438 einen kleinen Eimer voll Schlamm aus den größten Tiefen zu holen. Aber um in dieser Weise den Schoß des Meeres zu erforschen, ist ein großes Schiff mit zahlreicher Mannschaft nöthig. Wie bekannt, haben die englische, die schwedische und die nordamerikanische Regierung zu solchen Zwecken schon verschiedene Kriegs¬ schiffe ausgesendet. Die wichtigsten Aufschlüsse nun, welche sich aus den Tiefgrund-Untersuchungen des letzten Jahrzehnts übereinstimmend ergeben haben, sind in Kürze, soweit sie sich bis jetzt sicher übersehen lassen, folgende. Die große Mannigfaltigkeit und Ueppigkeit des Thier- und Pflanzen-Lebens, welche die meisten Meeresküsten aus¬ zeichnet, und welche an Formenreichthum die Festland-Bevölkerung weit übertrifft, beschränkt sich nur ausnahmsweise auf die geringeren Tiefen; sie erstreckt sich viel¬ mehr in unverminderter Fülle wenigstens über 300 Mtr. Tiefe hinab, in vielen Fällen bis gegen 450 und 600 Mtr. Das Pflanzenleben, welches durch die formenreiche Klasse der Algen oder Tange innerhalb der ersten 150 Mtr. so reich vertreten ist, scheint schon bei 300 Mtr. Tiefe an Mannigfaltigkeit der Arten und an Masse der Individuen stark abzunehmen. In Tiefen von 400—5OO Mtr. tritt es nur noch sehr spärlich auf, und wohl nur selten steigen einzelne niedere Tangarten unter 65 0 Mtr. hinab. Das Thierleben dagegen erreicht wenigstens die doppelte Tiefe und geht, ohne an Vielgestaltigkeit zu verlieren, noch unter 1000 Mtr. hinab. Unter den schönen Sternthieren der Meerestiefen sind vornehmlich zwei nor¬ dische Formen in mehrfacher Beziehung von hervorragender Bedeutung, Brisinga und Rhizokrinus. Beide sind uns durch den berühmten norwegischen Naturforscher Michael Sars näher bekannt geworden, dessen im Herbst 1869 erfolgter Tod ein großer Verlust sowohl für die Wissenschaft im Allgemeinen, als auch im Be¬ sonderen für die Erforschung des Lebens in den größeren Meerestiefen war. Mit besonderer Vorliebe wurde von Sars der Hardanger - Fjord untersucht, jener berühmte Fjord, der mit den schönsten schweizerischen Alpenseen wetteifert, und wegen seiner herrlichen Buchten und Gebirgsstöcke, seiner großartigen Gletscher und Wasserfälle am meisten besucht wird. In seinen Abgründen lebt die schöne und seltene Lima excavata, eine große Muschel mit schneeweißer, zierlich gerippter Schale und elegant gesranztem Mantelrand. Zu ihr gesellt, findet sich die er¬ wähnte Brisinga hendecanemos, ein prachtvoller und sehr merkwürdiger See¬ stern, der bis jetzt nur im Hardanger - Fjord gefunden worden ist. Als ich im letzten August dort in der Nähe von Utne fischte, hatte ich die Freude, ein lebendes Exemplar dieses Thieres, unmittelbar nachdem es aus 390 Mtr. Tiefe herausgezogen war, bewundern zu können. Diese Brisinga hatte ungefähr 0,57 Mtr. Durchmesser. Von einer kleinen runden orangerothen Scheibe strahlen elf lange, sehr zierliche Arme aus, welche 13—14 mal so lang sind als der Durch¬ messer der Scheibe. Die Arme sind glanzend korallenroth mit perlsarbigen Rippen, und auf jeder Seite mit einer dreifachen Reihe von langen Stacheln bewaffnet. Jeder Arm hat die innere Organisation eines gegliederten Wurmes, und eigentlich ist der ganze Seestern als ein Stock oder eine Gesellschaft von elf gegliederten Würmern aufzusaffen, denen die kleine centrale Scheibe nur als gemeinsamer Ver¬ einigungspunkt und Ernährungs-Centrum dient. Ein ähnliches historisches Interesse knüpft sich an das zweite genannte Stern¬ thier, welches in den tiefen Abgründen der nordischen Meere lebt und welches von dem Sohne des großen schwedischen Forschers erst vor vier Jahren bei den Lofoten in einer Tiefe von 584 Mtr. entdeckt wurde. Das ist derRhizocrinus lofotensis, aus der Klasse der Seelilien. Die Seelilien oder Krinoiden gleichen einem fünf-