110 II. Aus der Geschichte des deutschen Vaterlandes. darum die Stadt. Doch lebten viele in der Hoffnung, es werde so schlimm nicht kommen, und zögerten von einer Woche zur andern. Da die Russen sich mit starken Schritten näherten, so wurden im Dezember die Thore geschlossen, die ausserhalb liegenden Häuser wurden von den Franzosen abgebrochen oder niedergebrannt; fast jeden Abend war der Himmel rot von irgend einer Feuersbrunst. Am 18. Dezember wurde bekannt gemacht, dass alle Nichtverproviantierten, sowie alle fremden Handwerksgesellen und Lehrlinge, auch alle Bettler, die Stadt verlassen müssten. Ohne bestimmtes Ziel, fast ohne Geld und Lebens¬ mittel, nur mit wenigen Habseligkeiten beladen, wanderten in den folgen¬ den Tagen ganze Scharen nach Altona, und rühmen muss ich es noch einmal, wie brüderlich die Altonaer, Lübecker und die Bewohner der benachbarten Orte sich unserer unglücklichen Mitbürger angenommen haben. Über dreitausend Personen wurden allein in Altona täglich ge¬ speist. Aber Angst, Hunger und Kälte erzeugten unter diesen Unglück¬ lichen eine Menge Krankheiten, und so sollen im Laufe des Winters zwölfhundert arme vertriebene Hamburger auf einer Wiese bei Ottensen begraben worden sein. Diesen Jammer schildert Rückerts Gedicht: Zu Ottensen auf der Wiese ist eine gemeinsame Gruft so traurig ist keine wie diese wohl unter des Himmels Luft. Darinnen liegt begraben ein ganzes Volksgeschlecht: Väter, Mütter, Brüder, Töchter, Kinder, Knaben, zusammen Herr und Knecht; Ein ungeheurer Knäuel, zwölfhundert oder mehr; es zieht sich über den Greuel ein dünner Rasen her. — — 2. Solch eine Weihnacht, wie wir sie damals sahen, wird, so Gott will, kein Mensch in Hamburg je wieder erleben. Dass an keine Ge¬ schenke, an kein eigentliches Feiern gedacht werden konnte, versteht sich von selbst. Am Abend des 19. Dezembers wurden an der Alster all die schönen Gartenhäuser niedergebrannt; am 20. erhielten die Bewohner St. Paulis, der Vorstadt zwischen Hamburg und Altona, den Befehl, binnen vier Tagen, also zum Weihnachtsabend, ihre Häuser zu räumen; am 23. wurde die Vorstadt Hamm bis auf die Kirche in Asche gelegt. Der Gouverneur machte bekannt, wer auf den Stadtwall gehe, solle fünfzig