315 moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht aus Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt. Allein Bewunderung und Achtung können zwar zur Nach¬ forschung reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen. Was ist nun zu thun, um diese auf nutzbare und der Erhabenheit des Gegen¬ standes angemessene Art anzustellen? Beispiele mögen hiebei zur Warnung, aber auch zur Nachahmung dienen. Die Weltbetrach¬ tung fieng von dein herrlichsten Anblicke an, den menschliche Sinne nur immer vorlegen und unser Verstand, in ihrem weiten Umfange zu verfolgen, nur immer vertragen kann, und endigte — mit der Sterndeutung. Die Moral fieng mit der edelsten Eigenschaft in der moralischen Natur an, deren Entwickelung und Cultur ans un¬ endlichen Nutzen hinaussieht, und endigte — mit der Schwärmerei oder dem Aberglauben. So geht es allen noch rohen Versuchen, in denen der vornehmste Theil des Geschäftes auf den Gebrauch der Vernunft ankommt, der nicht, so wie der Gebrauch der Füße, sich von selbst vermittelst der östern Ausübung findet, vornehmlich, wenn er Eigenschaften betrifft, die sich nicht so unmittelbar in der gemeinen Erfahrung darstellen lassen. Nachdem aber, wiewohl spät, die Maxime in Schwung gekom¬ men war, alle Schritte vorher wohl zu überlegen, die die Vernunft zu thun vorhat, und sie nicht anders, als im Gleise einer vorher wohl überdachten Methode, ihren Gang machen zu lassen, so bekam die Beurtheilung des Weltgebändes eine ganz andere Richtung und mit dieser zugleich einen ohne Vergleichung glücklichern Ausgang. Der Fall eines Steins, die Bewegung einer Schleuder, in ihre Ele¬ mente und dabei sich äußernden Kräfte aufgelöst und mathematisch bearbeitet, brachte zuletzt diejenige klare und für alle Zukunft unver¬ änderliche Einsicht in den Weltbau hervor, die bei fortgehender Be¬ obachtung hoffen kann, sich immer nur zu erweitern, niemals aber zurückgehen zu müssen fürchten darf. — Diesen Weg in Behandlung der moralischen Anlagen unserer Natur gleichfalls einzuschlagen, die Beispiele der moralisch urtheilenden Vernunft in ihre Elementar¬ begriffe zu zergliedern, kann uns jenes Beispiel anräthig sein und Hoffnung zu ähnlichem guten Erfolg geben. Dadurch wird auch hie¬ bei theils der Verirrung einer noch rohen ungeübten Beurtheilung, theils, welches weit nöthiger ist, den Genieschwüngen vorgebeugt, durch welche, wie es von Adepten des Steins der Weisen zu ge¬ schehen Pflegt, ohne^alle methodische Nachforschung und Kenntnis der Natur geträumte schätze versprochen und wahre verschleudert werden. Mit einem Worte: Wissenschaft, kritisch gesucht und me¬ thodisch eingeleitet, ist die enge Pforte, die zur Weis- hcitslehre führt.