39 Horn: Christoph Kolbheim. Dochte auch der Samariter so? Dachte auch der brave Christoph Kolb¬ heim in einem Dörfchen bei Duderstadt so? Der war ein blutarmer Schelm und ein Witwer dazu und hatte drei Kinder, die gar so oft sagten: „Vater, wir sind hungrig!" Das hört ein Vaterherz gern, wenn er Brot genug hat und noch etwas dazu, aber wie schneidet das ins Herz, wenn keins da ist! Und just so ging's dem armen Kolbheim oft genug. Das Betteln verstand er nicht; aber er verstand Schuhe zu flicken, Kochlöffel zu schnitzen und Besen zu binden und solcher kleinen Künste mehr, was er auch so fleißig tat, daß er sich kümmerlich mit seinen Kindern durchbrachte, — aber es kam doch mancher „lange Tag". Der Kolbheim hatte einen recht guten Freund, der hieß Volkmann, war auch ein Witwer, wie er, und hatte sieben unerzogene Kinder. „Gleich und gleich gesellt sich gern," heißt's im Sprichworts, und „Das Unglück ist der beste Leim". Der Volkmann und seine Kinder hatten auch der Fasttage so viele, daß sie schier die schwere Kunst bald gelernt hätten, wenn nicht das Lehr¬ geld gar zu schwer wäre. Beide Leidensbrüder waren ein Herz und eine Seele. Da sagte einmal der Volkmann zu seinem Busenfreund Kolbheim: „Ich ziehe nach Lauterberg ins Hannöversche; dort ist mehr Verdienst." Gesagt, getan. — und der Hausrat kostete nicht viel Fracht. Der Kolbheim wünschte ihm alles, was ihm heilbringend sein kann; aber der Arme fand's in Lauterberg nicht, — denn er erkrankte und starb, und die hungernden Kinder schickten die von Lauterberg hin, wo sie hergekommen. Die Bauern im Dorfe dachten: „Was mich nicht brennt, das blas ich nicht!" und ließen die hungernden Waisen laufen. Dachte auch der blutarme Kolbheim so? Nein, lieber Leser, der nahm die sieben Waisen seines Freundes iu seine Hütte zu seinen Kindern, sah mit einer heißen Träne gen Himmel und seufzte: „Herr, der du mit wenigen Broten Tausende gespeiset hast, hilf! und verlaß mich nicht!" Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten! — denn das, was Kolb¬ heim getan, wurde der preußischen Regierung in Erfurt bekannt, und diese sandte ihm 40 Taler zur ersten Hilfe; auch sandte ihm ein frommer Mann heimlich 10 Taler. Und als es der fromme Preußenkönig Friedrich Wil¬ helm III. hörte, so sandte dieser dem guten Kolbheim ein Kapitälchen, daß er sich konnte ein Feldgütchen kaufen. Eines der Volkmannschen Kinder kam ins Waisenhaus nach Halle, welches der fromme Francke gestiftet hat, der auch nicht sagte: „Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht!" Saget ihr auch nie so, wenn ihr hadern höret, wenn chr Zeugen fauler Geschwätze, sündhafter Flüche, schändlicher Handlungen oder menschlichen Jammers seid! Das brennt euch wohl, und wenn ihr nicht blaset, — wie steht's dann lim euer Gewissen? I. Vorbereitung. Die Erzählung von Christoph Kolbheim versetzt uns auf das untere Eichsseld und auf den südlichen Oberharz. Die Haupt¬ person unserer Geschichte wohnte in dem Dorfe Silkerode bei Duderstadt. Duderstadt ist eine altertümliche Stadt in der Provinz Hannover und liegt auf dem unteren Eichsfelde in der fruchtbaren „goldnen Mark". Die kleine hannoversche Stadt Lauterberg liegt auf dem südlichen Teile des Oberharzes, südlich von Klausthal und Andreasberg, und hat eine besuchte Kaltwasser-Heilanstalt. Unsere Erzählung fällt in den Anfang des vorigen Jahrhunderts. Höret sie! II. Unmittelbare Darbietung. Gliederung der Geschichte: a) Ein böses Sprichwort, b) Seine Widerlegung durch einen braven Mann: 1. Der arme Witwer. 2. Der barmherzige Freund. 3. Der ge¬ segnete Wohltäter, o) Mahnung der Geschichte. III. Vermittlung des Verständnisses, a) Mit welchem Sprichwort beginnt die Einleitung? Die Ausdrücke „brennen, blasen" sind bild-