153 ihm die fünfhundert Rubel. Alfo sind jetzt die Kindlein versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt. Und so ein oder der andre geneigte Leser vor den Toren der großen Stadt hätte zweifeln mögen, ob der Vetter auch zu finden sei, und ob er's tun werde, so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht einmal dazu vonnöten gehabt. Johann Peter Hebel. 113. Der arme Musikant und sein Kollege. 1. Ich habe mich immer recht in die Seele hinein geärgert, weitn ich das Wort hören mußte: „Man hört in unsern Tagen nichts Gutes mehr." Da sollte man doch wahrlich denken, unsere Zeit sei die allerschlechteste seit Adams Tagen, und die Menschen seien allesamt Unmenschen. Ich sag's jedem ins Gesicht: Es ist nicht wahr, wenn's auch Schufte genug gibt. Eine schlechte Tat wird überall erzählt; aber wenn einmal eine gute geschieht, schweigt man davon. Die guten Menschen legen sich damit nicht an den Laden und lassen's nicht austroinpeten, wie es die Pharisäer machten. Drum will ich auch nicht stillschweigen, wenn ich eine gute Tat hier oder dort höre, und will gleich eine erzählen, die noch nicht alt ist. 2. An einem schönen Sommertage war im Prater zu Wien ein großes Volksfest. Der Prater ist eine sehr große, öffentliche Gartenanlage voll herrlicher Bäume und ist der Hauptspaziergang und Belustigungsort der Wiener. Viel Volks strömte hinaus, und jung und alt, vornehm und gering freuten sich dort ihres Lebens; auch viele Fremde kamen, um sich an der Volkslust zu erfreuen. Wo fröhliche Menschen sind, da hat auch der etwas zu hoffen, der an die Barmherzigkeit seiner glücklichen Mit¬ menschen gewiesen ist. So waren denn hier eine Menge Bettler, Orgel- männer und Harsenmädchen, die sich ihren Kreuzer zu verdieuen suchten. 3. In Wien lebte damals ein Invalide, dem seine kleine Pension zum Unterhalt nicht ausreichte. Betteln mochte er nicht. Er griff daher zur Violine, die er von seinem Vater erlernt hatte, der ein Böhme ge¬ wesen war. Er spielte unter einem alten Baume im Prater, und seinen treuen Pudel hatte er so abgerichtet, daß er vor ihm saß und den alten Hut im Maule hielt, in den die Leute die paar Kreuzer warfen, die sie ihm geben wollten. Heute stand er auch da und siedelte, und der Pudel saß vor ihm mit dem Hute; aber die Leute gingen vorüber, und der Hut blieb leer. Hätten ihn die Leute nur einmal angesehen, sie Hütten Barm¬ herzigkeit mit ihm haben müssen. Dünnes, weißes Haar deckte kaum seinen Schädel; ein alter, fadenscheiniger Soldatenmantel war sein Kleid. Gar nmnche Schlacht hatte er mitgekämpft, und fast jede hatte ihm in einer Narbe einen Denkzettel angehängt, bei dem für das Verlieren keine Sorge nötig war. Nur drei Finger an der rechten Hand hielten den Bogen.