der zweite Vizepräsident. Wenn der Präsident gewählt wird, dann wird nun ja meistens derselbe wieder gewählt, der es in der vorigen Session war und der also schon vorläufig auf dem Präsi¬ dentensitz ist und die „Verhandlungen leitet," d. h. immer be- stimmt, wer reden soll und wann abgestimmt werden soll. Wenn nun also der Präsident gewühlt werden soll, dann hält man es nicht für schicklich, daß er während der Zeit wo über ihn selber ab¬ gestimmt wird, dort oben steht oder sitzt und die Verhandlungen leitet. Also dann ruft er den ersten Vizepräsidenten heran und dann leitet der die Abstimmung. Das heißt viel zu leiten ist nicht dabei. Die Schriftführer rufen einfach die Namen der Abgeord¬ neten auf, die Namen sind nach dem Abc auf eine Liste geschrieben; und jeder Abgeordnete, dessen Name gerufen wird, geht an den Tisch heran und bringt einen Zettel mit, auf den hat er den Namen des Mannes geschrieben, den er zum Präsidenten wählen will. Der Zettel wird dann in eine Urne getan. Wenn alle ihre Zettel abge¬ geben haben, dann erklärt der Präsident, also diesmal der erste Vizepräsident, die Abstimmung für geschlossen, und dann werden die Zettel alle aufgemacht; und es wird nachgesehen, was darauf steht und die Stimmen werden gezählt. Man weiß freilich meistens gewöhnlich schon vorher ganz genau, wer gewählt wird. Man wählt den Präsidenten meist aus der Partei, zu der augen¬ blicklich die meisten Abgeordneten gehören; die können dann be¬ stimmen, wer Präsident werden soll, und die anderen stimmen ohne weiteres für den, den die größte Partei bestimmt hat. 1903 hatte das Zentrum ungefähr 100 Abgeordnete, also mehr als ein Viertel aller Reichstagsabgeordneten. Nach dem Zentrum hatten die Sozialdemokraten die meisten Abgeordneten, nämlich beinah 80; alle anderen Parteien hatten weniger. Darum hätte eigent¬ lich damals der erste Vizepräsident ein Sozialdemokrat sein müssen. Und es wäre auch beinah mal so gekommen, daß ein Sozialdemo¬ krat gewählt worden wäre, aber da hat man denn doch den Sozial¬ demokraten noch vorher gefragt, ob er auch zum Kaiser gehen würde, wenn alle Reichstagsabgeordneten zum Kaiser gehen. Sie stellen sich nämlich erst einmal vor, wenn sie gewählt werden, und dann werden sie auch manchmal von: Kaiser eingeladen. Nun sind doch überhaupt die Sozialdemokraten dafür, daß die Könige und Kaiser abgeschafft werden, und da wollen die meisten von ihnen mit keinem König und Kaiser zu tun haben, und auch der, den sie zum Vizepräsidenten wählten wollten, der wollte mit dem Kaiser nichts zu tun haben. Und da meinren die Abgeordneten von den 65