113 beschränktere Fassung der Literaturgeschichte fortwährend gezwungen war, von der Geschichte der Dichtung aus die dieselbe mannigfach kreuzenden Wege des philosophischen Denkens, des religiösen und sittlichen Lebens abzubiegen. Jener kulturgeschichtliche Standpunkt, welchen mit Recht die Darstellung von Julian Schmidt für die Literatur überhaupt anstrebt, wird hier geradezu zur Notwendigkeit, und es gilt nur, auf der einen Seite vollen Ernst damit zu machen, auf der anderen nicht zu vergessen, daß dennoch die Literatur eines Volkes oder einer einzelnen Periode nicht die Kultur dieses Volkes oder dieser Periode selbst, sondern nur die Spiegelung derselben in pro¬ saischen und poetischen Hervorbringungen sein kann. Immer haben seit dem Beginn unserer großen Literaturepoche in Deutschland Dichtung und Philosophie zusammen gearbeitet und lebhaft ineinandergegriffen. Niemals jedoch haben sie sich dergestalt durchdrungen wie in den Bestrebungen der Gründer der romantischen Schule. Je flacher die wurzeln sind, welche die Dichtung dieser Zeit im Boden des Lebens, die Philosophie im Boden des Realen hatte, um so mehr verschlingen diese beiden ihre wurzeln inein¬ ander und suchen, eine aus der Zandern Nahrung zu ziehen. In dieser äußersten Geistigkeit, in dem Ineinanderfließen des Phantasie- und Ge¬ dankenlebens besteht geradezu, wenn es doch einmal unter eine Formel gebracht werden soll, das Wesen der Romantik, und hierin wieder lag die Möglichkeit, daß die feinsten Nusströmungen des Seelenlebens, die Re¬ gungen der Frömmigkeit sich friedlich damit verbinden konnten, wie sich in der Romantik Dichtung, Philosophie und Religion die Hände zum Bunde reichen, so muß sich auch in der Darstellung dieses revolutionären Idealismus die Geschichte der Dichtung mit der Geschichte der Philosophie und der Religion begegnen. Die Geschichte der Romantik kann schlechterdings nicht gründlich geschrieben werden, wenn nicht neben der Bewegung, die hier von der Goetheschen zur Tieckschen Dichtung vor sich ging, ebenso die Bewegung verfolgt wird, die von der Fichteschen zur Schellingschen Philosophie, von dem Pietismus der Brüdergemeinden zu der Religionsverkündigung Schleier¬ machers hinüberführte. In dieser Breite nun gefaßt, zeigt natürlich die Geschichte der Romantik alle die Schwierigkeiten in gesteigerter weise, die der Literaturgeschichte überhaupt eigen sind. Mit dem Vorzug dieses Teils der Geschichtschreibung, daß sie die bleibenden Taten, die ihren Inhalt bilden, in authentischen Doku¬ menten, in den Werken der Dichter und Denker vor sich hat, erhebt sich hier der Anspruch, ihnen tiefer auf den Grund zu sehen als den nur in ihren Wirkungen in der Welt erhaltenen Taten der Völker und Staaten, der Staatengründer und Staatenleiter. Ts ist die zusammengesetzteste und zar¬ teste Aufgabe. Denn inniger als in irgendeinem anderen Teil der Geschichte ist hier das Gewebe allgemeiner Ideen, Denkweisen und Runstformen mit individuellen Fähigkeiten, Schicksalen und Beziehungen. So gewiß es das Schönfelder, Deutsches Lesebuch für prima. g