423 Reich. Wenn's nur überall so wär als hie!" Das sagen alle alten Weiber, obwohl die wenigsten von ihnen je auf einer Bahn gefahren sind. Einsam, gar einsam ist diese vergessene Ecke. Ein Märchen scheint's ans alter Zeit. Wie sich die Berge nicht geändert haben, so scheinen auch die Menschen dieselben geblieben zu sein. Stark und trotzig sind sie, wie ihre Vorfahren waren, bräunlich von Haar und Augen, oft auch blonde Flachsköpfe mit blauen Augen. Im Herzen des Vater¬ landes ist dieser Menschenschlag rein deutsch geblieben; bis auf diese Hochfläche sind keine Slawen von Osten und keine Romanen von Westen gedrungen. 169. Auf der Rhön. Wilhelm Heinrich Riehl. Es lag eine dunkle Wolke auf den Bergen, und wo der Sturm das Gewölk zuzeiten zerriß, schaute ich von meiner schnee- und eisbe¬ deckten hohen Warte auf beschneite Bergkuppen hinab und in winter¬ starre Talgründe, in denen die Hütten der Dörfer ausgestreut lagen, grau und formlos, gleich den Basaltblöcken ringsumher, daß das Auge die einen von den anderen nicht zu unterscheiden vermochte. Zch stand auf dem Arnsberge, einem steilen Basaltkegel der Rhön, der mitten inne liegt zwischen zwei der ärmsten Striche des Gebirges, dem Dammersfeld und der Kreuzberggruppe, gleich einem Wartturme vor den Toren dieser Hofburg der Armut und des Elends. Es war am 25. März, am Tage Mariä Verkündigung, und drunten im Main¬ grunde war heute ein lauer, sonniger Frühlingstag. Heitere Menschen werden ins Freie geströmt sein, um sich an diesem ersten Gezwitscher der Vögel, an den ersten Veilchen und dem blauen Himmel zu er¬ freuen, und nur im Hintergründe erblicken sie einen dämmernden, wogen¬ den Nebel, der das Gebirge verhüllt. Das ist der große düstere Vor¬ hang, der sich in jedem Frühjahr an warmen, klaren Märztagen vor der weitgedehnten Basaltkette der Rhön, des Vogelsberges und des Westerwaldes niedersenkt, und die wenigsten Talbewohner wissen, wie¬ viel Eis und Schnee, Hunger und Kummer, Seufzer und Tränen dieser Vorhang jahraus jahrein verbergen muß. Gleich einer zyklopischen Schutz¬ mauer schließen die drei Gebirgszüge von der Südwestspihe Thüringens bis znm Siebengebirge den gesegnetsten Winkel Deutschlands, den Rhein¬ gau und den unteren Maingrund, schirmend gegen Norden und Osten ab.