270 Haufen waren aber sehr ungleich; denn der eine enthielt das Fleisch und die Eingeweide, in die Haut des Stieres gehüllt, der andere aber bestand aus den kahlen Knochen, die unter dem Unschlitt versteckt lagen. Und dieser Haufe war der größere. Zeus durchschaute in seiner Weisheit alsbald den Betrug, aber er ließ es sich nicht merken, sondern sprach zu Prometheus: „Freund, wie ungleich hast du die Teile gemacht!" Prometheus glaubte jetzt erst recht, daß seine List gelungen sei, lächelte bei sich selbst und sprach: „Erhabener Zeus, größter der ewigen Götter, wähle den Teil, den dir dein Herz im Busen anrät zu wählen!" Zeus ergrimmte im Herzen; aber geflissentlich faßte er mit beiden Händen das weiße Unschlitt. Als er es nun auseinander drückte und die bloßen Knochen gewahrte, stellte er sich an, als entdecke er erst jetzt den Betrug, und sprach zornig: „Ich sehe wohl, daß du die Kunst des Truges noch nicht verlernt hast!" Dafür beschloß Zeus sich zu rächen und versagte den Sterblichen die letzte Gabe, deren sie zur vollendeten Gesittung bedurften, das Feuer. Aber der schlaue Titane wußte auch hierfür Rat. Er nahm den langen Stengel des markigen Riesenfenchels, näherte sich mit ihm dem vorüber- sahrenden Sonnenwagen und setzte daran den Stengel in glimmenden Brand. Mit diesem Feuerzunder kam er zurück aus die Erde, und bald loderte der erste Holzstoß zum Himmel empor. Zeus, den diese neue Überlistung im Herzen verdroß, ersann ein anderes Mittel. Er ließ alsbald von dem kunstfertigen Hephästus das Bild einer schönen Jungfrau verfertigen; Athene, die unterdes auf Prometheus eifersüchtig geworden war, schmückte es mit einem kostbaren Gewände, mit Schleier und Blumen; Aphrodite verlieh ihm Anmut und Liebreiz, Hermes Klugheit und Sprache. Dann gab ihr Zeus ein ver¬ schlossenes Gefäß in die Hände, das allerlei schlimme Gaben für die Menschen enthielt, und schickte sie zu Epimetheus („Nachbedacht"), dem Bruder des Prometheus. Pandora, „die Allbeschenkte," — so hieß die Jungfrau, weil alle Götter sie beschenkt hatten — brachte dem arglosen Epimetheus das Geschenk des Zeus. Zwar hatte Prometheus seinen Bruder eindringlich gewarnt, je ein Geschenk von den Olympiern anzunehmen; aber die Schönheit der Jungfrau bezauberte diesen so, daß er die Mahnung vergaß und Pandora mit Freuden aufnahm. Kaum war sie angelangt, so schlug sie den Deckel des Gefäßes zurück, und alsbald flog daraus eine Schar von Übeln hervor, die sich blitzschnell über die Erde ver¬ breiteten. Ein einziges Gut lag auf dem Grunde des Gefäßes, die Hoffnung; doch ehe sie entflattern konnte, schlug Pandora den Deckel zu und verschloß sie für immer. Seitdem aber erfüllte das Elend in allen Gestalten die Erde: Krankheit und vorzeitiger Tod, Hunger und Not trübten das bis dahin glückliche Leben der Menschen.