280 sehen, voll Wißbegierde umhergereist. Nun habe ich großes Verlangen, dich zu fragen, wen du von allen Menschen, die du kennst, für den glücklichsten hältst." Also fragte er in der Meinung, daß er der glück¬ lichste wäre; Solon aber schmeichelte gar nicht, sondern redete die Wahrheit und sprach: „Herr, den Tellus von Athen." Das nahm den Krösus Wunder, und er fragte voll Erstaunen: „Und warum hältst du denn den Tellus für den glücklichsten Menschen?" Solon sprach: „Zum ersten hatte Tellus bei dem blühendsten Zu¬ stande der Stadt edle und vortreffliche Söhne, die alle wieder Kinder hatten, und die waren alle am Leben, und zum andern, da er nach menschlicher Kraft ein glückliches Leben geführt, so kam noch dazu ein glänzendes Ende. Denn als die Athener wider ihre Nachbarn in Eleusis stritten, eilte Tellus zur Hilfe herbei und schlug die Feinde in die Flucht und starb den schönsten Tod. Und die Athener bestatteten ihn auf öffent¬ liche Kosten an demselben Orte, wo er gefallen war, und erwiesen ihm große Ehre." Als nun Solon so viel von Tellus' großer Glückseligkeit erzählte, ward Krösus immer begieriger und fragte, wer denn der zweite wäre, denn er glaubte doch wenigstens die zweite Stelle zu erhalten. Solon aber sprach: „Kleobis und Biton von Argos. Denn diese hatten, so viel sie bedurften, und dazu besaßen sie eine große Leibesstärke, so daß beide zugleich den Kampfpreis davon getragen. Und dann erzählt man von ihnen folgende Geschichte: Die Argiver feierten das Fest der Hera, und die Mutter der Jüuglinge mußte durchaus nach dem Tempel fahren, aber die Rinder kamen nicht zu rechter Zeit von dem Felde. Als nun keine Zeit zu verlieren war, spannten sich die beiden Jünglinge selbst vor und zogen den Wagen, auf dem ihre Mutter saß. So fuhren sie dieselbige einen Weg von fünfundvierzig Stadien bis zu dem Tempel. Also taten sie, und die ganze Versammlung war Zeuge der Tat. Da erlangten sie das beste Lebensende, und es zeigte Gott dadurch an, daß dem Menschen besser sei zu sterben, denn zu leben. Denn die Argiver, die umherstanden, priesen der Jünglinge Gesinnung, die Argiveriunen hingegen priesen die Mutter selig, daß ihr solche Kinder zu teil geworden. Aber die Mutter, voll inniger Freude über die Tat und die Worte, trat vor das Bild der Göttin und betete, daß sie dem Kleobis und Biton, ihren Kindern, die ihr so große Ehre erwiesen, zu teil werden ließe den besten menschlichen Segen. Und nach diesem Gebet, nachdem man geopfert und das Mahl gefeiert, schliefen die Jünglinge ein in dem Tempel und standen nimmer wieder aus, sondern das war ihres Lebens Ende. Die Argiver aber errichteten ihnen Bildsäulen und brachten die¬ selben als Weihgeschenk nach Delphi, weil sie so gute Menschen gewesen." Diesen gab also Solon die zweite Stelle in der Glückseligkeit. Krösus aber ward unwillig und sprach: „Mein Freund von Athen, ist