192 leiser, wohl noch anderthalb Stunden; da schwieg das Atmen, ohne daß irgendeine Regung sichtbar gewesen wäre; mein Bruder beugte sich zu seinem Munde, dann sagte er: „Wir haben ihn gehabt.“ — Ein langes, arbeitsames, segensreiches Leben ist geschlossen. — „Der alte Storm“ war der Advokat, wie er sein soll; den Ruf hinterläßt er im ganzen Lande; aber die vielen, denen er in den traurigen zwanziger Jahren mit Rat und Tat geholfen, und die am meisten für ihn zeugen könnten, sind vor ihm hingeschieden. Am Abend des 15. legten wir ihn in den inneren Sarg; keine fremde hand hat ihn dabei berührt. Sein starker Enkel Ernst hob die kleine abgemagerte Totengestalt auf seinen beiden Armen aus dem Bett und legte ihn, während mein jüngster Bruder unseres lieben Vaters haupt mit dem noch vollen braunen haar in seinen händen hielt, in den bereitgestellten Sarg. sso hatte er ihn auch beim Betten während der Krankheit gehoben. Dann aber hatte sein Großvater den Arm um ihn gelegt und freundlich zu ihm gesagt: „Ich danke dir, mein lieber Sohn.“ Sonntag wollen wir ihn begraben. Mein Bruder Johannes — Sie wissen, aus dem grünen hademarschen — ist mit seiner Frau, zwei erwachsenen Töchtern und fünf Söhnen hier, von denen zwei das hiesige Gymnasium besuchen; mein nächstjüngster Bruder, Gärtnereibesitzer in heiligenstadt — als freiwilliger Jäger von 1848 wurde ihm in der heimat seine amtliche Karriere unmöglich — ist allein hier; seine Kinder sind noch klein. Noch eins will ich Ihnen sagen, weil es tröstlich und erquicklich zu sagen ist. Das Vermögen unseres Vaters, das er zum Teil durch treue Arbeit um bescheidenen Lohn — mir, als jungen Advokaten, suchte er diesen Grundsatz einzuprägen — erworben hatte, war in seiner hand ein wahres Familienvermögen gewesen. Er hatte uns, wie wir es bedurften, Gelder, häuser, Grundstücke gegeben und bei aller sonstiger Ordnung in seinen Verhältnissen nichts darüber bestimmt, wie das unter uns nach seinem oder Multers Tode sollte ausgeglichen werden, obgleich wir sehr verschieden erhalten hatten. Da sind wir vier Brüder denn in sein großes im Nebenhause liegendes Kontor hinübergegangen, „in seine alte, dunkle Advotatenhöhle“, wie sein junger Freund, der Appellgerichtsrat Hall in Kiel, der ihn wie ein Sohn liebte, sonst wohl scherzend zu sagen pflegte, und haben an der Stelle, an dem Tische, wo er so lange Jahre mit seinem warmen herzen und seiner hilfsbereiten hand für uns zu finden war, diese seine verirauungsvolle Sorglosigkeit durch eine wahrhaft brüder— liche Vereinbarung gerechtfertigt. Mit tiefer Rührung erkannten wir dabei in den scheinbar nur geschäftlichen Notizen die fürsorgliche Hand des geliebten Toten. Unsere alte Mutter hat sich während der Krankheit ihres alten Mannes wacker gehalten; nun aber scheint sie ihrem Nervenleiden den nachträglichen Tribut zahlen zu müssen. Doch hoffe ich, wir behalten