381 nicht entgelten, was der Vater euch gethan hat." — „Das wäre die edle Jungfrau wohl werth," entgegnete Giselher; „doch wenn meine Freunde und Verwandten von deiner Hand sterben, so muß es auch zu Ende sein mit der treuen Freundschaft zu dir und mit dem Verlöbniß, das ich mit deiner Tochter geschlossen." „Nun, so sei uns allen Gott im Himmel gnädig!" sprach da Rüdiger; kurz entschlossen und den Schild ausnehmend stürmte er mit seinen Helden gegen den Saal. Hagen aber rief ihm entgegen: „Warte noch eine Weile, edler Rüdiger! Ich stehe hier ohne Schild und darum in großen Sorgen. Den Schild, den mir dein Weib Gotelinde gab, als wir von Bechelaren fortzogen, den haben mir die Hunnen zerhauen. Hätte ich einen so guten Schild, wie du ihn am Arme trägst, so wollte ich fröhlich wieder in den Kampf gehen." — „So nimm den meinigen," sprach da der edle Rüdiger, „und trag ihn an der Hand. Wollte Gott, du dürftest ihn auch nach Burgundenland tragen! Wohl weiß ich, wie zornig Kriemhild sein wird, wenn sse hört, daß ich dir meinen Schild gegeben; doch find' ich hoffentlich den Tod, daß ich um ihren Zorn mich nicht mehr zu kümmern brauche." Als die Helden diesen rührenden Beweis der Treue Rüdigers sahen, wurden ihnen die Augen naß, und selbst Hagen, der rauhe Held, ward davon gerührt. „Das lohne euch Gott, edler Rüdiger!" sprach er. „Wahrlich, ein solcher Held, wie ihr, wird auf der ganzen Erde nicht gefunden. Und mit euch sollen wir kämpfen? Nein, nimmermehr werde ich meine Hand gegen euch aufheben; geschehe, was da wolle. Das soll man nicht sagen, daß Rüdiger, der edelste aller Helden, von Hagen erschlagen worden sei." Als Volker das hörte, sprach auch er zu Rüdiger: „Da mein Waffen¬ bruder Hagen euch den Frieden gewährt, so sollt ihr ihn auch von mir haben. Das habt ihr wohl verdient mit eurer Treue, als ihr uns in dieses Land führtet. Und eine Bitte hab' ich noch an euch, edler Markgraf. Wenn ihr wieder heim kommt, sollt ihr eurem Weibe sagen, daß ich die goldenen Spangen hier trage, die mir die edle Gote¬ linde gab, damit ich sie bei diesem Feste tragen sollte." Rüdiger ver¬ sprach, die Botschaft auszurichten, wenn er gesund nach Hause käme; dem edeln Spielmann aber wünschte er, daß Gotelinde ihm später noch mehr der goldenen Spangen schenken könne. Noch einmal hob Rüdiger den Schild; voran stürmte er seinen Scharen, unbehindert von Hagen und Volker, wie sie es versprochen hatten. Auch Giselher, der noch mit dem Leben davon zu kommen hoffte und zumal mit Rüdiger nicht kämpfen mochte, hielt sich von dem Streite fern. Günther aber und Gernot ließen in mörderischer Absicht des Markgrafen Helden in den Saal eindringen; denn sie hofften, sie da eher besiegen zu können. Ein fürchterlicher Kampf entbrannte wieder, j Diele Schilde wurden zerschlagen, und mancher Edelstein, der vorher einen kostbaren Schild geziert hatte, lag jetzt im Blute an der Erde. Entsetzlich hausten die Burgundenhelden unter Rüdigers Mannen; Rüdiger selbst aber zeigte an diesem Tage, daß er nicht nur einer der edelsten und tugendreichsten, sondern auch einer der kühnsten und tapfersten Helden war.