172 „Was muß ich hören!" rief der Schneider, lief hinauf und fprach zu dem Jungen: „Ei, du Lügner fagst, die Ziege wäre fall, und hast sie hungern lassen?" Und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn; der suchte an der Gartenhecke einen Platz ans, wo lauter gute Kräuter standen, und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist du satt?" Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt; meh, meh!" „So komm nach Hans!"'sprach der Junge, zog sie heim und band sie am Stalle fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete: „Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!" „Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustür hinaus. Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube ans und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist bit auch satt?" Die Ziege antwortete: „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt; meh, meh!" „So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete: „Wovon sollt' ich satt sein? Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!" „O, die Lügenbrut!" ries der Schneider, „einer so gottlos und pflicht¬ vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rticken so gewaltig, daß er zum Haus hinaussprang.