288 feit der Kriegführung gibt Lei den Gebirgen den Ausschlag. Wie nun der Be¬ lagerte vom Wall herabsteigt, um vor der Festung auf günstigem Kampfplatz dem Feinde zu begegnen, so legt jeder Staat auch noch Wert auf die „Glacis" der Gebirge; und was ist die blutgetränkte lombardische Ebene, was ist Na¬ varra anders als das Glacis des Alpen- und Pyrenäenwalles? Bei näherem Zusehen stellen sich viele unserer Hauptschlachtfelder als Ebenen heraus, aus denen die Wallgrenze eines Gebirges verteidigt wird. Überhaupt sind Gebirge geschichtlich Defensivstellungen, während Meer und Steppen die Stätten großer Ofsensivbewegungen und weitreichender Unternehmungen sind. So findet in dem großen Kampfe um Raum endlich ein Ausgleich statt. Der bewohnbare Raum wird hinausgeschoben, der unbewohnte Raum wird kleiner. An der Grenze des bewohnten Raumes wohnen meistens Völker, die dahinsterben, sobald sie in Berührung mit höherer Kultur kommen. Ganze Stämme siechen dahin und verschwinden, und wenn der Menschheit neue Grenzen gegeben werden, wenn ein neues Zeitalter anbricht, dann sinken Generationen ins Grab im Kampfe mit den veränderten Lebensbedingungen. Aber irgendein neues oder altes Zentrum — mehrmals war es Rom — strahlt seine Wirksamkeit aus, die Grenzen ziehen sich weit zurück, und entsprechend weitet sich der mensch¬ liche Geist. Im Kampf mit der Natur paßt er sich ihr an und zwingt sie, sich ihm zu beugen; im Verkehr mit andern Völkern durchdringen sich Stämme und Wesen, und es entstehen Randvölker der Erde, Pioniere menschlicher Kultur, Grenzstämme mit den guten und schlechten Eigentümlichkeiten der Mischlinge. Ist nicht schließlich die gesamte Menschheit ein Grenzvolk zwischen toter Materie und lebendigem Geist? 36. Europas geographische Mikgift. Von A. Kirchhofs. Länderkunde von Europa. 1887. So gewiß aller Külturfortschritt auf Erden in der Mitteilung glücklicher Gedanken, wohltätiger Erfindungen von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk beruht, so gewiß muß Europa gepriesen werden, daß es zunächst dort für solche Empfängnis trefflich ausgestattet war, wo die frühesten und wichtigsten Kultur- anregungen zu gewärtigen waren, in seinem Süden. Hier wehen milde Lüfte, hier ging der Mensch niemals auf in sklavischer Arbeit um den Erwerb der täglichen Nahrung, immerdar wurde die Mühe um Fristung des Daseins zugleich gefordert und erleichtert, so daß es weder an Sporn zur Tätigkeit noch an holder Muße zur Ausbildung des Geistes fehlte. Gerade Südeuropa vereinigte mit der Empfänglichkeit seiner geweckten Bewohner für Neues aus der Fremde eine ganz einzige Begünstigung der Zufuhr von Waren wie Gedanken; es hat den reichsten Anteil an der Küste des echtesten aller Mittelmeere, und dieser sein Anteil ist nicht bloß ausgezeichnet durch Länge der Küstenlinie, sondern auch durch deren buchtenreichen Verlauf, viele treffliche Häfen, eine scharfe Sonderung der Landmasse in recht selbständige Glieder, in grellem Gegensatz