J 1 Bleich das Leben! Bleich der Felsenhang! Schilf, was flüsterst du so frech und bang Fern der Himmel und die Tiefe nah — Sterne, warum seid ihr noch nicht da? Eine liebe, liebe Stimme ruft WMich beständig aus der Wassergruft — Weg, Gespenst, das oft ich winken sah! Sterne, Sterne, seid ihr nicht mehr da? Endlich, endlich durch das Dunkel bricht — Es war Zeit! — ein schwaches Flimmerlicht — Denn ich wußte nicht, wie mir geschah. Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah. Meyer hat ein fast mystisches Verhältnis zur Natur; sie ist ihm der sichtbare Ausdruck seelischer Verhältnisse. „Möwenflug“ und „Auf dem Canal grande“ gestalten dies Gefühl, und diesem zufolge wird dann auch die Natur zu lebendiger, handelnder Gestalt, wie in „Gesang des Meeres“ oder „Zwie— gespräch“. Die Grenzen zwischen Mensch und Natur schwinden in einem mystischen Sicheinsfühlen; als ein Teil der Natur will der Dichter selbst an ihrem Leben teilnehmen: Purpurne Veltliner Traube, Kochend in der Sonne Schein, Heute möcht' ich unterm Laube Deine vollste Beere sein. Mein unbändiges Geblüte, Strotzend von der Scholle Kraft, Trunken von des Himmels Güte, Sprengte schier der Hülse Haft! Aus der Laube niederhangend, Glutdurchwogt und üppig rund, Schwebt' ich dunkelpurpurprangend Über einem roten Mund 9! Von ähnlicher inbrünstiger Naturliebe zeugt „Noch einmal“, wo des Dichters Herz in der Brust eines Aars über die Berge schwebt: .. . Und mein Herz, das er trägt in befiederter Brust, Es wird sich der göttlichen Nähe bewußt, Es freut sich des Himmels und zittert vor Lust. — Ich sehe dich, Jäger, ich seh' dich genau, Den Felsen umschleichest du grau auf dem Grau, Jetzt richtest empor du das Rohr in das Blau. — Zu Tale zu steigen, das wäre mir Schmerz — Entsende, du Schütze, entsende das Erz! Jetzt bin ich ein Seliger! Triff mich ins Herz! So berauscht von der Natur fühlte sich Meyer frei von aller Schwer— mut. Trotzdem sind diese ganz jubelnden Gedichte selten, selbst so dithyrambische wie „Morgenlied“: Mit edeln Purpurröten Und hellem Amselschlag, Mit Rosen und mit Flöten Stolziert der junge Tag. ) „Die Veltlinertraube“