319 124 Venedig. 1. Venedig liegt nur noch im Land der Träume, Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen; Es liegt der Leu der Republik erschlagen, Und öde feiern seines Kerkers Räume. 2. Der eh'rnen Hengste, die, durch salz'ge Schäume Dahergeschleppt auf jener Kirche ragen, Nicht mehr dieselben sind sie, ach! sie tragen, Des korsikan'schen Ueberwinders Zäume. 3. Wo ist das Volk von Königen geblieben, Das diese Marmorhäuser durfte bauen, Die nun verfallen und gemach zerstieben? 4. Nur selten finden auf der Enkel Brauen Der Ahnen große Züge sich geschrieben, An Dogengräbern in den Stein gehauen. Karl Friedrich Philipp von Martins, geb. 1794 zu Erlangen. 123. Ein Tag unter dem Aeguator. Wie glücklich bin ich hier, wie tief und innig kommt hier sc Manches zu meinem Verständnisse, das mir vorher unerreichbar stand! Die Heiligkeit des Orts, wo alle Kräfte sich harmonisch vereinigen, zeitiget Gefühle und Gedanken. Ich meine besser zu verstehen, was es heißt, Geschichtschreiber der Natur zu sein. Ich versenke mich täglich in das große und unaussprechliche Stillleben der Natur, und vermag ich auch nicht, es ganz zu erfassen, so erfüllt mich doch die Ahnung seiner Herrlichkeit mit nie gefühlter Wonne. — Es ist drei Uhr Morgens; ich verlasse meine Hänge¬ matte, denn der Schlaf flieht mich Aufgeregten: ich öffne die Läden, und sehe hinaus in die dunkle, hehre Nacht. Friedlich flimmern die Sterne, und der Strom glänzt im Wiederscheine des untergehenden Mondes zu mir herüber. Wie geheimnißvoll und still ist Alles um mich her! Ich wandle mit der Blendlaterne hinaus in die kühle Veranda, und betrachte meine trauten Freunde, Bäume und Gesträuche, die um die Wohnung her stehen. Manche schlafen mit dicht zusammengelegten Blättern, Andere aber, die Tagschläfer sind, ragen ruhig ausgebreitet in die stille Nacht auf; wenige Blumen stehen geöffnet; nur ihr, süßduftende Paullinien-