VI. Sagen. 109* Die heilige Eiche zu Thorn. Nach Tettau und Temme. An verschiedenen Orten im weiten Preußenlande zwischen Weichsel und Memel standen uralte Eichen, welche die heidnischen Preußen für heilig hielten. Ein solcher gewaltiger Eichbaum befand sich auch an der Stelle, wo später die Stadt Thorn gegründet wurde. Er war von unglaublicher Größe, und unter seinen ausgebreiteten Ästen wurden viele Götter verehrt. Als im Frühlinge 1231 Landmeister Hermann Balk mit seinen wenigen Ordensbrüdern bei Nessau über die Weichsel setzte, entspann sich ein heftiger Kamps um diese heilige Eiche. Nach heftigem Widerstände der Preußen eroberten die tapferen Ordens¬ ritter den heißumstrittenen Eichbaum und richteten um ihn herum einen mit Gräben, Erdwällen und Plankenzäunen umwehrten Raum für Menschen, Pferde und Vieh ein. In den starken Zweigen des hohen Baumes entstand statt eines Turmes und einer Festung eine Warte, die Hermann Valk seinen „Turm" nannte. Hernach wurde bei dieser ersten Anlage eine Stadt gebaut, welche ebenfalls „Turm" oder „Thorn" geheißen wurde. Weil die neuangelegte Stadt alljährlich von der Weichsel überschwemmt wurde, wurde sie 10 Kilometer weiter stromaufwärts auf die Anhöhe versetzt, dort, wo noch jetzt die große und schöne Stadt Thorn steht. Die Trümmer des alten Thorn liegen noch in der Erde. Von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei naht man sich nicht gern dem Orte, weil es dort „umgehen" soll. Zur Erinnerung an die erste