Deutschland als Weltmacht 113 so bleibt es doch wahr, daß die weltpolitischen Aufgaben des 20. Jahr¬ hunderts die rechte Fortführung sind der kontinentalpolitischen Auf¬ gaben, die er erfüllt hat. In jener Rede vom 14. November 1906 wies ich darauf hin, daß die Nachfolge Bismarcks nicht eine Nachahmung, sondern eine Fortbildung sein muß. „wenn die Entwicklung der Dinge es verlangt", so sagte ich damals, „daß wir über Vismarckische Ziele hinausgehen, so müssen wir es tun." Die Entwicklung der Dinge aber hat die deutsche Politik längst Hinausgetrieben aus der Enge des alten Europa in die weitere Welt. Es war nicht ehrgeizige Unruhe, die uns drängte, es den Großmächten gleichzutun, die seit lange die Wege der Weltpolitik gingen. Die durch die staatliche Wiedergeburt verjüngten Kräfte der Nation haben in ihrem Wachstum die Grenzen der alten Heimat gesprengt, und die Politik folgte den neuen nationalen Interessen und Bedürfnissen. In dem Maße, in dem unser nationales Leben ein weltleben geworden ist, wurde die Politik des Deutschen Reiches zur Weltpolitik. Im Jahre 1871 sammelte das Deutsche Reich 41 058 792 Einwohner in seine Grenzen. Sie fanden Nahrung und Nrbeit in der Heimat, und zwar besser und leichter als zuvor, unter dem Schutze verstärkter na¬ tionaler Nlacht, unter vielfältig durch die Reichsgründung erleichterten Verkehrsbedingungen, unter den Segnungen der neuen allgemein deut¬ schen Gesetzgebung. Im Jahre 1900 aber war die Bevölkerungszahl auf 56367 178, heute ist sie auf mehr als 65000000 angewachsen. Diese gewaltige volksmasse konnte das Reich in seinen Grenzen in der alten weise nicht mehr ernähren. Die Bevölkerungszunahme stellte dem deut¬ schen Wirtschaftsleben und damit auch der deutschen Politik ein ge¬ waltiges Problem. Es mußte gelöst werden, sollte der Überschuß an deutscher Kraft, den die Heimat nicht zu erhalten imstande war, nicht fremden Ländern zugute kommen. Im Jahre 1885 wanderten etwa 171 000 Deutsche aus, 1892 waren es 116 339, 1898 nur noch 22921, und bei dieser letzten niedrigen Anzahl ist es seither durchschnittlich ge¬ blieben. Es konnte Deutschland also im Jahre 1885 einer um 20 Mil¬ lionen geringeren Menschenzahl weniger gute Existenzbedingungen ge¬ währen, als gegenwärtig seinen 66 Millionen Reichsangehörigen. In dem gleichen Zeitraum ist der deutsche Außenhandel von etwa 6 Mil¬ liarden Mark wert auf 19,16 Milliarden gestiegen. Welthandel und Volksernährung stehen in unverkennbarem Zusammenhange. Selbstver¬ ständlich viel weniger durch die eingeführten Nahrungsmittel selbst, als durch die vermehrte Arbeitsgelegenheit, die die mit dem Welthandel verbundene Industrie zu gewähren vermag. Die Ent¬ wicklung der Industrie in erster Linie hat das dem nationalen Leben durch die Bevölkerungsvermehrung gestellte Problem der Lösung zuge¬ führt, unbeschadet der durch das überraschend geschwinde Entwicklungs- Siebourg und Uuckhoff, Uriegslesebuch g