209 Es perlte seiner Tränen Fluß, Er legte sich ins Gras Und zog aus seinem wunden Fuß Ein Stücklein scharfes Glas. Der Gott der Taugenichtse rief Der guten Nachtigall, Daß sie dem Kind ein Liedchen pfiff Zum Schlaf mit süßem Schall. In Wallis liegt ein stiller Ort, Geheißen Aroleid: Es seufzt ein Gram im Namen fort Seit lang entschwundner Zeit. Ein Berghirt hing in Todsgefahr An steiler Felsenwand, Ihn stieß hinunter dort der Aar, Wo keiner mehr ihn fand. Auf grüner Matte saß sein Weib; Das Kind ins Gras gelegt, Saß sie und schaut mit starrem Leib Hinüber unbewegt. Hinüber, wo im Dämmerblau Der Berg zur Tiefe schwand Und mit des Gipfels Silberau' So still am Himmel stand. Voll bittrer Sehnsucht sprang sie auf Und ging im Mattengrün Mit schwankem Schritt und irrem Lauf Und heißem Augenglühn — Da schreit ein Kind, ein Flügel saust Wohl über ihrem Haupt — Mit ihrem Kind zur Höhe braust Der Aar, der es geraubt! Noch sieht das Wickelband sie wehn In der kristallnen Luft, Dann sieht sie's wie ein Pünktlein stehn Im fernen blauen Duft. Dann nichts mehr, nie, so lang' sie lebt! Sie nahm kein Trauerkleid; Doch von dem Leid, daß dort noch webt, Der Ort heißt Aroleid. Vaabe. Wilhelm Raabe wurde 1831 zu Eschershausen im Braunschweigischen geboren, widmete sich dem Buchhandel, studierte dann in Berlin Philosophie und Geschichte. Was die Großmutter yoii Anno 1806 und 1813 erzählt. (Aus der „Chronik der Sperlingsgasse“.) Also es war Anno Sechs, als der Franzos im Lande rumorte und drunten schrecklich hausen sollte; denn er hatte einen großen Sieg er¬ fochten und glaubte das Recht dazu zu haben. Die Leute fürchteten sich Lange Dichtergaben. 14