28. Adalbert von Lbamisso. 395 Welt zerstreut. Der Tod hatte mir die Eltern geraubt. Irr an mir selber, ohne Stand und Geschäft, gebeugt, zerknickt, verbrachte ich in Berlin die düstere Zeit. Der Zerknirschung, in der ich unterging, ward ich durchs den Ruf als Professor am Lyceum zu Napoleonville entrissen, den unerwartet im Spätjahr 1809 ein alter Freund meiner Familie an mich ergehen ließ. Ich reiste nach Frankreich; ich trat aber meine Professur nicht an. Der Zufall, das Schicksal, das Waltende entschied abermals über mich; ich ward in den Kreis der Frau von Staäl gezogen. Ich brachte nach ihrer Vertreibung aus Blois den Winter 1810—11 in Napoleon bei dem Präfekten Prosper von Barante zu, folgte im Frühjahr 1811 der hohen Herrin nach Genf und Coppet, und war 1812 ein mitwirkender Zeuge ihrer Flucht. Ich habe bei dieser großartig wunderbaren Frau unvergeßliche Tage gelebt, viele der be¬ deutendsten Männer der Zeit kennen gelernt und einen Abschnitt der Geschichte Na¬ poleons erlebt, seine Befeindung einer ihm nicht unterwürfigen Macht; denn neben und unter ihm sollte nichts Selbständiges bestehen. Im Spätjahr 1812 verließ ich Coppet, um mich auf der Universität zu Berlin dem Studium der Natur zu widmen. So trat ich jetzt erst handelnd und bestimmend in meine Geschichte ein und zeichnete ihr die Richtung vor, die sie fortan unverwandt verfolgt hat. Die Weltereignisse vom Jahre 13, an denen ich nicht thätigen Antheil nehmen durste, — ich hatte ja kein Vaterland mehr, oder noch kein Vaterland, — zerrissen mich wiederholt vielfältig, ohne mich von meiner Bahn abzulenken. Ich schrieb in diesem Sommer, um mich zu zerstreuen und die Kinder eines Freundes zu ergötzen, das Märchen Peter Schlehmil, das in Deutschland günstig aufgenommen und in England volkstümlich geworden ist. Kaum hatte der Boden sich wieder befestigt und wieder blau der Himmel sich darüber gewölbt, als im Jahre 1815 der Sturm sich wiederum erhob und aufs neue zu den Waffen gerufen ward. Was meine nächsten Freunde mir beim ersten Aus¬ marsch zuschreien müssen, sagte ich mir nun selbst: Die Zeit hatte kein Schwert für mich; aber aufreibend ist es, bei solcher wafsenfreudigen Volksbewegung müßiger Zu¬ schauer bleiben zu müssen. Der Prinz Max von Wied-Neuwied schickte sich damals an, seine Reise nach Brasilien anzutreten. Ich faßte den Gedanken, mich ihm anzuschließen; ich ward ihm zu einem Gehülfen vorgeschlagen; — er konnte die schon abgeschlossene Ausrüstung nicht erweitern, und die Reise aus eigenen Mitteln zu bestreiten, war ich unvermögend. Da kam nür zufällig einmal bei Julius Eduard Hitzig ein Zeitungsartikel zu Gesichte, worin von einer nächst bevorstehenden Entdeckungs-Expedition der Russen nach dem Nordpol verworrene Nachricht gegeben ward. „Ich wollte, ich wäre mit diesen Russen am Nordpol!" rief ich unmutig aus und stampfte wohl dabei mit dem Fuße. Hitzig nahm mir das Blatt aus der Hand, überlas den Artikel und fragte mich: „Ist das dein Ernst?" — „Ja!" — „So schaffe mir sogleich Zeugnisse deiner Studien und Befähigung zur Stelle. Wir wollen sehen, was sich thun läßt." Briefe und Zeugnisse meiner Lehrer sandte Hitzig mit der nächsten Post an den Staatsrat von Kotzebue ab, und in der möglichst kurzen Zeit folgte auf dessen Ant¬ worten Brief von seinem Schwager, dem Admiral von Krusenstern, aus Reval vom 12. Juni 1815. Ich war an die Stelle des Professors Ledebur, den seine schwache Gesundheit zurückzutreten vermocht hatte, zuin Naturforscher auf die zu unternehmende Entdeckungsreise in die Südsee und um die Welt ernannt. Am Schlüsse seiner Reisebeschreibung sagt Chamisso: ^ „Die Asträa (das Schiff, auf welchem Chamisso die Reise von Kronstadt nach Swinemünde machte) lag am 17. Oktober 1818 auf der Rhede vor Swinemünde. ^ Hier endigt dieser Abschnitt meines Lebens. Als Fortsetzung gebe ich euch, ihr Freunde, das Buch meiner Gedichte. Ich habe darin zu eigener Lust die Blüten meines Lebens sorgfältig eingelegt und aufbewahrt, während die Zweige verdorrten, aus welchen sie gewachsen sind.