4 4. Auf dem Gebiete der lyrischen Poesie erreichen der Meister¬ gesang und das Volkslied ihren Höhepunkt. Während aber der Meister¬ gesang bei seiner Künstelei verharrt und zu frischem Leben sich nicht zu gestalten vermag, entwickelt sich das Volkslied zu seiner schönsten Blüte und zeigt bei der größten Einfachheit und Natürlichkeit tiefe und wahre Poesie. Das Beste aber, was das Zeitalter der Reformation in der Lyrik hervorgebracht hat, ist unstreitig das Kirchenlied. Die wichtigsten Dichter von Kirchenliedern sind Luther, Paul Speratus (7 1554), Nik. Decius (f 1541), Erasmus Alberus (st 1553), Barth. Ringwald (st um 1600) und Burkard Waldis (st 1556), welcher den ganzen Psalter übersetzte. 5. Die dramatischen Dichtungen dieses Zeitraumes zeigen mehr Handlung und Bewegung als früher und eine sicherere Gliederung im Aufbau. Die Stoffe wurden nach wie vor ans dem alten und neuen Testamente entlehnt, aber auch aus der alten Geschichte und der deutschen Heldensage; die Fastnachts¬ spiele enthalten Possen und Schwänke wie früher. Die bedeutendsten Dichter auf diesem Gebiete sind Hans Sachs und Jak. Ayrer (st 1605). 6. Keine Gattung der Poesie fand in diesem Zeitraum eine größere Pflege als die lehrhaft-satirische. Den Reigen der eigentlichen Satiriker eröffnet Sebastian Braut mit seinem Narrenschiff (1494), in welchem er im Tone der Volksdichtung die Laster und Thorheiten der Zeit geißelt; ein Nachahmer Brants ist der Franziskanermönch Thomas Murner; er zeigt ein bedeutendes satirisches Talent in seiner Narrenbeschwörung, in der Schelmenznnft, der Gäuchmatte (Narrenwiese) und in dem gegen Luther gerichteten Gedichte: Von dem großen lutherischen Narren, wie ihn Doktor Murner beschworen hat (1522). Der größte Satiriker des ganzen Jahrhunderts aber ist Johann Fischart, in welchem der streitbare Charakter dieser Litteratur recht eigentlich seinen Ausdruck gefunden hat. — Anmerkung. Auch die Fabeldichtung wurde in diesem Jahrhundert wieder angebaut. Als ihre Hauptvertreter sind zu nennen Burkard Waldis und Erasmus Alberus (Vgl. oben 4). Von dem letzteren haben wir eine Sammlung von Fabeln unter,dem Titel: „Buch von der Tugend und Weisheit"; die meisten der Fabeln sind ans dem Äsop entnommen. Das Werk des Burkard Waldis erschien unter dem Titel: „Esopus ganz neu gemacht und in Reimen gefaßt" (1548) und enthält 4 Bücher von je 100 Fabeln in behaglicher epischer Breite. Als Mittelglied zwischen dem alten Ticrepos und der Lehrfabel bildete sich das allegorisch-satirische Tiergedicht; das bedeutendste Werk dieser Art ist der Froschmäusler (1596) von Georg Rollen Hagen. Unter den prosaischen Schriften der Reformationszeit erwähnen wir außer den weiter unten zu nennenden Werken Luthers und Fischarts: 1. Die sogenannten Volksbücher; es sind teils Prosabearbeitungen alter Sagen- stosfe (Kaiser Oktavian, Fortunatus, Magelone, Melusine, Tristan, die vier Haimons- kinder, der gehörnte Siegfried u. a. m.), teils enthalten sie neue Sagen und Erzählungen ernster und scherzhafter Art (Dr. Faust — zuerst 1587 gedruckt —, der ewige Jude — zuerst gedruckt 1602 —, das Laleubuch von den Schildbürgern, der Eulenspiegel). 2. Gcogr. und geschichtl. Werke von Sebastian Frank (geb. 1500, st 1545 zu Basel; Hauptwerke: „Sammlung deutscher Sprichwörter", „Chronika von ganz Deutschland"), Sebastian Münster (geb. 1489, st 1552 zu Basel, schrieb eine „Kosmo- graphie"), Ägidius Tschudi (1505—1572, schrieb eine „Helvetische Chronik") und Johann Thurmayer gen. Aventinus (1477 — 1534, schrieb eine „Bairische Chronik"). Dahin gehören auch die für die Zeit- und Sittengeschichte wichtigen Selbstbiographieen des Götz von Berlichingen (1480—1562), des Hans von Schweinigen (1552—1616) und des Sebastian Schertlin von Burtenbach (1196—1577).