97 2 8. Der kleine Friedensbolte. Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die gelbe und die weiße Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Gerber ein Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe; und wenn der Bäcker in seinem großen Obstgarten an die Stelle eines ausgedienten Invaliden eines Rekruten bedurfte, ging der Gerber in seine schöne Baumschule und hob den schönsten Mann aus, den er darin hatte, eine Pflaume oder einen Apfel oder eine Birne oder eine Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, auf einen fetten oder magern Platz gestellt werden sollte. — An Ostern, an Martini und am heiligen Abend fam die Bäckerin, welche keine Kinder hatte, immer einen großen Korb unter dem Arme zu den Nachbarsleuten hinüber und teilte unter die kleinen Paten aus, was ihr der Osterhase oder der gute Märtel oder gar das Christkindlein selbst unter die schneeweiße Serviette gelegt hatte. ge mehr sich die Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten sich die Herzen der beiden Weiber, und man brauchte keine Zigeunerin zu sein, um aus dem Saztz in ihren Kaffeeschalen zu prophezeien, daß sie einander immer gut bleiben würden. Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber als Jagdliebhaber einen großen braunen Feldmann und der Bäcker einen kleinen schneeweißen Mordax. Beide meinten, die besten und schönsten Tiere in ihrem Geschlechte zu haben. Und da geschah es denn eines Tages, daß Mordax ein Kalbsknöchlein gegen den Feldmann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht gut sei, einem großen Herrn etwas abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, Und ehe sich der Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zermalmtem Genick vor ihm, und der Feldmann lief mit dem eroberten Knochen und mit eingezogenem Schweife davon. Sehr ergrimmt und entrüstet, warf der Herr des Ermordeten dem Raubmörder einen gewaltigen Stein nach. Aber was half's? Die Handgranate flog nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das Feuster, mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Augs— burger las, und machte in den Wiener Kongreß ein Loch. Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und mit den aufgestülpten Hemdärmeln blieb nichts schuldig; Kinder und Leute liefen zusammen, und — hätte ich nur sehen können! — Satan stand gewiß in einer Ecke der Gasse und blies mit vollen Backen in das Feuer. Der Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, aber nur um seinen Nachbar bei Gericht zu belangen. Die Sonne ging über dem Zorn der beiden Männer unter, und den Tag darauf wurden sie vor N. Gottesleben, Deutfsches Lesebuch.