Fünfte Periode, von 1500—1648. Das Zeitalter des Vorhcrrschens der satirisch-didaktischen Poesie. 8 1. Der Verfall der Poesie, den wir in der vorigen Periode kennen lernten, setzt sich auch in dieser fast gleichmäßig fort. Freilich nahm das geistige Leben einen gewaltigen Aufschwung durch wichtige Ereignisse, die neben anderen auch den Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit bewirkten; aber so folgenschwer sich diese Ereignisse für die Litteratur auch in späteren Zeiten erweisen sollten, auf die Poesie selbst übten sie inner¬ halb dieser Periode keinen Einstuß aus, dienten vielmehr nur dazu, einen Aufschwung derselben zu hemmen. Diese Ereignisse sind die Eroberung von Konstantinopel (1453) mit ihren Folgen, die Reformation und die Ausbreitung der Erfindung der Bn ch dru ckerkunst. Die Eroberung von Konstantinopel brachte durch die Aus¬ wanderung der griechischen Gelehrten zunächst in Italien, dann in Deutsch¬ land den Humanismus hervor, die Begeisterung für klassische Bildung und das Streben nach derselben. Die Wirkung des Humanismus zeigte sich sowohl in der Erschließung einer reichen Welt neuer Anschauungen und neuer Auffassung vom Werte der Wissenschaften und des Menschen, als auch in der Wiedererweckung des Sinnes für gewählte Darstellung und Formschönheit. Da aber der Humanismus naturgemäß einen Unter¬ schied zwischen Gelehrten und Ungelehrten hervorrief, zumal er eine latei¬ nische Schulpoesie erzeugte, die ohne praktischen Wert nach künstlichen, aber meist leeren Phrasen jagte, so gerieten die Humanisten in einen schroffen Gegensatz zu dem Volke und zu der Sprache des Volkes. Ebensowenig erwies sich die Reformation für die Poesie frucht¬ bringend. Der durch sie hervorgerufene Kampf der Geister, der mehr den Verstand als die Einbildungskraft beschäftigte und sich fast ausschließlich auf das theologische Gebiet erstreckte, entbehrte zu sehr der Ruhe, als daß der Poesie hätte gedacht werden können; er erzeugte außer dem Kirchen¬ liede nur die Satire, die in den religiösen Streitigkeiten eine viel an¬ gewandte und wichtige Waffe werden sollte. Dem Kampf des Wortes und der Schrift folgte dann im dreißigjährigen Kriege, der die unheil¬ vollste Zeit über das zerrissene Deutschland heraufbeschwor, der Kampf der Waffen, der die Poesie vollends brach legte. Hense, Lesebuch. II. 1