Borrede zur ersten und zweiten Auflage.
Die Ansicht, daß wahre Bildung durch Nichts so sehr gefördert wird,
als durch richtige Benutzung der klassischen Nationalliteratur, ist in
neuerer Zeit so nachdrücklich ausgesprochen und so überzeugend nach¬
gewiesen worden, daß die Schule gerechte Vorwürfe verdiente, wollte
sie dieses treffliche, durch keinen andern Unterrichtsgegenstand zu er¬
setzende Bildungsmittel noch länger unbeachtet lassen. Man braucht
auch in der That nur einige Monate lang Dichtungen von Schiller,
Göthe, Lessing, Wand und andern Männern von anerkannter Tüch¬
tigkeit in dem Sinne von Kellner, Götzinger, Viehoff, Hiecke behan¬
delt zu haben, um für immer für einen solchen Unterricht eingenom¬
men zu sein. Es kommt ein ganz anderer Geist in die Schüler, wenn
es dem Lehrer gelungen ist, ihnen auch nur Einen Dichter lieb und
werth zu machen; Denk - und Darstellungsweise gewinnen von Stund
an auffallend. Eben so unzweifelhaft ist es, daß die Schüler durch
geeignete Anleitung zum Lesen eines guten Schriftstellers am nach¬
haltigsten zur Selbstbildung angereizt, und am sichersten dazu befähigt
werden, in ihr also eine schätzbare Mitgift für das ganze Leben
erhalten.
Der vorliegende 6. Theil unseres Lesebuches bietet ein Material
dar, welches geeignet ist, die angedeuteten Wirkungen hervorzubringen,
wenn es mit Liebe und Sachkenntniß verarbeitet, d. h. den Schülern
nach jeder Beziehung hin ganz zu eigen gemacht und nicht bloß ober¬
flächlich und gedankenlos gelesen wird. Das Meiste davon hat sich
uns bereits beim Unterricht bewährt und ist ohnehin längst von Sach¬
verständigen als mustergültig bezeichnet worden; Lehrer und Schüler
dürfen es daher mit einigem Vertrauen zur Hand nehmen.
Der oben gedachten, so sehr wünfchenswerthen Fortbildung halber
ist es von Wichtigkeit, dem Schüler ein möglichst abgerundetes Bild
von den Leistungen eines Schriftstellers zu geben. Wir haben bei
der Auswahl hierauf überall Rücksicht genommen, rechnen aber darauf,
daß der Lehrer noch hier und da ergänzend eintritt, und namentlich