274 zwischen den feinen Fäden, in welche die Flachshalme sich jetzt aufgelöst haben. Schon lauern Hecheln auf sie. Auf einem Brette stehen lange, scharfe Stahlspitzen in mehreren furchtbaren Reihen wie eine Kompanie Soldaten mit blitzend- scharfen Lanzen; es ist die Hechel. Mitten hinein wirft man den zerquetschten, aufgerissenen Flachs und zieht ihn zwischen den scharfen Stacheln hindurch. Jedes Fäserchen, das stärker ist, als man es wünscht, muss da zurück und fällt als Werg zur Erde. 4. Der Flachs ist rein. Die grauen Fädchen sind glänzend und fein in der Hand des munteren Mädchens. Nun wird alles Leid zu Ende sein; denn das Mädchen windet sie leise und sanft um einen zierlichen Stab und umschlingt sie mit einem schönen, bunten Bande. So steht der Flachs dann in der warmen Stube, die Mädchen und Frauen sitzen beisammen im Kreise, die Lampe brennt im traulichen Zimmer. Das Holz im Ofen knistert lustig, und das Mütterchen erzählt wunderschöne Geschichten. Die Räder schnurren, und die Mädchen spinnen den Flachs zu einem feinen Faden. Der feine Flachs am Stabe war eben aufmerksam aufs Mütterchen, das gerade vom kleinen Däumling und vom „Tischchen, deck dich!“ erzählte; da ward er von den Fingern erfasst und umgedreht zum festen Faden. Eingewickelt in den grossen Knäuel, ist er auf der Spindel und konnte das Ende der Geschichte nicht einmal erfahren. Der Weber wartet schon auf ihn. Viele Fäden spannt er auf den Webstuhl, andere wirft er zwischen durch. „Klipp, klipp, klapp!“ geht es den ganzen Tag, vom frühesten Morgen bis zur späten Nacht, - Nach kurzer Zeit hat sich der Flachs zur Leinwand um¬ gewandelt. Grau und unansehnlich ist sie aber noch, kein Mensch mag sie so leiden, kein Kind ein Hemdehen oder Kleid¬ chen von ihr haben; drum geht ihre Qual von neuem an. Auf grünem Anger wird sie ausgespannt und liegt den ganzen Tag im heissen Sonnenschein. Männer gehen zwischen den aus¬ gespannten Stücken durch und begiefsen sie mit Wasser. Wochen¬ lang geht diese Wasserfolter fort, bis die unansehnliche, graue Farbe sich nach und nach ins schönste Weiss verwandelt hat. Das weifse Linnen blinkt von fern wie Schnee. Es wird zuletzt getrocknet, zusammengerollt und in des Kaufmanns Laden neben vielen anderen Stücken aufgestellt. 5. Zum Kaufmanne kommt die Mutter und sucht das schönste Stück sich aus. Das Kind daheim braucht neue Hemd¬ ehen und ein neues Tüchlein übers Bett. Die scharfe Schere spreizt ihre langen Beine und fährt mitten durch die Leinwand, hier links, dort rechts, wie es die Form des Hemdchens ver¬ langt, das aus ihm gefertigt werden soll. Die spitze Nadel mit dem langen Faden durchbohrt die Linnenstücke an tausend