260 lich anzusehen gelehrt, diesen Zug hatte nun eben wieder der Idealismus unserer Dichtung und Philosophie auf den höchsten Punkt getrieben. Wenn die Welt des Staats und der Nation wirklich etwas so Gleichgültiges war, wie Goethe, Schiller und Humboldt meinten, was lag dann eigentlich daran, ob Staat und Nation in tiefstes Elend sank? In der Tat berührte ja auch dieses Elend den großen Herrscher unseres Geisterreiches, Goethe, so gut wie gar nicht. Das ist, wenn ich nicht irre, das unendliche Verdienst Steins, die Unwahrheit dieser Weltanschauung aus der Tiefe seiner ge¬ waltigen Sittlichkeit dargelegt zu haben. Wie wir nun einmal geworden waren, konnten wir unmöglich zu einer äußerlichen Staatstätigkeit nach der Art anderer Völker bekehrt werden. Wir mußten von der inneren menschlichen Notwendigkeit des Wirkens im Staat überzeugt werden, um diesen neuen Beruf mit ganzer Seele zu erfassen. Wir mußten erkennen, daß ohne politische Tätigkeit die Harmonie der menschlichen Bildung nicht gewonnen werden kann, um den bisherigen Standpunkt zu verlassen. Das war es, was Stein mit der Macht seiner sittlichen Persönlichkeit, seines frommen Sinnes empfand und aussprach. Wahrlich kein Verächter geistiger Bildung, wies er doch die „metaphysischen Spekulationen", über die wir so lange die Wirklichkeit vergessen hatten, in die gebührenden Schranken zurück und rückte die sittlichen Mächte vor. Gesundes Gott¬ vertrauen galt ihm mehr als feinster Verstandesschlifs und ein tüchtiges Handeln mehr als sublimstes Philosophieren und Phantasieren — aber ein Handeln, das aus der engen Bahn der unter uns herkömmlichen protestan¬ tischen Anschauung herausschreite in die große Welt des Staats. So lange der Mensch in seiner Tätigkeit auf die privaten Kreise beschränkt bleibt, verfällt er zu leicht kleinlichem Egoismus, niederdrückender Eng¬ herzigkeit. Für die eigene Familie, das eigene Haus wirken heißt zuletzt doch nur für sich selbst wirken. Die höchsten, edelsten Kräfte, wenigstens des Mannes finden in diesen Kreisen nach dem gewöhnlichen Lebensgange nur unzureichende Beschäftigung. Erst das Volk, der Staat, das Vater¬ land bieten männlicher Tüchtigkeit die würdigste Bühne. Wo sie verschlossen oder vernachlässigt ist, verkrüppelt die Masse der Menschen, weil ihr die mächtig wirkenden Antriebe abgehen, welche der Durchschnitt nicht entbehren kann. Nur auf dem Grunde eines von der hingebenden Tätigkeit der Bürger getragenen Staates mag alles übrige menschliche Schaffen wahrhaft gedeihen. Ein solcher Staat veredelt alle seine Angehörigen und alle ihre Handlungen. Nur in ihm ist das höchste Ziel menschlicher Erziehung zu erreichen. Nur in ihm findet auch das Heiligtum des Hauses erst wesent¬ liche Bedingungen seiner vollen Entfaltung: nur wo die Mutter weiß, daß sie ihre Kinder einem großen Vaterlande erzieht, ruht auf ihrem Werke eine Weihe, die nichts anderes ersetzen kann.