29 28. Der Esel in der Löwenhaut. Ein Esel, dem die Arbeit nicht gefiel, war dem Müller ent¬ laufen und hatte in dem Walde einen herrlichen Fund gemacht. Es war eine noch ganz frische Löwenhaut. „Ei," sagte der Esel, „die kommt mir recht." Er wickelte die Haut so um sich, daß er von weitem wirklich einem Löwen ähnlich sah. Als die Tiere diesen ungeheuren Löwen erblickten, flohen sie und verkrochen sich in ihre Höhlen. Da wurde der Esel übermütig und dachte: „Nun will ich sie erst recht in Angst setzen. Wenn ich brülle wie der Löwe, wird gar niemand in den Wald zu kommen wagen, und ich kann nach Belieben mein Futter suchen." Und damit fing er an, ganz erschrecklich „iah" zu schreien. Da lachten die Tiere und kamen wieder aus ihren Höhlen hervor und ver¬ spotteten den dummen Betrüger. Etliche aber liefen zu dem Müller und verkündigten ihm, wo sein fortgelaufener Sack¬ träger sich aufhalle. Der Müller eilte in den Wald, nahm einen tüchtigen Prügel, und ohne sich an die Löwenhaut, aus der die langen Eselsohren hervorguckten, zu kehren, trieb er sein Langohr mit Schlägen in den Stall zurück. Wilhcm Curtman. 29. Die große Nase. In Frankreich lebte ein Abt, ein gar reicher Herr. Der hatte einen jungen Narren, der von freundlichem Herzen war und niemand betrübte, weder mit Worten noch mit Werken, so sehr man ihn auch oft neckte und reizte. Nun fügte es sich einstmals, daß der Abt einen fremden Edelmann zu Gaste lud, der eine gewaltig große Nase hatte. Als man sich nun zu Tische setzte und essen wollte, da setzte sich der Narr dem fremden Gast gegenüber, sah ihn unverwandt an und verwunderte sich über die große Nase. Und wie er ihn so eine ganze Weile an¬ geglotzt und mit den Ellenbogen auf dem Tisch vor dem Herrn dagelegen hatte, sprach er endlich ganz laut: „Hu, was hast du eine große Nase!" Der gute Mann geriet in Verlegenheit und wurde über und über rot. Der Abt aber wurde zornig und