Wesen der Musik. 277 der Instrumente beschränkt, zumeist iu die schlimmsten Irrwege verlockt. Dem äußeren Ohre bietet die Musik lediglich eine bunte Mannigfaltigkeit von Tönen. Das in ihnen waltende künstlerische Gesetz ist Objekt der geistigen, nicht der sinnlichen Wahrnehmung. Zwei Organe — ich möchte sie das Ohr und das Auge der Seele nennen — sind dabei die Bermittler: die nachempfindende Phantasie und die verständige Betrachtung. Was der einen als der innerste Stimmungscharakter einer Komposition, als die in ihr lebende und webende Poesie erscheint, stellt sich der andern als kunstreiches Gefüge planvoll geord¬ neter Tonreihen dar. Da hätten wir also doch wieder den Dualismus von In¬ halt und Form, aber jetzt mit dein Unterschied, daß er sich uns als rein sub¬ jektiver Gegensatz zu erkennen gegeben. So aufgefaßt ist er denn auch keines¬ wegs bedeutungslos. Seine Berechtigung liegt in der eben näher bezeich¬ neten Doppelnatur unseres Perceptionsvermögens begründet. Wie wir gesehen, erweist sich der musikalische Eindruck als ein sehr verschiedenartiger, je nach¬ dem er intuitiv oder durch die Reflexion vermittelt ist. Gerade deshalb läuft hier alle ästhetische Erziehung darauf hinaus, die Empfänglichkeit nach beiden Seiten hin gleich bereit und geschickt zu machen. Wir sollen uns weder an der Aussage des Gefühls allein, noch an dem bloßen Urteil des Verstandes genügen lassen, sondern stets des alten Wortes eingedenk sein: „Zweier- Zeugen Mund thut die gange Wahrheit kund." Wie aus der gemeinsamen Bethätigung eines warmen Herzens und eines hellen Kopfes jedes echte Ton¬ werk hervorgeht, so sind eö wiederum diese beiden, an die es sich wendet. Wer es unternimmt, die im Gemüt durch die Musik hervorgerufenen Be¬ wegungen zu schildern, sieht sich fast immer an Bilder und Gleichnisse ge¬ wiesen. Diese sind auch ganz an ihrem Platze, sobald sie nicht als Programm dem Komponisten untergeschoben werden, sondern nur die durch ihn geübte Wirkung anschaulich machen sollen. Es handelt sich da um reine Thatsachen der Empfindung, welche der Diener des Denkens, das Wort, bloß in weiten Kreisen umschreiben kann. Alle solche Stimmungsmalerei ist häufig ein leeres Spiel der Phantasie gescholten worden, jedoch sicherlich mit Unrecht. Die innigen Beziehungen der Musik zum Gefühl leugnen wollen, heißt recht eigentlich ihr das Herz aus dem Leibe reißen. Von jenem Zusammen- hang, sowohl im allgemeinen wie in jedem einzelnen Falle uns Rechenschaft zu geben, ist eine unabweisbare Forderung der künstlerischen Wißbegier. Frei¬ lich dürfen wir keinen Augenblick vergessen, daß bei sämtlichen Versuchen der Art nie mehr herauskommen kann als der Reflex eines Reflexes, als verschwimmende Schatten, die nicht einmal zunächst die Sache selbst, sondern einzig deren Widerschein in der Empfindung und auch diesen unzulänglich ab¬ spiegeln. Dicht verschleiert, jede genauere Definition abwehrend, steht hinter