— 193 — Allein, Freund, lachst du nicht, daß ich von Stümpern spreche? Wer andrer Schwäche zeigt, Verberg' erst seine Schwäche. 65 Doch ja, du lachst nicht nur, du gähnst auch über mich. Gut, schlafe nur nicht ein. Ich schließ' und frage dich: Wenn der, der wenig braucht und minder noch begehret, Bei seiner Armut lacht und Reiche lachen lehret, Der nichts verdrießlich find't, auf alles Zucker streut, 70 Die Freude sich nie kauft und sich doch täglich freut: Wenn der zu preisen ist, ist der nicht auch zu preisen, Des Ohr sich nicht empört bei mittelmäß'gen Weisen, Der bei des Hirten Flöt' und muntern Dorsschalmein So freudig kann, als du in Grauens Z Opern, sein? V. Zobann Gottfried von Iberder. Lesebuch II, Nr. 145: Drei Freunde. II, Nr. 151: Der Schiffbruch. — III, Nr. 114: Sprüche. III, Nr. 121: Der gerettete Jüngling. III, Nr. 125: Erlkönigs Tochter. Herders ausgewählte Werke. Ausgabe von Adolf Stern. Leipzig. 1744 in der ostpreußischen Stadt Mohrungen als Sohn eines Lehrers geboren, zeigte Herder schon früh reiche Begabung. Er studierte unter großen Entbehrungen zunächst Me¬ dizin, dann Theologie und Philosophie in Königsberg, wurde Lehrer an der Domschule zu Riga, machte 1767 eine Reise nach Frankreich, kam dann als Reiseprediger eines Prinzen von Holstein nach Straßburg, wo er Goethe kennen lernte. 1771 wurde er Hofprediger und Konsistorialrat beim Grafen von Bückeburg und 1776 auf Goethes Vorschlag General¬ superintendent in Weimar. Hier lebte er, vielfach geehrt und durch seine Erhebung in den Adelstand ausgezeichnet, bis zu seinem Tode (1803). ¿1. Das Kind der Sorge. 1. Einst saß am murmelnden Strome Die Sorge nieder und sann: Da bildet im Traum der Gedanken Ihr Finger ein leimernes Bild. 2. „Was hast du, sinnende Göttin?" Spricht Zeus, der eben ihr naht. „Ein Bild von Tone gebildet: Beleb's, ich bitte dich, Gott." 3. „Wohlan denn, lebe! — Es lebet! Und mein sei dieses Geschöpf!" — Dagegen redet die Sorge: „Nein, laß es, laß es mir, Herr! 4. Mein Finger hat es gebildet." — „Und ich gab Leben dem Ton," Sprach Jupiter. Als sie so sprachen, Da trat auch Tellus hinan. *) K. H. Graun -j- 1759, angesehener Wacker, Lesebuch. IV. A. 5. „Mein ist's! Sie hat mir genommen Von meinem Schoße das Kind." „Wohlan!" sprach Jupiter, „wartet! Dort kommt ein Entscheider, Saturn." 6. Saturn sprach: „Habet es alle! So will's das hohe Geschick. Du, der das Leben ihm schenkte, Nimm, wenn es stirbet, den Geist; 7. Du, Tellus, seine Gebeine, Denn mehr gehöret dir nicht. Dir, seiner Mutter, o Sorge, Wird es im Leben geschenkt. 8. Du wirst, solang es nur atmet, Es nie verlassen, dein Kind; Dir ähnlich wird es von Tage Zu Tage sich mühen ins Grab." Sänger und Tondichter. 13