§ 54. Die moderne Literatur. Theodor Storm. 433 6. Eine Frühlingsnacht. Im Zimmer drinnen ist's so schwül; Der Kranke liegt ans dem heißen Psühl. Im Fieber hat er die Nacht verbracht; Sein Herz ist müde, sein Auge verwacht. Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand; Er hält die Uhr in der weißen Hand. Er zählt die Schläge, die sie pickt. Er forschet, wie der Weiser rückt; Er fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht. Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. Die Wartfrau sitzt geduldig dabei, Harrend, bis alles vorüber sei. — Schon auf dem Herzen drückt ihn der Tod; Und draußen dämmert das Morgenrot. An die Fenster klettert der Frühlingstag, Mädchen und Vögel werden wach. Die Erde lacht in Liebesschein, Pfingstglocken läuten das Brautfest ein; Singende Bursche ziehn übers Feld Hinein in die blühende, klingende Welt. — Und immer stiller wird es drin; Die Alte tritt zum Kranken hin. Der hat die Hände gefaltet dicht; Sie zieht ihm das Laken übers Gesicht. Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer; Und drinnen wacht kein Auge mehr. 7. 1864. Ein Raunen erst und dann ein Reden, Von allen Seiten kam's herbei, Des Volkes Mund ward laut und lauter, Die Lust schlug Wellen von Geschrei. Und die sich stets entgegenstemmen Dem Geist, der größer ist als sie, Sie waren in den Kampf gerissen Und wußten selber kaum noch wie. Sie standen an den deutschen Marken Dem Feind entgegen unverwandt Und waren, eh' sie es bedachten, Das Schwert in ihres Volkes Hand. Hense, Lesebuch. II. 4. Aufl. 28