I. Älterer Zeitabschnitt. (1740-1800). 116 Und am Abend, wenn es dunkelt, Seh' ich seinen milden Schein; Wo das Heer der Sterne funkelt, Wacht er über Thal und Hain; Leuchtet mir auf meinen Wegen, Labt die Wiese, nährt das Feld, Spricht den väterlichen Segen Ueber die entschlaf'ne Welt. Seiner freu' ich mich im Lenze, Wenn man Veilchen-Kränze flicht; Seiner, wenn die Schnitter-Tänze Sturm und Hagel unterbricht. Sobt' ich seiner mich nicht freuen? Singen nicht, daß Wolke, Wind, Auch die Blitze, wenn sie dräuen. In des Vaters Händen find? Daß an öden Felsenklüften Liebend er vorüber geht, Und in düstern Todten-Grüften Des Erhalters Odem weht? I. G. Jacobi. Die Linde auf dem Kirchhofe. Die du so lang den Abendgruß Aus mich herunter wehest, Zur Wolke schwebst, und mit dem Fuß Auf Totenhügeln stehest, O Linde! Manche Thräne hat Den Boden hier benetzet, Und Menschenjammer, laß und matt Auf ihn sein Kreuz gesetzet. Die auf dem einen Hügel hier Geweint um ihre Lieben, Die birgt ein andrer neben dir, Und ihrer wenig blieben. Sie schlafen. Ach, um ihr Gebein Verhallte schon die Trauer. Du, Linde, rauschest ganz allein In atemlosem Schauer. Vergebens läßt auf kühles Grab Dein Zweig die Blüte fallen; Vergebens tönt von dir herab Das Lied der Nachtigallen; Sie schlummern fort. Du aber schlägst In modervolle Grüfte Die Wurzel, schminkest dich, und trägst Empor die Blütendüfte. Auf Erden sieht man immer so Den Tod an's Leben grenzen. Doch „ewig kannst du, stolz und froh. Die Äste nicht bekränzen; Es trocknet schon der Jugend Saft In ihr; Verwesung winket, Bis endlich deine letzte Kraft Dahin auf Gräber sinket. Wenn aber dein Geflüster auch Verstummt an diesen Hügeln, So bringet neuen Frühlingshauch Der West auf Rosenflügeln. Damit die Felder wieder blühn, Umwallt er Berg und Gründe, Will deinen Sprößling auferzieh'n, Und krönt die junge Linde. Wohl uns! Der große Lebensquell Versiegt dem Geiste nimmer. Das Kreuz auf Gräbern, wie so hell Ist dieser Hoffnung Schimmer! O Linde! Gern an deinem Fuß Hör' ich des Wipfels Wehen; Dein feierlicher Abendgruß Verkündet Auferstehen. I. G. Jacobi. Litanei auf das Fest aller Seelen. Ruh'n in Frieden alle Seelen, Die vollbracht ein langes Quälen, Die vollendet süßen Traum, Lebenssatt, geboren kaum, Aus der Welt hinüber schieden; Alle Seelen ruh'n in Frieden. Die sich hier Gespielen suchten, Oefter weinten, nimmer fluchten, Wenn von ihrer treuen Hand Keiner je den Druck verstand; Alle, die von hinneu schieden, Alle Seelen ruh'n in Frieden! Liebevoller Mädchen Seelen, Deren Thränen nicht zu zählen. Die ein falscher Freund verließ Und die blinde Welt verstieß; Alle, die von hinnen schieden, ' Alle Seelen ruh'n in Frieden! Und der Jüngling, dem verborgen, Seine Braut am frühen Morgen, Weil ihn Lieb' ins Grab gelegt, Auf sein Grab die Kerze trägt; Alle, die von hinnen schieden, Alle Seelen ruh'n in Frieden!