumal England ihr den Durchmarsch
ihrer Truppen durch Ägypten verweigerte. Die deutsche Regierung
handelte klug, daß sie damals noch nicht mit Italien brach und sich mit
den Türken verband; denn diese waren noch zu schwach, und wir hätten
dann auch den inzwischen gegründeten Balkanbund gegen uns gehabt.
Die Mittelmächte konnten der Türkei in Tripolis nicht helfen, aber
sie sehten es wenigstens durch, daß Italien sie nicht auf dem Festland
angriff. Obgleich letzteres sein Unternehmen seit langem vorbereitet
hatte, konnte es infolge des tapferen Widerstandes der türkischen Truppen
unter Cnver-Bey nicht in das Innere des Landes eindringen, sondern
sich nur an der Küste festsetzen. Weil sich England hier den besten
Hafen Sollum nahm und Frankreich gegen die Oasen des Hinterlandes
55
vorging und den Türken Kampfgegenstände lieferte, gestaltete sich der
Gegensatz Italiens zu den Westmächten so scharf, daß Frankreich die
Verlegung seiner ganzen Flotte ins Mittelmeer damit begründete.
Italien bot daher jetzt gern die Hand zur Verlängerung des Drei-
bundes, die auch im Dezember 1912 erfolgte; aber gerade durch den
Besitz von Tripolis wurde es doch von den Westmächten, besonders
von England, immer abhängiger. Die Erfolge Italiens ermutigten die
kleinen Balkanstaaten zum Angriff aus die geschwächte Türkei.
VI. Abschnitt.
Oie verstcindigungsoersuche und die Neugruppierung
der Mächte infolge der vulkunkriege. 1911—1913.
1. Deutsch-englische Verständigungsversuche und Neutralitäts-
verhandlungen 1912.
Nach dem Marokko-Abkommen kam es trotz des Wiederauflebens
der Rachegedanken in Frankreich nicht zum Krieg, sondern es folgten
einige Jahre der Entspannung. Das Verhältnis zwischen Österreich
und Italien besserte sich; im Dezember 1912 wurde der Dreibund ohne
große Schwierigkeiten — ganz anders als 1902 — erneuert; am wichtig-
sten wurden aber die englisch-deutschen Neutralitütsverhandlungen im
Frühjahr 1912.
Die Marokkoentscheidung von 1911 hatte in Europa doch einen tiefen
Eindruck gemacht. Die Völker hatten klar erkannt, daß sie haarscharf
am Abgrund eines Weltkrieges vorübergegangen waren. Die Ver-
öffentlichungen der französischen Zeitungen über das geheime Marokko-
Abkommen hatten schlaglichtartig die unaufrichtige Politik der West-
mächte beleuchtet. In England entstand nun eine friedliebende Gegen-
bewegung gegen das geheime, deutschfeindliche Treiben des Kabinetts
und besonders gegen Grey. Dieser war so klug, der Stimmung dieser
Kreise Rechnung zu tragen, indem er Verhandlungen mit Deutschland
anknüpfte, das gern und willig darauf einging, da es schon längst bessere
deutsch-englische Beziehungen herstellen wollte. England sandte 1912
wiederum Lord Haldane, den früheren englischen Kriegsminister, nach
Deutschland, um einen deutsch-englischen Verständigungsvertrag ab-
zuschließen. Dieser hatte inzwischen unter Ausnutzung des früher in
Deutschland Gelernten das englische Heer verbessert und spielte sich
nunmehr als guten Freund des deutschen Staates auf. All die Per-
sonen und Vereine, die bessere Beziehungen zwischen den beiden Ländern
herbeiführen wollten, faßten neue Hoffnung, und so wurde mehr denn
je von einem Einverständnis der germanischen „Vettern" geredet und
geschrieben.
Der Irrtum Deutschlands bestand darin, daß man es noch nicht
begriff, daß der Streit zwischen England und dem Deutschen Reich
nicht nur eine zufällige Spannung, sondern der zielbewußte Kamps
56
eines mächtigen Feindes war, der seinen Nebenbuhler niederringen
wollte. Man übersah, daß nur ein sehr kleiner Teil des englischen
Volkes, der geringen Einfluß hatte, wirklich eine dauernde Verständi-
gung mit Deutschland wünschte, und dieser auch nur unter der selbst-
verständlichen Voraussetzung, daß sich Deutschland in allen Angelegen-
heiten der großen Politik den Wünschen Englands unterordnen würde.
Während Nußland im Osten den Valkanbund gründete, um Österreich
niederzuwerfen, während in Frankreich der Rachegedanke immer
mehr anschwoll, während der Dreiverband nur deshalb noch nicht los-
schlug, weil seine Rüstung noch nicht beendet war, waren in Deutschland
weite Kreise in dem Irrglauben befangen, daß jetzt der Augenblick zur
Sicherung des europäischen Friedens durch eine allgemeine Entspannung
und Verständigung gekommen sei.
Die deutsche Regierung kam Grey mit Vertrauen entgegen. Sie
wollte vor allem von England das Versprechen der Neutralität im Fall
eines Krieges und war bereit, als Entgelt hierfür den deutschen Flotten-
bau zu beschränken. England aber lehnte alle deutschen Angebote ab,
angeblich aus Rücksicht auf Rußland und Frankreich, tatsächlich, weil
es sich nicht mit Deutschland verständigen und den Weltkrieg nicht
unter allen Amständen vermeiden wollte. Cs wollte eben seine Vor-
herrschaftsstellung in d.r Welt nicht aufgeben und die Hände frei be-
halten, falls seine Verbündeten einen Krieg mit dem Dreibund herauf-
beschworen. So hatte die Sendung Haldanes keinen Erfolg; der Abbruch
der Verhandlungen führte aber keine Verschärfung der Gegensätze her-
bei. Man beschloß sogar, dieselben später wieder aufzunehmen, und
suchte eine Verständigung in kolonialen Fragen. Wenn die leitenden
Kreise Englands hierauf eingingen, so taten sie es wohl — wie wir
es jetzt behaupten dürfen —, um uns in Sicherheit zu wiegen und über
ihre wirklichen Absichten zu täuschen. Damals erkannten das nur wenige
weitblickende Männer in Deutschland, wie z. V. der heftig angegriffene
General von Vernhardi. In seinem Buch „Deutschland und der nächste
Krieg" heißt es nach ruhiger, sachgemäßer Abwägung aller Tatsachen:
„Ein friedlicher Ausgleich mit England ist nach alledem eine Fata
morgana (d. h. eine Luftspiegelung, ein Luftgebilde), der nachzustreben
kein ernster deutscher Staatsmann unternehmen sollte". Wir haben
nicht frühzeitig genug die Heuchelei Englands und in ihm unseren Tod-
feind erkannt. Trotzdem muß darauf hingewiesen werden, es hatte auch
sein Gutes, daß die deutsche Regierung trotz aller üblen Erfahrungen
den Gedanken friedlicher Verständigung mit England bis zum äußersten
fortgesetzt hat. Hätte sie es nicht getan, so hätte die überwiegende Mehr-
heit des friedliebenden, aber politisch unerfahrenen deutschen Volkes es
gemißbilligt und wäre 1914 kaum in der erforderlicken Ciniakeit in den
Weltkrieg gezogen. Heute aber wißen wir, daß wir nicht aller Welt
Freund sein, nickt mit allen Staaten in Frieden und Freude leben und
mit all unserer Friedensliebe allein den Krieg nicht vermeiden können.
Trotz aller bildungsfördernden und gesellschaftlichen Fortschritte ist die
Welt eben doch die gleiche geblieben wie vor Jahrhunderten. Blut und
57
Eisen entscheiden auch heute noch die großen Fragen der Weltgeschichte,
und wer nicht vorbeugend Hammer sein will, muß erwarten, eines Tages
Amboß zu werden. Daß wir Deutschen deshalb keine frevelhaften Frie-
densbrecher werden wollen, ist selbstverständlich und bei unserem Wesen
von vornherein ausgeschlossen.
England bot unS Portugiesisch-Afrika an, aber nur in einem Ge-
heimabkommen, daS es nicht zur Ausführung kommen ließ. Aber das
waren wohl nur Scheinverhandlungen, durch die es die deutsche Re-
gierung an ihren guten Willen glauben machen wollte, um für seine
Orientpläne und Rußlands Rüstung.n Zeit zu gewinnen. Einen ähn-
lichen Zug trugen die Vagdadbahn-Verhandlungen. Nachdem nämlich
Deutschland aus die Fortführung der Bahn bis zum Persischen Golf
verzichtet und England Koweit am Persischen Golf beseht hatte, wandte
England nichts mehr gegen den Vau der Vagdadbahn ein und erklärte
sich mit der Anschlußstrecke an den Mittelmeerhasen Alexandrette ein-
verstanden, da er ja von dem britischen Cypern aus beherrscht wurde.
So schien 1912 alles zu einer hoffnungsvollen Entwickelung der
deutsch-engüschen Beziehungen angetan. Als eine Warnung für offene
Ohren freilich klangen die unfreundlichen Reden des Lords der britischen
Admiralität Churchill, daß eine starke Flotte für England eine Lebens-
notwendigkeit, für Deutschland aber ein Luxus sei.
2. Deutsch-russische Verständigung 1912.
Auch mit Rußland schien Deutschland wieder in gute Beziehungen
zu treten. Im Zuli 1912 hatte Kaiser Wilhelm den Zaren in Valtisch-
Port bei Reval aufgesucht. Durch die Teilnahme des Reichskanzlers,
des russischen Ministerpräsidenten und des Ministers des Auswärtigen
Sasonow erhielten die Besprechungen ein politisches Gepräge. Man
maß dieser Begegnung in Deutschland große Bedeutung bei, und die
amtlich heeinslußte „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" brachte als Er-
gebnis: „Die Zusammenkunft hat aus beiden Seiten den Willen befestigt,
dauernde Fühlung zwischen Deutschland und Rußland in den großen
Tagesfragen zur Wahrung des europäischen Friedens zu unterhalten."
Kurzz nachher machte der Reichskanzler noch einen Besuch in Rußland.
Man mußte beides als Zeichen der Annäherung ansehen. Aber zu der-
selben Zeit hetzte Rußland den Valkanbund gegen Österreich und arbei-
tete an der Vervollständigung seines Bundes mit Frankreich.
3. Militärische Abkommen des Dreiverbandes.
Am 13. Juli, noch während des Besuchs Vethmann - Hollwegs,
schloß Rußland mit Frankreich ein Flottenabkommen ab, und schon
einen Monat nachher empfing der englandfreundliche Sasanow den
neuen französischen Ministerpräsidenten Poincare (9.—16. August).
Dieser Besuch war von der größten Bedeutung; denn Rußland nahm
Poincars das Versprechen ab, so bald wie möglich die dreijährige
58
Dienstzeit wieder einzuführen. Die russische panslawistische Partei
übernahm seitdem die Führung in der Einkreisungspolitik; England hielt
sich mehr ini Hintergrund.
Zu gleicher Zeit wurde auch das Band zwischen den Westmächten
fester geknüpft. Zm September 1912 wurde durch ein Flottenabkommen
die Zusammenziehung der ganzen französischen Flotte im Mittelmeer
vorgesehen, indem es auch sein drittes Kampfgeschwader von Brest nach
Toulon verlegte, während England den Schutz der Nordsee allein über-
nahm. Nach dem Ausbruch des Valkankrieges aber kam es am 22. No-
vember 1912 zu einem sehr bedeutungsvollen Briefwechsel zwischen
Grey und Canlbon, dem französischen Botschafter in London. Sie
einigten sich dahin, daß sich beide im Fall eines Krieges mit einer
fremden Macht miteinander verständigen wollten. Der Briefwechsel
war ganz unverbindlich und schien ganz harmlos, aber „es war ein
Vertrag, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung zum
Handeln enthielt und doch so gefaßt war, daß Grey jede bindende
Verpflichtung vor dem Parlamente bestreiten konnte. Tatsächlich war
die englische Negierung pflichtgemäß ebenso gebunden, als wenn sie einen
Bündnisvertrag geschlossen hätte." Natürlich wurde der französische
Angriffsgeist hierdurch sehr gesteigert, in Deutschland aber schenkte man
ihm nicht die gebührende Beachtung.
Nach außen brachte also 1912 eine Reihe von Entspannungen
zwischen den einzelnen Staaten, aber in demselben Fahr wurde die
Rüstung des Dreiverbandes durch die besprochenen Abkommen sehr ver-
vollkomnet. Man kann daher wohl behaupten, daß uns sowohl England
als auch Rußland mit heuchlerisch-freundlicher Miene seine friedlichen
Absichten ausdrückte, um sich um so ungestörter für den Balkankrieg vor-
zubereiten und Deutschlands Aufmerksamkeit von dem großen Plan
abzulenken, die Türkei und Österreich in ihren Grundfesten zu erschüttern.
4. Die Balkankriege 1912/13 und die aus ihnen folgende
Neugruppierung der Mächte.
a) Der Balkanbund.
Nach der bosnischen Krisis trat äußerlich Ruhe auf dem Balkan
ein. Der Dreiverband, besonders England, erregte aber in der Türkei
Aufstände der Volksstämme (Araber, Kreter, Albanier), um dieselbe
nicht zur Ruhe kommen zu lassen und zu schwächen, während die Mittel-
mächte ihren Sieg nicht ausnutzten, nur um den Weltfrieden zu erhalten.
Fm Fnnern war ja ihr Einfluß im Wachsen; die Türkei trat mit
Deutschland in immer engere Beziehungen — von der Goltz ging in
die Türkei, die Vagdadbahn wurde weiter gebaut —.
Zwischen Ästerreich und Rußland entstand nach 1905 eine neue
Streitfrage durch die A k r a i n e. Nach der Revolution strebte nämlich
hier der bisher von den Rüsten mit Strenge unterdrückte Volksstamm
der Ruthenen in Südrußland nach Selbständigkeit. Die Großrusten.
59
erkannten diese aber nicht an. Infolgedessen flüchtete sich die ukrainische
Bewegung nach Galizien, wo sie mehr Freiheiten g>.noß; Lemberg wurde
ihr Mittelpunkt. Wenn aber schon die drohende Abbröckelung Polens
für Rußland schr bedenklich sein würde, so wäre der Abfall der Akraine,
des Lebensnervs Rußlands, für es geradezu lebensgefährlich; denn die
Ukraine ist ja das Hauptgetreidegebiet Rußlands — */3 der gesamten
Erzeugung — und hat zugleich auch reiche Bodenschätze, besonders Eisen
und Kohlen, an denen Rußland sonst so arm ist — 80°/o der Kohlen-
und 60°/o der Eisengewinnung Rußlands —. Rußlands Bestreben
war es daher, sämtliche Ukrainer zu unterwerfen, d. h. Galizien zu
erobern — darum begingen sie ja auch 1914 den Fehler und sielen zu-
nächst hier ein —, um Herr der ukrainischen Bewegung zu sein; für
Österreich würde aber die Aufgabe des fruchtbaren Galiziens mit seinen
Petroleumquellen ein unersetzlicher Verlust sein und seine Ostgrenze
gefährden.
Im Sommer 1912 brachten englische Zeitungen die Nachricht, sämt-
liche slawischen Valkanstaaten hätten sich zu einem „Balkanbund"
zusammengeschlossen. In Österreich und Deutschland wurde diese
Meldung als unglaublich belächelt, weil man eine solche Verbindung
wegen der tiefen Gegensätze und der politischen und nationalen Leiden-
schaftlichkeit der Valkanvölker für unmöglich hielt. Wie sich aber später
herausstellle, entsprach die Kunde, die wie so manche uns ungünstige bei
ihrer Veröffentlichung bei uns keinen Glauben fand, leider ganz den
Tatsachen. Die Vorgeschichte des Valkanbundes zeigt uns, daß die
Panslawisten unter der Führung Iswolskis zunächst die Valkanvölker
einschließlich der Türkei gegen Österreich-Ungarn zusammenschließen
wollten. Erst als diese sich dem Bund nicht anschließen wollte, was
wir ihr nicht vergessen dürfen, richtete sich dieser jetzt zuerst gegen sie,
damit sie im Kriegsfall ihm nicht in den Rücken fallen konnte. Unter
dem Einfluß der russischen Panslawisten sowie des serbischen Ministers
Pasitsch und des russischen Gesandten Hartwig in Belgrad hatten sich
die alten Gegner Bulgarien und Serbien zum Bund gegen die Türkei
vereinigt, dem bald auch Griechenland und Montenegro beitraten. Nur
Rumänien, dessen kluger Hohenzollernkönig Karol auf der Seite der
Mittelmächte stand, hielt sich zurück — erst nach dem Valkankrieg wurde
es russenfreundlich —. Im Sommer 1912 waren die Militärabkommen
endgültig ausgearbeitet. Falls es im Laufe des Krieges zu Meinungs-
verschiedenheiten käme, sollte der Zar entscheiden; dies war der deut-
lichste Beweis für Rußlands leitende und überragende Stellung. Da
die Türkei sowohl durch innere Schwierigkeiten als auch durch den Krieg
in Tripolis geschwächt war, eröffneten die Valkanstaaten trotz der Ab-
mahnung der Großmächte den Krieg im Oktober 1912. Sie wußten ja
nur zu gut, daß der Dreiverband „nur zum Schein um des guten Ein-
drucks willen" sich einmischte und daß er tatsächlich „nur die Mittel-
mächte einschläfern und ihnen ein falsches Bild von ihrer Orientpolitik
vortäuschen sollte". Bald stand der Balkan in hellen Flammen, und die
Heere des christlichen Valkanbundes schämten sich nicht, ihren Raubzrg
60
als Kreuzzug gegen den Islam zu bezeichnen, um dadurch ihre Truppen
zum Kampfe anzustacheln.
6) Der erste Valkankrieg 1912/13.
Die ungerüstete Türkei, der die Großmächte noch kurz zuvor zu-
geredet hatten, ihre Reserven zu entlasten, war in einer sehr bedrängten
Lage. Trotzdem wurde in Berlin und Wien die Stärke des Valkan-
bundes sehr unterschätzt, die der Türken dagegen ebenso stark überschätzt.
Unsere Gesandten und Offiziere bewiesen auch hier die gleiche mangel-
hafte Urteilskraft wie in den vorhergehenden Kriegen, wenn sie behaup-
teten, die Türken würden sich der vielen Feinde mit Leichtigkeit erwehren.
Die Heere der Vulgaren zerschmetterten jedoch in schnellen Schlägen
im Oktober bei Kirk-KUisse und Lüle-Burgas das türkische Heer, weil
es schlecht geführt und noch schlechter verpflegt war. Sie schlossen die
Festung Adrianopel ein und bedrohten die Hauptstadt Konstantinopel.
Erst bw befestigte Tschataldschalinie gebot ihrem Ansturm halt; vor ihrer
inzwischen immer stärker ausgebauten Stellung verblutete sich das tapfere
bulgarische Heer, in dem aucy noch die Cholera ausgebrocyen war. Auch
die Serben trugen große Erfolge davon; nach dem Siege bei Kumanowo
eroberten sie Altserbien, besetzten einen Teil Albamens und das nörd-
liche Mazedonien, während die Griechen unter der Führung des Kron-
prinzen Konstantin Ep.rus und das südliche Mazedonien eroberten
und in Saloniki einzogen.
Der Valkankrieg stellte den Weltfrieden auf eine harte Probe.
Österreich hatte in großer Selbstüberwindung die Besetzung des Sand-
schaks Rovibasar durch die Serben geschehen lassen, aber es suchte dafür
mit um so größerer Entschiedenheit ihr Vordringen an das Adriatische
Meer zu verhindern. Da war es denn von großer Bedeutung, daß sich
hier die Interessen Italiens mit den seinen begegneten. Rußland aber,
der Beschützer Serbiens, sowie der Dreiverband unterstützte die An-
sprüche Serbiens. Cs brachte Ansang 1913 starke Truppenkörper an der
galizischen Front aus Kriegsstärke, so daß Österreich mit gleichen Maß-
nahmen antworten mußte. So standen die Dinge wieder auf des
Messers Schneide. Aber auch jetzt ging der Weltkrieg noch einmal
vorüber. An sich wünschten ja die Russen den Ausbruch desselben, der
ihnen endlich den Weg nach Konstantinopel öffnen sollte, noch einige
Jahre hinauszuschieben, bis die Rüstungen vollendet waren. Als Zeit-
punkt dafür hatte man 1914/16 angegeben. Andererseits war man aber
von Österreichs Schwäche und innerer Zerrissenheit, auch bei den Val-
kanstaaten, derart überzeugt, daß sogar Serbien allein einen Krieg mit
Österreich führen zu können glaubte, falls nur Rußland Deutschland in
Schach halten wollte. Da jedoch auch Italien wegen der albamschcn
Frage auf der Seite des Dreibundes stand — es hatte im Dezember
1912 den Vertrag erneuert — und Deutschland auch jetzt keinen Zweifel
darüber ließ, daß es, ähnlich wie 1908 in der bosnischen Krisis, Öster-
reich treu zur Seite stehen würde, lenkte das ungerüstete Rußland im
März 1913, wenn auch zähneknirschend und voll Erbitterung, endgültig
61
ein und erklärte sich mit der Schaffung eines selbständigen Fürstentums
Albanien einverstanden. Damit war die Gefahr des Weltkrieges noch
einmal vertagt. Am 30. Mai unterzeichneten auf der Londoner Vot-
schafterkonferenz auch die Valkanstaaten den Vorfrieden.
e) Die R ü st ungen zum Weltkrieg nach dem ersten
Valkankrieg.
Alle Staaten Europas hatten durch die Valkankämpfe erkannt, wie
wichtig ein schlagfertiges Heer war und wie bitter sich eine Vernach-
lässigung desselben rächte; darum waren sie eifrig darauf bedacht, ihre
Truppen zu vermehren und zu verstärken.
Es ist schon erzählt worden, wie Rußland während des Krieges
seine Truppen in Galizien aus Kriegsstärke brachte und O st e r r e r ch
darauf antworten mußte. Herbst 1913 wurde das Heer auf Betreiben
des Thronfolgers, Erzherzog Ferdinands, noch weiter verstärkt.
Für Deutschland bedeutete die Niederlage der verbündeten
Türkei den Ausfall einer erwarteten Hilfe; darum mußre es sein Heer
vergrößern. Im Frühling 1913 wurde die Vorlage (Vermehrung um
136 000 Mann) angenommen, so daß Deutschland damit eine Friedens-
stärke von ungefähr 800 000 Mann hatte?) Gern und willig zahlte das
deutsche Volk hierfür die Wehrsteuer. Die Stärkung Deutschlands war
um so dringlicher, als gleichzeitig Frankreich und Rußland unausgesetzt
rüsteten.
In Frankreich, das Anfang 1913 den deutschfeindlichen Loth-
ringer Poinearo zum Präsidenten gewählt hatte, erregte unsere Heeres-
vermehrung großes Aufsehen und furchtbare Ausbrüche des Deutschen-
hasses. Sie hatte zur scheinbaren Folge die Wiedereinführung der drei-
jährigen Dienstzeit ohne Cinjährigen-Iahr. Da nämlich die Bevölke-
rung unseres westlichen Rachbars, vor allem durch das Zweikinder-
system, fast gar nieyt zunimmt, mußte er die Dienstzeit verlängern, wenn
er mehr Soldaten haben wollte. Am nun das Volk willig zu machen,
diese drückende Maßnahme anzunehmen, und es aufzupeitschen, stellten die
Franzosen es so dar, als ob das angriffslustige Deutschland gegen sie
vorgehen wollte und sie zu diesem schweren Opfer zwänge. Tatsächlich
war aber Poinears schon 1912 in Rußland verpflichtet worden, die drei-
jährige Dienstzeit einzuführen, da Frankreich sonst nach Meinung der
Russen nicht stark genug war und Rußland die Last des Krieges allein
hätte tragen müssen. Die Berichte des belgischen Gesandten haben diese
Tatsache, welche die Angriffsabsichten des Dreiverbandes deutlich zeigt,
bestätigt. Weil die Einführung der dreijährigen Dienstzeit in Frank-
reich nur sehr widerwillig angenommen wurde und ihre Abschaffung
1915 zu befürchten war, hat wohl Rußland den Weltkrieg auch eher
entbrennen lassen, als eigentlich abgemacht worden war.
Am meisten aber rüstete Rußland. Dort hatte die öffentliche
Meinung die Regierung wegen ihres Zurückweichens in der serbisch-alba-
*) Auch die Flotte wurde verstärkt: 41 Linienschiffe, 20 große, 40 kl. Kreuzer.
62
nischen Frage aufs heftigste angegriffen. Seitdem gewann die Kriegs-
partei immer mehr die Oberhand. Sie verstärkte unter dem Kriegs-
minister Suchomtinow das Heer bedeutend und schlug seitdem dem Zwei-
bund gegenüber einen sehr kriegerischen Ton an.
6) Der zweite Valkankrieg 1913.
Über die Teilung der Veute des ersten Valkankrieges kam es im
Frühjahr 1913 zu ernsten Zwistigkeiten unter den Siegern. Weil näm-
lich Serbien und Griechenland Albanien hatten räumen müßen, forderten
sie als Entschädigung Teile von Mazedonien, die nach der früheren Ver-
abredung an Bulgarien fallen sollten. Serbien glaubte besonders des-
halb Anspruch aus ein Mehr zu haben, weil nur durch seine Hilfe Adria-
nopel eingenommen worden war. Zugleich verlangten die Rumänen,
die sich 1912/13 neutral verhallen und dadurch den Sieg der Bulgaren
ermöglicht hatten, die Abtretung der Dobrudscha. Da Bulgarien in
unbegreiflichem Vertrauen auf Rußland in seinem Siegesrausch nichts
aufgeben wollte, kam es im Juli 1913 zum zweiten blutigen Valkankrieg.
Die bulgarischen Truppen rangen zwar mit Heldenmut gegen die ver-
einten Gegner, sie stellten auch nach anfänglichen Mißerfolgen die Lage
wieder her und waren im Begriff, Erfolge zu erzielen, da erklärte auch
Rumänien auf Rußlands Rat den Krieg, und die Türkei unter der
Leitung des tatkräftigen Cnver Bey raffte sich auf, um Adrianop.l zu-
rückzuerobern. Das durch den ersten Valkankrieg schon geschwächte Bul-
garien erlag jetzt der Übermacht der Feinde, zumal Rußland es im Stich
ließ, um den Serben entgegenzukommen und Rumänien für sich zu ge-
winnen und gegen Österreich aufzuhetzen. Im Frieden von Bukarest
mußte es schweren Herzens den größten Teil Mazedoniens an Serbien
und Griechenland abtreten, dessen Fläche fast verdoppelt wurde, an Ru-
mänien einen Teil der Dobrudscha und die Stadt Silistria, an die Türkei
Adnanopel. Es selbst erhielt also als Frucht seiner Valkansiege nur
einen kleinen Gebietszuwachs.
Der König entließ damals seine Truppen mit den Worten: „ünsere
Verbündeten haben uns verraten. Falten wir unsere Fahnen zusammen
für bessere Tage." — Diese kamen 1915.
e) Der Zerfall des Valkanbundes und die
Reugruppierung der Mächte infolge des zweiten
Valkankrieges.
Von den Großmächten wünschte allein Österreich die für Bul-
garien ungünstigen Bedingungen zu mildern, da es ihm ein Bündnis
angeboten hatte. Deutschland dagegen trat mit Rücksicht auf Griechen-
land und das vermeintlich im geheimen mit uns verbündete Rumänien
für den Bestand des Vukarester Friedens ein. Die Gesichtspunkte und
Ziele der deutschen Politik waren also hier andere als die Österreichs,
ja ihnen teilweise entgegengesetzt. Wien suchte Anschluß an Bulgarien,
Berlin an die beiden nichtslawischen Valkanstaaten, Griechenland und
63
Rumänien. Cs übersah aber dabei, wie wir jetzt klar sehen, daß
das rumänische Volk dem Dreiverband näher stand als uns.
1. Die Gebildeten sahen in Frankreich die führende Macht aller
Romanen — Bukarest ist ein Abklatsch von Paris —.
2. Das griechisch-katholische Volk war durch den Glauben mit Ruß-
land verbunden und hielt jeden Schritt gegen den großen östlichen
Nachbarn sür verhängnisvoll, während es Österreich als dem Zer-
fall ausgesetzt ansah.
3. Cs war außerdem auf die Angarn wegen der Behandlung seiner
Volksgenossen in Siebenbürgen erbittert.
4. Die junge Königin Marie war Engländerin und russenfreundlich.
5. Rußland hatte durch Bestechung viel Anhänger gewonnen.
So hatten die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwar
Rumänien früher zu Deutschland geführt, und der Hohenzollernkönig
Karol war ein treuer Verbündeter der Mittelmächte, aber die Bündnis-
treue Rumäniens stand nur aus den Augen des alten Königs. So erklärt
sich der Abfall Rumäniens 1916 sehr leicht, zumal von Deutschland nicht
genug geschah, um den feindlichen Einflüssen entgegenzuarbeiten.
Betreffs der albanischen Frage erreichte der Dreiverband sein
Ziel, sie nicht zur Ruhe kommen zu lassen und einen lebensfähigen
Staat, wie ihn die Mittelmächte haben wollten, auszuschließen. Durch
die albanische Frage wurde ein fester Keil zwischen Österreich und
Italien getrieben, und wahrscheinlich sollte es wegen Albaniens zum
Weltkrieg kommen, damit Italien sofort sich dem Dreiverband anschloß
und gegen Österreich losschlug. Trotzdem war im ganzen die Balkan-
lage für den Zweibund jetzt wesentlich günstiger als 1912 nach dem
ersten Valkankrieg. Der Hauptersolg bestand darin, daß der Balkan-
bund gegen Österreich zerfallen war; Bulgarien stand in schroffem, un-
versöhnlichem Gegensatz zu Serbien und auch gegen Rußland, das es
so schmählich im Stiche gelassen hatte. Cine Neugruppierung bereitete
sich auf dem Balkan vor. Die an sich unerfreuliche kurze Trennung
zwischen den Zweibundsmächten in der Vulgarenfrage trug doppelte
Früchte. Bulgarien, das Österreichs guten Millen hoch anerkannte,
näherte sich dem Donaustaat, und Griechenland sah, daß Deutschland
ihm wohlwollte.
Andererseits wuchs freilich die großserbische Bewegung infolge der
Siege der Serben ins Angemessene und artete in Größenwahn aus;
Rumänien aber näherte sich immer mehr dem Dreiverband.
VII. Abschnitt.
Oie scheinbare Entspannung vor ñusbruch cles Krieges.
1913/14.
a) Das Jahr 1913.
Wenn man auch heute gerade über die letzten Jahre vor Ausbruch
des Weltkrieges noch nicht genügend unterrichtet ist, um ein endgültiges
Arteil zu fällen, so kann man doch schon einen Aberblick über die wich-
64
figffcn Ereignisse geben. Nach den Valkankriegen begannen wieder,
ähnlich wie 1906, 1909, 1912, die „Entspannungen". Im Januar 1913
hielt der neue deutsche Botschafter Fürst Lichnowsky eine Rede, in der
er die deutsch-englische Freundschaft pries und eine Zeit allgemeiner
Verständigung amündigte. Als einen besonderen Beweis für die Veste-
rung der Lage sah man es an, daß zur Hochzeit der deutschen Kaiser-
tochter Viktoria Luise mit dem Herzog von Braunschweig (Mai 1913)
neben fast allen deutschen Fürsten auch der Zar und das englische Königs-
paar in Berlin eintrafen. Außer der Beilegung einer langjährigen
innerdeutschen Fehde — des Streites der Welfen mit den Hohen-
zollern — schien der Friede der Welt von neuem gesichert. Die Presse
aller Länder feierte das schöne Familienfest und den Bund der drei
mächtigsten Herrscher als Grundlage dauernden Friedens.
Auch im Sommer 1913 wurden gelegentlich des 25 jährigen Re-
gierungsjubiläums Kaiser Wilhelms seine Verdienste um den Welt-
frieden von all den Zeitungen der Welt gepriesen, die ihn seit 1914 als
einen zweiten Attila, Mordbrenner und Kriegsstister verleumden.
Rur in Frankreich war man zu ehrlich, um den dauernd — be-
sonders aber seit 1911 — gestiegenen Deutschenhaß hinter einer Maske
verbergen zu wollen. Die Stimmung des französischen Volkes war durch
die Schwierigkeiten bei der Einführung d^r dreijährigen Dienstzeit noch
weiter erregt worden. In zahlreichen Zwischenfällen, wie bei der Rot-
landung eines Zeppelinluftschifses in Lunöville und den Ereignissen in
Rancy, machte sich die zügellose Volkswut Luft, kaum gehemmt durch
die Regierung. Im Februar 1913 hatte Poincará den Petersburger
Botschafterposten dem Deutschenfresser Delcassä übertragen. Rovembcr
1913 gewährte man Rußland eine neue Anleihe von 2 /2 Milliarden
Fmnks unter der Bedingung, einen großen Betrag zum Bahnbau an
K'' Westfront zu verwenden und zwei neue Armeekorps gegen die
pr. ußische Grenze aufzustellen.
In der Presse sämtlicher Dreiverbarll)sländer tauchte immer häu-
figer die Ansicht auf, das deutsche Heer sei betreffs Führung, Bewaff-
nung und Ausbildung nicht mehr auf der Höhe, die französischen Truppen
seien artilleristisch und als Schützen im Gelände ungleich besser, und die
Flugwaffe gebe Frankreich einen besonderen Vorsprung. Auch das
falsche Urteil deutscher Offiziere über den mutmaßlichen Ausgang der
letzten Kriege wurde nicht übersehen.
Mit besonderen Erwartungen empfing man im Juli 1913 in Kiel
den Besuch des italienischen Königspaares und seiner Minister.
Italiens Admiral wohnte den Manövern der deutschen Flotte bei und
der Generalstabschef dem Kaisermanöver. Man hoffte zuversichtlich, das
seit Jahren lockere Band wieder geknüpft und Italien aus den Fesseln
des Dreiverbandes erlöst zu haben. Rach den 1914/15 mit Italien ge-
machten Erfahrungen liegt es nahe zu glauben, es habe uns absichtlich
getäuscht. Zwar hatten sich die Beziehungen Italiens zu Deutschland
gebestert, aber nicht die zu Österreich, die besonders durch die albanische
Frage unfreundlich blieben.
65
Mit England waren schon seit 1912 Verständigungsverhand-
lungen über koloniale Fragen gepflogen worden, und die deutsche Re-
gierung war eifrig bemüht, sich mit England zu verständigen, um den
Weltkrieg zu verhindern, da eine Aussöhnung mit Frankreich und Ruß-
land immer unmöglicher wurde.
Rußland hatte im Valkankrieg nicht gesiegt und dadurch an
Einfluß bei den Valkanstaaten verloren. Es war daher immer mehr
bestrebt, Österreich-Ungarn zu zertrümmern. Da aber Deutschland
bisher seinen Verbündeten stets geschützt hatte, so richtete sich die russische
Politik auch immer offener gegen Deuschland. Hieß es früher: „Der
Weg nach Konstantinopel geht über Wien", so hieß es jetzt: „Der
Weg nach Konstantinopel geht über Berlin". Besonders entfalteten
der frühere russische Minister Fswolski als Botschafter in Paris und
der frühere französische Minister Delcasse als Botschafter in St. Peters-
burg eine unheilvolle Tätigkeit; sie sind die größten Schürer des Welt-
brandes. In ähnlicher Weise wirkte der russische Gesandte Hartwig in
Belgrad; er versuchte einen neuen Valkanbund gegen Österreich zu
bilden und nährte die großserbische Bewegung, um die serbo-kroatischcn
Teile Österreichs von ihm loszureißen. Ebenso wurden in geheimer
Wühlarbeit — wie es die Lemberger Prozesse 1914 klar gezeigt haben —
bei den Ruthenen in Galizien und den Tschechen in Böhmen die Grund-
lagen des Donaustaates untergraben.
Auch gegen die Türkei ging man vor. Herbst 1913 verlangte
Rußland Deutschlands Zustimmung zur Preisgabe Armeniens. Als
diese entschieden abgelehnt wurde, erhob Rußland gegen die Ernennung
des deutschen Generals Liman von Sanders Einspruch. Die wieder
gefestigte türkisch-deutsche Freundschaft hatte nämlich dazu geführt, daß
der Osmanenstaat von Deutschland vorläufig für fünf Jahre eine Anzahl
deutscher Offiziere unter Führung von Liman von Sanders erbeten hatte.
Dieser sollte Kommandeur des 1. Armeekorps und damit Verteidiger der
Dardanellen werden. Da England gleichzeitig eine Anzahl Seeoffiziere
für die Marine stellte, hätte eigentlich jeder Grund zur Erregung ge-
fehlt. Aber der Dreiverband wollte eben keine Stärkung der Türkei;
dem gemeinsamen Druck gab man soweit nach, wie es der Anstand
zuließ. Liman von Sanders erhielt statt der Führung des 1. Armee-
korps in Konstantinopel nur die Oberaufsicht über die Militärschulen.
6) Das Fahr 1 9 1 4.
Inzwischen schritten die russischen R ü st unge n im Riesenmaß
voran. Fm März 1914 betrug die Friedensstärke des stark bevölkerten
östlichen Nachbars über 2 Millionen. Der Kriegsminister Suchomlinow
erklärte, Rußland wünsche zwar nicht den Krieg, sei aber bereit zürn
Kriege. Rußlands Heere hätten ihre Kriege immer auf seindlichenr
Boden geführt, und stets sei der Sieg mit ihnen gewesen.
Als im März 1914 der langjährige Berichterstatter der Kölnischen
Zeitung aus St. Petersburg berichtete, die rusiischen Rüstungen seien
Ehringhaus, 1870- 1914. 5
66
ganz ungeheuer und zweifellos gegen Deutschland gerichtet, wurde das
in Deutschland nicht weiter beachtet. Die russische Presse erklärte:
Rußland sei stark, sehr stark und werde mit jedem Jahre stärker. Der
alte Platz im Rate der Völker sei voll und ganz wieder eingenommen.
Früher seien die Rüstungen Rußlands auf die Verteidigung zu-
geschnitten gewesen, jetzt auf den Angriff. Um das ganze Volk kriegs-
lustig zu stimmen, suchte die englisch-französische Presse die Liberalen da-
durch zu gewinnen, daß sie ihnen freiheitliche Einrichtungen verhieß, und
hetzte die Russen gegen die Deutschen auf, die infolge ihrer besseren
Ausbildung in Rußland führende Stellungen inne hatten. Sodann
log sie dem Volk vor, Deutschland habe Rußland 1904/05 in den
unglücklichen Krieg mit Japan gehetzt und dann seine schlechte Lage
dazu benutzt, um mit ihm einen für es höchst ungünstigen Handels-
vertrag abzuschließen.
Es ist bemerkenswert, daß die Zeitungen aller Länder gegen den
Zweibund eine immer drohendere Sprache führten, obgleich Deutschland
sich ehrlich bemühte, mit England und sogar mit Frankreich sich zu ver-
ständigen. Die gesamte feindliche Presse überbot sich in Behauptungen,
Deutschland erstrebe die Vorherrschaft über die Welt, und wir taten
fast nichts, um dieses Lügengewebe zu zerstören. Zugleich versuchte der
Dreiverband, hierdurch die Kleinstaaten Europas einzuschüchtern und
zum Anschluß an ihn zu bewegen. Belgien wurde auch immer mehr für
ihn gewonnen, und gemeinsame Feldzugspläne wurden bis ins einzelne
ausgearbeitet.
Zugleich war er bemüht, das „herzliche Einvernehmen", den Ver-
band, in ein festes Bündnis zu verwandeln und sich durch weitere A b -
kommen für den Krieg vorzubereiten.
Gerade weil Deutschland sich mit England verständigen wollte und
man eine Einigung der beiden befürchtete und verhindern wollte, wurde
der Besuch des englischen Königspaares im April 1914 dazu benutzt,
um ein Flottenabkommen zwischen Rußland und England zu
schaffen. In ihm verpflichtete sich England, einen Teil der deutschen Ost-
seeflotte festzuhalten und Transportschiffe für eine russische Landung an
der pommerschen Küste zu stellen. Den Abschluß eines festen englisch-
französischen Bündnisses aber lehnte Grey ab, weil er sich — wie
immer — nicht schriftlich binden wollte. Dem Buchstaben nach log er
also nicht, als er 1914 erklärte, es beständen keine geheimen Verein-
barungen zwischen Frankreich und England; tatsächlich aber war er nicht
mehr frei, sondern hatte sich und England durch seine persönlichen Ab-
machungen festgelegt. Aus alledem ergibt sich doch für jeden, der sehen
will, die Angrisssabsicht Englands und Rußlands. Wie unehrlich
Greys Politik war, geht auch daraus hervor, daß er zu gleicher Zeit
mit Deutschland scheinbare Verständigungsverträge über die Bagdad-
bahn und die portugiesischen Kolonien unterzeichnete, die durch den
Ausbruch des Krieges nicht verwirklicht wurden.
Während die deutsche Regierung nach Kräften versuchte, auch mit
Rußland in sreundnachbarlichen Beziehungen zu bleiben, begann dort,
67
wie wir jetzt wissen, schon im Frühjahr 1914 die seit langem vorbereitete
Mobilmachung.
Anfang Juni besuchte ein britisches Geschwader russische Häfen,
und dabei wurde in Kronstadt in herausfordernder Weise von den ge-
meinsamen Zielen gesprochen. Am jedoch den Deutschen keinen Anlast
zum Argwohn zu geben und um zugleich den Hafen auszuspionieren,
lief es auf der Rückfahrt Kiel an und lag hier vor Anker, als am
28. Juni 1914 das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar in Serajewo
dem Anschlag einer serbischen Verschwörung zum Opfer siel. Dadurch
wurde die ungeheure Spannung der letzten Jahre zur Entladung gebracht
und die Welt in Flammen gesetzt.
Im Juli 1914 reiste PoincarZ nach St. Petersburg, und hier
wurden sicherlich die letzten Abmachungen für den Weltkrieg verabredet.
Daß sowohl in England, wo der Bürgerkrieg vor der Türe stand,
weil die evangelischen Bewohner Irlands (Alster-Leute) sich der Selb-
ständigkeit Irlands mit bewaffneter Hand widersetzen wollten, als auch
in Frankreich (Fall Caillaux-Calmette) innere Schwierigkeiten sich er-
hoben, hat den Ausbruch des Weltbrandes noch gefördert.
VIII. Abschnitt.
Oer ñusdruch des Weltkrieges 1914.
Die österreichische Untersuchung wies klar nach, daß der Mord in
Serajewo auf unmittelbares Anstiften der serbischen Regierung zurück-
zuführen sei. Österreichs Lebensinteressen und Ehre forderten Genug-
tuung und unbedingte Gewähr gegen eine Fortsetzung der serbischen
Wühlarbeit. An eine Vernichtung der serbischen Selbständigkeit dachte
es keineswegs. Damit war Deutschlands Pflicht, Österreich in treuer
Vundesgenossenschast beizustehen, vorgezeichnet. Die Erhaltung Öster-
reichs als einer unabhängigen Großmacht ist für Deutschland ein
Lebensbedürfnis; denn das Verschwinden der österreichischen Großmacht
würde eine unmittelbare Gefahr für Deutschland sein. Wir würden
von Rußland abhängig, vom asiatischen Wirtschaftsgebiet ausgeschlossen
und verlören die Herrschaft über die Ostsee, wenn Rußland im Osten
Europas allmächtig würde. Rur Österreich aber kann hier ein Gegen-
gewicht bilden.
Bei unseren Gegnern aber traten die Cinkreisungsverträge in
Kraft. Rußland wollte den vorgeschobenen Balkanstürmer nicht wieder
fallen lasten, und hinter ihm standen Frankreich und England. Mochten
auch in England sich einzelne Regierungsstimmen gegen die Teilnahme
am Krieg erheben, die Leiter des Landes wünschten den Krieg und
wollten sich das Werkzeug, das sie zielbewußt gegen Deutschland ge-
schaffen hatten, nicht aus der Hand schlagen lassen. Cs war nur die
Frage, ob sie neutral bleiben oder tätig mit eingreifen sollten. Viele
Gründe sprachen dafür, zuzusehen, wie die anderen sich gegenseitig
schwächten, um den Gewinn einzustreichen und nötigenfalls durch ihr
Einschreiten die Entscheidung herbeizuführen. England glaubte zu
5»
68
wissen, was zu seinem Nutzen erforderlich sei; es meinte, es bliebe sich
gleich, ob es neutral bleibe oder nicht. Da es aber befürchtete, ohne es
sei Frankreich verloren und Deutschland würde dann zu stark werden,
so erklärte es sich gegen uns. Der friedliebende Teil des englischen
Volkes erkannte sodann für sich das Wort des Nibelungenringes an:
„Der durch Verträge du herrschtest, der Verträge bist du nun Knecht".
Die Leiter Englands haben aus Furcht und Neid vor Deutschlands
Aufstieg*) unter zielbewußter Entflammung des französischen Rachegeistes
und des russischen Ausdehnungsdranges die ganze Welt in Bewegung
gesetzt, um die friedliebenden Mittelmächte Europas niederzuwerfen.
Als alle Friedensbemühungen unseres Kaisers scheiterten, weil die
russische Kriegspartei in Gewißheit der englischen und französischen
Hilfe den Krieg wollte und dem Zaren durch Betrug den Befehl zur
Mobilmachung abnötigte, brach am 1. August der Weltkrieg zur Nieder-
werfung Deutschlands unter englischer Führung aus.
IX. Abschnitt.
Schluß.
wer trägt nun die Schuld am klusbruch des Weltkrieges?
Etwa Deutschland? Wenn auch eine erschöpfende Behandlung
dieser Frage erst dem Geschichtschreiber möglich ist, dem alle Quellen
zur Verfügung stehen, so kann doch auch schon dieser kurze Überblick
jedem deutlich zeigen, daß es keineswegs den Krieg, sondern den Frieden
gewollt hat. Wilhelm II. war ehrlich bestrebt, den Frieden zu erhalten,
und ließ daher manche günstige Gelegenheit, den Gegner niederzuringen
(1900 England, 1905 Frankreich, 1906 Rußland), unbenutzt. Auch
unter den schwierigsten Verhältnissen, z. V. während der Marokko-
entscheidungen und 1914, war er unter Aufbietung aller Kräfte bemüht,
den Frieden aufrecht zu erhalten.
Von unseren Feinden aber trifft jeden ein wohlgemessenes Teil
der Schuld.
Serbien ist für den Mord von Serajewo und damit für den
Anlaß zum Krieg verantwortlich, aber es wurde doch nur von Rußland
geschoben.
Rußland hat — das zeigte der Suchomlinow-Prozeß klar und
deutlich — den Krieg entfacht; es sah in dem österreichisch-serbischen
Streit die willkommene Gelegenheit zu dem erwünschten Krieg, der ihm
die Vorherrschaft über den Balkan und die Ostsee bringen sollte, damit
cs ebenso wie die andern Völker am Welthandel teilnehmen könnte.
Rußland war der unmittelbare ürheber des Weltkrieges; aber die
Hauptschuld tragen doch Frankreich und England.
Frankreich ist unser ältester Gegner. Seine Rachegedanken
ließen Europa seit 1870 nicht zur Ruhe kommen und es Anschluß an
Rußland und England suchen, um nur seine Vormachtstellung und
*) Siehe Anm. 5 SRI.
69
Elsaß-Lothringen wieder zu gewinnen. Cs tat daher 1914 nicht das
mindeste zur Verhütung des Krieges, sondern sah mit Freuden die
heißersehnte Stunde der Rache gekommen.
England rührte 1914 auch keine Hand, um Rußland zum Ein-
stellen seiner Rüstungen zu bewegen, und verweigerte die Neutralität,
auch als Deutschland ihm alle möglichen Sicherheiten zur Schonung
Frankreichs und Belgiens anbot. Roch schlimmer war seine Tätigkeit
in den letzten Jahrzehnten; zielbewußt bereitete es mit allen Mitteln
den Krieg gegen uns vor und wurde somit der mittelbare Urheber des
Krieges.
Sein Kriegsgrund war nicht nur Handelsneid, wie viele meinen,
auch nicht nur Angst vor der deutschen Flotte; es war die Angst vor
Deutschlands Aufschwung auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet
und das Verlangen, seine Weltherrschaft zu behaupten. Es sah sich
durch den überraschend schnellen Ausstieg Deutschlands, durch dessen
Flotte und Handel in seiner Vormachtstellung bedroht. Daher wollte
es jetzt nicht beiseitestehen, sondern die günstige Gelegenheit benutzen,
um den gefürchteten Rebenbuhler im Handel und in der Seeherrschaft
zu vernichten. Da es aber stets durch andere Staaten seine Kriege
führen ließ, hatte es Frankreich und Rußland als Bundesgenossen ge-
wonnen und seinen Plänen dienstbar zu machen gewußt. Durch seinen
Eintritt in den Krieg ist dieser zu einem Kamps aus Leben und Tod,
um unser Dasein geworden.
Wir wissen jetzt bestimmt, daß sich, menschlich geredet, der Welt-
krieg nicht vermeiden ließ; er mußte kommen, ob jetzt oder später, weil
unsere Feinde Deutschland in seine frühere Ohnmachtstellung zurück-
werfen wollten. Denn im letzten Grund haben nicht etwa Fehler un-
serer Regierung und Staatsmänner — auch die unserer Feinde haben
Fehler begangen, wenn auch ihre Staatskunst der unsrigen überlegen
war — den Weltkrieg heraufbeschworen, sondern die Gründung und
das Aufblühen des geeinigten Deutschen Reiches im Herzen Europas.
Weil der Krieg uns aber ausgezwungen ist und wir für eine gerechte
Sache kämpfen, ist das deutsche Volk einig in den Kamps gezogen und
wird mit Gottes Hilfe, so hoffen wir zuversichtlich, einen Sieg erringen,
der seinen Bestand und seine Sicherheit auch in Zukunft verbürgt.
Nachtrag.
Erst nach Fertigstellung des Buches wurden einige Geheimver-
träge des Dreiverbandes mit Rußland von den russischen Bolschewisten
veröffentlicht. Hierdurch sind seine Croberungspläne vor aller Welt
unverhüllt und unverkennbar klargestellt worden. Alle die Heuchelworte:
Kampf für die Freiheit der kleinen Völker, für Belgiens Unabhängigkeit
usw. sind entlarvt. Weder für Freiheit und Menschlichkeit noch für die
Rechte der kleinen Staaten ging der Verband in den Krieg, sondern
einzig und allein, um Eroberungen zu machen, um einen R a u b -
z u g zu unternehmen. Damit ist aber Deutschlands Unschuld am Welt-
krieg wiederum deutlich erwiesen.
70
Anmerkungen.
1. Zu Seite 2. Bismarcks Friedensstimmung kommt in seinem Buch „Gedanken
und Erinnerungen" in folgenden Worten zum Ausdruck: „Deutschland ist vielleicht die
einzige große Macht in Europa, die durch keine Ziele, die nur durch siegreiche Kriege zu
erreichen wären, in Versuchung geführt wird. Unser Interesse ist, den Frieden zu erhalten,
während unsere kontinentalen Nachbarn ohne Ausnahme Wünsche haben, geheime oder
amtlich bekannte, die nur durch den Krieg zu erfüllen sind".
2. Zu Seite 3. Aus Trietsch „Tatsachen und Ziffern". Verlag Lehmann. Noch
7 Monate vor Kriegsausbruch äußerte sich unser heutiger größter Gegner, der Engländer
Lloyd George über die deutschen Rüstungen in einer Weise, auf die gar nicht genug hin-
gewiesen werden kann. „Die deutsche Armee ist eine Lebensnotwendigkeit nicht nur
für das Reich, sondern auch für die Existenz und Unabhängigkeit der Nation, da
Deutschland von zwei Seiten flankiert ist, deren jeder eine fast ebenso starke Armee unter-
hält. (Tatsächlich hatte Rußland fast 2 Mill. Friedensstärke, Frankreich 790 000, Deutsch-
land 807000.) Das Land wurde so oft von seinen Feinden besetzt, überrannt und zer-
stört, daß, während wir eine Überlegenheit von 60% über die Seestreitkräfte Deutschlands
fordern, Deutschland selbst in militärischer Hinsicht nicht einmal Frankreich gegenüber eine
solche Überlegenheit besitzt, und außerdem hat es doch auch mit Rußland 51t rechnen,
Deutschland macht keinen Anspruch auf einen Zwei-Mächte-Standpunkt (d.h. es beanspruchte
uicht, sein Heer müsse so stark sein wie das zweier Mächte, wie es die Engländer mit
ihrer Flotte verlangten; ja, es stellte noch nicht einmal einen „Ein-Mächte-Standpunkt" auf).
3. Zu Seite 14. Fürst Bülow sagte 1906 in einer Reichstagsrede: „Von 1878
bis 1890 haben sich unsere Beziehungen zu Rußland trotz aller entgegenarbeitenden Be-
mühungen des Fürsten Bismarck, der gerade auf dem Gebiete der russisch-deutschen Be-
ziehungen alle Hilfsquellen seines fruchtbaren und erfindungsreichen politischen Genius
entwickelte, und trotz seines oft sehr weitgehenden Entgegenkommens gegenüber Rußland
beständig verschärft und verschlechtert".
4. Zu Seite 28.
1895 hatte Deutschland 4 Linienschiffe, 1 Panzerkreuzer u. einige Küstenpanzerschiffe.
Nach dem Bauplan von
1897 sollte die Flotte 19 „ 8 „ „ 42 kleine Kreuzer haben.
1900 „ „ „ 38 „ 14 „ „ 38 „
1912 „ „ „ 41 „ 20 „ „ 40 „
und zwar die Schlachtflotte:
aktive Flotte 1 Flaggsch. u. 24 „ 8
Reserve- „ 16 „ 4
Auslands- „ —______„________8
18
12
Summe: 41 Linienschiffe, 20 Panzerkreuzer u. 40 kleine Kreuzer.
Unsere Linienschiffe tragen d. Namen v. Bundesstaaten od.Königen sz.B.Hessen, Kaiser Wilhelm)
„ Panzerkreuzer „ „ „ „ Feldherrn („ „ Gäben, Gneisenau)
„ kl. Kreuzer „ „ „ „ Städten („ „ Breslau, Emden)
„ Torpedo- und Unterseeboote werden mit Nummern bezeichnet (T 10, U 20).
Unsere Flotte ist der englischen durch ihre gute Panzerung, Treffsicherheit und Feuer-
kraft (mehr mittelschwere Geschütze) überlegen, während diese unsere durch die Zahl der
großen, weittragenden Geschütze übertrifft. Deutschland hatte 1914 26 neue Großkampf-
schiffe, England 40. Die Flottenstärke*) der einzelnen Staaten mar vor Beginn des Weltkrieges folgende
1. England . . 72 Linienschiffe 44 Panzerkreuzer 98 kleine Kreuzer
2. Deutschland . 37 „ 19 44 „
3. Amerika . . 42 19 1k „
4. Frankreich. . 34 22 12 „
5. Italien. . . 18 10 15 „ ,,
6. Rußland . . 19 9 ko „ „
7. Österreich . . 16 3 0 ,f It
8. Türkei . . . 2 2 2 „ „
'"') Aus dem empfehlenswerten Buch Fischer-Zühlke, „Deutschland und der Weltkrieg.
Tatsachen und Zahlen aus drei Kriegsjahren 1914 —1917". Verlag Tcubner. 1,60 M.
71
5. Zu Seite 68.
Wie schon S. 23/24 ausgeführt wurde, ist der tiefste Grund für Englands Neid
und Haß der unvergleichliche Aufstieg Deutschlands in Industrie, Handel und Landwirt-
schaft. Folgende Angaben werden diese glänzende Entwicklung anschaulicher machen.
A. Industrie.
1. Schon 1907 hatte Deutschland mehr Industriearbeiter als England; 1913
war das Verhältnis 11:9 Millionen.
2. In der Kohlenförderung hatten wir England 1913 fast eingeholt (siehe S. 23.
1913 = 280 : 290.)
3. Noch deutlicher zeigt sich der schnelle Aufstieg in der Eisenindustrie.
a) In der Eisenerzgewinnung hatten wir England schon 1903 geschlagen
(siehe S. 23. 1913 = 25:15.)
b) In der Roheisenerzeugung wurde England nach 1900 überholt.
1870 1890 1900 1910 1913
Deutschland . . . 4 41/, 8 15 18 Mill. t
England . . . . 6 7V. 8 10 97* „ „
Noch 1865 erzeugte England mehr Roheisen als alle anderen Länder der Welt; jetzt ist
unsere Erzeugung allein doppelt so groß, trotzdem Kohle- und Eisenerzstätten bei uns ge-
trennt liegen, in England aber nebeneinander.
e) Auch in der Veredlung des Eisens zu Stahl wurde England schon 1893
glänzend geschlagen, nachdem wir durch das Thomasversahren die Lothringer-
Erze phosphorfrei machen konnten, wobei mir noch die Thomasschlacke als
vorzügliches Düngemittel gewannen.
1890 1893 1900 1913
Deutschland. . . VL 4V» 6lL 17 Mill. t
England.... 4 4 5 7 „ „
ei) Endlich wurde England 1913 in der Maschinen-Ausfuhr überholt.
1900 1913
Deutschland . . . . 180 680 Mill. Mark
England . . . . . 400 670 „
4. Am überragendsten war aber die Vormachtstellung der deutschen chemischen In-
dustrie, besonders in der Herstellung von Teerfarben und Heilmitteln — die ja auch das
Handels-11-Boot von König nach Amerika brachte. — Auch in anderen Industrien war
Deutschland anderen Ländern überlegen.
J5. Handel.
1. Zugleich wuchs auch unser Handel immer mehr.
1860 1870 1890 1900 1913
Deutschland . . . lx/2 4 8 11 22 Milliarden M.
England .... 4 8 11 17 26
Im Handel mit den Ländern Europas überflügelten wir das Britenreich.
2. Unsere Handelsflotte hatte sich seit 1900 verdoppelt, die Englands hatte nur
um Vs zugenommen. 1913 war freilich das Verhältnis noch 3:12 Mill., aber Deutsch-
land hatte doch alle Staaten außer England überholt.
6. Landwirtschaft.
Zugleich ging Deutschlands Landwirtschaft nicht zurück, wie in England, sondern
die Ernteerträge nahmen infolge der wissenschaftlichen Betriebsweise und der gesteigerten
Anwendung von künstlichen Düngemitteln — Kali hat ja nur Deutschland — immer
mehr zu (vgl. die da-Erträge des Weizens 1913: Deutschland 23, England 21, Frankreich 13,
Amerika 10, Rußland 9 dz).
So konnte Deutschland trotz der Zunahme der Bevölkerung (1870 — 40, 1913
— 65 Mill.) seine Bewohner ernähren. Die Auswanderung nahm ab (sie betrug in den
letzten Jahren durchschnittlich nur 25 000) und Deutschland wurde ein mächtiges, reiches Land.
72
A.
1872
1878
1879
1882
1884/85
1888
1890
1891
1895
1896
1898
1900
1901
1902
1904 ,
I
1905 j
1906
1907
1908
1911
1912/13
1914
3eittafeí,
Festlaudspolitik unter Wilhelm I. und Bismarck.
Reichskanzler
Das Dreikaiserverhältnis. ! Bismarck
Der Berliner Kongreß. ! —1890
Der Zweibund.
Der Dreibund.
Der Erwerb deutscher Kolonien
Tod Wilhelms I.
B. Weltpolitik unter Wilhelm!l.
Helgoland - Sansibar-Vertrag.
Französisch-russische Annäherung.
Caprivi
1890-1894
Chinesisch-japanischer Krieg; Friede
Schimonoseki.
Das Krüger-Telegramm.
Das erste Flottengesetz (Tirpitz).
Die Schmach von Faschoda.
von
Hohenlohe
1894-1900
Beginn des Burenkriegs.
Chinawirren. Fangt se -Abkommen und Bruch
mit England. Eduards VII. Einkreisungs-
Politik.
Englisch - japanisches Bündnis.
Englisch - sranzösisches
Einvernehmen.
Russisch-japanischer
Krieg.
1. Marokko-
Abkommen.
Tanger. j
Algeciras.
Bülow
1900-1909
Englisch-russisches Einvernehmen.
Das Bosnische Abkommen.
2. Marokko-Abkommen. Tripolis-Krieg.
Die beiden Balkankriege.
Ausbruch des Weltkrieges.
Bethmann-
Hollweg
1909-1917
Wilhelm I.
Von 1861 König von Preußen und von 1871—1888 Deutscher Kaiser.
Albrecht, Graf von Roon
1859—1873 preußischer Kriegsminister.
Bellmuth, Graf von Moltke
1858 — 1888 Chef des großen General-
stabes der Armee.
Gtto, Fürst von Bismarck
1871—1888 Reichskanzler.
Phot. Révész ss Biro, Budapest.
Gvula ( Julia*), Graf Andrâffy
1871- 1379 österreichisch-ungarischer Minister
des Äußern.
Leo, Graf von Laprivi
1888—1894 Deutscher Reichskanzler.
Phot. Bert. Jllustr.ês.
König Ferdinand von Bulgarien
Lhlodwig, Kuru zil Dohenlohe-Ichillingsfürst
1894—1900 Deutscher Reichskanzler.
Phot. E. Bieber. Berlin.
Alfred von Tirpih
Großadmiral.
1897—1917 Staatssekretär des Reichsmarineamts.
Francesco Crispi
1893—1896 italienischer Ministerpräsident.
Théophile De! ca ii e
1898—1905 französischer Minister des Äußern.
Hofphot- Gebr. Hirsch, Karlsrrihe.
Bernhard, Liirst von Bülow
1900—1900 Deutscher Reichskanzler-
Alfred, Graf von walderiee
Preuß- Gcneralfeldmarschall-
Oberbefehlshaber in China.
Sir Edward Grey
1905 — 1916 englischer Minister des Äußern.
Eduard VIL
1901—1910 König Non England
Phot. Carl Piehner, Wien'
Kranz Joseph I.
Kaiser voir Österreich, König voll Ungarn 1848—1910.
Adolf Dormami, Freiherr Marfchall v. Bieberstein
Deutscher Botschafter tu London.
Hofphot. E. Bieber, Berlin.
Theobald von Bethmann-Dollweg
1909—1917 Deutscher Reichskanzler.
Mkolaus II.
1894—1917 Kaiser don Nuhland-
Ierge'l Zaionow
1910 — 1917 russischer Minister des Auhern
Deutsche Illustrations - Ges.
Alfred von Aiderlen-Waechter
1910—1913 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.
Lnver Pascha
Generalleutnant, türkischer Kriegsminister
rmd Vizegeneralissimus.
Phot. Dührkoop, Berlin.
Rol mar Freiherr von der Goltz
Preutzischer General - Feldmarschall.
Phot. E. Benninghoven, Berlin.
Liman von Zanders pa?cha
Muschir (Marschall),
Chef der dentschen Militar-Mission in der Tiirkei
Raymond Poincaré
Seit 1913 Präsident der französischen Republik.
Phot. C. Pietzner, Wien.
Erzherzog Kranz Ferdinand von Österreich
Verlag von Ñermann Gekenius in Ñalle (8aale).
Kecker, Hi.) Rektor, Watertändifche Aufsähe. Eine Sammlung von Nieder-
schriften, Aufsatzskizzen, Aufgaben usw. aus den Gebieten des vaterländischen
Schrifttums, der vaterländischen Geschichte, der Staatsbürgerkunde usw., auf
Grund des Ministerialerlasses vom 31. Januar 1908 wie der neueren Be-
stimmungen über den Geschichtsunterricht im Anschluß an die neueren
Lesebuchwerke für Volks-, Mittel- und Fortbildungsschulen, Lehrerbildungs-
anstalten und die mittleren Klassen höherer Lehranstalten.
1 Bündchen: Bilder aus großer Zeit (Kricgsaufsiihe), Kriegsdokumcute u. a.
1916. In steifen .Umschlag geheftet M. 1,20 u. Tenernngszuschlag 30 Pf.
2. Bündchen: Vaterländisches. Bilder aus dem deutschen Schrifttum, der Ge-
schichte, Erdkunde, dem Staatsleben, Rechtsleben und bürgerlichen Leben, des
deutschen Vaterlandes usw. 1916. In steifen Umschlag geheftet M. 2,— n.
Teuerungszuschlag 50 Pf.
Spiekmann, Dr. G., pie wichtigsten Weichs- und Staatseinrichtnngen.
Für Schule und Haus. In volkstümlicher Weise dargestellt. Zweite, umge-
arbeitete Auflage (11. — 20. Tausend). 1911.
Mit einem Nachtrag, enthaltend: 1. Die Reichsversicherungsordnnng vom
19. Juli 1911 und 2. Das Angestelltenversichernngsgesetz vom 20. Dezember 1911.
Broschiert 35 Pf. u. Tenernngszuschlag 10 Pf.
— per Weltkrieg. Für Haus und Schule gemeinverständlich dargestellt. 1. Teil:
Vorgeschichte und die ersten Kriegsmonate. Mit 19 Bildnissen. In Umschlag
geh. M- — ,80 u. Tenernngszuschlag 20 Pf. 2. Teil: Der Krieg vom Novem-
ber (1914) bis Mai (1915). Mit 32 Bildnissen. In Umschlag geh. M- 1,—
u. Teuerungszuschlag 25 Pf. 3. Teil: Der Krieg vom Mai bis Ende Dezember
1915. Mit 28 Bildnissen. In Umschlag geh. M. 1.—n. Teuerungszuschlag 25 Pf.
4. Teil: Das Kriegsjahr 1916. Mit 29 Bildnissen. In Umschlag geh. M. 1,40.
Inhalt des I. Teiles. 1. Der „alte böse Feind": Britannien. 2. Der Vater des Weltkrieges. 3. Die
Bündner und der Feuerherd des Weltkrieges. 4. Der schwarze Plan verfeinde. 5. DerFunke tm Pulversasse. 6. Die
Erhebung des deutschen Volkes. 7. Der Kriegsausbruch: Englands Meintat. 8. Der Schelmenfeldzug unserer
Feinde. 9. Ter Verrat Englands an der weißen Rasse. 10. Die ersten großen Waffentalcn inr Westen.
11. Die ersten großen Waffentaten inr Osten. 12. Die ersten Waffcngänge zur See.
Inhalt des II. Teiles. 1. Der Eintritt der Osnianen in den Weltkrieg. 2. Der polnische Winterfeldzug
und die Schlawt in Masuren. 3. Die Karpathenkämpfe. 4. Dre Winierschlacht inFlandern und in der Champagne.
5. Die Kämpfe im Argonnen- und im Wasgenwalde. 6. Der Seekrieg in den europäischen Gewässern.
7. Der Luftkrieg. 8. Die Frühjahrsschlachten bet den Dardanellen. 9. Der Krieg auf den Ozeanen und in
den Kolonien. 10. Tie deutschen Kiiegsleisrungen draußen und daheim. 11. Die menschliche deutsche und
die unmenschliche feindliche Kriegführung. 12. Die Neutralen.
Inhalt des III. Teiles. 1. Ter Vertat und Treubruch Italiens. 2. Die Durchbruchsschlachten In
Galizien. 3. Der Siegeszug der Bugarmee und die Kampfe zur Befreiung Galiziens. 4. Die Eroberung von
Poten, Litauen und Kurland. 5. Die Kämpfe im Westen bis nach der großen Herbstschlacht. 6. Der Krieg
an der italienischen Grenze und auf der Adria. 7. Der Krieg gegen England. 8. Das Ende der Dardanellen-
kämpfe und die Vorgänge in Vorderasien. 9. Der politische Feldzug auf dem Balkan. 10. Die Eroberung
Serbiens und Montenegros. 11. Die inneren Zustände Deutschlands; unsere Verbündeten und die Neutralen.
12. Die inneren Zustände in den Vterverbandsländern.
Inhalt des IV. Teiles. 1. Das Reich und seine Bündner. 2. Die Feinde. 3. Die Neutralen. 4. Tie
Festungsfchlacht vor Verdun. 6. Die Rtescnschlacht der fünf Monate an der Somme. 6. Der Krieg gegen die
britischen Inseln. 7. Der Kampf an der Alpenfront und auf der Adria. 8. Die Massenstürme der Moskowiter
an der Ostfront. 9. Der Snlontkifeldzug und die Bedrängnng Griechenland?., 10. Die Kämvfe in Asien und
Afrika. 11. Der Krieg zur See, die Schlacht vorm Skager-Rak. 12. Der Überfall der Rumänen und seine
Bestrafung.
Verlag von fkrmann Getenius in vaile (Saale)
Ein Buch Von hoher Bedeutung für den neuzeitlichen
Geschichtsunterricht.
Meißner. Waller. Skudiensragen NUS der brandenburgisch-
pkküßislßktl Gkskßilßkk. Zweite, gänzlich umgearbeitete und
Vermehrte Auflage. 1917. Broschiert M. 6,50 u. Teuerungszuschlag
M 1,65, gebunden M. 7,50 u. Teuerungszuschlag M. 1,90.
Praxis der Landschule. 25. Jahrgang. 12. Heft 1917: Trotzdem der Verfasser zurzeit an der
Westfront steht, begab er sich an die Bearbeitung der 2. Auflage seiner „Studienfragen aus der Branden-
bnrgisch-Preußischen Geschichte". Was ist bewundernswerter, die sich darin äußernde Vaterlandsliebe
oder die Schaffenskraft Walter Meißners?
Eine packendere Anregung und geistreichere Anleitung zur Arbeit in der Geschichte gibt es nicht.
Als ich den Titel des Buches las. vermutete ich eine trockene Aufzählung geschichtlicher Vorgänge, als
ich es durcharbeitete, kam ich zu der Überzeugung: das ist ein hochbedeutsames Werk für den Unter-
richt, insofem ein großer Teil der Fragen als Unterrichtsergebnisse ohne weiteres benutzt werden kann.
Für das Studium find in dem Werke Bahnen gewiesen, auf denen die angeführte Literatur erfolgreich
durchzogen werden kann. Die streng logischen Darbietungen erinnern an des bekannten Geschichts-
methodikers Rosenbnrg feine Art. Einige Beispiele: „Warum durfte Napoleon Preußen 1807 nicht
vollständig vernichten?" -- „Auf welche Weise entwickelte sich das heutige Beamtentum?" — „Wie
führten die Hohenzollcrn ihre sozialpolitischen Reformen aus?" — Aus dem Verzeichnis der benutzten
Literatur geht hervor, daß Meißner auch die neuesten Werke (Hintze und Schwartz) verwertete. Jeder
wirkliche Geschichtslehrer schöpft für sich und seinen Unterricht Segen aus Meißners Studienfragen.
Meißner. Walker. Skudiensragen zur deukschen Geschichte.
Teil I. Geschichte deö Mittelalters. 1910. Brosch. M. 2,— u. Teue-
rungszuschag M.—,50. In Leinenband gebunden M. 2,80
u. TeuerungsZuschlag M.—,70.
Teil II. Geschichte der Neueren Zeit. 1911. Brosch. M. 2,80 u.
Teuerungszuschlag M. —,70. In Leinenband gebunden
M. 3,60 u. Teueruugszuschlag M. —,90.
Teil III. Geschichte der Neuesten Zeit. 1913. Brosch. M. 4,50 u.
Teuerungszuschlag M. 1,15. In Leinenband gebunden
M. 5,30 u. Teuerungszuschlag M. 1,35.
Aus „Schulbote für Hessen", 58. Jahrgang, 1917, Nr. 8. Ein haiidlicheres uitd durchdachteres
Vorbereitungsbuch läßt sich säum neunen. Daß der Verfasser in der Vergangenheit nach „Wegemarken"
für Gegenwart tind Zukunft sucht, zeigt ihn auf demjenigen Standpunkt, der allein dem Geschichts-
unterricbt seinen tieferen Sinn gibt. In jeder geschichtlichen Darstellung, namentlich aber wenn sie sich
der neuesten Zeit nähert, wird der persönliche Standpunkt des Verfassers hervortreten.- Es gibt keine
Geschichtsschreibung ganz ohne subjektive Momente. Das trifft denn auch bei Meißner zu. Gerade
die Kürze und Klarheit seiner Darfiellung macht ein solches Hervortreten oft unvermeidlich. Doch
geschieht seine Beurteilung in einer wohlavgewogenen und vor allem auf das Staatsinteresse bedachten
Form. Im Jubilünmssahre 1913 erschien der letzte Teil. Dieses Jahr war schon wie ein Auftakt zu
Deutschlands gegenwärtigem Existenzkampf, um so natürlicher ist der erreichte Abschluß. Vorspiele
und Ursachen des Krieges, Marokkokonflikt, englische Einkreisung u. a. ist bet Meißner schon sachgemäß
behandelt. Man darf von dem Meißnerschen Werke sagen, daß es alle Wünsche des Geschichtsunter-
richts (abgesehen von der Vermehrung der Stundenzahl, die nicht dnrct, Bücher gebracht werden kann)
erfüllt, äs ist ein trefflicher Führer und Ratgeber für Lehrende und Lernende.
Zellmann, rieiubol». Hm,pti-hrer. Seuksche Kriegsgerichte. swi i
für die Hand des Lehrers herausgegeben. (Teil II befindet sich in
Vorbereitung.) 1916. Brosch. M. 1,80 u. Teuerungszuschlag M. —,45,
in Halbleinenband gebunden M. 2,50 u. Teuerungszuschlag M. — ,70.
Schulwart. 14. Jahrgang, Nr. 3. Unter den vielen Gedichten der Kriegszeit hat der Verfasser
mit großem Geschick 20 der besten ausgewählt, die Heldentum schildern und zur Nacheiferung anspornen.
Soll das Gedicht zu einem inneren Erlebnis werden, so mutz der Schüler durch liebevolle Vorbereitung
und Darbietung soweit gebracht werden, dag er sich ganz in die fremde Welt des Dichters versetzt
fühlt. Diese schwere Aufgabe erleichtert dem Lehrer das vorliegende Buch, das seiner Anlage nach
zu den praktischsten Hilfsmitteln auf dem Gebiet der Vorbereitungsküche!: für den deutschen Unter-
richt gehört. ______________________________________
Duchdruckerei des Waisenhauses in Halle (Saale).