127 folgte nach. Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in beit Händen andächtig stehn, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sacht am Mantel und sagte: „Das muß wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein, dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." „Kannitverstan!" war die Antwort. 4. Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannitverstan!" rief er aus; „was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch und von all deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute." Mit diesen Ge¬ danken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in feine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht acht¬ gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, ver¬ zehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. Johann Peter Hebel. 93. Sprüche. Zwischen heut' und morgen liegt eine lange Frist; lerne schnell besorgen, da du noch munter bist! Wolfgang v. Goethe. Rasch tritt der Tod den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben, er stürzt ihn mitten in der Bahn, er reißt ihn fort vom vollen Leben. Bereitet oder nicht, zu gehn, er muß vor seinem Richter stehn. Friedrich v. Schiller.