596 Umgebung war sie endlich bis auf Kamillentee erweicht worden, den sie mit hartem Fluch in die Kanne goß. Er hatte doch getrunken und war weiter gejagt, auf Dresden zu. Jetzt war er in Paris angekommen, man las in den Zeitungen, wie glücklich Paris war, wie zärtlich ihn seine Gemahlin und sein Sohn begrüßt hatten, wie wohl sich der Kaiser befinde, und daß er bereits am 27. Dezember die schöne Oper „Das befreite Jerusalem" angehört habe. Und man las weiter, daß die große Armee trotz Ungunst der Jahreszeit doch noch in furchtbaren Massen über Preußen zurückkehren solle, und daß der Kaiser von neuem rüste. Aber man las auch von der Untersuchung gegen General Malet. Und man wußte, wie frech sich die Lüge in den französischen Zeitungen verbreitete. Man sah, was von der großen Armee übrig war. In den ersten Tagen des Jahres fielen die Schneeflocken; weiß wie ein Leichentuch war die Landschaft. Da bewegte sich ein langsamer Zug geräuschlos auf der Landstraße zu den ersten Häusern der Vorstadt. Das waren die rück¬ kehrenden Franzosen. Sie waren vor einem Jahre der aufgehenden Sonne zugezogen mit Trompetenklang und Trommelgerassel, in kriegerischem Glanz und empörendem Übermut. Endlos waren die Truppenzüge ge¬ wesen, Tag für Tag ohne Aufhören hatte sich die Masse durch die Straßen der Stadt gewälzt, nie hatten die Leute ein so ungeheures Heer gesehen, alle Völker Europas, jede Art von Uniformen, Hunderte von Generälen. Die Riesenmacht des Kaisers war tief in die Seelen gedrückt, das militärische Schauspiel mit seinem Glanz und seinen Schrecken füllte noch die Phantasie. Aber auch die unbestimmte Erwartung eines furchtbaren Verhäng¬ nisses. Einen Monat hatte der endlose Durchzug gedauert; wie Heu¬ schrecken hatten die Fremden von Kolberg bis Breslau das Land aufge¬ zehrt. Denn schon im Jahre 1811 war eine Mißernte gewesen, kaum hatten die Landleute Samenhafer erspart, den fraßen 1812 die französi¬ schen Kriegspferde, sie fraßen den letzten Halm Heu, das letzte Bund Stroh, die Dörfer mußten das Schock Häckselstroh mit sechzehn Talern, den Zentner Heu mit zwei Talern bezahlen. Und gröblich, wie die Tiere, verzehrten die Menschen. Vom Marschall bis zum gemeinen Fran¬ zosen waren sie nicht zu sättigen. König Hieronymus hatte in Glogau, keiner großen Stadt, täglich vierhundert Taler zu seinem Unterhalt erpreßt, der Herzog von Abrantes vier Wochen lang täglich sünfundsiebzig Taler. Die Offiziere hatten von der Frau des armen Dorfgeistlichen gefordert, daß sie ihnen die Schinken in Rotwein koche; den fettesten Rahm tranken sie aus Krügen und gossen Zimtessenz darüber; auch der Gemeine bis zum Trommler hatte getobt, wenn er des Mittags nicht zwei Gänge erhielt; wie Wahnsinnige hatten sie gegessen. Aber schon damals ahnte das Volk, daß die Frevelhaften so nicht zurückkehren würden. Und die Franzosen sagten das selbst. Wenn sie sonst mit ihrem Kaiser in den