32 — IL Erde kam, und fragten: „Wo mag er gewohnt haben? In welchem Hause? An welcher gesegneten Stätte? Was würden wir darum geben, wenn wir ihn auch nur von fern, auch nur eine Sekunde lang hätten schauen dürfen!“ Und denen, die am eifrigsten und sehn— lichsten fragten, antwortete eine überirdische Stimme: „Das Haus, in dem er gewohnt hat, war das eure; mitten unter euch hat er gelebt!“ Marie von Ebner-Eschenbach. Die Woche.) 106. Ein Glücklicher. In einer armseligen Hütte kam ein Knäblein zur Welt. Blaß und schmächtig lag es in den Armen seiner Mutter. Diese fühlte das Heran— nahen des Todes und jammerte: „Was wird aus meinem hilflosen Kinde werden?“ Da trat ein Engel an ihr Lager. „Ein Glücklicher!“ sprach er, die Hand auf das Haupt des Neugebornen legend. „Willst du ihn groß und geehrt machen?“ rief die Mutter aufleuch⸗ tenden Blickes, „willst du ihn schmücken mit Schönheit ohne Makel, mit Weisheit ohne Fehl? Willst du ihm den Genuß der Reichtümer dieser Erde schenken, ungetrübt durch die Angriffe der Mißgunst und des Neides?“ Der Engel erwiderte: „Das kann ich nicht; dem Lose der Sterb⸗ lichen kann ich ihn nicht entziehen; wie alle seine Brüder muß er beides erfahren — Gutes und Böses. Aber einen Segen sprech' ich über ihn bei seinem Eintritt ins Leben. Er soll kein blind vertrauender Tor und dennoch ohne Gedächtnis für das Böse sein, das die Menschen ihm antun werden. Die Erinnerung an das Gute jedoch, das er sie vollbringen sehen und selbst durch sie genießen wird, soll sich unauslöschlich in seine Seele prägen. Stirb in Frieden, du hast einen Glücklichen geboren!“ Marie von Ebner-Eschenbach. Warabeln, Märchen und Gedichte.) 107. Der Faden von oben. 1. Es war ein herrlicher Septembermorgen. Alle Wiesen glänzten vom Tau, und durch die Luft segelten die silberglänzenden Sommerfäden — weither, weithin. Einer von diesen Fäden blieb an der Spitze eines Baumzweiges hängen, und der Luftschiffer, ein gelb- und schwarzbuntes Spinnchen, verließ sein kleines Fahr— zeug und betrat des Laubes festeren Grund. Aber diese Stelle be— hagte ihm noch nicht. Mit einem raschen Entschlusse spann es sich äinen neuen Faden und ließ sich in eine große Dornhecke hinunter. Hier war genug von Zweigen und Astchen, zwischen denen man ein