Georg-Eckert-Institut BS78
c •
.
Deutsches hefebuch
für
höhere hehranhalten.
(Sexta bis Prima nebit zwei Vorldiuiteiien.)
ün Verbindung mit
Prof. B. Butzer,
Oberlehrer am Wähler-Real-
gymnasium
Prof. Dr. 6. Prigge,
Oberlehrer am Soethe-Symnalium
Dr. H. Böser,
Direktor der Oberrealschule I. 6.
zu Wiesbaden
Prof. Dr. R. PappriH,
Oberlehrer am Dom-Symnalium
zu Naumburg a. S.
Prof. Dr. B. Schmidt, Dr. W. Vilmar,
Oberlehrer am Wähler-Real-
gymnalium
Direktor des Realgymnasiums i. £.
zu Swinemünde
V?. Bangert,
hehrer am Wöhler-Realgymnaiium
herausgegeben
von
Dr. v. biermann,
Direktor des Wähler-Realgymnasiums zu Frankfurt a. ITL
Leipzig Frankfurt a. M.
Keiielringiche ßofbuchhandlung (6. v. ITlayer)-
Verlag
1909.
Deutsches hesebuch
für
höhere kehranitalfen.
Obere Stufe: Obersekunda bis Prima.
i.
Altdeutsches kefebuch
mit Anmerkungen.
Bearbeitet
Dr. Otto fciermann,
Direktor des Wöhler-Realgymnafiums
zu Frankfurt a. IT1.
von
und Dr. Wilhelm Vilmar,
Direktor des Realgymnasiums i. E.
zu Swinemünde.
keipzig Frankfurt ci. ITl,
Kesselringfche ßofbuchhandlung (E. v. Ulayer).
Verlag
1909.
GÄorg-Eckert-lr-stttWl
für Internationale
Schulbuchiorc-chung
Braunschweig
Schulbuchbibiiothok
W ) o H
stile stechte vorbehalten.
p *V\
Druck der Königt. Universitätsdruckerei E). Stürtz ct. G., Ivürzburg.
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Vorwort.
jj n der Hand dieses Altdeutschen Lesebuches, dem in Sonder-
ausgäbe ein etymologisches mittelhochdeutsches Wörter-
buch nebst grammatischem und metrischem Unhange beigefügt ist,
möchten wir die Schüler der Oberstufe in die Anfänge unserer Literatur,
in die geschichtliche Entwicklung unserer Muttersprache einführen mit
dem Ziele, ihren Eifer zu wecken und ihre Kraft zu stählen zu tieferem
Eindringen in das germanische Altertum, in die aus der Schule noch
immer zu niedrig eingeschätzte Geisteskultur des deutschen Mittelalters.
Die mit Benutzung der neuesten wissenschaftlichen Literatur und
der zuverlässigsten Textabdrücke getroffene und zur Förderung des
häuslichen Lesens, der Schülervorträge und Studientagsarbeiten in
reicher Fülle gebotene Uuswahl von Lesestoffen und Sprachproben
wird ihre Zweckmäßigkeit in der Praxis des Unterrichtes zu erweisen
haben.
Neben den alten Sprach- und Literaturdenkmälern, neben klassi-
schen Inhaltsangaben und Eharakteristiken, literar- oder kultur-
geschichtlichen Ergänzungsstücken haben wir auch Material aus der
neueren deutschen Dichtung zusammengetragen, um erkennen zu lassen,
welche Unziehungskraft der Sang der Vorzeit auch auf die Dichter
unserer Tage behalten hat. Durch vergleiche läßt sich die Größe der
alten Dichtung am deutlichsten zeigen und zugleich ein Einblick in
die Sonderart des neuzeitlichen Dichters gewinnen. Wir hoffen mit
unserer Sammlung von Konzentrationsstoffen manchem
Lehrer des Deutschen einen Dienst erwiesen zu haben.
Die sprachlichen Unmerkungen des Lesebuches berücksich-
tigen die Bedürfnisse der Schüler, die sich zum ersten Male ein dem
Katen und Tasten abholdes Verständnis des Urtextes erarbeiten
sollen.
Die Literaturangaben haben einen doppelten Zweck: erstens
sollen sie die von den Herausgebern benutzten Werke anzeigen und dann
wollen sie ein Wegweiser für die Schüler sein, sie zu den Unfängen
selbständiger Urbeit aufzurufen, damit sie an ihrem Teile bei der
freieren Gestaltung des Unterrichtes der Oberstufe mithelfen. Es ist
demnach öfters nicht die Literatur angegeben, die den höchsten Stand
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gegenwärtiger wissenschaftlicher Forschung in sich schließt, sondern die,
welche deren Ergebnisse für den Standpunkt der Schüler am zweck-
mäßigsten ausnutzt. Sollten auch den Lehrenden damit einige will-
kommene Winke gegeben sein, so wäre unser Wunsch ganz erfüllt.
Einen methodischen Fortschritt hoffen wir durch unser etymo-
logisches Wörterbuch zu erzielen, das alle in den mittelhoch-
deutschen Lesestücken vorkommenden Wörter enthält, wo nötig, die
Entwicklung vom Althochdeutschen über das Mittelhochdeutsche zum
Neuhochdeutschen zeigt und nach dem bewährten Grundsätze des
frankfurter Lehrplanes, die Zchulsprachen in enge Verbindung zu
bringen, verwandtschaftliche Beziehungen zum Griechischen, Lateini-
schen, Französischen und Englischen herstellt,- für die Schüler der
Realgymnasien und Oberrealschulen sind die griechischen Wörter in
lateinischer Umschrift gegeben.
Der grammatische Rnhang ist etwas ausführlicher gestaltet,
damit Lehrer und Schüler die vergleichende Zusammenstellung des
Wörterbuches für einzelne Fälle auch systematisch durchführen können,
hier mußte weitgehenden Wünschen Rechnung getragen werden. Jeder
Lehrer wird die Grammatik nach seiner Rrt behandeln, wir wollten nur
für eine Sammlung des wichtigsten Materials sorgen, das den denkenden
und nachprüfenden Schüler vielleicht zu weiteren Studien reizt.
Für unermüdliche Unterstützung bei der langwierigen Druck-
legung des Lesewerkes und des Wörterbuches sind wir den Herren
Professor Dr. Heinrich Schmidt und Wilhelm Bangert in Frank-
furt a. ITT. zu herzlicher Erkenntlichkeit verpflichtet,- dankbar heben
wir hervor, daß Herr Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Edward
Schroeder in Göttingen uns für einige Teile des grammatischen
Rbrisses freundliche Ratschläge erteilt, Herr Oberlehrer Dr. Stier
zu Swinemünde die Druckbogen des grammatischen Teiles einer sorg-
fältigen Nachprüfung unterworfen hat.
Zollte unser Lesebuch mit seinem Rnhange dem Ziele, die Schüler
der Gbersekunda und prima für altdeutsches Geistes-, Gemüts- und
Sprachleben empfänglich zu machen, nur einen Schritt näher kommen,
so würden wir, dankbar für Winke und Rnregungen, rastlose Weiter-
arbeit versprechen.
Frankfurt a. M. und Swinemünde,
im Rugust 1909.
Liermann. Vilmar.
3nhcilfsí>erzeichnis.
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Runen: a) Runenalphabet, b) Runeninschrift auf dem „goldenen
Horn" von Gallehus bei Tondern...............................
Heidnische Zaubersprüche: a) Erster Merseburger Spruch: Über die
Kesseln eines Rriegsgefangenen. — b) Zweiter Merseburger
Spruch: Über den verrenkten Fuß eines Pferdes. (Text nach
Müllenhoff und Scherer)......................................
Germanische Religion, von Dtto Raemmel...........................
1. Götterglaube.............................................
2. Götterverehrung..........................................
3. Sprache und Dichtung.....................................
4. Tod, Begräbnis, künftiges Leben..........................
Ñus den Götterliedern der sogenannten älteren Edda...............
a) Der Seherin Weissagung (Voluspá), übersetzt von Hugo
Gering....................................................
b) Ddins Helfahrt, deutsch von Wilhelm Jordan...............
c) Das Lied von Thrpm, übersetzt von Hugo Gering . . . .
Thors Hammerwurf, Gedicht von Felix Dahn.........................
Lokes Ritt, Gedicht von Hermann Lingg............................
Nordmännerlied, Gedicht von Joseph Victor von Scheffel . . . .
Der Sigurdmpthus, von Ñlfred Biese...............................
Ñus der altnordischen Volsunga-Saga: Regin erzählt seinem Pflege-
sohne Sigurd vom Horte, von Ñnton Edzardi.......................
Ñus den Heldenliedern der sogenannten älteren Edda: Das kurze
Sigurdslied, übersetzt von Hugo Gering.................... . .
Das Lied von Ñntwaranaut, dem Ringe des Niblung, aus Wilhelm
Jordans Nibelunge, I. Lied, Sigfridsage......................
Richard Wagner, Götterdämmerung. (Dritter Tag aus der Trilogie:
Der Ring des Nibelungen, Erster ñufzug)......................
Gernulf weiht seinen sieben Söhnen das Grablied, aus Henrik
Ibsen, Die Helden auf Helgeland (Nordische Heerfahrt, deutsch)
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Dom Heidentum zum Christentum. 53
14 II. Das Vaterunser:
a) Griechischer Text 53
b) Lateinischer Text c) Gotischer Text aus Bischof Wulfilas Bibelübersetzung 54
(nach Braune, mit Interlinearübersetzung) d) Althochdeutscher Text (Weißenburger Vaterunser, mit 54
Interlinearübersetzung) 56
e) Lutherische Fassung (von 1522) 56
15 Das Kloster, von Friedrich Wilhelm Weber (aus „Dreizehnlinden") 57
16 Das Wessobrunner Gebet (althochdeutscher Text nach Braune,
Interlinearübersetzung nach Piper und nach Schauffler) . . 61
17 Das ältere Hildebrandlied (althochdeutscher Text nach Braune,
Interlinearübersetzung nach Piper und nach Schauffler) . . 62
18 Würdigung des kjildebrandliedes, von Wilhelm Scherer .... 67
19 Das jüngere kjildebrandlied, Volkslied, hrg. von Ludwig Uhland . 69
20 Die Straßburger Lide: a) Schwur Ludwigs des Deutschen in romanischer Sprache 72
(mit Übersetzung in das Lateinische und Neufranzösische) b) Schwur Karls des Kahlen in althochdeutscher (rhein- 72
fränkischer) Sprache, mit Interlinearübersetzung . . . c) Schwur der Mannen Karls des Kahlen in romanischer Sprache, mit Interlinearübersetzung und mit neufranzö- 73
sischem Text d) Schwur der Mannen Ludwigs des Deutschen in althoch- deutscher (rheinfränkischer) Sprache, mit Interlinear- 73
Übersetzung 74
21 Aus dem Gedicht „Muspilli" (Erdzerstörung): Der Antichrist kämpft mit Elias, althochdeutscher Text nach Braune, Inter-
linearübersetzung , nach Piper und Schauffler. ..... 74
22 Aus Otfrids Evangelienbuch: Ankündigung der Geburt Jesu, althochdeutscher Text nach Braune, Interlinearübersetzung
nach Piper 76
23 Das Ludwigslied, althochdeutscher Text nach Braune, Inter-
linearübersetzung nach Piper und nach Schauffler .... 81
24 Das kjeldengedicht vom kjeliand oder kjeiland, eine altniederdeutsche 85
Wessiade
a) Bedeutung des kjeliand, von 51. F. T. Vilmar .... 85
b) Proben aus dem kjeliand 86
1. Jesus beruhigt das Meer 2. Petrus und Malchus (altsächsischer Text nach Behaghel, 86
deutsche Übertragung von P. kjerrmann) 88
IX
Nr.
Seite
25 flus dem angelsächsischen Nationalepos Beowulf: Veowulfs Leichen-
feier, übersetzt von pugo Gering.....................................
26 flus dem Wältharilied Ekkehards I. von 5t. Gallen: Ruhe nach
dem Kampf (übersetzt von Hermann Althof, nebst probe aus
dem lateinischen Epos, nach Strecker)................................
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Mittelhochdeutsche Volksepen.
A. Nibelungenlied.................................
Inhalt und Würdigung des Nibelungenliedes, von Wilhelm 5cherer
Ausgewählte Abschnitte des Nibelungenliedes im Urtext (nach
Karl Lachmann)........................................
Erstes Abenteuer: Wie Kriemhilden träumte ...
Zweites Abenteuer: Von Siegfrieden .....................
Drittes Abenteuer: Wie Siegfried nach Worms kam
Fünftes Abenteuer: Wie Siegfried Kriemhilden zuerst
ersah ...............................................
Sechstes Abenteuer: Wie Günther um Brunhild gen Isen-
land fuhr............................................
Siebentes Abenteuer: Wie Günther Brunhilden gewann
Sechzehntes Abenteuer: Wie Siegfried erschlagen ward
Siebzehntes Abenteuer: Wie Siegfried beklagt und be-
graben ward.............................................
Neunundzwanzigstes Abenteuer: Wie Hagen und Volker
vor Kriemhildens Saal saßen.....................
Dreißigstes Abenteuer: Wie Hagen und Volker Schild-
wacht standen........................................
Siebenunddreißigstes Abenteuer: Wie Rüdiger erschlagen
ward.................................................
Neununddreißigstes Abenteuer: Wie Günther, Hagen
und Kriemhild erschlagen wurden......................
Kriemhild, von Ludwig Uhland..................................
Pagen, von Ludwig Uhland......................................
Nüdeger, von Ludwig Uhland....................................
Aus der neueren Nibelungendichtung . . .
Nus Friedrich pebbels Nibelungen..............................
Erste Abteilung: Der gehörnte Siegfried, 1. Szene . . . -
Zweites Abteilung: Siegfrieds Eod, 1. Akt, 2. und 9. Szene {
Dritte Abteilung: Kriemhilds Rache, 4. Akt, 1. und 4. Szene s
Aus Emanuel Geibels Brunhild: 5. Aufzug, 5. Auftritt..........
Aus Wilhelm Jordans Nibelunge (Lied 1. Sigfridsage, Ges. 24):
Versöhnung Rrimhilds und Brunhilds an der Leiche Siegfrieds
(Brunhilds Dpfertod).......................................
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Ñus Felix Dahns Markgraf Rüdiger: Oie Mission Dietrichs von Bern,
5. Ñufzug, 15 Szene......................................
Der Drachenschläger, Gedicht von Felix Dahn....................
Lied Siegfrieds, Gedicht von Felix Dahn .......................
Krimhilde, Gedicht von Felix Dahn...........................
Volkers Nachtgesang, Gedicht von Emanuel Geibel . . . . .
Jagens Sterbelied, Gedicht von Felix Dahn .....................
B. Das Gedicht van Gudrun.........................
Inhalt des Gudrunliedes, von Ñ. F. E. Vilmar...................
Ausgewählte Stellen des Gudrunliedes im Urtext (nach Martin):
a) Wie süß Horant sang.....................................
b) Wie Gudrun die Ankunft ihrer Retter kundgetan wurde
c) Wie Ortwin und Herwig ankamen...........................
Charakteristik Gudruns, von Wilhelm Scherer ...................
Gudruns Klage, Gedicht von Emanuel Geibel......................
Ñus Rudolf Baumbachs horand und Hilde: wie horand vor den
Königinnen fang............................................
Dom Rittertum zum Bürgertum.
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Rittertum und Laienbildung, von Gustav Freptag....................
Rückblick auf die Stellung des germanischen Weibes, von Karl
weinhold .........................................................
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höfische Epen.
hartmann von Ñue, der schwäbische Ritter . .
A. Der arme Heinrich, Proben: mittelhochdeutscher Text nach
Paul, neuhochdeutsche Nacherzählung von Wilhelm Grimm
Ñus Gerhart Hauptmanns Drama „Der arme Heinrich", 5. Ñkt,
5. und 7. Szene...........................................
Vorwort der Brüder Grimm zu ihrer 1815 veröffentlichten Ñusgabe
des „armen Heinrich"...........................................
B. Iwein, der Ritter mit dem Löwen...........................
a) Der Artusroman, von Friedrich Vogt.....................
b) Vom Pfingstgelage des Königs Artus, mittelhochdeutscher
Text nach Henrici.......................................
c) Der Artusritter Iwein befreit den Löwen von dem
Drachen, mittelhochdeutscher Text nach Henrici . . .
Wolfram von Cfchenbach, der fränkische Ritter
a) Wolfram überreicht dem Landgrafen Hermann den parzival,
aus Scheffels Frau Ñventiure............................
. b) Inhalt des parzival, von Ñ. F. C. Vilmar................
c) Eingangsverse zum Parzival:
1. Mittelhochdeutscher Text nach Martin.................
2. Nachdichtung von Wilhelm Hertz......................
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d) Aus dem dritten Buch des Parzival: Parzivals Ausfahrt,
mittelhochdeutscher Text nach Martin....................
e) Aus dem fünften Buch des Parzival: Parzival auf der
Gralburg, mittelhochdeutscher Text nach Martin . . .
Rus Richard Wagners „parsifal", Ende des I. Rufzugs . . . .
Bus Richard Wagners Lohengrin, 3. Rufzug, 3. Szene . . . . .
Meister Gottfried von Straßburg...................
Aus dem Epos Tristan..........................................
a) Gottfrieds Urteil über die Dichter seiner Zeit . . . .
b) Tristan tröstet Isolde; der Minnetrank; des Trankes
Wirkung; (mittelhochdeutscher Text nach Marold) . .
Rus Richard Wagners Tristan und Isolde, 2. Rufzug, 1. Szene
Die Geschichte von dem Bauernsohn Helmbrecht, der ein
Ritter werden wollte.......................................
Proben aus Meier Helmbrecht von Wernher dem Garte-
naere (mittelhochdeutscher Text nach Panzer, neuhoch-
deutsche Nacherzählung von Gustav Freytag) . . .
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Mittelhochdeutsches Tierepos.
58 Probe aus dem „Reinhart Puchs": Puchs und Wolf im Brunnen,
mittelhochdeutscher Text nach Reissenberger.......................
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Lyrische Dichter.
59 | Minnesang, von Ludwig UHland..............................
60 Des Minnesangs Frühling (mittelhochdeutscher Text nach
Lachmann und Haupt, nach Bartsch-Golther, nach Pfaff) .
I. Namenlose Lieder (i—6)..............................
II. Der von Kürenberc (7—10)............................
III. Her Meinloh von Sevelingen (11)....................
IV. Spervogel (12—18)..................................
V. Her Dietmar von Eist (19—21)........................
VI. Her Friderich von Husen (22-24)....................
VII. Her Heinrich von Veldegge (25—27)...................
VIII. Her Albreht von Johansdorf (28—30)..................
IX. Her Heinrich von Morungen (31—33)..................
X. Her Reinmar (34—37)................................
XI. Her Hartman von Ouwe (38—41).......................
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Walther von der Dogelweide.
61 Rede bei Enthüllung des Denkmals Walthers (zu Bozen 1889 ge-
halten von Rarl weinhold)...................................
62 Herr Walther, aus den yochlandsliedern Rarl Stielers (Zyklus „Unter
der Linde") ................................................
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Seite
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Her Walther von der Vogelweide (mittelhochdeutscher Text
nach Wilmanns)...................................................
A. Lieder.........................................
1. Erstes Begegnen ........................................
2. Iugendlehren............................................
3. Frühlingslied ..........................................
4. Liebesfrühling .........................................
5. Letzter Wille...........................................
6. Deutschland über Alles..................................
7. Frühling und Frauen.....................................
8. Weib oder Frau?.........................................
9. Wahre Liebe.............................................
10. heimliche Winne.........................................
11. Abschied von der Welt...................................
12. Halm-Wessen.............................................
13. Des Glückes Laune.......................................
14. Königin Winne...........................................
15. Frühlingssehnsucht......................................
16. Unter der Linde.........................................
17. Tanzweise...............................................
18. Waienlust...............................................
19. Traumglück..............................................
20. vokalspiel..............................................
21. Schlechte Wusilranten...................................
22. Kreuzlied...............................................
23. Elegie . -..............................................
B. Sprüche........................................
1. Wahlstreit:
a) Gefährdetes Geleite..................................
b) Das herrenlose Reich.................................
c) Rom und das Reich....................................
2. König Philipp von Schwaben:
a) Philipp und die Krone................................
b) Wagdeburger Weihnachtsfest (1199)....................
c) Des Königs Philipp Gast..............................
d) Wahnung an König Philipp zur Freigebigkeit ....
3. Der Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen . . .
4. Bitte an Herzog Leopold von Österreich..................
5. Abschied: a) Wandersegen; b) Der arme Hof zu Wien . .
6. Gleichheit vor Gott.....................................
7. Überschätzung des irdischen Gutes.......................
8. Habsucht................................................
9; Geizhals und Verschwender.............................
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10. Ungezogene Kinder.......................................
11. Rohe Jugend.............................................
12. Konstantins Schenkung...................................
13. Sehnsucht nach U)ien....................................
14. Auf Reinmetr des Alten Tod..............................
15. Mahnung an König Philipp ...............................
16. Auf dem Reichstag zu Frankfurt a. TTC. (4. März 1212):
a) An Kaiser Otto IV. :
1. Kaisergruß........................................
2. Aufruf zur Kreuzfahrt.............................
3. Aar und Leu ...................................
b) An Papst Innocenz III. und die Kurie:
1. Der gehorsame Sohn................................
2. Der Zinsgroschen..................................
3. Ein Widerspruch...................................
17. Geldgier...........................................* . .
18. Sehnsucht nach einem Heim...............................
19. Der milde Landgraf......................................
20. Mannes Lob..............................................
21. Freunde in der Rot......................................
22. Am Ejof König Friedrichs:
a) „Herr" Otto und „König" Friedrich....................
b) Milde und Länge......................................
23. Kaiser Friedrich II.: a) Bitte, b) Dank.................
24. Freundschaft............................................
25. Selbstüberwindung.......................................
Hêr Nithart (von Reuental), mittelhochdeutscher Text nach
Haupt.......................................................
a) Frühlings- und Sommerlieder (1—4)....................
b) Winterlieder (5—6)...................................
Spätere Lyriker (mittelhochdeutscher Text nach Bartsch-
Golther und nach Pfaff).....................................
I. Hêr Uolrich von Liehtenstein (i—2)......................
II. Hêr Reinmär von Zweter..................................
III. Der Marner (1—2)........................................
IV. Künic Kuonrât der junge..................................
V. Meister Jöhans Hadloub..................................
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Lehrhafte Dichtkunst.
Winsbeke: Ratschläge eines Ritters an seinen Sohn (mittel-
hochdeutscher Text nach Leitzmann)..........................
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XIV
Nr. Seite
€7 Fridankes Bescheidenheit (Auswahl, mittelhochdeutscher Text
nach Bezzenberger) 397
68 Hugo von Trimberg, Probe aus dem „Renner“ 400
(mittelhochdeutscher Text nach Vetter) 400
69 Ulrich Boner, Aus der Fabelsammlung „Der Edelstein“: Von
zwein gesellen und einem beim (Text nach Vetter) . . . 402
Prosa. 404
70 Berthold von Regensburg: Aus einer Predigt über Ev. Matth.
5, 8 (mittelhochdeutscher Text nach Wackernagel) . . . 404
71 Meister Eckhart: a) Aus einer Predigt über Joh. i6, 28. — b) Meister Eckehart sprach (mittelhochdeutscher Text nach
Vetter) 407
72 Johannes Tauler von Straßburg: Predigt über fromme Juden 408
und Heiden (mittelhochdeutscher Text nach Vetter) . . . Heinrich der Sense: Wie er kam in die geistlichen gemahel- schaft der ewigen wisheit (mittelhochdeutscher Text nach
73
Vetter) 409
74 Aus dem Frankfurter oder der Deutschen Theologia: Was rechter warer innerlicher fride si, den Kristus sinen jungem
zu letze gelaßen hat (Text nach Vetter) 410
75 Aus dem Sachsenspiegel:
a) Von den zwei Gewalten 411
b) Von den Kurfürsten und der Kaiserwahl c) Gegen die Leibeigenschaft (niedersächsischer Text nach 412
Homeyer) 412
76 Aus dem Schwabenspiegel: Wer den künic kiesen sol (mittel-
hochdeutscher Text nach Wackernagel) 412
77 Aus der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV: Von der kur eyns Römischen Konigis (Text nach der etwa aus dem Jahre 1371 stammenden Frankfurter Übersetzung der Goldenen Bulle,
im Stadtarchiv zu Frankfurt a. M.) 414
78 Kaiser Sigmund bestätigt der Stadt Frankfurt a. M. ihre Privi- legien (Urkunde vom 30. November 1433 im Stadtarchiv
zu Frankfurt a. M.) 415
PSSli^
XV
Nummer
anfange -er mittelhochdeutschen Gedichte.
{. Des Minnesangs Frühling.
Ahi nu kumet uns diu zit 323 19
An dem österlichen tage 323 17
Dem kriuze zimt wol reiner muot 330 39
Dirre tunkel Sterne 321 10
Diu nahtegal diu sanc so wol 320 5
Dü bist min, ich bin din 319 1
Ein wolf sine Sünde flöch 322 14
E^ gät mir vonme herzen 321 8
stuont ein frouwe alleine 323 21
Frouwe, wilt du mich genern 327 32
Höhe alsam diu sunne 329 36
Ich bin holt einer frouwen 321 11
Ich gesach den sumer nie 319 3
Ich hän dur got da^ kriuze an mich genomen 326 29
Ich muo? von rehte den tac iemer minnen 381 40
Ich sihe wol, da^ got wunder kan 324 24
Ich zöch mir einen valken 320 7
In himelriche ein hüs stät 322 16
In lichter varwe stät der walt 320 4
Kume kum, geselle min 320 6
Man seit al für wär 325 27
Maneger grüe^et mich also 332 41
Mich dünket niht so guotes 319 2
Min dienest der ist alze lanc 330 38
Min erste liebe, der ich ie began 325 28
Min ougen wurden liebes also vol 329 37
Mir ist da^ herze wunt ... 324 23
Mirst geschehen als eime kindeline 327 33
Nu brinc mir her vil balde .... 321 9
Sach ieman die frouwen . . . ... 326 31
Si darf mich des zihen niet ... 324 22
Si jehent, der sumer der si hie . . 328 35
Sit diu sunne ir lichten schin . . . - 325 I 26
So wol dir wip, wie reine ein nam 328 I 34
XVI
Swer einen friunt wil suochen..................
Swer minne minnecliche treit...................
Treit eine reine wip niht......................
Tristrant musste sunder danc...................
Uf der linden obene............................
Würze des waldes...............................
Zwen hunde striten umbe ein bein...............
2. Walther von der vogelweide.
a) Lieder.
Allererst leb ich mir werde....................
Bin ich dir unmaere............................
Der rlfe tet den kleinen vogelen we . . . .
Diu weit was gelf, röt unde bla................
Do der sumer körnen was........................
Frö Saelde teilet umbe sich....................
Frö Werlt, ir solt dem wirte sagen.............
Herzeliebeg frouwelin..........................
Ich bin nü so rehte frö........................
Ich wil nü teilen, e ich var...................
In einem zwivellichen wän’.....................
Ir sult sprechen willekomen....................
Muget ir schouwen, wag dem meien ....
Nemt, frouwe, disen kranz......................
Nieman kan mit gerten..........................
Owe, hovelicheg singen.........................
Owe, war sint verswunden.......................
So die bluomen üg dem grase....................
linder der linden an der beide.................
Uns hat der winter geschadet über al...........
Wer gap dir, Minne, den ge walt................
Wip muog iemer sin der wibe höhste name . .
Wol mich der stunde, dag ich sie erkande . . ,
’S ! (A Nummer
322 12
326 30
322 13
325 25
323 20
323 18
322 15
357 22
347 10
342 3
355 20
354 19
350 13
348 11
1346 9
342 4
343 5
350 12
1344 6
18
362 17
341 2
356 21
358 23
345 7
351 16
351 15
351 14
346 8
340 1
b) Sprüche.
An wibe lobe stet wol, dag man si beige schoene
Der hof ze Wiene sprach ze mir....................
378
'366
20
5 b
XVII
Der in den ören siech von ungesühte sî...................
Die veter hänt ir kint erzogen...........................
Diu kröne ist eher dan der künec Philippes sl . . . .
Do Friderich ûg Ôsterrîche also gewarp...................
Do gotes sun hien erde gie...............................
Dr! sorge habe ich mir genomen...........................
Eg gienc, ein’s tages als unser hêrre wart geborn . . . .
Got gît ze künege, swen er wil...........................
Hör habest, ich mac wol genesen..........................
Hör keiser, ich bin frönebote............................
Hör keiser, sit ir willekomen............................
Hör keiser, swenne ir Tiuschen fride.....................
Ich bin des milten lantgräven ingesinde..................
Ich hän gemerket von der Seine unz an die Muore . , .
Ich hän hörn Otten triuwe, er welle mich noch riehen . .
Ich hän min löhen, al die werlt, ich hän min lehen . . . .
Ich hörte ein wagger diesen..............................
Ich sach mit minen ougen.................................
Ich sag üf eime steine...................................
Ich wolt’ hörn Otten milte nach der lenge meggen . . . .
Jung man, in swelher aht' dû bist........................
Künc Constantin der gap sö vil...........................
Man hôhgemâc, an friunden kranc..........................
Mir ist verspart der sælden tor..........................
Mit sælden müege ich hiute üf stön.......................
Owe dag wîsheit un de jugent.............................
Philippe, künec höre,....................................
Philippes künec, die nähe spehenden zihent dich..........
'Sit willekomen, hör wirt,’: dem gruoge muog ich swigen .
Swer âne vorhte, hörre got,..............................
Swer houbetsünde unt schände tuot........................
Swer stætes friundes sich durch übermuot heberet . . . .
Von Röme vogt, von Pulle künec, lat iueh erbarmen . . .
Wag Wunders in der werlte vert...........................
Wer sieht den lewen? wer sieht den risen.................
3. Neidhart von Heuental.
Der meie der ist riche...................................
Der walt stuont aller grise..............................
Seite Nummer
365 3
369 10
362 2a
364 2c
375 16b, 2
371 13
368 2b
375 16b, 3
375 16b, 1
374 16a, 2
373 16a, 1
374 16a, 3
377 19
376 17
379 22 a
380 23 b
361 lb
362 1 c
360 1 a
379 22b
369 9
371 12
380 24
365 4
366 5a
372 14
373 15
364 2d
377 18
367 6
368 8
378 21
380 23 a
868 7
381 25
382 64a (1)
385 64 a (4)
XVIII
Seite Hummer
Heid, anger, walt in fröuden stät 384 64 a (3)
Kint, bereitet iuch der sliten üf dag !s 386! 64 b (6)
Rümet üg die schämel und die stüele! 385 64 b (5)
Üf dem berge und in dem tal 383 64 a (2)
4. Spätere Lyriker.
Ach ich sach si triuten wol ein kindelin 393 65 (V)
Die frösche wilent nämen 392 65 (III, 2)
Ich fröwe mich maniger bluomen röt 392 65 (IV)
Ich quam geriten üf ein velt 391 65 (11)
Vrouwe schcene, frouwe reine 389 65(1, 2)
Wie höfsche liute habe der Rin 391 65(111,1)
Wil iemen nach eren die zit wol vertriben 388 65 (I, 1)
pggggg]
Wilhelm von Kaiilbarfj, Wandgemälde im Neuen Museum
zu Berlin.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch.
wage zu wandeln verlassene Wege
fernen Vorzeit unseres Volkes.
Erwache denn, Weise voll Kraft und Wohllaut,
Die Mutter Natur germanischem Munde
Eingebildet und angeboren,
Wie draußen im Dusche Drossel und Buchfink
Lockruf und Lied von der Meisterin lernten. —
Zu süßem Gesang, unsterbliche Lage,
Laß mich dein Mund sein voll uralter Mären.
Wilhelm Zordan.
'S wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter Engel bei-
gegeben, der ihn, wann er ins Leben auszieht, unter der
vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet,- wer nicht ahnt,
was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er
die Grenze des Vaterlands überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese
wohltätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen,
Zagen und Geschichte, welche nebeneinander stehen und uns nach-
einander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu
bringen streben. Brüder Grimm 1816.
fln die Brüder 0rimm.
á^hr, die den Garten mir erschlossen,
_ Den Hort der Zagen mir enthüllt,
Mein trunknes Ghr mit Zauberklängen
ñus jener Märchenwelt erfüllt.
Ñdelbert von Thamisso
Pom ßeidenfum zum Chriifenfum,
I.
Swanahild, die greise Drude,
kitzle Runen, Zauberzeichen,
Warf die Stäb' und raunte Sprüche,
Gram und Siechtum zu verscheuchen.
$. tD. tDeber, vreizehnlinden.
1. Runen,
a) Runenalphabet.
rn t PRcx^MiY^ttiMNrÄN
F U TH ARKGNGHN IZSTBEMLOD
Rach dem Runenalphabet des Brakteaten von vadstena*).
b) Runen Inschrift auf dem ,,goldenen Harn" van
Gallehus bei Tandern.
el< ble^va^asti^ boltinAa^ horna tawido
ich kflewagast, aus dem- Geschlecht der kjoltinge, das kjorn verfertigte.
b BraKteat, der: nur auf einer Seite geprägte dünne Münze <lat. bräctdL:
dünnes Metallblättchen). — In vadftena gefunden, jetzt in Stockholm. —
Über Runen und Runeninschriften: E. Sievers (Pauls „Grundriß der germa-
nischen Philologie" Bd. 1, 2. Hust. S. 248 ff. Straßburg 1896).
1*
2. ßeidniiche Zciuberiprüdie.
a) Erster Merseburgers Spruch:
(Im 6. oder 7. Jahrhundert entstanden, im 10. Jahrhundert niedergeschrieben.)
Über die Kesseln eines Kriegsgefangenen.
Text nach K. Müllenhoff und ID. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und
Prosa aus dem VIII. bis XII. Jahrhundert. Dritte Ausgabe von <E. Steinmeper,
Bd. 1, S. 15, Berlin 1892.
1. Eiris sä?,un idisi, sä^un hera duoder.
2. Ehemals setzten sich Idise, setzten sich hierher, dorthin.
Z. vgl. eher. IDalküren
1. suma hapt heptidun, suma heri le^idun,
2. einige Kesseln hefteten (banden), einige das Heer aufhielten,
Z. e. some. (der gefangenen Feinde) (der Feinde)
1. suma clübödun urnbi cuniouuidi:
2. einige klaubten um Kesseln:
Z. (suchten die Fesseln der gefangenen Freunde zu lösen)
1. iusprine haptbandun, invar vigandun!
2. entspring den Haftbanden, entfahre den Keinden!
z. (der eigentliche lösende Spruch der IDalküren und des Redenden)
b) Zweiter Merseburger Spruch:
Über den verrenkten Kuß eines Pferdes.
Text nach INüllenhoff und Scherer, Denkmäler I, 5. 16, 1892.
1. Phol ende Uuodan vuorun zi holza.
2. phol und Wodan fuhren zu holze,
Z. R-pollo-Balder? ritten in den IDald,
1. du uuart demo balderes volon sin vuo? birenkit.
2. da ward dem Baldersf?) Kohlen sein Kuß verrenkt.
1. thü biguolen Sinthgunt, Sunna era suister,
2. da besprach ihn Sinthgunt, Sunna ihre Schwester,
Z. vgl. Rachti-gal. Sinthgunt (Weg-Rämpferin), die Schwester der Sonne,
i) Handschrift in der Dombibliothek zu Merseburg durch Jakob Grimm
im I. 1842 veröffentlicht.
5
thü biguolen Frija, Volla era suister:
da besprach ihn Zrija, volla ihre Schwester,-
Frija, die Schwester der volla (Göttin der Fülle).
thü biguolen Uuodan, so he uuola conda,
da besprach ihn lvodan, so er wohl konnte,
wie er's wohl verstand.
söse benrenki, söse bluotrenki, söse lidirenki:
so Bein- (Knochen-) Verrenkung, so Blutverrenkung, so Glieder-
ben zi bena, bluot zi bluoda, sverrenkung.
Bein zu Beine, Blut zu Blute,
(hier beginnt wieder, wie oben, der eigentliche Zauberspruch.)
lid zi geliden, söse gelimida sin!
Glied zu Gliedern, wie wenn (sie) geleimt seien!
vgl. 5lugen-Iid und Glied (Ge-Iied). als ob sie geleimt wären.
3. Germanische Religion1).
Otto Kaemmel, Deutsche Geschichte. Erster Ueil. Zweite Auflage. S. 43 ff.
Leipzig 1908.
1. GöffergIciube.
hr gesamtes heben in Krieg und Frieden, in Baus und Bot,
in Feld und Wald stellten die Germanen ehrfürchtig unter den
Schuh höherer Uldchie, ihrer Götter. Bus der Grundlage der ari-
schen Religionsanschauungen haben sie ihren Glauben gerncih der
üatur ihres Randes, ihrem Polkscharakfer und ihrer fortschreiten-
den Gesittung eigenartig und tiefsinnig ausgebildet. Das läht sich
selbst aus den Trümmern unsrer Überlieferung erkennen, zu deren
') Vgl. Liermann-Schmidt, Deutsches Lesebuch für Quinta, flr. 31, „Die Götter
der Germanen", flr. 32 „Baldur und Loki", Liermann=Vilmar, Lesebuch für Unter*
tertia, flr. 9 „Wodan = Odin“, flr. 10 „Asgard", flr. 11 „Die Götterdämmerung". —
E. Illogk, Germanische sflythologie, Sammlung Göschen, flr. 15, Leipzig 1906 (mit
Literaturangaben); A. Zeh me, Germanische Götter* und Heldensage. Unter An-
knüpfung an die Lektüre für höhere Lehranstalten .... dargestellt. Leipzig 1901.
W. Go Ith er, Götterglaube und Göttersagen der Germanen (Deutsche Schulaus-
gaben, hrg. von 3. Ziehen, Dresden, Ehlermann, Bd. 1). — Fr. v. d. Legen,
Deutsches Sagenbuch. Ceil 1: Götter und Göttersagen der Germanen, München
1908. — P. ßerrmann, nordische Mythologie, Leipzig 1903.
1.
2.
3.
1.
2.
3.
1.
2.
1.
2.
3.
1.
2.
3.
Ergänzung die nordische Edda nur mit großer Vorsicht herange-
zogen werden darf, da sie auf einer weit späteren Entwicklungs-
stufe, und zwar nur der Nordgermanen, auch schwerlich ohne christ-
lichen Einfluß entstanden ist.
5 Wenn dem Griechen an den sonnigen Gestaden des Mittel-
meeres die Naturgewalten ganz überwiegend als freundliche Mächte
entgegentraten, so empfand der Germane unter feinem rauheren
Bimmel in gleichem Mafte ihr segensreiches wie ihr zerstörendes
Walten. 5hm gestaltete sich deshalb das ganze heben der Natur
io und der göttlichen Wesen, in denen ihm ihre Kräfte verkörpert
schienen, als ein beständiger Kampf der guten Götter, der Äsen,
der „Stuften" des Weltbaues, gegen die zerstörenden, menschen-
und kulturfeindlichen „Riefen" oder „Dürfen"1), die Götter einer
roheren Entwicklungsstufe, und wie der Kreislauf des Sahres be-
i5 stimmt wird vorn hause und von der bald stärkeren, bald schwächeren
Wirksamkeit der Sonne, so herrschen in der einen Bälfte die Riefen,
in der anderen die Men. Wenn in der Mitte des wahres die
Sommersonnenwende den Beginn der kürzeren Cage einleitet, dann
steigt die Gewalt der Riefen; wenn der Schneefturm um die Dächer
20 heult und die Stämme des Waldes bricht, wenn im Frost Flüsse
und Bäche erstarren, wenn die Erde wie im Dodesschlafe ruht, in
den langen, dunklen Winternächten, erreicht diese Macht den Böhe-
punkt, aber sie nähert sich auch dem Ende. Denn mit der Winter-
sonnenwende, mit der Zunahme des hichts steigen die Men wieder
25 zur Berrschaft empor und spenden Segen der Erde wie den Menschen.
Der älteste aller Götter, aus dem sie alle hervorgegangen
find, ist Ziu (Tiu, d. h. der Strahlende), der Gott des Bimmels,
der griechische Zeus. Weit verbreitet, insbesondere bei den öst-
lichen Germanen, den Sueben (Semnonen, hangobarden, Marko-
30 mannen, Bermunduren) und Goten wie bei den ihnen nahestehen-
den Chatten und Cheruskern, war feine Verehrung. Bei den
Bayern (Markomannen) hieft er Ero, bei den Cheruskern Sax-
not oder Beru-). Allmählich wurde er vorwiegend zum Kriegs-
gott, dem griechischen Ares entsprechend, mit dem er als Ero
35 auch den Namen gemein hat. Sein Kultus vereinigte die nach
ihm genannten Stämme der Berminonen unter Führerschaft der
*) mhd. türse, turse.
2) vgl. Gresburg.
1
Semnonen zu einer religiösen Genossenschaft. 3hm zu Ehren wurde
von nackten Jünglingen der Schwerttanz aufgeführt, den üacitus1)
als das fehenswürdigfte Schauspiel germanischer Feite eingehend
schildert und der sich in kellen bis in die neuere Zeit erhalten hat.
Verdrängt wurde üiu später mehr und mehr von Wotan
(Wodan, nord. Odin), der nun zum Götterkönig aufstieg. Wotan
ist der Allvater, der Gott des Kimmeis, d. h. des buftmeeres in
feinen Wandlungen, der „Wehende", „Durchdringende", der kerr
des Sturmes, der auf weitem Roß, im blauen Mantel, auf dem
kaupte den grauen Sturmhut, langbärtig, einäugig (denn auch der
Kimmei hat nur ein Auge, die Sonne) oder auf dem „Kimmeis-
wagen" durch die Düfte fährt. Deshalb entwickelte er sich zum
Gott des Geistes, der unsichtbar und doch fühlbar ist wie die Duft;
daher ist er auch der Schirmer der geistigen Arbeit, des Vorlebens
und des Erfindens, wie des Willens und Dichtens, der lein Auge
hingegeben hat, um die Weisheit der Riefen zu erwerben, und feine
beiden Raben ausfliegen läßt, damit sie ihm von der Welt Kunde
bringen, das mythische Urbild des Fault, aber auch der Gott der
Fürsten und Seiden, der geistigen beiter des Volkes, der über
ihren Schlachten als Siegipender waltet. Es leuchtet ein, das}
Wotan schon einer höheren Entwicklungsstufe angehört; er ist eine
Kulturerscheinung, ein Abglanz höherer Bildung, der Gott insbe-
sondere der nordwestlichen Stämme, der Jftväonen und der Jng-
väonen, die zuerst mit der keltisch-römischen Gesittung zusammen-
stießen.
So vertritt nun auch fein Sohn Donar (altnord. Chor) nicht
die Kultur einer Romadenhorde, sondern anfälliger Völker; lein
Dienst kann also erst später ausgebildet worden lein. Zunächst
der Gott des Gewitters, entwickelte er lieh, da dieses bald segens-
reich, bald zerstörend in das beben des Menschen eingreift, zum
Gott des Ackerbaues und daher aller Kultur. Mit dem Wurfe
feines Summers, des Blitzstrahls, zersprengt er die Felsrieien, * 2
üacitus’ Germania für den Schulgebrauch erklärt von Eduard Wolfs,
2- Buff. Leipzig 1907. — Die Germania des üacitus in: „Statuen deutscher Kultur",
Bd. 1. Berausgegeben von Will Vesper, stlünchen 1906. — Lies Gustav Frey»
tag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, heipzig, Bfrzel. Erster
Band. Bus dem ITlittelalter. (Abschnitt 1. „Bus der Römerzeit". Darin „Die
Germania des üacitus und ihre Bedeutung".)
5
10
15
20
25
30
8 Egart ELd rgrf ELd ELd EL?«^ Eg»? Egy? cg»? Egd Egr? Eg»?
die den Anbau hemmen, bestimmt er die Flurgrenzen1), heiligt
er die Che. So ist er der Beifer und zugleich das Vorbild des
deutschen Bauern, in feiner Erscheinung wie in seinem Wesen; stark,
vierschrötig, rotbärtig, die Band im Stahlhandschuh (denn ftahlhart
5 muH die Faust des Bauern sein), von zorniger Leidenschaft und
wildem Ungestüm, so fährt er einher auf feinem rollenden Donner-
wagen, den ein Ziegenpaar zieht. Der Fuchs ist sein hieblingstier
wegen feiner roten Farbe, die Eiche sein hieblingsbaum, weil sie
den Blitz besonders anzieht. Sn ihrem Rauschen läht sich seine
io Stimme vernehmen.
sieben diese Dreiheit der Bimmelsgötter, deren Einzelwesen
die Römer nach ungenauen, nur die eine oder die andere Seife
berücksichtigenden Beobacktungen mit Merkur (Wotan), Berkules
(Donar) und Mars (Ziu) verglichen, tritt noch eine Reihe anderer
i5 Gottheiten, die mit der Erde zusammenhängen, von weniger deut-
licher Ausprägung und zum üeil wohl auch nur von örtlicher oder
landschaftlicher Bedeutung. Fro (nord. Freyr oder Foriefi),
ein Sohn der Erdmutter, fördert durch Regen und Sonnenschein
das Wachstum der Früchte; auf goldborstigem Eber reitet er im
20 linden Abendwinde segnend über das wogende Ährenfeld. Seine
Schwester Frouwa (nord. Freya) ist als Wotans Gemahlin die
Schirmerin der Ehe und des Bauies; als Frau Bolle (Bolda)
kannte man sie in Thüringen, als Berackta (Berta), d. h. die
Bergende, in Bayern. Als Herthas, die „Unterirdische", ver-
25 ehrten besonders die Sueben die Mutter Erde auf einer Sniel im
(baltischen) Meere im heiligen fiaine, aus dem von Zeit zu Zeit
ihr Bild auf einem von weihen Kühen gezogenen Wagen in feier-
licher Umfahrt dem Volke erschien; als Bel, d. h. die Behlerin,
die Umhüllende, Verbergende, nahm sie die Toten in ihr Schatten-
30 reich auf, die den „Strohtod" auf dem hager, nicht den Schlachten-
fod des Kriegers starben.
Ein unendliches Gewimmel göttlicher Wesen erfüllt überdies
Baus und Rasur. Die Rixen hausen im Wasser, die Alben (Elben
oder Elfen) schweben um die Bäume des Waldes, die Zwerge
35 hüten die Schätze der Berge, die Beimchen tummeln sich in
Baus und Bof; sie alle erweisen dem Menschen ihre Macht bald
freundlich-hilfreich, bald neckisch-boshaft.
vgl. Ortsnamen wie Donnersmark.
v&n r^s? v^n v^n c^s? c^n? g
2. Göfteruerehrung.
Wie der Sermone sich auf Schritt und Uritt von göttlichen Wesen
umgeben glaubte, io stellte er auch alle Bandlungen feines Lebens
und den ganzen Lauf des Safires unter ihren Schutz; denn in
feinen einfachen Verhältnissen fühlte er sich in den engsten Be-
ziehungen zu den Wechseln des ilaiurlebens, von denen er in der
üat weit abhängiger war als der mensch höherer Kulturstufen.
Geburt und Namengebung, Verlobung und Vermählung, Rodung
und Abgrenzung, Gericht und üod, alles umgab er mit sinnvollen
religiösen Bräuchen.
Sm Sulieft zur Wintersonnenwende feierte er die Wiederkehr
des Lichtes beim brennenden Scheiterhaufen; im März oder
April begrützte er den Einzug des Frühlings mit dem Austreiben
des Winters. Wiederum flammten die Feuer zur Sommersonnen-
wende wie zum Abschiede, wenn in der Sohannisnachf die feind-
lichen Riefen Macht gewannen.
Diese Feite verbanden sie stets mit Opfern, an die sich Opfer-
mahlzeiten der Feftgenoffen anschlössen. Rur selten bluteten auch
Menschen unter dem Messer, namentlich als Dankopfer für den
erbetenen Sieg, wie nach der üeufoburger Schlacht; meist opferte
man Eiere, dem Wotan zu Ehren z. B. Rosse.
Den Willen der Götter suchte man dabei aus den Eingeweiden
oder dem Blute zu erkunden, sonst aus dem Wiehern der weihen
Rosse, die Wotan geheiligt waren, oder aus dem Rauschen der
heiligen Eiche Donars, oder auch aus dem Werfen der Runen1).
Die Runen waren Laufzeichen, die auf uns unbekannten Wegen
wohl von den Griechen zu den Deutschen gelangt, auf „Buchitäben"
„eingeritzt"wurden und jede, abgesehen von der eigentlichen
Lautbedeutung, noch eine geheime Sinnbedeufung* 2 3) haften, fodah
der Loswerfende aus der Reihenfolge, in der er drei Stäbchen zog,
einen wahrsagenden Spruch gestaltete.
Für diese geistlichen Verrichtungen gab es Priester und Prieffe-
rinnen, gewih meist aus dem Adel, aber keinen feffgefdiloffenen
5
10
15
20
25
30
D d. i. Geheimnis, vgl. raunen, zuraunen.
2) writan ritzen, reihen, vgl. e. wrife schreiben.
3) z. B. H = Bagei, il — not.
10 Pgj? tait ta? ta? tai? r-sU- pg¡? ta? c^a
Priefferftand mit ausgedehnten Vorrechten, wie die keltischen Druiden
es waren; vielmehr brachten auch die Bäupfer des Volkes und
der Familie Opfer für ihre Genossenschaft. Alle diese Kulthand-
lungen aber vollzogen sich, wenigstens in der älteren Zeit, nicht in
5 üempelgebäuden, sondern in heiligen ßainen oder auf geweihten
Bergen und ohne Götterbilder.
3. Sprache und Dichtung.
mit Religion und Götterdienft hing aufs engste zusammen,
was sich sonst von geistigem heben bei den Deutschen regte. Aus
dem Werfen der Runen entwickelte fick die älteste Form der dent-
ro sehen Dichtung, der Stabreim1); denn die Worte, die mit den
gezogenen Runen begannen, wurden als die wichtigsten die „Stäbe",
d. h. die üräger der Verszeile. Dies aber hängt wieder mit einer
Eigentümlichkeit der deutschen Sprache zusammen, der Wortbetonung
nach dem Sinne, die demnach, im Gegensatze zum Griechischen,
15 den Bauptton auf die Stammsilbe legt. Eine Folge davon war
freilich auch die allmähliche Abschiebung und Verdünnung der ur-
sprünglich so klangvollen, vokalreichen Endungen; aber was damit
der Spracke an äusserer Schönheit verloren ging, ersetzte sie durck
eine der weckfeinden Bedeutung fick anfliegende Änderung des
20 Stammvokals, den Ablaut. Mit solchen Mitteln einer überaus
bildsamen Sprache haben nun die Deutschen schon in der ältesten
Zeit eine Fülle von Poesie entfaltet, sowohl in der reichen Damen»
gebung, die bald, auch bei Frauen, an Kampf und Krieg an-
knüpft, bald die Schönheit und Anmut betont, wie im Göttermythus
25 und in der Beldenfage, von der wir freilich nur wissen, datz sie
vorhanden war.
4. Cod, Begräbnis, künftiges heben.
Einfach also gestaltete sich das heben der Deutschen als eines
kräftigen Daturvolkes, doch es war weder arm noch roh, bewegt
von wenigen, aber starken Empfindungen, in engen Kreisen be«
30 schloffen, aber von sinnvollen, poetischen und religiösen Formen
umgeben und geweiht. Sie blieben dem Germanen auch treu,
wenn er aus dem heben schied. Auf dem Scheiterhaufen, um-
l) Alliteration, Anlautreim, !. metrische Anmerkungen im Anhang des Ireiebuches.
cagj? egg? ttsn Egi? Egrr Egg? Egg? Egg? pgj? c^i? Egg? Egg? Egg? Egg? j j[
geben von den Lieblingswaffen und den Reichen der Lieblings-
tiere, wurde der Leib des Fürsten oder £dlen verbrennt, dann in
hochgetürmtem Grabhügel die fliehe in einer Urne beigeletzt.
Selbst Sklauen fielen dabei als Opfer, auch die überlebende Gattin
hat sich zuweilen freiwillig in die Flammen gestürzt. Andere 5
wurden begraben. Frauen und solche, die den „Strohtod" auf
dem Lager starben, gingen klanglos ein in Bels dunkles, freuden-
loses Reich. War aber der Krieger im Kampfe gefallen, dann
trugen die Schlachtenjungfrauen, die Walküren, ihn empor zu
Wotans Walhalla; dort schmausten und fochten die Beiden wie im 10
irdischen Dasein, dessen verklärtes Abbild das jenseitige Leben war1).
4. Aus den Götterliedern der sogenannten älteren Edda ).
a) Der Seherin Weissagung (Voluspä).
Die Edda, übersetzt und erläutert von Hugo Gering. Leipzig 1892
(HTet)ers KlassiKer-Nusgaben).
1. heische Gehör von den heil'gen Geschlechtern,
V§S von Heimdalls ^) Kindern, den hohen und niedern;
>) Anschauungsmittel zu diesem und zu den folgenden Lesestücken:
3) lDandbilder zur deutschen Götter- und Sagenwelt, hrg. v. 3. Lohmeper mit
Texten v. $. u. Eh. Dahn. In Lichtdruck ausgeführt, Halle, Waisenhaus, 1904 ff.
Erste Serie, Blatt l. Gdhin-Wotan auf dem Weltthron. Nach d. (Original
von Gehrts, Blatt 2.-Thor-Donar auf dem Ziegengespann iGehrts),
Bl. 3. Walküren auf dem Schlachtfelde (Gehrts). — Zweite Serie, Bl 3
Baldurs und Hannas Begräbnis(hendrich), BI. 4. Frepa auf d. Sonnen-
wagen <W. Friedrich). - Dritte Serie, Bl. l. Loki bei Thrpm (Gehrts),
Bl. 3. Walhalls Wonnen (Gehrts). — d) Walküre von Hans Thoma
Bild Nr. 31 in „E)ans Thoma, ein Buch seiner Kunst", hrg v. d. Freien Lehrer-
vereinigung für Kunstpflege, Mainz 1906, Ios. Scholz.
2) Jakob und Wilhelm Grimm, Lieder der alten Edda, Berlin 1813.
(Neueste Ausgabe der deutschen Prosaübersetzung von hofforp, Berlin 1883 zur
Grimmschen Jahrhundertfeier). K. hildebrand, Die Lieder der älteren
Edda, 2. 5lusl. 1904, besorgt von Hugo Gering. - Eddalieder mit Grammatik,
Übersetzung und Erläuterungen von W. Nanisch, Sammlung Göschen, Nr. 171. —
W. Golther, Nordische Literaturgeschichte, I. Teil. Die isländische und nor-
wegische Literatur des Mittelalters, Sammlung Göschen, Nr. 254. — Über den
gegenwärtigen Stand der Eddaforschung: B. Sijmons, Die Lieder der Edda,
Halle 1906. — Mit dem altisländischen Prosaschrifttum macht uns Arthur Bonus
durch fein ,,Isländerbuch" bekannt (Band I—III, hrg. vom Kunstwart,
München 1907. Im ersten und zweiten Band eine „Sammlung altgermanischer
Bauern- und Königsgeschichten").
s) Die Menschen stammen von dem Gott Heimdall ab.
12
Walvaterh wünscht es, so will ich erzählen
Der Vorzeit Geschichten aus frühster Erinnerung.
2. Zu der Riesen Rhnherrn reicht mein Gedächtnis.
Die vor Zeiten erzeugt mich haben,-
Neun Welten kenn' ich. neun Räume des Weltbaums1 2 3 4 *),
Der tief im Innern der Erde wurzelt.
3. In der Urzeit war's. als hmir^) lebte:
Da war nicht Ries noch Meer noch kalte woge,-
Nicht Erde gab es noch Gberhimmel,
Nur gähnende Kluft, doch Gras nirgends.
4. Da lüpften Bursh Zähne die Erde empor
Und erschufen den schönen Midgards,
von Lüden beschien die Zonne den Boden,
Da wuchs auf dem Grunde grünendes Rraut..................
5. Da gingen zu Zitze die Götter alle,
Die heiligen Herrscher, und hielten Rat:
Sie benannten die Nacht, Neumond und Vollmond,
Morgen und Rbend, Mittag und Vesper,
Die Zeiten all zur Zählung der Jahre.
6. Ruf Idafeld kamen die Rsen zusammen,
Rltäre zu schaffen und Tempel zu bauen,-
Zie gründeten Essen, das Gold zu schmieden,
hämmerten Zangen und Handwerkszeug.
7. Im Hofe übten sie heiter das Brettspiel —
Rn blitzendem Golde gebrach's ihnen nicht —
Bis die mächtigen drei Mädchen7) kamen,
Die Töchter der Riesen aus Thursenheim 8).............
8. Da kamen zum Meerstrand mächtig und hold
Rus diesem Geschlecht drei der Rsen,-
1) Gdin in Walhall.
2) Weltesche l)ggdrasil s. Strophe 10.
3) flus dem Körper des t)mir, des Stammvaters aller Kiesen, erschufen
die Götter die Welt; l)mir d. i. „der Kauscher".
4) Die Söhne Burs, des zuerst erschaffenen Wesens, hießen Ddin, Wili und We.
b) In der Mitte der Welt lag Midgard, die Wohnstätte der Menschen.
<4 Idafeld: „Feld rastloser Tätigkeit"; hier hielten sich dieKsen, die Götter, auf.
7) Schicksalsgöttinnen, Kornett, s. Strophe 11.
«) Thursen: Kiesen.
Huf freiem Felde fanden fie kraftlos
Hskh und Embla, unsichern Loses.
9. hauch und Seele hatten sie nicht,
Gebärde noch Wärme noch blühende Farben,-
Den hauch gab Odin, hönir die Seele,
Lodur die Wärme und leuchtende Farben.
10. Line Esche kenn' ich, hggdrasil heißt sie,
Den gewaltigen Daum netzt weißes Haft;
Don dort kommt der Tau, der die Täler befeuchtet;
Immergrün steht er an der Urd 2) Ouelle.
11. (Es steht ein Saal am Stamme des Baumes,
Drei weise Iungfrau'n wohnen darin:
[Die eine heißt Urd , die andere Werd an di
- Sie schnitzten in schindeln - Skuld ist die drittes
Des Lebens Lose legten sie fest
Den Menschenkindern, der Männer Schicksal.
b) Odins helfahrt.
Die Cdda. Deutsch von Wilhelm Jordan. 2. Ñufl. Frankfurt a. ITC., 1890.
1. ffium R°t versammelt
Laßen die Hsen,
Die Hsinnen alle,
Und hielten Umsprach.
Dermutungen tauschten
Die mächtigen Götter,
Weswegen dem Balders
5o Böses geträumt.
2. Lr schlief so schlecht,
Hls umschlängen ihn Fesseln;
Des Schlummers Erquickung
Schlug in Oual um.
Hu Wahrsager wandten
Sich da die Gewalt'gen
Und forschten, ob es Furcht-
Dorbedeute. sbares
D Ñsk: Esche; Lmbla: Ulme (?). flus diesen Bäumen schaffen die flsen
das erste ITCenschenpaar.
2) Urd, Werdandi und Skuld: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
3) Balder, altnord. Baldr („Herr"), Lohn Gdins und der Frigg. Seine
Gattin war Uanna. Über feine Verehrung in Deutschland vgl. den zweiten
ITCerseburger Spruch, 5. 4 des Lesebuches.
14 Egg»? K-Ld r^ñ kLÄr Ezgj? t^s? kLr- I^SÄ? c¿gy
3. Die Befragten versetzten:
Früh zu sterben
Ist das Los des liebsten
Der Lieblinge Ullers :).
fingst erfaßte
Frigg und Gdin
Und die anderen Usen.
Lie wurden einig,
4. Gesandte zu senden
5ln sämtliche Wesen
Mit der Bitte, den Balder
Zu verschonen mit Schaden.
Ihn nicht zu verletzen,
Gelobte jedes,
Und in Eid nahm alle
Odins Gemahlin.
5. Doch dem Walvater dünkte
Die Bürgschaft dürftig;
Ihm schienen zu scheiden
Die schützenden Bornen.
So berief er die Usen
Und forderte Uat.
Ñus unschlichtbaren Ueden
Reifte kein Beschluß.
6. Da erhob sich Gdin,
Der Volkserhalter,
Sattelte Sleipnern^)
Und ritt ohne Säumen
hinunter ins Uachtreich.
Rn Niflheims^) Grenze
Rain ihm der Hund
Der helh entgegen.
7. Seine Brust war gerötet
von Blutgerinnsel,
Zum Bisse der Rachen
Weit aufgerissen.
Mit grellem Geheul
Und gierig gähnend
Bellte er laut
Den Liedvater an.
8. Der sprengte vorwärts.
Das Felsengefüge
Des Bodens bebte
Dumpf donnernd.
So gelangt' er in helas
hohen Palast.
Doch rasch nach dem Osttor
Durchritt ihn Odin.
Dortwußt'erdenGruftbühlö)
Der wissenden Greisin6).
9. Ertönen ließ er
Das Eotenwecklied;
Rach Norden gerichtet
Entwarf er die Runen
Und forderte dann
Mit unfehlbaren Formeln
Uller, Ull, altnord. Ullr, Stiefsohn des Thor; er war als Schneeschuh- .
läufer und Bogenschütze berühmt.
2) Sleipnir, achtfüßiger Hengst.
3) Niflheim, Neich des Nebels und der Kälte; Ntuspelheim, Muspelsheim,
lüelt des Feuers und des Lichts.
h Hel, Totengöttin.
5) Bühel, Bühl, (mhd. Kübel stm.)\ Hügel.
e) Zu „©bin bei der Wala" vgl. Nichard Wagner, Siegfried, dritter
Aufzug, Borspiel: „Wanderer und Erda" (5. 74 — 80 der Nusgabe von I. Burg-
hold, Mainz, Schott).
Cgjt Cjg»? Cgi? KiSrii? ügit Cagnt Kgl? Kgit t^it Pgj? Rgii t^ü |
voll Zaubergewalt
Den Zukunftswahrspruch,
Bis die widerwillige
Wala ausstand,
vom Todesgeschicke
Bescheid zu erteilen.
walaH)
10. wer bist du mir Fremder?
was weckst du mit Fragen
Zu bänglicher Sorge
Die Seele mir aus?
verschneit unter Schnee,
Umrieselt vom Uegen
Und taunaß lag ich
So lange schon tot.
Odin.
11. wegtamft heiß ich,
Der Sohn des waltam.
vorn Nachtreich Hunten
Gib du mir Nachricht,
was oben sich zuträgt,
will ich dir erzählen.
Für wen sind die Bänke
Belegt mit Vaugenft,
Der glänzende Gastsaal
Mit Gold überschwemmt?
Wala.
12. Für Balder steht hier
Schon der Becher bereit,
Drin den schäumenden Met
Lin Schild ihm bedeckt.
In Sorgen verzweifelt
Die Sippe der Usen.
Das beschworst du mir ab,-
Nun laß mich schweigen.
Odin.
13. verstumme noch nicht,
Gestehe mir alles.
Ich frage dich nun:
wer ist der Frevler?
wer begeht die Tat,
Die dem Balder den Tod gibt,
Den an Jahren so jungen
Schon jäh dahinrafft?
Wala.
14. hödur trägt
In der Hand den Treffer,
Den schädlichen Schößlingft,
Mit dem er's verschuldet,
Daß Balder durchbohrt
hieher verbannt wird,
Daß Gdins Sohne
Zu altern versagt ist.
Beschwörung entlockt mir's,
Nun laß mich schweigen.
Gdin.
15. verstumme noch nicht,
Gestehe mir alles.
ft Wala, Volwa, die Seherin.
2) Wegtam: „weggewohnt".
3) Bauge, Bauga, Bouge: Armring aus Silber, Gold oder Bronze, vgl.
rnhd. bouc, -Zes stm. größerer Hing, Spange, des. Hals- oder Armring als
Schmuck für Männer und Frauen.
Die Mistelpflanze.
c^i< c-sd tzsa k-ssr c^riv csgsi c^savz-a c^i\
Ich frage dich ferner:
Wer wird den Frevel
Km ruchlosen Mörder
Balders rächen
Und auf den Holzstoß
Den hödur heben?
Wala.
16. 3m Wintersaale
Gebiert den Mali
von Odin Uinda v)
Zum Uächer der Untat,
Der, nur eine Nacht alt,
Schon stark genug ist.
Gr kämmt sich dashaarnicht,
Noch wäscht er die Hände,
Bis er hödurn empor
Huf den Holzstoß gehoben.
Beschwörung entlockt mir's, —
Nun laß mich schweigen.
Odin.
17. verstumme noch nicht,
Gestehe mir alles.
Ich frage dich ferner:
Wer sind die Frauen,
Die zu weinen sich weigern
Und ihre Gewände,
Statt ihrhauptzu verhüllen,
Gen Himmel werfen?
Nur das noch entschleiere,
Dann schlafe weiter.
Wala.
18. Nicht, wie ich wähnte,
wegtam bist du,
Sondern Odin,
Der Kllerhalter.
Odin.
weder Wahrsagerin
Bist du, noch Wala!
Du bist vielmehr
Die Mutter der Normen.
Wala.
19. Neite zurück nun
Und rühme dich, Gdin,
Daß du gekonnt,
was von Lebenden künftig
Niemand erreicht:
Mit mir zu reden,
GH' los und ledig
Loki der Fesseln
Und die Ordner enden
Km Unheilstage.
i) eine Riesin.
c) Das Lied von Thrpmh.
Die Edda. Übersetzt und erläutert von Hugo Gering, Leipzig 1892
(Hterjers Klassiker-stusgaben).
1. war IDingitjor* 2), als er erwachte
Und irtjolnir3 *) vermißte, den mächtigen Hammer:
Ls schüttelte den Bart, es schwenkte das haar
Der Lrde Lohn, um sich greifend.
2. Das erste Wort, das er aussprach, war dies:
„höre du, Lokih, was hiemit ich melde -
Noch ahnt es keiner im Erdenreiche
Noch oben im Himmel- der 5ls' ist des Hammers beraubt!"
3. Sie gingen zum herrlichen Hofe der $rei)|a5);
Das erste Wort, das er aussprach, war dies:
„Willst du mir, Frepja, dein Federkleid leihen,
Den geraubten Hammer zurückzuholen?"
4. „Ich gab' es dir gern, wenn von Gold es auch wäre
Dder leuchtendem Silber, ich lieh' es dir doch!"
Da flog Loki, das Federkleid rauschte,
hinter sich ließ er die Gehöfte der Usen
Und erreichte bald der Uiesen Heimat.
5. Ruf dem Hügel saß Thrym, der Herrscher der Lhursen,
Wand den Uüden Bänder aus rotem Golde
Und machte den Rossen die Mähne glatt.
1) „Thrym, der Lärmer, ein Sturm- oder Eisriese, hält den Blitz die
acht nordischen Wintermonate hindurch zurück, sodaß während dieser Zeit die
Tätigkeit des Donnergottes ruht. Im Frühjahr aber erlangt Thor mit Hilfe der
Freyja, der Frühlingswolke (Federgewand) mit ihrem befruchtenden Hegen, seine
Waffe wieder, er bricht die Macht des Winters. So besingt das Lied von der
Wiedererlangung des Hammers die neu erwachte Sommerkraft." (st. Zeh me,
Germanische Götter- und Heldensage, 5. 84, Leipzig 1901). — vgl. die Nach-
dichtung stdelbert von Thamissos (Werke, herausgegeben von h. Kurz,
Bd. 1, Meyers Klafsiker-stusgaben).
2) „Schwingthor", Donnergott.
3) „Zermalmer", der Hammer, der sein Ziel nie verfehlt und nach dem
Wurfe stets von selbst in Thors Hand zurückkehrt.
4) „Schließer, Beender", Gott des Feuers, das nach germanischem Glauben
das Ende aller Dinge herbeiführt, Dämon des Unheils.
b) „Herrin", Spenderin des Sommerregens, Göttin der Fruchtbarkeit,
der Liebe.
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch.
2
18 ^ ta? ta? c^gjse pgjs? ta? Kgi? tart ta? ca? ta? ca? pgg?
Thrym.
6. wie steht's bei den Usen, wie steht's bei den Elben?
Was reistest du einsam nach Miesenheim?
Loki.
Schlimm steht's bei den Usen, schlimm steht's bei den Elben,-
fjajt du i^lorriöis1) Hammer verborgen?
Thrym.
7. „Ich habe Hlorridis Hammer verborgen
UchtH Meilen tief im Erdenschoße,-
Keiner wird ihn wiederbekommen,
Führt man mir Freyja zur Frau nicht her."
8. Da flog Loki, das Federkleid rauschte,
Hinter sich ließ er die Heimat der Kiesen
Und eilte heim zu der Usen Gehöften.
Es trat im Hof schon Thor ihm entgegen,
Das erste Wort, das er aussprach, war dies:
y. „Meldest Erfolg du, der die Mühe verlohnte?
In der Lust verkünde den langen Bericht!
Wer sitzt, vergißt oft, was er zu sagen hat,
Und der Liegende kommt gern mit Lügen zu Tage".
Loki.
10. „Ich melde Erfolg, der die Mühe verlohnte:
Thrym hat den Hammer, der Thursen Beherrscher,-
Keiner wird ihn wiederbekommen,
Führt man ihm Freyja zur Frau nicht hin."
11. Sie gingen zum herrlichen Hofe der Freyja,
Das erste Wort, das er aussprach, war dies:
„Schmücke dich, Freyja, mit dem Schleier der Braut,
Wir zwei müssen reisen ins Kiesenland."
12. In schrecklichem Zorn schnaubte Freyja,
Die Burg der Ksen erbebte davor, 1 2
1) Thor, „der brüllendeZWetterer (?)".
2) Acfjt Wintermonate lang.
EigS? kLN KL4- Cägj? Kagf? k^S- I^LLr kLLr C^£i Cgjft Cggj? Csgi? [ <}
Zerbrochen fiel nieder das Vrisingenhalsband h:
„Die männertollste müßte ich heißen,
Reiste ich mit dir ins Riesenland."
13. Die Rsen alle eilten zum Thingplatz,
Die Rsinnen auch kamen alle zum Rat,-
Das berieten die ruhmvollen Götter,
Wie man hlorridis Hammer holen könnte.
14. Das Wort nahm Heimdalls, der weiseste Rse, —
Er wußte die Zukunft, den Wanen^) gleich — :
„Schmücken wir Thor mit dem Schleier der Braut,
Er trage das breite Vrisingenhalsband.
15. „Reicht ihm den Ring mit den rasselnden Schlüsseln,
Saßt Weiberröcke ihm wallen ums Rnie,
Die Brust ziert ihm mit breiten Steinen
Und krönt den Ropf ihm mit kunstvollem putz!"
16. Thor gab Rntwort, der Rsen stärkster:
„Weibisch werden mich nennen die waltenden Götter,
Lass' ich mich schmücken mit dem Schleier der Braut."
17. Da sagte Soki, der Sohn der Saufeph:
„Schweige du, Thor, nicht schwatze solches!
Bald werden die Thursen thronen in Rsgardh,
holst du dir nicht deinen Hammer wieder."
18. Da schmückten sie Thor mit dem Schleier der Braut
Und mit dem breiten Vrisingenhalsband.
19. Sie reichten den Ring ihm mit den rasselnden Schlüsseln,
Ließen Weiberröcke ihm wallen ums Rnie,
Zierten die Brust ihm mit breiten Steinen
Und krönten den Ropf ihm mit kunstvollem putz.
1) von kunstfertigen Zwergen, den Brisingen („Flechtern") geschmiedet.
2) Gott des Frühlichts, Wächter des Himmels, („der über die Welt glän-
zende").
3) Göttergeschlecht, mit denen die 5lsen gekämpft.
<) „Laubinsel".
5) Burg der 6sen.
2*
20
20. Da sagte Loki, der Lohn der Läufer;:
„5lls Magd verkleidet werde ich mitgehn,
Wir zwei müssen reisen ins Riesenland."
21. heim trieb man hurtig die gehörnten Böcke
Und schirrt' an die Deichsel die schnellen Remter;
Die Berge barsten, es brannte die Erde,
Thor, Odins Lohn, fuhr ins Thursenland.
22. Da sagte Thrpm, der Thursen Beherrscher:
„Steht auf, ihr Riesen, bereitet die Bänke,-
Nun führt man Zreyja zur Frau mir her,
Des Njordh Tochter aus Noatun-).
23. Es gehn zum Hofe goldgehörnte Rühe,
Tiefschwarze Ochsen dem Thursen zur Lust;
viel Rleinode hab' ich und köstlichen Schmuck,
Nur Freyja allein fehlte mir noch."
24.
Der Rbend war zeitig
Und Bier zum Trünke
Einen Ochsen aß Thor
Rlles Würzwerk auch,
Dazu trank Sifs3) Gatte
angebrochen
den Thursen gebracht;
und acht Lachse,
das den Weibern bestimmt war,
der Tonnen dreie des Mets.
25. Da sagte Thrpm, der Thursen Beherrscher:
„wo fandest du je so gefräßige Bräute?
Nie sah ich Bräute solche Bissen schlingen
Roch mehr des Metes ein Mädchen trinken."
26. Bei Hrepja saß die findige Magdh,
Die Erwid'rung wußte aus das Wort des Riesen:
„Nichts aß Freyja seit acht Nächten,
So heiß war ihr Sehnen nach der Heimat der Riesen."
27. Den Schleier hob er, ein Schmätzchen begehrend,
Doch entsetzt sprang er in den Saal zurück:
0 Gott des zur Sommerzeit den Verkehr gestattenden Meeres.
2) „Schiffsstätte, Hafen."
3) Die Frau Thors; sie stellt den durch den Gewitterregen befruchteten
Acker dar. Vas goldene Ahrenfeld ist ihr Haar.
4) Loki.
„Warum funkeln so furchtbar Freyjas Rügen?
Mir deucht, es flamme Feuer darin!"
28. Lei Freya saß die findige Magd,
Die Trwid'rung wußte aus das Wort des Riefen:
„Kein Rüge schloß Freyja seit acht Nächten,
So heiß war ihr Sehnen nach der Heimat der Niesen."
29. hinein trat des Thursen betagte Schwester a),
Die das Brautgeschenk zu erbitten wagte:
„Saß vom Rrm dir die roten Ninge streifen,
Willst gern du erwerben die Gunst der Riten,
Die Gunst der Riten, ihre ganze Huld."
30. Da sagte Thrqm, der Thursen Beherrscher:
„Bringt nun den Hammer, die Braut zu weihen,
Den Mjolnir legt in des Mädchens Schoß,
In Wars?) Namen weiht unsern Bund!"
31. Dem hlorridi lachte das herz in der Brust,
Rls der hartgesinnte den Hammer erblickte,-
Thrqm erschlug er zuerst, den Thursengebieter,
Und zerschmetterte ganz das Geschlecht der Niesen.
32. Tr erschlug auch des Thursen betagte Schwester,
Die das Brautgeschenk erbeten hatten
Schläge bekam sie an der Schillinges Statt,
Und hammerhiebe erhielt sie für Ninge.
So holte sich Odins Sohn seinen Hammer wieder.
0 die ctrmut des winters (nach Uhland).
2) Göttin der Gelübde.
3) ahd. scillinc, nchd. schülinc, - ges stm. zu skellan tönen, eigentlich
„klingende Münze", e. Shilling.
22 Cigi? cgi? Pg»? k-LUk kLU? PgS? r-Ld gigSiV^ii
5. Chors Bommerwurf.
Felix Vahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts. Bd. 17. Gedichte, Zweiter
Band. Leipzig 1898.
1. ^^^hor stand am Mitternacht-Ende der Welt,
&& Die Streitaxt warf er, die schwere:
„Zoweit der sausende Hammer fällt,
Sind mein das Land und die Meere!" —
2. Und es flog der Hammer aus seiner Hand,
Flog über die ganze Erde,
Fiel nieder an fernsten Züdens Uand,
Daß alles sein eigen werde.
Z. Zeitdem ist's freudig Germanenrecht,
Mit dem Hammer Land zu erwerben:
wir sind von des Hammergottes Geschlecht
Und wollen sein Weltreich erben!
6. hohes Ritt.
Hermann Lingg, Jahresringe. Neue Gedichte. Stuttgart 1889.
1. ist mein Roß,
(sfc*? Es hungert sehr,
Ich jag's in den Troß,
Ins fliehende Heer.
Nichts hemmt, nichts schränkt
Des hungrigen Wut,
Die Untreu' tränkt
Und wäscht es mit Mut.
2. Es wiehert nicht hell,
Es schleicht ins Land,
Es sträubt sein Fell,
Zein rauh Gewand.
In steinöder Zchlucht,
Da halten wir Nast,
Die Ländersucht
Ist immer mein Gast.
3. Vir reiten geschwind,
Mein Zügel und Zaum
Lind Lchlangengewind,
Betrieft von Zchaum,
Gepeitscht vom Wind.
4. Wo Feuer frißt,
Da sind wir zwei,
Wo Trug und List,
Lind wir dabei.
Wo Zwietracht wägt
Und Unrecht haust,
Den Huf beschlägt
Verräters Faust.
5. Ich reit' und reit'
Mit allem gesellt,
Was fälscht und entzweit,
Uns Ende der Welt,
Uns Ende der Zeit.
7. nordmciimerlied.
Joseph Victor von Scheffel, Ekkehard, 224. 6ufl. S. 120, Stuttgart 1907.
1- er Übend kommt und die Herbstluft weht,
Cgp Ueifkälte spinnt um die Tannen,
G Üreuz und vuch und Mönchsgebet —
Wir müssen alle von dannen.
2. Die Heimat wird dämmernd und dunkel und alt,
Trüb rinnen die heiligen (Quellen:
Du götterumschwebter, du grünender Wald,
Zchon blitzt die Uxt, dich zu fällen!
3. Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer,
Erloschen sind unsere Zterne —
24 ta? cg»? Kgj? cäsi? Rgj? i^gj? Kgj? tzsm Kggj? Rgj? ggj? ta?
G Island, du eisiger Fels im Meer,
Steig auf aus nächtiger Ferne!
4. Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht —
Ruf geschnäbelten Schiffen kommen
Die alten Götter, das alte Recht,
Die alten Nordmänner geschwommen.
5. Ivo der Feuerberg loht, Glutasche fällt,
Sturmwogen die Ufer umschäumen,
Ruf dir, du trotziges Ende der Welt,
Die Winternacht woll'n wir verträumen!
8. Osr Sigurdmyfhus,
Alfred Biese, Deutsche Literaturgeschichte, erster Band, S. 19—23, München 1907.
Die germanische Beldenfage wurde von den Franken weiter aus-
gebildet und verarbeitet. Die Büter dieses Bortes aber waren
in der Folgezeit die Skandinavier im Norden; denn die Norman-
nen, die zum Schrecken der Städte raubend und plündernd vom
s iTleere aus in die Flühe eindrangen, nahmen mit den geraubten
Geiseln auch den kostbaren Schatz der alten germanischen Sagen
mit sich. Bei ihnen verschmolzen lieh dann aus das wunderiamite
die gewitz uralten ITlythen von dem bichtgoff, der den dämoni-
schen mächten der Unterwelt zum Opfer fiel, von dem Goldschätze
io aus unterirdischem Zwergreich und von der Walküre Brunhild mit
der Sage von dem Beiden Siegfried, die vielleicht jüngeren, rhein-
fränkischen Ursprungs war.
Sn Ermangelung älterer Quellen find wir gezwungen, aus
den Reiten jener alten Sagen, den erst um das zwölfte 3ahr-
i5 hundert niedergeschriebenen biedern der skandinavischen „Edda",
Schlüsse aus die uns heute verloren gegangene Urgeftalt der
germanischen Beldenfage zu ziehen; und wenn es auch ein üppig
Rankenwerk ist, das die nordischen Sänger um deren Kern ge-
schlungen haben, so bekommen wir doch nirgend ein klareres und
i^i? tzsa t^i? Kgj? ras? cg»t ksS4- r-sL? ügi? r<L7D? tat 25
kräftigeres Bild von germanischem Göfterglauben und Sötterfabelei.
Da hören wir — um nur einige Grundstriche zu geben —: Odin,
ßönir und Loki kommen einstmals zu dem Andwarifall und er-
schlagen den in eine Fischotter verwandelten Ofr, geraten darüber
aber selbst in die Gewalt feines Paters Breidmar und kaufen sich
durch einen Schah und einen Ring los, die sie dem Zwerg And*
wari geraubt haben. Aber Loki weih: es haftet kein Glück an
dem Gold. Und so wird auch der Fluch, der auf jenem Schatz
ruht, die treibende Kraft in einer üragödie voll Leidenschaft, Per-
rat, Meineid, Meuchelmord. Fafnir, Ofrs Bruder, tötet feinen
Pater und hütet als Lindwurm das Gold, feinem Bruder Regin,
dem Schmied, keinen Anteil daran gönnend. Pon letzterem ist
Sigurd, der Sigmund, Wölfung und Odin zu feinen Ahnen zählt,
erzogen worden; er tötet mit dem Schwert Gram, das Regln aus
den Crümmern von Odins Schwert geschmiedet hat, den Fafnir,
und sterbend verkündet ihm dieser das Perderben:
Das glänzende Gold und die glutroten Ringe
bringen dir einst den Untergang.
Als Sigurd mit Fafnirs Berzblut die Zunge benetzt, versteht
er plötzlich die Sprache der Waldvögelein, die ihm Regins ränke-
volle Pläne verraten; er tötet Regin und macht sich auf den Weg zu
Brynhild, der Schlachtenjungfrau, von der ihm die Pögel erzählt
haben, dah sie, von Odins Scklafdorn gestöcken, auf einem von
lodernden Flammen umflossenen Berg schlummere. Sigurd durch-
schreitet auf dem Roh Grani die „Waberlohe", durchschneidet mit dem
Schwert die Brünne und weckt die Walküre; beide bekräftigen ihre
Liebe durch Creueide. Aber ihnen ist ein tragisches Ende bestimmt.
Die Grundlage dieser Erzählung läht sich zunächst als Cages-
zeifenmythus deuten. Der junge Cag gewinnt eine auf einsamer
Felsenhöhe schlummernde Jungfrau, die Sonne, die von dem
Flammenwall der Morgenröte umgeben ist, und weckt sie, auf dah
sie strahlend sich erhebe. Dock der Lichtheros, der Cag, erliegt
nach kurzem Dasein den Mächten der Finsternis, der flacht, und
die holde Jungfrau teilt sein Schicksal. Ähnlich hören wir in der
Edda auch von Swipdag, d. i. dem raschen Cage, der die Sonnen-
göttin, Menglod, aus der Band eines Riefen befreit.
Iläher aber liegt doch wohl die 3ahreszeitendeufung: ein
Lichtgott erlegt im Frühlingsgewitter den Wolkendrachen, fodah
5
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26
ihm befruchtender Regen entströmt, und gewinnt dadurch den Bort,
des Sommers reife, goldene Erdfrucht; mit dem Sonnenstrahl
durchbricht er die winterliche Eishülle der Erde und erweckt sie
zu neuem heben. Aber die Sonne verliert im Winter wieder ihre
5 wärmende Kraft, und die Erde erstarrt von neuem.
Und welches ist das Schicksal Sigurds ? Es verkettet sich auf
das großartigste in dem kurzen, aber wildbewegten Sigurdsliede
der Edda mit dem der gewaltigen Walküre, die in ihrer hiebe
wie in ihrem Baffe gleich heldenhaft ist. Sigurd kommt zum
io Saale Gjukis und schließt mit Gunnar und Bogni, des Königs
Söhnen, Blutsbruderschaft, nicht aber mit dem Stiefbruder Gutfhorm.
man bietet ihm die Schwester Gudrun zur Gattin an, und die
mutter Gunnars verwischt durch laubertrank die Erinnerung an
fein erstes Verlöbnis; dann fährt er mit den Königsföhnen gen
i5 norden, um Brynhild dem Gunnar zu gewinnen. Sigurd durch-
reitet für Gunnar die hohe und gewinnt damit Brynhild, die nun
das Bochzeiislager rüstet; aber besonnen legt der Beld das bloße
Schwert in des Bettes Mitte. Die furchtbare Ironie des Schick-
sals gibt der Brynhild den Jüngling, der sich ihrer würdig er-
20 wiesen hat, nur zu einer kurzen Scheinehe und kettet sie an den
mann, der die einzige Probe, die sie von dem künftigen Gemahl
gefordert hatte, zu bestehen nicht imstande war. nicht sowohl
Sigurds Eidbruch als vielmehr der gegen sie verübte Betrug war
nach der älteren Gestalt der Sage die Ursache von Brynhilds
25 Grimm, dem Sigurd zum Opfer fiel. Unablässig frißt an ihrem
Innern der Baß, und dieser wird durch den Streit mit der sleben-
buhlerin noch verschärft. Sie liebt Sigurd noch immer; aber da
sie ihn nicht besitzen kann, muß er sterben. Oft schreitet sie, wenn
Gudrun dem [liebsten zum hager folgt, Unheil brütend auf den
3o eisigen Gletschern dahin. Ihre hebensfreude ist getötet; sie sinnt
auf Mord. Sie lockt mit dem Golde Bogni, doch er ist durch
den Blutbund gefesselt; endlich übernimmt und vollführt Gutthorm
die Cat. Doch Grams leuchtende Klinge, noch aus der Band des
Sterbenden geschleudert, zerschmettert den Mörder. Gudrun
35 schwinden in tiefstem Schmerze die Sinne, wie sie den Erschlagenen
erblickt; hinsinkend schlägt sie die Bände so heftig zusammen, daß
„die Kelche laut erklirren im Winkel und hell die Gänse im Bose
aufschreien."
Egj? pgj? cgi? cgi? Eg»? Ezgs? Eg»? cgj? Eg»? c<s»? 27
Da lochte Brynhild, Budlis Cochter,
ein einziges iTloI aus inneritem Berzen,
als vom hager iie erlauschen konnte
Das gellende Weinen von Gjukis Cochter. —
Aber ihr Groll entlädt sich über Gunnar. Sie hat nur einen 5
geliebt — Sigurd, slun will iie mit diesem herben. Sie verteilt
ihre Schätze, verkündet Gunnar und den Seinen den Untergang
und ordnet mit wahrer Codesfreudigkeit ihre und Sigurds Codes*
hochzeit an. Wie einst das Schwert sie im heben trennte, soll es
jetzt sie im Code vereinen. So höht sie sich den Stahl in die 10
Brust; eine wahrhaft tragische Beldin, erliegt sie dem grausen
Verhängnis.
Gudrun versöhnt sich mit den Brüdern und heiratet flfli1);
dieser ladet, lüstern nach ihren Schätzen, die Brüder Gudruns ein
und läht sie erschlagen. Gudrun nimmt grimme Blutrache, denn 15
dem Bitgermanen bleiben die Bande des Blutes heiliger als die
zwischen Ehegatten: he gibt dem Versuchten zum grausen mahle
das Berz und das Blut feiner Kinder, erschlägt ihn im Bette und
läht den Palast in Flammen aufgehen.
9. Aus der altnordischen Volsunga-Saga-).
Regin erzählt seinem Pflegesohne Sigurd vom horte.
Knton Edzardi, Die Saga von den volsungen und Nibelungen, ans der alt-
nordischen volsunga-Saga frei übertragen. Stuttgart 1881.
áret6mar hieß mein Vater, mächtig war er und reich. Hafni
hieß sein ältester Sohn; der war bei weitem der stärkste und
grimmigste und wollte alles sich aneignen, was ihm vorkam. Dtr
hieß sein zweiter Sohn; der dritte war ich, und war an Wchtig-
') ctttila („Väterchen"), Etzel, König der Hunnen.
2) Vgl. auch E. Falch, vie Sage von den Ivölsungen und Niflungen.
Leipzig, Teubner, 1904.
28
keit und Ansehen der geringste. Doch verstand ich Eisen zu bearbeiten
und aus Silber und Gold und aus allen Dingen schuf ich allerlei
Nützliches. Anders geartet war mein Bruder Gtr und liebte andere
Beschäftigung: er war ein tüchtiger Fischer wie wenig andere,' in
5 Gttersgestalt weilte er tags im Wasserfall, fing Fische mit seinem
Maul und legte einen nach dem andern ans Land. Den Fang
brachte er dem Vater, dem das eine große Hilfe war. In vielen
Stücken glich er einem Gtter, kam spät heim und aß blinzelnd und
allein; denn er konnte auf dem Trockenen nicht sehen.
10 Odin, honi und Loke kamen einst auf der Wanderung zu
jenem Wasserfall. Da hatte Gtr gerade einen Lachs gefangen und
aß blinzelnd am Stromesuser. Loke warf den Gtter mit einem
Steine tot. Da meinten die Götter einen glücklichen Fang gemacht
zu haben und zogen ihm das Fell ab. An demselben Abend kamen
15 sie zu hreidmar und zeigten ihm ihre Beute. Da nahmen wir sie
gefangen und legten ihnen als Buße und Lösegeld auf, daß sie den
Balg mit Golde füllen und ihn auch von außen mit rotem Golde
verhüllen sollten.
Da sandten sie Loke aus, das Gold herbeizuschaffen. Der ging
20 zu Hart1), lieh ihr Netz und begab sich damit zu Andvares
EDafierfall; der war ein Zwerg, hielt sich aber in Hechtesgestalt in
diesem Wasserfalle auf und fing sich zur Speise Fische, deren da die
Fülle war. Loke warf das Netz vor dem hechte aus, und der Hecht
ging ins Netz. Da sprach Loke:
25 „W as für ein Fisch
In der Flut ist das?
Weiß sich nicht vor Schaden zu schützen.
Löse dein Haupt,
Das der f)el1 2 3) verfiel,
30 Und schaffe mir schimmerndes Gold!" —
„Ich heiße Andvare,
Ginh mein Vater,-
Manchen Stromsall streifend durchschwamm ich,'
Unseliges Schicksal
35 BeschiedmirdieNorn,
Daß ich sollte im Wasser weilen."
1) Gemahlin des Meergottes 6gi (Degir).
2) Herrin des Totenreiches.
3) Gegir (5legi), Meeresgott, Gatte Raus.
Loke ließ sich das Gold zeigen, welches Rndvare besaß,- und
dieser mußte es alles ausliefern. Nur einen Ring h hatte er zurück-
behalten, aber auch den nahm ihm Loke. Da ging der Zwerg in
seine Lteinhöhle und sprach den Fluch aus, daß es jedem den Tod
bringen sollte, der den Ning besäße und ebenso all das Gold.
Die Rsen gaben hreidmar das Gold und stopften damit den
Gtterbalg voll, stellten ihn dann auf die Füße und mußten nun noch
daneben Gold aufhäufen, um ihn noch von außen zu umhüllen. Rls
dies geschehen, trat hreidmar herzu und sah noch ein Barthaar; das
gebot er noch mit Gold zu bedecken. Da zog Gdin Rndvares Ring
von seiner Hand und bedeckte damit das haar. — Loke aber sprach:
„Nun hast du das Gold;
Doch hastet kein Glück
Rn dem Gold, das mein Leben gelöst.
Ruch deinem Lohne
Lrseh ich Unheil;
Luch beiden bringt es den Tod."
„hernach erschlug Fafni meuchlings seinen Vater," sagte Uegin,
„ich aber bekam nichts von dem Gute. Er ward vielmehr so argen
Zinnes, daß er sich in die Wildnis zurückzog und niemand Rnteil an
seinem Gute gönnte; und verwandelte sich in einen bösen Wurm, und
liegt als solcher auf dem horte.
Da begab ich mich zu dem Königes und ward sein Lchmied.
Weine Geschichte zeigt dir, wie ich des Vatererbes und der Bruder-
buße entbehre." — „viel hast du verloren", sprach Ligurd, „und
schlimm sind deine Blutsfreunde gewesen. 5o schmiede mir denn mit
deiner geschickten Hand ein Lchwert, so gut, daß kein besseres je
geschmiedet ward, ein Lchwert, mit dem ich, wenn der Mut mir
taugt, Großtaten vollbringen kann — willst du anders, daß ich
jenen großen Wurm erschlage." — „Das nehme ich mit Zuversicht
auf mich", sprach Regin, „und du wirst mit dem Lchwerte^) Fafni
erschlagen können."
1) Den Hing „Hndvaranaut" (d. h. „Kndvares früheres Eigentum"): er
konnte sich fortwährend vervielfältigen und fo den Hort erneuern.
2) HjalyreK, König von Dänemark.
2) Hegin schmiedet ihm das Schwert Gram.
5
10
15
20
25
30
30 EgS? Egi? Egi> t^gjf Egrr Egi? Egi? Eg»r Cgif Cgj? pgj>
10. Bus den Heldenliedern der sogenannten älteren Edda.
Das kurze Siguröslieb.
Oie Edda, übersetzt und erläutert von Hugo Gering, Leipzig 1892.
Meyers Klassiker-Ausgaben).
1. /®PinitmstIs kam Sigurb1) zum Saale ©jukis2),
MäP Der Wolsungensproß, nach wildem Kampfes;
Er schloß den Bund mit der Brüder zweien h,
Die Melden schwuren sich heilige Eide.
2. Man bot ihm Gudrun, Gjukis Tochter,
Mit glänzender Mitgift zur Gattin an;
Sie tranken und plauderten Tage hindurch,
Sigurd der junge und die Söhne Gjukis.
3. Dann brachen sie aus, um Brpnhild zu werben;
Buch Sigurd war gesellt dem Zuge,
Der Molsungensproß, der wassengeübte;
Ihm selbst war das Meid versagt vom Schicksal.
4. Besonnen legte des Südens Held
Das bloße Schwert in des Bettes Mitte;
Nicht küßte die holde der hunnisches König,
Noch wagt' er, das wonnige Weib zu umarmen —
Er gab sie als Jungfrau Gjukis Sohne.
5. Nicht Kränkung war ihr noch Kummer begegnet,
Sie kannte das Seid des Lebens noch nicht,
Nicht drückte sie Schuld, der verdacht selbst fehlte —
Nun nahte die Not durch der Nornen Grimm.
6. Einsam saß sie am Übend draußen,
Da rann ihr rasche Nede vom Munde:
„haben muß ich den Heldenjüngling
Und im Brm ihn hegen — sonst ende Sigurd!
1) Sigurd = Sigurdh-r statt Sigverdh-r, Sigfred, Sigfrid.
2) nordische Form für Givike, Gibich.
3) mit dem Drachen Fafnir.
-t) mit Gunnar (Günther) und b)ogni (fragen), nicht mit Gutthorm.
5) den Unterschied zwischen Hunnen u. Germanen bannten die Uordmännernicht.
C^ti Eagjft CzSii VzSH Ca£a? CsS5? Cgi? Egj? t^ri? P^äC Cggi? ;)]
7. „Geredet hab' ich, mag Reue auch folgen,-
Zein Weib ist Gudrun - Gunnar ward mir!
Die endlose Oual schufen arge Normen."
8. Oftmals schritt sie, Unheil brütend,
Ruf die eisigen Gletscher am Übend hinaus,
Wenn dem Liebsten Gudrun zum Lager folgte,
Und Ligurd sie hüllte mit seidner Decke.
9. ,,Behaglich ruht nun der hunnische Uönig
Und genießt sein Glück in der Gattin Rrmen;
Mir fehlt der Freund und die Freude am Leben,
Und sättigen muß ich die Seele mit Grimm."
10. Durch den rasenden Hatz ward reis der Mordplan:
,,Bald bist du, Gunnar, des Glanzes beraubt,
Mein Land und mich selbst verlieren sollst du,-
Froh werd' ich nie an des Fürsten Leite.
11. ,,Ich will fahren dorthin, wo ich vormals lebte,
Zum befreundeten Kreise der Vatersippen,-
Träge dort werd' ich verträumen mein Leben,
Wenn du sterben nicht läßt den stolzen Ligurd
Und höher dich hebst als die Herrscher alle.
12. ,,Es fahre der Lohnh in des Vaters Geleit!
Nicht weise wär's, einen Wolf zu züchten!
Den Helden ist's leichter, zu hindern die Rache,
Wenn kein männlicher Lproß des Gemordeten lebt."
13. Gunnar senkte vergrämt sein Haupt,
Er brütete finster den vollen Tag.
14. Der Recke wußte nicht Rat zu finden,
Was in dieser Lage das dienlichste wäre:
Er wußte durch Eid sich dem Wolsung verpflichtet,
Und herbe schien ihm des Helden Verlust.
15. Rlles erwog er in ernstem Linnen:
Wann war das je in der Welt geschehn,
Daß ein Ronigsweib ihre Rrone ausgab?
Zu heimlichem Rate berief er den hogni.
1) Sigurbs Sof)n Sigmunö.
16. ,,Alle die andern sind der einen nicht gleich,
Dem Kinde Budlis, der Krone der Frauen,-
Mein Leben lieber verlieren möcht' ich,
Als Brpnhilds schimmernden Schatz entbehren.
17. „Bist bereit du, für Geld den Kecken zu töten?
Gut wär's, zu besitzen das Gold des Rheines*),
Froh zu walten des funkelnden Hortes
Und ruhig zu leben in reicher Fülle."
18. Nur wenige Morte erwiderte hogni:
,,Für uns wär's Unrecht, das auszuführen,
Mit dem Schwert zu zerschneiden geschworne Gide,
Geleistete Eide, gelobte Treue.
19. ,,In der Melt nicht weiß ich so wackere Helden,
Noch edlere Zippe im Erdenkreise,
Menn wir viere des Volkes walten
Und lebend der hunnische Heerkönig bleibt.
20. ,,Menn wir fünfe sämtlich Zähne erzeugten,
Mürbe stattlich und stolz unser Ztamm sich breiten;
Mo der Wind her weht, ich weiß es genau:
Zu heftig, Bruder, ist Brpnhilds haß."
Gunnar:
21. ,,Mir müssen den Gutthorm zum Morde reizen,
Er ist jugendlich unklug und jach^) zur Tah
Auch hemmen ihn nicht heilige Eide,
Geleistete Zchwüre, gelobte Treue."
22. Zu reizen war leicht der rasch Entschlossne:
Bald steckte dem Sigurd der Ztahl im herzen,-
Doch erhob sich noch einmal der herrliche Recke,
Und das rächende Schwert erreichte den Feind.
23. Auf Gutthorm flog Grams leuchtende Klinge,
von des Königs Hand mit Kraft entsendet:
In der Mitte durchschnitt sie den Mordgesellen:
Es lagen Hände und Haupt zur Linken,
Es sielen zur Rechten die Füße nieder.
1) Sigurds Schatz (den Nibelungenhort).
2) Gutthorm, Stiefbruder von Gunnar und tfogni.
3) schnell, hitzig, ungestüm, mhd. gäch, — hes, vgl. jäh.
24. Entschlummert war (Bubrun auf schwellenden Kissen,
Rn Stgurbs Seite, von Sorgen frei,
Doch sie erwachte, der Wonne beraubt,
Denn sie floß im Blute von Freys Liebling.
25. Sie schlug die Hände so schallend zusammen,
Daß der heldenherz'ge sich hob im Bette:
„Nicht weine, Gudrun, so grimmige Zähren,
Blutjunges Weib, da die Brüder leben.
26. „Nicht alt genug ist mein Erbeh leider,
Daß er fliehen könnte der Feinde i)of;
Sie haben zu schnell den schändlichen Plan,
Den kaum ersonnenen, keck vollzogen.
27. „Gebierst du auch sieben, ein solcher Neffe
wird nie zum Thing mit den Niflungen reiten-
Ich weiß genau, wer das Werk geplant:
Brynhild allein hat das Böse verschuldet.
28. „vor allen Männern war ich ihr teuer,
Doch täuschte ich nie das vertrauen (Bunnars;
Ich hielt die Schwüre, die heiligen Eide,
Nicht wollt' ich für Brpnhilds Buhlen gelten."
29. Sigurd verschied; dem entsetzten Weibe
Schwanden die Sinne, doch schlug sie sinkend
So heftig noch einmal die Hände zusammen,
Daß die Kelche laut erklirrten im Winkel
Und hell die Gänse im Hofe aufschrien.
30. Da lachte Brynhild, Budlis Tochter,
Ein einziges Mal aus innerstem Herzen,
Rls vom Lager sie erlauschen konnte
Das gellende weinen von Gjukis Tochter.
31. Da sprach der Herrscher der Helden, Gunnar:
„Nicht Heiterkeit kündet dein Helles Gelächter,
Rachsüchtiges Weib, noch ein reines Gewissen;
warum wandelt sich so deine weiße Farbe,
Rller Frevel Mutter? Nicht fern ist dein Tod!
i) Sigmund, Sigurds Sohn.
Liermann-Bilmar. Altdeutsches Lesebuch.
3
34 Eägi? Egg? Esgg» C^gj? Csgg? pgi? t^gj? Eggj? c^Ur Cjgg? Csgje pgjs?
32. „Wohl hättest du's, 0 Weib, verdient,
Wenn wir Btli erdolchten vor deinen Bugen,
Wenn den Bruder du sähest durchbohrt vom Stahl
Und die blutigen Wunden verbinden müßtest."
Brynhild.
33. „Du fochtest zu oft, um als feige zu gelten,
Doch fürchtet nicht cttli dein feindliches Drohst;
Er wird länger als ihr des Lebens sich freuen
Und stets an Macht der stärkere sein.
34. „Ich sag' es dir, Gunnar, — du selbst auch weißt es —
Daß ihr schwer euch alle mit Schuld *) beludet.
Einst lebt' ich frei und ledig des Zwanges
In des Bruders Burg, mir gebrach's nicht an Gold.
35. „Ich begehrte nie, einem Gatten zu folgen,
Bis ihr Gjukunge damals durchs Gitter rittet,
Drei Herrscher des Volks auf hohen Uossen —
Besser war es, ihr bliebet daheim.
36. „Dem erlauchten Herrschers verlobt' ich mich da,
Der im Goldschmuck saß auf Granis Bücken;
Ihr glichet ihm nicht an Glanz der Bugen,
Ob ihr stolz auch prunktet im Strahl der Kronen.
37. „Nur einen Fürsten, nicht andere liebt' ich,
Denn Wankelmut war meinem Wesen fremd,'
Dies alles wird cttli dereinst erkennen,
Wenn das Ende Brpnhilds zu Ohren ihm kommt."
38. Da erhob sich Gunnar, der Herrscher des Volkes,
Um den hals der Gattin die Hände schlang er;
Und alle versuchten — von einigen wirklich
War's redlich gemeint - sie zurückzuhalten.
39. Doch heftig stieß sie den Helden von sich,
Ihr den langen Weg zu verleiden, war fruchtlos;
1) Brynhild war durch den Gestaltentausch Sigurds und Gunnars betrogen
worden.
2) Sigurd in Gunnars Gestalt.
c^gi? vzsa c^gis? Cagj? rgi? Egi? Egä? Egg? Egg? Egg? Egg? 35
Da berief er den Ejogni zum heimlichen Rate,
Dem sein innerstes Herz er eröffnen durfte.
40. „Im Saal will ich sehen die sämtlichen Mannen,
Deine wie meine, es drängt die Rot!
Daß dem Weibe man wende die wilden Gedanken,
Bis lindernd die Zeit ihr Leid besiegt."
4L Rur wenige Worte erwiderte ftogni:
„Erfüllen mög' sich ihr finstres Geschick!
verleide ihr keiner den langen Weg,
Und verwehrt sei ihr ewig die Wiedergeburt!
42. „verwünscht schon kam sie aus Weibesschoß.
Geboren ward sie, um Böses zu stiften,
Manchem Manne zum Mißgeschick."
43. Erzürnt brach Gunnar die Zwiesprache ab,
Zu schaun, wie die Gattin ihr Gold üerteilte ;
Es schweifte ihr Blick auf des Schatzes Fülle
Und des Saalgesindes entseelte Leiberft.
44. In die Goldbrünne fuhr sie grimmigen Zinnes,
Eh' die Brust sie durchbohrte mit blitzendem Staf)l;
Dann lehnt' sie ins Rissen sich langsam zurück,
Rn Mord noch denkend, das Messer im fterzen.
45. „Hervor nun mögen die Frauen treten,
Die funkelndes Gold zu empfangen wünschen,'
Ich gebe jeder glänzenden Schmuck,
Laken und Decke und lichte Gewänder."
46. Sie standen in stummem Staunen zuerst,
Dann gaben sie eine Rntwort sämtlich:
„Tot sind genug, wir trachten zu leben,'
Roch vieles können wir Frauen wirken."
47. Die Rönigin sprach nach kurzem Besinnen,
Die linnengeschmückte, die lenzesjunge:
„Gezwungen soll keiner — das ziemte sich schlecht —
Missen das Leben um meinetwillen.
v Brynhild hatte Sklavinnen täten lassen, damit sie mit ihr verbrannt
würden.
3*
48. „Doch es brennen dereinst auf eurem Gebein
Kleinode nicht noch die Körner Menjash,
Wenn die Norne euch nötigt, mir nachzufolgen.
49. „Letze dich, Gunnar! die Gattin redet,
Die bald erbleicht, die blondgelockte:
Noch habt ihr das Boot nicht im Hafen geborgen,
Wenn auch ich des Lebens verlustig bin.
50. „Die Lchwester versöhnst du schneller als glaublich,
Wenn das kluge Weib in des Königs Halle
Buch trauernd noch denkt an den toten Gatten.
51. „Lie wird eines Mädchens Mutter werden;
Der Somte Ztrahlen wird Lwanhild verdunkeln
Und leuchtender sein als der lichte Tag.
52. „Einem mannhaften Gatten vermählst du Gudrun,
Doch der Degen viele verderben wird sie,
Die zufrieden nicht lebt an des Fürsten Leite,-
Rtli wird sie zur Ehe erhalten,
Vudlis Erbe, mein eigner Bruder.
53. „Viel denk' ich dran, wie ihr da verfuhrt,
Rls ihr schnöde verrietet die Lchmerzerfüllte,-
Mein Los war Leid, solang' ich geatmet.
54. „Gdrun^) wirst du zur Ehe begehren,
Doch verweigert dir Rtli des Weibes Hand,-
Im geheimen drum pflegt ihr holde Minne,
Denn innig liebt sie dich, wie ich es gesollt,
Wär's so im Lchicksal beschieden gewesen.
55. „Ein übles Los wird dir Rtli bereiten,
Der dich schleudern läßt in die Lchlangengrube.
56. „Doch schnell daraus geschehen wird es,
Daß Rtli selber das Ende findet,
Betrogen ums Glück durch den Tod der Löhne:
Denn grimmigen Linns wird ihn Gudrun ermorden
Mit des Eisens Lchärfe im eignen Bette.
0 Gold.
2) Brynhilds Schwester.
Csgj? Egj? tat ca? Rgj? t^if? Rgj? tag«? ta? Ka? Rgj? tat 37
[ 57. „Größerer Ruhm für Gudrun wär' es,
Sief) zu einen im Tode dem ersten Gatten,
Wenn auf heilsamen Rat sie hören wollte
Und den Mut besäße, der mich beseelt.
58. „Die Stimme versagt mir - nicht sterben wird Gudrun
Ruf meine Mahnung mir zuliebe,-
von wogenden Fluten hinweg geführt,
Rommt jenseits sie an in Ionakrsh Lande.
) 59. „von ihr wird Ionakr junge Söhne,
Rus ihrem Schoße Erben gewinnen,-
Doch Swanhildh wird fort in die Ferne gesendet,
Des Helden Sigurd holde Tochter.
) 60. „Ins Unheil bringt sie Vikkish Rrglist —
Denn zu jeglichem Bösen ist Iormunrekh fähig —
Tot ist dann Sigurds gesamtes Geschlecht,
Und größer geworden ist Gudruns Trauer.
3 6l. „Der Wünsche letzten gewähre mir, Gunnar -
Nichts weitres wird Brpnhild erbitten im Leben —:
So breit laß schichten die Buchenscheite,
Daß für alle reichlicher Raum sich finde,
Die wir treu dem Sigurd im Tode folgten.
0 62. „Mit Schilden und Teppichen schmücke den Holzstoß,
Gewebte Stoffe und welsche Sklaven!
Rn der Seite des hunnischen Helden verbrennt mich!
6 63. „verbrennt mit dem hunnischen Helden ferner
vier meiner Sklaven in festlichem Schmuck,
Zwei zu Häupten und zwei zu Füßen,
V Ionakr, ein mächtiger König. Lr nimmt Gudrun zur Frau und hat
m mit ihr drei Söhne.
2) Die Tochter, welche Gudrun von Sigurd hatte.
¡9 Bikki, Bicke, der schlimme Ratgeber des Königs Iormunrek. — Der
iH König läßt durch seinen Sohn Uandve und durch Bikki um Swanhild werben;
üf ' sie folgt der Werbung, wird aber auf des tückischen Bikkis Rat getötet, der sie
sä bei dem König des Umgangs mit dem jungen Königssohne Uandve verdäch-
üt tigt hatte.
4) Der Gotenkönig Lrmanrich der deutschen Sage.
38 t^g»? t^s%< v^a c^a c^gy v^a cg=i?
Der Hunde zwei und der Habichte zwei,
Würdig ist alles dann eingerichtet.
64. ,,Es scheide uns wieder der schimmernde Itahl,
Der goldverzierte, in gleicher Weise
Wie einst, als wir beide ein Bett bestiegen
Und uns grüßte das Volk mit dem Gattennamen.
65. ,,Dann trifft seine Fersen die Pforte nicht,
Das glänzende Tor, das goldgefärbte,
Wenn dem fürstlichen Herrn mein Gefolge sich anschließt,-
Nicht ärmlich wird unser Einzug sein.
66. ,,Denn fünf der Mägde folgen ihm nach
Und acht Leibeigne aus edlem Geschlecht,
Die als Uind ich erhielt von Uönig Budli
Und aufwachsen sah in der Nhnen Burg.
67. ,,Gar manches sprach ich, würd' mehr noch künden,
Verschlösse mir nicht das Schicksal den Mund.
Das Wort versagt mir, die Wunden schwellen —
Ihr vernahmt nur Wahres — nun naht der Tod!"
11. Dos Liied von flnfwcircinaui, dem Ringe des Fliblung.
Wilhelm Jordans Nibelunge, I. Lied, Sigfridsage, Zweiter Gesang. 15. Auflage,
S. 39 ff. Frankfurt a. ITT., 1904').
Ich hörte sagen, zuweilen besuche
Der Herr des Himmels die Häuser der Menschen,
Belohne die Frommen, bestrafe die Frevler.
5
i) E. prigge bearbeitete eine (verkürzte) Schulausgabe von w. Jordans
Nibelunge, Sigfridfage (Diefterwegs Deutsche Schulausgaben, Bd. 3, Dritte
Huflage, Frankfurt a. IN., 1907).
Kgii Cöii C^ii I^ii 39
So durchwandert' einst Wodan wieder die Sande
Und mit ihm Volant, der Fürst der Nachtwelt,
Loki genannt in nordischen Landen..............
So gelangten sie lechzend nach labender Speise
Uns User eines Stromes, wo mächtig strudelnd
Über ein wehr das Wasser sich wälzte.
Unterhalb des Sturzes am flachen Gestade
Saß eine Gtter, welche sich eben
Einen Lachs gefangen und lüstern fauchend
Die blanke Beute blinzend beschaute.
Da bückte sich Volant, nahm einen Feldstein
Und traf so geschickt ihren platten Schädel,
Daß er zersprang und das Hirn verspritzte.
Sich rühmend rief er: „Ich treffe richtig;
Ein Wurf erwirbt mir zwei Stücke Wildbret
Und mehr noch, mein' ich, in künftigen Monden."
Er lud sich die Gtter, Wodan den Lachs auf,-
Dann gingen sie weiter, kamen zur Wohnung
Eines ruchlosen Uäubers namens Ueidmar
Und begehrten Gastrecht. Uls nun die Götter
Um Herd auf den Boden die Beute warfen,
Betrachtet' er staunend die hohen Gestalten
In weichen Gewändern von feinster wolle,
Und während die beiden die Gtter entbalgten
Und den Lachs in die Lohe des Herdes legten,
Ging Ueidmar suchen nach seinen Söhnen,
Dem ränkevollen Uegin, dem falschen Fafner.
Mit ihnen beriet er der Gäste Beraubung,
Und ein nichtiger Vorwand war bald gefunden
Das wußte Wodan. „Füge dich wehrlos,"
Sprach er zu Volant, „wenn sie dich fassen;
Sie werden uns fangen, um dir zu verfallen."
Schon lagen auf der Lauer die listigen Uäuber,
Und als nun die Götter ans Essen gingen,
Stürmten sie mit Stangen herein in die Stube,
warfen sie zu Boden und banden den beiden
Mit Uiemen von Uindshaut die Hände rückwärts.
i
5
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35
1
40 k-srr r^sr- Pgj? ta? tai? t^gä? ta? pgj? ta; ta? tai? taff
Nun redete Neidmar: „Mich dürstet nach Nache,-
Ihr habt mir entseelt mein jüngstes Söhnchen,
Den edeln Gthar, in dieser Otter.
Ihr nähmet hier Zuflucht bei einem Zaubrer.
5 Ich kann meine Kinder durch Künste, die erblich
In meinem Stamm sind, in Tiergestalten
Beliebig verlarven. Nach diesem Lachse —
Er zeigt noch die Spur seiner spitzen Zähne —
Durchtauchte die Tiefe mein teurer Gthar,
io Ulso vermummt; ihr habt ihn ermordet
Durch einen Steinwurf und müsset nun sterben."
„Ein seltsam Söhnchen, das muß ich sagen!"
Entgegnete Volant. „Du wurdest sein Vater
Durch Zauberzeugung vermittels der Zunge."
15 „Dein Wunsch ist nur wergeldh," sprach ruhevoll Wodan,-
wieviel verlangst du? wir wollen uns lösen -
wir sind begütert und geben es gern."
Da versetzte Neidmar: „So füllt mir mit Nheingold
Dies Hell, bis es feststeht auf allen Vieren.
20 Das fei mein Banngeld und eure Buße.
Sodann belegt mir, um euch zu lösen
Mit passender Pön^), auch den pelz der Gtter
Mit gelbem Golde - doch alles gilt nichts,
Solange noch ein Härchen nicht ganz verhüllt ist."
25 „wir wollen es gewähren," entgegnete Wodan,
„Geh, schaffe nun den Schatz her, mein Schuldgenosse;
Ich bleibe hier gefangen, bis alles erfüllt ist."........
Volant eilt auf die Höhe der 5llpen an die Stelle, wo einst Schilbungs
Schloß gestanden hatte.
hier wußt' er die Wohnung eines Wichtelmannes
Namens Nntwar, der sich zur Nrbeit
30 Mit Zauberkünsten die Umeisen zähmte
Und sie leuchtenden Goldstaub sammeln lehrte.
1) Geldbuße für Totschlag, eig. „Mannesbezahlung", mhd. wer-gelt. stmn.
(wer Mann ist urverwandt mit lat. vir).
2) Buße, Strafe, aus lat. poenä, gr. noivi] (poine, eig. Sühn- oder Löse-
geld für eine Blutschuld), vgl. nhd. Pein.
pgj? tigj? cgi? Rgi? r-Ld cg»? Kgji t^T< r-sir PgR _j_ [
Doch durchsuchte der Kleine auch selbst die Klüfte
Des Erdenschoßes nach blinkenden schätzen.
So fand er die Reifen und Spangen von Rheingold
Der in hechte und Welse verwandelten Löhne
Und der Töchter Riblungs, der Rixen der Tiefe.
Er trug an der Rechten auch jenes Ringlein.
Das Rldrian einst dem Gunthwurm abzog.
Ribelnaut war der Name des Kleinods
weiland h gewesen, dieweil es herkam
vom Reidwurm der Rachtwelt, dem giftigen Ribel,
Der ewig wühlt an den wurzeln des Weltbaums,-
Run aber hieß es Rntwaranaut.
Den Zwerg nun beglückt' es, glänzende Zachen
Rur eben zu mehren mit endloser Mühe,
In seinem versteck die glitzernden Zteine,
Den goldenen Tand zu Häufchen zu türmen
Und klimpernd zu prüfen der Kleinode preis.
Doch den Reid der Rornen erweckt, wer nutzlos
Zu bloßer Schaulust mit Schätzen schaltet.
Rls aus Goldbegierde der kleine Geizhals
Richts Gutes mehr gönnte dem eigenen Gaumen
Und einstmals hungrig von seinen Gehülfen,
Den Rmeisen, etliche undankbar aufaß,
Da ward er verwunschen, sechs Wochen von sieben
Zu schwimmen im Rhein als rasche Forelle
Mit dem Zeichen seines Fluches, goldroten Flecken........
Volant fängt die Forelle mit einer Angelrute.
„Mein gefangenes Fischlein," sagte Volant,
„werde nun wieder der Zwerg Rntwarh
Denn so will es Wodan." — Da hing verwandelt
Mit einem Male ein kniehoch Männchen
In goldgesticktem Röcklein anstatt der Forelle
Um haken der Rngel. Es hielt sich mit den Händen
Zitternd und bebend die durchbohrte Backe
Und suchte sich zu lösen von der leidigen Seine,
Bis Volant ihm zurief: „Laß dein Gezappel,
Du winziger wicht, und sei mir zu willen.
V vorzeiten, mhd. wilen, wilent adv. ehemals (aber auch „zuweilen").
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42 pgä? raff k-sr- Cagj? r-SU- cgi? 1^T»>
Hole den Hort her, den du behütest
In deinem versteck,' doch stiehl mir kein Stäubchen.
Erfüllst du das folgsam, so bist du ferner
Vicht mehr verwunschen, sechs Wochen von sieben
Rls rasche Forelle im Rhein zu schwimmen.
Doch verhehlst du mir die Halbscheid H eines Hirsekornes,
$o werf' ich dich wieder als Fisch ins Wasser,
So läufst du schon morgen den Menschen in die Maschen
Und wirst wie gebräuchlich in der Pfanne gebraten."
Er löste die Leine von Rntwars Lippen.
Da schlüpfte hinab in die felsigen Schluchten
Der zitternde Zwerg und holte gezwungen,
Traurig seufzend und Tränen vergießend,
Den schimmernden Schatz in einem Schubkarrn,
5ln welchem die Mulde gar zierlich gemacht war
von mächtigen Muscheln des Meeres der Urzeit
Und das Rad vom Ringhaus der Riesenschnecke.
Doch mußte der Zwerg zum mindesten zwölfmal
Rommen und gehn, um die goldenen Rärner,
Echten Stufen^), edlen Steine,
Bänder und Plättchen zum gebotenen Platze
Herzuholen, bevor er den Haufen
Des Hortes geschüttet zur Höhe seines Scheitels ....
„Rll meinen Reichtum," so rief nun Rntwar,
„Hab' ich folgsam hieher gefahren.
Nun gib mir das Zeugnis der Götterverzeihung,
Daß ich entzaubert für alle Zeit sei."
„Du redest fälschlich!" entgegnete Volant.
„Dein Bestes fehlt noch. Da funkelt am Finger
Deiner Rechten ein rotes Ringlein,
Line goldene Schlange, den Schweif im Schlunde,
Die Rügen gebildet von edlen Rubinen:
Das lege zum Bußgold, sonst bleibst du gebannt."
Da warf Rntwari das Rleinod wütend
Hin auf den Haufen und kreischte heftig:
4 ksälfte, nihd. halp-scheit stn. (halb Geschiedenes, halb Geteiltes).
2) busdruck der Bergrnannssprache: Stück Erz oder Gestein.
Cagi? Cagi? Cfggi &£%i t^gSV l^-d Cg¥? C^g»? c^Ld C^tR Cgi? Cgi?
„Mit Hülse des Ringes hofft' ich meinen Reichtum
Wiederzugewinnen,- doch jetzt verweigern
Meine Gehülfen mir allen Gehorsam.
Jetzt bin ich elend,' denn einzig der Rnblick
Leuchtenden Goldes labt und ergötzt mich.
Der gänzlich Beraubte begehrt nun Rache.
Run vererbe sich ewig auf jeden Eigner
Des roten Ringes, den du mir entrissen,
Die vernichtende Neigung des Neidwurms der Rachtwelt.
wer oben an der Lonne jemals in Besitz kommt
Des Rntwaranautes, der werde zum Riblung,
Der trage, betrogen von Träumen des Glückes,
Vis zur Neige des Lebens den Neid der Nornen.
So wirke nur Weh, du verderbliches Wunschgold,'
Wann die Rlagen erklingen bis in meine Klüfte
Um die Leichen Geliebter, dann will ich lachen,
Will jubeln und jauchzen, wann Tausende jammern
Und Enkel noch schluchzen um erschlagene Geschlechter."
12. Richard Wagner1), Götterdämmerung.
(Dritter Tag aus der Trilogie: Der Hing des Nibelungen, Erster
Kufzug.)
Der Hing des Nibelungen. Text mit den Leitmotiven und Notenbeispielen
herg. von I. Vurghold. Mainz, Schott.
Die kfalle der Gibichungen am Hhein. Günther, lfagen und Gutrune. Günther
und Gutrune auf dem Hochsitze, vor dem ein Tisch mit Trinkgerät steht; Hagen
sitzt davor.
Hagen.
n sommerlich reifer Stärke
Seh' ich Gibichs Stamm,
Dich, Günther, unbeweibt,
Dich, Gutrun', ohne Mann. i)
i) Nichard Wagners Musikdrama liegt die von der nordischen
Dichtung überlieferte Fassung der Nibelungensage zugrunde. Diese Fassung hatte
sich auch de la Motte-Fouque (1777— 1843) bei seinem 1808 erschienenen
Heldenspiel „Sigurd, der Schlangentöter" zum Vorbild genommen. (Die
1810 erschienene Trilogie Fouquäs „Der Held des Nordens" ist in den ausge-
wählten Werken, Nusgabe letzter Hand, Halle 1841, Bd, 1 — Z zu finden. „Sigurd,
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Günther.
Wen rätst du nun zu frei'n,
Daß unsrem Ruhm es fromm'?
Hagen.
Ein Weib weiß ich,
Das herrlichste der Welt:
Ruf Felsen hoch ihr 5itz,-
Ein Feuer umbrennt ihren 5aal:
Nur wer durch das Feuer bricht,
Darf Brünnhildes Freier sein.
Günther.
vermag das mein Mut zu bestehn?
Hagen.
Einem Ztärkren noch ists nur bestimmt.
Günther.
Wer ist der streitlichste Mann?
Hagen.
Biegfried, der Wälsungen 5proß:
Der ist der stärkste Held.
der Schlangentöter" ist herausgegeben von IN. Noch in Nürschners Deutscher
Nationalliteratur, Bd. 146). N. Wagner hatte die Fouquesche Dichtung schon
als Nnabe kennen gelernt. - lD. Golther, Die sagengeschichtlichen Grundlagen
der Ningdichtung N. Wagners, Lharlottenburg 1902. — Über die norwegisch-
isländische Sagengestalt handelt (D. L. Iiriczek, Die Deutsche Heldensage,
Sammlung Göschen Nr. 32. — Über Richard Wagner als Dichter: W. Golther
in Bd. 14 der Sammlung „Die Literatur" hrg. von G. Brandes, Berlin o. 3. Er
sagt S. 43 und 44: „Der Ring, grundgermanisch in Gehalt und Form, ist das
größte deutsche Drama, übergewaltig in seinen drei Teilen (Die Walküre,
Siegfried, Götterdämmerung) und einem Vorspiel (Das Rheingold),
eine Erscheinung, die nur in der griechischen Trilogie ihresgleichen hat. Und die
Forderung einer vollkommen stilgerechten Rufführung dieses Werkes rief den
Festspielgedanken ins Leben. Im Schicksal des Rings und seiner endlichen Ver-
wirklichung im Bapreuther Festspielhaus offenbart sich das höchste Ziel
des künstlerischen Strebens Richard Wagners." — Zur Einführung in Richard
Wagners Lebenswerk sei empfohlen: R. Sternfeld, Richard Wagner und die
Bapreuther Bühnenfestspiele. Gesammelte Rufsätze, 2. Bd. (— Bd. 47 u. 48 der
„Deutschen Bücherei" hrg. von R. Reimann, Berlin D. 3.). 3n Bd. I,
S. 36 ff. der Rufsatz: „Wie bereite ich mich auf ein Wagnerisches Werk
vor?" •— T. Fr. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners in sechs Büchern
dargestellt, vierte Rusgabe. Lpz. 1905 ff. — IRax Roch, Richard Wagner,
Berlin, tfofmann 1907 (Biographien-Sammlung „Geisteshelden").
CsSi? CiSTf k-Ld CsStT? C£?»V C^tT? tigi? l^Ld C^if ii^i? CiSS> t^ii C^ii
Ein Zwillingspaar,
Don Liebe bezwungen,
Siegmund und Sieglinde
Zeugten den echtesten Lohn:
Der im Walde mächtig erwuchs,
Den wünsch' ich Gutrun' zum Mann.
Gutrune.
Welche Tat schuf er so tapfer,
Daß als herrlichster Held er genannt?
Hagen,
vor Neidhöhle
Den Niblungenhort
Bewachte ein riesiger Wurm:
Siegfried schloß ihm
Den freislichenh Schlund,
Erschlug ihn mit siegendem Schwert.
Solch ungeheurer Tat
Enttagte des Helden Nuhm.
Günther.
Dom Niblungenhort vernahm ich:
Er birgt den neidlichsten Schatz?
Hagen.
Wer wohl ihn zu nützen wüßt',
Dem neigte sich wahrlich die Welt.
Günther.
Und Siegfried hat ihn erkämpft?
Hagen.
Unecht sind die Niblungen ihm.
Günther.
Und Vrünnhild' gewänne nur er?
Hagen.
Ueinem andren wiche die Brunst.
i) schrecklich, ahd. freislih, mhd. vreislich.
Günther
(unwillig sich vom Sitz erhebend).
Was weckst du Zweifel und Zwist?
Was ich nicht zwingen soll,
Danach zu verlangen
Wachst du mir Lust?
Hagen.
Brächte Siegfried
Die Braut dir heim,
Wär' dann nicht Brünnhild dein?
Günther
(wendet sich wieder zweifelnd und unmutig ab).
Was zwänge den frohen Wann,
Hür mich die Braut zu frei'n?
Hagen.
Ihn zwänge bald deine Bitte,
Bänd' ihn Gutrun' zuvor.
Gutrune.
Du Spötter, böser hageu!
Wie sollt' ich Siegfried binden?
Ist er der herrlichste
Held der Welt,
Der Erde holdeste grauen
friedeten h längst ihn schon.
Hagen.
Gedenk' des Trankes im Schrein,-
vertrau mir, der ihn gewann:
Den Helden, des du verlangst,
Bindet er liebend an dich.
Träte nun Siegfried ein,
Genoss' er des würzigen Trankes,
Daß vor dir ein Weib er ersah,
i) brachten ihm Frieden, Glück, schenkten ihm ihre Gunst. Gutrune glaubt,
Siegfried sei nicht mehr frei.
t^i? t^i? Eägj? pgj? pgjs? Cai? Cgi> Cgi? Cgi? Cgi? C^i? I-gi? CzSii ^
Daß je ein Weib ihm genaht —
vergessen müßt' er des ganz. -
Nun redet:
Wie dünkt euch Hägens Nat?
Günther
(der wieder an den Tisch getreten, und, auf ihn gelehnt, aufmerksam zugehört hat.)
Gepriesen sei Grimhild',
Die uns den Bruder gab!
Gutrune.
Möcht' ich Siegfried je ersehn!
Günther.
Wie fänden wir ihn aus?
Hagen.
Jagt er auf Taten
Wonnig umher,
Zum engen Tann
Wird ihm die Welt:
Wohl stürmt er in rastloser Jagd
Buch zu Gibichs Strand an den Rhein.
Günther.
Willkommen hieß' ich ihn gern.
(Siegfrieds kjorn läßt sich von ferne vernehmen. — Sie lauschen.)
vom Rhein her tönt das Horn.
Hagen
(ist an das Ufer gegangen, späht den Fluß hinab und ruft zurück).
Zn einem Nachen Held und Noß:
Der bläst so munter das Horn. —
Ein gemächlicher Schlag
Wie von müßiger Hand
Treibt jach') den Nahn
Wider den Strom;
So rüstiger Kraft
Zn des Nuders Schwung
Rühmt sich nur der,
Der den Wurm erschlug:
Siegfried ist es, sicher kein andrer!
>) jäh, mhd. Zück schnell, plötzlich.
48 t^gä? P£=tR Eg»? Egj? Eg»? Egi? Eg»? Eg»? Eg»? C^g»? Eg»? Egi? Eg»?
Gunther.
Jagt er vorbei?
Hagen
(durch die hohlen Hände nach dem Flusse zu rufend),
hoiho! wohin,
Du heitrer Held?
Siegfrieds Stimme
(aus der Ferne, vom Flusse her).
Zu Gibichs starkem Sohne.
Hagen.
Zu seiner Halle entbiet' ich dichi
hieher! hier lege an!
heil Ziegsried! teurer Held!
13. Oernult h weiht seinen Heben Söhnen das 6rablied.
Henrik Ibsen, Die Helden auf Helgeland (Nordische Heerfahrt), Schauspiel
in vier Ukten. 5. W. Volksausgabe, herausg. von 3. Elias und p. Schlenther.
Einzige autorisierte deutsche Ausgabe. Berlin, 1907, 5. Fischer, Ld. I, 5. 429 — 431.
öS Fremd ist ihm die Freude;
Traf den Sänger Sorge,
Tönt sein Sied vom Seide.
2. Des Gesanges Segen
Gab der Gott mir, Drages —
Künbe meinen Kummer,
Klinge drum, o Klage!
3. Grausam ward der Norme
Groll ob mir entladen;
Glück und Glanz verglommen
Über Gernulfs Pfaden.
i) Dernulf von den Fjorden, Landsasse auf Island, der greise Wikinger
und Skalde. Um Hjördis', seiner Pflegetochter, und Sigurds, des Starken, willen
begräbt er sieben junge Söhne. — 2) Bragi, Gott der Dichtkunst.
Cgi? Egg? ta? t^SV? Cgi? Cagg? ta? Cg»? kLd ta? Egj? Cgi? Cg¥? ta? 49
4. Sieben Söhne waren
Mir von Gott gegeben,-
Gramvoll geht der Greis nun,
Liebeleer durchs Leben.
5. Sieben Söhne sah ich
Schön um mich sich scharen,-
Schutz und Schirm dem Wiking')
Mit den weißen haaren.
6. Tot sind nun die Tapfern!
Mehr und Wall zerfallen!
Einsam irrt der Rite,
Gd sind Haus und hallen!
7. Thorolfh, mir so teuer,
Letzter von den Lieben! —
Wollt' das Weh verwinden,
Wärst mir du geblieben!
8. Lieb wie Lenzeslächeln,
Wonne war dein Wesens
Wuchsest hold und herrlich
Rls ein Held erlesen!
9. Tobend tief im Innern
Wächst das Weh, das wilde,
Das die alte Vrust mir
Zwängt wie zwischen Schilde.
10. Neidisch nahm die Norne
Rll mein Eigen wieder,
Schüttete der Schmerzen
Schale auf mich nieder.
11. Wehrlos bin ich toorben;
hätt' ich Götterstärke:
Rastlos sänn' ich Rache
Zur der Norne Werke!
i) Krieger, Held. — 2) ©ernulfs jüngster Sohn.
Liermann-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch.
4
50 pgj?
12. Die den Todesstreich mir
Tief ins herz versetzte,
Die mir ruchlos raubte,
Rlles — auch das Letzte! —
13. Ist für (Dernulf alles
Nun in Nacht versunken?
Nein, es hat der Zanger
Zuttungsh Met getrunken!
14. Meine Zähne sanken,-
Doch mit Dichtermunde
Geb' von meinem Leide
Laut im Lied ich Kunde!
15. Lind auf meine Lippen
Legt' ein Gott mir Töne, -
Kling hinaus, o Klage,
Übers Grab der Zähne!
16. heil euch, Helden! Ruhmreich
Reitet auf vom Grabe! —
Trdenweh und -wunden
heilt die Gättergabe!
i) Der Riefe Suttung besaß den aus des weisen Rwasir Blut bereiteten
Riet, dessen Genuß die Gabe der Dichtkunst verlieh. In Suttungs Felsengrotte
bemächtigte sich Gdin des kostbaren Trankes und teilt seitdem seinen Lieblingen,
den Skalden, davon mit.
52
E-Is unsere Ahnen den Erdkreis erobert,
Verloren den Fimmel die heimischen Götter
Das Keich war entrissen der ewigen Roma,
Doch zu gelten begann sie als Geisterfürstin.
Es war ihre Sendung, zu sanfterer Sitte
Mit Kreuz und Krummstab die Krieger zu zähmen.
Sn der Lehre der Liebe vom leidenden Heiland
Fanden die vorfahrn erfüllt ein hoffen,
Von welchem die Stimme der lVala gestammelt.
Wilhelm Jordan.
Die Umwälzung, die das Christentum in die deutschen Stämme
und ihreSprache gebracht hat, steht einzig in unserer Geschichte da.
Friedrich Kluge.
(Unser Deutsch. Einführung in die Muttersprache. 1907.)
I
Kgj? Egit Cgi? tig»? Pgit Pgit Cgi? Rgi? k^>- k-Ld t<gj? 53
Philipp Veit.
Germani a.
vom ßeidenfum zum Christentum.
'•hiSSS'w
II.
14. Das Vslterunier.
(Matth. 6, 9—13.)
a) Griechisch.
ndzeQ ij/jojv u ev toIs ovqccvoZs' cAyia<)Örsco) %ö uvoi-id ooi\
elüeroj rj ßaoikaia oov. yevqitfjzü tò Üslef-id oov a>g èv ovQavco
3
54
xai kni yfjg. zbv dqiov rjf.icov zbv emovoiov dbg fj/ulv orj/ueQOv, xai
cupeg rjf-uv zä o(psih]/.iaza f^iojv, tag xai fjuelg dcpry/Mf-iev zoZg ccpeile-
zaig zj/ud)v, xai /ui] eloevkynrjg rjf.tag elg neiQaG/.iöv, ällä (moai rjfiäg
dnb zov novtjQov, bzi oov eoziv rj ßaoü.eia aal rj dvva(.ug xai fj
dö^a elg zovg alövag. d/urjv.
b) Lateinisch: Oratio dominica.
ßater noster, qui es in caelis. Sanctificetur nomen tuum.
Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in
caelo, et in terra. Panem nostrum supersubstantialem da
nobis hodie. Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos di-
mittimus debitoribus nostris. Et ne nos inducas in tentationem.
Sed libera nos a malo. Arnen.
c) Gotischer Text aus Bischof Wulfilas Bibelübersetzung1).
(Nach Wilhelm Braune, Gotische Grammatik, Halle 1905.)
1. Atta unsar fm in himinam,
2. Vater unser du in den ksimmeln,
3. sw. rnasc. s. hana pron. poss. dat. plur. zu himins
1. weihnai namo J>ein.
2. möge heilig werden der Name dein.
Z. 3.5- Opt. Präs. zu weihnan s. hairtö pron. poss. neutr.
1. Qimai Jnudinassus Jteins.
2. Kommen möge Königreich deins.
3. 3.S.Opt.Präs.zuqiman vgl.fiudaDolk pron. poss. masc. i)
i) „Wir erstaunen jedesmal von neuem, wenn wir uns vergegen-
wärtigen, daß die erste Tat der Germanen, von der wir in der Geschichte
hören, ein Angriff war auf das mächtigste Reich der Welt, auf das römische,
und daß ihr erster Ansturm dies Reich in jahrelange bange Bedrängnis
brachte. Als eine vergleichbare, staunenswerte Kühnheit erscheint uns,
daß der erste literarische Versuch der Germanen der Eroberung
des erhabensten christlichen Buches, der Bibel, galt und daß dieser Ver-
such gelang, mehr als tausend Jahre bevor Luther die Bibel ins Deutsche
übertrug. Wir rühmen unsere Gabe, fremde Kulturen zu erfassen und zu
ehren, als eine deutsche Gabe und nennen die Deutschen das Volk der
Übersetzer: Unsere besten deutschen Übersetzungen sind zugleich deutsche
Bücher. Diese Gabe besaßen, wie Wulfilas Bibel uns bezeugt, schon
Cgj? ügi? kLd CägS? Kgj? p-g»? KL»? tait ügg? Cgi? KLd KLÄ- 55
1. WairJ>ai wilja Heins, swe in himina
2. Werden möge Wille deiner gleichwie in dem Himmel
3. 3. Sing. Opt. Präs, zu wairjtan s.hana s.o. dat. sing.
1. jah ana airj>ai.
2. auch auf der Erde.
3. dat. sing, zu airjta s. giba.
1. Hlaif unsarana Hana
2. Brot unseres das
3. hlaifs, hlaibis vgl. Laib Brot s. 0. Akkus, d. Demonstrat. u. Artikels sa.
1. sinteinan gif uns himma daga.
2. tägliche gib uns (an) diesem Tage.
3. sinteins adj. Imp. zu giban dat. plur. pron. defectivum dat. sing.
1. Jah aflet uns ftatei skulans sijaima,
2. Und erlaß uns daß Schuldige wir sein mögen,
3. af-lètan skulaadj. 1. PI. Opt. Präs.zu wisan
1. swaswe jah weis afletam |>aim skulam unsaraim.
2. gleichwie auch wir erlassen den Schuldnern unsern.
3. norn.plur. l.Plur. Ind.Präs. s. o. dat. plur. pron. poss.
1. Jah ni briggais uns in fraistubnjai,
2. Und nicht bringen mögest du uns in Versuchung,
3. 2.3. Opt. Präs, zu briggan dat. sing, zufraistubni
1. ak lausei uns af Jiamma ubilin:
2. sondern löse uns von dem Übel,
3- Imp.zulausjan ubilo subst.Adj. im Neutrum
1. unte Heina ist Jnudangardi jah mahts
2. weil deines ist das Uönigreich und die Ulacht
3. fern.
1. jah wuljius in aiwins. Amen.
2. und die Herrlichkeit jn Ewigkeiten. fluten.
3. u-Stamm dat. plur. zuaiws
die Germanen vor langen Jahrhunderten.“ Friedrich von der Leyen,
Einführung in das Gotische, S. 5, München 1908 (Im „Handbuch des
deutschen Unterrichts an höheren Schulen", hrg. von Adolf Matthias,
zweiter Band, erster Teil, erste Abteilung).
Bemerkungen zur Aussprache des Gotischen:
gg = ng
gk — nk
gq = nq
)> — englisch th
z — stimmhafter Spirant
= hw (doch nicht durchaus gleich).
ei — i
ai (ai) — ä (vor r und h)
au (aü) = o „ „ „ „
ài — ai
áu — au
h — ch (im Auslaut)
d) Althochdeutsch :).
(We i ßen b u rger Vaterunser.)
Fater unser, thu in himilom bist, giuuihit si namo
Vater unser, (6er) du in (den) Himmeln bist, geheiligt sei Name
thin. quaeme richi thin. uuerdhe willeo thin, sama so in
dein. Komme Heid) dein. Geschehe tDille dein, so wie im
birnile endi in erthu. broot unsera^ emi^igas; gib uns hiutu.
Himmel auch auf Erden. Brot unser stetes gib uns heute.
endi farla.2; uns sculdhi unsero, sama so uuir farlä^em
Und erlaß uns Schulden unsere, so wie wir erlassen
scolöm unserem. endi ni gileidi unsih in costunga. auh
Schuldnern unsern. Und nicht führe uns in Versuchung, sondern
arlösi unsih fona ubile.
erlöse uns von (dem) Übel.
f) Luther'sche Fassung.
Das Neue Testament, lvittemberg. Nlelchior Lotther. 1522. Œb. I. September*
Nusgabe der Übersetzung Martin Luthers.
Unser vater yn dem hymel. Deyn name sey heylig. Deyn reych
käme. Deyn wille geschehe auff erde wie ynn dem hymel.
vnser teglich brott gib mtns heutt / vnd vergib vns vnsere schulde
wie wyr unsern schuldigern vergeben / vnnd füre vnns nitt ynn
Versuchung / sondern erlöse vns vo dem vbel / denn / deyn ist das
reych / vnd die Krafft / vnd die herlickeyt in ewickeyt. 5lmen.
—----------- I
i) Nach Th. Schauffler, Althochdeutsche Literatur, S. 78, Samm-
lung Göschen Nr. 28.
Cgí? C¿gj? Pgi? Raü? tat Eg»? tai ta? C^i? ta? LLd pgjv pgji 57
15. Das Kloster1).
Friedrich Wilhelm Weber, vreizehnlinden-), 128 Auflage, Paderborn 1906.
1. j^lüffer Schlag der heide-
^ lerche,
Sonnenschein auf allen Hügeln!
Tauwind sang, durch alle Schluchten
Flog er rasch auf weichen Flügeln.
2. Lustig hüpften alle Brunnen
Ñus den Bergen durch die Bäume,
Um im Tale zu erzählen
Ihre langen winterträume,
3. Schwere Träume, und der
kleinen
Zarten Elben frost'ges Schaudern
Und der Riesen lautes Schnarchen
Und der Zwerge kluges plaudern.
4. Venn der Schnee begann zu
schmelzen,
Bräunlich stand des Berges Gipfel,
Und ein Frühlingsahnen rauschte
Durch die grünen Tannenwipfel.
6. Ñus den Tannenwipfeln ragte
Eines Türmleins spitzer Regel,
First und Giebel eines Klosters
Nach Sankt Benediktus' Regel.
6. Jüngst erst waren weise
Männer
Ñngelangt aus fremden
Reichen,
Segensworte auf den Lippen,
In der Hand des Friedens
Zeichen,'
I.Inderhanddiefrommewaffe,
Die mit Mut beseelt den Schwachen,
Die durch Huld bezwingt die Völker
Und besiegt, um frei zu machen,'
8. Ernste Männer, vielgeprüfte,
Die in harter lveltverachtung
Einsam sich der Rrbeit weihten,
Dem Gebet und der Betrachtung,'
9. Stille Siedler, die sich mühten,
Mit dem Spaten wilde Schluchten,
lvildre Herzen mit der Lehre
Lindem Samen zu befruchten.
10. Rlugen Sinns und unver-
drossen
Bauten sie mit Lot und Mage,
Winkelmaß und 5äg' und Hammer,
5lxt und Relle Tag' auf Tage,
l l. Bis es ihrem Fleiß gelungen,
Haus und Rirche fest zu gründen,
Bis der Brunnen rauscht' im Hose
Des Ronvents von Vreizehnlinden
12. In Gehorsam, Zucht und
Rrmut
Schafften still die tapfern Zteiter:
>) Lies Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangen-
heit. Leipzig, lsirzel. Erster Band. Ñus dem Mittelalter. (Abschnitt 7 „Aus
dem Klo st erleb en".)
-) 3. 5 chwering, Fr. XD. Weber, sein Leben und seine Werke. Pader-
born, Zchöningh, 1900. — Eine billige Ausgabe von vreizehnlinden ist ebenda
1905 erschienen (mit Erläuterungen), vgl. Ernst Wasserzieher, vreizehn-
linden ästhetisch erläutert, Leipzig, Eeubner 1903.
J
53 Rgj? pg?? pgff CgSTf tart «<gg? Egs? Rgj? Pagjr
Reuteten des Urwalds Riesen,
Dorn und Farn und wüste Rräuter;
13. Zogen Wall und Zaun und
Hecke,
Hirsch und Keiler abzuwehren,
Daß im Tale wohlumfriedet
Grünten menschenholde Uhren,-
14. Zwängten ein den unge-
stümen
Strom durch psahlgeflecht und
Dämme,
Pfropften milde Südlandsreiser
Ruf des Nordens herbe Stämme.
15. Kräftig sproß im jungen
Garten
Ukelei und Ros' und Efuendel,
Blasse Salbei, Dill und Eppich,
Eberraute und Lavendel.
16. Uber noch ein andrer Ucker
Blieb den Vätern: reicher Boden,
Tiefer Grund, doch schwer zu bauen
Und voll heidnisch wilder Loden.
17. Traun, da gab es viel zu
rupfen,
viel zu zähmen und zu zanken,
viel zu zerren und zu zupfen
Un den ungezognen Ranken!
18. Ruf den braunen Eichen-
bänken
Laß die Brut der Lachsenrecken,
Junge Bären; Riesenarbeit
War's, sie bildend zu belecken.
19. Erstlich galt's, der Römer-
runen
Fremden Zauber zu ergründen:
(D ein dornenvolles Rätsel,
Dessen Lösung kaum zu finden!
20. Dann gefällig nachzubilden
Ull' die wunderlichen Zeichen:
hohes Ziel, nur auserwählten
Fingerkünstlern zu erreichen!
21. Doch am schwersten war's,
des Rreuzes
Milde Botschaft zu erklären,-
Denn gar manchen Flachskopf
dünkten
Gotteswort und Heldenmären,
22. Weißer Thrist und weißer
Balder,
Lichte Engel, lichte Elben,
Jüngerschaft und Heerbannstreue
Ganz dasselbe, ganz dieselben.
23. Rur begabtre Lchüler wurden
Hähern Zwecken zugeleitet,
Und die sieben freien Künste
Lehrhaft ihnen ausgedeutet.
24. Lchwer und ungelenkig
waren
Roch der deutschen Zunge
Laute,
Gleich den ersten Lchritten
eines
Hünenkinds im heidekraute.
25. Rasch indes wie ehrne
Pfeile
Klingend flog das Wort der Römer
von den Lippen kurz und schneidig
Wie das Schwert der Welt-
bezähmer.
26. willig bot es knappe
Schärfe
Logikern und Exegeten,
Kraft und Fülle den Rhetoren,
Reim und Rhythmen den Poeten.
Pgii r^i? li^ii l<25i ö J)
27. preis den braven schwar-
zen Mönchen,
preis den wackern Kutten =
trägem,
Alles menschlich schönen
Wissens
Frommen Gütern, treuen
Pflegern!
28. was auf Hellas' blauen
Bergen,
Was einst am Tprrhenermeere
Dichter sangen, Denker dachten
Später Welt zu Lust und Lehre,-
29. Was der Geist geweihten
Lehern
Offenbart' in Sturm und Stille,
Wort und Werk des Gottes-
sohnes,
Als er ging in Manneshülle:
30. von der Mönche Hand ge-
schrieben,
Blatt aus Blatt mit Müh' und
Sorge«,
In den Truhen der Abteien
Lag es liebevoll geborgen.
31. Zärtlich ward der Schatz
betrachtet,
Mit bescheidnem Stolz gepriesen
Und als Klosterhort dem fremden
Schristerfahrnen Mann gewiesen.
32. Solch ein kostbar Gut zu
sichern
Treu dem künftigen Geschlechte,
Schrieben sie, die braven Mönche,
Sommertag' und Winternächte.
33. Uot und blau und grün
und golden
Schimmerten die Anfangslettern,
Reich umrankt von Blumendolden
Und von traumhaft bunten
Blättern.
34. Rührend bat der fromme
Schreiber
An des langen Werkes Ende,
Daß man seiner armen Seele
Des Gebets Almosen spende.
35. Trutziglich wie schwarze
Krieger,
Lanzenknechte der Konvente,
Standen Glied an Glied die Runen
Auf dem weißen Pergamente.
36. Ja, sie sind's, die
schwarzen Krieger,
Die von einer weggestürmten
Schönheitswelt die letzten
Inseln
Rettend vor den Wogen
schirmten!
37. Weht dir aus des Mä-
oniden h
Sängen wie aus Meeresrauschen
Tiefes, unerkanntes Sehnen,
Das dich zwingt zum Weiter-
lauschen ;
38. Mahnt der Zorn des letzten
Römers h,
Gott und Vaterland zu ehren,
Drängt er, vor dem Bild des
Lasters
Dich der Tugend anzuschwören,-
) Beiname Homers. 2) Tacitus.
00 CaärnV C^ii Csgj? P£r»> PLd c-sd l^Ld CgR Cgff C^tR t^£¥?
39. Strömt dir aus dem Buch
der Bücher
Kraft und Trost im Kampfgewicht,
Wie dem matten Wüstenwaller
Labung aus des Palmquells Kühle:
40. Sei gedenk der wetter-
festen
Lanzenknechte der Konvente,
Sei gedenk der schwarzen
Krieger
Bus dem weißen Perga-
mente! —
41. Buch zu rauherm Dienste
stählten
Die Geschornen ihre Kräfte:
Schicklich wußten sie zu führen
Bogen, Beil und Lanzenschäfte,
42. Waren Feinde zu verjagen,
Die desFeldesFrucht verbrannten,
Oder Bäuber, die der frommen
Spendebringer Weg verrannten,-
43. Oder war ein Festtags-
braten
Zu erbirschen in den Forsten,
Sei's ein stolzer Sechzehnender,
Sei's ein Bursch mit Wehr und
Borsten. —
44. Blso übten sie beständig
Friedenswerk und Kampfes-
pflichten,
Doch der Hrbeit für der Seele
heil vergaßen sie mitnichten.
45. Früh und spät zum Himmel
schallte
Ihrer Hymnen und Gebete
Bange Klage, die für alle
Und für sie um Einlaß flehte. —
46. Süßer Schlag der Heide-
lerche,
Sonnenschein auf allen Hügeln!
Tauwindsang, durch alleSchluchten
Flog er rasch aus weichen Flügeln.
47. Friedensboten, Himmels-
schlüssel
Sproßten auf der jungen Bue,
Und ein frohes Frühlingsahnen
Bauschte durch die Sachsengaue.
16. Das Wessobrunner Gebet1).
(Achtes* 2) Jahrhundert.)
Text nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5. Auflage, S. 80. Halle
1902. — Übersetzung nach Piper, Die älteste deutsche Literatur, (Kürschner,
Deutsche Nationallit. Bd. 1, S. 139. Berlin u. Stuttgart, 0. L), Th. Sch au Hier,
Althochdeutsche Lit., Sammlung Göschen, Nr. 28, S. 67.
Dat3 4) gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista, 1
Vas erfuhr ich unter (den) Menschen (als der) Wunder größtes,
Dat ero nt uuas noh üfhimil,
daß Erde nicht war noch ÜberhimmeU)
noh paum noh pereg ni uuas,
noch Baum noch Berg (nicht) war,
ni ..........nohheinig noh sunna ni scein,
nicht........ (keiner) noch die Sonne (nicht) schien
noh mäno ni liuhta, noh der mär^o seo. 5
noch (der) Blond (nicht) leuchtete noch die gewaltige See.
Do dar niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo,
Bis da nichts (nicht) war von Enden noch Wenden (Grenzen),
enti dö uuas der eino almahtico cot,
(und) da war der eine allmächtige Gott,
manno miltisto, enti dar uuärun auh manake mit inan
der Männer mildester, und da waren auch manche (viele) mit ihm
cootlihhe geistä. enti cot heilac............
göttliche Geister. Und Gott heilig ...........
Cot almahtico, du himil enti erda gauuorahtös, enti 10
(Bott allmächtiger, (der) du kfimmel und Erde wirktest, und
du mannun so manac coot forgäpi, forgip mir in dino
(der) du den Menschen so manch Gut gabst, gib mir in deiner
1) Die Handschrift gehörte dem Benediktinerkloster Wessobrunn in
Oberbayern, in der Nähe des Ammersees. Im Jahre 1877 wurde in Wesso-
brunn ein Denkstein errichtet, auf dem dieses älteste süddeutsche Sprach-
denkmal eingemeißelt ist.
2) Im achten Jahrhundert in Bayern aufgezeichnet, aber wahrschein-
lich bedeutend älter.
3) Die Zeilen 1—5 weisen auf sächsischen Ursprung hin (vgl. das
zweimalige dat u. a.). — Z. 1—5: Schilderung des Chaos nach germanisch-
heidnischer Anschauung. — Z. 6—9: Schilderung christlichen Charakters,
Z. 10 ff.: Gebet, das der Kompilator in unbeholfener Weise hinzufügte.
4) Vgl. Edda, Der Seherin Weissagung, Str. 3, Seite 12 des Lesebuches.
J
ganädä rehta galaupa enti cötan uuilleon, uuistöm enti
Gnade rechten Glauben und guten willen, Weisheit und
spähida enti craft, tiuflun za uuidarstantanne enti arc za
Klugheit und Kraft, Teufeln zu widerstehen und 5lrges zu
piuuisanne enti dinan uuilleon za gauurchanne.
vermeiden und deinen Willen zu wirken.
17. Das ältere Hildebrandlied1).
(Um 800.)
Text nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5 Ausl., S. 78—79,
Halle 1902. — Übersetzung nach Piper, Die älteste Deutsche Literatur
(Kürschner, Deutsche National-Literatur. Bd. 1, S. 145ff. Berlin u. Stutt-
gart o. I.), und Th. Schauffl er, Althochdeutsche Literatur, Sammlung
Göschen, Nr. 28, S. 56ff.
1 Ik gihörta (tat Seggen,........................
Ich hörte das sagen,
(tat sih urhettun enon muotin
daß sich als Kämpfer einzeln begegnet feien
Hiltibrawt enti Hactubrant untar heriun tuem.
hildebrand und hadubrand zwischen Heeren zweien (den beiden Heeren).
sunufatarungo iro saro rihtun,
Zahn und Vater ihre Rüstungen richteten,
5 garutun se iro gücthamun, gurtun sih iro suert ana,
machten gar (bereit) sie ihre Kampsgewande, gürteten sich ihre Schwerter an,
helidos ubar Aringä, dö sie tö dero hiltiu ritun.
die Helden, über die Panzerringe, da sie zu dem Streite ritten.
1) Von zwei Mönchen des Klosters Fulda niedergeschrieben. Von den
Brüdern Grimm i. J. 1812 herausgegeben. — „Mischdialekt: hochdeut-
sches Original, durch sächsischen Schreiber abgeschrieben" (Braune). Die
Handschrift befindet sich in der Landesbibliothek zu Cassel. — Über den
Sagenkreis von Dietrich von Bern: W. Golther, Deutsche Heldensage
(Deutsche Schulausgaben, hrg. von J. Ziehen, Bd. 2, Dresden, Ehlermann),
O. L. Jiriczek, Die deutsche Heldensage, Sammlung Göschen, Nr. 32.
— G. Bötticher, Hildebrandlied, übersetzt und erläutert, bei Bötticher und
Kinzel, Denkmäler der älteren deutschen Literatur I, 1. Halle, Waisenhaus.
Hiltibra/zt gimahalta [Heribrantes sunu]: her uuas heröro man,
Hildebrand sprach, Heribrands Sohn: er war der ältere Mann,
kerahes krötöro; ber kragen gistuont
der lebenserfahrenere; er zu fragen begann
köhem uuortum. -^wer sin fater wäri
mit wenigen Worten, wer fein Vater wäre
kireo in kolebe, to
der Menschen im Volke (in der Menschen Volke)
....................‘eddo ^welihhes cnuosles du sis.
„oder welches Geschlechtes du (eist;
ibu du mi enan sages, ik mi de ödre uuet,
Wenn du mir einen sagst, ich mir die andern weiß,
chind, in chunincriche: chüd ist mi al irmindeot.’
Kind (Jüngling), im Königreiche: kund ist mir alles Menschenvolk."
Hadubrazzt gimahalta, Hiltibrantes sunu :
Hadubrand sprach, Hildebrands Sohn:
^dat sagetun mi üsere liuti, 15
„Das sagten mir unsere Leute,
alte anti fröte, dea erhina wärun,
alte und erfahrene, die ehemals waren.
dat Hiltibrant hetti min fater; ih heittu Hadubrant.
daß Hildebrand hieße mein Vater! ich heiße Hadubrand.
forn her östar giuueit, flöh her Otachres nid,
Einst er nach Osten ging, floh er Machers H Haß,
hina miti Theotrihhe, enti sinero degano filu.
von hinnen mit Dietrich* 2) und feiner Krieger viel.
her furlet in lante luttila sitten 20
Er ließ im Lande elend fitzen
prüt in büre, barn unwahsan,
die junge Frau in der Wohnung, ein Kind unerwachsen,
arbeo laosa: her ret östar hina.
der Erbgüter verlustig: er ritt nach Osten von hinnen.
sid Detrihhe darbä gistuontuzz
Später Dietrich Darbungen entstanden
1) Otaker, Odowakar, Odoaker (476—489 Herr in Italien).
2) Dietrich von Bern, der Ostgotenkönig Theoderich der Große
(475 — 526).
J
64
fateres mines. dat uuas so friuntlaos man:
Vaters meines1). Das2) war so freundloser Mann:
25 Iren was Otachre ummet irri,
er3) war dem Dtacher unmäßig ergrimmt,
degano dechisto mii\ Deotrichhe.
der Helden ergebenster mit (bei) Dietrich.
den was. eo solches at ente: imo was eo fe/z/a ti leop:
Er war immer an des Uriegsvolkes Spitze: ihm war immer Fechten zu lieb;
chüd was her . . ... chönnem mannum.
lrund war er kühnen Männern.
ni wäniu ih iü lib habbe'.........................
nicht wähne ich mehr, daß er noch das Leben habe."
30 cwettu irmingot [quad Hiltibrazzt], obana ab hevane,
„Wahrlich, großer Gott", (sprach hildebrand), „von oben herab vom ksinimel,
dal du neo dana halt mit sus sippan man
daß du nie noch mehr mit so (nahe) verwandtem Manne
dinc ni gileitös’......................
Verhandlung nicht führtest."
want her dö ar arme wuntane bougä,
Wand er da vom firme gewundene Ringe,
cheisuringu gitän, so imo se der chuning gap,
aus Raisermünzeq gemacht, so (wie) ihm sie der Rönig gab,
35 Hüneo truhtin; cdat ih dir it nü bi huldi gibu.’
der kfunnen £)err: „daß ich dir es nun mit kfulden (in kfuld) gebe."
Hadubrazzt gimälta Hiltibrantes sunu:
Hadubrand sprach, lfildebrands Lohn:
cmit gern scal man geba infähan,
„Mit dem Ger3) soll der Mann Gabe empfangen,
ort widar orte.
Spitze wider Spitze.
1) Später batte Dietrich meinen Vater sehr notwendig.
2) Dietrich.
3) Hildebrand.
4) Goldmünze des oströmischen Kaisers.
5) Speer, vgl. die Sage von dem Langobarden Adelgis, der mit den
Boten Karls des Großen die Geschenke von Speerspitze zu Speerspitze
getauscht haben soll, (Deutsche Sagen, hrg. v. den Brüdern Grimm.
4. Ausl, besorgt von R. Steig, S. 323, Nr. 444, Berlin, Nicolai 1906).
KLLr ügj? Egg? Kgl? Kgl? Cgi? Kgi? Kgjt t^s-a Pgi? Rgi? Kgs? 05
dü bist dir, alter Hün, ummet späher,
Du bist dir, alter Hunne, ein unmäßig schlauer,
spenis mih mit dinem vortun, wili mih dinu speru werpan. 40
lockst mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speer werfen.
pist also gialtet man, so dü ewin inwit fuortös.
Bist so gealtert wann, so du ewige Tücke hegtest.1)
dat sagetun mi s§olidante
Das sagten mir Seefahrer
westar ubar wentils§o, dat man wie furnam:
westwärts über den Wendelsee* 2), daß ihn der Kampf wegnahm:
tot ist Hiltibrant, Heribnmtes suno/
tot ist hildebrand, heribrands Sohn."
Hiltibrant gimahalta, Heribrantes suno: 45
hildebrand sprach, heribrands Sohn:
‘wela gisihu ih in dinem hrustim
„Wohl sehe ich an deiner Rüstung,
dat dü habes heme herron göten,
daß du hast daheim Herren guten feinen g. h.^
dat dü nob bi desemo riebe reccheo3 4 5) ni würd.’
daß du noch bei dieser Herrschaft Verbannter nicht wurdest."
‘welaga nü, waltant got [quad Hiltibrant], wewurt skihit.
„Wehe nun, waltender Gott," sprach hildebrand, „Wehgeschick geschieht.
ib wallöta sumaro enti wintro sehstic ur lante, 50
Sch wallte der Sommer und Winter sechzig außer Landes,
dar man mib eo scerita in folc sceotantero:
wo man mich immer zuteilte zudem Volk der Schießendenh:
so man mir at burc §nigeru banun ni gifasta,
so (daß) man mir bei Burg irgendeiner verderben nicht festigte^),
nü seal mib suäsat chind suertu hauwan,
nun soll mich (mein) trautes Kind mit dem Schwert hauen,
1) Du bist so alt geworden, indem du........
2) Das um die Erde sich windende Meer, Mittelmeer.
3) Vertriebener, Recke, verwandt mit englisch wretch (der elende,
heimatlose, unglückliche Mensch; der elende, nichtswürdige Mensch,
Schurke); mhd. recke swm. Verbannter; herumziehender Krieger; er-
probter Krieger, Held s. Wörterbuch.
4) Kämpfer.
5) Ohne daß man mir bei einer Burg Verderben zugefügt hätte.
Liermann-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch. 5
06 pgri?Eg«?E-St?Egdpgjìc^ar?r^snrgj?ca-dcg»?
bretón mit sìnu billiu, eddo ih imo ti banin werdan.
totschlagen mit seiner Klinge, oder ich (soll) ihm zum verderben werden.
55 doh mäht dü nü aodlìhho, ibu dir din eilen taoc,
Doch magst (kannst) du nun leicht, wenn dir dein Mut taugt,
in sus hèremo man hrusti giwinnan,
an so altem Manne Rüstung gewinnen,
rauba bi^ahanen, ibu dü dar ènte reht habès/
Raub rauben, wenn du dahin, (darauf) einiges Recht hast."
‘der s! doh nü argòsto [quad Hiltibrant] òstarliuto,
„Der sei doch nun der Feigste," sprach hMebrand, „der Ostleute,
der dir nü wiges warne, nü dih es sò wel lustit,
der dir nun Kampfes (Kampf) weigerte, nun (da) dich dessen so sehr gelüstet,
60 güdea gimeinün : niuse de mòtti,
nach Kampf gemeinsamem '); versuche (es) der Gelegenheit (habe)* 2 3)
/zwerdar sih hiutu dero hregilo rümen muotti,
wer von beiden sich heute der Rüstung entledigen muß,
erdo desero brunnöno bèdero uualtan.’
oder dieser Brünnen beider malten."3)
dò Itzttun se èrist asckim scrìtan,
Da ließen sie zuerst mit Lschen(Ianzen) schreiten (die Rosse) 4 5 6),
scarpén scürim : dat in dem sciltim stönt.
zu scharfen Kampfschauern, daß es in den Schilden stand3)-
65 dò stòpun tò samane staimbortchludun,
Da (dann) schritten (sie) zusammen ?3)
beuwun harmlicco huìtt§ sciiti,
hieben harmlich (scharf) auf weiße Schilde,
unti im iro lintün luttilo wurtun,
bis ihnen ihre Lindenschilde klein wurden,
giwigan miti wambnum...............................7)
zerstückelt mit Waffen.
') Nach dem Kampfe Mann gegen Mann.
2) Versuche es der, dem es beschieden ist.
3) diese beiden Brustharnische besitzen soll.
q sie sprengten an.
5) Die Eschenlanzen durchbohrten die Schilde.
6) noch nicht zutreffend erklärt.
7) Hier endet die Handschrift.
L
18. ’Würdigung des Bildebrcmdliedes.
Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Literatur, 11. Ruth, S. 29—31,
Berlin 1908.
Das liied, soweit es gut erhalten, packt feinen Stoff meisterhaft
und beutet ihn erschütternd aus. An dem äufjeren heben
nimmt der Dichter wenig Anteil. 'Sn die Situation führt er nicht
ein. Wie die beiden sich rüsten, beschreibt er, aber ganz kurz;
ebenso nachher den Kampf: z. B. dah sie von den Rosien 5
absteigen, muh man erraten. Er geht resolut auf das los, was
ihm die Hauptsache ist. Shn reizt die Entwickelung von Rede und
Segenrede. Er tritt erläuternd selbst hervor, um uns zu sagen,
das) Bildebrand zuerst das Wort ergriff, weil er der Ehrwürdigere,
der Ältere war: die Forderung der Sitte ist gewahrt. Er weih, io
dah es für die Erzählung eines längeren Gespräches vorteilhaft
ist, wenn es durch Bandlungen unterbrochen oder begleitet wird;
er erfindet daher das Motiv der Ringe, welche Bildebrand von
feinem Arme windet, um sie dem Gegner anzubieten. Er ver-
schmäht es im Eingänge, die Pracht der Rüstungen leuchten zu 15
lassen; er bringt aber als einen Bebel des Gespräches an, dah
Badubrand wohl ausgestattet fei; und so werden wir über die
äuhere Erscheinung doch zugleich unterrichtet.
Doch alles das ist nur Technik; in den geschickt geführten
Reden sollen sich Menschen zeigen, Rlenichenichickiale entscheiden 20
und eine furchtbare Tragik enthüllen.
Der Dichter hat nicht bloh die naiven Sitten einer kindlichen
Zeit wiedergegeben, worin sich selbst zu rühmen erlaubt ist, worin
Besitz, Geschenke, Beute den Gegenstand eines unverhüllten
egoistischen Begehrens ausmachen: Hildebrand streicht feine um- 25
fassende Perfonenkenntnis heraus; als Ziel des Kampfes gilt die
Rüstung des Gegners, zur Milderung trotzigen Sinnes dient ein
dargebotenes Schmuckstück, auf die Güte des Berrn wird aus der
äuheren Erscheinung des Vasallen geschlossen. Der Dichter weih
nicht bloh eine Menge ausserhalb des Rahmens der Erzählung 30
liegender Tatsachen ungezwungen anzubringen; sondern er ver-
steht es, dabei die Charaktere zu entwickeln und Reden und
Bandlungen aus ihnen hervorgehen zu lassen.
Wie ist Bildebrand so ganz Alter! Und Badubrand so ganz
Tugend! 3ener bedächtig, weitblickend, zögernd, klug; dieser 35
5*
08 c^t tzsa p^v dsa czsavzsuvisn
rasch entschlossen, kampflustig, mißtrauisch, kurzsichtig, verrannt.
Die Situation, durch Hildebrands bedächtiges Fragen herbeigeführt,
nötigt ihm weitere Bedächtigkeit auf. Damit wir aber ja nicht im
Zweifel bleiben über feine Tapferkeit, muß Hadubrand, der an dem
5 mute seines Gegners zweifelt, anführen — was für den einge-
weihten Börer fast ironisch wirkt —: feinem Pater sei stets der
Kampf zu lieb gewesen. Cragische Ironie kann überhaupt nicht
völliger durchgeführt werden, als es von diesem ausgezeichneten
Künstler geschehen. Der Wissende und Dichtwissende im Gegensatze,
io jener sein Wissen mitteilend, dieser sich dagegen sträubend, jener
von hiebe erfüllt zu dem gegenwärtigen Sohne, dieser von hiebe
erfüllt zu dem vermeintlich toten Pater, stolz auf ihn, bereitwillig,
sein hob zu verkünden — und die beiden im Pernichiungskampf
aufeinander los!
15 Unbedingt erscheint Bildebrand als der Held. Seine ganze
frühere Geschichte wird berührt, sein weitreichender Ruhm, sein
Baß gegen Odovakar, sein Entweichen mit Eheoderich, seine Gunst
beim Bunnenkönig, Eheoderichs hiebe zu ihm, Bildebrands Ereue
und rastloses, glückliches Kämpfen. Unser Mitleid wird rege ge»
20 macht für das arme Weib, für das enterbte Kind, das er zurück-
ließ, aber zu allermeist für ihn selbst, der von seiner Familie so
lange getrennt war und jetzt weiß, was er tun, gegen wen er
feine Waffen gebrauchen soll. Dennoch lassen ihm die Gesetze der
Ehre keine Wahl. Wir sehen seine Perzweiflung, aber wir fühlen,
25 daß ihm nicht zu helfen ist. Wir sind mitten hineingerissen in
alle Furchtbarkeiten der hage. Und dock verschwendet der Dichter
nirgends ein gefühlvolles Wort; überall wirkt er nur durch streng
sachgemäße Bezeichnung in dem gegebenen formelhaften Stile.
Bildebrands Weheruf, sobald der Kampf unausweichlich geworden,
30 steht allein da; in diesen Aufschrei drängt fick die ganze namen-
lose Angst seines Paterherzens zusammen.
Schreckliche Seelenqual, die erlitten, entsetzlicke Eat, die ge-
tan werden muß, unter dem kategorischen Imperativ der Ehre,
dies ist das Hauptmotiv, welches die Phantasie des Dichters be-
35 wegte. Er legt damit ein Zeugnis ab für den sittlichen Geist
unseres alten Beldengefanges. So gering der Rest, der
uns davon geblieben, es ist eine edle Frucht, und wir
schließen auf den Wert des Baumes, der sie trug.
19. Das jüngere ßildebrcmdlied1),
(3m 15. Jahrhundert entstanden.)
Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder herausgegeben von Ludwig
UHIand, Bd. I, 5. 330ff. Stuttgart und Tübingen 1844.
1. ..Mcy will zu land auß-
reiten,"
sprach sich inaister hiltebrant,
„der mich die weg tät weisen
gen Bern wol in die lant;
die sint mir unkunt gwesen
vil manchen lieben tag,
in zwai und dreißig jaren
fraw Uten ich nie gesach."
2. „lDilt du zu land außreiten,"
sprach sich Herzog Umelung,-)
„was begegent dir auf der
Haide?
ain schneller^) begert4 * *) jung;
was begegent dir auf der
marke?
der jung Herr Ulebrant,^)
ja rittest du selb zwölfte,
von im würdest angerant."
3. „Ja rennet er mich ane
in seinem Übermut,
ich zerhaw im seinen grünen
schilt.
es tut im nimmer gut,
ich zerhaw im seine brünne^)
mit ainem schirmenschlag, 7)
und daß er seiner mutter
ain jar zu klagen hab."
4. „Das solt du nicht entune^)!"
sprach sich fvon Berns Herr
Dieterich,
„wann^) der jung Herr Ble-
brant
ist mir von herzen lieb;
du solt im sreuntlich zu sprechen
wol durch den willen mein10):
daß er dich laße reiten,
als lieb ich im mög gesein."
5. Doerzumrosengartenaußrait
wol in des Berners mark,
do kam er in große arbait
von einem Helden stark,
von einem Helden junge
wart er do angerant:
„nun sag an, du vil alter,
was suchst in meins vaters
land?
6. Du fürst dein Harnisch lauter
und rain,
recht seist du ains Königs kint,
du machst mich jungen Helden
mit gsehenden äugen blint;
i) Böhme, altd. Liederbuch Nr. 1 (mit der alten Singweise). — i) 2 *) Theo-
)6 derich der Große (Dietrich von Bern) aus dem Geschlecht der Nmelungen. — 8) nihd-
le.snel schnell, frisch und munter, streithaft. 4) mhd. degen stm. Knabe, Krieger,
k)eld. — ö) ksadubrand. — 6) mhd. brünne stswf. Brustharnisch. — 7) mhd.
os schirm-slac strn. Fechthieb, Fechterstreich. — 8) en-tune — nicht tun. — 9) denn;
M mhd. wände, wan.— i«) um meinetwillen, meinetwegen; mhd. durch ... willen
ru, um... willen, wegen.
J
70 Csgj? Fagy r^gj? Cggj? Viä-H v^sa Egj? rggd Eagj?
du sottest dahaime bleiben
und haben gut Hausgemach
ob ainer haißen glute."
der alte lacht und sprach:
7. „Zollt ich dahaime bleiben
und haben gut Hausgemach?
mir ist bei all mein tagen
zu raisen aufgefaßt,
zu raisen und zu fechten
biß auf mein hinesart,
das sag ich dir vil jungen,
drumb grawet x) mir mein
bart".
8. „Dein bart will ich dir
außraufen,
sag ich dir vil alten man,
daß dir dein rosenfarbes blut
über die wangen muß abgan,-
dein Harnisch und dein grü-
nen schilt
must du mir hie ausgeben,
darzu must mein gefangner
sein,
wilt du behalten dein leben."
9. „Mein Harnisch und mein
grüner schilt
die teten mich oft ernern,-)
ich trawe Christ vonhimelwol,
ich wöll mich dein erwern^)."
sie ließen von den Worten
und zuckten scharpfe schwert,
was die zwen Helden begerten,
des wurden sie gewert.
l O. Ich waiß nicht wie der junge
dem alten gab ain schlag,
daß sich der alte hiltebrant
von Herzen ser erschrack;
er sprang sich Hinderrucke
wol siben Klafter weit:
„nun sag an, du vil junger!
den straich lert dich ain weib."
l l. „Zolt ich von weibern lernen,
das wär mir immer ain schand,
ich hab vil ritter und knechte
in meines vaters land,
ich hab vil ritter und grasen
an meines vaters Hof,
und was ich nicht gelernet hab,
das lern ich aber noch."
12. Er erwischt in bei der mitte,
da er am schwechsten was,
er schwang in Hinderrucke
wol in das grüne gras:
„nun sag mir, du vil junger!
dein beichtvater will ich
wesen^):
bist du ain junger wälsing,
vor mir magst du genesen.
13. wer sich an alte keßel reibt,
der empfahet gerne ram/)
also geschicht dir jungen
wol von mir alten man,-
dein beicht sott du hie ausgeben
aus diser Haide grün,
das sag ich dir vil eben,
du junger helde kün!"
i) wird grau; mhd. grawen swv. grä (altersgrau) sein oder werden. —
2) erhalten, erretten; mhd. er-nern swv. gesund machen, retten, am Leben er-
halten, ernähren.— 3) erwehren; mi)b. er-wern. — 4) sein; mf)b. wesen stv.—
ö) Ruß; mhd. räm stm. staubiger Schmutz (des. von dem Metall der Rüstung), Ruß.
L
14. „Du sagst mir vil von wolsen,
die laufen in dem holz:
ich bin ain edler degen
auß Xriechenlanden stolz,
mein mutter haist sraw Ute,
ain gewaltige Herzogin,
so ist hiltebrant der alte
der liebste vater mein."
15. „haist dein mutter sraw Ute,
ain gewaltige Herzogin,
so bin ich hiltebrant der alte,
der liebste vater dein."
er schloß im auf sein güldin
Helm
und kust in an sein munt:
„nun muß es gott gelobet sein!
wir sint noch baide gesunt."
16. „Uch vater, liebster vater!
die wunden, die ich dir hab
gschlagen,
die wolt ich dreimal lieber
in meinem haubte tragen."
„nun schweig, du lieber sune!
der wunden wirt gut rat,
seit daß uns gott baide
zusammen gefüget hat."
17. Das weret von der noneh
biß zu der vesperzeit,* 2 *)
biß daß der jung Herr Ulebrant
gen Berne einhin reitt;
was fürt er an seinem Helme?
von gold ain krenzelein;
was fürt er an der seiten?
den liebsten vater sein.
18. Er fürt in mit im in sein sal
und saßt in oben ann tisch,
er bot im eßen und trinken,
das baucht^) die mutter un-
billich:
„ach sune, lieber sune!
ist der eren nicht zu vil,
daß du mir ain gefangnen man
setzst oben an den tisch?"
19. „Uun schweige, liebe mutter!
ich will dir newmär sagen:
er kam mir auf der Haide
und het mich nahet 4 * *) er-
schlagen,-
und höre, liebe mutter!
Kain gefangner sol er sein:
es ist hiltebrant der alte,
der liebste vater mein.
20. Ach mutter, liebe mutter,
nun beut im zucht und erh!"
do hub sie auf und schenket
und trug ims selber her-
was het er in seinem munde? o)
von gold ain fingerlein,7)
das ließ er inn becher sinken
der liebsten frawen sein?)
nona hora: neunte Stunde, drei Uhr nachmittags; mhd. nöne stf. —
2) vesper: Übend, sechs Uhr nachmittags; mhd. vesper stf. — 3) deucht, dünkt
der Mutter. — 4) beinahe; mhd. nähet adv. nahe. — 5) Ehrerbietung, Ver-
ehrung; mhd. ere stf. —- 6) in seiner 6and; mhd. rnunt stmf. Hand. — 7) Hing;
aihd. vingerlin stn. (eigentlich „Fingerchen", Fingerring), vgl. Leibchen, Ürmel. —
8) Das alte tpldebrandlied hier im Tone der Bänkelsänger mit Motiven aus dem
Volkslied (vgl. z. B. 5tr. 17). Die Tragödie ist zum Familienrührstück geworden.
20. Die Straßburger Gicle.
(14. Februar 842 n. Chr.)
Die Söhne Ludwigs des Frommen, Ludwig der Deutsche (seit dem Ver-
trage von Verdun ostfränkischer König, 843 — 876) und Karl der Kahle
(843 — 884 westfränkischer König), verbünden sich gegen ihren Bruder
Lothar, der auf das Gesamterbe des Vaters Anspruch gemacht hatte.
Ludwig schwört in der dem Heere Karls, Karl in der dem Heere Ludwigs
verständlichen Sprache.
a) Schwur Ludwigs des Deutschen
in romanischer Sprache.1)
(Mit Übersetzung in das Lateinische und Neufranzösische.)
1. Lateinisch.
Pro Dei amore et pro christiani populi et nostra com-
muni salute, ab isto die in posterum, quantum Deus sapere et
posse mihi donat, sic salvabo ego istum meum fratrem Carolum
et in adiumento et in quaque causa, sicut homo per rectum
suum fratrem salvare debet, in hoc quod ille mihi alterne
faciet; et a Lothario ullum placitum numquam prehendam, quod
mea voluntate isti meo fratri Carolo in damno sit.
2. Romanisch.
Pro deo amur et pro Christian poblo et nostro
commun saluament, d’ist di in auant, in quant deus
sauir et podir me dunat, si saluarai eo eist meon
fradre Karlo et in aiudha et in cadhuna cosa, si
cum om per dreit son fradra saluar dist, in o quid
il mi altresi fazet; et ab Lud her nul plaid numquam
prindrai, qui meon uol eist meon fradre Karle in
damno sit.
3. N eus ranz ösisch.
Pour l’amour de Dieu et pour le salut du peuple chré-
tien et notre commun salut, dorénavant, autant que Dieu
m’en donne le savoir et le pouvoir, je défendrai mon frère
Charles que voilà et par aide et en chaque chose, ainsi qu’on
doit selon la justice défendre son frère, pourvu qu’il me fasse
1) E. Koschwitz, Les plus anciens monuments de la langue fran-
çaise, cinquième édition, Leipzig 1897. — A. Gaumont, Cours de littéra-
ture française, Francfort s. M. 1890. — Vgl. C. Voretzsch, Einführung in
das Studium der altfranzösischen Literatur, S. 31—35, Halle, Niemeyer, 1905.
Eggj? c^gâs? Ctfgs? cjStìì c^gjì r^Ä-c^Ld c>sd c^sa Cì<s%< &g=»? cgj? 73
de même; et avec Lothaire jamais je ne prendrai aucun
arrangement qui par ma volonté soit au préjudice de mon
frère Charles ici présent.
b) Schwur Karls des Kahlen in althochdeutscher (rhein-
fränkischer) Sprache *)•
In godes minna ind in thes christiänes solches ind unser
stuf Gottes Liebe (hoffend) und auf des christlichen Volkes und unser
bedhero gehaltnissi, fon thesemo dage frammordes, so fram
beider Seligkeit, von diesem Tage an fernerhin, so weit
so mir got geuuizci indi mahd furgibit, so haldih thesan
als mir Gott Weisheit und Macht gibt, so unterstütze ich diesen
minan bruodher, soso man mit rehtu sinan bruodher scal, in
meinen Bruder, so wie man mit Recht seinen Bruder soll, in
thiu thaz; er mig so sama duo, indi mit Ludheren in
dem daß er mir ebenso tun, und mit Lothar in
nohheiniu thing ne gegango, the minan uuillon imo ce
keine Dinge nicht gehe ich ein, die mit meinem Willen ihm zu
scadhen uuerdhen.
Schaden werden.
c) Schwur der Mannen Karls des Kahlen in romanischer
Sprache* 2).
Si Lodhuuigs sagrament, quç son fradre Karlo iurat,
Wenn Ludwig den Eid, den er seinem Bruder Barl schwört,
conseruat, et Karlus meos sendra de suo part non los tanit,
hält, und Karl, mein Herr, seinerseits den nicht hält,
si io returnar non Tint pois: ne io ne
wenn ich ihn nicht davon abbringen kann: so werde weder ich noch
1) Text nach W. Braune, Althochdeutsches Lesebuch 5. Ausl., S. 51,
Halle 1902.
2) Text nach Koschwitz, a. a. O. — NeufranzösischerText (nach
Ploetz, Manuel 1883, S. XX): Si Louis garde le serment qu’il a juré
à son frère Charles, et que Charles mon maître, de son côté, ne le tienne
pas, si je ne l’en puis détourner, ni moi ni nul que j’en puis détourner, ne
lui serai en aide contre Louis.
neuls, cui eo returnar int pois, in nulla aiudha
deren irgend einer, den ich davon abbringen kann, in keiner Hilfe
contra Lodhuuuig nun li iu er1),
gegen Ludwig nicht ihm darin sein.
d) Schwur der Mannen Ludwigs des Deutschen in alt-
hochdeutscher (rheinfränkischer) Sprache1 2 *).
Oba Karl then eid, then er sinemo bruodher Ludhuuuige
Wenn Karl den Lid, den er seinem Bruder Ludwig
gesuor, geleistit, indi Ludhuuuig min herro then er imo
schwur, hält, und Ludwig, mein Herr, (den), den er ihm
gesuor, forbrihchit. ob ih inan es irruuenden ne mag: noh
schwur, bricht, wenn ich ihn davon abwenden nicht Kann: noch
ih noh thero nohhein, then ih es iruuenden mag,
ich noch deren irgendeiner von denen, die ich davon abwenden Kann,
uuidhar Karle imo ce follusti ne uuirdhit.
wider Karl ihm zu Hilfe nicht wirds).
21. Aus dem Gedicht „muipilli“ (Grdzersförung)4).
(Neuntes Jahrhundert.)
Text5) nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5. Ausl. S. 81, Halle 1902.
— Übersetzung nach Piper, Die älteste deutsche Literatur (Kürschner,
Deutsche Nationallit. Bd. 1 S. 154, Berlin und Stuttgart o. J.), und Th.
Schauffler, Althochdeutsche Literatur, Sammlung Göschen, Nr. 28, S. 70 ff.
Der Antichrist kämpft mit Elias.
(Vers 37—62 nach Braune).
Da^ hörtih rahhön dia uueroltrehtuuison,
Das hörte ich sagen die Weltweisen,
1) nun li iu er, non li iv er — non illi ibi ero, ich werde ihm darin r
nicht (zu Hilfe) sein (Erklärung von Diez).
2) Text nach Braune a. a. O.
H So schwöre ich, dass weder ich noch irgend einer von denen, die 3
ich davon abbringen kann, ihm gegen Karl Hilfe leisten wird.
4) „Ein Laie nimmt darin den prophetischen Ton der Predigt an. Die 3
kirchlichen Lehren, die ihm unvollkommen bekannt sind, beutet er mög- -j
liehst effektvoll aus und weiß sie für die kriegerische Sinnesart seines vor- -1
nehmen Publikums poetisch anziehend zu machen. Um die Seele des a;
Sterbenden kämpfen zwei Scharen, Engel und Teufel; der Antichrist kämpft ff
mit Elias.“ (Scherer, Gesch. d. Deutschen Literatur),
b) bayrisch.
L
da? sculi der antichristo mit Eliase pägan.
daß solle der Antichrist mit Elias streiten.
der imareh ist kiuuäfanit, denne uuirdit untar in uuic arhapan.
Der Würger ist gewaffnet, dann wird unter ihnen Kampf erhoben.
Irdenfun sirit so kreftic, diu kösa ist so mihhil.
Die Kämpfer sind so kräftig, die Zache (1. causa) ist so groß.
Elias stritit pi den euuigon lip, 5
Llias streitet um das ewige Leben,
uuili den rehtkernön da? rihhi kistarkan:
will den Rechtliebenden das Reich stärken sichern);
pidiu scal imo helfan der himiles kiuualtit.
deshalb wird ihm helfen, der des Fimmels waltet.
der antiehristo stet pi demo altfiante,
Der Antichrist steht bei dem alten Feinde (Erbfeinde),
stet pi demo Satanase, der inan varsenkan scal:
steht bei dem Satanas, der ihn versenken (vernichten) wird;
pidiu scal er in deru uuicsteti uunt pivallan 10
deshalb wird er1) auf der Kampfstätte wund fallen
enti in demo sinde sigalös uuerdan.
und auf der Kriegsfahrt sieglos werden.
doh uuänit des vilo........................gotmanno,
Doch hofft des sehr........................der Gottesmänner'-),
da? Elias in demo uuige aruuartit uuerde.
daß Elias in dem Kampfe verderbet werde.
so da% Eliases pluot in erda kitriufit,
Wenn des Elias Blut auf die Erde trieft (träufelt),
so inprinnant die pergä, poum ni kistentit 15
so entbrennen die Berge, Baum nicht steht
enihc in erdu, ahä artruknent,
einig (irgendeiner) auf der Erde, Wasser vertrocknen,
muor varsuuilhit sih, suilizöt lougiu der himil,
Sumpf (Rleer) verschluckt sich, verbrennt (langsam) in Lohe der Ejimmel,
mäno vallit, prinnit mittilagart,
Rlond fällt, brennt das Erdenrund,
P Der Antichrist.
'-) Doch glauben daran viele Gottesmänner.
76
stén ni kistentit. verit denne stúatago in lant,
Stein nicht steht. Fährt dann Gerichtstag ins Land,
20 verit mit diu vuiru viriho uuisön:
fährt mit dem Feuer die Menschen suchen:
dar ni mac denne mäk andremo helfan vora demo
da nicht mag (kann) dann Verwandter anderen helfen vor dem
müspille.
W eltbrand.
denne da$ preita uuasal allaz; varprennit,
Wenn der breite Glutregen alles verbrennt
end vuir enti luft i^ alla^ arfurpit,
und Feuer und Luft es alles wegkehrt,
imán ist denne diu marha, dar man dar eo mit
wo ist dann die Mark (Feldmark), wo man da immer mit
sinén mägon piehc?
seinen verwandten stritt?
25 diu marha ist farprunnan, diu séla stet pidungan,
die Mark ist verbrannt, die Seele steht gebannt,
ni uuek' mit uuiu pua^e: so verit si za uui^e.
nicht weiß, womit (sie) büße: so fährt sie zur Bestrafung.
22. flus Offrids Evcmgelienbudi').
(Um 868.)
Ankündigung der Geburt Jesu.
Text und Übersetzung nach Piper, Die älteste deutsche Literatur (Kürschner
Deutsche Nationalliteratur Bd. i, S. 209 ff., Berlin und Stuttgart o. I.) und
nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5. Ausl., S. 97 u. 98, Halle
1902.
Vuard áster thiu irscritan sär, so. móht es sin ein hálb iär,
Ward danach vollendet sogleich, wie es mochte sein, ein halbes Jahr,
1) Süd-rheinfränkisch. — Otfrid, Benediktinermönch des Klosters Weißen-
burg im Elsaß, geb. um 800, Zeitgenosse Ludwigs des Deutschen. — J. S e i 1 e r,
Otfrids Evangelienbuch, bei Bötticher und Kinzel, Denkmäler der älteren
deutschen Literatur, II, 3. — Über Inhalt und Bedeutung des Evangelien-
buches s. A. Biese, Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 1, S. 40— 44, München,
Beck, 1907.
mänödo after rime thria stuntâ zuëne:
der Monate nach der Reihe drei mal zwei:
Tho quam boto fona góte, éngil ir fumile,
Da kam ein Bote von Gott, ein Engel aus dem Fimmel,
bräht er therèra uuórolti diuri ärunti.
brachte er dieser Welt teure Botschaft.
Floug er sünnün pad, stérròno straba, 5
Flog er der 5onne Pfad, der Sterne Straße,
uuegâ uuôlkôno zi deru itis fröno,
die Wege der Wolken zu der Jungfrau heilig,
Zi édiles fröuun sélbûn scä1) Mâriûn;
Zu edler Perrin selber der heiligen Maria;
tbie fórdoron bî bârne uuärun chüninga alle,
die vorfahren Mann für Mann waren Fürsten alle.
Giang er in thia pâlinza, fand sia drürênta,
Ging er in die Pfalz, fand sie trauernd,
mit salteru in hénti, then sang si unz in ènti: 10
mit Psalter in der pand, den sang sie bis zu Ende:
Vuähero düacho uuerk uuirkento,
prächtiger Tuche Werk wirkend,
diurêro garno, tha? déda siu io gémo,
teurer Garne, das tat sie stets gerne.
Il hö sprach er ërlîchq ubaräl, so man zi frövuün scal,
Da sprach er geziemend in jeder Einsicht, wie ein Mann zur Perrin muß,
so boto scal io güatêr, zi drûhtînes mûater :
wie ein guter Bote immer soll, zu des perrn Mutter:
‘Heil, mägad zieri, thiarna so scöni, 15
„heil, Magd ziere, Jungfrau so schön,
alierò uuìbo gote zéizôsto!
aller Weiber Gott die liebste!
Ni brutti thih müates, noh thînes anluzzes
Nicht erschrick im Perzen, noch deines Antlitzes
fârauua ni uuénti: fol bistu gótes ensti!
Farbe nicht wende: voll bist du von Gottes Gnade!
1) sancta.
78
Fórosagon súngun fon dir saligün,
Die Propheten sangen von dir, der seligen,
20 uuärun se állo uuórolti zi thir zéigònti,
waren sie alle Welten zu dir weisend,
Gomma thiu uuì^a, magad sementa !
Edelstein, (der) weißer, Magd glänzende!
múater thiu díura scált thu uuésan éina:
Mutter die teure sollst du sein allein!
Thu scalt heran éinan alauuáltendan
Du sollst gebären den einen allwaltenden
érdùn ioh himiles int alles liphaftes,
der Erde und des Pimmels und alles Lebendigen,
25 Scépheri uuórolti — theist min ärunti —,
den Schöpfer der Welt, — das ist meine Botschaft -,
fàlere gibóranan, ebanèuuìgan
vom Vater gebornen, gleich ewigen.
Got gibit imo uui'ha ioh era filu höha —
Gott gibt ihm weihe und Ehre sehr hohe —
drof ni zuiuolo thu thés — Dàuides se^ thes kúninges.
durchaus nicht zweifle du daran — Davids Stuhl des Königs.
Fr richisót githíuto kuning theréro liuto
Er herrscht volkstümlich als König dieser Leute
30 (tha^ steit in gótes henti) äna theheinig ènti.
(das steht in Gottes pand) ohne irgend ein Ende.
Alierà uuórolti ist er li'b gebend,
Aller Welt ist er Leben gebend.
thás; er ouh insperre himilrichi mánne.’
daß er auch aufschließe das Pimmelreich den Menschen."
Thiu thiarna filu scòno sprah zi bóten fròno,
Die Jungfrau sehr züchtig sprach zu dem Boten heilig,
gab si imo ántuurti mit sfiaterà giuurti:
gab sie ihm Antwort mit süßer vede:
35 ‘Vuuánana ist i?, frö min, tha? ih es uuirdig bin,
„Woher ist es, perr mein, daß ich dessen würdig bin,
thas; ih drúhtine sinan sún souge?
ich dem perrn seinen Sohn säuge?
Vuio mag 17, io uuerdan uuär, thä^ ih uuerde suängar
Wie mag es je werden wahr, daß ich werde schwanger
mih io gömman nihein in min müat ni birein.
Mich je Mann keiner in meinem Herzen (nicht) berührte.
Haben ih gimeinit, in muate bicleibit,
£)abe ich beschlossen, im harzen bestätigt,
tha^ ih einluzzo mina uuörolt nuzzo.’
daß ich alleinstehend meiner Welt nütze."
Zi iru spräh tho ubarlüt ther selbo drühtines drüt
3u ihr sprach da überlaut derselbe Traute des Herrn
ärnnti gähaz ioh härto filu uuähaz:
Botschaft schnelle und gar sehr glänzende:
'Ih seal thir sagen, thiarna, rächa filu döugna:
„Ich soll dir sagen, Jungfrau, Bede sehr geheime:
sälida ist in euu mit thiheru selu.
Seligkeit ist in Ewigkeit mit deiner Seele.
Lagen ih thir eina?: thas; selba kind thina?,
Sage ich dir eines: dasselbe Bind dein,
hei^it V/, scöno götes sün fröno.
Heißt es schön Gottes Sohn heiliger.
Ist sedal si'na^ in himile gistätaz;:
Ist Sitz seines in den Himmel gestellt:
kfining nist in uuörolti, ni si imo thionönti,
König ist nicht in der Welt, der ihm nicht sei dienend,
Noh keisor untar manne, ni imo geba bringe,
noch Kaiser unter Menschen, der ihm nicht Gaben bringe,
fua-'fällbnti int inan erenti.
fußfallend und ihn ehrend.
Er scal sinen drüton thräto gimüntön,
Tr soll seine Trauten sehr beschirmen,
then alten Sätanäsan uuilit er gifähan:
den alten Satanas will er sahen:
Nist in erdriche, thär er imo io instriche,
Nicht ist im Erdreiche, wo er ihm je entgehe,
noh uuinkil undar himile, thär er sih ginerie.
noch Winkel unter dem Himmel, wo er sich errette.
HO i<g¥? Cgi? Cgi? ViSii pgj? pgi? Pgg? Egi? tigj? Rgjt t^l? Egit
55 Fliuhit er in then se, thär gidüat er imo uue,
Flieht er in den See, da tut er ihm weh,
gidüat er imo fremidi tha^ höha himilrichi.
tut er ihm fremd') das hohe Himmelreich.
d^bob habet er imo irdeilit ioh selbe gimeinit,
Doch hat er ihm bestimmt und selbst beschlossen,
thä^ er nan in beche mit ketinu zibreche.
daß er ihn in der Hölle mit Rette vernichte.
Ist ein tbin gisibba reues ümberenta,
Ist eine deiner Gesippten unfruchtbaren Leibes,
60 iü mänageru zi'ti ist dagä leitend:
schon seit langer Zeit ist sie die Tage Leid tragend:
Nust siu gibürdinöt kindes so diures,
Nun ist sie bebürdet mit Rind so teurem,
so fürira bi uuörolti nist quena berenti.
wie früher in der Welt nicht ist eine Ehefrau tragend.
Nist uuiht, suntar uuerde, in thiu göt uuolle,
Nichts ist, das nicht werde, wofern es Gott wolle,
nöb tha^ uuidarstänte drühtines uuörte.’
noch das widerstehe des Herrn Worte."
65 ‘Ib bin/ quad si, ‘götes thiu zerbe giböraniu:
„Ich bin," sprach sie, „Gottes Magd als Erbe geboren:
si uubrt Sinais in mir uuähsenta?!’ —
sei Wort seines in mir wachsend!"
Uuölaga ötmuati! so güat bistu io in nöti!
Nch, Demut! so gut bist du stets notwendiger Weise!
thu uuari in ira uuörte zi follemo äntuurte.
Du warst in ihrem Worte zu voller Nntwort.
Drühtin kos sia güater zi eigenem müater:
Der Herr erkor sie, der Gute, zu eigner Mutter,
70 si quad, si uuari sin thiu zi thionöste gärauuu. —
sie sprach, sie wäre seine Magd, zu Dienste bereit.
Engil floug zi himile, zi selb drühtine;
Der Engel flog zum Himmel, zu dem Herrn selber;
sägata er in fröno thäs; ärunti scöno.
sagte er im Himmel die Botschaft schön.
i) entfremdet, raubt.
23. Das liudwigslied1).
Text nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5. Ausl. S. 148 u. 149,
Halle 1902. — Übersetzung nach Piper, Die älteste deutsche Literatur
(Kürschner, Deutsche Nationallit. Bd. 1, S. 258 ff. Berlin u. Stuttgart o. J.),
und Th. Schauffler, Althochdeutsche Literatur, Sammlung Göschen,
Nr. 28, S. 119 ff.
Einan kuning uuei? ih, Heizsit her Hluduig, - ' - . /
Linen König weiß ich, heißt er Ludwig,
Ther gerno gode thionöt: Ih uueiz;, her imos lönöt.
der gern Gott dient: ich weiß, er ihm es lohnt.
Kind uuarth her faterlös. Thes uuarth imo sär buo^:
(Noch als) Kind ward er vaterlos. Dafür ward ihm bald Ersatz:
Holbda inan truhtin. Magaczogo uuarth her sin.
holte ihn der Herr, Erzieher ward er sein.
Gab her imo dugidi Frönisc githigini, 5
Gab er ihm Tugenden, herrliches Gefolge,
Stuol hier in Vrankön. So brüche her es lango!
Thron hier in Franken. So brauche er dessen lange!
Tha^ gideilder thanne Sär mit Karlemanne,
Das teilte er dann bald mit Karlmann,
Bruoder sinemo, Thia czala uuunniöno.
Bruder seinem, die Zahl der Meiden.
Sb thaz, uuarth al gendiöt, Korbn uuolda sin god,
RIs das ward alles geendet, versuchen wollte ihn Gott,
Ob her arbeidi Sb iung tholbn mahti. 10
®b er Mühsal so jung dulden könnte.
Kietz her heidine man Obar seo lidan,
Ließ er Heidnische Männer über See kommen,
Thiot Vrancbno Manbn sundibno.
das Volk der Franken mahnen der Sünden.
Sume sär verlorane, Uuurdun sum erkorane:
Einige bald verloren, wurden einige erkoren.
J) Rheinfränkisch. — Gedicht auf den Sieg, den der Karolinger Lud-
wig III, seit 879 König in Westfranken, über die Normannen bei Saucourt
(in der Picardie) am 3. August 881 erfochten hatte. „Ein Sieg über die
Bedränger und Peiniger des deutschen Nordens durfte wohl
besondere Begeisterung wecken und einen Triumphgesang
entfesseln“. Scherer, Gesch. d. deutschen Literatur, 11. Ausl. S. 6o'6i).
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch. 6
82 kL-in x^a e^tk tzsa t^sa c^a r^-d r^sn c^gj? rgy
Haranskara tholöta Ther er misselebeta.
Züchtigung duldete, der vorher unrecht lebte.
15 Ther, ther thanne thiob uuas, Ind er thanana ginas,
Der, der damals ein Dieb war, und er davon am Leben blieb,
Nam slna vaston: Sidh uuarth her guot man.
nahm seine Fasten: seither ward er guter Mann.
Zum nnas luginäri, Sum skächäri,
Mancher war ein Lügner, mancher ein Räuber,
Sum fol loses, Ind er gibuoz,ta sih thes.
Mancher voll Zuchtlosigkeit, und er tat Buße dafür.
Kuning uuas ervirrit, Thas; richi al girrit,
Der König war entfernt, das Reich all geirret1),
20 Uuas erbolgan Krist: Leidhör, thes ingald i?.
(es) war erzürnt Christus: leider, dessen entgalt es.
Thoh erbarmedes got, Uuisser alla thia not:
Doch erbarmte es Gott, wußte er alle die Not:
Hie^ her Hluduigan Tharöt sär ritan:
hieß er Ludwig dorthin sofort reiten:
‘Hluduig, kuning min, Hilph minan liutin!
„Ludwig, König mein, hilf meinen Leuten!
Heigun sa Northman Harto biduuungan.'
haben sie Nordmannen hart bezwungen."
25 Thanne sprah Hluduig: ‘Herro, so duon ih,
Da sprach Ludwig: „Herr, so tue ich,
Döt ni rette mir it, Al that, thü gibiudist.’
Tod nicht entreiße mir es'h alles, was du gebietest.".
Thö nam her godes urlub, Huob her gundfanon üf,
da nahm er Gottes Urlaubs, hob er die Kriegsfahne auf,
Leit her thara in Vrankön Ingagan Northmannon.
ritt er dorthin im Frankenland entgegen den Nordmannen.
Gode thancödun The sin beidödun,
Gott dankten sie, die seiner warteten,
1) in Verwirrung.
2) Wenn der Tod mir es nicht entzieht.
3) Da nahm er Abschied von Gott.
Quädhun al: ‘frö min, So lango beidön uuir thin/
Sprachen alle: „Herr mein, !so lange warten wir (schon) dein."
Thanne sprah lüto Hluduig ther guoto:
Da sprach laut Ludwig der Gute:
‘Trottet hiu, gisellion, Mine nötstallon.
„Tröstet euch, Gesellen, meine Leidensgenossen.
Hera santa mih god loh mir selbo giböd,
her sandte mich Gott und mir selber gebot,
Ob bin rat thühti, Tha^ ih hier gevuhti,
wenn euch Hat dünkte h, daß ich hier fechte,
Mih selbon ni sparöti, Uncih hiu gineriti.
Mich selbst nicht schonte, bis ich euch rettete.
Nü uuillih tha^ mir volgön Alle godes holdon.
Nun will ich, daß mir folgen alle Gottes HoldenH.
Giskerit ist thiu hieruuist, So lango so uuili Krist:
Bestimmt ist das Hiersein, so lang als will THristus:
Uuili her unsa hinavarth, Thero habet her giuualt.
Will er unsere hinfahrt, der hat er Gewalt.
So uuer so hier in ellian Giduot godes uuillion,
Jeder, der hier mit Tapferkeit tut Gottes Willen,
Quimit he gisund ü?, Ih gilönön imo?,
Kommt er gesund heraus, ich lohne ihm es,
Bilibit her thär inne, Sinemo kunnie.’
Bleibt er barin3), seinem Geschlechtes."
Thö nam er skild indi sper, Ellianlicho reit her;
Da nahm er Schild und Speer, kraftvoll ritt er;
Uuolder uuär errahchön Sinan uuidarsahchön.
Wollte er die Wahrheit dartun seinen Widersachern.
Thö ni uuas i% burolang, Fand her thia Northman:
Da nicht war es allzulang, fand er die Nordmannen;
Gode lob sageda, Her sihit thes her gereda.
(Bott Lob sagte er, er sieht, dessen er begehrte.
’) Wenn es euch Tätlich dünkte.
s) Alle Gott Getreuen.
3) im Kampfe.
4) werde ich es lohnen.
35
6*
g/j- Cgi» t^j? tat tjgi? Cgi» ta? ca? ta? ta? pgj? Cgi? Kgj? Cagj» Kgj?
Ther kuning reit kuono, Sang lioth fräno,
Der König ritt kühn, fang das Lied des Herrn,
loh alle saman sungun ‘Kyrrieleison.’
Und alle zusammen fangen: „Kyrie eleison H!"
Sang uuas gisungan, Uuig uuas bigunnan,
Der Sang war gesungen, der Kampf war begonnen,
Bluot skein in uuangön: Spilödun ther Vrankon.
Blut schien '- in den Wangen: tummelten sich freudig da die Franken.
50 Thar vaht thegeno gelih, Nichein soso Hluduig:
Da focht der Degen jeglicher, keiner so wie Ludwig:
Srtel indi kuoni, Tba^ uuas irao gekunni.
behend und kühn, das war ihm angestammt.
Suman thuruhskluog her, Suman thuruhstah her.
Manchen durchschlug er, manchen durchstach er.
Her skancta cehanton Sinan fianton
Er schenkte zu HandenH feinen Feinden
Bitteres Ildes. Sb uue hin hio thes libes!
Bitteren Trankes. So weh ihnen immer des Lebens!
55 Gilobbt si thiu godes kraft: Hluduig uuarth sigihaft;
Gelobt fei die Gottes Kraft! Ludwig ward sieghaft:
loh allen heiligbn thanc! Sin uuarth ther sigikamf.
Und allen Heiligen Dank! Sein ward der Siegeskampf.
Huolar abur Hluduig, Kuning uuigsälig!
Heil aber Ludwig, König kampfglücklich!
So garo, sbser hio uuas, Sb uuär sbses4) thurft uuas,
So bereit, wie er immer war, wo auch dessen Not war,
Gihalde inan truhtin Bi sinan ergrehtin.
Erhaltes ihn ((Bott) der Herr in feiner Gnade!
1) griechisch: „Herr, erbarme dich!“
2) leuchtete.
3) eigenhändig.
<r) wörtlich: so wo (uuär) so dessen.
b) Die Bitte ging nicht in Erfüllung; Ludwig starb schon ein Jahr nach
dem Siege.
L
24. Das Beldengedichf vom ßeliand oder Beiland,
eine altniederdeutsche Messiade.
(Um 830 entstanden.)
3) Bedeutung des Heliand').
A. $. (L. Dilmar, Geschichte der deutschen Nationalliteratur, 18. Huf!., S. 26,
Marburg und Leipzig 1877.
Vas mit dem Namen Heliand (Heiland) bezeichnete Gedicht
erzählt das Leben Jesu Christi nach den vereinigten Berichten
der vier Evangelien,- es ist das Erhabenste, was die christliche
Poesie hervorgebracht hat, es ist das einzige wirkliche
christliche Epos. Ohne Aufbietung künstlicher Mittel redet
hier die einfache Tatsache, die nur dadurch zur Dichtung wird, daß
der alte Sachsensänger das Evangelium in der unter seinem Volke
hergebrachten epischen Sprache, in den überlieferten alliterierenden
Formeln, erzählt. Es ist Christus in Deutschland, Christus
unter den Sachsen, der uns hier entgegentritt. So erscheint denn
Er, der ein König aller Könige und ein Herr aller Herren ist, auch
in der höchsten Glorie, welche der Deutsche kannte: als ein gewaltiger
Völkerfürst, der, umgeben von seinen Getreuen, im Gefolge unzähl-
barer Scharen daherzieht, um die reichen Gaben des ewigen Lebens
auszuteilen. Als der Könige reichster, aller Könige kräftigster, der
des Himmels waltet, mit seiner Menge vorbeizieht vor der Jericho-
burg, da fragen die Blinden: welcher reiche Mann unter der Volks-
schar der Fürst sei, der hehrste am Haupt (an der Spitze) der
volksfahrt. Und es antwortet ein Held, daß der Jesus Christ von
Galilealand, der heilender Bester, der hehrste wäre und dahersühre
mit seinem Volke. Wie der Herr die Bergpredigt beginnt, wird hier
ganz in den großartigen Formen, in denen die Beratung der deutschen
Könige mit ihren Fürsten und Herzogen im Ungesicht des Heeres und
Volkes vor sich ging, und zwar etwa also erzählt: ,,Näher um den
waltenden Herrn, um das Friedekind Gottes, stehen die weisen
Mannen, die er, der Gottes-Sohn, sich selbst erkor, weiter hinab
lagern die Scharen der Völker. Es warten die Getreuen auf das
i) Zur Würdigung des kfeliand vgl. Biese, Deutsche Literaturgeschichte,
Bd. 1, 5. 34 ff. — I. Seiler, kseliand, ausgewählt, übersetzt und erläutert, bei
Bötticher und Uinzel, Denkmäler, II, 3, fjalle, Waisenhaus. — A. $. d. Dilmar,
Deutsche Altertümer im kseliand, Marburg 1862. — Lies Gustav Freptag,
Bilder aus der deutschen Dergangenheit, Bd. I, 5. 232 ff. Germanische Zu -
richtung des Christentums." — Dgl. Liermann-Dilmar, Deutsches Lesebuch
für Untertertia, Nr. 19 : Anfänge des Christentums bei den Germanen.
8b PgiRPgi?Kgi?Pgi?t^T>?Cgi;KgTRt^i?C^S?[^5?Pgi?t^i?r<gi?I^i?
lvort ihres Königs; sinnend verharren sie in ehrerbietigem erwartungs-
vollem schweigen, was der Völker Gberherr den versammelten volks-
stämmen verkündigen wird. Und der Landeshirte sitzt gegenüber den
Männern, Gottes eigenes Kind, um das Lob Gottes zu lehren in
weisen Worten die Leute dieses Weltreiches. Er saß da und schwieg,
und sah sie an lange und war ihnen hold in seinem herzen der heilige
Volksherr, mild in seinem Gemüte; da tat er seinen Mund auf, der
allwaltende Fürst, gegen die, die er zur Sprache [Volksversammlung)
b) Proben aus dem Heliand1).
i. Jesus beruhigt das Meer.
Text nach Otto Behaghel, Heliand und Genesis, Altdeutsche Text-
bibliothek, Nr. 4, S. 77 — 78, Halle 1903.
vs. 2232 bis 2268.
huo uuas thar uuerodes so filo
allaro elithiodo cuman te them eron Cristes,
te so mahtiges mundburd. Thuo uuelda hie thar
ena meri Man,
thie godes suno mid is iungron aneban Galilealand,
5 uualdand enna uuägo ström. Thuo hiet hie that uuerod ödar
forthuuerdes faran, endi hie giuuet im fähora sum
an enna nacon innan, neriendi Crist,
släpan siduuörig. Segel upp dadun
uuederuuisa uueros, lietun uuind alter
10 manon obar thena meriström, unthat hie te middean quam,
uualdand mid is uuerodu. Thuo bigan thes uuedares craft,
üst up stigan, üdiun uuahsan;
suang gisuerc an gimang: thie seu uuarct an hruoru,
uuan uuind endi uuater; uueros sorogodun,
15 thiu meri uuard so muodag, ni uuända thero manno nigen
lengron libes. Thuo sia landes uuard
uuekidun mid iro uuordon endi sagdun im thes uuedares
bädun that im ginädig neriendi Crist [craft,
uurdi uuid them uuatare: ‘eftha uui sculun hier te uunder-
20 sueltan an theson seuue.’ Seif upp ares [quälu
thie guodo godes suno endi te is iungron sprak,
hiet that sia im uuedares giuuin uuiht ni andredin:
‘te hui sind gi so forhta?’ quathie. fNis iu no fast hugi,
gilöbo is iu te luttil. Nis nu lang te thiu,
1) Altsächsisch.
L
C^i? tjgSt tiiii i<£rsf R^ii i^ii C^H ^ j
erkoren, und lehrte, welche unter allen Völkern der lVelt Gott die
wertesten seien: selig seien die, die in dieser Welt arm seien durch
Demut; denn Gott werde ihnen in der Himmelsau, auf der grünen
Gottes-lVange, das unvergängliche Leben geben."
Es ist dies Gedicht das in deutsches Blut und Leben ver-
wandelte Christentum und für die innere Geschichte der christ-
lichen Religion, insbesondere für die Geschichte der Einführung des
Christentums in Deutschland von höchster Bedeutung.
b) Proben au? dem Heliand.
Jesus beruhigt das Meer.
Übersetzung *) von Paul Herrmann, Heliand. Nach dem Nltsächsischen.
Leipzig, Neclam, o. 3- S. 89 und 90.
vs. 2232 bis 2268.
QSpa Kam eine Menge
^9 von allerlei Volk um Christi wohltaten willen,
Um des Mächtigen Schutz. Da wollte ein Meer befahren
Gottes Lohn mit den Jüngern bei Galiläa,
Der waltende einen Wogenstrom. Das andere Volk
hieß er weiter wandern, und mit wenigen ging
Ullein in einen Nachen Christ, der Erlöser,
Zu schlafen, reisemüde. Die Segel hißten
wetterkundige Männer und ließen vom winde sich
Treiben über den Meerstrom, bis in die Mitte kam
Der waltende mit den Jüngern. Da begann des Wetters Kraft,
Die Wirbel wogten, die Wellen wuchsen,
Schwarze Wolken schwangen sich darunter, es tobte die Lee,
wind und Wasser kämpften. Die Schiffer sorgten,
Da das Meer so aufgeregt ward; der Männer keiner
Glaubte länger zu leben. Den Landeswart da
weckten sie, des Wetters Kraft ihm kündend,
Baten, daß ihnen hülfe der Herr
Wider das Wasser: „Sonst werden wir jämmerlich
Sterben in diesem See!" Uufstand da selbst
Der gute Gottessohn und sprach zu den Jüngern,
wehrte ihnen zu zagen vor des Wetters Zorn:
„was seid ihr so furchtsam? Noch ist fest nicht euer herz,
Euer Glaube zu wenig! Nicht lange mehr währt es,
i) Karl Stmrocfts Übersetzung im 12. Banb seiner ausgewählten Werke,
hrg. von G. Klee 1907, (Hesses neue Leipziger Klassiker-Nusgaben).
5
10
15
20
gg r-sL? tzsa czsa t^sa t^ggv r¿g§? Egj?l^s»> c^g»?
25 that thia strómos sculun stilrun uuerdan
gi thit uuedar uunsam/ Thó hi te themu uuinde sprac
ge te themu séuua so self endi sie smultro hét
bedea gebárean. Sie gibod léstun,
uualdandes uuord: uueder stillodun,
30 fagar uuard an ílóde. Thó bigan that sole undar im,
uuerod uundraian, endi suma mid iro uuordun sprákun,
huilic that so mahtigoro manno uuári,
that imu só the uuind endi the uuág uuordu hórdin,
bedea is gibodskepies. Thó habda sie that barn godes
35 ginerid fan theru nodi: the naco furdor skreid,
hóh hurnidskip; helidos quámun,
lindi te lande, sagdun lof gode,
máridun is megincraft.
2. Petrus und Malchus.
Text nach Behaget, S. 164—166.
vs. 4858 bis 4936.
tödun uuise man,
snido gornundie giungaron Kristes
biforan theru derebeon dädi endi te iro drohtine
spräkun:
'uuäri it nu thin uuillio,’ quädun sie, 'uualdand fro min,
5 that sie üs her an speres ordun spildien mdstin
uuäpnun uunde, than ni uuäri us uuiht so god,
so that uui her for üsumu drohtine döan möstin
benidiun bleka.’ Thö gibolgan uuard
snel suerdthegan, Simon Petrus,
10 uuel imu innan hugi, that he ni mähte enig uuord sprekan:
so harm uuard imu an is hertan, that man is herron thar
binden uuelde. Thö he gibolgan geng,
suido thristmöd thegan for is thiodan standen,
hard for is herron: ni uuas imu is hugi tuifli,
15 bloth an is breostun, ac he is bil atöh,
suerd bi sidu, slog imu tegegnes
an thene furiston fiund folmo crafto,
that thö Malchus uuard makeas eggiun,
an thea suidaron half suerdu gimalod:
So muß die Strömung stiller werden 25
Und das Wetter wonnig!" Da sprach er zu dem winde
Und so auch zur See und hieß sie sich ruhiger
Beide verhalten. Sie gehorchten dem Gebote,
Des waltenden Wort: das Wetter ward still,
heiter die Flut. Da fing das Volk an 30
Sich zu wundern, und sie wechselten Worte,
was für ein mächtiger Mann das wäre,
Daß wind und woge seinem Wort gehorchten,
Beide seinem Gebote. Sie hatte der Herr da
vor Uot bewahrt. Der Nachen fuhr weiter, 35
Das hochgehörnte Schiff. Die Helden kamen,
Die Leute an das Land und lobten Gott,
verherrlichten seine Uraft.
2. Petrus und Malchur.
Übersetzung von Herrrnann, 5. 169 — 171.
vs. 4858 bis 4936.
ie weisen Männer standen
In Trauer und Trübsal, die Jünger Christs,
Bei der ruchlosen Tat und riesen dem Herrn zu:
„wär' es dein Wille nun, waltender Fürst,
Daß sie uns an der Speere Spitzen spießen sollten,
Mit Waffen verwunden, dann wäre uns nichts so gut,
wie sterben zu dürfen für unsern Dienstherrn
Und erbleichend zu erblassen!" Da brauste auf
Der schnelle Schwertdegen Simon Petrus,
Ihm wallte der Mut, kein Wort konnt' er sprechen,
So voll Harm war sein herz, als sie seinen Herren da
Binden wollten: dann ging er voll Grimm,
Der kühngemute Uämpser, vor seinen Fürsten,
hart vor den Herrn. Sein herz war bereit
Und unverzagt, er zog ohne Zögern
Das Schwert von der Seite und schlug voll Wucht
Ñus den vordersten Feind mit der Hände Urast,
Sodaß Malchus wurde von der Schneide der Waffe
ñn der rechten Seite mit dem Schwert gezeichnet.
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9Q
20 thiu hlust uuard imu farhauuan: he uuard an that höbid
that imu herudrörag hlear endi öre [uund,
beniuundun brast; blöd aftar sprang,
uuel fan uundun. Thö uuas an is uuangun scard
the furisto thero fiundo. Thö stöd that sole an rum:
25 andredun im thes billes biti. Thö sprak that barn godes
selbo te Simon Petruse, bet that he is suerd dedi
skarp an skectia: ‘ef ik uuict thesa scola uueldi,’ quad he,
‘uuid theses uuerodes geuuin uuigsaca frummien,
than manodi ik thene märeon mahtigne god,
30 helagne fader an himilrikea,
that he mi so managan engil herod obana sandi
uuiges so uuisen, so ni mahtin iro uuäpanthreki
man adögen: iro ni stödi gio sulic me gin samad,
folkes gifastnod, that im iro ferh aftar thiu
35 uuerden mahti. Ac it habad uualdand god,
alomahtig fader an ödar gimarkot,
that uui githoloian sculun, so huat so üs thius thioda to
bittres brengit: ni sculun us belgan uuiht,
uuredean uuid iro geuuinne; huand so hue so uuäpno nid,
40 grimman gerheti uuili gerno frummien,
he suiltit imu eft suerdes eggiun,
doit im bidroregan (?): uui mid üsun dädiun ni sculun
uuiht auuerdian.’ Geng he thö te themu uundon manne,
legde mid listiun lik tesamne,
45 höbiduundon, that siu sän gihelid uuard,
thes billes biti, endi sprak that barn godes
uuid that uurede uuerod: (mi thunkid uunder mikil/ quad he,
‘ef gi mi ledes uuiht lestien uueldun,
hui gi mi thö ni fengun, than ik undar iuuuomu folke stöd
50 an themu uuihe innan endi thar uuord manag
södlic sagde. Than uuas sun non skin,
diurlic dages lioht, than ni uueldun gi mi döan eouuiht
ledes an thesumu liohte, endi nu lediad mi iuua liudi to
an thiustrie naht, al so man thiobe dot,
55 than man thene fähan uuili endi he is ferhes habad,
faruuerkot uuamscado/ Uuerod Judeono
gripun thö an thene godes sunn, grimma thioda,
hatandiero hop, huurbun ina umbi
Kgj? C¿gj? Cgi? Ea-ñft P¿£¥? L^-Ld Pgi? C¿gi? Egj? Egi? 0 [
(Er hieb ihm das Ghr ab, sein Haupt ward wund,
Daß vom Schwert zerschnitten Backe und Ghr
In Todeswunde barst und das Blut nachsprang,
Ñus der Wunde wallend. $o war die Wange verwundet
Dem vordersten Zeind; das Volk floh auseinander,
Des Schwertes Biß scheuend. — Da sagte der Sohn Gottes
Zu Simon Petrus, er solle sein Schwert tun,
Das scharfe, in die Scheide: „Wollt ich gegen diese Schar,
Gegen diese Becken Kriegstat verrichten,
Dann würde ich mich an den Waltenden wenden,
Den heiligen Vater im Himmelreiche,
Daß er mir Engel von oben sendete,
Des Kampfes so kundige, daß der Kraft ihrer Waffen
Kein Mann widerstände; und stände zum Streit hier
Des Volkes noch so viel, ich fürchte, nicht einer
Behielte sein Leben. Ñber der heilige,
Allmächtige Vater hat es anders geordnet,
Wir sollen dulden, was dieses Volk hier
Uns auch Bitteres bringt, wir sollen nicht im Zorn
Ihren Ñngrifs abwehren; denn wer da Waffepstreit,
Grimmen Gerkamps gerne verrichtet,
Der soll durch des Schwertes Schärfe umkommen,
Blutig erbleichen. Wir dürfen darum
Den ñnschlag nicht vereiteln." — Dann ging er zu dem Wunden,
Kraftvoll schloß er die kranken Glieder,
Die hauptwunde, sodaß er geheilet war
vom Biß des Schwertes, und der Geborne Gottes sprach
Zu der wütigen Schar: „Wunderbar erscheint es mir,
Wenn ihr mir Seid zufügen wolltet,
Warum singt ihr mich nicht früher, wenn ich unter dem Volke
Im Weihtum war und manches Wort
Wahrhaftig sagte? Da schien die Sonne,
Das teure Tageslicht, doch ihr tatet mir nie
Ein Leid bei dem Lichte, und nun leitet ihr eure Leute
In düstrer Nacht her, wie gegen einen Dieb,
Den man fangen will, weil er Leib und Leben
verwirkt hat, der frevler." Das Volk der Juden
Ergriff den Gottessohn, die grimme Menge,
Der haßvolle Haufe, ihn umringte die ruchlose
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92 kLUî ügi? Cgi? CigiR Cgi? RgP Cgi? Pgï? C^ü P^i? Cg»? Çgït
môdag nianno foie — mènes ni sâhun —,
60 heftun herubendium handi tesamne,
fadmos mid fitereun. • Im ni uuas sulicaro firinquâla
tharf te githolonne, thiodarbedies,
te uuinnanne sulic uuîti, ac he it thurh thit uuerod deda,
huand he liudio barn lôsien uuelda,
65 halon fan helliu an himilrîki,
an thene uuîdon uuelon: bethiu he thés uuiht ne bisprak,
thés sie imu thurh inuuidnict ôgean uueldun.
Thô uurdun thés sô malsce môdag foie ludeono,
thin hêri uuarcl thés sô hrômeg, thés sie thena hëlagon Krist
70 an lidobendion lëdian môstun,
fôrian an fitereun. Thie fîund est geuuitun
fan themu berge te burg. Geng that barn godes
undar themu heriscepi handun gebunden,
drûbondi te dale. Uuàrun imu thea is diurion thô
75 g endos gesuikane, al sô he im êr selbo gisprak:
ni uuas it th oh be ênigaru blôdi, that sie that barn godes,
Hoben farlêtun, ac it uuas sô lango biforen
uuàrsagono uuord, that it scoldi giuuerden sô:
bethiu ni mabtun sie is bemidan.
tggi? Egi? fcgä? Pgi? Cggj> Pgiff C^T? Kg¥? Cgi? Cgi? Cgj? Cgj? <) Z
Lchar, sie scheute die Meintat') nicht,
Sie hefteten die Hände mit Banden zusammen, oo
Die Arme mit Fesseln. Ihm war solche Angstqual
Nicht zu dulden Not, noch die Todespein zu ertragen
Mit so maßlosen Martern: er tat es der Menschen wegen,
Denn er wollte der Leute Kinder erlösen,
Aus der Hölle heben in das Himmelreich, es
In das weite IDof)I; darum schalt er nicht,-
Mas die Argen ihm antun wollten.
Da faßte Hochmut das Iudenvolk,
Die Heerschar prahlte, daß sie den heiligen Christ
Mit Ketten beladen leiten konnten, 70
Gefesselt führen. — Die Feinde eilten nun
von dem Berg nach der Burg; das Gotteskind ging
Unter der Heerschar, die Hände gebunden,
Betrübt zu Tal. Ts waren die teuern
Freunde geflohen, wie er vorher gesagt. 75
Nicht Furcht noch Feigheit war es, daß sie des waltenden Lohn
Den lieben, verließen, es war schon lange zuvor
Der Wahrsager Wort, daß es so werden würde;
Deshalb mußten sie so handeln.
i) ruchlose Tat, vgl. Meineid („Falsch-Eid").
94
25. flus dem cmgelíslchíiíáen Ilcifioncilepos Beowulf.
(Um 700.)
5
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Veowulss ) Leichenfeier.
Beowulf übersetzt und erläutert von Hugo Gering, Heidelberg 1906.
Vers 3137 bis Vers 3183 :
ort schichteten nun den Scheiterhaufen
Die treuen Hüter dem toten Recken;
Dran hängten sie Helme und Heerschilde,
XDie geboten der Held, und blinkende Panzer.
Dann legten sie trauernd den teuren Herrn
In des Holzes Mitte, den herrlichen König.
Dann ward von den Männern ein mächtiges Feuer
Ruf dem Berge entfacht, und brauner Efualm,
vom Klagegeschrei der Krieger begleitet,
Stieg gekräuselt empor aus der knisternden Lohe
In den stillen Rther, — die sterbliche hülle
War hurtig verzehrt von den heißen Gluten.
Nun erhoben aufs neu' ob des Herrschers Verlust
Ihren Wehruf die Männer; die Witwe auch,
Der geschlungene Flechten die Zchläfe umkränzten,
Beklagte den Gatten, die kummervolle:
Ihr schwan'h es, sprach sie, von schweren Zeiten,
von Gemetzel und Mord, von mächtiger Feinde
Lchrecklichem Wüten, von Lchmach und Gefängnis. —
Nun verflog der Nauch in die Fernen des Himmels.
Es wölbten nun der Wettermark Leute
Den Hügel am Rbhang, gar hoch und breit
Und weithin sichtbar den Wogenfahrern.
In der Frist von zehn Tagen war fertig das Werk,
Des Ruhmreichen Mal. Die Reste des Brandes
Umschloß der Wall, so schien es würdig
Den weisen Männern. Das weite Grab
Nahm auch Ringe und Lchmuck und Rüstungen auf,
Den ganzen Zchatz, den gierige Krieger
Dereinst erbeutet: die Erde empfing
i) Die Beowulfsage nach K. Nlüllenhoff und G. Schalk bei Liermann-
Schmidt, Lesebuch für Lsuinta, Nr. 33. — Der Name Beowulf bedeutet „Wolf
des Gehöftes". — 2) es schwant mir: ich ahne.
L
¡¿sa pgïf t^g?Y c^sy c^g»? r^-d 95
Vas rote Gold - dort ruht es noch jetzt,
$0 unnütz den Menschen, wie's immer gewesen.
Dann umritten den Hügel die rüstigen Helden,
Der Edlinge zwölf, die nach altem Brauch
In Liedern sangen die Leichenklage 35
Und den König priesen. Die kühnen Taten
Rühmten sie laut und sein ritterlich Wesen.
In Wort und Spruch sein Wirken ehrend
In geziemender Weise. Das ziert den Mann,
Den geliebten Herrn durch Lob zu erhöh' n 40
In treuem Zinn, wenn des Todes Hand
Bus des Leibes hülle erlöst die Seele. -
So klagten jammernd die Krieger der Jüten
Um des Brotherrn Heimgang, die Bankgenossen,
Der am höchsten stand von den Herrschern der Erde 45
Uls gütigster Geber, als gnädigster Fürst,
Der rastlos bestrebt war den Ruhm zu mehrenh.
vgl. die Schilderung der Bestattung des klttila bei Iordanes, „de origine
actibusque Getarum“ (d. h. der Goten), c. 49 (Ausgabe von GH. Mommsen, in
„lVlonumenta Gerrnaniae historica: Auct. ant. Bö. V). Deutsche Übersetzung
der „Gotengeschichte" von Martens, Leipzig 1884.
9G rgi? zzsa r^ss? z^sa z^a c>Ld c^-sr? t^g¥f
26. Bus dem Wsllfhciriiied Ekkehards l. uon Sf. Sollen.
(Um 930.)
Hermann Altfjof, Vas Ivaltharilied. Lin Heldengesang aus dem zehnten Jahr-
hundert im Versmaße der Urschrift übersetzt und erläutert. Leipzig 1902').
Zehntes Abenteuer.
Vers 1130 - Vers 1227 (Althof 5. 100—102).
Ruhe nach dem Kampf?)
(irn lvasgenwald.)
Phöbus hatte indes sich geneigt zu den westlichen Landen,
Mit den letzten der Ztrahlen begrüßt das befreundete Thule
Und den Zchotten zusamt den Iberern den Uücken gewendet.
Uber sobald er allmählich erwärmt die Mellen des Weltmeers
5 Und das Abendgestirn den ausonischen^) Ländern emporstieg.
Da begann der verständige k)eld^) im Geist zu bedenken,
Gb er im sicheren Lager in tiefer Stille verharre
Oder sich anvertraue dem weiten Gelände der Wildnis.
Ihm durchwogten die Brust gewaltige Zargen, und klüglich
io Dachte er nach und fragte sich selbst, was er weiter beginne.
') Größere Ausgabe mit authentischen Abbildungen; kleinere Ausgabe
Althofs in der Sammlung Göschen Nr. 46. — vgl. G. Bötticher, Ivaltharilied,
übersetzt und erläutert (Bötticher und Kinzel, Denkmäler I, 1). — Lies Scheffels
freie Bearbeitung des Liedes in dem Roman „Ekkehard". — Ausgaben des
lateinischen Gedichtes von H. Althof, Ivalthari poefis, Leipzig 1899, und
K. Strecker, Ekkehards lvaltharius, Berlin 1907. — p r o b e aus dem lateini-
schen Epos (Vers 1130 —1137, nach Strecker):
1130. Interea occiduas uergebat Phoebus in oras,
Ultima per notam signans uestigia Thilen,
Et cum Scottigenis post terga reliquit Hiberos.
Hic postquam oceanas sensim calefecerat undas,
Hesperos Ausonidis obuertit cornua terris;
1135. Tum secum sapiens coepit tractare satelles,
Utrum sub tuto per densa silentia Castro
Sisteret, an uastis heremi committeret aruis. . . .
Der Dichter nimmt die Sprache der „Aeneis" vergils zum Vorbild.
2) Über die Sage von tvalther und Hildegunde s. Zehme, Germanische
Götter- und Heldensage, S. 175—179, Leipzig 1901. — U). Golther, Deutsche
Heldensage (Deutsche Schulausgaben, hrg. v. J. Ziehen), Bd.2, Dresden, Ehlermann.
— D. L. Jiriczek, Die deutsche Heldensage (Sammlung Göschen Nr. 32). — Lies
„lvalthari-Lied. Nacherzählt von Jacob Grimm" in der Sammlung „lvies-
badener Volksbücher" (Nr. 51, hrg. von N. Steig).
3) italischen. — ü Ivälthari, Ivalther von Aquitanien.
wahrlich, Hägens allein erweckte ihm Zorge und jener
Kuß, der ihm von dem König gegeben bei seiner Umarmung.
Und er wußte es nicht, was jetzo planten die $einöe1 2):
Gb sie vielleicht zu der Stadt zurückzukehren gedächten,
Um dort während der Nacht noch mehr der Genossen zu holen
Und dann frühe am Tag den schmählichen Kamps zu erneuern,
Oder allein, in der Nähe verborgen, im Hinterhalt lägen.
Zorge machte ihm auch der Wald mit verschlungenen Pfaden,
Die er nicht kannte, und daß er vielleicht in die Dornen geriete
Und die Verlobte3) dabei verlöre durch Tiere der Wildnis.
Dieses erwog er und prüfte er wohl, und also begann er:
„was auch möge geschehn, hier bin ich zu lagern entschlossen,
Bis der kreisende Ball den lieblichen Tag uns zurückbringt,
Daß der eitele Herrscher nicht sage, ich habe die Sande
flüchtig geräumt nach der weise des Diebs in nächtlichem Dunkel."
Zprach's und verwahrte sodann den engen weg mit Gehegen
Rings, die aus Dornengesträuch und gefälltem Gestrüppe bereitet.
Rls er dieses getan, da geht er mit bitterem Zeufzen
hin zu den Seichen und fügt das Haupt an jeglichen Körper,
wirft zur Erde sich dann und spricht, nach Morgen gewendet
Und das entblößte Schwert in den Händen haltend, die Worte:
„G du Schöpfer der Welt, der alles regiert, was erschaffen,
Ohne dessen Befehl und ohne dessen Gewährung
Nichts ja besteht, hab Dank, daß du vor den tückischen Waffen
Jener feindlichen Schar und vor Schmach mich gnädig bewahrtest.
Gütiger Herr, ich bitte dich hier mit zerknirschtem Gemüte,
Der du die Sünden, doch nicht die Sünder zu tilgen gewillt bist.
Saß mich diese dereinst in dem himmlischen Reiche erblicken."
Nach vollbrachtem Gebet erhob er sich, trieb von den Rossen
Sechs zusammen und knüpfte sie fest mit gewundenen Ruten.
Jene waren allein noch da, denn es waren im Kampfe
Zwei getötet,' die anderen drei trieb Günther von dannen.
Rls dies alles besorgt, da löst er den Gurt und befreiet
von der gewaltigen Säst der Waffen den dampfenden Körper,
1) sein einstiger Waffenbruder am Hofe Attilas.
2) König Günther von Worms und seine Genossen.
3) Hildegunde von Burgund.
Liermanu-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch. 7
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45 Tröstet sodann die bekümmerte Braut mit heiteren Worten,
Langt zur Speise und stärkt in der Burg die ermatteten Glieder,
Weil er erschöpft. Dann lagert er sich auf den Schild, und das
Mädchen
heißt er, die Wache zur Zeit des ersten Schlafes zu halten.
Selber zu sorgen gedachte er dann in der Frühe des Morgens,
50 Wo es gefährlicher war, und endlich versank er in Schlummer.
Ihm zu Häupten saß, wie gewohnt, die Geliebte und wachte,
Und sie hielt mit Gesang die schläfrigen Bugen sich offen.
Doch schon bald erwachte der Held, und dem Schlaf sich entraffend,
Sprang er sogleich empor und hieß das Mägdelein schlummern,
55 Stützte sich unverdrossen sodann auf den Speer und verbrachte
Blso den Rest der Nacht. Bald schaute er aus nach den Pferden,
Bald auch nahte er sich mit lauschendem Ohre dem Walle,
Wünschend, es werde der Welt das Licht und die Schönheit gegeben.
Luzifer h stieg indessen als Herold empor am Olympus,
60 Meldend: die Snsel Taprobane^) sieht die glänzende Sonne.
Bls das Morgengestirn, das Kühle, die Erde betaute,
Schritt zu den Toten der Jüngling hin, um die Waffen zu nehmen
Und das Eisengewand, doch Uleider und andres verschmähend.
Spangen jedoch und dazu die verzierten Gürtel und Schwerter
65 Zamt den Panzerhemden und Helmen, die nahm er den Toten,
vier von den Rossen belud er damit und rief die Verlobte,
Setzte sie dann aus das fünfte, und selber bestieg er das sechste,
Und so zog er zuerst aus dem niedergerissenen Dornwall.
Weiter dringt er sodann voran auf der Enge des Pfades,
70 Zpäht mit den Hellen Bugen nach allem umher in der Runde,
Richtet das lauschende Ohr nach jeglichem Winde und Lufthauch,
Gb er vielleicht Gemurmel, ob Tritte von Männern er höre
Oder vielleicht von stolzen Gesellen die klirrenden Zäume,
Oder der eisenbeschlagene Huf der Rosse ertöne.
75 Rls er gesehn, daß Stille umher, da treibt die beladnen
Rosse er vor und gebietet fürbaß zu ziehen der Jungfrau.
Selber ergreift er am Zaume sodann das Pferd mit den Truhen h;
Drauf beginnt er die Reise, bewehrt mit gewöhnlicher Rüstung.
1) „Lichtbringer", Morgenstern.
2) Ceylon.
3) in denen die Flüchtlinge ihre reichen Schätze mit sich führten.
Line Raft wohl ritt er dahin, da erblickte das Mädchen,
(Venn es ließ sie das schwache Geschlecht im Herzen erzittern),
Rückwärts schauend, vom Hügel herab zwei Männer') daherziehn,
welche sich nahten in hast und mit außergewöhnlicher Eile,
Und erbleichend begann sie zum Helden, der folgte: „Vas Ende
War nur verschoben und naht! Entfliehe, o Herr, denn sie kommen!"
Vieser wandte sich gleich und erkannte die beiden und sagte:
,,Unnütz hätte mein Urin so viele der Feinde geschlagen,
wenn ich zuletzt nicht Lob verdiente und Schande mich träfe.
Besser ist es, den rühmlichen Tod durch wunden zu suchen,
Rls nach Verlust des Gutes allein durch die Flucht zu entrinnen.
Doch ich brauche noch nicht an der Rettung so ganz zu verzweifeln,
Der ich vorzeiten bereits noch groß're Gefahren gesehen.
Nimm du jetzo den Zaum des Löwen, der unseren Schatz trägt,
Und dann eile hinweg und birg dich im nahen Geholze.
Über ich selbst will lieber am hange des Berges verbleiben,
Um zu erwarten, was kommt, und die Nahenden grüßend empfangen."
Und es folgte die herrliche Maid, als so er geboten,
Schnell faßt selbst er den Schild und schwinget den Speer, zu erproben,
wie sich das fremde Roß wohl unter den Waffen gebare.
i) Günther und Hagen.
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100 Egg? Egg? rgsi pgs? Egg? ELgr ELÄ- Egg? Eagg» Egg? cgi?
Uliffelhochdeuffche Volksepen,
Gder wenn er ihm entrollte
Meerumrauschte Gudrunsagen,
Siegfrieds Tod, Rriemhildens Rache
Und den Zorn des grimmen tfagen.
$. tD. Weber, Dreizehnlinden.
A. Nibelungenlied.
(Um 1200.)
Ich war an einem schönen Rlaientag,
Ein halber Rnabe noch, in einem Garten
Und fand auf einem Tisch ein altes Buch.
Ich schlug es auf, und wie der kföllenzwang,
Der, einmal angefangen, wär' es auch
von einem Rindermund, nach Teufelsrecht,
Trotz Furcht und Graun, geendigt werden muß,
So hielt dies Buch mich fest. Ich nahm es weg
Und schlich mich in die heimlichste der Lauben
Und las das Lied von Siegfried und Rriemhild.
Mir war, als fäß ich selbst am Zauberborn,
von dem es spricht: Die grauen Nixen gossen
Mir alle ird'schen Schauer durch das kferz,
Indes die jungen Vögel über mir
Sich lebenstrunken in den Zweigen wiegten
Und sangen von der Herrlichkeit der Welt.
Erst spät am Übend trug ich starr und stumm
Das Buch zurück, und viele Jahre flohn
Nn mir vorüber, eh ich's wiedersah.
Doch unvergeßlich blieben die Ge st alten
Mir eingeprägt, und unauslöschlich war
Der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden.
Friedrich £7 e b b e I.
tjgj? Eagj? Rgi? Rgj? tat tat Kgl? ta? Pgg? Kgl? Kgit C^riR ^i? j[ () |
27. Inhalt und Würdigung des Nibelungenliedes^.
Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Literatur, ll. Nufl. 5. 110 ff.,
Berlin 1908.
S- eit alter Zeit bedienten sich die Deutschen des Falken zur Jagd;
!r und ihre Poesie gebrauchte den streitbaren, jagenden Falken als
ein Bild des jugendlichen Helden. Blitzende Bugen erinnerten den
mittelalterlichen Dichter an Falkenaugen. Und die adelige Dame des
zwölften Jahrhunderts, welche die Liebe eines Mannes gewonnen, s
erzählt rm Liede, sie habe einen Falken gezähmt.
5o träumte Uriemhild in ihrer Mädchenzeit von einem Falken,
den sie gezähmet manchen Tag. Über zwei Udler zerfleischten ihn
vor ihren Bugen. Sie hatte nie einen größeren Lchmerz empfunden.
Zn diesem Traume, der als düsteres Bhnen zu Bnfang des io
Nibelungenliedes steht, wird die ganze erste Hälfte des Gedichtes
prophetisch verkündigt. Siegfried ist der Falke, sein Schwager Günther
und dessen Dienstmann Hagen sind die Bdler, die ihn zerreißen, und
Uriemhild weint ihm nach in unverwindlichem Schmerze. Den
zweiten Teil aber füllt das Werk ihrer grausigen Bache. Sie reicht 15
dem Hunnenkönig ihre Hand. Sie ladet die Schuldigen zu einem
Feste und verwandelt das Fest in ein Blutbad. Liebeswerbung
i) vgl. die ausführliche Erzählung des Inhalts von 5l. F. E. Vilmar bei
Liermann-Vilmar, Deutsches Lesebuch für Untertertia, Nr. 12. Die Siegfriedsage.
— L. Uh land, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Bd. 1, Stutt-
gart 1866. — R. E. Bo er, Untersuchungen über den Ursprung und die Ent-
wickelung der Nibelungensage, 2. Bde., Halle, Waisenhaus, 1906 u. 1907. —
G. holz, Der Sagenkreis der Nibelunge, in der Sammlung „Wissenschaft
und Bildung", Bd. 6, Leipzig 1907. w. Go Ith er, Deutsche Heldensage
Nr. 2 der Deutschen Schulausgaben von I. Ziehen, Dresden, Ehlermann,
h. Vollmer, Das Nibelungenlied erläutert und gewürdigt mit einem Überblick
über die Sage und die neuere Nibelungendichtung, Z. Nufl., Lpz. 1906. Über-
sicht über die Literatur: R. von Muth, Einleitung in das Nibelungenlied,
2. Nusgabe, Paderborn 1907. - Bildliche Darstellungen aus der Nibelungen-
sage : Im Städelschen Runstinstitut zu Frankfurt a. IN. Federzeichnungen von
Peter Eornelius (Titelblatt zu den Nibelungen, Hägens Heuchelei, Siegfrieds
Nbschied von Rriemhilde, Siegfried schreckt das Rüchengesinde durch den ein-
gefangenen Bären, Siegfrieds Tod, Rriemhilde erblickt Siegfrieds Leiche; s.
Rnackfuß, Rünstler-lNonographien, Bd. 82, 1906, Peter Eornelius von Thristian
Eckert). — In fünf Sälen des „Rönigsbaus" der „Residenz" zu München die
Nibelungen-Fresken von Julius Schnorr von Tarolsfeld (19 große,
viele kleinere Bilder), vgl. auch seine Zeichnungen für die Lottasche Pracht-
ausgabe „Der Nibelungen Not."
102 Esgj» tag»? Cagjf tat Eggs» ta? ta? C^£¥? CggjV C^StTc ta? r-L4r Kgi?
bildet den Ansang, Mord und Brand den Schluß, wie in der Zage
von Trojas Untergang. Und indem unser Gedicht aus dem Stoffe
nicht bloß Episoden herausgreift, sondern ihn erschöpft, gewinnt es
äußerlich eine höhere Einheit als die Ilias. Mit seiner engen ver-
5 Kettung zwischen Schuld und Strafe entspricht es einer idealen Welt,
wie sie der jugendliche Zinn des Volkes träumt und wünscht, wäh-
rend die Helden der Ilias in ihrer naiven Selbstsucht mehr den
Menschenkenner befriedigen. Uber trotz dem äußeren und inneren
Abschluß und Zusammenhange der Zage ist das Gedicht, wie die
10 Ilias, von ungleichem wert in seinen verschiedenen Teilen; und die
Unterschiede des Wertes sind weit größer als in der Ilias. Neben
den schönsten und erhabensten Szenen breiten sich öde strecken aus,
durch die man sich mühsam hindurchwindel. Während jene, sobald man
den abweichenden epischen Stil nicht in Anschlag bringt, sich kühn neben
15 die edelsten Blüten homerischer Poesie stellen dürfen, wagt man neben
diesen den Namen Homer gar nicht auszusprechen. Das mittelhoch-
deutsche Epos macht den Eindruck einer alten Kirche, an der mehrere
Baumeister gebaut haben, von denen einige die Intentionen ihrer Vor-
gänger sorgsam weiterzuführen suchten, andere willkürlich ihrem Kopse
20 folgten; kleinere Geister haben Bilder und Schnörkel und Neben-
bauten angebracht, und über das Ganze hat die Ferne der Zeiten
das gleichmäßige Grau des Alters gesponnen, sodaß der Gesamtein-
druck wohl ein erhebender bleibt, schärfere Prüfung aber die An-
wüchse entfernen, die Baugeschichte erforschen, die Hände unterscheiden
25 und jedem Meister sein Eigentum zurückgeben muß, ehe man die
künstlerischen Absichten und ihre Ausführung beurteilen kann.
Das erste Lied, an dessen Spitze Kriemhilds ahnungsvolle
Träume stehen, erzählt, wie Ziegsried nach Worms kam.
Zeine Abstammung von König Ziegmund, seine Herkunft aus Tanten
30 wird gemeldet; seine Schönheit, seine Stärke, seine ritterlichen Züge
nach vielen Ländern werden gerühmt. Aber die oberflächlich direkte
Tharakteristik macht bald einer tieferen mittelbaren durch Sieg-
frieds Handlungsweise Platz. Er hört von Kriemhilds Schönheit
und Sprödigkeit; und da man ihm zuredet, um eine Frau zu werben,
35 so erklärt er kurz und gut, er wolle Kriemhild nehmen. Der
Widerspruch der besorgten Eltern, ihre Furcht vor Kriemhilds Brüdern,
Günther und Gernot, und ihren Mannen, besonders Hagen,
reizt erst recht seine Tatkraft; er denkt gleich an Gewalt, will aber
nur mit geringem Gefolge zu den Burgundern reiten, herrlich ge-
ta? Rgj? tat Egjft Kgj? Egi? CsStR t^i? PgjR Eagj? Ezgj? Kgl? 103
rüstet erregen er und seine Begleiter in Worms die allgemeine Auf-
merksamkeit,- den freundlichen Empfang lohnt er schlecht,- er erklärt,
im Kampfe den Burgundern ihr Reich abnehmen zu wollen. Rber
man bietet ihm den Mitbesitz. Da läßt er sich besänftigen. Er bleibt
bei ihnen, und mit einem friedlichen Bilde schließt das Lied: im
Spiele messen Ziegsried und seine Gastfreunde ihre Kraft, und er ist
allen überlegen im Zteinwersen wie im Lpeerschießen. Der Charakter
jugendlicher Keckheit, ungestüm-übermütiger Tatkraft erscheint be-
wunderungswürdig in jedem Wort, in jeder Handlung Ziegfrieds
festgehalten. Der vorstechende Eharakterzug tritt mit einer Naivität
auf, daß er unser Lächeln erregt; und doch weiß der Dichter mit
den einfachsten Mitteln und ohne daß er Siegfrieds Taten aufzählte,
anzudeuten, daß dieser wirklich ein gewaltiger Held ist. Wie hübsch,
daß seine Eltern dies nicht zu wissen oder doch nicht darauf zu
rechnen scheinen, daß aber gerade Hagen, der als Zchreckbild hinge-
stellt wird, dem jungen Helden am meisten seine Achtung bezeigt.
Und wie ist Hagen als wichtigster Gegenspieler, der den Russchlag
gibt, hervorgehoben! Wie ist jeder der Burgunder charakterisiert
und dadurch die Gesprächszene mit Ziegfried dramatisch geworden!
Wie greift dabei alles ineinander: Grtwin von Metz, Hägens
Zchwestersohn, jugendlich heftig; Hagen zurückhaltend, respektvoll als
Dienstmann neben seinen Herren; König Gernot milde vermittelnd,
König Günther würdevoll abschließend als der eigentliche König!
Wahrlich, man müßte mehr Worte gebrauchen, um alle Zchönheiten
des Liedes hervorzuheben, als das Lied selbst gebraucht, um seine
Rufgabe zu lösen. Mit so unscheinbaren Mitteln eine solche Kraft
der Charakteristik, ein so rascher Verlauf, eine solche sichere Führung!
Die ursprüngliche Rbsicht des jungen Helden aber, die Werbung um
Kriemhild, scheint ganz vergessen; und gewiß hat sich der Dichter,
dessen Werk uns vielleicht unvollständig vorliegt, die weitere Ent-
wickelung anders gedacht, als sie jetzt die folgenden Lieder darbieten.
Das zweite ist recht banal. Der Dichter streicht seinen Helden
Siegfried möglichst heraus. Er läßt ihn für Günther einen Krieg
gegen die Lachsen und Dänen siegreich durchführen und beide
feindliche Könige eigenhändig gefangennehmen. Daran schließt sich
in dem dritten Lied ein Sest, bei welchem Ziegfried die
Kriemhild zum ersten Male sieht. Er benimmt sich wie ein
liebender Zchäfer, gar nicht eigenartig, sondern schüchtern und be-
scheiden wie irgend ein anderer wohlerzogener Ritter. Kriemhilds
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\ 04 Esgg? Cggj? Esgj» £¿=1» Csgf? c^r? l^Ld c^-U- tL-d kLÄ- cLU- K-LÄ- C^i?
ZprödigKeit wird nicht mehr erwähnt,- ohne Widerstand neigt sie sich
dem Ritter zu, der zwar nicht wagt, an ihren Besitz zu denken, aber
mit ihr heimlich zärtliche Blicke wechselt und ihre Hand liebkost,
stlles übrigens zart und weich ausgeführt mit der ersten Unschuld
5 und Frische minniglicher Empfindung, wenn auch ohne Originalität.
höchst kräftig dagegen ist das vierte Lied, die Werbung
um Brünhild, die Königin fern auf Isenstein jenseits des Meeres,
mit der man Kämpfen muß, will man ihre Liebe gewinnen: wer
besiegt wird, verliert den Kops. Günther will um sie werben,
io bittet Ziegsried um Hilfe; der sagt zu, wenn ihm Kriemhild zuteil
würde; was Günther verspricht. Ziegfried nimmt einen unsichtbar machen-
den Mantel, die Tarnkappe, mit, die er einst dem Zwerg Ulberich
abgenommen hat. Zn dieser Umhüllung kämpft er statt Günthers
mit Brünhild und besiegt sie. Er muß sie früher gekannt haben;
15 denn er allein weiß den Weg nach ihrem Land, und sie begrüßt ihn
sofort mit seinem Namen; fragt, was er wolle. Er erwidert,
Günther sei sein Herr und er sein Dienstmann, mit ihm komme er,
um sie zu werben. Vas Lied ist vortrefflich erzählt, mit sonderbarer,
fast naiver Deutlichkeit in allem, was äußerlich geschieht. Der Dichter
20 prägt seinen Hörern oder Lesern zu wiederholten Malen ein, daß
Ziegfried heimliche Künste anwende, daß nicht Günther, sondern
Ziegsried kämpfe, daß aber Brünhild und die Ihrigen glaubten,
Günther sei der gewaltige Zieger. „Nein," ruft er aus, „ein viel
Ztärkerer hat sie zu Falle gebracht!" Uber mit den rasch sich ab-
25 spielenden Begebenheiten scheint das Interesse des Dichters erschöpft;
er tut nichts, um die Eharaktere, die Beweggründe, die Empfindungen
der handelnden Personen hervortreten zu lassen. Nur die Furcht der
Burgunder im Kontraste zu Ziegfrieds Furchtlosigkeit wird erwähnt.
Uber mit welcher Empfindung Brünhild den Ziegfried wiedersieht,
30 mit welcher Empfindung sie sich besiegt erklärt, ob Ziegfried nach des
Dichters Meinung wirklich Günthers Dienstmann ist, oder ob er sich
nur dafür ausgibt, erfahren wir nicht. Wir sollen bloß mit
Zpannung verfolgen, wie Günther die Gefahr überstehen werde, in
die er sich begeben hat.
35 Eine schwache Fortsetzung des Gedichtes erzählt ausführlich,
aber uninteressant, wie Ziegfried als Bote nach Worms zurück-
kehrt, und wie Brünhild dort empfangen wird, zuletzt ganz ober-
flächlich Ziegfrieds und Kriemhilds Vermählung.
taff Kgl? Cagi? kLd Kgf? Pgi? Egi» t^it E=gä? ta? Kgi? Kg« P^i? IQ 5
Das fünfte Lied zeigt uns dann die beiden paare beim
hochzeitsmahle. Brünhild weint, weil Günthers Schwester einem
unfreien Manne zuteil ward,- der König vertröstet sie auf spätere
Auskunft. Aber Vrünhilds dunkles Wesen enthüllt sich weiter:
Günther hat einen neuen Kampf zu bestehen,- abermals muß ihm
Siegfried in seiner Tarnkappe zu Hilfe kommen und Brünhild
bezwingen, deren King und Gürtel er mitnimmt und an Kriem-
hild gibt: der Dichter verhehlt seine Mißbilligung dieser Handlungs-
weise nicht und bemerkt: „Ls ward ihm später leid"......................
Das sechste Lied, vom Streite der Königinnen, führt
uns dem tragischen Umschwünge näher, wir erfahren, daß Liegfried
in Norwegen das Land der Nibelungen beherrscht und einen
großen Schatz besitzt, den größten, den je ein Held gewann. Er
folgt mit seiner Frau und seinem Vater einer Einladung zu Günther
und Brünhild nach Worms. Lines Abends, da die Königinnen bei-
sammen sitzen und dem Kitterspiele zusehen, entfacht sich der Streit,
den Kriemhild durch ein unbesonnen übertriebenes Lob ihres Mannes
hervorruft. Brünhild will die Herrin herauskehren und ihre Schwägerin
als unfreie Untergebene behandeln. Diese weist schließlich Brün-
hilds King und Gürtel vor, und Liegfried kommt in den verdacht,
als habe er sich gerühmt, die Schreckliche bezwungen zu haben.
Brünhild klagt es ihrem Manne. Siegfried, männlich offen, beteuert
und beschwört seine Unschuld, tadelt die Ltreitreden der Frauen und
will sie der seinigen ernstlich verbieten. Die Darstellung, anfangs
schleppend, wird immer rascher und dramatischer,- und Siegfried
schließt in einer weise ab, die seinem eigensten Wesen entspricht.
Der Dichter des siebenten Liedes ist von moralischer Ent-
rüstung gegen Hagen erfüllt, der schon im vorigen Lied eine ver-
dächtige Begierde nach dem Nibelungenschatze bewiesen hat. Setzt
bewegt ihn Vrünhilds Trauer zur Nache an Siegfried. Günther
macht dabei eine sehr schlechte Figur. Er läßt sich leicht überreden.
Ein neuer Angriff der Sachsen wird vorgegeben, und zum vierten
Male muß Günther hilfsbedürftig, Siegfried hilfsbereit und kampf-
lustig erscheinen. Hagen aber macht der Kriemhild einen Abschieds-
besuch, und mit merkwürdiger Arglosigkeit gibt sie ihm Siegfrieds
Geheimnis preis, damit er ihn schütze: als Siegfried den Drachen
erschlagen und sich in dessen Blute badete, das ihn unverwundbar
machte, da sei ihm ein Lindenblatt zwischen die Schultern gefallen,
und dort sei er nun Schutzes bedürftig. Sie will auf Hägens Kat
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sein Gewand an der gefährdeten Stelle mit einem seidenen Kreuzchen
bezeichnen. Sowie Hagen am anderen Morgen das Kreuz bemerkt,
schickt er angebliche Friedensboten des Sachsenkönigs,- und der Kriegs-
zug wird in eine Iagd verwandelt. Die plumpe List, der schwache
5 König, der tückische Ratgeber, das über Gebühr ahnungslose paar
sind etwas kindlich hingestellt. Man fühlt sich nicht in der wirk-
lichen Welt.
Dagegen tut sich im achten Siede, in der Erzählung von
der Jagd und von Siegfrieds Tode, das höchste vermögen
10 deutschen Volksgesanges auf. hier wird eine Zähigkeit indirekter
Charakteristik offenbar wie im ersten Siede, und darüber hinaus
viele Vorzüge: das tragische Thema, die Pracht des Vortrages, die
Sülle der Anschauung, die größere Breite der Erzählung, vor allen
reißt uns wieder Siegfried hin. Er ist übermütig wie ein Knabe.
iS Nach glücklichem Jagen, aus der Rückkehr zum Sammelplätze fängt
er einen Bären, den er dann losläßt, der alles in Verwirrung setzt,
den schließlich nur er selbst erlegen kann. Und ebenso übermütig
beschwert er sich über schlechte Verpflegung. Er hat einen Riesen-
durst, es ist aber kein Getränke da: „Man hätte mir," ruft er aus,
20 „lieber Saumtiere mit Met und Gewürzwein herbringen oder den
Sammelplatz näher an den Rhein verlegen sollen." Hagen weiß
einen Brunnen in der Nähe. Er reizt den Siegfried zum lvettlauf
an, worauf dieser freudig eingeht. In seinem unschuldigen Selbst-
gefühle läuft er gewasfnet, während Hagen und Günther in Hemden
25 laufen dürfen. Dennoch ist er der erste; er wartet aber, bis Günther
getrunken hat. Während dann Siegfried zum Brunnen niederge-
beugt ist, trägt ihm Hagen die Waffen fort und wirft ihm den
eigenen Speer durch das seidene Kreuzlein auf seinem Rücken. Sieg-
fried hat nur seinen Schild behalten, und damit schlägt er den Mörder
30 zu Boden. Uber seine Farbe ist bleich geworden, schwach sinkt er
hin in die Blumen. Er beschuldigt Hagen und Günther, erinnert an
seine Dienste, an seine Treue,- die letzten Gedanken wendet er Kriem-
hild, seinem Sohn und seinem Vater zu. „Die Blumen allent-
halben vom Blute waren naß, darang ermitdem Tode."
35 Man legt den Seichnam auf einen Schilds und sobald es Nacht wird,
fährt man ihn über den Rhein.
Der Iubel, die Ausgelassenheit zuerst und plötzlich die tragische
Wendung der Erzählung wirken wahrhaft ergreifend und geben
einen Gesamteindruck von unvergleichlicher Poesie. Der Dichter hat
casu Kgs? pgi? Egj? Kgit t^s? k^sr r^gjf pgj? 107
es verstanden, nicht bloß die Begebenheiten deutlich zu machen,
sondern auch die Landschaft, in der sie sich vollziehen. Er hat nicht
bloß Ziegsried, sondern auch Günther und Hagen und alle ohne
Parteilichkeit charakterisiert. Er hält sich fern von vager Idealität
und einseitiger Beleuchtung. Dem Bilde Siegfrieds fügt er einen
besonderen Zug hinzu, den er fein zur Motivierung benutzt, indem
er zugleich sich selbst naiv besangen in den Anschauungen der ritter-
lichen Sitte zeigt, deren er mit Ztolz sich rühmt. Er meint: eine
Untreue, wie sie Hagen beging, würde jetzt nicht mehr vorkommen.
Er glaubt auch Siegfried entschuldigen zu müssen, weil er in der
Todesnot die Verräter schilt und brandmarkt. Und so motiviert er:
Ziegfried hätte längst trinken können, ehe die beiden nachfolgten;
aber er war zu wohlerzogen, zu höflich, um nicht dem Könige den
vortritt zu lassen; und hierdurch erst gab er sich in die Hand seines
Feindes.
Vas neunte Lied, Ziegfrieds Begräbnis, schließt sich
würdig an und tief erschütternd. Hagen begnügt sich nicht mit der
Untat, er treibt den haß noch weiter, er will Kriemhild möglichst
verletzend davon in Kenntnis setzen und läßt in der Nacht den Leich-
nam vor ihre Türe legen, hiermit schafft sich der Dichter ein
Mittel, um die Empfindung der Anteilsvollen noch zu steigern und
ihr plötzlich hereinbrechendes Leid noch ergreifender zu machen.
Kriemhild wird christlich fromm gedacht, in Andachtsübungen und
guten Werken eifrig. Sie versäumt keine Frühmesse. Daraus motiviert
sich die erste rührende Situation: Kriemhild auf dem Wege zur
Kirche, nächtlich an Siegfrieds Leiche zusammensinkend?) Die zweite
ist: Ziegmund, der alte Vater, aus dem Zchlafe mit der Zchreckens-
botschaft geweckt. Die dritte: Kriemhild, die sich den schon ge-
schlossenen Zarg offnen läßt, das schöne Haupt des Toten mit ihrer
weißen Hand in die höhe hebt und ihn noch einmal küßt, von
Kriemhild wird ein reiches Tharakterbild entworfen: nicht bloß
Liebe und Zchmerz, Frömmigkeit und tiefe Empfindung machen sich
in ihr geltend; sie hat mitten im schrecken so viel Fassung und
Zcharfsinn, um aus dem unzerhauenen Zchilde zu schließen, daß ihr
Liebling ermordet ist; sie gibt sich nicht bloß dem Gefühle hin, sie
denkt an die Tat und an Uache; sie ist besonnener als die Männer;
i) I. Lohineyer und Felix-Therese Dahn, Wandbilder zur Deutschen
Dätter- und Sagenwelt, stalle, Waisenhaus, Serie I, Blatt III: Kriemhild an
der Leiche Siegfrieds, nach 5l. 3ick.
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108 ^ ^ k-Ld Cagä? KLN Rgj? k^N kLd tag
sie hält Siegmunb und die Seinen von übereilten Schritten ab, die
aussichtslos wären, weil die Übermacht auf Seite der Gegner. Kurz,
hier tritt statt des spröden Mädchens oder statt der schnellverliebten
jungen Dame oder statt der töricht prahlerischen Hrau — hier tritt
5 zum ersten Male die Kriemhild des zweiten Teiles, die Kriemhild
der Rache auf, tatkräftig, entschlossen, umsichtig.
Ganz anders, ohne Widerstandskraft, ohne Vorsicht, weichlich
und willenlos, erscheint sie im zehnten Liede, das überhaupt zu
den schlechtesten gehört. Wie verletzend, daß sie ihr Kind im Stich
10 läßt, um in Worms zu bleiben, damit ihr jüngster Bruder Giselher
ihr klagen helfe. Der Nibelungenschatz wird nach Worms ge-
bracht, und klagen versenkt ihn in den Rhein. Der Dichter
scheint wieder von haß gegen Hagen erfüllt, erweckt aber Gefühle
der Rbneigung, fast der Verachtung gegen Kriemhild wie gegen
15 ihre Brüder.
Die hierauf folgenden Lieder des zweiten Teiles sind
nach Kunstart und Wert untereinander nicht so verschieden wie die
des ersten. Durchweg setzen sie mehr Personen gleichzeitig in Be-
wegung ; ihren Dichtern schwebt der hofhält der Burgunder wie der
20 hofhält der Hunnen in großer Rusführlichkeit vor, und schon dadurch
blicken wir in ein reicheres, erfüllteres Leben. Im ersten Teile scheint
es nur allzu oft, als ob die Welt leer und einigen wenigen Helden
zulieb da wäre. Im zweiten Teile macht es einen furchtbaren Ein-
druck, daß durch haß und Rachsucht eines einzigen Weibes Tausende
25 von Menschen dahingerafft werden.
Der Dichter des elften Liedes, „Etzels Werbung um
Kriemhild", hat die Königin als resignierte trauernde Witwe ge-
nommen, in welcher der Gedanke der Rache erst vor unseren Rügen
erwacht. Das zwölfte Lied, „Etzels und Kriemhilds ver-
30 mählung", entwirft ein großartiges Bild von dem Fürsten- und
Völkergewimmel an Etzels Hof, und es wird bedeutsam erwähnt,
daß Ehristen und Heiden friedlich miteinander verkehrten. Der
Dichter scheint mit patriotischem Stolze hervorzuheben, daß Kriem-
hild zu Wien auf ihrem hochzeitsfeste von einem Reichtum und von -
35 einer Macht umgeben war, wie sie selbst an Siegfrieds Seite sie :
niemals genoß. Im dreizehnten Liede werden Kriemhilds <
Brüder zu den Hunnen eingeladen. Kriemhilds böse Rb- -
sichten dabei verschweigt der Dichter nicht, und ihre hinterhältige «
Cagft ta? taff ggar egg? egg Kagf? ta? Cgi? cgi? Cgi? cgi? Cgi? 109
Brglist setzt er in Kontrast zu Etzels offener Heiterkeit und ehrlicher
Freude, seine Einladung angenommen zu sehen, ctber am meisten
interessiert ihn doch der äußere Lauf der Begebenheiten,- er hält aus
höfliche Bede, welche die Menschen ähnlich macht, ohne die inneren
Gegensätze zu zerstören.
Das vierzehnte Lied tritt aus dem Tharakter des zweiten
Teiles heraus, dessen Lieder sich in rein menschlicher Sphäre zu halten
pflegen. Träume, Vorbedeutungen, Prophezeiungen, mythologische
Wesen umgeben den grimmen Hagen, der entschieden im Mittel-
punkte steht. Vas tragische Schicksal kündigt sich gewaltig an, und
Hägens ungebrochener Mannesmut, der damit ringen wird, leuchtet
in furchtbarem Glanze. Vas Lied behandelt eigentlich nur zwei
Szenen: den Morgen des Bufbruches von Worms und den
Übergang über die angeschwollene Donau. Jener Morgen
wird von dem Dichter benutzt, um rückblickend Hägens Benehmen
zu motivieren: er wäre gegen die Beise gewesen, hätte nicht Gernot
ihn der Furcht geziehen,- seitdem war er entschlossen. Sn jedem Wort
und jeder Handlung Hägens prägt sich eine wilde Energie aus. Er
kennt die Wege, er reitet an der Spitze, er ist den Nibelungen (so
heißen hier die Burgunder zum erstenmal) ein hilfreicher Trost. Er-
sucht an der Donau nach einem Fährmann, hört Geplätscher des
Wassers, horcht, sucht, findet weise Frauen badend, Meerweiber,
denen er die Kleiber raubt. Sie prophezeien ihm gute Fahrt, bis
sie die Kleider wiederhaben,- dann sagen sie ihm die Wahrheit:
„Kehrt um, noch ist es 3eit; wer in Etzels Land reitet,
muß sterben." Hagen, keinen Augenblick unentschlossen, erwidert:
„Das darf ich meinen Herren nicht sagen (man erinnert sich, daß
Gernot ihn der Furcht beidjulbigte; er also darf nicht Warner fein);
zeigt mir den weg übers Wasser." Sie weisen ihn an eine Fähre
und rufen den Fortstürzenden zurück, um ihn näher zu unterrichten.
Er lockt den Fährmann durch falsche Angaben herüber, springt ins
Schiff, erschlägt den unwilligen, rudert mühsam gegen den Strom,
leugnet den Königen gegenüber die blutige Tat und setzt mit Kraft
alle die Scharen über den Strom, wie sie dann sich in Bewegung
setzen wollen, ruft er sie an, Bitter und Knechte: „Etwas Unge-
heures mach' ich euch bekannt: wir kommen niemals
wieder heim ins Burgunderland." Da flog das Wort von
Schar zu Schar, und tapfre Helden wurden bleich; sie hatten allen
Grund dazu...........
5
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35
110 ^ ^ Kgj? ca? pgj? pgj? ta? ta? cg»? cgj? tat
Ein prachtvolles Charakterbild, dieser Hagen, sympathisch in
seiner überall zugreifenden Kraft und Entschiedenheit, in seiner
Mannentreue und seinem despotischen Millen, seiner Furchtlosigkeit
und seiner Furcht vor jedem Scheine der Furcht, - unheimlich in
5 seinen übermenschlichen Leistungen, in seiner Bereitwilligkeit zu Tot-
schlag und Lüge, in seinem Bestreben, alle üblen Anzeichen zu ver-
hehlen, bis der Kubikon überschritten ist und er in dämonischer Lust,
unbarmherzig, höhnend, allen das sichere Verderben prophezeit.
Und darüber hinaus noch hat der Dichter gewagt, ihn den drei
10 Badenden gegenüber, welche wie Macbeths hexen im Liede stehen,
als menschlich klein, betrogen, an der Nase geführt darzustellen, und
in dieser Mischung von Motiven eine Geschicklichkeit und ein Maß
bewiesen, das ihm zu hohem Kuhm angerechnet werden muß. Dabei
ist sein Gedicht, so rasch es voraneilt und so flüchtig die großen
15 Linien der Entwickelung gezogen sind, voll von kleinen Zügen, die
es handlungsreich und lebendig machen.
Die düsteren schweren Wolken dieses Liedes werden im fünf-
zehnten durch heiteren Sonnenglanz abgelöst. Die Burgunder sind i
in Pöchlarn beim Markgrafen Küdiger,- Keichtum und <
20 Festfreude umgibt sie, ausführlich, glatt und anmutig geschildert.
Hagen jagt der jungen Markgräfin beim Vegrüßungskusse Schrecken i
ein. Der Spielmann Volker läßt seine geselligen Talente $
glänzen. Hüöigers Tochter wird mit Giselher verlobt.
Zum Abschied allgemeine Beschenkung und bald die erste Warnung j;
25 durch Dietrich von Bern, der den Burgundern entgegenreitet.
Über den Empfang durch Kriemh ild sind uns dann zwei j:
verschiedene Lieder erhalten. Beide feiern die heldenfreundschast t
Hägens und Volkers, vor denen die Hunnen scheu zurückweichen, j
Das eine ist etwas derb,' es nimmt gegen Kriemhild Partei, und 6
30 die Helden sparen nicht grobe Keden. Daneben findet sich die zarte s
Situation, wie die Burgunder von schweren Gedanken erfüllt ihre $•
Schlafstätte suchen und Hagen sie tröstet und Volker seine Fiedel I;
nimmt und sich auf einen Stein setzt und ihnen das herz erfreut h
und die Saiten laut erklingen läßt und dann weicher und leiser
35 spielt und die Sorgenvollen einschläfert, hierauf wieder seinen Schild 6]
ergreift und sich draußen mit Hagen auf die Wacht stellt: da leuchtet ts
sein Helm durch die Nacht und schreckt die heranschleichenden Hunnen tt*
ab. Das zweite Lied hat dieses erste durchweg zur inneren voraus- -s
setzung: der Verfasser nimmt Anstoß an der Parteilichkeit gegen n«
sgj? Kgj? taa c^g? Ka? ra? kL-rr t^i? ta? r^LLr t^i? 1 n
Kriemfjilb; er nimmt Unstoß an den schlechten Manieren Hägens
und Volkers, und er will auch die Hunnen nicht so karikaturmäßig
furchtsam darstellen, wie es sein Vorgänger tat. Er hat alles strenger
motiviert, mehr aus den Umständen, aus der natürlich gespannten
Situation, aus einem Konflikt edler Beweggründe, sodaß die gegen- 5
wärtige Schuld der handelnden verringert wird und die unglückliche
Verkettung der Begebenheiten, die nachwirkende Schuld der Ver-
gangenheit als das eigentlich Maßgebende erscheint.
Die drei letzten Sieder führen uns den wirklichen Uus.bruch
der Feindseligkeiten, das beginnende Blutvergießen vor: sie io
schildern Massenkämpfe, so jedoch, daß sich einzelne Helden besonders
auszeichnen: im achtzehnten Vankwart, Hägens Bruder, im neun-
zehnten Sring von Dänemark.
Ulles übertrifft aber das zwanzigste Sied, „der Nibe-
lungen Not", d. h. die Bedrängnis und das Ende der Bur- 15
gunder. Sn Situation und Eharakteristik das Ergreifendste, was
die mittelhochdeutsche Volkspoesie überhaupt hervorgebracht hat; die
Katastrophe einer Tragödie, mit reinem Dichtergefühl ausgeführt,-
ein grenzenloser Jammer, mit wohltuenden Erscheinungen edler
Heldentugend durchflochten,- das Schreckliche doch manchmal zum 20
Rührenden gemildert. Der Dichter unterscheidet sich von vielen
seiner Genossen dadurch, daß er die Helden der Vorzeit weicheren
Empfindungen zugänglich macht, daß er ihnen eine Sehnsucht nach
Frieden leiht, wie solche Kämpfer sie sonst nie kundgeben. Bis
zuletzt zeigt er Uuswege, durch welche es möglich wäre, daß wenig- 25
stens nicht alle feinde, die sich gegenüberstehen, ums Leben kämen.
Uber vergeblich! Immer ist die Leidenschaft der Menschen stärker
und zieht sie ins verderben.
Das Sied beginnt am Sonnwendabend. Da treten die Bur-
gunderkönige aus dem Gebäude hervor, worin sie eingeschlossen sind, 30
und verlangen Sühne, Frieden. Etzel verweigert ihn: sie haben
ihm sein Kind erschlagen, sie haben ihm so viele verwandte er-
schlagen; der Schaden, den sie ihm getan, muß gerächt werden. Die
Helden bitten um Kampf im Freien- KriemHild hält die hunnischen
Necken ab, ihn zu gewähren. Sie verlangt Hägens Uuslieferung; 35
aber die Könige sind ihrem Diener treu. Da werden sie alle ins
Haus hineingetrieben und dieses ringsum in Brand gesteckt. Sn der
furchtbaren Hitze trinken sie Blut auf Hägens Nat. Um Morgen
neuer Kampf, in welchem zwölfhundert Hunnen fallen. Rüdiger
112 ^ Eagj? tat ta? pgj? tat ta? ia? RgR
kommt und sieht den Jammer,- Etzel und Kriemhild fordern seine
Teilnahme am Streit, und nach schwerem Gewissensringen entschließt
er sich dazu. Giselher glaubt, er bringe den Frieden und atmet
hoffnungsvoll auf. Mit Günther, mit Gernot, mit Giselher wechselt
5 er Reden voll Gefühl und Zchmerz. Da er schon in den Kampf
will, ruft ihn klagen an und bittet ihn um seinen Zchild. Rüdiger
gibt ihn hin, und da faßt selbst den grimmen Hagen ein menschliches
Rühren..........Gernot und Rüdiger töten sich gegenseitig; dieser
fällt durch sein eigenes Zchwert, das er einst in Pöchlarn dem König
10 Gernot geschenktl).
Rüdigers Tod hat weitere Verwicklungen im Gefolge. Ein
ungeheures Klagen bricht aus. Man meldet es dem König Dietrich,
der fern vom Kampfe weilt. Er läßt sich erkundigen, wem die
Trauer gelte. Da man ihm Rüdiger nennt, sendet er den alten
15 hildebrand, um zu erfahren, wie sich das begeben. Die Goten-
helden insgesamt begleiten den Riten aus seinem Wege. Es kommt
zu scharfen Worten zwischen Volker und dem wilden Wolfhart,- es
kommt von Worten zu Taten — und alle die Helden, die da zu-
sammentreffen, bis auf drei, fallen im Streite; Volker von hilde-
20 brands Hand, Wolfhart und Giselher sich gegenseitig tödlich treffend;
nur hildebrand entflieht vor Hägens Zchwertschlägen, und im Hause
sind Günther und Hagen allein noch übrig, hildebrand, der seine
Botschaft so übel ausgerichtet, kehrt zu seinem Herrn zurück; und
mit ergreifender Handhabung der tragischen Ironie läßt der Dichter
25 den Gotenkönig um Rüdiger klagen, während schon hildebrand mit
ganz anderer Zchreckenskunde vor ihm steht: „Zage meinen Mannen,
daß sie gleich sich waffnen; ich will selber fragen die Helden aus ;
Burgunderland." Da erwidert hildebrand: „Wen soll ich rufen? '
Was von den Euren noch lebt, das steht vor Euch,' das bin ich allein, ,
30 die andern sind tot." Rach schmerzlichen Klageworten über sein Ge- °
schick und über jeden einzelnen der Gefallenen macht sich Dietrich auf, ,
um Günther und Hagen zur Rede zu stellen. Er bietet ihnen Frieden r
an und verspricht sie in ihre Heimat zu bringen, wenn sie sich ihm r
gefangengeben. Da sie das zurückweisen, so bezwingt er sie mit t
35 den Waffen, führt sie gefesselt zu Kriemhild und nimmt ihr das s
versprechen ab, sie zu schonen. Sie aber fordert von Hagen den n
1) I. Lohmeyer und Felix-Therese Dahn, Wandbilder zur Deutschen m
Götter- und Lagenwelt, knalle, Waisenhaus, Zerie III, Blatt IV: Rüdigers s
EgjR Egg? Egg»? Csg¥? Egj? C^rn? t^? C^Sti? c^- EgiR tLsFi? Cägf? j J 3
geraubten Nibelungenschatz. Und da er geschworen haben will, ihn
nicht herauszugeben, solang einer von seinen Herren lebe, so läßt sie
Günther täten und trägt sein Haupt vor Hagen hin. „Es ist
gekommen," sagt dieser, „wie ich mir gedacht; den Zchatz weiß nun
niemand als Gott und ich, und dir, du Teufelin, soll er auf immer 5
verborgen bleiben." Da zieht sie mit einer Erinnerung an Liegfried
dessen Lchwert, das Hagen führte, aus der Lcheide, schwingt es hoch
mit beiden Händen und schlägt dem Helden den Kops ab — zum
Entsetzen Etzels, zur Empörung Hildebrands, der auf sie losspringt
und sie tätet. Laut schreiend fällt sie. Dietrich und Etzel weinen. 10
Mit Leid war geendigt des Königs Fest, wie immer Freud'
in Leid zuletzt sich wandelt: als ie diu liebe leide ze aller
jungiste git.
28. Ausgewählte Abschnitte des Nibelungenliedes im
Urtext1).
Sprache, schön und wunderbar,
Ach, wie klingest du so klar!
Will noch tiefer mich vertiefen
In den Reichtum, in die Pracht;
Ist mir’s doch, als ob mich riefen
Väter aus des Grabes Nacht.
Klinge, klinge fort und fort,
Heldensprache, Liebeswort,
Steig empor aus tiefen Grüften,
Längst verschollnes altes Lied,
Leb aufs neu in heil’gen Schriften,
Daß dir jedes Herz erglüht!
Max v. Schenkenderf.
Erstes Abenteuer.
Wie Kriemhilden träumte.
1 Uns ist in alten rnseren Wunders vil geseit1 2)
(1) von beiden lobebseren, von größer arebeit,
1) Nach Karl Lach mann, Der Nibelunge Not und die Klage, 5. Ausl.,
Berlin 1878. Die in Klammern zugefügten Ziffern bedeuten die Verszäh-
lung nach Lachmann. — Zum Selbststudiums empfehlen: Karl Bartsch,
Der Nibelunge Not mit den Abweichungen von der Nibelunge Liet, den
Lesarten sämtlicher Handschriften und einem Wörterbuche. I. Teil: Text,
Leipzig 1870. II. Teil, erste Hälfte: Lesarten, 1876. II. Teil, zweite Hälfte:
Wörterbuch, 1880. (Vgl. auch seine kleinere Ausgabe des Nibelungenliedes).
2) gesaget.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch. 8
i
114 ^ ^ Rgj? pgj? tisit c^i? C^giV kLLr sag»? t^ït rat tat
von fröuden, hôchgezîten, von weinen und
von klagen ,
von küener recken strîten muget1) ir nu wunder
hœren sagen.
2 E% wuohs in Burgonden ein vil edel magedm,
(2) da^ in allen landen niht schœners2) mohte sin.
Kriemhilt geheimen : si wart ein schœne vyîp.
dar umbe muosen 3) degene vil Verliesen den lîp4).
Z Der minneclîchen meide5) triuten6) wol gezam7).
(3) ir8) muotten küene recken: niemen was ir gram.
âne mâçen schœne sô was ir edel lîp.
der juncfrouwen tugende zierten 9) anderiu wîp.
6. Ausl., 1886, in Pfeiffers Sammlung „Klassiker des deutschen Mittelalters“,
Bd. 3.) — Friedrich Zarncke, Das Nibelungenlied, 6. Ausl., 1887 (mit reich-
haltiger Einleitung). — Ausgabe von Paul Piper in Kürschners Deutscher
Nationalliteratur, Bd. 139 u. 158. — Bieger, Das Nibelungenlied. Nach
der Lachmannschen Handschrift A im Auszuge, 2. Ausl., Leipzig 1908 (mit
erläuternden Anmerkungen). — G. Bötticher und K. Kinzel, Das
Nibelungenlied im Auszuge, nach dem Urtext erläutert, in »Denkmäler der
älteren deutschen Literatur“ I, 3; 9. Ausl., Halle 1906. — W. Golther,
Der Nibelunge Not, in Auswahl, Sammlung Göschen, Nr. 1. — Über-
setzungen: Karl S i m r'o c k , 58. Ausl., Stuttgart 1906. (Vgl. jetzt
auch Simrocks ausgewählte Werke, herausg. von G. Klee, Leipziger
-Klassiker-Ausgaben von Max Hesse, Bd. V.) — W. Hahn, Stuttgart,
Spemann, G. LegerlotzJ Bielefeld, Velhagen, L. Freytag, Berlin. —
A. Schroeter, Das Nibelungenlied, in der Oktave nachgedichtet, 2. Ausl.,
Berlin 1902. — Zur Kulturgeschichte: A. Zeh me, Die Kulturver-
hältnisse des deutschen Mittelalters. Im Anschluss an die Lektüre zur
Einführung in die deutschen Altertümer im deutschen Unterricht geschildert.
Mit 80 Abbildungen, 2 Ausl., Leipzig 1905. — J. Dieffenbacher,
Deutsches Leben im 12. und 13. Jahrh. Realkommentar zu den Volks-
und Kunstepen und zum Minnesang. I. Öffentliches Leben. II. Privatleben.
Sammlung Göschen, Nr. 93 u. 328, Leipzig 1907. — K. Weinhold, Die
deutschen Frauen in dem Mittelalter, 2 Bde., 3. Ausl., Wien 1897. —
A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, Leipzig 1880.
S. Hirzel. 2 Bde. Ders : Das häusliche Leben der europäischen Kultur-
völker, München u. Berlin 1903. — Hartung, Die deutschen Altertümer
des Nibelungenliedes und der Kudrun, Göthen 1894.
1) könnt. — 2) Gen., hängt ab von nicht (Subst). — 3) Prät. s. müe^en.
— 4) Leben. — 5) Gen. s. meit. — 6) Substantiv. Inf. — ?) s. gezemen. —
8) Gen. pron. pers. — 9) Konjunktiv Prät.
kLSd ta? Rgjt r-sL- c^gsv tat r-LLr r-s»- ia? Egg? t^r? ta? j | 5
4 Ir pflägen 3) drie künege edel unde rieh,
(4) Günther unde Gernot, die recken lohelieh,
und Giselher der junge, ein ü? erwelter degen.
diu frouwe was ir swester, die fürsten hetens in ir
pflegen2).
5 Die herren wären milte3), von arte höh geborn,
(5) mit krefte4) umnähen küene, die recken ü? erkorn.
da zen5) Burgonden so was ir lant genant:
si frumden starkiu wunder sit in Etzelen lant.
6
(6)
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(7)
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(8)
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) (10)
I 11
t) ■ (11)
Ze Worm?e bi dem Rine si wonden mit ir kraft0),
in diende von ir landen vil stolziu riterschaft
mit stolzliehen eren unz an ir endes zit.
sit sturbens7) jämerliche von zweier edelen frouwen nit8).
Ein richiu küniginne, fron Uote ir muoter hie?:
ir vater hie? Dancrät, der in diu erbe lie?
sit nach sime lehne, ein ellens9) richer man,
der ouch in siner jugende größer eren vil gewan.
Die drie künege wären, als ich gesaget hän,
von vil hohem eilen: in wären undertän
ouch die besten recken, von den man hät gesaget,
starc und vil küene, in allen striten unverzaget.
Da? was von Troneje Dagene und ouch der bruoder sin,
Dancwart der vil snelle10), und von Metzen Ortwin,
die zwene maregräven Gere und Eckewart,
Volker von Alzeije, mit ganzen eilen wol bewart11).
Rümolt der kuchenmeister, ein ü? erwelter degen,
Sindolt und Hünolt, dise herren muosen pflegen
des hoves und der eren, der drier künege man12),
si heten noch manegen recken, der13) ich genennen niht
enkan.
Dancwart der was marschalc: dö 14) was der neve sin
truhsae?e des küneges, von Metzen Ortwin:
B Prät, s. pflegen. — 2) Dat. Plur. — 3) freigebig. — 4) Dat. Sing. —
(c 5) ze den. — 6) Heeresmacht. — 7) stürben si. — 8) Hab. — 3) Gen., hängt
dßab von rieh. — io) tapfer. — n) gerüstet. — 12) Nom. Plur.: als Mannen.
— — 13) der . . . niht: von denen . . . nichts. — 14) dagegen.
8*
Sindolt der was schenke, ein ü? erwelter degen :
Hünolt was kameraere: sie künden grôzer êren pflegen.
12 Von des hoves krefté und von ir wîten kraft,
(12) von ir vil höhen werdekeit und von ir riterschaft,
der die hêrren pflügen mit fröuden al ir leben,
des1) enkunde iu ze wäre niemen garLj) ein ende geben.
13 EstroumdeKriemhüteintugenden,dersi pflac3),
(18) wie si einen valken4) wilden .zilg-e. manegen tac,
den ir zwen am erkrummen5 6); da? si da?
muoste sehen:
ir enkunde0) in dirre7) werlde nimmer leider
sin geschehen.
14 Den troum si dò sagete ir muoter Uoten.
(14) sin8) künde in niht bescheiden ba? der guoten :
‘der valke, den du ziuhest, da? ist ein edel man;
in welle got behüeten9), du muost in schiere
vloren 10) han.'
15 ‘Wa? saget ir mir von manne, viel liebiu muoter min?
(15) âne recken minne wil ich immer sin.
sus schœne wil ich blîben unz an mînen tôt,
da?; ich sol von manne nimmer gwinnen keine not.
16 ‘Nu versprich11) e? nicht ze sère,’ sprach aber ir muoter dò.
(16) ‘soit du immer herzenliche zer werlde werden frö,
da? geschiht von mannes minne; du wirst ein schœne wip,
obe12) dir got noch gefüeget eins rehte guoten riters lip.’
17 ‘Die rede lät beliben,' sprach si, ‘frouwe min.
(17) e? ist an manegen wîben vil dicke worden schin13),
wie liebe mit leide ze jungest Ionen kan.
ich sol14) si miden beide: son kan mir nimmer missegän.' —
I) des .... ende. — I) 2) völlig. — 3) Prät. s. phlëgen (m. Gen.), Tugenden
(Vorzügen), die sie hatte; der „tugendhaften“ Kr. träumte. — 4) Vgl.:
„Ich zöch mir einen valken mère danne ein jär“ (Lied des von Küren-
berg; Nachdichtung von F. W. Weber, Dreizehnlinden, Gesang 18, 2: Einen
wilden stolzen Falken hatt' ich mir zur Lust gezogen; mit dem Todespfeil
im Herzen ist er fort, weit fort geflogen). — 5) Prät. s. erkrimmen. —
6) hätte .. . können; im Englischen: could have been done. — 7) disere.
8) sine. — 9) es sei denn, daß ihn Gott beschützen wolle (wird). — 10) ver-
loren. — 11) lehne ab. — 12) wenn. — 13) Adj. offenbar. — 14) werde.
Kgi? Çgj? Çgï? RgS? Egÿî Rgît kLîk k^î- PîgS? ügït P^ï? }|]
Zweites Abenteuer.
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Von Siegfrieden.
Do wuohs in Niderlanden eins riehen küneges kint,
des vater hie? Sigemunt, sin muoter Sigelint,
stark unde küene wart sit der selbe man.
hei, wa? er größer eren *) ze diser werlde gewan!
Sifrit was geheimen der snelle degen guot.
er versuohte2) vil der riche durch ellenthaften
m uo t.
durch sines libes Sterke reit3) er in manegiu
laut.
hei, wa? er sneller degne sit zen Burgonden
vant!
Man zöch in mit dem fli?e, als im da? wol gezam :
von sin selbes muote wa? tugent er an sich nam !
des4) wurden sit gezieret sines vater lant,
da? man in ze allen dingen so rehte hêrlîchen vant.
Er was nu so gewahsen, da? er ze hove reit.
die liute in gerne sähen : manie frouwe und manie meit
im wünschten, da? sin wille in immer trüege dar.
holt wurden im genuoge: des wart der hêrre wol gewar.
Vil selten âne huote man rîten lie5) da? kint.
in hie? mit kleidern zieren Sigmunt und Sigelint.
sin pklagen euch die wisen6), den ère was bekant.
des mohte er wol gewinnen beidiu 7) liute unde lant.
Do hie? sin vater Sigemunt künden sinen man,
er wolde höchgezite mit lieben friunden hän.
diu mære man dô fuorte in ander künege lant.
den fremden und den künden gap er ros und gewant.
Swa man vant deheinen, der ritter solde sin,
von arte der sinen mäge, diu edelen kindelin
1) hängt ab von wa?. — 2) suchte auf. — 3) ritt; vgl. L. Uh land,
Siegfrieds Schwert: „Jung Siegfried war ein stolzer Knab’, Ging von
des Vaters Burg herab, Wollt’ rasten nicht in Vaters Haus, Wollt’ wandern
in alle Welt hinaus.“ — ±) infolgedessen. — 5) He?. — 6) die erfahrenen Alten.
7) beidiu . . . unde: sowohl ... als auch, vgl. im Englischen both . . . and.
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fürs? Egg? Cigi» Rgj? Pgii Cgi? ügi? Cgi? PgS? Rgit Kgit
ladet man zuo dem lande durch die höchgezit:
mit dem jungen künege swert genämen sie sit.
Von der höchgezite man mühte wunder sagen.
Sigemunt und Sigelint die mohten wol bejagen
mit guote 4) michel ere: des teilte vil ir hant.
des sach man vil der vremden zuo in riten in da? lant.
Vier hundert swertdegne die solden tragen kleip
mit samt Sifride. vil manic schoeniu meit
von werke was unmüe?ec2), wan si im wären holt:
vil der edeln steine die frouwen leiten3) in da? golt.
ß
Die si mit Porten wolden wurken üf ir wät
den jungen stolzen recken: des enwas niht rät4),
der wirt der hie? dö sidelen vil manegen küenen man,
ze einen sunewenden, dä Sifrit ritters namen gewan. .n
Dö gie ze einem münster vil manic richer kneht
und manic edel ritter. die wisen beten reht,
da? si den tumben dienden, als in was e getän.
si beten kurzwile5) und ouch vil maneger fröuden wän. .n.
Gote man dö zen eren eine messe sanc.
dö huop sich von den hüten vil michel der gedranc, ,or
dö si ze ritter wurden näch ritterlicher e
mit also grö?en eren, da? waetlich nimmer mere erge. .äx
Si liefen, dä si funden gesatelt manic marc.
in hove Sigemundes der bühurt wart so stare,
da? man erdie?en hörte palas unde sal.
die höh gemuoten degne die beten greulichen schal. .Ibj
Von wisen und von tumben man hörte manegen stö?, ,$ö
dä der schelte brechen gein der heehe dö?6). a ^ .
trunzüne sach man vliegen für den palas dan
von maneges recken hende: da? wart mit fli?e getän. .ob
Der wirt der bat e? lä?en: dö zöch man dan diu marc. /,
man sach ouch dä zehrochen vil manege buckel stare/h
Ö mit dem Gut, das sie hergaben. — 2) war nicht frei von Arbeit, war aaw
fleißig bei der Arbeit. — 3) legeten. — davon gab es keine Befreiung, ,gnui
darauf verzichteten sie nicht. — 5) Gen., ebenso fröuden, beide abhängig §i§nj
von „heten wän“ (hatten Hoffnung auf, dachten an). — 6) s. die?en.
Egi? Cg»? Egi? Cbgf? ELd Eg¥» Eg=i? EgU- Egi? ELd J J <)
vil der edelen steine gevellet üf da?, gras
abe liebten Schildes Spangen: von hurte da?, geschehen was.
33 Do giengens1) wirtes geste, da man in sitzen riet.
(88) vil der edeln spise sie von ir müede schiet2)
und win der aller beste, des man in vil getruoc.
den vremden unde den künden bot man eren da genuoc.
34 Swie vil si kurzwile pflägen al den tac,
(39) vil der varnden diete ruowe3) sich bewac:
si dienden nach der gäbe, die man da riebe vant.
des wart mit lobe gezieret alle?, Sigemundes lant.
35 Der herre hie?, lihen Sifrit den jungen man
(40) lant unde bürge, als er bet e getan.
slnen swertgenö?en den gap dö vil sin hant:
dö liebte4) in diu reise, da?, si körnen in da? lant.
36 Diu höchgezit werte unz an den sibenden tac.
(41) Siglint diu riebe nach alten siten pflac,
durch ir sunes liebe si teilte röte? golt.
si künde e? wol gedienen, da?; im die liute wären holt.
37 Vil lützel man der varnden armen dä vant.
(42) ros unde kleider da? stoup5) in von der hant,
sam si ze lehne beten niht mer war» einen tac,
ich wsen nie ingesinde groe?,er milte6 *) ie gepflac
Drittes Abenteuer.
Wie Siegfried nach Worms kam.
38 An dem sibenden morgen8) ze Worm? üf den sant
(72) riten die vil küenen. alle? ir gewant
was von rotem golde, ir gereite, wol getän:
ir ros in gierigen ebne, des küenen Sifrides man9).
4) giengen des. — 2) befreite sie von ihrer Müdigkeit. — 3) Gen. hängt ab
von sich bewac, s. bewegen, verzichtete auf Ruhe. — ->) gefiel, s. Wb. — &) s.
stieben. — 6) Freigebigkeit. — ?) Siegfried hört die Kunde von der schönen
Maid zu Worms; er zieht trotz den Bedenken von Vater und Mutter mit
seinen Mannen aus seiner Heimat Santen, um in Worms um Kriemhilde
zu werben. — 8) nach der Abreise von Santen. — 9) Hat. Flur., Apposi-
tion zu in.
120 Egg»? pgj? tat pgj? pgät i^i? ca? rat tat ca?
39 Ir Schilde wären niuwe, lieht unde breit,
(73) und vil schoene ir helme, dö ze hove reit
Sifrit der vil küene in Guntheres laut.
man gesach an beiden nie so herlich gewant.
40 Diu ort der swerte giengen nider üf die sporn:
(74) e? fuorten x) scharpfe gören die ritter ü? erhörn.
Sifrit der fuorte ir einen wol zweier spannen breit,
der ze sinen ecken vil harte vreislichen sneit.
41 Die goltvarwen zoume fuortens2) an der hant,
(75) sidiniu vürbüege. sus kömens in da? lant.
da? volc si allenthalben kaphen an began:
dö liefen in engegene vil der Guntheres man.
42 Die hoch gemuoten recken, ritter unde kneht,
(76) die gingen zuo den herren, da? was michel reht,
und enphiengen die geste in ir herren lant
und nämen in die moere mit den Schilden von der hant.
43 Diu ros si wolden dannen ziehen an gemach3).
(77) Sifrit der vil küene, wie snelle er dö sprach:
‘lät uns sten die moere, mir und minen man.
wir wellen schiere hinnen; des ich guoten willen hän.
44 Swem sin kunt diu maere, der sol mich niht verdagen,
(78) wä ich den künic vinde, da? sol man mir sagen,
Günthern den vil riehen ü? Burgunden lant.'
dö sagte e? ime einer, dem e? rehte was bekant.
45 ‘Welt ir den künic vinden, da? mac vil wol geschehen.
(79) in jenem sale witen hän ich in gesehen
bi den sinen beiden, dä sult ir hi ne gän:
dä muget ir bi im vinden manegen herlichen man.’
46 Nu wären deine künege diu maere geseit,
(80) da? dä körnen waeren ritter wol gemeit,
die fuorten riche Jhmime. und herlich gewant;
si erkande nieman in der Burgunden lant.
47 Den künic nam des wunder, von wannen koemen dar
(81) die herlichen recken in waete lieht gevar
i) s. stieren. — 2) fuorten si. — 3) Ruheplatz, Stall.
gsS=i? Egj» cgi? Rgj? t^it t^i? pgit lat £gj» 1 2 1
und mit so guoten Schilden niu unde breit,
da? im da? sagte nieman, da? was Gunthere leit.
48 Des antwurte dem künege von Metzen Ortwin,
(82) rieh unde küene moht er vil wol sin:
‘sit wir ir1) niht erkennen, so sult ir hei?en gän
nach minem oeheim Hagnen: den sult ir si sehen län.
49 Dem sint kunt diu riebe und alliu vremdiu lant.
(83) sin im die herren künde, da? tuo er uns bekamt.'
der künic bat in bringen und die sine man;
man sach in herliche mit recken hin ze hove gän.
50 Wa? sin2) der künic wolde, des fragte Dagene.
(84) ‘e? sint in minem hüse unkunde degene,
die niemen hie bekennet: habet ir si ie gesehen,
des solt du mir, Hagne, hie der wärheit verjehen/3)
51 ‘Da? tuen ich/ sprach Hagne: zeinem venster er dö gie4),
(85) sin ougen er da wenken zuo den gestern lie5).
wol behagte im ir geverte6) und ouch ir gewarnt:
si wären im vil vremde in der Burgunden lant.
52 Er sprach, von swannen koemen die recken an den Rin,
(86) e? mühten fürsten selbe oder fürsten boten sin.
‘ir ros diu sint schcene, ir kleider harte guot:
von swannen sie koment, si sint beide hoch gemuot/
53 Also sprach dö Hagne: ‘ich wil des wol verjehen,
(87) swie ich nie mere Sifriden habe gesehen,
so wil ich wol gelouben, swie e? dar umbe stät,
da? e? si der recke, der dort so herlichen gät.
54 Er bringet niwiu maere her in ditze lant.
(88) di küenen Niblunge sluoc7) des beides hant,
Schilbunc und Niblungen, des riehen küniges kint8).
er frumte starkiu wunder mit siner krefte sint.
55 Dä der heit aleine än alle helfe reit,
(89) er vant vor einem berge, als mir ist geseit,
bi Niblunges borde vil manegen küenen man:
die wärn im e vil vremde, unz er ir9) künde dä gewan.
!) Gen. abh. von niht, nichts von ihnen. — 2) was von ihm. — 3) mir
die Wahrheit darüber sagen. — 4) gienc. — 5) )ie?. — 6) Aufzug. —
7) s. slahen. — 8) Plur. — 9) Gen. abh. von künde.
122 ^ ^ Pgit t^S? Cagär tat kL-d Kgj? Pgj? täg«? «<gi? ta? Kgf?
56 Hort der Niblunges der was gar getragen
(90) ü? eime holn berge, nu beeret wunder sagen,
wie in wolden teilen der Niblunge man.
da? sach der degen Sifrit: den heit es1) wundern began.
57 Er kom zuo zini) 2) so nähen, da?, er die beide sach,
(91) und ouch in die degne. ir einer drunder sprach:
‘hie kumet der starke Sifrit, der heit von Niderlant.’
vil seltsaeniu msere er an den Niblungen vant.
58 Den recken wol enphiengen Schilbunc und Niblunc.
(92) mit gemeinem rate3) die edelen fürsten junc
den schaz in4) bäten teilen den waetlichen man
und gerten des mit fli?e. der herre loben in?5) began.
59 Er sach so vil gesteines, so wir beeren sagen,
(93) hundert kanzwagene e^ beten niht getragen;
noch me des röten goldes von Niblunge laut:
da? solt in alle? teilen des küenen ¡^ifrides hant.
60 Do gäben si im ze miete6) da? Niblunges swert.
(94) si wären mit dem dienste vil übele gewert,
den in dä leisten solde Sifrit der heit guot.
er enkunde? niht verenden: sie wären zornic gemuot.
61 Sie beten dä ir friunde7) zwelf küener man,
(95) da? starke risen wären: wa? künde? si vervän?
die sluoc sit mit zorne diu Sifrides hant,
und recken sihen hundert twanc8) er von Nibelunge lant
62 Mit dem guoten swerte: da? hie? Balmunc,
(96) durch die starken vorhte vil manic recke junc,
di9) si ze dem swerte beten und an den küenen man,
da? lant zuo den bürgen si im täten undertän.
63 Dar zuo die riehen kümge die sluoc er beide tot.
(97) er kom von Albriche sit in grö?e not.
der wände10) sine herren rechen dä zehant,
unz er die grölen11) Sterke sit an Sifride vant.
i) es: Gen. — 2) zuo ze in. — 3) mit gemeinsamem Entschluß, ein-
mütig. — 4) Dat. Plur. unter sie. — 5) in e?. — 6) Lohn. — ') Gen.
8) s. twingen. — 9) durch die vorhte, di si heten. — 10) s. wasnen.
ii) Sing. Fern.
Cagj? C^gjs Cjgj? Eg¥? r^U- Kgl? c-LÄ- Cgi? Cgi? cgi? 12Z
64 Don*) kund im niht gestriten da? starke getwerc.
(98) alsam die lewen wilde si liefen an den berc,
da er die tarnkappe sit Albriche an gewan.
dö was des bordes herre Sifrit, der vreisliche
man.
65 Die da torsten2) vehten, die lägen alle erslagen.
(99) den schätz den hie? er balde füeren unde tragen,
■ da in da3) vor nämen die Niblunges man.
■f Albrich der vil starke dö die kameren4) gewan.
66 Er muos im sweren eide, er diente5) im so sin kneht:
(100) aller bände dinge6) was er im gereht.’
so sprach von Tronje Hagne. ‘da? hat er getan:
also größer krefte nie mer recke gewan.
67 Noch wei? ich an im mere, da? mir ist bekant:
(101) einen lintrachen sluoc des beides hant.
er badet sich in dem bluote: sin hüt ward hurnin.
des7) snidet in kein wäfen: da? ist dicke worden schin.
68 Wir sulen den jungen herren enphähen dester ba?,
(102) da? wir iht8) verdienen des snellen recken ha?,
sin lip der ist so schcene, man sol in holden hän:
er hat mit siner krefte so manegiu wunder getan.’
69 Dö sprach der künec des landes: ‘nu si9) uns wille-
komen.
(103) er ist edel und küene: da? hän ich wol vernomen.
des sol er genie?en in Burgonden lant.’
dö gie der herre Günther, dä er Sifriden vant......10)
70 Er11) gedäht ouch manege zite: ‘wie sol da? geschehen,
(135) da? ich die maget edele mit ougen möge sehen,
die. ich von herzen minne und lange hän getän?12)
diu ist mir noch vil fremde: des muo? ich trüric gestän.’
d dö ne. — 2) s. turren, gewagt hatten. — 3) dä — dä . . dahin,
wo (ihn vorher . . .). — 4) Akk. Sing.; wurde Schatzmeister. — 5) Kon-
junktiv: daß er ihm dienen wolle. — 6) Gen. hängt ab von gereht (bereit
zu). — <) infolgedessen. — 8) statt niht. — 9) sei er. — io) Siegfried findet
am Königshofe glänzende Aufnahme; Waffenspiele werden gehalten, bei
denen Kriemhild verstohlen aus dem Fenster zuschaut und den Helden-
jüngling bewundert, ohne daß dieser die Jungfrau, um die er wirbt, zu
Gesicht bekommt. — 11) Siegfried. — 12) getan für geminnet.
124 Egsi? r^gj? vzsa cg»? t^gj? Egj? cgj? Rgg? t^r?
71
(137)
72
(270)
73
(271)
74
(272)
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(273)
76
(274)
Sus wond er bi den herren (da? ist alwär)
in Guntheres lande volleclich ein jär,
da? er die minneclichen die zit nie gesach,
da von im sit vil liebe und leide geschach .
/ Fünftes Abenteuer.
Wie Siegfried Kriemhilden zuerst ersah.
An einem pfmkstenmorgen sach man für gän
gekleidet wünnecliche vil manegen küenen man,
fünf tüsent oder mere, da zer höhgezit.
sich huop diu kurzewile an manegen enden wider strit2).
Der wirt der het die sinne, im was da? wol erkant,
wie rehte herzenliche der heit von Niderlant
sine swester trüte3), die er noch nie gesach4),
der man so größer schoene vor allen juncvrouwen jach5).
Do sprach zuo dem künige der degen Ortwin:
‘weit ir mit vollen eren ze der höchzite sin,
so sult ihr lä?en schouwen diu wünneclichen kint,
die mit so großen eren zen Burgonden sint.
Wa? waere mannes wünne, des6) frönte sich sin lip,
e?n tasten 7) schoene meide und herlichiu wip ?
lä?et iwer swester für iwer geste gän.’
der rät was ze liebe8) vil manegem beide getän.
‘Des wil ich gerne volgen,’ sprach der künic dö.
alle, die? erfunden, wärens 9) harte frö.
er enböt e? fronn Uoten und ir tohter wol getän,
da? si mit ir meiden hin ze hove solde gän. . . .
i) Viertes Abenteuer: „Wie Siegfried mit den Sachsen
stritt"; Siegfried zieht für den zu Haus bleibenden Burgundenkönig gegen
den Dänen Lüdegast und den Sachsen Lüdeger siegreich zu Feld und führt
sie als Kriegsgefangene nach Worms. Kriemhild hatte die Rückkehr des
ruhmreichen Helden sehnsüchtig erwartet; dieser erhält erst bei einem
Ritterspiele Gelegenheit, die Geliebte zu sehen. — 2) wider strit: um die
Wette. — 3) s. triuten. — 4) gesehen hatte. — 5) s. jehen. — G) bezieht sich
auf wa?; was wären das für Mannesvergnügungen, deren er sich freuen
möchte. — 7) wenn das nicht bewirkten. — G) zur Lust. — 9) wärens —
wären es (Gen. abh. von frö).
Cgä? CsStR r^U- C^tR C^räV EsSi? C^g»? Egg? Egg? c^L4? SgiT [25
77 Von einer kemenäten sach man si alle gän:
(279) dö wart vil michel dringen von beiden darx) getan:
die des gedinge beten, ob künde da? geschehen2),
da? sie die maget edele solden vroelichen 3) sehen.
78 Nu gie4) diu minnecliche also der morgenröt
(280) tuot ü? trüeben wölken, da schiet5) von maneger
not,
der6) si da truoc in herzen und lange bete getan:
er sach die minneclichen nu vil herlichen stän.
79 Ja lühte7) ir von ir waete vil manic edel stein:
(281) ir rösenrötiu varwe vil minneclichen schein8).
ob ieman wünschen solde, der künde niht gejehen,
da?; er ze dirre werlde bete iht schoeners gesehen.
80 Sam der liebte mäne vor den Sternen stät,
(282) der9) schin so lüterliche ab den wölken gät,
dem stuont si nu geliche vor andern frouwen
guot.
des10) wart wol gehoehet vil maneges beides muot.
81 Die riehen kameraere sach man vor in gän.
(283) die höh gemuoten degne wolden des niht län,
sin* 11) drangen12), da si sähen die minneclichen meit13).
Sifride dem herren wart beide liep unde leit.
82 Er dähte in sinem muote: ‘wie künde da? ergän,
(284) da? ich dich minnen solde? da? ist ein tumber wän. «
sol aber ich dich fremden14), so waere ich samfter15) tot.’
er wart von gedanken dicke bleich unde röt.
83 Dö stuont so minnecliche da? Siglinde16) kint,
(285) sam er entworfen waere an17) ein permint
von guotes meisters listen, so man im jach18), 4
da? man heit d eheinen so schoenen nie gesach.
P die Helden drängten sieh dahin, wo die Frauen zu finden waren.
— 2) wenn es möglich wäre. — 3) Adverb: zu ihrer Freude. — 4) gienc. —
5) s. scheiden intrans.: sich trennen, befreit werden. — p) Siegfried. — p s.
liuhten. — 8) Prät. s. schinen. — 3) Gen. Flur, deren. — 10) davon. —
11) sin — sine: daß sie nicht. — i'p Konj. Prät. s. dringen. — 13) Plur. —
141 Verbum! — 15) Adv.: angenehmer, besser, lieber. — 16) Mutter Sieg-
frieds. — 17) auf. — 18) s. jöhen; sodaß man von ihm sagte.
i
12G c^£'*t> Eg»? E-s»? cg»? cg»? Eg»? Eg»?
84 Die mit der frouwen giengen, die hieben von den wegen
(286) wichen allenthalben; da? leiste manic degen.
diu hoch tragenden herzen vröuten manegen lip.
man sach in hohen zühten manic waetllche? wip.
85 Do sprach von Burgonden der herre Gernöt:
(287) ‘der iu sinen dienest1) sö güetlichen böt,
Günther, lieber bruoder, dem sult ir tuon alsam
vor allen disen recken: des rätes ich mich nimer gescham. A
8(» Ir hei?et2) Sifriden zuo miner swester kumen,
(288) da? in diu maget grüe?e: des habe wir immer frumen.
diu nie gruo?ter>) recken, diu sol in grüe?en pflegen!
da mit wir hän gewannen den zierlichen degen/
87 Do giengens4) wirtes mägen, da man den heit vant.
(289) sie sprächen zuo dem recken ü?er Niderlant:
du hat der künec erlaubet, ir sult ze hove gän,
sin swester sol iuch grüe?en: da? ist ze eren iu getan.’
88 Der herre in sinem muote was des vil gemeit.
(290) dö truoc er in dem herzen liep äne leit,
da? er sehen solde der schoenen Goten kint.
mit magetlichen tagenden si gruo?te Sifriden sint.
89 Do si den hoch gemuoten vor ir stende5) sach,
(291) dö erzunde6) sich sin varwe. diu schoene meit sprach:
‘sit willekomen, her Sifrit, ein7) edel ritter guot.’
dö wart im von dem gruo?e wol gehoehet sin muot.
90 Er neic ir minneclichen, genäde8) er ir böt.
(292) si twanc gen ein ander der seneden9) minne not.
mit lieben ougen lü) blicken ein ander sähen an
der herre und ouch diu frouwe: da? wart vil tougen getän.
91 Wart dä vriuntliche getriutet ir vil wi?iu haut
(293) von herzen11) lieber minne, des12) ist mir niht bekant.
doch wil ich niht gelouben, da? e? wurde län:
zwei minne gerndiu herze heten anders missetän.
t) gegen Liudeger von Sachsen und Liudegast von Dänemark.
2) Imperat. — 3) es war Sitte, daß die Frauen zuerst grüßten. — 4) gierigen
des. — 5) Partiz. von sten. — 6) s. erzünden. — 7) Vokativ mit Artikel!
s) Dank. — 9) senenden. — >°) Gen. — !1) Dat. abh. von lieber. — 12) hängt
von niht ab.
5 Eägi? kLSLr Pgj» CsSI» Eagif EL4- ES»? Egj? Egg? Eg»e j 27
>
»
j
J
8
8)
e
8)
e
8)
6
)8)
92 Bi der sumerzite und gen des meijen tagen
(294) dorft er niht mere in sime herze tragen
so vil höher vröude, so er da gewan,
dö im diu gie an hende, di er ze trüte gerte hän.1)
93 Von swelher künege lande die geste körnen dar,
(296) die nämen algeliehe wan ir zweier war.
ir wart erloubet küssen den wsetliehen man:
im wart ze dirre werlde nie so liebe getan.
94 Man hie? dö allenthalben wichen von den wegen
(298) der2) schoenen Kriemhilde. manegen küenen degen
sach man zühtecliche ze kirche mit ir gän.
sit wart von ir gescheiden3) der vil waetliche man.
95 Vil küme beite4) Sifrit, da? man da gesanc5).
(300) er mohte sinen saelden6) immer sagen danc,
da? im diu was so wsege, die er im herzen truoc:
ouch was er der schoenen holt von schulden genuoc.
96 Dö si ü? dem münstre nach messe kom gestän7),
(301) man bat den degen küenen wider zuo ir gän.
erst begund im danken diu minnecliche meit,
da? er vor den recken so wiclichen streit8).
97 ‘Nu Ion iu got, her Sifrit,’ sprach da? edel kint,
(302) ‘da? ir da? habet verdienet, da? iu die recken sint
so holt in guoten triuwen, so ich si hoere jehen.’
dö begunde er minnecliche an fronn Kriemhilde sehen.
98 ‘Ich sol in immer dienen/ sprach Sifrit der degen,
(303) ‘und enwil min houbet nimmer e gelegen,
ichn9) werbe nach ir willen, sol ich min leben hän.
da? muo? iu ze ebenste, min fron Kriemhilt, sin getän.’
99 Inre tagen zwelven10), der tage als islich11),
(304) sach man bi dem degne die maget lobelich,
!) Siehe Scherers Urteil über dieses Lied (S. 103 u. 104 dieses Lese-
jud buches) und vergleiche die Gedichte der Minnesänger, um eine Vorstellung
10 v von der Persönlichkeit dieses „Hörnenden“ und seinerzeit zu gewinnen. —
; (s 2) Dat. zu wichen. — 3) Männer und Frauen saßen getrennt. — 4) s. biten:
bW warten. — ») (die Messe) gesungen hatte. — 6) Glücksstern. — 7) „ge-
OtTtreten“ kam, vgl. nhd. „Kommt ein Vogel geflogen“. — 8) (im Sachsen-
)hfl krieg) so tapfer gekämpft h a 11 e. — 9) es sei denn, daß ich handele (werbe). -
(oi 10) während der Dauer des Ritterfestes. — 11) der Tage so an jedem, an
,bot jedem der Tage in gleicher Weise.
j
sô si ze hove solde vor ir friunden gân.
der dienst wart dem recken durch grö?e liebe getan.
Sechstes Abenteuer.
Wie Günther um Brunhild gen Isenland fuhr.
100 E ? was ein küniginne gesehen über s ê :
(325) ninder ir gelîche was deheiniu me.
si was unmä^en schœne, vil michel was ir kraft,
si schô? mit snellen degnen umbe minne den schalt.
101 Den stein warf si verre, dar nach si wîten spranc.
(326) swer ir minne gerte, der muose âne wanc1)
driu spil an gewinnen der vrouwen wol geborn:
gebrasti) 2) im an eime, er bet da? houbet verlorn.
102 Dô sprach der voit von Rme3): ‘ich wil an den sê,
(327) hin zuo Brünhilde, swie e? mir ergê.
ich wil umb ir minne wägen den lîp:
den wil ich Verliesen, sine4) werde mîn wîp.’
103 Er sprach: ‘wil du mir helfen, edel Sîfrit,
(331) die minneclîchen werben? tuo, des ich dich bit.
und wirt mir ze trüte da? minneclîche wîp,
ich wil durch dînen willen wägen ère unde lîp.’
104 Des antwurte Sîfrit, Sigmundes suon:
(332) ‘gîst5) du mir din swester, sô wil ich e? tuon,
die schoenen Kriemhilde, ein küniginne her:
sô gere ich niht lönes nach mînen arbeiten mêr.’
105 ‘Da? lobe ich,’ sprach Günther, ‘Sîfrit, an dîne liant.
(333) unde kumet diu schœne Brünhilt in da? lant,
sô wil ich dir ze wîbe mîne swester geben:
sô mäht du mit ir immer vrœlîchen leben.’
106 Des swuoren si dô eide, die recken vil hêr.
(334) des wart ir arbeite6) verre dester mêr,
ê da? si die frouwen7) brähten an den Rin.
des muosen die küenen sît in grö?en nceten sin.
i) ohne Wanken, ununterbrochen, ohne einmal zu verlieren. — 2) s.
gebrësten. — 3) Günther. — 4) es sei denn, daß sie. — 5) gibest. — 6) ir
arbeite, beides Gen. Plur., abh. von mêr. — 7) Akk. Sing.
107 Sifrit muose füeren die kappen1) mit im dan,
(335) die der heit küene mit sorge gewan2)
ab eime getwerge, da^ hie^ Albrich.
sich garten3) zuo der verte recken küene unde rieh.
108 Also der starke Sifrit die tarnkappe truoc,
(336) so het er dar inne krefte genuoc,
zwelf manne Sterke zuo sin selbes lip4).
er warp mit großen listen da^ herliche wip.
109 Ouch was diu tarnhüt also getan,
(337) dai, dar inne worhte5) ein ieslicher man,
swa? er selbe wolde, da^ in nieman sach.
da mit gewann er ßrünhilt; da von im leide
geschach............6)
Siebentes Abenteuer.
Wie Günther Brunhilden gewann.
110 Do truoc man der frouwen swaere unde gröz;
(418) einen vil scharfen geren, den si zallen7) ziten schöj;,
Stare und ungefüege, michel unde breit,
der ze sinen ecken vil freislichen sneit8).
111 Brünhilde Sterke greulichen schein9).
(425) man truoc ir zuo dem ringe 10 *) einen swaeren stein,
grö^ und ungefüege, michel unde wel:
in truogen küme zwelfe der küenen beide unde snel11).
112 Den warf si ze allen ziten, so si den ger verschoß.
(426) der Bürgenden sorge was vil harte grö?.
‘wäfen/12) sprach Hagne, 'wa? hat der künec ze trüt13)!
ja sol si in der helle sin des übelen tiuvels brüt.’
Ü Akk. Sing., Tarnkappe. — 2) gewonnen hatte. — 2) s. garwen. —
4) außer der eignen Körperkraft. — S) s. wirken. — 6) Nach zwölftägiger
Fahrt kommen Siegfried, Günther und ihre Mannen vor Isenstein, der Burg
Brünhilds auf Island, an. Siegfried trägt der Burgherrin Günthers Werbung
vor. Die Kampfspiele beginnen. Günther ist nur Scheinkämpfer, Siegfried
besteht, durch die Tarnhaut unsichtbar gemacht, an Stelle des burgundi-
schen Königs die Kämpfe mit Brünhild. — ?) ze allen. — 8) s. sniden. -
9) Brät. s. schinen. — 10) Kampfplatz. — H) Stellung der Attribute! —
ia) Inter), o weh! — 13) was hat der König da für eine Geliebte!
Licrmauii-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch. 9
130 ^ ^ ta? rat t^gjr e-sUr ta? cgi? ta? ta?
113 An ir vil wi^e arme si die ermel want,
(427) si begunde va^en den schilt an der hant,
den ger si höhe zucte: dö gie es; an den strit.
die eilenden geste vorhten Brünhilde1) nit.
114 binde waere im Sifrit niht da ze helfe körnen,
(428) so hete sie Günther sinen lip benomen.
er gie dar tougenliche und ruorti) 2) im sine hant.
Günther sine liste harte sorclich ervant.
115 Er3) sprach: ‘gip mir von banden den schilt4) lä
mich tragen,
(429) unde merke rehte, wa/7 du mich beerest sagen.
nu habe du die gebserde, diu werc wil ich
b e g ä n.’
dö er in bekande, es; was im liebe5) getan.
116 Dö schös; vil krefticlichen diu herliche meit
(430) üf einen schilt niuwen, michel unde breit:
den truoc an siner hende das; Siglinde kint.
das; fiur spranc von stäle, sam e^ wate6) der wint.
117 Des starken geres snide al durch den schilt gebrach,
(431) das; man das; fiwer lougen üs; den ringen sach.
des schu?/,es7) beide strüchten die kreftige man:
wan8) diu tarnkappe, sie waeren tot da bestän.
118 Sifride dem küenen von munde brast9) da^ bluot.
(432) vil balde spranc er widere: dö nam der heit guot
den ger, den si geschoben im hete durch den rant:
den schö^ dö hin widere des starken Sifrides hant.
119 Da^ fiwer stoup10) ü? ringen, als ob es; tribe der wint:
(433) den ger schö?11) mit eilen da % Sigmundes kint.
sine mohte mit ir krefte des schu^es niht gestän.
es; enhete nimmer der künic Günther getan.
120 Brünhilt diu schoene balde üf spranc:
(434) ‘edel riter Günther, des schu^es habe danc.’
i) Gen. — 2) Prät. s. rüeren. — 3) Siegfried. — *) Akkusativobjekt zu
gip und zu tragen. — 5) Adv. — 6) s. waejen. — 7) Gen. d. Ursache. -
8) Elliptisch! wäre nicht . . . gewesen; im Englischen: but for. — 9) s.
bresten. — io) s. stieben. — ") hatte geschossen.
Eagj? Egä? Cggi? ZzStü Egift E-Ld Egi? CtSii Egg? Eg«? Egg? Egg? Egg? ^3 [
si wände1), da? er? hete mit siner kraft getan:
nein, si hete gevellet ein verre kreftiger2) man.
121 Do gie si hin balde, zornic was ir muot:
(435) den stein huop vil höhe diu edel maget guot.
si swanc in krefticliche verre von der hant:
dö spranc si nach dem würfe, da?, lute erklang ir gewant.
122 Der stein was gevallen zwelf kläfter dan:
(436) den wurf brach mit Sprunge3) diu maget wol getan,
dar gie der snelle Sifrit, da der stein gelac:
Günther in wegete, der beide des wurfes pflac.
123 Sifrit was küene, kreftic unde lanc:
(437) den stein warf er verrer, dar zuo er witer spranc.
von sinen schoenen listen het er kraft genuoc,
da? er mit dem Sprunge den künic Gunthere truoc.
124 Zuo ir ingesinde ein teil4) si lute sprach,
(438) dö si ze ende des ringes den heit gesunden sach:
‘balde körnet her näher, mäge und mine man:
ir sult künic Günther alle werden undertän/
125 Dö leiten5) die vil küenen diu wäfen von der hant,
(439) sie buten6) sich ze stiegen von Burgonden lant
Günther dem riehen, vil manic küener man.
sie wänden, er hete mit siner kraft diu spil
getän.
126 Er gruo?tes7) minnecliche: jä, was er tugende8) rieh.
(440) dö nam in bi der hende diu maget lobelich:
si erloubte im, da? er solde haben dä gewalt.
des freuten sich die degne vil küene unde balt9).
127 Sifrit der snelle, wise er was genuoc:
(442) sine tarnkappe er ze behalten truoc.
dö gie er hin widere, dä manic frouwe sa?,
dä er und ander degne alles leides verga?.
4) s. waenen. — 2) Komparativ. — 3) übertraf mit ihrem Sprunge die
Weite des Wurfes. — 4) gehört zu lute: ziemlich laut, gar laut. — f>) legeten.
— 6) s. bieten. — ?) gruo?te si. — s) Gen. Plur. — s) tapfer.
9*
J
128 ‘Sô wol mich dirre mære,’1) sprach Sîfrit der degen,
(443) ‘da? iwer höhverten also ist gelegen2),
da? lernen lebet, der iuwer meister müge sin.
nu suit ir, maget edele, uns hinnen volger, an
den R in.’ . . . .3)
Sechzehntes Abenteuer.
Wie Siegfried erschlagen ward.
129 Günther und Hagne, die recken vii halt,
(859) lobeten mit untriuwen ein pirsen in den walt,
mit ir scharpfen gêren si wolden jagen swin,
beren unde wisende : was; künde küeners4) gesîn?
130 Dò gie der degen5) küene, da er Kriemhilde vant.
(861) dö was nu üf gesoumet sin edel pirsgewant
und euch der gesellen: si wolden über Rîn,
do endorfte Kriemhilde nimmer leider gesîn.
131 Sine triutinne kust er an den munt:
(862) ‘got la?e mich dich, vrouwe, gesehen noch gesunt,
und mich ouch dîniu ougen. mit holden mâgen dîn
soit du kurzwîlen: ine mac heime niht gesîn.’
132 Dô dähtes6) an diu mære (si entorste ir7) niht sagen),
(863) diu si Hagnen Seite8) : dò begunde klagen
diu edel küniginne, da? si ie gewan den lîp.
dô weinde âne mâ?e da? vil wunderschœne wîp.
133 Si sprach zuo dem recken: ‘lât iwer jagen sîn.
(864) mir troumte hînt leide9), wie iueh zwei wildiu swîn
jageten über beide: dâ wurden bluomen rôt.
da? ich sô sère weine, des gât mir wærlîche nôt10).
!) Wohl mir ob dieser Kunde! — 2) darniederliegt. — 3) Abenteuer
8 bis 15: 8. Wie Siegfried nach den Nibelungen fuhr; 9. Wie Siegfried
nach Worms gesandt ward; 10. Wie Günther mit Brunhild Hochzeit hielt;
ii. Wie Siegfried mit Kriemhild heimkehrte; 12. Wie Günther Siegfrieden
zum Hofgelage lud; 13. Wie sie zum Hofgelage fuhren; 14. Wie die
Königinnen sich schalten; 15. Wie Siegfried verraten ward. — Vgl. die
Inhaltsangabe von A. F. C. Vilmar bei Liermann-Vilmar, Deutsches Lese-
buch für Untertertia, Nr. 12, und Seite 104—106 dieses Lesebuches. —
4) wa? . . . küeners (Gen.) — 5) Siegfried. — 6) dâhte si. — 7) ir (der
maere) Gen. abh. von niht. — 8) Kriemhilde hatte aus Fürsorge für ihren
Gatten dem Hagen die einzige verwundbare Stelle Siegfrieds mitgeteilt. —
9) Adv. — das habe ich wahrlich nötig.
134 ‘Min liebiu triutinne, ich kume in kurzen tagen.
(866) ine wei? hie niht der liute1), ' die mir iht2) ha??es tragen,
alle dine mäge sint mir gemeine holt:
ouch hän ich an den degnen hie niht anders3) versolt.
135 ‘Neinä, herre Sifrit: ja fürhtich dinen val.
(867) mir troumte hint leide, wie obe dir zetal
vielen zwene berge: ich gesach dich nimmer me.
wil du von mir scheiden, da? tuot mir innec-
lich e n we.’
136 Er umbevie4) mit armen da? tugentriche wip,
(868) mit minneclichem küsse er trüte ir schoenen lip,
mit urloube er dannen schiet in kurzer stunt.
sine gesach in leider dar nach nimmer mer gesunt!
137 Do riten si von dannen in einen tiefen walt.
(869) durch kurzewile willen vil manic riter halt
volgeten Gunthere und Sifride dan.
Gernot und Giselher die wolden da heime bestän. . . .5)
138 Do sprach von Tronje Hagne: ‘ir edelen riter halt,
(910) ich wei? hie vil nähen einen brunnen6) kalt
(da? ihr niht enzürnet):7) da sul wir hine gän/
der rät wart manegem degne ze großen sorgen getän.
139 Do si wolden dannen zuo der8) linden breit,
(913) dö sprach von Troneje Hagne: ‘mir ist des vil geseit,
da? niht9) gevolgen künde10) dem Kriemhilde11) man,
swenner welle gäben: wold er uns da? sehen län 1’
140 Dö sprach von Niderlande der küene Sifrit:
(914) ‘da? muget ir wol versuochen, weit ir mir volgen mit
ze wette zuo dem brunnen. so da? ist getän,
man jehe dem gewinnes, den man siht gewonnen hän/
141 ‘Nu welle ouch wir? versuochen,’ sprach Hagne der
degen.
(915) dö sprach der starke Sifrit: ‘so wil ich mich legen
i) niemand. — 2) vvie niht mit Gen. — 3) Gen. — 4) umbevienc. —
5) Auf der Jagd erlegt Siegfried das meiste Wild; als sich die durstigen
jagdgenossen zu einem Imbiß vereinen, vermißt Siegfried den Wein. —
6) Quell. — 7) darüber, daß der Wein fehlt. — 8) der (in der Sage be-
kannten) Linde. — 9) nichts, niemand. — io) Konjunktiv. — u) Gen-
für iuwer füe?e nider an da?, gras V
dö er da?, gehörte, wie liep da? Gunthere was!
142 Dö sprach der degen küene: ‘ich wil iu mere sagen:
(916) alle? min gewaete wil ich mit mir tragen,
den ger zuo dem Schilde und min pirsgewant/
den kocher zuo dem swerte schier er umbe gebaut.
143 Dö zugen si2) diu kleider von dem libe dan:
(917) in zwein wi?en hemden sach man si beide stau.
sam zwei wildiu pantel si liefen durch den kle:
doch sach man bi dem brunnen den küenen Sifriden e.
144 Den pris von allen dingen truoc er vor manegem man.
(918) da? swert löst3) er schiere, den kocher leit4) er dan,
den starken ger er leinde an der linden äst:
bi des brunnen flu??e stuont der herliche gast.
145 Die Sifrides tugende wären harte grö?,
(919) den schilt er leite nidere, da der brunne flö?:
swie harte so in durste, der heit doch niht
en träne5),
e der künec getrunke. des seit er im vil boesen
d an c.
146 Der brunne was küele, luter unde guot.
(920) Günther sich dö neigte nider zuo der vluot.
als er hete getrunken, dö rihte er sich von dan 6).
alsam het ouch gerne der küene Sifrit getan.
147 Dö engalt er siner zühte. den bogen und da? swert,
(921) da? truoc alle? Hagne von im danwert
und spranc da hin widere, da er den gere vant.
er sach nach einem bilde an des küenen gewant.
148 Dö der herre Sifrit ob dem brunnen träne,
(922) er schö? in durch da? kriuze, da? von der wunden spranc
da? bluot von dem herzen vaste an Hagnen wät.
solher missewende ein heit nu nimmer begät.
i) um einen Vorsprung zu lassen. — 2) Günther und Hagen. —
3) löste. — 4) legete. — 5) en-träne. — ß) richtete er sich auf und ging
von dannen.
egg? Egi? EzStR r-SL- Kgj? Cagä? Sag»? CaS¥? tiSH C^Sii KiSOi Csgj?
149 Der herre tobelichen von dem brunnen spranc:
(924) im ragete von den hertenx) ein gerstange lanc.
der fürste wände vinden bogen oder swert,
so müeste wesen Hagne nach sime dienste gewert2).
150 Dö der sere3) wunde des swertes niht envant,
(925) done het et er niht mere wan des Schildes rant;
er zuct in von dem brunnen, dö lief er Hagnen an:
done kund im niht entrinnen des künic Guntheres man.
151 Swie wunt er was zem töde, so krefteclich er sluoc,
(926) da? ü?er dem Schilde draete4) genuoc
des edelen gesteines: der schilt vil gar zerbrast5).
sich hete gerne errochen der vil herliche gast.
152 Dö was gestrüchet Hagne vor siner hant zetal.
(927) von des slages krefte der wert vil lüte erhal6).
het er sin swert enhende, so waer e^ Hagnen 7) tot.
sere zurnde der wunde: des twanc in ehaftiu not.
153 Erblichen was sin varwe: ern mohte niht gesten;
(928) sines libes Sterke muoste gar zergen,
wand8) er des tödes zeichen in liehter varwe truoc.
sit wart er beweinet von schoenen vrouwen genuoc.
154 Dö viel in die bluomen der Kriemhilde man:
(929) da^ bluot von siner wunden sach man vaste gän.
dö begunder scheiden (des twanc in grö^iu not)
die üf in geraten heten ungetriwe den tot.
155 Dö sprach der verchwunde9). ‘ja ir boesen zagen,
(930) wa? helfent miniu dienest, sit ir mich habet erslagen ?
ich was iu ie getriuwe; des ich engolten hän.
ir habet an iwren friunden leider übele getan.’
156 Die riter alle liefen, da er erslagen lac.
(932) e^ was ir genuogen 10) ein vröudelöser tac.
die iht triwe n) heten, von den wart er gekleit12):
de^ hete ouch wol verdienet umbe alle liute der heit gemeit.
!) Schulterblättern. — 2) wenn er sie gefunden hätte, dann hätte Hagen
den verdienten Lohn für seinen schnöden Dienst erhalten müssen. — 3) s.
Wörterbuch. — 4) Drät. s. draejen. — 5) s. zerbresten. — 6) s. erhellen. —
<) Gen. — 8) Konjunktion! denn, weil. — 9) verch-wunde! — lü) ir (Gen.)
hängt ab von genuogen (Dat). — n) Gen. abh. von iht. — 12) geklaget.
130 ta? sgi» ta? Eg»? K-Ä>r r^LUr r<srr cgs? Kg»? ta? ta? ta?
157 Der künec von Burgonden klagte ouch sînen tôt.
(933) dô sprach der verchwunde: 'da:; ist âne nôt,
da? der nach schaden weinet, der in da hat getan,
der dienet michel scheiden : e? *) wære be??er verland
158 Dô sprach der grimme Hagne: ‘janwei?ich, wa?ir2)kleit3).
(934) e? hat nu alle?4) ende an uns, sorge unde leit!
wir vinden ir5) nu wênic, die getürren uns bestän.
wol mich, da? ich des beides hän ze rate6) getan!’
159 ‘Ir muget iuch lihte rüemen/ sprach hêr Sîfrit.
(935) ‘het ich an iu erkunnet den mortlichen sit,
ich hete wol behalten vor iu mînen lîp.
mich riwet niht so sère sô vrou Kriemhilt, min wip.
160 Nu müe?e got erbarmen, da? ich ie gewan den suon,
(936) dem man itewi?en sol da? her nach tuon7),
da? sine mage ieman mortlich hant erslagen.
möhte ich? verenden, da? sold ich billichen klagen8).’
161 Dô sprach jæmerlîche der verchwunde man:
(937) ‘weit ir, künec edele, triwen iht9) begàn
in der werlde an iemen, lat iu bevolhen sin
ûf iuwer genäde die lieben triutinne min.
162 Lât si des genie?en, da? si iwer swester sì:
(938) durch aller fürsten tugende wont ir mit triwen bi10).
wan mir wartent lange min vater und mine man.
e? enwart nie leider an liebem vriunde getan.’
163 Die bluomen allenthalben von bluote wären na?.
(939) dô rang er mit dem töde: unlange tet er da?,
wan des tödes zeichen ie ze sère sneit11).
ouch muoste sän ersterben der recke küene
unde gemeit.
164 Dô die hêrren sähen, da? der heit was tôt,
(940) si leiten 12) in ûf einen schilt (der was von golde rôt),
i) das Weinen. — 2) Günther. - 3) klaget. — 4) Adv. für immer. —
5) Gen. abh. von wênic. — 6) ze rate des beides . . . zur Befreiung von
dem Helden beigetragen, ihn aus dem Weg geräumt habe. — 7) dem man
später vorwerfen wird. — 8) hätte ich die Kraft, es zu Ende zu führen,
(bliebe ich am Leben), so müsste ich von Rechts wegen Klage erheben. — °) in
irgend einer Beziehung. — *0) seid ihr Beistand. — 11 ) s. sniden. — 12) legeten.
Cagj? Rgg? Egj? Ca£¥? CaSri? t^i? t^i? Eagg» E^SraV Cgi? ] )-} 7
und wurden des ze rate1), wie da? solde ergän,
da? man e? verhaele2), da? e? Hagne hete getan.
165 Do sprächen ir genuoge: ‘uns ist übel geschehen.
(941) ir sult «? heln alle und sult geliche jehen,
da er jagen rite aleine, Kriemhilde3) man,
in slüegen schächsere, da er füere1) durch den tan.'
166 Do sprach von Troneje Hagne: ‘ich bring in in da? lant5).
(942) mir ist vil unmaere, wirt e? ir bekant,
diu so hat betrüebet den Brünhilde muot.
e? ahtet mich vil ringe, swa? si nu weinens 6) getuot.’
Siebzehntes Abenteuer.
Wie Siegfried beklagt und begraben ward.
167 Do biten7) si der nahte und fuoren über Rin.
(943) von beiden künde nimmer wirs gejaget sin.
ein tier8), da? si da sluogen9), da? weinden edeliu wip.
ja muosten sin engelten vil guoter wigande lip..........10)
168 Diu naht was ergangen: man seite, e? wolde tagen.
(980) dö hie? diu edel vrouwe zuo dem münster tragen
Sifrit den herren, ir vil lieben man.
swa? er da friunde hete, die sach man weinende gän.
169 Dö sin u) zem münster brähten, wie vil da gloken klanc!
(981) dö hört man allenthalben maneges phaphen sanc.
dö kom der künic Günther dar mit sinen man,
und ouch der grimme Hagene: da? waere be??er verlän.
170 Er sprach: ‘liebiu swester, we der leide din,
(982) da? wir niht mohten äne so grö?es schaden sin.
1) gingen darüber zu Rat. — 2) 8. verbein. — 3) Gen. - 4) 8. varn.
- 5) zurück nach Worms. — 6) swa? . . weinens (Gen. des Infin.).
7) s. biten. — 8) edles Wild (Siegfried). — s) erlegt hatten. — 10) Nach
der Ankunft in Worms läßt Hagen noch in der Nacht Siegfrieds Leich-
nam vor Krimhilds Kemenate legen, damit sie selbst ihn findet, wenn sie
zur Frühmesse geht. Der Herzlose erreicht seine Absicht; Kriemhild ist
entsetzt, erkennt sofort, daß ihr Gemahl von Mörderhand gefallen. Seine
Getreuen sinnen auf augenblickliche Rache; Kriemhild bewahrt Besonnen-
heit, warnt, da die Zeit der Rache noch nicht gekommen sei, und läßt die
Leiche einsargen. — 11) si in.
138 ^ ^ ^ cg*? ta? Kgj? taff ta? ta?
wir müe?en immer klagen Sifrides lip.’
‘da? tuot ir âne schulde/ sprach da? jâmerhafte wîp.
171 ‘Wær iu dar umbe leide, son wær e? niht geschehen.
(983) ir hetet1) min verge??en, des mag ich Wol jehen,
da ich da wart gescheiden2) unt min lieber man.
ei wolde got der wäre, wær e? selber mir getan !’
172 Si buten3) vaste ir4) lougen. Kriemhilt begunde jehen:
(984) ‘swelher sî unschuldec, der lä?e da? besehen.
der soi zuo der bare5) vor den liuten g â n :
da mac man die warheit harte schiere bl
verstän.’
173 Da? ist ein michel wunder: dicke e? noch geschihet,
(985) swä man den mortmeilen bî dem töten sihet:
so bluotent im die wunden; sam ouch da geschach;
da von man die schulde da ze Hagenen gesach.
174 Die wunden flu??en sêre, alsam sie taten ê.
(986) die ê dâ sêre klagten, des6) wart nu michel mê.
dô sprach künic Günther: ‘ich wil? iuch wi??en län:
in sluogen schâchære: Dagene hat e? niht getan.’
175 ‘Mir sint die schâchære,’ sprach si, ‘vil wol bekam.
(987) nu lâ?e e? got errechen von sîner vriunde hant.
Günther und Dagene, jâ habet ir? getân.’
die Sifrides degne beten dô zuo strîte wân 7)........8)
176 E? was michel wunder, da? si ie9) genas.
(1007) mit klage ir helfende dâ manie vrouwe was.
dô sprach diu küniginne : ‘ir Sifrides man,
ir suit durch iwer triuwe an mir genâde begän.
177 Lät mir näch mime leide ein kleine liep
geschehen,
(1008) da? ich sin schœne houbet noch einst10) müe?e
sehen.’
i) Indikativ. — 2) durch den Tod. — 3) s. bieten — *) Dat.: boten ihr
hartnäckig Leugnen, leugneten hartnäckig. — 5) Bahrgericht, ein Gottes-
urteil. — 6) des Klagens. — 7) trugen sich mit dem Gedanken, hatten
Neigung den Streit zu beginnen. — 8) Kriemhild jammert sag und Nacht
um den Toten. Ehe er begraben wird, will sie des Geliebten Haupt noch
einmal sehen. — 9) überhaupt. — 10) einmal.
dö bat sis1) also lange mit jämers sinnen starc,
da? man zebrechen muose den vil herlichen sarc.
178 Do brähte man die vrouwen, da si in ligen vant.
(1009) si huop sin schcene? bonbet mit ir vil wi?en hant,
und kuste in also töten, den edelen riter guot.
ir vil liebten ougen von leide weinden dö bluot.
179 Ein jaemerliche? scheiden wart dö dai) 2) getan.
(1010) dö truoc man si von dannen: sine künde nicht gegän.
dö vant man sinnelöse da? herliche wip.
vor leide möht3 *) ersterben ir vil wünneclicher
lip . . A)
Neun und zwanzi gs tes Abenteuer.
Wie Hagen und Volker vor Kriemhildens Saal saßen.
180 Dö schieden sich die zwene recken lobelich,
(1696) Hagen von Troneje und ouch her Dietrich5).
dö blickte über absei Guntheres man
nach eime hergesellen, den er viel schiere gewan.
181 Dö sach er Volkeren bi Giselhere sten,
(1697) den spaehen videlaere: er bat in mit im gen,
wan er vil wol erkande sinen grimmen muot.
er was an allen dingen ein ritter küene unde guot.
182 Noch lie?en si6) die herren7) üf dem hove8) stän.
(1698) niwan si zwene aleine sach man dannen gän
i) si es: sie darum. — 2) dö da: damals dort. — 3) hätte können. — *) Der
Held wurde begraben. — Abenteuer 18 bis 28: 18. Wie Siegmund heimkehrte
und Kriemhild daheimblieb; 19. Wie der Nibelungenhort nach Worms kam;
20. Wie König Etzel um Kriemhilden sandte; 21. Wie Kriemhild zu den
Hennen fuhr; 22. Wie Kriemhild bei den Hennen empfangen ward; 23. Wie
Kriemhild ihr Leid zu rächen gedachte; 24. Wie Werbel und Swemmel
(Etzels Spielleute) die Botschaft brachten; 25. Wie die Könige zu den Hennen
fuhren; 26. Wie Dankwart (Hägens jüngerer Bruder) Gelfraten (einen Fürsten
in Bayern) erschlug; 27. Wie sie nach Bechlaren (Rüdigers Wohnsitz an
der Donau) kamen; 28. Wie Kriemhild Hagen empfing. — Vgl. die Inhalts-
angabe von A. F. C. Vilmar bei Liermann-Vilmar, Deutsches Lesebuch
für Untertertia, Nr. 12, und S. 108 —in dieses Lesebuches. — 5) Dietrich
von Bern, der bei Etzel in der Verbannung lebte. — 6) die Hunnen. —
7) Akk.: die Könige mit dem Gefolge. — 8) Hof der Burg Etzels.
über den hof vil verre für einen palas wit:
die ü? erwelten degne vorhten niemannes nit1).
183 Sie gesäten2) vor dem hüse gein eime sal
(1699) (der was Kriemhilde)3) üf eine banc zetal.
dö lüht in vor dem libe ir herlich gewant.
genuoge, die da? sähen, beten gerne si bekant.
184 Alsam tier diu wilden gekaphet wurden an
(1700) die übermüeten beide von den Hiunen man.
si ersach durch ein venster Etzelen wip:
des wart aber4) betrüebet der schienen Kriemhilde lip.
185 E? mante si ir leide5): weinen sie began.
(1701) des bete michel wunder die Etzelen man,
wa? ir so rehte swaere verrihtet6) bete ir muot.
si sprach: ‘da? hat Hagne, ir beide küene unde guot.’
186 Si sprächen zuo der vrouwen: ‘wie ist da? geschehen?
(1702) wan wir iuch niuliche haben vrö gesehen.
nie niemen wart so küene, der?7) iu hät getän,
heißet irr, uns rechen, e? sol im an sin leben gän.’
187 ‘Da? wold ich immer dienen8), swer9) raeche miniu leit;
(1703) alles, des er gerte, des waer ich im bereit.
ich biut mich iu ze stiegen,' sprach des küneges wip:
‘rechet mich an Hagnen, da? er Verliese den lip.’
188 Dö garten10) sich vil balde sehzec küener man:
(1704) durch Kriemhilde willen si wolden hin gän
und wolden slahen Hagnen, den vil küenen man,
und euch den videlaere. da? wart mit räte11) getän.
189 Dö si vil wol gewäfent ir gesinde sach,
(1708) zuo den snellen recken diu küniginne sprach:
‘nu bitet eine wile: jä sult ir stille stän.
ich wil under kröne12) zuo minen vienden gän.
i) Feindschaft, Haß. — 2) setzten sich. — 3) Gen. — 4) abermals, ,s
wiederum. —- 5) Gen. Sing. — 6) gemacht. — 7) der e? (das Leid). —
8) vergelten. — 9) wenn einer. — 10) garweten, s. garwen. 11) mit iij
kluger Überlegung, mit Vorsicht, vgl. Vers 194. — 12) mit der Krone auf lu
dem Haupt, mit dem Abzeichen meiner Würde.
190 Und hœret itewî?e1), wa? mir hàt getân
(1709) Hagne von Troneje, Gunthêres man.
ich wei? in sô gemuoten2), da?; er mir longent niht.
sô ist ouch mir unmære, swa? im dar umbe geschîht.’
191 Dô sach der videlære, ein wunderküene man,
(1710) die edeln küniginne ab einer stiegen gân
nider abeme3) hûse. dô er da? ersach,
Volker der küene zuo sîme hergesellen sprach:
192 'Nu schouwet, vriunt Hagne, wâ4) si dort here gät,
(1711) diu uns âne triuwe in? lant geladet hat.
in5) gesach mit küneges wibe nie sô manegen man,
die swert enhende trüegen, also strîtlîchen gân.
193 Wi??et ir, vriunt Hagne, ob si iu sin geha??
(1712) sô wil ich iu da? raten, sô hüetet deste ba?
des libes und der êren. jâ dünket e? mich guot.
als ich mich versinne6), si sint vil zornic gemuot.
194 Und sint ouch sumeliche7) zen brüsten also wit8),
(1713) swer sin selbes hüeten wil, des ist wol zit.
ich wæne, si die liebten brünne an in9) tragen:
wen si dâ mit meinen, da? enhœr ich niemen sagen.’
195 Dô sprach in zornes muote Hagne der küene man :
(1714) ‘ich wei? wol, da? e? alle?10) ist üf mich getan,
da? si diu liebten wâfen tragent an der hant.
vor den möht ich geriten noch in der Burgonden lant11).
196 Nu saget mir, vriunt Volker, ob ir mir weit gestän,
(1715) ob12) mit mir wellent strîten Kriemhilde man.
da? lä?et ir mich beeren, als liep als ich iu sî.
ich won iu immer mère mit triwen dienstlichen bi.’
197 ‘Ich hilfe iu sicherlîchen,’ sô sprach der spilman.
(1716) ‘ob ich uns hin engegne sæhe den künic gân
]) Plur. meine Vorwürfe über das, was. —- 2) ihn so gesinnt. — 3) ab
deme. — 4) Modal! wie. — 5) ich ne. — o) soviel ich merke. — 7) manche,
einige. — 8) wegen der Panzer, die sie unter den Waffenröcken trugen.
9) sich. — io) Adv. — ii) derentwegen könnte ich noch . . . heimreiten. -
12) wenn.
mit allen sinen recken; die wile ich leben muo?,
so entwiche ich in durch vorhte nimmer ü? helfe1) einen fuo?.’
198 ‘Nu Ion iu got von himele, vil edel Volker.
(1717) ob si mit mir striten, wes bedarf ich danne mer?
sit ir mir helfen wellet, als ich hän vernomen,
so suln dise recken vil gewerlichen körnen.’
199 ‘Nu ste 2) wir von dem sedele,’ sprach der spilman :
(1718) ‘si ist ein küniginne: und lat si für gän.
bieten3) ir die ere: si ist ein edel wip.
da mite ist ouch getiuwert unser ietweders lip.’
200 ‘Nein, durch mine liebe,’ sprach dö Hagene.
(1719) ‘so wolden4) sich versinnen dise degene,
da? ich? durch vorhte tsete, und sold ich hm gen.
ich enwil durch ir deheinen nimmer von dem sedel sten.
201 Ja zimet e? uns beiden zwäre lä?en ba?5).
(1720) zwiu sold ich den eren, der mir ist geha??
da? getuon ich nimmer, die wile ich hän den lip.
ouch enruoch ich, wa? mich nidet des künic Etzelen wip.’
202 Der übermüete Hagne leit6) über siniu bein
(1721) ein vil liebte? wäfen, ü? des7) knophe schein
ein vil liehter Jaspis, grüener danne ein gras.
wol erkand e? Kriemhilt, da? e? Sifrides was.
203 Dö si da? sw er t erkande, dö gie ir8) trürens
n ö t.
(1722) da? gehilz was guldin, diu scheide ein borte röt.
e? mante si ir leide: weinen si began.
ich waene, e? hete dar umbe der küene Hagne getan.
204 Volker der snelle zöch näher üf der banc
(1723) einen videlbogen starken, michel unde lanc,
gelich eime swerte9) schärf unde breit,
dö sä?en unervorhten die zwene recken gemeit.
i) aus der Hilfe heraus; keinen Fußbreit von Eurer Seite. —
2) Konjunktiv (der Aufforderung): laßt uns aufstehn! — 3) vgl. 2.
4) würden. — 5) zimet ba? e?, e? (Akkus.) lä?en. — 6) legete. — 7) dessen.
— 8) zu ihr ging, ihr nahte. — 9) in Gestalt eines Schwertes.
205 Nu dûhten sich sô hère die zwêne küene man,
(1724) da? si niht wolden von dem sedel stân
durch niemannes vorhte. desgienc in an den fuo?2)
diu edel küniginne und bôt in vîntlîchen gruo?.
206 Si sprach: ‘nu saget, hêr Hagne, wer hât nach iu gesamt,
(1725) da? ir getorstet3) rîten her in ditz lant,
unde4) ir da? wol erkandet, wa? ir mir habet getan?
betet ir guote sinne, ir soldet?5) bilhchen län.’
207 ‘Nach mir ensande niemen,' sprach dö Hagene.
(1726) ‘man ladete her ze lande drie degene :
die hei?ent mine hêrren, sô bin ich ir man:
deheiner hovereise6) bin ich seiden hinder in gestan.’
208 Si sprach: ‘nu saget mir mère, zwiu tätet ir da?,
(1727) da? ir da? habet verdienet, da? ich iu bin geha??
ir sluoget Sîfriden, mînen lieben man;
des ich unz an min ende immer mêr ze weinne 7) hän.’
209 Er sprach: ‘wa? sol des mère? der rede ist nu genuoc.
(1728) ich bin?8) et aber9) Hagne, der Sîfriden sluoc,
den heit ze sînen h an den10 *), wie sêr er des
engalt,
da? diu vrouwe Kriemhilt die schœnen Brün-
hilde schalt!
210 E? ist et âne lougen, küniginne rieh,
(1729) ich hän des alles schulde, des schaden schedelîch.
nu rech e?, swer sô welle, e? sî wîp oder man.
ich enwold iu danne liegen11), ich hän iu leides vil
getan.'
211 Si sprach: ‘da? beeret, recken, wa12) er mir longent niht
(1730) aller miner leide, swa? im da von geschiht,
da? ist mir vil unmaere, ir Etzelen man.’
die übermüeten degne sähen alle ein ander an.
1) infolgedessen. — 2) trat dicht an sie heran. — 3) $. turren. — 4) und
doch, während doch. — 5) hättet es sollen. — 6) Gen. der Beziehung (bei).
' ') weinenne. — 8) bin e?. — 9) et aber: eben wieder, nun einmal.
10) ein heit zer hant, zen banden (henden) : ein tapferer, tatkräftiger Held. —
41) es sei denn, daß ich Euch etwas vorlügen wollte; um der Wahrheit
die Ehre zu geben. — 12) wie.
144 r^gjf i^räf e? C^gj? Cggä? Cggir Figj? pgj? Rgj?
212 Do sprach ein der recken: ‘wes seht ir mich an?
(1782) das ich e da lodete, des wil ich ade gän,
durch niemannes gäbe Verliesen Minen lip.
ja wil uns verleiten des künic Etzelen wip.’
213 Do sprach da bi ein ander: ‘des selben hän ich muot.
(1738) der1) mir gaebe turne von rotem golde guot,
disen videlaere wold ich niht bestän
durch sine swinde blicke, die ich an im gesehen hän.
214 Dä mite was gescheideni) 2), das niemen dä enstreit.
(1737) dö wart der küniginne vil herzenlichen leit.
die beide körten dannen: jä vorhten si den tot
von den zwein degenen: des gie3) in sicherlichen not.
215 Do sprach der videlaere: ‘wir hän das wol ersehen,
(1738) da^ wir hie vinden vinde, als wir e hörten jehen.
wir suln zuo den künigen hin ze hove gän:
so entar4) unsere herren mit strite nieman wol be-
stän.' . . .5)
Dreißigstes Abenteuer.
Wie Hagen und Volker Schildwacht standen.
216 Der tac bete nu ende und 'nähet in diu naht.
(1756) die wegemüeden recken ir6) sorge an vaht7),
wann si solden ruowen und an ir bette gän.
das bereite8) Hagne: es wart in schiere kunt getän . .9)
217 ‘Nu lät iwer sorgen/ sprach Hagne der degen.
(1766) ‘ich wil noch hint selbe der schiitwache phiegen.
ich trouwe iuch wol behüeten, unz uns kumet der tac.
des sit gär än angest: so wend es danne10) swer der mac.’11)
i) wenn einer, Relativsatz mit konditionalem Inhalt. — ‘¿) es entschieden,
daß. — 3) gienc. — 4) Präs, von turren. — 5) Hagen und Volker, die unzer-
trennlichen Freunde, begeben sich nach dem Königssaal zu ihren Herren,
denen Etzel einen festlichen Empfang bereitet hat. Am Abend wünschen
die Gäste ihre Schlafstätte aufzusuchen. — 6) Gen. Sing, (zu sorge): ihret-
wegen (der Nacht wegen). — 7) s. vehten. — 8) beredete. — 9) Die Gäste
werden in den Schlafsaal geleitet. Giselher, der jüngste der drei burgundi-
schen Brüder, ahnt Unheil, fürchtet seiner Schwester Rache. — 10) wenn
die Nacht vorüber ist. — 1J) wer da kann.
218 Do nigen1) si im alle und seiten2) im des danc.
(1767) si giengen zuo den betten, diu wile was niht lanc,
da? sich geleit3) heten die wsetlichen man.
Hagne der küene, der heit, sich wäfen4) began.
219 Do sprach der videlsere, Volker der degen:
(1768) ‘versmähet e? iu niht, Hagne, so wold ich mit iu phiegen
hint der schiitwache unz morgen vruo/
der heit vil minneclichen dancte Volkere duo5).
220 ‘Nu Ion iu got von himele, vil lieber Volker.
(1769) ze6) allen minen sorgen so engerte ich niemen mer
niwan iuch aleine, swä ich hete not.
ich sol e? wol verdienen, mich enwendes der tot.’7)
221 Do garten8) si sich bede in liebte? ir gewant.
(1770) dö nam ir ietwedere den schilt an sine hant
und giengen ü? dem hüse für die tür stän.
dö phlägen si der geste: da? was9) mit triuwen getan.
222 Volker der snelle zuo des sales want
(1771) sinen schilt den guoten leint10 *) er von der hant.
dö gie11) er hin widere, sin gigen er genam:
dö diend er sinen vriunden, als e? dem beide gezam.
223 Under die türe des hüses sä? er üf einen stein.
(1772) küener12) videlsere wart noch nie dehein.
dö im der seiten deenen so süe?lich erklanc,
die stolzen eilenden die seitens13) Volkere danc.
224 Dö klungen sine seiten, da? al da? hüs erdö?14),
(1778) sin eilen zuo15) der fuoge, diu warn beidiu grö?.
süe?er unde senfter gigen er began:
dö entswebete er an den betten vil manegen
sorgenden man16).
225 Dö si entsinken wären und er da? ervant,
(1774) dö nam der degen widere den schilt an die hant
1) s. nigen. — 2) sageten. — 3) geleget. — 4) wäfenen. — 5) dö. —
6) für. — 7) en wende es: wenn mich nicht der Tod davon abwendet,
daran hindert, werde ich es vergelten. — 8) garweten, s. garwen. —
9) wurde. — 10) leinte. — n) gienc. — 12) Komparativ. — 13) sageten es
(Gen. abh. von danc). — ") s. erdie?en. — 15) und Kunstfertigkeit. —
16) vgl. S. 198 Nr. 39: Volkers Nachtgesang von E. Geibei.
Liermann-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch. 10
und gie m, dem gadme für den turn stän
und huote1) der eilenden vor den Kriemhilde man. . ,2)
Siebenunddreinigstes Abenteuer.
Wie Rüdiger erschlagen ward.
226 Et, heten3) die eilende wider morgen guot getan4).
(2072) wine der Gotlinde5) kom ze hove gegän.
dö sach er beidenthalben diu greulichen ser6):
da7, weinte innecliche der vil getriwe Rüedeger.
227 ‘So we mich/ sprach der recke, ‘da.7, ich den lip gewan.
(2073) da7, disen großen jämer kan niemen understän!
swie gern ich/, friden wolde, der künec entuot es7) niht,
wand er der sinen leide8) ie mer unde mer gesiht.’
228 Dö sant an Dietriche der guote Rüedeger,
(2074) ob si7, noch künden wenden an dem künege her.
do enböt im der von Berne: ‘wer möht u understän?
U enwil der künic Etzel nieman scheiden län.’9)
229 Dö sach ein Hiunen recke Rüedegeren stän
(2075) mit weinenden ougen, und hetes10) vil getän.
der sprach zer küniginne: ‘nu seht11) ir, wie er stät,
der doch gewalt den meisten hie bi Etzelen hät,
230 Und dem u LÜU dienet, liut unde lant.
(2076) wie ist so vil der bürge an Rüedeger gewant,
') Prät., s. hüeten. — 2) Eine Heunenschar will die Schlummern- -
den überfallen, wird aber verscheucht. — Abenteuer 31 bis 36: 31. Wie e
die Herren zur Kirche gingen; 31. Wie Blödel (Etzels Bruder) mit Dank- -
wart (Hägens Bruder) in der Herberge stritt; 33. Wie die Burgundern mit j
den Hennen stritten; 34. Wie sie die Toten aus dem Saale warfen; 35. Wie e
Iring (Lehnsmann des bei Etzel weilenden Dänenfürsten Ha wart) erschlagen r
ward; 36. Wie die Königin den Saal verbrennen ließ. — Vgl. die Inhalts- -;
angabe von A. F. C. Vilmar bei Liermann-Vilmar, Deutsches Lesebuch d
für Untertertia, Nr. 12, und Seite in —112 dieses Lesebuches. — In den n
rauchenden Trümmern des Saales stehen in der Morgendämmerung die 3
Kämpfer zum Todeskampfe des neuen, des letzten Tages bereit. — 3) In- -r
dikativ! — 4) es gut getrieben, tapfer gekämpft, wacker ausgehalten. — -
5) der wine Gotlinde (Gen.): Rüedeger. — (i) Substantiv! — 7) Gen. abh. .r
v. niht. — 8) Gen. abh. v. mer. — 0) nieman Akkusativobjekt zu län, ez,
(den Streit) zu scheiden. — ] °) hete es (Gen. zu vil): hatte dessen (des s:
Weinens); Rüdeger hatte viel geweint. — 11) Imperativ!
Cagj? Cgi? C-Si- Rgs? t^i? C-Li? Cgi? ta? Pgi? cgi? r^R Pgit J47
der er von dem künige vil manege haben mac!
er sluoc in disem sturme noch nie löblichen slac.
231 Mich dünket, ern ruoche, wie es hier umbe gät,
(2077) sit das er den vollen J) nach sinem willen hat.
man giht2) im, er si küener danne ieman müge sin:
das ist in disen sorgen worden bceslichen schin/
232 Mit trürigem muote der vil getriwe man3),
(2078) den er das reden hörte, der heit4) der blicte in5) an.
er gedäht: cdu solt es amen. du gibst, ich si verzagt:
du hast diu dinen maere ze hove ze lute gesagt/
233 Die füst begunder6) twingen7): dö lief er in an
(2079) und sluoc so kreftecliche den Hiunischen man,
das er im vor den füesen lac vil schiere tot.
dö was aber8) gemeret des künic Etzelen not.
234 ‘Hin, du zage maere/9) sprach dö Rüedeger.
(2080) ‘ich hän doch genuoge10) leit unde herzen ser:
das ich hie niht envihte11), zwiu wisest du mir das?
ja waer ich den gesten von grösen schulden gehas,
235 Und alles, das ich mühte, das het ich in getan,
(2081) niwan das ich die recken her gefüeret hän12).
ja was ich ir geleite13) in mines herren laut:
des ensol mit in niht striten min vil eilendes14) hant/
236 Dö sprach zem marcgräven Etzel der künec her:
(2082) ‘wie habt ir uns geholfen, vil edel Rüedeger15)!
wan wir so vil der veigen16) hie ze lande hän,
wir bedürfen ir niht mere. ir habt vil übele getän.’
237 Dö kom diu küniginne und het es ouch gesehen,
(2084) das17) von des beides zorne dem Hiune was geschehen.
sie klagt18) es ungefuoge: ir ougen wurden nas.
si sprach zuo Rüedegere: ‘wie habe wir verdienet das?
Ö die Fülle. — 2) Präs, von jehen. — 3) Rüdeger. — 4) Rüdeger. —
5) in . . . den. — 6) begund er, s. beginnen. — 7) ballen. — 8) abermals,
wiederum. — 9) maere: Adjektiv. — 10) Adv. — n) s. vöhten.— 12) nur daß
ich... habe, wenn ich nicht . . . hätte. —• 13) Führer. — 14) Apposition zu
rohr — 15) eine schöne Hilte! — 16) der Toten. — 17) das, was. —
18) klagte.
10*
148 EsS»? Eagj? CsSri? t^ü ttSÜ r^Ur Eagj? C^S? Egg? E--4?
238 Ich mane iuch der genaden, und h ir mir hänti) 2) gesworn,
(2086) do ir mir zuo Etzeln rietet, riter ü? erkorn,
da? ir mir woldet dienen unz an unser eines tôt:
der wart mir armen wîbe nie sô grœ?lîchen not.’3)
239 ‘Da? ist âne lougen, ich swuor iu, edel wip,
(2087) das; ich durch iuch wägte die ère unde ouch den lip;
da? ich die sêle vliese4), des enhän ich niht gesworn:
zuo dirre hôchgezîte brâht ich die fürsten wol geborn.’
240 Si sprach: 'gedenke, Rüedegêr, der grölen triwe dîn,
(2088) der stæte und ouch der eide, da? du den schaden min
immer woldest rechen und elliu5) mîniu leit.’
do sprach der marcgräve: ‘ich hân iu ê selten iht ver-
seif.’6)
241 Etzel der rîche liegen7) ouch began.
(2089) si buten8) sich ze fuo?e beide für den man.
den edeln marcgräven unmuotes9) man do sach.
der vil getriwe recke harte jæmerlîche sprach:
242 'Owe mich gotes armen, da? ich ditz gelebet hân!
(2090) aller miner êren der muo? ich abe stän,
tri wen unde zühte, der10) got an mir gebot11),
owê got von himele, da? mihs niht wendet der tôt!
243 S w e 1 h e ? ich nu 1 â ? e und da? ander begän,
(2091) sô hân ich bœslîche und vil übel getän:
là? aber ich si beide, mich sehendes elliu diet. .
nu ruoche mich bewisen, der mir ze lebene :
geriet.’12)
244 Do sprach zuo dem künige der vil küene man:
(2094) ‘her künec, nu nemt hin widere, swa? ich von iu hân, ,
da? lant mit den bürgen: der13) soi mir niht besten,
ich wil üf minen füe?en in da? eilende gen.’
245 Dô sprach der künic Etzel: ‘wer hülfe danne mir?
(2095) da? lant zuo den liuten, da? gib ich alle? dir,
i) an Stelle des Pron. rel. — die. — a) = hät: habt. — 3) der (ge- --
näden) . . . not. — 4) s. Verliesen. — 5) Plur. alle. — 6) versaget. — 7) s. .g
flehen. — 8) s. bieten. — s) adv. Gen.: im Unmut. — io) Attraktion des a:
Relativs, der statt die. — n) die Gott mir anbot, verliehen. — 12) Gott JJ
nach dessen Ratschluß ich lebe. — 13) Gen. Plur.
Rgj? Egj? c^are rgj? cgi? cgi? cgU? csr? cgi? cg»? cgä? cgi? {49
da/, du mich rechest, Rüedeger, an den vinden min.
du solt ein künec gewaltic bi neben Etzelen sin.’1)
246 Do sprach aber Rüedeger: ‘wie sol ich? ane van?
(2096) heim ze minem hüse ich si geladen hän,
trinken unde spise ich in güetlichen böt
und gab in mine gäbe: wie sol ich raten in
den tot?
247 Diu liute waenent lihte, da? ich si verzagt:
(2097) deheinen minen dienest hän ich in versagt,
den vil edeln fürsten und ouch ir man;
euch riwet mich diu friuntschaft2), die ich mit in ge-
worben hän.
248 Giselher dem degene gab ich die tohter min.
(2098) sine künde in dirre werlde niht ba? verwendet sin
üf3) zuht unde ouch üf ere, üf triwe unde üf guot.
ine4) gesach nie künic jungen so rehte tugentliche
gemuot/
249 Do sprach aber Kriemhilt: ‘vil edel Rüedeger,
(2099) nu lä dich erbarmen unser beider ser5),
min unde ouch des küniges. gedenke wol dar an,
da? nie wirt deheiner so leide6) geste mer7) gewan.’
250 Do sprach der maregräve wider da? edel wip:
(2100) ‘e? muo? hiute gelten der Rüedegeres lip,
swa?8) ir und ouch min herre mir liebes habt
getän:
dar umbe muo? ich sterben: da? kan niht langer
b estän.
251 Ichwei?wol, da? noch hiute min bürge unde ouch min lant
(2101) iu9) müe?en ledec werden von ir etesliches hant10).
ich bevilhe iu üf genäde min wip und miniu kint11)
und ouch die vil eilenden, die ze Bechelären sint.’
252 ‘Nu lön dir got, Rüedeger/ sprach der künic dö.
(2102) er und diu küniginne, si wurden beidiu vrö.
Ü Mitregent sein. — 2) Verwandtschaft. — 3) in Bezug auf. — 4) ich
ne. — b) Substantiv. — 6) Adjektiv: leidig, schlimm. — 7) sonst. — 8) swa? ...
liebes (Gen.) — 9) Dativ, für Euch; Euch anheimfallen. — 10) durch die
Hand irgend eines von ihnen (den Burgunder»). — n) Plur.
'uns suln dîne liute vil wol enpholhen wesen:
ouch trouwe ich minem heile, da? du mäht1) selbe wol
genesen/
253 Dô lie? er an die wäge2) sêle unde lîp.
(2103) dô begunde weinen da? Etzelen wîp.
er sprach: ‘ich muo? iu leisten, als ich gelobt hän.
owè der mîn en friunde, die ich un gerne hie bestan !'
254 Man sach in von dem künige vil trûriclîchen gân.
(2104) dô vant er sine recken vil nähen bl im stân;
er sprach: ‘ir suit iuch wäffen3), alle mine man.
die küenen Burgonden, die muo? ich leider bestan/
255 Gewaffent wart dô Rüedegêr mit fümf hundert man :
(2106) dar über4) zwelf recken sach man mit im gân.
die weiten pris erwerben in des sturmes nôt:
sie enwessen5) niht der mæreG), da? in sô nähent der
tôt.
256 Dô sach der junge Gîselhêr sînen sweher gên
(2108) mit ûf gebundem7) helme. wie moht man dô verstên,
wa? er da mit meinte, niwan alle? guot?
des wart der künic edele sô rehte frœlîch gemuot.
257 ‘Nu wol mich solher friunde/ sprach Gîselhêr der
degen,
(2109) ‘die wir han gewunnen nu ûf disen wegen8).
wir suln vil wol genie?en mînes wîbes hie.
mir ist liep, ûf mîn triuwe, da? ie der hîrât ergie/9)
258 ‘Ine wei?, wes ir iuch trœstet/ sprach der spileman.
(2110) ‘wä säht ir ie durch suone sô manegen heit gân
mit ûf gebunden10) helrnen, die trüegen swert enhant?
an uns wil dienen Rüedegêr sine bürge und sîniu lant/
259 Beda? der videlære die rede dô volsprach,
(2111) Rüedegêrn den edelen man vor dem hüse sach.
sînen schilt den guoten den satzt er für den
fuo?.
dô muos er sînen friunden versagen dienst unde
gru o ?.
i) s. mugen. — 2) setzte aufs Spiel. — 3) wälenen. — 4) außerdem. —
5) s. wi??en. — 6) Gen. Plur. — 7) gebunden(e)m. — 8) auf der Reise hier
her. — 9) die Vermählung zustande kam. — 10) gebundenen.
Egg? Pgi? Egg? Egi? Kgi? Eg»? £¿5*? Kgi? Egj? KaSift Cagi? |5 |
260 Der edel marcgräve rief dö in den sal:
(2112) ‘ir küene Nibelunge, nu wert iuch über al.
ir soldetx) min genießen, nu engeltet ir min.
e dö wär2) wir friunde: der triwe wil ich ledic sin.’
261 Dö erschracten3) dirre maere die nöthaften man:
(2113) wan ir4) deheiner fröude nie da von gewan,
da? mit in wolde striten, dem si da wären holt:
si heten von vinden vil michel arbeit gedolt5).
262 ‘Nune welle got von himele,’ sprach Günther der
degen,
(2114) 'da? ir iuch genäden6) sült an uns bewegen7)
und der vil großen triuwe, der wir doch heten muot8).
ich wil iu des getrouwen9), da? ir e? nimmer getuot.’
263 'Jane mag ichs niht gelä?en,’ sprach der küene man :
(2115) 'ich muo? mit iu striten, wan ich? gelobt hän.
nu wert iuch, küene beide, so lieb iu si der lip.
mich enwoltes niht erlä?en des künic Etzelen wip.’
264 'Ir widersagt uns nu ze späte,’ sprach der künic her.
(2116) 'nu müe? iu got vergelten, vil edel Rüedeger,
triuwe unde minne, die ir uns habt getän,
ob10) ir e? an dem ende11) woldet güetlicher 12) län,
265 Wir solten? 13) immer dienen, da? ir uns habt gegeben,
(2117) ich und mine mäge, ob ir uns lie?et leben.
der herlichen gäbe, dä ir uns brähtet her
in Etzeln lant zen Hiunen, des gedenkt, vil edel
Rüedeger.’
266 Wie wol ich iu des gunde,’14) sprach Rüedeger der
degen,
(2118) 'da? ich iu mine gäbe mit vollen15) solde wegen16)
also willecliche, als ich des hete wän17)!
söne wurde18) mir dar um benimmer schelten getän.’19)
hättet sollen. — 2) wären.— 3) s. erschrecken: erschraken über.
4) Gen. Plur. — 5) s. doln. — 6) Gen. Plur. — 7) enthalten (des Wohl-
wollens). — 8) auf die wir . . . gehofft hatten. — 9) das zutrauen. —
10) wenn. — ]1) schließlich. — 12) lieber. — 13) solten e? . . . da? . . .
der gäbe (Gen.). — ") s. gunnen. — is) völlig. — 16) zuteilen. — i?) Hoff-
nung. — 18) konjunktiv. — ") würde ich . . . gescholten.
267 ‘Erwindet1), edel Rüedeger,’ sprach dö Gernöt,
(2119) 'wan e? wirt deheiner gesten nie erboti) 2)
so rehte minneclichen, als ir uns habt getan,
des sult ir wol genießen, ob wir bi lebene bestän.
268 Und weit ir niht erwinden, irn weit zuo uns gän3),
(2128) slaht ir mir iht der friunde, die ich hinne hän,
mit iwer selbes4) swerte nim ich iu den lip:
so riwet ir mich5), Rüedeger, unde iwer herliche? wip.’
269 Dö sprach von Burgonden der schoenen Uoten kint6):
(2125) 'wie tuot ir so, her Rüedeger? die mit mir körnen sint,
si sint iu alle wsege. ir grifet übel zuo.
die iwer schoene tohter weit ir verwitwen ze fruo.
270 Swenne ir und iwer recken mit strite mich bestät,
(2126) wie reht unfriuntliche ir da?, schinen lat,
da? ich iu wol getrüwe für7) alle ander man,
da von ich ze wibe iwer tohter mir gewan.’
271 ‘Gedenket iwer triwen, vil edel künic her,
(2127) gesende iuch got von hinne/ so sprach Rüedeger.
'lat die juncvrouwen niht engelten min:
durch iwer selbes tugende so ruochet ir genaedic sin.’
272 ‘Da? taet ich billiche,’ sprach Giselher da? kint:
(2128) ‘die höhen mine mäge, die noch hier inne sint,
suln die von iu sterben, so muo? gescheiden sin
diu vil staete friuntschaft zuo dir unde der tohter din.’
273 ‘Nu müe? uns got genaden,’ sprach der küene man8).
(2129) dö huoben si die Schilde, also9) si wolden dan10),
striten zuo den gesten in Kriemhilde sal,
dö rief vil lüte Hagene von der stiege hin zetal:
274 ‘Belibet eine wile, vil edel Rüedeger.’
(2130) also sprach dö Hagene. ‘wir wolden reden mer,
ich und mine herren, als uns des twinget not.
wa? mac geholfen Etzeln unser eilender11) tot?’
i) laßt davon ab. — 2) nie bot ein Wirt seinen Gästen so freund-
liche Aufnahme. — 3) wollt Ihr nicht davon ablassen, gegen uns vorzu-
gehen. — 4) Gen. — 5) dauert Ihr mich. — 6) Giselher. — 7) vor; mehr
als. — s) Rüdeger. — 9) als ob. — 10) von dannen (gehn zu . . .), um
zu streiten. — n) Gen. Plur. zu unser.
275 'Ich sten in grölen sorgen/ sprach aber Hagene.
(2131) 'den schilt, den mir vrou Gotlint1) gab ze tragene,
den haben! mir die Hiunen zerhouwen von der hant.
ich fuort in friuntliche in da? Etzelen lant.
276 Da? des got von himele ruochen wolde,
(2132) da? ich schilt so guoten noch tragen solde,
so2) den du hast vor hende, vil edel Rüedeger!
so bedorfte ich in dem sturme deheiner halsperge mer.’
277 ‘Vil gerne wser ich dir guot mit minem Schilde3),
(2133) getörst4) ich dirn5) gebieten vor Kriemhilde.
doch nim du in hin, Hagene, und trag in an der hant;
hei, soldest du in füeren in der Burgonden lant!’
278 Do er im so willeclichen den schilt ze geben
böt,
(2134) dö wart genuoger6) ougen von hei?en trehen7)
röt.
e? was diu leste gäbe, di sider immer mer8)
böt deheinem degene von Bechlären Rüedeger.
279 5wie grimme Hagen wsere unt swie zornic gemuot,
(2135) ja erbarmet im diu gäbe, die der heit guot
bi sinen testen ziten so nähen9) het getän.
vil manic ritter edele mit im trüren began.
280 ‘Nu Ion ich iu der gäbe, vil edel Rüedeger,
(2138) swie halt10) gein iu gebären dise recken her,
da? nimmer iuch gerüeret mit strite hie min hant,
ob ir si alle slüeget, die von Burgonden lant.’
281 Des11) neic 12) im mit zühten der guote Rüedeger.
(2139) si weinten allenthalben, da? disiu herzen13) ser
niemen scheiden künde, da? was ein michel not.
vater aller tugende lac an14) Rüedegere tot.
282 Dö sprach von dem hüse15) Volker der spileman:
(2140) 'sit min geselle Hagene den vride hät getän,
Ö Rüdegers Gemahlin. — 2) wie der, den. — 3) leistete Beistand. —
4) s- turren. — 3) dir in. — 6) Gen. Plur. — 7) trehenen. — 8) seitdem je
wieder. — S) gehört zu ziten. — io) Adv. wie auch immer. — n) zum
Dank dafür. — 12) s. rügen. — 13) Gen. — 14) mit; in Rüdegers Person.
— 15) von . . . herunter.
154 ^ ^ tjgi? Cägj? CsS*? ta? C^i? tat Kgj? taa Kgl? Cgi? ügj?
den sult ir also stsete haben von miner hant.
das; habt ir wol verdienet, dö wir körnen in da? lant/. ..
283 Als er im da? gelobte, den schilt huop Rüedeger:
(2143) des muotes er ertobte:1) dö enbeiti) 2) er da niht mer,
dö lief er zuo den gesten, einem degen gelich.
manegen slac vil swinden sluoc der marcgräve rieh.
284 Die zwene stuonden höher3), Volker und Dagene,
(2144) wan e? im e gelobten die zwene degene:
noch vant er also küenen bi den turnen stän,
da? Rüedeger des strites mit grö?en sorgen began.
285 Durch mortraechen willen so lie?en si dar in,
(2145) Günther und Gernöt: si heten helde4) sin.
dö stuont höher Giselher: zwar5) e?6) was im leit.
er versach7) sich noch des lebenes; da von er Rüe-
degeren meit8).
286 Dö Sprüngen zuo den vinden des maregräven man.
(2146) man sach si nach ir herren vil tugentlichen gän.
diu snidende wäfen si truogen an der hant:
des brast9) da vil der helme und manic herlicher rant.
287 Dö sluogen die vil müeden vil manegen swinden slac
(2147) den von Rechelaren, der eben und tiefe wae10),
durch die vesten ringe vast11) unz üf da? verch.
si täten in dem sturme diu vil herlichen werch 12).
288 Da? edel Ingesinde13) was nu körnen gar:
(2148) Volker und Dagene die Sprüngen balde dar.
sine gäben fride niemen, wan dem einem man.
von ir beider hende da? bluot nider durch helme ran.
289 Wie rehte gremliche vil swerte 14) drinne erklanc!
(2149) vil der schiltspange ü? den siegen15) spranc:
des reis16) ir schiitsteine nider in da? bluot,
si vähten also grimme, da? man? 17) nimmer mer getuot.
i) er tobte vor Kampflust. — 2) s. biten. — 3) traten zurück. -
4) Gen. Plur. — 5) wahrlich. — 6) Der Kampf mit Rüdeger. — 7) s. ver-
sehen. — 8) s. miden. — 9) s. bresten. — 10) s. wegen. — 13) Adv. fest,
gerade bis auf. — 12) werc. — 13) Rüdegers. — 14) Gen. Plur. — 15) aus
den Beschlägen. — 16) Prät., risen: fallen. — 17) man e?.
Egi? tggi? Egi? tat Egär Egj? EgLr ^ EgUr Egi? Egi? ta? Eg»? 155
290 Wol zeigte der marcgräve, dai, er was stark genuoc,
(2152) küene und wol gewäfent: hei, wa? er helde sluoc!
da:? sach ein Burgonde J): zorns2) was im not.
da von begunde nähen des edeln Rüedegeres tot.
291 Gernöt der starke, den heit den rief er an.
(2153) er sprach zem marcgräven: ‘ir weit mir miner man3)
niht genesen lä?en, vil edel Rüedeger.
da^ müet4) mich ane mä?e: ichn kans5) niht an ge-
sehen mer.
292 Nu mag iu iwer gäbe wol ze schaden körnen,
(2154) sit ir miner friunde habt so vil benomen.
nu wendet iuch her umbe, vil edel küene man.
iwer gäbe wirt verdienet, so ich e? aller höchste kan.’
293 E da? der marcgräve zuo im volkoeme6) dar,
(2155) des muosen7) liebte ringe werden missevar.
dö sprangen zuo ein ander die eren gerade man.
ir ietweder schermen für8) starke wunden began.
294 Ir swert so scharpf wären, sine künde niht gewegen9):
(2156) dö sluoc Gernöten Rüedeger der degen
durch flinsherten helmen, da? nider flo? da? bluot;
da? vergalt im schiere der riter küen unde guot.
295 Die Rüedegeres gäbe an hende er höh erwac10):
(2157) swie wunt er wser zem töde, er sluoc im einen slac
durch den schilt vil guoten unz üf diu helmgespan.
dä vonmuos11) ersterben döderGotelinden man12).
296 Jane wart nie wirs gelönet so richer gäbe mer.
(2158) dö vielen beide erslagne, Gernöt und Rüedeger,
gelich13) in dem sturme von ir beider hant.
alrest14) erzurnde Hagne, dö der den grölen schaden
bevant........15)
1) Gernot. — 2) Gen. abh. v. not. -—- 3) Gen. — J) s. müejen. —
5) kan es (Gen. abh. v. niht). — ß) s. volkomen. — 7) muosten.
8) vor, gegen. — 9) si-ne (Akkusativ): gegen sie (die Schwerter) konnte
nichts schützen. — 10) s. erwögen. —- n) muose, muoste. — 12) Rüdeger. —
13) zu gleicher Zeit. — 14) jetzt erst. — 15) Abenteuer 38: Wie
Dietrichens Recken alle erschlagen wurden. Die Wehklage um Rüdegers
Tod dringt zu Dietrich von Bern, der fern vom Kampfe weilt. Er sendet
Meister Hildebrand, der des Helden Leichnam zur Bestattung haben
156 ^ ^ tat Rgj? kLLr tigj? cgj? ta? r^gj? tia? t^si?
Neununddreihigstes Abenteuer.
Wie Günther, Hagen und Kriemhild erschlagen wurden.
297 Dò nam der hèrre Dietrich selbe sin gewant:
(2261) im half, da? er sich wäfent, der alte Hildebrant.
dò klagt also sère der kreftige man1),
da? da? hüs erdie?en von siner stimme began.
298 Dò gewan er aber widere rehten beides muot.
(2262) in grimme wart gewäfent dò der degen guot,
einen schilt vii vesten, den nam er an die hant.
si giengen balde danne, er unde meister Hildebrant.
299 Dò sprach von Tronje Hagene2): ‘ich sihe dort her gàn
(2263) den hèrren Dietriche: der wil uns bestàn
nach sinem starken leide, da? im hie ist geschehen,
man sol3) da? biute kiesen, wem man des besten müge
jehen4).
300 Jane dünket sich von Berne der hèrre Dietrich
(2264) nie so stark des libes und so gremlich5);
und wil er? an uns rechen, da?6) im ist getan/
also redete Hagene, ‘ich getar7) in harte wol bestand
301 Dise rede horte Dietrich und Hildebrant.
(2265) er kom, da er die recken beide stènde vant
ü?en an dem hüse geleinet an den sah
sinen schilt den guoten satzt hèr Dietrich zetal.
302 In leitlichen sorgen sprach hèr Dietrich:
(2266) ‘wie habt ir sö geworben, Günther, künic rieh,
wider mich eilenden? wa? het8) ich iu getan?
alles mines tròstes des bin ich eine9) bestàn.
möchte, aber abgewiesen wird. Im Kampfe werden die Amelungen, die
den alten Hildebrand begleitet hatten, alle erschlagen; Volker fällt von
Hildebrands Hand, Giselher und Wolf hart, Hildebrands Schwestersohn,
töten sich gegenseitig. Hildebrand flieht schwer verwundet vor Hagen
und kehrt als einziger von allen Gotenhelden zu seinem Könige zurück.
Nun treten Dietrich und Hildebrand den allein noch übrig gebliebenen
Durgun den Günther und Hagen gegenüber. — *) Dietrich. — 2) vgl. Nr. 40,
Seite 199: Hägens Sterbelied von Felix Dahn. — 3) wird. — 4) das
Beste zugestehen, den Preis des Kampfes zuerkennen. — 5) wie schrecklich
sich auch Dietrich zu sein dünke. — 6) was. — 7) s. turren. 8) Indi-
kativ. — 9) des (dessen) . . . eine (beraubt).
303 Iuch endühte1) niht der volle2) an der grölen not,
(2267) dö ir uns Rüedegere den heit ersluoget tot:
nu habt ir mir erbunnen aller miner man.
jäne het ich iu beiden solher leide 3) niht getan.
304 Gedenket an iuch selben und an iwer leit;
(2268) tot der4) iwer friunde und ouch diu arbeit,
ob e? iu zieren recken beswärt5) iht den muot.
owe, wie reht unsanfte mir tot der Rüedegeres tuot!
305 E? geschach ze dirre werlde nie manne leider mer.
(2269) ir gedähtet übele an min und iwer ser.
swa? ich freuden hete, diu liget von iu erslagen.
ja enkan ich nimmer mere die mine mäge verklagen/
306 ‘Jane si6) wir niht so schuldic/ sprach dö Hagene.
(2270) ‘e? gierigen zuo dem hüse die iwer degene,
gewäfent wol ze fli?e, mit einer schar so breit,
mich dünket, da/, diu maere iu niht rehte sint geseit/
307 ‘Wa? sol ich mer gelouben? mir sagt Hildebrant,
(2271) dö mine recken gerten7) von Amelunge lant,
das; ir in Rüedegere gsehet ü? dem sal,
dö bötet 2) ir niwan spotten den minen recken her zetal.9)
308 Dö sprach der vogt von Rine: 'si jähen10), weiten tragen
(2272) Rüedeger von hinne; den hie? ich in versagen,
Etzeln ze leide, und niht den dinen man;
unz da? dö Wolfhart11) dar umbe schelten began/
309 . Dö sprach der heit von Berne: 'e? muose et also sin.12)
(2273) Günther, künic edele, durch die zühte din
ergetze mich der leide, die mir von dir sint geschehen,
und süene e?, riter küene, da? ich dir des mege gejehen.
310 Ergip dich mir ze gisel, du und din man:
(2274) so wil ich behüeten13), so ich aller beste kan,
!) s. dünken. — 2) dachtet nicht an die Vollständigkeit bei der Not,
daß sie schon groß genug sei. — 3) Oen. — •*) Artikel, der tot. — 5) s.
beswaeren. — 6) sin: sind. — 7) s. gern. — 8) s. bieten, Konjunktiv Prät.
hättet geboten. — 9) vom Saal herab. — io) s. jehen, sagten, (daß sie)
wollten. — ii) Plildebrands Schwestersohn. — 12) es sollte eben so sein. —
13) verhüten.
158 ^ ^ C^StT? Rgj? rat EaSTt £¿=8? taw Cagg? tat
da? dir hie zen Hiunen niemen niht entuot.
du solt an mir niht vinden niwan triwe und alle? guotd
311 ‘Da? enwelle got von himele,’ sprach do Hagene,
(2275) ‘da? sich dir ergaeben zwène degene,
die noch só werlìche gewàfent gein dir stènt
und noch so ledicliche1) vor ir vìenden genti’
312 ‘Irn sult e? niht versprechen,’i) 2) sö redet her Dietrich,
(2276) ‘Günther linde Hagne. ir beide habt mich
so sère beswaeret, da? herze und ouch den muot,
und weit ir michs ergetzen, da?3) ir? vii billìchen tuoi.
313 Ich gibe iu mine triuwe und sicherlìche hant,
(2277) da? ich mit iu wider heim rite in iwer lant.
ich geleite iuch nach4) den éren, oder ich gelige tòt,
und wil durch iuch5) verge??en der minen groe?lichen
not.’
314 ‘Nu enmuotet sin6) niht mère,’ sprach aber Hagene,
(2278) ‘von uns enzimt da? msere niht wol ze sagene,
da? sich iu ergaeben7) zwèn also küene man:
nu siht man bi iu niemen wan eine8) Hildebrande stand
315 Dö sprach meister Hildebrant: ‘got wei?, hér Hagene,
(2279) der9) iu den vride biutet mit iu ze tragene10),
e? kumt noch an die stunde, da? ir in mühtet nemen.
die suone mìnes hèrren meht11) ir iu lä?en zemend
316 ‘Ja naeme ich è die suone,’ sprach aber Hagene,
(2280) ‘è ich sö lesterliche ü? einem gademe
flühe12), meister Hildebrant, als ir hie habt getan,
ich wànt üf min triuwe, ir kündet ba? gein vinden stand
317 Des antwurte Hildebrant: ‘zwiu verwì?et ir mir da??
(2281) nu wer was, der üfem Schilde vor dem Wasgensteine
sa? 13),
i) frei, unbesiegt. — 2) in Abrede stellen. — 3) so sère . . . da?. —
4) gemäß. — 5) Euretwegen. — 6) Gen., begehrt es nicht weiter. — 7) er-
geben hätten. — 8) allein. — 9) wenn jemand (Dietrich). — u>) schließen. —
ii) mehtet, s. mugen, könntet. — I2) Konjunktiv Prät. s. vliehen, geflohen
wär — 13) in den Vogesen (dem Was enwald), vgl. Waltharilied.
tan egg? CsStR tat c-ssr Kgs? ta? t^i? t^j? cai j 5 <)
dö im von Spanje Walther so vil der mäge sluoc?
ouch habt ir noch ze zeigen an in selben genuoc.’*)
318 Do sprach der herre Dietrich: ‘da? enzimt niht beide lip,
(2282) da? si suln scheiden sam diu alten wip.
ich verbinte iu, meister Hildebrant, da? ir iht sprechet
mer.
mich eilenden recken twinget2) groe?lichiu ser.'
319 ‘Lät hoeren,’ sprach her Dietrich, ‘recke Dagene,
(2288) wa? ir beide sprächet, vil snelle degene,
dö ir mich gewäfent zuo iu sähet gän:
ir jähet3), da? ir eine4) mit strite woldet mich bestän.’
320 ‘Jä enlougent iu des niemen,' sprach Hagen der degen,
(2284) ‘ich enwelle? hie versuochen mit den starken siegen,
e? ensi5), da? mir zebreste da? Nibelunges swert.
mir ist zorn, da? unser beider hie ze gisel ist gegert.’
321 Dö Dietrich gehörte den grimmen Hagen6) muot,
(2285) den schilt vil balde zucte der snelle degen guot.
wie balde gein im7) Hagne von der stiegen spranc!
Nibelunges swert da? guote vil lute üf Dietrich erklanc.
322 Dö wesse8) wol her Dietrich, da? der küene man
(2286) vil grimmes muotes waere: schirmen im 9) began
der herre von Berne vor angestlichen siegen.
vil wol erkanter10) Hagenen, den vil zierlichen degen.
323 Ouch vorht er Balmunge, ein wäfen starc genuoc.
(2287) under wilen Dietrich mit listen wider sluoc,
unz da? er Hagenen mit strite doch betwanc.
er sluoc im eine wunden: diu was tief unde lanc.
324 Dö gedäht der ‘herre Dietrich: ‘du bist in not er-
wigen u):
(2288) ich häns12) lützel ere, soltu tot vor mir geligen.
ich wil e? sus13) versuochen, ob ich ertwingen kan
dich mir ze einem gisel.’ da? wart mit sorgen getän.
!) Ihr habt an Euch selbst noch genug Tadelnswertes aufzuweisen. —
2) Sing, statt Plur. — 3) s. jehen. — 4) allein. — 5) es sei denn, daß. —
6) Gen. — 7) ihn. — 8) s. wi??en. — 9) sich. — >0) erkant er. — n) Par-
tizip v. erwihen. — 12) han es: habe davon. — 13) sonst, auf andere Art.
100 ^ pgg? Rgj? Visa ta? ta? tat? pgj? tat c^i?
325 Den schilt he? er vallen: sin Sterke diu was grö?:
(2289) Hagen von Tronje mit armen er beslö?.
des1) wart dö betwungen von im der küene man.
Günther der edele dar umbe trüren began.
326 Hagenen bant döDietrich und fuort in, da er vant
(2290) die edeln küniginne, und gab ir bi der hanti) 2)
den küenisten recken, der ie swert getruoc.
nach irvil Starkemleidedö wart sivroelichgenuoc.
327 Vor liebe3) neic4) dem degne da? vil edel wip:
(2291) ‘immer si dir sselic din herze und ouch din lip!
du hast mich wol ergötzet aller miner not.
da? sol5) ich immer dienen, mich ensüme6) der tot/
328 Dö sprach der herre Dietrich: ‘ir sult in län genesen,
(2292) edeliu küniginne. und mac da? noch gewesen7),
wie wol er iuch ergetzet, da?8) er iu hat getan!
er sol des niht engelten, da? ir in gebunden sehet stand
329 Dö hie? sie Hagen füeren an sinen ungemach9),
(2293) da er lac beslo??en und da in niemen sach.
Günther, der künic edele, rüefen dö began:
‘war kom10) der heit von Berne? der hat mir leide
getan/
330 Dö gie im hin engegene der herre Dietrich.
(2294) Guntheres eilen da? was vil lobelich:
dö enbeit11) ouch er niht mere, er lief her für den sah
von ir beider swerten huop sich ein grce?licher schal.
331 Swie vil der herre Dietrich lange was gelobt,
(2295) Günther was so sere erzürnet und ertobt:
(wan er nach starkem leide dö sin vient was):
man sagt e? noch ze12) wunder, da? dö her Dietrich
genas.
i) infolgedessen. — 2) gab in ihre Hand. — 3) Freude. — 4) s. rügen,
b) werde. —- 6) s. sümen: verhindern. — 7) kann das noch sein, daß er
am Leben bleibt. — 8) für das, was. — 9) in den Kerker. — 10) wohin
ist gekommen? — J1) s. blten. — 12) als.
tai? Egj? k-ssr egg? p^tR ta? k-srr c^-re tat 101
332 Ir eilen und ir Sterke beide wären grö?.
(2296) palas unde turne von ir siegen dö? 4),
dö si mit den swerten hiuwen2) üf die keime guot.
e? bet der künic Günther einen herlichen muot3).
333 Sit twanc in der von Berne, als Hagen e geschach.
(2297) da? bluot man durch die ringe dem beide4) fließen sach
von5) einem starkem swerte: da? truoc her Dietrich:
doch bet gewert her Günther nach6) müede löblichen
sich.
334 Der herre wart gebunden von Dietriches hant,
(2298) swie7) künige niene selten liden solhiu bant8).
er9) däht, ob10) er si lie?eu), den künec und sinen man,
alle, die si fünden, die müesen tot vor in bestän.
335 Dietrich von Berne der nam in bi der hant:
(2299) dö fuort er in gebunden, da er Kriemhilde vant.
‘willekomen, Günther, ein heit ü? erkant!'
‘nu löne iu got, Kriemhilt, ob12) mich iwer triwe des 13)
ermant/
336 Er sprach: ‘ich solde 14) iu rügen, vil liebiu swester min,
(2300) ob iwer grüe?en mehte genaediclicher sin:
ich wei? iueh, küniginne, so zornic gemuot,
da? ir mich unde Hagenen vil swache? grüe?en getuot.’
337 Dö sprach der heit von Berne: ‘vil edels küneges wip,
(2301) e? enwart nie gisel mere so guoter riter lip,
als ich iu, vrouwe höre, an15) in gegeben hän:
nu sult ir die eilenden min vil wol genießen län/16)
338 Dö gie diu küniginne, da si Hagen sach.
(2304) wie rehte vintliche si zuo dem recken sprach:
‘weit ir mir geben widere, da? ir mir habt genomen 17),
so megt ir noch wol lebende heim zuo den Bürgenden
körnen/
4) s. die?en. — 2) s. houwen. — 3) wahren Heldenmut. — 4) Günther.
— b) durch. — 6) in Anbetracht, trotz. — 7) obwohl. — 8) piur. — 9) Diet-
rich. io) wenn. — n) frei ließe. — 12) wenn. — 13) daß ich willkommen
bin. 14) würde. — 15) an in: in ihnen. — 16) min (Gen.) genie?en län: von
mir (meiner Freundschaft) Vorteil haben lassen, ihnen meine Freundschaft
durch schonende Behandlung zugute kommen lassen. — 17) den Hort.
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch. 11
162 Eg?»? ELd r-sr? c^s? ztzn r^i- r^r £gj? c^»r cgnft cgi?
339 Dö sprach der grimme Hagne: ‘diu bete ist gar verlorn1),
(2305) vil edeliu küniginne. ja hän ich des gesworn,
das) ich den hört ihti) 2) zeige, die wile da? si leben,
deheiner miner herren, so enwirt er nieman gegeben/
340 ‘Ich bringe? an ein ende,' so sprach da? edel wip.
(2306) dö hie? si ir bruoder3) nemen da den lip.
man sluoc im ab da? houbet: b! bare si e? truoc
für den heit von Tronje. dö wart im leide4) genuoc.
341 Also der ungemuote sines herren houbet sach,
(2307) wider Kriemhilde dö der recke sprach:
‘du hast e? nach dinem willen ze einem ende bräht,
und ist ouch rehte ergangen, als ich mir hete
gedäht.
342 Nu ist von ßurgonde der edel künic tot,
(2308) Giselher der junge, und ouch Gernöt.
den schätz wei? nu nieman wan got unde min5):
der sol dich välentinne immer gar verholn sin.'
343 Si sprach: ‘so habt ir übele geltes mich gewert6).
(2309) so wil ich doch behalten da? Sifrides swert.
da? truoc min holder friedel, dö ich in jungist sach,
an dem mir herzen leide vor allem leide geschach.'
344 Si zöch e? von der scheide: da? künde er niht
erwern.
(2210) dö dähte si den recken des lebenes behern.
si huop e? mit ir banden, da? houpt si im abe sluoc.
da? sach der künic Etzel: dö was im leide genuoc.
345 ‘Wasen,’7) sprach der fürste, ‘wie ist nu tot gelegen
(2311) von eines wibes banden der aller beste degen,
der ie kom ze sturme oder ie schilt getruoc!
swie vint ich im wsere, e? ist mir leide genuoc.'
346 Dö sprach der alte Hildebrant: ‘ja geniu?et sis8) niht,
(2312) da? si in slahen torste9). swa? halt10) mir geschiht,
i) vergeblich. — 2) niht. — 3) Dat. Sing. — 4) Adv. — 5) wan min
(Gen.): außer mir. — 6) Entgelt, Ersatz (für den Hort) gewährt, s. wem.
— 7) o weh! — 8) si es. — 9) s. turren. — 10) Adv.
Kgl? EaSi? Cgi? Cgi? Ca? t^i? ta? Cgi? ggf? Cgi? Cgi? 1ß 3
swie er mich selben brähte in angestliche not,
iedoch so wil ich rechen des küenen Tronjaeres tot/
347 Hildebrant der alte ze Kriemhilde spranc,
(2313) er sluoc der küniginne eines swertes swanc.
ja tet ir diu sorge von Hildebrande1) we.
wa? mäht2) si gehelfen, da^ si vil groezlichen schre3)?
348 Dö was gelegen über al da der veigen4) lip.
(2314) ze stucken was gehouwen dö da^ edel wlp.
Dietrich und Etzel weinen dö began:
sie klagten innecliche beidiu mäge unde man.
349 Diu vil michel ere5) was da gelegen tot.
(2315) die liute heten alle jämer unde not.
mit leide was verendet des küneges höhzit,
als ie diu liebe leide3) ze aller jungiste git.
350 Ich enkan iu niht bescheiden, wa? sider da geschach:
(2316) wan riter unde vrouwen weinen man da sach,
dar zuo die edeln knehte, ir lieben friunde tot7).
hie hat dar; maer ein ende: ditze ist der nibelunge
not.
:) die von Hildebrand drohende Gefahr. — 2) mohte, s. muggen. —
3) s. schrien. — 4) Toten. — 5) Herrlichkeit. — 6) Akk. Sing. Fern. —
7) Akkusativobjekt zu weinen.
11*
104 ^ ^ ^ Kgj? Cäga» t^j? tat C^giV Kgfl taR Rgj? ta?
20. Kriemhild.
Ludwig Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Vd. I, S. 332 ff.,
Stuttgart 1865.
tn der vollständigsten und tiefsten Entwicklung gibt das Nibe-
lungenlied den Charakter Rriemhilds, es löst in sicherem vor-
schreiten die großartige Nusgabe, wie die herrlich aufblühende, jedes
herz gewinnende Jungfrau durch den grausamen verrat, der an ihrer
5 Liebe zu dem edelsten Helden begangen wird, zur furchtbaren Rache-
gättin, zum blutdürstenden Ungeheuer sich verwandelt.
lvie der rote Morgen aus trüben Molken geht Rriemhild
hervor, als Siegfried sie zum ersten Male sieht. In Sommerzeit
und Maientagen war sein herz nie freudenvoller, als da sie an seiner
io Hand geht. Zein jugendlicher Heldenmut, seine Treue, freudige Dienst-
fertigkeit gewinnen ihm das herz derjenigen, die immer ohne Mannes
Minne leben wollte. Rls seine Gattin rühmt sie sich gegen Brün-
Hilden, einen Mann zu haben, dem alle diese Reiche zu Handen
stehen sollten, der herrlich vor den Necken stehe, wie vor den Sternen
15 der lichte Mond.
Darüber erhebt sich der verderbliche Frauenzank, Brünhilds
Schmach ruft um Rache. Rhnungsvoll um den Geliebten besorgt,
entdeckt Rriemhild selbst dem Verräter die Stelle, an welcher allein
Siegfried verwundbar ist. von schweren Träumen geängstigt, weinend
20 ohne Maß, bemüht sie sich vergebens, ihn von der unheilvollen Jagd
zurückzuhalten. Siegfried fällt verblutend in die Blumen, und seine
Erscheinung war nur darum so glänzend herausgeführt, daß ihr frühes
verschwinden um so herber gefühlt werde, daß sie unauslöschlich in
Rriemhilds gequältem Herzen fortlebe. Da wird das schöne Morgen-
25 rot zum sturmvollen Tage, die kurze Zommerlust zum endlosen Ge-
witter. Schonungslos haben sie den Leichnam des Ermordeten vor
Rriemhilds Rammertür gelegt, „von ihr war allen Freuden
mit seinem Tode widersagt." Sprachlos sinkt sie zur Erde, „die
schöne Freudelose"; dann schreit sie, daß all die Rammer erschallt,
30 das Blut bricht ihr aus dem Munde vor Herzensjammer. Sie hebt j
sein schönes, blutiges Haupt mit ihrer weißen Hand. „Dein Schild <
ist dir nicht mit Schwertern verhauen, du liegst ermordet,' wußt' ich, ,
wer es getan, ich riet' ihm immer auf den Tod. XDoIIte Gott," ruft i
das jammerhafte Weib, „wär' es mir selber getan!"
35 Rls der Tote zum Münster getragen ist und Hagen mit t
Günthern zur Bahre tritt, da bluten die Munden, daran der Schuldige $
Eagf? Kg5? Kg»? Cgi? Cagi? C^gä? t>gS? ta? t^gjr Rgj? J({5
erkannt wird. Noch läßt Kriemhild ihren Toten nicht begraben.
Drei Tage und drei Nächte weicht sie nicht von if)m; sie hofft, der
Tod werde auch sie hinnehmen. Bm vierten Morgen wird er zu
Grabe getragen, aber zuletzt noch muß man ihr den Sarg aufbrechen,
daß sie noch einmal sein schönes Haupt sehe,- sie küßt den Toten,
und ihre lichten Bugen weinen Blut. Man trägt sie, sinnlos, von
dannen. So hat sie recht mit dem bittersten Leide sich gesättigt und
den Keim furchtbarer Entschlüsse tief in ihre Brust gesenkt. Sie läßt
sich am Münster eine Wohnung bauen und besucht täglich das Grab
ihres Liebsten,- kein Trost verfängt an ihrem wunden Herzen.
vierthalb Jahre spricht sie nie ein Wort mit Günthern und
sieht in dieser Zeit niemals ihren Feind Hagen. Durch Giselhers
Bitte wird sie endlich bewogen, sich mit Günthern zu versöhnen,
doch unter vielen Tränen. Buch läßt sie, auf das Bndrängen ihrer
Brüder, den unermeßlichen Nibelungenhort, ihre Morgengabe von
Siegfried, zum Nheine bringen. „Wäre sein tausendmal so viel ge-
wesen und sollte Siegfried genesen sein, bei ihm wäre Kriemhild mit
bloßen Händen geblieben." Daß sie durch ihre Freigebigkeit so
manchen Mann in ihren Dienst gewinnt, erregt Hägens Brgwohn,
und er verursacht ihr neue Kränkung, indem er sie des Hortes
beraubt.
Nach dreizehnjährigem Witwentum läßt der mächtige König
Etzel um sie werben. Sie will anfänglich nichts davon hören, und
ihre Klage wird nur erneut. Da erst, als Nüdiger, der Bote der
Werbung, ihr schwört, sie alles des zu ergötzen h, was ihr je ge-
schehen, hofft sie auf Nache für Siegfrieds Tod. „Ich will Euch
folgen," spricht sie, „ich arme Königin." Bm hochzeitfeste selbst
werden ihr die Bugen heimlich naß, in der Erinnerung, wie sie mit
ihrem edeln Mann am Nheine gesessen. Im dreizehnten Jahr
ihres Bufenthaltes bei den Hunnen glaubt sie ihre Macht hinreichend
befestigt, um endlich ihr Leid rächen zu können. Den Voten, welche
abgesendet werden, ihre Blutsfreunde zum Feste zu laden, gibt sie
aus, nichts davon zu sagen, daß sie jemals betrübt gesehen worden,
und besonders den wegkundigen Hagen nicht daheim bleiben zu lassen.
Die Nibelunge folgen der Ladung, ungeachtet mancher
abmahnenden Stimmen und zuletzt noch der Warnung Dietrichs, daß
er Kriemhilden alle Morgen um Siegfried weinen und klagen höre.
Da ist sie erst wieder freudenvoll, als sie, am Fenster stehend, die
mhd. er-getzen (m. Gen.) etwas vergessen machen, entschädigen für.
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166 ^ ^ tzsa Kgj? Eg»? pg« tat tat Rgi? cgi? Kga
Gäste heranreiten sieht. Die Mord ged an Ken, die sie längst im
finstern Busen gehegt, gehen jetzt in üppigem Wachstum auf. Doch
ist zunächst nur auf Hagen ihr Anschlag gerichtet.
Diese zwoh mächtigsten Gestalten, Hagen und Kriemhild, die
5 in ihrem feindlichen Bingen die ganze Heldenwelt mit sich ins ver-
derben reißen, sind einander darin ähnlich, daß sie die scheinbar
widerstreitendsten Eigenschaften in sich vereinigen. Buch in Kriem-
hilden sind Treue und Untreue, doch beide aus demselben Keime,
wundersam gepaart, Treue gegen ihren Toten, Untreue gegen seine
10 Mörder. Sich untereinander kehren Hagen und Kriemhild stets nur
die schneidende Leite zu, und eben daraus erwächst jener ungeheure
Kampf. Ganz entgegengesetzt aber ist in beiden der Umschwung des
Guten und Böfen; Hagen, der mit verrat begonnen, wird größer
und größer in der treufesten Gesinnung, womit er seine Schuld auf
15 sich nimmt, Kriemhild, in Lieb' und Treue aufgeblüht, endigt mit
verrat und Blutgier.
Leit der Ankunft der Uibelunge und dem bittern Willkommen
zwischen ihr und Hagen ist sie unermüdlich, Hader und Kamps zu
stiften, er aber, ihrer Feindschaft hohn und Trotz zu bieten. An
20 der Lpitze ihrer Dienstleute, die sie gegen ihn gewaffnet, tritt sie,
die Krone auf dem Haupte, vor ihn und verlangt Ked}enfci}aft; Hagen
aber steht nicht auf und läßt das Schwert Valmung, das Siegfrieds
war, auf seinem Schoße spielen. Er leugnet nicht den Mord, räch'
es, wer da wolle, Weib oder Mann! Weinend muß sie abziehen;
25 denn keiner der Ihrigen wagt den Angriff. Nachdem sie vergebens
bei Dietrich Hilfe gesucht, reizt sie durch Versprechungen den
Bruders Etzels zum Überfall der Knechte. Sie schont ihres eigenen
Sohnes nicht, Streit im Saale zu erregen. Dem, der ihr Hägens
Haupt brächte, verheißt sie, einen Schild bis zum Nande mit Gold zu
30 füllen, dazu Burgen und Lande. Iring^) springt hinan und schlägt
Hagen eine Wunde; das tröstet ihr herz und Mut, als sie Hägens
Gewand von Blute gerötet sieht; sie nimmt in Dank und Freude
selbst den Schild von Irings Hand. Zum zweiten Male läuft er an,'
doch ist es sein Tod, wie seiner Freunde, die ihn rächen wollen.
35 Noch will Kriemhild ihre Brüder leben lassen, wenn sie Hagen her-
ausgeben. Sie verschmähen es, und nun läßt sie den Saal anzünden.
i) zwei (mhd. zwo f.; m. zwene). — i) 2) Bloedelin. — 3) mhd. Irinc
Lehnsmann des Dänenfürsten Häwart, der verbannt an Etzels Hofe lebt.
Egj? CzSii C^gTc Cgi? C-Si? Cgi? Cgi? Cgi? t^raf Cgi? Cgi? j|J7
Hls auch das Feuer sie nicht bändigt, läßt sie von neuem Gold auf
Lchilden herzutragen, um ihnen Feinde zu werben. Rudi gern
mahnt sie dringend seines Lides und bieteta) sich mit Ltzeln
ihm flehend zu Füßen. Da nun auch er zu den Waffen greift, weint
sie vor schrecklicher Freude. Zchon sind alle erlegen, bis auf Günthern
und Hagen, welche Dietrich ihr gebunden überliefert, mit dem beding
der Schonung. Rls aber Hagen, den sie um den Hort mahnt, ihr
auch dann noch trotzt, trägt sie Günthers abgeschlagenes Haupt am
haare vor ihn und schlägt ihm seines ab mit Liegfrieds Lchwerte,
das allein ihr geblieben, von hildebrand zu Ztücken gehauen,
endet sie mit lautem Lchrei ihr Leben.
Die Verwandlung der minniglichen, tugendreichen Jungfrau, der
„niemand gram war", zur Teufelin ist in dem Rbscheu Dietrichs von
Bern, dieses edeln, reinen Helden, treffend bezeichnet,- beschämt und
verstummend muß sie sich von ihm abwenden, der keinem verrate
dienen will; dahin ist es mit dem herrlichsten Weibe gekommen.
Rber diese furchtbare Umwandlung selbst macht Rriemhilden zum
Gegenstände tiefen Erbarmens,- welch ein Leelenschmerz, der solche
Verwilderung bewirken, welche Liebe, die solchen haß gebären konnte!
„Ziegfrieds Wunden taten Uriemhilden weh," sagt das
Lied. Umsonst hat Hagen gespottet, Liegsried komme nicht
wieder, er sei vor mancher Zeit begraben. Er ist wieder-
gekommen, er hat fortgelebt in Rriemhilds Brust, und sein
Lchwert hob sich rächend in ihrer Hand.
C§üüi3
30. Sagen.
Ludwig UHIand, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Ld. I,
S. 307 ff., Stuttgart 1865.
ärt den Lchluß der Heldenbilder stellen wir denjenigen Charakter,
welcher Eigenschaften in sich vereinigt, die in andern nur einzeln
hervortreten und unter sich durchaus unverträglich scheinen. Es ist
Hagen, der Uibelunge Trost, der Mörder Liegfrieds, der ge-
treuste zugleich und der ungetreuste Mann: der getreuste,
5
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20
5
i) f. Wörterbuch.
168 ^ ^ ^ Cagj? Kgl? tat t^i? Egj? Cgi? pgi? Egj?
stets wachsame für die Macht und Ehre des Königshauses, dem er
als verwandter und Dienstmann verbunden ist, aber aus eben dieser
Treue der ungetreuste gegen jeden, der jenes Haus verdunkeln oder
gefährden möchte. Gegen solche entladet er ganz die finstere, feind-
5 selige Gewalt seines Wesens, all seinen hohn und seine härte, mit
einem Worte den Grimm, wovon er den Beinamen hat. Mit sichrer
Hand, in wunderbaren und doch folgerechten Gegensätzen, ist diese
Doppelnatur durch die Verwicklungen des Nibelungenliedes hin-
durchgeführt.
10 Hagen von Tronje, Bldrians Lohn, wird im Eingang des
Liedes zuerst unter den Necken genannt, die den Ltolz und die Kraft
des burgundischen Hofes ausmachen. Lein Nussehen wird gelegen-
heitlich geschildert: er ist grauenhaft und doch von schönem Leib,
wohlgewachsen, mit breiter Brust und langen Beinen, halbgreisem
15 haar, aber herrlichem Gang,- seine jähen, schrecklichen Blicke verraten
die grimme Linnesarh rabenschwarz, von Edelsteinen funkelnd, sein
Gewand. In früher Jugend war er Geiselh seines Königshauses
bei Etzel. Ihm sind die fremden Reiche kund. Darum, als Lieg-
fried selbzwölfte zu Worms auf den Hof geritten, sendet Günther
20 nach Hagen, um zu erfahren, wer diese Gäste seien: Hagen geht an
ein Fenster und läßt sein Buge nach ihnen wanken^). Obschon er
Liegfrieden nie gesehen, erkennt er ihn doch, erzählt von seinem
Drachenkampf und der Erwerbung des unendlichen Hortes und rät,
den jungen Helden wohl zu empfangen, damit man sich ihm verbinde.
25 Doch als nun Liegfried übermütig hervortritt und Günthern
zum Zweikampf um Land und Krone ausfordert, als die Burgunden
zornig dastehen und Grtwin^) nach Lchwertern ruft, da schweigt
Hagen lange, zum Befremden des Königs,- zuletzt spricht er: „Das
sollt' er unterlassen haben,- meine Herren haben ihm nicht solches
30 zu Leide getan." Zwar wird dieser erste Zusammenstoß beschwichtigt,-
aber schon bemerken wir in Hägens dunkler Leele den Unwillen
über die Bnmaßung des Fremden, die Berechnung, ihn zu benützen,
aber auch die Bhnung, daß solcher Bnfang zum Bösen führe. Bus
Hägens Rat bittet Günther den Gast, für ihn die Lachsen zu be-
1) mhd. gisel stmn. Kriegsgefangener; Bürgjcfjaftsgefangener.
2) schweifen, mhd. wenken swv.
3) Ortwin von Metz, Schwestersohn Fjagens, war am Hofe zu Worms
Truchseß, mhd. truh-saeze, s. Wörterbuch.
cägj? Egj? tat ta? ta? f^gj? cgi? t^i? ta? ta? ta? | ß 9
Kämpfen, und nachher aus der gefährlichen Brautfahrt nach Vrun-
hilden ihn zu begleiten. Hagen selbst entzieht sich keiner dieser
Unternehmungen. Ms Vrunhild, durch Siegfrieds Hilfe besiegt,
Günthern ihre Gewalt einräumt, da freut sich dessen der kühne
Hagen. Die Botschaft nach Worms, wohin er vorausgesandt werden
soll, lehnt er ab und schiebt sie auf Siegfried, der um Uriemhilds
willen gebeten wird. Nachdem diese dem jungen Helden zum Lohn
seiner Dienste vermählt ist, heißen ihre Brüder sie tausend Necken
auswählen, die ihr als Heimgesinde h in Siegfrieds Neich folgen sollen.
Sie sendet alsbald nach Hagen,' aber zürnend erwidert dieser: „Uns
mag Günther niemand auf der Welt geben: ihr kennt doch wohl
der Tronjer Sitte, wir müssen bei den Uänigen hier zu Hofe bleiben;
denen wir bisher gefolgt, sollen wir ferner dienen." Die Boten,
welche nachher ausgeschickt werden, um Siegfried und Uriemhilden
nach Worms zum Feste zu laden, kommen reich beschenkt zurück
und weisen die empfangenen Gaben, Gold und Uleider, vor. „Er
mag leicht geben," spricht da Hagen; „er könnt' es nicht verschwenden,
und lebt' er ewig; den Hort der Uibelunge hält seine Hand
verschlossen; mächte der noch einst in der Burgunden Land kommen!"
Bei dem Feste bricht der Zank der Uöniginnen aus. von
Uriemhilden hat Hagen sich losgesagt, als sie den Hof ihrer Brüder
verlassen; Vrünhilden, der Frau seines Uönigs, ist nun sein Dienst
gewidmet. Zu ihr geht er und fragt die weinende, was ihr sei.
Er gelobt ihr, daß Siegfried ihren Uummer entgelten müsse, und
setzt sein eigenes Leben dafür ein. Den Männern hält er den Schimpf
vor, den Siegfrieds Neden auf das Uönigshaus gebracht. „Sollen
wir Gauche (Uuckucksbrut, Bastarde) ziehen?" fragt er und rät
fortan auf Siegfrieds Tod. wie er Uriemhilden das Geheimnis
von dessen Verwundbarkeit ablockt und die verräterische Jagd an-
stellt, wie er den wein vergißt und den wettlauf nach der Esuelle
veranlaßt, wie er den Waffenlosen hinterrücks durchbohrt und vor
dem Todwunden die Flucht ergreift: darin zeigt er die volle Meister-
schaft der Untreue. „Bll unser Leid und unsre Sorge," ruft er über
dem Sterbenden, „hat nun ein Ende; wir finden keinen mehr, der
uns bestehen dürfte; wohl mir, daß ich seine Herrschaft abgetan!"
Er rastet auch nicht, bis der Nibelungenhort nach Worms gebracht
und die Schlüssel Uriemhilden entrissen sind. „Laßt mich den Schul-
5
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x) Hofstaat, nchd. heim-gesinde stn.
170 ^ ^ pgj? tat tat Cgj? Kgj? Rgi? ta? Cjgi? Cägf?'Pgj? ^
digen sein," sagt er zu dem zögernden Günther. Lr versenkt auch
den Hort im Cheine, da jetzt noch Kein ruhiger Genuß desselben
möglich ist. Er allein widerrät die Vermählung der Witwe an (E^eln;
auch der Fahrt zu den Hunnen widersetzt er sich, bis Gernot und
5 Giselher ihn, der schuldbewußt den Tod fürchte, daheim bleiben
heißen. Da zürnt er und duldet nicht, daß sie ohne ihn fahren.
Numoldh hält ihnen vor, daß Hagen sie noch nie verraten habe.
Hagen reitet nun der Schar zuvorderst, den Nibelungen „ein
helfelicherh Trost." Die Meerfrauen weissagen ihm, daß Keiner zu-
10 rückkommen werde, außer dem Kapellan, und nachdem er, ungläubig
erst, an diesem bei der Überfahrt über den Strom die Probe ge-
macht, schlägt er das Schiff zu Stücken, verkündet die versagte Wieder-
kehr und heißt die Helden sich wafsnen. Huf dem Zuge durch Bayern
übernimmt er die Nachhut und schlägt Gelfratsch nächtlichen Nnfall
15 ab. Seinen lieben Herren heißt er den Kampf verschweigen, damit
sie ohne Sorge bleiben, bis die aufgehende Sonne die blutigen Waffen
zeigt. „Wie konnt'ein Held seiner Freunde besser hüten!"
Ihn schreckt nicht die Warnung des Grenzwächters Eckewarth.
„Mög' uns Gott behüten!" erwidert er,- „wir sorgen um nichts, als
-20 um die Herberge für diese Nacht." Für Giselhern wirbt er um des
gastlichen Nüdigers Tochter, die ihm mit Furcht den Willkommkuß
gegeben. „Sie ist so hoher Blutsfreunde," sagt er, „daß wir ihr
gern dienten, ich und seine Mannen, ginge sie unter Krone bei den
Burgunden." Giselher, der jüngste, edelste und tapferste unter den
25 Brüdern, ist durchaus Hägens Liebling, der in ihm die Blüte des
Königsstammes erkennt,- darum wohl sucht er ihm in dem fremden
Lande die Freundschaft und den Schutz des trefflichen Nüdigers zu
verschaffen.
Je näher die Gefahr hereindroht, um so freier und unerschrockener
30 blickt Hagen ihr ins Nuge. Mit trotzigem hohn erwidert er Kriem-
hildens feindlichen Empfang. Nls sie nach dem horte fragt,
antwortet er, an seinen Waffen hab' er genug zu tragen gehabt.
Ms sie den Gästen die Waffen abnehmen will, erwidert er, das hab'
ihn sein Vater nicht gelehrt, daß eine Königin seinen Schild trage,
Rümolt, der Küchenmeister des burgnndischen Königshofes.
2) hilfreicher; mhd. helfelich.
3) Gelphrät, Fürst in Bayern.
4) Eckewart, der Markgraf.
Cgi? Kgl? taR Cgi? Kgii? Cgi? cgi? Cgi? tat C^StR Cgi? Cgi? Cgi? j 7 1
er wolle selbst Kämmerer sein. Endlich, als er mit Völkern vor
dem Hause sitzt, Kriemhildens Saale gegenüber, als sie mit gewaff-
neter Macht herankommt, er aber nicht vor ihr aussteht und über
seinen Knien das Schwert mit dem grasgrünen Jaspis spielen läßt,
das einst Siegfrieds mar; als sie dann fragt, wer nach ihm gesandt,
und er antwortet, man habe die geladen, die seine Herren heißen;
als sie zuletzt, um ihn vor den Ihrigen zu überweisen, den Mord an
Siegfried ihm vorwirft: da spricht er laut und offen: „was soll des
mehr? Ich bin's, Hagen, der Siegfried schlug; sehr entgalt er,
daß Kriemhilde Brunhilden schalt; ich bin all des Schadens schuld;
räch' es nun, wer wolle, Weib oder Mann!" Sein Absehen
ist fortan nur darauf gerichtet, nicht wehrlos und unvergolten unter-
zugehen. Gleich als Kriemhilde Giselhern allein gegrüßt, band
Hagen sich den Helm fester; in der Nacht vor dem Feste hält er
mit Völkern vor dem Saale, wo die Burgunden schlafen, getreulich
Zchildwache, und schon der Glanz ihrer Waffen scheucht die Hunnen
zurück. Km Morgen, als die Helden sich zum Kirchgang schmücken
wollen, heißt er sie, statt der Kosen die Waffen zur Hand nehmen,
statt der gesteinten Kränze die lichten Helme, statt der Zeidenhemde
die halsberge, statt der reichen Mäntel die weiten Schilde. „Geht
nur zur Kirche, klaget Gott eure Not! Venn wisset, daß der Tod
uns nahet!" Koch verhält er seinen Grimm, bis Dankwarth beim
Mahle blutig unter die Türe tritt und den Tod der Knechte ver-
kündet; da gibt er die Losung des unversöhnbaren Kampfes, indem
er Etzels jungem Sohne das Haupt abschlägt, daß es der Königin
in den Schoß springt. Den Schild auf den Kücken geworfen, tobt er
mit Schwerthieben durch den Saal. Todestrunken kennt er keinen
Kückhalt mehr. Im brennenden Saale heißt er die Dürstenden Blut
trinken. „Das ist in solcher Hitze besser denn wein." von Dietrich
überwältigt und vor Kriemhilden geführt, weigert er sich, ihr den
versenkten Hort anzuzeigen, und als sie ihm Günthers abgeschlagenes
Haupt vorhält, spricht er: „Nun ist ergangen, wie ich mir ge-
dacht: den Schatz weiß nun niemand, denn Gott und ich;
der soll dir. Teufelin, ewig verhohlen sein!" Da gibt sie
ihm mit Siegfrieds Schwerte den Todesstreich.
So erscheint Hagen zwar, gleich jenen andern Ungetreuen, schlau
und hinterlistig, geizig auf den Hort, den er jedem Fremden miß-
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Dancwart, Jagens jüngerer Bruder.
gönnt, zaghaft im Augenblick des vollbrachten Meuchelmordes. Arg-
wöhnisch und behutsam überall, sucht er besonders die rächenden
folgen jener Freveltat durch Vorsicht abzuwenden. Als aber seine
Könige, für die er solche verübt, seinen Rat nicht achtend, dem ver-
5 derben entgegengehen, nimmt er seine Lchuld auf sich und folgt ihnen.
Er hört die Weissagung des Todes, erprobt sie und zerschlägt die
Brücke der Rückkehr Da erst ist sein Heldengeist entbunden,- er
steht dem Schicksal, das er heraufbeschworen, trägt mit
Riesenkraft den brechenden Bau und stürzt, der letzte,
unter den Trümmern.
31. Rüdeger.
Ludwig Uh land, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, Bd. 1, S. 285 ff.,
Stuttgart 1865.
3%$/? ad) dem Tode seiner Gebieterin Heike h wirbt Rüdeger-)
als Etzels Bote um Rriemhilden. Diese läßt sich erst er-
bitten, nachdem er, auch ihr mit allen seinen Mannen zu dienen
und, was ihr Leides geschähe, zu rächen, beschworen hat. Die volle
5 Freundlichkeit seines Wesens zeigt sich in seinem eigenen gastlichen
Hause zu Bechelarn, als er die Burgunden auf der Hunnen-
fahrt beherbergt. hier ist alles heiter, „wonniglich", heimatliche
aufgetan ist die Burg, offen stehen die Fenster an den Mauern,- an
der Hand werden die Gäste in den schönen, geräumigen Bau geführt,
io wo die Donau untenhin fließt und sie fröhlich gegen der Luft sitzen.
Wie das Haus, so die Bewohner, er der beste Wirt, der irgend an
der Ltraße wohnt, dann seine liebe Hausfrau und die schöne Tochter,
deren Ruß die Helden begrüßt. Am wohlbesetzten Tische, bei gutem
Weine geht allen das herz auf. Wie sehr sie sich wehren, müssen
15 sie doch bleiben bis zum vierten Morgen und zum Abschied werden
sie auf das reichlichste beschenkt. Jeder empfängt eine herrliche Gabe,
Waffenkleid, Zchwert, Lchild, Goldringe, die herrlichste der Jüng-
Helche, die erste Gemahlin Ltzels.
°-) Rüedeger, Markgraf zu Bechelären (Pöchlarn an der Donau), Vasall
an Ltzels lfof.
3) mhd. gegen (mit Dativ): hin, zu, nach etwas.
Visa eggj? ta? tzsa ta? c^j? tat Esg»? t^sa c^a tat cgi? j 7 3
ling Giselherh, dem der mildes Wirt seine schöne Tochter verlobt.
Er geleitet dann die Gäste an Etzels hos, wo ihm der herzzer-
reißende Kamps bevorsteht zwischen den pflichten^ dieser
innigen Gastsreundschäst und dem Lide, womit er sich Kriem-
hilden verpflichtet hat. Er soll die verderben, die er in sein Haus
geladen, denen er Trank und Speise samt all seiner Gabe geboten,
welches er läßt und welches er beginnt, so hat er übel getan. Tr
heißt Ltzeln wiedernehmen, was er von diesem empfangen, Land und
Burgen; Weib und Tochter an der Hand, will er zu Fuß ins (Elenö4)
gehen; aber nicht erläßt man ihn seines Zchwures. Da gibt er
Zeel' und Leib an die wage^), daß die Rächerin Kriemhild selbst
darob weinen muß. Zeinen Freunden kündet er Dienst und Gruß
aus, obschon sie ihn der Gastgeschenke mahnen. Wollte Gott, jene
wären daheim am Rhein und er selbst mit Ehren tot! Noch gibt
er seine letzte (Babe; an Hagen, dem der Zchild vor der Hand zer-
hauen ist, vergibt er den seinigen. wie grimm und hartgemut Hagen
ist, doch erbarmt ihn des, er und sein Geselle Volker geloben,
Rüdegern nimmer im Ztreite zu berühren. Rls nun der Markgraf
sich aufgerafft und in die Zchar der Burgunder: gedrungen, trifft er
fechtend auf Gernot, einer fällt von des andern Zchlage, Rüdeger
von dem Zchwerte, das er selbst dem Gegner gegeben. Nie ward
so reiche Gabe schlimmer gelohnt, von ungeheurem Jammer erschallet
Haus und Turm, zergangen ist alle Freude in Hunnenland. Den
grimmigen Rmelungench rinnen Tränen über die Bärte, ein Vater
ist ihnen erschlagen,- ,,säh' ich heute meinen Vater tot, mir würde
nimmer leider," ruft Wolfram h aus,' sie erheben um seine Leiche
den Kampf, in dem sie untergehen.
Mit sichtlicher Liebe verweilen die Lieder bei Rüdegers Tharakter.
Mit den innigsten Worten, in blühendem Bilde, wird seine Milde,
seine Güte gepriesen. Er ist ein Trost der Elenden, ein Vater aller
Tugenden, sein herz trägt Tugenden, wie der süße Mai Gras und
v Giselher der junge (da^ kint), der jüngste von den drei burgundischen
Brüdern (Günther, Gernöt, Giselher).
2) mhd. milte freigebig; vgl. „Bei einem Wirte wundermild, da war ich
jüngst zu Gaste" (Uhland, Linkehr).
3) vgl. Schillers „Wallenstein": Konflikt der pflichten bei Max Piccolomini.
4) mhd. el-lende stn. anderes Land, Ausland, Fremde, Verbannung.
b) setzt aufs 5piel.
6) den Mannen des Amelungen Dietrich von Bern.
7) Wolfwin, einer von Dietrichs Mannen.
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174 Egj» kLT- kL-d Egg? Egg? Egg? ELgr ELg- Egg? Eggr Egg? Egg?
Blumen trägt. „Wie Rübeger erschlagen warb," ist eine ber aus-
geführtesten Rbenteuren, bie rührenbste Darstellung im Nibelungen-
liebe. hier erscheint nicht bloß äußerer Kampf, wo Trotz gegen Trotz,
Kraft gegen Kraft anringt. Die milbesten Tugenben selbst, bie Gast-
5 sreunbschaft, bie Diensttreue, sinb unter sich in ben schmerzlichsten
Wiberstreit geraten, unb bas herz, bas sie ausgeboren, muß in ber
unauflösbaren Verwicklung brechen. Es gilt nicht Leib unb Leben
allein,' baß er bie Seele verliere, hat er auch bas geschworen? Er
ruft zu Gott, ber ihm bas Leben gab, ihn recht zu weisen. Brot
10 unb Wein, Golb unb Tochter, Schwert unb Zchilb, alles hat er
gerne gegeben, bas Leben selbst gäb' er willig hin, aber auch bie
Ehre, bie Treue, bie eigene Seele noch soll er hinopfern. Zeine
Dienstwilligkeit ist ihm zum Fluche geworben, bie Gabe seiner Gast-
freiheit gibt ihm ben Tobesstoß. Diese Empörung von Pflicht
15 gegen Pflicht, von Tugenb gegen Tugenb, biese Zerspaltung
bes ebelsten Herzens, ist ber tiefste Schnitt bes furcht-
baren Geschickes, bas in bem Liebe waltet. Keiner ber
helben versinkt so jammervoll in ben allgemeinen Untergang als
eben bieser, ber Bestgesinnte.
L
Rgj? taR Rgj? ta? C^gjr KLS- EagaV t^ k-Sd t^1 Cgi? j 7,)
Aus der neueren slibelungendichfung.
Die Nibelungendichtung ist der vollständigste,
großartigste Nusdruck, den das deutsche Heidentum
gefunden hat, es ist die bleibende Erbschaft, die
es späteren Geschlechtern vermacht hat.
Wilhelm S ch er ery.
32. Aus Bebbels Albelungen.
(1862.)
Friedrich f)ebbel1 2 *), Sämtliche Werke, historisch-kritische Ausgabe von Richard
Maria Werner, Bd. 4. Die Nibelungen^), Berlin 1901, B. Behr.
Erste Abteilung.
Der gehörnte Siegfried.
Vorspiel in einem Akt.
(Burgund, Worms am Rhein, Rönig Günthers Burg.)
Erste Szene.
Günther.
Erzähl'4) uns was, der Tag
wird sonst zu lang. Du weißt so mancherlei
von starken Recken und von stolzen Fraun.
Hagen.
Nur von Lebend'gen, wenn es dir beliebt,
Daß man sich sagen darf: die Krieg' ich noch,
85* Den vor mein Schwert und die in meinen 6rm!
Volker.
Ich will dir von Lebendigen erzählen,
Und der Gedanke soll dir doch vergehn.
Ich kenn' den Recken, den du nimmer forderst,
Und auch das Weib, um das du nimmer wirbst.
1) Uber das Nibelungenlied, „Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des
geistigen Lebens in Deutschland und Österreich", Berlin, Weidmann, 1874.
2) R. Ul. Werner, Hebbel, ein Lebensbild, Berlin 1905. (In der Samm-
lung von Biographien „Geisteshelden").— A. Bartels, Friedrich Hebbel (Reclams
Universalbibliothek). — ¡3) h. Bulth aupt, Dramaturgie des Schauspiels, Bd. 3,
behandelt auch Hebbel. — R. Iahnke, Hebbels Nibelungen, erläutert und ge-
würdigt für höhere Lehranstalten sowie zum Selbststudium, Leipzig 1903.
A. Neumann, Schulausgabe von Hebbels Nibelungen, Leipzig, Freptag, 1902. —
vgl. auch p. Goldscheider, Lesestücke und Schriftwerke im Deutschen Unter-
richt (Handbuch des Deutschen Unterrichts, hrg. v. A. Matthias, Bd. I, 3, S.184ff.,
S. 289 ff., München 1906). — *) Aufforderung an den Spielmann Volker.
Zählung der Ausgabe Werners.
J
17({ c^?sv r-srr pgj» c^sn r-sL- c^tR c^i? Rigg? c^L- Easy r-LL-
Hagen.
90 Wie! auch das Weib? Den Recken laß ich gelten,
Doch auch das Weib? Du meinst den Schlangentöter,
Den Balmungschwinger, den gehörnten Siegfried,
Der, als er einmal Schweiß vergossen hatte,
Durchs Bad sich deckte vor dem zweiten Wal -
95 Hllein das Weib?
Volker.
Ich sag' dir nichts von ihr!
Du könntest ausziehn, um sie heimzuführen,
Und kämst gewiß nicht mit der Braut nach Haus.
Der Schlangentöter selbst wird sich besinnen,
Gb er als Freier bei Brunhilden klopft.
Hagen.
l00 Nun, was Herr Siegfried wagt, das wag' ich auch.
Nur gegen ihn erheb' ich nicht die Klinge:
Das wär' ja auch wie gegen Erz und Stein.
Glaubt's oder zweifelt, wie es Euch gefällt:
Ich hätt' mich nicht in Schlangenblut gebadet,
105 Darf denn noch fechten, wer nicht fallen kann?
Giselher (zu Volker).
Schon hört' ich tausend Zungen von ihm plappern,
Doch, wie die Vögel durcheinander zwitschern,
Es gab kein Lied. Sprich du einmal von ihm!
Günther.
vom Weibe erst. Was ist das für ein Weib?
Volker.
HO Im tiefen Norden, wo die Nacht nicht endet,
Und wo das Licht, bei dem man Bernstein fischt
Und Robben schlägt, nicht von der Sonne kommt,
Nein, von der Feuerkugel aus dem Sumpf —
(Man hört in der Ferne blasen.)
Trompeten!
Nun!
Hagen.
Gunther.
Volker.
Dort wuchs ein Fürstenkind
115 von wunderbarer Schönheit auf, so einzig,
Uls hätte die Natur von Nnbeginn
haushälterisch auf sie gespart und jeder
Den höchsten Reiz des Weibes vorenthalten,
Um ihr den vollen Zauber zu verleihn.
tagg? Egg? Cgi? Cagj? EagS? Rgit ggi? Cgi? t^i? Kg5? [77
120 Du weißt von Hünen, die geheimnisvoll
Bei dunkler Nacht von unbekannten fänden
In manche Bäume eingegraben sind:
Wer sie erblickt, der kann nicht wieder fort,
Er sinnt und sinnt, was sie bedeuten sollen,
125 Und sinnt's nicht aus, das Schwert entgleitet ihm,
Sein haar wird grau, er stirbt und sinnt noch immer:
Solch eine Hüne steht ihr im Gesicht!
Günther.
Wie, Volker? Dieses Weib ist auf der Welt,
Und ich vernehm's erst jetzt?
Volker.
vernimm noch mehr!
130 So ist's. Bei Eis und Schnee, zur Augenweide
von Hai und Walfisch, unter einem Himmel,
Der sie nicht einmal recht beleuchten Kann,
Wenn nicht ein Berg aus unterird'schen Schlünden
Zuweilen seine roten Blitze schickt'),
135 Ist aller Iungfraun herrlichste erblüht.
Doch ist das öde Land, das sie gebar,
Huf seinen einz'gen Schatz auch eifersüchtig
Und hütet sie mit solcher neid'schen Angst,
Als würd' es in demselben Augenblick
140 vom Meere, das es rings umbraust, verschlungen,
Wo 1 2) sie dem Mann ins Brautbett folgt. Sie wohnt
In einer Flammenburg, den Weg zu ihr
Bewacht das tückische Geschlecht der Zwerge,
Der rasch umklammernd quetschend Würgenden,
145 Die hören auf den wilden Alberich,
Und überdies ist sie begabt mit Kräften,
vor denen selbst ein Held zu Schanden wird.
Günther.
Wie das?
Volker.
Wer um sie wirbt, der wirbt zugleich
Um seinen Tod; denn führt er sie nicht heim,
150 So kehrt er gar nicht wieder heim, und ist
Ts schon so schwer, nur zu ihr zu gelangen,
So ist es noch viel schwerer, ihr zu stehn.
Bald kommt auf jedes Glied an ihrem Leibe
Tin Freier, den die kalte Trde deckt;
155 Denn mancher schon zog kühn zu ihr hinab,
Doch nicht ein einziger kam noch zurück!
1) der Vulkan Hekla auf der Insel Island.
2) in demselben Augenblick, wo.
Li er mann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch.
12
178 ^ ^ egg? Kgj? cas ca? ta? ta?
Günther.
Nun, das beweist, sie ist für mich bestimmt!
pei! Meine lange Brautwahl hat ein Ende,
Brunhilde wird die Königin Burgunds!
(Man hört die Trompeten ganz nahe.)
Was gibt's?
P a g e n (tritt ans Zensier).
Das ist der peld aus Niederland.
Zweite Abteilung.
Siegfrieds Tod.
Ein Trauerspiel in fünf Akten.
Erster 5l k t.
(Isenland, Thronsaal in Brunhilds Burg. Früher Morgen.)
Zweite Szene.
Brunhildp (hoch aufgerichtet, mit starren Flügen).
880 Einst Kommt der Morgen, wo ich, statt den Bären
Zu jagen, oder auch die eingefrorne
Seeschlange zu erlösen aus der paft,
Damit sie den Planeten nicht zerpeitsche,
Die Burg schon früh verlasse. Mutig tummle
885 Ich meinen Rappen, fröhlich trägt er mich,
Ruf einmal halt' ich ein. Der Boden vor mir
pat sich in Luft verwandelt. Schaudernd reiß' ich
Das Roß herum. Ruch hinter mir. Er ist
Durchsichtig. Farb'ge Wolken unter mir
890 Wie über mir. Die Mägde plaudern fort.
Ich rufe: Seid ihr blind, daß ihr nichts seht?
Wir schweben ja im Abgrund! Sie erstaunen,
i) Königin von Isenland. „Vrunhild empfängt auf dem Throne sitzend 6
die Ankömmlinge (Siegfried, Günther, Pagen und Volker). Sie hält Siegfried ö
für den Bewerber, aber er bekennt, nur der Führer Günthers zu fein. Unnötig p
erinnert Brunhild sie an die Bedingungen des Kampfes; sie wissen, was ihnen n
bevorsteht, wenn sie unterliegen. Volker aber, dem es unheimlich ist in diesem ni
düstern Lande, kann es nicht begreifen, daß Vrunhild nicht freiwillig mit ihnen it
ziehen mag. Sie selbst jedoch weiß, was sie damit opfern würde; denn jetzt in m
der Stunde der Entscheidung wird ihr die verheißene Offenbarung zuteil, ver- -r
zückt schaut sie, was ihr bestimmt ist, wenn sie unvermählt bleibt: die Geheim-
nisse der Erde werden sich ihrem Auge erschließen, die Musik der Sterne wird
ihrem Ohre vernehmbar sein und ihr die Zukunft künden, sodaß sie zur ru
Prophetin wird, und der Tod kommt nicht zu der nimmer Alternden" (R. J ahnke s;
a. a. G. S. 8).
EsStR Kgi? t^S? Cagi? Kgj? Pagi? £g=P ELd tai? t^ PgS?
Sic schütteln ihre Häupter still, sie drängen
Sich dicht uni mich herum. Doch Frigga') flüstert:
895 Kam deine Stunde auch? Da merk' ich's erst!
Der Erdball wurde zum Kristall für mich,
Und was Gewölk mir schien, war das Geflecht
Der Gold- und Silberadern, die ihn leuchtend
Durchkreuzen bis zum Grund.
Frigg a.
Triumph! Triumph!
Brunhild.
900 Lin Übend folgt. Nicht gleich, vielleicht erst spät.
N)ir sitzen hier beisammen, plötzlich fallen
Die Mägde um, wie tot, das letzte Wort
Zerbricht in ihrem Munde, mich aber treibt's
Zum Turm hinauf; denn über mir erklingt's,
905 Und jeder Stern hat seinen eignen Ton.
Erst ist es bloß Musik für mich, doch wenn
Der Morgen graut, so murml' ich wie im Schlaf:
Der König stirbt vor Nacht noch, und sein Sohn
Kann nicht geboren werden, er erstickt
910 Sm Mutterleib! Ich höre erst von andern,
Daß ich's gesagt, und ahne selber nicht,
Woher ich's weiß. Bald aber wird's mir klar,
Und bald verbreitet sich's von pol zu pol.
Dann ziehn sie noch, wie jetzt, zu mir heran,
915 Doch nicht mit Schwertern, um mit mir zu kämpfen,
Nein, demutvoll, mit abgelegten Kronen,
Um meine Träume zu behorchen und
Mein Stammeln auszudeuten; denn mein Uuge
vurchdringt die Zukunft, und in Händen halt' ich
920 Den Schlüssel zu den Schätzen dieser Welt.
So thron' ich schicksallos, doch schicksalkundig,
Hoch über allen und vergesse ganz,
Daß mir noch mehr verheißen ist. Es rollen
Jahrhunderte dahin, Jahrtausende,
925 Ich spür' es nicht! Doch endlich frag' ich mich:
Wo bleibt der Tod? Da geben meine Locken
Mir Antwort durch den Spiegel, sie sind schwarz
Und ungebleicht geblieben, und ich rufe:
Dies ist das dritte, daß der Tod nicht kommt!
i) Brunhilds flmme.
-=0cg)0-
12'
180 ^ ^ tigj? pgs? cgi? ta? pgj? cgi? taff Rgj?
Zünsler 6kt.
(3m Dom zu Worms. Siegfrieds Leichnam auf der Bahre.)
Neunte Szene.
Uriemhild <zu Hagen).
2670 hinweg! Ich packte dich mit meinen fänden,
wenn ich nur einen hätte, der sie mir
Zur Nein'gung dann vom Leib herunterhiebe,
Venn waschen wäre nicht genug, und könnt' es
In deinem Blut geschehn, hinweg! hinweg!
2675 So standest du nicht da, als du ihn schlugst,
Die wölf'schen Bugen fest auf ihn geheftet
Und durch dein Teufelslächeln den Gedanken
voraus verkündigend! von hinten schlichst
Du dich heran und miedest seinen Blick,
2680 wie wilde Tiere den des Menschen meiden,
Und spähtest nach dem Fleck, den ich — du Hund,
was schwurst du mir?
Hagen.
Ihn gegen Feuer und Wasser
Zu schirmen.
Uriemhild
Nicht auch gegen Feinde?
Hagen.
Ia-
Vas hätt' ich auch gehalten.
Uriemhild.
Um ihn selbst
Zu schlachten, nicht?
Hagen.
Zu strafen!
Uriemhild.
Unerhört!
ward je, solange Himmel und Erde stehn,
Durch Mord gestraft?
Hagen.
Den Recken hätte ich
Gefordert, und mir ist's wohl zuzutraun,
Allein er war vom Drachen nicht zu trennen,
2690 Und Drachen schlägt man tot. warum begab sich
Der stolze Held auch in des Lindwurms Hut!
Egg? Egg? ta? Kalt egg» Egg? ta? tat Egg? t^i? Egg? pgj? Kat 181
Rriemhild.
Des Lindwurms Hut! Er mußt' ihn erst erschlagen,
Und in dem Lindwurm schlug er alle U)elt!
Den Wald mit allen seinen Ungeheuern
2605 Und jeden Recken, der den grimm'gen Drachen
Ñus Furcht am Leben ließ, dich selber mit!
Du nagst umsonst an ihm! Es war der Neid,
Dem deine Bosheit grause Waffen lieh!
Man wird von ihm und seinem Ñdel sprechen,
2700 Solange Menschen auf der Erde leben,
Und ganz so lange auch von deiner Schmach.
Dritte Abteilung.
Arieinhilds Rache.
(Ein Trauerspiel in fünf Akten.)
vierter Kkt.
(Tiefe Nacht.)
Erste Szene.
(Volker steht und geigt. Hagen sitzt. Die Hennen in verwunderten und aufmerksamen Gruppen um
beide herum. Man hört Volkers Spiel, bevor der Vorhang sich erhebt. Gleich nachher entfällt
einem der Heunen sein Schild.)
Hagen.
Hör' auf! Du bringst sie um, wenn du noch länger
So spielst und singst. Die Waffen fallen schon.
Das war ein Schild! Drei Bogenstriche noch,
4290 So folgt der Speer. Wir brauchen weiter nichts
Als die Erzählung dessen, was wir längst
vollbrachten, eh wir kamen, neuer Taten
Bedarf es nicht, um sie zu bändigen.
Volker (ohne auf ihn zu achten, visionär).
Schwarz war's zuerst H! Es blitzte nur bei Nacht,
4295 Wie Ratzen, wenn man sie im Dunkeln streicht,
Und das nur, wenn's ein Hufschlag spaltete.
Da rissen sich zwei Rinder um ein Stück,
Sie warfen sich in ihrem Zorn damit,
Und eines traf das andere zu Tod.
Hagen (gleichg iiltig >.
4300 Er fängt was Neues an. Nur zu, nur zu!
Volker.
Nun ward es feuergelb, es funkelte,
Und wer's erblickte, der begehrte fein
Und ließ nicht ab.
i) vgl. 4310.
|32 pgj? pgj? tigi? I-gi? pgi? Cgi? Cgi? iigj? C^tR Rgi? Cgi? Cgi?
Hagen.
Dies hab' ich nie gehört! —
Er träumt wohl! Alles andre kenn' ich ja!
Volker.
4305 Da gibt es wildern Streit und gift'gern Neid,
Mit allen Waffen kommen sie, fogar
Dem Pflug entreißen fie das fromme Eisen
Und töten sich damit.
Hagen (immer aufmerksamer),
was meint er nur?
Volker.
In Strömen rinnt das Blut, und wie's erstarrt,
4310 verdunkelt sich das Gold, um das es floß,
Und strahlt in hellerm Schein.
Hagen.
ho, ho! Das Gold!
Volker.
Schon ist es rot und immer röter wird's
Mit jedem Mord. Auf, auf, was schont ihr euch?
Erft wenn kein einz'ger mehr am Leben ist,
4315 Erhält's den rechten Glanz, der letzte Tropfen
Ist nötig, wie der erste.
Hagen.
(D, ich glaub's.
Volker.
wo blieb's? — Die Erde hat es eingefchluckt,
Und die noch übrig find, zerstreuen sich
Und suchen Wünschelruten. Töricht Volk!
4320 Die gier'gen Zwerge haben's gleich gehascht
Und hüten's in der TeufeLaßt es dort,
So habt ihr ew'gen Frieden!
(Setzt sich und legt die Liedel beiseite.)
Hagen,
wachst du auf?
Volker (springt wieder auf, wild).
Umsonst! Umsonst! Es ist schon wieder da!
Und zu dem Fluch, der in ihm selber liegt,
4325 hat noch ein neuer sich hinzugesellt:
wer's je besitzt, muß sterben, eh's ihn freut.
Hagen.
Er spricht vom Hort. Nun ist mir alles klar.
i) (Bergmannssprache) Tiefe.
ta? csgj? Rgi? ta? cgj? cgi? Kgj? ta? t^gi? E=gj? Kgl? 183
Volker (immer wilder).
Und wird es endlich durch den lDechselmord
Huf Erden herrenlos, so schlägt ein Feuer
4330 Daraus hervor mit zügelloser Glut,
Das alle Meere nicht ersticken können,
Weil es die ganze Welt in Flammen setzen
Und Ragnarokeh überdauern soll.
(Letzt sich.)
Hagen.
Ist das gewiß?
Volker.
So haben es die Zwerge
4335 In ihrer Wut verhängt, als sie den Hort
verloren.
Hagen.
Wie geschah's?
Volker.
Durch Götter-Raub!
Odin und Loke hatten aus versehn
Lin Riesenkind erschlagen, und sie mußten
Sich lösen.
Hagen.
Gab's denn einen Zwang für sie?
Volker.
4340 Sie trugen menschliche Gestalt und hatten
Im Menschenleibe auch nur Menschenkraft. ')
vierte Szene.
Rriemhild (zu Günther).
Ihr habt die Treue
4460 Gebrochen, als es höchste Tugend war,
Nicht einen Finger breit von ihr zu wanken,
Wollt ihr sie Haltens, nun es Schande ist?
Nicht die verschwägrung und das nahe Blut,
Nicht Waffenbrüderschaft, noch Dankbarkeit
4465 Für Rettung aus dem sichren Untergang,
Nichts regte sich für ihn in eurer Brust,
Er ward geschlachtet, wie ein wildes Tier,
1) (Altnordisch) „Die (letzten) Schicksale der Götter", Weltuntergang.
2) vgl. das Gesetz der Gespenster, von dem Mephisto Faust erzählt, Goethes
Sämtliche werke, Jubiläums-Ausgabe (Totta), Bd. 13, S. 56 und 57.
3) Rriemhild hatte von Rönig Günther die Auslieferung Hägens gefordert;
Günther hatte sich geweigert.
184 ^ ^ ^ cgi? ta? rai? Ka? ta? cgi? ta? c^tr
Und wer nicht half, der schwieg doch, statt zu warnen
Und Widerstand zu leisten —
(zu Giselher)
Du sogar!
4470 Fällt alles das, was nicht ein Sandkorn wog,
5lls es Erbarmen mit dem Melden galt,
Nuf einmal wie die Erde ins Gewicht,
Nun seine Witwe um den Mörder klopft?
(zu Günther)
Dann siegelst bu die Cat zum Zweitenmal
4475 Und bist nicht mehr durch fugend halb entschuldigt,
(zu Giselher und Gerenot)
Ihr aber tretet bei und haftet mit.
Hag en.
vergiß dich selbst und deinen Teil nicht ganz!
Du trägst die größte Schuld!
Kriemhild.
Ich!
Hagen.
Du! Ja, du!
Ich liebte Siegfried nicht, das ist gewiß,
4480 Cr hätt' mich auch wohl nicht geliebt, wenn ich
Erschienen wäre in den Niederlanden,
Wie er in Worms bei uns, mit einer Hand,
Die alle unsre Ehren spielend pflückte,
Und einem Blick, der sprach: Ich mag sie nicht!
4485 Trag einen Strauß, in dem das kleinste Blatt
6n Todeswunden mahnt, und der dich mehr
Des Blutes kostet, als dein ganzer Leib
Nuf einmal in sich faßt, und laß ihn dir
Nicht bloß entreißen, nein, mit Füßen treten,
4490 Dann küsse deinen Feind, wenn du's vermagst.
Doch dieses auf dein Haupt! Ich hätt's verschluckt,
Das schwör' ich dir bei meines Königs Leben,
So tief der Groll mir auch im Herzen saß.
Da aber kam der scharfe Zungenkampf,
4495 Lr stand, du selbst verrietst es uns im Zorn,
Nuf einmal eid- und pflichtvergessen da,
Und hätt' Herr Günther ihm vergeben wollen,
So hätt' er auch sein edles Weib verdammt.
Ich leugne nicht, daß ich den Todesspeer
4500 Mit Freuden warf, und freue mich noch jetzt,
Doch deine Hand hat mir ihn dargereicht,
Drum büße selbst, wenn hier zu büßen ist.
Kriemhild.
Und büß' ich nicht? Was könnte dir geschehn,
Das auch nur halb an meine Tfualen reichte?
c^gjy g^g? ra? taff Egg? Cagj? cgj? ra? t^j? ta? r-LL- ta?
4505 Sieh diese Krone an und frage dich!
Sie mahnt an ein vermählungsfest, wie keins
Ruf dieser Erde noch gefeiert ward,
Kn Schauderküsse, zwischen Tod und Leben
Gewechselt in der fürchterlichsten Nacht,
4510 Und an ein Kind, das ich nicht lieben kann!
Doch meine Hochzeitsfreuden kommen jetzt,
lvie ich gelitten habe, will ich schwelgen,
Sch schenke nichts, die Kosten sind bezahlt.
Und müßt' ich hundert Brüder niederhauen,
4515 Um mir den Weg zu deinem Haupt zu bahnen,
So würd' ich's tun, damit die Weit erfahre,
Daß ich die Treue nur um Treue brach').
33. Bus Geibels Brunhild.
(1857.)
Emanuel Geibels Gesammelte Werke, Bd. 6, 5. 1 ff., Brunhild.
Line Tragödie aus der Nibelungensage. Stuttgart, Totta 1883.
Zünsler Hufzug.
(Burghof zu Worms.)
Zünsler Huftritt.
(Brunhild, Gemahlin König Günthers, steigt in den Burghof herab. Ihr folgt
die priesterin Sigrun.)
Hagen.
Gebt Kaum der Fürstin!
Brunhild.
Jetzt, ihr Götter, laßt
Den vollen Kelch des Sieges noch mich leeren!
Dann komme, was da will!
(Sie tritt an Siegfrieds Leiche.)
ha, stolzer Mann,
Lernst du nun Demut? hat die Uorne dich
Nun selbst gebändigt, Iungfraunbändiger?
i) Grundgedanke der Dichtung Hebbels: Kriemhild brach Siegfried die
Treue, als sie Etzel heiratete; dies hatte sie nur über sich gewonnen in der 6us-
sicht auf Bache an dem Mörder ihres ersten Gatten. Nun nimmt sie Rache
für die Ermordung des Gatten und für die (hualen, die sie sich selbst auferlegen
mußte, um zu ihrem Ziel zu kommen. Bei ihrer Rache findet sie sich selbst
wieder, sie weiß, daß sie Siegfried treu geblieben ist.
186 ^ Cägi? ^ r-SÄ- ta? tat t^s? c^tk pgj? ta? ta? tai?
Du liebst ja sonst die dunkeln Brautgemächer,
Bist dn gestillt nun, da das dunkelste
Sich vor dir auftut? Traun, wir tauschten jetzt
Die Lose wieder aus — Nun liegst du hier,
Tin schmählich Bild von gestern, mir zu Füßen,
Staub bei dem Staub, und siegreich über dir
Frohlock' ich und —
G Lüge! Lüge! Lüge!
Ich trag' es nicht. — verflucht die Lippe, die
So trostlos prahlen wollte! hier ist nichts,
Nichts, nichts, als grenzenloses Weh! Denn ich
hab' dich getötet! - Wie? habt ihr's gehört,
Und regt euch noch? hat euch Entsetzen nicht
Zu Stein verwandelt? Steht das herz der Welt
Nicht schaudernd still, daß mir die Götter das
verhängen konnten? - Ich hab' ihn getötet!
(D, wenn das Leid einst aller Sterblichen
Gewogen wird, zu Bergen aufgetürmt,
So werf' ich in die andre Schale nur
Dies eine Wort, und jene Berge schnellen
Hochauf wie Flammen, und im Reich des Jammers
Wird niemand Rrone tragen außer mir!
Günther.
Mir graut. Zur Riesin wächst sie, wie sie klagt.
Brunhild.
Es war ein Tag, da hätt' ich froh mein Leben
Gegeben, einmal nur die heiße Stirn
Rn dieser Brust zu ruhn. Und nun — seht her!
Nun klafft hier, bis ans herz hinabgegraben,
Der gräßlich stumme Brunn und quillt und quillt
von schwarzem Blut — und das hab' ich getan!
Nch, nicht wie ihr, in blindem Unverstand!
Nein, nein, ich wußte, was ich tat, und mußt'
Es dennoch tun. — Was war denn Siegfried euch?
Ein Götterbild für dumpfe Maulwurfsinne!
Ich aber konnt' ihn — (D, die Lust der Welt
Ist hin mit ihm und alle Herrlichkeit
Spurlos verweht! Nun kehrt die Sonne selbst
Ihr Nntlitz von der tatenlosen Erde,
Und birgt ihr strahlend Rüg' auf immerdar
In Si^iternis; denn er, für den sie schien,
Ihr schöner Liebling ist nicht mehr zu finden,
Und keines Blickes wert, was übrig blieb!
Günther.
G mäß'ge dich! hör' auf —
l_
Kgj? c¿gs? tañ ta? r^-d Rgj? cagg? pg¥v pgs? tía? ta? r^Ld r-Ld 187
Brunhild.
Ich will von Maß
Nichts wissen. Lang genug verschloß ich schon
Mein selig lodernd Unheil in der Brust;
Doch endlich, endlich, wie der Feuerstrom
Ñus heklas Busen, wallt's und schwillt und bricht
Sich Bahn gewaltsam, und ich halt es nicht.
Ja, wißt es alle: diesen Mann hab' ich
Geliebt! von Ñnfang ihn, und keinen sonst!
hab' ihn geliebt trotz Schicksalsschluß und Sternen,
Und wohl zermalmen mich die Götter,
Doch meine Lieb' entreißen sie mir nicht!
Gunth er.
Um deine Ehre —
Brunhild.
Ehre? Meine Ehre
Ist, daß ich diesem Toten würdig sei,
Und nur mit ihm noch hab' ich's, nicht mit euch.
(wendet sich wieder zu Siegfried.)
G sieh so wild nicht aus den blut'gen Locken,
So starr mich an! lvie gern, huldloser Freund,
Wie gerne hätt' ich sanfter dir gebettet!
Doch du, du wehrtest mir, und rissest selbst,
Du selbst aus Wolken dies Geschick herab.
T>, schrecklicher, als dich der scharfe Stahl,
Traf mich dein Trug, und was ich litt durch dich,
War mehr als Tod. — Doch sieh, nun ist's gesühnt;
Und Liebe, die so lang vom haß das Untlitz
Geborgt, naht dir in eigner Bildung nun
Und schmilzt entwaffnet hin G deine Hand!
Daß ich in heißen Tränen meine Seele
Darauf hinweinen mag!
Thriemhild.
hinweg von ihm!
Zu lange trug ich schon dies Gaukelspiel,
Mit dem du, Wölfin, noch im Tod ihn schmähst,
hinweg, hinweg! Sein Weib gebeut es dir,
Sein Weib, das dich verflucht!
Gifelher.
D Schwester Thriemhild,
Sieh ihren Schmerz, sieh unsern an! wohnt denn
In solcher Trauer keine Sühnung?
Thriemhild.
Ueine.
Die Welt ist gnadenlos, ich ward es auch.
Zurück noch einmal, Weib!
188 ^ ^ ^ Kg« pgff ta? Kgjt Kat ta? pgg? ca? ra?
Brunh ild.
Übst du so streng
vie Leichenwache, Unerbittliche?
Sei's drum. Den letzten armen Liebesgruß,
Den Druck der kalten Hand magst du mir wehren,
Doch meinen Willen hältst du nimmer auf;
Denn stark ist, wie die Götter selbst, die Sehnsucht,
ffi Siegfried, Siegfried, was vermag mich noch
von dir zu scheiden! Nein, nicht mehr im Staub hier,
Dem nur was sterblich eignet, such' ich dich.
Es gibt ein Reich, ein stilles, wo kein Bund
Den andern ausschließt, weil dort Lieb' und haß
Sn göttlichem Erkennen untergehn,
Und alles Große sich gehört. — © dort,
Sn heil'ger Dämm'rung bei den hohen Schatten,
Dort bist du mein, Geliebter! - horch, mir ist,
Ñus dunkler Ferne hör' ich deinen Ruf,
Und wie von Flügeln rauscht es um mich her.
Willst du mich grüßen, oder zürnst du schon
voll Ungeduld, daß ich hier müßig Klage,
Ñnstatt zu tun, was einzig mir geziemt?
Wohlan, du sollst nicht harren! Gib den Stahl! -
Durch Blut und Flammen führt der Pfad hinaus,
Du gingst voran, ich folge —
(Sie durchsticht sich mit Siegfrieds Dolch.)
Nimm mich auf!
Günther.
halt' ein, Unfel'ge! — Weh, zu spät!
Thriemhild.
Fahr hin!
Ein ©pfer sparst du mirs doch mehr sind not,
Und kein's soll fehlen. Das ist meine Treue.
Günther (über Brunhilds Leiche gebeugt).
© Tod, wie schwelgst du heut in edlem Blut!
ñuch du dahin, du mit der ñdlerseele,
Mein stolzes, wildes, königliches Weib!
So jung, so schön und ewig glücklos doch!
Weh, weh um dich!
5 igr un.
Was klagt ihr um die Toten,
vie ihr beneiden solltet! Gnädig hob
Ñus allem Wirrsal sie ein Gott empor,
Und ihr gereinigt Los empfängt das Lied.
Nein, klagt um euch! Venn über eure Häupter
hängt unverhüllt noch, wie Gewitterlast,
Der Fluch herab. —
(Glühendes Morgenrot am Fimmel.)
ha, seht, o seht, wie's dort
Im Osten düsterrot empor sich wälzt!
Im Wolkenbrande kommt das Bild der Zukunft -
(In prophetischer Begeisterung.)
ha, welch ein Fest! Durch umgestürzte Becher rast
Der Todesreigen, hört ihr nicht den Schwertgesang?
In Feuerflammen steht der Saal, hoch türmen sich
Die Leichen, an den Wänden schwillt das Blut hinan,
Und kein Entrinnen, nirgends, keine Flucht! — Und nun
Wird's totenstill. Geschnitten liegt die ganze Saat.
Nur Eine wandelt riesig noch durchs Haus des Nlords,
Vas Schwert geschultert, blutbetrieft. Sie hält am haar
Ein abgeschlagnes, kronumreiftes Haupt empor,
Und zeigt's dem letzten, der von allen übrig blieb.
Nun schlingt auch die der rote Strom. — Weh über euch!
Das ist der Nibelungen Not und Untergang!
Hagen.
Sei's drum. Ich denk', als Männer tragen wir auch das.
34-. ñus Jordans slibelunge.
(1867.)
Wilhelm Jordan, Die Nibelunge. Erstes Lied. Sigfridsage. Zweiter Teil.
15. ñufl. Frankfurt a. M. 1904.
Versöhnung Rriemhilds und Brunhilds an der Leiche Siegfrieds.
Brunhilds Dpfertod.
(Ñus dem 24. Gesang.)
herüber vom Rhein aus den Weiden am Wasser
Erklangen wie Ulage die tiefsten Töne
Der Nachtigallweise. Nicht wonniges Werben,
Nicht jodelndes Jauchzen, wie wann voll Jugend
Der Frühling erwacht, nein, die Wehmut schon war es
Des leidvoll bezaubernden, langhingezogenen,
Letzten Liedes, daß Lenz und Liebe
Ermatten, verstummen und sterben müssen,
Wann zum sengenden Sommer die Sonne sich wendet.
Die Nachtigall flog zu Nest und verstummte;
Denn vernehmlich hinunter im Rhein kam ein Nachen,
Und die Ruder tönten in ruhigem Takt.
190 ^ ^ cgi? ta? pgit kL-d Kgj? pgj? pgj? cgi? egg» c^g«? c^r?
Ein armes Fischerweib führte sie rüstig,
Um beim Nahen des Morgens die Nachtschnur zu heben
Und die Neusen') von Nohr am Nande des Wörths ft.
Beider einsamen Nrbeit gedachte die ärmste
In Trauer des jüngst ertrunkenen Gatten,
Den man nirgend gefunden, soviel man geforscht.
Sie klagte den Lüften ihr Leid in dem Liede,
Das sie vielmals vernommen beim neulichen Feste,
Und verständlich herauf durch die Stille des Morgens
Erklang zum palaste der Nlagegesang:
Nie rufst du zurück mich
Nus Tiefen des Todes.
N)as du liebst, mußt du lassen,
Und das Leid nur ist lang.
O Balder 0, mein Buhle,
N)o bist du verborgen?
Gib Nachricht, wie Nannaft
Dich liebend erlöst.
heilige Rührung durchrauschte die kftrzen
Der beiden Frauen. Sie schauten fragend
Einander ins Rntlitz In ihren Rügen
Bestrahlte das Sternlicht strömende Tränen.
Und leise, doch hörbar, hauchte Nrimhilde,
Zum Toten gewendet: „Nein Tadel, Geliebter,
Durchschallet dein leuchtendes, schönes Nntlitz.
Ja, du hörst, was im kftrzen Nrimhildens vorgeht,
Und die Regung muß recht sein, denn du bist ruhig?'
So streckte sie endlich, noch halb widerstrebend,
Brunhilden die k)and hin ob Sigfrids Haupte.
„Ich weiß deine Wahl auch ohne Worte,"
Sprach Brunhild leise. „Mir willst du lassen
Das leichtere Los. Ich darf dem Geliebten
Das rettende Wort, zum Ritt gen Walhall
Den Gram") bringen und — deine Grüße."
„Und ich gelobe," rief laut nun Nrimhilde,
„Was im Leben dein letzter Tag erst mich lehrte,
Deinem Sohn") zu vergelten, du große Seele.
1) Reuse, die: geflochtener Behälter zum Fischfang.
2) Flußinsel, vgl. der Werder, mhd. wert, — cles stm., noch heute in
Ortsnamen wie Naiserswerth, Marienwerder.
d) Baldr (an. „Herr"), Sohn Odins und Friggs.
4) Balders Weib.
b) In der nordischen Mythologie Sigurds Roß.
6) Helgi.
Egj? Egg? pgj? taj Cdgj? Cgi? tai? Cgi? Kagj? t^i? ^lf 1
Laß ihn mir als Vermächtnis; mit Muttertreue
Ihn zu hegen und pflegen, fall mir heilige Pflicht fein,
Hls hätt' ich ihn felbft von Sigfrid geboren!" —
stls der Morgen erwacht war, da fchauten verwundert
Der alte Eckart und die anderen alle,
Die voll Neugier genaht, wie ruhig und neidlos
Diese beiden verbunden zum letzten Bade
Den Sigfrid trugen und alles getreulich
Zusammen besorgten, was Satzung und Sitte
In leidvoller Nndacht als letzte Ehre
Teuren Toten zu tun gebieten.
Rls das Rüge der lvelt feine Wimpern aufschlug,
Die rosigen Wolken des östlichen Randes,
Da faß schon Sigfrid im fichtenen Sessel.
Der mächtige Holzstoß war herrlich behängen
Mit fürstlichem Schmuck und Waffengeschmeide.
Da strahlte sein Helm, sein vergoldeter Harnisch,
Der gebuckelte Schild und der scharfe Balmung.
Die Fackel flog in den dornengeflochtnen,
Umschließenden Zaun, und rasch entzündet
Leckte gen Himmel die lodernde Lohe.
Da trat an den Thronsitz zur trauernden Witwe,
Um die Schläfen den Helm der Schlachtenjungfrau,
Die mächtigen Schultern von Maschen umfchimmert,
Doch über der Brust die Brünne offen,
Brunhild heran und bracht' ihr den helgi,
Und die Uöniginnen küßten einander.
Dann, ehe nur einer die Rbficht ahnte,
Mit gewaltigem Sprung durch die sprühende Flamme,
Saß sie im Sattel Granis und setzte
In die höhe mit ihm auf den breiten Holzstoß.
Da sticht sie dem Hengst ihren Stahl bis ins herz,
Und während er stirbt mit stolzem Gewieher,
Bohrt sie den Balmung in ihren Busen,
Drückt auf die Lippen des endlos (beliebten
Den verspäteten Ruß der gesühnten Walküre
Und ruft noch im Sterben mit lauter Stimme:
„Nun sind wir, o Sigfrid, beisammen auf ewig."
192 ssgj? cgi? r-srr cgi? cgi? cgi? cgi? cgi? cgi? cgi? cgi?
35. Aus Dcihns Ulcirkgrcif Rüdiger.
(1875.)
Felix Dahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts. Bd. 20, 5. 81 ff. Mark-
graf Rüdiger vonBechelaren. Lin Trauerspiel in fünf Rufzügen. Leipzig,
Breitkopf und Härtel, 1898.
Die Mission Dietrichs von Bern.
fünfter Kufzug.
(Hof in Etzels Burg.)
Dreizehnte Szene.
hilde brand h (das Tor öffnend).
Der Vogt von Bern!
Krimhild (frohlockend zu Uonrad) 1 2).
Siehst du den Engel mit dem Flammenschwert?
(3u Dietrich) Herr Dietrich, laßt die Hölle nicht frohlocken!
Konrad.
vom Himmel fallen schamrot sonst die Sterne,
Die das mit ansehn müssen.
(Dietrich schweigt und bleibt im Hintergrund.)
Etzel.
Vogt von Bern:
Wollt Ihr den Mörder Siegfrieds siegen lassen?
Ihr Könnt ihn zwingen.
Dietrich (tritt langsam ganz vor).
Ja, ich Kann's und will's.
Doch, König Etzel, die Bedingung höre:
Gebrochen ist durch diesen grausen Kampf
In deiner Hand die Gottesgeißel schon,
Die lang du über edlen Völkern schwangst:
So gib, was du nicht mehr mir weigern kannst,
heisch' ich's durch Krieg — gib willig mir's im Frieden,
Zum freien Lohn für meine freie Tat.
Etzel.
So nenne deinen Preis.
Dietrich.
Den Rest der heunen
Führ' ostwärts in die Steppen, d'raus ihr kamt:
Gib alles Volk mit goldnem haargelock
Und blauem Rüg', das meine Zunge spricht,
Gib alle Völker der Germanen frei.
1) Waffenträger Dietrichs von Bern, des Königs der Gstgoten.
2) Meister Konrad, Mönch im vonaukloster, Lehrer Vietlinds, der Tochter
Rüdigers.
L_
Eagj? CäSri? Cagi? Egj? tL-d KLL- l^Ld Egi? Egg»? Egg»? J93
Ltzel.
Was forderst du!
Dietrich.
Was ich erzwingen kann.
l) a g e n (erscheint, Günther mit dem Lrzschild stützend).
Komm, König Günther, sieh, das Tor steht offen!
Den wunden Ltzel töt ich, treff' ich ihn:
Dann mag Frau Krimhild wieder sieben Jahre
Ruf Rache sinnen. Komm!
Ltzel.
Hilf, Vogt von Bern!
Und nimm, was du begehrst.
klagen (erblickt den hinter dem Grabmal der llönigin Freiste hervortretenden Dietrich.)
Halt! König Günther!
» Der Vogt von Bern in Rmalungenwaffen: -
Jetzt kömmt der Tod!
Günther (im Zurückgehen).
Lr ist mir längst willkommen.
Dietrich.
Bereust du, Hagen, nun Herrn Siegfrieds Mord?
Blut war die Saat: — blick' um dich, sieh die Lrnte!
Hagen.
Die Reue ist der Rarr'n; ich tät's nochmal.
(Lr geht zurück in den Saal.)
Dietrich (zieht und folgt ihm rasch die Stufen hinaufeilend.)
So stirb! —
Ltzel (zu llrimhild).
Ruf deine Frau'n herbei, — tot sind die Männer -
Daß sie verbrennen dieses Königshaus
Mit allen Toten —; denn wir ziehn gen Osten.
Krimhild.
Sprich, König Ltzel — nie fragt' ich bisher -
Warum dein Weib ich ward, — wir wissen's beide —-
Etzel.
Wir wissen's furchtbar klar!
Krimhild.
Jedoch warum
Ward'st du mein Mann? Du hattest breite Wahl!
Du hatt'st mich nie gesehen, noch geliebt;
Warum erkorst du Siegfrieds Witwe grade?
Ls kam die Zeit, da alles mag gesagt sein.
Li ermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch.
13
Etzel.
Entsetzlich haben sie nun Recht behalten,
Die hundert Priester, die ich dir geopfert!
Sie prophezeiten: „Wenn du Krimhild wählst,
Im ersten Jahr den Erben bringt sie dir . . .
Krimhild.
Ich bracht' ihn dir.
Etzel (aus das Schlafhaus deutend).
Dort liegt er tot, — ermordet! —
„Und einen Kampf, so groß wie nie auf Erden
Noch einer ward gekämpft, wird sie entzünden.
Und wird ihn sieghaft enden."
Urimh ild.
So geschah's!
Etzel.
Ja, fo geschah's; und Etzels Reich ist aus.
Dietrich (langsam herabsteigend, das Schwert in der Scheide, den Balmung in der tjand).
Gebunden sind sie beide, Königin,
Rn einen Pfeiler — hier ist Hägens Schwert.
Krimhild (jauchzend den Balmung schwingend).
Willkommen, Balmung, in Krimhildens Hand!
(Sie stürmt die Treppe hinauf in den Saal: Uonrad folgt ihr bis an den Eingang und späht ihr nach.)
Etzel (groß und feierlich).
Lin halb Jahrtausend sank der Römer Reich,
Bis daß es fiel; in einer kurzen Woche
Zerbrach in Brand und Blut der heunen Macht.
Konrad (von oben).
Erschlagen sind sie: König Günther, Hagen!
Und selbst ins Schwert warf Frau Krimhilde sich.
Etzel.
Mein Sohn, mein Heer, mein Reich und jetzt mein Weib!
G birg den müden Etzel, Heikes *) Grab.
(wirft sich auf die Stufen.)
(Zu Dietrich) Ruf Euren Schultern ruht fortan die Welt.
Dietrich.
Ich nehm' sie auf — für der Germanen Volk!
(Zu ljildebrand.)
Herolde laß in alle Lande ziehn
Und allen Völkern heil'gen Frühling künden.
t) Heike, Etzels erste Gemahlin.
Rgj? ggs? Rgi? Kgi? cgi? iigj? kLS- Kg«? CzSH t^i? Kg¥? 195
3n Blut versank der blut'gen Nibelungen
Geschlecht; der Kennen Joch und Geißel brach,
Und hoch und leuchtend hängt der Gotenkönig
Zu Bern den Heerschild starken Friedens auf,
Oer ñmalungen unbefleckten Schild;
Gerächt ist Siegfried und die Welt ist frei.
rcrsnn^n
36. Der Drei chenich lei ger.
Felix Oahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts, Bd. 17, Gedichte, Zweiter
Band, 5. 162, Leipzig 1898.
ie Trauer barg in schweren Gewölben das Land am Rfyeirt:
Der Drache trug Regehren nach des Königs Töchterlein.
Man konnte sie nicht versagen des wilden Wurmes Gewalt:
Die Helden lagen erschlagen, der König war viel zu alt.
Die schwarze Trauerfahne, sie wallte weit ins Land,- 5
Ruf hohem Turmaltane die schöne Jungfrau stand:
„Jährt wohl nun, Kosen und Keben! Jahr wohl, du rauschender Rhein!
Run muß mein junges Leben in den Tod gegeben sein."
Da nach dem Königsschlosse ein schimmernder Reiter ritt;
Tr ritt auf weißem Rosse, drei Lchwäne flogen mit. 10
„Run laßt das Trauern und Klagen, nun wird das Weh gewandt;
Ich werde den Lindwurm schlagen, Liegfried von Riederland.
Ñus eitel Sonnenlichte geschmiedet ist mein Schwert,
Vor mir wird all zu nichte das Rachtgewürm der Erdh".
osggsg
37. Ried Siegfrieds.
Felix Dahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts, Bd. 1b, Gedichte, Erster
Band, 5. 260, Leipzig 1898.
kehrt das Schiff empor den Rhein
Und kränzet Helm und Schilde: —
Du, Jalke, sollst mein Rote sein,
Mein Rote zu Krimhilde.
i) Dgl. .Siegfrieds Schwert, von Ludwig Uhland" (Liermann - prigge,
Deutsches Lesebuch für Sexta).
13*
196 ^ ^ pjg»? tat pgj? tat Cgj? tat Ca£f? Rgj? tags? Cgi?
2. Nun sprich: „Frau, gib mir Botenlohn:
Die Lachsen sind geschlagen,
Und eine neue Königskron'
Mag König Günther tragen.
3. Dein Siegfried zwang die Fürsten zwar,
Ihn hat das Glück getragen: —
Doch der das Beste tat, das war,
Das war von Tronje Hagen."
4. hei, schlug er in die Zachsenmacht,
Wie Blitz schlägt in die Eichen:
Mein ganzes herz hat ausgelacht
Bei seinen stolzen Streichen.
5. Ei, Leudeger und Leudegast,
Getrost, gefangne Fürsten: —
Ihr seid bei Siegfried jetzt zu Gast,
Ihr sollt, bei Gott, nicht dürsten.
6. habt nicht des Kampfs zu schwere Neu'!
Man wird euch nicht erwürgen,
Wie Gold ist König Günther treu: —
Ich, Siegfried, will'? verbürgen.
7. Er kennt nicht Neid noch Übermut,
Er ist mir wie ein Bruder,
Wer ihm vertraut, der trauet gut. —
Nun auf und rührt die Nuder!
8. Und Silber streut ins Sand und Gold
vollauf aus unsrer Beute:
Sie soll'n uns alle werden hold
von hier bis Worms, die Leute.
9. Und schmücket Segel, Nah' und Mast
Mit Kranz und Laubgewinden,
Nls käm' ein Götterzug zu Gast
Zu frohen Menschenkinden.
lO. Ich sing' mit Heller Melodei,
Das Steuer führet Hagen,
Und Volker soll uns von Nlzei
Dazu die Harfe schlagen.
Egg? Egg? taff ta? ia? Cgi? ia? tat Egg? Kgff Egg? ] () 7
38. Krimhilde.
(Lmanuel Geibel zugeeignet.)
Felix vahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts, Vd. 16, Gedichte,
Erster Land, S. 261, Leipzig 1898.
MMuf dem Söller stand Krtmfytlbe, sah ins braune Heideland,
SWÍS> Helme blitzten, Speer und Schilde von dem fernen Hügelrand.
Ñus der Stirn die seuerblonden Socken strich die weiße Hand:
„Seid willkommen, ihr Vurgonden-Gäste in Krimhildens Sand!
Sieben Jahre mächtig, mächtig hab ich diesen Tag ersehnt:
Schwer alltäglich und allnächtig hat mein harren sich gedehnt.
Wann ich von des Hennen Munde Kuß auf Kuß mit Schaudern trug,
Dacht' ich schweigend an die Stunde, die nun endlich zögernd schlug.
König Etzel, zu den Waffen, den man Gottesgeißel nennt!
Nun den Vrautschatz sollst du schaffen, der in Glut und Zeuer brennt.
Nicht umsonst gab ich dem größten Waffenkönig diesen Setb;
Rache, Rache soll mich trösten, wie sie nie genoß ein Weib.
Sieh, es scheuet, König Günther, hoch dein Hengst vor meiner Brück':
Klopfe nur den hals ihm munter h, - niemals trägt er dich zurück.
Ñls mein Siegfried ritt zu jagen, hat auch ihm nicht bang gegraut,
Und du hast ihn doch erschlagen, der so arglos dir vertraut.
Seh' ich recht? Ja, das ist Hagen! Traun, ein Gott nahm ihm
den Sinn:
Konnt er sonst ins Sand sich wagen, wo Krimhilde Königin?
Magst dein Haupt so hoch du tragen wie die höchste Tann' im Hag:
Diese Hand soll's niederschlagen, die auf Siegfrieds herzen lag.
Ñber dort auf weißem Pferde, — frei sein Goldhaar spielt im Wind —
Mit der freundlichen Gebärde, - das ist Giselher, das Kind.
(D mein Bruder mild von Sitten, mit den Wangen weiß und rot,
G was bist du mitgeritten zu Krimhildens Gastgebot!
Sieh, sie steigen von den Rossen: — Hagen auch: - sie sind herein: —
Dumpf hat sich das Tor geschlossen: alle, alle sind sie mein."
i) vgl. (Egmonts Ñnkunft bei ñlba (Goethes Egmont, vierter Ñkt).
198 ^ ^ Rgj? t^j? pga tat Kgl? r-ssr tat ta? Kgj?
30. Volkers llcicktgelcing.
(Emanuel Geibel, Gedichte. Dritte periode, 7. Kufl. 5. 171.
Stuttgart, Cotta, 1863.
iSpte lichten Sterne funkeln
1.
Oxf> hernieder kalt und stumme
von Waffen klirrt's im Dunkeln,
Der Tod schleicht draußen um.
Schweb' hoch hinauf mein Geigenklang!
Durchbrich die Nacht mit klarem Sang!
Du weißt den Spuk von dannen
Zu bannen.
2. Wohl finster ist die Stunde,
Doch hell sind Mut und Schert;
Sn meines Herzens Grunde
Steht aller Freuden Herd.
(D Lebenslust, wie reich du blühst!
O Heldenblut, wie kühn du glühst!
Wie gleicht der Sonn' im Scheiden
Ihr beiden!
Z. Sch denke hoher Ehren,
Sturmlust'ger Sugendzeit,
Da wir mit scharfen Speeren
hinjauchzten in den Streit,
hei Schildgekrach im Sachsenkrieg!
Nuf unsern Bannern saß der Sieg,
HIs wir die ersten Narben
Erwarben.
4. Mein grünes heimatleben,
Wie tauchst du mir empor!
Des Schwarzwalds Wipfel weben
herüber an mein Ghr,-
So säuselt's in der Nebenflur,
So braust der Nhein, darauf ich fuhr
Mit meinem Lieb zu zweien
Sm Maien.
Kgj? Kgj? Egj? £ggj? Pgi? Kgi? Ca£5? Pgüt r<gi? Cgj? Cagj? pgii j ¡)<(
5. ® Minne, wundersüße,
Du Rosenhag in Blustx)
Ich grüße dich, ich grüße
Dich heut aus tiefster Brust!
Du roter Mund, gedenk' ich dein,
Es macht mich stark wie firner2) wein,
Das sollen heunenwunden
Bekunden.
6. Ihr Uön'ge, sonder Zagen
Zchlaft sanft, ich halte wacht,-
Ein Glanz aus alten Tagen
Erleuchtet mir die Nacht.
Und kommt die Früh' im blnt'gen Uleid:
Gott grüß' dich, grimmer Zchwerterstreit!
Dann magst du, Tod, zum Neigen
Uns geigen!
40. ßagens Sierbelied,
Felix Dahns Sämtliche Werke poetischen Inhalts, Bd. 16, Gedichte,
Erster Band, S. 262, Leipzig 1898.
^d^un werd' ich sehr alleine! - Die Fürsten liegen tot: —
Wie glänzt im Mondenscheine der Estrich3) blutig rot! —
Die fröhlichen Burgunden, wie sie nun so stille sind!
Ich höre, wie aus wunden das Blut in Tropfen rinnt.
Es steiget aus dem Hause ein Dunst vom Blute schwer, 5
Bchon kreischen nach dem Ichmause die Geier ringsumher.
Es schläft der Uönig Günther in fieberwirrem Zchlaf,
Zeit ihn vom Turm herunter ein spitzer Bolzen traf.
Blüte (inhd. bluost stf.).
2) vorjähriger, alter wein (mhd. virne adj. alt).
3) Fußboden (nihd. esterich, esterich, estrich stm. mit Steinen ausgelegter
Fußboden).
5
10
15
20
25
200 ^ ^ ^ pgit Egj» cgi? Kga Rgj» Kggj? r^s- Kgf? Rgl?
Und Volker liegt erschlagen; er lachte, wie er fiel:
„Nimm all mein Erbe, Hagen, nimm du mein Saitenspiel!"
Er trug, vor heunentücken geschirmt, die Fiedel traut
Huf seinem sichern Nucken, den nie ein Feind geschaut.
Sie scholl wie Nachtigallen, wenn Volker sie gespannt;
lvohl anders wird sie schallen in meiner harten Hand.
vier Saiten sind zersprungen, - drei haften noch daran! -
Ich habe nie gesungen, ich bin kein Fiedelmann. -
Doch treibt mich's zu versuchen, wie Hägens weise geht:
Ich denk', ein gutes Fluchen ist auch kein schlecht Gebet!
So sei'n verflucht die Weiber, Weib ist, was falsch und schlecht:
hier um zwei weiße Leiber verdirbt Burgunds Geschlecht.
Und Fluch dem Wahngetriebe von Sitte, Liebe, Recht:
Erlogen ist die Liebe, und nur der haß ist echt.
Die Neue ist der Narren! Nur das ist Ntmens wert,
Im Tod noch auszuharren beim Groll, beim Stolz, beim Schwert.
Und hätt' ich zu beraten neu meine ganze Bahn, -
Ich ließe meiner Taten nicht eine ungetan.
Und käm', der Welt Entzücken, ein zweiter Siegfried her, -
Ich stieß' ihm in den Nucken zum zweitenmal den Speer!
was reißt ihr, feige Saiten? versagt ihr solchem Sang?-----------
ha, wer mit mächt'gem Schreiten kommt dort den Hof entlang?
Vas ist kein heunenspäher, das dröhnt wie Schicksalsgang,
Und näher, immer näher: - ein Schatte riesenlang. -
Nus, Günther, jetzt erwache, den Schritt kenn' ich von fern:
Nuf, auf! - der Tod, die Nache und Dietrich kommt
von Bern!
Kgj? cgi? Cjgj? cgi? Egjft r-LH Kgj? r-ss- egli gagj? l<Ld ligi? r-SL- 201
B. Das Gedicht von Gudrnn.
(Um 1200.)
Lin würdiges Zeitenstück zu den
Nibelungen, eine deutsche Gdpssee neben
der deutschen Ilias.
Lrnft Martin.
4-1. Anheilt des Gudrunliedes1).
5l. F. L. Vilmar, Geschichte der deutschen National-Literatur, 18. klufl. S. 94 ff.
Marburg und Leipzig 1877.
er Sagenkreis der Nordsee hat zwar nur ein Gedicht, von
dem wir wissen, auszuweisen, aber eins, welches viele andere
aufwiegt: das Lied von Gudrun, diese „Nebensonne
der Nibelungen." Linen eigentümlichen Reiz gewährt dieses
Lpos schon durch den Horizont, den es um uns ausspannt — es ist 5
die See mit ihren Wogen, ihren Stürmen, ihren Schissen, mit ihren
Seekönigen und deren Fahrten — einen weit Hähern Neiz durch die
äußerst gehaltene, zarte und feine Schilderung eines edlen Frauen-
charakters, der das hervorstechendste Bild in diesem Heldengemälde
ist, sodaß es von der Heldin Gudrun bereits in alter Zeit den Namen 10
erhalten hat...........
Sn diesem Gedichte ist die Sage von drei Generationen ent-
halten: von Hagen, dem König von Irland, und dessen Jugend-
geschichte, von der Werbung des Friesenkönigs hettel um dessen
Tochter Hilde und endlich von Gudrun, der Tochter von hettel 15
und Hilde. Sn der Erzählung von hettels Werbung um Hilde tritt
uns vor allem die Schilderung des Gesanges des Stormarn ^-Königs
horant als eine altberühmte, bei unsern nordischen Stammesver-
wandten wie bei uns vielfach erwähnte und dargestellte Sage ent-
gegen. Die Abgesandten des Königs hettel, horant und seine Mannen, 20
Frute und Wate, haben bei dem SrlandsköNig Hagen Zutritt
erlangt, um seine ängstlich von ihm gehütete Tochter Hilde für ihren
verwandten hettel zu gewinnen, und schon haben die beiden gewal- 1 2
1) vgl. die Inhaltsangabe von Ludwig UHIand (Liermann-Vilmar,
Deutsches Lesebuch für Untertertia, Nr. 13. Gudrunsage.) — Zu der Zage vgl.
(D. L. Iiriczek, Deutsche Heldensage (Sammlung Göschen), U. 3ehme, Ger-
manische Götter- und Heldensage. Unter Unknüpfung an die Lektüre . . . dar-
gestellt, Leipzig, Freptag 1901, und Fr. panzer, Hilde-Gudrun, eine sagen- und
literargeschichtliche Untersuchung, Halle 1901.
2) Landschaft in Schleswig-Holstein.
202 ^ ^ Pgit Cggj? r-SU- Kgft tat 172-4? Cäsii Kgfl £gj? ia?
tigen Kriegshelden Frute und Mate sich das vertrauen des Königs
sowie Mate wenigstens das scherzende Mohlwollen der königlichen
Frauen erworben — Mate, der breitbärtige riesige Held, bequemt
sich, bei den Frauen sich niederzulassen, und diese fragen ihn scherzend,
5 wie er ernst dasitzt, bunte Borten um das dichtbehaarte Haupt ge-
wunden, was ihm wohl lieber sei, bei schönen Frauen zu sitzen oder
in hartem Streit zu fechten. Und der mächtige Kämpe, der in der
Schlacht wie ein wilder Eber limmeteh, antwortet ohne Besinnen:
wohl dünke es ihm gut, bei schönen Frauen zu weilen, aber doch
io noch viel sanfter'), in harten Stürmen mit dem heergefolg zu fechten.
Da lachen laut die Königinnen und fragen, ob dieser Mann denn wohl
auch Meib und Kind daheim habe? Schon ist auf diesem Wege
einiges Mohlwollen für die Werbung gewonnen, da erhebt horant
seinen wunderbar süßen (besang an einem stillen Übend in der Burg
15 des Königs am Seeufer, und die vögelein lassen den Schall ihres
Ubendliedes schweigen vor dem lieblichen Tone des königlichen Sängers,-
und wieder am frühen Morgen beim Sonnenaufgang klingen die
wundervollen Gesangestöne durch die Burg, daß die vögelein auch
ihr Morgenlied vergessen, daß alle Schläfer im Königshause erwachen
20 und der König mit seiner Gemahlin auf die Zinne hinaustritt und
die königliche Jungfrau ihren Vater bittet: „Siebes Väterlein, heiß
ihn singen mehr." Und zum drittenmal am Übend erhebt der Dänen-
könig seine Stimme, daß die Glocken nie so rein geklungen haben,
wie sein Gesang ertönte, daß die Arbeitenden nicht zu arbeiten, die
25 Ziechen nicht krank zu sein sich dünkten, die Tiere in dem Walde ihre
Meide stehen ließen und die Mürmlein, die im Grase gehen, und
die Fische, die in der Woge schwimmen, innehielten auf ihrer rast-
losen Fahrt. Und der Sänger gewinnt die Jungfrau für
den, der ihn zu der Werbung gesandt hat,- sie stiehlt sich weg, geht
30 mit dem Sänger zu Schiffe und wird Zettels Gattin.
Ihre Kinder sind Grtwin und Gudrun. Um letztere wirbt
Hartmut, ein Uormannenkönigssohn; aber alte Feindschaft zwischen
den Geschlechtern verhindert einen glücklichen Erfolg seines Merbens,- ;
dagegen tritt der König von Seelandh, Herwig, auf und erkämpft j
35 sich die Siebe der schönen Gudrun. Sie wird ihm verlobt, aber kurz ;
nach dem Verlöbnis machen Vater und Verlobter einen Kriegszug.;
1) tobte, mhd. Ummen stv. knurren, heulen.
2) angenehmer, mhd. sanfte adv. bequem, angenehm, wohl.
3) vermutlich Seeland in Holland, zwischen der Schelde und der Maas.
ra? Egg? Egg? t^it cgi? Es-aft ca? cgj? ta? t^i? pgj? egg? 203
in ein fernes Land, und während der Abwesenheit der Beschützer
kommt der abgewiesene Werber, der Normanne Hartmut, mit seinem
Vater, König Ludwig, vor die Burg gezogen, erobert diese und
führt Gudrun von dannenh. heitel und Herwig mit
ihren Helden, unter ihnen vor allen lvate, setzen den Näubern
nach und ereilen sie auf dem lvulpensande oder Wulpen-
werdeh, einer Nordseeinsel, hier wird nun eine schon in sehr
alten Liedern durch ganz Deutschland gefeierte, blutige Schlacht
geschlagen: wie Schneesturz auf Schneesturz nach den Stürmen
von den Bergen rollt, so fliegen die Speere von den Händen; bis
unter die Rrme im Meere stehend, fechten die Helden grimmiglich,
sodaß des Meeres Flut blutgefärbt wurde und in rotem Scheine am
Strande fern dahinwogte, so weit wie man mit einem Speere werfen
mochte. Oer Abend bricht herein, und in der sinkenden Sonne wird
der geraubten Gudrun Vater, hettel, von des Näubers Vater, dem
Normannenkönige, erschlagen; lvate, grimmig über des Königs Tod,
zündet, nachdem das Abendrot am Himmel verloschen ist, ein neues
Abendrot auf den Helmen der Feinde an mit seinen geschwinden
Schwertschlägen,- indes das Dunkel der Nacht läßt sogar Freund an
Freund feindlich geraten, und der Kampf wird geschieden. Während
der Nacht aber entfliehen die Normannen mit ihrer Beute; der Königs-
tochter mit ihren Jungfrauen wird augenblicklicher Tod in den Wellen
gedroht, wenn sie einen Laut der Klage oder des Hilferufs hören
lassen. Zum Nachsetzen in Feindesland sind keine Heereskräfte mehr
vorhanden, und Wate muß still und schweigend in die verlassene
Burg einziehen, in die er so oft mit lautem Siegesschall und Jubel
eingezogen ist. „Wo ist mein lieber Herr? wo sind seine Freunde?"
fragt entsetzt die Königin Hilde, als sie Wate so still und mit zer-
hauenem Schilde einziehen sieht. „Sch will Euch nicht betrügen —
sie sind alle erschlagen," ist des festen Helden kurze Antwort. „Wenn
das junge Geschlecht im Lande herangewachsen ist, dann kommt die
Zeit der Ahndungh für Ludwig und Hartmut."
Julius Lohmeyer und Felix-Therese Dahn, Wandbilder zur Deutschen
Götter- und Zagenweit. Serie 2, Blatt III. Gu druns Abschied von der
Heimat. Nach dem Original von Johannes Gehrts. Halle, Waisen-
haus, 1906.
2) der Wulpenwerder iWolfsinsel) an der Mündung der Schelde.
b) Bache, Strafe, mhd. ariden swv. seinen Zorn über etwas betätigen,
rächen, ahnden.
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3n Trauer und Tränen erblickt Gudrun das Gestade des Nor-
mannenlandes und die Bürgen am Seegeftaòe ; der alte König redet
ihr freundlich zu: „Wollt Ihr, edle Jungfrau, Hartmut minnen, so
ist alles dies, was Ihr sehet, Euch zu Dienste angeboten, Freude und
5 Königsehre wartet Euer an Hartmuts Zeite." Gudrun aber antwortet:
„Ehe ich Hartmut nähme, eher wählte ich den Tod,- hätte
es sich bei meines Vaters Leben ehedem also gefügt, so möchte es
sein,- aber jetzt gebe ich eher mein Leben dahin, ehe ich meine Treue
breche." Das Wort war schwerer Ernst,- denn der wilde Rormannen-
10 Häuptling ergreift im Zorn über diese Antwort die Jungfrau bei dem
haare und schleudert sie über Bord in die See ; Hartmut springt ihr
nach und kann nur eben noch ihre blonden Zöpfe ergreifen, an denen
er sie in das Zchiff zurückzieht.........
Die Mutter Hartmuts, Ger linde, empfängt Gudrun
15 anfangs freundlich, bald aber, als auch sie umsonst ihre Überredungs-.
Kunst an der Getreuen versucht hat, schreitet sie in ihrem „wölfischeu"
Zinne zu Gewalt und Mißhandlung,- die eine Krone tragen sollte,
muß die Dienste der niedrigsten Magd verrichten, den.Gfen Heizen
und die Leinwand am Meergestade waschen. Über ihr herz bleibt
20 geduldig und ihr Zinn treu ; geduldig und treu durch eine Reihe von
Jahren voll sich stets wiederholender, stets gesteigerter Demütigungen
und Mißhandlungen.
Da endlich ist die Zeit gekommen, daß in Gudruns Vaterland eine
Heerfahrt kann gerüstet werden zu ihrer Befreiung. Nach langer
25 gefahrvoller Seereise gelangen die Friesenhelden auf eine Insel, von
deren hohen Bäumen aus sie fernher die Normannenburgen aus der
Zee heraufglänzen sehen. Gudrun geht, wie sie seit Fahren gewohnt
ist, täglich zum Gestade, die Leinwand zu waschen,- da wird ihr in
vogelgestalt ein Engel (ursprünglich eine der Zukunft kundige Meer-
30 minne oder Zchwanjungfrau, wie deren auch im Nibelungenliede er-
scheinen) gesandt, sie zu trösten; und welchen Trost begehrt sie? ihre
Rettung aus schmachvoller Dienstbarkeit, aus den schimpflichen Miß-
handlungen und Zchlägen der Knechtschaft? „Lebt noch Hilde, der
armen Gudrun Mutter? lebt Grtwin noch, mein Bruder? und her-
35 wig, mein Verlobter? und horant und Wate, die Treuen meines
Vaters?" Und kein Wort von ihrer Rettung,' den ganzen Tag unter-
redet sie sich mit ihren Gefährtinnen von den Lieben in der Heimat.
Über zorniges Zchelten erwartet die Getröstete bei ihrer Heimkehr
von seiten der argen Gerlind, weil sie den ganzen Tag mit dem.
CaSI? Cg»? Rgj? CagS? Cgi? CsStR t^g»? Egj? Rgii t^R Cgff 205
Waschen zugebracht; und des nächsten Morgens muß sie, wiewohl
es früh im Jahre, vor Ostern, und nachts ein tiefer Zchnee gefallen
ist, barfuß mit Tagesanbruch durch den Zchnee hinaus nach dem
wilden Meergestade waten, ihre Wäsche zu vollenden. 5ln eben
diesem Morgen aber kommen Grtwin und Herwig, Kunde einzu-
ziehen, in einer Barke in die Nähe der Stelle, wo die Königstochter,
bebend vor Frost im nassen Gewände, an der mit Eis strömenden
Meerflut und im stürmenden Märzwinde, der ihr schönes haar ihr
wild um Nacken und Zchultern schleudert, die Leinwand wäscht. Die
beiden Kriegsmänner nahen sich den Jungfrauen, die sich schon auf
die Flucht begeben wollen, und bieten ihnen den Morgengruß, den
sie lange nicht gehört haben; denn bei Frau Gerlind ist „guten
Morgen", „guten Bbend" teuer. Sie erkennen Gudrun in der schmach-
vollen Niedrigkeit ihrer Kleidung und ihrer Magdarbeit nicht, fragen
sie aus um Land und Leute, vernehmen, daß das Land wohl ge-
rüstet und stark bewehrt sei, und man hier nur vor einem feinde,
den Friesen (Hegelingen h, Besorgnis hege. Während der langen
Unterredung stehen die Jungfrauen, in der herben Kälte zitternd, vor
den fragenden Helden; diese bieten mitleidig ihnen ihre Mäntel, sich
darin zu hüllen, aber Gudrun entgegnet: „Da soll mich Gott be-
wahren, daß an meinem Leibe jemals einer Manneskleider sähe!"
Da fragt auch ihr Bruder Grtwin, ob nicht eine Jungfrau Gudrun
einst als Geraubte hierher gebracht worden sei, und Herwig ver-
gleicht wiederholt die Züge der armen Dienstmagd mit den Zügen
der edlen Königstochter, die einst seine Braut war; auch nennt er
Grtwin bei Namen. „Bch," sagt Gudrun, „wenn Grtwin und Herwig
noch lebten, sie wären längst gekommen, uns zu retten; ich bin auch
eine von den damals Geraubten, die arme Gudrun aber ist schon
lange tot." Da streckt der Zeelandskönig seine Hand aus: „Leid
Ihr von den Geraubten, so müßt Ihr das Gold kennen, das ich an
meinem Finger trage, ich bin Herwig genannt, und mit diesem Ninge
ist Gudrun mir zu minnen verlobt worden." Da leuchten die Bugen
der Jungfrau in Heller Freude auf, und wie gern sie auch die Zchmach der
Dienstbarkeit verborgen hätte, sie ist überwältigt: „Das Gold ich wohl
erkenne, denn ehedem war es mein,- so trage auch ich noch
dieses Gold, das einst mir Herwig sandte." Hllein Bruder
und Verlobter können nicht anders glauben, als daß sie, wie das
> damals sich von selbst verstand, Hartmuts Gemahlin geworden sei
nchd. Hegelinge: Zettels Mannen; Friesland zwischen vechte und Weser.
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und sprechen ihr Erschrecken darüber aus, daß sie trotzdem so niedrige
Dienste leisten müsse. RIs sie jedoch erfahren, warum sie diese De-
mütigung und so lange Jahre hindurch erdulde, will Herwig sie aus
der Stelle mitnehmen — und es geschieht doch? werden wir fragen.
Nein, es geschieht nicht; dazu waren die alten Sitten zu fest, zu
streng und edel — die Sitten einer alten Zeit, die wir uns zu gern
als eine Varbarenzeit denken. „Was mir im Sturm des Krieges
ist abgenommen worden," entgegnet Grtwin, „das will ich heimlich
nicht entwenden, und eh' ich heimlich stehle, was ich mit Waffen-
kampf erringen muß, eher mögen, hätte ich hundert Schwestern, sie
hier alle sterben." Die beiden Fürsten fahren zurück nach ihrer Kriegs-
flotte, und der Sturm auf die Normannenburg wird vorbereitet.
Gudrun aber, im erwachten stolzen Selbstgefühl und in der freudigen
Erwartung einer ehrenvollen Errettung durch Heldenhand, wirft nun
die Leinwand, statt sie zu waschen, in die See. Grimmiger Empfang
mit schimpflichen Schlägen erwartet sie von seiten der erbosten Ger-
lind ; um der Mißhandlung zu entgehen, stellt Gudrun sich, als wolle
sie nunmehr Hartmut heiraten — in der gewissen Zuversicht, daß es
beim Rnbruch des Morgens hier auf der Burg viel anders sein werde
als jetzt am Rbend. Rls Herwig und Grtwin zu dem Heere zurück-
kehren und die Schmach verkündigen, die Gudrun so lange Jahre
hindurch ist angetan worden, erheben die Helden laute Klage, aber
der alte Wate heißt sie, aus andere Weise der Königstochter dienen:
die Kleider rot färben, die sie weiß gewaschen. Noch in der Nacht
— die Luft ist heiter, der Himmel weithin Helle im glänzenden
Mondschein — soll der Sturm auf die Normannenburg begonnen
werden. Noch steht der Morgenstern hoch am Himmel, da schauet
eine der Gefährtinnen der Gudrun durch das Fenster, und nach der
See hin leuchtet das ganze Gefilde vom Hellen Waffenglanz, von
Ztahlhemden und lichten Schilden; und alsbald ruft auch der Wächter
hoch von der Zinne: „Wohlauf, Ihr stolzen Kecken, Waffen, Herren,
Waffen; Ihr Normannenhelden, aus, Ihr habt zu lange geschlafen!"
Der Kampf beginnt; tapfer fechtend fällt der Normannenkönig Ludwig
unter Herwigs Streichen; die üble Gerlind will dafür Gudrun er-
schlagen haben, und schon ist das Schwert über ihrem Haupte ge-
zückt, als Hartmut, der von unten der grimmen Mutter mörde-
rische Rbsicht gewahrt, edelmütig dem Verbrechen wehrt. Hartmut
wird gefangen, und der zornige Wate dringt in das Frauengemach,
die verdiente Kache an Gerlind zu nehmen; Gudrun verleugnet sie,
Rgi? Egg»? Eagl? C45ri? r^-4? Es£i? PgS? C^gjr Egn? Cg»? Cg»? Cg»? Cgi? 207
gleich edelmütig, wie Hartmut sie selbst vom Tode errettet hat; aber
Wate weiß doch die rechte zu finden und schlägt ihr sowie einer
Dienerin Gudruns, die sich als Peinigerin ihrer eigenen Herrin vor-
dem der grausamen Königin Dank verdienen wollte, das Haupt ab;
„er wisse," sagt er, „wie man Frauen ziehen müsse; dafür sei er 5
Kämmerer." Darauf folgt die heimfahrt, Sühke und dreifache Ver-
mählung: zwischen Herwig und Gudrun, zwischen dem Nor-
mannenkönig Hartmut und Hildburg, einer der Gefährtinnen
der Gudrun, und zwischen Grtwin, Gudruns Bruder, und Gr-
trun, der normannischen Königstochter, der einzigen, die im fremden 10
Lande Mitleid mit Gudrun gehabt und ihr tröstlich beigestanden hatte
in ihrer tiefen Schmach.
4-2. Ausgewählte Stellen des 6udrunliedes im Urtext1).
a) Wie süß Horant sang.
1 Da? kom 2) an einen äbent, da? in 3) so getane,
(372) da? von Tenemarke der küene degen4) sanc
mit so herlicher stimme, da? e? wol gevallen
muose al den liuten. da von gesweic5) der vogelline
___________ schallen6).
i) nach der Ausgabe von Ernst Martin, 2. Ausl., Halle 1902 (mit
Einleitung und Kommentar). — P. Piper besorgte die reichhaltige Ausgabe
in Kürschners „National-Literatur“ Bd. 6, I (1895). — Übertragungen
W. Hübbe, Das Gudrunlied. Neuhochdeutsche Bearbeitung. Hamburg,
Herold’sche Buchhandlung, 1892. — W. Hübbe, Das Gudrunlied in Aus-
wahl und Übertragung, 1905 (Sammlung Freytag). Gudrun übertragen
von G. Legerlotz, 1904 (Sammlung Velhagen). — Kudrun übertragen
und erläutert von H. Löschhorn (Denkmäler von Bötticher und Kinzel
I, 2, Halle, Waisenhaus). — Gudrun. Die echten Teile des Gedichtes nach
Karl Müllenhoffs Text übersetzt von Ernst Martin. Mit Bildern von
Julius Jürß. Straßburg, Heitz, 1903. — Zur Erklärung vgl. „Gudrun, er-
1 läutert und gewürdigt für höhere Lehranstalten so wie. zum Selbststudium“
von R. Peters, Leipzig, Bredt, 1906. - Die „Gudrunsage in der neueren
» deutschen Literatur“ behandelt S. Benedict, Rostock, H. Warken-
) tien, 1902 -) fiel auf, traf sich auf. — 3) daß den Mannen Hetels,
) des Königs der Hegelinge, das Glück zuteil wurde. — 4) Horant von Däne-
i mark, Hetels Neffe, der Sänger. — 5) s. geswigen. stv. — 6) Substantiv. Infin.
208 kLîr pgs? c^stîv cg»? ca? ta? tas pLÄr ta? rat
2 Diu tier in dem walde ir weide liefen stän.
(389) die würme, die da selten in dem grase gän,
die vische, die da selten in dem wage1) vlie?eni) 2),
die liefen ir geverte3). ja künde er sîner vuoge
wol genießen.
3 Do bat in4) ir5) gewinnen da? schœne magedîn,
(391) da? e? âne ir vater6) wi??en vil tougen7) solte sin,
noch da? ir muoter Hilden nieman sagete des mære,
da? er also tougenliche bi ir in ir kemenâten wære.
4 Den heit bat si sitzen, ‘ir suit mich hœren lân/
(395) sprach diu maget edele, ‘da?8) ich ê vernomen hän :
des lüstet mich vil sêre. wände iuwer stimme
diu ist vor aller vreude unde ob9) aller kurzwile ein
gimme.’
5 ‘Getörfte10) ich iu singen, vil schœne? magedîn,
(396) da? mir dar umbe næme niht da? houbet min
iwer vater, der künic Hagene, mir solte niht versmähen,
swä ich iu mühte dienen, wæret ir mines herren lande
nahen/
6 Si sprach: ‘wer ist din herre oder wie ist er genant?
(401) mac11) er haben kröne oder hat er eigen lant?
ich bin durch dîne liebe12) im holt vil sicherlichen/
dü sprach von Denen derküene: ‘ich gesach nie künic
also riehen.’
7 Er sprach: ‘und melde13) uns nieman, vil schœne
(402) magedîn,
sô sagete 14) ich dir gerne, wie15) uns der herre min
von im16) scheiden lie?e, dü er uns here sande17),
durch dinen willen1S), vrouwe, ze dînes vater bürge
unde lande.’
i) s. wäc. — 2) schwimmen. — 3) Bahn. — *) Horant. — 5) Dat. : Hilde. —
G) Gen.: Hagen von Irland, dessen Frau und Tochter beide Hilde hießen. —
7) Adv. — 8) den Gesang. — s) über. — 10) wenn ich euch singen dürste. —
il) ist er imstande. — 12) deinetwegen. — 13) wenn . . . verriete. —
14) würde . . sagen. — 15) mit welchem Auftrag. — i®) sich. — 17) sandte. —
18) um deinetwillen.
\
8 Si sprach: ‘lâ? mich hœren, wa? mir der herre dîn
(403) û? iuwerm lande enbiete. ist e? der wille mîn1),
des bringe ich dich wol inné2), ê da?; wir uns gescheiden.’
Hörant vorhte3) Hagenen. im begunde da ze hove4)
leiden5).
9 Er sprach zuo der vrouv/en : ‘so enbiutet er dir da?,
(404) da? dich sin herze minnet an aller slahte6) ha?,
nû là? in genie?en, vrouwe, dîner güete.
er hat durch dich einen genomen7) von allen vrouwen
sin gemüete.’
10 Si sprach : ‘nû sô gevüege dîn lieber herre sî,
(407) ich wil gen im nimmer des willen werden vrî:
ich gelöne im der gedanke, die er hat nach mînen minnen.
getörste8) ich vor dem vater mîn, sô wolte ich iu
gerne volgen hinnen/
11 Er sprach: ‘wir wellen hinnen9) urloubes gern10).
(409) sô suit ir Hagenen bîten, da? er iuch müe?e gewern,
junge maget edele: er und iuwer muoter
soi unser kiele schouwen und ir selbe’ sprach der
degen guoter.
12 Si sageten heimlichen dem alten Waten11) da?,
(426) da? diu maget edele minnet âne ha?
den ir vriunt Hetelen von den Hegelingen,
dö rietens12) mit dem degene, wie sis13) mit in ze hüse
solten bringen.
13 Ditze starke mære gar verholenu) wart.
(428) si rihten15) sich vil tougen16) zuo ir widervart
und sageten? ouch den degenen, die in den schiffen lagen,
si hörten? niht ungerne. jâ mohte si nû lange dâ
betragen 17).......
Û entspricht es meiner Absicht. — 2) lasse inne, gewahr werden. —
3) s. vorhten. — Û bei der Königstochter Hilde. — 5) Verbum. — e) Gen. —
7) weggenommen, abgewendet. — 8) s. geturren. — 9) gehört zu urloubes. —
1 o) Verbum. — n) Horants Oheim, einer der Boten Hetels. — 12) rieten
si (berieten sie). — 13) si si. — i4) St verholn. — 15) rihteten. — 16j Adv. —
17) dort langwieilen.
Lierm«nn-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch.
14
210 ^ ^ k-ssr Kgit cgi? tat ta? pgjt tat ta? Rgg
b) Wie Gudrun die Ankunft ihrer Retter kundgetan
wurde.
14 Nü swigen ') wir der degene2). ich wil iuch län
(1165) vernemen,
die wol mit wenden wseren, wie den3) da? mac gezemen,
da? si müe?en waschen in den vremeden landen.
Küdrün4) unde Hildeburc5) die wuoschen alle
zit üf einem sande.
E? was in einer vasten umb einen mitten tach6).
ein vogel7) kom gevlo??en. Küdrün dö sprach:
‘owe vogel schoene, du erbarmest mir so sere,
da? dü so vil gevliu?est üf diseme vlnote' sprach diu
maget here.
Dö sprach der engel here: ‘dü mäht dich wol ver-
sehen 8),
maget vil eilende: dir sol grö? liep geschehen.
wilt9) dü mich vrägen von10) diner mäge lande,
ich bin ein böte der dine11), wan got ze tröste mich
dir here sande/
17 Dö sprach diu gotes arme: ‘sit dich Krist hat gesant
(1171) uns vil eilenden ze tröste in ditze lant,
dü solt mich lä?en hoeren, böte dü vil guoter:
lebet noch Inder Hilde I2)? diu was der armen Küdrünen
muoter/
18 Dö sprach der vil here: ‘ich wil dir verjehen.
(1172) Hilden dine muoter hän ich gesunt gesehen,
dö si ein her groe?er dir vrumte13) her ze lande,
dan witewe oder künneu) durch lieber vriunde15)
willen ie gesande/
i) mit Gen., wollen wir schweigen (Adhortativus). — 2) der Friesen-
helden, welche die Heerfahrt zur Erlösung Gudruns unternommen hatten. —
3) den, die . . . waeren: den Jungfrauen, die in Freuden leben sollten. —
4) Tochter Hetels von Hegelingen, Verlobte Herwigs. — 5) die gleichfalls
entführte treue Gefährtin Gudruns. — 6) tac. — 7) Schwan. — 8) kannst
dir begründete Hoffnung machen. — 9) wenn du willst. — 10) über, wegen. —
il) ein dir gehöriger, für dich bestimmter Bote Gottes. — 12) Hilde (die
Jüngere), Hagrns und Hildes Tochter, Gemahlin Hetels, Mutter Gudruns
und Ortwins. 1S) beförderte, schickte. — 14) Kind. — 15) Verwandte.
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(1166)
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(1169)
t^s? Eg»? taff i^i? Kgi? Kgl? Kgj? cai? c>Ld cg»? cgi? r^gi? pg^ 211
19 Do sprach diu maget edele: 'bote dû vil hêr,
(1173) lâ dich des niht verdrießen, ich wil dich vrâgen mêr.
lebet noch indert Ortwîn1), der künec von Ortlande2),
und Herwîc3) mîn vriedel? diu mære ich harte gerne
bekande4).’
Dô sprach der engel hère : ‘daß tuen ich dir wol kunt.
Ortwîn unde Herwîc die sint wol gesunt.
die sach ich in den ünden üf des meres muoder5).
die ellenthaften degene zugen6) vil gelîche an einem
ruoder.’
21 Si sprach: ‘so hörte7) ich gerne, hast dû daß vernomen,
(1180) soi von Tenemarke Hörant8) here körnen
mit den sînen beiden, die mich in sorgen ließen?
den weiß ich also biderben, deich9) armiu maget sîn
möhte wol genießen.’
22 ‘Dir kumt von Tenemarke Hörant der neve10) dîn
(1181) ûf urliuge starke, er und die recken sîn.
er soi daß Hilden zeichenu) tragen in sînen banden,
sö die Hegelinge koment zuo den Hartmuotes 12) landen.’
23 Do sprach aber Kûdrûn: ‘kanst dû mir gesagen,
(1182) lebet noch Wate von Stürmen13)? sö wolte ich niht klagen.
des vreuten wir uns alle, swenne daß geschæhe,
daß ich ouch Fruoten14) den alten bî mîm zeichen gesæhe.’
24 Dô sprach aber der engel: ‘dir kumt in ditze lant
(1183) Wate von den Stürmen, der hât an sîner hant
ein starkeß stiurruoder in einem kiel1") bî Fruoten.
beßßer16) vriunde deheiner darftû niht bî urliuge muoten.’
Ü Gudruns Bruder. — 2) Land Hetels, „Land mit einer Spitze“, ver-
mutlich Jütland. — 3) König von Seeland, Verlobter Gudruns. — 4) Kon-
junktiv Brät.: erführe. — 5) Höhlung, Tiefe (eig. Mieder). — 6) s. ziehen, —
7) Konjunktiv Brät. — 8) Hörant von Tenemarke. — 9) daß ich. — 10) Ver-
wandter; Hörant ist eigentlich Gudruns Vetter. — n) Heerzeichen,
Banner.— 12) Sohn König Ludwigs von Normandie (Ormanîe). — 13) Stürmen,
die dem Friesenlande benachbarte Mark. — ") von Dänemark, Verwandter
Hetels. — 15) Schiff. — 16) beßßer(er) vriunde deheiner sind Gen., abh. von
muoten.
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(1174)
14*
212 ^ ^ ^ ^ Egj? KLD ca? ta? tat ta?
25 Dö muoste von in scheiden der böte vil her.
(1186) die eilenden vrouwen vrägten dö niht1) mer.
ja was in mit gedanken2) liep unde swaere,
die in da helfen selten, wä da? vil werde Ingesinde waere.
26 Küdrün diu arme vil unsanfte lac.
(1195) si erbiten beide küme, wanne e? wurde tac,
und sliefen deste minner, si, waen3), dar an gedachten,
wanne in diu vogellin ze Ormanie guote ritter brachten.
27 Nach ir gewonheite giengens4) üf den sant.
(1205) si stuonden unde wuoschen aber5) da? gewant, •
da? si getragen beten nider zuo den grie?en.
ir hohes gedingen6) mohten si vil übele nü genie?en.
c) Wie Ortwin und Herwig ankamen.
28 Dö si gewarten7) lange, dö sähens üf dem se
(1207) zwene in einer harken und ander8) nieman me.
dö sprach vrou Hildeburc ze Küdrün der riehen:
‘dort sihe ich vlie?en zwene, die mögen dinen9) boten
wol geliehen/
29 Dö sprach diu gotes arme10): ‘ja enwei? ich, wa? ich tuo1!).
(1209) trütgespil Hildeburc, rät mir dar zuo12):
sol ich von hinnen wichen oder lä?en mich hie vinden
in disen grö?en schänden? e13) wolte ich immer hei?en
ingesinde/
30 Dö körten si sich umbe und giengen beide dan 14).
(1211) dö wären ouch15) so nähen dise zwene man,
da? si die schoenen weschen bi dem stade sähen,
si wurden des wol innen, da? si weiten von den kleidern
gäben.
r) nichts. — 2) gedanken, wä .... ingesinde, die .... selten, waere.
3) waen(e) ich, glaube ich, davon hängt der Konjunktiv gedachten ab.
4) giengen si, Gudrun und Hildburg. — 5) abermals, wiederum. — G) Gen.,
abh. von genie?en; von ihrer stolzen Hoffnung auf baldige Erlösung konnten
sie nun wenig Nutzen haben. — 7) ausgeschaut hatten. — 8) Gen. Plur. —
9) den für dich bestimmten Boten. — 10) Lesart Müllenhoffs. — 11) tun
soll. — 12) dabei. — i3) eher wollte ich. — 14) von dannen. — 15) auch
schon, bereits.
EaSi? t^î? ta? Pgî? Kg5? t^ï? E^gn? t^i? ELd Eagg? Eagï? Eg=â? 213
31 Si Sprüngen û? der barken und ruoften in hin nàch:
(1212) ‘ir vil schœnen weschen, war ist iu sô gâch?
wir sîn ') vremede liute, da? muget ir an uns kiesen,
scheidet ir von hinnen, sô müget ir die vil riche sabene
vliesen/
32 Si giengen in ir hemeden, diu wären beidiu na?.
(1216) den vil edelen vrouwen was ê gewesen ba?2).
(1218) ir vahs3) was in zervüeret von merzischen winden.
e? regente oder e? snîte, wê was ie den vil edelen kinden.
33 Herwîc der edele guoten morgen bot
(1220) den eilenden kinden. des wære in dicke nôt4) :
wände5) ir meisterinne6) diu was vil ungehiure.
‘guoten morgen, guoten âbent’ was den minniclîchen
meiden dure.
34 ‘Lât iuch niht verdrießen und nemet unser golt.
(1224) guoter bouge viere da? si iuwer soit,
da? ir, schœne vrouwen, iuch niht lât betragen7);
(die8) geben wir iu gerne) da? ir uns saget, des wir
iuch wellen vrâgen/
35 ‘Got lâ?e iu iuwer bouge beiden sælic sîn 9) :
(1225) wir nemen von iu niht miete10)’ sprach da? magedîn.
‘nû vràget, swes ir wellet: wir müe?en scheiden hinnen,
siht man uns bi iu beiden, da? ist mir leit von allen
minen sinnen u)/
36 ‘Wes sint disiu erbe und ditze riche lant
(1226) und ouch die guoten bürge? wie ist er genant?
da? er iuch âne kleider 12) lât sô swache dienen 13),
wolt er 14) iht haben ère, sô solte im? 15) vür guot ver-
vähen niemen.’
i) sîn (Konj.) abh. von kiesen: daß wir seien (Fremde, die leicht stehlen
könnten). — 2) war es ehdem besser ergangen. — 3) Haupthaar. — 4) des
abh. von nôt; wære: wäre gewesen; dessen (eines „guoten morgen“) hätten
sie schon oft bedurft. — 5) denn. — o) Gêrlint, die übele, Königin in Or-
manie, Gemahlin Ludwigs, Mutter Hartmuts. — ?) verdrießen. — 8) die
Armringe. — 9) behaltet in Gottes Namen eure Armringe. — 10) Gen. abh.
v. niht. — n) von ganzem Herzen, aufrichtig. — 12) vgl. Vers Z2, i. —
13) so niedern Dienst tun. — 14) niemen, wolt er iht haben ère. — i&) im e?.
214 ^ ^ Kgj? Csgj? Kgj? Cggj? CaS=B» Cgi? Rgä? Rgi?
37 Si sprach: 'der vürsten einer heißet Hartmuot1):
(1227) dem dienen! lant diu witen und veste bürge guot.
der ander heißet Ludewic von Ormanieriche.
in dienen! vil der beide: die2) si!zen! in ir lande lobeliche.’
38 ‘Wir saehen si vil gerne’ sprach Or!win.
(1228) ‘mugel ir uns bescheiden3), vil schoeniu magedin,
wä wir die vürsien beide in ir lande vinden?
wir sin zuo in gesendel. ja si4) wir eines küneges
ingesinden 5).’
39 Küdrün diu höre sprach den beiden zuo6):
(1229) ‘ich lie si in der bürge hiuie morgen vruo
ligen an ir belle wol mii vierzic hundert mannen,
da?7) isl mir ungewißen, sin! si inderl in der zit ge-
rben dannen.’
40 Oste erblikte Herwic die juncvrouwen8) an.
(1234) si düble b) in so schoene und ouch so wol getan,
da? e? im in sinem herzen harte10) siuften11) brähte12).
er geübte si ze einer, der er vil oste güetliche gedähte.
41 Dö sprach aber Ortwin: ‘ist iu iht bekant
(1235) umbe ein hergesinde13), da?; kom in ditze lant?
(1236) in starker herverte brähte mans14) in ditze riebe.
die eilenden vrouwen körnen her ze lande jämerliche.’
42 Si sprach: ‘die ir da suochet, die hän ich wol gesehen
(1237) in grölen arbeiten: des wil ich iu verjehen.’
ja was si?15) der16) einiu, die Hartmuot dar brähte.
e? was selbe Küdrün. si, waene17), der maere deste ba?
gedähte.
43 Dö sprach der vürste Herwic: ‘nü seht, her Ortwin.
(1238) sol18) iuwer swester Küdrün indert lebende sin
l) Sohn Ludwigs und Gerlindens von Ormanie. — 2) Hartmut und
Ludwig. — 3) Bescheid geben. — 4) si = sin. — 5) Plur. — 6) zu den
Helden. — 7) sint si . . . . da? ist mir ungewißen. — 8) Akk. Sing. — 9) s.
dünken. — io) Adv. — n) Substantiv. Infin. — la) hervorbrachte. —
13) kriegsgesangene Frauen im Gefolge des Heeres. — 14) man es. — 15) si
e?. — i6) der: Gen. Plur.; wahrlich sie war es, deren eine. — 17) waene (ich):
wähne ich, meine ich. — 48) nach Schicksalsfügung.
Egj? tai? Kgj? cgj? ta? ta? Rgit tast pgj? pgi? r-ssr ta? 215
in deheinem lande üf al dem ertriche,
so ist da? diu selbe, ich gesach ir1) nie deheine so geliche.’
44 ‘Swie ir2) sit geheimen, ir sit lobelich.
(1241) einen ich erkande, dem sit ir anelich.
der was geheimen Herwic und was von Selanden3).
ob der heit noch lebete, so erlöste er uns von disen
starken banden.
45 Do sprach der ritter edele : ‘nü sehet an4) mine hant.
(1247) ob ir da? golt5) erkennet, so bin ich Herwic genant,
da mite ich wart gemahelet Küdrün6) ze minnen 7).
sit8) ir dann min vrouwe, so vüere ich iuch minnic-
liche hinnen.5
46 Si ersmielte in ir vreuden. dö sprach da? magedin:
(1249) ‘da? golt ich wol erkenne: hie vor dö was e? min.
nü sult ir sehen ditze, da? min vriedel sande,
dö ich vil arme? magedin mit vreuden was in mines
vater lande.’
47 Er blikte ir nach der hende. dö er da? golt ersach,
(1250) Herwic der edele ze Küdrünen sprach:
‘dich truoc9) ouch ander nieman, e? enwaere10) küneges
könne.
nü hän ich nach manegem leide gesehen mine vreude
und mine wünne.’
48 Er umbeslö? mit armen die herlichen meit.
(1251) in was ir beider msere11) liep unde leit.
er kuste, inwei? 12) wie oste, die küniginne riebe,
si unde Hildeburc die eilenden maget minnicliche13).
49 Dö sprach der herre Herwic: ‘des muge wir verjehen,
(1255) da? uns an dirre verte ist also wol geschehen,
da? uns nimmer künde zer werlde ba? gelingen,
nü sul wir des14) gaben, da? wir si von der veste bringen.’
!) ir (Dativ) .. . geliche. — 2) Herwig wird von Gudrun angeredet. —
3) Sölant (die friesischen Seelande): Reich Herwigs. — 4) Präp. auf. —- 5) den
goldenen Fingerring. — 6) gemahelet Kudrün (Dat.). — '?) Infin. — ») wenn
ihr seid. — 9) gebar. — 10) wenn es nicht wäre; niemand anders als. —
41) ihre beiderseitige Erzählung, was sie beide voneinander gehört hatten. —
12) ich ne wei?. — 13) Adj. — 14) damit.
21G ^ ^ Eggä? rat i^i? egst egg? c^g? Rgj?
50 Den ellenthaften degenen was von dem stade gäch 4).
(1263) Küdrün diu arme ruofte Herwigen näch:
‘e was ich diu beste, nü hat man mich zer boesten2).
wem wil du mich lä?en oder wes sol ich mich armer
weise3) troesten ?'
51 ‘Dü bist niht diu boeste, du muost diu beste sin.
(1264) vil edele küniginne, verhil4) die reise min.
e morgen schint diu sunne, ich bin vor disen
seiden5),
da? habe üf minen triuwen, mit ahtzic tüsent
miner küenen beide.'
43. Charakteristik Gudruns.
Wilhelm 5 cherer, Geschichte der Deutschen Literatur. Elfte Kuflage. 5. 136 ff.
Berlin, Weidmann, 1908.
Dichter hält sich in der Auffassung der Charaktere fern von
der bequemen, einseitigen Idealisierung, die den Beifall der
Menge findet. Wie nahe hätte es gelegen, Gudrun als sanfte Dulderin
oder als stets sehnsüchtige Braut hinzustellen. Uber der Dichter war
5 zu vornehm dazu. Zeine Gudrun ist nicht weichmütig, sondern eher
hart. Er gibt ihr nicht die allgemeine weibliche Zähigkeit des Er-
tragens, sondern stattet sie mit besonderen Zügen aus, die sie von
dem gewöhnlichen Typus der Weiblichkeit entfernen. Schon aus
ihrem ersten Auftreten in der Schlacht zwischen Herwig und hetel
io ahnt man einen unbeugsamen Tharakter. Ohne mädchenhafte
Schüchternheit bekennt sie ihre Gesinnung und setzt ihren Willen ohne
weiteres durch. Ungeduldig, leidenschaftlich, unwiderstehlich, drängt
sie ihren Vater, den Geliebten in seiner Not zu unterstützen. Und
als die Abwesenheit des Vaters ihrem Schicksale die unglückliche
io Wendung gibt, da würdigt sie den eindringenden Zeind keiner
Antwort. Sie vergießt keine Träne, sie stößt keine Klage aus. Wir
erfahren nicht, was sie beim Tod ihres Vaters empfindet. Gegen-
über Ludwig, gegenüber Hartmut, gegenüber dessen Mutter Gerlind,
i) stießen eilig ab. — 2) beste: Vornehmste, beeste: Geringste. —
3) ich armer weise. — 4) Imperat., s. verheln. — 5) Haus, Wohnung.
Ijgi? Päi? CiSST? r^s? P^Tsf CiSrii CgW? Pgit C^ii 217
ihrer Peinigerin, beobachtete sie eine schroff ablehnende Haltung.
Immer wahrt sie ihre königliche würde. Sie vollzieht jeden Befehl,
aber sie tut es mit Trotz. Nie hört man sie lachen. Ihr Geist
träumt von Waffen und Bache. Mit Unmut trägt sie die weibliche
Lchwäche. Bn ihrem Leiden hebt der Verfasser nicht so sehr die
physische als die sittliche Oual und die Verletzung der Ehre her-
vor: eine geborene Prinzessin wird von der bösen Gerlind zur Magd
erniedrigt! Sie muß zuerst die Ofen Heizen und dann gar am Ztrande
waschen! In einer höchst poetischen Lzene erhält sie dort die
tröstende Nachricht von dem herannahen der Freunde..............
5chon am nächsten Morgen bringt ein Wiedersehen mit Herwig
und Grtwin am Ltrande Gewißheit der bevorstehenden Bettung.
Und darnach bricht eine elementare Gewalt der Leiden-
schaft in ihr aus, die der Verfasser rücksichtslos, ja verletzend
schildert. Er will hier um jeden preis wahr sein, mag auch die
Schönheit darunter leiden. Gudrun wirst sofort die Kleider hin, die
sie waschen soll und läßt sie von der Flut wegtragen. Sie tritt den
Drohungen Gerlinds selbst mit Drohungen entgegen und erklärt sich
bereit, Hartmuts Weib zu werden. Sie nimmt daraufhin gleich könig-
liche Rechte in Anspruch, fordert schöne Kleider und spornt alle Hof-
leute zum Wetteifer im Dienste der künftigen Herrscherin. Sie ver-
langt mit den Frauen wieder vereinigt zu werden, die man mit ihr
aus der Heimat entführt und dann von ihr getrennt hat. Sie läßt
sich Essen und Trinken, wein und Met bringen, lacht über die
Zargen der Gefährtinnen, schließt sich im Zchlasgemache mit ihnen
ein, trinkt mit ihnen und eröffnet ihnen die Bussicht auf den Morgen
der Erlösung. Und als dann auf der höhe des Kampfes die
liebreiche Grtrun um Gudruns Hilfe für ihren Bruder bittet, da
bedarf es einer längeren Rede, eindringlicher Bitten, höchst leiden-
schaftlich-schmerzlichen Flehens,- und doch lehnt Gudrun zunächst jedes
Eingreifen ab; erst nach neuen Tränen Ortruns entschließt sie sich
dazu. Und weiter, als wate in die Burg eindringt und beu Frauen
selbst Gefahr droht, da findet wohl Ortrun leicht bei Gudrun Zchutz;
i aber die flehende, gedemütigte Gerlind bekommt höhnische Worte zu
l hören, und wate, unerbittlich wie das rächende Zchicksal, macht
» allen Beden ein Ende. Über Leichen findet Gudrun den
l Bräutigam wieder.
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218 pLd cgi? cgi? cgi? CLi? cgi? cgi? cgi? cgi?
44. 6udruns Klage.
Lmanuel Deibel, Neue Gedichte. S. 168. Stuttgart 1873.
1. Nun geht in grauer Frühe
Der scharfe Märzenwind,
Und meiner G}ual und Mühe
Ein neuer Tag beginnt.
Ich wall' hinab zum Strande
Durch Reif und Dornen hin,
Zu waschen die Gewände
Der grimmen Königin.
2. Das Meer ist tief und herbe,
Doch tiefer ist die Pein,
von Freund und Heimaterde
Ullzeit geschieden sein;
Doch herber ist's, zu dienen
In fremder Mägde Schar,
Und hat mir einst geschienen
Die güldne Krön' im haar.
3. Mir ward kein guter Morgen,
Seit ich dem Feind verfiel;
Mein Speis' und Trank sind
Sorgen,
Und Kummer mein Gespiel.
Doch berg' ich meine Tränen
In stolzer Einsamkeit;
Um Strand den wilden Schwänen
Ullein sing' ich mein Seid.
4. Kein Dräuen soll mir beugen
Den hochgemuten Sinn;
Uusduldend will ich zeugen,
von welchem Stamm ich bin.
Und so sie hold gebaren,
Wie Zpinnweb' acht' ich's nur;
Ich will getreu bewahren
Mein herz und meinen Schwur.
5. G Grtwin, trauter Bruder,
G Herwig, Buhle wert,
Was rauscht nicht euer Kuder,
Was klingt nicht euer Schwert!
Umsonst zur Meereswüste
hinspäh' ich jede Stund';
Doch naht sich dieser Küste
Kein Wimpel, das mir kund.
6. Ich weiß es: nicht vergessen
habt ihr der armen Maid;
Doch ist nur kurz gemessen
Dem steten Gram die Zeit.
Wohl kommt ihr einst, zu sühnen;
Zu retten, ach! zu spät,
Wann schon der Sand der Dünen
Um meinen Hügel weht.
7. Es dröhnt mit dumpfem
Schlage
Die Brandung in mein Wort;
Der Sturm zerreißt die Klage
Und trägt beschwingt sie fort.
O möcht' er brausend schweben
Und geben euch Bericht:
„wohl lass' ich hier das Leben,
Die Treue lass' ich nicht!"
ta? Kgs? egg? Cdgj? cg*? Rgr? ta? egt? ta? ta? r^srr 219
45. Aus Bslumbsldis Boremd und Bilde.
(1878.)
horand und Hilde, Gedicht von Rudolf Baum dach. Ltuttgart und Berlin,
Cotta 1902, 5. 73 ff.
wie horand vor den Königinnen sang.
eld Morand schwieg, und abermal
Lcholl Jubelruf im Königssaal.
In mancher Brust, die Eisen trug,
Lin süß bewegtes herze schlug,
Und mancher Held, ergraut im Streite,
5ah starren Blickes in die Weite.
In Hildens blauem Buge stand
Lin Tränlein, hell wie Udamant,
Und durch die Seele zag ihr leise
Des jungen Helden süße Weise.
Sie hörte nicht der Becher Klirren
Und nicht der Ltimmen lautes Schwirren,
Sie sah nicht mehr der Zecher Schar,
Sie sah auch nicht ihr Llternpaar,
vor ihrem Buge stand nur er. -
„(D horand, horand, singe mehr!"
Sie sprach es nicht, sie rief's im stillen,
Und doch, gehorsam ihrem Willen,
Ließ horand seine Zaiten klingen
Und hub von neuem an zu singen:
l. RIl Leben schlief und träumte,
ctll Land war öd' und leer,
Kein Wasser rann und schäumte,
Kein Wind bewegte das Meer)
Und aus dem Uebelreiche
Lin Zchifflein stieg zutag,
Darin der göttergleiche,
Langkundige Vragih lag.
2. Er lag, wie nach dem Streite
Lin Kämpe schlummerschwer,'
Ls hing an seiner Leite
Die Harfe, stumm wie er.
Doch als die müden Glieder
Der Pfeil der Lonne traf,
Da hoben sich die Lider,
Da wich der Lotenschlaf.
h (nordisch) Gott der Dichtkunst.
220 pgj? f^gj? e^d c^n *<£=%* f^sa c^av
3. (Er stand auf seinen Füßen,
Die Harfe mächtig klang,
Das Sonnenlicht zu grüßen
Zein Lied zum Himmel drang.
(Er sang das Lied vom Leben,
vom Werden und Entstehn —
Das Meer begann zu beben,
Der Wind begann zu wehn.
4. Die Wogen schlugen zusammen
Und brandeten um das Riff,
Meerwunder horchend schwam-
men
Um Bragis schwarzes Zchiff.
Es fuhr mit gutem Winde,
Bald knirschte der Uiel im Zand,
Und Vragi sprang geschwinde
Uns öde Uferland.
5. Uus seiner Zahlen Spuren
Empor schoß lichtes Grün,
Die Dünen wurden Fluren,
Die Blumen begannen zu blühn,
Uufstiegen Föhren und Tannen
Und Eschen und Birken schlank,
Efeu und Hopfen spannen
Ihr fröhliches Gerank.
6. Waldwasserschäumendsprangen
Und eilten durch das Uied,
Die bunten Vögel sangen
Zu Bragis harfenlied,
Durchs Dickicht schritten leise
Der Llkhirsch und das Ueh,
Und Udler zogen Kreise
hoch über Land und Zee.
7. Die Zaiten lauter rauschten,
Es wuchs des Liedes Schall,
Die starken Usen lauschten
Beim Methorn in Walhall.
Es klang wie trautes Uosen
So weich und süß und lind,
Da hob sich aus den Uosen
Idunh, Iwaldis Uind.
8. Süß klangen Bragis Töne
voll Seligkeit und Lust;
Es sank die jugendschöne
Idun an seine Brust.
Er hat sie fest umschlungen,
Geküßt als sein Gemahl
Und dann sich aufgeschwungen
Mit ihr zu Wodens Saalh.
9. Fortan beim Göttermahle
Die Harfe Bragis klingt,
Idun in goldner Schale
Der Jugend Äpfel3)
bringt. —
Die Götterburg wird stehen,
Die Uorne weiß wie lang;
Sie wird zugrunde gehen,
Wenn Jugend flieht und
Sang.
1) (nordische) Göttin der ewigen Jugend und Unsterblichkeit.
2) Bragi ist Ddins Sohn.
3) der Genuß der zauberhaften goldenen Üpfel Iduns verleiht ewige Jugend.
— In der Verbindung Iduns mit Bragi ist die verjüngende Kraft der Dicht-
kunst zum Uusdruck gebracht.
Der Sängerkrieg auf der Wartburg, Ölgemälde von Moritz von Schwind
Wiederholung des Freskobildes auf der Wartburg. Im Itädelfchen Kunftinftitut zu Frankfurt a. IN.
hr habt gehört die Kunde
C& vom Fräulein, welches tief
In eines Waldes Grunde
Manch hundert Jahre schlief.
Den Namen der Wunderbaren
vernahmt ihr aber nie;
Ich hab' ihn jüngst erfahren:
Die deutsche Poesie...........
viel stolze Kitter gingen
Der Holden Dienste nach,
Heinrich von Dfterdingen,
Wolfram von Lschenbach;
Sie gingen in Stahl und Eisen,
Goldharfen in der Hand:
Die Fürstin war zu preisen,
Die solche Diener fand.
Mit Degen und mit Speere
Waren sie stets bereit;
Den Frauen gaben sie Ehre
Und sangen widerstreit.
Sie sangen von Gottesminne,
von kühner Helden Mut,
von lindem Liebessinne,
von süßer Maienblut.
von alter Städte Mauern
Der Widerhall erklang,
Die Bürger und die Bauern
Erhuben frischen Sang.
Der Senne hat gesungen,
Der über den Wolken wacht;
Ein Lied ist aufgeklungen
Tief aus des Bergmanns Schacht....
Uh land, Märchen.
Vom Rittertum zum Bürgertum,
4-ö. Rittertum und R(Neubildung.
9 Gustav ?reytagJ), Bilder aus der deutschen Vergangenheit, erster Band. Bus
dem Mittelalter. Vierzehnte Huflage. S. 511 ff. Leipzig. S. Birzel 1882.
Öls Friedrich, der Rotbart, römischer König wurde, hatten die
Kreuzfahrten feit fünfzig fahren gearbeitet, die realen Ver-
di hciltniffe Deutschlands umzuformen und den Seelen einen neuen
ü Inhalt zu geben. Bunderttaufende waren ausgezogen und nicht
w wiedergekehrt, darunter viel Gesindel und loses Volk; in den ge- 5
bl fchloffenen Dorffluren war das Gefühl der Übervölkerung nicht
m mehr vorhanden, der dienstpflichtige Bauer, der arbeitsam auf
jb der Scholle sah, fühlte feine Bedeutung, feine Arbeit war dem
a Berrn wertvoller geworden; auch er hatte allerlei fremde Mode
iu und Reiterbrauch in fein heben aufgenommen. Der Wechsel des io
>8 Besitzes war groh gewesen, neue heute waren heraufgekommen.
2? Schneller rollte das Geld aus einer Band in die andere und
id brachte die Empfindung gröheren Wohlstandes. Jede bewaffnete
i<I Pilgerfahrt brachte dem Bürger reichen Verdienst, die Beere be-
dg gleitete ein ungeheurer Kramverkehr, und der Grotzhandel dehnte 15
:) über Guftau Freytag vgl. Erich Schmidt, Charakteristiken. Zweite Reihe
.2 S. 229 ff. Berlin 1901. „Es gibt keine bessere Kulturgeschichte als die ‘Bilder
?ull aus der deutschen Vergangenheit,’ dieses ungemein gehaltvolle, doch nirgend über-
i)1d1 lüftete, gedankenreiche, doch nirgend schillernde, warmherzige, doch niemals deutsch-
mflt tümelnde Werk. Freytag verbindet den Blick für das Gewaltigste mit der Beobach-
mui lang des Kleinsten."
224 ^ ^ ^ tat Esgj? rgit cggj? tai? c^gj? tan
lieh auf allen Strafen, wo die Beere gezogen waren. Die Be-
kanntschaft mit der Fremde hatte nicht nur größere Kunstfertigkeit,
auch unvergleichlich höheren Luxus in dem Lande verbreitet.
Fürsten und Edle freuten sich glänzender Feite und Spiele, und
5 die Verschwendung des ritterlichen Lebens entwickelte alle Band-
werke, die reisige Arbeit verfertigten, durch massenhafte Pro-
duktion; die Weber, Gewandichneider, Kaufleute sammelten leicht
Vermögen, die Anhäufung des Geldes in den Städten wurde be-
merklich.
io Aber die größte Wandlung war mit den Reisigen vorgegangen,
die als Lehnsleute und Bofgenoffen der Edlen überall im Lande
sahen. Sie waren durch Jahrhunderte die Drohnen im Bienen-
stock gewesen, Friedensstörer ihrer Landschaft, die am liebsten in
den Burgen lungerten und im Wald auf den reichen Bürger pahten,
i5 bei Städtern und Geistlichen übel beleumundet; aber rüstige Waffen-
träger, Kern der schweren Landesreiterei, beite Bilfe für die macht
der edlen Grundherren, die Stärke des Zuges, den der König
in ein fremdes Land führte. Längst waren diese gepanzerten
Reiter nach germanischer Weife in fester Ordnung untereinander
20 verbunden, durch Stolz und eigenes Zeremoniell vom Fuhvolk der
Bürger und Bauern geschieden. Vor den Kreuzzügen hatten sie
sich wenig um Schriftlehre und Kunst bekümmert, in den Klöstern
der Edlen hatten auch sie geistlichen üroft und ein Asyl für Cöchter
und kränkliche Söhne gefunden, zwischen den Berrenhöfen und
25 den Bauern des Dorfes hatten sie dahingelebt, bei allem Selbst-
gefühl in der Bauptfache dörfische Gesellen. — Jm füorgenlande
aber lagen sie in ungeheurem Beere neben Fürsten und Edlen,
allen Völkern des Abendlandes gefeilt, als bevorzugte Krieger
des Bimmels; der Waffenfüchiigife erhielt Ruhm unter Bundert-
3o taufenden, jeder feinen üeil an der Lebensklugheit und Sitte, ,
die der großartige Verkehr ausbildete. Die feinere Bof-
bildung der Prouenzalen und slormannen, ihre Reiter-
spiele und Kampfgebräuche gingen schnell zu den j
Deutschen über; aus Kampf und Lagerfitte des Morgen-
35 landes erwuchs ein europäisches Rittertum. Durch gleichen r
Kriegsdienst und die Ehre des Schildamies wurden die Ritter mit 1
der europäischen Aristokratie zu einer grohen Körperschaft verbunden, j
mit gleichen Waffen, Privilegien und Pflichten, Jn ihr fühlten sich jj
Kgj? Kg¥? Cgi» Kgi? Kgg? ta? C^gj? Cgiff tat Cäg¥? Cgi? Kgl? 225
alle bewaffneten Reiter des Abendlandes, die eine richtige Lehr-
zeit bestanden und die Ehren ausgelernter Reiter erhalten hatten,
als Bundesbrüder.
Den Römerfahrten Kaiser Friedrichs wurde der Ritterftand die
beste Bilfe. An den ehernen Bausen brach sich der Zorn der
lombardischen Städter, sie wurden den normannischen Rittern eben-
bürtige Gegner. Zwanzig Jahre führte der Kaiser diese mutigen
Kampfgeiellen nach Italien, auch den jüngern ward Sprache, Sitte,
Bildung des Südens vertraut. Durch diese ungewöhnlichen Ver-
hältnisse wurde ein neuer Ceil der deutschen Volkskraft hoch her-
aufgehoben, und der alten lateinischen, kirchlichen, ge-
lehrten Bildung, die bis dahin der Geistliche ver-
treten hatte, trat eine neue weltliche, ritterliche,
höfische des Laien gegenüber.
Die neue Bildung war aber nicht nur weltlich, sie war in
manchem nicht einmal christlich. Im Abschluß einer großen Periode
zeigte die waltende Kraft unseres Volkes eine Reihe von Em-
pfindungen und Gedanken, durch die sie Sinn und Berz der
Deutschen in der Urzeit gerichtet hatte, noch einmal in heiterem
Spiel und phantastischer Umbildung. Schon der Grundton aller
Lebensweisheit, die jetzt verkündet wurde, war dem asketischen
Ernst der Kirche fremd. Der sslenfch soll froh fein und hochgemut,
stolzer Mut, d. h. rechter Frohsinn, ist fittig. „In Züchten froh"
wurde bestes Lob, die Fülle der Lebenskraft, die aus Antlitz
und Worten leuchtete, galt für edlen Vorzug bei Mann und Weib.
Das Auge hing leidenschaftlich an schönen Zügen und innigem
Ausdruck; ebenso an stattlicher Erscheinung, an guten Gewändern
und kunstvollem Schmuck, an zierlichen Bewegungen und Canz,
an bunten und prächtigen Aufzügen, flicht nur das materielle
Behagen, auch Grazie und Schönheit der Empfindungen wurde
gesucht, und sorgfältig vermieden, was für gemein galt, für tölpel-
haft oder lächerlich. Die Zucht des Menschen, d. h. die Fähig-
keit, sich schicklich und wohltuend darzustellen, wurde sehr wichtig
und durch Vorschriften und Beispiel in die jungen Seelen geprägt.
Keine Zeit des deutschen Lebens zeigt so viel heitere Sinnlichkeit,
io eifrigen Kultus der gesellschaftlichen Vorzüge und so unbefangene
l Bingabe an die Eindrücke, die irdische Schönheit erregte; und
i darum ist die gesamte Bildung jener Zeit antiker Bil»
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch. 15
5
10
15
20
25
30
35
226 ^ ^ r-Ld ggj? ta? c-Ld ia? Rg« cggs? t^i? ra? cgi?
düng io verwandt; Walther ist zuweilen einem hellenischen
Lyriker zum Verwechseln ähnlich, und der ausgelassene slithart an
Grazie dem üheokrit1) ebenbürtig, an frischer Beiterkeif ihm weit
überlegen. Und erstaunt fragen wir: wie war dergleichen naive
5 schöne Beidensinnlichkeit bei guten Christen möglich?
Aber diese Freude an schmuckvollem und lachendem Dasein
wurde in altgermanischer Weise als abhängig empfunden von dem
sieben der Natur. Wenn der sslai den Baum mit Blättern schmückte
und die Beide mit Blumen, wenn die kleinen Vögel sangen und
io das Wasser befreit von Eis und Schnee durch die Auen floh, hatte
einst das Gemüt der Deutschen den Sieg der sslenschengötter über
die feindlichen Riesengewalten gefeiert. Die alten Feste bestanden
im zwölften Jahrhundert überall, aus den Städten ritt der Maigras
mit feiner reisigen Schar zum Speerkampf gegen den Winter und
i5 führte als Sieger den Reigen mit der blumengeschmückten Mai-
gräfin; in jedem Dorfe kämpfte der laubumwundene Sommer mit
dem vermummten Dämon des Winters; die Kinder und Erwach-
senen zogen jubelnd aus, die ersten Veilchen zu suchen, sie warfen
festlich geschmückt den Ball und sprangen auf der Wiese den
2o Reigen. Auch dem höfischen Manne begann im Mai die sonnige
Freudenzeit. Dann setzte er sein Waffengerät instand, dachte an
Schmuck und schöne Kleider und zog aus zum siiebeswerben, zu
Gastereien, zu Bochzeit und Curnier, oder auch einmal zu ernsterem
Kampf, um Ehre zu erlangen, oder seiner erwählten Frau zu
25 dienen, oder Gut zu gewinnen. Wenn aber der Winter nahte,
die kleinen Vögel wegzogen, die Wiese fahl wurde, die Bläffer
von den Bäumen sanken und der Reif die Äste umzog, dann j
endete das fröhliche Creiben in der Landschaft, der Deutsche zog j
sich in das innere des Bauies zurück, lebte ehrbar mit Weib und 1
30 Kind und träumte goldene Cräume in der Boffnung auf das ;
nächste Erwachen des Lebens. Diese Auffassung von einer Zwei* •
feiligkeit des Menschenlebens, einer heiteren Sonnenseite und f
kalter Dämmerungszeit, durchzieht die gesamte ritterliche Poesie; ;
alles Empfinden der Stunde, jede lyrische Stimmung wird am r
35 liebsten dem Grundfon angepaht, den die Landschaft im Sommer« »
und Winterkleide der Menschenseele gibt.
) griechischer 3dyIIendichter, um 270 v. Ghr.
Rgj? Cg»? Ca£»? Pgif Pgj? Cg»? Cg»? Cg»? ta? Cg»? ta? 227
Es ist wahr, das Christentum hatte das gesamte heben des
Deutschen io sehr mit hehre und heiligen Gehalten erfüllt und
war io eifrig bemüht, jede grofje Funktion feiner Cage durch
Weihen an sich zu fesseln, datz sich der haie vom morgen bis
Abend als treuer Christ fühlen muhte. Aber trotz der hegion
der Beiligen, trotz allen guten Werken und den asketischen
Übungen, denen sich auch der weltliche mann nicht entzog, wenn
ihn gerade feine Zünden drückten, war doch die fromme Ehrfurcht
vor dem Beiligften sehr vermindert. Zwar der Jungfrau Maria
werden kunstvolle heiche1) gedichtet, auch zur Befreiung des heiligen
Grabes wird noch in Kreuzliedern aufgefordert; aber in dieser
Poesie ist oft mehr Kunst als Empfindung, es find würdige
Chemafa, die der Schaffende ähnlich behandelt, wie die italieni-
schen Maler im sechzehnten Jahrhundert die heilige Geschichte.
Denn häufiger als die Gestalten des christlichen Glaubens werden
in den Poesien der Minnesänger andere Gewalten angerufen von
befremdlichen Flamen: „Frau Sälde", „Frau Zucht", „Frau Ehre",
„Frau Minne", nicht mehr wie in der Beidenzeit als wirkliche
Göttinnen des Volkes, aber noch in lebendiger Erinnerung an das
Walten geheimer Mächte, die das Gemüt der Menschen regieren.
Die Beschäftigung mit diesen Gestalten ist allerdings ein Spiel geworden,
aber der Unterschied zwischen realer Wirklichkeit und poetischer
Erfindung ist den Schaffenden keineswegs so deutlich wie unserer
Zeit. Der Kirchenglaube aber stand dem Kreis idealer Empfin-
dungen, die jetzt die Menschen erhoben: dem stolzen Mannes-
mut, der Kriegerehre, dem Liebesglück, dem wagefrohen Werben
um Gunst und Gut, innerlich fremd und zur Zeit hilflos gegenüber.
Aber auch die sittlichen Forderungen, die in der Urzeit
dem Deutschen fein Schicksal geformt hatten, werden in der Bil-
dung des zwölften Jahrhunderts noch einmal in neuen Verhält-
nissen matzgebend. Die Jdee der Gleichheit aller Krieger drückte
sich in dem neuen Rittertum aus: eine grotze Genossenschaft,
die viele Bunderttaufende umsaht, macht jedem, der daran
teil hat, Ehre und Recht der Waffen gleich. Der Bauernsohn,
der Ritter geworden ist, kann — in dieser Zeit — auch dem
Fürsten und Gebieter deutschen Landes bei Cjoft und Curnier, im
*) Gelänge (aus ungleichen Strophen).
15*
5
10
15
20
25
30
35
228 ^ ^ ^ Z'jSH Rgj? [jgi? Kgl? tat taB
Einzelkampf und im Baufenfpiel gegenübertreten; der Dienftmann
und sein Randesgebiefer haben gleiches Recht, um die hiebe
einer edlen Frau zu werben, und die Strafen für nicht ritter-
mäßige Baltung sollen gegen beide dieselben fein. Und wieder die
5 frei gewählte Bingabe an andere Menschen, das altheimische Be-
dürfnis des treuen Dienstes, gewinnt noch einmal hohe Bedeu-
tung in dem Dienst, den der Ritter feiner erwählten edlen Frau
widmet. Es ist in neuen, wunderlichen Formen und bei auffallen-
der Verrenkung des Gefühls im Grunde genau der alte Drang
io der Selbffentäußerung. Allerdings nur noch ein Craum der Phan-
tasie und haune.
Denn poetisch gehoben war das Empfinden jener
Zeit, und eine reiche Poesie in deutscher Sprache legt
Zeugnis dafür ab.
15 Emsig suchen wir bei jedem großen Fortschritt unserer Ration
die Wege, auf denen er angebahnt wurde, hier und da vermögen
wir die geheimen Quellen bloßzulegen, deren befruchtende Kraft
ödes Beideland in blühende Auen verwandelte. Aber die Er-
klärerkunft vermag doch nie das Geheimnis neuen Rebens ganz
20 zu enthüllen. Auch das Aufblühen einer originalen deutschen
Poesie am Ende des zwölften Jahrhunderts erscheint uns einem
Wunder gleich. Denn fast plötzlich wird etwa feit dem Jahre 1170
das deutsche Rand mit einer ritterlichen Dichtkunst und Riterafur
gefüllt, von der wir in den Jahrzehnten zuvor aus überlieferter
25 Schrift kaum die ersten Spuren entdecken. Schnell ist die deutsche
Sprache eine andere geworden, der schwäbische Dialekt, der dem
Bose des großen Bohenftaufen heimisch war, gestaltet sich zur
gebildeten Schriftsprache; die neue Dichtung, die aus taufend
Seelen ihre Rieder durch das Rand sendet, formt mit graziösem j
30 Geschmack und sehr feiner Sprachempfindung die Weifen des alten j
Volksliedes zu vornehmer Kunst aus und weiß die Cöne und ]
Maße der Südfranzoien prachtvoll ins Deutsche umzuarbeiten, noch j
im Anfange des zwölften Jahrhunderts ist die deutsche Sprache :
ungeschickt, die Arbeit des denkendes Geistes und feine Empfin-
35 düng schriftmäßig auszudrücken. Sie hängt noch ganz in Dia- -
lekten, die schweren Vokale der silbenreichen Flexionsendungen r
find nur zum üeil verdünnt und abgeschliffen, immer noch schwer- «
fällig; der logische Zusammenschluß der einzelnen Satzteile durch r]
Rgj? ksS»? Rgj? ta? cgit tas? Kgl? pgj? pgj? ggj? pgj? ta? 229
Partikeln ist noch wenig entwickelt, die Perioden suchen gegen
den Seih der Sprache lateinische Safjbildungen nachzuahmen. Das
wird sah plötzlich anders. Ein Gefühl für sprachlichen Wohllaut,
wie es die Neuzeit gar nicht kennt, lebt in hundert Schaffenden,
der Ausdruck der Gedanken ist höchst graziös, oft energisch und
von epigrammatischer Kürze.
Offenbar hat das aufblühende Rittertum diese grotze Ver-
änderung nur deshalb zutage gebracht, weil sie im Volke schon
längst vorgebildet war. Wir wissen, datz der deutsche Versbau in
seinen Grundgesetzen uralt ist, wir erkennen wohl, datz die Mönche,
die in der Karolinger- und Sachfenzeit einmal deutsch dichteten,
dieselbe Klangempfindung hatten; aber von den Volksliedern der
Staufenzeit, die in den Dorfreigen der Wiese und bei den Winter-
tänzen im Saale gesungen wurden, ist uns nichts erhalten und
sehr wenig von den Liedern der fahrenden Leute, die jedes
Ereignis dem Volke episch zurichteten. Und selbst wenn wir von
solchen üexten und Melodien Kenntnis hätten, würde uns nicht
geringeres Wunder fein, datz sich in dem Kreise weltgebildeter
Laien der alte Volksfang so schnell verfeinerte und in so einziger
Weife Klang- und Sprachgefühl ausbildete während der letzten
zwanzig Jahre Friedrich Barbarossas.
Freilich hat die neue Poesie der Edlen und Dienftmannen
auch alle Schwächen einer Kunstpoesie, die sich des Gegensatzes
zu der volksmätzigen Babe freut, flicht nur in der Form wird
die Kunst zur Künstelei, auch im Inhalt ist die Einseitigkeit auf-
fällig, die allem anhängt, was in rittermätziger Weife geschaffen
wird. Aber während die höfische Bildung den Volksgefang in
ihre Bahnen zog und ihm einiges von ihrem Wesen verlieh, half
sie auch durch die Schrift festhalten, was das Volk geschaffen, und
belehrte das Sprachgefühl des kleinen wandernden Sängers. Kurze
Zeit nachdem die Gedichte der Ritter aufgeschrieben wurden, be-
gann auch die Literatur volksmätziger Dichtkunst.
Den Kreisen, die jetzt in den Vordergrund des deutschen
Lebens traten, lagen Abenteuer und ritterliche Cat vor allem am
Berzen. Schmuck und Pracht des Orients, Freude am Unerhörten,
! gewagte Verhältnisse zu schönen Frauen, märchenhaftes und Un-
! geheures lockte die Phantasie. Die nüchterne Auffassung der ent-
fachen, die in den früheren Jahrhunderten die lateinische Ge-
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230 ügj? c^s> Cüsa cg»? c^s? kLL- r^LÄ-
schichfichreibung gelehrter Mönche oft zuverlässig gemacht hatte,
ging dieser Zeit fält verloren. Die persönlichen Erlebnisse und was
schnell umbildendes Gerücht von den Daten anderer meldete, wurde
sorglos zugerichtet und niedergeschrieben. Wie den Ritter sein
5 Berz trieb, rastlos in Einzelkämpfen feine Kraft zu erweisen, in
fremden Ländern zu fahren und vor allem Gefahren zu bestehen,
die er um des Ruhmes willen suchte: so schuf er auch da, wo er
Gedichtetes erzählte, oft zwecklose Abenteuer und eine Willkür der
Ritterfahrten ohne innere Rotwendigkeit. Der preiswürdige Inhalt
io feiner Dichtungen war immer ein Spiel mit dem Leben, ein ver-
wegenes, launisches, zeitweilen tiefsinniges, oft wunderliches und
unnützes Spiel, dem die ethischen Motive aller grossen volkstüm-
lichen Gedichte, unwiderstehlicher Zwang der Verhältnisse, dämoni-
sche Grötze der Leidenschaften fast immer fehlten.
15 fluch die Liebe des Ritters war nicht eine grotze Leiden-
schaft, sondern ein phantastisches Spiel, das ihn wohl in poetischer
üräumerei erhob, selten fein wirkliches Leben mit ernstem Inhalt
füllte. Es war charakteristisch für die gesamte Zeit, datz er diesen
Kreis von idealen Empfindungen nicht bei der verlobten Braut
20 und feiner Bausfrau suchte, sondern bei fremden Frauen.
Durch die Bekanntschaft mit romanischer Gewohnheit lernten
die Deutschen, datz es dem Ritter zieme, sich eine edle Dame zur
Berrin zu wählen, in ihrem Dienste Gefahren zu bestehen, durch
Rittertat und Liebeslied um ihre Gunst zu werben, um Ring, Band
25 oder Schleier, den man an die Rüstung heftete, um Liebesblick
und Erhörung. Verschwiegen sollte der Ritter fein, den Damen
feiner Berrin niemand bekennen, für sie Gut und Leben dahin-
gehen. Dagegen ziemte der Frau, den Mann, der sich in ihrem
Dienste treu bewährte, und den Ruhm seiner namenlosen Dame
30 im Lande verbreitete, nicht ohne Erhörung zu lassen.
Aber es war mihlich, datz der Ritterdienst des Mannes bei
so willkürlich gefetztem Verhältnis selten Gelegenheit fand, sich in
ernster Männerarbeit zu betätigen. Das Lied des ritterlichen
Sängers war doch nur ein heiteres Spiel der Phantasie. Freilich
35 galt es strengen Charakteren, wie Wolfram von Eschenbach, nicht
für das beite Werben. Aber worin bestand das Ritterwerk, das
mehr gelten sollte? Rur selten konnte es Wunsch der Frauen fein,
ihrem erwählten Ritter einen Kriegszug zu befehlen; dergleichen
Rgj? Cagj? ta? kL-d Rgj? ta? Rg5? Rgi? ta? egg? ta? 231
Unternehmungen geschahen unter dem Zwange sehr realer Ver-
hältnisse, die mit dem Ulinnedienst nur wenig zu tun hatten, fluch
auf die Kreuzfahrt konnte die Frau ihren Dienftmann nur dann
senden, wenn sie geneigt war, ihn zu entbehren oder aus ihrem
Dienste zu entlassen. Selbst phantastische Wagnisse und Abenteuer
waren auf der deutschen ßeeritrafje nicht alltäglich, denn die Feh-
den und Zänkereien der Edlen tobten um Burg und Stadt, nicht
weil hiebe, sondern weil ßafj und Eigennutz aufstachelte. Da blieb
wenig anderes als die Gefahren, die der Berrin haune selbst er-
dachte, oder die gewöhnlichen Kampfspiele der Ritter. Aber wenn
auch der kräftige Mann in solchem Speerkampfe mit unübertreff-
licher Ausdauer Roh und gesunde Glieder aufs Spiel setzte und sich
täglich Gefahren unterzog, die etwa denen unserer gewöhnlichen
Studentenduelle vergleichbar sind, es war doch nicht die heilsamste
Arbeit, mit einem Ringlein am Finger oder einer Bandschieise am
Belm allwöchentlich Volte zu reiten und in einem Monat drei-
hundert Speere an den Rüstungen guter Kameraden zu zerstohen.
Und darauf lief es in der Regel hinaus.
Wohin war der Deutsche gekommen seit jener Urzeit, wo die
Uränen und Beschwörungen der Siguruna den getöteten Gemahl
aus der Götterhalle an ihr fierz herabgezogen hatten, wo die
dämonische Gewalt weiblicher Leidenschaft den geliebten Gemahl
vom Bimmel forderte, oder wo sich das Weib, um feinen Tod zu
rächen, selbst zur Ueufelin machte l Dürftig sind dagegen die zier-
lichen Leiden des ritterlichen Geschlechtes, abgeschmackt sein Wer-
ben und kindisch seine Sentimentalität. Es war eine arge Ver-
bildung, das soll man nicht beschönigen. Aber die unverwüstliche
Tüchtigkeit deutscher Ilatur lieh sich nicht lange beirren ....
Durch fast sechzig 3ahre liefen die Berzensneigungen eines
deutschen Ritters zweiteilig nebeneinander, in Sommerzeit und
Winterzeit. Er sehnte sich nach Landbesitz und Lehn, wenn ihm
das fehlte, und er dankte erfreut in artigem Liede feinem Berrn,
der ihm spät zum Lohn für Dienst und Lobgesang solche Wohltat
gönnte. Batte er eigenen Baushalt, dann war er wahrscheinlich
verheiratet mit der Tochter eines benachbarten Vasallen oder auch
eines wohlhabenden Landmannes. Seine Bausfrau erzog die
Kinder und leitete sparsam die Wirtschaft; im Sommer, wenn
der Mann auf poetischen Fahrten umherzog, muhte sie Bausstand
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232 ^ ^ k-sÄ? Kgjt c^gTs Egj? e^ssr pgj? r-sL- ia? ta? Rgj?
und Diensfleute feit zusammenhalten, auch wohl einmal mit harter
Band den Bolzen auf die Armbrust legen, wenn ein feindseliger
slachbar ihr Baus bedräufe; sie war ihrem Wirf Beschließerin, Arzt
und zuverlässiger Freund. Aber diese Che des Ritters, fein Baus-
5 wesen, feine Kinder, feine Familiengefühle, alles holde Behagen
der Beimat stand ganz außerhalb der idealen Welt, in der er
am liebsten lebte. Unter kaufenden erhaltener Rieder des höfi-
schen Sanges ist kaum eins, das die Freuden einer glücklichen
Ehe, das Glück des Baufes feiert; endlos schweift Wunsch, Sehnen,
io Klage, Freude aus der slafur zu den Böfen der Edlen, bei den
stärkeren männern um die politischen und kirchlichen Wirren des
Randes. Ulan würde dem höfischen Sänger sehr unrecht tun,
wenn man ihm Empfindung für die beste Babe eines Rlenschen-
herzes abspräche, nicht das Gefühl fehlt, aber die Fähigkeit des
i5 kunftmäßigen Ausdrucks. Der Burgherr war nicht gerade ein
treuer, aber doch wahrscheinlich ein warmherziger Gaffe und liebe-
voller Pater. Das war die Prosa feines Rebens. Und sie galt
ihm für gemein und kunstlos ....
Der höfische Frauendienif verlor seine Bedeutung in der
20 eisernen Zeit, die etwa feit 1220 über Deutschland kam. Doch
ganz verschwand er nicht aus den deutschen Burgen.
Bald auch hörten die Dienifmannen und Ritter auf, Uräger
der nationalen Poesie zu sein, aber der deutsche Gesang, der
bei ihnen begonnen, klang fort in den Stuben der Bürger, am
25 Studiertische der Mönche, auf den Kreuzwegen, wo fahrende Reute
hielten. Der unermeßliche Segen blieb der Ration, den Versen
folgte die deutsche Prosa; Urkunden, Rechtsbücher, Chroniken wurden
jetzt deutsch geschrieben, zwei Jahrhunderte nach dem Code Kaiser
Friedrichs des Zweiten wurde das erste Buch gedruckt.
30 Die ürumme1) gesplitterter Speere lagen in den ersten Jahr-
zehnten des dreizehnten Jahrhunderts auf allen Spielplätzen großer
Edelhöfe, die Rlinnelieder Walthers fang der Bote, der auf der
Straße triff. Mit Speerkrachen und zierlichem Versklang endete die
erste Periode deutscher Geschichte. Es find dreizehnhundert Jahre
35 voll ungeheurer Wandlungen; Sturz des Römerreichs und germanische
Besiedelung Europas, Aneigung des Christentums und lateinische
J) mhd. trum, drum stn. Endstück, Splitter.
L
Kgj? Cgi? Cgj? Egg? Egg? ta? tat i^i? Cgi? 233
Schule, Wiederbelebung und Verfall eines großen Kaiserreichs, eine
neue Völkerwanderung nach dem Orient und eine neue deutsche
Bildung.
47. Rückblick auf die Stellung des germanischen Weibes.
Karl Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter, Vd. 2. Wien 1897,
5. 316 sf.
H^ir Haben gesunden, daß die Germanen gleich allen anderen
A'V7 Völkern mit der rohen, derbsinnlichen Auffassung des lveibes
als einer bloßen Sache und als eines Werkzeuges zur Rrbeit wie zu
sinnlicher Lust begonnen haben. Die Sitte, daß sich das Weib mit
dem toten Manne verbrennen lassen mußte, das Recht des Mannes,
seine Frau zu vermachen, zu verschenken und zu verkaufen, bewiesen
jene Dildungsansänge, deren Spuren sich vereinzelt noch in spätere
Zeiten verlieren, wir konnten den Tod des Weibes mit dem Manne
durch einen innern Grund beschönigen, wir konnten dies auch mit
der Rechtlosigkeit versuchen, die auf den Frauen lastete; indessen
wollten wir damit die härte der ältesten Zustände Glicht verhüllen.
Vas Weib hatte von der Geburt bis zu dem Tode kein anderes
Gesetz als den willen seines Schutzherren, und die eintretenden Milde-
rungen dieser Verhältnisse sind eben Umgestaltungen des altgermani-
schen Rechts. Durch die Gnade des Vaters ward ihm zu leben er-
laubt,- durch Wertstücke oder Geld dem Vater abgekauft, mußte es
Leib und Leben einem Fremden überlassen,- gegen Geld oder aus
Gunst konnte es dieser einem andern übergeben; stumm und still
mußte es sich fügen, denn es hatte kein Recht, und notgedrungen
mußte es zuletzt in den Tod gehn. Die Last des Tages ruhte außer-
dem fast allein aus seinen Schultern,- Haus und Feld mußte es be-
stellen, während der Mann im Kriege oder auf der Jagd lag und
heimgekehrt der Mühsal müßig zusah. — Trotz allem diesem haben
wir jene altgermanische Frauenverehrung, von der Tacitus redet,
nicht in das Reich der Träume verwiesen, allein wir haben sie aus
einer schiefen modernen Deutung auf ihren wahren Inhalt gebracht,
wir haben hervorgehoben, daß der gute Sinn der Germanen und die
Rchtung der weiblichen Ehre, die Anerkennung wichtiger Geistesgaben
an hervorragenden Frauen und selbst die natürliche Schwäche des
Geschlechtes jenen Nachteilen im Rechte große Vorteile im Leben ent-
gegensetzten.
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234 ^ ^ tap Egj? ta? pgj? cgy r^sr pgj? ta?
Der gesunde Kern des germanischen Wesens hatte eine rasche
Fortentwicklung von der Stufe roher Zinnenkraft zu der freier Mensch-
lichkeit geschaffen. In Bezug auf die Frauen äußerte sich dies in
einer Menge Ausnahmen von den alten Rechtsatzungen, die all-
5 mählich eintraten. Vas Mädchen erhielt Zugeständnisse bezüglich der
Verfügung über sein vermögen,' bei der Vermählung kam sein eigener
Wille zu Rnsehen; die Erkaufung von Leib und Leben wandelte sich
in die Erwerbung des Schutzrechtes; die Macht des Ehemannes über
die Person der Gattin ward beschränkter; die Witwe endlich, abge-
iv sehen davon, daß ihr Sterben mit dem Manne in vorhistorischer
Zeit bereits abkam, erhielt manche Rechte, die an männliche streifen.
Die weibliche Klugheit vermehrte das, was die Nachgiebigkeit der
Männer einräumte; mancher rechtlich freie Mann ward ein höriger
des rechtlosen Weibes; Weiber griffen tief in die Geschicke der
15 Staaten.
Die Zeiten des Rittertums erschienen, und der Frau
ward ein schwärmerischer Dienst gewidmet. Sie trat in den Mittel-
punkt des reich belebten geselligen Kreises, die Frauenliebe lenkte die
herzen der Männer und die Phantasie der Dichter, von dieser
20 Zeit an war die Stellung des Weibes eine ganz
andere geworden. Schwand auch der schimmernde ritterliche
Frauendienst nach wenig Geschlechtern, die Macht der Weiblichkeit
blieb im Leben fest gegründet. Ruch in den Rechten ward die Stel-
lung der Frauen immer selbständiger. So ist denn am Schluß des
25 Mittelalters die Frau an die Seite des Mannes in vielem getreten.
Der Boden aber, in dem ihr Leben wurzelt, ist der Grund des
Hauses, der Familie. Sie nährt die Flamme des Herdes, sie erzieht
die Kinder, sie stützt durch ihre erhaltende Kraft das ganze Haus.
In dem Rüge der Hausfrau liegt Segen oder Fluch.
Höfische Gpen.
Hartmann von Hue, der schwäbische Ritter.
(Um 1200.)
48. Der arme Heinrich.1)
in ritter so gelereti) 2)
was,
da^eran3)den buochenlas,
swa? er dar an geschriben
v an t.
der wasHartman genant,
j 5 dienstman4) was er ze
Ouwe.
er nam im5) mange6) schouwe
an mislichen7) buochen:
dar an begunde er suochen,
ob er iht des8) fünde9),
)iio da mite er swaere stunde
Überall steigt aus dieser lieblichen Idylle
wie aus einem reinen Kindesauge, ein klarer
Himmel von Unschuld und Hingebung hervor.
Uh 1 an d.
möhte senfter machen,
und von10 *) sö gewanten Sachen,
daç gotes êren töhte11)
und da mite er sich möhte
geliehen den Huten. 15
nu beginnet er iu diuten
einrede, die er geschriben vant.
dar umbe hat er sich genant,
daç er sîner arbeit,
die er dar an hat geleit12), 20
iht13) âne lôn belîbe,
und swer nach sînem lîbe14)
si hœre sagen oder lese,
i) Proben aus dem mittelhochdeutschen Text nach Hermann Paul,
Altdeutsche Textbibliothek, Nr. 3, vierte Auflage, Halle 1907. — Über-
setzung von G. Bötticher in „Denkmäler der älteren deutschen Lite-
ratur“ II, 2, Halle, Waisenhaus. — Nachdichtung von C ha miss o, Werke,
hrg. von H. Kurz, Leipzig, Bibliogr. Inst. Bd. 1, S. 231—240. — 2) unter-
richtet. — 3) das Mhd gebraucht häufig die Präposition an. — 4) nur Mi-
nisteriale, dienstbarer Ritter der edlen Grundherren von Aue (in Schwaben).—
5) sich. — 6) s. manec. — 7) verschiedenen; Sinn von vs. 6—8: er hielt in
mancherlei Büchern Umschau. — ») abh. von iht. — 9) Konj. Prät, s.
finden. — 10) iht . . . von sö gewanten Sachen: irgend etwas derartiges. —
u) s. tugen — 12) s. legen. — 13) — niht (da^ . . iht: damit nicht). —
14) s. lip : Leben.
236 ^ ^ ta? Egj» cgi? ta? tat Egg? tisi? ca?
da^ er im bitende wese
25 der sele heiles hin ze gote 1 11).
man seit, er si sin selbes böte2)
unde erlcese sich da mite,
swer über3) des andern schulde
bite.
Er4) las ditze maere5),
30 wie ein herre waere
ze Swäben gesehen:
an dem enwas vergeben
deheiner der tugende,
die ein ritter in siner jugende
35 ze vollem lobe haben sol.
man sprach dö niemen6) also
wol
in allen den landen,
er hete ze sinen banden
gebürt und dar zuo richeit,
40 ouch was sin tugent vil breit7),
swie ganz8) sin habe9) waere,
sin gebürt unwandelbare 10)
und wol den fürsten gelich,
doch was erunnäch41) also rieh
45 der12) gebürte und des guotes
so der eren13) und des muotes14).
Sin name der was erkennelich,
und hiez der herre Heinrich,
und was von Ouwe geborn.
50 sin herze häte versworn15)
valsch16) und alle törperheit,
und behielt ouch vaste den eit
staete unz an sin ende,
an' alle missewende
stuont sin ere und sin leben. 55
im was der rehte wünsch17)
gegeben
ze werltlichen eren:
die künde er wol gemeren
mit aller bände reiner tugent.
er was ein bluome dereo
jugent,
der werlte fröude ein
Spiegelglas,
staeter triuwe ein ada-
mas18),
ein ganziu kröne der zuht.
er was der nöthaften
fl u h t19),
ein schilt siner mäge, 65
der milte ein glichiu20)
wäge:
im enwart über21) noch ge-
brast22).
er truoc den arbeitsamen last
der eren 23) über rücke,
er was des rätes brücke24) 70
und sanc vil wol von minnen.
alsus kund’ er gewinnen
1) sich im Gebet für sein Seelenheil an Gott wende. — 2) lege für
sich selbst Fürbitte ein. -- 3) für. — 4) Hartmann. — 5) in einer lateinisch
geschriebenen Aufzeichnung. — 6) Hat.: von niemand. — ') groß; weit und
breit berühmt. — 8) wie vollkommen auch. — 9) Haltung. — 10) makellos. —
11) nicht nahe, kaum. — 12) abh. von rieh. — >3) Ehrenhaftigkeit. 14) Gesin-
nung. — 13) s. verswern. — 1 6) Subst. — 17) Vollkommenheit; für ihn waren alle
wünschenswerten Bedingungen gegeben. — 18) Edelstein, Diamant: Bild der
unverbrüchlichen Treue. — 19) Zuflucht. — 20) gleich, gerecht abwägend.
— 2i) über das Maß; Überfluß. — 22) s. gebresten, ergänze: er; er schenkte
weder im Überfluß, noch ließ er es an sich fehlen. — 23) Ritterwürde brachte
Bürde. — 24) überbrückte durch seine Hilfe alle Not und Verlegenheit.
RgS? Eagä? Eg»? tigS? Kgî? C^=i? I^i? k^-îk l^ï? ta? Egï? Pgï? t^gâ? 237
der werlte lop unde pris.
er was hübesch 4) und dar zuo
W1S.
üy 75 Dö der herre Heinrich
also geniete -) sich
eren 3) unde guotes
und froeliches muotes
und werltlicher wünne
58 80 (er was für4) al sin künne5)
gepriset unde geeret),
sin hoher muot6) wart
verlieret
in ein leben gar geneiget7).
an im wart erzeiget,
58 85 als ouch an Absolöne8),
da? diu üppige9) kröne
werltlicher süe?e
vellet under füe?e
ab ir besten werdekeit10),
06 90 als uns diu schriftu) hat geseit.
e? sprichet an einer stete da:
‘media vita
in morte sumus’12):
da? bediutet sich alsus,
56 95 da? wir indem töde Sweben,
so wir aller beste wsenen
leben.
Dirre werlte veste 13),
ir stæte, und ir beste
unde ir grœste magenkraft14),
diu stât âne meisterschaft15). 100
des muge wir an der kerzen
sehen
ein wäre? bilde geschehen,
da? si zeiner16) aschen wirt,
enmitten dö si lieht birt17).
wir sin von broeden tos
Sachen.
nu sehent, wie unser lachen
mit weinen erlischet.
unser süe?e ist vermischet
mit bitterre gaben,
unser bluome der muo? vallen, 110
so er allergrüenest waenet sin.
an hern Heinriche wart
wol schin18):
der19) in dem hcehsten
werde20)
lebet üf dirre erde,
derst21) der versmæhete 125
vor goto.
er viel von22) sime geböte
ab siner besten werdekeit
in ein versmæhelîche? leit:
p höfisch, fein gesittet. — 2) sich eifrig erfreute an. — 3) Gen. —
4) vor, mehr als. — 5) Geschlecht. — 6) hochgemutes Wesen, Frohsinn. —
7) s. neigen: erniedrigen, drücken. — 8) Absalon, Davids Sohn, s. 2. Samuel.
13—18- — 9) vergängliche. — 10) Herrlichkeit. — n) Heilige Schrift; die
Stelle stammt indessen nicht aus der Bibel; die Verse sind von dem Mönch
Notker Balbulus von St. Gallen (gest. 912), der „das Lied gedichtet haben
soll, als er dem gefährlichen Bau der Brücke über den Martinstobel (zwi-
schen St. Gallen und Rorschach) zugesehen hatte“ (nach Brenner). —
12) mit Luthers Worten: „Mitten wir im leben sind Mit dem tod
umbfangen.“ — i3) Subst. — 14) Vollkraft, Kraftfülle. — 15) Vollkommen-
heit. — 1G) ze einer. — 17) s. hörn. — iß) Adj. — i9) wer, wenn einer. —
20) Subst. — 2i) der ist. — 2L) durch (Gottes Machtgebot).
238 ^ ^ cgi? cgj? pgj? cgj? cgj> ^ ra? r-SLr
und wart nu alse unmaere,
da^ in niemen gerne an sach;
alse ouch Jöbe3) geschach,
dem edeln und dem riehen,
der ouch vil jaemerlichen 13008t
dem miste wart ze teile4)
mitten in sime heile5).
in ergreif1) diu miselsuht2).
120 dö man die swaeren gotes zuht
gesach an sinem libe,
manne unde wibe
wart er dö widerzaeme.
nu sehent, wie genaeme
125 er e der werlte waere,
6) Als der arme Heinrich erst sah, daß er, gleich allen Aussätzigen,
der Welt widerwärtig war, da unterschied ihn sein bitterer Schmerz von
Hiobs Geduld, denn es ertrug jener Fromme mit geduldigem Mute und
Seelenruhe, was ihm zu leiden aufgelegt war: den Siechtum und die
5 Krankheit der Welt, und lobte dabei freudig Gott seinen Herrn7). Das
tat aber leider nicht der arme Heinrich, der war unfroh und traurig, sein
hochsteigendes Herz sank, seine schwebende Freude ward zu nicht, sein
hoher Mut fiel herab, sein Honig ward zu Galle, eine schwarze Wolke
bedeckte seiner Sonne Glanz, und ein harter Donnerschlag zerschlug ihm
10 seinen hellen Himmel.. Er trauerte, daß er so viel Glück hinter sich lassen
mußte, ja er verfluchte und verwünschte gar oft den Tag, an dem er zur
Welt geboren war8).
Doch empfand er wieder ein wenig Freude, als ihm zum Troste
gesagt wurde, daß diese Krankheit gar verschiedentlich sei und zuweilen
15 heilbar. Da dachte er hin und her, wie er wohl genesen könnte, zog gen
Montpellier9) und fragte die Ärzte um Rat; aber es wurde ihm geant-
wortet, er sei nicht zu heilen und werde nimmer vom Aussatz rein.
Traurig hörte er das an und zog weiter gen Salerno10), die weisen Ärzte
auch dort zu befragen. Nun sagte ihm der beste Meister, der da war,
20 eine wunderbare Sache, nämlich, daß er zwar heilbar wäre, aber doch
nimmermehr würde geheilt werden. „Wie mag das zugehen?“ sprach
Heinrich, „du redest gar unverständlich! Bin ich heilbar, so werde ich
auch geheilt; denn was an Geld oder Arbeit verlangt wird, das getraue
ich mir noch auszurichten.“ „Laßt das Gedingen,“ u) antwortete der Meister,
*) s. ergrifen — 2) der durch die Kreuzzüge in Europa verbreitete
ansteckende Aussatz (Lepra); die Aussätzigen mußten eine hölzerne Klapper
tragen, um ihre Annäherung anzuzeigen, und einen Stock, mit dem sie die
begehrten Gegenstände berührten. Näheres bei Häser, Lehrbuch der Ge-
schichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten, Bd. 2 (3. Ausl.),
Jena 1880. — 3) Hiob. — 4) anheimfiel. — 5) s. Hiob 2, 8. — 6) Nach-
erzählung von Wilhelm Grimm (Der arme Heinrich von Hartmann
von der Aue. Aus der Straßburgischen und Vatikanischen Handschrift her-
ausgegeben und erklärt durch die Brüder Grimm. Berlin 1815). — 7) „Auch
Hiob demütigt sich erst durch die Reden des Elihu“ (Bötticher). — 8) Hiob 8. —
9) in Südfrankreich, mit einer seit dem Jahre 1180 aufblühenden medizini-
schen Schule. — 1 o) in Italien, in der Campania; seine im Jahre 1150 ge-
stiftete medizinische Lehranstalt war im Mittelalter weltberühmt.— ll) die
zuversichtliche Hoffnung; mhd. gedingen (swv.): fest und sicher glauben.
tat ta? tat cgi? cgi? Eg»? t^i? cgj? ta> Rat 239
„Eure Krankheit ist nun einmal der Art. Was frommt’s, daß ich Euch’s
sage! Es gibt wohl eine Arznei dafür, die Euch heilt, es ist aber kein
Mensch so mächtig, noch so klugen Geistes, daß er sie gewinnen möge;
darum werdet Ihr nimmermehr geheilt, Gott wolle denn Euer Arzt sein.“
Da sprach der arme Heinrich: „Was nehmt Ihr mir meinen Trost hinweg? 5
Ich habe doch so großes Gut, wo Ihr nicht wollt Eure Meisterschaft und
Euer Recht brechen und mein Gold und Silber ausschlagen, ich mache
Euch also mir geneigt, daß Ihr mir gewißlich gerne helft.“ — „Mir fehlt nicht
der Willen,“ antwortete der Meister, „und wär’s eine Arznei, die man feil
fände oder sonst auf irgend eine Art erlangen könnte, ich ließ Euch nicht 10
verderben. Nun ist es leider nicht also; darum muß Euch meine Hilfe
versagt sein, und wäre Eure Not noch größer. Hört an: „Ihr müßt
haben eine reine Jungfrau, die aus freiem Willen für Euch
den Tod leidet; nun ist’s aber nicht der Menschen Art, daß jemand so
etwas gerne tut. Wie ich Euch gesagt: nichts anders ist nötig als solcher 15
Jungfrau Blut, das wäre für Eure Krankheit die rechte Arznei.*
Nu erkante der arme
Heinrich
da? da? waere unmügelich,
ÖSS235 da? iemen den erwürbe,
der gerne für in stürbe,
alsus was im der tröst benomen,
üf den er dar was körnen,
und dar nach für die selben frist
0H240 hat' er ze siner genist
dehein gedinge mere.
des wart sin herzesere
also kreftic unde grö?,
da? in des aller meist verdrö?1),
i SH45 ob er langer solte leben.
nu fuor er heim und be-
gunde geben
sin erbe und ouch sin
varnde2) guot,
: als in dö sin selbes muot
und wiser rät lerte,
) osso da3) er?4) aller beste bekerte.
er begunde bescheidenlichen5)
sine armen friunde riehenfi)
und tröste ouch fremde armen,
da? sich got erbarmen
geruochte über der sele heil: 255
gotes hiusern viel da? ander teil,
alsus so tet er sich abe7)
bescheidenlichen siner habe
unz an ein geriute:
dar flöch er die liute8). 260
disiu jsemerliche geschiht,
diu was sin eines9) klage niht;
in klageten elliu diu laut,
j da er inne was erkant,
und ouch von vremden landen 265
die in nach sage erkanden.
Der e ditz geriute
und der e? dannoch biute10),
da? was ein frier human,
der vil selten ie gewan 270
dehein grö? ungemach,
]) s. verdrie?en. — 2) fahrende, bewegliche Habe, s. Walther v. d. V.:
Ich sä? üf eime steine, vs. 14. — 3) dahin (begann er zu schenken), wo. —
4) er e?. — 5) jn verständiger Art. — 6) reich machen. — 7) abe siner
habe. — 8) dorthin floh er vor der Welt. — 9) klage sin eines (Klage von
ihm allein); nicht er allein beklagte. — 10) s. biuwen, büwen.
da? andern gebüren doch ge-
schach,
die wirs1) geherret wären,
und si1 2) die3) niht verbären4)
275 beidiu mit stiure und mit bete.
swa? dirre gebüre gerne5) tete,
des dühte sinen herren genuoc.
dar zuo er in übertruoc6),
da? er dehein arbeit
280 von fremdem gewalte leit.
des was deheiner sin gelich7)
in dem lande also rieh.
zuo deme zöch sich
sin herre, der arme Hein-
rich.
285 swa? er in het e gespart,
wie wol da? nu gedienet8) wart
und wie schöne9) er10) sin
genö?!
wan in11) vil lützel des verdrö?,
swaz im geschach durch in.
290 er hete die triuwe und ouch
den sin,
da? er vil willecliche leit
den kumber und die arbeit,
diu ime ze lidenne geschach.
er schuof ime rieh gemach12).
295 Got hete dem meiger ge-
geben
nach siner ahte ein reine?
leben13).
4) s.
überheben,
- 9)
keit. — 13) ein nach
Leben. — ") Partiz. erbeit:
— 16) Konj. F
des Königs Hof sein können.“ —
- 2 0) ze allen. — 21) wohin.
er hete ein wol erbeiten14) lip
und ein wol werbende?15) wip;
dar zuo het er schoeniu kint,
diu gar des mannes fröude sint, 30O(
unde hete, so man saget,
under den kinden eine maget,
ein kint von ahte jären:
da? künde wol gebären
so rehte güetlichen: 30S(
si wolte nie entwichen
von ir herren einen fuo?:
umbe sine hulde und sinen
gruo?
so diente si ime alle wege
mit ir güetlichen pflege. 3ioi
si was ouch so genaeme,
da? si wol gezaeme16)
ze kinde dem riche17) .
an ir waetliche18).
Die andern heten den sin, 3iH,
da? si ze rehter mä?e in
wol gemiden künden19):
so hoch si zallen20) stunden
zuo ime und niender anders
war21).
si was sin kurzewile gar22). 32st
si hete gar ir gemüete
mit reiner kindes güete
an ir herren gewant,
da? man si zallen ziten vant
under ir herren fuo?e. 322s
1) weniger gut, Komp, zu: übele. 2) welche. — 3) die herren. —
verhörn: verschonen. — 5) aus freien Stücken. — fi) s. übertragen:
schützen vor. — 7) keiner von seinesgleichen. — 8) vergolten,
schön. - 10) Heinrich. — u) den Meier (human). — 12) Bequemlich-
den Verhältnissen eines Bauersmannes vollkommenes
erbeitet, s. erbeiten. — 15) schaffensfreudig.
6) Konj. Prät. s. gezemen. — 17) Reichsoberhaupt; „hätte Fräulein an
18) in ihrer Schönheit. — 19) wußten.
22) ganz und gar, ausschließlich.
w c
Kga ta? cgi? egg? c^gre tat c^i? ta? cggy t^i? 941
mit siie?er unmuo^e1)
wonte2) si ir herren bi.
dar zuo sb liebte3) er ouch si,
swa mite so er mohte,
oo und da? der meide tohte4)
zuo ir kintlichen spil,
des gab der herre ir vil.
ouch half in sere, da? diu kint
so lihte ze gewenenne5) sint.
55 ergewan ir, swa? erveile6) vant,
spiegel unde harbant,
giirtel unde vingerlin
und swa? kinden hep solte sin.
mit dienste brähte si?7) üf die
vart8)
da? si im also heimlich wart, 340
da? er si sin gemahel hie?,
diu guote maget in lie?
beliben selten eine9):
er dühte si vil reine,
swie starke ir da? geriete 345
diu kindesche miete10),
iedoch geliebte11) ir? aller
meist
vongotesgebe12)einsüe?er
geist.
Also diente sie ihm gütlich drei Jahre, welche der arme Heinrich,
dessen Leib Gott mit Jammer quälte, da bei dem Meier zubrachte. Nun
trug es sich zu, daß dieser mit seinem Weib und dem Mägdlein, ruhend
von der Arbeit, bei ihm saß und sie sein Leid beklagten. Denn es tat
ihnen weh, auch mußten sie fürchten, daß sein Tod sie schwer treffen 5
[ und ein neuer hartgesinnter Herr sie von Ehre und Gut bringen würde.
: So saßen sie sorglich, bis endlich der Meier anhub und sprach: „Lieber
Herr, möcht’ es mit Euern Hulden sein, ich fragte gerne: da zu Salerno
: so viele Meister in der Heilung sind, wie kommt’s, daß keiner so weis’ ist
[ und für Eure Krankheit einen Rat findet? Herr, das wundert mich!“ Da 10
1 holte der arme Heinrich mit bitterlichem Schmerz einen Seufzer aus
[ Herzensgrund und antwortete also traurig, daß ihm der Seufzer das Wort
i zerbrach: „Ich habe diese schimpfliche und verspottete Krankheit gar wohl
5 an Gott verdient, denn du hast gesehen, daß mein Tor weltlicher Lust
j weit offen stand und niemand von meinem Geschlecht also nach Wunsch 15
1 lebte; aber wie unvernünftig ist solcher Wahn! Hernach hat sich gezeigt,
) daß gar gering mein Vermögen war. Da achtete ich wenig darauf, daß
) Gott nach seiner Gnade mir dieses Wunschleben verliehen; ich dachte in
1 meinem Sinn, wie alle Welttoren, daß ich solche Ehre und Gut auch wohl
0 ohne ihn haben könnte. So betrog mich mein dummer Stolz, und ich sah 20
v wenig zu dem, von dessen Gnaden mir soviel Ehre und Gut gekommen
v war. Als aber der hohe Himmelspförtner über solchen Hochmut zornig
v ward, da schloß er mir des Heiles Tor, und mein dummer Sinn hat ver-
v wirkt, daß ich nun leider nimmermehr eingehe. Gott hat Rache genommen
und eine Krankheit an mich gelegt, von der mich niemand befreien kann. 25
Die Bösen verschmähen mich, die Guten fliehen mich, ja wie schlecht
*) Dienstfertigkeit. — 2) verweilte. — 3) erfreute. — 4) s. tugen. —
° ö) deklin. Inf., s. gewenen. — 6) käuflich. — 7) S1 e?. — 8) dahin, daß. —
0 9) allein. — 10) das den Kindern willkommene Schenken. — n) machte
ifi.lieb. — 12) durch Gottes Eingebung.
Liermanu-Viluiar, Altdeutsches Lesebuch.
16
einer sei, der mich erblickt, ich muß noch schlechter sein, sodaß er mir
seine Verachtung zeigt und die Augen ab von mir wendet. Nun scheint
erst recht deine Treue an mir, daß du mich Siechen bei dir
duldest und mich nicht fliehest. Dennoch, wie du mich auch nicht
5 scheuest, wie ich auch niemand außer dir lieb sei, wie dein Glück an mir
stehe, du ertrügest wohl meinen Tod. Nun sage: wessen Unwert, wessen
Not ward je größer auf der Welt? Hievor war ich dein Herr, nun
bin ich dein bedürftig, lieber Freund, du und meine Frau
und dein Weib, ihr drei verdienet das ewige Leben, daß ihr
10 mich Kranken also pfleget. — Was du mich aber gefragt hast,
darauf will ich dir antworten: „Ich ging nach Salerno und konnte dort
keinen Meister finden, der sich mein unterwinden') durfte oder wollte;
denn um von meiner Krankheit zu genesen, sollte ich eine Sache schaffen,
wie sie niemand auf Erden mit irgend etwas gewinnen kann. Nichts
15 anders ward mir gesagt, als daß ich eine mannbare Jungfrau haben müßte,
die entschlossen wäre, für mich den Tod zu leiden: ihr würde
ins Herz geschnitten, und das Blut aus ihrem Herzen, das würde mir allein
helfen. Aber das ist gar unmöglich, daß jemand für mich gern den Tod
leide; darum muß ich diese schwere Schande bis an mein Ende tragen,
20 das mir Gott bald gewähre!"
Was der arme Heinrich dem Vater sagte, das hörte die reine Jung-
frau mit an; denn die Holdselige hatte ihres Herrn Füße in ihrem Schoße
stehen, also daß man wohl ihr kindlich Gemüt hin zu der Engel Güte ge-
sellen möchte. Sie achtete auf seine Worte und merkte sie wohl, und sie
25 blieben in ihrem Herzen bis zur Nacht eingeschlossen. Als sie sich aber
nach ihrer Gewohnheit zu Füßen ihres Vaters und ihrer Mutter niedergelegt
hatte und beide eingeschlafen waren, da holte sie um ihres Herrn Unglück
aus Herzensgrund manchen tiefen Seufzer, und ihre Betrübnis war also
schmerzlich, daß ihrer Augen Regen die Füße der Schlafenden begoß.
• 30 Als diese die Tränen fühlten, erwachten sie und fragten, was ihr wäre
und welch’ Unglück sie also heimlich beklagte. Sie wollte es aber lange
nicht sagen, bis sie endlich ihr Vater durch sanfte und strenge Worte
dahinbrachte, daß sie sprach: „Ihr mögt klagen mit mir, denn was ;
kann uns leider sein als das Unglück unseres Herrn, den wir
35 verlieren sollen und mit ihm Gut und Ehre. Nimmermehr gewinnen wir
einen so guten Herrn, der wie dieser an uns tut.“ Sie antworteten: „Du i
sprichst wahr, doch frommt uns leider unsere Trauer und Klage nicht j
haarbreit. Liebes Kind, davon wende deine Gedanken ab, es tut uns ge-
wißlich so weh als dir, aber leider steht es nicht in unserer Macht ihm zu jj
40 helfen. Gott hat ihn genommen, hätt’ es ein anderer getan, wir müßten n
ihm fluchen.“ So geschweigeten1') sie das Kind, aber sie schlief nicht und b
blieb traurig die ganze Nacht und den folgenden Tag; was man auch vor ii
brachte, es kam nicht aus ihrem Herzen. Als sie die andere Nacht wieder i
nach Gewohnheit schlafen gingen und sie sich an ihre alte Bettstätte ge- x
45 legt hatte, da bereitete sie ein Bad mit weinenden Augen. Tief im Herzen, ,r
i) meiner annehmen.
2) brachten zum Schweigen.
ta? Cgi? Cgi? Cagj? ta? Cä=gj? ta? C^i? Ca5r»? t^i? kLd Cgi? C^i? 243
still und verborgen, trug das süße Kind die allergrößte Güte, die ich je
vernommen. Welches hat je also getan! Sie beschloß festiglich bei
sich, erlebte sie morgen den Tag, sie wollte ihr Leben für
ihren Herrn hingeben. Von dem Entschluß ward sie froh und leichtes
Mutes, und ihr tat keine Sorge mehr weh, nur noch die eine Furcht, daß
etwa ihr Herr, wenn sie es ihm verkündige, daran verzage und daß alle
dreie es ihr nicht zugeben würden. Darüber ward ihre Ungehabe1) so
groß, daß Vater und Mutter, wie in voriger Nacht, davon erwachten. Sie
richteten sich auf und sprachen: „Was nimmt dir die Ruhe? Du bist recht
albern, daß du mit solcher Klage, die niemand enden kann, dein Herz dir
schwer machst! Warum läßt du uns nicht schlafen?“ So verwiesen sie
ihr die unnütze Sorge und meinten, die Süße zur Stunde beschwichtigt zu
haben; aber ihr Entschluß war ihnen noch nicht kund. Da antwortete sie:
„Doch hat mein Herr gesagt, daß er wohl könnte erhalten werden. Bei
Gott! wo ihr mir’s nicht wehrt, so bin ich zu seiner Arznei gut; denn ich
bin eine Jungfrau und fest entschlossen, eh' ich ihn verderben sehe, für
ihn den Tod zu leiden.“
Von dieser Rede wurde Vater und Mutter traurig und
betrübt. Er sprach: „Von solchen Dingen laß ab und verheiße unserm
Herrn nicht mehr, als du vollbringen kannst; denn dieses geht über deine
Kräfte. Du bist ein Kind, und deiner Treue ist hierin zu viel, du hast den
Tod noch nicht gesehen; kommt es dann dazu, daß kein anderer Rat mehr
ist und du sterben mußt, so möchtest du gern noch leben und ist nun zu
spät; du hast noch nie in den finstern Abgrund geblickt. Darum schließ
zu deinen Mund, und machst du dich noch einmal mit solchen Reden laut,
soll dir’s an den Hals gehen.“ So meinte er sie durch sanfte und strenge
Worte zum Schweigen zu bringen, aber er vermochte es nicht. „Lieber
Vater,“ sprach sie, „wie dumm ich bin, doch wohnt mir der Witz bei, daß
ich von Sage diese Not kenne und weiß, daß stark und herb des Leibes
Tod ist, aber wer mit mühsamer Arbeit sein Leben hoch hinaufführt, dem
ist auch nicht zu wohl; denn so er hier ringt und schafft und mit großer
Not seinen Leib bis ins Alter bringt, so muß er immer noch den Tod
leiden, und ist dann seine Seele dahin, so wäre ihm besser, er wäre nie-
mals zur Welc geboren. Mir ist’s aber zuteil geworden, daß ich noch in
jungen Jahren für das ewige Leben den Leib hingeben mag, wofür ich
immerdar Gott loben will. Ihr sollt mir's nicht verleiden; denn uns allen,
mir und euch, Vater und Mutter, tue ich damit gar wohl, und ich will euch
klärlich zeigen, daß ich allein vor Schaden und Leid euch zu bewahren
vermag. Ihr habt Ehre und Gut, nach meines Herrn mildem Sinne, der
euch nie Last auflegte und nie den Vorteil wegnahm; solange er lebt, steht
eure Sache wohl, aber wenden wir seinen Tod nicht ab, so müssen wir
verderben. Darum will ich ihn mit also schönen Listen erhalten, auf daß
wir alle genesen: nun gönnet mir’s, denn es muß sein!“
Die Mutter, als sie ihres Kindes Ernst sah, sprach weinend: „Gedenke,
liebste Tochter, wie groß die Beschwerden sind, die ich deinetwegen er- i)
5
10
15
20
25
30
35
40
45
i) Aufregung.
16
244 ^ ^ Kgj? pgj? Pags? Kgj? ta? cgi? cgi? cgj? Ka?
litten, und laß mich bessern Lohn empfangen, als von dem ich dich sprechen
höre. Du willst mir das Herz brechen! Sänftige mir deiner Worte ein
Teil. Willst du an uns all’ dein Heil bei Gott verwirken? Ach, du denkst
nicht an sein Wort, daß man Vater und Mutter lieben und ehren soll, und
5 daß er zum Lohn verheißen dort der Seelen Wohlfahrt, hier auf Erden
ein langes Leben. Du sprichst, du wolltest dein Leben für unser beider
Wohl hingeben, nein, du willst uns das Leben verleiden: denn wenn wir,
dein Vater und ich, gerne leben, so geschieht es für dich. Ja, liebe
Tochter, du solltest unsere Freude sein und unseres Lebens Wonne,
10 eine Blume in deinem Geschlecht, ein Stab unseres Alters, und bist
du schuld, daß wir weinend über deinem Grabe stehen, so bist du
von Gottes Hulden immerdar geschieden: sieh, das erwirbst du dir an
uns!" Die Jungfrau antwortete: „Ich glaube wohl, Mutter, daß du und
der Vater mir mit Liebe zugetan sind, wie Eltern ihrem Kinde, und
15 befinde es ja auch alltäglich. Von eurer Liebe habe ich Seele und einen
schönen Leib, mich lobet Mann und Weib, und wer mich sieht, spricht,
daß ich das schönste Kind sei, das er je auf der Welt gesehen. Wem
sollte ich also nach Gott mehr Gnade verdanken als euch zweien? Darum
will ich gerne zu jeder Zeit nach eurem Willen tun, wie mir gewißlich
20 geziemt. Mutter, selige Frau, seit ich nun Leib und Seele durch eure Liebe
habe, so nehmt es zu Hulden an, daß ich beides von dem Teufel erlöse
und mich Gott ergebe. Dieser Welt Leben ist nur ein Verderben der
Seele, auch hat mich weltliches Gelüsten, das zur Hölle leitet, noch nicht
angerührt. Dank sag’ ich Gott, der mir in meinen jungen Tagen
25 den Sinn verliehen, daß ich dies hinfällige Leben gar gering
achte und mich rein seinen Händen überantworten will. Ich
fürchte, würde ich älter, daß mich der Welt Süßigkeit unter ihre Füße
zückte, wie sie so manchen hat zur Hölle herabgezogen, den auch ihre
Lust verführte, und daß ich dann leicht vom Himmel abgewendet würde.
30 Ja, Gott sei’s geklagt, daß nur bis morgen ich noch leben muß, mir be-
hagt die Welt nicht also wohl, fürwahr, ihre größte Freude ist Herzeleid,
ihr süßer Lohn eine bittere Not, ihr langes Leben ein jäher Tod. Nichts
haben wir Gewisses, als heute wohl und morgen weh und zuletzt den
Tod. Das heißt wohl Elend und Jammer! Und dagegen schützt nicht
35 Geburt, Reichtum und Schönheit, Stärke und hoher Mut; es frommt Tugend
und Ehre gegen den Tod nicht mehr als Untugend und Unehre. Unser
Leben und unsere Jugend ist ein Nebel und ein Staub: der
ist ein Tor, der gern diesen Rauch in sich fasset und ohne
Besinnung der Welt nachfolgt. Denn über das faule Stroh
40 ist ein schimmernder Teppich gebreitet; wen sein Glanz
verlockt, der istzur Hölle geboren und hat nichts Geringeres
hingegeben als beides Leib und Seele. Nun gedenke, selige Frau,
mütterlicher Treue und sänftiget das Leid, das ihr meinethalben hegt, so
wird der Vater sich auch besinnen. Ich weiß wohl, daß er mein Glück
45 will, doch ist er ein solcher Biedermann, daß er wohl erkennt, wie ihr in
kurzem eure Freude an mir haben mögt. Blieb ich auch noch leben bei
euch zwei oder drei Jahre, so ist vielleicht mein Herr gestorben, und ihr
C<£EH Cs2?*s t^i? ti^i? t^5i K25) 1^5? tigit 24:5
kommt von Armut in so große Not, daß ihr mir nicht Gutes genug geben
könnt, mit meinem Manne ohne Kummer zu leben, und euch dann mein
Tod lieber wäre. Doch ich geschweige solches Elends, daß Armut uns
nicht drücke und mein Herr fortlebe in seiner Krankheit so lang, bis man
mich einem reichen und ehrenwerten Manne gebe, so ist geschehen, was
ihr nur immer hoffen könnt, und ihr denkt, mir sei Heil widerfahren. Ganz
anders sagt mir mein Herz: wird mir mein Mann lieb, das ist eine Not,
denn ich habe meinen leidenden Herrn vor Augen; wird er mir verhaßt,
das ist gar der Tod. Gott weiß! so ist Leid immer mein Teil, und ich
bin durch so vieles, was Frauen beschwert und in Freuden irrt, ganz von
aller Wohlfahrt und Ruhe geschieden. Setzt mich lieber in das volle Glück,
das da nimmer zergeht: mich begehrt ein freier Baumann, dem ich wohl
meinen Leib gönne; wo ihr mich diesem gebt, bin ich wohl versorgt. Ihm
geht sein Pflug leicht und wohl, sein Hof ist alles Hausrats voll, da stirbt
nicht Roß noch Rind, da quälen nicht weinende Kind, da ist nicht zu heiß,
nicht zu kalt, da wird niemand an Jahren alt, der Alte wird ein Junger,
da ist kein Durst noch Hunger, da ist keiner Art Leid, da ist volle Freud
ohn' Arbeit. Zu dem will ich ziehen und mich losmachen von einem Haus-
halt, den das Feuer und Wasser schlägt und die Flut überschwemmt, wo
man immerdar ringt und gerungen hat und wo, was das ganze Jahr er-
arbeitet, ein halber Tag verliert. Solchen Haushalt muß ich fliehen und
verwünschen. Ihr liebt mich, wie’s recht ist, nun wünsche ich, daß eure
Liebe mir nicht zur Unliebe werde. Könnt ihr recht verstehen,
wohin mein Sinn geht, und gönnt ihr mir Gut und Ehre, so
laßt mich kehren zu unserm Herrn Jesu, des Gnade also
stätig ist, daß sie nimmer zergeht, und der auch zu mir, der
Armen, also große Liebe trägt wie zu einer reichen Königin.
Ich will durch meine Schuld nicht aus eurer Liebe kommen, und es ist
auch Gottes Gebot, daß ich euch untertan sein soll, da ich das Leben von
euch habe, und dem folg’ ich gern und williglich; aber er verlangt auch,
daß ich meine Treue an mir selber nicht breche. Das hörte ich allzeit
sagen: wer den andern erfreuet so, daß er selber wird unfroh, und wer
den andern krönet und sich selber höhnet, des Treue ist ein Teil zu viel.
Gern will ich folgen und euch Treue erzeigen, aber mir selber
doch die größte. Wollt ihr mir mein Heil abwenden, so laß
ich euch lieber eine kurze Zeit um'mich weinen, als daß ich
nicht vollende, was ich mir selber schuldig bin; ich will dorthin,
wo ich die ewige Freude finde. Ihr habt noch mehr Kinder, die laßt eure
weltliche Freude sein und tröstet euch über meinen Tod; denn gewiß und
wahrhaftig, mir soll das niemand wehren, meinen Herrn und mich selber
zu erretten. Mutter, ich hörte dich vorhin klagen und sprechen, es täte
deinem Herzen weh, solltest du über meinem Grabe stehen: siehe, dazu
kommt es nicht, du stehst nicht über meinem Grabe, denn wo mir der
Tod wird gegeben, da läßt dich niemand zusehen. Zu Salerno geschieht’s,
da soll uns viere der lod befreien aus der Gewalt der Hölle und der bösen
Geister, da genesen wir alle und ich doch viel mehr als ihr.“
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246 ^ ^ ^ cgi? ta? ta? ta? Kgs? cgi? ta> ca? ksrr
Als sie sahen, daß das Kind also fest zum Tode entschlossen war
und also weislich redete und menschlichen Rechtes Schranke zerbrach, da
bedachten sie unter sich, wie solche Gedanken und solche Weisheit nicht
die Zunge in Kindesmund spreche, nein, der Heilige Geist müsse ihrer
Rede Urquell sein. Und gedachten in ihrem Herzen, daß sie nicht wollten
und sollten die Jungfrau abwenden von dem, was sie festiglich ergriffen
und wozu der Entschluß ihr von Gott gekommen. Doch, als sie dann bei
ihrer Liebe zum Kinde wiederum ihrer Worte und ihrer Sinne nicht mächtig
waren, saßen sie beide still in ihrem Bett, frierend vor Jammer, und keins
sprach zur Stunde ein Wort, und die Mutter hatte zuerst vor Leid ihre
Rede abgebrochen. So saßen sie traurig und betrübt, bis sie bedachten,
was ihnen dies Trauern helfe, da sie ihr nicht ihren Entschluß nehmen
könnten, und es wäre das beste, sie gönnten’s ihr, weil sie doch ihr Kind
nie herrlicher verlören. Wären sie ihren Worten entgegen, so möchte ihr
Herr es ihnen zur Last legen, und bei ihr richteten sie doch nichts aus.
Da sprachen sie willigend und geneigt zu ihr, es möge geschehen,
was sie erbeten hätte.
Nun freute sich das reine Mägdlein, und kaum als der Tag ange-
brochen war, ging sie in das Schlafgemach ihres Herrn und rief ihn an:
„Herr, schlaft Ihr?“ — „Nein, liebe Lrau, aber sage, warum bist du heute
so früh auf?“ — „Ach, Herr! dazu zwingt mich der Jammer über Eure
Krankheit!“ Er antwortete: „Liebe Frau, daß dir’s leid ist, damit zeigst
du dein gutes Gemüt gegen mich, Gott müsse dir’s vergelten, aber dafür
mag kein Rat sein.“ — „Gewißlich, lieber Herr, es wird dafür guter Rat;
steht es also mit Euch, daß Euch kann geholfen werden, so säume ich auch
keinen Tag länger: Ihr habt uns doch gesagt, wenn Ihr eine Jungfrau
hättet, die gern für Euch den Tod leide, so könntet Ihr wohl durch sie ge-
heilt werden. Weiß Gott! die will ich selber sein, denn Euer Leben ist
besser und edler als das meine.“ Da dankte ihr der Herr für ihren guten
Willen, und die Augen füllten sich ihm mit heimlichen Tränen. „Liebe
Frau,“ sprach er, „Sterben ist nicht eine sanfte Not, wie du vielleicht dir
gedacht; du hast mich wohl überzeugt, stünd es bei dir, du hülfest mir
gerne; das genügt mir, ich erkenne dein süßes Herz, deinen
guten und reinen Willen, mehr verlange ich nicht, und du
kannst mir auch nicht gewähren, wovon du da sprichst. Die Treue, die
du an mir erzeigst, die wolle dir Gott vergelten. Alle, die davon hörten,
würden spotten, daß ich, nachdem es so weit in meiner Krankheit ge-
kommen und alle Mittel nichts geholfen, noch nach einem neuen greife.
Liebe Frau, du tust, wie die Kinder tun, die gar schnell in ihrem Mute
sind; was ihnen durch den Sinn fährt, es sei gut oder bös, dazu haben
sie ein Gelüsten, und hernach reut sie’s wieder. Siehst du, Frau, so tust
du auch: jetzt stehen deine Gedanken und Worte darauf, wollte dich
jemand dabei fassen und es ausführen, dann würde es dich leichtlich ge-
reuen. Bedenke dich besser, Vater und Mutter können dich nicht ent-
behren, ich kann auch nicht dessen Unglück verlangen, der mir allzeit
Liebe erzeigt hat; was die beiden dir raten werden, liebe Frau, das tue.“
So redete er zu der Guten, lächelte und versah sich dessen wenig, was
Egi? Egg? ta? taR Egg? ta? CgS Egg? Kgi? Cgi? ^ k-LT? 247
hernach geschah. Da sprachen aber Vater und Mutter: „Lieber Herr, Ihr
habt uns geliebt und geehret, es wäre gar nicht wohl gehandelt, wo wir’s
nicht mit Gutem Euch vergelten wollten. Unsere Tochter ist des
Willens, den Tod für Euch zu leiden, und wir vergönnend ihr
wohl. Heute ist der dritte Tag, daß sie uns um Gewährung anlag, und
nun hat sie es von uns erhalten: Gott lasse Euch genesen, denn wir wollen
sie für Euch hingeben!“
Da ihm die Jungfrau also ihren Tod für seine Krankheit anbot und
er ihren Ernst sah, da erhub sich großes Leid und jämmerliche Gebärde
und mancherlei Schwere unter den dreien. Vater und Mutter konnten
nicht anders, sie mußten um ihres Kindes Tod bitterlich weinen. Auch
der arme Heinrich betrachtete so große Treue, und ihn ergriff ein Schmerz,
daß er zu weinen anhub und nicht wußte, was besser wäre, getan oder
gelassen. Vor Furcht weinte auch das Mägdlein, denn es meinte, er ver-
zagte daran. Zuletzt bedachte sich der arme Heinrich, und
willigend dazu dankte er allen dreien für ihre Treue und
Güte. Da ward das Mägdlein fröhliches Mutes, als es sah, daß er ein-
gewilliget, und bereitete sich zu der Fahrt nach Salerno auf das beste.
Was sie nur bedurfte, das ward ihr gegeben, schöne Pferde und reiche
Kleidung, wie sie nie vorher getragen, von Hermelin, Samt und dem
köstlichsten Zobel. Wer könnte wohl beschreiben das Herzeleid und die
Klage und ihrer Mutter grimmes Weh und des Vaters harte Sorge? Ge-
wißlich wäre unter ihnen ein jämmerliches Scheiden gewesen, als sie ihr
liebes Kind so schön und frisch fortschickten in Tod und nimmermehr
wiedersehen sollten, wo nicht Gottes reine Güte ihre Not gesänftigt, von
dem auch der Mut dem jungen Mägdlein erwuchs, daß es den Tod gern
hinnahm. Es war ohne ihr Zutun gekommen, darum ward von ihrem
Herzen alle Klage und Schwere hinweggehoben, sonst wär' ein Wunder
gewesen, daß es nicht zerbrach. Aus Liebe war ihr Leid gekommen,
darum litten sie keine Not um ihres Kindes Dahinscheiden.
Also fuhr das Mägdlein mit seinem Herrn fröhlich und
zufrieden nach Salerno; was konnte sie nun noch betrüben, als daß
der Weg so weit war und sie nicht eher ihn erlöste? Sobald sie dort
angelangt waren, ging er zu seinem Meister und sagte, da bringe er eine
Jungfrau, wie er sie verlangt habe, und zeigte sie ihm. Dem Meister
däuchte das unglaublich und er sprach: „Kind, hast du dieses Entschlusses
dich selber bedacht, oder haben Bitten und deines Herrn Drohungen ge-
wirkt, daß du also sprichst?“ — „Nein,“ antwortete sie, „dieser Ent-
schluß ist aus meinem eigenen Herzen gekommen.“ Das nahm
ihn Wunder, und er führte sie abseits und beschwur sie gar sehr, ihm zu
sagen, ob etwa ihr Herr solche Worte herausgedräut habe. „Kind,“ sprach
er, „dir ist not, daß du dich besser berätst, ich will dir’s sagen, recht, wie
es ist: wenn du den Tod leidest und das nicht ganz freiwillig und gern
tust, so ist dein junges Leben dahin und freut und hilft uns nicht soviel
als ein Brosamen. Verhehle mir deine Herzensgedanken nicht, ich will
dir erzählen, was geschieht: ich ziehe dich aus ganz nackend, daß du dich,
so gewandlos, vor mir schämen mußt; binde dir Händ’ und Füße, und
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ob dich dein Leib erbarme, so bedenke dann den großen Schmerz: ich
schneide dir gerade nach dem Herzen und breche es noch lebend heraus.
Mägdlein, nun sage mir, wie steht dir dein Mut? Es geschah nie einem
Kinde also weh, als dir geschehen wird; bloß daß ich es tun und ansehen
5 soll, macht mir schon große Angst. Nun bedenke weiter: gereut es dich
eines Haares breit, so habe ich meine Mühe und du den Leib verloren.“
Also beschwur er sie noch einmal teuerlich, aber sie erkannte sich zu
standhaft, als daß sie abgelassen hätte. Lachend sprach sie (denn sie
wußte wohl, ihr helfe der Tod noch heut am Tage aus aller weltlichen
10 Not): „Gott lohne Euch, lieber Herr, daß Ihr mir also die Wahrheit heraus-
gesagt habt, ja wahrhaftig, ich fange an in etwas zu verzagen, und es ist
mir ein Zweifel aufgekommen, den ich Euch vorlegen will, wie er be-
schlossen ist: ich fürchte, daß unser Vorhaben durch Eure Zagheit unter-
wegen bleibt; Eure Rede geziemte einem Weib, Ihr seid eines Hasen Ge-
15 seile, Eure Angst bei meinem Tod ist in etwas zu groß, wahrhaftig, Ihr
stellt Euch zu Eurer gewaltigen Meisterschaft schlecht an. Ich bin ein
Weib und habe die Kraft, getraut Ihr mich zu schneiden, ich
getrau es wohl zu leiden. Die Angst und Not, von der Ihr mir da
vorgesprochen habt, die habe ich ohne Euch schon gewußt. Gewißlich,
20 ich wär' nicht hierher gekommen, wo nicht mein Entschluß so fest und
sicher gewesen, daß ich wußte, ich würde nimmermehr schwanken. Bei
Euern Hulden! mir ist die schwache, bleiche Farbe verschwunden und ein
so fester Mut gekommen, daß ich so ängstlich dastehe, als sollte ich zum
Tanz gehen. Eine Not, die sich in eines Tages Frist an meinem Leib
25 endigt, ist nicht so groß, daß ich denken sollte, der eine Tag sei für das
ewige Leben, das da nimmer zergeht, nicht teuer verkauft. Wie mein
Mut stehet, kann Euch nichts an mir irr’ machen; versucht’s
und fürchtet Euch nicht, meinem Herrn seine Gesundheit
wiederzugeben, mir aber das ewige Leben. Bei Gott! es ist
30 Zeit, laßt Eure Meisterschaft sehen: was zaudert Ihr länger? Ich weiß
wohl, durch wen ich es tue, der, in dessen Namen es vollbracht wird, er-
kennet gar wohl treuen Dienst und läßt ihn nicht unbelohnet. Ich weiß
wohl, daß er spricht: wer großen Dienst leistet, dessen Lohn soll auch
groß sein; darum, bei so gewissem Lohn, halte ich diesen Tod für eine
35 süße Not. Ließ ich die Himmelskrone, so hätte ich einen dummen Sinn,
und ist doch mein Geist licht und frei/1
Da der Meister sie also gar unwandelbar fand, brachte er sie zu dem
Siechen zurück und sprach zu ihm: „Uns irrt weiter kein Zweifel, ob Eure
Jungfrau vollkommen gut sei, wohlan! freut Euch, ich mache Euch bald
40 gesund!“ Darauf führte er sie in ein verborgenes Kämmer-
lein und schloß den armen Heinrich vor die Türe, damit er
nicht sollte sehen, wie ihr Ende erging. In diesem Kämmerlein,
das mit mancherlei Art Arzneien ausgestellt war, hieß er das Mägdlein
die Kleider abziehen, das tat sie gern und willig, und sie riß die Nähte
45 auf und stand bald da nacket und gewandlos, aber sie schämte sich des
gar nicht. Als sie der Meister so ansah, sprach er in seinem Herzen,
daß schönere Kreatur in der Welt nicht gefunden würde, und sie erbarmte
C=g=51 F^gj? tcZzü EaS=i? Cagj? Egi? CaSrir Eg»? Egi? Egi? Egi? 249
ihn so sehr, daß ihm Herz und Sinn fast daran verzagten. Es stand da
ein hoher Tisch, daraus hieß er sie steigen und band sie fest. Dann nahm
er ein Messer in die Hand, das für solche Dinge dalag und lang und breit
war, er versuchte es, aber es schnitt nicht ganz so wohl, als ihm wäre
lieb gewesen. Und da sie doch nicht leben sollte, erbarmte ihn ihre Not,
daß er ihr den Tod sanft antun wollte. Also faßte er einen guten Wetz-
stein, der dabei lag, und hub an das Messer zu streichen, langsam
auf und ab, und zu schärfen und wetzen. Das hörte draußen, für
den sie sterben sollte, der arme Heinrich, und es jammerte ihn
unsäglich, daß er sie nimmermehr lebendig mit Augen erblicken sollte.
Da suchte er, ob er nicht eine Öffnung in der Wand fände, und sah durch
einen Ritz, wie sie dalag, nackt und gebunden, und ihre Gestalt so gar
schön und lieblich war. Er schaute sie an und sich wiederum, da gewann
er einen andern Sinn, ihm däuchte nicht gut, was er eh gedacht, und er
wendete seinen alten finstern Entschluß in eine neue milde Güte. „Du
hast einen dummen Sinn,“ sprach er zu sich selber, wie er sie also schön
daliegen sah, „daß du ohne den Dank dessen, gegen den niemand etwas
vermag, zu leben begehrst. Fürwahr, du weißt nicht, was du tust, da du
doch einmal sterben mußt, wenn du dies schmähliche Leben, das Gott
über dich hat kommen lassen, nicht willig und demütig erträgst; auch
weißt du noch nicht, ob dich dieses Kindes Tod sicher heilt: was dir Gott
hat beschieden, das laß alles dir widerfahren. Nein, ich will dieses
Kindes Tod nicht sehen!“
Da hielt er nicht länger zurück, klopfte an die Wand und rief: „Laßt
mich ein!“ Der Meister antwortete: „Dazu habe ich jetzt nicht Zeit, Euch
auszuschließen.“ — „Nein, Meister, redet mit mir.“ — „Herr, jetzt kann
ich nicht, wartet, bis dies ergangen ist.“ — „Nein, Meister, redet zuvor
mit mir.“ — „So sagt mir’s durch die Türe.“ — „Es läßt sich nicht also
sagen.“ — Da ließ ihn der Meister ein, und Heinrich ging zu dem Mägd-
lein, da es gebunden lag, und sprach: „Dies Kind ist so wonniglich, daß
ich wahrhaftig nicht seinen Tod zu sehen vermag. Es geschehe Gottes
Wille an mir! wir wollen sie wieder auf lassen stehen. Wie
ich mit Euch gedinget habe, Silber und Gold, das gebe ich Euch, aber die
Jungfrau sollt Ihr leben lassen.“ Da das Mägdlein erst recht sah, daß es
nicht sterben und ihn erlösen sollte, da ward ihr das Herz schwer, sie
brach Zucht und Sitte, sie raufte zornig ihre Haare und gebärdete sich so
traurig, daß, wer sie gesehen, Tränen hätte vergießen müssen. Bitterlich
sie weinte und rief: „Weh! mir Armen, weh! wie soll es mir nun ergehen!
Muß ich also verlieren die reiche Himmelskrone, die mir um diese kurze
Not verliehen wäre. Nun bin ich allererst tot! O weh! allgewaltiger
Christ! was für Ehre ist uns hinweggenommen, meinem Herrn und mir!
Nun entbehrt er und entbehre ich die Ehren, die uns zugedacht waren.
Hätte ich dieses vollbracht, so wäre mein Leib genesen und mein Geist
immerdar selig!“ So bat sie gar viel um den Tod, der sie glück-
lich mache, aber sie erlangte nicht, daß ihn jemand ihr an-
getan hätte. Da hub sie an den armen Heinrich zu schelten und sprach:
„Ich muß leiden für meines Herrn Zagheit; ich sehe wohl, mich haben
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250 ^ ^ ggj? Egaft Rgj? Rg« r^sr raff egg? Egg? ta« egg?
die Leute getäuscht, ich hörte sie allzeit sagen, Ihr wärt bieder und hättet
festen Mannesmut: so mir Gott helfe, sie haben gelogen, die Welt war
mit Euch hintergangen, denn Ihr wart und seid auch noch ein Allerwelts-
feiger, das sehe ich gar wohl, Ihr getraut nicht einmal zu erdulden, was
5 ich doch zu leiden getraue. Herr, warum erschrakt Ihr, als ich gebunden
ward, es stand doch eine dicke Wand zwischen Euch und mir? Könnt
Ihr nicht einmal einen fremden Tod vertragen? ich will Euch verheißen
und versprechen, daß Euch niemand was zu leid tut, sondern es ist Euch
nützlich und gesund.“ Wie sie ihn aber beschwur und bat und
10 schalt, es war umsonst, sie mußte ihr Leben behalten; der
arme Heinrich nahm es alles hin, tugendlich und wohl, wie ein frommer
Ritter, dem schöne Zucht nicht gebricht. Und als er, der recht unglück-
liche, seine Jungfrau wieder angekleidet und den Arzt bezahlt hatte, wie
es gedinget war, so fuhr er zurück in die Heimat, ob er gleich wußte,
15 daß er dort aus aller Mund nur Spott und Schmähung finde; aber das
ließ er lauterlich Gott anheim gestehet.
Nu hete sich ouch diu guote
maget
so gar verweinet und verklaget,
1355 vil nähe hin unz an den tot.
do erkande ir triuwe unde
ir not
cordis speculator'),
vor dem deheines herzen
tor
fürnames2) niht besloz^en
ist.
1360 sit er durch sinen stiegen list
an in beiden des geruochte,
da^ er si versuochte
reht also volleclichen
sam [oben den riehen,
do erzeigte der heilige
Krist,
wie liep im triuwe und er-
bermde ist,
und schiet si do beide
von allem ir leide
und machete in do zestunt
reine unde wol gesunt. . .
Heinrich nimmt die Tochter des Freibauern zur Frau.
Nach süe?em lanclibe3)
1515 dö besäßen si geliche
da7, ewige riebe,
als müe?e e? uns allen
ze jungest gevallen4).
der Ion, den si da nämen,
1520 des5) helfe uns got. amen.
i) der Herzenskündiger. — 2) ganz und gar, durchaus. 3) lanclip
stm. langes Leben. — 4) zuteil werden. — &) dazu (zu dem Lohne).
Eagj? t^i? ta? tai? Cgi? RgS? K¿5? C^i? EaSf? kLÄ- Cagj? Pgj? Pgj? 251
40. Bus 6erhcirf ßciupfmanns Drama „Der arme ßeinrich“.1)
Der arme Heinrich von Gerhart Hauptmann. Eine deutsche Zage. Berlin',
5. Fischer, 1902.
Fünfter ÑKt.
Lin Saal im Schloß zu Ñue. Ls ist ein strahlender Spätfrühlingsmorgen.
Zünfte Szene.
Heinrich von Ñue.
Wo ist der tapfere Pater Benedikt?
Fj artmann von Ñue.
Den Ñltarschrnuck zu holen irn Gewölbe.
Heinrich.
So sag' ihm, daß er sich damit beeil',
Und plündert mir die Myrten, guter Freund,
Im Rreuzgang, ja! — denn ich will Hochzeit halten
heut, ohne Zögern, und der Torwart soll
Lin schlichtes Rränzlein binden, groß genug
Für eines jungen Pachterkindes Haupt.
hartmann.
Was sagt Ihr?
Heinrich.
Nichts, Freund, als just eben das!
Und ferne sei mir, was ich fest beschlossen,
vor Menschen zu verteidigen. Es ist
So, wie es ist! Und damit sei's genug.
ÑIs mich der erste Strahl der Gnade streifte
Und eine heilige zu mir niederstieg,
Ward ich gereinigt: das Gemeine stob
Ñus der verdumpften und verruchten Brust,
Der mörderische Dunst der kalten Seele
Entwich, der haß, der Nachedurst, die Wut,
Die Ñngst — die Raserei, mich aufzuzwingen
Den Menschen, sei's auch durch gemeinen Mord,
Erstarb........
Siebente Szene.
Heinrich
leise aus der liapelle, kniet vor Gttegebe nieder.
Blick' um dich! zittere nicht! Du bist die Taube
Im Käfig nicht — ich bin die Schlange nicht,
Daß du vor meinem Blicke brauchtest beben. i)
i) vgl. die Dramatisierung des Stoffes durch den amerikanischen Dichter
Henry Wadsworth Longfellow (1807—1882) in seiner „Goldenen Legende"
(The golden legend, 1851).
252 Cgi? ta? Kgj? I^t? Kgjt Pgj? Karä? Cgj? Pgj? Kgj?
Doch bist du mein: des Mannes, der ich bin:
Der dein ist. Rein Versucher bin ich, nein!
Bin ein versuchter — bin, rote du, versucht.
Und ob du freier schon von Schlacken bist,
So hat auch mich das Feuer so geadelt,
Daß ich, als Ring geläuterten Metalls, •
Den Demant reinen Wassers weiß zu fassen,
Der deine unbefleckte Seele ist.
Und also, klein Gemahl, sag' mir ein Wort,
Ganz leise nur, auf meine leise Frage;
Dann magst du von den überschweren Mühn
Des langen Morgens, der sich uns nun endet
Sn einen klaren Tag, dich ausruhn. Wolltest du
Mir nicht mein Leben wieder schenken und
Deins dafür geben? Gib mir deines denn:
Ts ist, es war von Ewigkeiten mein!
Du meine todgetreue Dienerin:
Laß mein Gebot dich heute wiederum,
Zum allerletztenmal, gehorsam finden —
Es lautet: sei fortan mir Herrin! - sei
Mein Weib!
50. Vorwort der Brüder Trimm zu ihrer 1815 neröffenf»
lichten Ausgabe des „armen Heinrich".
SIs Gott und deutsche Tapferkeit unsere Fürsten wieder vor das
Stadttor von Kassel geführt, da spannte das Volk die Pferde
aus und rief: „hessenblut soll sie hereinziehen, das lebt
immerdar!" Und als die Männer hinauszogen, hielten sie das
s Schwert in der Hand, im Herzen den Gedanken festi „hessenblut
soll fürs Vaterland kämpfen, das lebt immerdar!" So
hat sich Siebe und Treue, selbst unter dem Schutt, den fremde Ge-
walt darüber geworfen, wie Gold in der Erde, unverringert und
unversehrt erhalten.
io Fn dieser Zeit, deren Freude zu erleben, sieben Fahre Seid
uns reinigten, ward die Bearbeitung eines alten, in sich
deutschen Gedichts als ein geringes Opfer dargebracht.
Fetzt hat sich unser gesamtes Vaterland in seinem Blut von dem
französischen Uussatz wieder geheilt und zu Fugendleben gestärkt.
15 Um diesen preis gebe nun fortan jeder Deutsche alles andere hin
Egf? csgj? Rgï? çgï? ta? raR Cagj» ta? t^i? ta? Kg»? ta? ta? 253
und sei stets bereit, als ein freudig Opfer zu fallen.
Und keiner stehe von der Gefahr ab, sondern denen, die aus Furcht
oder Liebe ihn zurückhalten wollen, antworte er mit den schönsten
Worten der reinen Jungfrau: „nun gönnt mir's, denn es muß
s ein!"
Rgnnssn
51. 3wein, der Ritter mit dem üöwen.
a) Der Artusroman.
Friedrich V ogt, Geschichte der Deutschen Literatur. Erster Band, 2. Ausl.,
S. 104, Leipzig, Bibliographisches Institut, 1907.
er Artusroman ist jene Dichtungsgattung, mit der Hart-
mann der höfischen Epik den ihrem Wesen und ihren
Idealen so recht gemäßen Stoff zuführte. Es waren franzö-
sische Vorbilder, an die der Deutsche sich anlehnte. Aber
ihrem Ursprünge nach ist die Artussage keltisch. 5
Sie wurzelt in den Kämpfen der Briten gegen die seit der
Mitte des fünften Jahrhunderts andringenden Angelsachsen;
ihr Held ist Artur, vermutlich eine geschichtliche Persönlich-
keit, die noch um 500 die Stelle eines römischen dux Britan-
niarum bekleidet haben mag. Eine britische Chronik nennt 10
ihn als einen Heerführer, der in zwölf Kämpfen die Sachsen
schlug. Arturs und seiner Genossen Taten lebten im Munde
der Waliser wie der nach Armorika ausgewanderten Bretonen,
und mythische Überlieferungen hefteten sich ihnen an.
Die „ Verritterung“ der keltischen Überlieferungen ist das 15
Werk des Franzosen Chrétien de Troyes1), der in den
sechziger und siebziger Jahren des zwölften Jahrhunderts
fünf Romane aus dem Kreise der Artussage dichtete. In ihnen
allen ist das alte Grundmotiv der Sage, der große National-
kampf der Kelten unter Artur gegen die Angelsachsen, völlig 20
geschwunden. Die Angelsachsen sind vergessen, an die Stelle
’) über sein Leben und seine Werke vgl. C. V o r e tzsc h , Einführung
in das Studium der altfranzösischen Literatur, Halle, Niemeyer, 1905; über
den Jvain insbesondere S. 318—330 (mit Textprobe).
_J
254 ^ ^ ^ ta? Eigi? ta? PgjV c^gjsf pgj? Egg? t^j? C^ri?
der Volkskämpfe treten ritterliche Einzelabenteuer, und
Chretiens Artus ist nicht mehr der tätige Held.
Er ist der berühmte, reiche, mächtige König; ein Kreis der
auserlesensten Helden und der schönsten Frauen schließt sich
5 in der Tafelrunde um ihn und seine Gattin Ginevra; aber
die Heldentaten, die seinen Hof verherrlichen, werden nicht
von ihm, sondern von den Rittern der Tafelrunde verrichtet,
und in jedem Gedichte erscheint der Held, von dessen Aben-
teuern es handelt, Erec, Cliges, Lancelot, Yvain oder
io Perceval, als der trefflichste.
Heldenehre und Minne sind die beiden Triebkräfte,
die das ganze Leben dieser Artusritter bewegen; sie führen
den Helden zu schönen und großen Zielen, wie die Erkämpfung
der Hand einer edlen Frau, die Errettung bedrängter Un-
15 schuld; aber häufiger noch treiben sie ihn, den Kampf zu
suchen nur um des Kampfes willen, lassen ihn sein Leben
aufs Spiel setzen, nur damit er sich seinen Gegnern überlegen
zeige oder auch den Launen eines Weibes Genüge tue. Es
liegt überhaupt etwas Überspanntes, Abenteuerliches und
20 Launenhaftes in diesen Artusromanen, in den Stoffen, in den
treibenden Motiven und in der Art ihrer Bearbeitung. Aber
gerade das entsprach den Neigungen des Zeitalters der ritter-
lichen Romantik. Die vorbildliche Darstellung edler Ritter-
und Frauensitte konnte auch den ernsteren Sinn befriedigen,
25 und alle lockte der zauberische Schimmer eines reichen, feinen
und vornehmen höfischen Lebens, der sich über diese Er-
zählungen hinbreitete. Dazu kam nun vollends die anmutige
und lebensfrische Darstellung Chretiens, um seinen Dich-
tungen große Verbreitung und große Bewunderung einzu-
30 tragen. Sein Interpret iür Deutschland wurde Hart-
mann von Aue.
b) Vom Pfingstgelage des Königs Artus.
Hartmann von Aue. Iwein, der Ritter mit dem Löwen. Hrg. von
Emil Henriei. Erster Teil. Text. Zweiter Teil. Anmerkungen. Halle
1891 und 1893.
8wer an rehte güete demvolget sselde und ere.
wendet sin gemüete, des git1) gewisse2) lere
1) gibet. — 2) untrügliche.
Rgj? Egi? Cgi? ta? ta? Kagj? ta? tigj? Cgg? Eg»? Egi? tbgi? tjgit 255
a 5 künec Artus der guote,
der mit riters muote')
nach lobe künde striten 2).
er hat bi sinen ziten
gelebet also schöne,
Oi io das; er der eren kröne
dö truoc und noch sin nam
treit3).
des4) habent die wärheit
sine lantliute5):
sijehent, er lebe noch hiute:
at 15 er hat den lop erworben,
ist im der lip erstorben,
so lebt doch iemer sin nam6).
er 7) ist lästerlicher scharn 8)
iemer vil gar erwert9),
02 20 der noch nach sinem site vert10).
Ein riter, der gelert11) was
und es;12) an den buochen las,
swenner sine stunde
niht bas; bewenden künde,
5225 das;13) er ouch tihtens14) pflac
(das;15) man gerne beeren mac,
da kört er sinen vlis; an16);
er was genant Hartman
und was ein Ouwaere),
0S30 der tihte ditz maere.
Es; höt der künec Artus
ze Karidöl in sin hüs
zeinen17) pfingesten ge-
leit18)
nach richer gewonheit19)
eine also schcene höchzit, 35
das; er vordes noch sit
deheine schoener nie g e -
wan.
deiswär20) da was ein boeser21)
man
in vil swachem werde22),
wände sich gesamente üf der 40
erde
bi niemens ziten anderswä
so manec guot riter also da.
ouch wart in da ze hove gegebn
in alle wis ein wunschlebn:
in liebte23) den hof unde den 45
lip 24)
manec magt und wip,
die schoensten von den riehen25),
mich jämert waerlichen,
und hulfe^iht,ich wolde^clagen,
das; nü bi unsern tagen 50
selch vreude niemer werden
mac
]) Gesinnung. — 2) nach Ruhm zu trachten verstand. — 3) traget
(den Ruhmeskranz sein Name noch trägt). — 4) daher haben Recht. —
5) Landsleute, s. lantman. — 6) in der Hofkirche zu Innsbruck am Grab-
denkmal Kaiser Maximilians, des „letzten Ritters“, befindet sich das Bronze-
standbild König Arthurs von der Meisterhand Peter Vischers (Nürnberg,
1513; „unbestritten das schönste deutsche Ritterbild derZeit“).— 7) er . . .
der (vs. 20). — 8) Gen. — 9) s. erwern. — lü) s. varn: verfahren. — n) des
Lesens kundig. — 12) auf (vs. 30) msere zu beziehen. — 4 3) sodaß. —
[ 14) deklinierter Infin., s. tihten. — 15) was. — iS) da ... an: darauf. —
17) ze einen: auf ein Pfingstfest. — 18) gelegefc — 19) in seiner gewohnten
prunkvollen Weise. — 20) da;; ist wär: fürwahr. — 21) unedler. — 22) An-
sehen. — 23) den Rittern (in) machte angenehm. — 24) Leben. — 25) aus
3 allen Landen.
256 ^ ^ ta? tat t^s? Rgj? ta? ta? câgj? e^-d r>sî?
der man ze den ziten pflac.
doch müe^en wir ouch nü ge-
nesn4)
ichn wolde dö2) niht sin gewesn,
55 da^ ich nü niht enwsere3),
da uns noch mit ir msere
so rehte wol wesn sol:
da täten in diu werc vil wol4).
Artüs und diu künegin
vv ir ietweder?ft) under in
sich üf ir aller willen vlei^ 6).
dö man des pfingestages en-
bei? 7),
mänlich8) im die vreude nam9)
der10) in dö aller beste gezam.
dise sprächen wider n) diu wip, 65 59
dise banecten4^) den lîp,
dise tanzten, dise sungen,
dise liefen, dise Sprüngen,
dise hörten seitspil,
dise schufen zuo dem zil, 70 ov
dise retten von seneder13) arbeit,
dise von größer manheit.
Gäwein 14) ahte üf wäfen;
Keii15) legte sich släfen
üf den sal under in: 75 sv
ze gemache âne ère16) stuont
sin sin.
c) Der Artusritter Iwein 17) befreit den Löwen von dem
Drachen.
(Text nach Henrici.)
Er nam urloup 18) und reit, den nsehsten wec, den er vant,
3825 unde suochte da zehant und volget einer strafe.
>) leben, durchkommen. — 2) damals. — 3) lebte ich nicht jetzt, so c
hätte ich zu Artus’ Zeiten leben mögen. — 4) sie freuten sich ihrer Helden-
taten (werc), während uns schon die Kunde von ihnen (ir msere), die Er-
zählung ihrer Taten, von denen wir nur hören, Freude bereitet. — 5) jedes s
von ihnen beiden, alle beide. — G) s. vlpen. — 7) s. enbi^en, am Pfingsttage
gegessen hatte. — 8) jedermann. — 9) im . . nam: sich aussuchte. — 10) Gen. .5
abh. von gezam, s. gezemen. — 1!) redeten ein auf, plauderten mit. — >-) s. .5
baneken. — 13) infolge der Pein des senens: aus Liebessehnsucht. — 14) Ritter
der Tafelrunde, Neffe des Königs Artus, Freund Iweins. — 1 5) Ritter, des
Königs Truchseß. — 16) rühmloses Wohlleben. — 17) „Ritter Iwein er-
wirbt auf abenteuerliche Weise ein schönes Weib (Laudine); aber er scheut ^
das ,Verliegen‘, zieht von ihr fort, versäumt die verabredete Frist und ver-
scherzt dadurch ihre Liebe. Er wird wahnsinnig. Eine wunderbare Salbe
heilt ihn. Er befreit einen Löwen, der sich ihm als Begleiter und Helfer
beigesellt. Als Ritter mit dem Löwen wird Iwein, der seinen wahren Namen
verschweigt, von neuem berühmt. Als Ritter mit dem Löwen tritt er seiner
Dame von neuem nahe und gewinnt sie durch List zurück.“ Scherer,
Geschichte der Deutschen Literatur, 11. Ausl. (1908), S. 158. Ausführliche
Inhaltsangabe des Iwein vo« Bötticher, Denkmäler II, 2, Halle 1907. —
vgl. die Sage von Herzog Heinrich von Braunschweig und dem Löwen,
Brüder Grimm, Deutsche Sagen, 4. Ausl, von R. Steig, S. 393, Nr. 520:
Heinrich der Löwe. — 18) aus der Burg der Frau von Narison, die vom
Grafen Aliers bedrängt und von Jwein befreit worden war.
taff pgy? ca»? c^tR KLU- tat ran kLÄr ta? ks-LLr cgi? k-LUr 257
Lûte âne mâ^e1)
hôrter eine stimme
0£30 clägelich und doch grimme,
nune weste2) min her Iwein
von wederm3) sî wære von
den zwein,
von wurme ode von tiere.
er bevant ev, aber schiere,
S85 wan diu selbe stimme wist4) in
durch michel waltgevelle5) hin
da er an einer blocke sach,
wä6) ein grimmer kämpf ge-
schieh,
da mit unverzagten siten
040 ein wurm und ein leu striten.
der wurm was Stare und gröz, :
daç viur im va, dem munde schö^.
im half diu hitze und der stanc,
da7, erden leun des7)betwanc8),
SS das; er al9) lûte schrê 10).
dem hern Iwein tet der zwîvel wê,
wederm er helfen solde,
und bedahte sich, daç er wolde
helfen dem edeln tiere.
co doch vorhter des, swie schiere
des wurmes tôt ergienge,
daç in daç niht vervienge n),
der leu bestüende in zehant.
wan also ist eç gewant12),
o als 67, ouch under den liuten stat:
so man aller beste gedient hat
dem ungewissen 13) manne,
so hüeter sich danne
da^ er in iht beswiche.
dem was ditz wol geliche. 3860
doch dähter als ein vrum man:
er erbeute14) und lief den
wurm an
und sluoc in harte schiere tot
und half dem leun ü? der
not.
dannoch do er den wurm er- 3865
sluoc 15),
do heter zwivel16) gnuoc
da^ in der leu wolde bestän.
da.7, wart im anders kunt getan17):
sich böt der leu an sinen vuo^
und zeiget im unsprechende18) 3870
gruo?
mit gebaerde und mit stimme,
hie lie^ er sine grimme
und erzeigte im sine minne
als er von sinem sinne19)
aller beste mohte 3875
und einem tiere tohte20).
er antwurte21) sich in sine
pflege,
alser22) in sit alle wege23)
mit sinem dienst erte
und volget im, swar er 3880
kerte,
und gestuont24) im ze aller
siner not,
unz si beide schiet der tot.
]) außergewöhnlich laut. — 2) s. wi^en. — 3) von welchem von beiden. —
4) s. wisen. — 5) Waldschlucht. — 6) wje. — 7) dazu, so. — 8) s. betwingen. —
9) ganz. — 10) s. schrien. — n) Konj. Prät. von vervähen; daß ihm das
t nichts nützte. — 12) denn es hat solche Bewandtnis, es geht gewöhnlich
: so- 13) unzuverlässig.— 14) s. erheizen: saß ab (vom Pferde). — 15) s.
' erslahen. — 16) Besorgnis. — 17) das Gegenteil davon widerfuhr ihm. —
18) stumm. — 19) mit seinem Verstände, in seiner Art. — 20) s. tugen. —
- • 21) s. antworten. — 22) gleichwie er.— 2 3) fortan immer. — 24) gestän.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch. 17
.
258 Cigi? EaSi? ELd EaSÎÏ Eg¥? Cggj>
der leu und sin herre
die vuoren unverre
3885 unz er ein tier ersmahte 4).
nü twanc in des sin ahte2),
beidiu der hunger und sin art,
dô er des tiers innen wart,
da? er da? gerne wolde jagen.
3890 da?n kunder im anders niht
gesagen,
wan3) er stuont und sach in an
und zeicte mit dem munde dard) :
dâ mite tet er? im kunt.
dô gruo?ter5) in als ein suoch-
hunt
3895 und volget im von der strafe
wol eins wurfes mä?e,
dâ er ein rêch stênde6) vant,
und vienc ouch da? zehant
und souc7) im ü? da? warme
bluot:
3900 da?n wære sinem herren doch
niht guot.
nü schant8) er? dâ er? weste9)
vei?t und aller beste,
und nam des einen bräten dan.
nü gienc ouch diu naht an.
erschürft10) ein viur und briet da? 39oes
und a? ditz ungesalzen ma?1 11)
âne brôt und âne wîn :
e?n moht et12) dô niht wæher13)
sîn.
da? im dâ überiges14) schein,
da? a? der leu unz an diu hein. 39 es
der herre Iwein legte sich und
slief:
der leu wachte und lief
umbe sin ros und umb in.
erhêtdietugentunddensin,
da? er sin15) huo te16) alle zit, 3968
beidiu dô und sit.
ditz was ir beider arbeit,
da? er nâch äventiure reit
rehte vierzehn tage,
und da? mit selbem bejage17) 3968
der wilde leu disem man
sine spise gewan.
1) s. ersmecken. — 2) Lage und Eigentümlichkeit. — 3) als daß. —
4) dannen: von da weg — &) s. grüe?en. — 6) s. stän. — 7) s. sügen. —
8) s. schinden.— 9) s. wi??en. — 10) s. schürfen — n) Speise. — 12) halt,
doch. — iS) s. waehe: köstlich. — 14) Gen. abh. von da?. — 15) Gen. —
16) Prät. zu hüeten (m. G.). — 17) s. bejac.
c^gj? egg? pgj? t^ar? egg? r^-d t^sït Egs? 259
52. Wolfram non Gichenbach, der fränkische Ritter.1)
(Geboren um 1170, gestorben um 1220.)
(Es ist ein ganzer Mann des deutschen
Mittelalters, voll Gottesfurcht und Welt-
freudigkeit, der uns aus dem parzivalgedicht mit
frischen geistvollen Augen anblickt.
Wilhelm Hertz.
a) Wolfram überreicht dem Landgrafen Hermann den Parzival.
Joseph Victor von Scheffel, Frau tlventiure. Lieder aus Heinrich
von Gfterdingens Zeit. 19. Hufl., S. 29, Stuttgart, Bonz, 1902.
1. redlich Werk, mit dem ich lang gerungen,
Zieht, dank dem Herrn, vollbracht in Würdigkeit:
von parzivals, des ritterlichen, jungen,
Prüfung und Fahrt zum Gral bring' ich Befcfjeib;
5luch Gamuret des Vaters Minneflamme,
Des Herrn Gawun Tiost-) und süße Zucht,
Und was vom Unschewiner Fürstenstamme
Die Ghronika von Unschou Wunders bucht:
viel wilden Fund aus König Urtus' Tagen
hat Findersglück und Fleiß mir zugetragen.
2. Erst hat versucht die reiche Mär zu künden
von Troys der wackre Meister Krijtian* 3);
viel ward, das Uauhe sorglich abzuründen,
Durch Kyot von Provinz dazugetan 4);
Nun lehrt's, ein goldner Kern in goldner Zchale,
Wie Zweifel und Unstätheit irreführt,
l) Dbereschenbach, fränkisch-bayrisches Städtchen, südöstlich von Knsbach;
gegenüber der Frauenkirche errichtete König Illax II. von Bayern für Wolfram,
den größten bayrischen Dichter, ein Denkmal. — Über Wolframs
Leben f. Ernst Kl artin, Wolframs von Eschenbach parzival und Titurel.
hrg. u. erkl. Zweiter Teil. Kommentar, S. IV—XIV, Halle, Waisenhaus 1903,
ferner 6. Schönbach, Deutsche Rundschau, September 1891, S. 361 ff. —
Bibliographie zu Wolfram von Fr. Panzer, München 1897. — 2) ritter-
licher Zweikampf, wobei die Gegner mit eingelegter Lanze aufeinander an-
sprengten, aus dem Galopp in Karriere übergehend; mhd. hoste strri. —
3) Crestien de Troyes. — 4) Kyot der provenzale; sein Gedicht ist noch nicht
aufgefunden. — Über Wolframs Quellen zu parzival s. Martin, a. a. (D.
5. XXXVII ff.
17*
I
260 Egj? Egg» pgj? Eigi? Rgs? pgj? Ega egst tast r-LL- r^U-
Und wie nur der geläutert naht dem Grale,
Der State1) sich als Lebensmaß erkürt,-
Des eignen Herzens rätseldunkle Ziele
Entwirren sich im höfisch bunten Spiele.
3. Gewoben hab' ich um die welschen Mären
Der Heimatsprache ehern Rlanggewand,
Und hoffe, daß sie preislich sich bewähren
Nicht nur als neugierstillend leichten Tand.
Rls wie ein Schmied, der eine Brünne wirket,
Fest Draht zu Draht und Ning zu Ninge biegt,
hab' ich den Neim gemessen und gezirket,
Daß sein Geflecht wie Rettenhemd sich schmiegt,-
Und wie ein Schmied errang ich des Gedichtes
Glattformung nur imSchweiß des Rngesichtesh.
4. Nun ist's getan. Sn Demut möcht' ich lachen,
Daß ich, ein künsteloser Nittermann,
Furchtlos vermaß, solch großes Buch zu machen,
Und selbst kaum einen Buchstab malen kann . . .
Doch wer alsbald mit fühlendem Erfassen
Das Lied, das ihm die fremde Zunge singt,
versteht in eignes lvortgefühl zu passen,
Dem wie von selbst der Reim entgegenspringt,
Der kann als Laie Meisterschaft besitzen,
weiß er auch keinen Gänsekiel zu spitzen h.
5. Dank zoll' ich den geduldigen Scholaren^)
Die mir gedient als helfend Schreibgesind,
Und dir, wohlredende mit krausen haaren,
Iungfräulein Rlix, höfisch feines Rind.
Bei Schildesamt, heerfahren und Saldieren h
Ram mein Französisch nie in guten Stand,
i) Beständigkeit, mhd. staete stf. — 2) Über Wolframs Sprache, Stil und
Verskunst s. Martin, a. a. (D. 5. LXIV ff. — 3) „Konnte Karl der Große, ohne
die Schrift zu erlernen, eine ganz neue Blüte der gelehrten Bildung und des
Schulwesens heraufführen, so muß unserem Dichter die Fähigkeit, so deutliche und
so reiche Dichtergebilde auch ohne Schulkenntnisse zu entwerfen, wohl zugetraut
werden." (Martin, a. a. (D. Z. IX.) — 4) Schüler. — i) * * * 5) mhd. soldieren swv.:
Söldner anwerben.
ta? ta? Eg»? ta? taR ta? taff tat Kgl? Rgft fegs? Kgi? 261
war auch, daß man „Herbergen" heißt „Loschieren"l)
Und andres mehr der Sprache mir bekannt.
Du lehrtest mich, streng wie ein alter Weiser,
Die wortfeinheit und Zucht der Tschampanepser.
6. (D Schaffelust, wenn wir in Frühlingstagen
Zelbviert im Durggärtlein uns eingeheckt,
vor uns die Mären Upots aufgeschlagen,
Lin Mauertisch als Schreibtischlein gedeckt:
Dolmetschend las die Maid uns Zeil' um Zeile,
Und translatierendschritt ich auf und ab,
Bis ich, bald schnell, bald nach sorgsamer Feile,
Den deutschen Beim den Schreibgesellen gab.
Die kauerten und kicherten im Moose
Und schrieben ihn, umblüht von wilder Uose.
7. Um Frauendank bracht' ich mein werk zu Ende,
Uls Lohn genügte mir ein süßes wort,
heut reich' ich es als ehrfurchstvolle Spende
Dir, Landgraf Hermann, der Gesangkunst hortlh
Du weißt, daß ich bei Fiedeln und Floitieren
Des Umts, den Speer zu führen, nie vergaß, i) 2
i) Wolframs Willehalm 273, 3: Herbergen ist loschiern genant: so vil
han ich der spräche erkant. ein ungefüeger Tschampäneys („ein Bauer aus
der Champagne"), künde vil ba^ fran^eys dann ich, swiech fran^oys spreche. —
2) übertragend. — 3) Hermann I, van 1190 bis 1270 Landgraf van Thü-
ringen, ausgezeichnet durch Kunstsinn und Gastfreiheit, machte seinen Fürstensitz,
die Wartburg, zu einer Pflegestätte deutscher Dichtkunst. Hier fand
der Zage nach um 1206 der „W artburgkrieg" statt, an dem sich u. a. Heinrich
van Gfterdingen, Wolfram van Eschenbach, Walther van der vogelweide, Rein-
mar van Zweier beteiligt haben sollen. Vas um 1260 entstandene mittelhochdeutsche
Gedicht vom Wartburgkrieg ist eine Verherrlichung der Kunst Wolframs.
Über die Zage s. „Deutsche Zagen, hrg. van den Brüdern Grimm." vierte
5lnfl., besorgt van R. Steig, Berlin, Nicolai 1906. — 3n der Neuzeit behandelte
Richard Wagner die Zage im „Tannhäuser".— Ein prachtwerk über
die Wartburg erschien neuerdings unter dem Titel „Die Wartburg. Ein Denk-
mal deutscher Kunst und Geschichte, dem deutschen Volke gewidmet van Graß-
Herzog Tarl Rlexander van Sachsen. Dargestellt in 14 Nlonographien und in
706 Rbbildnngen im Text und auf 54 Tafeln in Farbendruck, Heliographie,
Kupferätzung und Künstlerholzstich, Historischer Verlag Banmgärtel, Berlin; darin
van Ernst RI artin die Rlonographie „Der IRinnesang in Thüringen und der
Sängerkrieg auf der Wartburg". — Vas Freskobild RIoritz van Zchwinds
f. Seite 221 des Lesebuches.
Unb, riefen mich Posaunen zum Turnieren,
Riefst Du zum Streit, stets fest im Zattel saß.
Ñls Erfurts Gärten unter hufgestampfe
Zertreten würben, stunb ich frank im Kampfes.
8. Zo nimm benn heut, ba wir nicht unter Zchilbe
Rustraben müssen, milb mein Buch zur f^anb;
vielleicht, baß es mit manchem bunten Bilbe
Erinnerungverklärter Zeit bich mahnt . . .
wir neiben bich um jene golbne Iugenb,
Da als ben Zeinen bich Paris verehrt,2)
Da König Lubwigs Hof bich Rittertugenb,
Zankt Viktors Zchule Weltweisheit gelehrt.
Der Bart ergraute . . . boch Gesang zu lieben
Ist bir als Erbteil jener Zeit geblieben.
9. vielleicht, baß bort bir auch bes Grals Geschichten
Die Dame ber Ehampagne einst erzählt,
Marie von Frankreich, bie mit süßem Dichten
Die Zagen ber Bretonen neu beseelt.
Du hast manch eine Truhe wohlbeschlagen
Dir bamals aus ber Ferne heimgebracht,
Dran bie Frau Mutter wenig Wohlbehagen
Kunbgab unb schalt, als man sie aufgemacht:
„Ein Lieb . . noch eins . . unb aber eins . . unb wieber:
Eiei, Herr Lohn, nur Fabliauxh unb Lieber?!"
lO. Ich seh bich lächeln. Ñus metallnen Decken
Entfaltest bu ein stattlich Pergament,
von Golbgrunbbilbern schimmern Ranb unb Ecken,
Du aber sprichst, was lang mein herz ersehnt:
„Mög' beinem parzival bie Ruhe frommen,
Biberbemh Länger ziemt bie Ruhe nicht,
Ein neues Lieb ist uns aus Frankreich kommen,
Das schwertscharf Bahn sich burch bie heiben bricht:
Uns freut ber Völkerschlacht Getös' unb Galm,h
Nimm hin — unb wenb' Uns beutsch ben willehalm!"") (
i) 3m Sommer 1203 belagerte der Landgraf den in die Stadt Erfurt ge-
drängten König Philipp von Schwaben. — 2) er hatte, an König Ludwig VII. .1
empfohlen, seit 1162 seine Ñusbildung in Paris empfangen. — 3) Erzählungen n
in Versen. — 4) bieder, wacker, tüchtig, mhd. biderbe. — 5) Lärm, mhd. galm n
stm. — fi) Wolframs zweites großes Epos.
sggs? Cagg? egg? cgj? ra? pgR tat k-Ld ta? 203
b) Inhalt der parzival?)
N. F. L. Vilmar, Geschichte der deutschen Nationalliteratur. Nchtzehnte Auflage,
5. 121 ff., Marburg und Leipzig 1877.
Iver immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Goethe, Zaust.
Parzival, der Sohn Gamurets, aus dem königlichen Ge-
schlechte von Bnjou, und der aus dem Königsstamme der Grals-
hüter entsprossenen herzeloide, wird nach des Vaters frühem Tode
von der besorgten Mutter in der Einöde Soltane am Brezilianwalde
erzogen, einem künftigen Einsiedler gleich, fern von aller Berührung
mit der Welt, denn die Mutter fürchtet, der Sohn möge gleich dem
tiesbetrauerten Vater von Tatenlust gedrängt ruhelos von Kampf
zu Kampf und in einen frühen Tod stürmen. In kindischem Spiel
schnitzt sich der Knabe Bogen und Pfeile und erlegt die singenden
Waldvögel,' aber bald, wenn er einen der armen Sänger getötet
hatte, brechen bittere Tränen aus seinen Bugen, daß der liebliche
Sang durch seine Hand verstummt war. Seitdem lauschte er, stumm
und regungslos unter den Bäumen liegend, dem Gesänge der Vögel,
und es ward ihm wohl und weh in der kindlichen Seele, und sein
junges herz schwoll hoch auf, sodaß er weinend zur Mutter eilte,
ihr sein Leid — welches? wie wußte er das? — zu klagen. Die
Mutter will die Vögel, die ihr Kind zu so tiefem Leide aufregen,
töten lassen; aber der Sohn erbittet für sie Frieden — und die
Mutter küßt den Sohn: „Wie sollte ich des höchsten Gottes Friede-
gebot brechen? sollen die Vögel durch mich ihre Freude verlieren?"
„(D, was ist Gott?" fragte der Knabe. Und die treue Mutter
antwortete: „Er ist lichter als der klare Tag, einst aber hat er
Bntlitz angenommen gleich Menschenantlitz. Zu ihm sollst du der-
einst flehen in deiner Not, denn er ist getreu. Uber es gibt auch
einen Ungetreuen, den wir der Hölle Wirt nennen, von dem
sollst du deine Gedanken abwenden, und auch vor des
Zweifels Wanken dich hüten."
Der Knabe pflegt des Weidwerkes und wächst zum starken
Jüngling heran, da vernimmt er eines Tages auf einer einsamen
Über Inhalt, Plan, Grundgedanke und Meltansicht des parzival spricht
ausführlich Ernst Martin, a. a. G., S. XXI—XXXV. — Zur Sage von parzival
und dem Gral vgl. 5. XLIX—LXIV.
5
10
15
20
25
264 ^ ^ r^sr taR ta? Egy ra? tai? ta? tas? i^g
Berghalde einem schmalen Waldpfad entlang Hufschläge. „Ist das,
denkt er, etwa der Teufel? vor ihm fürchtet die Mutter sich so sehr,-
ich dächte ihn wohl zu bestehen." Rber es sind drei von Kopf bis
zu Fuß glänzend gewaffnete Mtter auf stolzen Rossen, die jetzt
5 an den Jüngling heranreiten, und mit einem Male wird die ferne,
fremde Welt in all ihrer Herrlichkeit vor dem innern Rüge des in
der Waldeinsamkeit aufgewachsenen Jünglings aufgeschlossen: „er
meinte, ein jeder dieser Ritter wäre Gott."
Jetzt ist kein halten mehr, er muß hinaus, hinaus aus dem
10 grünen stillen Dunkel seines Waldhauses, hinaus aus den zärtlich
den Zohn umschlingenden Rrmen der treuen Mutter, hinaus in die
glänzende Ritterwelt zu freudigem Ritte durch alle Lande, zu freu-
digem Rampfe und ruhmvollem Ziege — hinaus an König Rrtus
hof, zu der Blüte aller Ritterschaft. Und die Mutter, die
15 des Zahnes Wanderlust nicht besiegen kann, läßt ihm ein Gewand
anlegen zur Jährt — doch nicht eines Ritters, sondern eines Toren
Gewand, aus Zacktuch und Kälberfell genähet. Und so reitet der
in sich noch versunkene, der Unerfahrene, der das stille heimatsge-
gefühl und den dunkeln, aber mächtigen Trieb in die Ferne und
20 Fremde noch ungeschieden in sich trägt — ein Zustand, den die alte
Zprache sehr bezeichnend durch das einzige Wort tu mb ausdrückt,
während unser dumm zu einer engern und niedrigeren Bedeutung
herabgesunken ist, sodaß wir uns nur durch mühselige Umschreibungen
helfen können — so zieht er denn dahin, um der Welt als
25 ein Tor zu erscheinen, wie die meisten wahrhaft tiefen deutschen
Gemüter bei ihrem ersten Ruftreten in der Welt als Toren sich dar-
stellen. Und dieses Helldunkel bleibt über parzivals ganzes Leben
gebreitet, das Helldunkel, das überall stattfindet, wo Tiefe der
Empfindung und äußere Beschränkung gegenübergestellt wird einer
30 weiten Russicht in die Welt voll Pracht und Farbenglanz, voll von
Ereignissen und Taten. Daher die öfter wiederkehrende Bezeichnung
des in Heller Unschuld mitten in die Welt der wirren und Wunder
hereintretenden jungen Helden: 6er tumbe cläre1), der
liehtgemäle2), daher die Zchilderung, daß er sei keusch wie
35 die Taube und mild wie Rebentraube,- — wir haben
hier ein tiefdeutsches Jünglingsgemüt, voll Unschuld
und doch voll Tatenlust, voll Heimatgefühl und doch
i) der jugendlich unberührte und reine. — 2) der Helle, glänzend gemalte,
womit das schöne Antlitz und die zarten Farben gemeint sind.
Kgi? ra? ta? Rgj? eägj? Egg? üa? Rgi? tau ras? E-LÄ- tat 2(15
voll Wandersehnsucht, das die Bugen vor der nächsten Um-
gebung verschließt, aber fast träumend, halb sehnsüchtig und halb
wehmütig, ängstlich hinausschauet nach den fernen blauen Bergen,
nach fernen blühenden Gefilden, wo alles neu und fremd und wun-
derbar, und doch bekannt und heimatlich und traulich ist.
Der treuen Mutter bricht der Bbschied von dem
5 ohne das herz,- sie küßt ihn und läuft ihm nach,- als er aber
aus ihren Blicken entschwindet, sinkt sie zusammen, und ihre Bugen
schließen sich für immer.
parzival gelangt an Brtus' Hof, der damals zu Nantes
aufgeschlagen war, und erregt durch seinen Bufzug allgemeines
Bufsehen, sodaß eine Fürstin, die noch niemals gelacht, durch ihn
zum ersten Buflachen bewogen wird. Eben solches Bufsehen aber
erregt seine, wenn schon noch rohe und ungefüge Tapferkeit. Erst
später gelangt er zu einem alten Bitter, der ihn edle Bittersitte und
Bittergeschicklichkeit üben lehrt: dieBaivitätparzivals und die
trefflich gehaltenen Lehren des alten Gurnemanz gehören mit
zu den ansprechendsten Stellen des Gedichtes.
Die erste Tat, die er nunmehr ausführt, ist der Zchutz einer
von übermütigen Freiern bedrängten und in ihrer Residenz belagerten
Bönigin Bondwiramur; er rettet sie, und sie wird seine Ge-
mahlin. Doch nicht gar lange weilt er bei ihr,- die Heimatsehn-
sucht und der Wandertrieb erwachen von neuem in ihm, und er zieht
aus, nach seiner Mutter zu sehen, von deren Tod er nichts er-
fahren hat.
Buf dieser Fahrt gelangt parzival nach schnellem, ziellosem Bitte
abends zu einem 5ee, wo er Fischer nach der Herberge fragt. Der
eine von diesen, reich gekleidet, aber traurig, weist ihn zu einer
nahen Burg, der einzigen, die er weit und breit finden werde; dort
wolle er selbst den Wirt machen, parzival kommt an dem
Burgtore anh und wird, da er von dem traurigen Fischer gesendet
ist, eingelassen. In der Burg angekommen, öffnet sich vor parzivals
erstaunten Bugen die blendendste Pracht und eine niegesehene Herrlich-
keit: in einem weiten Laale mit hundert Bronleuchtern sitzen auf
hundert kostbaren Buhebetten vierhundert Bitter; Bloeholz brennt
i) Bilb von Hans Thoma, Ritt nach der Gralburg, Photographische
Union in München.
5
10
15
20
25
30
35
200 ^ ^ pgj? EsSis? Kgl? Kgit kLSi- Rgfl Rgj? ca?
auf drei marmornen Feuerstätten in hellen wohlriechenden Flammen.
Eine stahlblanke Tür öffnet sich, und vier Fürstinnen, in dunklen
Scharlach gekleidet, treten ein mit goldnen Leuchtern,- ihnen folgen
acht edle Jungfrauen in grünem Lammet, die eine durchsichtige
5 funkelnde Tischplatte von edlem Granatstein tragen; sechs andere in
glänzendem Seidengewande tragen silberne Geräte, und noch sechs ge-
leiten die Schönste der Schönen, die jungfräuliche Herrin, Repanse
de joie, in den Saal. Diese trägt ein Gefäß von wunder-
bar funkelndem Stein, das sie vor dem König niedersetzt,
io worauf sie sich dann in den Kreis ihrer edlen Jungfrauen zurück-
ziehet. Hber inmitten dieser Herrlichkeit wohnt das tiefe Leid: in
pelzwerk gehüllt, sitzt traurig und an schweren Munden siech der
König auf seinem Ruhebette, und als eine bluttriefende Lanze von
einem Knappen durch den Saal getragen wird, bricht allgemeines
15 Wehklagen aus. parzival sitzt neben dem König und sieht
durch die geöffnete Tür auf einem Spannbette einen schneeweißen
Greis im Nebenzimmer ruhen: er ist in der Burg des Grals an-
gekommen, aber er weiß nicht, fragt auch nicht, daß er an der
Stätte des höchsten Heils und des tiefsten Leids, das er allein
20 wenden kann, verweilt, er sieht nicht und fragt auch nicht, daß
der Gral vor ihm steht, daß der schneeweiße Greis im Nebenzimmer
sein eigner Urgroßvater, der alte Gralkönig Titurel, daß der sieche
König sein Gheim, Rnfortas, und die jungfräuliche Königin seiner
Mutter Schwester ist; er fragt nicht, obgleich der König ihn mit
25 einem Schwerte beschenkt und dabei seiner Verwundung erwähnt.
Sn köstlicher Pracht wird die Rbendbewirtung vollbracht, in eben so
köstlicher Pracht die Ruhestätte für parzival eingerichtet. Uber am
andern Morgen findet parzival Kleider und Schwert vor seinem
Bette liegen, sein Roß gesattelt und angebunden, und tiefe menschen-
30 leere Ode herrscht in den weiten Sälen und Höfen der wunderbaren
Burg, parzival reitet von dannen, und als er das Tor im
Rücken hat, höhnt ihn ein Knappe von der Burg aus, daß er un-
besonnenerweise nicht gefragt habe. Unmittelbar darauf findet
er eine Jungfrau, die den Leichnam ihres erschlagenen Geliebten
35 klagend im Rrme hält und die ihm schon einmal aus seinen Zügen
aufgestoßen ist: es ist gleichfalls eine unerkannte verwandtin und
seine eigene Pflegeschwester, Sigune, Tschionatulanders Braut,- von
ihr erfährt er noch genauer, wie schwerer gefehlt, daß er nicht
nach dem heile, das ihm so nahe war, das ihm, ohne daß er
RgB Rgi? ta? C^gy ta? Kgj? Cagj? t^s? c-Ld Kgl? Cgä» 267
es wußte und wollte, entgegengetragen worden, gefragt f)abe;
sie flucht ihm, daß er das Leid über Bnfortas gelassen, und will
nichts wieder von ihm hören.
In tiefem Linnen reitet Parzival von dannen, und immer tiefer
versinkt er in sich selbst, bis er zuletzt bei dem Bnschauen dreier
Blutstropfen, die im Lchnee vor ihm ausgegossen sind, sich völlig
verliert in träumerisches Linnen und süßes Andenken an
die süße, verlassene Gattin Kondwiramur. Er denkt ihrer
Tränen, „als zwei Tränen standen in ihren Bugen und eine auf
ihrem Kinn",' in weiter wilder lvelt überfällt ihn mit einem Male
überwältigendes Heimweh, wie ein schwerer Traum, und noch sollten
Jahre vergehen, bis er die geliebte Gattin wiedersah: an derselben
Ltelle aber, wo er einst die Blutstropfen gesehen, ist später das Zelt
aufgeschlagen, wo er die Gattin wiedersieht, wo er sie mit den
beiden Zwillingssöhnen, die er noch nie gesehen, in einem Bette
schlafend antrifft, und so tritt dasselbe Bild in Traumes Meise, als
Erinnerung und als Vorbedeutung dreimal in sein Leben hinein, mit
den perlen der Tränen, mit den roten Tropfen im Lchnee und mit
den drei wiedergefundenen Lieben. „5o erkennen wir Träume
und Gedanken der Kindheit wieder, wenn sie uns lange hernach im
Leben eintreffen; oder wie ein alter Mann, als er die aufgehende
Lonne anschaut, sich heimlich besinnt, daß er sie schon einmal eben
so als ein Kind, sitzend auf einem hügelchen, und seitdem nicht
wieder so, betrachtet hat,' er weiß, daß sie vor ihm geschienen, ehe er
zur Welt geboren wurde, und denkt daran, daß sie bald auf sein Grab
scheinen werde"h. Dazu ist das Bild von den Blutstropfen im Lchnee
ein uralt mythischer Zug, der sich durch die keltischen wie die deut-
schen Lagen gleichmäßig hinzieht, und bei uns aus den Märchen von
Lchneewitchen und vom Machandelbaum bekannt, in unserem Ge-
dichte aber mit ungemeiner Zartheit in den Eharakter und das Leben
unseres Helden verflochten ist. Die von Brtus abgesandten Bitter
können parzival nicht aus seinen Träumen aufwecken, bis Gawein
ihm die Blutstropfen verdeckt,' aber als parzival nun zu Brtus
kommt, der ihn in die Tafelrunde aufnehmen will, da erscheint die
grause Jluchbotin des Grals, die Zauberin Kundrie, flucht
parzival, und dieser leistet Verzicht auf die weltliche
Ritterschaft der Tafelrunde, gelobt sich dem Gral, aber
5
10
15
20
25
30
35
i) 3. Drimm, Kitdeutsche Wälder, 1, 5.
268 ^ ^ Kgl? ta? raR tai? tas? tas? ta? ta? ta?
ohne Kraft und ohne Zuversicht, und reitet traurig und
an Gott verzweifelnd von dannen.
Länger als vier Jahre irrt er, fern von Gott wie von der
Heimat, in sich verbissen, trotzig und verzagt, umher: es ist die Zeit
5 des Zweifels, und während dieser Zeit verliert ihn das Gedicht
völlig aus den Rügen, um in langer, zierlicher Ausführung die Herr-
lichkeit des weltlichen Rittertums zu ihrem Rechte kommen zu
lassen,' der Held der Begebenheiten ist nun auf längere Zeit nicht
parzival, sondern Gawein, der nach manchen ritterlichen Taten
10 als weltlicher Ritter gleichfalls, wie einst parzival, auszieht, um den
Gral zu suchen.
Rach vier Jahren finden wir parzival wieder, wie er
am Karfreitag, dessen Heiligkeit er durch waffentragen verunehrt —
denn schon lange hat er nach Gott nicht gefragt — durch einen
15 Ritter in grauem Gewände zum ersten Male wieder auf das
höhere Ziel seines Lebens hingewiesen, zum ersten Male wieder an
die Treue Gottes, seiner Untreue und seinem Zweifel gegenüber,
gemahnt wird. Nachher gelangt parzival, geleitet von dem Ritter
im grauen Gewände, zu einem Einsiedler, in welchem er seinen
20 Oheim Trevrizent findet. Dieser belehrt ihn, daß Hochmut
und Zweifel niemals den Gral gewinnen könne,' er selbst
habe, wenn schon aus dem Königsgeschlechte des Grals entsprossen,
weil er sich selbst als unwürdig erkennen müsse, der würde eines
Pflegers des Grals entsagt: sein Bruder Rnfortas, der König im
25 Gral, habe auch einst das Jeldgeschrei Rmur vor sich hergetragen,
und der Ruf weltlicher Liebe „sei zur Demut nicht völlig gut",
darum habe er im Streite unterliegen müssen, sei mit einem ver-
gifteten Speer (eben dem, der einst in der Gralburg durch den Saal
getragen worden) verwundet worden und schleppe nun ein sieches
30 Leben kümmerlich hin, das er doch nicht enden könne und dürfe,
vielmehr schöpfe er täglich neue Kraft zu leben und Schmerzen
zu ertragen aus dem Rnschauen des Grals, bis dereinst, wie man
aus einer Inschrift am Gral wisse, ein Ritter kommen werde,
der nach dem Leiden des Königs und nach dem Gral fragen und
35 sich durch diese Frage als den bezeichnen werde, dem Rnfortas das
Königtum im Gral übergeben könne. Das aber sei nun eben er,
parzival, der seinem Oheim seine Herkunft und Geschichte bereits
erzählt hatte.
taR cgj? Kgl? pgj? pgj? Kgj? ta? pgj? raff t^R ^ 269
ctbermds tritt uns die weltliche Ritterschaft in Gaweins
Heldentaten entgegen, der berufen ist, einen Zauber aus dem
schlösse Château merveil zu lösen, den der vielberufene Zauberer
Rlingsor über die von ihm zusammengeraubten Bewohner dieses
Schlosses gelegt hat; — Klingfor, derselbe, den die spätere Zage als
historische Person auffaßte und mit unserem Dichter selbst in den
berühmten Wettstreit, Zängerkrieg auf Wartburg genannt, geraten
ließ,- — bei diesen weltlichen Taten fährt parzival vorbei, er hat
Runde von dem Ruhme, der hier zu gewinnen ist, er sieht das Schloß
und die verzauberten und die zur Befreiung herankommenden Ritter
— aber gleichgültig und ohne nur einen Blick nach dem lockenden
Rampffeld zu werfen, zieht er ernsten und gesammelten Zinnes seinem
neuen Pfade nach, und kaum können es die Helden vor Chateau
merveil begreifen, als sie Hören, parzival sei Hier vorbeigezogen.
Später erst tritt er, wenn schon unabsichtlich, dem gleichfalls nach
dem Gral suchenden weltlichen Ritter Gawein, seinem Genossen an
Rrtus' Hofe, gegenüber und besiegt if)n; denn weltliche Ritterschaft
kann den Gral nicht gewinnen, und auch das kräftigste, freieste
Streben muß, soweit es bloß weltlich ist, dem göttlichen Rmte unter-
liegen,- wiederum aber ist dieses göttliche Rmt nicht etwa durch taten-
lose Gedanken, und wären es auch die tiefsten wie die Höchsten, zu
erwerben oder zu behaupten: das göttliche Rmt muß sich auch welt-
lich mit dem weltlichen Rrme zuversichtlich und siegreich messen
können, und auch weltlich untadelhaft muß der sein, der die Hut und
pflege göttlicher Dinge übernehmen will. Darum wird nach diesem
Rampse mit Gawein und einem zweiten, den nunmehr parzival für
Gawein besteht, der ehedem von der Tafelrunde ausge-
schlossene parzival jetzt in diese aufgenommen. Doch
verweilt er nicht in diesem Kreise der irdischen Ritterschaft, da er
noch nicht gefunden hat, was er sucht, noch nicht erfüllt, was ihm
obliegt. Er zieht weiter und hat noch einen Rampf mit dem
Führer einer Heidenschar zu bestehen, in dem er seinen Halbbruder
Feirefiz erkennt,- als auch dieser bestanden ist, ist seine innerlich
längst vollbrachte Reinigung auch äußerlich völlig bewährt,- es wird
ihm durch dieselbe Gralsbotin, die ihm einst den Fluch angesagt, seine
Bestimmung zum Rönig des Grals angekündigt, und so
zieht er denn ein in die Gralburg, erlöst durch die Frage nach
dem Leiden seines Oheims diesen von seinen Schmerzen, nimmt
von dem Rönigtum im Gral Besitz, findet seine Gattin mit
5
10
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25
30
35
270 ^ ^ tigfl cg« Egg»? pgj? ta? pgj? ta? sgj? pgj? tat r-sr-
seinen beiden Löhnen wieder und läßt den jüngeren, Kardeiß, zum
Könige über seine weltlichen Reiche krönen. Der ältere, Loherangrin,
soll nach dem Vater König im Gral werden, von nun an wird
allen Rittern des Grals zur Pflicht gemacht, wenn sie vom Gral
ausgesendet werden, niemals eine Frage nach ihrer Herkunft zu
gestatten. Loherangrin selbst, zum Gemahl einer jungen Herzogin
von Drabant bestimmt und von einem Zchwane zu Zchiffe dorthin
geleitet, muß seiner jungen Gattin diese Frage verbieten,- als diese
dennoch nach seiner Herkunft fragt, verläßt er sie für immer: das
5chiff mit dem Zchwane holt ihn wieder nach dem Gral zurück —
und hiermit schließt das Gedicht, zuletzt noch die weite Russicht in
die uralte deutsche Zchwansage eröffnend.
e) Eingangsverse zum Parzival:
i. Urtext.
Ernst Martin, Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Erster
Teil: Text. Zweiter Teil: Kommentar. Halle 1900 und 1903.
st zwivel1) herzeni) 2) nächgebür,
da^ muo? der sele werden sür3).
gesmaehet unde gezieret
ist, swä sich parrieret
5 unverzaget mannes muot,
als agelsteren4) varwe tuot5).
der6) mac dennoch wesen geil7):
wand an im sint beidiu teil,
des himels und der helle.
i) Schwanken zwischen Treue und Untreue. — 2) Dat. Sing. 3) bitter.
— 4) diu agelster (alster): Elster. — 5) Sinn von vs. 3 bis 6: „Schmach und
Ehre ist, wo sich bunt färbt (sich parrieret) nicht weichender Mannes Sinn,
so wie die Farbe der Elster (abwechselt),“ nach Martin. — 6) ein solcher
Mann. — ?) froh.
Eg»? Egii tssa t<z~a czsa t^a «<gj? 271
io der unstaete geselle1)
hat die swarzen varwe gar2),
und wirt och nach3) der vinster var4):
so5) habet6) sich an die blanken7)
der mit staeten gedanken................
15 ein maere wil i'u niuwen8),
das; seit von großen triuwen,
wipliche^ wibes reht9),
und mannes manheit also sieht10),
diu sich gein herte nie gebouc.
20 sin herze in dar an niht betrouc,
er stahel n), swä er ze strite quam,
sin hant da sigelichen 12) nam
vil manegen lobelichen pris.
er küene, traecliche wis 13),
25 (den heit ich alsus grüe^e)
er wibes ougen stiege 14),
unt da bi wibes herzen suht15),
vor missewende ein wäriu fluht.
den ich hie zuo hän erkorn,
30 er ist maereshalpie) noch ungeborn,
dem man dirre äventiure gibt17),
und Wunders vil des dran geschiht.
J) geselle der (Gen.) unstaete: der Gefährte der Treulosigkeit. -
2) ganz und gar, völlig. — 3) dereinst. — 4) farbig wie die Finsternis,
wird in die Hölle kommen. — 5) dagegen. — 6) hält. — 7) an die blanken
(varwe): an Gott.— 8) ich euch neu erzählen. — 9) rechte Weiblichkeit. —
10) schlicht, gerade. — n) er, ein Stahl. — 12) siegreich. — 13) er, der
Kühne, spät erst Erfahrene. — iq Augenweide. — iq Herzeleid. — 16) für
die Erzählung. — iq nachsagt.
272 Egg? ELgr r^gE? cLd ELgr k^N ELgr ELgr ELgr
2. Nachdichtung von Wilhelm Hertz.
parzival von Wolfram von Eschenbach. Neu bearbeitet von Wilhelm Hertz,
vierte Auflage, Stuttgart und Berlin 1906, Lotta.
iJlenn Wankelmut beim Herzen wohnt,
Wie das mit Leid der Seele lohnt!
Denn scheckig nach der Elstern Rrt
Ist, wer die Treu mit Untreu paart,
5 Mit Schmach die Ehre, Fluch mit heil:
Rn ihm hat hält' und Himmel teil.
Wer ganz der Falschheit sich gesellt,
Ist schwarz wie Satans finstre Welt.
Doch ein getreuer steter Sinn,
io Der wandelt licht zum Lichte hin.
Die Mär', die wir erneuen,
Die sagt von großen Treuen,
von Weiblichkeit aus rechtem Pfad,
von Mannes Mannheit fest und grad,
15 Die sich vor keiner Härte bog,
vom Mann, den nie sein Mut betrog,
Daß, wo sich ihm ein Streit entspann,
Sein Stahlarm nicht den Sieg gewann
Mit manchem hohen Preise.
20 Der Kühne, spät erst Weise,
Ich seh' ihn vor mir stark und mild,
Für Weibes Rüg' ein süßes Bild,
Für Weibes herz ein sehnend Leid,
Doch rein von Makel allezeit.
25 Den ich zum Helden mir erkoren,
Er ist im Lied noch ungeboren,
von dem in bunten Schilderein
Manch Wunder wird zu künden sein.
L
RgRgj? C^Sti? Kgit Kgi? pgj? Kgff t^Ld Kgj? 273
d) Aus dem dritten Buch des Parzival: Parzivals Ausfahrt.
(Text nach Martin, S. 41 ff.)
E? machet trüric mir den lipQ,
da^ also mangiu2) heißet wip.
ir stimme sint geliche hei:
genuoge sint gein valschesnel3),
5 5 etsliche valsches lsere4):
sus teilent sich diu maere5).
das; die geliche sint genamt6),
des hat min herze sich geschämt,
wipheit, din ordenlieber
site,
1 o.LO dem vert und fuor ie triwe
mite7).
genuoge sprechent, armuot,
das; diu si ze nihte guot.
swer die8) durch triwe lidet,
hellefiwer die sele midet.
> 3.5 die dolte9)ein wip durch triuwe
des wart ir gäbe niuwe10)
ze himel mit endeloser gebe11),
ich waene ir nu vil wenic lebe12),
die junc der erden rihtuom
1 00 liefen durch des himeles ruom.
i ich erkenne ir nehein13).
i man und wip mir sint al ein14):
) die miten?15) al geliche.
frou Herzeloyd16) diu riche
ir drier lande wart ein gast17): 25
si truoc der freuden mangels
last18).
der valsch so gar an ir verswant,
ouge noch öre in nie da vant.
ein nebel was ir diu sunne:
si vlöch der werlde wunne. 30
ir was gelich naht unt der tac:
ir herze niht wan jämers
p h lac.
Sich zöch19) diu frouwe jämers
balt20)
üs; ir lande in einen walt,
zer waste in Soltäne21); 35
niht durch bluomen üf die
pläne22).
ir herzen jämer was so ganz,
sine körte sich an keinen kranz,
er waere röt oder val.
si brähte dar durch flühtesal 40
des werden Gahmuretes kint23).
liute, die bi ir dä sint,
mües;en büwn und riuten.
si künde wol getriuten24)
!) mich betrübt. — An dieser Stelle beginnt Crestiens Perceval, die
) Quelle Wolframs. — 2) manche, die den Ehrennamen nicht verdient. —
8 3) eifrig (rasch) bereit zur Unaufrichtigkeit. — 4) frei von. — 5) das Urteil
;1 fällt verschieden aus. — 6) s. namen. — ?) „U ein echter Brauch,
o o Weiblichkeit, hat immer Treue zum Geleit“ (W. Hertz). —
3 8) armuot. — 9) s. doln. — 10) immer neue Belohnung. — 11) ewiger
d himmlischer Lohn; beachte den Unterschied von gäbe und gebe. —
i 12) Konj. abh. v. waene. — 13) Akk. Sing. fern. — ") alles eins; gleich
v viel wert. — 15) würden es vermeiden, unterlassen, s. miden. — 16) Parzi-
v vals Mutter, die Schwester des Gralkönigs Anfortas; ihr Gemahl Gahmuret
v von Anjou hatte im Orient den Tod gefunden. — i?) Fremdling; verließ
ü ' ihre Lande. — 18) last (des) mangels der freuden. — 19) zog sich zurück. —
>£ 20) eifrig ergeben (dem Kummer). — 21) Einsamkeit, als Eigenname von
Wolfram mißverstanden; die Quelle hatte soutaine (1. solitanea). — 22) niht
s) (zöch sich) üt die pläne durch bluomen; den Blumen zuliebe, um sich an
di . ihnen zu erfreuen. — 23) Parzival. — 2 4) liebkosen.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch.
18
274 ^ ^ ^ egst Kat taff r^ï? üa? ta? ta? ta? ca?
45 ir sun. ê daz, sich der versan 4,
ir vole si gar für sich gewan2):
eç wsere man oder wip,
den gebôt si allen an den lîp3),
da^ se immer4) ritters wurden
lût5).
50 'wan friesche6) da^ mîns herzen
trüt,
welch7) ritters leben wsere,
daç wurde mir vil swaere.
nu habt8) iuch an der witze
kraft9),
und heit10) in11) alle riterschaft.’
55 der site fuor angestlîche vart12).
der knappe13) alsus verborgen
wart
zer waste in Soltäne erzogn,
an14) küneclîcher fuore15) be-
trogn10) ;
enmöht an eime site sin17);
60 bogen unde bölzelin
die sneit18) er mit sin selbes ha nt,
und schôç vil vögele, die er vant.
Swenne abr er den19) vogel
erschoß,
des schal von sänge ê was so
grö?, i)
so weinder unde roufte sich, 6559
an sin har kert er gerich20).
sin lip was dar unde her21):
üf dem plan am rivier
twuog22) er sich alle morgen,
erne künde niht gesorgen 23), 700Y
e^ enwsere ob im der vogel-
sanc24),
die süe7,e in sin herze dranc:
das;25) erstracte20) im siniu brü-
stelin.
al weinde27) er lief zer künegin.
so sprach si: 'wer hat dir ge- 757 -
tan ?28)
du wsere29) hin m, üf den plan.’
ern künde es ir gesagen niht30),
als31) kinden lihte noch geschiht. j
dem msere gienc si lange nach. j
eins tages si in kapfen sach 8«8
üf die boume nach der vögele
schal.
si wartwol innen, da^zeswal32) (£
von der33) stimme irkindesbrust.
des twang34) in art35) und sin m
gelüst.
frou Herzeloyde kert ir ha^ 88
an36) die vögele, sine wesse37) (7i
um wa^:
i) zu Verstand kam. — 2) ließ vor sich rufen. — 3) bei dem Leben; ;n
bei Todesstrafe. — 4) nie. — 5) etwas laut werden lassen (sprechen) sollten no
von einem Ritter. — e) Konj. Trat., s. vreischen. — 7) wie beschaffen. —
8) haltet. — 9) nehmt allen Verstand zusammen. — 1 °) s. heln. — n) Par- -m
zival. — 12) der Brauch ging gefährlichen Weg; das Vorgehen war nicht Irf;
unbedenklich. — 13) Knabe Parzival. — 14) um. — 15) Lebensweise. — —
16) s. betriegen. — 17) es könnte denn diese (künecliche fuore) sich in ni
einer Gewohnheit zeigen; mit Ausnahme einer Lebensgewohnheit. — -—
i8) s. sniden. — 19) einen. — 2O) Rache. — 21) Lehnwort aus dem französi- -ise
sehen Vorbild: stolz, stattlich. — 22) §. twahen. — 23) wußte nichts von no\
Borgen. — 24) wenn es nicht der Vogelsang über ihm gewesen wäre, der isß
ihm Sorge gemacht hätte. — 25) da^ herze; das Herz schwillt bei dem - rno
Gesang und scheint die Brust zu dehnen. — 26) s. erstrecken. — 27) wei- -iov
nende. — 28) etwas zuleide. — 29) warst doch (gegangen). — 30) niht es:
nichts davon. — 31) wie. — 32) s. zeswellen. — 33) der (der Vögel). — —
34) s. twingen. — 35) sin art. — 3G) auf, gegen. -— 37) s. wi^en.
L
Egaft Eagïî c^i? t^s? cgi? c^stR ta? ta»? ra»? cgi» r^rr 275
si wolt ir schal verkrenken.
ir büliute unde ir enken1)
die hieç si vaste gâhen,
>6 90 vögele würgn und vâhen.
die vögele wären baç geriten2):
etslîches sterben wart ver-
ni iten3):
der bleip da lebendic ein teil,
die sît mit sänge wurden geil4).
■695 Der knappe sprach zerkünegîn:
‘waçwîçet5) man den vogelin?’
er gert in frides6) sä zestunt.
sin muoter kust in an den munt :
diu sprach: ‘wes7) wende ich
sin gebot,
>000 der doch ist der höchste got?
suln vögele durch mich freude
lan?’
der knappe sprach zer muoter
sän:
‘ôwê muoter, wa? ist got?'
‘sun, ich sage dir^ âne spot.
305 er ist noch lichter denne der tac,
der antlitzes sich bewac
nach menschen antlitze8).
sun, merke eine witze9),
und flehe in umbe dîne nôt:
o.LO sin triwe der werlde ie helfe bot.
sô 10) heißet einr der helle wirt:
der ist swarz, untriwe in niht
verbirtn).
von dem ker dine gedanke
und och von zwivels wanke.'12)
sin muoter underschiet im gar ns
da^ vinster unt da^ lieht gevar.
dar nach sin snelheit13) verre
spranc.
er lernte den gabilötes swanc14),
da mit er mangen hir^ erschoß,
des15) sin muoter und ir volc 120
genös;.
67, waere aeber16) oder sne,
dem wilde tet sin schienen we.
nu hoeret fremdiu17) maere.
swenne errschö^ da^ swaere18),
des waere ein mül geladen 125
genuoc,
als unzerworht19) hin heim er^
truoc.
Eins tages gieng er den
weideganc
an einer halden, diu was lanc:
erbrach durch blates stimme20)
en zwic.
da nähen bi im gienc ein Stic: 130
da hörter schal von huof-
slegen.
sin gabylöt begunder wegen21):
dö sprach er: 'wa? hän ich
vernomn?
wan wolt et nu22) der tiuvel
körnn
>) Ackerknechte. — 2) besser beritten, schneller. — 3) unterblieb, s.
vermiden (mit Gen.). — 4) lustig. — 5) wirft vor. — ß) Schonung. —
7) warum. -— 8) g. bewegen: sich entschloß, ein Antlitz anzunehmen (Mensch-
werdung Christi). — 9) weise Lehre. — 10) dagegen. — u) s. verbern. —
12) vgl. die Eingangsverse zu Parzival. — 13) der schnelle Knabe, vgl. „König
Rudolfs heilige Macht“ in Schillers „Der Graf von Habsburg“. — 14) das
Schwingen, Werfen des Jagdspießes. — 15) davon. — 16) s. Wb. — 17) be-
fremdliche, seltsame.— 1 ö) so Schweres (ein Stück Wild, so schwer), daß
damit (des). — >9) unzerlegt, wie es war. — 20) um zu „blatten“ (auf einem
Blatt zu blasen) und damit den Rehbock anzulocken. — 21) schwingen. —
22) wan wolt et nu: wenn doch nur jetzt (kommen) wollte.
18‘
135 mit grimme zornecliche!
den bestüende ich sicherliche.
min muoter kreisenJ) von im
sagt:
ich waene ir eilen si verzagt.’2)
alsus stuont er in strites ger3).
ho nu seht, dort kom geschuftet4)
her
dri ritter nach wünsche var5),
von fuo^e üf gewäpent gar.
der knappe wände sunder
spot,
da^ ieslicher waere ein got.
145 dö stuont6) ouch er niht langer
hie,
in den phat viel er üf siniu knie,
lute rief der knappe sän:
‘hilf, got: du mäht7) wol helfe
hän.’
der vorder8) zornes sich be-
wac °),
150 dö der knappe im phade lac:
‘dirre toersche Wäleise10)
unsich11) wendet gäher reise.’12)
ein pris, den wir Beier13) tragn,
muoz; ich von Wäleisen sagn:
155 diesinttcerscherdennebeiersch
her 14),
unt doch bi manlicher wer l5). i)
swerinden zwein landen wirt16),
gefuoge ein wunder an im birt17).
Dö kom geleischieret18)
: und wol gezimieret19) i6M9i
ein ritter, dem was harte gäch.
er reit20) in striteclichen21) näch,
die verre wären von im körnn:
zwen ritter heten im genomn
eine frouwen in sim lande. 16S91
den heit e^ dühte schände:
in müete22) der juncfrouwen leit,
diu jaemerliche vor in reit.
dise dri wärn sine man.
er reit ein schoene kastelän23): 17071
sins Schildes was vil wenic ganz,
er hies; Karnahkarnanz
leh cons Ulterlec 24).
er sprach: ‘wer irret uns den
wec?’
sus fuor25) er zuome knappen 17471 j
sän.
den dühter als ein gotgetän:
ern hete so liehtes26) niht erkant.
ufern touwe der wäpenroc
erwant27).
mit guldin schellen kleine
vor iewederm beine 188i
wärn die Stegreife erklenget28)
unt ze rehter mä?e erlenget29). .<
i) s. vreise; erzählt Schreckliches. — 2) sie sei mutlos. — 3) Kampf-
begier. — 4) galoppieret; schuften gehört zu schieben. — 5) herrlich aus- x
sehende. — 6) blieb stehen. — 7) Präs. 2. Sing., s. mugen. — 8) vorderste. —
9) entschloß sich zu, geriet in Zorn. — 10) Waliser, Bewohner von Valois. —
11) Akk. Plur.: uns. — 12) bringt ab von raschem Ritt. — ") Wolframs Li
Landsleute. — 14) Volk. — 15) Abwehr. — 16) geboren'wird. — 17) ein wunder
gefuoge (Gen.) an im birt (tritt zutage). — 18) s. leischieren. — 19) s. .s
zimieren. — 20) s. riten. — 21) voll Eifer. — 22) s. müejen. — 23) kastili- - -ij
sches Roß, Streitroß. — 24) ]e comte (comes) ultre lac: der Graf von jenseits gj
des Sees. — 25) s. varn, ritt er. — 26) Gen. — 27) s. erwinden: sich um-
drehen, reichen bis (an den Tau auf dem Grase). — 28) klingend gemacht. —
2 9) soweit verlängert, daß sie klingen konnten.
cgi? t^i? KLL- Rgs? Ra?i? cgi? tat ta? Kg«? c^tr cgft ^ 277
sin zeswer1) arm von schellen
klanc,
swar er den bot oder swanc.
'885 der2) was durch swertslege so
hei3):
der heit was gein prise snel4).
sus fuor der fürste riche,
gezimiert wünnecliche.
Aller manne schcene ein blu-
omen kranz5),
)G90 den vrägte Karnahkarnanz
‘juncherre, säht ir für6) iuch varn
zwen ritter, die sich nihtbewarn
können an ritterlicher zunft?7)
si ringent mit der nötnunft8)
5ö5 und sint an werdekeitverzagt9):
si füerent roubes10 *) eine magt.’
der knappe wände, swa? er
sprach,
es; wsere got, als im verjach11)
fron Herzeloyd diu künegin,
ooo dosim12)underschietdenliehten
schin.
dö rief er lute sunder spot
‘nu hilf mir, hilfericher got!'
vil dicke viel an sin gebet13)
61 li roy Gahmuret14).
ö »5 der fürste sprach: ‘ich pin15) niht
got,
ich leiste ab 16) gerne sin gebot.
du mäht17) hie vier ritter sehn,
ob du ze rehte kündest spehn.’
der knappe frägte fürbas;
‘du nennest ritter: wa? ist 210
da??
hästu niht18) gütlicher kraft,
so sage mir, wer git Täter-
schaft ?’
‘da? tuot der künec Artus,
juncherre, körnt ir in des hüs,
der bringet iuch an rittersnamn, 215
da? irs iuch nimmer dürfet19)
schämn.
ir mugt wol sin von ritters art.'
von den beiden er geschouwet
wart:
Dö lac diu gotes kunst an im20),
von der äventiure ich da? nim21), 220
diu mich mit wärheit des be-
schiet.
nie mannes varwe22) ba? geriet
vor im sit Adämes zit.
des wart sin lob von wiben wit.
aber sprach der knappe sän, 225
dä von23) ein lachen wart getän.
‘ay, ritter got, wa? mahtu sin?
du häst sus manec vingerlin24)
an dinen lip gebunden,
dort oben unt hie unden.’ 230
aldä begreif25) desknappen hant
4) s. zese. — 2) Arm. — 3) hell tönend, damit die Schwertschläge zu
hören waren. — 4) denn der Held war ruhmbegierig. — 5) Parzival, ein
Blütenkranz (die Krone) aller Mannesschönheit. — 6) an . . vorüber. — ?) ihre
Ritterwürde außer acht lassen. — 8) Entführung. — 9) sind unehrenhaft
geworden. — 1») adv. Gen.: auf räuberische Art. — 11) verkündet hatte.—
12) si im. — 13) zum Gebet (auf die Knie). — 14) Parzival, le fils du roy
G. — 15) bin. — 10) aber. — 17) kannst. — i«) niht . . . kraft (Gen.). —
19) braucht. — 20) trat seine Schönheit, ein Kunstwerk Gottes, deutlich
zutage. — 21) Hinweis auf Wolframs Quelle. — 22) Aussehen.— 23) wor-
über. — 24) Ring, Fingerring; hier: Panzerringe. — 2 5) s. begrifen.
278 ^ ^ Pg»? taff Pgi? t^5? tia? Kgj? Csga? Ca£j?
swa? er isers ame fürsten vant:
de?1) harnasch begunder
schouwen.
‘miner muoter juncirouwen
235 ir vingerlin an snüeren2)
tragnt3),
diu niht sus an einander ragnt/4)
der knappe sprach durch sinen
muot5)
zem fürsten: 'war zuo ist diz
guot,
da? dich so wol kan schicken?3)
240 ine mages7) niht ab gezwicken.’
der fürste im zeigete sä sin swert:
'nu sich8), swer an mich strites
gert,
des selben wer ich mich mit
siegn:
für9) die sine muo? ich an mich
legn10),
245 und für den schu? und für den
stich
muo? ich alsus wäpen11) mich/
aber sprach der knappe snel:
‘ob die hir?e trüegen sus ir vel,
so verwuntir12) niht min gabylöt.
250 der13) vellet mangervormirtöt/
Die ritter zurnden, da? er hielt
bi dem knappen, der vil tump-
heitu) wielt15).
derfürstesprach: ‘gothüetedin.
öwi wan10) wser din schoene min!
dir bete got den wünsch17) ge-
gebn,
ob du mit witzen18) soldest lebn.
diu gotes kraft dir virre19) leit/20)
die sine und och er selbe reit,
unde gähten harte balde21)
zeinem velde in dem walde.
da vant der gefüege22)
frön23) Herzeloyden phlüege2i).
irvolke leider25) nie geschach;
die er2G) balde eren sach:
si begunden säen, dar nach egen,
ir gart27) ob starken ohsen
wegen.
der fürste in guoten morgen böt,
und fragte se28), op si sashen29)
not
eine juncfrouwen liden.
sine künden niht vermiden,
swes er vrägt da? wart gesagt,
‘zwene ritter unde ein magt
da riten hiute morgen,
diu frouwe fuor mit sorgen:
mit sporn si vaste ruorten30),
die die juncfrouwen fuorten/
e? was Meljahkanz31).
den ergähte Karnahkarnanz,
mitstrite er imdiefrouwen nam:
i) da?. — 2) s. snuor. — 3) um den Hals tragen. — 4) stoßen. —
5) seinem (kindlichen) Empfinden folgend. — 6) „ausrüsten“, zieren. —
7) mac es (Gen.) niht. — 8) s. sehen. — 9) zum Schutz gegen seine
Hiebe.— lü) (zu ergänzen) den Harnisch. — u) wäpenen. — 12) ir (Gen.)
niht: keinen von ihnen. — 13) von denen. — 14) Gen. — 15) s. walten. —
16) wenn nur, daß doch! — 1 7) das Vollkommenste, das Ideal. — 1S) wenn
du richtig bei Verstand wärest. — 19) s. virren. — 20) leit: Subst. —
21) kühn. — 22) Karnahkarnanz. —- 23) Gen. von frö (frouwe). — 24) s.
phluoc. — 25) schlimmeres Leid. — 2G) Karnahkarnanz. — 27) Treib-
stecken. — 28) si. — 29) gesehen hätten. — 30) s. rüeren (diu ros). —
3i) wird auch sonst als Frauenräuber genannt.
255252
26092
2692
J
2772
272 ,(
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Eg»? Eg»? Egi? Egi? EgS? Eg»? Eg»? Cgi? Egä? r^g»? Eg»? Eg»? Eg»? 279
[)£80 diu was dä vor1) an freudeni) 2)
lam.
si hiez; Imäne
von der Beäfontäne3).
Die büliute verzagten,
do die beide für4) si jagten.
3£B5 si sprächen: 'wiest uns sus ge-
schehen?5)
hat unser juncherre ersehen
üf disen rittern helme schart6),
sone hän wir uns niht wol
bewart7).
wir sulen8) der hüneginne ha^
0€90 von schulden beeren umbe daz„
wand9) er mit uns dä her lief
hiute morgen do si dannoch
slief.’
der knappe enruochte ouch10 *),
wer do schöz;
die hirz,e kleine unde grö^:
395 er huop sich gein der muoter
widr n)
und sagt ir mser12). do viel si
nidr:
siner worte si so sere erschrac,
daz; si unversunnen vor im lac.
do diu küneginne
xoo wider kom zir sinne,
swie si dä vor waere verzagt,
dösprachsi: 'sun,werhätgesagt
dir von ritters orden?
wä bist dus13) innen worden?’
‘muoter, ich sach vier man 305
noch liehter danne got getän:
die sagten mir von ritterschaft.
Artüs küneclichiu kraft
sol mich näch14) riters eren
an Schildes ambet leeren.’15) 310
sich huop ein niwer jämer hie.
diu frouwe enwesse rehte, wie
da.7, si ir16) den list erdachte
unde in von dem willen brachte.
Derknappetumpunde17)wert 315
iesch18) von der muoter dicke
ein pfert19).
daz, begunde se in ir herzen
klagn.
si dähte ‘in20) wil im niht ver-
sagn :
e^21) muo7, abr vil boese sin.’
do gedähte mer22) diu künegin 320
‘der liute vil bi spotte sint23).
tören kleider sol min kint
ob sime liebten libe tragn.
wirt er geroufet unt geslagn,
so kumt er mir her wider wol.’ 325
owe der jaemerlichen dol!24)
diu frouwe nam ein sactuoch25):
si sneit im hemde unde
bruoch26),
i) davor, vor ihrer Befreiung. — 2) Gen.: zur Freude unfähig. —
3) belle fontaine. — 4) an . . . vorbei. — H wie konnte uns das widerfahren? —
6) schartig, zerhauen. — ?) wird uns unsere Unachtsamkeit teuer zu stehen
kommen. — 8) werden. — 9) da. — io) auch in der Tat; kümmerte sich
auch wirklich nicht mehr. — n) zurück nach. — 12) die Kunde, daß er ein
Ritter werden möchte. — 13) du es. — 14) gemäß. — iS) dem Ritterdienst
zuführen, vgl. Nachahmung bei Uhland, (Graf Eberhard der Rauschebart, Die
Schlacht bei Reutlingen): „Drei edle Grafen folgen, bewährt in Schildes-
amt“. — 16) sich. — l7) und doch. — lö) s. eischen. — 19) Reitpferd. —
20) ich en. — 21) das Pferd. — 22) dachte weiter nach — 23) sind zu Spott
geneigt. — 24) wie schmerzlich war es für die Mutter, dies geschehen
lassen zu müssen. — 25) grobes Sackleinen. — 2 6) eine Hose zur Be-
deckung von Hüfte und Oberschenkel.
j
I
280 ctsa nsn czsn cg»? cgj? rgn egg?
da^ doch an eime stücke er-
schein,
330 unz enmitten ansin blanke?,bein.
da^ wart für tören kielt erkant.
ein gugel1) man ebene drüfe
vant.
al frisch rüch kelberin
von einer hüt zwei ribbalin
335 nach sinen beinen wart gesnitn.
da wart grö^ jämer niht vermitn.
diu künegin was also bedäht,
si bat beliben in2) die naht.
‘dune solt niht hinnen kören,
340 ich wil dich list3) e leren,
an ungebanten4) strafen
soltu tunkel fürte5) lä?en:
die sihte unde luter sin,
da solte6) al balde riten in.
345 du solt dich site7) nieten,
der werlde grüe^en bieten.
Op dich ein grä wise man
zuht wil lern als er wol kan8),
dem soltu gerne volgen,
350 und wis9) im niht erbolgen10).
sun, lä dir bevolhen11) sin,
swä du guotes wibes vingerlin
mügest erwerben unt ir gruo?,
da?, nim: es; tuot dir kumbers
buo^.
355 du solt zir küsse gäben
und ir lip vast umbevähen:
da?, git gelücke und hohen muot,
op si kiusche ist unde guot.
du solt och wi^en, sun min,
der stolze küene Lähelin 36098
dinen fürsten ab ervaht12) zwei
laut,
diu selten dienen diner haut,
Wäleis13) unde Norgäls14).
ein din fürste15) Turkentäls
den tot von siner hende en- 36.98
phienc:
din volc er sluoc unde vienc.’
‘diz rieh10) ich, muoter, möcht17)
es got:
in verwundet noch min gabylöt/
des morgens dö der tag er-
schein,
der knappe balde wart enein18), 37 78 ,
im was gein19) Artüse gäch.
fron Herzeloyde in kuste und
lief im nach.
der werlde riwe20) aldä ge-
schach.
dö si ir sun niht langer sach,
(der reit enwec, wemst deste 3778 2
ba??21)
dö viel diufrouwe valschesla?22)
üf die erde, aldä si jämer sneit23)
so dai, se24) ein sterben25) niht h
vermeit26).
ir vil getriulicher tot
Ö Kapuze. — 2) ihn. — 3) Klugheit. — 4) ungebahnt. — 5) s. vurt. —
6) soltu. — 7) Gen. abh. v. nieten. — 8) wie er es versteht. — 9) Imper. von
wesen. — ]o) erbost. — n) s. bevelhen. — 12) s. ervühten. — 13) Süd- -b
Wales. — 14) Nord-Wales. — 15) einer deiner Fürsten. — 1 G) s. rechen. —
17) s. ruochen. — ]8) wurde eins, war entschlossen. — 19) zu Artus hin. —
2Ü) das Leid aller Welt, tiefer Seelenkummer. — 21) wem ist desto wohl er?
wer kann sich darüber freuen? — 22) valches (Gen.) la^: die „zur Schlechtig-
keit träge“ Frau, die Frau ohne Falsch. — 23) durchschnitt; der Jammer schnitt
ihr, wie ein Schwert, in die Seele, vgl. Simeons Weissagung, Ev. Lucä, 2, 35.
— 24) sie. — 2ö) Subjekt! der Tod. — 26) s. vermiden; sie nicht verschonte. .3,
Cäs=i? Sagi? Kgi? ta? ta? egg? tat Kgi? tai? Cagj? r^L? r^sr Kgj? 281
)880 der frouwen wertr) die hellenöt.
öwol si da^ se ie muoter wart!
sus fuor die lönes bernden2)
vart
ein wurzel der güete
und ein stam der diemüete.
385 owe da^ wir nu niht enhän
ir sippe3) unz an den eilften
span!4)
des wirt gevelschet5) manec lip.
doch solten nu getriwiu wip
heiles wünschen disem knabn,
der sich hie von ir hat er- 390
habn6).
e) Aus dem fünften Buch des Parzival: Parzival auf der
Gralburg.
(Text nach Martin, S. 81 ff.)
In den palas kom gegangen
der da wart wol enpfangen,
Parzival der lieht gevar,
von im, der in sante dar7).
ö5 er lies; in da niht langer sten:
in bat der wirt8) näher gen
und sitzen, 'zuo mir da her an.
sazte i’ uch9) verre dort hin
dan10),
da% waere iu alze gastlich.’11)
o sus sprach der wirt jämers rieh.
Der wirt het durch siechheit
grÖ7,iu fiur und an im warmiu
kleit.
wit und lanc zobelin,
sus muose ü^e und inne sin
'• der pellb, und der mantel drobe.
der swechest12) balc waer wol
ze lobe.
der was doch13) swarz unde
grä14):
des selben15) was ein hübe da
üf sime houbte zwivalt,
von zobele, den man tiure galt. 20
sinwel aräbsch16) ein borte
oben drüf gehörte,
mitten dran ein knöpfelin,
ein durchliuhtic rubin.
Da sas; manec ritter kluoc, 25
da man jämer17) für si18) truoc.
ein knappe spranc zer tür dar in.
der truoc eine glaevin
(der site was ze trüren guot)19):
an der sniden huop sich pluot20) 30
p s. wem. — 2) s. bern; den Lohn bringenden Weg (in den Himmel). —
3) Gen. abh. von niht. — 4) bis ins elfte Glied. — 5) für falsch (unzuver-
i lässig) erklärt. — 6) s. erheben. — 7) der Fischer. — 8) Anfortas. — 9) ich
i iueh. — 10) von mir weg. — 11) damit behandelte ich Euch zu sehr als
Fremden. — 12) minderwertigste. — 13) wenigstens. — 14) der wertvollste
- Zobel ist schwarz und weife. — 15) aus eben demselben Zobel (Gen. des
Stoffes). — 16) von arabischem Golde. — 17) etwas Jammerverursachen-
> des. — l8) an ihnen vorüber. — 19) der Brauch war geeignet, Trauer zu
) erregen. — 20) s< bluot.
282 ^ ^ tigj? RgB ta? Rgj? Es-gg? Rgj? r-LÄ- ta> taff
und lief den schaft1) unz üf
die hant,
dei?i) 2) in dem ermel wider
want3).
da wart geweinet unt geschrit4)
üf dem palase wit:
35 da? volc von dri?ec landen
möht? den engen niht en-
blanden5).
er truoc seG) in sinen henden
alumb zen vier wenden7),
unz aber wider zuo der tür.
40 der knappe spranc hin ü?derfür.
gestillet was des Volkes not,
als in der jämer e gebot,
des si diu glaevin bet ermant,
die der knappe brühte in siner
hant........................8)
45 nach den9) kom diu künegin.
ir antlitze gap den schm,
si wänden alle, e? wolde tagen,
man sach die maget an ir tragen
pfellel von Aräbi.
50 üf einem grüenen achmardi
truoc si den wünsch von par-
dis 10 *),
bede wurzeln unde ris11).
da? was ein dinc, da? hie? der
Gral12),
erden Wunsches überwal13).
Repanse de schoye14) si hie?, 55 aa
die sich der gräl tragen lie?15).
der gräl was von sölher art:
wol muos er kiusche sin bewart,
die sin ze rehte solde pflegn:
diu muose valsches sich be- oooo -
wegn.
Vorem16) gräle körnen lieht:
diu wärn von armer koste nieht;
sehs glas lanc lüter wolgetän,
dar inne balsem, der wol
bran 17).
dö si18) körnen von der tür 659
ze rehter mä?e19) alsus her für,
mit zühten neic diu künegin
und al diu juncfröwelin,
die dä truogen balsemva?.
diu künegin valscheite la? 7,7
sazte für den wirt den gräl.
de/, maere giht20), da? Parziväl fg
dicke an si sach und dähte21), ,(*
diu den gräl dä brühte:
i) den Schaft hinab. — 2) da? e?. — 3) wider winden: aufhören, ,ne
haften. — 4) s. schrien. — 5) zumuten; soviel Tränen hätten die Bewohner iZj
von dreißig Landen nicht vergießen können. — 6) die Lanze. — 7) an ns
denen die Tafeln aufgestellt waren. — 8) Der Dichter erzählt weiterhin niri
von der Pracht, die auf der Gralburg entfaltet wurde bei dem Aufzug der 19^
Hüterin des Grals und ihrer dienenden Frauen. — 9) kostbar gekleideten noj
Fürstinnen. — 10) das Herrlichste aus dem Paradies. — n) Wurzeln wie siv,
Zweige; Bezeichnung der Vollkommenheit. — 12) Schüssel, die bei dem mo
Abendmahl Christi gebraucht worden war und in der Joseph von Arimathia Lid
das Blut, das aus Jesu Seite geflossen, aufgefangen hatte, s. Wörterbuch. — — .
13) überwal stf.: was über alles Wählen in irdischer Herrlichkeit hinausgeht Jdo;
(Martin). — ") Schwester des Anfortas. — 15) die der Gral zuließ zum mu:
Sichtragen, von der sich der Gral tragen ließ. — 16) vor deine. — 17) s. .2 (
brinnen. — 18) die Jungfrauen. — 19) bis zu der gebührenden Entfernung. —
so) meine Quelle erzählt. — 21) Augen und Gedanken auf sie richtete.
Ea-aft I^S? k-ssr I^i? Kgl? Egri? C^i? kL-4? CgB Cgjft rLL- 283
S’5 er het och ir1) mantel an.
mit zuht die sibene giengen dan
zuo den ahzehen ersten,
dö liefen si die hersten2)
zwischen sich; man sagte mir,
o;o zwelve iewederthalben ir3).
diu maget mit der kröne
stuont da harte schöne,
swa? ritter dö gesehen was
über al den palas,
5 5 den wären kamersere
mit guldin becken swsere
ie viern geschaffet einer dar,
und ein juncherre wol gevar,
der eine wi?e tweheln truoc.
oo man sach da richeit genuoc.
Dertaveln muosen hundert sin,
die man da truoc zer tür dar in.
man sazte iesliche schiere
für werder ritter viere:
25 tischlachen var nach wl?e
wurden drüf geleit mit vli?e.
derwirt dö selbe wa??er nam4):
der was an hohem muote lam.
mit im twuoc5 6) sich Parziväl.
co ein sidin tweheln wol genial0)
die böt eins gräven sun der-
näch7):
dem was ze knien für si8) gäch.
swä dö der taveln kein in stuont,
dà tet man vier knappen kuont,
da? se ir diens9) niht vergse?en 105
den10 *), die drobe11) sae?en.
zwöne knieten unde sniten:
die andern zwöne niht vermiten,
sine trüegen trinkn und e??en
dar,
und nàmen ir mit dienste war. ito
Hoert mör von richheite sagen,
vier karräschen muosen tragen
manec tiwer goltva?
ieslichem ritter, der dà sa?,
man zöhs12) zen vier wenden. H5
vier ritter mit ir henden
mans13) üf die taveln setzen
sach.
ieslichem gieng ein schriber14)
nàch,
der sich dar zuo arbeite15)
und si wider üf bereite, 120
sö dà gedienet wsere.
nu hoert ein ander maere.
hundert knappen man gebot:
die nämn in wi?e tweheln bröt
mit zühten vor dem gràie. 125
die giengen al zemäle16)
und teilten für die taveln sich,
man sagte mir, diz sag ouch ich
üf iwer iesliches eit,
da? vorem gràie wsere bereit 130
4) einen Mantel, den Repanse de schoye getragen, hatte Parzival beim
Eintritt in die Gralburg erhalten. — 2) Repanse de schoye. — 3) auf jeder
Seite der Königin. — 4) zum Waschen der Hände vor der Mahlzeit; man
aß im Mittelalter mit den Fingern, nicht mit der Gabel. — 5) s. twahen. —
6) von schöner Farbe. — 7) nach dem Waschen. — 8) Vor Anfortas und
Parzival. — 9) dienens. — 10) Dativ, hängt ab von diens. — 11) an den
tischen. 12) zöch si (die karräschen). —- 13) man sie (diu goltva?). —
") ^in niederer Geistlicher, der das kostbare Tafelgerät zu zählen und
auf die Wagen zurückzubringen hatte. — is) darum bemühte. — ") auf
einmal.
284 rgg¥? ^ ^ pgït Eg»? tigj? cg»? Eg»? ta? ta? c^rr
(sol ich des iemen triegen,
so müe?t ir mit mir liegen)
swä nach jener1) böt die hant;
da? er2) al bereite vant
135 spise warm, spise kalt,
spise niwe unt dar zuo alt,
da? zam unt da? wilde.
esn3) wurde nie kein bilde,
beginnet maneger sprechen.
140 der wil sich übel rechen4):
wan der gräl was der ssei-
den fruht,
der werlde süe?e ein sölh
genuht,
er wac5) vil nach geliche,
als man saget von himel-
riche.
145 in kleiniu goltva? man nam,
als ieslicher spise zam3),
salssen7), pfeffer8), agra?9).
da bet der kiusche und der vrä?
alle geliche genuoc.
150 mitgrö?er zuht man? für si truoc.
möra?10), win, sinopel11) röt,
swa nach den napf ieslicher böt,
swa? er trinkens künde nennen,
da? mohter drinne erkennen12)
alle?13) von des gräles kraft. 15,61
diu werde geselleschaft
bete wirtschaft vorne grâl.
wol gemarcte14) Parzivâl
diericheitunt da? wunder grô?:
durch zuht in vragens doch i69i j
verdro?.
er dähte : 'mir riet Gurnamanz15)
mit grözen triwen ane schran?16),
ich solte vil gevrägen niht.
wa? op17) min wesen18) hie
geschiht
die m:i?e19) alse dort pi im? 101
âne vrâge ich vernim20),
wie? dirre massenie stet.'
in dem gedanke21) näher gèt
ein knappe, der truog ein swert:
des pale22) was tüsent marke i"l 3
wert,
sin gehilze was ein rubin,
ouch möhte wol diu klinge sin n
grö?er wunder urhap.
der wirt e? sime gaste gap.
der sprach: ‘herre, ich präht?23) 11 (8
in not24)
in maneger stat, ê da? mich got je
ame übe hat geletzet.
1) einer von denen, die dort waren. —- 2) bezieht sieh auf jener. — —
3) es (Gen., abh. von bilde); ein Beispiel dafür, dergleichen habe es nie ge- -31
geben, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. — 4) der ist mit seiner Be- -3!
merkung sehr im Unrecht. — 5) s. wegen: hatte nahezu gleichen Wert fi;
wie das, was man vom Himmelreich'sagt. — 6) s. zemen, paßte zu. —
7) gesalzene Brühe. — 8) Pfefferbrühe. — 9) scharfe Brühe (aus sauern m:
Beeren und Äpfeln). — 10) auf Maulbeeren abgezogener Wein. — 41) rot Joi
gefärbter Wein. — 12) vgl. Goethe, Faust (Auerbachs Keller), und das sal
Märchen vom „Tischlein, deck dich". — 13) Adv. durchaus. -— 14) s. ge- -og
merken. — 15) Parzivals Erzieher in ritterlichen Sitten. — 16) Riß, Bruch; ;dc
mit unverbrüchlicher Treue. — 17) wa? op: wie nun, wenn vielleicht? —
18) Aufenthalt, Anwesenheit. — 19) so lange Zeit wie. — 20) dann erfahre 315
ich vielleicht ohne Fragen. — 21) während er so dachte. — 22) s. balc: :o!i
Scheide. — 23) prähte e?, s. bringen. — 24) trug es in den Kampf.
Egjs? Kgï? Kgj? Rgî? Egg? Kgi? KgS? t^i? Rgf? Egg? Ka£¥? Pgî? 285
nu sit dermit ergetzet,
ob man iwer hie niht wol en-
pflege.
o;o irmuget? wol füeren allewege4):
swenne ir geprüevet sinen art,
ir sit gein strite dermite bewarb'
Owe da? er niht vrägte
dö!
des pin2) ich für in3)nochunvrö.
55 wan do er? enpfienc in sine
hant,
dö was er vrägens mit er-
mant.
och riwet mich sin süe?er
wirt,
den ungenande4) niht ver-
bieth,
des im von vrägn nu waere
rath.
0 genuoc man da gegeben hat:
dies pflägen7), die griffen? an,
si truogn? gerüste wider dan.
vier karräschen man dö luoth.
ieslich frouwe ir dienest tuot,
> e die jüngsten, nu die ersten9),
döschuofense abrdiehersten10)
wider zuo dem gräle.
dem wirte und Parziväle
mit zühten neic diu künegin
und al diu juncfröwelin. 200
si brühten wider in zer tür11)
da? si mit zuht ê truogen für.
Parziväl in blicte nach,
an eime spanbette er sach
in einer kemenäten, 205
ê si nach in12) zuo getäten13),
den aller schcensten alten man,
des er künde ie gewan.
ich mage? wol sprechen âne
guft14),
er was noch grawer dan der tust. 210
wer der selbe waere,
des freischet her nach mære.
: • - ;15)
Parziväl sich leite nidr16)
ouch sazten junchêrrelîn
üfen tepch die kerzen sin, 215
dö si in släfen sähen :
si begunden dannen gaben.
Parziväl niht eine17) lac :
gesellecliche unz an den tac
was bi im strengiu arbeit, 220
ir boten künftigiu leit
sanden im in släfe dar,
sö da? der junge wol gevar
siner muoter troum gar wider-
wac18),
des si nach Gahmurete pflac. 225
') immer, vgl. im Englischen always. — 2) bin. — Z) seinetwegen. —
4) unheilbares Leiden, das man sich scheut zu nennen. — 5) s. verbern;
s unablässig quält. — c) wofür ihm durch Fragen eine Abhilfe würde; durch
[ Parzivals Frage wäre Anfortas von seinem Siechtum geheilt worden. —
' 7) die dafür zu sorgen hatten. — 8) s. laden. — 9) diejenigen, die zuletzt
; gekommen waren, gierigen nun voran. — 10) die Königin veranlaßten sie
r zum Gral zu gehen. — u) zur Tür „hinaus“. — 12) sich. —- 13) die Tür. —
c . 14) Übertreibung. — 15) Der Dichter erzählt von dem freudenlosen Leben
> des Dulders Anfortas. Dieser läßt Parzival zur Nachtruhe geleiten. — 1G) auf
) das Kissen. — 17) allein. — 18) s. widerwegen; er hatte einen ebenso be-
5 ängstigenden Traum wie Herzeloyde nach Gahmurets Tod; Schilderung
3 . des Traumgesichtes: Parzival, Buch 2, 1349 ff. (103, 25).
286 kLd r^gTK Kgs? Egg5? g^gi? r^r rL-i? kLÄ- c>L^ ksSLr
sus wart gesteppet im sin
troumJ):
mit swertslegen umbe den soum,
dervor mit maneger tjoste rieh.
von rabbine hurteclich
230 er leit in släfe etsliche not.
möhter dri?ecstunt2) sin tot,
da? heter wachende e3) gedolt:
sus teilte im ungemach den solt.
von disen strengen Sachen
235 muos er durch not erwachen,
im switzten ädern unde bein.
der tag ouch durch diu venster
schein.
dö sprach er: ‘we wä sint diu
kint4),
da? si hie vor mir niht sint?
240 wer sol mir bieten min gewant?’
sus warte5) ir der wigant,
unz er anderstunt(!) entslief,
nieman da redete noch enrief:
si wären gar verborgen.
245 umbe den mitten morgen
do erwachte aber7) der junge
man:
üf rihte sich der küene sän.
Ufern teppech sach der degen
wert
ligen sin harnasch und zwei
swert:
da? eine der wirt im geben hie?, 2552
da? ander was von Gahevie?8).
du sprach er zim selben9) sän:
'ouwe durch wa? ist diz10) ge-
tän?
deiswär ich soll) 11) mich wäpen
drin.
ich leit in släfe alsölhen pin, 2ss
da? mir wachende12) arbeit
noch hiute waetlich13) ist bereit,
hät dirre wirt urliuges not,
so leist ich gerne sin gebot
und ir14) gebot mit triuwen, 2*2
diu disen mantel niuwen
mir lech15) durch ir güete.
wanlc) stuen de ir gemüete,
da? si dienst wolde nemn!17) (T
des künde mich durch si18) ge- 22 .9
zemn,
und doch niht durch ir minne: :o
wan min wip de küneginne19) (Gi
ist an ir übe alse20) clär,
oder fürba?21), da? ist wär/
er tet alser tuon sol: 2
von fuo? üf wäpent er sich wol kr
durch strites antwurte22),
zwei swert er umbe gurte,
zer tür ü? gienc der werde ob
degen:
dä was sin ors an die Stegen no;
l) Wolfram vergleicht die Traumbilder mit einem Teppich, der sich ent- -ine
rollt! — 2) dreißigmal. — 3) eher, lieber. — 4) Knappen, die ihn vor dem mal
Einschlafen bedient hatten. — 5) wartete ir (Gen.). — G) zum zweiten Male. .olß
— 7) wiederum. — 8) das Schwert, das Parzival dem roten Ritter, Ither isd:
von Gaheviez, abgenommen hatte. — 9) zu sich selbst. — 10) das Hinlegen nog:
der Rüstung und Schwerter. — n) werde. — 12) im Wachen. — 13) Adv.: :.vb
vermutlich. — ") Repanse de schoye. — 15) Trat., s. lihen. — 16) o daß üßb
doch! — 17) den Dienst Parzivals annehmen wollte. — 18) um ihrer Per- -in<d
sönlichkeit willen. — 19) Condwiramurs. — 20) ebenso. — 21) darüber hin- -nid
aus; noch schöner. — 22) um jedem Angriff zu begegnen.
Csgj? Cagg? ügj? Kgj? Rgjj Eagj? k-Ld Rgff ta? Cgi? Cgi? Eg»? 287
geheftet, schilt unde sper
lent derbi: da? was sin ger1).
E Parziväl der wigant
sich des orses underwant2),
080 mange? er der gadem erlief3),
so da?4) er nach den hüten rief.
nieman er hörte noch ensach:
ungefüege leit im dran ge-
schach.
da? het im zorn gereizet.
5 >5 er lief da er was erbei?et
des äbents, dö er körnen was.
da was erde unde gras
mit tretenne5) gerüeret
unt?6) tou gar zerfüeret.
O'O al schrinde7) lief der junge man
wider ze sime orse sän.
mit pägenden8) Worten
sä? er drüf. die porten9)
]) das entsprach seinem Wunsche. — 2) s. Wb., hier: bestieg. — 3) er-
lernten: durchlaufen. — 4) in der Weise, daß; indem. —- 3) durch Zer-
treten. — 6) unt da?. — 7) fortwährend schreiend. — 8) s. bägen. —
9) Sing. — io) durch sie hindurch nach außen, zum Tore hinaus. —
ii) Spuren (vom Hufschlag der Pferde). — 12) hielt sich auf. — iS) knappe
da?- — u) Vorderteil.— 15) het da?.— i6) vil nach: beinahe.— i?) dem
Sinne nach wie unser: seid nicht wert, daß Euch die Sonne bescheint. —
18) mühtet. — 19) hetet. — 20) mich betraget (m. Gen.) s. Wb.; der durch
rechtzeitiges Fragen zu erwerbende hohe Ruhm war Euch nicht der Mühe
wert und bleibt Euch daher versagt.
vander wit offen sten,
derdurch ü?10) grö?e slä11) gen: 295
niht langer er dö habete12),
vast üf die brükke er drabete.
ein verborgen knappe’?13) seil
zöch, da? der slagebrüken teil14)
het?15) ors vil näch16) gevellet 300
nidr.
Parziväl der sach sich widr:
dö wolter hän gevräget ba?.
dr sult varen der sunnen ha?’17)
sprach der knappe, dr sit ein
gans.
möht18) ir gerüeret hän den 305
flans,
und het19) den wirt ge-
vräget!
vil priss iueh hät be-
traget.’20)
288 ^ ^ ^ pgst Rg?? Rgj? Ca£S? Rgj? PgB KgR Ragj?
53. Bus Richard Wagners „Pariifal“1).
Bisher warf immer der Sonnengott die Vicht-
gabe mit der Rechten und die Tongabe mit der
Linken zwei soweit auseinanderstehenden Menschen j
zu, daß wir noch bis zu diesem Augenblicke auf s
den Mann harren, der eine echte Gper zugleich s
dichtet und setzt.
Jean Paul* 2), Bayreuth, 24. November 1813.
Ende des ersten Auszugs ^).
tburnemanz und parsifal sind in einem Saale angekommen, der sich nach oben in eine Ruppel
verliert, durch die einzig dar Licht eindringt, von der ljöhe über der Ruppel her vernimmt man
Geläute.
G Urne m anz
(sich zu parsifal wendend, der wie verzaubert steht).
Jetzt achte wohl; und laß mich sehn,
bist du ein Tor und rein,
welch Wissen dir auch mag beschieden sein. —
Auf beiden Seiten des Hintergrundes wird je eine Tür geöffnet, von rechts schreiten die
Ritter des Grales herein, und reihen sich, unter dem folgenden Gesänge, nach und nach an zwei is
überdeckten langen Speisetafeln: nur Becher, keine Gerichte stehen darauf.
Die Gralsritter
Zum letzten Liebesmahle
gerüstet Tag für Tag,
gleich ob zum letzten Male
es heut' ihn letzen mag,
wer guter Tat sich freut,
ihm sei das Mahl erneut:
der Labung darf er nahn,
die hehrste Gab' empfahn.
Jüngere Männerstimmen
(von der mittleren ljöhe des Saales her vernehmbar).
Den sündigen Welten
mit tausend Schmerzen
wie einst sein Blut geflossen,
dem Trlösungs-tfelden
mit freudigem Herzen
fei nun mein Mut vergossen.
Den Leib, den er zur Sühn' uns bot,
er leb' in uns durch seinen Tod.
i) Zur Literatur über Richard Wagner vgl. S. 44 des Lesebuches; Richard Sternfeld behandelt . tlrös
in seinen Aufsätzen über Wagner und die Bapreuther Bühnenfestspiele (in dem wohlfeilen Sammel- -Ism
werk „Deutsche Bücherei", hrg. von A. Reimann, Bd. 47 u. 48, Berlin) auch parsifal und Lohengrin.
2) am Ende des Vorwortes zu E. T. A. ljoffmanns „Phantasiestücke in Eallots Manier"; das vor- -lod
wort ist im Geburtsjahr Richard Wagners geschrieben und an dem Drte, an dem Jean Pauls Wunsch chsnu
in Erfüllung ging. — 3) nach der Ausgabe von B. Schott's Söhne, Mainz.
Ea£i? Cgi? Cgi? Cgi? Cgi? Cgi? Cgi? Cgi? r^gS? Cgj? Cgi? Cgi? Cgi? 289
Knabenstimmen
(aus der äußersten höhe der Nuppel).
Der Glaube lebt;
Die Taube schwebt,
des Heilands holder Bote.
Der für euch fließt,
des Weins genießt,
und nehmt vom Lebensbrote!
Durch die entgegengesetzte Türe wird von Knappen und dienenden Brüdern auf einer Trag-
sänfte Rmfortas hereingetragen: vor ihm schreiten Knaben, die einen mit einer purpurroten
Decke überhängten Schrein tragen. Dieser Zug begibt sich nach der Mitte des Hintergrundes, wo,
von einem Baldachin überdeckt, ein erhöhtes Ruhebett aufgerichtet steht, auf welches Am fort as
von der Sänfte herab niedergelassen wird; hiervor steht ein altarähnlicher länglicher Marmortisch,
auf den die Knaben den verhängten Schrein hinstellen. —
Rls der Gesang beendet ist und alle Ritter an den Tafeln ihre Sitze eingenommen haben,
tritt ein längeres Stillschweigen ein. — vom tiefsten Hintergründe her vernimmt man, aus einer
gewölbten Rische hinter dem Ruhebette des Rmfortas, wie aus einem Grabe die Stimme des alten
Titurel.
Mein Lohn Rmfortas! Bist du am 5lmt!
(Schweigen.)
Soll ich den Gral heut' noch erschau'n und leben?
(Schweigen.)
Muß ich sterben, vom Retter ungeleitet?
Rmfortas
(im Rusbruche qualvoller Verzweifelung).
Wehe! Wehe mir der 2)ual! —
Mein Vater, o I noch einmal
verrichte du das Rmt!
Lebe! Leb' und laß mich sterben!
Titurel.
Im Grabe leb' ich durch des Heilands Huld;
zu schwach doch bin ich, ihm zu dienen:
du büß' im Dienste deine Schuld! —
Enthüllet den Gral!
Rmfortas
(den Knaben wehrend).
TlHetn! Laßt ihn unenthüllt! — CD! —
ODaß keiner, keiner diese (hual ermißt,
i(die mir der Rnblick weckt, der euch
entzückt! —
Tlvas ist die Wunde, ihrer Schmerzen
Wut,
sgegen die Rot, die Höllenpein,
uu diesem Rmt — verdammt zu sein! —
Vvehvolles Erbe, dem ich verfallen,
chch, einziger Sünder unter allen,
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch.
des höchsten Heiligtums zu pflegen,
auf Reine herabzuflehen seinen Segen! —
D, Strafe! Strafe ohnegleichen
des — ach! — gekränkten Gnaden-
reichen! —
Nach ihm, nach seinem Weihegruße
muß sehnlich mich's verlangen;
aus tiefster Seele Heilesbuße
zu ihm muß ich gelangen: -
die Stunde naht: —
19
200 Esg»? Cagj? C^gj? Eainft P.gB? Eagj? C^gj? CiSH t^Sii t^ü
Ti
der Lichtstrahl senkt sich auf das heilige
Werk;
die Hülle sinkt:
des Weihgefäßes göttlicher Gehalt
erglüht mit leuchtender Gewalt; —
durchzuckt von seligsten Genusses
Schmerz,
des heiligsten Blutes Ejuell
fühl' ich sich gießen in mein Herz:
des eignen sündigen Blutes Gewell'
in wahnsinniger Flucht
muß mir zurück dann fließen,
in die Welt der Sündenzucht
mit wilder Scheu sich ergießen: -
von neuem sprengt er das Tor,
daraus es nun strömt hervor,
hier durch die Wunde, der seinen gleich,
geschlagen von desselben Speeres Streich,
(Er sinkt wie 1
Knaben'
(aus der
„Durch ITTi11
der reine Tc
harre sein,
den ich erko
der dort dem Erlöser die Wunde stach,
aus der mit blutigen Tränen
der Göttliche weint' ob der Menschheit
Schmach
in Mitleids heiligem Sehnen, —
und aus der nun mir, an heiligster
Stelle,
dem Pfleger göttlichster Güter,
des Erlösungsbalsams Hüter,
das heiße Sündenblut entquillt,
ewig erneut aus des Sehnens (Huelle,
das, ach! keine Büßung je mir stillt!
Erbarmen! Erbarmen!
Allerbarmer, ach! Erbarmen!
Nimm mir mein Erbe,
schließe die Wunde,
daß heilig ich sterbe,
rein Dir gesunde!
wußtlos zurück.)
timm en
Nuppel!.
;id wissend,
ir:
r."
's!
ti<
rst
!i]
Die Ritter
(leise).
So ward es dir verkündet,
Harre getrost;
des Amtes walte heut'!
Titurels
(Stimme).
Enthüllet den Gral!
llmfortas hat sich schweigend wieder erhaben. Die Knaben entkleiden den goldenen ttsnsölog
Schrein, entnehmen ihm den „Gral" (eine antike Krista ll sch al e), van dem sie ebenfalls eine $nh e]j0
Verhüllung abnehmen, und setzen ihn vor llmfortas hin.
Titurels
(Stimme!.
Der Segen!
während llmfortas andachtsvoll in stummem Gebete sich zu dem Kelche neigt, verbreitetktjzi^gg
sich eine immer dichtere Dämmerung im Saale.
Knaben
(aus der Kuppel).
„Nehmet hin mein Blut
um unsrer Liebe willen!
CsSTi t"'¿EU Csgrii ELd k-Ld Cii>
291
Nehmet hin meinen Leib,
auf daß ihr mein gedenkt."
Lin blendender Lichtstrahl dringt von oben auf die Schale herab, diese erglüht immer stärker
in leuchtender Purpurfarbe. Amfortas, mit verklärter Miene, erhebt den „Dral" hoch und schwenkt
ihn sanft nach allen Leiten hin. Alles ist bereits bei dem Eintritte der Dämmerung auf die Knie
gesunken und erhebt jetzt die Blicke andächtig zum „Grale".
Titure ls
(Stimme).
®! Heilige Wonne!
Wie hell grüßt uns heute der Herr!
Amfortas setzt den „Dral" wieder nieder, der nun, während die tiefe Dämmerung
wieder entweicht, immer mehr erblaßt: hierauf schließen die Knaben das Gefäß wieder in den
Schrein und bedecken diesen wie zuvor. — Mit dem Wiedereintritt der vorigen Lageshelle sind
auf den Lpeisetafeln die Becher, jetzt mit wein gefüllt, wieder deutlich geworden, neben jedem liegt
ein Brot. Alles läßt sich zum Mahle nieder, so auch Durnemanz, der einen Platz neben sich leer
hält und parsifal durch ein Zeichen zur Teilnahme am Mahle einlädt: parsifal bleibt aber
starr und stumm, wie gänzlich entrückt, zur Seite stehen.
(Wechselgesang während des Mahles.)
Knabenstimmen
(aus der Höhe).
Wein und Brot des letzten Mahles
wandelt' einst der Herr des Grales
durch des Mitleids Liebesmacht
in das Blut, das er vergoß,
in den Leib, den dar er bracht'.
Iünglingsstimmen
(aus der mittleren Höhe).
Blut und Leib der heiligen Gabe
wandelt heut' zu eurer Labe
seliger Tröstung Liebesgeist
in den Wein, der nun euch floß,
in das Brot, das heut' euch speist.
Die Ritter
(erste Hälfte).
Nehmet vom Brot,
wandelt es kühn
zu Leibes Kraft und Stärke;
treu bis zum Tod,
fest in Müh'n,
zu wirken des Heilands Werke.
(Zweite Hälfte.)
Nehmet vom Wein,
wandelt ihn neu
zu Lebens feurigem Blute,
19
292 ^ ^ pgj? Egg? ta? Paga? Kg»? taR Cgi? rgU? Kgj? ta?
froh im Verein,
brüdertreu
zu Kämpfen mit seligem Mute.
(SU erheben sich feierlich und reichen einander die Hände)
5llle Ritter.
Selig im Glauben!
Selig in Liebe!
Jünglinge
(aus mittlerer Höhe).
Selig in Liebe!
Knaben
(aus oberster Höhe).
Selig irn Glauben!
während des Mahles, an dem er nicht teilnahm, ist Kmfortas aus seiner begeisterungs-
vollen Erhebung allmählich wieder herabgesunken: er neigt das Haupt und hält die Hand auf die
Wunde. Die Knaben nähern sich ihm; ihre Bewegungen deuten auf das erneuerte Bluten der
Wunde: sie pflegen Kmfortas, geleiten ihn wieder auf die Sänfte, und während alle sich zum
Kufbruch rüsten, tragen sie, in der Drdnung wie sie kamen, Kmfortas und den heiligen Schrein
wieder von dannen. Die Bitter und Knappen reihen sich ebenfalls wieder zum feierlichen Zuge
und verlassen langsam den Saal, aus dem die vorherige Tageshelle allmählich weicht. Die Glocken
haben wieder geläutet. —
parsifal hatte bei dem vorangegangenen stärksten Klagerufe des Kmfortas eine heftige
Bewegung nach dem Herzen gemacht, das er krampfhaft eine Zeitlang gefaßt hielt; jetzt steht er
noch wie erstarrt, regungslos da. — ctls die letzten den Saal verlassen und die Türen wieder ge-
schlossen sind, tritt Gurnemanz mißmutig an parsifal heran und rüttelt ihn am Krme.
Gurnernanz
was stehst du noch da?
weißt du, was du sah'st?
(parsifal schüttelt ein wenig sein Haupt.)
Gurnernanz
Du bist doch eben nur ein Tor!
(Er öffnet eine schmale Seitentüre.)
Dort hinaus, deinem Wege zu!
Doch rät dir Gurnemanz,
laß du hier künftig die Schwäne in Ruh,
und suche dir Gänser die Gans!
Er stößt parsifal hinaus und schlägt ärgerlich hinter ihm die Türe stark zu. während
er dann den Kittern folgt, schließt sich der Bühnenvorhang.
tjgj? Kgl? Rgj? Pgj? Egg? ggg? taft r-SU- Rgff Rgi? Csgi? Cgi? 293
54. Aus Richard Wagners „hohengrin".
Breitkopf & Härtels Textbibliothek (Leipzig) Nr. 98.
Dritter Aufzug, dritte Szene.
Lohengrin
Ihr hörtet alle, wie sie') mir versprochen,
Daß nie sie woll' erfragen, wer ich bin.
Nun hat sie ihren teuern Schwur gebrochen,
Treulosem Rat gab sie ihr Herz dahin!
Zu lohnen ihres Zweifels wildem Fragen,
Sei nun die Antwort länger nicht gespart:
Des Feindes Drängen durft' ich sie versagen, —
Run muß ich künden, wie mein Nam' und Art.-----------
In fernem Land, unnahbar euren Schritten,
Liegt eine Burg, die Monsalvat genannt;
Ein lichter Tempel stehet dort in Mitten,
So kostbar wie auf Erden nichts bekannt;
Drin ein Gefäß von wundertät'gem Segen
wird dort als hoch st es Heiligtum bewacht:
Es ward, daß sein der Menschen reinste pflegen,
Herab von einer Engelschar gebracht;
Alljährlich naht vom Himmel eine Taube,
Um neu zu stärken seine Wunderkraft:
Es heißt der Gral, und selig reinster Glaube
Erteilt durch ihn sich seiner Ritterschaft.
U)er nun dem Gral zu dienen ist erkoren,
Den rüstet er mit überird'scher Macht;
An ihm ist jedes Bösen Trug verloren,
Wenn ihn er sieht, weicht dem des Todes Nacht.
Selbst wer von ihm in ferne Land' entsendet,
Zum Streiter für der Tugend Recht ernannt,
Dem wird nicht seine heil'ge Rraft entwendet,
Bleibt als sein Ritter dort er unerkannt:
So hehrer Art doch ist des Grales Segen,
Enthüllt — muß er des Laien Auge fliehn;
Des Ritters drum sollt Zweifel ihr nicht hegen,
Erkennt ihr ihn, - dann muß er von euch ziehn. —
Nun hört, wie ich verbotner Frage lohne!
vom Gral ward ich zu euch daher gesandt:
Mein Vater parzival trägt seine Rrone,
Sein Ritter ich — bin Lohengrin genannt.
i) Elsa von Brabant.
294 ^ ^ Rg« ra? ta? r-sr- tags? taff ta? ta?
rrieisfer Gottfried von Sfrcifjburg.
55. Aus dem 6pos „Cristcm“1).
(Um 1210.)
Wer minnt mit edlem Sinne,
Liebt Mären von der Minne.
Drum wer nach solchen trägt Begier,
Der hat nicht weiter als zu mir.
Ich künd ihm süße Schmerzen,
Von zweien edlen Herzen,
Die Liebe trugen echt und wahr,
Ein sehnend junges Menschenpaar,
Ein Mann, ein Weib, ein Weib, ein Mann,
Tristan Isold, Isold Tristan.
Wilhelm Hertz, Nachdichtung.
a) Gottfrieds Urteil über die Dichter seiner Zeit.
Karl Marold, Gottfried von Strafiburg, Tristan. Erster Teil, Text,
S. 69 ff., Leipzig, Avenarius 1906.
Sit die geselleni) 2) sint bereit
mit bescheidenlicher richeit,
wie gevähe ich nü min sprechen
an,
4590 da? ich den werden houbetman
Tristanden so bereite
ze siner swertleite,
da?; man e? gerne verneme
und an dem maere wol gezeme?
4595 ich enwei?, wa¡5 ich da von ge-
sage,
da? iu geliche und iu behage
und schöne an disem mære stê.
wan bi minen tagen und ê
hat man so rehte wol geseit
von westlicher zierheit,
von rîchem geræte,
ob ich der sinne hæte
zwelve, der ich einen hän,
mit den ich umbe solte gän,
und wære da? gefüege,
da? ich zweit zungen trüege
i) Über den Inhalt der Tristansage und ihre neueren Bearbeitungen nt
vgl. W. Golther, Tristan und Isolde in den Dichtungen des Mittelalters
und der Neuzeit, Leipzig 1907. — Gottfrieds Epos ist unvollendet geblieben, .rr
Wilhelm Hertz hat einige Stücke aus dem altfranzösischen Gedichte sL
des Trouvère Thomas, das Gottfrieds Quelle war, in freier Bearbeitung gn
seiner Nachdichtung hinzugefügt; lies: „Tristan und Isolde von Gott--jj
fried von Straßburg. Neu bearbeitet von Wilhelm Hertz. — —
Fünfte Auflage. Mit einem Nachtrag von W. Golther. Stuttgart und bn
Berlin, 1907, Cotta“. — Neben Rich ar d Wagners Musikdrama „Tristan-rrc;
und Isolde“ (1859) verdient das eigenartige lyrische Tristanepos des engli--iig
sehen Dichters Swinburne „Tristram of Lyonesse“ (1882) besonderes^
Beachtung. — 2) Tristans Genossen, die mit ihm den Ritterschlag emp-qn
fangen sollen.
Egä? C^StR k^LLr Cgi? Cgi? Cgi? Ca£i? Cgi? Cgi? Cgi? CL4? Cgi? 2!>5
in min eines munde,
der iegelichiu1) künde
sprechen, alse ich sprechen kan,
)M0 ine wiste, wie gevähen an,
da^ ich von richeite
so guotes iht geseite,
mane2) haete ba?; da von geseit.
ja ritterlichiu zierheit
3115 diuistsömanegewisbeschriben
und ist mit rede also zetriben3),
daz, ich niht kan gereden dar
abe4),
da von kein5) herze fröude
habe.
Hartman der Ouwaere6),
3S20 ahl, wie der diu maere
beide ü?en unde innen
mit Worten und mit sinnen
durchverwet und durchzieret!
wie er mit rede Agieret
SS25 der äventiure meine!
wie luter und wie reine
sin kristallinen wortelin
beidiusintundiemermüe^ensin!
sikoment7) den man mitsiten an,
080 si tuont sich nähe 8)zuo dem man
und liebent rehtem muote.
swer guote rede ze guote
und ouch ze rehte kan verstän,
der muo? dem Ouwaere län
sin schapel unde sin lôrzwî. 4635
swer nü des basen geselle si9)
und üf der wortheide
hochspränge und witweide
mit bickelworten welle sin
und ûf daç lôrschapelekîn 4640
wân10) âne volge11) welle hân,
der lâçe uns bi dem wâne stân12),
wir wellen an der kür ouch
wesen13).
wir, die die bluomen helfen
lesen14),
mit den daç selbe loberis 4645
underflohten ist in bluomen wis,
wir wellen wi^en, wes er ger:
wan swer es ger, der springe her
und stecke sine bluomen dar.
so nemen wir an den bluomen 4650
war,
ob si so wol dar an gezemen,
daz, wirç15) dem Ouwaere nemen
und geben ime daz, lôrzwî.
sit aber noch niemen körnen si,
der ez, billîcher16) süle hân, 4655
sô helfe iu got, sô lâçen stân:
1) von denen jede (Zunge). — 2) man ne haete: man hätte nicht; daß
man nicht hätte. — 3) auseinandergesetzt. — 4) davon. — 5) irgend ein. —
6) vgl. S. 235 und 330 des Lesebuches. — 7) treten heran an. — 8) schmiegen
sich innig an. — 9) Angriff auf Wol fr am von Eschenbach und
seine Schüler. — Der Gedankengang Wolframs an einer Stelle im Ein-
gang des Parzival wird mit den Kreuz- und Quersprüngen des Hasen,
die Dichtung mit einer Heide verglichen. — 10) Hoffnung. — 11) ohne daß
andere ihm folgen, ohne Zustimmung anderer. —- 12) bei unserer Meinung
bleiben. — 13) wir wollen selbständig unsere Wahl treffen, wessen dichte-
rischer Eigenart der Preis gebührt. — ") die zeitgenössischen Dichter
tragen alle, jeder an seinem Teile, zu dem Blumenkränze der Dichtung
bei und behalten sich daher das Recht vor, den Ehrenpreis zu erteilen. —
15) wir ez, (da^ lörzwi). — !6) mit größerer Berechtigung.
i
296 ^ ^ ^ Eg»? ta? tai? tat? ta? cgi? rat kLLr ksssr
wir ensuln e? nieman lä^en
tragen,
siniu wort ensin1) vil wol ge-
twagen,
sin rede ensi ebene unde sieht,
4660 ob ieman schöne unde üfreht
mit ebenen sinnen dar getrabe,
daT, er dar über iht besnabe.
vindaere wilder maere,
der maere wilderaere2),
4665 die mit den ketenen liegent3)
und stumpfe sinne triegent,
die golt von swachen4) Sachen
den binden kunnen machen
und üs; der bühsen gieren
4670 stoubine mergrie^en:
die bernt5) uns mit dem stocke
schate,
niht mit dem grüenen meien-
blate,
mit zwigen noch mit esten.
ir schate der tuot den gesten
4675 vil selten in den ougen wol.
ob man der warheit jehen sol,
dane gät niht guotes muotes
van6),
dane lit7) niht herzelustes an:
ir rede ist niht also gevar,
4680 da? edele herze iht lache dar.
1 die selben wilderaere
si müe^en tiutaere
mit ir maeren lä^en gan:
wirn mugen ir da nach niht
verstän,
als man si hceret unde siht; 46i!9:
sone han wir ouch der muo^e
niht,
da^ wir die glöse suochen
in den swarzen buochen8) . . .
Wen mag ich nü mer m, ge- 47 7t
lesen?
ir9) ist und ist genuoc gewesen
vil sinnec und vil rederich.
von Veldeken Heinrich10)
der sprach ü? vollen sinnen 11) 477s
wie wol sang er von minnen12)!
wie schöne er sinen sin be-
sneit13)!
ich waene, er sine wisheit
ür4 Pegases Ursprünge14) nam,
von dem diu wisheit elliu kam. 47;r
ine han sin15) selbe niht ge-
sehen,
nu hoere ich aber die besten
jehen,
die, die bi sinen jären
und sit her meister waren,
!) es sei denn, daß. — 2) Geschichtenjäger. — 3) die mit den Zauber-
ketten der Gaukler betrügen. — 4) minderwertig. — 5) s. bern. — 6) von;
davon kommt kein Frohmut her. —- 7) liget. — 8) Zauberbücher der
„schwarzen Kunst“ (Nekromantie, Toten-, Geisterbeschwörung). — 9) der
Dichter.— 10) der niederfränkische Ritter Heinrich vonVeldeke, be-
rühmt durch sein Epos „Aeneide“, zugleich gefeiert als Lyriker, vgl. S. 325
des Lesebuches. — 41) mit Anschauungsvermögen und Gestaltungskraft.
— 12) Flur. — 13) s. besniden; wie schön hat er seine Gedanken in passende
Form zu kleiden gewußt. (Bild von dem Stoffe entlehnt, aus dem ein r
Gewand gemacht wird.) —- 14) Quelle Hippokrene (auf dem Helikon), ,1
— 15) Gen. abh. von niht.
i8'35 die selben gebent im einen pris,
er inpfete da? erste ris
in tiutscher zungen1):
da von sit este ersprungen,
von den die bluomen kämen,
)440 da si die spaehe ü? nämen
der meisterlichen fünde2);
und ist diu selbe künde
so witen gebreitet,
so manege wis zeleitet,
2M5 da? alle, die nu sprechent,
da? die den wünsch da
brechent3)
von bluomen und von risen
an Worten unde an wisen.
Der nahtegalen4) der ist
vü>
060 vondenichnünihtsprechenwil:
sine hoerent niht ze dirre schar,
dur da?5) sprich ich niht
anders0) dar7),
wan da? ich iemer sprechen
sol8):
si kunnen alle ir ambet wol
55 und singent wol ze prise
ir süe?e sumerwise:
ir stimme ist luter unde guot,
si gebent der werlde höhen muot
und tuont reht in dem herzen
wol.
diu werlt diu wære unruoches 4760
vol
und lebete rehte als âne ir danc9),
wan10) der vil liebe vogelsanc
der ermant vil dicke den man u),
der ie ze liebe12) muot gewan,
beide liebes unde guotes 4765
und maneger bände muotes,
der edelem herzen sanfte tuot;
e? wecket friuntlichen muot,
hie von kumt inneclich gedanc,
so der vil liebe vogelsanc 4770
der werlde irliepbeginnetzalen.
nu sprechen13) umb die nahte-
galen !
die sint ir dinges wol bereit
und kunnen alle ir senede leit
so wol besingen unde besagen. 4775
welhiu sol ir baniere tragen,
sit diu von Hagenouwe14),
ir aller leitevrouwe,
der werlde alsus geswigen ist15),
diu aller dœne houbetlist 4780
versigelt in ir zungen truoc?
von der denke ich vil unde
genuoc
(ich meine abr von ir dœnen,
den süe?en, den schœnen),
wâ si der16) sô vil næme 17), 4785
wannen ir da? wunder kæme18)
sô maneger wandelunge.
’) wies den nach ihm folgenden oberdeutschen Epikern die Rich-
tung. — 2) s. vunt. — 3) den Preis der Vollkommenheit pflücken. —
4) Lyriker, Liederdichter. — 5) dur da?: deswegen. — 6) Gen. — 7) dar-
über. — 8) ais was ich immer sprechen werde. — 9) wider ihren Willen;
lebte ganz lebensüberdrüssig, teilnahmlos. — 10) wäre nicht, wenn nicht
wäre. ii) Menschen. — 12) Dat. von liep stn. — 13) laßt uns sprechen. —
14) Reinmar der Alte, Walthers Lehrer, starb 1210, vgl. S. 328 des
Lesebuches. — 15) für die Welt verstummt ist. — 16) der (doene). —
17) genommen hätte. — 18) gekommen wäre.
298 CSagi? P-LL- r^sL- tag»? c>Ld cägj? KLÄ- c^-d r^sr r^r r^Ld
ick wseuc, Orphees zunge,
6iu alle doene künde,
4790 diu doenete üz, ir munde.
Sit da71 man der1) nu niht
enhat,
so gebet uns eteslichen rat!
ein saelic man der spreche
dari) 2):
wer leitet nu die lieben
schar?
4795 wer wiset diz gesinde?
ich waene, ich si wol vinde,
diu die baniere füeren sol:
ir meisterinne kan es; wol,
diu von der Vogelweide3 *).
4800 hei, wie diu über beide
mit hoher stimme schellet!
waz; Wunders si stellet!
wie spaehe si organieret!
wie si ir sanc wandelieret!
(ich meine abr in dem döne 48-si
da her von Zitheröne1),
da diu gotinne Minne
gebiutet üf und inne).
diu ist da ze hove5) kameraerin,
diu sol ir leitaerinne sin! 4884
diu wiset si ze wünsche wol,
diu wei^ wol, wä si suochen sol
der minnen melodie.
si unde ir cumpanie
die müesjen so gesingen, 484
da^ si ze fröuden bringen
ir trüren unde irsenede^ klagen:
und das; geschehe bi minen
tagen6)!
b) Tristan tröstet Isolde; der Minnetrank; des Trankes
Wirkung.
H ie mite strichen die kiele hin
11650 si beide beten under in
guoten wint und guote var.
nu was diu sröuwine schar,
Isöt und ir gesinde,
in was^er unde in winde
7). des ungevertes ungewon. lt
unlanges kamen si da von
in ungewonliche not.
Tristan ir meister8) dö gebot,
das; man ze lande schielte9)
und eine ruowe hielte. t
i) Gen. zu niht. — 2) äußern sich dahin, darüber. — 3) vgl. S. 335 ff. .?
des Lesebuches. — 4) Gebirge Kithäron (in Attika), das Gottfried mit der 1:
Insel Kythera verwechselt und für die Kultusstätte der Aphrodite hält, j
— b) am Hofe der Aphrodite. — 6) wenn ich das noch erlebte! — 7) Tristan, ,n
der früh verwaiste Sohn des Königs Riwalin von Parmenien und der u
Blancheflur, hat für seinen Oheim König Marke von Kurnewal mit Erfolg §[
um die Königstochter Isolt von Irland geworben. Vor der Überfahrt nach ri;
Kurnewal wird von der Königinmutter für Isolte und ihren künftigen Gemahl Id
Marke ein zauberkräftiger Liebestrank bereitet, den Brangaene, Isoldens sn
Begleiterin, unterwegs wohl verwahren und erst in der neuen Heimat
den Neuvermählten, Marke und Isolt, geben soll. — 8) der Leiter der 13
Überfahrt und Herr der Schiffer. — 9) s. schalten.
Kgj? cai? t^i? ügj? C^i? t^it cg¥? c^gj? taR t^i? 299
nu man gelante1) in ein habe,
nu gie da? voie almeistec abe
durch banekîe2) u? an da? lant;
nu gieng ouch Tristan zehant
Sc65 begrüe?en unde beschouwen
die liebten sine frouwen;
und alse er zuo ir nider gesa?
und redeten diz unde da?
von ir beider dingen,
0Y70 er bat im trinken bringen,
nune was da nieman inne
âne die küniginne,
wan kleiniu juncfröuwelin.
der eine? sprach: 'seht, hie stat
win
3*75 in disem ve??eline.’
nein, e?n was niht mit wine,
doch e? ime gelîch wære,
e? was diu wernde3) swære,
diu endelöse herzenöt,
1880 von der si beide lagen tôt4),
nu was aber ir da? unrekant3):
si stuont üf und gie hin zehant,
da da? träne und da? glas
verborgen unde behalten was.
3£85 Tristande ir meister bot si da?:
er bot Isôte vürba?.
si träne ungerne und über lancG)
und gap dö Tristande, unde er
träne,
und wänden beide, e? wære win.
DG90 iemitten gieng ouch Brangæne
in
unde erkande da? glas
und sach wol, wa? der rede was ;
si erschrac so sêre unde er-
kam7),
da? e? ir alle ir kraft benam,
und wart rehtalse ein tötevar8). 11695
mit totem herzen gie si dar:
si nam da? leide veige va?,
si truog e? dannen und warf da?
in den tobenden wilden sê:
'owê mir armen!’ sprachs, lnoo
'owê,
da? ich zer werlde ie wart ge-
born !
ich arme, wie hän ich verlorn
min ère und mine triuwe!
da? e? got iemer riuwe,
da? ich an dise reise ie kam, 11705
da? mich der tôt dô niht ennam,
dö ich an dise veige vart
mit Isôte ie bescheiden wart!
ouwê Tristan unde Isöt,
diz träne ist iuwer beider 11710
tôt.’
Nu da? diu maget unde der man,
Isöt unde Tristan,
den träne getrunken beide, sä
was ouch der werlde unmuo?e9)
da
Minne, aller herzen lâgæ- 11715
rin10),
und sleich zir beider herzen in.
ê sis ie wurden gewar,
dö stie? sir sigevanen11) dar
und zôch si beide in ir gewalt:
si wurden ein und einvalt12), 11720
die zwei und zwivalt wären ê;
!) s. gelenden. — 2) zur Kurzweil, zur Erholung. — 3) s. wem. —
J) einst tot liegen sollten. — 6) unerkannt, unbekannt. — 6) erst nach ge-
raumer Zeit. — 7) s. erkomen. — 8) wurde totenbleich. —- 9) Unruhe.
— 10) Minne, die Herzensjägerin. — n) Siegspanier.— 12) eins und einig.
300 ^ ^ tjgst ta? cgi? Egj? tat taff ta? ta? pgj? c^tr
si zwei enwaren dö nime
widerwertic under in:
isöte ha? der was dö hin.
11725 diu süenaerinne Minne
diu hete ir beider sinne
von ha??e also gereinet,
mit liebe also vereinet,
da? ietweder dem andern was
11730 durchlüter alse ein Spiegelglas,
si beten beide ein herze:
ir swaere was sin smerze,
sin smerze was ir swaere;
si wären beide einbaere
11735 an liebe unde an leide
und hälen1) sich doch beide,
und tete das; zwivel unde scharn:
si schämte sich, er tete alsam;
si zwivelte an im, er an ir.
11740 swie blint ir beider herzen gir
an einem willeni) 2) waere,
in was doch beiden swaere
der urhap unde der begin:
da? hal ir willen under in.
11745 Tristan, dö er der minne
enpfant,
er gedähte sä zehant3)
der triuwen unde der eren
und wolte dannen kören,
'nein’, dähte er alle?4) wider5)
sich,
11750 ‘lä stän, Tristan, versinne dich,
niemer genim es keine war’6),
so wolte et7) ie da? herze dar;
wider sinem willen kriegete er,
er gerte wider siner ger8):
er wolte dar und wolte dan. in
der gevangene man
versuochte e? in dem stricke
oste unde dicke
und was des lange staete.9)
der getriuwe der haete in.
zwei nähe gendiu ungemach:
swenne er ir under ougen sach
und ime diu süe?e Minne
sin herze und sine sinne
mit ir10) begunde seren, im
so gedähte er ie der Eren,
diu nam in danne dervan11).
hie mite so körte in aber an
Minne, sin erbevogetin:
der muose er aber gevolgecsin. litt
in muoten12) harte sere
sin triuwe und sin ere,
so muote in aber diu Minne me,
diu tete im wirs danne we:
si tete im me ze leide litt
dann Triuwe und Ere beide.
sin herze sach si lachende an
und nam sin ouge dervan.
als er ir aber niht ensach,
da? was sin meiste? ungemach. litt
dicke besazte er sinen muot,
als der gevangene tuot,
wie er ir mühte entwenken,
und begunde oste denken:
'köre dar oder her, nt
verwandele dise ger,
i) s. heln. — 2) zu einem Willen, zur Vereinigung. — 3) sä zehant: . :
alsobald. — 4) Adv.: immer. — 5) bei. — 6) niemals soll eine von seiner
Liebe etwas merken. — 7) doch. — 8) begehrte wider sein Begehr. —
9) blieb infolgedessen lange Zeit fest. — 10) durch sie. — n) die Ehre ent-
riß ihn dem Banne der Minne. — 12) s. müejen.
Kgs? ra? k-ssr Rgs? Kgl? Eg=i? i^i? egg? cgi? tat Cagj? Egg? ra? Z01
minne unde meine anderswä!’
so was ie dirre stric da.
er nam sin herze und sinen sin
ooo und suochte anderunge in in,
sone was ie niht dar inne
wan Isöt unde minne.
Alsam geschach isöte:
si versuochte e? ouch genöte,
ö’5 ir was diz leben ouch ande.
do si den lim erkande
der gespenstigen minne
und sach wol, da^ ir sinne
dar in versenket wären,
oo si begunde stadesvären,
si wolte üs; unde dan:
so klebete ir ie der lim an;
der zöch si wider unde nider.
diu schoene strebete alles; wider
Q und stuont an iegelichem trite,
si volgete ungerne mite;
si versuochte es; manegen enden:
mit fließen und mit henden
nam si vil manege köre
o und versancte ie mere
ir hende unde ir stiege
in die blinden stiege
des mannes unde der minne.
ir gelimeten sinne
i die enkunden niender hin ge-
wegen
[ noch gebrucken noch gestegen
I halben fuo^ noch halben trite,
Minne diu enwsere ie da mite,
t isöt swar si gedähte,
swa? gedanke si vür brähte, 11820
sone was ie diz noch da^ dar an
wan minne unde Tristan;
und was daz, alles; tougen2).
ir herze unde ir ougen
diu missehullen3) under in: 11825
diu schäme diu jagete ir ougen
hin4),
diu minne zöch ir herze dar.
diu widerwertige schar,
maget unde man, minne unde
scharn
diu was an ir5) sere irresam: H830
diu maget diu wolte den man
und warf ir ougen dervan;
diu schäme diu wolte minnen
und brähte es nieman0) innen,
was; truoc das; vür?7) scharn 11835
unde maget,
als al diu werlt gemeine saget,
diu sint ein also haele8) dinc,
so kurze wernde ein ursprinc,
sine habent sich niht lange
wider9).
Isöt diu leite10) ir kriec dernider H840
und tete als ez; ir was gewantn):
diu sigelöse ergap zehant
ir lip unde ir sinne
dem manne und der minne.
si blicte underwilen dar 11845
und nam sin tougenliche war:
ir klären ougen unde ir sin
die gehullen12) dö wol under in.
ir herze unde ir ougen
diu schächeten 13) vil tougen lisso
1) s. stat. — 2) Adv. — 3) s. missehellen. — 4) von hinnen, fort. —
3 5) in sich. — 6) Dat. — ?) was kam dabei heraus? — 8) verhohlen, ver-
g gänglich, kurzlebig. — 9) können nicht lange widerstreben. — i°) legete. —
I.1 11) wie sie nicht anders konnte. — 12) s. geheilen. — 13) s. schachen.
302 Egg»? ^ Eses? tía? casi? Rgj? ca? c-sr, k-sñ ta? cg»? cgi» r-Ld
und lieplichen an den man.
der man der sach si wider an
suo?e und inneclichen.
er begunde ouch entwichen,
11855 dos1) in diu minne nih.t erlie'i) 2).
man unde maget si gäben ie
ze iegelichen stunden,
so si mit fuogen künden,
ein ander ougenweide.
11860 die geliehen dühten3)beide
einanderschoenervildane.
deist4) liebe reht, deist
minnen e5):
e? ist hiure und was ouch
ve rt
und ist, die wile minne wert,
11865 under geliehen allen,
da?s ein ander ba? ge-
vallen,
so liebe an in wahsende
w i r t,
diu bluomen unde den
wuocher birt6)
lieplicher7) dinge,
dan an dem urspringe. mi
diu wuocherhafte minne
diu schoenet nach beginne,
da? ist dersäme, densihät,
von dem si niemer zegät.
si dünket schoener sit dan é, ntí
da von sö tiuret minnen é.
diuhte8) minne sit als e,
so zegienge schiere min-
nen é..................9)
i) do es (Gen. abh. von erlie): da ihm die Minne dies nicht erließ. —
2) s. erlaßen. — 3) s. dünken. — 4) da? ist. — 5) Brauch. — 6) s. bern. —
7) Komparativ. — 8) Kon), s. dünken. — 9) „Tragisch ist der Konflikt
zwischen der Ehre, die Tristan verbietet, sein Auge zu der Gattin des
Königs zu erheben, und der Treue, die er dem unseligen Minnegelöbnis,
die er der Leidenschaft schuldig ist, die der Trank in ihre Seelen gegossen
hat. Tragisch ist die Verkettung der Umstände, durch die eine so innige
Liebe, eine so herzbewegende Treue vor der Welt zum Verbrechen werden j
muß und erst im Tode der beiden Liebenden ihre sühnende Weihe findet“, ,
s. die Würdigung des Tristanepos von Biese, Literaturgeschichte, I, ,
S. 12 —133.
Egri? Egjft Egri? Egri? ESi? Eggi? ELi? Eg5>? Egri? ELd Egri? Egri? Egra? ZH3
56. Bus Richard Wagners „ürisfan und Isolde“1).
Zweiter Nuszug. Erste Szene.
Brangäne.
G wehe! wehe!
5lch mir Nrmen!
Des unseligen Trankes!
Daß ich untreu
einmal nur
der Herrin Willen trog!
Gehorcht' ich taub und blind,
' dein Werk
war dann der Tod.
Doch deine Schmach,
deine schmählichste Not, —
mein Werk
muß ich Schuld'ge sie wissen!
Isolde.
Dein Werk?
(D tör’ge Wagd!
Frau ITttnne kenntest du nicht?
Nicht ihres Zaubers Wacht?
Des kühnsten Wutes
Königin?
Des Weltenwerdens
Walterin!
Leben und Tod
sind ihr untertan,
die sie webt aus Lust und Leid,
in Liebe wandelnd den Neid.
Des Todes Werk,
nahm ich's vermessen zur Hand, -
Frau Winne hat
mein.er Wacht es entwandt.
Die Todgeweihte
nahm sie in Pfand,
Faßte das Werk
in ihre Hand.
Wie sie es wendet,
wie sie es endet,
was sie mir küret,
wohin mich führet,
ihr ward ich zu eigen:
nun laß mich gehorsam zeigen!
i) Breitkopf und Härtel, Textbibliothek, Nr. 151, S. 142. — TD. Golther,
Richard Wagner als Dichter (Bd. 14 der Sammlung „Die Literatur", hrg. von
Georg Brandes, Berlin o. I.), S. 62: „Wir erblicken im Tristan die genialste und
größte Schöpfung Nichard Wagners, weil hier die ideale Vereinigung von Gehalt
und Form oder besser Nusdrucksmitteln in ganz unvergleichlicher Weise erreicht
ist. Ts ist die gewaltigste Liebestragödie, für unsere Zeit das, was früher und
vor dem Tristan Romeo und Julia war."
304 ^ ^ ^ ta? Pag»? Kgit ta? ia? Kgl? fegj? Rgj? EagS? Egjt
57. Die Geschichte uon dem Bauernsohn Keimbrecht, der
ein Ritter werden wollte.
(Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.)
Meier Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere, hrg. von
Friedrich Panzer. Zweite Auflage (mit Einleitung und Wörterbuch),
Halle, Niemeyer, 1906 0-
iner seit, was; er gesiht,
der ander seit, wa? im geschiht,
der dritte von minne,
der vierde von gewinne,
5 der fünfte von großem guote,
der sehste von hohem muote:
hie wil ich sagen, wa? mir geschach,
da^ ich mit minen ougen sach.
ich sach, deist1 2) sicherlichen wär,
10 eins gehören sun, der truoc ein har,
da*; was reide unde val ;
ob der ahsel hin ze tal
mit lenge ez, volleclichen gienc.
in eine hüben er ei; vienc,
15 diu was von bilden waehe.
ich waen ieman gesaehe
so manegen vogel üf hüben:
siteche unde tüben
die wären al dar üf genät3).
20 weit ir nü hoeren, wa? dä stat?4)
Ein meier der hie^ Helmbreht:
des sun was der selbe kneht,
von dem da^ maere ist erhaben5),
sam den vater nennet man den knaben;
25 si bede hieben Helmbreht...........
1) Übersetzungen: Ludwig Fulda, Halle, Hendel, 1890; Johannes
Seiler, Sammlung Velhagen u. Klasing, Lpz., 1898; — G. Bötticher,
Denkmäler, II, 2, vierte Ausl. 1907; - Will Vesper, Statuen deutscher
Kultur VIII, München 1906; - Zur Kulturgeschichte vgl. A. Hagel-
stange, Süddeutsches Bauernleben im Mittelalter, Lpz., 1898. — 2) da^ ist.
— 3) s. naejen. — 4) wie es darum (um die Haube) stand. — 5) s. erheben.
ra? RgB Cgi? egg? cgi? Pag»? Cgj? t^i? Kgi? c^Ld Cgi? Z05
!) Den jungen Helmbrecht schmückten Schwester und Mutter mit
feinem Linnengewand, einem Kettenwams und Schwert, mit Tasche und
Gewand und einem schönen Überrock von blauem Tuch mit goldenen,
silbernen und kristallenen Knöpfen verziert, sie leuchteten hell, wenn er
zum Tanze ging, die Nähte waren mit Schellen besetzt; sooft er im
Reihen sprang, klang es den Frauen durch die Ohren.
Als der stolze Knabe so geschmückt war, sprach er zu seinem Vater:
„Jetzt will ich zu Hofe gehen, gib auch du, lieber Vater mein, mir etwas
zur Hilfe.“ Der Vater erwiderte: „Wohl könnte ich dir einen schnellen
Hengst kaufen, der über Zaun und Graben springt; aber, lieber Sohn,
laß ab von der Fahrt nach Hofe, Hofbrauch ist hart für den,
der ihn nicht von Jugend gewöhnt ist. Nimm den Pflug und
baue mit mir die Hufe, so lebst und stirbst du in Ehren.
Sieh, wie ich lebe, treu, ehrbar, redlich; ich gebe alljährlich meinen Zehnten
und habe nicht Haß, nicht Neid mein ganzes Leben durch erfahren. Meier
Ruprecht will dir sein Kind geben, dazu viel Schafe, Schweine und zehn
Rinder. Bei Hofe leidest du Hunger, mußt hart liegen und alle Liebe
entbehren, dort wirst du der Spott der rechten Hofleute, vergebens suchst
du es ihnen gleich zu tun, und wieder gerade dich trifft der größte Haß
des Bauern, am liebsten wird er an dir rächen, was ihm die anderen vor-
nehmen Räuber genommen haben.“ Der Sohn aber sprach: „Schweig,
lieber Vater, nimmer sollen mir deine Säcke den Kragen reiben, nimmer
lade ich Mist auf deinen Wagen, meinen langen krausen Locken, meinem
schönen Rock und meiner gestickten Haube stände das übel an, nicht will
ich durch ein Weib tatlos werden. Soll ich drei Jahre über einem Füllen
ziehen oder einem Rind, da ich doch alle Tage meinen Raub haben kann?
Ich treibe fremde Rinder über die Ecke und führe die Bauern bei ihrem
Haar durch die Zäune. Eile, Vater, ich bleibe nicht länger bei
dir.“ Da kaufte der Vater den Hengst und sprach: „O, weh, verlornes
» Gut!“ Der Knabe aber schüttelte das Haupt, sah sich auf seine beiden
Achselbeine und rief: „Ich bisse wohl durch einen Stein, so wild ist mein
[ Mut, ich wollte Eisen fressen. Über Feld will ich traben, ohne Sorge um
i mein Leben, aller Welt zum Trotz." Und beim Scheiden sprach der
Vater: „Ich kann dich nicht halten, ich lasse dich, aber noch einmal will
i ich dich warnen, du schöner Jüngling, hüte deine Haube mit den seidenen
Vöglein und wahre dein langes Lockenhaar, du gehst unter solche, denen
i man flucht, die vom Schaden der Leute leben. Mir träumte, ich sah dich
l gehen an einem Stocke mit ausgestochenen Augen, und wieder träumte
i mir, du standest auf einem Baum, wohl anderthalb Klafter waren von
o deinen Füßen bis an das Gras; über deinem Haupte auf einem Zweig
2, saßen ein Rabe und eine Kräh, verworren war dein krauses Haar, zur
i Rechten strählte dir’s der Rabe, zur Linken scheitelte dir’s die Krähe.
r:. Mich reut’s, daß ich dich erzogen habe.“ Der Sohn aber rief: „Ich lasse
1) Nacherzählung von Gustav Freytag,Bilder aus der deutschen
1 Vergangenheit II, i: Vom Mittelalter zur Neuzeit, Lpz. 1882, S. 52 ff.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch. 20
5
10
15
20
25
30
35
40
nicht von meinem Willen bis zu meinem Tod. Gott behüte dich, Vater,
die Mutter und eure Kinder.“
So trabte er durch das Gatter und ritt auf eine Burg, deren
Herr vom Kampf lebte und gerne die behielt, die Reiterdienste taten.
5 Dort ging der Knappe unter das Gesinde und wurde bald der behendeste
Reiter. Kein Raub war ihm zu klein und keiner zu groß, er nahm das
Roß, er nahm das Rind, er nahm Mantel und Rock, auch was ein anderer
liegen ließ, stopfte er alles in seinen Sack. Es ging ihm das erste
Jahr nach Wunsch, mit günstigen Segelwinden floß sein Schifflein.
10 Da begann er nach Haus zu denken, nahm Urlaub vom Hofe und ritt
auf seines Vaters Haus.
Hie hebet sich ein mære,
da? vil müelîch wære
ze verswîgen den liuten.
700 künde ich e? bediuten,
wie man in dâ heime enphienc !
ob man iht gegen im gienc?1)
nein, e? wart geloufen,
alle mit einem honten,
705 eine? für da? ander dranc;
vater unde muoter spranc,
als in nie kalp erstürbe,
wer da? botenbröt erwürbe?
dem knehte gap man âne fluoch
7io beide2) hemde unde bruoch 3).
sprach da? frîwîp4) und der
kneht:
'bis willekomen, Helmbreht?’
nein, si entâten,
e? wart in widerraten;
715 si sprächen: 'juncherre min,
ir suit got willekomen sin!'
‘vil liebe soete5) kindekînG),
got late T) iuch immer sælec sin !
diu swester engegen im lief,
mit den armen si in umbeswieH). 72sv
dö sprach er zuo der swester;
‘gratia vester.’
hin für was den jungen gäch,
die alten zugen binden nach;
si enphiengen9) in beide ane zal. 7227
zem vater sprach er : ‘deu sal !'10)
zuo der muoter sprach er sä
bêheimisch: ‘dobra ytra!’11)
si sähen beide einander an,
beide da? wlp und der man. 717
diu hûsfrou sprach : ‘herre wirt,
wir sin der sinne gar verirt.
er ist niht unser beider kint:
er ist ein Bêheim oder ein j
Wint’12).
der vater sprach: ‘er ist ein 77 1
Wahr13).
min sun, den ich got bevalh, ,
der ist e? niht sicherllche
und ist im doch gellche.’
dö sprach sin swester Gotelint:
1) ihm wohl entgegenging? — 2) beide . . . unde: sowohl als auch, im rr
Englischen : both . . . and.— 3) Hose. — 4) persönlich freie Magd. — °) nieder- --7
deutsch — mhd. süe?e. — Interessant ist die Beobachtung, daß schon da- -ß
mals das Niederdeutsche (Niedersächsische) wie heute der hannoversche . 97
Dialekt als besonders fein gilt. — 6) nd. — mhd. kindelin. — 7) nd. — mhd. .b
lä?e. — 8) s. umbesweifen. — 9) s. enphähen: zum Empfang umarmen ns
und küssen. — l0) dien vous salue. — J1) tschechisch: guten Tag. —
12) Wende. 13) Welsche.
Rgi? Ca-gj? ta? Céri? Csgg? Cgi? Pgj? ta? Kgi? Cgi? Zs)7
3M0 'er ist niht iuvver beider kint.
er antwurt mir in der latin1):
er mac wol ein pfaffe sin.’
‘entriuwen,’i) 2) sprach der vri-
man3),
als ich von im vernomen hàn,
SA5 sò ist er ze Sahsen
oder ze Brabant gewahsen.
er sprach „liebe soetekindekin":
er mac wol ein Sahse sin.’
Der wirt sprach mit rede
sieht4) ;
oo ‘bist dü? min sun Helmbreht,
du hast gewonnen mich dà mite,
sprich ein wort nach unserm site,
als unser vordem 5) taten,
sò da? ich? möge erraten.
c5 dü sprächest immer „den sai",
da? ich enwei?, zwiu6) e? sai7),
ère dine muoter onde mich,
da? diene wir immer umbe dich :
sprich ein wort tiutischen.
o ich wil dir dinen hengest
wischen,
ich selbe unde niht min kneht,
lieber sun Helmbreht,
» da?duimmersaelecmüe?estsin.’
‘Ey wa? sakent8) ir gebùre-
kìn9)
r und jene? gunèrte 10) wif?11)
l min parit12), minen klaren lif13)
> sol dehein geburic man
zware14) nimmer gegripen15)
an.’
Des erschrac der wirt vil sere.
dö sprach er aber mere: 770
‘bistu? Helmbreht, min sun,
ich siude10) dir noch hinte ein
huon
und brate dir aber eine?:
da? rede ich niht meine?17),
und bist du? niht Helmbreht, 775
min kint,
sit ir ein Beheim oder ein Wint,
sö vart hin zuo den Winden !I8)
ich hän mit minen kinden
wei?got vil ze schaffen,
ich gibe ouch keinem pfaffen 780
niht wan sin bare? reht.
sit ir? niht Helmbreht,
het ich danne alle vische,
irn twaht19) bi minem tische
durch e??en nimmer iuwerhant. 785
sit ir ein Sahse oder ein Brabant
oder sit ir von Walhen,
ir müeset iuwer malhen20)
mit iu han gefüeret:
von iu wirt gerüeret 790
des minen niht zeware,
und waer diu naht ein jare.
ich enhän den mete noch den
win:
juncherre, ir sult bi herren
sin !’21)
i) lateinischen Sprache. — 2) wahrhaftig. — 3) persönlich freier
I Knecht. — 4) geradezu. — 5) Altvordern, Vorfahren. — 6) ze wiu: wozu. —
r 7) sol. — 8) falsche' niederdeutsche Form (saget). — S) ^d. — mhd. ge-
J bürelin: Bäuerlein. — i°) s. geuneren. — 1 ■) nd. = mhd. wip. — 12) nd.
- — mhd. phärit, s. phert. — 13) — mhd. lip. — n) ze wäre: wahrhaftig. —.
1 lo) nd. — mhd. grifen. — 1G) s. sieden. — i?) adverb. Gen.: falsch. —
1 18) ins Wendenland. — 19) s. twahen. — 2°) Ledertasche, Reisesack, vgl.
st frz. malle. — 2i) kehrt bei Herren ein!
20*
308 ^ ^ ta? r^i>? Eg=i? ta? ta? ta? r^-Lr ta? i^b cgi? tat
795 Nü was e? harte spate,
der knabe wart ze rate
in sin selbes muote:
‘sam mir got der guote J),
ich wil in sagen, wer ich si.
800 e? ist hie nindert nahen bi
ein wirt, der mich behalde.
niht guoter witze ich walde2),
da? ich min rede verkere:
ich entuon es; nimmer mere.’
805 Er sprach: ‘ja bin ich e? der.'
der vater sprach: ‘nü saget
wer!'
‘der da heißet alsam ir.'
der vater sprach: ‘den nennet
mir!’
‘ich bin geheimen Helmbreht.
8io iuwer sun und iuwer kneht
was ich vor einem jare:
da? sag ich iu zewäre.'
der vater sprach: ‘nein ir.’
‘e? ist wär!’ — ‘so nennet mir
815 mine ohsen alle viere!’
‘da? tuon ich vil schiere3).
der ich dö wilen4) pflegte
und minen gart ob in wegte,
der eine hei?et Ouwer;
e? wart nie gebouwer5) 82«-Si
so riebe noch so wacker,
er zaeme6) üf sinem acker.
der ander der hie? Raeme:
nie rint so genaeme
wart geweten 7) under joch. 8223
den dritten nenne ich iu noch:
der was gehei?en Erge.
e? körnt von miner kerge 8),
da? ich si kan genennen.
weit ir mich noch erkennen: 828
der vierde der hie? Sunne.
ob ichs genennen kunne,
des lat mich genie?en:
hei?t mir da? tor üf slie?en!’
der vater sprach : ‘tür unde tor 8::8
da soltü niht sin lenger vor;
beide gadem unde schrin
sol dir alle? offen sin.’
So ward der Sohn wohl empfangen, von Schwester und Mutter weich
gebettet, die Mutter rief der Tochter zu: „Lauf, hole ein Polster und ein j
weiches Kissen.“ Das ward ihm unter den Arm auf den warmen Ofen j
gelegt, und behaglich wartete er, bis das Essen bereitet war. Es war ein i
5 Herrenessen, klein geschnittenes Kraut mit gutem Fleisch, eine fette Gans j
am Spieß gebraten, groß wie eine Trappe, gebratenes und gesottenes -
Huhn. Und der Vater sprach: „Hätte ich Wein, heute müßt' er getrunken r
werden; so aber trink, lieber Sohn, von dem besten Quell, der je aus der i
Erde floß.“ Und der junge Helmbrecht packte seine Geschenke aus, dem n
10 Vater einen Wetzstein, Sense und Beil, die besten Bauernkleinode der i
Welt, der Mutter einen Fuchspelz, seiner Schwester Gotelind eine seidene s
Binde und eine beschlagene Borte, die besser für eine Edelfrau gepaßt j*
hätte, er hatte sie einem Krämer genommen. Und er sprach: „Ich muß Z
schlafen, ich bin viel geritten, mir ist heute Nacht Ruhe not.“ Da schlief T
15 er bis hoch in den andern Tag in dem Bette, über dem seine Schwester i:
ebenso wie mir Gott (helfe). — 2) ich war nicht recht bei Ver- -i
nunft. — 3) bald. — 4) weiland, einst. — 5) s. gebüre. — 6) s. zemen. —
7) s. weten: ins Joch spannen. — 8) Klugheit.
Kgj? Cagj? SaSi? KSSr Rgj? Cggi? ksLd PgS? ta? Egj? k^-U? ZOO
Gotelind ein neugewaschenes Hemde ausgebreitet hatte, denn ein Leilach *)
war dort unbekannt. So weilte der Sohn bei dem Vater sieben
Tage.
Darauf fragte der Vater den Sohn, wie der Hofbrauch da sei, wo er
bis jetzt gelebt habe. „Auch ich,“ sprach er* 1 2), „ging einst, als ich ein Knabe
war, mit Käse und Eiern zu Hofe; damals waren die Ritter von anderer
Art, höflich und von guten Sitten, sie übten ritterliches Waffenspiel, dann
tanzten sie mit den Frauen und sangen dazu, dann kam der Spielmann
mit seiner Geige, und wenn er anfing, standen die Frauen auf, die Ritter
gingen auf sie zu, nahmen sie zierlich bei der Hand und tanzten artig, und
wenn das vorbei war, kam wieder einer und las aus einem Buche vor von
einem, der Ernst3) hieß. Alles war damals in fröhlicher Geselligkeit. Die
einen schossen mit dem Bogen nach dem Ziel, andere gingen jagen und
pürschen, der Schlechteste von damals wäre jetzt wohl der Allerbeste.
Denn jetzt wird wert gehalten, wer horchen und lügen kann, Treue und
Ehre sind in Falschheit verkehrt, jetzt sind die Turniere nach alter Art
nicht mehr Brauch; dafür sind andere im Schwange. Sonst hörte man
im Ritterspiel so rufen: Heia, Ritter, sei froh! Jetzt schallt es durch die
Lüfte: Jage, Ritter, jage, jage; stich, schlage, verstümmle den, schlag’ mir
dem den Fuß ab, hau' diesem die Hände ab, den sollst du mir hängen,
diesen reichen Mann fangen, der zahlt uns wohl hundert Pfund. So war
es, denke ich, früher besser als jetzt. Erzähle du, mein Sohn, mehr von
der neuen Sitte.“
„Das will ich tun. Jetzt ist der Hofbrauch: Trink, Herr, trinke, trink;
trink du dies, so trink’ ich das. Man sitzt nicht mehr bei den Frauen, nur
bei dem Weine. Das Leben der Alten, glaubt mir, die da leben wie ihr,
das ist jetzt bei Frau und Mann so verhaßt wie der Henker. Bann und
Acht ist jetzt ein Spott.“
„Sohn,“ sprach der Vater, „laß den Hofbrauch fahren,
er ist bitter und sauer. Viel lieber bin ich Bauer als ein armer Hof-
mann, der jederzeit um sein Leben reiten muß, und darum sorgen, daß
ihn seine Feinde fangen, verstümmeln und hängen.“
„Vater,“ sprach der Junge, „ich danke dir, aber es ist länger als eine
Woche, daß ich keinen Wein getrunken, seitdem habe ich den Gürtel
um drei Löcher zurückgeschnallt. Ich muß Rinder erbeuten, eh’ der Ring
wieder an der Stelle steht, wo er früher war. Mir hat ein Reicher schweres
Leid getan: über die Saat meines Paten, des Ritters, sah ich ihn einst
l reiten, er bezahlt mir’s teuer, seine Rinder, seine Schafe und Schweine
: sollen traben, weil er einem lieben Paten von mir so den Acker zertrat.
Ich weiß noch einen reichen Mann, der tat mir auch schweres Leid: er
; aß Brot zu Kräpfeln, bei meinem Leben, das will ich rächen. Und da ist
[ noch ein anderer einfältiger Narr, der blies in einem Becher so unschicklich
!) Bettuch. — 2) vgl. Liermann-Vilmar, Deutsches Lesebuch für Unter-
1 tertia, Lesestück Nr. 107. — 3) Herzog Ernst von Schwaben, der Stief-
2 söhn Kaiser Konrads II. Seine Fahrten und Abenteuer waren im Mittel-
3 alter ein sehr beliebter Unterhaltungsstoff. Denke an Uhlands Drama!
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den Schaum vom Biere. Räche ich das nicht, so will ich nimmer ein
Schwert um meine Seite gürten und einer Frau wert sein. Man hört
in kurzem Kunde von He 1 mbrecht.“
Der Vater sprach: „Ei! nenne mir doch deine Gesellen, die dich ge-
5 lehrt haben, einen reichen Mann zu berauben, wenn er Krapfen und Brot
zusammen ißt!“ Da nannte der Sohn seine Gesellen: „Lämmerschling
und Schluckdenwidder, Höllensack und Rüttelschrein, Kühfraß, Knicke-
kelch und Wolfsgaumen, Wolfsrüffel und Wolfsdarm, das sind meine
Schulmeister.“
10 Der Vater sprach: „Und wie nennen sie dich?“
„Ich bin genannt Schlingdengau, bin nicht die Freude der Bauern,
ihre Kinder müssen Wasserbrei essen, was die Bauern haben, das ist
mein, dem einen drücke ich das Auge aus, dem andern haue ich in den
Rücken, den binde ich in den Ameisenhaufen, den hänge ich bei seinen
15 Beinen an die Weide.“
Da brach der Vater los: „Sohn, die du da rühmst, wie hitzig sie :
auch sind, doch hoffe ich, wenn ein gerechter Gott lebt, es kommt der
Tag, wo der Scherge sie faßt und von seiner Leiter hinabstößt.“
„Vater, Gänse und Hühner, Rinder und Futter habe ich dir oft vor -
20 meinen Gesellen bewahrt, jetzt tue ich’s nimmermehr. Ihr sprecht zu sehr i
gegen die Ehre frommer Gesellen. Eure Tochter Gotelind wollte ich r
meinem Gesellen Lämmerschling zur Frau geben, bei ihm hätte sie das s
beste Leben gehabt. Das ist jetzt vorbei, Ihr habt zu gröblich gegen uns a
gesprochen.“ Und seine Schwester Gotelind nahm er beiseite und sagte s
25 ihr heimlich: „Als mein Geselle Lämmerschling mich zuerst um dich bat, ,j
da sprach ich zu ihm: Du wirst gut mit ihr fahren; nimmst du sie, so sei xs
ohne Sorge, daß du lange am Baume hängst, sie wird dich mit ihrer i:
Hand abnehmen und zum Grabe auf die Wegscheide ziehn; mit Weih- -r
rauch und Myrrhen umschreitet sie räuchernd dein Gebein ein ganzes a;
30 Jahr. Und hast du das Glück, nur geblendet zu werden, sie führt dich an nj
ihrer Hand auf Wegen und Stegen durch alle Länder; wird dir der Fuß efj
abgeschlagen, sie trägt dir Stelzen alle Morgen zum Bett; und nimmt man m
dir auch noch die Hand, sie schneidet dir Fleisch und Brot bis an dein ni
Ende. Da sprach Lämmerschling zu mir: Ich habe drei volle Säcke oj
35 schwerer als Blei mit feiner Leinwand, mit Röcken, Hemden und kost-
baren Kleidern, mit Scharlach und Zobel, ich habe sie in einer nahen no
Schlucht versteckt, die will ich ihr zur Morgengabe geben. Um das alles, ,as
Gotelind, bist du durch deines Vaters Schuld gekommen; jetzt nimmt dich da
ein Bauer, bei dem du Rüben graben mußt. Wehe über deinen Vater! !i?
40 Denn mein Vater ist er nicht.“
Und die törichte Schwester sagte: „Lieber Bruder Schlingdengau, ,x/ß
mache, daß mich dein Geselle heiratet, ich verlasse Vater, Mutter und bxn
Verwandte.“ Die Eltern vernahmen nicht die Rede, der Bruder beriet Jai-
heimlich mit der Schwester. „Ich will dir meinen Boten senden, dem du xxb
45 folgen sollst, halte dich bereit. Gott behüte dich, ich ziehe dahin, der ish
Hauswirt hier gilt mir so wenig als ich ihm. Mutter, Gott segne dich.“ “.rf
Egg? EsSti? Rga Kgj? Kgl? Egj? Rgit E-Ld t^i? ES4? ta? Z11
So fuhr er seinen alten Strich und sagte seinem Gesellen den Willen der
Schwester. Der küßte sich vor Freude die Hand.
Manche Witwe und Waise ward ihres Gutes beraubt, als der Held
Lämmerschling und sein Gemahl Gotelind auf dem Brautstuhl saßen.
Die Knappen fuhren und trieben auf Wagen und aufRossen emsig gestohlenen
Trank und Speise in Lämmerschlings Vaterhaus. Als Gotelind aber kam,
ging der Bräutigam ihr entgegen und empfing sie: „Willkommen, Dame
Gotelind.“ — „Gott lohne Euch, Herr Lämmerschling.“ So begrüßten sie
einander freundlich, und ein alter Mann, weise in Worten, stand auf und
stellte beide in einen Ring, und frug dreimal den Mann und die Magd:
„Wollt ihr euch zur Ehe nehmen, so sprechet ja.“ So gab er sie zusammen.
Alle sangen das Brautlied, der Bräutigam trat der Braut auf den Fuß1).
Darauf wurde das Hochzeitsmahl bereitet. Aber seltsam war es, vor den
Knaben schwand die Speise, als wenn sie ein Wind vom Tische wehte,
sie aßen unendlich, was ihnen der Truchseß von der Küche auftrug, und
es blieb nicht so viel daran, daß der Hund die Knochen abnagen konnte.
Man sagt, jedem Menschen, der so unmäßig ißt, dem naht sein Ende.
Der Braut Gotelind begann zu grausen und sie klagte: „Wehe, uns naht
ein Unheil, mir ist das Herz so schwer! Wehe mir, daß ich Vater und
Mutter verlassen habe; wer zu viel will, dem wird wenig, diese Gierigkeit
führt in den Abgrund der Hölle.“
Noch eine Weile saßen sie nach dem Essen, schon hatten die Spiel-
leute von Braut und Bräutigam ihre Gabe empfangen; da sah man den
Richter mit fünf Männern kommen. Es war ein kurzer Kampf, mit den
fünfen siegte der. Richter über zehn; denn ein rechter Dieb, wie kühn er
auch sei, und schlüge er auch ein ganzes Heer, ist wehrlos gegen die
Schergen. Die Räuber schlüpften in den Ofen und unter die Bank; wer
sonst nicht vor vieren floh, den zog jetzt der Knecht des Schergen allein
bei seinem Haar hervor. Gotelind verlor ihr Brautgewand, an einem Zaune
fand man sie, erschreckt, entblößt, verachtet. Den Dieben aber wurden
die Häute der Rinder, die sie geraubt, an den Hals gebunden, als der Ge-
winn für den Richter. Der Bräutigam trug seinem Tage zu Ehren nur zwei,
die anderen aber mehr. Der Scherge hing neune, den zehnten ließ er am
Leben nach Henkersrecht, und dieser zehnte war Schlingdengau Helm-
brecht. Der Scherge rächte den Vater an ihm, er stach ihm die Augen
aus, er rächte die Mutter und schlug ihm eine Hand und einen Fuß ab.
!) altdeutscher Brauch der Vermählung, „mit dem Fuß trat der Sieger
zum Zeichen des Sieges auf den gefallenen Gegner, Symbol für den An-
tritt der Herrschaft“ (J. Seiler). In manchen Gegenden Deutschlands suchen
noch heute die Brautleute, während der Pfarrer den Segen spricht, eins
dem andern auf den Fuß zu treten; derjenige, dem es gelingt, hat nach
dem Volksaberglauben die Herrschaft im Hause. — Das Fehlen des Geist-
lichen hat nicht etwa seinen Grund in der Räuberhochzeit; ursprünglich
war der Geistliche nur Trauzeuge, was auch jeder andere sein konnte,
erst durch die Verbreitung dieser Sitte entstand die kirchliche Trauung.
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312 ^ k-LL- ta? ta? ksn i^ii pgj? Rgn r-sLr pgj? ra? ta?
So führte den blinden Helmbrecht ein Knecht amStabe heim
vor seines Vaters Haus.
Hört, wie ihn der Vater grüßte: „Dieu salue, Herr Blinder. Geht
von dannen, Herr Bündchen; wenn Ihr Euch säumt, so lasse ich Euch durch
5 meinen Knecht fortschlagen, hebt Euch weg von der Tür.“
„Herr, ich bin’s, Euer Kind.“
„Ist der Knabe blind geworden, der sich nannte Schlingdengau? Jetzt
fürchtet Ihr nicht des Schergen Drohen, nicht alle Richter der Welt! Hei,
wie Ihr Eisen aßet, als Ihr auf dem Hengste rittet, um den ich meine Rinder
10 gab. Weicht und kehret nimmermehr wieder.“
Und wieder sprach der Blinde: Wollt Ihr mich nicht als Kind er-
kennen, so laßt mich als einen elenden Mann in Eurem Hause kriechen,
wie Ihr mit armen Kranken tut. Die Landleute sind mir gram, ich kann
mich nicht erretten, wenn Ihr mir ungnädig seid.“
15 Dem Wirt bebte sein Herz; denn der blind vor ihm stand, war doch
sein Blut und sein Sohn, und doch rief er hohnlachend: „Ihr fuhrt so trotzig
in die Welt, manches Herz seufzte um Euch, mancher Bauer ist durch Euch
seiner Habe beraubt worden. Gedenkt an meinen Traum. Knecht,
sperr’ ab und stoß den Riegel vor, ich will heut Nacht Ruhe haben. Eher
20 behielte ich bis an meinen Tod einen Fremden, den sonst nie mein Auge
sah, ehe ich Euch ein halbes Brot gäbe.“ Und er schlug den Knecht des
Blinden. „Zieh von mir ihn, den die Sonne haßt; ich täte so deinem
Meister, nur daß ich mich schäme, einen Blinden zu schlagen.“ So rief
der Vater, und die Mutter gab ihm doch ein Brot in die Hand wie einem
25 Kinde. So ging der blinde Dieb dahin; die Bauern riefen ihm
nach und höhnten.
Ein Jahr litt er Not. Einst an einem Morgen früh ging er durch den
Wald, um Brot zu betteln, da sahen ihn Bauern, die Holz lasen; einem
von ihnen hatte er eine Kuh genommen, die siebenmal gekalbt hatte; der
30 rief jetzt die andern, sie sollten ihm helfen. Alle hatte er sie gekränkt,
dem einen hatte er die Hütte aufgebrochen und ganz ausgeraubt, der
andere zitterte vor Begier wie Laub und sprach: „Ich töte ihn wie ein
Huhn, er stieß mein schlafendes Kind bei Nacht in einen Sack, und als es
erwachte und schrie, schüttete er es aus in den Schnee, daß es gestorben
35 wäre, wenn ich ihm nicht zu Hilfe kam.“ Alle wandten sich gegen
Helmbrecht. „Jetzt hüte deine Haube.“ Die Stickerei, die
einst der Henker unberührt gelassen hatte, wurde zerrissen und auf den
Weg gestreut mit seinem Haar. Seine Beichte ließen sie den Elenden
sprechen, der eine brach einen Brocken von der Erde und gab ihn Helm-
40 brecht in die Hand als Torgeld für das Höllenfeuer. So hingen sie
ihn an einen Baum.
Wo noch ritterlustige Kinder bei Vater und Mutter
sind, die seien gewarnt durch Helmbrechts Geschick.“
Rgj? Pgü Eagj? Rgi? ksSü- cgi? Kgj? Rgj? Rgi? C^S? Z1Z
illiffelhochdeufiches Tierepos.^
(Um 1180.)
Vor Jahrhunderten hätte ein Dichter dieses gesungen?
Wie ist das möglich? Der Stoff ist ja von gestern und heut.
Goethe.
58. Probe aus dem „Reinhcirf Fuchs".
Text nach der Ausgabe von Karl Reissenberger. Zweite Auslage,
S. 63 ff. Halle a. S., Niemeyer, 1908.
Fuchs und Wolf im Brunnen.
Reinhart2), der vil hat gelogen,
der wirt noch hiute betrogen,
5 5 doch half im siniu kündecheit
von vil größer arbeit,
zuo einer zelle in sin wec truoc,
da wester3) inne hüenre gnuoc.
keinen nutz er des gevienc,
o einiu guotiumüredrumbegienc.
Reinhart begunde umbe gän,
vor dem tore sach er stän
einen burnen, der was tief und
wit,
da sach er in, da^ rou in sit.
<i sinen schaten er da drinne ge-
sach;
ein michel wunder nü geschach,
das; der sich verginte4) hie,
der mit listen vil begie.
Reinhart wände sehen sin wip,
diu was im liep als der lip, 840
und enmohte sich doch niht
enthän,
ern müeste zuo der vriundin gän.
wan minne gibet hohen muot,
da von dühte sie in guot.
Reinhart lachete dar in, 845
dö zannete der schate sin.
des wester im kleinen danc,
vor liebe er in den burnen
spranc.
durch starke minne tet er da^.
dö wurden im diu ören na?;: 850
1) Den Stand der neueren Forschung über die Tiersage behandelt
K. Reissenberger in der Einleitung zu seiner Textausgabe, S. 1—32. —
Lies Goethes Umdichtung „Reineke Fuchs" (S. W., Gottasche Jubi-
läums-Ausgabe, Band 6, mit Einl. u. Anm. v. H. Schreyer); Goethe be-
[ nutzte Gottscheds Prosabearbeitung (von 1752), die im Anhang einen Ab-
» druck des niederdeutschen Reynke de Vos nach der Lübecker
l Ausgabe von 1498 enthielt. — 2) der Name des Fuchses geht auf Regin-
! hard, Raginohard zurück und heißt soviel als „hart (fest, sicher) im Rat“;
> der Fuchs ist im Rat unermüdlich, er weiß immer Rat. — 3) weste er, s.
r wi^en. — 4) sich vergaffte, s. verginen.
314 ^ ^ ^ tigj» gjgs? r-sr- Egg? pgj? ca? cggj? KgB ta? ta?
in dem burnen er lange swam,
üf einen stein er dö quam,
dà leiter1) üf da? houbet.
(swer des niht geloubet,
855 der soi mir drumbe niht geben).
Reinhart wände sin leben,
wei? got, da versprochen hän.
herîsengrîn2) begunde dar gän
âne zagel ü? dem walde,
860 zuo der zelle huop er sich balde.
Er was noch nicht enbi??en3).
ir soit vil wol wi??en,
ein schâf hæte er gerne ge-
nomen,
des envant er niht, nü ist er
körnen
865 über den burnen vil tief,
dô wart aber geeffet der gief.
Isengrin dar in sach.
vernemet reht,wa?im geschach,
sinen schaten sach er dinne4).
870 êr wând, da? e? sin minne
wære, ver5) Hersant,
da?, houbet tet er nider zehant
und begunde lachen,
semelicher Sachen
875 begienc der schate dinne,
des verkêrten sich sin sinne,
er begunde Hersante sin laster
sagen
und von sinem schaden klagen,
vil lute hiulet Isengrin.
880 dö antwurtim der dün sin.
sin stimme schal in da?, hol.
er was leckerheite vol,
da?, wart vil schiere schin.
Reinhart sprach: ‘wer mac da?
sin ?
Isengrin ergetzet wart, 88 8i
er sprach: ‘bistu da?, gevater
Reinhart?
sage mir in der minne,
wa? wirbest du darinne ?’
Remhart sprach: ‘min lip ist tot,
min sele lebet ane not. 8988
da? wi??e wserliche.
ich bin hie in himelriche.
dirre schuole ich hie pflegen sol,
ich kan diu kint leren wol.'
er sprach: ‘mir ist leit din tot.’ 893
‘ich vröuwe mich, dü lebes mit
not
in der werlde allertegelich.
ze paradise hän aber ich
michels mere wurme,
danne man erdenken kunne.’ 9'e
dö sprach her Isengrin:
‘bruoder und gevater min,
wie ist ver Hersant her in
körnen?
ich hän selten roup genomen, ,
si enhsete dran ir teil.' 23
Reinhart sprach: ‘e? was ir heil.’
‘sagä,trüt gevater,'sprach erdö, ,
‘wie ist ir da?, houbet verbrant J
so?'
‘da? geschach ouch mir, trüt jj
geselle,
l) leite (legete) er. — 2) der Name des Wolfes bedeutet „Eisenhelm“,
„Eisenmaske“; der Wolf sieht trotzig und kriegerisch aus. Denke an ' nj
„Kriemhilde“: die Kämpferin in der Maske, dem Helm. — 3) enbi??en n;
sin: gespeist haben, s. enbi?en, vgl. lat. pransus: einer, der gefrühstückt jjj
hat. — 4) da inne. — 5) vere — vrouwe.
c^StT? Rgj? cgi? pgi? c^i> rLd t^i? cggj? r>Ld t^i? 3 ] 5
1010 sie tet einen tue in die helle,
du hast dicke wol vernomen:
ze paradis mac nieman körnen,
ern müe^e der helle bekorn.
da hat sie hüt und har verlorn.’
•1015 Reinhart wolde da (Re sin,
diu ougen gesach im isengrin.
'sagä, gevater, wa? sehinet da?’
Reinhart antwurtim sä:
‘es; ist edel gesteine,
)S'20 die karfunkel reine
die schinent hie tac unde naht,
da ü^e du ir niht gesehen mäht.
hie sint ouch rinder unde swin
und manec feiste^ zickelin,
;225 ane huote es; alle^ hie gät,
hie ist vil maneger slahte rät,’
‘möhtich iemer körnen dar in?’
sprach der tore Isengrin.
‘jä tuo, als ich dich lere,
)k30 ich wil an dir min ere
begän, nü pflic witze:
in den eimber soltu sitzen.’
umb den burnen was e/, also
getän,
so ein eimber begunde in gän,
ö85 das; der ander ü? gie.
isengrin do niht enlie,
des in sin gevatere lerte,
wider hoster1) er sich kerte
(das; quam von unwitzen),
in den eimber gieng er sitzen. 940
Reinhart sin selbes niht vergaß,
in den undern er do sas;.
Isengrin, der den schaden nam,
sinem gevatern er do bequam
mittene unde vuor hin in. 945,
er sprach : 'Reinhart, wä sol ich
nü sin?’
‘da? sag ich dir gewaerliche,
hie ze himelriche
soltu minen stuol hän,
wandich dirs vil wol gan. 950
ich wil ü? in das; lant,
dü verst dem tiuvel in die hant.’
Isengrin gienc an den grünt,
Reinhart vuor ze walde wol
gesunt.
vil vaste erschepfet was der 955
burne,
e?waereandersisengrine misse-
lungen,
da? paradise düht in swaere,
vil gerne er dannen waere.
Ü hoster stn. (lat. haustrum): Schöpfrad.
Lyrische Dichter
(seit der Mitte des 12. Jahrhunderts).
Singe, wem Gesang gegeben,
3n dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
lvenn's von allen Zweigen schallt.
Nicht an wenig stolze Namen
Ist die Liederkunst gebannt;
Ausgestreuet ist der Samen
Über alles deutsche Land.
Uh land, Freie Kunst.
59. minneicmg1).
Ludwig Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, 5. BÒ. 5. 118
bis 282: „Der Minnesang". Stuttgart 1870.
Liebe hat von jeher im Gesänge gesprochen. Uber einzig in
der Geschichte ist'jene tausendstimmige, unermüdliche, unbegrenzte
Huldigung, die im zwölften und dreizehnten Jahrhundert in pro-
venzalischer, französischer, deutscher Sprache den Frauen gesungen
5 ward.
Daß ein Volk den Frauen eine würdige Stellung in der Ge-
sellschaft einräumt, bedarf an sich keiner Erklärung. Einer solchen j
bedarf es eher, wie gebildete Völker des Altertums das schwächere $
Geschlecht im Zustande der Unterdrückung festhalten konnten. Ist t i)
i) fl. Schönbach, die Anfänge des deutschen Minnesanges, Graz 1898. — ' -
K. Weinhold, die deutschen Frauen in dem Mittelalter, 3. flufl., 3 Bände, Wien n
1897. - fl. Schultz, das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger, 2 Bände,
Leipzig 1889. — D. Lyon, Minne- und Meistersang, Leipzig 1882.
Kgj? Csgj? Rgjt Rga Kgl? Cgi? CdSr5? Kgi? Cagj? C^tR Rgj? Z17
aber weibliche Nnmut einmal freigegeben, so ist nicht zu berechnen,
wie weit diese sanfte, doch sichere Gewalt ihre Wirkungen ausdehne;
und so sehen wir den eisernen Ritter, kniend vor ihr, die Hände falten.
Man hat bemerkt, daß schon die alten Germanen, nach Tacitus,
in den Frauen etwas heiliges und Prophetisches ehrten. Wichtiger
ist, daß bei ihnen, nach den Berichten desselben Geschichtschreibers,
das Verhältnis der Geschlechter durchaus als ein sittliches erscheint.
Die Ehe wird streng und heilig gehalten; selbst zweite Ehe ist bei
manchen Stämmen unzulässig; der Mann fürchtet die Gefangenschaft
weniger für sich als für die Gattin; am sichersten gebunden sind
diejenigen Völkerschaften, von denen man edle Jungfrauen zu Geiseln
genommen hat. Wäre den Frauen nicht zum voraus in der deutschen
Gemütsart ihre Würde gesichert gewesen, das Christentum mußte ihre
Freilassung vollenden. Der Glaube, der die Menschenwürde so feier-
lich ausspricht, ertrug nicht die Zurücksetzung des einen Geschlechts.
Der neue Glaube erschloß überhaupt die Tiefen des Gemütes; auch
im Verhältnis der Geschlechter mußte er die geistige Beziehung fordern.
Einzelne Lehrsätze und Anstalten der Kirche begegneten in merk-
würdiger Wechselwirkung den Neigungen der Völker. Schon glänzten
heilige Frauen und Jungfrauen als Märterinnenh der göttlichen
Lehre. Ruch weibliche Genossenschaften hatten sich, weltlicher Lust
entsagend, dem Dienste des heiligen verpflichtet, vor allem aber
erschien das Geschlecht verherrlicht und geweiht in der jungfräulichen
Mutter des Heilandes; die Verehrung Mariens erhob sich nahe-
zu über jeden anderen Gottesdienst, und wie die himmlische ihren
Glanz über die Frauen der Erde verbreitete, so war hinwieder die
Feier ihres Lobes an Innigkeit und Farbengebung dem welt-
lichen Minnesänge verwandt. Bus ihre Erwählung durch
Gott wird das Hohelied gedeutet, das ein Sänger ihres Preises „das
Buch von der Minne" nannte, während es anderswo „unser Frauen
Lied" genannt wird. Die alte Welt hat die Kräfte, die das Leben
regeln, verschönern, veredeln, vorzugsweise in weiblicher Gestalt sinn-
bildlich dargestellt. Die Neueren haben umgekehrt in der Erscheinung
herrlicher Frauen das Geistige geahnt und eine sittliche Herrschaft
anerkannt. Ls ist nicht zu widersprechen, daß eben der sittliche Ein-
fluß der Frauen die wirksamste Gesetzgebung des Mittelalters war
und das Mangelhafte der äußeren Einrichtungen einigermaßen ersetzte.
5
10
15
20
25
30
35
h Märtr)r(er)innen.
318 ^ ^ pgj? Cgj? Rgj? ta? ta? lia? Egg»? Cgi? ta? I^it
Die weibliche Einwirkung auf das gesellige Leben kann jedoch
erst dann ihre ganze Macht ausüben, wenn sich die Gesellschaft sonst
schon aus dem Rohesten herausgearbeitet hat. Dieses geschah nach
den Ltürmen der Völkerwanderung zuerst in solchen Gegenden, wo
5 die frische Kraft und die angeborene Linnesart der germanischen Er-
oberer mit den Resten römischer Bildung glücklich zusammentraf. 5o
finden wir denn im südlichen Frankreichs) bereits am Schlüsse
des elften Jahrhunderts die Verehrung der Frauen, das Werben
um ihre Huld und den unerschöpflichen Sang der Minne im gleichen
10 Geiste festgestellt und ausgebildet, wie alles dieses späterhin im
nördlichen Frankreich und nach der Mitte des zwölften Jahr-
hunderts auch in Deutschland hervortritt. Mit grenzenloser Be-
geisterung, wie für eine neue Glaubenslehre, wird überall der Dienst
der Minne aufgenommen. Entzückt und erstaunt, als wär' ihnen
15 eine Binde von den Rügen gefallen, sehen die Volker nun erst die
Trefflichkeit der Frauen in voller Entfaltung, in siegreichem Glanze
vor sich stehen.
Die allgemeine Ähnlichkeit der provenzalischen,
nordsranzosischen und deutschen Minnelieder ist unver-
20 kennbar; selbst einzelne Entlehnungen lassen sich nachweisen, und
begreiflich muß man das Verdienst der Rnregung und Einwirkung
denjenigen zugestehen, bei denen sich diese Rrt des Gesanges früher
auf ausgezeichnete Weise entwickelt hat. Dennoch würde man
sehr irren, wenn man den deutschen Minnesang
25 als bloße Nachahmung des provenzalischen oder
französischen betrachten wollte. Man müßte denn be-
haupten, daß aus dem Künstlichen das Einfache erwachsen, daß
die frischere Natur ein Erborgtes sei, daß aus der Nachahmung
eine Reihe lebendiger Dichtercharaktere hervorgehen konnte. Die
30 Formen des Lebens, die Richtungen des Geistes waren im Mittel-
alter in dem größten Teile von Europa dieselben. Diese allgemeine
Übereinstimmung mußte sich auch in der Dichtkunst abspiegeln, ohne
daß man aus der Ähnlichkeit auf die Nachahmung schließen dürfte.
Dabei hat jenes allgemeine Gepräge die Eigentümlichkeit der ein-
35 zelnen Volksstämme keineswegs ausgetilgt, und dieses Eigentümliche
erscheint gleichfalls wieder in den Gesängen der verschiedenen Zungen.
Friedrich Diez, Die Poesie der Troubadours 1826 (2. ctufl. von
K. Bartsch, Leipzig 1883)! E. voretzsch, Einführung in das Studium der alt-
französischen Literatur, Palle 1905.
ra? Rgj? Rgj? Pgj? Rg£S? ras? CaSi? Kgj? Casrii o-sd ta? ggf? KaSf? Ij J (J
So hat auch der deutsche Minnesang sich aus heimischer Wurzel ent-
wickelt, und es kann mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesen werden,
wo und wie weit das Beispiel der südlichen und westlichen Nachbarn
in seine stetige Entwickelung eingegriffen.
60. Des Ulinneicings Frühling.* 1)
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel’ger goldner Zeit,
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit.
Uhland.
I. Namenlose Lieder.
1.
Dü bist min, ich bin din:
des solt du gewis sin.
dü bist beslo^en
in minem herzen;
5 verlorn ist das; slü^elin :
dü muost immer drinne sin?)
2.
‘Mich dünket niht so guotes noch sò lobesam
sö diu liebte ròse und diu minne mines man.
diu kleinen vogellin
diu singent in dem walde: dèst menegem herzen liep.
5 mirn körne min holder selle,3) in hàn der sumerwunne niet.’4)
3.
Ich gesach den sumer nie,
daz, er sö schone dühte5) mich.
]) Des Minnesangs Frühling hrg. von Karl Lach mann und
1 Moriz Haupt. Vierte Ausgabe besorgt von F. Vogt. Leipzig, Hirzel
[ 1888. — Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. Eine Aus-
r wähl von Karl Bartsch. Vierte Auflage, besorgt von W. Golther (mit
< „Einleitung“ S. IX—XCIV), Berlin 1906, Behr. — Fr. Pfaff, Der Minnesan
> - des 12. bis 14. Jahrhunderts (Kürschners D. N. L. Bd. 8, 1), mit „Einlei-
i tung“ S. I—XXL, Stuttgart, Union, o. I. — 2) vgl. Karl Stiele r, Hoch-
i landslieder, 10. Auflage, Werinhers von Tegernsee Bergfahrt, S. 12., Stutt-
l gart, Bonz 1899. — 3) geselle. — 4) niht. - 5) s. dünken.
b 0 .
320 ^ I^j? pgit pgj? ta? taR ggf? pgj? ia? ta?
mit menigen bluomen wol getan
diu beide hat gezieret sich.
5 sanges ist der walt so vol:
diu zit diu tuot den kleinen vogelen wol.1)
In liehter varwe stat der walt,
der vögele schal nu doenet.
Diu wunne ist worden manic-
valt.
des meien tugent kroenet.
Senede* 2) liebe: wer waer alt, 5
da sich diu zit so schoenet?
her Meie, iu ist der bris gezalt:3)
sist wunneclich bevangen
der winder si gehoenet.
Diu nahtegal diu sanc so wol
da^ man irs iemer danken sol
und andern kleinen vogellin.
dö dähte ich an die frouwen min:
5 diu ist mins herzen künigin.
6.
Jvume kum, geselle min
ih enbite harte din:
ih enbite harte din:
kume kum, geselle min.
Süe^er rösenvarwer munt,
kum und mache mich gesunt.
kum und mache mich gesunt.
süe^er rösenvarwer munt4).
II. Der von Kürenberc5).
(um n8o.)
7.
‘Ich zöch mir einen valken6) mere danne ein jär7).
dö ich in gezamete als ich in weite hän
i) Dieses und das folgendeLied stammen aus einer als „Carmina Bu-
ran a“ bezeichneten Sammlung lateinischer und deutscher Gedichte, die im
13. Jahrhundert in dem bayerischen Kloster Benediktbeuren von fahrenden
Klerikern angelegt worden ist. In der lateinischen Fassung lautet Lied 3:
Aestas non apparuit praeteritis temporibus, ' quae sic clara fuerit: | ornantur
prata floribus, | aves nunc in silva canunt ; et canendo dulce garriunt. —
2) senende. — 3) tragt den Preis davon. — 4) auch ein carmen Buranum,
verfaßt in der Form des Palindroms, vgl. Walther v. d. V., Nieman kan mit
gerten. — 5) österreichischer Ritter; die Stammburg seines Geschlechtes
lag an der Donau in der Nähe von Linz. — 6) vgl. S. 116 und S. 323 (Lied 21)
des Lesebuches. — 7) beachte die Nibelungenstrophen!
KgB ta? Kgj? ta? Eg=g? rLd t^i? ca? ksLÄ- ra? Z21
und ich im sin gevidere mit golde wol bewant1),
er huop sich üf vil höhe und floug in anderiu lant.
5 Sit sach ich den valken schöne fliegen:
er fuorte an sinem fuo?e sidine riemen,
und was im sin gevidere alröt guldin.
got sende si zesamene, die gerne geliebe wellen sin.’
8.
‘E? gät mir vonme herzen, da? ich geweine2).
ich und min geselle müe?en uns scheiden.
da? machent lügenaere. got der gebe in leit!
der uns zwei versuonde vil wol, des waer ich gemeit.’
9.
Au brinc mir her vil balde min ros, min isengwant,
wan ich muo? einer frouwen rümen diu lant.
diu wil mich des betwingen, da? ich ir holt si.
si muo? der miner minne iemer darbende sin.
10.
Dirre tunkel Sterne3), sich4), der birget sich.
als5) tuo du, frouwe schoene. so du sehest mich,
so lä du diniu ougen gen an einen andern man,
son wei? doch lützel ieman6), wie? undr uns zwein ist getan.
III. Her Meinloh von Sevelingen7).
(um 1200.)
11.
Ich bin holt einer frouwen: ich wei? vil wol umbe wa?.
sit ich ir gunde8) dienen, sie geviel mir ie ba? und ie ba?.
ie lieber und ie lieber so ist si zallen ziten mir,
ie schcener und ie schoener: vil wol gevallet si mir.
sist saelic zallen eren, der besten tugende p füget ir lip.
stürbe9) ich nach ir minne, und wurde ich danne lebende,
___________ so würbe10) ich aber umb das wip.
’) den Edelfalken wurden zuweilen goldene Fäden ins Gefieder ge-
flochten. — 2) in Tränen ausbreche. — 3) Abendstern. — 4) s. sehen. —
5) also. — 6) kaum jemand, niemand. — ?) bei Ulm. — 8) s. ginnen. —
9) s. sterben. — io) s. werben.
Sie r mann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch.
21
322 ^ ^ ^ pgi? cgs? Ka? c^-d Rgs? eg»? ta? cg=ï? r^sr
IV. Spervogel1).
12.
Swer einen friunt wil suochen, da er sin niht enhat,
und vert ze walde spüren, so der snê zergât,
und koufet ungeschouwet vil
und haltet gerne vlorniui) 2) spil
5 und dienet einem boesen man, da e? ane lôn belîbet,
dem wirt wol afterriuwe kunt, ob er? die lenge tribet3).
13.
Treit4) ein reine wip niht guoter kleider an,
so kleidet doch ir tugent, als ich michs entstan5),
da? si vil wol geblüemet gât
alsam der liebte sunne bât
5 an einem tage sînen schîn lûter unde reine,
swie vil ein valschiu kleider treit, doch sint ir ère kleine.
14.
Ein wolf sine Sünde hoch,
in ein klöster er sich zöch,
er wolde geistlichen leben,
dö hie? man in der schale
pflegen:
5 sit wart er unstaete.
dö bei? er schäf unde swin:
er jach, da? e? des pfaffen rüde
taete.
16.
In himelriche ein hüs stat,
ein guldin wec dar in gät,
die siule die sint marmelin
die zieret unser trehtin8)
15.
Zwen hunde striten umbe ein
beim
dö stuont der boeser unde
grein6).
wa? half in al sin grinen?
er muoste? bein vermiden.
der ander der truoge? 5 ö
von dem tische hin ze der tür:
er stuont ze siner angesiht und
gnuoge?7).
mit edelem gesteine. 5e
da enkumpt nieman in,
ern si vor allen Sünden also
reine.
i) Sperling. — Die Gedichte 12 und 13 werden dem „jüngeren Sper-
vogel“ zugeschrieben. — 2) s. Vliesen, Verliesen; hält bereits verlorenes
Spiel. — 3) diese Verse (1—6) sind eine sogenannte Priamel (entstellt
aus mittellat. praeambulum: Vorspiel); in den Priameln wird zur Erregung
größerer Erwartung erst lange „präambuliert", bis endlich im letzten Vers
der Ausschluß erfolgt. — 4) traget. — &) mich darauf verstehe. — 6) s.
grinen. — 7) s. genagen, nagen. — 8) Christus, s. Wb.
ta? çgï? Rgî? Kgî? t^ît t^ï? ta? t^a? r-srr ta? 323
17.
An dem österlichen tage
dö stuont sich Krist ü? dem
grabe.
künec aller heiser,
vater aller weisen,
5 sin hantgetät4) erlöste,
in die helle schein ein lieht:
dokom er sinenkinden zetröste.
18.
Würze des waldes
und erze des goldes
und elliu apgründe
diu sint dir, hêrre, künde:
diu stent in dîner hende2).
alle? himelesche? her, 5
da?n möht dich ni ht volloben
an ein ende.
V. Her Dietmar von Eist3).
(um n8o.)
19.
Ahi nu kumet uns diu zit, der kleinen vogelline sanc.
e? gruonet wol diu linde breit, zergangen ist der winter lanc.
nu siht man bluomen wol getan neben an der beide ir schin.
des wirt vil manic herze frö: des selben troestet sich da? min.
20.
Uf der linden obene da sanc ein kleine? vogellin.
vor dem walde wart e?4) lût: dô huop sich aber da? herze min
an eine stat da’?5) ê dâ was. ich sach die rôsebluomen stän:
die manent mich der gedanke vil6), die ich hin zeiner frouwen han.
E? stuont ein frouwe alleine,
und warte7) über8) beide,
und warte ir liebe,
so gesach si valken9) fliegen.
5 ‘so wol dir, valke, da? du bist!
du hingest, swar dir liep ist:
du erkiusest in dem walde
einn10 *) boum, der dir gevalle.
also han ouch ich getan:
ich erkös mir selbe man: io
den weiten miniu ougen.
da? nident schoene frouwen.
owe wan11) länt si mir min liep?
jo engerte ich ir deheiner trütes
niet.’12)
P Geschöpf. — 2) Sing. — 3) österreichischer Ritter aus dem Lande
ob der Ens. — vgl. „Miniatur“ aus der Großen Heidelberger Liederhand-
schrift bei G. Könnecke, Deutscher Literatur-Atlas, S. 11, Marburg, Eiwert
~9°9- 4) da? vogellin. — M da — 6) vil der gedanke. — 7) wartete. —
8) über. — 9) vgl. S. n6, Str. 13 u. 14, und S. 320 des Lesebuches. —
10) einen. 11) warum nicht? — 12) auch ich begehrte ihrer Trauten
nicht, den Trauten einer von ihnen.
21
324 ^ ^ ^ ^ Egg» Egj? Rgjt Rgj? I^tR Cggj? taff 1^1? KLÄ-
VI. Her Friderich von Husen1).
(Gest. 6. Mai 1190.)
Si darf mich des zihen niet,
ichn hete si von herzen liep.
des mohte si die warheit an mir
sehen,
und wil sis jehen.
5 ich kom sin dicke in solhe not,
da? ich den hüten guoten mor-
gen bot
engegen der naht.
ich was so verre an si verdäht2),
da? ich mich underwilent niht
versan,
10 und swer mich gruo?te, das; ichs
niht vernan3).
Mir ist da? herze wunt
und siech gewesen nu vil lange
(deis reht: wan e? ist tump),
sit?5) eine frowen erst be-
hände, —
24.
Ich sihe wol, da? got wunder
kan
von schoene würken ü?er7) wibe.
da? ist an ir wol schin getan:
wan er verga? niht an ir übe.
5 den kumber, den ich von ir lide,
den wil ich vil gerne hän,
zediu da?8) ich mit ir belibe
und al min wille sül ergan.
min frowe sehe, wa? si des tuo:
10 da stät dehein scheiden9) zuo.
Min herze unsanfte sinen strit
lat, den e? nu mange zit
behabet wider da? aller beste
wip,
der ie min lip
muo? dienen, swar ich iemer 15 <
var.
ich bin ir holt: swenn ich vor
gote getar,
so gedenke ich ir.
da? ruoch ouch er vergeben mir:
wan ob ich des Sünde süle hän,
zwiu4) schuof er si so rehte wol 20 0
getan ?
23.
der o) heiser ist in allen landen 5
hust er si zeiner stunt
an ir vil röten munt,
er jaehe, e? waere im wol er-
gangen.
Si gedenke niht, deich si der
man,
der si ze kurzen wilen10) minne.
ich hän von kinde an si verlän
da? herze min und al die sinne,
ich wart an ir nie valsches inne, I5öt
sit ich si so liep gewan.
min herze ist ir ingesinde,
und wil ouch staete an irbestän.
min frowe sehe, wa? si des tuo:
da stät dehein scheiden zuo. 2002
1) oberrheinischer Ritter, Vertrauter Friedrich Barbarossas, fiel auf
dem zweiten Kreuzzug bei Philomelium. — 2) s. verdenken. — 3) vernam.
— 4) ze wiu: warum. — 5) seit es. — G) derjenige, welcher. — 7) u? der.
— 8) zu dem daß, auf daß, damit. — 9) deuten; da gibt’s weiter nichts zu
deuten, auszulegen. — 10) vgl. „Lied des Westfalen“ von E. Rittershaus:
„Und unsre Frauen, unsre Mädchen Mit Augen blau wie Himmelsgrund, Sie
spinnen nicht die Liebesfädchen Zum Scherz nur für die müßge Stund!"
--»Kr--
^i? Viga KLîr Cgi? Egg? Cgi? ta? cgi? tat taR Cgi? 325
\
VII. Her Heinrich von Veldegge1).
(um 1180.)
25.
Tristrant2) muoste sunder
danc3)
stæte sin der küneginne,
wand in poisün4) dar zuo
twanc5),
mère dan diu kraft der minne.
5 des soi mir diu guote danc
wi??en, da? ich niene gedranc
alsulhen win, und ich si minne
ha? dann er, und mac da? sin.
wolgetâne,
no valsches âne,
lâ mich wesen din,
unde wis du min.
Man seit al für wär
nu manic jâr,
diu wîp ha??en grâwe? hâr.
da? ist mir swâr;
! 5 und ist ir missepris,
diu lieber habet ir âmîs
tump danne wis.
26.
Sit diu sunne ir liebten schin
, gegen der kelte hat geneiget
und diu kleinen vogellin
ires sanges sint gesweiget,
trüric ist da? herze min: 5
wan e? wil nu winter sin,
der uns sine kraft erzeiget
an den bluomen, die man siht
liehter varwe0)
erbleichet garwe7); io
da von mir geschiht
leit, und liebes8) niht.
27.
Diu me noch diu min9),
da? ich gra bin,
ich ha??e an wiben kranken sin, io
diu niuwe? zin
nement für alte? golt.
si jehent, si sin den jungen holt
durch ungedolt.
VIII. Her Albreht von Johansdorf10).
(um 1190.)
28.
Min erste liebe, der ich ie be-
gan,
diu selbe muo? an mir diu leste
sin n).
an vröiden ich des12) dicke
schaden han.
iedoch so ratet mir da? herze
min.
!) Heinrich von Veldeke, ein Ritter vom Niederrhein, aus der Nähe von
Maastricht; Epiker („Aeneide“) und Lyriker, vgl. S. 296 des Lesebuches. —
2) Tristan, Isoldens Geliebter, vgl. S.298 des Lesebuches. — 3) wider Willen.—
4) frz. poison; der Liebestrank. — 5) s. twingen. — 6) Gen., abh. von er-
bleichet. — 7) ganz und gar. — «) Gen., abh. von niht. — 9) diu me: um so
mehr, diu min: um so weniger. Der Dichter lehnt persönliches Interesse
an seinen Ausführungen ab. Anders Walther von der Vogelweide: Kumt ein
junger ieze dar, so wird’ ich mit twerhen ougen schilhend’ an gesehen. —
10) bayrischer Ritter. — n) Volksweise: Du bist meine erste Liebe, meine
letzte sollst Du sein! — 12) davon, deshalb.
J
326 ^ ca? gags? ta? pgi? ta? t^i? r-sr- Ra? ta?
5 solde ich minnen mer dan eine, söne minnet1) ich deheine.
da? enwaere mir niht guot: seht, wie maneger e? doch tuot.
29.
Ich han dur2) got da? kriuze an mich genomen
und var da hin durch mine missetat.
nu helfe er mir, ob ich her wider körne,
ein wip, diu grö?en kumber von mir hat,
5 da? ich si vinde an ir eren:
so wert3) er mich der bete gar.
sül aber si ir leben verkeren,
so gebe got, da? ich vervar4).
30.
Swer minne minnecliche treit
gar âne valschen muot,
des Sünde wirt vor gote niht
geseit.
si tiuret unde ist guot.
5 wan5) sol mîden bœsen kraue
und minnen reiniu wip.
tuo er? mit triuwen, so hab
iemer danc
sin tugentlicher lip.
künden si ze rehte beidiu sich
bewarn,
für die wil ich ze helle varn. io o
die aber mit listen wellent sin,
für die wil ich niht vallen.
ich meine die dâ minnent âne
gaben,
als ich mit triuwen tuon die
lieben vrouwen min,
IX. Her Heinrich von Morungen6).
(um 1190.)
Sach ieman die frouwen,
die man mac schouwen
in dem venster stän?
diu vil wolgetäne
5 diu tuot mich âne
sorgen, die ich han.
31.
si liuhtet, sam der sunne tuot
gegen dem liebten morgen,
e was si verborgen:
do muoten7) mich sorgen: 10t
die wil ich nu lan.
i) Konjunktiv. — 2) dur got: um Gottes willen. — 8) s. wem (m. Gen):
gewähren. — 4) s. vervarn. — 5) alemannische Nebenform für man. —
6) thüringischer Ritter aus der Gegend von Zangerhausen. — 7) s. müejen.
Kgj? ta? Kgi? Pgj? KLL- Rgit CagiR feS? 327
Ist ab ieman hinne,
der sine sinne
her behalten habe?
5 der ge nach der schönen1),
diu mit ir krönen
gie von hinnen abe;
da? si mir ze tröste körne,
e da? ich verscheide:
diu liebe und diu leide
die wellen mich beide
fürdern hin ze grabe.
Prouwe, wilt du mich genern,
so sich3) mich ein vil lützel an.
lehn mac mich langer niht er-
wern,
den lip muo? ich verloren hän.
ich bin siech, min herze ist
wunt.
frouwe, da? hant mir getan
min ougen und din röter munt.
Frouwe, mine swaere sich,
e ich Verliese4) minen lip.
Man sol schriben kleine
reht üf dem steine,
der min grap bevät2), 25
wie liep si mir waere,
und ich ir unmaere;
swer dan über mich gat,
da? der lese dise not
und gewinne künde 30
der vil grö?en Sünde,
die si an ir Fünde
her begangen hat.
32.
ein wort du spraeche5) wider io
mich:
verkere da?, du saelic wip.
du sprächest iemer: neinä nein,
neinä neinä neinä nein:
da? brächet mir min herze en-
zwein.
mäht du doch etswan sprechen: 15
jä',
jä jä jä jä jä jä jä?
da? lit,!) mir an dem herzen nä.
33.
Mirst geschehen als eime kindeline,
da? sin schoene? bilde in eime glase gesach,
unde greif dar nach sin selbes schirre
so vil, bi? da? e? den Spiegel gar zerbrach.
5 dö wart al sin wünne ein leitlich ungemach.
also dähte ich iemer frö ze sine,
do ich gesach die lieben frouwen mine,
von der mir bi liebe7) leides vil geschach. i)
i) schoenen. — 2) s. bevähen. — 3) s. sehen. — 4) Konjunktiv. —
5) sprachst. — 6) ljget. — 7) neben, außer der Liebe.
J
I
328 ^ ^ Kgj? Pg¥? cgj? CsSÜ? ta? ta? Rgj? ca? Cagj?
X. Her Reinmar1).
(um 1190.)
34.
So wol dir, wipi) 2), wie reine ein nam!
wie sanfte er doch z’erkennen und ze nennen ist!
e? wart nie niht so lobesam,
swä du? an rehte güete leerest, so du bist.
5 din lop mit rede nieman wol vollenden kan.
swes du mit triuwen phligest wol, der ist ein saelic man
und mac vil gerne leben.
du gist al der werlte höhen muot:
mäht och mir ein wenic fröide geben?
35
Si jehent, der sumer der si hie,
diu wurme diu si körnen,
und da? ich mich wol gehabe
als e.
nu rätent unde sprechen! wie.
5 der tot hat mir benomen,
da? ich niemer überwinde me.
wa? bedarf ich wunneclicher zit,
sit aller vröuden herre Liutpolt3)
in der erde lit,
den ich nie tac getrüren sach?
10 e? hat diu Werlt an ime verlorn,
da? ir an manne nie
so jaemerlicher schade ge-
schach.
‘Mir armen wibe was ze wol,
dö ich gedähte an in
und wie min heil an sime libe lac. ist
da? ich des nu niht haben sol,
des gät mit sorgen hin
swa? ich iemer me geleben mac.
miner wurmen Spiegel derst
verlorn.
den ich mir bete ze sumerlicher afe
ougenweide erkorn,
des muo? ich leider aenic sin.
dö man mir seite er waere tot,
zehant wiel4) mir da? bluot
von herzen üf die sele min.
Die fröude mir verboten hat 2S ;
mins lieben herren tot
also, da? ich ir mer5) enberen 1
sol.
sit des nu niht mac werden rät, ,
i) Reinmar der Alte, ein Elsässer, die „Nachtigall von Hagenau", vgl. .1
S. 297 des Lesebuches; K. Burdach, Reinmar der Alte und Walther von n
der Vogelweide. Ein Beitrag zur Geschichte des Minnesangs, Leipzig,
Hirzel 1880; vgl. „Miniatur“ bei Könnecke, a. a. O. S. 11. — Lies: J. V. .1
von Scheffel, Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens aj
Zeit, S. 34—42: Reinmar der Alte, Stuttgart, Bonz 1902 (19. Ausl.). —
2) s. S. 346, Nr. 8. — 3) Herzog Leopold V. von Österreich starb 1194;
Reinmar hatte ihn auf der Kreuzfahrt von 1190 begleitet. Die Klage um m
den Toten ist einer Frau in den Mund gelegt, s. vs. 13. — 4) s. wallen, .n
— 5) ferner, in Zukunft.
X^Sii pgj? k-Ld ca? Rgj? Rgjt Kgs? Kgl? i^i? ta? VzSH t^i? r-s»r 329
in 1) ringe mit der not,
da? mir min klagede?2) herze
ist jämers vol,
diu in iemer weinet da? bin ich,
wan er vil saelic man ja tröste3)
er wol ze lebenne mich.
der ist nu hin. wa? töhte4) ich 35
hie?
wis ime genaedic, herre got:
wan tugenthafter5) gast
kam in din ingesinde nie.’
36.
Höhe alsam diu sunne6) stet da? herze min:
da? kumt von einer frouwen, diu kan staete sin
ir genäde7), swä si si.
si machet mich vor allem leide fri.
5 Ich hän ir niht ze geheime wan min selbes lip;
derst ir eigen, dicke mir diu schoene git
fröide und einen hohen muot,
swann ich dar an gedenke, wies8) mir tuot.
Wol mich des da? ich si ie so staete vant!
io swä si wonet, diu eine liebet mir da? lant.
füeres über den wilden se9),
dar füere ich hin: mir ist nach ir so we.
Het ich tüsent manne sin, da? waere wol,
da? ich si behielte, der ich dienen soll
15 schone und wol si da? bewar,
da? mir von ir niht leides widervar.
Ich enwart nie rehte saelic wan von ir.
swes ich ir gewünschen kan, des gan10) si mir.
saeleclich e? mir ergie,
20 do mich diu schoene in ir genäde vie.
37.
Min ougen wurden liebes also vol,
do ich die minneclichen erst gesach,
da? e? mir hiute und iemerme tuot wol.
ein minnecliche? wunder do geschach:
5 si gie mir alse sanfte dur min ougen,
da? si sich in der enge niene stie?.
') daß ich nicht. — 2) klagende?. — 3) tröstete. — 4) s. tugen. —
5) Komparativ. — 6) s. S. 342, Nr. 4, 6. — 7) Gen., abh. von staete:
beständig, unveränderlich in ihrer Gunst. — 8) wie si. — 9) vgl. Psalm 90:
„Führe ich gen Himmel ...."— 1») s. gunnen.
J
in minem herzen si sich nider lie?:
dâ trage ich noch die werden1) inne2) tougen.
La stân 3), la stân ! wa? tuest du, sælic wip,
io da? du mich heimesuochest an der stat,
dar sô gewalteclîche wibes lip
mit starker heimesuoche nie getrat?
genäde, frowe! ich mac dir niht gestriten.
min herze ist dir ba? veile danne mir:
15 e? solde sin bi mir; nust e? bi dir:
des muo? ich üf genäde lones biten.
XI. Her Hartman von Ouwe4).
(um 1200.)
Min dienest der ist alze lanc
bi ungewissem wäne :
wan nach der ie min herze
ranc5),
diu lat mich trôstes âne.
5 ich möhte iu klagen
und wunder sagen
von maneger swæren zit.
sit ich erkande ir strit,
sit ist mir gewesen vür war
io ein stunde ein tac, ein tac ein
woche, ein woche ein
ganze? jar.
38.
Owe wa? taetes6) einem man,
dem si doch vient wsere,
sit si so wol verderben kan
ir friunt mit maneger swaere?
mir taete ba?
des riches ha?:
ja möhte ich eteswar
entwichen siner schar:
diz leit wont mir alle? bi
und nimt von minen fröiden 22
zins als ich sin eigen si.
39.
Dem knuze zimt wol reiner
muot
und kiusche site:
so mac man saelde und alle?
guot
erwerben mite.
5 ouch ist e?7) niht ein kleiner
haft
dem tumben man,
der sime libe meisterschaft
niht halten kan.
e? wil niht, da? man si
der werke drunder fri8):
wa? touc e? üf der wät9),
ders an dem herzen niene hat? ?
1) s. wert. — 2) da . .. inne. — 3) halt ein! — 4) vgl. S. 235 und 295 ^
des Lesebuches; Franz Saran, Hartmann von Aue als Lyriker, Halle 1889. .
— 5) s. ringen. — 6) taste si. — 7) da? kriuze. — §) ungebunden im Handeln. .
— 9) die Kreuzfahrer hatten das Kreuz als Abzeichen auf dem Gewände. • .3
Q/ c
e-gj? Cgj? t^i? Kgl? ta? tan taff Cagj» cgi? pgj? pgj^ Cgj? 331
Nüzinsent^ritter^uwer leben
und ouch den muot
durch in, der iu da hat gegeben
lip unde guot!
swes schilt ie was zer werlte
bereit
üf höhen prls 2),
ob er den gote nü verseit3),
der ist niht wis.
wan swem da? ist beschert,
da? er da wol gevert4),
dar; giltet5) beidiu teil,
> der werlte lop, der sele heil.
Diu werlt mich lachet triegent
an
j und winket mir.
i nü hän ich als ein tumber man
; gevolget ir.
) der haken6) hän ich manegen
tac
zgeloufen nach:
da niemen staete vinden mac,
dar was mir gäch.
nü hilf mir, herre Krist,
der7) min da värend8) ist,
da? ich mich dem entsage 35
mit dinem zeichen, deich9) hie
trage.
Sit mich der tot beroubet hat
des herren 10) min,
swie nü diu werlt nach im ge-
stät,
da/, lä?e ich sin. 40
der fröide min den besten teil
hat er da hin,
und schliefe ich nü der sele heil,
da? waere ein sin.
mag ime ze helfe körnen 45
min vart, diech u) hän genomen,
ich wil irrn12) halber jehen13).
vor gote müe?e ich in ge-
sehen.
40.
Ich muo? von rehte den tac iemer minnen,
dö ich die werden von erste erkande,
in süe?er zühte, mit wiplichen sinnen,
wol mich da? ich den muot ie dar bewände!
5 da? schät14) ir niht und ist mir iemer guot,
wand ich ze gote und zer werlte den muot
deste ba? dur ir willen 15) bekere:
sus dinge ich, da? sich min fröide noch mere.
Ich schiet von ir, da? ich ir niht enkunde
io bescheiden, wie ich si meinde16) in dem muote.
sit fuogte mir ein vil saeligiu stunde,
') gebt als Zins, opfert! — 2) Ruhm. — 3) versaget. — 4) s. gevarn. —
(’) gät, trägt ein. — 6) der (Gen.) haken: deren (der Welt) Angelhaken
äKöder, Verführung). — ?) der . . . deme. — «) s. vären (m. Gen.): einem
siiachstellen. — 3) da? Rh. — io) des herren 'ze Ouwe’, dessen freier Dienst-
mann Hartmann war. — n) die ich. — 12) ir im: ihrer ihm. — 13) zur
Hälfte, halb zusprechen. — 14) schadet. — 15) um ihretwillen. — 1C) meinte,
-- Wb.; vgl. „Freiheit, die ich meine.“
I
332 ^ k-Sd ta? ta? C^gur ta? ta? pgj? [ai? Pag»? Cagj? Pgi? ra?
da? ich si vant mir ze heile ane huote.
dö ich die werden mit fuoge gesach,
und ich ir gar mines willen verjach,
15 da?npfie4) si mir so da? irs got iemer löne.
si was von kinde2) und muo? me sin min kröne.
Sich mac min lip von der guoten wol scheiden:
min herze, min wille muo? bi ir beliben.
si mac mir leben und fröide wol leiden,
20 da bi alle mine swaere vertriben;
an ir lit beide min liep und min leit;
swa? si min wil3), deist ir iemer bereit:
wart ich ie vrö, da? schuof niht wan ir güete.
got si, der ir lip und ir ere behüete.
41.
Maneger grüe?et mich also
(der gruo? tuet mich ze ma?e
frö),
‘Hartman, gen wir schouwen
ritterliche frouwen.’
5 mac er mich mit gemache län4)
und ile er zuo den frowen5) gan!
bi frowen trüwe ich niht ver-
van,
wan da? ich müedevor in stau.
Ze frowen habe ich einen r
sin:
als si mir sint als bin ich in; ;
wand ich mac ba? vertriben
die zit mit armen wiben.
swar ich kum, da ist ir vil,
da vind ich die, diu mich da £
wil;
diu ist ouch mines herzen spil: :i
wa? touc mir ein ze höhe? zil? ?J
In miner törheit mir geschach,
da? ich zuo zeiner frowen sprach:
‘frowe, ich han mine sinne
20 gewant an iuwer minne.'
dö wart ich twerhes an gesehen,
des wil ich, des si iu bejehen,
mir wip in solher ma?e spehen,
diu mir des niht enlänt6) geschehen.
da? enpfie, s. enphähen. — 2) von Kindheit an. Sie war schonnoi
immer meine Herzenskönigin (min kröne) und wird es in Zukunft sein.----
3) von mir will. —- 4) in Ruhe lassen. — s) beachte den Unterschied zwischemsr
frowe und wip. — 6) s. län, lä?en.
stillen Herd zur Winterszeit,
Wenn Haus und Hof mir eingeschneit,
Wie einst der Lenz so lieblich lacht',
Und wie er bald wohl neu erwacht',
Ein altes Buch, vom 5lhn vermacht,
Gab das mir oft zu lesen:
Herr Walther von der vogelweid',
Oer ist mein Meister gewesen.
Nichard Wagner, Meistersinger
(Walther von Ltolzing).
3$
lr reinen wip, ir werden man,
ez, stet also, daz; man mir muo^
er’ unde minneclichen gruo^
noch volleclicher bieten an.
Walther von der Vogelweide.
M W W O- O- W K O- K O- D, M
^ ^P ™p *<p ^P ^p
Walther von der Pogelweide.
(begann um 1187 „5u singen und zu sagen".)
Das Beste, was er darstellt, ist er selbst: ein
Mensch, wie man ihn zum Freunde wünscht.
Wilhelm Scherer.
öl. Rede2) bei Enthüllung des Denkmals Walthers.
i*in wunderbares einziges Fest begehen wir am heutigen Tage.
Einem Dichter deutscher Lieder wird mehr als siebenhundert
Jahre nach seiner Geburt in dieser Sübtiroler Stabt Bozen ein 5tand-
l bild errichtet durch ein ganzes Land. Neinem anderen Dichter unseres
Mittelalters ist solche Ehre geschehen. Denn das Bild Wolframs 5
i von Eschenbach im fränkischen Markte gleichen Namens widmete dem
Dichter des parzival ein einzelner königlicher Verehrer, hier aber * I
1) ,,Walther von der vogelweide, ein altdeutscher Dichter, geschildert von
l Ludwig Uhland 1822, in Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage,
l Bd. 5, 5. 1—109, Stuttgart 1870’." — Friedrich Theodor vischer sagt in seiner
1 Abhandlung über Uh land (Kritische Gänge, Neue Folge, Heft 4, S. 164):
, „Ulan kennt den Wert seiner Monographie Walthers von der vogelweide
ödem er wie ein Bruder verwandt war." — W. Wilmanns, Leben und
I Dichten Walthers v. d. v., Bonn, 1882. — U. Burdach, Waltherv. d. v. philo-
I logische u. historische Forschungen. Teil 1. Leipzig, 1900 (vgl. auch K. Burdach,
lNeinmar der Alte und Walther v. d. v. Leipzig 1880). — fl. E. Schönbach,
lWalther v. d. v. Ein Dichterleben, Berlin, 1894 (Sammlung „Geisteshelden",
ZBd. 1). — Edward Sam Haber, Walther v. d. v., Laibach, 1882. — vgl-
»(ferner: Scherer, das geistige Leben (Österreichs im Mittelalter, in „Vorträge
uund Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich,
IBerlin, 1874. — Scherer, Geschichte der Deutschen Literatur, 11. Auf!., 1908,
3S. 197 ff. — Biese, Deutsche Literaturgeschichte, I (1907), S. 159 ff. — 2) zu
'IBozen am 15. September 1889 gehalten von Karl Weinhold (vgl. „Archiv
iifür das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Sahrg. 44, Band 84,
LS. 115 ff., 1890).
33G ^ ^ C^gnV Eagj? t^gjr Rgj? RgR t^gjft tat ta? ksLLr
ist heute ganz Tirol zusammengeströmt, und von weit her sind sie
gekommen aus den anderen österreichischen Landen, aus dem Deut-
schen Reich und selbst aus der Schweiz, um Herrn Walther von der
Dogelweide in dem Marmor, den sie gespendet, zu grüßen und ihm
5 jubelnd zuzurufen: „Du bist unser!"
worin ist das gegründet?
Darin ist der heutige Tag gegründet, daß in Walther von der
Vogelweide das ewig Menschliche und das eigentlich Deutsche unserer
Poesie leiblich vor uns tritt, der Poesie aus der Zeit unserer alten
10 Kaiser von dem staufischen Geschlecht, die wir uns vorstellen als herr-
liche, königliche Helden mit großem Geiste und mächtigem Schwerte,
als Kaiser des Abendlandes, über das sie von Dänemark bis Sizilien,
von Ungerland bis nach Frankreich hinein geboten haben.
Dieser staufische Glanz umleuchtet auch die Stirn Walthers, der
15 im Dienste jener großen Kaiser stund mit dem Pfunde, das Gott ihm
verliehen hatte durch Gedanken und Worte in Lied und Spruch. Er
steht vor uns als der streitbare Geistesritter jener alten Kaiserzeit, der
für die Krone und das Volk in Treue wachte und wirkte, stritt
und litt.
20 Herr Walther war ein frommer Mann, der seinen Morgen-
segen nicht vergaß, der einen Kranz duftiger Blüten zu den Füßen
der heiligen Jungfrau niederlegte, der die Gottesfahrt in das heilige !
Land und den Kampf um das heilige Grab als höchstes Glück des <
sündigen Menschen pries und die Kreuzfahrt wohl auch selbst ge- -
25 tan hat.
Herr Walther war ein deutscher Mann, der am vaterlande s
mit glühender Liebe hing, der die deutschen Männer als die besten,
die deutschen Frauen als die sittigsten und schönsten der Erde pries,
ein deutscher Mann, der sich nicht im Winkel barg, wenn der Ruf ß
30 erschallte: „hie Welf, hie waibling!", ein Mann, der im Kampfe $
des Tages eine große geistige Macht geworden war,' denn seine Lieder 7?
griffen an herz und Nieren und teilten mit scharfem Lichte den politi- -j
schen Nebel.
Herr Walther war ein Dichter auch und Sänger der 7Z
35 schönsten Lieder. Das Mädchen, das er mit dem Feldrosenkranz xr
schmückte, die hohe Frau, derer die Kleinode seiner Kunst darbrachte,.
sind unsterblich geworden. Seine Liebeslieder sind süß und sanft, .tj
Nber er war auch ein Dichter der Männer: ein strafender und ör
zürnender, ein rügender und lehrender Dichter, der hoch und niedrig gj-
Rgi? Cggi? Kgi? Egg? Egg? Egg? Egg? Egi? Rgi? t^i? Egg»? Cgi? Egg? ZZ^
ohne Furcht und Tadel das Gute und Rechte wies und Zucht und
Sitte, Ehre und Tugend vom Könige forderte wie vom schlichten
Manne.
Nachdem Walther von der vogelweide aus der heiteren öster-
reichischen Jugendzeit in das bewegte, ernste Leben hinausgetreten
i war, ist er ein Kämpfer und Ringer gewesen um Gut und Ehre.
Vieser Kampf hat ihn durch die Lande getrieben mit seltener Rast,
r mit geringem Gut, gefeiert und geliebt, aber auch gehaßt und ge-
t täuscht, wie das Menschenlos fällt. Er saß in den Höfen der Könige
l und auf den Burgen der Neichsfürsten, aber er blieb ein Gast und
l wäre so gern ein Wirt gewesen am eigenen kleinen, aber freien Herde.
heimatlos zog er lange, lange Jahre zwischen Mur und Seine,
[ Po und Trave hin und her, bis sein verlangen nach dem eigenen
I Hause, als er ein grauer Mann geworden, von Kaiser Friedrich II.
s erfüllt ward.
Sn Würzburg am Main, im Kreuzgange des Neumünsters, sind
I nach der Ehronik seine Gebeine zu Staub und Erde geworden. Rber
sein Geist ist unsterblich, und er ruht auf dem Volke, das
s er liebte, und auf dem Reiche, für das er gestritten hat.
Seine Heimat aber hat er vom heutigen Tage in
ö dieser schönen Stadt Bozen.
Kein Pergament bezeugt urkundlich, daß Walther von der vogel-
II weide als Kind dieses herrlichen Landes geboren ist. Nur die Sage
hat sich um den Vogelweidhof am Lapener Rieb1) als seine Geburts-
tj statte gewoben.
Rber die Männer vom Eisack und von der Etsch haben ihn seit
C Jahren als ihren Landsmann gefordert und ihm das heimatrecht
d aus freiem willen erteilt. Vas schöne Marmorbild, das über uns
)l leuchtet, das ein reichbegnadeter Tiroler Künstler, Heinrich Natter,
ls erdacht und geformt hat, ist der heimatschein für Walther von der
vogelweide als Sohn von Tirol, als Landsmann der tapferen Männer,
iö der warmherzigen Frauen und der holden Mägdlein dieser Grafschaft.
Ihr Männer von Tirol habt Walthers Bild hier in Bozen auf-
>6 gestellt, wo deutsches und welsches Wesen nahe aneinander grenzen.
Ihr habt gewußt, was ihr getan.
Eisacktal; vgl. die Abbildung des oberen Vogelweidhofs in G. Könnecke's
j2 Literatur-5ltlas, 5. 19, Marburg 1909.
Lier mann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch. 22
5
10
15
20
25
30
35
338 cg?»» Eg»? g^giv r-LTr Pigrr c^LLr r^rr kLL? KSL- kLÄ- r^sr l^-d
Der deutsche Mann, der Ritter vom Geist und vom
Schwert, Walther von der vogelweide, soll ein Markwart
sein deutscher Sprache, deutscher Sitte, deutscher Ehre!
Mir begehren nicht des fremden Hauses und Gutes,' aber wir
5 wollen den eigenen Herd, auf dem die Flamme deutschen Geistes
lodert, hüten, daß er nicht verrückt und zerschlagen werde.
wir sinnen nicht aus Raub und Einbruchs aber was unser ist
von den Vätern her, wollen wir verteidigen bis auf den letzten Bluts-
tropfen.
10 Ihr Männer von Tirol gelobet heute am Standbilde Walthers
von der Vogelweide, daß diese Berge und diese Täler deutsch bleiben
sollen, und ihr Frauen stimmt mit ein, denn ihr seid die Hüterinnen
des deutschen Hauses.
So empfang, Herr Walther von der vogelweide, dieses
io Gelöbnis!
Empfang auch, du Bild von Marmelstein, die geistige
Weihe!
Sei ein Wahrzeichen dieser Stadt!
Der reichste Segen strahle von dir in diese Sande!
20 Wasser des Lebens rausche aus diesem Brunnen!
Friede und Reichtum, Tugend und Ehre, Sitte und
Glaube blühen allezeit in Tirol!
Des walte Gott!
Cagj? Egä? C¿£i? C¿gp? C¿gi? C¿gj> kLd Eg¥? Eénft C^i? Cg»? ZZg
1. Jj&in Spielmartn zog gen
Tegrinsee-),
Den sah ich vom Rosse steigen,
Es lief sein Roß in den grünen
Rlee,
Er griff nach seiner Geigen.
2. Er ließ sich nieder auf einen
Stein
Unter der blühenden Linden,
Er stützt das Haupt in die
Hände sein,
Rls wollt' er Tiefes ergründen.
> 3. Ihn kümmert die Welt und
ihre Rot,
Vas hält sein herz gefangen;
Venn Recht ist wund, und Zucht
ist tot,
Und Ehre ist zergangen.
^ 4. Es ist zerwühlt das deutsche
Reich
Wie Meer von allen Winden.—
„Wie soll bei solchem Unge-
mach
Mein herz noch Freude finden?
Und dennoch - käm' ich nimmer
fürwahr
Zu End' mit meinem Leide:
Ich müßt' mich schämen ganz
und gar
vor der blumigen Heide!
6. Die blüht ja auch, und der
Himmel lacht -
Ohn' Freude tauget keiner!
Ich hab so manchen schon froh
gemacht,
Bin doch der Werten einer!
7. 5o will ich denken an roten
Mund,
Rn Frauen-Lchöne und -Güte,
Die löschet das Trauern zu jeder
Ltund'
Und lichtet jedes Gemüte."
8. va griff er nach seinem Laiten-
spiel:
„Frau Minne, dich will ich
grüßen!"
Es horchten zu Häupten der
vöglein viel,
Es horchten die Blümlein zu
Füßen.
62. Berr Walther.1)
(1209.)
5.
9. Wer war der Länger — wie hieß sein Lied?
Das will ich dir treulich künden:
Herr Walther von der vogelweid',
hier sang er — „Unter den Linden".
i) Hochlandslieder von Karl Stieler. 10. flufl. Stuttgart, Bonz 1899,
2 S> 54 (flus dem Oichlus „Unter der Linde"). — -) Tegernsee in ©berbaqerrt.
22*
b3. Her Walther uon der Vogelweide.
A.
Lieder
Erster Begegnen.
Wol mich der stunde, da? ich sie erkande2),
diu mir den lip und den muot hat betwungen,
Sit deich3) die sinne so gar an sie wände,
der si mich hat mit ir güete verdrungen.
5 Da? ich gescheiden von ir niht enkan,
da? hat ir schoene und ir güete gemachet,
und ir röter munt, der so lieplichen lachet.
Ich hän den muot und die sinne gewendet
an die reinen, die lieben, die guoten.
io Da? müe?’ uns beiden wol werden volendet,
swes ich getar4) an ir hulde gemuoten.
i) Text und Reihenfolge der „Lieder“ und „Sprüche“ nach der Text-
ausgabe von W. Wilmanns, 2. Ausgabe, Halle, Waisenhaus 1905. —
Karl Lachmann, Gedichte Walthers v. d. V., 1. Ausl. 1827, 7. Ausl., bes.
v. C. v. Kraus, Berlin, Reimer 1907. — W. Wilmanns, Walther v. d. V., ,
herg. und erklärt, Halle, Waisenhaus 1883. — Frz. Pfeiffer, Walther :
v. d. V., 6. Ausl., bes. von K. Bartsch, Leipzig, Brockhaus 1880. — Fr. Pfa ff,
Der Minnesang des 12. bis 14. Jahrhunderts, Abt. 2: Walther v. d. V. (D.
N. L. 8, 2). — K. Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahr- -■
hunderts. 4. Ausl., bes. v. W. Golther, Berlin, Behr 1906. — H. Paul, ,
Walther v. d.V. Gedichte. 3. Ausl., Halle, Niemeyer 1905. — Schulausgaben: :
R. Bechstein (Cotta), O. Günter (Göschen), K. Kinzel (Halle, Waisenhaus). —
Übersetzungen und Nachdichtungen: K. Simrock (Ausgew.
Werke, herg. von G. Klee, Bd. XI, Leipzig, Hesse 1907). — A. Schröter, .1
Jena, Costenoble, 1881. — R. Zoozmann, Stuttgart, Greiner u. Pfeiffer, ,1
1907 (Sammlung „Bücher der Weisheit und Schönheit“). — Schulaus- -g
gaben: Eitner (Ehlermann), Legerlotz (Velhagen u. Klasing), Samhaber 1:
(Freytag). — Zur Kulturgeschichte: A. Zehme, Kulturverhält-
nisse des deutschen Mittelalters. Im Anschluß an die Lektüre. 2. Ausl. .!)
Leipzig, Freytag. — J. Dieffenbacher, Deutsches Leben im 12. u. 13. Jahrh, .d
Realkommentar . . . zum Minnesang. (Göschen.) — L. Peschei, Die kultur- -a
historischen Momente in der Dichtung Walthers v. d. V., Progr. Malchin, ,n
1876. — Zur Waltherlektüre: A. Matthias, W. v. d. V. in Prima („Aus gjj
Schule, Unterricht und Erziehung“, Ges. Aufs. München, Beck, 1901). — —-
L. Steinberger, Horaz und W. v. d. V., in der „Zeitschrift für die österr. ;.n
Gymn., LVII, 1906, S. 193 ff. — 2) kennen lernte. — 3) sit deich (da? ich): :(r
seitdem ich. — 4) s. geturren.
Eg»? Kgl? Egi? Egi? tagi? Pgi? k^ST? Rgi? t^i? CiSI» CgS? ta? Cgi? 341
Swa? ich ie fröuden *) zer werlde gewan,
da? hat ir schoene und ir güete gemachet,
und ir röter munt, der so lieplichen lachet.
2. Iugendlehren.
^¡ieman kan mit gerten
kindes zuht heberten:
den man z’eren bringen mac,
dem ist ein wort als ein slac.
5 Dem ist ein wort als ein slac,
den man z’eren bringen mac:
kindes zuht heberten
nieman kan mit* gerten.2)
Hüetet iuwer zungen:
b da? zimt wol den jungen.
I2 stö? den rigel für die tür,
3I lä kein boese wort dar für.
J Lä kein boese wort dar für,
Ja stö? den rigel für die tür:
,b da? zimt wol den jungen,
d hüetet iuwer zungen.
Hüetet iuwer ougen
to offenbare und tougen,
ßl lat si guote site spehen
[U und die boesen übersehen,
j Und die boesen übersehen
Li lat si, guote site spehen;
lo offenbare und tougen
iri hüetet iuwer ougen.
Hüetet iuwer ören, 25
oder ir sit tören.
lat ir boesiu wort dar in,
da? guneret3) iu den sin.
Da? guneret iu den sin,
lat ir boesiu wort dar in; 30
oder ir sit tören,
hüetet iuwer ören.
Hüetet wol der drier
leider alze frier.
zungen ougen ören sint 35
dicke schalchaft4), z’eren blint.
Dicke schalchaft, z’eren blint,
zungen ougen ören sint.
leider alze frier
hüetet wol der drier5). 40
!) Gen. Plur., abh. von swa?. — 2) jn der Form des „Palindroms“
/1) (Rücklauf) gedichtet, vielleicht vorgetragen in einem Kreise von Knappen,
>ibdie einem Hofe zur Ausbildung überwiesen waren. — 3) ge-un-eren: ver-
nuunehren. — 4) schalc-haft: boshaft. — °) vgl. zu dem Grundgedanken des
jDGedichtes Sprüche Salomonis 17,10 und 4,20 ff.
r>42 ^ ^ ^ rs-d Eagj? pg»? Rgj? taff Egg5> Kgj? pgj? Rg»? ^gi?
3. Zriihlingrlied.
Der rife tet den kleinen vogelen we,
das; si niht ensungen.
Nü hoere ichs1) aber wünnecliche als e,
nu ist diu beide entsprungen.
5 Da sach ich bluomen striten wider den kle,
weder ir lenger waere.
miner frouwen sende ich disiu maere.
Uns hat der winter kalt und ander not
vil getan ze leide.
io Ich wände, daz, ich iemeri) 2) bluomen röt
gesaehe an grüener beide.
Joch3) schatte4) ez guoten liuten, waere ich tot,
die nach fröuden rungen
und die gerne tanzten unde sungen.
15 Versümde ich disen wünneclichen tac,
so waer’ ich verwä^en5),
Und waere mir ein angeslicher slac:
dennoch 6) müese ich lä^en
Al mine fröude, der ich wilent pflac.
20 got gesegen iuch alle:
wünschet noch7), da^ mir ein heil gevalle.
4. Liebessrühüng.
Ich bin nü so rehte frö,
da^ ich vil schiere wunder tuon beginne.
Swenne ez, sich gefüeget so,
daz, ich erwirbe miner frouwen minne,
5 Seht, so stigent mir die sinne
höher dan der sunnen schin8). genäde, ein9) küniginne!
Ich ensach die guoten nie
so dicke, da?, ich . . . des ie verbaere10),
i) ich si. — 2) niemer. — 3) Adv.: doch. — 4) Prät.: schadete.
5) zugrunde gerichtet, verdammt. — 6) dannoch: ferner noch; außerdem
müßte ich dann. — 7) nun. — 3) s. S. 329, Nr. 36,1. 9) Artikel in der
Anrede 1 — 1 °) s. verbern.
I
Eggjî ggj? Çgî? ta? C^gjV Kgî? Rgî? ra? E^ï? C^i? Çgj? Çgî? Ka? Z^.Z
Mirne spilten d’ougen ie.
t 10 der kalte winter was mir gar unmære.
Ander liute dûhte1) er swære:
mir was die wîle als ich enmitten in dem meien wære.
Disen wünneclichen sanc
hän ich gesungen miner frouwen z’êren.
t 15 Des sol si mir wi^en danc:
wan ich wil iemer durch2) si fröude mêren.
Wol mac si min herze seren:
wa? danne, ob si mir leide tuöt? da? kan si wol verkêren.
Da? enkunde3) nieman mir
2 20 geraten, da? ich schiede von dem wäne.
Kêrte ich minen muot von ir,
wä fünde ich denne ein also wol getane,
Diu so wære valsches âne?
sist schœner unde da? gelobet dan Dien' und Dijàne4).
5. Letzter Wille.
Ich wil nü teilen, ê ich var,
min varnde guot5) und eigens6) vil,
Da? iemen7) dürfe striten dar,
wan den ich? hie bescheiden wil.
5 Al min ungelücke wil ich schaffen jenen,
die sich ha??es unde nides gerne wenen,
dar zuo min unsælikeit.
mine swære
haben die lügenære.
io min unsinnen
schaff' ich den, die mit velsche minnen,
den frou’n nach herzeliebe senendiu leit.
!) Prät, s. dünken. — 2) durch si: um ihretwillen. — 3) Konjunktiv:
v ' vermöchte nicht. — 4) Helena und Diana; nur an dieser Stelle nimmt Walther
[1 Bezug auf die alte Sagenwelt, deren Stoffe sich in Mitteldeutschland be-
>2 sonderer Pflege erfreuten. — 5) fahrende (bewegliche) Habe. — 6) Eigen-
st tum, Grundbesitz. — 7) niemand.
6. Deutschland über HHe$.
Doch das höchste seiner Lieder
war der Heimat Ruhm geweiht,
Die vom Firn zum RIeere nieder
Stets ihm lauscht von neuem wieder
Und bis in die fernste Zeit.
Martin Greif.
Ick wil tiuschen h frouwen
sagen2)
solhiu mære, da? si3) deste ba? 10
Al der werlte suln behagen:
âne grô?e miete tuon ich da?.
Wa? wold’ ich ze löne?
si sint mir ze her:
so bin ich gefüege4), und bite si 15
nihtes5) mêr,
wan da? si mich grüe?en schöne.
Ich han lande vil gesehen
unde nam der besten gerne war:
Übel müe?e mir geschehen,
20 künde ich ie min herze bringen dar6),
Da? im wol gevallen
wolde fremeder site.
nû wa? hülfe mich, ob ich unrehte strite7)?
tiuschiu zuht gät vor in allen.
25 Von der Elbe unz an den Rin
und her wider unz an Ungerlant
Mugen wol die besten sin,
die ich in der werlte han erkant.
Kan ich rehte schouwen
30 guot gela?8) unt 1 îp,
sem9) mir got, so swüere ich wol, da? hie diu wîp10)
be??er sint dan ander frouwen.
i) Putschen. — 2) nachreden, nachrühmen. — 3) die deutschen Frauen. —
4) fügsam, bescheiden. — &) Gen., abh. von bite. — 6) dahin. — 7) unrehte
Adv.: eine falsche Behauptung aufstellte. — 8) Aussehen. — 9) sam mir
got: so wahr mir Gott helfe. — 10) die deutschen Frauen niederen Standes
im Gegensatz zu den fremden Damen; nach anderer Erklärung sind ‘wîp
und 'frouwen’ Synonyma.
Ir sult sprechen willekomen:
der iu msere bringet, da? bin ich.
Alle?, da? ir habt vernomen,
da? ist gar ein wint: nü fräget
mich.
5 Ich wil aber miete:
wirt min Ion iht guot,
ich sage iu vil lihte, da? iu
sanfte tuot.
seht, wa? man mir eren biete.
tat Egi? Pgi? Cgi? Cg»? Cgi? Cgi? taR KgR ggS? C^StT? 345
Tiusche man sint wol gezogen,
rehte als engel sint diu wip getan.
35 Swer si schildet, derst betrogen:
ich enkan sin1) anders niht verstau.
Tugent und reine minne,
swer die suochen wil,
der sol körnen in unser laut: da ist wünne vil:
40 lange m ü e ? e ich leben dar inne2)!
7. Frühling und Frauen.
80 die bluomen ü? dem grase dringent,
same si lachen3) gegen der spilden4) sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo,
Und diu kleinen vogellin wol singent
5 in ir besten wise, die si kunnen,
wa? wünne5) mac sich da genesen zuo6)?
E? ist wol halb ein himelriche.
suln wir sprechen, wa? sich deme geliche,
so sage ich, wa? mir dicke ba?
t 10 in minen ougen hat getan, und taete ouch noch, gesaehe ich da?.
Swä ein edeliu schoene frouwe reine,
wol gekleidet unde wol gebunden7),
durch kurzewile8) zuo vil liuten gät,
Hovelichen höhgemuot, niht eine9),
u 15 umbe sehende ein werde under stunden 10),
alsam der sunne gegen den Sternen stät11), —
Der meie bringe uns al sin wunder,
wa? ist da so wünnecliches under
als ir vil minneclicher lip?
02 20 wir lä?en alle bluomen stän, und kapien an da? werde12) wip.
d Gen. neutr., abh. von verstän: das . . . verstehen. — 2) vgl. A. H.
• IHoffmann von Fallersleben, Das Lied der Deutschen: „Deutschland, Deutsch-
[slland über alles, über alles in der Welt“. — 3) Konjunktiv: als ob sie
jßllachten. — 4) spilenden. — 5) Gen., was von Wonne, welche Wonne. —
»,>6) da . . zuo sich genö?en: damit sich gleichstellen. — ?) mit schönem
§«»ge‘bende“ (Kopfputz). — 8) um der Kurzweil willen, zu festlicher Veran-
jtsstaltung. — 9) nicht allein; in Begleitung. — 10) under stunden: zuweilen.—
iiu) vgl. Nibelungenlied S. 125 (Str. 8) des Lesebuches. — 12) s. wert.
34G KLL- c^v t^sa Eg=s? t¿sa t^a v^sa Psg»? t^sa
Nü wol dan1), weit ir die wärheit schouwen,
gen wir zuo des meien höhgezite!
der ist mit aller siner krefte körnen.
Seht an in und seht an werde frouwen,
25 weder/, da das; ander überstrite;
da? be??er spil, ob ich da? hän genomen.
Owe der mich da welen hie?e,
deich da? eine durch da? ander lie?e,
wie rehte schiere ich danne küri) 2)!
30 her Meie, ir müeset merze sin, e ich min’ frouwen da verlür3).
8. Weib ober Frau?
Wip muo? iemer sin der wibe höhste name4),
und tiuret ba? dan frouwe, als ich? erkenne.
Swä nü deheiniu si, diu sich ir wipheit schäme,
diu merke disen sanc und kiese denne.
5 Under frouwen sint unwip,
under wiben sint si tiure5).
wibes name und wibes lip
die sint beide vil gehiure.
swie? umb alle frouwen var,
io wip sint alle frouwen gar,
zwivellop da? hoenet,
als under wilen frouwe: wip dest ein name, ders alle
k ree net.
9. Wahre Liebe.
Herzeliebe? frouwelin,
got gebe dir hiute und iemer guot.
Kunde ich ba? gedenken din,
des hete ich willeclichen muot.
i) dan . . . gen wir (vs. 22)!: laßt uns von dannen gehen! — 2) Konj.
Prät., s. kiesen. — 3) Konj. Prät, s. Verliesen; Sinn von vs. 27 — 30: könnte
ich nicht Frauenliebe und Frühling gleichzeitig haben, so würde ich eher den
lieblichen Mai auf eine Stufe mit dem unerfreulichen März stellen, als daß
ich auf Frauenliebe verzichtete. — 4) s. S. 328, Nr. 34,1 ff. — 5) sind selten,
fehlen.
Egg*i Cggj? Egg«? ELd Eg»? Eggä? E-Ld E-SÄ? Egg»? Egg«? Egg»? Eg~«? E-Ld 347
5 Wa? sol ich dir sagen me,
wan da? dir nieman holder ist dan ich? da von ist mir vil we.
Sie verwi?ent mir, da? ich
so nidere wende minen sanc.
Da? si niht versinnent sich,
io wa? liebe si, des haben1) undanc!
Sie getraf diu liebe nie.
die nach dem guote und nach der schoene minnent, we wie
minnent die?
Bi der schoene ist dicke ha?2):
zer schoene niemen si ze gäch.
15 Liebe tuot dem herzen ba?:
der liebe get diu schoene nach3).
Liebe machet schoene wip:
desn mac diu schoene niht getuon, sin machet niemer lieben lip.
Ich vertrage als ich vertruoc
1 20 und als ich? iemer wil vertragen.
Dü bist schoene und hast genuoc:
wa? mugen si mir da von gesagen?
Swa? si sagen, ich bin dir holt,
und nim din glesin vingerlin für einer küneginne golt.
2 25 Hast du triuwe und staetekeit,
so bin ich din an an gest gar,
Da? mir iemer4) herzeleit
mit dinem willen widervar.
Hast ab5) du der zweier niht,
8 30 son,:) müe?est du min niemer werden, owe danne, ob daz
geschäht!
JO. heimliche Minne.
Bin ich dir unmaere, i Eine? ist mir swcere:
1) des enwei? ich niht: ich minne j du sihst bi mir hin7) und über
dich. mich.
1) haben si undanc!: seien sie verwünscht! — 2) Widerwärtigkeit. —
E 31 dem Liebreiz, der Lieblichkeit steht die Schönheit nach. — 4) jemals, in
S.. Zukunft. — 5) aber. — ß) sone. — ?) an mir vorüber.
5 Da? solt du vermiden.
i’ne mac niht erliden
solhe liebe an großen schaden:
hilf mir tragen, ich bin ze vil
geladen.
Sol da? sin din huote,
io da? din ouge anx) mich so selten
siht?
Tuost du mir? ze guote2),
söne wi?e ich dir dar umbe niht.
So mit3) mir da? houbet,
da? si dir erloubet,
15 und sich nider an minen fuo?,
so du ba? enmügest4): da? si
din gruo?.
Svvanne ichs5) alle schouwe,
die mir suln von schulden wol
behagen,
So bist du? min frouwe:
da? mac ich wol âne rüemen 20
sagen.
Edel unde riche
sint si sumeliche,
dar zuo tragent si höhen muot:
lîhte sint si be??er6), dû bist
guot7).
Frouwe, nü versinne 25 .
dich, ob ich dir z’ihte8)mære si.
Eines friundes minne
diust niht guot, da9) ensi ein
ander bi10).
Minne entouc1 11) niht eine,
si soi sin gemeine, 30 c
so gemeine, da? si gê
durch zwei herze und durch
dekeine? mê.
Kbschied von der Welt.
Walther.
Frö Werlt, ir solt dem wirte12) sagen,
da? ich im gar vergolten habe:
Min grö?iu gülte ist abe geslagen13);
da? er mich von dem brieve schabe14).
5 Swer ime iht sol15), der mac wol sorgen,
e ich im lange schuldic wsere, ich wolte e z’einem juden borgen,
er swiget unz an einen tac16):
so wil er danne ein wette17) hän, so jener niht vergelten mac.
1) Präp., auf. — 2) in guter Absicht. — 3) s. miden. — 4) wenn du
nicht mehr zu tun vermagst. — 5) ich si. — 6) nach der Herkunft. — 7) in
ethischem Sinne. — «) zu irgend etwas, irgend wie. — 9) da bi. — 10) zur
Liebe gehören zwei. — n) s. tugen. — 12) dem Teufel; „der Teufel ist als
Inhaber eines Wirtshauses gedacht, in dem Frau Welt mit ihren Freuden
die Menschen an sich zu locken sucht“ (Wilmanns), vgl. die Stelle in Wol-
frams Parzival, S. 275, vs. 111 dieses Lesebuches. — 13) bezahlt. — 14) aus
dem Schuldbuch streiche. — 15) schuldig ist, vgl. „Soll und Haben".
16) bis auf den letzten Tag. — 17) Pfand. — Denke an die Faustsage!
Pgj? Casi? tag Cagf? CaS¥? t^i? Cgi? t^B Rgj? Pgj? Kgj? 349
Welt.
‘Walthér, dü zürnest ane nöt:
10 dü solt bi mir beliben hie.
Gedenk5, wa^ ich dir èren bòt,
wa? ich dir dines willen1) lie2),
Als dü mich dicke sère baete.
mir was vii innecliche leit, daz, dü da^ ie sö selten taete.
15 bedenke dich: din leben ist guot:
só dü mir rehte widersagest, so wirst dü niemer wol gemuot.5
Walther.
Frò Werlt, ich hän ze vii gesogen3):
ich wil entwonen, des ist zit.
Din zart4) hat mich vii nach5) betrogen,
20 wand er vii süe^er fröuden git6).
Do ich dich gesach reht5 under ougen7),
dò was din schouwen8) wunderlich .... al sunder lougen :
doch was der schänden alse vii,
dò ich din binden wart gewar, da^ ich dich iemer schelten wil.
Welt.
25 ‘Sit ich dich niht erwenden mac,
so tuo doch ein dine, des ich ger:
Gedenke an manegen liebten tac,
und sich9) doch underwilent her,
Niuwan sö dich der zit betrage.510)
Walther.
30 da/, taete ich wunderlichen gerne, wan deich11) fürhte dine läge12),
vor der sich nieman kan bewarn.
got gebe iu, frouwe, guote naht: ich wil ze herberge 13) varn.
J) wa^ dines willen. — 2) Prät., s. lä^en. — 3) s. sügen. — 4) Lieb-
kosung. — 5) vii nach: beinahe. — fi) gibet. — ?) ins Gesicht. — 8) Aus-
sehen. — Die nächsten Verse spielen auf eine mittelalterliche Vorstellung
an: Frau Welt ist von vorn eine schöne Frau, ihr Rücken ist von Fäulnis
zerfressen, voll Kröten und Schlangen. — 9) s. sehen. — 10) nur wenn dir
die Zeit zu lange wird. — u) da^ ich. — 12) Hinterhalt, Tücke; vgl. die
Ausdrücke läge und sä^e. — 13) s. Wb. — Gemeint ist die ewige Heimat.
1
350 ^ ^ c^-Ld pgg? Eggj? r-srr ras? ia?< ta? rai? t^i? KLÄ? c^-4?
12. Halm-Messen.
In einem zwivellichen wän’
was ich gesehen, und gedähte,
Ich wolte von ir dienste gän;
wan da? ein tröst mich wider drahte.
5 Tröst mag es; rehte niht geheimen, owe des!
e? ist vil küme ein kleines troestelin;
so kleine, swenne ichs; iu gesage, ir spottet min.
doch frönt sich lützel ieman3), er enwi??e wes.
Mich hat ein halm gemachet frö:
io er giht2), ich sül genäde vinden.
Ich ma? da? selbe kleine strö3),
als ich hie vor gesach von kinden.
Nü hoeret unde merket, ob si? denne tuo.
‘si tuot, si entuot, si tuot, si entuot, si tuot.’
15 swie dicke ich? tete, so was ie da? ende guot.
da? trcestet mich: da hoeret ouch geloube zuo.
15. Der Glückes Laune.
Frö4) Saelde teilet umbe sich5),
und köret mir den rügge zuo.
Da enkan si niht erbarmen ich:
i’n wei?, wa? ich dar umbe tuo0).
5 Si stet ungerne gegen mir7):
louf ich hin umbe, ich bin doch iemer hinder ir:
si’n ruochet mich niht an gesehen.
ich wolte, da? ir ougen an ir nacke stüenden: so müeste
e? an ir danc8) geschehen.
Ö lützel ieman: niemand. — 2) s. jehen. — 3) über das Halm-Messen
vermutet Wilmans (im Anschluß an Simrock und Wackernagel), daß „der
Halm abwechselnd zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten und
der linken Hand gefaßt wurde, sodaß immer die eine Hand die andre
ablöste, indem sie ihre Finger über die der andern legte, bis die Spitze
des Halms mit den entscheidenden Worten erreicht war“ (vgl. unser Aus-
losen beim Schlagballspiel und das Fragespiel der Kinder beim Blumen-
zupfen). — 4) frou, frouwe. — 5) teilt rings um sich herum aus. — p) Kon-
junktiv: tun soll. — 7) steht nicht gern mir gegenüber. — 8) wider ihren
Willen.
Cágjft t¿g¥? pgi? Cagj? PgS? Cgi? taff Pg»? kssrr K¿5? 351
H. Königin Minne.
er gap dir, Minne, den gewalt,
da^ du doch so gewaltic bist?
Dü twingest beide junc unt alt:
da für kan nieman keinen list.
5 Nü lob ich got, sit diniu bant
mich sulen twingen, deich so rehte hän erkant,
wä dienest werdeclichen lit1).
da vone kume ich niemer, gnade, fron künginne! la mich
dir leben mine zit!
|5. Zrühlingssehnsucht.
Uns hat der winter geschadet über al:2),
beide unde walt sint beide nü val,
da manic stimme vil suo^e inne3) hal4).
ssehe ich die megde an der strafe den bal
5 werfen! so koeme uns der vögele schal.
Möhte ich versläfen des winters zit!
wache ich die wile, so hän ich sin nit5),
da^ sin gewalt ist so breit und so wit.
web,got, er lät ouch6) dem meien den strit7):
io so lise8) ich bluomen, da rife nü lit9).
J6. Unter der €tnde10).
Und er der linden
an der beide,
da unser zweier bette was,
Da muget ir vinden
schöne beide
gebrochen bluomen unde gras.
5
!) liget: würdig, ehrenvoll angebracht ist. — 2) daktylisches Versmaß
und fünfmalige Wiederkehr desselben Reimes; „man glaubt den Ball zu
sehen, wie er von Hand zu Hand fliegt“ (Uhland). — 3) da . . . inne:
worin. — 0 s. hellen. — 5) nit sin (Gen. obj.): Haß gegen ihn (den Winter). —
o) doch noch. — 7) den strit län: das Feld räumen. — 8) s. lesen. —
9) liget. — io) Walther legt seiner Geliebten dieses Lied in den Mund,
„das an Wohllaut und naiv schalkhafter Anmut seinesgleichen in der Welt-
literatur sucht und bei aller fröhlich frischen Sinnlichkeit doch von Un-
schuld umstrahlt ist (A. Biese, Deutsche Literaturgeschichte, I, 163); vgl.
auch W. Scherers Urteil, Geschichte der deutschen Literatur, 11. Ausl., S. 207 ff.
352 ^ ^ ^ Pgj» kLd CgiT Kgit ta? Cagj? kssrr ca? Rgj?
Vor dem walde in einem tal —
tandaradei! schöne sanc diu
nahtegal.
Ich kom gegangen
io zuo der ouwe:
dö was min friedel1) körnen e.
Da wart ich enpfangen
here frouwei) 2),
da? ich bin saelic iemer me.
15 Küster mich ? wol tüsent-
stunt3):
tandaradei! seht, wie röt mir
ist der munt.
Do het er gemachet
also riche
von bluomen eine beltestat.
Des wirt noch gelachet 20 «
innecliche,
kumt iemen an da? selbe pfat.
Bi den rosen er wol mac,
tandaradei! merken, wä mir?
houbet lac.
Da? er bi mir laege, 25 c
wesse?4) iemen
(nu enwelle got!)5), so schämte
ich mich,
Wes er mit mir pflaege,
niemer niemen6)
bevinde da?, wan er unt ich, soo,
Und ein kleine? vogellin:
tandaradei! da? mac wol ge-
triuwe7) sin'.
«=*$*=-
\7. Tanzweise.
‘Nemt, frouwe, disen kranz:’
also sprach ich z’einer wol getanen maget:
‘So zieret ir den tanz
mit den schcenen bluomen, als irs üffe8) traget.
5 Het’ ich vil edele gesteine,
da? müeste üf iuwer houbet,
obe ir mirs geloubet.
set mine triuwe, da? ich? meine.’9)
Si nam, da? ich ir bòt,
io einem kinde vii gel ich, da? ère hat.
Ir wangen wurden rot,
same diu ròse, dà si bi der liljen stàt.
Do erschampten10) sich ir lichten ougen:
dò neic11) si mir vil schone.
i) Liebster. — 2) Maria. Andere erklären hére frouwe als Apposition: ;
wie eine vornehme Dame. — 3) tausendmal. — 4) wüßte es. — 5) nun wolle ' a
Gott nicht! Gott behüte! — 6) niemals einer. — 7) zuverlässig. — 8) auf ß
(dem Kopfe). — S) aufrichtig meine, wirklich so im Sinne habe. — io) s. er- --
schämen; senkten sich schamhaft. — n) s. rügen.
Egg? Eg»? tosn tosn k-si- Csgs? usa r^Ld r^U- t^gs? Egä? 353
15 da? wart mir ze löne:
wirt mirs1) iht mer, das; trage ich tougen.
Mir ist von ir geschehen,
da:? ich disen sumer allen meiden2) muo?
Vast' nnder d’ougen sehen:
20 lihte3) wirt mir eniu4): so ist mir sorgen buo?5).
Wa? obe si get an disem tanze?6)
frouwe, durch iu’r güete
rucket üf die hüete.
owe gesaehe ichs under kränze!
25 ‘Ir sit so wol getan,
da? ich iu min schapel gerne geben wil,
So ich? aller beste hän,
wi?er unde röter bluomen wei? ich vil:
Die stent so verre in jener beide.
30 da sie schöne entspringent
und die vögele singent,
da sule7) wir si brechen beide.’
Mich dühte, da? mir nie
lieber wurde, danne mir ze muote was.
35 Die bluomen vielen ie
von dem boume bi uns nider an da? gras.
Seht, dö muost’ ich von fröuden lachen,
do ich so wünnecliche
was in troume riche,
40 dö taget’ e? und muose ich wachen.
18. Maienlust.
f Muget ir schouwen, wa? dem
meien
n Wunders ist beschert?
Seht an8) pfaffen, seht an leien,
wie da? alle? vert.
Grö? ist sin gewalt:
5
’) mir es (lönes). — 2) Pfiir. zu meit, maget. — 3) vielleicht. — 4) jene,
ib die mir im Traum erschien (vgl. vs. 39). — 5) buo? (Abhilfe) sorgen (Gen.) —
; » 6) an dem tarize „gen“ bedeutet den ruhigen, höfischen Tanz; der Reigen
w wurde unter der Linde im Freien „gesprungen“. — 7) steht für sulen. —
(8 8) Präp.
Liermann-Vilmar. Altdeutsches Lesebuch.
I
2;
354 E-gj? K-LÄ- kLL? Egg»? E-S»? Egg»? Egg5? Egg»? Egg»? EL»?
i’ne wei^, obe er zouber künne:):
swar er vert in siner wünne,
däni) 2) ist niemen alt.
Uns wil schiere wol ge-
lingen. 3)
io wir suln sin gemeit,
Tanzen, lachen unde singen,
ane dörperheit.
We wer waere unfrö?
sit die vogel also schöne
15 schallen! mit ir besten döne,
tuon wir ouch also!
Wol dir, meie, wie dü schei-
dest4)
alles; ane has;!
Wie wol dü die boume kleidest,
20 und die beide bazj
Diu hat varwe me.
‘du bist kurzer, ich bin langer/
also stritents5) üf dem anger,
bluomen unde kle.
25 Röter munt, wie dü dich
swachest!
lä din lachen sin.
Scham dich, da^ dü mich an
lachest
nach dem schaden min.
Ist da^ wol getan?
owe so verlorner stunde 30 c
sol von minneclichem munde
solch unminne ergän!
Daz, mich, frouwe, an fröuden
irret,
das; ist iuwer lip.
An iu einer6) es; mir wirret7), 355;
ungenaedic wip.
Wä nemt ir den muot?
ir sit doch genaden riebe:
tuot ir mir ungnaedecliche,
so sit ir niht guot. 401
Scheidet, frouwe, mich von
sorgen,
liebet8) mir die zit:
Oder ich muos; an fröuden
borgen.
das; ir saelic sit!
Muget ir umbe sehen? 4u
sich frönt al diu werlt ge-
meine9):
mühte mir von iu ein kleine
fröudelin geschehen!
-LIlKc---
19. Traumglück.
Do der sumer körnen was
und die bluomen durch da;; gras
wünneclichen drungen,
aldä die vögele sungen,
5 dö körn ich gegangen
durch einen anger langen,
da ein lüter brunne spranc:
vor dem walde was sin ganc,
da diu nahtegale sanc.
Bi dem brunnen stuont ein it i
boum:
da gesach ich einen troum.
i) Konjunktiv von kunnen (= verstehen). — 2) da ne. — 3) für uns ■ g
soll sich alles glücklich lösen. — 4) entscheidest, schlichtest (als Richter, ,•
König Lenz). — 5) stritent si. — 6) Euch allein. — 7) s. werren. — 8) machet j
lieb. — 9) Adv.: allgemein.
ich was von der sunnen
entwichen zuo dem brunnen,
da? diu linde mære1)
5.15 mir küelen schaten bære2).
bî dem brunnen ich gesa?.
miner sorgen ich verga?,
schiere entslief ich umbe da?.
Dô bedühte mich zehant,
0 0 wie mir dienten elliu lant,
wie min sêle wære
ze himel âne swære,
und wie der lip solte
gebären, swie er wolte.
> 55 däne was mir niht ze wê.
got gewaldes3), wie? ergê;
i schœner4) troum enwart nie
me.
Gerne sliefe5) ich iemer da,
wan ein unsaeligiu krä
diu begonde schrien. 30
da? alle krän gedienf),
als ich in des günne!
si nam mir michel wünne.
von ir schrienn’ ich erschrac:
wan da? da niht Steines lac, 35
so waer’7) e? ir suontac.
Ein vil wunderalte? wip
diu getroste mir den lip.
die begonde ich eiden8):
nü hat si mir bescheiden, 40
wa? der troum bediute.
da? merken9) guote liute.
zwene und einer da? sint dri;
dannoch seites10) mir da bi,
da? min düme ein vinger si. 45
20. vokalspiel.
1 Diu weit was gelf, röt unde blä,
l grüen’ in dem walde und
anderswä:
i> die kleinen vögele sungen da.
i nü schriet aber diu nebelkrä.
q pfligt si11) iht ander varwe? ja:
a sist worden bleich und übergrä.
b des rimpfet sich vil manic brä.
Ich sa? üf eime grüenen le:
b da ensprungen bluomen unde
kle
P Adjektiv. — 2) Si bern. —
P 4) schcenerer. — 5) Plusquamperf.:
1) (Konjunktiv); möge es so ergehen. -
tq pflichten. — 9) Konjunktiv.: mögen s
t*;11) diu weit. — 12) der (demonstr.)
zwischen mir und eime se. 10
der ougenweide ist da niht12)
me.
da wir schapel brachen e,
da lit13) nü rife und ouch der
sne.
da? tuet den vogellinen we.
Die tören sprechent: ‘sniä 15
sni!’
die armen liute: ‘owe owi!'
des bin ich swaere alsam ein bli.
3) gewalde es (Gen.), s. walten. —
hätte ich geschlafen. — 6) gedihen
- 7) wäre gewesen. — 8) eidlich ver-
ch merken. — 10) seite (sagete) si. —
»ugenweide niht. — 13) liget.
23*
356 ^ ^ tjgjt P-Ld Kgj? taff t^s? r^i? c>g¥v Cagjff ta?
der wintersorge hän ich dri1):
swa? der unt der andern* 2) si,
20 der wurde ich alse schiere3) fri,
waer’ uns der sumer nähe bi.
E danne ich lange lebte also,
den kreb? wolt’ ich e e??en rö.
sumer, mache uns aber frö:
25 du zierest anger unde lö.
mit den bluomen spilte4) ich dö,
min herze swebte5) in sunnen
ho:
dar; jaget der winter in ein
strö6)
Ich bin verlegen7)alsEsaü8):
min sieht här ist mir worden 30 <
rü.
süe?er sumer, wä bist du?
ja saehe ich gerner veltgebü,
e deich9) lange in solher drü10 *)
beklemmet waere als ich bin nü,
ich wurde n) e münch zeTober- 35 e
lü12).
2\. Schlechte
Owe, hoveliche? singen,
da? dich ungefüege doene13)
Sölten ie ze hove verdringen!
da? die schiere got gehoene!
5 Owe da? din wirde also ge-
liget!
des sint alle dine friunde unfrö.
da? muo? eht14) so sin: nü si
also:
frö Unfuoge, ir habt gesiget.
Der uns fröude wider brachte,
io diu reht und gefüege waere15),
Hei wie wol man des gedachte
swä man von im Seite maere!
Musikanten.
E? waeE ein vil hovelicher muot,
des ich iemer gerne wünschen
sol:
frouwen unde herren zaeme e? ist
wol:
owe da? e? nieman tuot!
Die da? rehte singen stoerent,
der ist ungeliche mere
Danne die e? gerne hoerent:
doch volg’ ich der alten lere: 2«s
Ich enwil niht werben zuo der
mül,
da der stein so Huschend ’ umbe
gät
') zur Bezeichnung einer unbestimmten Zahl: gar manche. —
2) Sorgen. — 3) alse schiere: alsobald, alsbald. — 4) Konjunktiv. — 5) Kon-
junktiv. — 6) in einen Strohhalm jagen, verzagt machen, vgl. ins Bockshorn
jagen: einschüchtern.— ?) zu lange gelegen, dem Treiben der Gesellschaft
entfremdet, vgl. „Verlegenheit“. — 8) Esau gilt als das Urbild eines dem j
höfischen Leben abholden Ritters, der seine Freude nur an Jagd- und J
Trinkgelagen hat; auch wirkt die Vorstellung des rauhen, haarichten Esau j
fort. — 9) da? ich. — 10) Schlinge, Falle. — 11) Konjunktiv. — 12) Zister- ' -
zienserkloster Dobrilug bei Frankfurt a. O. — 13) die Dorfpoesie, deren r
Hauptvertreter Neidhart von Reuental ist, s. Seite 382 ff. des Lesebuches. —
14) nun einmal. — 15) fröhliches geselliges Leben in feinen Formen.
!
P^«î üâî? CiSif CîSti? CsSrwî Csiïî ik<Ld CiSî ii^iî t^îî 357
und da? rat so mange unwise1) j
hat.
merket, wer da harpfen sül!
ss 25 Die so frevellichen scballent,
der muo? ich vor zorne lachen, i
Da?s in selben2) wol gevallent
mit als ungefüegen Sachen.
Die tuont sam die frösche in
eime3) se,
0£30 den ir schrien also wol behaget,
da? diu nahtegal4) da von ver-
zaget,
so si gerne sunge me.
Swer5)unfuoge swigen hie?e,
wa? man noch von fröuden
sunge!
Und si abe den bürgen stie?e, 35
da? si da die frön niht twunge.
Wurden ir die grö?en höve be-
nomen,
da? waer’ alle?6) nach dem willen
min.
bi den gebüren7) lie?e ich si wol
sin:
dannen ists och her bekomen. 40
22. ttreuzlied.
Allererst8) leb ich mir werde9),
sit min sündic ouge siht
Da? here lant und ouch die
erde10),
dem man vil der eren giht11).
c5 Mirst geschehen, des ich ie bat:
i ich bin körnen an die stat,
> da got mennischlichen trat.
Schoeniu lant12) rieh unde
here,
’ swa? ich der noch hän gesehen,
i o So bist du? ]3) ir aller ere.
j wa? ist Wunders hie geschehen!
1 Da? ein magt ein kint gebar
hère über aller engel schar,
was da? niht ein wunder gar?
Hie lie? er sich reine 14)toufen, 15
da? der mensche reine si.
Do lie? er sich hie verkoufen,
da? wir eigen15) wurden fri.
Anders wæren wir verlorn,
wol dir, sper, kriuz’ unde dorn! 20
wê dir, heiden16)! deist17) dir
zorn.
Hinnen fuor der sun zer helle
von dem grabe, daV inné lac.
Des was ie der vater geselle,
und der geist, den niemen mac 25
]) Unweise, schlechte Melodie. — 2) in selben: sich selbst. —
8 3) eineme. — 4) gemeint sind die Minnesänger, s. den Vergleich Gottfrieds
y von Straßburg, S. 297 des Lesebuches. — &) wenn einer. — fi) Ad.: ganz. —
' 7) gemeint sind nicht nur die Bauern in unserem Sinne des Wortes, son-
b dem auch der kleine Adel. — 8) jetzt erst. — 9) Adv. in würdiger Weise:
ri hat das Leben für mich Wert. — 10) Boden. — 11) s. jehen. — 12) Plur.—
i *3) du e?. — 14) er reine: er der Reine. — 15) eigenen; wir Leibeigenen,
/1 Knechte der Sünde. — 1G) Heidenschaft (Sarazenen). — 17) da? ist.
858 Rgi? tigi? ügi? t^ä? tigj? tigj? C^Sra? Kgj? Kgi?
Sünder scheiden: est1) al ein,
siehti) 2) und ebener danne ein
zein,
als er Abrahame erschein3).
Do er den tievel dö ge-
schande4),
30 da?, nie heiser bas; gestreit5),
Dö fuor er her wider ze lande,
dö huob sich der juden leit,
Das; er herre ir huote6) brach,
und man in sit lebendic sach,
35 den ir hant sluoc unde stach7)
In diz lant8) hat er ge-
sprochen
einen angeslichen tac,
Da diu witwe wirt gerochen
und der weise klagen mac
Und der arme den gewalt9), 40 o
der da wirt mit ime gestalt10),
wol im dort, der hie vergalt!
Kristen, juden und die beiden
jehent, da?, diz11) ir erbe si:
Got müe?’ es; ze rehte scheiden 45 e:
durch die sine namen dri.
Al diu werlt diu stritet12) her:
wir sin an der rehten ger:
reht ist, da? er uns gewer.
23. Elegie.
Owe, war13) sint verswunden alliu miniu jär!
ist mir min leben getroumet14), oder ist e? wär?
da? ich ie wände, da? iht waere, was da? iht15)?
dar näch16) hän ich gesläfen und enwei? es niht.
5 nü bin ich erwachet, und ist mir unbekant,
da? mir hie vor was kündic als min ander hant.
liut’ unde lant, dä ich von kinde bin erzogen,
die sind mir frömde worden reht’ als e? si gelogen,
mich grüe?et maneger träge 17), der mich behände e wol.
io diu werlt ist allenthalben ungenäden18) vol.
die mine gespilen wären, die sint trsege unt alt.
vereitet19) ist da? velt, verhouwen ist der walt:
i) e? ist. — 2) slehter. — 3) s. erschinen; vgl. I Mose i8. — 4) s ge-
sellenden: zu Schanden machen. —- 5) s. gestriten. — 6) Bewachung (des c
Grabes). — 7) sluoc, stach: Plusquamperf. — 8) im Tal Josaphat soll das a
Jüngste Gericht stattfinden. -— 9) klagen den gewalt: Klage erheben über,
io) s. gestehen. — n) das Heilige Land. — 12) erhebt Ansprüche auf. —
13) wohin. — ii) vgl. Calderons „Leben ein Traum“ und Grillparzers „Traum r
ein Leben“. — i5) wovon ich immer wähnte, daß es etwas wäre, war das - s
(in Wirklichkeit) etwas? — 16) dar näch: demnach. — 17) Adv.: säumig,
s. Adj. trage. — 1S) Elend. — 19) ver-eiten: verbrennen, mit Brand ver- >-
wüsten.
Rgi? VjgS? raff ta? Cagä? EaSi? ta? Cgi? PgS? Z50
wan1) da? da? wa??er füllet als e? wilent flö?.
für wär ich wände, min Unglücke wurde grö?,
15 als2) ich gedenke an manegen wünneclichen tac,
die mir sint enpfallen gar als3) in da? mer ein slac,
iemer mere ouwe4).
Owe wie jaemerliche junge Hute tuont!
den unvil5) riuwecliche6) ir gemüete stuont,
20 die kunnen nü wan7) sorgen: owe wie tuont si so?
swar ich zer werlte8) köre, dä ist meman frö;
tanzen unde singen zergät mit sorgen gar:
nie kristenman gesach so jaemerlichiu jär.
nü merket, wie den frouwen ir gebende9) stät;
25 die stolzen ritter tragent dörpelliche wät.
uns sint unsenfte brieve her von Rome körnen10 *),
uns ist erloubet trüren und fröude gar benomen.
da? müet mich inneclichen (wir lebten ie vil wol),
da? ich nü für min lachen weinen kiesen sol.
30 die wilden vogel die betrüebet unser klage:
wa? Wunders ist, ob ich dä von vil gar verzage?
wa? spriche ich tumber man durch minen boesen zorn ?
swer dirre11) wünne volget, der hät jene12) dort verlorn
iemer mere ouwe.
35 Ouwe wie uns mit süe?en dingen ist vergeben13)!
ich sihe die gallen mitten in dem honege Sweben:
diu Werlt ist ü?en schoene, wi?, grüen’ unde rot,
und innän swarzer varwe, vinster sam der tot.
swen si nü habe verleitet, der schouwe sinen tröst:
40 er wirt mit swacher buo?e14) größer Sünde erlöst,
dar an gedenket, ritter: e? ist iuwer dinc.
ir traget die liebten helme und manegen herten rinc15),
dar zuo die vesten schilte und diu gewihten16) swert.
weite got, waer' ich der sigenünfte17) wert!
J) nur. — 2) wenn. — '¿) als ein slac: wie ein Schlag, der keine
Spuren hinterläßt. -— 4) für immer weh, o weh! — 5) wenig, selten. —
6) betrübt. — 7) nur. — 8) Zer werlte: in der Welt, unter den Leuten. —
9) s. ge-bende. — io) im September 1227 sprach der Papst den Bann über
Kaiser Friedrich II. aus.— i>) dieser (irdischen).— 12) die himmlische.—
13) uns ist vergeben: wir sind vergiftet (mit den Süßigkeiten der Welt). —
14) Beteiligung an einem Kreuzzuge. — ia) Panzerring. — ") s. wihen;
geweiht (vom Priester bei der „swertleite“). — 17) s. sigenunft.
360 Esgj? Cgt? Rgj? CiSii cgj» pgs? pgj? t^i? ta? CaSi? ta? t^i? C^i?
45 so wolte ich nötic man verdienen riehen solt.
joch meine ich niht die huoben1) noch der herren golt:
ich wolte selbe kröne eweclichen tragen:
die möhte ein soldenaere mit sime sper bejageni) 2).
möht’ ich die lieben reise3) gevaren über se,
50 so wolte ich denne singen ‘wol’ und niemer mere ‘ouwe’.
B.
Sprüche.
\. wahlstreit b.
a) Gefährdetes Geleite b-
Ich sa^ üf eime steine,
und dahte6) bein mit beine,
dar üf sazt’ ich den eilenbogen;
ich hete in mine hant ge-
smogen7)
5 da^ kinne und ein min wange8).
dö dähte9) ich mir vil ange10),
wie man zer werlte solte leben;
deheinen rät kond’ ich gegeben,
wie man driu dinc erwürbe,
io der keines niht verdürbe,
diu zwei sint ere und varnde
guot,
dadicke ein ander schaden
tuet;
da^ dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.
die wolte ich gerne in einen 1521
schein.
ja leider des en mac niht sin,
das; guot und werltlich ere
und gotes hulde mere11)
zesamen in ein herze körnen,
stig’ unde wege sint in be- 202
nomen:
untriuwe ist in der sä^e12),
i) Hufe (Land). — -) Sinn: dazu muß man kein Ritter sein. — 3) Kriegs-
zug, Kreuzfahrt. — 4) Kämpfe um die Nachfolge des Staufenkaisers Hein-
richs VI.; er war am 28. September 1197 in Messina gestorben und hatte
einen ersi drei Jahre alten Sohn hinterlassen (den späteren Kaiser Fried-
rich II.), dem Papst Innocenz III. die Anerkennung versagte. — 5) s. vs. 24. —
6) Prät., s. decken. — 7) Partiz. von smiegen. — 8) eine meiner Wangen. —
Zu vs. i—5 vgl. Darstellung des über die Wirren im Reich sorgenvoll nach-
sinnenden Walther auf der Miniatur aus der Weingartner (Stuttgarter) . (
Liederhandschrist, G. Könnecke, Literatur-Atlas, S. 19, Marburg 1909. —
9) Prät., s. denken. — 10) Adv. zu enge; hier: genau, sorgfältig. — J1) je 3
wieder, ferner. — lä) Hinterhalt.
tai? C^i? Çgj? tat? Egïî ta? RgR tat ggi? pgi? pgit ta? çgift Z01
gewalt vert ûf der strafe,
frid unde reht sint sere
wunt:
diu driu:) enhabent geleites
niht,
diu zwei en werden ê gesunt2). 25
b) Das herrenlose Deich.
leb borte ein wa??er diesen
und sach die vische fließen8 *),
ich sach, swa? in der werlte
was,
velt walt loup rôr unde gras.
0230 swa? kriuchet unde fliuget
und bein zer erde biuget,
da? sach ich, unde sage iu
da?:
der keine? lebet âne ha?,
da? wüt und da? gewürme
cBo die stritent starke stürme4),
sam tuont die vogel under in5);
wan da? si habent einen sin6) :
si endùhten7) sich ze nihte8),
si schneien ch starc gerihte.
si kiesent küneg’ unde reht, 40
si setzent herren unde kneht.
so we dir, tiuschiu zunge10 *),
wie stet din ordenunge!
da? nü diu mugge ir künec hat,
und da? din ere also zergät! 45
bekerä dich, bekere I
die cirkel11) sind ze here,
die armen künege12) dringent13)
dich:
Philippe14) setze15) en 16)
weisen17) üf,
und hei? si treten hinder sich18). 50
3) Ehre, Gut, Gottes Huld. — 2) wenn nicht Friede und Recht vorher
gesund werden, erst wieder zu Ansehen kommen. — 3) schwimmen. —
4) vs. 34: Alliteration. — 5) sich. — 6) in einer Beziehung sind sie ver-
nünftig. — 7) Konjunkt. Prät.; sie würden sich dünken. — 8) zu nichts
gemacht, vernichtet. — 9) si enschüefen: wenn sie nicht eine feste
Ordnung herstellten. — 3°) Land deutscher Zunge, deutsches Volk. —
n) die Fürstenkronen (Fürsten) sind der Königskrone (dem Reichsober-
haupt) gegenüber zu übermütig. — 12) entweder ist an Richard Löwen-
herz von England und Philipp von Frankreich zu denken, die beide
nach der Kaiserkrone strebten, oder an die Mitbewerber Philipps von
: Schwaben, des jüngsten Sohnes Barbarossas; diese drei Fürsten (Bernhard
von Sachsen, Bertold von Zähringen, der Welfe Otto von Braunschweig,
Heinrichs des Löwen Sohn) werden im Vergleich mit dem Staufer Philipp
I nach des Dichters Ansicht nur „arme künege" sein, deren Mittel in
l keinem Verhältnis zu der erstrebten Würde stehen. — 13) bedrängen. —
i ") Dat. — 15) Aufforderung an die deutsche Nation. — 3 6) den. — 37) s.
t weise. — Der „Waise" (Alleinstehende, Unvergleichliche), der kostbarste
- ' Edelstein in der Krone des deutschen Kaisers. — 3 8) zurücktreten vor den
l Ansprüchen Philipps, der als Bruder Kaiser Heinrichs VI. und Reichsver-
/ weser die Reichskleinodien in seiner Obhut hatte. — Philipp wurde am
) 6- März 1x98 gewählt, am 8. September 1198 gekrönt.
362 ^ ^ ^ r<s»r t^i? pgj? t^s? ta? iai? cgi? ta?
c) Rom ur
Ich sach mit mlnen ougen
mann’ unde wibe tougen1),
das;2) ich gehörte und gesach,
swa? lernen tet, swa? iemen
sprach.
55 ze Rome hörte ich liegen3),
und zwene künege4) triegen5).
da von huop sich der meiste
strit,
der e was oder iemer sit,
dö sich begunden zweien
60 die pfaffen6) unde leien7),
da? was ein not vor aller not:
lip unde sele lac da tot.
das Reich.
die pfaffen striten sère :
doch wart der leien mère,
diu swert diu leiten si dernider, 65
und griffen zuo der stòle8)
wider
si bienen9), die si wolten10 *),
und niuwet11) den si solten12).
dò störte13) man diu goteshüs.
ich hörte verre in einer klüs 70
vii michel ungebsere:
dà weinte ein klösenaere14),
er klagete gote siniu leit;
‘owè der habest ist ze junc15):
hilf, hèrre, diner kristenheith 75
2. König Philipp von 5chwaben.
a) Philipp und die Krone.
Diu kröne16) ist elter dan der künec Philippes17) sì18):
dà muget ir alle schouwen wol ein wunder bi19),
wies20) ime der smit so ebene habe gemachet.
Sin keiserlìche? houbet zimt ir also wol,
5 da? si21) ze rehte nieman guoter22) scheiden sol:
ir deweder?23) dà da? ander niht enswachet.
3) stn.: Geheimnis; tougen mann’ (Gen.) unde wlbe (Gen.). — 2) sodaß. —
3) lügen. — 4) Philipp und Friedrich. — 5) betrügen durch zweideutiges Ver-
halten des Papstes Innocenz III. — 6) Anhänger des Welfen Otto, des Schütz-
lings des Papstes Innocenz III. — 7) Freunde der Staufer. — 8) Haupt-
stück der Priestertracht, versinnbildlicht die geistliche Gewalt. — 9) Prät.,
s. bannen. — 10) Philipp und seine Parteigänger traf am 29. Juni 1201 der
Bannfluch. — u) nicht. — 12) nach Walthers politischer Überzeugung den
Welfen Otto. — 43) s. stceren. — ") Vertreter der strengen Frömmigkeit.—
15) als Innocenz III. Papst geworden war (am 8. Januar 1198), war er erst
37 Jahre alt. — 16) Kaiserkrone Karls des Großen. — 17) = Philippus
(lat. Endung ist abgeschwächt, vgl. Marx aus Marcus). — 18) Konjunkt.
nach Komparat. — ") da ... bi. — 20) wie si (die Krone). — 21) Philipp
und die Krone. — 22) Gen. Plur.: keiner von den Gutgesinnten. — 23) keines
von ihnen beiden.
Cagj? Çgg? ta? Cgi? r-Ld Kgj? ggï? i^-Sd Esg*? t^ï? 363
Si liuhtent beide ein ander an,
daç edel gesteine wider den jungen1) stiegen man:
die2) ougenweide sehent die fürsten gerne,
io swer nû des riches irre gê3),
der schouwe, wem der weise4) ob sîme nacke stê:
der5) stein ist aller fürsten leitesterne.
b) Magdeburger Weihnachtsfest (1199).
ET, gienc, ein’s tages als unser hêrre6) wart geborn
von einer mag et, dier7) im8) ze muoter hat erkorn,
15 ze Megdeburc9) der künec10) Philippes schöne.
Da gienc ein’s keisers11) bruoder und ein’s keisers12) kint
in einer wat, swie doch die namen drige13) sint:
er truoc des riches zepter und die kröne.
Er trat vil lise, im was niht gäch :
20 im sleich 14) ein höhgeborniu küneginne15) nach,
rös’ âne dorn, ein tübe sunder gallen.
diu16) zuht was mener anderswä:
die Düring’ und die Sahsen dienten17) also dä,
daç eç den wisen18) muoste wol gevallen19).
p Philipp war erst 22 Jahre alt, eine stattliche Erscheinung. — -) diese. —
3) in seiner Stellung zum Reichsoberhaupt schwankt (zwischen Philipp
und Otto). — 4) Philipp trug bei seiner Krönung zu Mainz (am illegitimen
Krönungsort, 8. September 1198) die echten Reichskleinodien, Otto IV. hatte
sich bei seiner bereits am 14. Juli 1198 zu Aachen (an der legitimen Krö-
nungsstätte) gefeierten Krönung mit falschen Insignien begnügen müssen. —
5) dieser. -— 6) unser Heiland Jesus Christus. — 7) die er. —- 8) sich. —
9) Stadt der Magd (Jungfrau) Maria. — 10) nicht Kaiser, weil noch nicht
in Rom gesalbt. — 1J) Heinrich VI. — 12) Friedrich I., Barbarossa. —
13) Anspielung auf die „Dreieinigkeit“. — ") §. slichen. — 4 5) Irene, Tochter
des byzantinischen Kaisers Isaak Angelus, seit Mai 1197 Gemahlin Philipps;
in Deutschland wurde sie Maria genannt; daher auch die sonst nur für
die Jungfrau Maria gebräuchlichen Ausdrücke in vs. 21. — 16) solche. —-
17) taten Hofdienst; Herman von Thüringen und Bernhard von Sachsen,
Philipps einstiger Mitbewerber um den Thron, mit dem thüringischen und
sächsischen Adel. — 48) den in höfischen Sitten Erfahrenen. — 19) Uhland
bezeichnet Walthers Schilderung des Magdeburger Hoftages als „ein farben-
helles Gemälde, den altdeutschen auf Goldgrund ähnlich“.
I
J
1
I
3G4 Eggïft kâ Eagf? pgj? Câgj? Eagjï Esgjî Cagj? k^SLr r^Ld Çgj?
c) Des Königs Philipp Gast.
25 I)ô Friderich1) û? Ôsterrîche also gewarp2),
dêr3) an der sêle genas und im der lîp erstarp,
dô fuorte er mine kranechen4) trite in d’erde.
Do gieng ich slîchend’ als ein pfawe, swar ich gie,
da? houbet hanht5) ich nider unz ûf miniu knie:
30 nü riht’ ich e? ûf nach vollem werde6).
Ich bin wol ze hure7) körnen,
mich hät da? riche und ouch diu kröne8) an sich
genomen.
wol ûf, swer tanzen welle nach der gigen!
mir ist miner swære buo?9):
35 erste10) wil ich eben setzen minen fuo?
und wider in ein höhgemüete11) stigen.
d) Mahnung an König Philipp zur Freigebigkeit.
Philippes12) künec, die nahe spehenden13) zihent dich,
dun sist niht dankes14) milte: des15) bedunket mich,
wie dû dâ mit verliesest michels16) mère.
40 Dû mühtest gerner dankes17) geben tüsent pfunt,
dan drî?ec tûsent âne danc18). dir ist niht kunt,
wie man mit gäbe erwirbet pris und ère.
Denk’ an den milten Salatin19):
der jach, da? küneges hende dürkel20) selten sin;
45 sô wurden sie erforht21) und ouch geminnet.
gedenke an den von Engellant22),
i) Friedrich von Österreich, des Dichters Gönner, starb 1198 auf einer
Kreuzfahrt ins „gelobte Land" („rettete seine Seele“). — 2) s. werben. —
3) da? er. — 4) hochmütig gespreizten Kranichschritt. — &) Prät., s. henken;
ließ ich hängen. — 6) Subst, s. wert. — 7) gastliches Herdfeuer. — 8) Auf-
nahme bei König Philipp. — 9) Abhilfe gewährt. — 10) jetzt erst. —
11) sorgenfreie, hoffnungsfreudige Stimmung; frischer Lebensmut erfüllt
den bekümmerten Sänger. — 12) Philippus. — 13) genau zusehenden. —
14) adverb. Gen.: freiwillig. — 15) darum. — i6) adv. Gen.: um ein Großes,
um vieles. — 17) aus freiem Entschluß. — 18) wider Willen. — 19) Saladin,
der 1193 gestorbene Sultan von Syrien und Ägypten, wegen seiner Gerech-
tigkeitsliebe und fürstlichen Freigebigkeit auch im Abendland gefeiert; vgl.
Lessing, Nathan der Weise I, 3; V, 1. — 20) durchlöchert wie ein Sieb. —
21) Partiz., s. ervürhten. — 22) Richard I Löwenherz (1189—1x99), gegen
ein Lösegeld von 150000 Mark (Silber) 1194 aus der Gefangenschaft befreit,
in die er 1192 bei der Rückkehr von dem Kreuzzuge geraten war.
L.
Egj? Cagj? Eg»? L'L-S? C^¥? P^ci? Pgi? t^ü t^SÜ t^SÜ Z05
wie tiure er wart erlöst von1) siner gebenden2) hant.
ein schade ist guot, der zwene frumen3) gewinnet.
3. Der Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen.
Der in den Ören siech von ungesühte si4),
da^ ist min rat, der la^e den hof ze Dürengen5) fri:
wan kumet er dar, deswär6), er wirt ertoeret.
Ich hän gedrungen7), unz ich niht me dringen mac.
5 ein schar vert üt,, diu ander in, naht unde tac.
grö^ wunder ist, da^ iemen da gehoeret8).
Der lantgräve9) ist so gemuot,
da^ er mit stolzen beiden sine habe vertuot,
der iegeslicher wol ein kenpfe10) wsere.
io mir ist sin höhiu fuor’ wol kunt:
und11) gulte ein fuoder guotes wines tüsent pfunt,
da stüend’ doch niemer ritters becher lsere.12)
-=XgK>-
4- Bitte an Herzog Leopold von Österreich.
Mir ist verspart13) der sseiden tor:
da sten ich als ein weise vor,
mich hilfet niht, swa?14) ich dar an geklopfe.
Wie möhte ein wunder groez7er sin?
5 e^ regent bedenthalben min,
da^ mir des alles niht enwirt ein tropfe.
Des fürsten15) milte Österliche
]) durch. — 2) freigebig. — 3) ffume swm.: Vorteil; gemeint ist: ‘gotes
Ion, der werlte habedanc’ (Winsbeke 51,5); vgl. „Gott ist der beste Schuldner,
er gibt immer hundert Prozent“. — 4) wer etwa durch Siechtum ohren-
leidend sein sollte. — 5) Wartburg bei Eisenach. — 6) da^ ist wär: wahr-
haftig. — 7) mich hinzugedrängt. — 8) s. Vs. 1. — 9) Hermann I. von Thü-
ringen (1191—1216), s. S. 377 dieses Lesebuches. — 10) hier in verächt-
lichem Sinne: Berufskämpfer, Kunstfechter; „solche Leute, die für Miete
gerichtlichen Zweikampf ausfochten, gehörten zu den Ehr- und Rechtlosen“
(Wilmanns). — 11) selbst wenn. — 12) über den Thüringer Hof vgl. Wol-
fram, Parzival 297, 16—27. — 13) s. versperren. — 14) wie sehr auch. —
15) Leopold VII. von Österreich bewies Walther zunächst nicht die Zu-
neigung, deren er sich bei dem 1198 verstorbenen Herzog Friedrich zu
erfreuen gehabt hatte, s. S. 364 des Lesebuches (Lied 2 c).
36G C^gjir Cagj? Rg=j? Cagä? Cgg^V KLÄr ksLS- Kag»? Cggj? r^L-
I
fröut dem süe?en regen geliche
beidiu liute unt ouch da? lant.
io er ist ein schoene wol gezieret beide,
dar abe man bluomen1) brichet wunder,
und braeche mir ein blat dar under
sin vil miltei) 2) richiu hant,
so möhte ich loben die stiegen ougenweide.
15 hie bi3) si er an mich gemant!
<*g)C-
5. Kbschied.
a) Wandersegen.
Mit saelden müe?e ich hiute üf sten,
got herre, in diner huote gen
und riten, swar ich in dem lande kere,
Krist herre, 1 ä? mir werden schin
5 die grölen kraft der güete din,
und pflic min wol durch diner muoter ere!4)
Als ir der heilig’ engel5) pflaege,
unt din, dö du in der krippen laege,
junger mensch unt alter got6),
io demüetic vor dem esel und vor dem rinde7)
(und doch mit saeldericher huote
pflac din Gabriel der guote
wol mit triuwen sunder8) spot),
als pflig ouch min, da? an mir iht9) er winde10)
15 da? din vil götelich gebot!11)
b) Der arme Hof zu Wien.
Der hof ze Wiene sprach ze mir:
‘Walther, ich solte lieben12) dir,
nü leide13) ich dir: da? müe?e14) got erbarmen!
i) Gen. Plur., abh. von wunder (große Menge): Blumen die Fülle. —
L) Gen., abh. von richiu. — 3) hierdurch. — 4) zu Ehren der Jungfrau
Maria. — 5) Gabriel. — 6) als Mensch jung, als Gott alt. — 7) an der Krippe.
— 8) sunder spot: aufrichtig. — 9) niht. — 10) aufhöre. — lI) Gebot der
Nächstenliebe. — 12) gefallen. — 13) mißfalle. — 14) möge.
L
t^i? pgj? Cgs? Cgi? c-ss- EsSf? Kgi? Cgj? pgj? krS4? k-Ld Cgi? 367
Mîn wirde diu was wîlent gros;:
5 dö lebte niender mîn genôç1),
wan künec Artûses hof: sô wê mir armen!
Wâ nü2) ritter unde frouwen,
die man bi mir solte schouwen?
seht, wie jâmerlîche ich stê!
io min dach ist fui, sô rîsent3) mine wende,
mich enminnet nieman leider,
golt silber ros und dar zuo kleider
diu gab ich, unde hat ouch4) mê:
nu’n hab ich weder schappel5) noch gebende0)
15 noch frouwen zeinem tanze, owe!’
-OÖj)C=-
6. Gleichheit vor Gott.
Swer âne vorhte, hêrre got,
wil sprechen diniu zehen gebot,
und brichet diu, daç ist niht rehtiu minne.
Dich heißet vater maneger vil7) :
5 swer min ze bruoder niht8) enwil,
der sprichst diu starken wort ûç krankem sinne.9)
Wir wahsen ùt, gelichem dinge10):
spise frumet uns, diu wirt ringe,
sô si durch den munt gevert.
io wer kan den hêrren von dem knehte scheiden,
swa er ir gebeine blôçeç11) fünde,
hete er ir joch12) lebender13) künde,
sô14) gewürme deç15) fleisch verzert?
im16) dienent kristen, juden unde hei den,
15 der elliu lebenden wunder nert17),
]) mîn genôç: meinesgleichen. — 2) w0 sind nun? — 3) zerfallen. —
4) noch. — 5) s. Wb. — 6) s. Wb. — ?) vil maneger: gar mancher. —
8) niht . . mîn (Gen.). — 9) hat schwaches Verständnis für das Gebot der
Nächstenliebe und Brüderlichkeit. — io) Stoff. — u) als entblößtes. —
1') aber auch, auch noch. — 13) ir lebender (Gen. PI. als Lebender) künde. —
14) wenn. — 15) daç. -— 16) dem Allvater. — n) vgl. zu dem Gedichte
t folgende Bibelstellen: i. Joh. 2,4—5; Zp6; 4,20; Matth. 22,37—4°-
J
7. Überschätzung der irdischen Guter.
Wa? Wunders in der werlte vert1)!
wie manie gäbe ist uns beschert
von dem, der uns ü? nihte hat gemachet!
Dem einen git er schoenen sin2),
5 dem andern guot unt den gewin,
da? er sich mit sin selbes guote swachet.
Armen man mit guoten sinnen
sol man für den riehen minnen,
ob er3) èren niht engert.
io ja enist e? niht wan gotes hulde und ère,
dar nach diu werlt so sère vihtet4):
swer sich ze guote also verpflihtet,
da? er der beider5) wirt entwert6),
dem habe ouch hie noch dort niht lónes mère,
15 wan sì eht7) guotes hie gewert.
8. Habsucht.
Swer houbetsünde8) unt schände tuot
mit siner wi??end’9) umbe guot,
sol man den für10) einen wisen nennen?
Swer11) guot von12) disen beiden hat,
5 swer? an13) im wei? unt sichs verstät,
der sol in zeinem u) tòren ba? erkennen.
Der wìse minnet niht so sére,
alsam die gotes hulde unt ère:
sin selbes lip, wip unde kint,
io diu lät er, è er disiu zwei15) Verliese,
er tore16), er dünket mich niht wise,
und ouch, der sin’ ère prise:
i) s. varn. — 2) hohe Geistesgaben. — 3) der riche. — 4) s. véhten.
5) gotes hulde und ère. — 6) s. entwèrn; beraubt wird. — 7) eben, nun
einmal. — 8) Todsünde. — 9) wi??ende stf. : mit seinem Wissen, wissent-
lich. — 10) „höher schätzen als einen Weisen“ (Wilmanns). — u) wenn
einer. — 12) durch (houbetsünde und schände). — 13) von. — 14) als einen.
15) gotes hulde, ère. — 16) so ein Tor!
KaSi? Egi? pgj? ta? ta? Egg? tat Egg? Csgjft r^sr Eggp tjgj? Egi? 3 (Js)
ich waen’, si beide tören sint.
er gouch1), swer für diu zwei2) ein anders kiese!
15 der ist an rehten witzen blint3).
-=*§*=’-
9. Geizhals und Verschwender.
,Iung man, in swelher aht’4) du bist,
ich wil dich leren einen list.
dü la dir niht ze we sin nach dem guote5),
La dir? ouch niht z’unmaere6) sin.
5 und volges7) dü der lere min,
so wis8) gewis, e? frumt dir an dem muote9).
Die rede wil ich dir ba? bescheiden10),
und last dü dir? ze sere leiden,
zergät e?, so ist din fröude tot:
io wilt aber dü da? guot ze sere minnen,
dü mäht11) Verliesen sele unt ere.
da von volge miner lere,
leg üf die wage ein rehte? löt,
und wig12) ouch dar mit allen dinen sinnen,
15 als e? diu ma?e13) uns ie gebot.14)
10. Ungezogene Uinder.
Die veter hänt ir kint15) erzogen,
dar ane16) si bede sint betrogen:
si brechen! dicke Salomönes lere17).
Der sprichet, swer den besmen spar,
5 da? der den sun versüme gar:
!) so ein Narr! — 2) gotes hulde, ere. — 3) ist jeder Einsicht bar, ist
verblendet. — i) Schätzung; Stand. -—- 5) mache dir keine quälenden Sorgen
um den Mammon. — 6) gleichgültig. — 7) volgest. — 8) Imper. zu wesen:
sein. — 9) Gesinnung; frommt deinem Seelenheil. — 10) verständlich machen. —
14) s. mugen. — 12) Imper. zu wegen: wigen machen. — 13) Tugend des
Maßhaltens. — ip vgl. zu dem Gedichte: Matth. 16, 26; Mark. 8, 36;
Luk. 9, 25.— 15) Plur. — lß) dar ane: (sodaß) daran (an der Erziehung).
— 17) Spr. Sah 13, 24: „Wer seiner Rute schonet, der hasset seinen Sohn“.
Liermann-Bilmar, Altdeutsches Lesebuch. 24
370 t^gj? c^sr r^rr Rasi? r^sr c-ssr pgj?
des sint die ungebatten1) gar an ere2).
Hie vor dö was diu werlt so schoene3),
nü ist si worden also hoene4):
des enwas niht5) wilent e:
io die jungen habent die alten so verdrungen.
nü spottet also dar6) der alten!
e?7) wirt iu selben noch behalten:
. beitet, unz iuwer jugent zerge:
swa? ir nü tuot, da? rechent iuwer jungen.
15 da? wei? ich wol, und wei? noch me.
11. Rohe Iugend.
^Ver zieret nü der eren sal?
der jungen ritter zuht ist smal:
so pflegent die knehte8) gar unhövescher dinge,
Mit Worten, und mit werken ouch:
5 swer zühte hat, der ist ir9) gouch.
nemt war, wie gar unfuoge für sich dringe10 *).
Hie vor dö berte n) man die jungen,
die da pklagen frecher zungen:
nü ist e? ir werdekeit12).
io si schallent unde scheltent reine frouwen
we ir hinten13) und ir hären14),
die niht kunnen frö gebaren
sunder wibe herzeleit!
da mac man Sünde bi der schände schouwen,
15 die maneger üf sich selben leit15).
i) vernachlässigten (nach der Vermutung von Wilmanns: ungebat ist
noch nicht befriedigend erklärt). — 2) Ehrgefühl. — 3) Lob der guten alten
Zeit. — 4) hochfahrend. — 5) des . . niht. — 6) also dar: immerhin, nur
so zu. — 7) pietätlos verspottet zu werden. — 8) Knappen, Junker.
9) für sie. — 10) vorwärts dringt, Fortschritte macht. — n) Prät. s. bern. —
12) gereicht zur Ehre. — 13) Dat. Plur., s. hüt. — 14) ihnen droht „Stäupen
(der Haut) und Scheren (der Haare)“, entehrende Strafe, vgl. Grimm,
deutsche Rechtsaltertümer 702 ff. — 15) leget. Nach R. Bechstein (Schul-
ausgabe, Cotta) ist obiger Spruch „der klangvollste unter allen Sprüchen
Walthers, durch rhetorische Frage eingeleitet, in vs. 4, 10, 11, 14 durch
schöne ungesuchte Alliterationen gehoben“.
Rgj? tai? ta? ^ Rgi? rjgj? t^i? taff CggS» PgiR 371
U. Konstantins Schenkung.
Ivünc Constantm der gap so vilx),
als ich e? iu bescheiden wil,
dem stuok ze Rome, sper kriuz’ unde kröne2).
Zehant der engel3) lüte schre4)
5 ‘owe, owe, zem dritten we!
e stuont diu kristenheit mit zühten schöne:
Der ist nü ein gift gevallen,
ir honec ist worden zeiner gallen.
da? wirt der werlt her nach vil leit/
io alle fürsten5) lebent nü mit eren,
wan der hoehest’6) ist geswachet:
da? hat der pfaffen wal7) gemachet.
da? si dir, süe?er got, gekleit8).
die pfaffen wellent leien reht9) verkeren.
15 der engel hat uns war geseit.
Sehnsucht nach Wien.
Dr! sorge habe ich mir genomen:
möht’ ich der10) einer z’ende körnen,
so waere wol getan ze minen dingen11).
Iedoch swa? mir da von geschiht,
5 kn12) scheide ir von ein ander niht13):
mir mag an allen drin noch wol gelingen.
Gotes hulde und miner frouwen minne,
dar umbe sorge ich, wie ich die gewinne:
!) sagenhafte Schenkung des Kirchenstaates an den Papst. — 2) Christi
Marterwerkzeuge, deren Besitz der Kirche zu Macht verhalf. — 3) Am
Tage der Schenkung soll sich die Stimme eines Engels (vgl. auch vs. 15)
haben vernehmen lassen: „Heute ist Gift in die Kirche gegossen worden,
weil sie größer ist an äußerem Ansehen, aber kleiner an innerer religiöser
Kraft“ (hodie infusum est venenum in ecclesia, quia maior est dignitate
et minor religione), Bemerkung am Rand einer Wiener Handschrift des
13. Jahrhunderts. — 4) Prät., s. schrien. — 5) des Reiches. — 6) vermut-
lich das Reichsoberhaupt Otto IV. — 7) Friedrichs II. (Dezember 1212). —
ö) geklaget. — 9) den König zu wählen. — 10) Gen. Plur. — n) stände
meine Sache gut. — 12) ih-ne. — 13) niht ir (Gen.: der sorgen): erstrebe
die Erfüllung aller drei Wünsche.
24*
372 Es?»? eg»? ra? Kg« tisa ^ r-LL- tat iaR rait Rgs? tat cLd
daß dritte hat sich min erwert unrehte manegen tac.
io daß ist der wünnecliche hof ze Wiene:
in gehirme1) niemer, unz ich den verdiene,
sit er so maneger tugende mit so staeter triuwe pflac.
man sach Liupoltes hant da geben, daß2) si des niht erschrac.
-=3®0-
H. Huf Hctnmor des Alten Tod.
Owe daß wisheit unde )ugent,
des mannes schcene noch sin tugent,
niht erben3) sol, so ie der lip erstirbet!
Das; mac wol klagen ein wiser man,
5 der sich des schaden versinnen4) kan,
Reimar5), waß guoter kunst an dir verdirbet!
Dü solt von schulden iemer des genießen,
daß dich des tages weite nie verdrießen,
dun spraeches ie den frouwen wol6).........
io des süln si iemer danken diner zungen.
und betest niht wan eine rede gesungen:
‘so wol dir, wip, wie reine ein nam!’7), du betest also
gestriten
an8) ir lobe, daß elliu wip dir gnaden9) solten biten.
Deswar10), Reimar, du riuwes11) mich
15 michels harter danne ich dich,
ob du lebtes und ich waere erstorben.
Ich wilß bi minen triuwen sagen,
dich selben wolte ich lützel klagen:
ich klage din’ edelen kunst, daß sist verdorben.
20 Dü kündest al der werlte fröude meren,
so duß ze guoten dingen wobest keren.
mich riuwet din wol redender munt und din vil süeßer sanc,
i) ruhe. — 2) daß . . niht: ohne daß — 3) intrans.: sich vererben. —
4) begreifen. — 5) Reinmar der Alte, die „Nachtigall von Hagenau“, lebte
am Wiener Hof, starb vor 1207; s. S. 328 des Lesebuches. — 6) daß du
nie einen Tag (nie des tages) vorübergehen ließest, ohne daß du über
die Frauen Gutes sprachst. — 7) s. S. 328 des Lesebuches. — 8) für.
9) Gottes Gnade für dich erbitten. — 10) daß ist wär: wahrlich. — n) riuwest:
dauerst.
cg-aft c^tR tas? Kgs? pgy ta? cgi? p^s? Egg? t^i? pg»t 373
da? die verdorben sint bi Minen ziten.
da? du niht eine wile mobtest biten1)!
25 so leiste2) ich dir geselleschaft: min singen ist niht lanc.
din sele müe?e wol gevarn, und habe din zunge danc!3)
15. Mahnung an König Philipp.
Philippe4), künec höre,
si gebent dir alle heiles wort5)
und wolden liep nach leide.
Nü hast du guot und ere:
da:? ist wol zweier künege hört:
diu gip der milte beide.
Der milte Ion ist so diu sät,
diu wünnecliche wider gät6)
dar nach7) man si geworfen hat:
wirf von dir miltecliche. 10
swelch künec der milte8) geben
kan9),
si git im, da?10 *) er nie gewan.
wie Alexander n) sich versan!12)
der gap und gap, und gap sim13)
elliu riebe.
16. Huf dem Reichstag zu Frankfurt a. M. (4. März 1212).
a. Art Kaiser Otto IV.
1. Naisergruß.
.Her k eis er, sit ir willekomen.
der küneges name ist iu benomen:
des schinet iuwer kröne ob allen krönen.
Iu’r hant is krefte und guotes vol:
5 ir wellet übel oder wol,
sö mac si beidiu rechen unde Ionen.
Dar zuo sag ich in mære:
die fürsten sint iu undertan,
si habent mit zühten iuwer kunft erbebet14)
10 und ie15) der Mîssenære 16)
derst iemer iuwer âne wân17) :
von 18) gote wurde ein engel ê verleitet.
1) warten. — 2) leistete (Konjunkt.) : würde leisten, hätte geleistet. —
3) sei gepriesen! — 4) von Schwaben. — 5) Segenswort, Glückwunsch. —
6) aufgeht (aus der Erde). — 7) dar nach: (je) nach dem. — 8) Dat. —
9) weiß. — 10) was. — u) der Große. — 12) klug war. — 13) si (die milte)
im (Alexander). — n) erwartet. — 15) gerade. — ie) Meißner: Markgraf
Dietrich IV. von Meißen (1195—1220). — 17) ohne Zweifel, sicherlich. —
18) von Gott weg.
374 ^ Egj? Pg»? cgj? ^ c^i? t^j? Cggii? pgff tai? Kgj? r-s»r
2. Aufruf zur Kreuzfahrt.
Her keiser, ich bin frönebote1)
und bringe iu boteschaft von gote.
15 ir habt die erde, er hat da? himelriche.
Er hie? iu klagen (ir sit sin voget),2)
in sines sunes lande broget3)
diu heidenschaft iu beiden lästerliche.
Ir muget im gerne rihten4):
20 sin sun der ist geheimen Krist,
er hie? iu sagen, wie er?, verschulden5) welle:
(nü lät in zuoc) iu pflihten 7)
er rihte iu, da8) er voget ist,
klagt9) ir joch10 *) über den tievel ü? der helle.
3. Aar und Leu.
25 Her keiser, swenne ir Tiuschen11) fride
gemachet stsete bi der wide12),
so bietent iu die fremeden zungen13) ere.
Die14) sult ir nemen an arebeit,
und süenet15) al16) die kristenheit:
30 da? tiuret iuch, und müet die beiden sere.
Ir tragt zwei keisers eilen,
des aren tugent, des lewen kraft:
die sint de? herzeichen an dem schilte17).
die zwene hergesellen,
35 wan18) woltens an die heidenschaft!
wa? widerstüende ir manheit19) und ir milte?20)
i) Bote des Herrn, Gottes Bote, Gerichtsbote. — 2) Schirmherr auf
Erden, Richter. — 3) im gelobten Lande erhebt sich übermütig. — 4) Recht
verschaffen. — 5) vergelten. — 6) mit Euch. — 7) sich verbinden. — 8) wo. —
9) klagetet. — io) auch. — ii) Dat. PL: den Deutschen. — 12) bei Strafe
des Stranges (wit stf. : Strang aus geflochtenen Reisern). — 13) Völker. —
14) ère. — 15) versöhnt, bringt zum Frieden. — 16) Adv.: ganz. — 17) Otto
hatte bei seiner Krönung in Rom einen halben Adler und drei Löwen im
Wappen. — ") daß (sie) doch .... (gehen) wollten 1 — 19) Löwenkraft. —
20) Hochherzigkeit (des Adlers): die Sage läßt den Adler den Rest seines
Raubes an kleinere Vögel abtreten.
Cgj? ta? Rgi? Kgi? Kgj? Egg? Egg? l^ii Kgi? t^5? Pgj? 375
b. Rn Papst Innocenz III. und die Kurie.
1. Der gehorsame Sohn.
8er bubest, icb mac wol genesen1):
wan ich wil iu gehorsam wesen,
wir hörten iuch der kristenheit gebieten
40 Wes wir dem keiser sollten pflegen,
dö ir im gäbet gotes segen2),
da^ wir in hieben her re und vor im knieten.
Ouch sult ir niht vergeben,
ir sprächet: ‘swer dich segene, si
45 gesegent: swer dir fluoche, si verfluochet
mit fluoche völme^en.’3)
durch4) got bedenket iuch da bi,
ob ir der pfaffen5) ere iht geruochet6).
2. Der Zinsgroschen.
Dö gotes sun hien7) erde gie,
50 do versuohten in die juden ie8):
sam tätens eines tages mit dirre träge.
Si frägeten, obe ir frie^ leben9)
dem riebe iht zinses solte geben.
dö brach er in10) die huote und al ir läge11).
55 Er iesch l2) ein münizisen13),
er sprach: ‘wes bilde ist hie ergraben?'
‘des keisers/ sprächen dö die merkaere.
dö riet er den unwisen,
da^ sie den keiser liefen haben
60 sin küneges reht, und got, swa? gotes waere.
3. Lin Widerspruch.
Got git ze künege, swen er wil:
dar umbe wundert mich niht vil:
0 selig werden, trotz des Bannes, den Innocenz III. im November 1210
über Otto, der in Apulien eingefallen war, und über seine Getreuen ver-
hängt hatte. — 2) 1209. — 3) voll gemessen, vollgewichtig; — vgl. 1. Moses
12, i ff. — 4) um — willen. — 5) Geistlichkeit (ohne verächtlichen Neben-
sinn). — G) wenn ihr irgendwie auf das Ansehen der Geistlichen Rücksicht
nehmt. — 7) hie en erde: hier auf Erden. — 8) immer. — 9) Stand. —
10) ihnen (den Juden). — n) Wache und Hinterhalt (Bild des Gefangenen, der
sich befreit). — 12) Brät., s. eischen: fordern (heischen). — 13) Prägestempel.
— vgl. Matth. 22, Mark. 12, Luk. 20.
376 ^ rLd r-ssr sass? cgj? Kgl? r^rr Egg? tat ia? Egj»
uns leien wundert umbe der pfaffen lere,
Si lerten uns bi kurzen tagen1):
65 da?, wellents uns nü widersagen.
nü tuon^2) durch got und durch ir selber ere,
Und sagen uns bi ir triuwen,
an welher rede wir sin betrogen;
volrecken3) unz die einen wol von gründe,
70 die alten1) ode die niuwen5).
uns dünket, eine;; si gelogen,
zwo zungen stänt unebne in einem munde.
17. Geldgier.
Ich hän gemerket6) von der Seine7) unz an die Muore8),
von dem Pfade9) unz an die Traben10) erkenne ich al ir11) fuore:
diu meiste menege enruochet, wies12) erwirket guot.
sol ichs; also13) gewinnen, so ganc14) släfen, hövescher muot15).
5 guot was ie genseme, iedoch so gie diu ere
vor dem guote: nu ist da;; guot so here,
da:; e; gewaltecliche vor ir16) zuo den frouwen gat,
mit den fürsten zuo den künegen an ir rat17),
so we dir, guot! wie roemesch riebe stät!18)
io du enbist niht guot19): du habst20) dich an die schände ein
teil21) ze sere.22)
vor kurzem. — 2) mögen sie es tun, Konjunkt. des Wunsches,
wie sagen (vs. 47) und volrecken (vs. 69). — 3) vollständig auseinander-
setzen. — 4) den Segen des Papstes. — 5) den Bannfluch. — 6) aufge-
merkt, beobachtet. — 7) Frankreich (Westen). — 8) Mur in Steiermark
(Osten). — 9) Po in Oberitalien (Süden); Pfät, (Gen) Plades (lat. Padus). -—
io) Trave bei Lübeck (Norden). — 13) der Bewohner Lebensart. — 12) wie
si. -— 13) ebenso. — 3,4) Imper. zu gän: gehe! — 3 5) Gesinnung. — 3 6) vor
der Ehre. — 3 7) zur Beratung, in den Rat der Könige. — 18) da steht
(deinetwegen). — 39) wenn du dich auch so nennst. — 20) hältst. — 21) ein
teil: etwas. — 22) vgl. Goethe, Faust, I. (Margarete): „Nach Golde drängt,
Am Golde hängt, Doch alles. Ach wir Armen!“ — Wieland, Oberon,
Ges. 11: „Nur Gold genug, so ist die Welt zu Kauf; Ein goldner Schlüssel,
Herr, schließt alle Schlösser auf!“
taï? pgît Kgi? ta? Egg? cgi? ïigR tat tagst t^i? r^L- ZH
^8. Sehnsucht nach einem heim.
‘Sît willekomen, her wirt’1): dem2) gruoçe muoz, ich swîgen:
'sît willekomen, hêr gast!’ sô inuo? ich sprechen oder nîgen3).
wirt unde heim sint zwêne unschamelîche namen:
gast unde hereberge muo? man sich vil dicke schämen,
s 5 noch müe?’ ich geleben, daç ich den gast ouch grüe^e,
so daç er mir dem wirte danken müe^e.
'sît hînaht hie, sît morgen dort': wa? gougelfuore4) ist dazj
'ich bin heime' od 'ich wil heim’ das; trcestet baç.
gast unde schäch3) kumt selten âne haç :
oo nû büe^et6) mir des gastes, daç iu got des schäches büeçe7).
19. Der milde Landgraf.
Ich bin des milten lantgräven8) ingesinde9).
i ez, ist mîn site, das; man mich iemer bi den dursten vinde.
i die andern fürsten alle sint vil milte, iedoch
: sô stæteclîchen niht: er was e? ê und ist eç noch.
> O dä von kan10) er bas; danne si dermit11) gebären12):
) er enwil dekeiner lûne13) vären 14).
; swer hiure schallet und ist hin ze jâre15) bœse lß) als ê,
) des lop gruonet unde valwet sô der klê.
) der Dürnge17) bluome18) schinet durch den snê:
- '> sumer und winter blüet sin lop als in den ersten jären.
i) Hauswirt, Hausherr. — 2) solchem. — 3) mich mit Worten des
I Dankes verneigen. — 4) Gen. abh. von wa^: was für ein unbeständiges
I Leben (der fahrenden Leute). — S) der Zuruf an den Spieler „Schach!“ —
a 6) Abhilfe schaffen, befreien von. — 7) erlöst mich von dem Namen Gast,
b damit Gott Euch von dem Schachbieten des Gegners befreie ; vielleicht ist
i Kaiser Otto gemeint zur Zeit, als ihm der Gegenkaiser Friedrich II. schon
« „Schach" bot, ihn in bedrängte Lage brachte. — 8) Hermann I. von Thü-
i ringen, Herr der Wartburg, s. S. 365 des Lesebuches. — s) einer von den
1 Hofleuten. — i°) weiß. — n) mit der Freigebigkeit. — 12) umgehen. —
: 13) Unbeständigkeit, launische Stimmung (eig. Mondphase, lat. luna). —
x 14) mit Gen.: trachten nach. — 15) hin ze jâre: übers Jahr. — 16) geizig. —
x 17) Gen. Flur. zu Dürinc. — i8) der Landgraf.
378 Egg» r-Sii- Kgs? gsgj? ta? C^i? tast Cflgs? r-s»? ta> Kgg
20. Männer Lob.
An wibe lobe stet wol, da? man si heizte schoene:
manne stet e? übel; es; ist ze wich1) und oste hcene.
küen’ unde milte, und da? er da zuo staete si,
so ist er vil gar gelobt: den zwein stet wol da? dritte bi.
5 wil?2) iu niht versmähen3), so wil ich? iuch leren,
wie wir loben suln und niht uneren.
ir müe?et in4) die liute sehen, weit ir erkennen wol:
nieman ü?en nach der varwe loben sol.
vil manic möre ist innen tugende vol:
io we wie wi? der5) herze sint, der6) si wil umbe keren!
2\. Zreunde in der Not.
Swer staetes friundes sich durch übermuot beheret7)
und er den sinen8) durch des fremeden ere uneret,
der möhte ersehen, würd’ er von sinem hoehern ouch geseret,
da? diu gehalsen9) friuntschaft sich vil lihte entrande10 *),
5 swenn er sich libes unde guotes solde umb in bewegen,
ich hän vereischet, die der wenkeu) hänt gepflegen,
da? si der kumber wider üf die erbornen 12) friunt gewande:
da? sol von gotes lehen 13) dicke noch geschehen,
ouch hörte ich ie mit volge u) des die liute jehen:
io ‘gewissen 15) friunt, versuochtiu16) swert, sol man ze
noete ersehen/17)
i) abgeschmackt (nach Wilmanns). — 2) wil e?. — 3) verächtlich
dünken, zuwider sein.— 4) in (Gegensatz zu ü?en). — 5) der Mohren. —
6) wenn einer. — 7) m.'Gen.: sich erhebt über. — 8) seinen Angehörigen.
9) zärtliche, s. halsen: umarmen. — lü) s. en-trennen: lösen. — n) Plur.
zu wanc: das Wanken; der wenke pflegen: unbeständig sein.— 1 -) ange-
boren. — 13) Verleihung, Führung. — 14) Beistimmung. — 15) zuverlässig.
16) erprobt. — 17) Sprichwort, s. S. 399 des Lesebuches.
Cgi? Csgg? Cg=S? Rgj? Rggj? ta? Kgj? ta? t^i? t^i? 379
22. Km Hofe König Friedrichs, i)
a. „Herr" Gtto und „König" Friedrich.
Ick kan kern2) Osten triuwe3), er welle mick noch riehen:
wie nam ab er min dienest ie so trügelichen?
od wa? bestes4) ze lön’ne des den künic Friderichen?5)
min vorderunge ist üf in kleiner danne ein böne;
5 5 e?n si so vil6), ob er der alten Sprüche7) waere frö.
ein vater lerte wilent sinen sun also:
‘sun, diene manne8) bcestem, da? dir manne beste löne.’
her Otte, ich bin?9) der sun, ir sit der boeste man,
wand ich so rekte boesen herren nie gewan:
ojio her künec10), sit11) ir? der beste, sit12) iu got des lönes
gan13).
b. Milde und Länge.
Ich wolt’ hörn Otten14) milte nach der lenge15) me??en;
dö hat’ ich mich an der mä?e ein teil verge??en:
waer’ er so milt’ so lanc, er hete tugende vil bese??en.
vil schiere ma? ich abe16) den lip nach siner ere:
5'5 dö wart er vil gar ze kurz als ein verschroten 17) werc,
miltes muotes minre vil dan ein getwerc;
und ist doch von den jären, da? er niht enwahset mere.
dö ich dem künege18) brähte de?19) me?, wie er üf schö?!
sin junger20) lip wart beide michel unde grö?.
o o nü seht, wa? er noch wahse: erst ieze21) über in wol risen22)
______________ gnö?23).
H 1214 oder 1215. — 2) Walther, der im Begriff ist, sich von dem
undankbaren Otto IV. loszusagen, sieht jetzt den rechtmäßigen König nur
in Friedrich II. und redet Otto nur noch als „Herr“ an. — 3) gegebenes
Wort. — 4) Z. bestän: angehen. — ») wie sollte Friedrich dazu kommen,
mich zu belohnen? — 6) es sei denn so viel, insofern. — 7) Walthers
frühere Gedichte auf die Hohenstaufen. — 8) Gen. Flur., boese: geizig. —
9) bin e?. — 10) Friedrich II. — n) möget sein. — 12) seit nun, da. —
13) s. gunnen; zu lohnen vergönnte, Euch Reichtum gab. — 14) Gen. —
15) des Körpers; Otto IV. war auffallend groß und stark. — 16) aber: aber-
i mals. — 17) verschnitten. — is) Friedrich II. — 19) da? ma?: den Maßstab
( ‘ (der Milde) anlegte. — 20) Friedrich damals zwanzig Jahre alt. — 21) er
i ist jetzt. — 22) Gen. Flur. — 23) einem Riesen gleich.
380 ^ ^ ^ Kgit taR Kg»< tai? Rgst Cdgjft Cagf? Rgj? fegst
23. Kaiser Friedrich II.
a. Bitte.
\ on Rome vogt4), von Pülle künec, lat iuch erbarmen,
da? man mich bi richer kunst lät alsus armen1 2),
gerne wolde ich, mühte e? sin, bi eigem3) fiure erwärmen,
zäi wiech4) danne sunge von den vogellinen,
5 von der beide und von den bluomen, als ich wílent sane!
swelch schoene wip mir denne gaebe ir habedanc,
der lie?e ich liljen unde rosen ü? ir wengel schinen
sus kume ich spate und rite fruo: ‘gast, wé dir, wé!’
so5) mac der wirt6) wol singen von dem grüenen kle.
io die not bedenket, milter künec, da? iuwer nót zergé7).
b. Dank.
Ich hän min leben, al die werlt8), ich han min léhen9).
nü enfürhte ich niht den hornunc10) an die zehen,
und wil alle boese u) hérren deste minre flehen,
der edel künec, der milte künec hat mich beraten 12),
15 da? ich den sumer luft und in dem winter hitze hän.
min' nähgebüren dunke ich verre ba? getan13):
si sehent mich niht mér an in butzen wis 14) also si täten,
ich bin ze lange arm gewesen an minen danc15).
ich was so volle scheltens 16), da? min áten stanc:
20 da? hät der künec gemachet reine, und dar zuo minen sane.
Freundschaft.
Alan hohgemäc, an friunden kranc,
da? ist ein swacher habedanc:
1) Friedrich II., Schirmherr von Rom (Kaiser), König von Apulien
(Sizilien). — 2) Verbum! — 3) eigenem. — 4) wie ich. — 5) dagegen.
6) Hausherr. — 7) Friedrich machte die Wahl seines Sohnes Heinrich zum
römischen König und die Kreuzzugsangelegenheit Sorge (Wilmanns). —
8) alle Welt! — 9) durch Friedrichs Gnade. — 10) kälteste Winterzeit;
Frost, s. Wb. — ii) geizig. — 12) versorgt. — i») beschaffen; wol getan:
schön. — 14) wie ein Schreckbild, einen „Butzemann". — 15) wider Willen.
— 16) bezieht sich auf verbitterte Sprüche Walthers.
k-ssr tjgj? Kgl? Rgi? Rgj? Ea£i? KLÄ- Pgi? t^i? Rgj? ^ Z81
ba? gehilfet friuntschaft âne sippe.
lâ einen sîn geborn von küneges rippe l) :
5 er enhabe2) friunt, wa; liilfet da??
mâgschaft ist ein selbwahsen ère.
sô3) muo? man friunt verdienen sêre.
mâc billet wol, friunt verre ba?.
Swer sich ze friunde gewinnen lât
10 und ouch dâ bî die tugende hât,
da? er sich âne wanken lât behalten,
des4) friundes mac man gerne schöne walten5),
ich hân eteswenne friunt erkorn
sô sinewel an sîner stæte,
15 swie gerne ich in behalten hæte,
da? ich in muoste hân verlorn.
Swer mir ist slipfic als ein 1s
und mich üf hebt in balles wîs6),
sinewelle7) ich dem in slnen banden,
20 da? sol z’unstæte8) nieman an mir anden,
sît ich dem getriuwen friunde bin
einlcetic9) unde wol gevieret10).
swes muot u) mir ist sô vêch 12) gezieret,
nû sus nû sô, den walge13) ich hin.
—o®o—
25. Zelbjtüberwmdung.
AVer sieht14) den lewen? wer sieht den risen?
wer überwindet jenen und disen?
da? tuot jener, der sich selber twinget
und alliu sîniu lit15) in huote bringet
5 ü? der wilde in stæter zühte habe16).
]) aus Königsgeschlechte (Eva stammt aus „Adams Rippe“). —
U2) wenn er nicht einen Freund hätte. — 3) dagegen. — 4) demonstr. - -
(85) schöne (Adv. zu schoene) walten: sorgfältig behandeln. — 6) um mich
iwwie einen Ball fortzuwerfen. — ?) sinewellen swv. (von sinewel: rund):
ivnvie eine Kugel fortrollen. — 8) Ze unstaete: als Unbeständigkeit. — S) aus
ieeinem Metall. — 10) s. vieren; zuverlässig.— n) Gesinnung. — 12) bunt.
— 13) rollen. — 14) s. slahen. — is) Plur.: Glieder. — 16) Hafen.
!
382 ^ ^ Cagjs? t^i? Egg? ta? t^i? Rgj? Cagj? Eg»?
geligeniu1) zuht und schäme vor gesteni) 2)
mugen wol eine wile erglesten3):
der schin nimt dräte4) üf unt abe5)..
-=a«g)c=-
Her Walther von der Vogelweide,
Swer des vergaege, der taet mir leide.
Hugo von Trimberg, Renner (um 1300).
64. 5er slifhcirf6).
(seit etwa 1210.)
a. Frühlings- und Zomnierlieder.
1.
1. Der meie der ist riebe:
er füeret sicherliche
den walt an siner hende.
der ist nü niuwes loubes vol: der winter hat ein ende.
2. ‘Ich fröwe mich gegen 7) der beide,
der liebten ougenweide,
i) s. llhen; erborgte, nur äußerlich angenommene Zucht. — 2) Fremden. —
3) erglänzen, vgl. nhd. Glast. — 4) Adv. zu draete: schnell. — 5) der Glanz
nimmt ebenso rasch zu wie ab. — Vgl. zu dem Grundgedanken: Herder,
Die wiedergefundenen Söhne (1): „Tapfer ist der Löwensieger, Tapfer ist
der Weltbezwinger, Tapfrer, wer sich selbst bezwang“. — Schiller, Der
Kampf mit dem Drachen (25): „Dir ist der härtre Kampf gelungen, Nimm
dieses Kreuz! Es ist der Lohn der Demut, die sich selbst bezwungen“. —
6) Neidhart von Reuental, bayrischer Ritter, Begründer der „höfi-
schen Dorfpoesie“. — Text nach der Ausgabe von M. Haupt, Leipzig
1858. — Vgl. A. Bielschowsky, Geschichte der deutschen Dorfpoesie im
13. Jahrhundert. I. Berlin 1890 und die Literaturgeschichten von Scherer,
S. 213 u. 2x4, Vogt, S. 200, Biese I, S. 172—174, ferner Gustav Freytag,
„Neidhart von Reuental“ in „Vermischte Aufsätze“. Hrg. von E. Elster,
Bd. 1, S. 399—404, Leipzig 1901. — H. Riemann, Zehn Mailieder und
Winterklagen für gemischten Chor. Mit Zugrundelegung der Original-
melodien, Leipzig 1897. — 7) gegenüber; über die.
) diu uns beginnet nähen’:
2 so sprach ein wol getâniu *) maget, ‘die wil ich schöne enpfähen.’
3. Muoter, lât’? âne melde2),
jâ wil ich körnen ze velde
j und wil den reien3) springen.
ja ist e? lanc, da? ich diu kint4) niht niuwes hörte singen.’
4. ‘Neinä, tohter, neine!
)i ich hän dich alterseine 5)
g gezogen an mînen brüsten:
n nu tuo e? durch den willen mîn, la? dich der man niht lüsten.’
5. ‘Den ich iu wil nennen,
b den muget ir wol erkennen,
x ze dem so wil ich gaben.
9 er ist genant von Riuwental6): den wil ich umbevähen.
6. E? gruonet an den esten,
b da? alles7) mühten bresten
b die boume zuo der erden.
n nu wi??et, liebiu muoter min, ich volge dem knaben werden8).
7. Liebiu muoter höre,
,n nach mir so klaget er söre.
12 soi ich im des niht danken?
[9 er spricht, da? ich diu schœnest si von Beiern unz in Vranken9).
—o§Jo—
[ i. Uf dem berge und in dem tal
)dhebt sich aber10) der vögele
schal;
irihiwer11) als e
rggrüener kle.
üirüme e?12), winter, du tuest we.
2. Die boume, die dö stuonden
gris,
die habent alle ir niuwe? ris,
vögele vol:
da? tuet wol.
da von nimt der meie den zol13).
!) beschaffen. — 2) Sinn: verratet es nicht. — 3) Reigentanz. —
(14) Mädchen. — 5) alters-eine: ganz allein, von der ganzen Welt (alter stn.)
ioverlassen. — 6) Reuental. — ?) Adv.: gänzlich. — 8) Adjekt, s. wert. —
!?) Dat- Plur., Franken. — 10) abermals. — 11) in diesem Jahre, heuer. —
(2 2) das Land. — 13) zum Zeichen seiner Herrschaft.
384 ^ ^ Kgj? Kg»? Eg»? t^j? ügB tat t^i? cgj? t^i? t^ii ta?
Z. Ein altiu mit dem töde vaht *)
beide tac und ouch die naht.
diu spranc sider1 2)
als ein wider
und sties; die jungen alle nider.
—0®O—
3.
1. Heid, anger, walt in fröuden stät;
diu habent sich bereitet mit ir aller besten wät,
die der meie hat gesant.
si3) wir alle frö mit schalle: der sumer ist körnen in diu laut.
2. Wol der Stuben, ir stolzen kint!
lat iuch üf der strafe sehen: hin ist der scherte wint
unde ouch der vil kalte sne.
hebt iuch balde zuo dem walde: vogelin singent, den was we.
3. Diu sint ergetzet4) leides gar.
ir sult mir er; gelouben unde nemt sin selbe war,
was der sumer erzeiget hat.
er wil riehen5) sicherlichen manegen boum mit loubes wät.
4. Die nü vor größer huote megenG),
die sulen balde ir bestem viretaegewant an legen,
lä^en sich dar inne ersehen.
wir suln schouwen vordenouwen maneger hande7) bluomen
brehen8).
5. 3wie Riuwental9) min eigen si,
ich bin doch disen sumer aller miner sorgen fri,
sit der winter ist da hin.
ich wil leren die jungen eren10) freude: dar nach stet min sin.
1) Prät., s. vehten. — 2) nachher. — 3) Sin: seien wir. — 4) m. Gen.
entschädigt für. — 5) reich machen. — 6) können; Sinn: die nicht allzuscharf
behütet werden. — 7) allerhand. — 8) leuchten, glänzen. — 9) Reuental
(riuwe: Traurigkeit): Sorgental; Sinn: stamme ich auch aus dem Tal der
Sorge. — 10) s. herre.
—Mo—
ta? Rg=j? r-LU- Rgj? Rgj? cgi? t^iR Kgj? t^i? Cagj? Cgi? Kgit 3g 5
4.
i. Der walt stuont aller4) grise
vor sne und ouch vor ise.
derst1 2) in liehter varwe gar.
nemt sin war,
stolziu kint,
und reiet, da die bluomen sint.
2. (Jf manegem grüenem rise
hörte ich stiege wise
singen kleiniu vogelin.
bluomen schin3)
ich da vant.
beide hat ir lieht gewant.
3. Ich bin holt dem meien.
dar inne sach ich reien.
min liep in der linden schat4).
manic blat
ir da wac5)
für den sunnenhei?en tac.
b. Winterlieder.
5.
Raunet ü? die schämel und die stüele!
hei? die schrägen6)
vürder tragen!
hiute sul wir tanzens werden müeder.
5 Werfet üf7) die Stuben, so ist e? küele,
da? der wint
an diu kint
sanfte waeje durch diu übermüeder8).
So die voretanzer danne swigen,
10 so sult ir alle sin gebeten,
da? wir treten9)
aber ein hovetänzel nach der gigen.
Los10) ü?! ich hoer in der Stuben tanzen,
junge man,
15 tuot iuch dan:
1) ganz. - -) der ist. — 3) Adjekt. — 4) schate. — 5) Prät., s. wegen.
(° 6) s- schräge: Gestell oder Tisch, auf dem die Spielleute stehen. — 7) üf
w werfen: aufmachen. — 8) über-müeder: Mieder. — 9) tanzen. — 10) s.
ollosen: horchen, lauschen.
Liermann-Vilmar, Altdeutsches Lesebuch.
25
386 ^ ^ ^ ^ ^ r-LTr tas? r-sd tat
da ist der dorfwibe ein michel trünne1).
Da gesach man michel ridewanzen.
zwene gigen :
dö si swigen,
20 da? was geileri) 2) getelinge3) wünne;
Seht, dö wart ze zeche4) vor gesungen,
durch diu venster gie der galm.
Adelhalm5)
tanzet niwan G) zwischen zweien jungen.
25 Gesäht ir ie gehören so gemeiten
als er ist?
wi??o krist,
er ist al ze vorderst anme reien.
Einen ve??el7) zweier hende breiten
30 hat sin swert.
harte wert
dünket er sich siner niuwen treien8):
Diu’st von kleinen vier und zweinzec tuochen;
die ermel gent im üf die haut.
35 sin gewant
sol man an eim oeden9) kragen lü) suochen.
—o®o—
6.
Kint, bereitet u) iuch der sliten üf da? is.
gein dem leiden winder kalt.
der hat uns der wünneclichen bluomen vil benomen.
Manger grüenen linden stent ir tolden12) gris.
5 unbesungen 13) ist der walt,
da? ist alle? von des rifen ungenäden körnen.
Mugt ir schouwen, wie er hat die beide erzogen14)?
diust von sinen schulden val.
i) Haufen. — 2) froh. — 3) s. getelinc: Bauernbursche. — 4) ze zeche:
der Reihe nach. — 5) Name eines Bauern. — 6) nur. — 7) Band zum Be-
festigen des Schwertes. — 8) s. treie: Wams. — 9) oede: eitel. — 10) krage;
hier als Schimpfwort: Tor, Narr. — n) bereiten (red. m. Gen.): sich ver-
sehen mit. — 12) s. tolde: Wipfel.— 13) ohne Gesang.— 14) durchzogen.
cgi? Egi? Egi? cag«? r-sd k-Li- r-ssr rissr c^r? c-Ld K-L4- r^Är r^s? Z87
dar zuo sint die nahtigal
io alle ir wec gevlogen.
Wol bedürfte ich miner wisen vriunde rät
umbe ein dinc, als ich iu sage,
daz, 8i rieten, wä diu kint ir vreuden seiden phiegen.
Megenwart1) der witen Stuben eine hat:
15 obe? iu allen wol behage,
dar* i 2) sul wir den gofenanz3) des viretages legen.
Ez, ist siner tohter wille, kom wir dar.
ir sul44) alle ein ander sagen,
einen tanz al umbe den schrägen
20 den brüevet5) Engelmär.
Wer näch Künegunde ge, des wert6) enein 7).
der was ie näch tanze we:
ez, wirt uns verwi^en, ist da:?8) man ir niht enseit.
Gisel, ginc9) näch Jiuten hin und sage in zwein,
25 sprich da:? Elle mit in ge.
ez, ist zwischen mir und in ein starkiu Sicherheit10).
Kint, vergiß durch niemen Hadewigen dä:
bit si balde mit in gän.
einen site si sulen län,
30 da;? binden üf die brä11)
Eppe der zuht12) Geppen13) Gumpen ab der hant:
des half im sin drischelstap:
doch geschiet14) e;? mit der riutel15) meister Adelber.
Da;? was alle/, umbe ein ei, da/, Ruopreht vant
35 (ja waen im/, der tievel gap):
dä mit dröte er im ze werfen alle^16) jenenther17).
Eppe der was beidiu zornic unde kal18):
*) die großgedruckten Eigennamen sind Namen von Bauern oder Bäue-
i rinnen. — 2) dar . . . legen: dahin legen, dort abhalten. — a) Zusammen-
5I kunft zu Spiel und Tanz (mlat. convenientia, frz. convenance). — 4) sult
9 eiS- — 5) regt an. — ö) werdt, werdet. — 7) en ein („in ein“) werden (m.
' Gen.): eins, einig werden über. — 8) ist da:?: ist (es der Fall), daß; wenn. —
9) Imper. zu gän. — 10) Versicherung, Verabredung. — H) sie sollen sich
n nicht die Hauben bis auf die Augenbrauen binden. — 12) Brät.: s. zucken. —
1 la) Name einer Bäuerin. — 14) s. ge-scheiden. — 15) Pflugreute (zum
2 Säubern des Pflugbrettes). — Jfi) immer. — 17) von drüben her.— 18) vgl.
u unser Scherzwort: Der Löwe ist gelb und großmütig.
25
388 Casi? Cigp KSL- c^»? r^Ä-
übellichen1) sprach er ‘tratz’ * 2).
Ruopreht warf imß an den glatz,
40 daß ez;3) ran ze tal.
Frideliep bi Götelinde wolde gän:
des het Engelmär gedäht4).
wil iuch niht verdrießen, ich sag in daß ende gar.
Eberhart der meier muoste eß understän5),
45 der wart zuo der suone6) bräht:
anders waere ir beider hende ein ander in daß här.
Zwein vil oeden ganzen7) gent si vil gelich
gein ein ander al den tac.
der des voresingens phlac,
50 daß was Friderich.
65. Spätere Lyriker.
I. Her Uolrich von Liehtenstein8).
(gestorben um 1275.)
1.
Daß ist ein üßreise9).
Wil lernen nach êren die zit wol vertrîben,
ze sseiden sich kêren, bî freuden belîben,
der diene ze fliße10) mit triuwen vil schöne
nach der minne löne: der ist stieße, reine,
5 vil guot und aleine den guoten gemeine11).
Swer volget dem Schilde 12), der soi eß enblanden13)
dem lîbe, dem guote, dem herzen, den banden.
1) böse. — 2) Trotz (sei dir geboten!) — 3) das Ei. — 4) das hatte
auch Engelmar beabsichtigt. — 5) verhindern. — 6) Aussöhnung. — 7) Gänse-
richen. — 8) Ulrich von Lichtenstein, ein steirischer Ritter. — 9) Lied
beim ritterlichen Auszuge. — Text nach K. Bartsch, Deutsche Liederdichter
des 12. bis 14. Jahrhunderts. Eine Auswahl. 4. Ausl, von W. Golther, I,
S. 183, Berlin, Behr, 1906. — 10) ze filze: fleißig, sorgfältig. 1U gemein-
schaftlich, zugehörig. — 12) Schildesamt, Ritterdienst. — 13) mühselig werden
lassen.
Egj? tas? ta? Rgj? Rgj? ra« rat c^tr ta? pa? ta? Z80
des lônet vii höhe mit hohem gewinne
diu vii werde Minne: diu gît freud und ère.
io wol ir stiegen 1ère! sie kan trœsten sère.
Der schilt wil mit zühten vil baltliche? eilen:
er ha??et, er schiuhet* 1) Schand und ir gesellen,
got des niht enwelle, da? man bî im vinde
so swachlich gesinde, er wil da? die sînen
15 ûf ère sich pinen2), in tilgenden erschînen.
Erg3) unde unfuoge und unfuore diu wilde
gezimt niht dem helme und touc niht dem Schilde,
der schilt ist ein dach, da? niht schände kan decken,
sin blic4) læt5) enblecken6) an êren die weichen7),
20 von vorhten erbleichen: diu varwe 8) ist ir zeichen.
Hòchgemuote frouwen, ir suit wol gedenken :
getriuwen gesellen vil stæte âne wenken
den minnet, den meinet, mit herzen, mit muote,
da? in iwer huote behalte, behüete
25 mit liebe, mit güete, vri vor ungemüete.
Sie ist âne schulde mir ha?lîch erbolgen9)
der ich ze dienste dem Schilde wil volgen.
nu hän ich für zürnen noch für herzen sère 10)
niht ander schilt mère wan den tröst aleine,
30 da? ich sie ba? meine denn ie wîp deheine.
Gein ir langen kriege setz ich min gedulde:
so stè gein ir ha??e ze wer11) min unschulde.
min wer gein den valschen da? sol sin min triuwe
vil süe?e âne riuwe: min kampflîch gewæte 12)
35 für ir nîdetæte13) da? sol sin min stæte.
—0®C—
2.
Ein tanzwise14).
Vrouwe scimene, frouwe reine, | ich wæn : iuch die minne
: frouwe sælic, frouwe guot, j kleine
1) scheut. — 2) sich bemühen um. — 3) erge: Bosheit. — 4) Glanz. —
0 - 5) läßt. — 6) sichtbar machen. — ?) Adjekt. weich: schwach. — 8) die
1) (blasse) Farbe. — 9) Partiz. von erbëlgen : erzürnt. — 10) Subst. —
1 14) Wehr, Gegenwehr. — 12) Rüstung. — 13) gehässiges Tun. — i-p Text
n nach Fr. Pf aff, Der Minnesang des 12. bis 14. Jahrhunderts. (Kürschner,
J . D. N. L. 8, i, S. 141).
300 ^ ^ Kgit Kgj? fegj? kLÄ- r-LÄr Kgj? Kgit Egi? Cgi? Cgi? Pgj?
müet1): der2)sitirhochgemuot. ■
5 wirt iu minne twingen3) kunt,
iuwer kleinvelröter munt
lernet siuften an der stunt.
‘Herre, saget mir, wa? ist
minne?
ist e? wip odr ist e? man?
10 des enwart ich noch nie inne.
saget an, wie ist e? getan?4)
da? suit ir mir künden gar,
wa? e;? si und wie e? var5):
da? ich mich vor im bewar/
15 Vrouwe, minne ist so ge-
waltic,
da? ir dienent elliu lant:
ir gewalt ist manicvaltic.
ich tuon iu ir site bekant:
sie ist übel, sie ist guot,
20 wol und we sie beidiu tuot:
seht, also ist sie gemuot.
‘Herre, kan diu minne swen-
den6)
trüren und ouch senediu leit,
höchgemüete in herze senden,
25 stiegen zuht und werdekeit;
hat sie alles des gewalt,
als ich iu hän vor gezalt7),
so ist ir sselde manicvalt/
Vrouwe, ich wil iu von ir
mere
sagen, ir Ion ist wunneclich: 300
sie git freude, si git ere,
sie tuot8) höher tugende rieh.
ougen wurme, herzen spil9)
gibt sie, swem sie Ionen wil,
dar zuo höher sseiden vil. 3äs
‘Herre, wie sol ich ver-
schulden10)
ir Ion und ir habedanc?
sol ich kumber da von dulden,
da ist min lip zuo gar ze kranc1 *).
leides mac ich nit getragen. 4f
wie sol ich ir Ion bejagen?
herre, da? sult ir mir sagen/
Vrouwe, da soltü mich
meinen
herzenlichen als ich dich,
unser zweien 12) so vereinen, ^
da? wir beidiu sin ein ich.
wis13) du min, so bin ich din!
‘herre, des mac niht gesin.
sit ir iuwer, ich bin min/
1) bekümmert, s. müejen. — 2) Dat.: gegen die seid Ihr zu stolz. —
3) der Minne Bedrängnis. — 4) beschaffen. — 5) sich benehme, s. varn. —
6) schwinden machen. — 7) aufgezählt. — 8) macht. — 9) Vergnügen. — -
10) verdienen. — n) schwach. — 12) Substant. Inf.: zwei sein, sich ent- -
zweien. — 13) sei.
cg«? Rgar? gagsv egg? egg? egg? egg? egg? egg? egg? egg? ta? egg? ^01
. II. Her Reinmär von Zweter1).
(gestorben nach T252.)
Ich quam2) geriten üf ein velt
vür einen grüenen walt: da vant ich ein vil schcene gezelt,
dar under sa? diu Triuwe, si want ir hend, si clagte gote ir leit.
si schre3) vil lüte und sprach ze got:
5 5 ‘Herre, lä dich erbarmen, ich bin zer werlt4) der riehen spot;
da? rihte5) du mir, herre: din gewalt ist michel unde breit,
die ungetriuwen wellent mich verkeren:
herre got, hilf mine fröide meren!
min schar ist worden also deine,
0.0 der ungetriuwen ist so vil,
untriuwe ist in der werlte ein spil:
nu hilf im, Crist, swer dich mit triuwen meine.5
III. Der Marner6).
(gestorben um 1270.)
1.
W ie höfsche liute habe derRin,
da? istmirwolmitschadenkunt:
ir hübe, ir har, ir keppelin
erzeigent niuwer fünde7) vunt.
35 Krist in helfe, so sie niesen!
E? mac wol curteis povel8) sin,
pittit mangier9) ist in gesunt.
stad üf, stad abe in wehset win,
in dienet ouch des Rines grünt10)
(ich wil üf sie gar verkiesen11): 10
Der Nibelunge hört lit in dem
Lurlenberge12) in bi.
in wei? ir niender einen, der so
milte si,
!) Reinmar von Zweter, Ritter aus dem niederen Landadel, am
Rhein geboren, in Österreich aufgewachsen, lernte um 1220 Walther von
1 der Vogelweide kennen. — Text nach Fr. Pfaff, Der Minnesang des 12. bis
14. Jahrhunderts. (Kürschner, D. N. L. 8, 1, S. 170). — Vgl. Gustav Roethe,
t Gedichte Reinmars von Zweter, Leipzig 1887 (mit Einleitung). — 2) kam. —
: 3) Prät, s. schrien. — 4) auf der Welt. — 6) bessere. — 6) Der Marner,
> schwäbischer Dichter bürgerlichen Standes. — Text nach K. Bartsch,
Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. Eine Auswahl. 4. Auf-
I lage von W. Golther, S. 227, Berlin, Behr 1906. — 7) Erfindungen. —
8) höfliche, feine Leute: frz. courtois peuple; beachte, wie auch damals
) der Einfluß französischer Sitte und Sprache auf dies Grenzgebiet stark
r war. — 9) kleines (feines) Frühstück. — 10) der Rheinsand führte Gold. —
c 4 4) verzichten. — 12) Lorieiberg.
392 ^ ^ ^ feü? Casri? Kgl? CgR Rgj? PLd Ea£i? Cgi? fe£i? Pag»?
da? er den geraden1) teile mite
von siner gebe.
15 die wile ich lebe,
sin2) vri vor mir!
ir muot der stät üf solheji
Lite:
nu gip du mir, so gib ich dir.
sin enwellent niht Verliesen3).
2.*)
Die frösche wilent nämen
ein geschre, da? rou4) si sider,
zuo zir gote, der solde in einen künic geben:
also schriwen5) si tac und naht ü? einem witen se.
5 dö lieg er einen trämen6)
üf si von der hoehe nider,
den ervorhten si, bi? er begunde sweben 7).
üf in hupften si zehant und schriwen nach künege als e.
dö sant er einen storch aldar, der slant8) si sunder zal.
io wir sin die frösche, die da schrient,
da? riche ist des trämen val9);
üfe sint gesehen arge frösche nü,
die sint des riches eren vient:
storche wenne kumestü?10)
15 die des riches erbe slindent der ist vil.
trip si wider in eigen hol11), der12) dü niht slinden wil13).
IV. Künic Kuonrät der junge 14).
(geboren 1252, gestorben 1268.)
Ich fröwe mich maniger bluomen röt,
die uns der meie bringen wil:
Die stuonden e in größer not,
der winter tet in leides vil:
i) den nach Lohn verlangenden Spielleuten. — 2) seien sie. — 3) ver-
lieren. — *) Text nach Fr. Pfaff, der Minnesang. (Kürschner, D. N. L. 8, 1,
S. 175). — 4) Prät, s. riuwen. — 5) s. schrien. — ß) Balken. — 7) schwimmen. —
s) slinden. — 9) die Herrschaft ist dem Balken zugefallen. Anspielung auf
die Zeiten des Interregnums (1256 — 1273). — 10) wann kommt ein macht-
voller, strenger König? — n) Höhle. — l2) Gen.: von denen. — 13) willst. —
14) Konradin, der letzte Staufer, am 29. Oktober 1268, erst 161/t Jahre
alt, in Neapel enthauptet. — Text nach Bartsch, a. a. O. S. 277.
Egj» t^i? Egi» Rgj? ggs? cgi? Egs? cgi? KgB Kgg? cgi? Cgi? EaSiR 393
5 Der mei wils uns ergetzen *) wol
mit manigem wünneclichen tage:
des ist diu weit gar fröiden voi.
Wa? killet mich diu sumerzit
und die vii lichten langen tage?
io Min tröst an einer frowen lit,
von der ich grölen kumber trage.
Wil si mir geben höhen muot,
dà tuot si tugentliehen an
und da? min fröide wirdet guot.
15 Swann ich mich von der lieben scheide,
sö muo? min fröide ein ende hän.
Owe, sö stirbe ich liht von leide,
da? ich es ie mit ir began.
lehn wei? niht, frowe, wa? minne sint:
20 mich lat diu liebe sère engelten,
da? ich der jàre bin ein kint.
V. Meister Jöhans Hadloub2).
(an der Wende des 13. und 14. Jahrhunderts.)
Ach ich sach sì triuten3) wol ein kindelin,
dà von wart min muot liebs4) ermant.
Sì umbvieng e? unde trübte5) e? nahe an sich :
dà von dàcht ich lieplich zehant.
5 Sì nam sin antlüt in ir bende wì?
unde truchte e? an ir munt, ir wengel klär :
owe sö gar wol kuste sì?.
E? tet ouch zewàre als ich hset getàn6):
ich sach umbvàn e? ouch sì dò.
10 E? tet recht als e? enstüende 7) ir wurmen sich,
des duckte mich, e? was sö frö.
!) uns dafür entschädigen. — 2) Johannes Hadlaub, bürgerlicher
;2 Sänger der Schweiz. — Text nach Bartsch, a. a. 0. S. 338. — Lies:
O'Gottfried Keller, Züricher Novellen; Hadlaub, (Ges. Werke,
)SBd. 6, S. 26—117, Stuttgart u. Berlin, Cotta, 1903. — 3) liebkosen. — 4) Gen.:
nßan die Liebe erinnert. — 5) drückte. — 6) er tat wirklich so wie ich es
abgemacht hätte. — 7) s. entstän.
394 ^ ^ cg»? Ka? r^rr ügj? cg»* r^rr ta»
Don mochte ich e? niht âne nît verlan1):
ich gedächte: ‘owê, wær ich da? kindelin,
unz da772) sî sin3) wil minne han’4).
15 Ich nam war, do?5) kindelin erst kam von ir,
ich nam? zuo mir lieplich ouch dö.
E? dücht mich so guot, wan sî? ê druchte an sich:
da von wart ich sin6) gar sô frö.
Ich umbvieng e?, wan si? ê schöne umbvie
20 und kust? an die stat7), swa e? von ir kust ê was:
wie mir doch da? ze herzen gie!
Man gicht8), mir si nicht als9) ernstlich wê nach ir
als si? von mir vernomen hänt,
Ich si gesunt; ich wær vil siech und siechlich var10),
25 tæt mir so gar wê minne bant.
Da? man? nicht an mir sicht, doch lide ich not,
da? stiegt guot geding11), der hilft mir al da her:
und lie? mich der, sô wære ich tôt.
i) unterlassen, hingehen lassen. — 2) solange als. — 3) Gen. — 4) Liebe
zu ihm haben, es liebkosen will. — 5) den Augenblick, da das. — G) Gen.,
abh. von frö. — ?) Stelle. — 8) s. jehen. — s) also. — 10) kränklich aus-
sehend. — s. gedinge swm.: Hoffnung.
JA
Eg=i? Rgj? Pgj? Rgî? t^S? CgS? Cgi? C^i? Rgi? Pg« 3 [) 5
foehrhaffe Dichtkunst
66. Winsbeke1).
(Anfang des 13. Jahrhunderts.)
Ratschläge eines Ritters an seinen §ohn.
1. Lin wîser man hete einen
sun,
der was im liep als manger ist.
den wolte er leren rehte tuon
und sprach also : ‘min sun, dubist
mir liep âne allen valschen list2).
bin ich dir liep sam du mir,
so volge mir ze dirre vrist,
die wile ich lebe; ez, ist dir guot:
ob dich ein vrömder ziehen3)
soi,
dû weist niht, wie er ist ge-
muot4).
2. Sun, merke,wie da^kerzen
(3) lieht,
die wile e^ brinnet, swindetgar:
geloube, daç dir sam geschiht
von tage ze tage; ich sage dir
wär.
des nim in dinen sinnen war
und rihte hie din leben also,
daç dort dîn sele wol gevar.
swie hoch an guote wirt dîn
name,
dir volget niht wan also vil :
ein lînîn tuoch vür dîne schäme.
3. Sun, swer bi dir ein maere
(10) sage,
mit Worten ims5) niht under-
brich,
undswerdirsinenkumber klage
in schäme6), über den erbarme
dich:
der milte got erbarmet sich
über alle, die erbarmic sint.
den wiben allen schone sprich7):
ist under in einiu sseiden vri8),
da bi sint tüsent oder mer,
den tugent und ere wonet bi.
4. Sun, wiltü zieren dinen lip,
(11)
so da^ er si unvuoge9) gram,
so minne und ere guotiu wip:
ir tugent uns ie von sorgen nam.
si sint wurme ein bernder10)
stam,
da von wir alle sin geborn,
er hat niht zuht noch rehter
scharn,
der da^ erkennet niht an in;
der muo? der tören einer sin,
und11) hete er Salomönes sin.
1) bayrischer Ritter von „Winsbach“ (bei Heilsbronn an der Rezat). —
Text nach der Ausgabe von Albert Leitzmann, Halle, Niemeyer 1888. —
vgl. die Charakteristik des Winsbeke bei Gervinus, Geschichte der deut-
schen Dichtung, 5. Ausl. 2,2. — 2) aufrichtig lieb. — 3) erziehen. — 4) ge-
sinnt. — 5) im es (Gen.) niht. — 6) Schamhaftigkeit. — 7) sprich freundlich
von den Frauen. — 8) sseiden vri: (Glückes frei) heillos, verderbt, nicht
wohlgeartet. — 9) Dat. — 10) s. bern. — n) selbst wenn er.
396 ^ ^ ^ ^ ta? rgj? ta? tat pgs? ta? ggg ca?
5. Sun, si sint wunne ein
(12) bernde? lieht
an eren und an werdekeit,
der werlte an vröuden zuover-
siht:
nie wiser man da? widerstreit,
ir name der eren kröne treit:
diu*) ist geme??en und ge-
worbt 2)
mit tugenden vollic unde breit,
genäde got an uns begie,
dö er im engel dort geschuof,
da? er si gap vür engel hie.
6. Sun, nim des gegen dir
(21) körnenden war
und senke schöne dinen schalt,
als ob er si gemalet dar;
la? an din ors mit meisterschalt,
ie ba? und ba? rüer im die
kraft.
ze nageln3) vieren üf den schilt
da sol din sper gewinnen haft,
oder da der heim gestricket ist:
diu zwei sint rehtiu ritters mal
und üf der tjost der beste list.
7. Sun, hoch gebürt ist an
(28) dem man
und an dem wibe gar verlorn,
da wir niht tugende kiesen an,
als in den Rin geworfen körn.
der tugende hat, derst wol ge-
born
und êret sin gesiebte wol.
ich hän ze vriunde mir erkorn
den nidern ba?, der eren gert,
vür einen höhen sunder tugent,
der hiure4) ist bœser danne5)
vert6).
8. Sun, wil dir lieben guot
(42) gemach,
so muostû êren dich bewegen:
an jungem manne ich nie gesach
diu zwei gelîcher wage wegen7).
wa? touc ein junger lip verlegen,
der ungemach niht liden kan
noch sinneclich nach eren
Stegen?
e? ist mir ane zwîvel kunt:
e? loufet selten wisiu müs
släfender vohen8) in den munt.
9. Sun, zwei dinc êrent wol
(52) den man,
der sich wil êren mit den zwein,
so da? er sich behalten kan:
da? eine ist ja, da? ander ist
nein.
wie zieret golt den edelen stein?
also tuont wäriu wort den Up.
er ist niht vleisch unz üf da?
bein9),
dem also sliphic ist der sin,
swa er sin ja gehei?en hat,
da? er sin nein da schrenket
hin.
1) demonstrat. — 2) s. wirken. — 3) vier Nägel (um den Schildbucke]).—
4) heuer. — ö) als. -— 6) im vorigen Jahre. — 7) auf gleicher Wage wiegen,
sich die Wage halten, gleichkommen. — 8) Füchsin, vgl. die „Fähe, Fehe“
in der heutigen Jägersprache. — 9) Fleisch bis auf die Knochen, Fleisch
ohne Knochen, tadelloses Fleisch; Sinn: der ist nicht ein Mensch, wie er
sein soll.
Cgi? Cgi? Cgi? Kgj? Kgl? Kgi? Cgi? ^ Rgj? ta? Cgi? Z <J 4
io. Sun, ich wil dir nü niht
(56) mere sagen;
der mä?e ein zil gestoben si1)-
du enmaht sin2) alles3) niht
getragen:
nim Ü7, den rseten allen dri4),
lege si dem herzen nähen bi,
ob e? niht be^er werden mac:
wirt5) gotes minne nimmer vri,
wis6) wärhaft, zühtic sunder
wanc;
manc tugent ir vlu^ nimt von
den drin;
behalt si wol, hab immer danc7).’
mittelhochdeutsche Spruch«
Weisheit,
67. Fridcmkes Bescheidenheit8).
(zwischen 1225 und 1240 entstanden.)
Far hin, Freydanck, myn guter fründ,
In aller weit dein lere verkünd,
Das menglich bey dir sehen kan,
Das man vor tziten auch hat gehan
In tütschen landen dapfer lüt,
Die warheit redten alle tzyt,
Als du hast all dein tag gethon;
Far hin, got geb dir ewig Ion. —
Far hin von land, verdien den danck,
Der warheit fründt, herr Freidanck.
Sebastian Dr ant, Ausgabe der
Bescheidenheit, Straßburg 1508,
Beschlußred.
Ich bin genant Bescheidenheit9),
diu aller tugende kröne treit10 *).
mich hat berihtet11) Fridanc12)
ein teil von sinnen, die sint kranc13).
J) der dir zugemessenen Anzahl guter Lehren sei ein Ziel gesetzt.—
2) Gen. — 3) Gen. — 4) aus den erteilten Ratschlägen drei. — 5) Imper. —
6) sei. 7) Gedanke; denke immerzu daran. — 8) Text nach der Ausgabe
von H. E. Bezzenberger, Halle, Waisenhaus, 1872 (vgl. die Einleitung
S. i 67). 9) Fähigkeit zu unterscheiden, Einsicht; Lebensweisheit.—
10) traget. — n) gesammelt und angeordnet, „berichtet“. — 12) Frei-
denker, unabhängiger Denker; ein bürgerlicher Dichter vom Oberrhein. —
13) schwach; „zu einem guten Teil mit unzulänglichen Kräften“ (A. Bach-
mann).
398 ^ ^ tigj? £ggj* cg;? pgj? tat tas? Ra? ta?
Kurwahl.
1. (jote dienen âne wanc
deist1) aller wisheit anevanc.
2. Diu aller kleinste gotes
geschaft2)
vertriffet aller werlde kraft,
got geschuof nie halm so
swachen,
den ieman müge gemachen:
der engel, tiuvel noch der man
ir keinç ein Hoch gemachen kan.
3. Hôchvart stîget manegen
tac,
bi7} sie niht hœher körnen mac,
sô muo7; si danne vallen;
diz bîspel sage ich allen.
4. Hôchvart twinget kurzen
man,
da^ er muo? ùf den zêhen gän.
5. Diu werlt gît uns allen
nach honege bitter gallen.
6. So3) wa^er hin ze berge
gät,
sô mac des Sünders werden rät:
ich mein, soç fliu^et tougen
vom herzen zuo den ougen;
diz wa^er hat vil Ilsen fluç,
man hcert in himel sînen duç4).
7. Durch wîp und spiles liebe
wirt manie man ze diebe.
8. Der ougenschalc5)endienet
niht,
wan dâ ezy der hêrre siht.
9. Die jâhêrren6) hânt den
muot7),
si lobent, wa^ der hêrre tuot;
deist ein ungetriuwer site,
dâ affent sie die hêrren mite.
10. Der niuwe beseme kert
wol,
ê daT, er stoubes werde vol:
alsam der niuwe dienest tuot,
vil willic ist sin erster muot.
11. Rost i^et stahel und isen,
also tuot sorge den wisen.
12. Swä ein dorf ist âne nit,
ich wei? wol, daz ez œde8) lit.
13. Man lobt nâch tode mane-
gen man,
der lop zer werlde me gewan.
14. Manegerlobtein fremedeç
swert,
bet erç dâheime, ez wære un-
wert.
iç. In küneges râte nieman
zimt,
der guot für’s riches ère nimt.
16. Maneger durch sin misse-
tât
sîns knehtes kneht ze hêrren hât.
17. Ob ez der keiser solte
swern,
ern kan sich mücken niht er-
wern ;
W37, hilfet hêrschaft unde list,
sît der flôch sin meister ist!
1) daz, ist. — 2) ge-schaft stf.: Schöpfung. — 3) wenn. — 4) Rauschen.
5) Augendiener. — 6) die zu allem ‘jä herre!’ sagen, die Jasager, Schmeich-
ler. — ?) Gesinnung. — 8) menschenleer.
Egs? Egj? Egi? ELL- Egi? Egj? Eg¥? Egd c^iff E-Sd EL-d r^sd Egsr 399
18. Der keiser sterben muo?
als ich,
dem mac ich wol genö?en mich1).
19. Swerwa??erinden se treit,
deist verlorn arebeit.
20. Ein vihe, da? lützel sinne
hat,
swenn e? ze dorf von velde gät,
so erkennet iegeliche? wol
hüs und hof, dar? körnen sol:
so trinket leider manic man,
da? er hüs noch hof erkennen
kan.
diz laster Huten vil geschiht
und geschiht doch dem vihe
niht.
21. Gewisse friunt, versuoch-
tiu swert
diu sint ze noeten goldes werti) 2).
22. U? iegelichem va??e gät,
als e? innerhalben hat.
23. Gelücke ist rehte als ein
bal:
swer stiget, der sol fürhten val.
24. Die liute kan ich ü?en
spehen,
ichn kan niht in ir herze sehen.
25. Der bluomen naeme nie-
men war,
waeren s’alle gelich gevar.
26. Der sumer würde un-
maere3),
ob er z’allen ziten waere.
27. Swie dicke ein tore in
Spiegel siht,
er kennet doch sin selbes niht.
28. Swer berlin4) schüttet für
diu swin,
diu mugen niht lange reine sin.
29. Des mannes werc er-
zeigend wol,
; was man ime getrüwen sol.
30. Swer zwene wege welle
gan,
der muo? lange Schenkel han.
31. Sich badet diu krä in
allem fli?
und wirt durch da? doch niemer
wi?.
32. Die
Da? wirste lit, da? iemen treit,
da? ist diu zunge, so man seit.
Diu zunge rei?etmanegenstrit
f und dicke lange wernden nit.
Swa? wir übels han ver-
nomen,
> deist meisteil von der zungen
körnen.
Diu zunge rei?et5) manegen
zorn,
) da lip mit sele wirt verlorn.
Zunge.
E? hänt die Übeln zungen
die guoten ü? gedrungen. 10
Diu zunge rei?et manege not,
die nieman endet wan der tot.
Diu zunge manegen schendet:
si stümmelt unde blendet.
Diu zunge hat dehein bein 15
und bricht doch bein unde stein.
Diu zunge stoeret manic lant
und stiftet roup unde brant.
i) mich gleichstellen. — 2) vgl. Walthers Gedicht, S. 378 des Lese-
J buches. — 3) gering geachtet, gleichgültig. — 4) Perlen. — &) s. reizen.
400 ^ ^ Pgj? egg» Kgj? egg? ta? ta? pgä? ia? cgi?
V on der zungen meisteil vert,
da?, so maneger meineit swert.
Swer eine übele zungen hat,
diu stieget manege missetät.
15 Diu zunge triuwe scheidet,
da? liep liebe leidet.
Diu zunge manegen eret;
diu zunge reht verberet.
Von der zungen da? ergienc,
20 da? Krist an dem kriuze biene.
Von der zungen dicke kumt
da? beide schadet unde frumt.
Manc zunge i
stüende e? an d
Für schände wart nie be??er
list,
dan-der1) der zungen meisten ist.
Diu zunge hat die meiste pfliht 25
an guote und übele, swa? ge-
schäht.
Swa diu zunge rehte tuot,
da enist kein lit so guot.
Diu übele zunge scheiden kan
liebe? wip und lieben man. 30
Diuboese zunge ist ein vergift,
da? seit2) Davit an siner schritt,
ieste kürzer sin,
i willen min.
33. Unerfüllbarer Wunsch.
Funde ich veile ein3) isenhuot,
der für4) lüge waere guot,
und einen schilt für schelten,
den wolte ich tiure gelten.
5 het ich ein hüs für ungemach,
dem lie?e ich selten5) fülen ’?
dach;
und einen turn für trüren,
den wolte ich hohe müren6);
für’? alter eine salben,
die striche ich allenthalben;
und het ich für den tot ein swert,
da? waere tüsent lande wert.
68. ßugo von Urimberg7).
Probe aus dem „Renner"8).
(um 1300.)
Deutsche Mundarten.
Swer tiutsch wil ebene9) tihten,
der muo? sin herze rihten
ûf manger leie spräche.
swer wænt, da? die von Ache10)
redent als die von Franken,
dem süln die miuse danken.
5 a
1) dan der: als wenn einer. — 2) saget. — 3) einen. — 4) gegen.
5) nie. — 6) mauern, aufbauen. — 7) wirkte als „Scholasticus" bei Bam-
berg. — 8) 'Renner ist ditz buch genant, wanne e? soll rennen durch die
lant.’ — Text nach F. Vetter, Lehrhafte Literatur des 14. und 15. Jahrhun-
derts (Kürschner, D. N. L. 12, 1, S. 277). — 9) glatt; fein. — 10) Aachen.
k-Ld C^i? t^S? Pgj? ta? t^B Rgj? Rgj? Ea£i? P^i? 4Q [
ein ieglich lant hat sinen site, !
der sim lantvolke volget mite,
an spräche, an mä^e1) und an
gewande
o o ist underscheiden lant von
lande.
der werlde dinc stet2) über al
an spräche, an mä?e, an wäge,
an zal;
ist aber niht tugent in disen drin,
schilt man si denne, da*; la^e
ich sin3).
c5 Swäbe ir Wörter spaltent,
die Franken ein teil si valtent,
die Beire si zezerrent,
die Düringe si üf sperrent,
die Sahsen.si bezuckent,
o die Rinliut4) si verdruckend
die Wetereiber5) si würgent,
die Misner6) si wol schür-
gent7),
Egerlant si swenket,
Oesterrich si schrenket,
Stirlant8) si ba% lenket,
[ Kernte9) ein teil si senket.
L Beheim10), Ungern und Lam-
parten11)
1 houwent niht mit Putschen
barten12);
l Franzeis13),Walhe14)undEngel-
lant,
1 Norweg,Ybern15)sindunbekant
sän ir spräche Putschen Huten.
nieman kan ouch wol bediuten
kriechisch, jüdisch und heide-
nisch,
syrisch, windisch16),
kaldeisch17);
swer da^ mischet in tiutsch ge- 35
tihte,
diu meisterschaft ist gar ze nihte.
die Entspräche da vor genant
in Putschen landen sint bekant:
swer m, den iht guotes nimpt,
da^ wol in sin getihte zimpt18), 40
mich dunkt, der habe niht misse-
tän
tuot ers; mit künste und niht
näch wän.
Westvaln unde manic lant,
diu hie belibent ungenant,
in Putschen landen sint bekant, 45
alein19) si manger zungen bant
würgen, zwicken unde binden
vorne, mitten unde binden,
swenn t und n und r
sint von den Franken verre 50
an manges Wortes ende,
wer wil dä für si pfende?20)
ob Swanevelder21) ir Wörter
lengent,
Babenberger22) ir spräche dren-
gent
von den hülsen üf den kern?23) 55
ein ieglich mensche sprächet
gern
B Lebensart. — 2) stet.. an: hängt ab von. — 3) das lasse ich gelten. —
") Rheinländer. — 5) Bewohner der Wetterau (Oberhessen). — 6) Bewohner
vvon Meißen. — 7) stoßen. — 8) Steiermark. — 9) Kärnten. — > 0) Böhmen. —
110 Dat. Plur.: (ze den Lamparten) Lombarden; Lombardei. — 12) Streit-
äxten; bildlich! — 13) Franzosen. —- 14) Welsche, Italiener. — 15) Irland
d(Hibernia).— 16) wendisch. — 1?) chaldäisch (hebräischer Dialekt).— 18) s.
uiömen. i9) obgleich.— 20) strafen. — 21) Bewohner des Gaues Swane-
o.elt in Franken. — 22) Bamberger. — 2 3) nur die Hauptsilben hören lassen.
Lierm ann-Vitmar, Altdeutsches Lesebuch. 26
402 ^ ^ ^ r-LL- ta? cgj? tags? ta? ta? Eg»? cgj? ia? r^L-
die sprach, bi der e^ ist er-
zogen.
sint miniu wort ein teil gebogen
gen Franken, nieman da^ si
zorn1),
60 wan ich von Franken bin ge-
born.
ouch sol man noch besonder
danken
eins Sprichwortes allen Fran-
ken.
man sprichet gerne, swen man
lobt hiute,
er si der alten frenkschen
1 i u t e.
die warn einveltic, getriu, ge- 65
waerei) 2):
wolt got, da^ ich alsam waere!
sin vaterlant nieman schelten
sol,
sin wirt, sin herren: da^ zimt
wol.
ist aber iht untugent in den
drin3),
schilt man si denne, da^ lä^e 701
ich sin.4)
69. Ulrich Boner5).
Rus der Zabelsammlung „Der Edelstein",
(um 1340.)
Von zwein gesellen und einem bern°).
von valschen vründen.
Es giengen zwen gesellen guot
(doch wärens ungelich gemuot)
mit einander dur einen walt.
ir rede du was manigvalt.
si sprächen beide üf iren eit,
si wöltin trüwe und wärheit
zesamen hän unz üf den tot.
der ein was brün, der ander
röt7).
dö si in dirre rede wän8),
vil schier ein ber gegangen l't
kan9)
üf der Strasse gegen in.
si wisten niht wol, wä si hin
i) Adj.: sei darüber zornig. — 2) wahrhaftig — 3) dreien. — 4) zur
Einführung in das Studium der deutschen Mundarten: H. Welcker,
Dialektgedichte. Sammlung von Dichtungen in allen deutschen Mundarten,
nebst poetischen Proben aus dem Alt-, Mittel- und Neudeutschen, sowie den
germanischen Schwestersprachen. 2. Ausl. Leipzig, Brockhaus 1889. —
O. Dähnhardt, Heimatklänge aus deutschen Gauen, 3 Teile, Leipzig, ,
Teubner 1901. -— K. Ernst, Proben deutscher Mundarten (Sammlung j
Velhagen u. Klasing, 102, Leipzig 1904). — ö) Dominikanermönch in Bern, ,
Verfasser des ältesten deutschen Fabelbuches. — 6) Text nach /
F. Vetter, Lehrhafte Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts (Kürschner D- -
N. L. 12, 1, S. 38 ff). — Die Sprache zeigt schweizerische Färbung. —
?) rothaarig; bildlich: falsch, listig, verräterisch. — 8) wären. — 9) kam.
Rgi? Pagi? Egri? Rgj? Kgi? Kgj? ta? Cagjft Pgj? 4()3
söltin vlien. dö das ersach
der ròte, er vii balde brach
sì 15 sine trüwe und sinen eit.
sin muot der stuont ùf triigen-
heit.
bald er von sim gesellen vlòch
üf einen boun hoch, dà er doch
sin gesellen mohte sehen
0S20 (dä mag man grò^ untrüwe
spehen !).
sin geselle was in grosser nöt,
und gebäret, als er wäre tòt,
und ruort sich weder hin noch
her.
öS 5 vii schier gegangen kam der her
zuozim1), dà er sö stille lag.
er wänd, es wär ein vüles
phlag2),
und warf in umb, und smaht3)
in an.
das sach der ungetrüwe man,
der lies sin gesellen an der
co not,
als noch tuot der geselle ròt.
4)
7)
I der her gieng vür, und lies den
man
ligen. und dö er dannan kan4),
der röt geselle das ersach.
er gieng her ab bald unde
sprach:
‘sag an mir, trüt geselle min, 35
was möhte das geriine5) sin,
das dir gerünet hat der her?
ich sach wol üf dem boum, das er
an din öre hat sinen munt.
lert er dich üt6), das tuo mir 40
kunt/
er sprach: ‘was soll ich sagen
dir?
der her hat vil gerünet mir,
und lert mich sunderliche das,
und sprach: ‘du seit dich hie
nach bas
vordem, derüfdemboumestät, 45
hüeten; sich, das ist min rät!
wan wenne7) es gät an rechte
nöt,
so lät er dich, wan er ist röt.
!) zu ihm. — 2) Aas. — 8) s. smecken; beroch, beschnupperte. —
von dannen ging. — ö) heimliche Mitteilung. — 6) = iht: irgend etwas. —
wan wenne: denn wenn.
404 ^ ^ ggj? tjgj? pgj? pgs? cgi? gggj? ta? ta? Rgj? K^i?
Prosa.
70. Berthold von Regensburg1).
(gest. 1272.)
Aus einer Predigt2) über Ev. Matth. 5,8.
„saelic sint die armen: wan da^ himelrich ist ir" &c. Mit disen aht
tagenden sint alle die ze himelriche körnen, die da sint, und mit den selben
aht tagenden müez;ent noch alle die dar körnen, die iemer mer dar körnen
süln. Nu wil ich die siben ander wegen län und wil niuwen3) von ir einer
5 sagen, wan alse vil guoter dinge an ir ieglicher ist; and von ir ieglicher
waere gar vil und gar lanc sunderlichen ze sagenne, und wie manigiu un-
tugent uns an disen ahte tagenden irret, da% würde eht von ieglicher gar
lanc ze sagenne. Wan man ez, alle^ in einer predigen niht verenden mac,
noch in vieren noch in zehenen, so wil ich iu hiute niuwen sagen von den,
10 die ein reine herze habent, und von den man hiute da liset in dem heiligen
ewangelio „saelic sint, die reines herzen sint: die werdent got sehende."
Die sint wol von rehte saelic, die da got sehent. Ein übergülde ist ez, aller
der saelikeit, diu ie wart oder iemer mer eht werden mac, swer got an
sehende eht wirt: also stiege und alse wünnenclich ist diu gesiht, die man
15 an got siht. So wart nie deheiner muoter4) ir kint nie so liep, an unser
frouwen5), und solte si ez, drle tage ane sehen an underlä^, da^ si anders
niht enpflaege, wan eht si ir liebez; kint solte an sehen: si ae^e an dem
vierden tage vil gerne ein stücke brötes. Und wolte ich vil gerne, daz, ich
also ein guot mensche waere als da^ wär ist, daz, ich iezuo6) reden wil.
20 Ob das; also waere, da^ man zuo einem menschen spraeche, der iezuo bi
got ist, „du hast zehen kint üf ertriche, und du solt in koufen allen samt,
da^ sie ere und guot haben unz an ir tot, da mit, das; du einigen ougen
blic von gotes angesiht tuost, niuwen als lange, als eins; sin hant müht
umbe keren, und sich danne wider zuo got, und du solt din ougen niemer
25 mer von im keren“: der mensche entaete sin7) niht. Alse wär, herre, din
wärheit ist, alse wär ist disiu rede, da^ er disiu zehen kint unze an ir tot
e näch dem ahnuosen lie^e gen, e danne er sich die kleine wile von gote
wolte wenden. In habent die engel wol sehzic hundert jär an gesehen
und sehent in hiute als gerne als des ersten tages. Und sie sint ouch alle
30 samt sam des ersten tages, dö sie got an sehende wurden: dö wart ir
deheiner sit nie eltlicher danne des ersten tages, und sint doch sider wol
sehzic hundert järe alt. Swelher hundert järe alt würde under uns, der
waere den Huten alse smaehe an ze sehenne von Ungestaltheit und von dem
4 Franziskanerbruder, s. Miniatur bei Könnecke, a. a. O., S. 27.
2) Text nach Wilhelm Wackernagel, Altdeutsches Lesebuch, 5. Ausl.,
S. 878 ff., Basel 1873. — 3) s. niuwan. — 4) Dat. — 5) ausser Maria. —
0) s. ieze. — 7) sin (Gen.) niht: nichts davon.
Rgj? Cagj? Rgj? Egg»? Egg»? Kgl? tat CagS? 405
gebresten, den da^ alter an im hsete gemäht: so malet man die engele —
da seht ir wol, swä man sie malt, da^ man sie eht anders niht enmält wan
als ein kint von fünf jären, als junclich, oder von sehsen. Wan alle, die
got sehent, die werdent niemer eltlicher, die in in himelriche sehent in sinen
freuden und in sinen eren. Uf ertriche sehen wir in alle tage in sinem
gewalte. Dehein irdenischer muot noch irdenisch lip möhte da^ niht er-
liden, da^ in dehein irdenisch ouge iemer an gesehen möhte in sinen freuden
und in sinen eren, als er ze himelriche ist. Wir sagen iu ettewenne ein
glichnisse, wie schoene got si. Seht, allez;, daz; wir iemer gesagen können
oder mögen, da^ ist rehte dem gliche, als ob ein kint uns solte sagen, ob
e7, möglich waere, die wile ez; in siner muoter libe ist besiegen, und daz;
solte sagen von aller der wirde und von aller der gezierde, die diu werlt
hat, von der liebten sunnen, von den liebten Sternen, von edelre gesteine
craft und von ir maniger slahte varwe, von der edelen würze craft und
von der edelem gesmacke, und von der riehen gezierde, die man u^er siden
und üz;er golde machet in dirre werlte, und von maniger bände stiegen
stimme, die diu werlt hat, von vögelin sänge und von seiten spil, und von
maniger bände bluomen varwe, und von aller der gezierde, die disiu werlt
hat. Alse unmügelich unde alse unkenntlichen eime kinde da von ze
sprechen waere, daz; noch beslo^en ist in siner muoter libe, daz; nie niht
gesach, weder übel noch guot, noch deheiner freuden enpfant; als unkunt
dem kinde da von ze redenne ist, als unkunt ist ouch uns da von ze
redenne, von der unsegelichen wünne, diu da ze himel ist, und von dem
wünneclichen antlütze des lebendigen gotes. Wan alliu diu freude, diu dä
ze himele ist, der ist niht wan von dem schine, der von unsers herren
antlitze get. Und rehte als alle Sternen ir lieht von der sunnen nement,
also habent alle heiligen ir gezierde und ir Schönheit von gote, und engele
und alle^ himelische her. Reht als alle die Sternen des himeles, der mäne
und die plannten, grö^ und kleine, die habent alle samt ir lieht von der
sunnen, diu uns dä liuhtet: und also hat alle^ himelische^ her, engel und
heiligen, die höchsten und die minnesten, die habent alle samt ir freude
und ir wünne und ir gezierde und die ere und die wirde und ouch die
sehnende, daz; habent sie alle samt von der angesihte J gotes, da% sie got
an sehent. Die engele, die dä unser hüetent, die sehent in ze aller zit an,
als ob sie bi im wseren. Wan alliu diu freude, diu in himelriche ist, diu
diuhte sie ze nihte, solten sie got niht an sehen. Und dä von „saelic sint,
die reines herzen sint: wan sie werdent got sehende.“ Nu sehent, ir hebe
cristenheit, wie saelic die sint, die dä reinez; herze tragent. Ir junge werlt,
die noch unbewollenJ) sint mit Sünden, behaltent iuwer herze vor allen
toetlichen Sünden: so werdent ir got sehende in solichen freuden und in
so gröz;en eren, die ouge nie gesach oder öre nie gehörte, alse sant Paulus
dä sprichet; und alse sant Johannes sprichet „waer e^ möglich, daz; man
ez; alle^ samt geschriben möhte, so möhte diu werlt diu buoch in ir niht
behalten, dä e^ an gestüende3), da^ ich gesach. Und allez;, da^ ich gesach,
daz; was niht wan got alleine.“ Und dar umbe mühten wir doch gerne ze
’) Anschauen. — 2) unbefleckt. — 3) worin das stünde.
5
10
15
20
25
30
35
40
45
406 ^ Kg»? Pgi? Egi? tai? Kgi? Pgj? Pgj? C^ra? Egj? Egj?
dem himelriche körnen und drumbe arbeiten. Ob uns niht diu minne und
diu liebe dar twünge, der wir gote schuldic sin, seht, sò möhten wir dar
umbe dar körnen, durch da^ wunder, da^ dà ist. Ez; ist maniger vor mir:
der im von sò getaner freude Seite1), da^ si jenhalp meres waere, er füere
5 gar gerinclichen dar von hinnen über mer, niuwen da^ erz; gesaehe. Sò
möhtent2) ir hundertstunt3) gemer dar umb arbeiten, da^ ir^ iemer mère
èwiclìchen nieten soltet. Die vii wünneclichen angesiht des almehtigen gotes
und der himelischen küniginne ze der zeswen4) siner siten in guldiner waete,
die mühtet ir gerne an sehen. Wan würde iu einiger anblic, sò waere iu
10 alliu diu freude und diu ère und aller der Wollust, den diu werlt ie gewan,
da^ waer iu hinne5) für als widerzaeme und ouch alse unmaere, reht als
sant Paulus dà sprach. Nu hceret wie er sprach: er sprach „alliu diu ère
und diu freude und da^ gemach, diu disiu werlt ie gewan von keisern und
von künigen, wider der freude, diu in himelrich ist; als widerzaeme einem
15 waere ein diep an einem galgen, als kurz einem diu wìle dà mite waere,
da^ er einen erhangen6) man triuten solte, wider aller der freude, die diu
werlt hät: alse widerzaeme ist mir diu freude aller der werlte wider der
èwigen freude.“ Ei wol iuch wart, da^ iuch iuwer muoter ie getruoc, die
so getäne freude süln besitzen. Der ist, ob got wil, maniger vor minen
20 ougen. Ouch ist maniger, der vii kleine freude dar für nimt hie üf ertriche,
und da^ dem guoten sante Paulen gar versmàhte7), des wirt im der
tüsentste teil niht. Und die habent übel kouft, die sò übergroße freude
gebeut umb ein sò kurzes freudelin in dirre werlte. Die habent übel ge-
varn: wan sie habent weder hie noch dort niht. Als ich iezuo sprach,
25 rehte in glicher wise, rehte alse alle Sternen des himeles ir lieht von der
sunnen habent, also hàt alle^ himelisch her ir lieht von dem wären sunnen,
sìt8) danne unser herre der wäre sunne und da^ wäre lieht ist, alse der
guote sant Johannes dä sprächet. Der heißet in daz; wäre lieht: als ouch
da^ vii wär ist: wan er ist da^ wäre lieht, daz; niemer mèr vermischet. Und
30 alle, die von siine gotvarwen9) liebte enzündet werdent, die erleschent ouch
niemer mère von der Schönheit, die sie von dem wären sunnen häut. Und
als vii diu sunne liehter und gelpfer ist, danne wir dä sehen, rehte als vii
diu liehtes und glastes über alle sterne hät, die an dem himel stènt: als
vii hät der wäre sunne in himelriche schines und glastes mèr über alle
35 engele und ist geschoenet und gewirdet an allen èren, alse billich ist. Und
dä von sint sie saelic, die ein reines herze habent: wan sie werdent got
sehende.
4) der sich von solcher Freude sagte. — 2) Imper., möchtet ihr. —
3) hundertmal. — 4) s. zese. — 5) hinne für: hinfort, in Zukunft. — fi) s.
erhähen. — 7) was Paulus verächtlich erschien.— 8) sit danne: da denn.
9) got-var: wie Gott aussehend, von Gott durchströmt.
t
Rgj? Kgj? Cgi? taff Rgj? Çgj? ta? I^i? cgi? t^j? tat c-Ld 407
71. lüeisfer Eckhcirf1).
(gest. 1327.)
a. Aus einer Predigt2) über Joh. 16, 28.
Nü sprichet unser herre: 'ich bin kommen in die werlt.’ Der vater
kumet in den sun mit allem dem, da? er ist, und ist körnen in den sun
mit allem dem, da? er hat, und ist körnen in den sun mit allem dem, da?
er geleisten mag, und ist zem vierden mâle körnen in einer vernünftigen
würkunge. Des sunes eigenschaft ist, da? er wone in dem vater, unde 5
des vater eigenschaft ist, da? er wone in dem sune und in dem heiligen
geiste. Alle?, da? der vater geleisten mac, dag gebirt er dem sune in,
dag der sun eg geber in die sêle. Ich habe etwenne gesprochen ein ge-
lichnüsse. Der einen stein würfe in einen wiger3), von dem ersten valle
enspringet ein kreig, der ist kleine unde doch so kreftic, dag ander kreige 10
von ime enspringent, und der ander kreig, der ist witer denne der erste
und ist doch nicht so kreftic, der dritte ist noch witer; also enspringet ie
der eine von dem andern, unde wäre der wurf kreftic genuoc, sô gebreste
des waggers ê der kreige4)- Wêre aber der wurf einzic und wêre alliu
diu werlt ein wagger, des waggers gebreste, ê der kreige gebreste. 15
b. Meister Eckehart sprach5).
IMeister Eckehart sprach zuo einem armen menschen: 'got gebe dir
guoten morgen, bruoder.’ — ‘Herre, habent6) in iu selber: ich gewan nie
keinen argen/ Er sprach: 'war umbe, bruoder?’ — ‘Wan alleg, dag mir
got ie gab ze liden, dag leit ich froeliche durch in unde dühte mich sin un-
wirdic sin, unde dar umbe enwart ich nie trüric noch betrüebet.’ Er sprach 5
‘wä fünde du got aller erste/ — ‘Da ich alle creatüre lieg, da vant ich
got/ Er sprach: 'wä hästü danne got gelägen, bruoder?’ — ‘In allen Intern
reinen herzen.’ Er sprach: ‘wag mannes7) bistü, bruoder?’ — 'Ich bin ein
künic.’ Er sprach: ‘war über?’ — ‘Über min fleisch: wan alleg, dag min
geist ie begerte von gote, des was min fleisch noch behender unde sneller 10
ze wirkenne unde ze lidenne denne min geist ze enpfähenne.’ Er sprach:
‘ein künic muog ein künicriche hän: wä ist denne din riche, bruoder?’ —
‘In miner sele.’ Er sprach: ‘alse wie, bruoder?’ — ‘Wan ich besloggen hän
die porten miner fünf sinne und ich gotes mit ganzem ernste begere, so
vinde ich got in miner sele also klerliche unde froeliche als er ist in dem 15
ewigen lebenne.’ Er sprach: ‘du mäht heilic sin: wer hät dich heilic ge-
*) Dominikaner, Begründer der deutschen Mystik; vgl. W. Preger, Ge-
schichte der Deutschen Mystik im Mittelalter, Bd. 1, Leipzig 1874. — 2) Text
nach F. Vetter, Lehrhafte Literatur des 14. und 15 Jahrh. (K. D. N. L.,
12, 2, S. 157). — 3) Weiher. — 4) so wäre das Wasser eher zu Ende als
die Möglichkeit, daß sich neue Kreise bilden. — 5) Text nach Vetter
a. a. O. S. 165. — 6) Imper. — 7) was für ein Mensch?
408 ^ ^ ta? cägj> Egj? ca? t^i? pgä? Eg»? cgi? ta? tags»
machet, bruoder?’ — ‘Dag hat min stille sitzen unde min hoch gedenken rinde
min vereinunge mit gote, dag hat mich in den himel gezogen, wan ich
künde nie geruowen an deheinen dingen, dag minre was denne got. Nü
hän ich in funden unde hän ruowe unde fröide in im ewicliche unde dag
5 gät in zit1) über alle künicriche. Kein üzerlich were ist so volkomen,
eg hinderi) 2) die innekeit.’
n^nrcisn
72. Johannes üauler von Strasburg").
(gest. 1361.)
Predigt4) über fromme Juden und Heiden.
Der mensche sprach: 'ach herzekliches liepliches liep mins, erbarme
dich über die arme cristenheit, und gedenke deran, dag das böse iüdesche
volc und dag böse heidensche volc alle samment wider dich tunt und och
mit ganzer craft wider dich sint, und och alle fürlorn5) werdent.’ Die ent-
5 wurte8) sprach: ‘ich wil dir sagen: du hest rehte, dag du sprächest, got
sulle sich erbarmen über die arme cristenheit; wenne du solt wissen, dag
die cristenheit in vil hundert iaren nie so arm noch so böse wart also in
disen ziten; aber ich wil dir sagen: dag du sprachest, dag das böse iüdesche
volc und dag böse heidensche volc alles fürlorn solle werden, dag ist nüt7)
10 wor; ich wil dir sagen: got der het ein teil beiden und ein teil iuden in
disen ziten vil lieber denne vil menschen, die cristen nammen harrt und
doch wider alle cristenliche ordenunge lebent.’ Der mensche sprach: ‘ach
herze liep mins, wie het8) mich dis eine so frömede rede! Sage mir, herze
liep mins, was der meinungen sei.’ Die entwurte sprach: ‘dag wil ich dir
15 sagen. Die meinunge ist: wo ein iude oder ein beiden, an wellen9) enden
der weit er were, het der iude oder der beiden einen guten got förhtenden
grünt in ime, unde ist domitte einseitig und biderwe, und bekennet in aller
siner vürnünftigen bescheidenheit keinen bessern globen10) denne den globen,
da er ime geborn ist, und het och dag in sime gründe und in sime ganzen
20 willen, befunde er ein andern globen, dag ime zu bekennende wurde geben,
dag er gotte lieber were denne sin globe, do er inne geborn ist, er wolte
sime globen urlop geben; und solte er derumbe wogen11) lip und gut, so
wolte er gotte gehorsam sin. Ich wil dir sagen: wo der iude oder der
beiden einer ist, der do in eime solichen grosen erneste lebete, sage mir:
25 solte der einre gotte nüt vil lieber sin denne vil böser valscher cristenner
menschen, die den tos12) harrt enphangen und wol wissent, dag sie wider
got tunt und es doch tunt? Ich wil dir sagen: dis tut der gute iude oder
der gute beiden nüt; er bekennet kein bessers; bekante er ein bessers, er
i) in der Zeitlichkeit. — 2) daß es nicht hinderte. — 3) Dominikaner.
— 4) Text nach Vetter, a. a. O., S. 176 und 177. — 6) verlorn. — 6) ant-
wurte. — 7) niut, s. niht. — 8) het mich: dünkt mich. — 9) weihen. —
10) gelouben, — n) s. wägen. — 12) s. toufe.
RgSî l^ît ta? Cagj? t^St Kgl? Egg? tat Egrä? Pg¥? Cgï? 4Q9
wolte e den tot liden durch got, er kerne denne zu dem bessern.’ Der
mensche sprach: ‘ach herze liep mins, dise rede het mich gar eine wunder-
liche frömede rede, und wil dir sagen wovon. Men findet in der heiligen
geschrift geschriben, und ist och unser cristen globe, dag nieman zu himel-
riche möge kumen, er si denne e in dem heiligen tose getötet.’ Die ent-
wirrte sprach: ‘dag ist och wor, und ist och reht cristen globe. Ich wil
dir aber sagen: wo got findet einen also gar gerehten guten beiden oder
einen also gar gerehten guten luden, was tut denne got? Ich wil dir sagen:
got der mag von siner fingen minnen und von siner grundelosen erbermede
nüt gelosen1), er körne in zu helfe; ich wil dir sagen: got der findet
manigen fürborgen weg, dag er die gutwilligen got meinenden menschen
nüt fürlorn lose werden, si sint loch an wellen enden si wellent in der
witen weite.’ Der mensche sprach: ‘sage mir, herzeliep mins, wie getust
du denne, dag dise ungedoften menschen behalten werden?’ Die entwirrte
sprach: ‘dag wil ich dir sagen: dag beschiht in maniger bände fürborgener
wisen, die der menige der cristenheite in disen ziten unbekant ist; aber
ich wil dir sagen von einer wise, die der cristenheit wol zu globende ist
und si och wol globet; ich wil dir sagen: wo dirre guter beiden oder dirre
guter luden einer an sin ende kumet, so kumet ime got zu helfe, und er-
lühtet in mit cristoneme globen, dag der cristen globe ime also bekant
wurt, dag er von allen sime herzen des tofes begernde wurt; mag ime
denne der tos nüt gegenwertig werden, und ist doch sin begirde von
gründe sins herzen dernoch, so wil ich dir sagen, was got denne tut: got
der get dar und doset in in sime guten begerenden willen und in sime
eilenden tode. Du solt wissen, dag dirre guter beiden und dirre guter
luden vil ist in demme ewigen lebende, die alle in sollicher wisen drin sint
kumen.’
73. Heinrich der Seuse2).
(gest. 1366.)
Wie er kam in die geistlichen gemahelschaft der
ewigen wisheit3).
-Eins tages las man ze tische von der wîsheit, dâvon sin herz ingrunt-
lich bewegt ward. Si sprach also: ‘Sam der schöne rösbom blüeget und
als der höhe liban unversniten smeket4) und als der unvermischet balsam
röchet’), also bin ich ein blüendes wol riechendes unvermischtes lieb an
urdrüg0) und âne biterkeit in grundloser minneklicher süessekeit. Aber
alle ander minnerin heind ') süessi wort und bittern Ion. Ire herzen sind
des tödes seginen8), ire hend sind Isenhalten9), ire red gesüeste gift, ire
kurz wil êrenroub.’
9 s. lägen. — 2) Dominikaner. — 3) d. h. Christus; Text nach Vetter,
a. a. O., S. 206 und 207. — 4) duftet. — 5) s. riechen. — 6) Überdruß. —
7) habend — 8) Plur. von segi: Netz. — 9) Fesseln.
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410 ^ ^ ^ Eg»? taff pgr? Kg»? tat ta? x-srr ta? pg>?
Er gedacht: ‘Wäfen, wie ist dis so wär!’ und sprach vrilich !) in im
selb: ‘Gewarlich2), es muos recht sin: si muos recht min lieb sin; ich wil’
ir diener sin’, und gedacht: ‘Ach got, wan möhti ich di liebi nuon3) einest4)
gesehen! wan möcht! ich nuon einest zuo ir red körnen! Ach wie ist das
5 lieb gestalt, das so vit lustlicher ding in im hat verborgen! Weder5) ist
es got ald mensch, frouw oder man, kunst ald list, oder was mag es sin?’
Und als verr6) er si in den üsgeleiten7) bisch alten5) der geschrift9) mit
inren10) ougen gesehen mochte, do zöugt11) si sich ime also12): si swebt
höh ob im in einem gewalkten trône13); si lûcht14) als der morgensterne
10 und schein als die spilndi15) sunne. Ire krön was êwikeit, ire wât was
sâlikeit, ire wort suessikeit, ire umbvang18) ailes lustes gnuchtsamkeit17).
Si was verr und nahe, hoch und nider; si was gegenwärtig und doch ver-
borgen; si lies mit ir umbgän und möcht si doch nieman begrifen lfl). Sie
reichet über das obrest des höchsten himels und mort das tiefest des ab-
15 grandes; si zerspreit sich von ende ze ende gewalteklich und richt alle
ding äs süesseklich 19). So er iez wände haben ein schöne junkvrouwen,
geswind vand er einen stolzen junkherren. Sie gebäret etwen20) als ein
wîse meistrin; etwen hielt si sich als ein vil weidenliche21) minnerin. Sie
bot sich zuo im minneklich und gruogt in vil lachelich und sprach zuo im
20 guotlich: ‘Prebe, fili, cor tuum michi! Gib mir d!n herz, kind mîns22).
Er neigt ir äs die vüesse und danket ir herzeklich äs einem dêmüetigen
gründe. Dis ward im do, und nit rnê möcht im dô werden. •
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74. Aus dem Frankfurter oder der Deutschen Cheologia23).
(Ende des 14. Jahrhunderts.)
Was rechter warer innerlicher fride si, den Kristus
sin en jungem zu letze24) gelaßen hat.
Es sprechen vil lûte25), si haben nit fride oder rûwe26), si haben so
vil widerwertigkeit und anfechtunge truckes und lidens, das si nit wissen,
J freudig. — 2) wahrlich. — 3) nur. —- 4) einmal. — 5) bleibt in der
Doppelfrage unübersetzt. — 6) als verr: insofern. — 7) s. äglegen. —
8) Gleichnissen. — 9) s. schrift. — 10) s. inner. — “) s. zeigen. — 12) vgl.
Herder, „Die ewige Weisheit“ : Ihm erschien Die Schönheit alles Schönen,
in Gestalt Der ew’gen Weisheit. Wie der Morgenstern Trat sie her-
vor und ward zur Morgenröte, Zur Morgensonne. Die Unsterblichkeit war
ihre Krön’; ihr Kleid die Anmut. Süß Und huldreich sprach ihr Mund;
und sie, sie war Der Freuden Freude, die Allgnugsamkeit. Sie schien
ihm nah und fern, von allem Hohen Das Höchste und von allem Innigen
Das Innigste, der Schöpfung Meisterin, Die sie in zarter Milde streng regiert.
Mit süßester Gebärde sprach sie: „Sohn! Gib mir dein Herz.“ — 13) Wolken-
thron. — 14) Prät, s. liuhten. — 15) glänzend, s. Walthers Gedicht S. 346 des
Lesebuches 7, 2. — ,6) Umfangen. — 17) s. genuocsamkeit. — 18) ergreifen,
berühren. — 10) Sie reichet.... süesseklich: vgl. Weisheit Sah 6, 1. —
20) bisweilen. — 21) frische. — 22) Prebe . . . mîns: vgl. Sprüche Sal. 23, 26. —
23) Werk eines Mönches in der Deutschen Herren Haus in
Frankfurt a. M.-Sachsenhausen. — Text nach Vetter, a. a. O., S. 258
und 259. — 24) Abschiedsgabe, Abschied. — 25) s. liute. — 20) s. ruowe.
ta? sgi? egg? Kg»? ksrr k-sr- ca? ra? t^ap t^i? ^ pg§? 44 J
wâ si dar ûs sollen körnen. Der nu diß in der wârheit wil an sehen und
merken, der erkennet wol, das wärer fride und rûwe nit lit an üßerlichen
dingen. Wan wêre dein also, sô hête der böse geist ouch fride, wenne
es im gienge nach sinem willen und wolgefallen, das doch mit nicht
enist1). Wan der herre sprächet durch den Propheten ‘die bösen und unge-
trewen haben keinen fride'. Und dar umbe sullen wir merken und eben
war nemen des frides, den Kristus sînen lieben jungem zu letze ließ, dö
er sprach: ‘mînen fride laße ich ûch2), mînen fride den gibe ich üch.’
In disem Worte mag man wol merken, das Kristus den lîplîchen und
üßerlichen fride nit gemeint hat, wan die lieben jungem und alle liebhaber
und nächfolger Kristi haben von anbegin groß trübsal, vorfolgung und
martir geliden, als Kristus selber sprach : ‘in diser zit werdet ir betwenknis3)
haben.’ Aber Kristus meint den wären innerlichen fride des herzen, der
sich hie an sähet und weret dort êwiglîchen. Dar umbe sprach er:
‘nicht als in die weit gibt,’ wan die weit ist falsch und betrügt4) in iren
gäben: si vorheist5) vil und heit wenig. Es lebet ouch nimant üf erden,
der alwege rûwe und fride habe, an trübsal und Widerwertigkeit, dem es
allezît gê nach sinem willen: es müs ie hie geliden sin, man köre es recht
wie man wolle. Und so man einer anfechtunge ledig wirt, so körnen
villichte ander zwo an die stat. Dar umb so ergib dich williglichen dar
in und suche alleine den wären fride des herzen, den dir nimant genemen
mag, da mit du alle anfechtunge überwindest. Dar umb meinte er den
innerlichen fride, der da durch breche durch alle anfechtunge und wider-
wertigkeit druckes, lidens, eilendes oder schmächeit oder des glichen was
des ist, das man dar inne frölich und gedultig wer, als die lieben jungem
und nächfolger Kristi gewest sint. Wer nu mit liebe allen sin en flis und
ernst dar zu töte, der wurde gar schiere erkennen den wären ewigen
fride, der got selber ist, nach muglichkeit der crêatûr, also das im süße
wurde, das im vor sûre was, und das sin herze unbewegt stünde alzit in
allen dingen und nach disem leben körne zu dem ewigen fride.
------)Cc------
75. Aus dem Sachsenspiegel0).
(um 1220.)
a. Von den zwei Gewalten.
Tvei s vert') lit got in ertrike to bescermene8) de kristenheit. Deme
pavesej is gesat dat geistlike, deme keisere dat wertlike. Deme pavese
is ok gesat do ridene to bescedener 10) tiet u) up eneme blanken perde12) undt
') mit nichten der Fall ist. — 2) iuch. — 3) Bedrängnis. — 4) s. be-
triegen. 5) verheizen. — 6) Eike von Repkow, ein anhaitischer Ritter,
verfaßte dieses Rechtsbuch zunächst in lateinischer Sprache; auf Bitten
des Grafen Hoyer von Falkenstein übertrug er sein Werk in die nieder
sächsische Mundart. — Text nach der Ausgabe von C G. Homeyer,
2. Ausl. S. 27, 232, 213. Berlin 1835. — 7) Schwerter. — 8) beschirmen. —
9) Papst. — 10) besceiden: festsetzen. — n) Zeit. — 12) vgl. Offenbarung
Johannis 6,2 und 19,11.
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412 k-LL- ügii Ci»? üäii KLL- r-SU- t^ii pgii t^i?
de keiser sal ime den stegerip 4) halden, dur dat de sadel nicht ne winde2).
Dit is de bekantnisse, svat3) deme pavese widersta, dat he mit geistlikeme
rechte nicht gedvingen ne mach, dat it de keiser mit wertlikem rechte
dvinge deme pavese gehorsam to wesene. So sal ok de geistlike gewalt
5 helpen deme wertlikem rechte, of it is bedarf.
—o@c—
b. Von den Kurfürsten und der Kaiser wähl.
In des keiseres köre4) sal die erste sin die bischop von megenze5),
die andere die von trere6), die dridde die von kolne7). Under den leien
si die erste an'me köre die palenzgreve von brandeburch die kemerere.
Die schenke des rikes die koning von behemen, die ne hevet nenen köre,
5 utnme dat he nicht düdesch8) n’is. Sint kisen des rikes vorsten alle, papen
unde leien. Die to’me ersten an’me köre genant sin, die ne solen nicht
kiesen na iren mutwillen9), wenne sven die vorsten alle to koninge irwelt,
den solen sie aller erst bi namen kiesen.
—0®o—
c. Gegen die Leibeigenschaft.
(xot hevet den man na ime selven gebeldet unde hevet ine mit siner
martere geledeget10), den enen also den anderen, ime is die arme also
besvas11) als die rike. — Do man ok recht irst12) satte13), do ne was
nen dienstman unde waren al die lüde vri, do unse vorderen her to lande
5 quamen. An minen sinnen ne kan ik is nicht upgenemen na der war-
heit, datjeman des anderen sole sin; ok ne hebbe wie’s nen orkünde14).
76. Aus dem Schwcibenspiegel15).
(um 1275.)
Wer den künic kiesen sol.
Den künic sollen dri phafen fürsten unde vier leien fürsten kiesen,
der bischof von Menze16) ist kanzler ze diutschen landen; der hat die
ersten stimme an der kür. Der bischolf17) von friere ist kanzler über
dag künicrich Arel18); der hat die andern stimme an der kür. Der
5 bischolf von Köllen19) der ist kanzler ze Lamparten20) unde hat die dritten
stimme an der kür. Dag sint driu fürsten ampt; diu hoerent ze der
kür. under den leien fürsten so hat der phalenzgräve von Rine die
*) Steigbügel. — 2) winden: sich wenden. — 3) was nur immer. —
4) Wahl. — 5) Mainz. — 6) Trier. — 7) Köln. — 8) deutsch. — 9) Belieben. —
10) erlöst. — n) zugehörig. — 12) zuerst. — 13) setten: setzen. — ") sichere
Kunde, Zeugnis. — 15) Text nach der Ausgabe von Wilhelm Wackernagel,
Zürich 1840. — le) Mainz. — 17) bischof. — 18) Arelatische Königreich. —
19) Köln. — 20) Lombardei.
C¿=¥? Cagj? kL-d kL-L? Cagj? E¿gg? Cjgj? C¿£i? C¿£T? 413
ersten stimme an der kür; der ist des riches truhsaege, unde er sol dem
künige die ersten scügel') tragen. Der herzöge von Sahsen hat die andern
stimme an der kür under den leien; der ist des küniges marschalc unde
sol dem künige sin swert tragen. Der marcgräve von Brandenburc der
hat die dritten stimme an der kür unde ist des riches kamerer unde sol 5
dem künige wager geben. Der herzöge von Beiern hat die vierden stimme
an der kür unde ist des riches schenke unde sol dem künige den ersten
becher tragen. Dise vier sullen tiutsche man sin von vater unde von
muoter oder von eintwederme 2). unde swenne si wellent kiesen, so sullen
si gebieten eine spräche3) ze Franken fürt. Die sol der bischolf von Meinze 10
gebieten bi dem banne, unde der phalnzgräve von Rine bi der sehte, si
sullen dar gebieten ir gesellen ze dem gespraeche, die mit in da welent,
unde der andern fürsten als vil als si ir gehaben megen. Dar umbe ist
der fürsten ungerade gesezet: ob vier an einen vallen unde dri an den
andern, so sol ie diu minner menige der merern volgen. dag ist an der 15
kür reht. E dag die fürsten kiesent, so sullen si üf den heiligen4) sweren,
dag si durch liebe noch durch leide noch durch guotes miete, dag in ge-
heigen si oder gegeben si, noch durch niht wellen, dag gevaerde5) heige,
wan als vil in ir guot gewigen sage. Swer anders weit, wan als an
disem buoche stet, der tuot wider got unde wider reht. unde wirt ir einer 20
dar nach überreit6), als reht ist, dag er guot dar umbe habe gelobet ze
nemen oder hat genomen: dag ist symonie; der hat sine kur verloren unde
sol si nimmer mer gewinnen unde ist da zuo meineide. dag sol geschehen,
da der künc einen hof7) gebiutet. Dar sol man dem selben ouch gebieten,
er si leien fürste oder phafen fürste, unde kumet er niht dar, man sol im 25
anderstunt8) ze andern hoven gebieten, unde kumt er ze den dritten niht,
so sol man in meineide sagen; unde swag er von dem riche hat, dag ist
dem riche ledic9), unde der künic sol in ze aehte tuon. unde ist eg ein
phafen fürste, der künic riht über in als über einen leien, unde sol dem
päbeste schriben, wie übel er gevaren habe, unde wie sine triwe an der 30
kristenheit gebrochen habe; unde heige dag bewaeren 10) vor dem päbeste.
der sol in danne von allen sinen phaflichen eren scheiden unde sin bischtuom
einem andern län; unde sol dar näch leben, als in der päbest heiget leben,
wan der päbest hät vollen gewalt unde mac im genäde tuon unde mac im
sin bischtuom wider lägen unde sine pheflich ere. dag stet an sinen ge- 35
näden. unde wirt der künic der selben schulden überkomen u), so ist er ze
unrehte an dem riche. Dag sol man über in klagen dem phalzgräven von
dem Rine. Nieman mac geziuc12) über in sin umbe die schulde wan die
fürsten, si sin geistlich oder werltlich.
*) schüggel. — 2) eintweder: einer von beiden. — 3) Besprechung, Be-
ratung. 4) auf die Heiligen, Reliquien. — 5) Hinterlist, Betrug. — 6) s.
überreden: überführen. — 7) Hoftag (als Gericht). — 8) zum zweiten Mal. —
9) fällt an das Reich. — 10) beweisen. — u) überkomen (m. Gen.): über-
führen. — 12) Zeuge.
Georq ;
für inte
Schult,
Braun
Schulbus
^chbitifiotb^fc
414 ta? c^i? Kgi? cgi? ta? ta? L-srr ra? ca? ta?
77, Bus der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV1),
(1356)
Von der kur eyns Römischen Konigis.
Darnach so die kurfursten sint körnen in dye stat zu Frankinfurt,
des nesten morgens, so der dag uffget, sullin sie in ir allir geginwurtekeit
in sancte Bartholomeus kirchin daselbis dun singin eyne messe von deme
heiligen geiste, dag er yn ir hertze irluchte und dag liecht siner crafft in ir
5 sinne gisse, dag sie mit syner helle gesturit2) werdin, eynen gerechtin
gudin und nutzin menschin kiesin einen komischin konig zu eyme konff-
tigem keisir und zu heile allin cristin ludin 3J. So die messe gedan ist, so
sullin die kurfursten alle zu deme altir gon, uf dem dye messe gesungen
ist; alda sullint die geistlichin fürsten ubir dem ewangelion sancti Johannis
10 „in principio erat Verbum etc.", dag daselbis für sie sal geleit werdin, ir
hende mit wirdekeit legen uf ir brüst; die werntlichin fürsten sullint mit
irin hendin liplichin daran griffen, die alle mit allem irirmgesinde sullin da
geinwurtig sten ungewapint. Und der irtzebuschoff von Mentze sal in die
furme des eidis gebin und er mit yn und sie mit yme adir4) der bodin,
15 die nit geinwurtig sin, den eit in dutschin dun in dese wise:
„Ich irtzbischof von Mentze des heiligin richis irtzkantzelir durch
Dutscheland und ein kurfurste sweren zu desin heiligen ewangeligen, die
hie geinwurteclichin für mir ligin, dag ich uff die druwe, mit der ich gode
und deme heiligen komischin riche virbundin bin, kiesin nach allir miner
20 bescheidinheit und virnunfft und mit godes helfe kiesin wil ein zitlich houbit
cristim folke, dag ist ein komisch konig zu eyme künftigen keysir, der
darzu bequemeliche sij, alse verre5) mich myn bescheidinheit und mine
sinne wisint, und bij der selbin truwe; so wil ich gebin mine stimme und
willin und die vorgenant kure dun ane alle gedinge, miede, Ion adir ge-
25 lobede adir wilchir wise soliche ding mögen genant werden, alse helfen
mir got und alle heiligen."
So der eit von den kurfursten adir irin boten in der vorgenanten furme
und wise gesworin ist, so sollen sie sich schicken zu der kure und sullint
von der stunt ug der stat zu Frankinfurt nummer von einandir körnen, ig
30 inhabe dan dag merer deil undir in vor geweht eyn zitlich houbit ein ko-
mischin konig cristem fulke zu eim kunfftigem keisir; virzogin sie dag zu
dunde drißig dage nach ein andir zu zehn von dage des gesworin eidis,
darnach dag die drißig dage ugsint, sullint sie furbag me nit eßin dan
waßir und brot und sullint in keine wis ug der stat nummer körnen, eg sij
35 dan for von in adir von dem meisten deile undir in ein zitlich houbit der
heiligin cristenheit irkorn.
Nach deme dag sie adir der merer deil undir in geweht han, die selbe
wal sal gehabit sin und behaltin werdin alse ob sie eynmudeclichin von
in allen were geschehin; geschehe ig auch, ob etliche kurfursten adir ire
x) nach der etwa aus dem Jahre 1371 stammenden Frankfurter
Übersetzung der Goldenen Bulle (Stadtarchiv).— f) Partiz. von
ge-stiuren: steuern, anleiten. — 3) hüten. — 4) oder. — s) alse verre: insofern.
Kgj? cjgj? cgj? PLL- Rgit r-s>r cgs? Rgff t^n tigj? cgj? 415
boten durch etliche zit nit geinwurtig werin und sich virspedet adir gehindird
wurdin und doch quemen, e die vorgenant kur volendit wurde, dem be-
kennen wir, dag man in zu der kure lafiin sal in demselbin wesin, in dem
sie ist in der zijt siner zukunfft. Wan is nu von altir bewertir und lobe-
lichir gewonheit ungebrechinlichin bisher gehaltin ist, dag hienach geschrebin 5
stet, darumb so setzin wir und bekennen von fullenkomen keisirlichin
gewalt, dag der, der in forgesatzte wise irkorn wird zu eime Römischen
konige, so die kure geschehin ist, e er sich keinirleie Sache adir gescheffte
von krafft des heiligen richis etc. undirste zu dune, so sal er allen unde bi-
sundir den kurfursten geistlich und werntlich, von den kuntliche ist, dag sie 10
die nestin gledir sint des heiligin richis, alle ir privileige, briefe, recht, friheit,
furluhin ding, alte gewonheit und wirdekeit, und wag si von deme riche bis
an den dag der kure gehabit bau und besessin, bestedegin und befestin
mit sinen besegeltin brieten ane furzog und weddirrede; und die vorgenant
stucke sal er in alle hernuwin, nach deme dag er mit keisirlichir imfeln1) 15
gekronit wird. Die bestedunge sol der herkorn eyme iegelichim kurfursten
bisundir dun von irst mit sime koniglicheme namen und darnach undir siner
keisirlichin wirdekeit hernuwin; in den dingin sal er dye furstin alle in der
gemeyne und ir ieclichin bisundir nummer gehindirn, me er ist sie schuldig
gnedeclichin zu furdern ane argelist. 20
ln der geschichte, so dry kurfursten geinwurtig adir der boten, die nit
geinwurtig sin, den firden undir in adir ug ir geselleschaffte, dag ist ein kur-
furste, der geinwurtig adir nit geinwurtig were, zu eyme Romischin konige
irwelten, deme irkennen wir mit gesetze, dag des irwelten stimme, abe
er geinwurtig were adir sine boten, ob yme nit gebürte geginwurtig zu 25
sine, volle crafft habe und die zal der köre mere und dag großir deil
hersetze glich den andirn kurfursten.
78. Kaiser Sigmund bestätigt der Stadt Frankfurt a. M.
ihre Privilegien 2).
(30. November 1433.)
^V^ir Sigmund von gotes gnaden Römischer keiser, zu allen ziten
merer des richs und zu Hungern, zu Sehern, Dalmacien, Croacien etc. kunig,
bekennen und tun kunt offembar mit disem brieff allen den, die in sehen
oder hören lesen. Wiewol unser keyserliche wirdikeit durch angeborn
gute geneyget ist, friede, gnade und gemache zu schaffen allen des heiligen 5
Römischen reichs getruwen undertanen, doch so meynen Wir mit sonder-
lichen gunsten die zu sondern und den unser gnade mildeclichen mit zu
teilen, die in möglichen diensten und steten truwen sich uns und dem
heiligen reiche vor andern getruwelich beweiset han und steticlich mit gantzen
truwen ertzeigen. wann nu vor unser keiserliche maiestat körnen sein der 10
') lat. infula. — 2) Urkunde im Stadtarchiv zuFrankfurt a. M.
416 ^ ^ r^»r r-ssr tat t^i? r^r ta? pg»? r¿5? tag
ersamen burgermeistere, scheppfene, rates und bürgere gemeinlieben der
stat zuFranckenfurd unserr und des reichs lieben getruwen erbere frunde
und han uns demuticlichen gebeten, das wir denselben burgermeistere,
scheppffen, rate und bürgern der stat zu Franckenfurt alle und igliehe ir
5 gnade, freiheite, rechte, gewonheite, briete, privilegia und hantfesten4),
die sy von Römischen keisern und kunigen unsern vortarn an dem reiche
und auch uns erworben und herbracht haben, zu bestätigen gnediclich ge-
ruchten von sunderlichen unsern keiserlichen gnaden: des haben wir an-
gesehen der vorgenanten unsere bürgere redliche und vernunfftige bete
10 und auch merkliche getruwe dienste, die die vorgenante unser burger und
stat zu Franckenfurt uns und dem heiligem Römischen reiche dicke unver-
drossenlichen ertzeiget und erboten han und steticlich ertzeigen, und haben
denselben burgermeistern, scheppffen, rete, bürgern gemeinlich semptlich
und ir iglichem besundern, iren nachkamen und der stat zu Franckenfurt
15 mit sunderlichem rate unser fürsten, edeln und getruen mit wolbedachtem
beraden mute, rechter wissen und keiserlichen mechten volkomenheit be-
stetiget, befestiget, confirmieret und ernuwet, bestätigen, befestigen, confir-
mieren und ernuwen yn mit disem brieffe irjerliche tzwene merkte
und messe, die sie alle jare by in hant, alle und igliehe ir hantvesten,
20 brieve und schaffte, damitte sie von Römischen keisern und kunigen unsern
vorfarn und von uns und dem heiligen Römischen reiche begnadiget und
gefreiet sin, alle ir löblich herkamen, gute gewonheite, alte und nuwe rechte,
besitzunge, eigentscheffte, leben, pfantgut, gerichte, iré rente und geselle,
und bestätigen auch die vorgenante hantvesten und briete in allen puncten,
25 meynungen und artikeln von Worte zu warte, als sie begriffen und ge-
schahen steen glicher weis, als obe sie in disem brieve geschahen und
begriffen weren oder durch recht oder gewonheit hie irme begriffen sein
Suiten, davon gebieten wir von unser kaiserlicher machte und gewalt allen
fürsten geistlichen und werntlichen, graven, fryen, herren, rittern, knechten,
30 steten, gemeynden und allen unsern und des heiligen reichs undertanen und
getruwen, das nyemant die vorgenante von Franckenfurt an iren gnaden
und freyheiten und dieser unser bestettigunge, befestenunge, confirmación
und ernuwunge hindern oder irren sollen in dhein weise und wer dawider
tete frevelichen, der sal als dicke das geschieht hundert mark lotiges2)
35 goldes sin verfallen, die halb in unser und des reichs camer und das ander
halb teil der egenanten unser stat zu Franckenfurt werden und gentzlich
gefallen sol. Mit urkund diß briefs versigel mit unserr keiserlichen maie-
stat gülden bullen. Geben zu Basel nach Crists geburd viertzehenhundert
jar und dornach in dem drew und drissigistem jare an sandt Andres3) tag
50 des heiligen czwelffbotten4)......
4) hantveste: Handhabe, schriftliche Versicherung, Verbriefung der
Rechte. — 2) vollwichtig. — 3) Andreas. — 4) zwelf-bote: Apostel.
— ______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________