Aaturschilderungen und Beschreibungen. 1. Der Laubwald. von Hermann irlasius: Naturstitdien. Wie schön, wenn im Frühling der Hauch wärmender Lüfte die starren Bäume rührt und sie nun den Schnee von der Schulter werfen wie ein drückendes Gewand und wieder frei hinaufstreben in den jugendlichen Äther! Um die Birke zieht sonnig grüner Nebel, die Buche wölbt die Kuppel, und auch um die schwarzen Zacken der Eiche schimmern golden Tausende von Knospen. Alles treibt und ringt hinauf, hinaus ans Licht. Dann wieder im Herbst: welche unendliche Ruhe liegt da über den Wipfeln! Wie neigt sich alles zur Riiste! Zwar steht an geschützten Stellen wohl noch ein einzelner Baum im Grün, aber drinnen die hohen Laubgänge leuchten rot und gelb, als blicke farbendämmernd das Licht durch bunte Kirchenscheiben; jedes Blatt glüht aus wie eine stille Flamme — dann füllt es — das Licht verlöscht. Und selbst der winterliche Wald iibt noch seine Zauber. Oder wen hätte es nicht ahnend ergriffen, wenn er irr die verödeten, beeisten Hallen hinaustrat und überall das stumme, bleiche Glänzen lag? Man glaubt in einem Mausoleum zu wandeln. Da faßt ein Windstoß alle die glitzernden Säulen und Säulchen, daß sie durcheinander klingen und klirren, ein blitzendes Splittern geht die Wände hinab, bis wieder alles die alte Ruhe deckt. So bietet der Laubwald immer neue und immer poetische Scenen. Aber er ist rricht allein ein Schmuck, sondern auch ein Erhalter und Nährer der Erde. Für die Schönheit desselben mag es sogar dem Wilden nicht an Empfindung fehlen; die große kosmische Bedeutung des Waldes aber lernten erst die späten Zeiten einer alles brandschatzenden Kultur würdigen. Erschreckt haben sie erkannt, daß die Vernichtung der Laubwälder gleichsam den Boden unter ihren Füßen aushöhle, und daß ihre Arbeit, wie sie einst mit dem Chaos begann, fortschreitend mit dem Chaos enden müsse. Denn mit den zahllosen Fächern seiner immer bewegteil Zweige und Blätter erregt der Wald, einem Wehre vergleichbar, den Luftstrom zu unallfhörlichen Kreisungen; Gase steigen in ihm auf und ab; was dem Menschen imb Tierleben Verderben bringen müßte, atmet er begierig ein und haucht es wieder aus als Lust des Lebens; Wolken und Nebel, Regen und Tall, Ströme und Quellen gebiert er in seinem Schoße, und die länderdurchschweifenden Winde sättigt er mit nährenden Elementen.