Colshorn u,,d Goedeke's
Deutsches Lesebuch.
Aus den.Quellen.
Zweiter Theil.
Vierte Auflage.
Besorgt von Theodor Colshoxn.
H a n o v e r.
Carl R ü m p l e r.
1876.'
fiinb, Ins; dir gefalle»
Dieses kleine Hans;
©riißrc kann man bauen,
Kl ehr kommt nicht heraus.
Goethe.
Werke 1840. iv, 68.
Hofbirchdruckerei der Gebr. Janecke in Hannover.
Vorwort
zur ersten aufläge.
Unser lesebuch soll vor allem kindlich sein, von jener kind-
lichkeit, die dem redlichen nie entfliegt; kindisches bringt es nicht
eine seile, es ist ferner durchweg deutsch und soll durch lesen
in die deutsche literatur einführen: von ihren bedeutenderen er-
scheinungen alter und neuer zeit, so weit sie für das jugendliche
alter sich eignen, wird man jede vertreten sehen, unser Stand-
punkt ist wie unser bekenntnis: protestantisch, und von ihm haben
wir die auswahl getroffen. diese ist eine selbständige aus den
quellen: an keiner stelle sind wir durch eine andere Sammlung
zur aufnähme oder weglaszung eines Stückes bestimmt.
Was die anordnung anbetrifft, so haben wir das ausgewählte
material in drei theile gebracht: der erste ist für das alter von
acht bis elf, der zweite für das von zehn bis dreizehn, der dritte
für das von zwölf bis fünfzehn jähren berechnet, die lesestücke
steigen vom leichteren zum schwereren auf, was indes innerhalb
desselben theils nur im allgemeinen erstrebt ist: es waltete ein
höherer gesichtspunkt vor, und dieser war, die stücke so zu ver-
binden, dasz prosa und poesie sich gegenseitig durchdringen, sich
gegenseitig heben und erhellen möchten, man wird leicht finden,
dasz alles in genauem Zusammenhang steht und auf eine einzige
schnür gereiht ist. wir freuen uns, aus der deutschen literatur
haben schöpfen zu können: sie ist so reich, dasz sich das material
jedesmal ungesucht dargeboten hat.
Die gleichmässige durchführung der Interpunktion rührt von
uns her. die Orthographie dagegen haben wir mit unserm freunde,
dem Verleger, vereinbart und consequent durchführen lassen, ohne
innerhalb der gesteckten grenzen die Schreibung der schriftsteiler
zu beeinträchtigen, in betreff der fremdwörter hat dem corrector
Heyse’s fremdwörterbuch, im übrigen die anleitung zur deutschen
rechtschreibung gedient, die das hanoversche oberschuleollegium hat
veranstalten lassen, auf die groszartigste philologische Schöpfung
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des neunzehnten jahrhunderte, auf die historische Sprachforschung,
haben wir einstweilen in den grimm’schen lesestücken nur leise
hindeuten wollen.
Da wir einen genau entworfenen plan genau befolgt haben,
werden wir wesentliche Änderungen nicht vorzunehmen haben.
zur zweiten aufläge.
Die vorliegende zweite aufläge ist ein sorgfältig durchgesehener
abdruck der ersten, in nr. 210 indes erschien die kritische Sich-
tung der quellen zu schwer für diese stufe; das stück ist daher ge-
kürzt und der dadurch gewonnene raum mit Jacob Grimms Schil-
derung des hirtenlebens in der deutschen Vorzeit sowie mit drei
kleineren patriotischen gaben ausgefüllt. Änderungen innerhalb
einiger numern, wie z. b. in 13 und 81, rühren von den ver-
faszern selber her. im übrigen stimmt die zweite aussage zur ersten
auf jeder sehe und in jeder zeile. — dasz die grimm’schen lese-
stücke aller drei theile sich in der Orthographie einzig und allein
durch wegwerfnng der meisten groszen anfangsbuchstaben unter-
scheiden, darin aber ein vorteilhaftes pädagogisches mornent ent-
halten : das hat sich nun wohl durch den gebrauch herausgestellt.
zur vierten aufläge.
Um dem mehrseitig geäuszerten wünsche, der zweite theil
unsers lesebuches möge reicheren stoff für die declamation bringen,
gerecht zu werden, folgen den lesestücken zehn epische gedichte,
welche weniger bekannt und für den mündlichen vertrag geeignet
sind, diese an Ordnung habe ich gewählt, um nicht die früheren
auflagen durch die gegenwärtige unbrauchbar zu machen: auszer
der erwähnten zugäbe und der fortführung der niemand störenden
bibliographischen notizen stimmt wieder seite zu sehe, zeile zu zeile.
Hanover, 16. juli 1875.
<
Theodor Colshorn.
1.
Des Deutschen Vaterland.
Bon Arndt.
Gedichte. Leipzig 1810. S. 210. — 2. Aufl. 1843. S. 205. - Vollst. Samml. 2. Aust
Berlin 1865. S. 233.
Waö ist des Deutschen Vaterland?
Jst'ö Preußenland? ist's Schwabenland?
Ist's, wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist's, wo am Belt die Möwe zieht?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Baierland? ist's Steierland?
Ist's, wo des Marsen Rind sich streckt?
Ist's, wo der Märker Eisen reckt?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Pommerland? Westfalenland?
Ist's, wo der Sand der Dünen weht?
Ist's, wo die Donau brausend geht?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist's Land der Schweizer? ist's Tyrol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl;
Doch nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Gewiß ist es das Österreich,
An Ehren und an Siegen reich?
O nein, nein, nein!
Sein Vaterland muß größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne endlich mir das Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt,
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein!
ColShorn lt. Goedeke'S Lesebuch II. ]_
Üfc
2
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Eide schwört der Druck der Hand,
Wo Treue hell vom Auge blitzt
Und Liebe warm im Herzen sitzt —
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, neune dein!
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den welschen Tand,
Wo jeder Franzmann heißet Feind,
Wo jeder Deutsche heißet Freund —
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll eS sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel, sieh darein
Und gieb uns rechten deutschen Muth,
Daß wir es lieben treu und gut!
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!
2.
Deutschland.
Von Luden.
Geschichte des deutschen Volkes. 1825—37. 1, 3.
Die weiten Fluren, die sich, mannigfaltig durchschnitten, von
den höchsten Alpen über dem mittelländischen und dem adriatischcn
Meer in unbestimmten Grenzen westlich an den Ufern der Maas
und der Schelde hinab bis zur Nordsee hinbreiten und östlich von
der March hinüber zur Oder bis zu dem Ausflusse der Weichsel,
nennen wir Deutschland.
Dieses Land in dieser Ausdehnung gehöret zu den schönsten
Ländern, welche die Sonne begrüßet in ihrem ewigen Lause.
Unter einem gemäßigten Himmel, unbekannt mit der sengenden
Luft des Südens, wie mit der Erstarrung nördlicher Gegenden,
die größte Abwechselung, die reichste Mannigfaltigkeit, köstlich für
den Anblick, erheiternd und erhebend für das Gemüth, bringet
Deutschland alles hervor, was der Mensch bedarf zur Erhaltung
und zur Förderung des Geistes, ohne ihn zu verweichlichen, zu
verhärten, zu verderben. Der Boden ist fähig zu jeglichem Anbau.
Hier scheint sich die Zeugnngskraft gesammelt zu haben, die dort
versagt ward. Unter dem bleibenden Schnee der Alpen dehnen
sich die herrlichsten Weiden aus, von der Wärme doppelt belebt,
die an jenem wirkungslos vorübergieng. An der kahlen Felswand
ziehet sich ein üppiges Thal hinweg. Neben Moor und Heide, nur
von der bleichen Binse und von der Brombeerstaude belebt und
menschlichem Fleiße nichts gewährend als die magere Frucht des
Buchweizens oder des Hafers, erfreuen das Auge des Menschen
die kräftigsten Fluren, geeignet zu den schönsten Saatfeldern und
zu den herrlichsten Erzeugnissen des Gartenbaues. Frnchtbäume
prangen in unermeßlicher Menge und in jeglicher Art, vom sauern
Holzapfel bis zum lieblichen Pfirsich. Hoch aus den Bergen des
Landes erhebt unter Buchen und Tannen die gewaltige Eiche ihr
Haupt zu den Wolken empor und blickt über Abhänge und Hügel
hinweg, welche den köstlichsten Wein erzeugen, die Freude der
Menschen, in der Ferne wie in der Nähe gesucht und gewünscht
von Hohen wie von Geringen.
Kein reißendes Thier schrecket, kein giftiges Gewürm drohet,
kein häßliches Ungeziefer quälet. Aber Überfluß gewähret das
Land an nützlichem Vieh, an kleinem wie an großem, für des
Menschen Arbeit, Zwecke und Genüsse. Das Schaf trägt Wolle
für das feinste Gespinst, der Stier verkündiget Kraft und Stärke
in Bau und Gestalt, das Pferd gehet tüchtig einher im Fuhr-
werke, prächtig vor dem Wagen der Großen und stolz als Kampf-
roß unter dem Krieger, hier ausdauernd und dort.
In ihrem Innern verbirgt die Erde große und reiche Schätze.
Aus vielen und unerschöpflichen Quellen sprudelt sie freiwillig den
Menschen Heilung zu und Gesundheit und Heiterkeit. Den fleißigen
Bergmann belohnt sie bald mit dem edelsten Gewürze, dem Salze,
bald mit Silber und Gold, hinreichend für den Verkehr und die
Verzierung des Lebens, bald mit Eisen in Menge, dem Manne zur
Waffe und Wehr, zu Schutz und Schirm dem Volke.
Ein solches Land, mit so reichen Gaben, Eigenschaften und
Kräften ausgestattet, ist von der Natur unverkennbar bestimmt,
ein großes und starkes Volk zu ernähren in Einfalt und Tugend
und eine hohe Bildung des Geistes in diesem Volke durch Übung
und Anstrengung zu erzeugen, zu erhalten, zu fördern.
Auch ist das Land nicht umsonst bestimmter Grenzen beraubt,
gegen Morgen wie gegen Abend und selbst gegen Mitternacht.
Die Bewohner können sich gegen den Neid, die Habsucht und den
Übermuth fremder Völker ans nichts verlassen, als auf ihre eigene
Kraft. Es giebt für sie keine Sicherheit, als in ihrem festen Zu-
sammenhalten, in ihrer Einigkeit, in ihrer sittlichen Macht.
Endlich ist den Bewohnern dieses Landes durch große und
schöne Ströme das Meer geöffnet und der Zugang zur Welt.
Aber das Meer dränget sich nicht so verführerisch an sie hinan
oder zwischen sic hinein, daß sie verlockt nnd dem heimatlichen Boden
entfremdet werden könnten. Vielmehr kann der edlere Mensch dem
Gedanken an eine deutsche Erde und an einen deutschen Himmel
nicht entgehen, und dieser Gedanke scheint in ihm die Sehnsucht
erhalten zu müssen zu der Welt seiner Geburt und die Liebe zu
dem Boden seines Vaterlandes.
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4
3.
Aus der Jugendzeit.
Bon Nückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. II-3. Aust. Erlangen 1839. S. 205. — M.-A. f. 1831. S-182.
Auswahl des Vers. 14- Aust- Frankfurt a. M. 1865. S. 330. - 17. Aufl. 1872. S. 330.
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Das jetzt noch klingt?
'Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.'
O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund
Wie Salomo!
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt,
Und der leere Kasten schwoll;
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird's nie mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
Dir zurück, wonach du weinst;
Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:
Ms ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.'
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5
4.
Ein Blick auf die Vogelwelt.
Von MasiuS.
Naturstudien 3. Anst. Leipzig 1857. S. 47. — 6. Aufl. 1865. S- 51. — 7. Aufl. 1869. S. 55.
Unter den mannigfaltigen Geschlechtern der Thierwelt haben
die Vögel von jeher vorzugsweise die Aufmerksamkeit und das
Wohlgefallen des Menschen erregt. Der Lerche, dem Storch, der
Nachtigal, der Schwalbe erklingen seit uralten Tagen Chöre von
Liedern, und der Volksmund begrüßt sie aus ihrer luftigen Fahrt
mit tausend trauten Wandersprüchen. Ohne die Vögel würde
selbst der Frühling trauern, so wie durch ihre Flucht der Winter
um so unheimlicher und öder wird. — Nun sind freilich die Säuge-
tiere vollkommener organisiert, auch haben ihre geistigen Anlagen
einen größeren Umfang. Die bildende Natur hat außer dem
Menschen vielleicht nichts Edleres hervorgebracht als das Roß, ^das
den Streit von ferne riecht,'') und gewiß sind Elephant und Löwe
ungleich großartigere, Windspiel und Gazelle ungleich schönere Thier-
gestalten, als irgend ein Vogel. Aber dessen ungeachtet scheint die
Klasse der Säugethiere sich gleichsam nur in einzelnen wenigen
Individuen zu ihrer Vollendung zusammenzufassen; viele von ihnen
sind entschieden unschön und widerwärtig. Unter den Vögeln da-
gegen giebt es kaum einen, den man häßlich nennen dürfte, und
bei allen sonstigen Mängeln ihrer Organisation zeichnen sich diese
geflügelten Völker des Lustreichs durch gewisse Eigenthümlichkeiten
aus, die ihnen das Interesse des gemüthvollen Betrachters neben
und theilweise selbst vor jener höheren Thierklasse sichern.
Schon das Nest des Vogels, dieses weiche Bett im grünen
Laubversteck, von der sorgenden Liebe gewoben und gehütet, von
den Liedern der Liebe umschwebt, welch ein einziges Bild! Welches
Wunder der Natur, das lieblicher und sinniger wäre? Nach dem
Vogelnest zucken Kindern die weichen Herzen und Hände, und der
Mann bleibt bewundernd davor stehen und fühlt den warmen
Hauch des GottesodemS, in dem alles Geschaffene lebt und webt.
*Hoch vor Freuden hüpfet mir
In der Brust das Herze,
Als ob es gefunden schier
Vögleins Nest im Märze!'
heißt es bei einem alten Minnesänger.2) Und nun der Vogel
selbst! Welche leichte, luftige Gestalt! Wie frei hebt sich auf dem
schlanken, beweglichen Halse der Kops empor; wie schön wölbt sich
die Brust dem Strom der Wolken und Wellen entgegen! Wie
reizend sind die weichen Linien des dahinsegelnden Schwans; wie
kühn und stark stemmt sich der Adler auf den strasfgespannten 1
1) Hiob 39, 25. — 2) Heinrich dem Rost, Kirchherrn zu Sarnen.
Fuß! Dazu nehme man die Farbenpracht und die zarte Zeichnung
des Gefieders, womit die Natur ihre Lieblinge so reich geschmückt
hat, die bunten Decken, Bänder und Streifen, die schillernden
Flecken, Perlen, Augen und Ringe, das metallische Schimmern
und Spielen von Blau und Grün und Roth, die leuchtende, reine
Frische ihres Weiß und Schwarz. Ist doch selbst das Grau der
Krähe mehr, als jene stumpfe, farblose Auflösung aller Farben,
welche wir sonst wohl mit diesem Namen benennen.
Was uns aber am meisten an den Vögeln anzieht, und wo-
durch sie gleichsam über den Kreis des gewöhnlichen Lebens hin-
ausgehoben werden, ist das wunderbare Vermögen des Fliegens.
Durch den Flug vorzüglich erscheint der Vogel dem Naturmenschen
dämonisch. Die glücklichen', ruft der Dichter,')
'bk glücklichen Bögel
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle; der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frohlocken sie mir, und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf.'
Aber welch eine Fülle freiester und schönster Bewegungell entfaltet
sich hier auch! Dieses majestätische Kreisen und Schwimmen, dieses
wählige, selige Schwanken und Schweben, dieses Huschen und
Flattern, dieses Schießen, Sinken und Steigen,
'Jetzt, wo drunten der Waldstrom braust,
Jetzt, wo oben die Wolke saust,
Jetzo mit einemmal
Nieder von Berg zu Thal:'2)
fürwahr, es ist, als tummeln sich die Geister der Luft in Spiel
und Reigen, und es gehört kaum weniger als die groteske Sprach-
gewalt eines Fisch art dazu, dies ganze heißblütige Leben mit seiner
Leidenschaft und Lust, seiner Neugier und Furcht, seiner Kühnheit
und List in menschlicher Rede widerspiegeln zu lassen.
Ich übergehe die Wanderzüge, die Kämpfe und die anderen
bewundernswürdigen Triebe der Vögel, um nur noch ihres Ge-
sanges zu gedenken. Freilich ist wohl nicht allen die Gabe der
Stimme geliehen, von einem Gesänge kann sogar nur bei wenigen
geredet werden; aber doch stehen sie auch hierdurch, ja hierdurch
mehr noch als durch ihren Flug über allen anderen Thieren. Die
Insekten sind bloße Jnstrumentalmusiker; die Amphibien bringen,
mit Ausnahme der Schlangen, ihre Töne mehr durch den Gaumen
hervor; bei den Säugethieren entsteht der Laut mehr mittels der
Lippen, etwa wie bei den Kindern, wenn sie zu lallen anfangen.
Bei den Vögeln aber wird er meistens durch die Zunge hervor-
gebracht; daher pfeifen und singen sie, ihre Sprache ist Zungen-
sprache und mithin die vollkommenste unter den thierischen. — Der
1) Hölderlin. — 2) Deinhardstein.
Gesang ist des Vogels Geheimnis und Wesen, und in alten Zeiten,
so wird erzählt, verstanden die Menschen diese Klänge, die ihnen
oft ihr eigenes Schicksal kündeten, und in denen sie bald ermun-
ternden Zuruf zur That, bald drohende Warnung vor nahem Un-
heil vernahmen. Ohne die stimmbegabte Kehle mögen wir uns
die Wildlinge des Äthers kaum denken. Der stumme Vogel steht
gleichsam außer der Natur, er ist immer eine einsame, düstere Er-
scheinung. Die Abstufungen, denen wir hier begegnen, sind geradezu
unendlich. Welche Welt von Tönen liegt zwischen dem Gekrächz
des Naben und dem Schlage der Nachtigall Wie furchtbar gellt
das Jauchzen des beutemachenden Seeadlers, wie lockend ruft das
Taubeugirren durch den Forst, wie komisch welscht der stolzierende
Truthahn, wie rührend zwitschert die nestbchütende Schwalbe!
Und wiederum wie außerordentlich mannigfaltig sind die Accente
einer einzigen Vogelstimme! Jetzt gcschwützigschnell, jetzt sanft und
langgezogen, jetzt rauschend, jetzt spitz und abgebrochen, nun ties-
gedämpst, nun schrill und zerrissen; so hat diese Stimme einen
Ausdruck für das Wohlgefühl der Zufriedenheit, wie für das
trübe der Sorge, für das Sehnen der Liebe, wie für den Zorn
der Eifersucht, für jede Freude und jeden Schmerz. Soll ich noch
der Lust gedenken, mit welcher uns der erste Gruß der Lerche,
der Nachtigal so süß erschreckt? der Herzenserfrischung, wenn
nach dunkeln Tagen der hervorbrechende Sonnenstrahl dies leicht-
bewegte Volk zu neuen Liedern weckt? Es ist klar: die Vögel
geben dem schönen Antlitz der Natur erst die wohllautende Stimme
und damit den unsäglichen Reiz, welchen dieses geistigste aller Körper-
vermögen ans den Menschen zu üben nie aufhört.
5.
Die weit der klänge.
von Jacob Grimm.
Über den Ursprung der spräche 4. aufl. Berlin 1858. s. 13.
Fast die ganze natur ist lautes und klanges erfüllt, wie sollte er
ihrem edelsten geschöpfe dem menschen nicht schon in der Schöpfung
ertheilt worden sein ? machen die thiere mit ihrer der menschen-
sprache gleich endlos verschiednen stimme sich ni^ht unter ein-
ander verständlich, erschallt der vögel mannigfalter gesang nicht
durch alle lüfte? menschliche einbildung hat den thieren wirkliche
spräche beigelegt, die sage meldet sogar, dasz im goldnen zeit-
alter alle thiere noch mit den menschen traulich gesprochen hätten,
dasz sie seitdem ihre spräche nur verhielten, aber im augenblick
des drangs ausbrechen lieszen, wie Bileam’s eselin, als ihr unrecht
widerfahren und der engel des herrn erschienen war, das wort
7
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erhob, diese redete in menschenweise, andere thiere sollen in
ihrer eignen spräche oder, wie es zu heiszen pflegt, in ihrem
welsch und latein sich vernünftig unterreden, was hören und ver-
stehn könne, wer durch genusz einer weiszen schlänge oder eines
drachenherzens künde davon sich erworben habe, so sangen dem
Sigurd, nachdem er Fafni I) erlegt und seine fingerspitzen in
dessen herzblut getaucht hatte, die vögel auf den ästen, was ihm
noch zu thun übrig sei.
Wir unterscheiden die gesammte natur in eine todte und
lebendige, womit nicht zusammenfällt, dasz sie stumm oder laut
sei. unter den elementen stumm ist nur die träge erde, denn die
luft saust und heult, das teuer sprüht, knistert, prasselt, dem meer
legen wir rauschen bei, dem hach klingeln, murmeln, plätschern,
ja sein geriesel dünkt uns ein schwatzen und plaudern, gleich
der erde geben die starren steine keinen laut von sich, auch den
lebendigen, an den boden gefesselten, gangs unfähigen pflanzen
wurde er nicht verliehen: wenn baumblätter flüstern, ist’s der wind,
der sie von auszen rührt, allen thieren dagegen ist bewegung
und gefühl verliehen, nicht allen stimme, denn die fische bleiben
Jautlos, von den insekten machen sich nur hörbar, die schwirrend
im flug durch ihre athemlöcher luft stoszen oder harte flügeldecke
an einander reiben; aus ihrem innersten durch ihren mund geht
keine stimme, aber jedem vollkommneren warmblütigen thier, vögeln
wie säugethieren, ist immer ein ganz besonderer laut eigen, mit
welchem es seine empfindungen wechselsweise des behagens, der
lust und des Schmerzes, lockend oder scheuchend kund thun kann;
einigen unter ihnen und zwar nicht den uns sonst verwandteren
vierfüszigen thieren, sondern voraus dem gevögel wurde ein klang-
voller, meistens anmuthiger und herzerfreuender gesang zugetheilt,
stehn alle thierlaute nicht der menschensprache zur Seite? hat
man doch heisere, rauhe, harte menschensprache dem gekrächze
der raben, quaken der frösche, bellen der hunde und wiehern der
rosse verglichen.
Diese thierische stimme ist aber sichtbar von natur in jedes
thier geprägt und wird von ihm hervorgebracht, ohne sie erlernt
zu haben, laszt ein eben ausgeschlossenes vöglein dem nest ent-
nommen von menschenhand aufgefüttert werden, es wird dennoch
aller laute mächtig sein, die seinesgleichen, unter welchen es sich
niemals befaqd, eigen sind, darum bleibt die jeder thierart an-
gewiesene stimme immer einförmig und unveränderlich: ein hund
bellt noch heute, wie er zu ansang der Schöpfung holl, und mit
demselben tirelieren schwingt die lerche sich auf, wie sie vor
vielen tausend jähren that. alle thiere leben und handeln nur
nach einem in sie gelegten dunkeln trieb.
i) ‘den gefräszigen wurm auf gnitabeide.’ edda.
Der freie mensch nicht also, nur was er nicht zu lernen
braucht und alsobald in das leben tretend von selbst kann, das
bei allen Völkern sich gleich bleibende wimmern, weinen und
stöhnen oder jede andern ausbrüche leiblicher empfindung, das
allein könnte dem schrei der thierischen stimme mit recht an die
Seite gesetzt werden 5 das gehört aber auch zur menschensprache
nicht, ‘mensch’ leitet sich von der wurzel ‘man’ d. h. denken her:
der mensch heiszt nicht nur so, weil er denkt, sondern ist auch
mensch, weil er denkt, und spricht, weil er denkt, die thiere
reden nicht, weil sie nicht denken, und heiszen darum die unredenden
wie die unvernünftigen, das kind beginnt zu reden, wie es an-
hebt zu denken, und die rede wächst ihm, wie ihm der gedanke
wächst, menschen mit den tiefsten gedanken, weltweise, dichter,
redner, haben auch die gröszte sprachgewalt. denken ist der
gründ, reden die folge, denken ist leuchten, reden ist tönen: nach
dem blitz des gedankens kommt der donnor des worts.
Bob des Einsiedels.
Aus dem Simplicissimus von Grimmelshausen.
Holland: Versuch einer Ausgabe. Tübingen 1851. S. 16. — Nürnberg 1684.
I, 3«.
Aomm, Trost der Nacht, o Nachtigal,
Laß deine Stimm mit Freudenschall
Aufs lieblichste erklingen;
Komm, komm, und lob den Schöpfer
dein,
Weil andre Vöglein schlafen sein
Und nicht mehr mögen singen.
Laß dein
Stimmlein
Laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst dn loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Obschon ist hin der Sonnenschein
Und wir im Finstern müssen sein,
So können wir doch singen
Von Gottes Gilt und seiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Nacht
Sein Lobe zu vollbringen.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Echo, der wilde Widerhall,
Will sein bei diesem Freudenschall
Und lässet sich auch hören,
Verweist uns alle Müdigkeit,
Der wir ergeben allezeit,
Lehrt uns den Schlaf bethörcn.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Die Sterne, so am Himmel stehn,
Sich lassen zum Lob Gottes sehn
Und thun ihm Ehr beweisen;
Die Eul auch, die nicht singen kann,
Zeigt doch mit ihrem Heulen an,
Daß sie Gott auch thu preisen.
Drum dein
Stimmlein
Laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
10
i
fTr-*
Laß dein
Tümmlern
Laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst dn loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
7.
■ /
Die Nachtigall
Nach Lenz und Reichenbach.
L. Naturgeschichte 3. Aufl. 1851. II, 103. — R. Volksnaturgesch. 1851. I, 305.
Dieser ganz unansehnliche Vogel ist der berühmte Säuger
des Frühlings, der Liebling aller Menschen, die Sinn für Schönheit
der Natur haben. Er bewohnt Europa bis nach Finland und
Ostschweden, ferner die Levante und Arabien;, für den Winter
wandert er aus Europa nach Syrien und Ägypten. Der be-
zaubernden Wirkung seines lieblichen Gesanges sich wohl bewußt
und durch die Zahl der Zuhörer nicht erschreckt, sondern erfreut,
siedelt er sich gerade an solchen Plätzen vorzüglich gern an, wo
täglich recht viele Menschen lustwandeln. In Gärten, welche dichtes
Laubgebüsch und reines Wasser enthalten, ist er an vielen Orten
in Menge zu treffen; überhaupt hält er sich nur an solchen Stellen
auf, wo er Laubgebüsch und nahes Wasser findet. _ Die Nadel-
wälder bewohnt er nicht, und das tiefe Gebirge meidet er. Will
man ihm einen Platz recht angenehm machen, so bepsianzt man
ihn dicht mit wilden Stachelbcerbüschen, in denen er gern nistet,
mit guten Johannisbcerbüschcn, deren Früchte er liebt, und mit
Traubenkirschen, welche ihm ebenfalls angenehm sind; dichte Weiß-
dornbüsche sind auch gut. Alles Laub, welches im Herbst abfüllt,
muß man durchaus liegen lassen; denn nicht nur sucht der Vogel
seine Nahrung dazwischen, sondern das Rasseln darin verräth
ihm auch den nahenden Feind. Im letzten Drittel des April kommt
die Nachtigal einzeln bei uns an; sie reist des Nachts, und man
sieht sie zuweilen früh morgens sich plötzlich aus der Luft in ein
Gebüsch stürzen, wo sie dann den Tag verweilt und nach Nahrung
sucht. Von Mitte August bis Mitte September verschwindet sie
allmählich wieder. — Die Männchen kommen immer sechs bis
acht Tage vor den Weibchen an und singen dann vor und nach
Mitternacht, um die Weibchen zu sich zu locken. Ist ihnen dies
gelungen, so hört man nicht alle mehr des Nachts schlagen, son-
dern viele nur den nahenden Morgen mit ihren Liedern begrüßen
und diese den Tag über fortsetzen; doch cs giebt unter ihnen auch
Nachtvögel, d. h. solche, welche immer vor und nach Mitternacht
singen. Vom Tage ihrer Ankunft an bis zu der Zeit, wo die
Nur her, mein liebstes Vögelein!
Wir wollen nicht die faulsten sein
Und schlafend liegen bleiben,
Vielmehr, bis daß die Morgenroth
Erfreuet diese Wälderöd,
In Gottes Lob vertreiben.
11
Jungen ausgekommen sind, schlägt die Nachtigal am fleißigsten;
später muß sie ihre Jungen versorgen, und man hört sie deshalb
schon seltner, auch singt sie nicht mehr mit solchem Feuer; zu Jo-
hannis endlich hört sie ganz auf, und man vernimmt nur noch
das Zwitschern der Jungen, die den Gesang des Baters zu lernen
beginnen, was man an manchen Orten ^dichten' nennt. Den Ge-
sang des Vaters;' denn nur daö Männchen, das leicht durch seine
hellere Farbe, namentlich an der Kehle, zu erkennen ist, läßt den
herrlichen Gesang erschallen, den man auch Schlag nennt.
Alle Nachtigallen singen vortrefflich; doch die eine zieht ihre
Töne langsam und anmnthig, die andere hat etwas Eigenes in
ihrem Schmettern, eine dritte webt eine Strophe, welche die anderen
nicht haben, in ihren Gesang, eine vierte übertrifft alle drei durch
den Silberklang ihrer Stimme, und so hat jede etwas Eigen-
thümliches, und jede findet ihren Freund und Bewunderer. Zu-
weilen giebt es auch Virtuosen unter den Nachtigallen, welche alle
Vollkommenheiten der Melodie und der Stimme in sich vereinigen. —
Der Lockton der Nachtigal klingt wie llvid' oder llviid', dann folgt
ckarrr' oder ckrrroft wiederholt läßt sich das Wid bei Furcht,
Schreck und Ärger hören, in der Fröhlichkeit ein Tack, im Zorn
ein Kroäk oder Nrüh. Den Schlag des Männchens macht nicht
nur die Kraft der Stimme so beliebt, sondern weit mehr noch die
mannigfaltige und anmuthige Abwechselung und die schöne Har-
monie des Gesanges. Bechstein berichtet über den Schlag der
Nachtigal, wie folgt. Wald zieht sie Minuten lang eine Strophe
einzelner melancholischer Töne hin, die leise anfangen, allmählich
immer stärker werden und sterbend sich endigen; bald schmettert sie
eine Reihe scharfer Noten hastig her und schließt dann diese und
viele andere Stanzen, aus denen ihr Lied besteht, mit den einzelnen
Tönen eines aufsteigenden Accords. Wenigstens vierundzwanzig
Verse hat der Gesang einer gut singenden Nachtigal, die kleinen
Variationen nicht mitgerechnet, und man ist im Stande, dieselben
durch Silben und Worte auszudrücken. Hier sind sie, wie ich sie
gerade von einer höre, die neben mir schlägt und unter die Virtuosen
ihrer Kunst gehört.
Tiuu tiuu tiuu tiuu,
Spe tiu zqua,
Tio tio tio tio tio tio tio tix;
Qutio qutio qutio qutio,
Zquo zquo zquo zquo;
Tzii tzii tzii tzii tzii tzii tzii tzii tzü tzi,
Quorror tiu zqua pipiqui
Zozozozozozozozozozo;ozo zirrhading!
Tsisisi tstsisisisisisisi,
Zorrc zorre zorre zorre hi,
Tzatu tzatu tzatu tzatu tzatu tzatu tzatu zi,
Dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo dlo
12
Quio tr rrrrrrrr itz — a a a a
Lii lii lii sie ly ly ly ly li li U li')
Quio didl li liilyli.
Ha giir giire quipio!
Qui qui qui qui ü fi fi ki gi gi gt 2)
Goll goll goll goll gia hadadoi
Quigi horr ha dididillsi!
Hezezezezezezezezezezezezezezezezequarrhozehoi;
Quia quia quia quia quia quia quia quia ti:
Ki ki ki io io io ioioioio ki —
Ly ly li le lä la lö lo didl io quia,
Higaigaigaigaibaigaigai giagaigaigai
Quior ziozio pr.'
Das Nest der Nachtigal befindet sich in niedrigem Gebüsch
oder am Boden; es ist aus dürrem Laube und trocknen Halmen
und Stengeln gebaut, inwendig mit Hälmchen und Würzelchen
ausgefüllt, auch mit Pferdehaaren belegt. Sie nistet, wenn die
Brut nicht zerstört wird, jährlich nur einmal. Die Eier, vier bis
sechs an der Zahl, sind bald rundlich, bald länglich, alle zart, glatt
und glänzend und auf blaß meergrünem Grunde graubraun ge-
tüpfelt. Nach einer schönen Sage brütet die Nachtigal ihre Jungen
nicht aus, sondern singt sie ins Leben. Doch verhält sich's in der
Wirklichkeit nicht also; beide Geschlechter brüten vielmehr abwechselnd,
das Männchen meist um Mittag, und die Brütezeit dauert vier-
zehn Tage. — Die Nahrung der Nachtigal besteht im Freien aus
kleinen Raupen, Nachtfaltern, Fliegen, Käfern, Spinnen, Larven
und Würmern, welche sich unter dem Moose und in der Erde
finden; ferner im Spätsommer aus rothen und schwarzen Johannis-
beeren, rothen und schwarzen Holunderbeeren und Faulbaumbeeren.
Wo die Erde in ihrer Nähe aufgekratzt wird, ist sie immer, sobald
man sich etwas entfernt hat, gleich da und untersucht, ob Nahrung
für sie zu Tage gefördert worden ist. Deshalb ist sie auch so
leicht zu sangen: man braucht nur, wo man sie sieht, die Erde zu
lockern und dahin ein Schlagnetzchen zu stellen, an welchem ein
Mehlwurm zappelt; sogleich wird sie herbeigeflogen kommen, um
den Leckerbissen wegzuholen. Scheu ist sie so wenig, daß sie dem,
welcher das Netz stellt, ruhig zusieht und sich, sobald er nur einige
Schritte weggeht, vor seinem Angesichte fängt. Die geringe Furcht
rührt wohl daher, daß sie selten verfolgt wird. In den meisten
deutschen Ländern ist der Fang der Nachtigallen streng verboten
oder doch sehr beschränkt, und das ist löblich, denn sonst könnte
ein geschickter Vogelsteller in kurzer Zeit eine Gegend ganz von
diesen vortrefflichen Sängern entvölkern. Gut wäre es auch, wenn
auf jede in der Stube gehaltene eine tüchtige Steuer gelegt würde.
Diese ziehenden melancholischen Töne wiederholte ein Hogel bei Bechstein oft zwei«
unddreißig- bis funfzigmal. Manche sprechen sie auch ‘gii gy gi,’ andere 'quii quy qui' aus.
— V Viel heller und schärfer als das obige Lii rc.
Will man übrigens selber eine Nachtigal an unsicherm Orte vor
dem Wegfangen schützen, so fängt man sie und läßt sie wieder
frei; sie wird dann so leicht nicht wieder in ein Netz oder eine
Falle gerathen.
Hält man gleichwohl eine Nachtigal gefangen, so erfordert sie
die sorgsamste Pflege. Der Käfich muß wenigstens anderthalb Fuß
lang sein, eine weiche Decke und Sprungstäbchen haben, die etwa
fingerdick, von weichem Holze „und nicht mit Tuch überzogen sind,
es sei denn, daß man den Überzug alle Monate erneuern wolle.
Unten im Käfich muß sich ein Schubkasten befinden, der oft mit
frischem Löschpapier oder etwas Sand belegt wird; denn Rein-
lichkeit ist sehr wichtig. Wenige dieser Vögel ertragen es, ans
Fenster gehängt zu werden; manche wollen sogar in einer recht
dunkeln Ecke hängen. Die Nachtigal badet gern, und man thut
wohl, an der Thür des Käfichs ein eigenes Badehäuschen zu be-
festigen, in welchem ein Napf steht, damit sie sich recht über und
über waschen kann. Außer dem Badenapfe sollte man immer noch
auswendig ein Trinknäpfchen mit reinem Wasser anhängen; denn
aus dem Wasser, in welchem sie gebadet hat, trinkt sie nicht gern
mehr. Dieselbe Bemerkung gilt für alle Stubenvögel. — Die
Fütterung kann verschieden sein; doch ist es gut, wenn die Nach-
tigal täglich einige Mehlwürmer, deren Kopf mau vorher eindrückt,
als Beikost erhält, und wenn sie zur Maußerzeit viele frische Ameisen-
puppen erhalten kann. Diese Eier nehme man wo möglich aus
Laubwäldern, oder man suche, wenn sie aus Nadelwald kommen,
erst die Harzklümpchen heraus. Die beste Fütterung, bei der man
auch jede andere Zuthat weglassen kann, ist wohl folgende: ein
Drittel Küsematten, ein Drittel Semmel, ein Drittel Möhren, alles
sein gerieben und mit etwas Weizenkleie gut gemischt; doch lasse
man im heißen Sommer die Semmel ganz weg. Auch gekochtes
Rinderherz, fein gehacktes mageres Rind- und Hammelfleisch, frische
oder getrocknete und in Wasser „gequellte Holunderbeeren, geschnittene
Rosinen, Feigen, Birnen, süße Äpfel sind gesund; zerstoßener Mohn-
samen dagegen ist nicht zu empfehlen. Ist der Vogel krank, so
gebe man ihm Spinnen und neben dem gewöhnlichen Futter anderes
zur Mahls auch in Mandel- oder Baumöl getauchte Mehlwürmer
thun oft gute Dienste. Bei sorgsamer Wartung kann sich eine
Nachtigal zehn bis fünfzehn Jahre halten und noch darüber.
Lichtenberg hatte eine Nachtigal, welche durch ihr Be-
nehmen deutlich darthat, daß sie drei zählen konnte. Er gab ihr
nämlich täglich zweimal drei Mehlwürmer. Jedesmal öffnete er erst
ihre Thür; sie kam ihm bis dahin entgegen, nahm den ersten Wurm,
verzehrte ihn im Hintergründe des Käfichs und kehrte dann sehr
regelmäßig ebenso zweimal wieder, um sich die anderen anzueignen;
nie aber kam sie zum viertenmal, außer wenn sie zuweilen aus-
nahmsweise absichtlich mit einem vierten Wurme gelockt wurde,
14
den sie dann ebenfalls begierig annahm und dadurch bewies, daß
nicht die Sättigung Ursache gewesen war, warum sie nur dreimal
gekommen. — Merveaux beobachtete im Jahre 1835 zwei Nach-
tigallen, welche ihr Nest in seinem Gartenzaun hatten und bei einer
Überschwemmung ihre Eier hundertfunfzig Schritte weit wegtrugen,
dort in einem frisch gemachten Neste unterbrachten und glücklich
ausbrüteten. — Plinius berichtet, daß in Rom eine weiße Nach-
tigal für 6000 Sestertien, d. i. 318 Thaler, verkauft worden ist;
sie sollte der Agrippina, Gemahlin des Kaisers Claudius, geschenkt
werden. Auch erzählt er, daß ein Schauspieler sich einen Spaß
daraus gemacht hat, singende und sprechende Vöglein, insbesondere
Nachtigallen zu essen. Er ließ einmal eine Schüssel auftragen,
die 100,000 Sestertien, 5300 Thaler, kostete und nur aus der-
gleichen Thicrchen bestand, von denen jedes mit 6000 Sestertien
bezahlt war. Ein ebenso theurer, als schlechter Spaß!
* Nachtigal bedeutet wörtlich die Nachtsängerin; denn 'ich
gale’ heißt sich lasse meine Stimme hören, singe.'*
8.
Begrüßung drs Wandrers im unbrjuchtcn Thal.
Ges. Gedichte. Bd. IV. Erlangen 1837. S.
^o von keines Menschen Tritte
Je gezeichnet ward die Spur
Und in stiller Öden Mitte
Mit der schweigenden Natur
Wohnten ihre Kinderscharen,
Blumen, und ich Nachtigal,
Denen nur Gespielen waren
Sonne, Luft und Widerhall —
Rückert.
!. — Werke. Franks, a. M. 1868 u. 1869 II, 404.
Wir in unsern Einsamkeiten
Wiißten selbst nicht, was uns fehlt,
Hätten Lüfte nicht zu Zeiten,
Wandernde, es uns erzählt,
Wie da draußen Menschen wallen,
Die mit offnem Aug' und Ohr-
Merken ans der Nachtigallen,
Achten auf der Blumen Chor.
Daß du hier dich hcrgekehret,
Ob ans Zufall, ob aus Wahl,
Durch dein Kommen hochgeehret
Fühlen wir uns allzumal;
Und sobald wir es vernahmen,
Gaben sie den Auftrag mir,
Daß ich sollt' in aller Stamm
Dich willkommen heißen hier.
Alle Blumen stehn am Wege
In dem schönsten Feierkleid,
Und die Bögel im Gehege
Singen hellen Widerstreit.
Alle streben auszudrücken
Ihren hocherfreuten Sinn;
Möcht' cs mir vor allen glücken,
Denn ich bin die Sprecherin!
Hier bei uns ist Tag und Sonne,
Schatten, Nacht und Sternenlicht;
Doch das ist die rechte Wonne
Und die rechte Freude nicht.
Denn die Sonne kann nicht blicken,
Wie ein Mcnschenauge blickt,
Das nicht will allein erquicken,
Sondern selbst sich auch erquickt.
Und die Blume, wie sie blühte,
So verwelkt sie, ungesehn,
Keinem fühlenden Gemüthe
Bild der Lust und Bild der Wehn.
Ein bedeutungsvolles Zeichen
Sterben in der Liebe Hand;
Keine hier ist von den bleichen
Blüten, die dies Glück empfand.
^ wE&Bk
15
Bliebest du in unsrer Mitte!
Der des Wohllauts Wog' entquillt;
Meinem Lied entgegen schwillt?
Mit dem Widerhall zu scherzen,
Sinnigem genügt’« nicht lang';
Felsen haben keine Herzen,
optCt DOU) UlUJi vuvuutvyvyu;
Daß die Fernen und die Nahen,
Alle, die neugierig sind,
Können, was sie nie noch sahen,
Sehn, ein wandernd Menschenkind!
Eitle freuet eigner Klang.
Brich, sie werden's gerne leiden,
Alle, die du willst und liebst;
Aber stolz, nicht eitel, heute
fühlet sich das Thal mit mir,
Ane, vre ou winsi uno uevir,
Und die andern sind bescheiden,
Wenn du ihnen Blicke giebst.
Da du aller Wandersleute
Erster uns dich zeigest hier.
Weil es einmal ein getrosten
Gieb ein Ohr auch meinen Vettern,
Die im Busche wurden wach;
Und mein allerlautsteö Schmettern
Ruft dir in die Ferne nach.
>e wurden wach;
Und hierher du fandst bte Bahn,
Ist es fortan auch zu hoffen,
Daß sich werden andre nahn.
al
9.
Die Frösche.
Von Goethe.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1840. II, 213. — 1866. II, 181. —
Gedichte 1867 u. 1868. II, 158.
Ein großer Teich war zugefroren;
Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,
Durften nicht ferner quaken noch springen,
Versprachen sich aber, im halben Traum,
Fänden sie nur da oben Raum,
Wie Nachtigallen wollten sie singen.
Der Thanwind kam, das Eis zerschmolz,
Nun ruderten sie und landeten stolz
Und saßen am Ufer weit und breit
Und quakten wie vor alter Zeit.
10.
Tunkönig.
Bon Groth.
Voor de G«rn. Hamburg. S. 65.
Pe Katt de seet in'n Nettelbusch,
Jn'n Nettelbusch verborgen,
Do keem de kleene König herut
Un bo er guden Morgen.
*Gu'n Morgen, Musch in'n Nettclbusch,
Wat sittst du hier in Sorgen?
Ni wahr? wenn du de Flünkern harrst,
So spiesti) du mi ton Morgen.'
1) speistest.
11.
Der Zaunkönig.
von den brlidern Grimm.
märchen 6. aufl. Göttingen 1850. II, 394. — 7. aufl. 1857. II, 342. — 13. aast.
Berlin 1875. s. 599.
In den alten Zeiten da hatte jeder klang noch sinn und be-
deutung. wenn der hammer des schmieds ertönte, so rief er:
‘smiet mit to! smiet mit to!' wenn der hobel des tischlers
schnarrte, so sprach er: ‘dor hast! dor, dor hast!’ sieng das räder-
werk der mühle an zu klappern, so sprach es: ‘help, herr gott!
help, herr gott!' und war der midier ein betrüger und liesz die
mühle an, so sprach sie hochdeutsch und fragte erst langsam:
‘wer ist da? wer ist da?' dann antwortete sie schnell: ‘der müder!
der müder!’ und endlich ganz geschwind: ‘stiehlt tapfer, stiehlt
tapfer, vom achtel drei sechter.’
Zu dieser zeit hatten auch die vögel ihre eigene spräche, die
jedermann verstand; jetzt lautet es nur wie ein zwitschern, krei-
schen und pfeifen und bei einigen wie musik ohne worte. es kam
aber den vögeln in den sinn, sie wollten nicht länger ohne herrn sein
und einen unter sich zu ihrem könig wählen, nur einer von ihnen,
der kiebitz, war dagegen: frei hatte er gelebt, und frei wollte er sterben;
und angstvoll hin und her fliegend, rief er: ‘wo bliew ick? wo
bliew ick?’ er zog sich zurück in einsame und unbesuchte sümpfe
und zeigte sich nicht wieder unter seinesgleichen.
Die vögel wollten sich nun über die Sache besprechen, und
an einem schönen maimorgen kamen sie ade aus Wäldern und fel-
dern zusammen, adler und buchfinke, eule und krähe, lerche und
Sperling — was soll ich sie ade nennen? selbst der kukuk kam
und der Wiedehopf, sein küster, der so heiszt, weil er sich immer
ein paar tage früher hören läszt; auch ein ganz kleiner vogel, der
noch keinen namen hatte, mischte sich unter die schar, das huhu,
das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwun-
derte sich über die grosze Versammlung, ‘wat, wat, wat is denn
dar to don ?' gackerte es; aber der bahn beruhigte seine liebe
henne und sagte: ‘luter riek lüd,’ erzählte ihr auch, was sie vor-
hätten. es ward aber beschlossen, dasz der könig sein sollte, der
am höchsten fliegen könnte, ein laubfrosch, der im gebüsche sasz,
rief, als er das hörte, warnend: ‘natt, natt, natt! natt, natt, natt!’
weil er meinte, es würden deshalb viele thränen vergossen werden,
die krähe aber sagte: ‘quark ok,' es sollte alles friedlich abgehen.
Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen
morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte: ‘ich
wäre wohl noch höher geflogen, aber der abend kam, da konnte
ich nicht mehr.’ auf ein gegebenes zeichen erhob sich also die
ganze schar in die lüfte, der staub stieg da von dem felde auf;
es war ein gewaltiges sausen und brausen und fittichschlagen, und
17
es sah aus, als wenn eine schwarze wölke dahin zöge, die klei-
nern vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und
fielen wieder auf die erde. die gröszern hielten’s länger aus, aber
keiner konnte es dem adler gleich thun; der stieg so hoch, dasz
er der sonne hätte die äugen aushacken können, und als er sah,
dasz die andern nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er: ‘was
willst du noch höher fliegen, du bist doch der könig,’ und fieng
an sich wieder herab zu lassen, die vögel unter ihm riefen ihm
alle gleich zu: ‘du muszt unser könig sein, keiner ist höher ge-
flogen als du/ ‘ausgenommen ich,' schrie der kleine keil ohne
namen, der sich in die brustfedern des adlers verkrochen hatte,
und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch,
dasz er gott auf seinem stuhle konnte sitzen sehen, als er aber
so weit gekommen war, legte er seine flügel zusammen, sank herab
und rief unten mit feiner durchdringender stimme: ‘könig bün ick!
könig bün ick!'
‘Du unser könig?’ schrien die vögel zornig, ‘durch ranke und
listen hast du es dahin gebracht.’ sie machten eine andere be-
dingung: der sollte ihr könig sein, der am tiefsten in die erde
fallen könnte, wie klatschte da die gans mit ihrer breiten brüst
wieder auf das land! wie scharrte der bahn schnell ein loch! die
ente kam am schlimmsten weg; sie sprang in einen graben, ver-
renkte sich aber die beine und watschelte fort zum nahen teiche
mit dem ausi’uf: ‘pracherwerk! pracherwerk!’ der kleine ohne
namen aber suchte ein mauseloch, schlüpfte hinab und rief mit
seiner feinen stimme heraus; ‘könig bün ick! könig bün ick!’
‘Du unser könig?’ riefen die vögel noch zorniger; ‘meinst du,
deine listen sollten gelten?’ sie beschlossen, ihn in seinem loche
gefangen zu halten und auszuhungern, die eule ward als wache
davor gestellt: sie sollte den schelm nicht herauslassen, so lieb
ihr das leben wäre, als es aber abend geworden war und die vögel
von der anstrengung beim fliegen grosze müdigkeit empfanden, so
giengen sie mit weib und kind zu bett. die eule allein blieb bei
dem mauseloch stehen und blickte mit ihren groszen äugen un-
verwandt hinein, indessen war sie auch müde geworden und dachte:
‘ein äuge kannst du wohl zuthun, du wachst ja noch mit dem an-
dern, und der kleine bösewicht soll nicht aus seinem loch her-
aus.’ also that sie das eine äuge zu und schaute mit dem andern
steif auf das mauseloch. der kleine kerl guckte mit dem köpf
heraus und wollte wegwitschen; aber die eule trat gleich davor,
und er zog den köpf wieder zurück, dann that die eule das eine
äuge wieder auf und das andere zu und wollte so die ganze
nacht abwechseln, aber als» sie das eine äuge wieder zumachte,
vergasz sie das andere aufzuthun, und sobald die beiden äugen zu
waren, schlief sie ein. der kleine merkte das bald und schlüpfte weg.
Von der zeit an darf sich die eule nicht mehr am tage sehen
ColsHorn u. Gocdeke's Lesebuch II. 2
lassen, sonst sind die andern vögel hinter ihr her und zerzausen
ihr das feil. sie fliegt nur zur nachtzeit aus, haszt aber und ver-
folgt die mäuse, weil sie solche böse löcher machen, auch der
kleine vogel läszt sich nicht gerne sehen, weil er fürchtet, es gienge
ihm an den kragen, wenn er erwischt würde, er schlüpft in den
zäunen herum, und wenn er ganz sicher ist, ruft er wohl zuweilen:
‘könig bün ick!’ und deshalb nennen ihn die andern vögel aus
spott Zaunkönig.
Niemand aber war froher als die lerche, dasz sie dem Zaunkönig
nicht zu gehorchen brauchte, wie sich die sonne blicken läszt,
steigt sie in die lüfte und ruft: ‘ach, wo is dat schön! schön is
dat! schön! schön! ach, wo is dat schön!’
12.
Die Lerchen.
Von Uhland.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1853. S. 49. — 49. Anst. 1865. S. 49. —
58. Anst. 1874. S. 49.
^Delch ein Schwirren, welch ein Flug? Manche schwingt sich himmelan,
Sei willkommen, Lerchenzug! Jauchzend auf der lichten Bahn,
Jene streift der Wiese Saum, Eine, voll von Liedeslust,
Diese rauschet durch den Baum. Flattert hier, in meiner Brust.
13.
Mermorgen.
Von Geibel.
Juniuslieder. Stuttgart und Tübingen 1848. S. 156. — 15. Aufl. 1864. S. 159. —
21. Aufl. 1873. S. 159.
Die Lerche stieg am Ostermorgen
Empor ins klarste Luftgebiet
Und schmettert', hoch im Blau verborgen,
Ein freudig Auferstehungslied.
Und wie sie schmetterte, da klangen
Es tausend Stimmen nach im Feld:
Wach auf, das Alte ist vergangen,
Wach auf, du froh verjüngte Welt!
Wacht auf und rauscht durchs Thal,
ihr Bronnen,
Und lobt den Herrn mit frohem Schall!
Wacht auf im Frühlings glanz der
Sonnen,
Ihr grünen Halm' und Läuber all'!
Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
Ihr Primeln weiß, ihr Blüten roth,
Ihr sollt es alle mitverkünden:
Die Lieb' ist stärker als der Tod.
Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
Die ihr im Winterschlafe säumt,
In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
Ein gottentfremdet Dasein träumt;
Die Kraft deö Herrn weht durch die
Lande
Wie Jugendhanch, o laßt sie ein!
Zerreißt wie Simson eure Bande,
Und wie die Adler sollt ihr sein.
Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
Gebrochen an den Gräbern steht,
Ihr trüben Augen, die vor Thränen,
Jhr*nicht des Frühlings Blüten seht;
Ihr Grübler, die ihr fernverloren
Traumwandclnd irrt auf wüster Bahn —
Wacht auf, die Welt ist neugeboren;
Hier ist ein Wunder, nehmt cs an!
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Ihr sollt euch all' des Heiles freuen, Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
Das über euch ergossen ward; Jung wird daS Alte fern und nah,
Es ist ein inniges Erneuen Der Odem Gottes sprengt die Grüfte —
Im Bild des Frühlings offenbart. Wacht auf! der Ostertag ist da.
14.
Die Lerche.
Von Fr. Ad. Krummacher.
Parabeln 7. Aufl. Essen 1840. I, 224. — 8. AuSg. 1850.
In der balsamischen Frühe eines Sommertages wandelte ein
Landmann mit seinem Sohne auf das Feld. Der kühle Morgen-
wind spielte, mit dem Silberhaar des Greises und hob den Blüten-
staub des Ährenfeldes wie ein Gewölk über die wogenden Saaten.
Da sprach der Greis: ^Siehe, wie die Natur so geschäftig ist
zu unserm Besten! Mit dem nämlichen Hauch, womit sie unsere
Wangen kühlet, befruchtet sie unsere Gefilde, auf daß unsere Scheu-
nen voll werden.
Mchtzigmal hab' ich dieses gesehn, und doch ist es mir so er-
freulich, als ob ich es heute zum erstenmal sähe. — Es könnte
wohl leicht das letzte sein! — Denn habe ich nicht die Höhe des
Menschenlebens erreicht?'
So redete der Greis. Da faßte der Sohn seine Hand und
ward betrübt in seinem Herzen.
Aber der Vater sagte: Warum willst du dich betrüben! Siehe,
mein Tag ist dahin, und mein Abend ist gekommen. Soll mir ein
neuer Morgen anbrechen, so muß es erst Nacht werden. Aber sie
wird mir sein, wie eine Sommernacht, kühl und lieblich, wo die
Abenddämmerung in die Dämmerung des Morgens zerfließet.'
Mch, mein Vater,' sagte darauf der Sohn, <wie vermagst du so
freundlich von dem zu reden, was für uns das Traurigste sein wird? —
Du gäbest mir das Bild deines Todes, o gieb mir auch ein Bild
deines Lebens, mein Vater!'
Da antwortete der Greis: Das vermag ich leicht. Denn
das Leben des Ackermanns ist einfach wie die Natur, die ihn um-
giebt. — Siehest du dort die Lerche, wie sie aus dem Kornfelde
sich singend emporhebt? Nicht umsonst schwebet sie dem Landmanne
so nahe! Denn sie ist das Bild seines Lebens.
^Siehe, in dem Schoß der mütterlichen Erde geboren und auf-
erwachsen, hält sie sich an die nährende Furche. Zwischen den
wallenden Halmen bauet sie ihr Nest und brütet und ziehet die
Küchlein auf. Und der belebende Duft der Scholle und des grü-
nenden Feldes stärkt ihren Fittich und die Stimme ihres Busens.
— Aber nun erhebet sie sich gen, Himmel und schauet von oben
hernieder aus die Halmen und Ähren und die brütende Mutter
2*
20
und hinaufwärts in das Licht, das die Halmen auferziehet, und
in das Gewölk, welches den Thau und Regen herniederbringt.
Wenn kaum der Tag beginnt zu dämmern, ist sie schon auf ihren
Flügeln, den frühen Boten des kommenden Morgens zu begrüßen.
Und wenn die Abendsonne hinabsank, erhebt sie sich noch einmal,
den letzten Strahl der himmlischen in sich zu trinken. So lebet
sie ein zwiefaches Leben: das eine schweigend und wirkend in dem
stillen Schatten der nährenden Scholle und der grünenden Halmen
und das andere singend und schwebend in den reinen Regionen
einer höhern Lichtwelt. Aber beiderlei Leben ist nur eins und
innig verbunden. Das niedere verleihet ihr den Trieb sich zu er-
heben, und das höhere giebt ihr Muth und Lust zum stillen freu-
digen Wirken?
So redete der Greis. Da faßte der Sohn mit Inbrunst die
Hand des Vaters und sprach: Mch ja, mein Vater, so war dein
Leben! O möchte es uns noch lange erfreuen!'
Darauf antwortete der Greis: <Die Scholle wird mir zu
schwer! Warum wollet ihr mir das ungetheilte Leben der Voll-
endung und des unwandelbaren ewigen Lichts misgönnen!
<Der Tag wird schwül. Wohlan, laß uns zur Heimat
wandeln!'
15.
Wachlclschlag.
Volkslied.
Simrock: Die deutschen Volkslieder. Frankfurt a- M. 1851. S. 577. — Vergl. Des
Knaben Wunderhorn von Arnim u. Brentano. Heidelberg u. Frankfurt 1806. 1, 159.
Hört, wie die Wachtel im Grünen schön schlagt:
Lobet Gott, lobet Gott!
Mir kommt kein Schauer, sie sagt;
Flieget von einem ins andre grün Feld
Und uns den Reichthum der Früchte vermeldt,
Rufet zu allen mit Lust und mit Freud':
Danket Gott, danket Gott,
Der uns gegeben die Zeit!
Morgens sie ruft, eh' der Tag anbricht:
Guten Tag, guten Tag!
Wartet der Sonnen ihr Licht;
Ist sie aufgangen, so jauchzt sie vor Freud',
Schlittert die Federn und strecket den Leib,
Wendet die Augen dem Himmel hinzu:
Dank sei Gott, Dank sei Gott,
Der du mir geben die Ruh!
Blinket der kühlende Thau auf der Heid':
Werd' ich naß, werd' ich naß!
Zitternd sie balde ausschreit;
21
Flieget der Sonne entgegen und bitt,
Daß sie ihr theile die Wärme auch mit,
Laufet zum Sande und scharret sich ein:
Hartes Bett, hartes Bett!
Sagt sie und legt sich darein.
Kommt nun der Weidmann mit Hund und mit Blei
Fürcht' mich nit, fürcht' mich nit!
Liegend ich beide nicht scheu'.
Steht nur der Weizen, und grünet das Laub,
Ich meinen Feinden nicht werde zum Raub;
Aber die Schnitter, die machen mich arm:
Wehe mir, wehe mir!
Daß sich der Himmel erbarm'!
Kommen die Schnitter, so rufet sie keck:
Tritt mich nit, tritt mich nit!
Lieget zur Erde gestreckt.
Flieht von geschnittenen Feldern hindann,
Bis sie sich nirgend verbergen mehr kann,
Klaget: Ich finde kein Körnchen darin;
Ist mir leid, ist mir leid!
Flieht zu den Saaten dahin.
Ist nun das Schneiden der Früchte vorbei:
Harte Zeit, harte Zeit!
Schon kommt der Winter herbei.
Hebt aus dem Lande zu wandern sich fort
Hin zu dem andern weit fröhlichern Ort;
Wünschet indessen dem Lande noch an:
Hüt' dich Gott, hüt' dich Gott!
Flieget in Frieden bergan.
16.
Wachtelschlag.
Von Adolf Stöber.
Gedichte. Hannover 1845. S. 29.
i^lie frisch erquickt, wie frisch erquickt
Der muntre Wachtelschlag,
Wenn's auf dem Kornfeld bickberwickt
Am heißen Sommertag!
Das klingt aus voller Brust so hell
Wie sprudelnd aus dem Fels ein Quell.
*Sei wohlgemuth! sei wohlgemuth!'
Das ist der Wachtel Rath.
Brennt noch so heiß der Sonne Glut,
Nur fröhlich bei der That!
Ein fröhlich Singen spät und früh
Versüßt des Tages Last und Müh.'
22
Tf "Turnn* tutor v.«ä
Wertrau dem Herrn! vertrau dem Herrn!'
Das ist der Wachtel Ruf.
'Der Herr behütet jährlich gern
Die Saaten, die er schuf;
Und ob es donnert, blitzt und kracht,
Getrost! der Herr im Himmel wacht!'
'Gott Lob und Preis! Gott Lob und Preis!'
Das ist der Wachtel Lehr'.
'Die Felder sind zur Ernte weiß,
Gebt unserm Gott die Ehr'!
Für jede Garbe: Gott sei Dank!
Die unter eurer Sichel sank.'
'Vergeht nicht mein! vergeht nicht mein!'
Das ist der Wachtel Bitt'.
'Und räumt mir auch ein Restchen ein
Von euerm Ährenschnitt;
Vergesset nicht des Armen heut,
Wenn euch der gute Tag erfreut.'
'Behüt' euch Gott! behüt' euch Gott!'
Das ist der Wachtel Gruß.
'Es kömmt die bittre Wintersnoth,
Darum ich scheiden muß:
Der Herr bewahr' euch alle fromm,
Bis übers Jahr ich wiederkomm'.'
17.
Vor Jerusalem.
Von Schubert.
Neisestn das Morgenland. Erlangen 1838 und 33. n, 484.
Nur noch ein Abend und eine kurze Nacht, und die letzte
Tagreise sollte beginnen, deren naher Endpunkt Jerusalem war.
Die Unruhe, welche durch die Ruhe dieser letzten Nacht vor Je-
rusalem gieng, möchte ich wohl eine selige nennen: es war mir
wie einem, der im Felde der blühenden Lilien einschlief, und den
von Zeit zu Zeit der Dust der Blumen aus lieblichen Träumen
weckt und in noch lieblichere hinüberführt; oder wie einem armen
Sänger, der, mitten im Liede des Heimwehs, das seine Hand
spielte, entschlafen, sein müdes Haupt auf die Harfe legte, und
den bei jeder Bewegung das leise tönende Schwirren der Saiten
zu neuen Gedanken an das Lied vom Heimweh weckt. Du
Morgen, an welchem einst die letzte Tagreise vor dem Ein-
gang zu den Thoren des Friedens beginnen wird, mögest du mich
einfältiger, treuer, lauterer finden, als jener, an welchem ich am
letzten Tage vor dem Eingang in die Thore des irdischen Jerusalems
23
von meinem Lager aufstund; unb dennoch sei mir auch der damalige
Morgen meiner irdischen Pilgerreise gesegnet.
Wenn im Tempel des alten Jerusalems das Morgenopfer
dargebracht werden sollte, da rief der Priester dem Wächter auf
der Zinne zu: 'Fängt es an, Licht zu werden bis nach Hebron?'
Als ich auf die Terrasse bei unserm Zimmer hinaustrat an die er-
frischende Morgenluft, da rief die Wachtel in den nachbarlichen
Feldern der jungen grünen Saat ihr lautes 'Wachet auf, wachet
auf.' Aber das Sehnen nach dem Anblick der 'hochgebanten Stadt'
wachte schon lange; es wachte heute mit besonderer Kraft, und
die Worte eines Liedes des seligen Terstegen tönten in mein inneres
Ohr:
'Noch weiter!' heißt des Christen Losungswort,
Kein Pilger bleibt am fremden Ort,
Was kann die Sichtbarkeit dir geben?
Dein Heim ist Gott und ewig Leben.
Zu dem, das sein ist, sehnt der Geist sich hin;
Ach, daß ich nicht schon fertig bin.'
18.
Zu flu cht.
Bon Geibel.
Zeitstimmen 2. Aufl. Lübeck 1843. S. 29.
Per du mit Thau und Sonnenschein ernährst die Lilien auf dem Feld,
Der du der jungen Raben nicht vergissest unterm Himmelszelt,
Der du zu Wasserbächen führst den Hirsch, der durstig auf den Tod,
O gieb, du Allbarmhcrziger, auch unsrer Zeit, was ihr so noth!
Um Frieden, Frieden flehen wir, nicht jenen, der des Sturms entbehrt,
Der sicher in der Scheide Haft gefesselt hält das scharfe Schwert,
Nein, um den Frieden in der Brust, dem's mitten in der Schlacht nicht graut,
Weil auf den Felsen deines Worts mit festen Pfeilern er gebaut.
Gieb uns die Hoffnung, Herr, zu dir, die nie zu Schanden werden läßt,
Gieb uns die Liebe, die im Tod und überm Tode noch hält fest,
Gieb uns den Glauben löwcnstark, den Glauben, der die Welt bezwingt
Und auf dem Scheiterhaufen noch dir helle Jubelpsalmen singt.
Wohl sind wir sündig, arm und schwach und nimmer solcher Gnaden werth;
Doch du erbarmst dich, wo ein Herz voll Angst und Sehnsucht dein begehrt;
So hör uns denn, gleich Israel, da er dich dringend hielt umfaßt:
'Ich laß dich nicht, ich laß dich nicht, Herr, bis du mich gesegnet hast!'
Nein, du verstößest nimmermehr den, der da flüchtet in dein Haus,
Zerbrichst nicht das geknickte Rohr und lösch'st den matten Docht nicht aus,
Die Arme thust du auf und sprichst auch zn den Herzen unsrer Zeit:
'Kommt her zu mir, die ihr im Geist mühselig und beladen seid.'
24
So kommt denn all', in deren Ohr die hohe Frendcnbotschaft klang,
Die einst den Hirten auf dem Feld der Chor der Engelsstimmcn sang;
Kommt! Süßer Frieden ist in ihm, und Licht, das keinem Dunkel weicht,
Das Leben ist er, und sein Joch ist sanft, und seine Last ist leicht.
19.
Die Räuber auf der Straße nach Jericho.
Von Preiswert.
Das Morgenland. Basel 1838-43. I, 233.
Jeder kennt die Geschichte von dem barmherzigen Samariter,
welcher Nächstenliebe an dem Manne erwies, der von Jerusalem
gen Jericho gieng und unter die Mörder fiel. Aber nicht nur zu
den Zeiten Jesu und später, um 400, zu den Lebzeiten des Hie-
ronymus war jene öde, felsige Gegend der Lieblingsausenthalt von
Räubern; sondern bis auf unsere Tage ist es damit so ziemlich im
Gleichen geblieben. Nicht ohne Theilnahme vernimmt man, wie
vor nicht vielen Jahren ein schlichter deutscher Handwerker sich in
jene Gegend gewagt hat und nebst seinem Reisegefährten durch
Gott aus der mehrfach obschwebenden Todesgefahr ist gerettet
worden.
Der Mann heißt Borsum, Waus der Gegend von Hildes-
heim gebürtig und seines Berufes ein Schneider. Nicht viel über
zwanzig Jahre alt, hatte er sich auf seiner Wanderung immer tiefer
in den Osten begeben; denn seit früher Kindheit trug er ein Ver-
langen in sich, Palästina zu sehen. Er erreichte dieses Ziel seiner
Jugendsehnsucht und fühlte sich überaus glücklich in Jerusalem unter
dem gastfreundlichen Dache des Klosters St. Salvator, wo die
Geistlichen vom Orden der Franziskaner protestantischen wie katho-
lischen Reisenden eine erwünschte Unterkunft gewähren. Es ge-
nügte seinem frommen und wißbegierigen Sinne aber nicht, nur Je-
rusalem und die näheren Umgebungen gesehen zu haben; er trug
ein heißes Verlangen, auch die Gegend von Jericho, den Jordan
und das todte Meer zu sehen. In diesem Wunsche wurde er
durch einen französischen Ofsicier bestärkt, mit dem er in dem Kloster
zusammengetroffen war, und der bereits den Libanon und die oberen
Theile von Palästina bereist hatte. Dem letzter», der in den großen
Kriegen schon mancher Gefahr ins Auge gesehen, schien es über-
triebene Vorsicht, wenn die Väter im Kloster alles Ernstes von
einer solchen Unternehmung abriethen; und wie nun aller Vor-
stellungen ungeachtet der französische Ofsicier und der junge deutsche
Handwerker ohne Vorwissen der Klostergeistlichen den Abstecher
nach dem Jordan unternahmen, und welches Schicksal sie dabei
hatten, das wollen wir den schlichten Deutschen in seiner eigenen,
einfachen Weise erzählen lassen.
25
Am ersten November 1819, erzählt Borsum in seiner Reise-
beschreibung, entwarfen wir den Plan zu einer Reise nach dem
Jordan und dem todten See, zu welcher ich nicht weniger Lust
hatte, als der Officier. Die Geistlichen, denen wir unsere Absicht
mittheilten, machten uns auf die Gefahren einer solchen Unter-
nehmung aufmerksam und versicherten, daß wir diesen Ausflug
ohne Bedeckung von zwölf Reitern nicht unternehmen dürften, weil
jene Gegend außerordentlich unsicher sei. Für eine solche Bedeckung
sollten wir zwanzig Dukaten zahlen, was ich nicht konnte, der
Dfficier nicht wollte.
Nun war es aber diesem nicht möglich, den Drang seines
Herzens nach jenem Strome zu unterdrücken; darum lag er mir
immer in den Ohren und suchte mich zu überreden, die Reise dahin
mit ihm und zwar ohne Bedeckung zu wagen. Er machte mich
darauf aufmerksam, daß Gott uns auf unseren weiten Reisen in
so manchen Gefahren beigestanden, und daß überhaupt keine Gefahr
so groß sei, als man sich dieselbe vorstelle. 'Schämen müßten wir
uns,' fuhr er fort, 'wenn wir in unser Vaterland zurückkämen,
ohne den See gesehen zu haben, der Sodom's, Gomorra's, Adama's
und Zeboim's Räume bedeckt, und den Fluß, in welchem der Welt-
erlöser getauft worden ist, und welcher ein Wasser enthält, das —
nach dem Glauben seiner Kirche — eine Kraft habe, die Sünden-
vergebung denen zu verschaffen, die sich in demselben baden.'
Was den letztern Punkt anbelangt, antwortete ich, so müßte
ich ihm den Bescheid geben, daß man die Vergebung der Sünden
nicht im Jordan, sondern allein bei Christo suchen und finden
könne; die Wichtigkeit der übrigen Punkte aber sei mir sehr ein-
leuchtend. 'Es ist jedoch,' fügte ich bei, 'mein Leben mir lieber,
als das Gesehenhaben des Jordans und des todten Meeres, und
die Erhaltung desselben verlangt, daß ich nicht den letzten Groschen
für diese Reise hingebe, weshalb ich lieber von derselben abstehen
will.'
Durch diese und ähnliche Gegenvorstellungen konnte ich jedoch
den guten Mann von seinem Vorsatze nicht abbringen, vielmehr
gelang es ihm, mich zu dem Versprechen zu bewegen, die Reise mit
zu unternehmen, wenn er drei bis vier Soldaten zu unserm Schutze
auftreibe. Dies versprach er, und sofort trafen wir die erforder-
lichen Anstalten, doch so, daß die Leute im Kloster unser Vor-
haben nicht merken konnten. Den seit einigen Tagen ersparten
Wein gossen wir in einen ledernen Schlauch, und außerdem füllte
sich jeder zwei blecherne Gefäße mit Wasser an; wir versorgten
uns mit Lebensmitteln und reisten am vierten November in aller
Frühe ab, ohne von einem Klosterbewohner bemerkt zu werden.
Unsere Wohnungen, in denen wir den größten Theil unseres Gel-
des und unserer Sachen liegen ließen, hatten wir sorgfältig ver-
schlossen; die Schlüssel steckten wir ein und eilten, unsere Lebens-
26
IE»
mittet abwechselnd tragend, auf Bethanien zu, woselbst wir uns
Begleiter dingen wollten. Wir waren so glücklich, den Türken
wiederzufinden, der uns früher das Grab deS Lazarus gezeigt hatte;
dieser suchte seinen Bruder und noch einen andern Menschen auf,
und alle drei waren geneigt, uns zu begleiten.
Unsere Führer übernahmen die Lebensrnittel und geleiteten
uns über zwei hohe und steile Berge in ein angenehmes Thal, in
welchem wir ans den rechten Weg kamen. Nahe an diesem war
ein kleiner Teich, welchen eine wasserreiche Quelle tränkte. Ruhig
setzten wir unsere Wanderschaft fort, und aus meinem Herzen war
alle Furcht verschwunden, als auf einmal die Führer stehen blieben
und uns erklärten, daß sie es nicht wagen könnten, uns weiter zu
begleiten. Auf unsere Anfrage, warum sie nicht weiter mitgehn
wollten, erhielten wir die Antwort, daß in der Ebene am Jordan
und in der Nähe des todten Meeres so viele arabische Räuber
hausen, daß wir unser Leben aufs Spiel setzen würden, wenn wir
dahin reisen wollten. Dabei wurde es uns auch deutlich, daß die
guten Leute den Officier md)t. verstanden hatten, als er sie auf-
forderte, uns bis an den Jordan zu führen, und wir sahen uns
genöthigt, sie nach Auszahlung eines Tagelohns zu entlassen.
Ich wollte wieder umkehren; allein mein Gefährte bestand dar-
auf, daß er sich jedenfalls im Jordan baden müßte, und wußte
auch mich zu überreden, die Reise fortzusetzen. Er nahm seine
Karte von Palästina in die Hand und meinte, der schöne Weg,
auf welchem wir uns befanden, würde uns bis an den Jordan
führen; so verdoppelten wir unsere Schritte.
Wir waren nicht weit gegangen, als uns ein Grieche be-
gegnete, welcher neun mit Wasser beladene Esel vor sich hintrieb;
er grüßte uns freundlich und sah sich einigemale schüchtern um.
Wahrscheinlich glaubte er, daß unsere Bedeckung nachfolgen würde;
da aber dies nicht geschah, so schrie er uns nach, wir möchten
umkehren. Doch weder sein Schreien, noch seine gutgemeinten
Warnungen rührten uns, vielmehr stellten wir uns so, als hörten
wir nicht, und verfolgten herzhaft unsern Weg, der uns auf eine
ansehnliche Höhe führte. Hier erblickten wir einen fast nackten
Araber, der ans einem Steine in der Nähe des Weges saß und
seine wilden Blicke bald hierher, bald dorthin warf. Da wandelte
uns eine Furcht an; wir verließen den Weg und giengen seitwärts
in die Gebirge, in welchen wir sicherer zu sein gedachten.
Das Gebirge war steil und hoch, so daß wir hofften, vom
Gipfel desselben sowohl den Jordan als das todte Meer sehen zu
können; allein als wir nach unsäglicher Mühe den Gipfel erreicht
hatten, erblickten wir vor uns ein schreckliches Thal, hinter welchem
ein noch höheres Gebirge sich erhob. Den Gefahren dieser maje-
stätisch schauderhaften Gegend trotzend, wagten wir uns in das
Thal hinab und erklommen auch das jenseitige Gebirge; aber auch
27
dieses war nicht das letzte, und darum wurde uns fast bang zu
Muthe. Unter schrecklichen Anstrengungen war es uns gelungen,
den jenseitigen Abhang dieses Gebirges halb zu erreichen, als es
so steil und glatt wurde, daß wir uns nicht weiter hinabwagen
konnten, sondern längs desselben kümmerlich fortklettern mußten.
Das war ein Jammerpfad; denn auf der einen Seite hatten wir
einen hundert Klafter tiefen Abgrund, ans der andern aber das
steile Gebirge, dessen nackte Felsen weißen Marmorsteinen ähnlich
waren.
Um uns vor dem Schwindel zu bewahren, richteten wir unsere
Blicke unvcrrückt aus die schmale Felsenkante, welche wir verfolgten,
und dieser vielleicht nie betretene Pfad geleitete uns bis an ein
Quergebirge, über welches wir kriechend auf Händen und Füßen
gelangten und hierauf zu unserer unbeschreiblichen Freude die Ebene
des Jordans erblickten, durch welche sich dieser Fluß in mannig-
faltigen Krümmungen schlängelt. Der Weg wurde besser, und die
Hoffnung, bald am Jordan zu sein, stärkte unsere müden Füße
dermaßen,' daß wir in kurzer Zeit jene Ebene erreichten.
Da ermahnte ich meinen Gefährten, etwas Speise zu sich zu
nehmen; aber er schlug meine Ermahnungen aus und versicherte,
keinen Bissen zu essen, bevor er sich nicht im Jordan gebadet hätte.
So wichtig war mir nun freilich dieses Baden nicht, darum langte
ich von Zeit zu Zeit Speisen aus dem Sacke und aß während
des Geyens; auch stärkte ich mich durch einen Trunk Wein und
folgte muthig dem Officier, der seine Schritte nach dem Punkte
richtete, wo der Jordan in den todten See fällt.
Ich zweifelte nicht, daß wir unser Ziel glücklich erreichen wür-
den, als plötzlich vier starke Räuber auf uns zugelaufen kamen
und uns in Todesangst versetzten. Sic waren bis über die Brust
herab nackt und mit langen Messern und Gewehren bewaffnet.
Der Officier ergriff in der ersten Bestürzung die Flucht; doch
da er sah, daß die Räuber ihre Gewehre anlegten, so blieb er
stehen, und wir erwarteten unser Schicksal mit Zittern und Beben.
An eine Gegenwehr konnten wir nicht denken, weil wir unbe-
waffnet waren und außerdem noch fürchten mußten, daß die Räu-
ber sich leicht anderweitige Hülfe verschaffen könnten; darum empfahl
ich mich Gott, der alle Haare auf meinem Haupte gezählet und
von Ewigkeit her bestimmt hat, wann, wo und wie ich sterben soll,
und war gefaßt auf alles, was Gottes Weisheit mir begegnen
lassen wollte. x
Die Räuber ergriffen den armen Officier mit einer tigerartigen
Wuth und setzten ihm die Mordgewehre vor die Brust, mit der
Drohung, ihn zu erschießen. Wir überreichten ihnen sogleich alles
kleine Geld, was wir bei uns hatten, und baten um Schonung
unsers Lebens. Doch immer wüthender giengcn sie auf den Officier
los, der zitternd und bebend dastand und seinen Tod erwartete.
Was habt ihr hier zu suchen? Was wollt ihr in dieser Gegend?
Wo habt ihr euer Geld?' das waren ungefähr die Ausdrücke,
die wir verstehen konnten. Wir gaben das letzte Geld hin, welches
wir in unsern Taschen hatten; doch auch damit waren sie nicht
zufrieden, sondern einer von den Wüthrichen holte aus, um den
Osficier zu durchbohren. Da trat ich ihm gelassen entgegen und
zeigte mit meinen Händen nach oben, zu dem Richter aller Menschen,
und suchte es dem ungestümen Räuber deutlich zu machen, daß er-
den Strafen des Ewigen nicht entgehen werde; und Gott gab sei-
nen Segen dazu: die Räuber steckten ihre Waffen ein und be-
gnügten sich damit, uns zu visitieren und alles Geld, welches sie
vorfanden, sowie die Lebensmittel, welche wir bei uns hatten,
wegzunehmen. Nachdem' dieses geschehen war, so fiengen sie an,
uns menschlicher zu behandeln, ließen uns unsere, Kleider und
riethen uns umzukehren, damit uns nicht etwas Ärgeres wider-
fahre.
So stark ist unser Gott! Ein Seufzer im Glauben zu ihm,
Ein Blick auf ihn im Vertrauen — und der Tiger wird zum
Lamme.
Mir wurde dabei so wohl ums Herz, daß ich die Räuber
ersuchen wollte, uns bis zum Jordan zu begleiten; doch diesen
Vorsatz ließ ich fallen, als ich einem derselben eine Prise Schnupf-
tabak anbot und er mir die Dose ohne Umstände aus der Hand
nahm und sie einsteckte.
Darauf verließen uns die Räuber; wir aber blieben eine
ziemliche Weile ruhig stehen und überlegten, was nun zu thun sei.
Ich hatte Muth, zum Jordan zu gehen; allein den Officier hatte
der Schrecken so verzagt gemacht, daß er das Baden im Jordan
sich aus dem Sinne schlug und nur den einen Wunsch hegte, in
die Gebirge zu eilen, wo er Sicherheit zu finden glaubte.
Ich hatte mir während dieser Vorgänge die Jordangegend ein
wenig betrachtet. Aus dem Jordan, der nach meinem Augenmaße
in dieser Gegend etwa fünfzig Schritte breit ist, bemerkte ich keine
Schiffahrt, keine Brücke. So weit das Auge reichte, entdeckte ich
weder ein Dorf noch urbares Land, und es war mir so wehe, daß
diese gesegnete Gegend jetzt ein Aufenthalt wilder Räuber ist. Eine
Heerde von Kamelen, die wir nach einiger Zeit erblickten, machte es
uns deutlich, daß die räuberischen Araber außer ihren Diebereien auch
Viehzucht betreiben und dadurch gleichsam das Recht, hier wohnen
zu dürfen, aufrecht erhalten.
Als wir auf unserm Rückwege einige unbedeutende Gebirge
überstiegen hatten, so fanden wir in einem Thäte einen wüsten
und fast ungangbaren Fußsteig. Eine Todtenstille herrschte in dieser
merkwürdigen Gegend, und mein Begleiter fieng an, den heftigsten
Hunger und Durst zu fühlen; leider hatten uns die Räuber kein
bißchen Brot gelassen, und die Hoffnung, in dieser Wüste einige
Nahrungsmittel aufzufinden, mußten wir ebenfalls aufgeben.
Ermüdet durch die Anstrengung und zerrüttet durch die Lebens-
gefahr, in welcher wir gewesen waren, setzten wir uns ein Weilchen
nieder und sammelten einige Kräfte. Sodann überstiegen wir ein
hohes Gebirge, auf dessen Gipfel wir den schönen Lauf des Jor-
dans und das todte Meer recht deutlich übersehen konnten. Es
führte aber unser Weg, der gar nicht derselbe war, auf welchem
wir hergekommen, auf eine Ebene, in welcher wir einen Fußweg
fanden, den wir eine Zeit lang verfolgten. Da begegnete uns eine
Frau und ein Knabe, die einige mit Wasser beladene Esel vor sich
hertrieben und, als sie unser ansichtig wurden, schnell seitwärts
schwenkten, um uns zu entgehen. Wir riefen ihnen nach, daß sie
sich nicht fürchten, sondern stehen bleiben und uns zu trinken geben
möchten, und Gott lenkte ihre Herzen, daß sie stehen blieben, und
unser Durst wurde durch ihre Milde gestillt. Mir war etwas
kleines Geld, welches ich nebst drei Dukaten in der Uhrtasche meiner
Beinkleider aufbewahrt hatte, geblieben, und ich freute mich sehr,
daß ich der guten Frau das uns so köstlich labende Wasser be-
zahlen konnte. Es mochten aber die beiden Leutlein niemals einen
europäischen Anzug gesehen haben; darum staunten sie uns mit
einer solchen Verwunderung an, als wären wir Wesen aus einer
andern Welt.
Wir waren eine nicht lange Zeit gegangen, als wir in die
Nähe eines Dorfes kamen, in welchem wir Menschen wahrnahmen;
doch die Furcht, von diesen Leuten mishandelt zu werden, lenkte
unsern Gang links ab in ein Thal, durch welches ein Bach floß,
und wir mußten wegen seiner steilen User lange suchen, ehe wir
eine Stelle fanden, wo wir hinübersteigcn konnten. Plötzlich er-
schien ein Mann, der uns nachrief, daß wir stille halten sollten;
aber wir stellten uns, als hörten wir sein Rufen nicht. Doch alle
unsere Vorsicht half uns nichts, weil wir bald drei andere Männer
erblickten, die uns mit starken Schritten entgegen kamen und unser
Geld verlangten. Wir suchten es ihnen deutlich zu machen, daß
uns in der Nähe des Jordans Räuber völlig ausgeplündert hätten;
allein sie ließen sich damit nicht abweisen, sondern visitierten uns
durch und durch, so daß selbst unsere Schuhsohlen nicht unver-
schont blieben. Dann zogen sie ihre Messer heraus und schnitten
sechs Knöpfe von meinem Oberrocke ab, in der Meinung, daß
Gold hineingenähet wäre; da sie aber in den Knöpfen nur preußische
Kupferpfennige fanden, die sie nicht kannten, so nahmen sic bloß
unsere Schlüssel, nachdem sie uns die Kleider, die sie bereits zu sich
genommen, wieder zurückgegeben hatten, weil sie dieselben für sich
unbrauchbar finden mochten. Darauf drangen sie von neuem in
uns, ihnen Geld zu schaffen, wobei sie bemerkten, daß Leute, die
sich auf so weite Reisen machen, auch Geld bei sich haben müßten.
Wir forderten sie auf, uns nach Jerusalem zu begleiten, wo wir
Geld hätten; doch davon wollten sie nichts hören, sondern quälten
uns wohl zwei Stunden lang, bis sie endlich des vergeblichen
Quälens müde wurden und sich entfernten.
Zweimal hatten wir heute erfahren, daß die Wüste zwischen
Jerusalem und Jericho jetzt vielleicht noch unsicherer ist, als sie in
den Zeiten Jesu war, obgleich sie ihm schon damals Veranlassung
gab zu der Geschichte von dem barmherzigen Samariter. Zwar
war es uns beiden so traurig nicht ergangen, wie jenem unglück-
lichen Reisenden, denn auch die letzten Räuber hatten z. B. trotz
des strengsten Nachsuchens mein Uhrtäschchen nicht entdeckt; aber
es kam uns auch kein barmherziger Samariter entgegen, der uns
den richtigen Weg nach Jerusalem gezeigt hätte. Diesen hatten
wir leider ganz verloren und wußten nicht, ob wir zur Rechten oder
Linken gehen sollten.
Die Sonne war untergegangen, und der Mond begann sein
mattes Licht über die Gebirge zu verbreiten, die vor uys lagen.
Vergebens suchte der Officier mittels seiner Karte sich zu orientieren;
wir blieben in der Irre und wurden von Hunger und Durst, von
Müdigkeit und Furcht gleich stark gefoltert. Dessenungeachtet faßten
wir den Entschluß, die Nacht hindurch zu reisen, um die mit Räu-
bern angefüllte Gegend vor Tagesanbruch hinter unsern Rücken
zu bringen. Doch die uns immer steiler entgegentretenden Gebirge
hemmten unsere Schritte, und jedes leichte Geräusch durchzuckte
unsere Glieder mit namenloser Furcht. Ein kleiner rauschender
Fluß, welcher sich durch ein schauderhaftes Thal hinzog, versetzte
uns in große Verlegenheit, und die jenseitigen Felsen, die sich wie
verschiedene Gebäude formten, machten uns glauben, es stehe dort
ein Dorf.
Endlich fanden wir einen Ort, wo es uns möglich wurde,
über den wilden Bach zu kommen, Und nachdem wir durch sein
köstlich schmeckendes. Wasser unsern brennenden Durst gelöscht
hatten, begannen wir unser mühsames und gefährliches Klettern
über Berge und durch Thäler von neuem. Unsere Kleider waren
vom heftigsten Schweiße durchnäßt; denn auch die Nacht war
warm, ja wärmer, als in Deutschland die Nächte in der Ernte-
zeit sind. Doch die Furcht machte unsere Füße leicht, und wir
giengen immer vorwärts.
' Das zarte Morgenroth verkündete uns durch seinen milden
Gruß das baldige Erscheinen der Sonne; aber noch mußte der
Scheitel eines Riesenberges erklommen werden, ehe wir nach unserer
Meinung Jerusalems Türme erblicken konnten. Ich weigerte mich
weiterzugehen, ohne vorher eine Stunde geruht zu haben; allein
der Officier meinte, daß dieser Berg der Ölberg sei, der ja bald
überstiegen sein würde, und dann könnte ich in Jerusalem in meinem
Bette weit bequemer ruhen. Daß aber dieser Berg nicht der Ol-
bcrg sein könne, war mir anschaulich; da ich jedoch dem Officier
die Hoffnung, welche ihn stärkte, die schroffe Höhe mit Muth zu
ersteigen, nicht nehmen wollte, so folgte ich ihm schweigend, und
ehe wir den Gipfel erreichten, kam die Sonne aus ihrer Kammer
hervor und verbreitete den schönen Tag über Iudäa's Gebirge.
Aber ach! anstatt Jerusalem vor uns zu sehen, erblickten wir
das todte Meer und waren sonach auf dem Gebirge, welches nörd-
lrch der Mündung des Kidrons an dem See gelegen ist. Mittels
der Karte konnten wir uns einigermaßen zurechtfinden und er-
kannten in dem nördlich sich hoch erhebenden Berge den Berg der
Versuchung oder Quarantania (Matth. 4, 2 und 8), in dem uns
gegenüber jenseit des todten Meeres liegenden Gebirge aber das
Gebirge Abarim, dessen nördlichen Endpunkt der Berg Nebo bildet.
Den Ort, wo wir gestern waren von den Räubern überfallen
worden, konnten wir deutlich sehen, und es bemächtigte sich unser
ein abermaliger Schrecken. Wir sahen nunmehr ein, daß wir
kreisförmig herumgegangen und zweimal über den Kidron ge-
kommen waren, ohne unsern Krebsgang inne zu werden.
Nachdem wir die Gegend hinlänglich betrachtet hatten, machten
wir uns auf den Rückweg, und die Furcht vor Räubern stärkte
uns dermaßen, daß wir in kurzer Zeit einige gefahrvolle Berge
überstiegen und in ein merkwürdiges Thal kamen. Ringsherum
erhoben sich steile Felsen, die sich nach oben hin mannigfaltig
formten, nach innen aber abgerundet und sehr glatt waren und
unten eine Menge Höhlen enthielten, so daß das Ganze einer ent-
setzlich großen Rotunde glich, in deren Seitenwänden unzählige
Gewölbe und Grotten sich befanden. Sehr wahrscheinlich dient
das seltsame Thal den räuberischen arabischen Hirten zum besondern
Aufenthalt; wenigstens kam ich auf diese Muthmaßung dadurch, daß
ich viele Spuren von Schafen in demselben wahrnahm. Wir
hatten nicht das Herz, eine von den unzähligen Höhlen, zu unter-
suchen, sondern erwählten einen Punkt, der uns zum Überklettern
möglich schien,, und obgleich dies Klettern äußerst gefahrvoll war,
so gelang eS uns doch, über die steile Höhe glücklich hinwegzu-
kommen, und wir fanden auf der andern Seite ein anmuthiges
Thal, in welchem wunderschöne wilde Blumen wuchsen, von denen
ich jedoch nur den wilden Rosmarin kannte.
Nun drang ich auf Ruhe und legte mich nieder. Der Officier
setzte sich nach langem Hin- und Hergehen auf den blumenreichen
Boden nieder, auf welchem ich sanft einschlief. Nach etwa zwei
Stunden weckte mich mein Gefährte, den die Furcht nicht hatte
schlafe,! lassen, wieder auf, und wir setzten unsern Weg weiter
fort, bis wir an einen Bach kamen, dessen klar und sanft dahin-
fließendes Wasser uns trefflich zu statten kam. Die Üfer waren
mit Salbei, wildem Rosmarin und vielen anderen Blumen ge-
schmückt.
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Nicht achtend des Hungers und der drückenden Hitze, giengen
wir den ganzen Tag über recht tapfer, und es begegnete uns auf
dem ungebahnten Wege kein lebendiges Wesen. Gegen acht Uhr-
abends erreichten wir abermals ein liebliches Thal, welches sich im
Mondenschein noch schöner gestaltete. Der Officier glaubte in
der Nähe von Bethanien zu sein und in diesem Thale den Brun-
nen zu finden, welchen wir auf unserm Hinwege in Begleitung
der drei Männer aus Bethanien gesehen hatten, und sein bren-
nender Durst trieb ihn an, den Brunnen aufzusuchen. Ich wider-
setzte mich diesem Vorhaben aus allen Kräften und bewirkte endlich,
daß er sich an meiner Seite niederlegte. Ein jeder erwählte einen
Stein zum Kopfkissen; ich schlief bald ein und erwachte erst um
Mitternacht wieder. Wie groß war aber mein Schrecken, als ich
beim Erwachen den Officier nicht mehr fand und alles Suchens
und Rufens ungeachtet ihn in dem weitläufigen Thale nicht wie-
der auffinden konnte. Unter tausend bangen Vorstellungen gieng
ich wohl zwei Stunden aus und ab und mußte endlich die Hoff-
nung, ihn in dieser Wüste wiederzufinden, aufgeben. Schauder-
hafter als je wurde mir in meiner Einsamkeil zu Muthe; die Berge,
welche das Thal einschlössen, schienen mir nur Unglück zu ver-
kündigen.
Aus einem Berge, der gerade vor mir lag, erblickte ich die
Ruinen einer ehemaligen Stadt; aber es war nicht möglich, diese
Ruinen zu untersuchen, vielmehr fand ich es am rathsamsten, mei-
nen Weg über etwas sanftere Berge unverzüglich einzuschlagen,
um der Stadt Jerusalem noch in der Dunkelheit eine Strecke
näher zu kommen. Nach einem hell leuchtenden Stern richtete ich
meinen Gang und gelangte auf einen Weg, der mich in die Nähe
eines Dorfes brachte, aus welchem sieben Eseltreiber mir entgegen-
kamen. Mir blieb nichts übrig, als mein Leben aufs Spiel zu
setzen und den Männern ruhig entgegen zu gehen. Freundlich be-
grüßte ich sie und wurde hoch erfreut, als sie meinen Gruß mit
einem friedlichen Danke aufnahmen und mir andeuteten, daß sie
das Holz, womit ihre Esel beladen waren, nach Jerusalem bringen
wollten. Ich bat sie herzlich, mich mitzunehmen, und sie willigten
in meine Bitte ein. Wie wohl mir dabei zu Muthe war, und
wie innig ich Gott dankte, daß er mich in eine Gesellschaft christ-
licher Leute geführt hatte, das kann ich nicht aussprechen.
Auf mein Ersuchen ließen mir die guten Leute auch Brot
und Feigen ab, womit ich meinen quälenden Hunger stillte und
Kräfte erhielt, die Reise frisch fortsetzen zu können, und schon beim
Aufgang der freundlichen Sonne befanden wir uns vor dem
Thore Jerusalems, welches nach Damaskus führt. Sofort gieng
ich in ein Kaffeehaus und wechselte einen Dukaten, damit ich mei-
nen Begleitern das Brot und die Feigen bezahlen und ihnen auch
ein Trinkgeld geben konnte; mich selbst aber stärkte ich durch einen
guten Kaffee und begab mich sodann ins Kloster. Da ich aber in
demselben den Officier nicht vorfand, so entstand eine allgemeine
Bestürzung, und alle gaben den lieben Mann für verloren.
In meiner Wohnung, die mir ein Schlosser öffnen mußte,
ruhete ich einige Stunden. Da erschien zu unserer allgemeinen
Freude um ein Uhr nachmittags der Officier in Begleitung eines
Bauers. Eine Todtenblässe lag auf seinem Gesichte, und eine un-
widerstehliche Mattigkeit warf ihn sofort aufs Bett, welches er noch
am folgenden Tage nicht verließ.
Wie ich's gedacht hatte, so war es geschehen. Der Officier
hatte sich, während ich in jenem Thale schlief, von mir entfernt,
um Wasser zu suchen, und aller Mühe ungeachtet war es ihm
nicht möglich gewesen, mich wiederzufinden. Gegen meinen Willen
ersetzte mir der gute Mann die Hälfte meines erlittenen Schadens,
weil er sich als Ursache meines Verlustes anklagte. Ich aber
freute mich, daß uns Gott aus diesen schrecklichen Gefahren gehol-
fen hatte.
Die Geistlichen staunten nicht wenig, als sie erfuhren, was
wir gewagt hatten, und was uns aus dieser Reise begegnet war.
Dabei ließen sie es an Vorwürfen nicht fehlen, daß wir ihren
Ermahnungen nicht gefolgt waren und ihren gut gemeinten Vorstel-
lungen kein Gehör gegeben hatten.
20.
Kreiygefang.
Aus Novalis' Heinrich von Ofterdingen.
Schriften, Hrsg, von Tieck und Schlegel, 4. Aufl. Stuttgart 1837. I, 105.
§as Grab steht unter wilden Heiden;
Das Grab, worin der Heiland lag,
Muß Frevel und Verspottung leiden
Und wird entheiligt jeden Tag.
Es klagt heraus mit dumpfer Stimme:
Wer rettet mich von diesem Grimme?
Wo bleiben seine Heldcnjiingcr?
Verschwunden ist die Christenheit!
Wer ist des Glaubens Wiederbriuger?
Wer nimmt das Kreuz in dieser Zeit?
Wer bricht die schimpflichsten der
Ketten
Und wird das heil'ge Grab erretten?
Gewaltig geht auf Land und Meeren
In tiefer Nacht ein heil'ger Sturm;
Die trägen Schläfer aufzustören,
Umbraust er Lager, Stadt und Turm,
Colshorn u. Gocdeke's Lesebuch 11.
Ein Klaggeschrei um alle Zinnen:
<Anf, träge Christen, zieht von hinnen!'
Es lassen Engel aller Orten
Mit ernstem Antlitz stumm sich sehn,
Und Pilger sicht man vor den Pforten
Mit kummervollen Wangen stehn;
Sie klagen mit den bängsten Tönen
Die Grausamkeit der Sarazenen.
Es bricht ein Morgen, roth und
trübe,
Im weiten Land der Christen an.
Der Schmerz der Wchmuth und der
Liebe
Verkündet sich bei jedermann.
Ein jedes greift nach Kreuz und
Schwerte
Und zieht entflammt von seinem Herde.
3
Ein Feuereifer tobt im Heere,
Das Grab des Heilands zu befrein.
Sie eilen fröhlich nach dem Meere,
Um bald auf hcil'gem Grund zu sein.
Auch Kinder kommen noch gelaufen
Und mehren den geweihten Haufen.
Hoch weht das Kreuz im Siegst
paniere,
Und alte Helden steh-n voran;
Des Paradieses sel'ge Thüre
Wird frommen Kriegern aufgethan;
Ein jeder will das Glück genießen,
Sein Blut für Christus zu vergießen.
Zum Kampf, ihr Christen! Gottes
Scharen
Ziehn mit in das gelobte Land;
Bald wird der Heiden Grimm erfahren
Des Christengottes Schreckenshand.
Wir waschen bald im frohen Muthe
Das heil'ge Grab mit Heidenblute.
Hinüber zu der hcil'gcn Stätte!
Des Grabes dumpfe Stimme tönt!
Bald wird mit Sieg und mit Gebete
Die Schuld der Christenheit versöhnt.
Das Reich der Heiden wird sich enden,
Ist erst das Grab in unsern Händen!
21.
Jerusalems Eroberung durch Gottfried von Bouillon.
Von Becker.
Weltgeschichte 7. Aufl. Berlin 1836-1838. V, 19.
Im Mai 1099 gicng der Zug der Kreuzfahrer von Antiochien
aus zwischen dem Libanon und der Seeküste weiter und kam den
sechsten Junius über Namla und Emaus auf eine Anhöhe, von der
man Jerusalem gerade vor sich liegen sah. Freudenthränen stürzten
den abgezehrten Kriegern bei diesem Anblick aus den Augen; sie
fielen alle auf die Knie und erhuben Lobgesänge; alle bisher aus-
gestandenen Leiden waren um dieses Preises willen vergessen. In-
des war die Stadt bei ihrer sehr festen Lage nicht so leicht ein-
genommen. Es lag eine Besatzung von vierzigtauseud Mann darin,
wahrend die Kreuzfahrer, welche sie erobern wollten, nur zwanzig-
tausend Fußgänger und eintausend und fünfhundert Reiter zählten
und gar keine Belagerungswerkzenge mit sich führten. Aber der
glühende Religionseifer machte auch den kleinen Hagfen unbe-
zwinglich, und das Feldgeschrei <Gott will es!' begeisterte sie vor
den Thoren Jerusalem's ebenso feurig, als vor drei Jahren
ans dem Felde vor Clermont, da sie das Kreuz empfiengen. Biele
Kreuzfahrer zerstreuten sich, um Lebensmittel und die in der holz-
armen Gegend sehr seltenen Bäume zur Erbauung der Kriegs-
maschinen und Sturmleitern zusammen zu suchen. Diese fand
man in einem Gehölz nahe bei Bethlehem und fertigte in kurzer
Zeit viele Belagerungswerkzenge aller Art daraus. Schlimmer
war ein furchtbarer Wassermangel. Bei allen Quellen und Brun-
nen, welche nicht verstopft waren, lauerten versteckte Sarazenen,
und jeder Trunk Wassers mußte mit Blut erkauft werden. Oft
erhuben die Christen unter einander selbst blutige Streitigkeiten
darum. Ganze Heerden der Lastthiere starben vor Durst, und
ihre faulenden Körper verpesteten die Luft. Der Hunger, den die
35
^^euzfahrer vor und in Antiochien ausgestanden hatten, schien ihnen
weniger schrecklich, als dieser Durst vor der heiligen Stadt in der
brennendsten Hitze des Sommers, und bald gesellte sich zu dieser
Noth auch Mangel an Lebensmitteln. In dieser äußersten Be-
drängnis erschien eine genuesische Flotte im Hafen von Joppe und
brachte nicht nur Lebensmittel, sondern auch Werkzeuge und treff-
liche Zimmerleute zum Bau des Belagerungswerkzeuges, welcher
dadurch nicht wenig gefördert ward. Da man nun durch einen
gefangenen Boten erfuhr, daß in vierzehn Tagen ein großes
ägyptisches Heer zum Entsatz Jerusalem's herankommen werde, so
wurde am vierzehnten Julius ein allgemeiner Sturm gewagt, aber
von den Belagerten muthig zurückgeschlagen. Am folgenden Tage
wurden die Mauern mit erneuerter Heftigkeit angegriffen, die
äußere genommen, die innere aus dem Bclagerungsturme Herzog
Gottfried's von diesem und seinen Begleitern zuerst betreten. Die
Herabgestiegenen öffneten sogleich ein Thor, und mit dem Geschrei
*Gott hilf! Gott will es!' drangen die Wallbrüdcr in die Stadt,
durch deren Straßen die Ungläubigen in herber Todesangst flohen.
Nicht die Rache allein, auch der Glaube, jetzt zur Ehre Gottes das
Schwert zu führen, machte die Sieger zu reißenden Tigern. Ein
Blutbad, wie es Karthago kaum gesehen, erhob sich hier. Viele,
nicht zufrieden, das Blut der Ungläubigen fließen zu sehen, tödteten
sie unter Martern. In Omar's Moschee, wo Tausende von Sa-
razenen Sicherheit gesucht hatten, metzelte man, bis das Blut die
Treppe hinabrieselte, bis der Dunst der Leichname die Sieger be-
täubte und forttrieb. Die Bente, die man dort fand, war uner-
meßlich. Dann wurden die Juden in ihre Synagoge getrieben
und mit ihr verbrannt. In einzelne kleine Haufen getheilt, stürzten
sich die Pilger durch die Straßen. Kein Haus blieb unerbrochen;
weder Greise, noch Weiber, noch Kinder wurden verschont. Von
vierzig- oder gar siebzigtausend Einwohnern Jerusalem's blieben
nicht so viele am Leben, als nöthig waren, ihre Glaubensgenossen
zu beerdigen. Nur die kleine Besatzung einer Burg, der Turm
David's genannt, erhielt vom Grafen Raimund von Toulouse
freien Abzug. Und dieselben Menschen, welche alle diese Greuel
verübt, zogen, nachdem sie sich vom Blute der Erschlagenen ge-
reinigt hatten, zur Auferstehungskirche, warfen sich mit inbrünstiger
Andacht betend an der heiligen Stätte nieder und dankten Gott
mit Freudenthränen und Lobgesängen. Aber auch jene furchtbaren
Leichenhaufen däuchten viele ein Gott wohlgefälliges Opfer. So
nahe berühren sich oft das Gute und das Böse im Menschen, und
so leicht kann aus den heiligsten Gefühlen das Teuflische empor-
keimen, wenn der Mensch nicht trachtet, es in den betrüglichen
Gestalten, unter welchen es sich einzuschleichen sucht, zu erkennen
und abzuwehren.
Aber obgleich das große Ziel nun erreicht war, so hatten doch
3*
36
die Kreuzfahrer noch alles zu fürchten von den ihnen, im Rücken
liegenden Seldschucken und von dem Kalifen von Ägypten, ja
von der Zwietracht ihrer eigenen Häupter. Darum wurden die
Fürsten bald darüber einig, daß einem von ihnen als Könige die
Beschirmung und Verwaltung anzuvertrauen sei. Die Wahl fiel
nach manchen Beratschlagungen ans Gottfried von Bouillon, der
vermöge seiner Größe und seiner ruhigen Selbständigkeit dieser
hohen Stellung würdig war. Doch weigerte sich sein bescheidener
Sinn, da eine goldene Krone zu tragen, wo der Heiland der Welt
unter einer Dornenkrone geblutet habe; er lehnte den königlichen
Titel ab und nannte sich nur Beschützer des heiligen Grabes.
Unmittelbar nach seinem Entstehen drohte dem neuen Staate
eine große Gefahr; denn schon im August 1099 nahete sich ein
ägyptisches Heer, nach den geringsten Angaben hundertundvierzig-
tausend Mann stark, um das verlorne Land wieder zu gewinnen.
Kaum den siebten Theil dieser Macht vermochte ihr Gottfried ent-
gegenzustellen; dennoch errang seine Tapferkeit und Klugheit den
Sieg in der Schlacht bei Askalon. Leider starb der treffliche Mann
schon den achtzehnten August 1100 und überließ die von den
Türken unaufhörlich beunruhigte Herrschaft seinem Bruder Balduin,
der zuerst den königlichen Titel annahm.
22.
Gespräch: Sanct Peter mit dem faulen Baurrknecht.
Von Hans Sachs.
Auswahl von Göz. Nürnberg 1829 und 30. II, 94. (Gekürzt.)
Mun höret wunderseltsam Ding.
Weil noch der Herr auf Erden gieng,
Mit Petro kam an ein Wegschcid;
Da wußten sie nit alle beid,
Welches wäre die rechte Straß.
Nun ein hoher Birnbaum was
Bei der Wegscheid an einem Rain,
Darunter lag im Schatten allein
Ein Bauerknecht, der nit möcht dienen,
Der war erzfaul und that auch gienen.i)
Der Herr ihn fraget aller Ding,
Welcher Weg gen Jericho gieng.
Der faule Schlüssel, Lecker und Bub
Den einen Fuß in die Höhe hub
Und zeigt ihm dort ein ödes Haus
Im Feld: 'Da müßt ihr gehn hin-
aus.'
Nachdem- der Faul sich dehnt und
streckt,
Mit seinem Hut das Haupt bedeckt
Und schlief und schnarchte wie ein Gaul ;
Denn er war nichts werth und erzfaul.
Nachdem giengcn sie hin beisand 2)
Und wurden wieder irr im Land,
Kamen an eines Dorfes Acker,
Da schnitt ein Baucrmagd gar wacker,
Der Schweiß ihr übers Antlitz rann.
Der Herr redet sie freundlich an:
'Mein Tochter, gehn wir recht also
Hin in die Stadt gen Jericho?'
Die Magd die saget mit Verlangen:
'Ihr seid weit von dem Weg irr gan-
gen -'
Und leget flugs die Sichel nieder,
Lief mit ihnen ein Feldwegs lvieder
Und führt sie auf die rechten Straß;
Nachdem sich wieder wenden was
Und lief eilend, hurtig und wacker
Wieder zu schneiden auf den Acker.
Sanct Peter sprach: D Meister mein,
1) gähnen. 2) zusammen.
37
Ach bitt dich durch die Güte dein,
Diese Gutthat du wieder ehr:
Der endlichen 3) Magd bescher
Ein endlichen 3) und frommen Mann,
Mit dem sic sich ernähren kann.'
Da that der Herr zu Petro sehen:»)
'Den faulen Schelm, den du gesehen
Am Baume bei der Wcgescheid,
Der wird zutheil der fleißgen Maid,
Da muß ihr Zeit verzehren mit.'
Sanct Peter sprach: <Das wöll Gott
nit!
O Herr, das wär ja Jammerschad;
Ich bitt dich, Herr, sie baß begnad,
r^aß dieser Gutthat sie genießen!'
Der Herr antwortet mit Verdrießen:
'O Petre, du verstehst sein nicht,
Warum solche Heirath geschicht:
Die Magd den Schlüffel muß
nähren,
Auf daß auch er hinkomm mit Ehren,
Sonst würd dem Galgen er zutheil.
Auch würde sonst zu stolz und geil
Die Magd bei einem fleißgen Mann;
Drum henk ich ihr den Schlüffel an,
Daß sie hat zu schwimmen und waten,
So thut es beiden'zu gut gerathen.'
Die Heirath sei bös oder gut,
Gott alles doch am besten thut.
Daß nach Gottes Willen aufwachs
Der ehlich Stand, das wünscht Hans
Sachs.
23.
Warum die Blätter der Espe immer taumeln und
baumeln müssen.
Studien. Pesth 1844. 6 Bde.
Von Stifter.
4. Ausl. 1855. — Stereotypausg. 1873. I, 181.
Es sind da zwei Meinungen; ich will sie euch beide sagen.
Meine Großmutter, als ich noch ein kleiner Knabe war, erzählte
mir, daß, als noch der Herr aus Erden wandelte, sich alle Bäume
vor ihm beugten, nur die Espe nicht; darum wurde sie gestraft
mit ewiger Unruhe, daß sie bei jedem Windhauche erschrickt und
zittert, wie jener ewige Jude, der nie rasten kann, so daß die Enkel
und Urenkel jenes übermüthigen Baumes in alle Welt gestreut
sind, ein zaghast Geschlecht, ewig bebend und flüsternd in der
übrigen Ruhe und Einsamkeit der Wälder. Darum schaute ich als
Knabe jenen gestraften Baum immer mit einer Art Scheu an,
und seine ewige Unruhe war mir wie Pein. Aber einmal, es war
am Nachmittag eines Pfingstsonntags vor einem Gewitter, sah ich
(ich war schon ein erwachsener Mann) einen ungemein großen
Baum dieser Art auf einer sonnigen Waldblöße stehen, und alle
seine Blätter standen stille; sie waren so ruhig, so grauenhaft un-
beweglich, als wären sie in die'Luft eingemauert und sie selber
zu festem Glase erstarrt — es war auch im ganzen Walde kein
Lüftchen zu spüren und keine Vogelstimme zu hören, nur das Gesum-
me der Waldfliegen gieng um die sonnenheißen Baumstämme herum.
Da sah ich mir denn verwundert den Baum an; und wie er mir
seine glatten Blätter wie Herzen entgegenstreckte ans den dünnen,
langen, schwanken Stielen, so kam mir mit eins ein anderer Gedanke.
Wenn alle Bäume, dacht' ich, sich vor dem Herrn geneigt haben,
so that es gewiß auch dieser nebst seinen Brüdern; denn alle sind
3) fleißigen. 4) sagen.
seine Geschöpfe, und in den Gewächsen der Erde ist kein Trotz
und kein Laster, wie in den Menschen, sondern sie folgen einfältig
den Gesetzen des Herrn und gedeihen nach ihnen zu Blüte und
Frucht; darum ist nicht Strafe und Lohn für sie, sondern sie sind
von ihm alle geliebt, und das Zittern der Espe kommt gewiß nur
von den gar langen und feinen Stielen, auf die sie ihre Blätter
wie Täfelchen stellt, daß sie jeder Hauch lüftet und wendet, worauf
sie ausweichen und sich drehen, um die alte Stellung wieder zu
gewinnen. Und so ist es auch; denn oft hab' ich nachher noch
ganz ruhige Espen an windstillen Tagen angetroffen und darum
an andern, wo sie zitterten, ihrem Geplauder mit Vorliebe zuge-
hört, weil ich es gut zu machen hatte, daß ich einst so schlecht
von ihnen gedacht. Darum ist es aber auch ein sehr feierlicher
Augenblick, wenn selbst sie, die so leichtfertige, schweigt; es geschieht
meistens vor einem Gewitter, wenn der Wald schon harret auf
die Stimme Gottes, welcher kommen und ihnen Nahrung herabschüt-
ten wird.
24.
Die Sprache und ihre Kehrer.
Bon Nückert.
Gesammelte Gedichte. Bd. IV. Erlangen 1837. S. 231. — Werke. Frankfurt a. M. 1868
und 1869. VII, 18.
Die Sprache gieng durch Busch und Gehege,
Sie bahnte sich ihre eigenen Wege.
Und wenn sie einmal verirrt' im Wald,
Doch fand sie zurecht sich wieder balo.
Sie gieng einmal den gebahnten Steg,
Da trat ein Mann ihr in den Weg.
Die Sprache sprach: Wer bist du, Dreister?'
Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister.'
Die Sprache dacht' in ihrem Sinn:
Win ich nicht selber die Meisterin?'
Aber sie ließ es sich gefallen,
Ein Streckchen mit ihrem Meister zu wallen.
Der Meister sprach in einem fort,
Er ließ die Sprache nicht kommen zum Wort.
Er hatt' an ihr gar manches zu tadeln,
Sie sollte doch ihren Ausdruck adeln.
Die Sprache lächelte lang' in Huld,
Endlich kam ihr die Ungeduld.
Da fieng sie an, daß es ihn erschreckte,
Zu sprechen in einem Volksdialekte.
Und endlich sprach sie gar in Zungen,
Wie sie vor tausend Jahren gesungen.
Sie konnt' es ihm am Maul ansetzn,
Daß er nicht möcht' ein Wort verstehn.
Sie sprach: Wie du mich siehst vor dir,
39
Gehört das alles doch auch zu mir;
Das solltest du doch erst lernen fein,
Eh du wolltest mein Lehrer sein.'
Drauf giengen sie noch ein Weilchen fort,
Und der Meister führte wieder das Wort.
Da kamen sie, wo sich die Wege theilten,
Nach jeder Seit' aus einander eilten.
Die Sprache sprach: 'Was räthst nun du?'
Der Meister sprach: 'Nur gerade zu!
Nicht rechts und links nicht ausgeschritten;
Immer so fort in der rechten Mitten!'
Die Sprache wollt' einen Haken schlagen,
Der Meister packte sie beim Kragen:
'Du rennst mein ganz System iibern Haufen,
Wenn du willst in die Irre laufen.'
Die Sprache sprach: 'Mein guter Mann,
Was geht denn dein System mich an?
Du deutest deu Weg mir mit der Hand,
Ich richte mich nach der Sonne Stand;
Und wenn die Stern' am Himmel stehn,
So lassen auch die mich nicht irre gehn.
Macht ihr nur keinen Dunst mir vor,
Daß ich sehn kann den ewigen Chor.
Doch daß ich jetzo mich links will schlagen,
Davon kann ich den Grund dir sagen:
Ich war heut' früh rechts ausgewichen,
Uud so wird's wieder ausgeglichen.'
25.
Lcfstng an seine Schwester.J)
Sämmtliche Schriften, herausg. von Lachmann. Berlin 1838—40. XU, 1.
Geliebte Schwester!
Ich habe zwar an Dich geschrieben, allein Du hast nicht ge-
antwortet. Ich muß also denken, entweder Du kannst nicht
schreiben, oder Du willst nicht schreiben. Und fast wollte ich das
erste behaupten. Jedoch will ich auch das andere glauben: Du
willst nicht schreiben. Beides ist strafbar. Ich kann zwar nicht
einsehn, wie dieses beisammen stehn kann: ein vernünftiger Mensch
sein, vernünftig reden können und gleichwohl nicht wissen, wie
man einen Brief aussetzen soll. Schreibe, wie du redest, so schreibst
Du schön. Jedoch hätte auch das Gegentheil statt,. man könnte
vernünftig reden, dennoch aber nicht vernünftig schreiben; so wäre
es für Dich eine noch größere Schande, daß Du nicht einmal so
1) Als L. den folgenden Brief schrieb, war er noch nicht volle fünfzehn Jahre alt.
40
viel gelernet. Du bist zwar Deinem Lehrmeister sehr zeitig aus
der Schule gelaufen, und schon in Deinem zwölften Jahre hieltest
Du es für eine Schande, etwas mehreres zu lernen; allein wer
weiß, welches die größte Schande ist: in seinem zwölften Jahre
noch etwas zu lernen, oder in seinem achtzehnten oder neunzehnten
noch keinen Brief schreiben zu können. Schreibe ja! und benimm
mir diese falsche Meinung von Dir. Im Vorbeigehen muß ich
doch auch an das neue Jahr gedenken. Fast jeder wünschet zu
dieser Zeit Gutes. Was werde ich Dir aber wünschen? Ich
muß wohl etwas Besonderes haben. Ich wünsche Dir, daß Dir
Dein ganzer Mammon gestohlen würde. Vielleicht würde es Dir
mehr nützen, als wenn jemand zum neuen Jahre Deinen Geld-
beutel mit einigen hundert Stück Dukaten vermehrte.
Lebe wohl! Ich bin
. Dein
Meißen, treuer Bruder
den 30. December G. E. Lessing.
1743. ___________________
26.
Luther an Georg Spalatin.
Werke. Hamburg 1827 und 28. V, 50. (Gekürzt.)
Gnade und Friede! Ich bin willens, nach dem Exempel der
Propheten und alten Väter der Kirchen deutsche Psalmen fürs
Volk zu machen, d. i. geistliche Lieder, daß das Wort Gottes anch
durch den Gesang unter den Leuten bleibe. Wir suchen überall
Poeten. Da Ihr nun der deutschen Sprache so mächtig und so
beredt darinnen seid, so bitte ich Euch, daß Ihr hierinnen mit uns
Hand anleget und einen von den Psalmen zu einem Gesang zu
machen suchet, wie Ihr hier ein Muster habt. *) Ich wollte aber,
daß die neuen Wörterchen vom Hose wegblieben, damit die Worte
alle nach dem Begriff des Volks ganz schlecht und gemein, doch
aber rein und geschickt herauskämen, hernach auch der Verstand?)
fein deutlich und nach Psalmen Meinung gegeben würde. Man
muß also hierinnen frei handeln, und wenn man den Verstand?)
hat, ihn durch andere bequeme Worte ausdrücken. Ich habe nicht
die Gabe, daß ich es so machen könnte, wie ich gerne wollte.
Darum will ich versuchen, ob Ihr etwa ein Hcman, Assaph oder
Jedithun seid. Eben darum wollte ich auch Johann Dolzen bitten,
der auch gar reich und zierlich in Worten ist. Antwortet mir,
wessen ich mich zu Euch versehen solle. Gehabt Euch wohl im
Herrn.
Wittenberg, im Jahr 1524.
Martin Luther.
1) 'Ein feste Burg ist unser Gott.' S. Nr. 62. — 2) daS Verständnis.
Sprüche.
Simrock: Die deutschen Sprichwörter. Frankfurt a. M.
Dicdcrmanns Erbe liegt in allen Landen.
Das Herz ist arm oder reich, nicht die Kiste.
Geiz und Augen kann niemand füllen.
Das schlechteste Rad knarrt am lautesten.
Je leerer das Faß, je größer der Klang.
Bleib im Gleise, so gehst du nicht irre.
Fliegen und Freunde kommen im Sommer.
Ein Habich ist besser, als drei Hättichs.
Wer zum Pfennig gemünzt ist, wird nimmer ein Thaler.
Fleißiger Hausvater macht hurtig Gesinde.
Eine gezähmte Zunge ist ein seltener Vogel.
Gut Gewissen macht fröhlich Gesicht.
Argwohn ißt mit dem Teufel aus einer Schüssel.
Des Zornes Ausgang ist der Reue Anfang.
Wo zwei sich zanken, gewinnt der dritte.
Zuviel ist bitter, und wäre es Honig.
Was du allein wissen willst, das sag niemand.
Liebe deinen Nachbar, reiß aber den Zaun nicht ein.
Wer sich zum Schaf macht, den frißt der Wolf.
Mit Hunden fängt man Hasen, mit Lob Narren.
28.
Nützliche Lehren.
Von Hebel.
Schatzkästlein. Stuttgart und Tübingen 1846. S. 311, 97 und 98.
1.
'Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt.' Z. B.
wenn dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Leben weckt,
so bietet er dir 'guten Morgen.' Wenn sich abends dein Auge zum
erquicklichen Schlummer schließet, <gute Nacht.' Wenn du mit ge-
sundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: Wohl bekomm's.'
Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er:
'Nimm dich in Acht, junges Kind, oder altes Kind, und kehre
lieber wieder um.' Wenn du am schönen Maitag im Blütenduft und
Lerchengesang spazieren gehst und cs ist dir wohl, sagt er: 'Sei
42
Willkommen in meinem Schloßgartcn? Oder du denkst an nichts,
und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen und naß in
den Augen und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin,
so sagt er: Merkst du, wer bei dir ist?' Oder du gehst an einem
offenen Grabe vorbei und es schauert dich, so denkt er just nicht
daran, daß du lutherisch oder reformiert bist, und sagt: ^Gelobt
sei Jesus Christ!' Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht ant-
wortet und nicht dankt.
'Einmal ist keinmal? Dies ist das erlogenste und schlimmste
unter allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein
schlechter Rechnungsmcister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens
einmal; und daran läßt sich nichts abmarkten. Wer einmal ge-
stohlen hat, der kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und
mit frohem Herzen sagen: 'Gottlob! ich habe mich nie an fremdem
Gute vergriffen;' und wenn der Dieb erhascht und gehenkt wird,
alsdann ist einmal nicht keinmal. Aber das ist noch nicht alles,
sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: 'Einmal ist zehn-
mal und hundert- und tausendmal? Denn wer das Böse einmal
angefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt
hat, d der sagt auch gern B, und alsdann tritt zuletzt ein anderes
Sprichwort ein, daß der Krug so lange zum Brunnen gehe,
bis er bricht.
3.
Nun kommen zwei Sprichwörter, und die sind beide wahr,
wenn sie schon einander widersprechen. Von zwei unbemittelten
Brüdern hatte der eine keine Lust und keinen Muth, etwas zu
erwerben, weil ihm das Geld nicht zu den Fenstern hinein regnete.
Er sagte immer: Wo nichts ist, kommt nichts hin? Und
so war es auch. Er blieb sein Leben lang der arme Bruder Wo-
nichtsist, weil es ihm nie der Mühe werth war, mit einem kleinen
Ersparnis den Anfang zu machen, um nach und nach zu einem
größeren Vermögen zu kommen. So dachte der jüngere Bruder
nicht. Der pflegte zu sagen: 'Was nicht ist, das kann wer-
den? Er hielt das wenige, was ihm von der Verlassenschaft der
Eltern zu Theil geworden war, zu Rath und vermehrte es nach
und nach durch eigenes Ersparnis, indem er fleißig arbeitete und
eingezogen lebte. Anfänglich gieng es hart und langsam. Aber
sein Sprichwort: Was nicht ist, kann werden,' gab ihm immer
Muth und Hoffnung. Mit der Zeit gieng es besser. Er wurde
durch unverdrossenen Fleiß und Gottes Segen noch ein reicher
Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist,
der selber nichts zu beißen und zu nagen hat.
\
Ut.« «resssa.. im > IJUil \gftZLäff*'«'
Der Morgen kommt.
Bon Goedeke-
Colshorn: Des deutschen Knaben Wunderhorn. Hannover 1860. S- 4>0.
^Uie manche Thräne bricht bei Nacht
Sich ihren stillen Lauf —
Der Morgen kommt in stiller Pracht
Und saugt sie lächelnd auf.
Und ist das Dunkel noch so dicht,
So drückend, dumpf und schwer —
Der Morgen kommt, es kommt das Licht,
Und Trost kommt mit ihm her.
30.
Lrosttied.
Von Günther.
Gedichte 6. Aufl. Breslau und Leipzig 1761. S. 80. (Gekürzt.)
Endlich bleibt nicht ewig aus;
Endlich wird der Trost erscheinen;
Endlich grünt der Hoffuungsstrauß;
Endlich hört man auf zu weinen;
Endlich bricht der Thräncnkrug;
Endlich spricht der Tod: *Genug!'
Endlich wird aus Wasser Wein;
Endlich kommt die rechte Stunde;
Endlich fällt der Kerker ein;
Endlich heilt die tiefe Wunde;
Endlich läßt die Sklaverei
Den gefangnen Joseph frei.
Endlich blüht die Aloe;
Endlich trägt der Palmbaum Früchte;
Endlich schwindet Furcht und Weh;
Endlich wird der Schmerz zunichte;
Endlich sieht man's Freudenthal;
Endlich, endlich kommt einmal!
31.
Die Veränderung.
Von Harsdörffer.
Nathan und Jotham 2. Aufl. Nürnberg 1659. I, 1, 126.
Die Binsen verlachten die dürren Reben, daß sie sehr langsam
sich begründeten, von den Menschen gedüngt, umgehacket, gebunden
und beschnitten würden, welches ohne großen Schmerz und Ber-
druß nicht könne zugehen, da sie hingegen genug zu trinken hätten
und von niemand berührt würden. Es fügte sich aber, daß die
Binsen von dem Vieh vertreten und ihr Bach von der ^Sonnen-
hitze ausgetrocknet wurde, dahingegen der Rebe die Thränen ab-
gewischet und, mit breitgespitztem Laub umhänget, ihre Trauben
zeitigten. Deswegen die Binsen sehr klagten, daß sie sich einem
sumpfigen Wasser anvertrauet, aus Furcht des Nebenmessers, wel-
44
ches Schärfe doch so herrliche Früchte verursache. Sie geben des-
halb allen, die in Wollüsten leben, eine solche Lehre, sie sollten sich
der Kreuzlast nicht entziehen, sondern mit Geduld der Fruchtzeit
erwarten und inzwischen alles über sich gehen lassen. Die Reben
aber freuten sich nicht allein, die Frucht zu verlieren, sondern auch
selbe in der Kelter auspressen zu lassen, dem Menschen zu dienen
und sein Herz zu erfreuen. Ein Poet, der dieses theils gehöret,
theils gesehen, hat darüber solche Gedanken verfasset:
Christen sollen, gleich den Reben,
Ihren Nächsten Früchte geben
Und im Kreuz geduldig leben.
32.
Aus dem Leben eines Kindes.
Von Reinick.
Lieder. Berlin 1844. S. 223. — Bergt. 5. Aufl. 1863. S. 44.
^ Kindeseinfalt, wie erschließest du
In wenig Worten oft ein Paradies
Von Unschuld uns und reiner Frömmigkeit!
Ich kenn' ein kleines Mädchen, sanft und gut,
Doch froh und lustig wie ein junges Vöglein.
Und hat das Kind sein heiter Tagewerk
Vollbracht, hat in dem Garten mit Gespielen
Sich müd' getummelt, an dem Abend dann
An seiner Mutter Seit' im Bilderbuche
An schöneil Märchen höchlich sich erbaut;
Da werden trübe wohl die blanken Äuglein,
Es senkt der Kopf mit, seinen vollen Locken
Sich auf die runden Ärmchen stille nieder.
Doch spricht die Mutter dann: 'Kind, geh zu Bett!'
Schnell eilt es zu den lieben Eltern hin,
Schmiegt sich mit seinen rothen warmen Wangen
Noch einmal fest und innig an sie an,
Sagt gute Nacht und fragt ganz leise noch
Zn guterletzt, so recht aus Herzensgründe:
'Bist mir auch gut, lieb Vater, liebe Mutter?'
Und kann nicht eher ruhn, als bis die Eltern
Ihm den erbet'nen Segen zugesichert.
Dann aber springt es seinem Bettchcn zu
Uud schlummert süß bis an den lichten Morgen.
O wahrlich! kann ein kindlich frommes Wort
Die lieben Engel aus dem Himmel rufen,
Daß sie uns hüten in der finstern Nacht:
Wie mögen sie dies liebe Kind umschweben,
Es decken mit den weichen, lichten Schtvingen,
Welch schöne Träume ihm vom Himmel bringen!
Und wer sein Herz auf Gott so traulich stellt,
Wie friedlich muß der leben in der Welt!
33.
Das spielende Kind.
Von Scriver-
Gotthold's zufällige Andachten 12. Aufl. Leipzig 1701. I, 16.
Ein kleines Kind lief in der Stuben umher und machte sich
viel Spielens und kindlicher Lust: sein Geld waren Scherben, sein
Haus etliche Klötzlein, sein Pferd ein Stecken, sein Tractament
ein Apfel, sein Sohn eine Puppe, und so fortan. Der Vater
saß am Tisch, hatte wichtige Sachen vor, die er verzeichnete und
in gute Richtigkeit brachte, damit sie dermaleinst eben diesem Spiel-
vöglein nutzen möchten. Das Kind lief oft zu ihm hinan, that
viele kindliche Fragen und begehrte viel zu Beförderung seines
Spiels. Der Vater beantwortete das wenigste, fuhr in seiner
Arbeit fort und hatte doch immer ein wachendes Auge auf das
Kind, damit es nicht gefährlich fallen und Schaden nehmen möchte.
Gotthold sahe solches und gedachte: <Das ist eine artige Abbildung
der väterlichen Fürsorge Gottes! Wir alte Kinder laufen in der
Welt umher und spielen oft thörichter, als die Kinder; wir sammeln
und zerstreuen, wir hauen und brechen, wir pflanzen und reißen
aus, wir reiten und fahren, wir essen und trinken, wir singen
und spielen und meinen, wir thun große Dinge, die Gott sonderlich
in Obacht nehmen müsse. Indessen sitzt der allwissende Gott und
schreibet unsere Tage auf sein Buch; er ordnet und schaffet, was
wir vor oder hernach thun; er richtet alles zu unserm Besten und
unserer Seligkeit und hat dabei stets ein wachendes Auge auf uns und
unser Kinderspiel, damit wir keinen verderblichen Schaden nehmen.
Mein Gott, solches Erkenntnis ist mir zu wunderlich und zu hoch;
ich kann's zwar nicht begreifen, aber doch will ich dich dafür alle-
zeit loben und Preisen! Laß mich, mein Vater, aus deiner Acht
und Aussicht nicht, zuvörderst dann, wenn ich etwa, wie solch ein
Kind, thöricht handle!
34.
Andacht.
Von Spitta.
Psalter ».Harfe 19. Aufl. Leipzig 1856. I, 107. —30.Aufl. 1866. 1, 107. — 32.Aufl. 1872.S. 107.
<Eir ist so wohl in Gottes Haus, O Thräne, warum buchst du aus?
Ich kann es gar nicht sagen; O Herz, was soll dein Schlagen?
Es bricht mein Aug' in Thränen aus, Es wird der Geist ins Vaterhaus,
Mein Herz fängt an zu schlagen. Der Leib zur Ruh' getragen.
Die Kirchtürme.
Von Scriver.
Gotthold's zufällige Andachten 12. Aufl. Leipzig 1704. I, 9.
Gotthold sahe in einer guten Stadt die Kirchtürme bis an
die Wolken ragen und verwunderte sich über den großen Fleiß
und die großen Kosten der Alten, so sie auf solche Gebäude ge-
wandt, welche doch, so viel er erachten könnte, zu nichts als über-
flüssiger Pracht und äußerlichem Wesen dienten. Doch/ sprach er,
<kann ich die Hoffnung haben, daß die Alten hiemit als mit einem
großen ausgereckten Finger an einer jeden Kirchen uns haben den
Himmel zeigen und andeuten wollen, daß die Lehre, so in derselben
geprediget würde, der Weg zum Himmel wäre, und wir demnach,
so oft wir einen solchen Turm ansehen, gedenken sollen, daß wir
hie keine bleibende Statt haben, sondern die zukünftige im Himmel
suchen müssen.' Hebr. XIII, 14.
36.
Babel. *
Von Geibel.
Harfe und Leyer. Hannover 1854. S- 60. - Neue Gedichte 5. Abdr. 1858. S. 51. —
13. Aufl. 1873. S. 51.
Inb sie sprachen: Was brauchen wir fürder des Herrn?
Mag im Blauen er thronen, wir gönnen'ö ihm gern;
Doch die Erd' ist für uns, wir sind Könige drauf,
Laßt uns schwelgen und glühn, sie beschert uns vollauf.
'Denn die Flur giebt uns Weiden, und Brot das Gesild,
Und den Fisch giebt der Strom, und die Forstung das Wild,
Und die Harfe den Ton, und die Rebe den Schaum,
Und das Weib ihren Reiz — und das andre ist Traum.
'Und zum Zeugnis der Herrschaft, zum Zeugnis der Kraft
Laßt uns gründen ein Mal, das die Zeit nicht entrafft:
Einen Turm, drum die Wolken sich lagern im Kreis,
Dem da droben zum Trutz und uns selber zum Preis.'
Und der Jubel des Volks ob der Rede war groß,
Und sie schritten ans trotzige Werk mit Getos;'
Durch den Wald scholl das Beil, durchs Geklüfte der Karst,
Und es sank die Zhpreß', und der Porphyr zerbarst.
Und sie strichen die Ziegel und brannten den Thon,
Hoch schlugen auö bauchigen Ofen die Loh'n,
Hoch schritt durchs Gewühl das Kamel mit der Last,
Und die Kelle des Maurers war nimmer in Rast.
MBana&SHVHBBQaNHK K
Und es knarrte die Wind', und es ächzte das Tau,
Und cs wuchs wie ein Berg in die Lüfte der Bau,
Eine schwebende Stadt, dran der Blick sich verlor,
Und Zinn' über Zinnen, und Thor über Thor.
Die Monde, die Jahre verstrichen im Flug,
Schon rührten den Gipfel die Wolken im Zug,
Da vermaß sich ihr Herz, und sie jubelten laut:
'Nun steht's, und wer stürzt, was wir haben gebaut?
'Unser Name wird gehn von Geschlecht zu Geschlecht,
Wie Göttern, so wird man uns opfern mit Recht,
Denn das ewige Werk, es ist morgen vollbracht.'
Und sie harften und zechten, und schwarz kam die Nacht.
Doch der Engel des Herrn mit dem feurigen Schwert,
Der dem Ahn einst die Pforte von Eden gewehrt,
Stieg herab im Gewölk, da sie lagen im Schlaf;
Hoch schwang er das Schwert, und es flammt', und es traf.
Und wie Schall der Posaunen erklang's durch den Strahl,
Da schwankten die Zinnen und stürzten znthal,
Da zerbarsten die Pfeiler mit dumpfem Gekrach,
Und die Bögen, die Mauern, sie taumelten nach.
Und ein Schein war ergossen wie Schwefel und Blut,
Und es wirbelte Rauch, und der Rauch ward zu Glut,
Und die Lohe. gefacht von den Schwingen des Sturms,
Umschwoll wie ein Segel die Trümmer des Turms.
Doch verstört aus dem Schlaf zu der Stätte des Baus
Herstürzten die Menschen und schauten den Graus;
Bleich starrten sie hin in verzweifelndem Leid
Und zerrauften ihr Haar und zerrissen ihr Kleid.
Und sie bäuchten sich fremd von Gestalt und Gesicht,
Und sie schrieen sich an und verstanden sich nicht,
Denn ihr Auge war trüb', und verblendet sein Stern,
Und verwirrt ihre Zunge vom Zorne des Herrn.
Da wandten sie sich, von Entsetzen erfaßt,
Wie der Hirsch, wenn das Hifhorn ihn schreckt aus der Rast,
Und es ward eine Flucht, wie noch keine geschah,
Und Gewühl und Geheul und Gewimmer war da;
Und Gesichter voll Angst wie der Marmor so blaß,
Und Lippen voll Fluchs, und gestammelter Haß,
Und verworrener Hader, und hastige Fracht,
Und Gewieher und Wagengedröhn durch die Nacht.
Wie S^ireu vor dem Wirbel nach Süd und nach Nord,
Gen Aufgang und Niedergang stoben sie fort;
Und die Fackel des Brandes erleuchtete stumm
Ihren Pfad, und kein einziger schaute sich um.
Und das Feuer verglomm, uud die Flucht war verlost,
Und es graut', und die Sonne erhub sich im Ost,
Doch in schweigender Öde gewahrte sie nichts,
Als den wehenden Schutt auf der Statt des Gerichts.
37.
Der Schieferdecker.
Von Otto Ludwig.
'Zwischen Himmel und Erde.' Frankfurt a. M. 1856. S. 69—73.
Zwischen Himmel und Erde ist des Schieferdeckers Reich. Tief
unten das lärmende Gewühl der Wanderer der Erde, hoch oben
die Wanderer des Himmels, die stillen Wolken in ihrem großen
Gang. Monden, Jahre, Jahrzehnte lang hat eö keine Bewohner,
als der krächzenden Dohlen unruhig flatternd Volk. Aber eines
Tages öffnet sich in der Mitte der Turmdachhöhe die enge Aus-
fahrthür; unsichtbare Hände schieben zwei Nüstslangen heraus. Den
Zuschauer von unten gemahntes, sie wollen eine Brücke von Stroh-
halmen in den Himmel bau'n. Die Dohlen haben sich auf Turm-
knopf und Wetterfahne geflüchtet und sehen herab und sträuben ihr
Gefieder vor Angst. Die Rüststangen stehen wenige Fuß heraus,
und die unsichtbaren Hände lassen vom Schieben ab. Dafür be-
ginnt ein Hämmern im Herzen des Dachstuhls. Die schlafenden
Eulen schrecken auf und taumeln aus ihren Luken zackig in das
offene Aug' des Tages hinein. Die Dohlen hören's mit Entsetzen;
das Menschenkind unten auf der festen Erde vernimmt es nicht,
die Wolken oben am Himmel ziehen gleichmüthig darüber hin.
Lang währt das Pochen, dann verstummt's. Und den Rüststangen
nach und quer ans ihnen liegend schieben sich zwei, drei kurze Bretter.
Hinter ihnen erscheint ein Menschenhaupt und ein Paar rüstige
Arme. Eine Hand hält den Nagel, die andere trifft ihn mit ge-
schwungenem Hammer, bis die Bretter fest aufgenagelt sind, und
die fliegende Rüstung ist fertig. So nennt sie ihr Baumeister, dem
sie eine Brücke zum Himmel werden kann, ohne daß er es begehrt.
Aus die Rüstung baut sich nun die Leiter und, ist das Turmdach
sehr hoch, Leiter auf Leiter. Nichts hält sie zusammen, als der
eiserne Längchaken, nichts hält sie fest, als auf der Rüstung vier
Männerhände und oben die Helmstange, an der sic lehnt. Ist sie
einmal über der Ausfahrthür und an der Helmslange mit starken
Tauen angebunden, dann sicht der kühne Schieferdecker keine Ge-
fahr mehr in ihrem Besteigen, so weh dem schwindelnden Menschen-
kinde tief unten ans der sichern Erde wird, wenn es herausschaut
und meint, die Leiter sei aus leichten Spänen zusammengeleimt
49
*vie ein Weihnachtsspielwerk für Kinder. Aber eh' er die Leiter-
angebunden hat — und nm das zu thun, muß er erst einmal hin-
aufgestiegen sein — mag er seine Seele Gott befehlen. Daun ist
?r erst recht zwischen Himmel und Erde. Er weiß, die leichteste Ver-
schiebung der Leiter — und ein einziger falscher Tritt kann sie
verschieben — stürzt ihn rettungslos hinab in den sichern Tod.
Haltet den Schlag der Glocken unter ihm zurück, er kaun ihn er-
schrecken! Die Zuschauer unten tief aus der Erde falten athemlos
unwillkürlich die Hände, die Dohlen, die er von ihrem letzten Zu-
fluchtsorte verscheucht, krächzen wildflatternd um sein Haupt; nur
die Wolken am Himmel gehen unberührt ihren Pfad über ihn hin.
Nur die Wolken? Nein. Der kühne Mann aus der Leiter geht
so unberührt, wie sie. Er ist kein eitler Wagling, der frevelnd von
sich reden machen will; er geht seinen gefährlichen Pfad in seinem
Berufe. Er weiß, die Leiter ist fest; er selbst hat das fliegende
Gerüst gebaut, er weiß, es ist fest; er weiß, sein Herz ist fest und
sein Tritt ist sicher. Er sieht nicht hinab, wo die Erde mit grünen
Armen lockt; er sieht nicht hinauf, wo vom Zug der Wolken am
Himmel der tödtliche Schwindel herabtaumeln kann auf sein festes
Aug'. Die Mitte der Sprossen ist die Bahn seines Blicks, und
oben steht er. Es giebt keinen Himmel und keine Erde für ihn,
als die Helmstange und die Leiter, die er mit seinem Tau zu-
sammenknüpft. Und der Knoten ist geschlungen; die Zuschauer
athmen ans und rühmen auf allen Straßen den kühnen Mann und
sein Thun hoch oben zwischen Himmel und Erde. Schieferdecker
spielen die Kinder der Stadt eine ganze Woche lang.
Aber der kühne Mann beginnt mm erst sein Werk. Er holt
ein andres Tau herauf und legt es als drehbaren Ring unter dem
Turmknopf um die Stange. Daran befestigt er den Flaschenzug
mit drei Kloben, an den Flaschenzng die Ringe seines Fahrzeugs.
Ein Sitzbrett mit zwei Ausschnitten für die herabhängenden Beine,
hinten eine niedrige, gekrümmte Lehne, hüben und drüben Schiefer-,
Nagel- und Werkzeugkasten; zwischen den Ausschnitten vorn das
Haueisen, ein kleiner Amboß, aus dem er mit dem Deckhammer die
Schiefer zurichtet, wie er sie eben braucht; dies Geräth, von vier
starken Tauen gehalten, die sich oberhalb in zwei Ringe für den
Haken des Flaschenzugs vereinigen, das ist der Hängestuhl, wie er
es nennt, das leichte Schiff, mit dem .er hoch in der Luft das
Turmdach umsegelt. Mittels des Flaschenzugs zieht er sich mit
leichter Mühe hinauf und läßt sich herab, so hoch und tief er mag;
der Ring oben dreht sich mit dem Flaschenzug und Hängestuhl,
nach welcher Seite er will, um den Turm. Ein leichter Fußstoß
gegen die Dachfläche setzt das Ganze in Schwung, den er ein-
halten kann, wo es ihm gefüllt. Und bald bleibt kein Menschen-
kind mehr unten stehn und sieht herauf; der Schieferdecker und
sein Fahrzeug sind nichts Neues mehr. Die Kinder greifen wieder
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch H. 4
zu ihren alten Spielen. Die Dohlen gewöhnen sich an ihn; sie
sehen ihn für einen Vogel an, wie sie sind, nur größer, aber fried-
lich wie sie; und die Wolken hoch oben am Himmel haben sich
nie um ihn gekümmert. Die Damen neideten ihm die Aussicht.
Wer konnte so frei über die grüne Ebene hinsehn und wie Berge
hinter Bergen hervorwachsen, erst grün, dann immer blauer, bis
wo dtzr Himmel, noch blauer, sich auf die letzten stützt! Aber er
kümmert sich so wenig um die Berge, wie die Wolken sich um ihn.
Tag für Tag hantiert er mit Flickeisen und Klaue, Tag für Tag
hämmert er Schiefer zurecht und Nägel ein, bis er fertig ist mit
Hämmern und Nageln. Und eines Tags sind Mann, Fahrzeug,
Leiter und Rüstung verschwunden. Das Entfernen der Leiter ist
so gefährlich als ihre Befestigung; aber es faltet niemand unten
die Hände, kein Mund rühmt des Mannes That zwischen Himmel
und Erde. Die Krähen wundern sich eine ganze Woche lang, dann
ist's, als hätten sie vor Jahren von einem seltsamen Vogel ge-
träumt. Ties unten lärmt noch das Gewühl der Wanderer der
Erde, hoch oben gehn noch die Wanderer des Himmels, die stillen
Wolken, ihren großen Gang; aber niemand mehr umfliegt das steile
Dach, als der Dohlen krächzender Schwarm.
c .
*iir ■
38.
Turmimchlers Lied.
Von Fouquä.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1817. II, 35.
Am gewaltigen Meer
In der Mitternacht,
Wo der Wogen Heer
An die Felsen kracht,
Da schau' ich vom Turm hinaus.
Ich erheb' einen Sang
Aus starker Brust
Und mische den Klang
In die wilde Lust,
In die Nacht, in den Sturm, in den
Graus.
Ein kräftiger Mann,
Recht frisch bereit,
Wo er Helsen kann,
Zu wenden das Leid
Mt Ruf, mit Leuchte, mit Hand.
Ist zu schwarz die Nacht,
Ist zu fern der Ort,
Da schickt er mit Macht
Seine Stimme fort
Mit Trost über See und Land.
Dringe durch, dringe durch
Recht freudenvoll,
Mein Lied, von der Burg
In das Sturmgeroll,
Verkünd es weit durch die Nacht,
Wo schwanket ein Schiff
Durch die Flut entlang,
Wo schwindelt am Riff
Des Wanderers Gang, _
Daß oben ein Mensch hier wacht —
Wer auf Wogen schwebt,
Sehr leck sein Kahn,
Wer im Walde bebt,
Wo sich Räuber nahn;
Der denke: <Gott hilft wohl gleich.'
Wen das wilde Meer
Schon hinunter schlingt,
Wem des Räubers Speer
In die Hüfte dringt;
Der denk' an das Himmelreich!
51
39.
Der Sccsturm.
Bon Campe.
Die Entdeckung von Amerika 12. Aufl. Braunschweig 1830. I, 18.
Am westlichen Himmel steigt ein Wettergewölk herauf und
Z^eht mit starken Schritten heran; es wird dunkel, und das bange
^chiffsvolk steht in ängstlicher Erwartung dessen, was da kommen
soll, auf dem Verdecke und hat seine Augen auf Columbus ge-
richtet, welcher mit seiner gewöhnlichen Unerschrockenheit die nöthi-
gen Verhaltungsbefehle austheilt.
Jetzt beginnen die Wogen des weiten Weltmeeres allmählich
anzuschwellen, die Schiffe tanzen, das Tauwerk klappert, und der
Sturmwind heult durch die Masten fürchterlich. Es blitzt und
wird wieder Nacht; es donnert, und ein reichlicher Platzregen stürzt
herab auf die taumelnden Schiffe. Jetzt, jetzt bricht die Wuth
des heftigsten Ungewitters mit allen seinen Schrecken hervor. Die
Blitze leuchten, der Donner kracht, die Wellen rauschen, die Winde
brüllen, und die schwankenden Schiffe werden von mächtigen Wo-
gen bald hoch in die Luft und bald wieder in den tiefsten Abgrund
geschleudert.
Furcht und Entsetzen hat sich der ganzen Mannschaft be-
mächtiget. Einige liegen auf ihren Knien und flehen mit aufge-
hobenen Händen um die Erhaltung ihres Lebens, andere stehen
oder liegen blaß, stumm und sinnlos, scheinen mehr todt als lebend
zu sein, noch andere nehmen zu abergläubischen Mitteln und thö-
richten Gelübden ihre Zuflucht. Doch ihre Lage wird um nichts
besser. Sie schwanken für und für zwischen Tod und Leben, und
jeder neu herbeirollende Wasserberg, der die Schiffe aus seinen
mächtigen Rücken nimmt, um sie krachend wieder in den Abgrund
hinabzustürzen, scheint ihr Schicksal entscheiden zu wollen. Ver-
gebens wendet Columbus mit der größten Gegenwart des Geistes
alle die schützenden Nettungsmittel an, welche Klugheit und Er-
fahrung ihm an die Hand geben; vergebens spricht er seinen Leuten
Muth zu und sucht sie zu bewegen, ihre sinkenden Hände in Thä-
tigkeit zu erhalten: seine Leute stub entseelte Körper, mit welchen
nichts mehr anzufangen ist, und das Ungewitter raset mit un-
widerstehlicher Gewalt. Endlich, da er sich selbst nicht mehr ver-
bergen kann, daß alle menschliche Hülfe fruchtlos sei, richtet er
einen Blick voll kindlicher Unterwerfung gen Himmel und begiebt
sich sodann in seine Kajüte. Der Gedanke, daß mit seinem Unter-
gänge auch alle die wichtigen Nachrichten von seinen Entdeckungen
verloren gehen sollten, fuhr wie ein scharfes, zweischneidiges Schwert
durch sein großes Herz: er ergreift eine Pergamenthaut, beschreibt
dieselbe, wickelt sie in ein mit Öl getränktes Tuch, überzieht dieses
mit Wachs, verschließt darauf den Klumpen in eine wohlverwahrte
4*
Tonne und wirft sie in die See, hoffend, daß das Meer diese
Tonne irgendwo ans Land werfen werde; eine Zeit lang nachher
befestigt er eine zweite Tonne mit denselben Nachrichten an dem
Hintertheile des Schiffes, um sie bis dahin mitzunehmen, wo das
Fahrzeug mit ihm und seinen Leuten untergehen würde. Hierauf
begiebt er sich wieder aufs Verdeck.
Der Sturm raset nach wie vor, und zur Vergrößerung der
Schrecken des fürchterlichen Todes, dem sie mit jedem Augenblicke
entgegensehen, ist nun vollends die schwärzeste und greulichste aller
Nächte angebrochen. Kein mildes Sternchen, das für die Ver-
zweifelnden Hoffnung herabschimmertc, läßt sich blicken. Himmel,
Lust und Meer sind von der dicksten, grauenvollsten Finsternis
verschlungen, und der tobende Sturm macht die ganze Nacht hin-
durch auch nicht die allerkleinste Pause in seiner Wuth. So
schweben sie zwischen Tod und Leben schon halb entseelt dahin,
bis endlich — die schreckenvollste Nacht entweicht und das hervor-
schimmernde Tageslicht zur unaussprechlichen Freude des wieder
auflebenden Schifssvolks in grauer Ferne ein aus dem Meere
emporsteigendes Land, eine der azorischen Inseln, enthüllt. Zwar
macht der noch immer anhaltende heftige Wind es höchst gefährlich,
sich der Küste zu nahen, und noch vier Tage müssen sie unter
großen Gefahren kreuzen; da endlich läßt der Sturm ein wenig
nach, und Columbus, den glücklichen Augenblick ergreifend, läuft
unverzüglich ein und legt sich vor Anker.
40.
Das Lied vom braven Manne.
Bon Bürger. 1)
Gedichte. Güttingen 1778. S. 230. — Brgl. Gedichte, Hrsg. v. Reinhard. 1803. I, 207.
— 1853. S. 136.
Dodj klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang.
Wer hohes Muths sich rühmen kann,
Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Zu singen und preisen den braven Mann.
Der Thauwind kam vom Mittagsmeer
Und schnob durch Welschland trüb' und feucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
Wie wenn der Wolf die Heerde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;
Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
Am Hochgebirge schmolz der Schnee,
Der Sturz von tausend Wassern sck)oll,
1) Nach einer Begebenheit a. d. I. 1757.
Das Wiesenthal begrub ein See,
Des Landes Heerstrom2) wuchs und schwoll;
Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis
Und rollten gewaltige Felsen Els.
Auf Pfeilern und ans Bogen schwer,
Aus Quaderstein von unten ans,
Lag eine Brücke drüber her,2)
Und mitten stand ein Häuschen drauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind.
‘SO Zöllner! o Zöllner! entfleuch geschwind!'
Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran,
Laut heulten Sturm und Wog' ums Haus.
Der Zöllner sprang zum Dach hinan
Und blickt' in den Tumult hinaus.
Warmherziger Himmel! erbarme dich!
Verloren! verloren! wer rettet mich?'
Die Schollen rollten Schuß auf Schuß,
Von beiden Ufern, hier und dort,
Von beiden Ufern riß der Fluß
Die Pfeiler sammt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind,
Er heulte noch lauter als Strom und Wind.
Die Schollen rollten Stoß auf Stoß,
An beiden Enden, hier und dort.
Zerborsten und zertrümmert schoß
Ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich.
Warmherziger Himmel! erbarme dich!'
Hoch auf dem fernen Ufer stand
Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein,
Und jeder schrie und rang die Hand,
Doch mochte niemand Netter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
Durchheultc nach Rettung den Strom und Wind.
Wann klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Gloüenklang?
Wohlan! so nenn ihn, nenn ihn dann!
Wann nennst du ihn, mein schönster Sang?
Bald nahet der Mitte der Umsturz sich.
O braver Mann! braver Mann! zeige dich.
Rasch galoppiert' ein Graf 4) hervor,
Auf hohem Roß ein edler Graf.
Was hielt des Grafen Hand empor?
Ein Beutel war es, voll und straff.
'Zweihundert Pistolen sind zugesagt
Dem, welcher die Rettung der Armen wagt/
2) die Etsch. 3) in Verona. 4) Graf Spolverini.
54
Wer ist der Brave? Jst's der Graf?
Sag an, mein braver Sang, sag an!
Der Graf, beim höchsten Gott! war brav;
Doch weiß ich einen bravern Mann. —
O braver Mann! braver Mann! zeige dich!
Schon naht das Verderben sich fürchterlich.
Und immer höher schwoll die Flut,
Und immer lauter schnob der Wind,
Und immer tiefer sank der Muth.
O Retter! Retter! komm geschwind!
Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach;
Laut krachten und stürzten die Bogen nach.
Dalloh! halloh! frisch auf gewagt!'
Hoch hielt der Graf den Preis empor.
Ein jeder hört's, doch jeder zagt,
Aus Tausenden tritt keiner vor.
Vergebens durchheulte mit Weib und Kind
Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind.
Sieh, schlecht und recht ein Bauersmann
Am Wanderstabe schritt daher,
Mit grobem Kittel angethan,
An Wuchs und Antlitz hoch und hehr.
Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort
Und schaute das nahe Verderben dort.
Und kühn in Gottes Namen sprang
Er in den nächsten Fischerkahn;
Trotz Wirbel, Sturm und Wogcndrang
Kam der Erretter gliicklich an.
Doch wehe! der Nachen war allzu klein,
Der Netter von allen zugleich zu sein.
Und dreimal zwang er seinen Kahn
Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang;
Und dreimal kam er glücklich an,
Bis ihm die Rettung ganz gelang.
Kaum kamen die letzten in sichern Port,
So rollte das letzte Getrümmer fort. —
Wer ist, wer ist der brave Mann?
Sag an, sag an, mein braver Sang!
Der Bauer wagt' ein Leben dran;
Doch that er's wohl um Goldesklang?
Denn spendete nimmer der Graf sein Gut,
So wagte der Bauer vielleicht kein Blut.
<Hier,' rief der Graf, <mein wackrer Freund!
Hier ist dein Preis! komm her! nimm hin!'
Sag an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn.
Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug
Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.
Mein Leben ist für Gold nicht feil.
Arm bin ich zwar, doch eß' ich satt.
Dem Zöllner werd' Eur Gold zu Theil,
Der Hab und Gut verloren hat!'
So rief er mit adlichem Biederton
Und wandte den Rücken und gieng davon.
Hoch klingst du, Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockeuklang!
Wer solches Muths sich rühmen kann,
Den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob! daß ich singen und preisen kann,
Unsterblich zu preisen den braven Mann.
41.
Das brave Mütterchen.
Bon Müllenhoff.
Sagen, Märchen und Lieder aus Schleswig - Holstein. Kiel 1845. S. 132.
Es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die
Husumer ein großes Fest zu feiern: sie schlugen Zelte auf, und
Alt und Jung, die ganze Stadt versammelte sich draußen. Die
einen liefen Schlittschuh, die andern fuhren in Schlitten, und in
den Zelten erscholl Musik, und Tänzer und Tänzerinnen schwenkten
sich herum, und die Alten saßen an den Tischen und tranken
eins. So vergieng der ganze Tag, und der helle Mond gieng
auf; aber der Jubel schien nun erst recht anzufangen.
Nur ein altes Mütterchen war von allen Leuten allein in
der Stadt geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte
ihre Füße nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem
Deiche stand, konnte sie von ihrem Bette aus aufs Eis hinaus
sehen und die Freude sich betrachten. Wie es nun gegen den
Abend kam, da gewahrte sie, indem sie so auf die See hinaus sah,
im Westen ein' kleines weißes Wölkchen, das eben an der Kim-
mung i) aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst; sie war
in frühern Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und ver-
stand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: in
einer kleinen Stunde wird die Flut da sein, dann ein Sturm los-
brechen, und alle sind verloren. Da ries und jammerte sie so
laut, als sie konnte: aber niemand war in ihrem Hause, und die
Nachbarn waren alle auf dem Eise; niemand hörte sie. Immer
größer ward unterdes die Wolke und allmählich immer schwärzer;
1) am Rande.
noch einige Minuten, und die Flut mußte da sein, der Sturm
losbrechen. Da rafft sie all ihr bißchen Kraft zusammen und
kriecht aus Händen und Füßen ans dem Bette zum Ofen: glück-
lich findet sie noch einen Brand, schleudert ihn in das Stroh
ihres Bettes und eilt, so schnell sie kann, hinaus, sich in Sicher-
heit zu bringen. Das Häuschen stand nun augenblicklich in hellen
Flammen, und wie der Feuerschein vom Eise aus gesehen ward,
stürzte alles in wilder Hast dem Brande zu. Schon sprang der
Wind auf und fegte den Staub auf dem Eise vor ihnen her; der
Himmel ward dunkel, das Eis fieng an zu knarren und zu schwanken,
der Wind wuchs zum Sturm, und als eben die letzten den Fuß
aufs feste Land setzten, brach die Decke, und die Flut wogte an
den Strand. So rettete die arme Frau die ganze Stadt und
gab ihr Hab und Gut daran zu deren Heil und Rettung.
42.
Legende.
Von Grüneiscn.
Gedichte. Stuttgart 1823. - Goedeke Deutscht. Dichter. Hannover 1844. Nr. 272.
Ein KricgSknecht aus dem Ungar-
land
Am Thor von Amiens stille stand
Nach einem langen sauern Zug,
Der über Berg' und Thale trug.
Dort hat er einen Bettler funden
Mit hohen Beulen, offnen Wunden,
Und seine Blößen zu bedecken,
That keinen Christen das Mitleid
wecken.
Der Heide läßt sich nicht erst bitten,
Hat seinen Mantel schon zerschnitten
Und eine Hälfte dem kranken Mann
Um seinen kalten Leib gethan;
Sich selbst begnügt er mit der andern,
Zum nächsten Lager fortzuwandern.
Er mußte sich nun zwar bequemen,
Mit schmaler Decke fürlieb zu nehmen,
Konnte die Glieder nicht mit Be-
hagen
Ausstrecken wie an vorigen Tagen;
Doch schlief er bald und ohne Gereun
Im halben Mantel ruhig ein.
Und sieh, umringt von Cherubinen,
Ist ihm der Christengott erschienen,
Voll Majestät in seinen Mienen
Und aus den Augen Gnadenfülle.
Bloß war der Heiland, ohne Hülle,
Als nur den halben Mantel des Armen,
Und sprach zum Kriegömann mit Er-
barmen:
Martine, was du dem kranken Mann,
Siehe, das hast du mir gethan;
So komm' ich, dir darum zu danken,
Zn segnen auch, daß ohne Wanken
Dein Herz in deinem schweren Stand
Auf meine Gnade sei gewandt.'
Martinus rief verwundert schier:
Wie kommst du, mächt'ger Gott,
zu mir?
Ließ ich mich nimmer doch bekehren,
Wandelnd nach deiner Feinde Lehren!'
So sprach der Herr: <An deinen
Werken
Sollst du die Gnade Gottes merken,
Auf daß, die bloß nach mir sich nennen,
In dir den rechten Jünger kennen.
Zu größern Dingen ausersehen,
Wirst du noch harten Strauß be-
stehen.
Im Helm des Glauben« sei bereit,
Im Krebse der Gerechtigkeit
Und mit dem Schwert des Geists,
dem Worte,
Das dringt in die geheimsten Orte
Und die Gedanken jäh durchschneidet.
Gieb mit ein Herz, das sich bcscheidet,
Und nimm zum Bischof deinen Pfad,
¡j
57
bittend um der Taufe Bad.'
wie der Herr verschwunden ist,
^bar auch vorbei des Schlummers
cm . Frist.
Martinus richtet sich aufs Knie:
Herr, wie du sagst, gescheht, und
«r sieh!
Herzen nicht die Hälfte, nein,
Das ganze soll dein eigen sein!'
Er hat die« Taufe drauf empfangen
und ist auf Christi Weg gegangen
Und hat mit Werken der Lreb' und
Gnade
Manch Herz gelockt vom irren Pfade—
Und ist ein Held des Kreuzes worderi,
Getreten in den Priesterorden;
Erkoren von dem heil'gcn Geist,
Ist er als Bischof umhergereist
Und hat die Milden und die Kranken
Erquickt mit göttlichen Gedanken
Und hat die Hungernden gespeist
Mit Manna, das vom Himmel fleußt,
Die Nackten auch in frost'gcm Leide
Erwärmt mit Christi Gnadenkleide
Und manchen Teufel, der viel geplagt,
In Jesu Namen ausgejagt.
Drum ist er weithin noch bekannt,
Der heil'ge Bischof von Tours genannt.
43.
Herr Charles.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. III, 499.
Ein Kaufmann in Petersburg, von Geburt ein Franzose,
wiegte eben sein wunderschönes Büblein auf dem Knie und machte
ein Gesicht dazu, daß er ein wohlhabender und glücklicher Mann
sei und sein Glück für einen Segen Gottes halte. Indem trat
ein fremder Mann, ein Pole, mit vier kranken, halb erfrorenen
Kindern in die Stube. Da bring' ich Euch die Kinder.' Der
Kaufmann sah den Polen curios an. Was soll ich mit diesen
Kindern thun? Wem gehören sie? Wer schickt Euch zu mir?' —
Miemand gehören sie,' sagte der Pole, 'einer todten Frau im Schnee,
siebzig Stunden herwärts Wilna. Thun könnt Ihr mit ihnen, was
Ihr wollt.' Der Kaufmann sagte: 'Ihr werdet nicht am rechten
Orte sein,' und der Hausfreund *) glaubt'S auch nicht. Allein der
Pole erwiderte, ohne sich irre machen zu lassen: Wenn Ihr der
Herr Charles seid, so bin ich am rechten Ort,' und der Hausfreund l)
glaubt'S auch. Er war der Herr Charles. Nämlich cs hatte eine
Französin, eine Witwe, schon lange im Wohlstände und ohne
Tadel in Moskau gelebt. Als aber vor sülch Jahren die Franzosen
in Moskau waren, benahm sic sich landsinannschaftlicher gegen sie,
als den Einwohnern wohlgefiel. Denn das Blut verleugnet sich
nicht, und nachdem sie in dem großen Brand ebenfalls ihr Häus-
lein und ihren Wohlstand verloren und nur ihre fünf Kinder ge-
rettet hatte, mußte sie, weil sie verdächtig sei, nicht nur aus der
Stadt, sondern auch aus dem Lande reisen. Sonst hätte sie sich
nach Petersburg gewendet, wo sie einen reichen Vetter zu finden
hoffte. Der geneigte Leser will bereits etwas merken. Als sie
aber in einer schrecklichen Kälte und Flucht imb unter unsäglichen
-
1) Die Erzählung erschien zuerst im rheinläudischen Hausfreund.
Leiden schon bis nach Wilna gekommen war, krank und aller Be-
dürfnisse und Bequemlichkeiten für eine so lange Reise entblößt,
traf sie in Wilna einen edlen russischen Fürsten an und klagte
ihm ihre Noth. Der ebte Fürst schenkte ihr dreihundert Rubel,
und als er erfuhr, daß sie in Petersburg einen Vetter habe, stellte
er ihr frei, ob sie ihre Reise nach Frankreich fortsetzen, oder ob sie
mit einem Paß nach Petersburg umkehren wolle. Da schaute sie
zweifelhaft ihr ältestes Büblein an, weil es das verständigste und
das kränkste war. Wo willst du hin, mein Sohn?' Wo du hin-
gehst, Mutter,' sagte der Knabe und hatte Recht. Denn er gieng
noch vor der Abreise ins Grab. Also versah sie sich mit dem Noth-
wendigen und accordierte mit einem Polen, daß er sie für fünfhun-
dert Rubel nach Petersburg brächte zum Vetter; denn sie dachte,
er wird das Fehlende schon darauf legen. Aber alle Tage kränker
aus der langen beschwerlichen Reise, starb sie am sechsten oder sieb-
ten. — Wo du hingehst,' hatte der Knabe gesagt, und der arme
Pole erbte von ihr die Kinder, und konnten mit einander so viel
reden, als ein Pole verstehen mag, wenn ein französisches Kind
russisch spricht, oder ein Französlein, wenn man mit ihm reden
will auf polnisch. Nicht jeder geneigte Leser hätte an seiner Stelle
sein mögen. Er war es selber nicht gern. Was anfangen jetzt?'
sagte er zu sich selbst. 'Umkehren —wo die Kinder lassen? Weiter
fahren — wem bringen?' 'Thue, was du sollst,' sagte endlich etwas
in seinem Inwendigen zu ihm. Willst du die armen Kinder um
das letzte und einzige bringen, was sie von ihrer Mutter zu erben
haben, um dein Wort, das du ihr gegeben hast?' Also kniete er
mit den unglücklichen Waisen um den Leichnam herum und betete
mit ihnen ein polnisches Vaterunser. 'Und führe uns nicht in
Versuchung.' Hernach ließ jedes ein Händlein voll Schnee zum
Abschied und eine Thräne aus die kalte Brust der Mutter fallen,
nämlich, daß sie ihr gerne die letzte Pflicht der Beerdigung anthun
wollten, wenn sie könnten, und daß sie jetzt verlassene unglückliche
Kinder seien. Hernach fuhr er getrost mit ihnen weiter auf der
Straße nach Petersburg, denn es wollte ihm nicht eingehen, daß,
der ihm die Kindlein anvertraut hatte, könne ihn stecken lassen,
und als die große Stadt vor seinen Augen sich ausdehnte — wie
ein Hauderer thut, der auch erst vor dem Thor fragt, wo er still
halten soll, erkundigt er sich endlich bei den Kindern, so gut er
sich verständlich machen konnte, wo denn der Vetter wohne, und
erfuhr von ihnen, so gut er sie verstehen konnte: Wir wissen's
nicht.' — Wie er denn heiße? Wir wissen's auch nicht.' — Wie
denn ihr eigener Geschlechtsname sei? 'Charles.' Der geneigte Leser
will schon wieder etwas merken, und wenn's der Hausfreund für
sich zu thun hätte, so wäre der Herr Charles der Vetter. Die
Kinder wären versorgt, und die Erzählung hätte ein Ende. Allein
die Wahrheit ist oft sinniger, als die Erdichtung. Nein, der Herr
59
Charles ist der Vetter nicht, sondern dieses Namens ein anderer,
und bis auf diese Stunde weiß noch niemand, wie der wahre
Vetter eigentlich heißt, nicht, ob und wo in Petersburg er wohnt.
Also fuhr der arme Mann in großer Verlegenheit zwei Tage lang
in der Stadt herum und hatte Französlein feil. Aber niemand
wollte ihn fragen: Wie theuer das Pärlein?’ und der Herr Charles
begehrte sie nicht einmal geschenkt und war noch nicht willens,
eines zu behalten. Als aber ein Wort das andere gab und ihm
der Pole schlicht und menschlich sein Schicksal und seine Noth er-
zählte, ‘eins,' dachte er, ‘will ich ihm abnehmen,' und es füllte sich
immer wärmer in seinem Busen: ‘ich will ihm zwei abnehmen,'
dachte er, und als sich endlich die Kinder um ihn anschmiegten,
meinend, er sei der Herr Vetter, und anfiengen auf französisch zu
weinen, denn der geneigte Leser wird auch schou bemerkt haben,
daß die französischen Kinder anders weinen, uttb als der Herr
Charles die Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz an, daß
ihm ward, wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen
und klagen sieht, und ‘in Gottes Namen,' sagte er, ‘wenn's so ist,
so will ich mich nicht entziehen,' und nahm die Kinder an. ‘Setzt
Euch ein wenig nieder,' sagte er zu dem Polen, ‘ich will Euch ein
Süpplein kochen lassen.'
Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, aß die
Suppe und legte den Lössel weg, — er legte den Löffel weg und
blieb sitzen, — er stand aus und blieb stehen. — ‘Seid so gut,' sagte
er endlich, ‘und fertigt mich jetzt ab, der Weg nach Wilna ist weit.
Auf fünfhundert Rubel hat die Frau mit mir accordiert.' Da fuhr
es doch dem milden Menschen, dem Herrn Charles, über das Ge-
sicht, wie der Schatten einer fliegenden Frühlingswolke über die
sonnenreiche Flur. ‘Guter Freund,' sagte er, ‘Ihr kommt mir ein
wenig curios vor. Ist's nicht genug, daß ich Euch die Kinder ab-
genommen habe, soll ich Euch auch noch den Fuhrlohn bezahlen?'
Denn das kann dem redlichsten und besten Gemüth begegnen,
wenn's ein Kaufmann ist, jedem andern aber auch, daß es wider
Wissen und Willen erst ein wenig handeln und markten muß,
sei es auch nur mit sich selbst. Der Pole erwiderte: ‘Guter Herr,
ich will Euch nicht ins Gesicht sagen, wie Ihr mir vorkommt. Ist's
nicht genug, daß ich Euch die Kinder bringe? Sollt' ich sie auch
noch umsonst geführt haben? Die Zeiten sind bös, und der Ver-
dienst ist gering.' — ‘Eben deswegen,' sagte Herr Charles, ‘darüber
laßt mich klagen. Oder meint Ihr, ich sei so reich, daß ich fremde
Kinder ankaufe, oder so gottlos, daß ich mit ihnen handle? Wollt
Ihr sie wieder?' Als aber noch einmal ein Wort das andere gab
und der Pole jetzt erst mit Staunen erfuhr, daß der Herr Charles
gar nicht der Vetter sei, sondern nur aus Mitleiden die armen
Waisen angenommen habe, ‘wenn's so ist,' sagte er, ‘ich bin kein
reicher Mann, und Eure Landsleute, die Franzosen, haben mich auch
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nicht dazu gemacht, aber wenn's so ist, so kann ich Euch nichts zu-
muthen. Thut den armen Würmlein Gutes dafür/ sagte der edle
Mensch, und es trat ihm eine Thräne ins Auge, die wie aus einem
überwältigten Herzen kam, wenigstens überwältigte sie dem Herrn
Charles das seinige. Monsieur Obarles/ dachte er, <und ein armer
polnischer Fuhrmann —' und als der Pole schon anfieng, eines
der Kinder nach dem andern zum Abschied zu küssen, und sie auf
polnisch zur Folgsamkeit und Frömmigkeit ermahnte, <guter Freund/
sagte der Herr Charles, bleibt noch ein wenig da. Ich bin doch
so arm nicht, daß ich Euch nicht Euern wohlverdienten Fuhrlohn
bezahlen könnte, so ich doch die Fracht Euch abgenommen habe/
und gab ihm die fünfhundert Rubel. Also sind jetzt die Kindlein
versorgt, der Fuhrlohn ist bezahlt, und so ein oder der andere ge-
neigte Leser vor den Thoren der großen Stadt hätte zweifeln
mögen, ob der Vetter auch zu finden sei, und ob er's thun werde,
so hat doch die heilige Vorsehung ihn nicht einmal dazu von-
nöthen gehabt.
44.
Die Nach e.
Bon Uhland.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1853. S. 328. — 19. Auflage. 1866.
58. Aufl. 1874. S. 328.
§er Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht wär' selber ein Ritter gern.
Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.
Hat angeleget die Rüstung blank,
Auf des Herren Stoß sich geschwungen frank.
Und als er sprengen will über die Brück',
Da stutzet das Roß und bäumt sich zurück.
Und als er die gttldnen Sporen ihm gab,
Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab.
Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.
45.
Der treue Diener.
Aus Lessing'S Minna von Barnhelm.
Sämmtliche Schriften, herausgegeben von Lachmann. Berlin 1838—40. I, 519.
Major von Tellheim. Bist du da?
Just, sein Bedienter (indem er sich die Augen wischt). Ja.
Tellheim. Du hast geweint?
Just. Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben,
und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr.
Tellheim. Gieb her.
Just. Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich
weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben; aber —
Tellheim. Was willst du?
Just. Ich hätte mir eher den Tod, als meinen Abschied ver-
muthet.
Tellheim. Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß
mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Er liefet.) Was der Herr
Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den
Monat 6 Thaler, macht 21 Thaler. Seit dem ersten dieses an
Kleinigkeiten ausgelegt: 1 Thlr. 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum
22 Thlr. 7 Gr. 9 Pf? — Gut, und es ist billig, daß ich diesen
laufenden Monat ganz bezahle.
Just. Die andere Seite, Herr Major —
Tellheim. Noch mehr? (liefet.) Was dem Herrn Major ich
schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt 25 Thlr. Für War-
tung und Pflege während meiner Kur für mich bezahlt 39 Thlr.
Meinem abgebrannten und geplünderten Vater auf meine Bitte
vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm
geschenkt, 50 Thlr. Summa Summarum 114 Thlr. Davon
abgezogen vorstehende 22 Thlr. 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn
Major schuldig 91 Thlr. 16 Gr. 3 Pf.' — Kerl, bist du toll?
Just. Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste.
Aber es wäre verlorne Tinte, es dazu zu schreiben. Ich kann
Ihnen das nicht bezahlen; und wenn Sie mir vollends die Liverei
nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe, so wollte ich lieber,
Sie hätten mich in dem Lazarethe verscheiden lassen.
Tellheim. Wofür sichst du mich an? Du bist mir nichts
schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen,
bei dem du es besser haben sollst, als bei mir.
Just. Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie
mich verstoßen?
Tellheim. Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Just. Darum? nur darum? — So gewiß ich Ihnen schuldig
bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß
sollen Sie mich nun nicht verstoßen. — Machen Sie, was Sie
wollen, Herr Major, ich bleibe bei Ihnen, ich muß bei Ihnen
bleiben.
Tellheim. Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wil-
des ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meinst, daß sie
dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine
Rachsucht---------
Just. Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich
will darum doch nicht schlechter von mir denken, als von meinem
*Ljß*rtä&L
62
unde. Vorigen Winter gieng ich in der Dämmerung an dem
anale und hörte etwas winseln. Ich stieg hinab und griff nach
der Stimme und glaubte ein Kind zu retten und zog einen Pudel
aus dem Wasser. Much gut/ dachte ich. Der Pudel kam mir
nach; aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn
fort, umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn
des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Thüre auf
der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem
Fuße; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwänze. Noch
hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen; und doch
bin ich der einzige, dem er hört, und der ihn anrühren darf. Er
springt vor mir her und macht mir seine Künste unbefohlen vor.
Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn
er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den Pudeln gram zu
sein.
Tellheim (für sich). So wie ich ihm! (laut.) Just, wir bleiben
beisammen.
Just. Ganz gewiß! — Sie wollten sich ohne Bedienten be-
helfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren, und daß Sie nur eines Armes
mächtig sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin
Ihnen unentbehrlich und bin — ohne mich selbst zu rühmen, Herr
Major — und bin ein Bedienter, der, wenn das Schlimmste zum
Schlimmen kommt, für seinen Herrn betteln und sterben kann.
46.
Remteremteremtemtem.
Von Colshorn.
Des Mägdleins Dichterwald 5. Anst. Hannover 1867. S. 56. — 7. Anst. 1875. S- 55.
Gealtert war der alte Fritz,
Zur Neige gieng sein sprudelnder Witz;
Drum war er unwirsch oft und murrend,
Sprach abgebrochen, kurz und schnurrend,
Und so ihn jemand nicht gleich verstand,
So ward er Übel angerannt.
Am schlimmsten war'ö bei Musterungen,
Wenn die Kanonen den Grundbaß snngen.
Zwar die Herren Adjutanten,
Die ihn von innen und außen kannten,
Sie verstanden den Alten sofort:
Sie lasen vom Munde ihm das Wort.
Doch wehe den Extraordonnanzen!
Sie that er oft nicht schlecht kuranzen!
Bei einem solchen Manöver war
Einst fortgeschickt die gesammte Schar
Adjutanten und Ordonnanzosficiere:
fSÖS
Sie jagten, als ob der Sturm sie entführe.
Es war dem König nur noch zur Hand
Ein einziger junger Lieutenant.
Dem war das Herz nicht wenig beschwert:
Seit einer Stunde hatt' er gehört
Alle Befehle nach hier und dort;
Verstanden hatt' er kein einziges Wort.
Ha!' seufzte der Leutnant still für sich,
Ha, kommt die Reihe jetzt an dich,
Du bist verloren!' — Da hört' er schon
Des Königs kurzen gebrochenen Ton:
'Leutnant Klemm!' rief hastig der Fritz,
'Reit' Er zum General Seydlitz —'
Weiter verstand er nicht Ein Wort,
Das andre trugen die Lüfte fort,
Das schwirrte, wie ein schnarrendes Rm:
'Remteremteremtemtem!'
Einen Moment sann der Ärmste nach,
Er stand, als sei er gerührt vom Schlag.
'Reit' Er!' rief der König voll Hast.
Da hatte der Leutnant sich schnell gefaßt:
Er jagte davon mit Ungestüm,
Als sitze das Unglück hinter ihm.
'Excellenz!' so rief er ohn' langes Wählen,
'Excellenz, Seine Majestät befehlen
Remteremteremtemtem 1'
'Was befiehlt die Majestät, Herr Klemm?' —
'Remteremteremtemtem!'
So rief er und machte Rechtsumkehrt,
So rasch, wie der Blitz um den Kirchturm fährt.
Und ritt, als sitz' ihm der Tod an den Sohlen,
Als woll' er beim König das Leben holen.
Das Manöver verlief ganz ungestört;
Als der König aber den Spaß gehört,
Da hat er sich weidlich satt gelacht
Und den Klemm zum Adjutanten gemacht.
47.
Drei lustige Historien von Hans Clauert.
Hans Clawerts Werckliche Historien, beschrieben durch Bartholomeum Krüger. 1501. —
Vrgl. ColShorn's Märchen und Sagen. Hannover 1854. S. 197.
Wie Hans Clauert seinen Herrn mit einem Bauern zusammenbrachte.
Als Hans Clauert zu Zerbst bei einem Schlosser in der Lehre
war und sein Lehrmeister einmal gute Freunde bei sich hatte, denen
Hans Wein und Bier einschenkte, begab sich's, daß von ohngesähr
ein starker, viereckiger Bauerknecht vor das Haus kam und heftig
an die Thür klopfte. Demselben aufzumachen, lief Hans Clauert
eilends hinaus und fragte, was des Bauern Begehr sei. Dieser
gab ihm zur Antwort: 'Ich wollt' gern ein Schloß kaufen.' Dar-
auf sagte Hans Clauert: 'Ich hab's keine Macht, dieselben zu ver-
kaufen, sondern will meinen Meister herausfordern, der Euch den
Kauf bald sagen wird. Damit Ihr aber desto füglicher zum Handel
kommen möget, sollt Ihr wissen, daß mein Meister sehr übel höret,
und muß einer gar laut rufen, den er etwas verstehen soll.' Der
Bauer nahm das für blanke Wahrheit, und Hans Clauert ver-
merkte, daß sein Vorhaben fortgehen würde; darum berichtete er
gleichergestalt seinem Meister auch also, daß einer begehre ein Schloß
zu kaufen, er sei aber fast gar taub, welches sein Meister auch
glaubte. Und indem dieser zur Stubenthür herausgieng, schrie ihm
der Bauerknecht entgegen, so laut er nur immer vermochte: 'Einen
guten Tag, Meister, einen guten Tag!' Darob fieng Hans Clauert
in der Stuben vorm Tisch an zu lachen und sagte zu den Gästen:
'Ich habe sie beide zusammengebracht, der Henker mag sie schei-
den!' Das verstanden die Gäste nicht, sondern verwunderten sich
des großen Geschreis und vermeinten nicht anders, als die beiden
Leute wären unsinnig worden. Denn der Meister rief noch viel
heftiger als der Bauer, und sie trieben das Geschrei über den Kauf
so lange, daß je einer zu sich selbst mit gemächlichen Worten sagte:
'Hat mich denn der Teufel mit dem Narren beschert!' und der an-
dere mit eben solchen Worten zu sich redete. Über das Narren-
schelten aber würden sie endlich zum Nansen und Schlagen kommen
sein, auch einander mit dem Hammer häßlich zugerichtet haben, wo
die Nachbarn von der Gassen und des Kleinschmieds Gäste aus
der Stuben nicht kommen wären und Frieden genommen hätten.
Hierüber haben die Nachbarn und Gäste, nachdem sie den Grund
erfahren, genugsam gelachet und haben Hans Clauert's wnnderbar-
lichen Kopf daraus erkennen lernen.
Wie Haus Clauert Herr und Narr im Hause war.
Als Hans Clauert groß geworden war, nahm er ein Weib
und wohnte in Trebbin; seine Frau aber war ein herbes Kraut,
und war nichts als eitel Zank und Streit unter den beiden. Des-
halb war Hans Clauert nur selten daheim, und weil er sonsten
sehr kurzweilig war, so hatte ihn jeder gern bei sich, ungeachtet
sie für ihn bezahlen mußten. Einst war der Rath versammelt und
hatte Hans Clauert bei sich; weil dieser aber wieder lange nicht
in seinem Hanse gewesen war, so ward seine Frau beweget, ihn zu
suchen. Als sie ihn fand und ihn mit häßlichen Schmähworten
angriff, saß Clauert vor dem Tisch, that, als wenn er's nicht ge-
hört hätte, trommelte mit den Fingern einen muthigen Tanz,
trank herum und machte sich lustig. Die Herren des Raths aber
riefen sie und boten ihr zu trinken; darüber ward sie noch grim-
miger, schalt viel heftiger als zuvor und gieng brummend davon.
Da sie nun fort war, sagte einer nach dem andern zu Clauert:
^Hans, Ihr möget nun wohl heimgehen und Euch zwagen lassen;
denn die Lauge ist wohl gewännet!' Er sagte: ^Wie so? Warum
sollt' ich nicht heimgehen?' Die Herren sagten: <Habt Ihr nicht ge-
höret, wie Euer Weib Euch die Lection gelesen? Sie wird Euch will-
kommen heißen!' Clauert sagte: Mein Weib? Sollte sie mir ein
unnützes Wort geben? Das kann ich nicht glauben! Mein Weib
soll heute noch mit mir tanzen!' Darüber mußten wohl alle lachen
und wetteten mit ihm um eine Tonne Bier, wo sie ungebeten oder
ohne Bericht, daß er gewettet hätte, mit ihm tanzen würde. Clauert
sagte: Das sollt ihr wohl erfahren, und daß es gewiß sei, so sendet
aus eurer Mitte zween mit mir, die es ansehen und hören, ob sie
nicht ungebeten wird mit mir tanzen.' Sie schickten zween aus dem
Rath mit ihm, die hieß er in seinem Hause vor der Stubenthür
warten, wo sie durch ein kleines Fensterlein alles wohl sehen und
hören konnten, wie sie's in der Stuben trieben. Als nun Clauert
in die Stuben kam, saß sein Weib beim Kachelofen und spann.
Er sagte kein Wort zu ihr, sondern stützte beide Hände in die
Seiten, tanzte die Stuben aus und nieder, hin und wider und
sang sich selber einen Tanz, mit diesen Worten:
Mnd bin ich denn nicht Herr im Haus?
Und bin ich denn nicht Herr im Haus?'
welche Worte er allezeit und oft wiederholte und dabei aus Leibes-
kräften hüpfte und tanzte. Darüber ward das Weib so giftig, daß
es hätte zerspringen mögen, konnte es in die Länge nicht mehr ver-
tragen, nahm vor Zorn ihren Rocken, warf ihn hinter den Ofen,
setzte auch beide Hände in die Seiten und tanzte hinter ihrem
Manne her; und wenn Clauert seinen Tanz sang:
'Und bin ich denn nicht Herr im Haus?
Und bin ich denn nicht Herr im Haus?'
so sang sie allezeit dargegen:
'Und bist du denn nicht Narr im Haus?
Und bist du denn nicht Narr im Haus?'
und tanzte hinter ihm her; und je lauter er sang und schrie, je
lauter sang und schrie sie auch, und je wilder er hüpfte und tanzte,
je wilder hüpfte und tanzte sie auch, und trieben sie solchen Tanz
und Sang so lange, bis die zween Rathsverwandten mit heller
Stimm' im Hause anfiengen zu lachen. Da das Clauert erhörte,
gieng er stillschweigend wieder aus der Stuben und mit den zween
Abgesandten hin zum Rath und ließ sein Weib singen und tanzen
daheim, was und wieviel sie wollte. Die zween aber, so mit da-
heim gewesen, erzählten dem Rath, wie es Clauert gemacht und
wie sein Weib ungebeten getanzt, auch darzu gesungen hätte. Da
erschütterten sie sich alle vor Lachen und gaben Clauerten die Tonne
Bier gern gewonnen, die sie auch des folgenden Tages mit einander
in aller Fröhlichkeit austrunken.
Colshorn u. Gsedeke'S Lesebuch II.
5
Wie Clauert mit -nrpnrianischem Tuch eineu gute» Markt hielt.
Wenn Hans Clauert an einem bekannten Ort war, so sam-
melten sich ihrer viele daselbst, aus der Ursachen, daß sie viel kurz-
weiliges Dinges von ihm hörten, und sonderlich war die Karte
nicht weit von ihnen, weil sie wußten, daß Clauert dieselbige lieb
hatte. Wie er denn einmal gen Teltow zu einem guten Freunde
kam, verfügten sich ihrer- etliche dahin, die alle seine guten Zech-
brüder waren; und als sie vernahmen, daß Clauert Geld bei sich
hätte, ließen sie bald eine Karten holen, setzten sich mit Clauerten
zusammen und gewannen ihm sein Geld so gar abe, daß er keinen
Pfennig mehr hatte. Da setzte er vier Ellen purpurianisch Tuch
zu, der Hoffnung, daß er etwas von seinem Gelde wiederbekommen
möchte; aber das Unglück war so groß, daß er die vier Ellen Tuch
auch verlor. Da gieng er des Abends vor die Thür heraus, sahe
sich weit um und sprach: Du lieber Gott, ich bin so alt geworden
und habe nicht gewußt, daß die Leute allhie zu Teltow das pur-
purianische Tuch so wohl kennen, und daß es so wohl abgehet,
und habe eben nicht mehr als die schlechten vier Ellen bei mir ge-
habt und hätte vor langer Zeit an solchem Tuch viel Gelds er-
werben mögen, so ich's gewußt hätte, daß es so wohl allhier ver-
kauft wäre gewesen! Wohlan, sie sollen mir's ein andermal theuer
genug bezahlen!' Gieng also traurig hin, legte sich auf eine Bank
und vermeinte zu schlafen; aber das purpurianische Tuch machte
ihm so viel schwere Gedanken, daß er nicht einschlafen konnte. Es
war aber in derselben Herberge ein anderer, der bei Tage wohl
gesehen hatte, daß Clauert einen vollen Beutel gehabt, auch nicht
wußte, daß er alles verspielet hätte. Da er nun vermeinte, daß
Clauert entschlafen wäre, und eine gute Beute darvonzubringen
gedachte, schlich er heimlich hinzu und griff Clauerten in den Geld-
beutel. Darzu schwieg Clauert still, obgleich er's wohl hörte und
fühlte; zuletzt doch fieng er an und sagte: <Suche du, mein lieber
Sohn, suche, ob du etwas finden könnest; ich habe den ganzen
Abend gesucht und keinen Heller mehr finden können.' Darüber
ließ der Dieb vor Schrecken Mantel und Hut liegen und lief dar-
von, daß Clauert also noch seine Zeche darvon bezahlen konnte,
da er sonst wohl seinen eigenen Mantel im Stich hätt' lassen
müssen. __________________
48.
Zwölf Räthsel.
i
2.
S. 197.
S. 201.
,3« geschickter Künstlerhand
Macht er schöne bunte Sachen;
Als ein ungeschickter Mensch
Läßt er alles mit sich machen.
Welcher Vogel ist es,
Den,- so laut er girrt,
Doch ein Gleichgenannter
Schwerlich hören wird?
67
3.
S. 200.
Man läßt ihn sprechen,
Man läßt ihn stechen;
Es ist ein Vogel
Und ein Gebrechen.
4.
S. 199.
Sie ist eine Feier,
Er ist ein Geier,
Und noch ein er,
So wird's ein Weiher.
5.
S. 200.
Sie hält fest zusammen,
Was sie hält umwunden,
Und durch ihre Dehnung
Wird das Maß gefunden;
Mit dem Vater ist sie
Durch den Sohn verbunden.
6.
S. 202.
Einer ist es, der kein Knecht ist
Und es nie will sein auf Erden;
Einer ist es, der kein Mann ist
Und es eben wünscht zu werden.
7.
S. 202.
Einer ist eS, der gesandt ist,
Einer ist es, der gewandt ist.
8.
S. 197.
Was bewegt man, um Fische zu
fangen
Und in die Stube zu gelangen?
9.
S. 196.
Wenn du den ziehst, wird der Most
Dir entgegen schäumen;
Wenn du das thust, reift dir einst
Edles Obst an Bäumen.
10.
S. 197.
Ein — hast du dir manchen Gast,
Auf — hast du dir manche Last;
Sag, was hinter beide----------paßt;
il.
S. 201.
Die Karten sind's, das Spiel gilt
Nicht;
Die Schuld stst's, weg ist ihr Ge»
wicht.
13.
S. 201.
Wer eö ist, der ißt
Gern das, was es ist.
Nennt mir's, wenn rhr's wißt.
49.
Der Rabe und der Fuchs.
^ „ Von Lesstng.
Sämmtliche Schriften, herausgegeben von Lachmann. Berlin 1838—40. I, 148.
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte
Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in sei-
nen Klauen fort.. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche
verzehren, als sich ein Fuchs herbei schlich und ihm zurief: <Sei
mir gesegnet, Vogel des Jupiter!' — <Für wen siehst du mich an?'
fragte der Rabe. — <Für wen ich dich ansehe?' erwiderte der
Fuchs. <Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten
des Zeus aus diese Eiche herabkvmmt, mich Armen zu speisen?
Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen
Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken
noch fortfährt?'
5*
68
Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler
gehalten zu werden. <Jch muß,' dachte er, <den Fuchs aus diesem
Irrthum nicht bringen.' — Großmüthig dumm ließ er ihm also
seinen Rgub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fieng
das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch
bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das
Gift fieng an zu wirken, und er verreckte.
Möchtet ihr euch nie etwas anderes als Gift erloben, verruchte
Schmeichler!
50.
Der Löwe und der Fuchs.
Von Gleim.
Werke, herausgegeben von Körte. Halberstadt 1811. III, 212.
Herr Löwe,' sprach der Fuchs, üch muß
Dir's nur gestehen, mein Verdruß
Hat sonst kein Ende:
Der Esel spricht von dir nicht gut;
Er sagt, was ich an dir zu loben fände,
Das wiß' er nicht; dein Heldenmuth
Sei zweifelhaft; du gäbst ihm keine Proben
Von Großmuth und Gerechtigkeit;
Du Würgetest die Unschuld, suchtest Streit;
Er könne dich nicht loben.'
Ein Weilchen schwieg der Löwe still;
Dann sprach er: Huchs, er spreche, was er will;
Denn was von mir ein Esel spricht,
Das acht' ich nicht.'
Der fuchs.
von Jacob Grimm.
Reinhart fuchs. Berlin 1834. s. XXI.
Der fuchs fein, behend und geschmeidig, aber nicht stark,
geht mit listen um; er wohnt in gruben, die er sich da aussucht,
wo er ungestört zu hausen hofft: er ersieht sich gern alte fuchs-
höhlen oder löcher des kaninchens, das er daraus verjagt; diese
gruben führt er frisch aus, säubert und hält sie sehr reinlich,
bald macht er sich im umkreis seiner wohnung die ganze gegend
auf ziemliche weite bekannt und erspäht flecken, dörfer, einzelne
häuser, in welchen er federvieh wittert. sachte, fast spurlos
schleicht er über den weichen boden, ist stets vorsichtig, ver-
ständig, geduldig und mistrauisch. er unterscheidet wege, wo
die ruhe herrscht, von denen, wo man lärm hört und hundegebell.
er hat dieselbe neigung nach raub, die den wolf bezwingt, aber
er weisz sie zurückzuhalten und gelegenere augenblicke abzuwar-
teu: seine lebensart, sein geschärt macht ihn verwickelterer be-
trachtungen fähig als den wolf. in neuer läge versteht er immer
neue mittel zu ersinnen und innere gewohnheit und lust im zäum
zu halten; selten läszt er sich hinreiszen. nachdem er sich still
und leise seiner beute genaht hat, springt er schnell und leicht
auf sie los. er sammelt sich Nahrung im verrath und kriecht da-
mit zu baue, er geht stets die nase gegen den wind, kennt
Schlupfwinkel, hecken und rettende auswege, alle umstände einer
früheren gefahr hält er seinem gedächtnis eingeprägt, neuen ge-
genständen nähert er sich scheu und langsam, jeder schritt ist
ihm verdächtig; nur mit ihm unbekannter lockspeise mag er ge-
fangen werden, hat er sie einmal erfahren, so ist nichts weiter
damit gegen ihn auszurichten, er hat Witterung vom eisen und
weisz die speise geschickt von der falle, ohne dasz es ihm scha-
det, wegzunehmen, wird das getreide lang, so führt er seine
jungen gern hinein, ihm ist grosze ausharrungskraft eigen; in
seinem bau überfallen und belagert, steht er lieber den grausamsten
hunger aus, als dasz er hervorkäme, manchmal wochenlang, nur
todesnoth zwingt ihn endlich, mit seinen nägeln gräbt er neue
ausgänge, dem jäger zu entrinnen, sind die Nachstellungen zu
häufig, so entweicht er aus dem land und findet sich eine andere,
entfernte wohnstätte. auf der flucht sucht er das engste dickicht;
merkt er, dasz jäger vor ihm auf dem anstand sind, so läuft er
nicht ihnen vorbei, sondern thut alles um auszuweichen; oft ist
er dreimal über neunfüszige mauern gesprungen, sein geruch ist
scharf; wo er sonst wildbret weisz, meidet er menschen und
dörfer, so gern er hühnerfleisch iszt, wegen der gröszeren gefahr.
blosz für ihre jungen wagen sich fuchs und füchsin, heftige liebe
besiegt dann alle ihre furcht und vorsieht, diese thiere, von jir-
gend auf an blut gewöhnt, erweisen sich auf das zärtlichste ge-
gen Weibchen und kinder.
52.
Der Feind.
Bon Scherenberg.
Gedichte. Berlin 1850. S. 21. — 3. Anfl. 1353.
Der Adler lausch
Auf seinem Horst;
Der Keiler rausch
Zur Kesselforst;
Das Kätzlein klin
Am Ast sich fest;
„ Der Wolf, er hii
Zum Felsennest;
Das Damwild st
Zum Dickicht ein;
Der Fuchs still schleicht
Zum Bau hinein;
Aufstutzt, hinflitzt
Das scheue Reh;
Die Lössel spitzt
Der Has utt Klee;
Die Ente duckt
Im düstern Rohr;
Das Fischlein guckt
Nicht mehr hervor;
Und alles schweigt
70
Im Hinterhalt —:
Der Mensch sich zeigt
Geht durch den Wald.
53.
Der Mittag auf dem Königssce.
Von Jacobs.
Kleine Erzählungen 2. Anst. Leipzig 1844. S. 1.
Nicht weit von Berchtesgaden in den Salzburger Alpen liegt
der Königssee. Schroffe Felsenwände umgeben ihn, am Fuße mit
Tannen besetzt, die schwindelnden Höhen mit Wolken gekrönt.
Zwischen ihnen breitet der See eine dunkelgrüne Ebene aus und
nimmt in seinem Spiegel das Bild der gewaltigen Umgebungen
auf, an denen hier und da zarte Bäche niederrauschen. Nur an
wenigen Stellen schließen sich diese ewigen Mauern auf und gön-
nen den Blicken in rasenbekleidete Schluchten einzudringen. In
der Mitte des Sees aber liegt ein kleines Eiland und ans ihm
eine Kapelle, dem h. Bartholomäus geweiht, und ein Jagdschloß,
alles mit schattigen Bäumen umgeben, so daß das Ganze einem
Haine gleicht.
Als ich diesen See an einem heitern und klaren Herbsttage
mit einigen Freunden befuhr, sahen wir hoch über uns von der
rechten Seite her einen Lämmergeier nach dem entgegengesetzten
User ziehn. Indem er mit stillem Fluge, einem Schwimmenden
gleich, die blaue Luft durchschnitt, selten nur und schwach die ge-
waltigen Flügel regend, feuerten wir eine Flinte ab. Mit viel-
fältiger Wiederholung hallte der Knall von allen Seiten wider;
der Geier schrak heftig zusammen, drehte sich, die weit ausge-
spannten Fittiche stärker schlagend, um sich selbst herum, stieg dann
fast pfeilgerade in die Höhe und entschwebte, kaum noch sichtbar,
mit rascherem, aber immer gehaltenem Fluge unserm Gesichtskreise.
Da erzählten uns die Schiffer, daß diese Thiere wohl bisweilen
zur Brütezeit kleine unbewachte Kinder geraubt hätten, um sie
ihren Jungen zu bringen; auch sehe man sie bisweilen mit einen:
Zicklein oder Lamm über den See hinziehn, wo es dann wohl ge-
schehe, weil sie, von ihrer Last beschwert, nicht hoch genug auf-
steigen könnten, daß die Kugeln der Jäger sie erreichten; und von
solchen wären die Bilder auf dem Jagdschlösse zu sehen. Auch er-
zählten sie, ein dreister Hirtenknabe habe einstmals versucht, ein
Fclsenhorn zu erklimmen, aus dem ein solcher Geier horstete. Er
habe auch das Nest erreicht und „hineingesehn, und zwei junge
Geier hätten darin gesessen und, Ätzung erwartend, die Schnäbel
weit aufgerissen. Einen davon habe er ergriffen, und dieser habe ein
durchdringendes Geschrei ausgestoßen. In diesem Augenblicke ver-
:2sr? -'
nahm er auch von fern das antwortende schreien der Eltern,
die ihren Jungen zu Hülse eilten; und kaum hatte er Zeit gehabt,
an der steilen Felswand hinabzugleiten, als er die ergrimmten Thiere
schon über sich sah. Sie würden ihn zerrissen haben, hätte er sich
nicht in unbeschreiblicher Angst in eine der Halden gestürzt, welche
Winter und Sommer mit Schnee angefüllt sind. Schnell ver-
grub er sich in den Schnee, so tief er nur konnte, und lag und
lauschte in seiner Verborgenheit. Die Gefahr gieng vorüber. Lange
aber hörte er noch das Geschrei der furchtbaren Thiere und ihren
zürnenden Flügelschlag, als sie, gleichsam unwillig über verfehlte
Rache, zu ihrem Felsenneste zurückkehrten.
Unter diesen Erzählungen kamen wir an der Insel an. Vor
uns waren schon mehrere Reisende gelandet, die, unter den Bäumen
lustwandelnd oder im Schatten lagernd, die Mittagszeit erwarteten;
und es dauerte nicht lange, als uns die Tischglocke des Kellners
zur Mahlzeit rief. Die Tafel war in einem Zimmer gedeckt, in
welchem die lebensgroßen Bilder, von denen die Schiffer gesagt
hatten, an den Wänden hiengen. Diese Bilder führten ganz na-
türlich wieder mancherlei Erzählungen herbei, in denen sich, wie
es zu geschehn Pflegt, Wahrheit und Dichtung mischte, die aber
insgesammt einen Anstrich von dem Charakter der großartigen und
wunderbaren Natur dieser Gegend hatten.
Mles hier,' sagte einer der Reisenden, ein Hanseate, llst ge-
waltig, ungeheuer und kühn; nur der Mensch ist wie überall.'
Mit Nichten,' entgegnete ein Schweizer; <auch die Menschen
in unsern Alpen sind wie die Natur. Zwar nicht eben größer an
Wuchs, aber stärker, ausdauernder und vor allen Dingen herz-
hafter und kühner als anderswo. Der Hirt, wenn er Monate
lang auf seiner einsamen Alm wohnt, kennt keine Furcht. Am
Tage verfolgt er die dreisten, irrenden Ziegen über die schroffsten
Felsen hin, wo ihn auf allen Seiten unermeßliche Abgründe zu
verschlingen drohn, oder sammelt, über der Tiefe hängend, aus
den Spalten der Felsenwände sein dürftiges Heu; bei Nacht aber,
wenn er aus seinem Lager von dürrem Laube schläft, weckt ihn
bald der Donner der Lawinen, bald der Gewitterschläge, die in
diesen Gebirgen ganz anders rasen als auf euern Heiden und
Blachfeldern. Und nun gar der Alpenjäger! Der kennt die Furcht
kaum dem Namen nach; ja, er liebt die Gefahr und sucht sie be-
gieriger auf, als der Landbewohner den ausgesuchtesten Genuß be-
guemer Üppigkeit. Daß er der strengsten Kälte und jedem Ungestüm
der Witterung trotzen, oft ganze Nächte unter freiem Himmel auf
schroffen Klippen zubringen muß, will ich gar nicht in Anschlag
bringen; wie oft aber muß er sich, um eine einzelne Gemse zum
lDchuß zu bekommen, ans den schmälsten Fußsteigen heranschleichen,
wo auf der einen Seite der schroffe Fels wie eine Mauer auf-
steigt, auf der andern der Abgrund sich öffnet, und das vielleicht
72
über frischen Schnee weg, der ihm unter den Füßen zerrinnt. Wie oft
muß er auf solchen Wegen lange Strecken hin auf Händen und
Füßen kriechen, um endlich der gehofften Beute Herr zu werden.
Und nun, mit einer Last von oft sechzig bis siebzig Pfund auf
dem Rücken, wozu noch Büchse, Ranzen und anderes Zubehör,
muß er den schroffen, schlüpfrigen Pfad mit noch größerer Gefahr
hinabsteigen, und wenn er endlich sich und alles in Sicherheit ge-
bracht hat, so sind wenige Gulden der Preis seiner Anstrengungen,
ein Preis, den er auf andre Weise ohne Gefahr und mit geringerer
Mühe hätte gewinnen können. Aber eben die Gefahr ist es, die
ihn reizt; er würde die Beute verschmähen, wenn er sie nicht auf
eben diese Art erobern müßte. Er weiß, daß sein Leben auf dem
Spiele steht; er weiß, daß gar oft das geängstete Thier, wenn es
keinen Ausweg sieht, sich mit größter Gewalt seinem Verfolger
entgegenwirft und ihn in den Abgrund stürzt; er weiß, daß kein
Jahr ohne solche Unfälle, Unfälle der schrecklichsten Art, vergeht:
und dennoch kühlt das alles seinen Eifer nicht ab. Es ist also
gewiß, daß diese großartige und erhabne Natur auch auf die Men-
schen einwirkt und ihnen einen Charakter aufdrückt, der ihrer eignen
Beschaffenheit angemessen ist.'
<Es ist halt mit der Gefahr wie mit der Arbeit/ sagte ein
anderer. ^Es ist eine Gewohnheit. Wie sauer einem auch die
Arbeit ankommt, wer einmal daran gewöhnt ist, der kann sie nicht
entbehren, und wenn sie ihm fehlt, sehnt er sich darnach und nimmt
wohl ganz unnütze Dinge vor. Ein paar Schlachten, ein paar
Seefahrten machen auch den Feigsten beherzt. Erst thut's die Noth,
dann die Gewohnheit. In Bengalen geht man ebenso keck auf
die Tigerjagd, als anderwärts nach Hasen und Rehen. Der Mensch
gewöhnt sich an alles.'
^Allerdings/ sagte ein dritter, ein eifriger Naturforscher, der
große Reisen gemacht hatte, ^allerdings; wo die Gefahr eine ge-
wöhnliche Erscheinung ist, ist es auch der Muth. Auf meinen
Reisen durch Nordamerika bin ich in Gegenden gekommen, wo die
auf unermeßlichen Strecken dünn zerstreuten Bewohner keine Nacht
vor den Besuchen von Wölfen, Bären und andern reißenden Thieren
sicher waren. Sie hielten daher immer Feuer vor ihren Hütten,
und auch das reichte nicht immer hin, die hungrigen Gäste abzu-
halten. Es ist aber auch unglaublich, mit welcher Kühnheit die
Einwohner jener Gegenden ihre Feinde bekämpfen und, ebenso
wie eure Gemsenjäger, um geringen Gewinns willen ihr Leben
aufs Spiel setzen.
<Jch kam einstmals/ fuhr er fort, <auf meinen botanischen
Wanderungen in den blauen Bergen gegen Abend in ein einsames
Haus, um mir ein Nachtlager auszubitten. Die Gastfreiheit ist
bei diesen Einsiedlern zu Hause, wie bei allen Bergbewohnern, und
dort vielleicht um desto mehr, je seltner die Gelegenheit zu ihrer
MMW
73
Ausübung kommt. Beim Eintritt in das Haus war das erste,
was mir in die Augen fiel, ein Bärenfell von ungewöhnlichem
Maße, das erst vor kurzem abgezogen schien. Auf der Hausflur
waren einige Frauen beschäftigt, Fleisch einzusalzen und in eine
Tonne zu legen, wobei ihnen ein muntrer elfjähriger Knabe hülf-
reich Hand leistete. An den Wänden hiengen Fischnetze und
mancherlei Gewehr umher, und an der Decke war ein ausgestopfter
Adler schwebend aufgehangen. Meine Bitte um ein Obdach wurde
freundlich aufgenommen. Der schwarzäugige Knabe öffnete mir
das Wohnzimmer, wo der Vater auf einem Lehnstuhle saß und
mich willkommen hieß, zugleich aber um Verzeihung bat, daß er
mir nicht entgegenkomme. <Jch bin seit einigen Tagen invalid/
fuhr er fort; 'aber mein Sohn wird die Pflichten erfüllen, die mir
obliegen würden. Billy, rücke dem Herrn einen Lehnstuhl ans
Kamin?
'In kurzem war ich einheimisch hier. Ein Mädchen reichte mir
Thee, und der Knabe röstete einen Toast *) am Kaminfeuer. Bald
war auch ein Gespräch im Gange. Da erfuhr ich denn aus dem
Munde meines Wirtes als Ursache seiner Lähmung folgende Ge-
schichte: 'Vorige Woche/ sagte er. ‘giettg ich mit meiner Flinte auf
die Entenjagd. Auf dem Heimwege — die Sonne stand schon
am Rande der Berge — sah ich einen Büren von ungewöhnlicher
Größe — Sie werden sein Fell draußen gesehn haben — ganz
wohlgemuth vor mir hertraben. Ich hatte noch einen Schuß in
meiner Flinte, und da die Entfernung nicht groß war, feuerte ich
sie auf den Bären ab. Dieser stürzte zu Boden, raffte sich aber
unverzüglich wieder auf und lief spornstreichs einer Felsenschlucht
zu, die sein gewöhnlicher Aufenthalt sein mochte. Ihn dahin zu
verfolgen, war jetzt zu spät; auch fehlte es mir an Waffen, denn
Pulver und Blei hatte ich weiter nicht bei mir. Ich dachte aber:
Du entgehst mir nicht! Eine gute Lection hast du schon, und
morgen ist auch ein Tag. Ein Bär,' fuhr der Erzählende fort,
'ist eine gute Beute, wenn er todt ist. Man kann nicht bloß sein
Fell brauchen, auch sein Fett ist zu mancherlei Dingen gut — wie
gleich jetzt bei mir zum Einreiben —, und seine Schinken sind ge-
räuchert ein treffliches Gericht. Daß mir diese Beute zufallen
würde, zweifelte ich nicht. Ich hatte bemerkt, daß er Blut ver-
loren hatte, und so konnte ich hoffen, er werde bis zum Morgen
entweder den Geist aufgegeben haben, oder doch hinlänglich ge-
schwächt sein. Ich dachte die ganze Nacht an meinen Bären, und
der Tag war kaum angebrochen, als ich mich aus den Weg begab.
Die Flinte ließ ich zu Hause, sie war mir unnütz; denn beim
Nachsuchen fand sich, daß auch im Hause kein Körnchen Schieß-
pulver war, und in der Nähe liegt kein Ort, wo ich welches hätte
1) ein Rostbrot.
74
bekommen können. Dafür bewaffnete ich mich mit einer Heugabel
und einem Beil. Das Beil gab ich meinem Jungen zu tragen;
denn der ließ mir keine Ruhe, ich mußte ihn mitnehmen; und inr
Grunde ist es anch gut, wenn so ein Junge frühzeitig etwas sieht.
Wir kamen bald an die Stelle, wo ich am Abend nach dem Bären
geschossen hatte. Der Platz war mit Blut bedeckt, und eine starke-
Spur führte ohne Fehl zu der Schlucht, in die sich das Thier ge-
rettet hatte. Diese Schlucht senkt sich auf der einen Seite schroff
und steil, auf der andern bequemer hinab. In der Tiefe braust
ein Waldbach durch abgerissene Felsenstücke und überhängendes Ge-
büsch, und hier, etwas hinaufwärts, an der schroffen Seite, wurde
ich unter einer grauen Wacke, die wie ein Dach weit hervortrat,
meinen Bären gewahr, der, halb vom Buschwerk versteckt, den
Kops schlaff nach der Erde senkte. — ‘(Sr macht sein Testament/
sagte Billy. ‘Nun/ antwortete ich, ‘wir wollen ihm Helsen, und
ich will die Erbschaft in Empfang nehmen.' Mit diesen Worten
stieg ich den Abhang hinab, schritt auf den Steinen über das
Wasser und näherte mich dem Feinde mit der vollkommensten Zu-
versicht. Der Bär regte sich nicht. Schon war ich ihm so nah,
daß ich die Heugabel fällen konnte, um ihm den Todesstoß zu ver-
setzen; aber in demselben Augenblicke sprang er auf, umfaßte mich
mit beiden Tatzen und warf sich in dieser Umarmung mit mir den
Berg hinab in den brausenden Waldbach. Unterwegs verlor er
seine Zeit auch nicht, sondern biß zu, wohin er kam, und drückte
mich mit solcher Gewalt an sich, daß mir der Athem vergieng.
Billy schrie von oben herab wie wahnsinnig; aber was half das?
Der Bär fürchtete sich vor ihm so wenig als vor mir, und ich
wäre verloren gewesen, wäre mir nicht die Geschichte von einem
alten englischen Könige eingefallen — Sie werden von ihm gehört
haben —, der einem Löwen im Kampfe die Faust in den Rachen
gestoßen hat. Ich that^ desgleichen. Mit der einen Hand fuhr ich
dem Unthier in den Hals; und während wir uns zusammen in
dem Wasser herumwälzten, gelang es mir, mit der andern Hand
den Kopf des ermatteten Feindes unter das Wasser zu drücken.
In demselben Augenblicke kam Billy mit seinem Beile von oben
herunter und versetzte dem Bären einen solchen Schlag auf den
Schädel, daß ihm der Rest des Athems ausgieng. Der Junge
führt einen guten Hieb/ setzte der Erzählende mit innerlicher Freude
über den Muth seines Knaben hinzu. — ‘Ich war übel zugerichtet/
fuhr er fort, ‘das ist wahr, und ich werde wohl noch eine Weile
an meinen Wunden zu heilen haben. Das ist aber nicht das
Schlimmste. Beim Sturze von der Höhe habe ich mir die linke
Hüfte beschädigt; ich bin seitdem nicht bloß lahm, sondern leide
auch bei der geringsten Bewegung die heftigsten Schmerzen. Ich
will daran denken, wie mühsam ich mich nach Hause schleppte;
aber ich hatte doch meine Absicht erreicht und keinen schlechten Fang
iMzvmasasmtEsm*
warn w&zsusiivi.:. \mmsm
75
gemacht. Kaum haben ihn zwei starke Männer hereinschaffen kön-
nen. Er wog über vierhundert Pfund, und an dem Felle können
Sie sehn, daß es kein alltäglicher Bär war."
<Das war freilich ein wunderlicher Kampf,' sagte ein Kauf-
mann aus Ungarn, <aber Noth macht stark und bricht, wie das
Sprichwort sagt, auch wohl Eisen; und hier galt es das Leben.
Etwas Ähnliches, in seiner Art aber noch Äußerordentlicheres, trug
sich im vorigen Jahre in meiner Heimat, in der Nachbarschaft von
Bistritz, zu. Das Land ist gebirgig, die Einwohner arm; an Übung
in Gefahren fehlt es aber auch dort nicht. Nun wohnte nicht
weit von der Stadt eine arme Witwe auf dem Dorfe; diese Frau
war krank, und da es im Hause an Holz mangelte, schickte sie ihre
beiden Knaben mit einem Schlitten hinaus in den Busch. Von
diesen Knaben war der älteste noch nicht zwölf, der andere erst
acht Jahr alt. Wie sie mit ihrem Schlitten an der Kirche vor-
überkamen — ich erzähle alles, wie es sich zugetragen hat —, sagte
der jüngere: <Janko, mir ist wunderlich zu Muthe. Es ist mir,
als müßte uns ein Unglück begegnen. 'Laß uns erst in die Kirche
gehn? Der ältere antwortete: <Jch bin auch dabei. Mir hat auch
diese Nacht wunderliches Zeug geträumt; ich weiß es alwr nicht
deutlich mehr, nur daß ich blutete? Sie ließen also ihren Schlitten
an der Kirchthür stehn, giengen hinein und beteten. Dann fuhren
sie weiter und waren recht wohlgemuth, ob sie gleich einmal über
das andere tief in den Schnee fielen, und dürres Holz fanden sie
auch in Überfluß. Und schon waren sie beschäftigt, es aus dem
Schlitten zusammenzulegen und fest zu binden, als sie in der Ferne
zwei Wölfe erblickten, die in gerader Richtung auf sie zuliefen.
Ihnen zu entrinnen, war unmöglich; ein Baum, auf den sie sich
hätten retten können, war nicht in der Nähe, denn rings umher
war nur Buschholz; und was hätte ihnen auch der höchste Baum
geholfen? Die Wölfe hätten dabei Wache gehalten, und sie hätten
verhungern müssen. Was thun sie also in dieser Noth? Der
ältere, ein entschlossener Knabe, deckt den kleinern mit dem Schlitten
zu, wirft so viel Holz daraus, als er kann, und ruft ihm zu:
Wete, aber rühre dich nicht. Ich habe Muth? — <Ach, mein Gott,'
sagte der Kleine weinend, llveun wir umkämen, die Mutter stürbe
vor Gram? — Der eine Knabe steckte also unter dem Schlitten
und dem dürren Holze; der größere aber, der Janko, stellt sich mit
der Axt in Positur; und wie der eine Wolf, der am hitzigsten vor-
ausgelaufcn ist, herankommt, versetzt er ihm einen Hieb in den
Nacken, daß er zu Boden fällt. In diesem Augenblicke packt ihn
der andere Wolf am Arm und wirft ihn zu Boden. Hier faßt er
nun in krampfhafter Angst das Unthier mit beiden Händen an der
Kehle und hält den weit geöffneten Rachen von sich ab, ohne doch
zu schreien, um das Leben seines Bruders nicht in Gefahr zu brin-
gen. Diesen aber ergreift in seinem Versteck eine unbeschreibliche
76
Angst. Er wirft den Schlitten und das Holz von sich, rafft die
zur Erde gefallene Axt auf und versetzt dem Wolfe einige Hiebe
auf den Nucken. Dieser wendet sich nun gegen den neuen Feind,
und er würde ihn ohne Zweifel zerrissen haben, hätte sich der an-
dere nicht blitzschnell aufgerafft und die Axt dem Wolfe in den
Kopf geschlagen. So waren alle zwei schwache Knaben durch
Gottes Hülfe und ihren Muth Herrn von zwei furchtbaren Raub-
thieren geworden, ohne selbst eine gefährliche Wunde bekommen zu
haben. Verwundert sahen sie sich jetzt einer den andern an, dann
die Thiere, die mit offnem Rachen todt auf dem Rücken lagen,
und staunten über das furchtbare Gebiß und die gewaltigen Zähne,
die sie hatten zermalmen sollen. Dann knieten sie nieder und
beteten, und nachdem sie Gott für ihre wunderbare Rettung ge-
dankt hatten, kamen sie jubelnd mit ihrem Holze und den beiden
erlegten Wölfen auf dem Schlitten nach Hause. Ich habe selbst
in Bistritz die Knaben gesehn, wie sie mit den Wölfen durch die
Straßen zogen, ihre Geschichte erzählten und von der ganzen Stadt
bewundert und geliebkost und beschenkt wurden. Ich kann nicht
daran denken, ohne daß mir Thränen in die Augen kommen. Es
waren gar zu hübsche, liebe und fromme Knaben!'
Diese Geschichte, die mit Theilnahme gehört worden war,
führte noch einige andere Erzählungen verwandter Art herbei, die
alle bald mehr, bald weniger bewiesen, daß der Mensch, so wehr-
und waffenlos von Natur er ist, doch durch Klugheit, Muth und
Entschlossenheit Herr der Schöpfung wird. Während dieser Zeit
sah der Botaniker, wie in Gedanken versunken, still vor sich hin;
als aber eine Pause eintrat, erhob er seine Blicke wieder und
sagte: <ES ist mir bei den interessanten Erzählungen dieser Herren
die Erinnerung an einen Kamps vor die Seele getreten, von dem
ich selbst Zeuge gewesen bin, und der vielleicht der außerordent-
lichste, gewiß aber wegen seines Ausgangs der schrecklichste ist, den
man sich denken kann. Mehr als zehn Jahre sind seitdem ver-
flossen, aber noch ist der Eindruck davon so gewaltig in mir, daß,
so oft ich daran denke, mein ganzes Gemüth davon bewegt und
erschüttert wird.'
Wir baten um Mittheilung der Geschichte, und der Redende
erzählte nun aus folgende Weise: Was dem Ereignisse, das Sie
zu hören wünschen, ein eigenthümliches Interesse giebt, ist die Ju-
gend und die ganze Eigenthümlichkeit des Unglücklichen, den es be-
trifft. Nachdem ich das nördliche Amerika nach allen Richtungen
durchstreift und auch Haiti besucht hatte, schiffte ich mich mit einer
reichen Ernte von Pflanzen in Port au Prince nach Frankreich
ein. Unser Schiff war zum Theil mit irländischen Matrosen be-
mannt, unter denen sich namentlich die beiden Beckner, Vater und
Sohn, auszeichneten. Der Vater galt für den besten Matrosen in
der englischen Marine, und der Sohn, obgleich erst ein Knabe
cifeEHB ¿«41 . afflf-CTSS
77
von zwölf Jahren, gab dem Vater nur wenig nach. Groß und
stark über seine Jahre, leuchtete ans seinem von Sonne und
Wetter gebräunten Gesichte zugleich der Muth eines Mannes, eine
kindliche Gutmüthigkeit und jener unbesiegliche Frohsinn, der den
Irländer so vorzüglich auszeichnet. Auch war er der Liebling
aller, die aus dem Schiffe waren. Wenn wir ihm bei seinen Ge-
schäften zusahn und uns über die Gewandtheit freuten, mit der er
auch das Schwerste so leicht hin verrichtete, als ob eS nichts wäre,
und alles beachtete, ob er sich gleich um nichts zu bekümmern schien,
dann Pflegte der Vater wohl zu sagen: <Jst's ein Wunder? Ein
guter Irländer ist von Geburt an auch ein guter Seemann, und
mein Volney hat das Seewasser gekostet, eh' er 'Vater' sagen konnte.
Er war der erste Knabe, der uns geboren wurde, und ich sagte
gleich: <Aus dem soll ein Wasserheld werden; dafür steh' ich.' So-
bald er entwöhnt war, ließ ich ihn nicht aus den Augen. Ich
nahm ihn überall mit, und wenn ich ihn aus den: Kahn ins
Wasser warf, war es ihm ein Spaß, und er lachte mich an; und
wie er kaum zwei Jahr alt war, konnte er schwimmen wie ein
Fisch. Zwei Jahre später versprach ich ihm einmal, er sollte mit
hinüber nach England fahren, nahm aber mein Versprechen zurück,
weil er eine Dummheit gemacht und eine Strafe verdient hatte.
Er war außer sich, und ich mußte ihn einsperren. Was thut der
Junge? Er springt zum Fenster hinaus, läuft ans Ufer und stürzt
sich ins Wasser; und wie ich so an der Leiter hänge und das
Bramsegel einreffe, kommt etwas hinten nachgeschwommen; und
da ich hinsehe, wer soll's sein, als mein Volney, der, wie er mich
ansichtig wird, die linke Hand hoch in die Höhe hebt und lacht.
In wenigen Minuten war er am Schiss und wurde am Tau her-
aufgezogen, und alle unsre Leute waren wie närrisch vor Freuden
über den Jungen und herzten und küßten ihn; und da ich ihm
drohte, lachten sie mich aus und schrien, er stände unter dem
Schutze Seiner großbritannischen Majestät und dem ihrigen. Da
that ich ihm denn auch nichts und hatte innerlich selbst meine
Freude an seinem Ungehorsam. So war der Junge im vierten
Jahre; im zehnten war er ein tüchtiger Schiffsjunge, und jetzt, wo
er zwölf Jahre alt ist, arbeitet er für zwei und wird auch für
zwei bezahlt.'
Wenn der Alte so sprach, strahlten seine Augen, und sein
ganzes Gesicht leuchtete vor Freude, und er konnte kaum das Ende
seiner Erzählungen finden, und wir hörten ihm alle gern zu, weil
er ein so treuherziger Mann war. Nun war unter den Reisege-
fährten ein französischer Kaufmann, der seine Frau vor kurzem in
Neu-Orleans verloren hatte und jetzt nach Bordeaux reiste, um
das Kind, das sie ihm hinterlassen hatte, zu seinen Schwiegereltern
zu bringen. Dieses Kind, ein Mädchen von fünf Jahren, dem
man das französische Blut in jeder Bewegung ansah, entwischt
eines Morgens seiner schlummernden Wärterin und steigt auf das
Verdeck, wahrscheinlich, um den alten Beckner aufzusuchen, der sich
viel mit dem Kinde abgab und ihm mancherlei Zeitvertreib machte.
Da dieser nun nicht gleich bei der Hand war, wagt es sich zu
weit an den Rand hin, und indem es neugierig in die Tiefe blickt,
wird es vom Schwindel ergriffen und fällt hinab. Die Wärterin,
die dem Kinde nachgeeilt ist, sieht es fallen; auf ihr Augstgeschrei
kommt Beckner herbei, stürzt sich in das Meer, ergreift das Kind,
das durch die lockere Kleidung noch über dem Wasser gehalten
wird, und indem er es mit der linken Hand festhält, rudert er mit
der rechten dem Schiffe nach. Das Verdeck hatte sich jetzt mit
Menschen angefüllt; alle starrten nach dem kräftigen Schwimmer
hin, vor allen, wie man denken kann, der Vater des Kindes, wel-
cher die Bewegungen des Matrosen mit seinen eigenen begleitete,
in die See hinaus rief und dem zitternden Kinde Muth einsprach.
Dieses drückte sich ängstlich an seinen Netter, und Beckner ruderte,
so schnell er mit einer Hand konnte, dem Schiffe nach, und schon
war er ziemlich nah, als er einen lauten Schrei aussticß, der uns
alle mit Entsetzen erfüllte. Niemand wußte gleich die Ursache;
aber indem wir der Richtung seiner Augen folgten, erblickten wir
einen Haifisch, der die Flut mit unglaublicher Schnelligkeit durch-
schnitt und in wenigen Augenblicken den Schwimmenden erreichen
mußte. Alles gerieth in Bewegung; einer lief gegen den andern;
die einen schrien, um das Thier zu schrecken; andere warfen nach
ihm, was ihnen in die Hände kam; Flinten wurden abgefeuert
und Kanonenschläge losgelassen. Umsonst. Der Lärm, die Angst
war allgemein; des Vaters Zustand aber ist nicht zu beschreiben.
Ungeschreckt verfolgte das Unthier seinen Weg, und nur noch we-
nige Lachter entfernt, schien es seiner Beute schon gewiß zu sein.
Jeder erwartete das Entsetzlichste. In diesem Augenblicke kam
Volney Beckner seinem Vater zu Hülfe. Einen Hirschfänger in
der Hand, den er in der Kajüte des Kapitäns gesunden hatte,
stürzte er auf das Verdeck, warf sich kopfwärts in das Meer,
tauchte unter und begann einen Kampf mit dem Ungeheuer des
Abgrunds. Bald färbte dieses mit seinem Blute das Meer, und
während es sich nach dem neuen Feinde hinkehrt, der ihm so un-
erwartet den Weg verlegt, wird dem ältern Beckner vom Schiffe
herab ein Tau zugeworfen. Er greift darnach; zweimal entschlüpft
es bei dem Schwanken der Wellen seiner Hand; endlich hält er
es fest und wird mit dem Kinde auf dem Arme hinaufgezogen.
Während dieser Zeit hat ihm Volney den Rücken frei gehalten,
abwechselnd bemüht, sich den Angriffen des Thieres zu entziehen
und ihm Wunden beizubringen. Es war ein Kampf der Gewandt-
heit mit der rohen Kraft, wie man wohl nicht leicht wieder sehen
wird. Aus vielen Wunden strömte dem Ungeheuer das Blut;
aber keine dieser Wunden war tödtlich, und den unerschrocknen
, OMfifeMK!
79
Kämpfer verließ die Kraft. Er muß eilig auf dem Schiffe Rettung
suchen; er greift nach einem herabhängenden Tau, und während
der alte Beckner über den Bord steigt, das Kind dem Vater zu-
reicht und dieser bald das Kind, bald seinen Retter umarmt,
schwingt sich auch Volney an dem schwankenden Tau in die Höhe.
Noch einen Augenblick, und er war in Sicherheit. Es sollte nicht
sein. Das Raubthier, über und über mit seinem Blute bedeckt,
wüthend, daß seine Beute ihm zu entfliehen droht, sammelt alle
seine Kräfte, schwingt sich auf, erfaßt — es ist entsetzlich zu sagen
erfaßt den Unglücklichen in der Mitte des Leibes, reißt ihn von
einander und verschlingt vor unsern Augen die erbeutete Hälfte.
Ein Schrei des Entsetzens und der Wuth drang aus jedem Munde,
als der zerfleischte Leichnam heraufkam. Sprachlos stand Beckner
da; seine starren Blicke hefteten sich auf die unglücklichen Reste
seines Sohnes; seine Züge verzerrten sich, und er sank bewußtlos
zu Boden. Mit Mühe ins Leben zurückgerufen, sagte er scheinbar
ruhig: Wo ist Volney?' Dann, als besänn' er sich, stieß er ein
Jammergeschrei aus, das uns durch die Seele gieng. Der Kauf-
mann wich nicht von seiner Seite und leistete ihm jede Hülfe,
welche die Umstände forderten; und wenn die Ausbrüche der wilden
Verzweiflung zu ruhen schienen, versuchte er von seiner Dankbarkeit
zu sprechen und von Belohnungen. Da sah ihn der Arme mit
einer Miene an, in der sich der grimmige Schmerz und die ge-
wohnte Gutmütigkeit wunderbar mischte, und sagte: <Jch danke
Ihnen für Ihre gute Meinung; reden Sie aber nicht von Beloh-
nung. Ihr Kind hab' ich gerettet, weil es eben ein hülfloses Kind
war; es ist mir lieb, es Ihnen erhalten zu haben. Nun aber
mein Volney dahin ist, die Freude und der Stolz meines Lebens,
sind mir alle Schätze der Welt nichts, gar nichts. Es ist aus
mit mir.'
Mach diesen Worten fieng er von neuem an zu jammern,
und heiße Thränen strömten über seine Wangen, die ersten viel-
leicht, die er je vergossen hatte. Dann stand er auf und gieng
schweigend an sein gewohntes Geschäft.
Während dies auf dem Verdecke geschah, umschwamm das
gräßliche Raubthier, unsrer Wuth spottend, zwei- und dreimal das
Schiss; dann wendete es sich nach der offnen See, und lange noch
sahn wir, als es die Flut langsam durchschnitt, die purpurne Furche,
die es hinter sich herzog, bis es sich in die blaue Ferne verloren
hatte.'
80
54.
Morgenfeier im Frühling.
Von Knapp.
Stuttgart und Tübingen 1854.
Gedichte, Auswahl.
Jln dein glänzendes Himmelsblau,
In die Frühlingslüfte
Heb' ich frühe die Arm' empor:
Mach mich selig,
Mach mich selig, o Jesu!
Zu dir, Herr, ziehet'« mich,
Wenn der Morgen aufgeht,
Und je klarer die Sonne steigt,
Je lieblicher tönt's im Herzen mir:
Mach mich selig,
Mach mich selig, o Jesu!
Durch all' diese herrlichen Höhen
Bis zum Throne hinauf
Jst's offen und frei.
Fliegt zur Erde so schnell ein Sonnen-
. strahl,
So weiß ich, mein Bitten dringt
Auch schnell hinauf zu dir, wenn ich
rufe:
Mach mich selig,
Mach mich selig, o Jesu!
S. 58. — 2. Aufl. Stuttgart 1868.
Nur ein armer Vorhof
Ist der Erdenfrühling vor deinem
Haus,
Da du wohnest mit den Deinen.
Selig, wer ewiglich wohnet bei dir!
Nimm, Herr, auch meine Seele hinein!
Mach mich selig,
Mach mich selig, o Jesu!
Du liebest die Kinder:
O laß mich werden als ein Kind!
Mit des Frühlings Sproffen erweck
in mir
Gesunde Knospen der Liebe,
Der Demuth und Treue,
Der Taubeneinfalt,
Und gieb ein keusches Herz,
Das dir sei ein offener Garten!
Komm herein und Pflanze, duH Lie-
bender!
Mach mich selig,
Mach mich selig, o Jesu!
55.
Schäfers Sonntsgslied.
Bon Uhland.
Gedichte. Stuttgart 1843. S. 38. — Stuttg. und Tüb. 1853. S. 18.
58. Aufl. 1814. S. 18.
49. Aufl. 1866. —
Jas ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur,
Noch eine Morgenglocke nur;
Nun Stille nah und fern!
Anbetend knie' ich hier.
O süßes Graun! geheimes Wehn!
Als knieten viele ungesehn
Und beteten mit mir.
Der Himmel, nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,
So ganz, als wollt' er öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn!
56.
Der Hirt von Mühlheim.
Bon Ernst Meier.
Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben. Stuttgart 1852. Nr. 51.
Do ist emol z' Mühlheim en armer Hirt g'sei, der hot amme
Suntigemorga seine Schoos ufsem Welscheberg triban und hot se
botst g'hüetct. S' ist grab st b'sunders Fest an sellem Suntig g'halta
woaran in der Wallfahrtskirch, unb wie er nu ba hoba d'Glocka
hat lautst Hora, bo Hots bem ärmst Ma 's Hearz schier abdruckt,
baß er it au hot hikönnen unb beatan unb singan und eisern *) Herr-
got lobsttt unb bankst mit beana anbere Christe z'säme. Er ist halt
arm g'sei unb hot für d'Gmoinb hüeta müsse. Er Hot zwar a
Weib g'hett, unb bist Hot sust schaun2) mengsmol für en g'hüetetam
Suntig, mo er gearn in b'Kirch Hot gau wölla; aber sia ist an
sellem Tag grab krank g'sei unb ist bahom im Bett g'leaga. Do
Hot er si enbli b'sunna unb Hot benkt: ''S ka nu emol it anberst
sei; i muoß hüeta, baß mei Weib unb Kinb ebbes z'essa hont, unb
ciser Herrgot wirb mir schau bia Sünb vergean.'
So hot ber Ma still in seim Hearze benkt, unb bo ist em ns
vanmol eig'fallan: 'Aber worum kan i benn it au bo unterm freist
Himmel zu eiserm Herrgot beata?' Unb mit bem Gebanka hot er
noh emol nach seine Schoos guckt unb Hot se näher z'säme triba,
Hot si dernah hig'setzt uffen Stoan, ber grab bo g'leagan ist, Hot
sein Huet rabaun^) unb hot nu beata wölla.
Aber bo hot er mit Schreacka g'merkt, baß em sei Nüster stahlt.
'Hüt gaht mir au alles hiuterfür!' Hot er g'sait unb hätt naus
möga, wo koan Loch ist, unb lugt in ber Verleageheit so vor. si
hin uf Ein Plätzle. Uf dem Plätzle aber ist just a Busch g'stanba,
unb der Hot schöne grüne Blättle g'hett, und bia Blättle hont so
g'strahlet unb glitzeret, baß ber Ma sie it g'nuag hat auseha
könne.
'Ei,' Hot er nach-ere Weil benkt, 'bia Blättle Hot eiser Herrgot
wachse taun, unb bia g'fallet mir airst; bia sind jo eaba so zierli
unb rund, wie b'schönste Perla von-eme Nüster.' Unb uf oanmol
hot er ang'sanga z'heatan unb Hot ällemol a grüns Blättle rabrocha,
wenn er an bees 'Ehre sei bem Vater!' u. s. w. kumman ist, und
Hot oans ans ander higlait, daß a Ring draus woaran ist, wie
st reotS5 6 *) Nüster. Z'letzta Hot er emol gucka wöllan, ob er mit dem
airste Rosekranz schau seatig sei, und Hot bia Blättle abzählt, und
do sinds eaba fusz'g g'sei. Aber wie er dees letzt Blatt aug'regl
Hot, do sind uf oanmol älle fufz'g Blättle lauter reate Goldstück
g'sei, oans schainer wies ander, daß der Ma seim Auge fast nit
traut Hot und ganz verstummet ist und z'airste nit g'wagt Hot,
dees viel Geald z'nemman und in Sack z'schiaba. Seitdem Hot
er koan Naut^) mai z'leida g'hett und hol au amme Fei'rtig nimme
hüeta derfa.
t) unsern. 2) schon. 3) herabgethan. 4) Rosenkranz bei den Katholiken, b) rechtes.
6) Noth.
ColShorn u. Goedeke'S Lesebuch II.
6
82
57.
Sonntagsfrühe.
Bon Hebel.
Allemannische Gedichte 5. Aufl. Aarau 1820. S. 177. — Bergl. Goethe XXXII, 135.
Per Samötig het zum Sunnüg
gseit:»)
‘3c; Harn alli schlofe gleit;
Sie sin vom Schaffe her und hi
Gar fötti2) müed und schläfrig gfi,
Und 's goht mer schier gar selber so,
3 cha fast uf kei Bei meh stoh.'
So seit er, und wo's zwölfi schlacht,
Se sinkt er aben in d' Mitternacht.
Der Sunntig seit: '3ez isch's an mir!'
Gar still und heimli bschließt er d'Thür.
Er büfeiet3) hinter d' Sterne no
Und cha schier gar nit obst 4) ch».
Doch endli ribt er d' Augen us,
Er chunnt der Sunn an Thür und
Hus;
Sie schloft im stille Chämmerli,
Er pöpperlet^) am Lädemli;6)
Er rüst der Sunne: 'D' Zit ?) isch do!'
Sie seit: ‘3 chumm enanderno.'^)
Und lisli§) uf de ZeechelO) goht
Und heiter uf de Berge floht
Der Sunntig, und 's' schloft alles no;
Es sicht und hört en niemes") goh;
Er chunnt ins Dorf mit stillem Tritt
Und winkt im Guhl"): 'Verrath mi
nit!'
Und wemmen ") endli au verwacht
Und gschlofe het die ganzi Nacht,
Se floht er do im Sunneschi
Und luegt eim zu de Fenstern i
Mit sinen Auge mild und gut
Und mittem Mejen") uffem Hut.
Drum meint er's treu, und, was
i sag,
Es freut en, wcmme schlofe mag
Und meint, es feig15) no dunkel Nacht, * 11
Wenn d' Sunn am heitre Himmel
lacht;
Drum isch er au so lisli cho,
Drum floht er au so liebli do.
Wie glitzeret uf Gras und Laub
Vom Morgethau der Silberslaub!
Wie weihte) e frischt Maielufr,
Voll Chriesibluest") und Schlecheduft!
Und d' 3mmli sammle flink und
frisch,
Ste Müsse nit, aß 'S Sunntig isch.
Wie pranget nit im Garteland
Der Chriesibaum im Maiegwand,
Gelveicli und Tulipa
Und Sterncblume nebe dra
Und gfüllti Zinkli") blau und wiiß;
Me meint, me lueg ins Paradies!
Und 's isch so still und heimli do,
Men isch so rüeihig und so froh!
Me hört im Dorf kei Hüst und Hott;")
E 'Gute Tag' und "Dank der Gott'
Und "S git gottlob e schöne Tag'
3sch alles, wcis me höre mag.
Und 's Vögeli seit: ‘Frili^o) jo!
otz taustg, jo, do isch er scho!
r dringt jo i si'm Himmelsglast 2l)
Dur Bluest und Laub in Hurst 22) und
Rast!'
Und 's Distelzwigli23) vorne dra
Het 'S Sunntigröckli au scho a.
Sie tüte weger's24) Zeiche scho,
Der Pfarrer, schint's, well zitli cho.
Ganges) brech mer eis Aurikli ab,
Verwüschet mer der Staub nit drab;
Und, Chüngeli,26) leg di weidli27) a,
De muesch derno ne Meje ha!
1) gesagt. 2) sehr. 3) schlummert. 4) über sich, aufwärts. 5) klopft schwach und schnell.
6) klemer Fensterladen. 7) Zeit. 8) unmittelbar, geschwind, einander nach. 9) leise. 10) Zehen.
11) niemand. 12) Hahn. 13) wenn man. 14) Blumenstrauß. 15) sei. 16) weht. 17) Blüte
kleiner Waldkirschen. 18) Hyazinthen. 19) links und rechts, Zuruf an Zugpferde. 20) freilich.
21) Glanz. 22) Strauch. 23) Distelfink. 24) wahrlich das. 25) geh. 26) Kunigundchen.
27) hurtig, wacker.
83
58.
Sonnlagsfticr.
Grenzboten. December 1850.
Um eine würdige Sonntagsfeier ist es etwas Großes! _ Wer
in Stadt und Dorf das geschäftige Leben der Handwerksstuben
und Bauernhöfe betrachtet hat, weiß, was der Sonntag bedeutet.
Wenn die sechs Arbeitstage vorhanden sind, dem kleinen Mann
praktische Tüchtigkeit und sein Brot zu verschaffen, so ist der Sonn-
tag eingesetzt, seiner Seele Nahrung zu geben, ihn zu erinnern,
daß sein Herrgott lebt, daß die Natur schön ist, daß es Menschen
giebt, die er liebt und die ihn lieben, daß es gute Bücher giebt, fröh-
liche Geselligkeit, Freude, Lachen und Genuß. Jedem thätigen Land-
wirts ist der feierliche Tag mit seinem Glockengeläut, der Ruhe
im Hof und Acker so viel werth, als die sechs Arbeitstage vorher,
denn er weiht ihm die ganze nächste Woche. Seine Gespanne
ruhen aus, behaglich stampfen die Pferde im Stalle und knuspern
am Heu vornehm und wählerisch, ihre aufgetriebenen Muskeln und
geschwollenen Adern glätten sich, und das müde Fleisch quillt wieder
kräftig auf unter dem glänzenden Haar; auch der Zugochs liegt
wiederkäuend wie ein vornehmer Herr auf seiner Dormeuse von
Stroh und brüllt den eintretenden Wirt wohlwollend an, als
wollte er sagen: ^Gnten Muth, Gevatter, sein wir nur gemüthlich,
alles übrige werde ich Euch schon besorgen? — Und das Hofgesinde!
Sechs Tage sind sie ernst an einander vorbeigegangen, kurze Worte,
ein trvckner Scherz war ihre Rede; heut am Sonntage sind sie
nicht dieselben Menschen. Zuerst der reine Hemdsermel! Eine
Welt von Selbstgefühl liegt in der weißen, dicken, aufgeblähten
Leinwand, welche den muskulösen Arm des Großknechts umschließt.
Mit ungeheurem Behagen sieht er auf die reinliche Farbe, wäh-
rend er pfeift, die blaue Tuchjacke säubert und den Kupferbeschlag
seines Pfeifenkopfs von Maserholz poliert. Durch die ganze Woche
hat die Magd sich auf die Stunde gefreut, wo sie sich hübsch
machen und das neue Mieder anlegen wird; heut steht sie glücklich
vor der Thür des Gesindehauses und legt coquettierend die Hände
übereinander, mit geösfenetem Ohr die bewundernden Worte des
Pfifficus, des kleinen Pferdejungen, anhörend, der durch Wethu-
lichkeit' zu ersetzen sucht, was ihm an Rang und Würde abgeht.
Sie fühlen sich sauber, sie fühlen sich hübsch, heut gefallen sie und
haben selbst Gefallen am Leben. — Tretet in die Taglöhnerhütte
nebenan. Die Frau hatte in der Woche wenige Zeit für ihre
Wirtschaft, denn sie und ihr Mann haben ihre Arme ans sechs
Tage dem Gutsherrn vermietet; das einfache Essen mußte in einer
Stunde mit müden Händen bereitet und schnell verzehrt werden,
und den Kindern fehlte durch den ganzen Tag die Aufsicht der
Mutter. Heut hat die Frau am ftühcn Morgen Stube und Ge-
6-i-
84
schirr gescheuert, jetzt durchsticht sie die Zöpfe des kleinen Mäd-
chens mit schmalem, rothem Bande und sieht dabei, wie hübsch die
Augen und rosigen Bäckchen der Kleinen sind. Nach der Kirche
wird sie fettdurchwachsenes Schweinfleisch kochen und ihre besten
Klöße dazu machen, damit ihr Mann sie lobe. Nachmittags führt
sie die Kinder vor den Augen des ganzen Dorfs vorüber zur Groß-
mutter, abends giebt's Eierkuchen; ihr Mann ist kein Säufer, sie
wird im Freien mit den Nachbarinnen plaudern und ihn erwarten;,
er wird bei guter Zeit zu ihr zurückkehren und freundlich gegen sie
sein. Unterdes steht ihr Hausherr bereits im Sonntagsstaat mit
geschwärzten Stiefeln in bedächtigem Gespräch mit einem vorüber-
gehenden Bekannten und überlegt mit ihm, ob es rathsam sei, die
ersparten drei Thaler in der Sparkasse oder in einem Ferkel an-
zulegen; er klopft dabei seinem Jungen auf den blonden Kopf und
empfindet sich glücklich als ein ganzer Kerl. Holder Tag, wo der
Arme Selbstgefühl gewinnt, wo der Besitz eines zweiten Hemdes^
eines besseren Kleides und das Gefühl der Freiheit von den Mühen
des Lebens zuversichtlich, heiter, lebenslustig macht! wer dich dein
Arbeiter verkümmert durch den Zwang übermäßiger Arbeit, ist
grausam und begeht ein schweres Unrecht an seinen Nebenmenschen.
Es ist darum ein schlechter Brauch, der in den Städten ein-
gerissen ist, den Vormittag des Sonntags zu den Arbeitstagen
zu schlagen, nicht sowohl, weil dem Arbeiter dadurch einige Stun-
den der Ruhe genommen werden, sondern deshalb, weil gerade
diese Stunden eine eigenthümliche Bedeutung haben. Am Sonn-
tagvormittag ist der Mensch in Deutschland still, friedlich, in sich
gekehrt, er überdenkt sein Leben, seine Liebe, seinen Gott, er liest,
er schreibt an seine Familie, er sammelt sich und bereitet sich vor
für die Freuden und Zerstreuungen der nächsten Woche. Der
Sonntagnachmittag aber ist in Deutschland ein lustiger Geselle,
ein Lebemann; da sucht einer den andern, und in Gesellschaft sucht
man das Vergnügen. Es ist unrecht, wenn der Meister seinen
Gesellen nur die Zeit des Vergnügens freiläßt, die Zeit des Ernstes
aber wegnimmt. Dann fehlt dem Sonntag die Weihe und dem
Menschen die Kraft, das Vergnügen würdig zu ertragen; man ver-
liert sich leicht in den Genüssen, weil man sich vorher nicht darauf
vorbereitet hat. Immer wird einem der Arbeiter leid thun, der
gradeweg vom Arbeitstisch zu seinem Kasten stürzt, den Sonntags-
rock packt und zu seinen Kameraden ins Wirtshaus rennt. Er
hat mit sich selber noch gar nicht gelebt, das ruhige und ernste
Behagen an sich und am Festtag, welches ihm unter den Kame-
raden Selbstschätzung und Haltung geben müßte, fehlt ganz; er
genießt seine Freiheit unmäßig, wie ein entlaufener Sklave, und
findet am nächsten Morgen in dem hastig ausgeleerten Becher des
Genusses die Reue, nicht die frohe Erinnerung. Ihn hat der
Sonntag nicht gekräftigt, sondern schwächer gemacht.
Den Sonntag, den ganzen Sonntag soll der Arbeiter feiern.
Er soll ihn feiern auf gute deutsche Weise, nicht in puritanischer
Stille, wie die Engländer, sondern in der rechten Mischung von
stillem Ernste und fröhlichem Treiben; so will es unsere Natur
und Sitte.
59.
Ein Lied von den zween Märtyrern Christi verbrannt zu
Brüssel im Jahre 1523.l)
Bon Dr. Martin Luther.
Werke 2. Aufl. Hamburg 1827. V, 103. — Erlangen 182«;—57. LVI, 340.
Ein neues Lied wir heben an,
Das walt Gott, unser Herre,
Zu singen, was Gott hat gethan
Zu seinem Lob und Ehre.
Zu Brüssel in dem Niederland
Wohl durch zween junge Knaben
Hat er sein Wundermacht bekannt,
Die er mit seinen Gaben
So reichlich hat gezieret.
Der erst recht wohl Johannes heißt,
So reich an Gottes Hulden;
Sein Bruder Heinrich nach dem Geist
Ein rechter Christ ohn Schulden.
Bon dieser Welt geschieden sind,
Sie han die Krön erworben,
Recht wie die frommen Gotteskind
Für sein Wort sind gestorben,
Sein Märtrcr sind sie worden.
Der alte Feind sie fangen ließ,
Erschreckt sie lang mit Dräuen;
Das Wort Gotts man sie leugnen
hieß,
Mit List auch wollt sie täuben.
Von Löwen der Sophisten viel,
Mit ihrer Kunst verloren,
Versammlet er zu diesem Spiel;
Der Geist macht sie zu Thoren,
Sie konnten nichts gewinnen.
Sie sungen süß, sie sungen säur,
Versuchten manche Listen,
Die Knaben stunden wie ein Maur,
Verachten die Sophisten.
Den alten Feind das sehr verdroß,
Daß er war überwunden
Von solchen Jungen, er so groß:
Er ward voll Zorn, von Stunden
Gedacht sie zu verbrennen.
Sie raubten ihn'n das Klosterkleid,
Die Weih sie ihn'n auch nahmen;
Die Knaben waren des bereit,
Sie sprachen fröhlich Amen.
Sie dankten ihrem Vater Gott,
Daß sie los sollten werden
Des Teufels Larven, Spiel und Spott,
Darin durch falsch Geberden
Die Welt er gar betreuget.
Da schickt's Gott durch sein Gnad
also,
Daß sie recht Priester worden.
Sich selbst ihm mußten opfern da
Und gehn im Christenorden,
Der Welt ganz abgestorben sein,
Die Heuchelei ablegen,
Zum Himmel kommen frei und rein.
Die Mancherei ausfegen
Und Menschentand hie lassen.
Man schrieb ihn'n vor ein Brieflein
klein,
Das hieß man sic selbst lesen.
Die Stück sie zeichnen alle drein,
Was ihr Glaub war gewesen.
Der höchste Irrthum dieser war:
Man mnß allein Gott glauben,
Der Mensch leugt und treugt immer-
dar,
Dem soll man nichts vertrauen.'
Des mußten sie verbrennen.
Zwei große Fenr sie zündten an,
Die Knaben sie herbrachten.
Es nahm groß Wunder jedermann,
1) Johannes Esch und Heinrich VoLS, zwei Auguftinermvnche.
86
Daß sie solch Pein verachten.
Mit Freuden sie sich gaben drein,
Mit Gottes Lob und Singen.
Der Muth ward den Sophisten klein
Vor diesen neuen Dingen,
Daß sich Gott ließ so merken.
Der Schimpf sie nun gereuet hat,
Sie wolltens gern schön machen.
Sie dürsn nicht rühmen sich der
That,
Sie bergen fast die Sachen.
Die Schand im Herzen beißet sie
Und klagcns ihrn Genossen;
Doch kann der Geist nicht schweigen
hie:
Des Abels Blut vergossen,
Es muß den Kain melden.
^Die Aschen will nicht lassen ab,
Sie stäubt in allen Landen.
Hie hilft kein Bach, nicht Grub noch
Grab,
Sie macht den Feind zu Schanden.
Die er im Leben durch den Mord
Zu schweigen hat gedrungen,
Die muß er todt an allem Ort
Mit lauter Stimm und Zungen
Gar fröhlich lassen singen.
Roch lassen sie ihr Lügen nicht,
Den großen Mord zu schmücken:
Sie geben vor ein falsch Gedicht,
Ihr Gewissen thut sie drücken.
Die Heiligen Gotts auch nach dem
Tod
Von ihn'n gelästert werden;
Sie sagen, in der letzten Roth
Die Knaben noch auf Erden
Sich sollen Han umkehret.
Die laß man lügen immerhin,
Sie Habens doch kein Frommen.
Wir sollen danken Gott darin,
Sein Wort ist wiederkommen.
Der Sommer ist hart vor der Thür,
Der Winter ist vergangen,
Die zarten Blümlein gehn Herfür:
Der das hat angefangen,
Der wird es wohl vollenden.
60.
Heinrich von Zntphen').
1524. Dec. 11.
Von Groth.
Quickborn, mit Bildern von Otto Speckter. Hamburg 1856. S. 192. — 2. Aufl. Berlin 1873.
Pe Wächter reep. Ganz Möldorp slöppt?), de Regens pallscht in Ström'.
Vunt Kloster glinstert noch en Licht get 3) d<xr de JpernbömZ)
Ant Finster treckt der Schatten lank, un Stimm' und Schritt ward lud:
De 2>oer störtt op — in bloten Kopp en Mann inn Regen rut.
Se hebbt em knewelt^) aö en Oss, he geit op blote Föt;
En Tropp vun Minschen folgt em na in Mantels, Röck un Höd.
Se treckt em längs den Klosterhof un längs de düstre Strat,
De Wächter steit v<«r Schrecken still, as se voorarwergat.
Sin Hornlüch b) gev en bleken Schin den Minschen int Gesich;
De Wächter stunn un nüel6) de Kopp un stoehn: *Hcrr Heinerich!'
De gung so still in Düstern fort un weer so bleck un natt;
Stumm folg de ganze Minschcntropp un stöt em d«r de Stadt.
En Ketzer sinnt keen Rad?) un Hölp! se stöt em nt den Ort
Un denn mit Lärm un mit Getös den Weg na Heide fort.
1) Heinrich Müller von Zütphen, bis 1522 Augustinermönch in Antwerven, wandte sich,
nachdem er in Bremen das lautere Evangelium gepredigt halte, 1524 in die holsteinsche
Landschaft Lilhmarsen und wurde Prediger in Meldorf. 2) schläft. 3) langes e wie ä.
4) Ulmen. 5) Hornlaterne. 6) senkte. 7) Gnade-
yrarnr-"--!^' ¡affe
Se stöt em längs be beym Weg, fe flat cm, wenn he fallt:
De Norbermöller hört mit Angst, wa't nt ben Moorweg schallt.
Keen Hölp! Se jagt em bwr be Nacht, inn Regen, bat bat strömt:
In Mölborp floppt2) boch menni Hart, bat vun Herr Heinri brömt.
In Mölborp walt boch menni Seel un bankt cm fromm un stumm
Unb bcnkt an sin gewalti Wort vunt Evangelium.
Unb he mutt darfst b«r ben Frost, un wenn he fallt un beb,3)
So flucht fe em un schellt se em un stöt em vunne Steb.3)
Int Swinmoor is ni Weg noch Steg, bar zeit bat wild henboer,
Bi Hemmingsteb^) liggt he as bot, sc dinnt em achtern Perb. 3)
Bi Braken slept3) se em Verdi, an Hogenheib, nat Norn:
De Dag be graut, bo seht se dleek be Heiber Karkenthorn.
Keen Nab!7) Herr Boje hett boch rei>3) mit all sin Macht unb Kunst!
Keen Hölp! Sogar en rite Fru do Gelb un Golb umsunst!
Bi düstre Nacht, as Schelm un Dev, so heeln be Bösen Rath;
As Mölborp wak be anncr Dag, bo weer bat all to lat! —
De Tropp heel still int Morgcngrau to Sübcn anne Weib;
Denn drok he op to Osten um. bwcer vewern Lüttjenheib.
De bar al wak, be seeg mit Schreck ben Schinner op en Perb,3)
En Mann, de dlött un knm noch lev,3) fastknewelt^) achtern Steert.
En Tropp in natte Mantels stöt em vorwärts, wenn he funk:
Dat wag toletz en ole Fru, broché) em sin letzten Drunk.
To Norn be Heid bar weer en Platz, bar legen Steen un Schutt,
Dar harrn se hoch nt Holt un Törf en Sünberhupen du't.
Dar lepen Minschcn dalb tohop un brochen Spön un Stroh;
Gar menni meen en gube Dat un de 3) sin Deel barto.
En Gcestdnr fahr Verdi na Marsch, be broché) sin Bündel Heid»
Herr Heinri be3): Wergev3) em Gott, he weet ni, wat he beit!'
Herr Heinri de3): 'Bergev3) se Gott, se weet ni, wat se bot!'
Do schm op Heib un op be Geest bat helle Morgenroth.
De Törf be qualm, be Regen ström, de Himmel weer aö Für.
Herr Heinri be») in Damp unb Qualm: ‘0 Herr, vergied auch mir!'
In Qualm un Regen lur») bat Volk: Gott wull ni, bat bat brenn.
To keem en Smib, un mit en Slag harr alle Qual en Enn'.
In Mölborp wem Herr Boje lud, bet Sachsen weenn se Thran,
Doch Doctcr Martin sä: ^Das Wort sie sollen lassen stan!'
61.
Johann Hussens Tod in Costnitz 1415.
Von Zacharias Theobald.
Gesch. des Hussitenkriegs. — Vergl. Heinrich Kurz: Gesch. d. deutsch. Lit. 1853 — 1859. II, 183.
Nachdem der zum Feuertode verdammte Hus mit der papier-
neu Krön aus der Kirchen zu dem Scheiterhaufen gieng, geführet
von dem Henker, ward er fröhliches Muths, wie solches auch seine
Feinde von ihm schreiben, gleich als sollte er zu einer fröhlichen
Mahlzeit oder, wie man im Sprichwort sagt, zum Tanz gehen.
Wie er aber seine Bücher sahe verbrennen aus dem Kirchhofe,
8) brachte. 9) lauerte.
stund er still und lachet. Unter dem Gehen vermahnet er das Volk,
daß sie nicht glauben sollten, daß er Irrthums wegen verbrennet
würde; denn etliche wenige Artikel wären durch falsche Zeugen
seiner Todfeinde auf ihn gebracht, die er doch nie gelehrct, die
anderen wären noch nie erwiesen, daß sie falsch wären, 'ob ich es
wohl heftig begehret.' Das Volk aber, das mitgieng, war alles
gerüstet, besonders die Bürgerschaft, so darzu erfordert. Wie sie
nun an den Ort kommen sein, da er sollte verbrennet werden, da
fiel Hus auf seine Knie, faltet seine Hände, so nicht gebunden, zu-
sammen, sahe gen Himmel und betet den dreißigsten, auch den
fünfzigsten Psalm David's, sonderlich wiederholet er oft den Vers:
‘3« deine Hände befehle ich dir meinen Geist; du hast ihn er-
löset, du getreuer Gott!' Da das etliche des genleinen Manns
höreten, sagten sie: Was dieser Mann zuvor gelehret oder ge-
predigt, können wir nicht wissen; jetzt hören wir lauter heilige
Wort von ihm.' Die andern sagten, man sollt ihm einen Beicht-
vater geben. Aber ein fetter Pfaff, bekleidet mit einem grünen
Rock, darunter ein rothes Unterfutter, saß auf einem Roß, sagt:
Man soll den Ketzer nit hören, man ist auch nit schuldig, ihm
einen Beichtvater zu geben.' Aber Hus hat sieben Tage vor sei-
nem Tode einem Mönch, so ihm vom Concilio zugegeben, ge-
beichtet und die Absolution empfangen. Die Krön, so unter dem
Beten Hussen war abgefallen, satzten sie ihm, so höchlich lachte,
wieder auf, aus Befehl etlicher, die da sagten, man sollte die
Teufel neben des Teufels Diener verbrennen. Als er auf Befehl
des Henkers aufgerichtet stund, fieng er überlaut also an zu beten:
<Herr Jesu Christe, diesen greulichen, schmählichen Tod will ich
wegen deines heiligen Evangelii und deines göttlichen Worts
willig ausstehen; du vergieb meinen Feinden diese ihre Missethat.'
Darauf führte ihn der Henker herum, die Leut zu gesegnen, die er
sehr bat, sie sollten nicht glauben, daß er einigen Irrthum, der
Gottes Wort zuwider wäre, gelehret hätte. Letzlich bat er, seine
Wächter, die in seiner Gefängnis bei ihm blieben, noch einmal an-
zusprechen; wie er zu ihnen kommt, sagt er: 'Liebe Brüder, ich
sage euch großen Dank wegen der Wohlthaten, so ihr mir in meiner
langwierigen Gefängnis erzeiget habt. Ihr seid nicht meine Hüter,
sondern Brüder gewesen; auch sollt ihr wissen, daß ich noch be-
ständiglich glaub, mit meinem seligmachenden Heiland, welches
Namens wegen ich diesen Tod ausstehe, heut zu herrschen.' Dar-
auf gieng er fröhlich, ohne einiges Zeichen des Zagens, zu dem
Block, so in die Erde war gegraben, daran ihn der Henker mit
den Händen hinterwärts band, mit sechs Stricken. Solches aber
hatten die Henker nicht recht ausgerichtet, weil sie sein Angesicht
gegen den Morgen gestellet, darum sie ihn als einen Ketzer gegen
Abend wenden mußten. Um den Hals legten sie ihm eine alte
rostige Ketten, gleichsam als wäre er keiner neuen werth; Hus, als
89
«r sie gesehen, hat mit lachendem Munde darauf gesagt: Mein
Herr Christus ist mit einer viel härteren Ketten meinetwegen ge-
bunden worden; warum wollt ich mich denn schämen, mit einer
solchen alten rostigen Ketten gebunden zu werden?' Unter die Fuß,
# daran noch die Stiefel nebst seinen Fnßfesseln waren, legten sie
zween Büschel Reisig, um ihn viel Holz, Stroh und Reisig bis
an den Hals. Ehe es aber die Henker ansteckten, ritt hin zu ihm
Herzog Ludwig von Baiern neben einer Reichsstadt' Marschalk;
sie thäten ihn vermahnen, von Irrthum, wie sie es nenneten, ab-
zustehen und seine Lehr, auch Predigten zu verschwören. Da fieng
er in dem Holzhaufen an mit heller Stimm: 'Ich ruf Gott zu
einem Zeugen an, daß ich das, so sie mir durch falsche Zeugen
haben aus den Hals geladen, nicht gelehret oder geschrieben habe,
sondern ich habe alle meine Predigten, Lehr und Schriften da-
hin gerichtet, daß ich die Leut möge von Sünden abwenden,
Gott in sein Reich führen. Diese Wahrheit, so ich gelehrct, ge-
prediget, geschrieben und ausgebreitet habe, als die mit Gottes
Wort übereinstimmet, will ich behalten, auch mit meinem Tode ver-
siegeln.' Wie sie dies höreten, schlugen sie die Hände zusammen
und ritten davon. Bald zündeten die Henker das Feuer an, wel-
ches geschwind angieng, weil viel Stroh zwischen das Holz gelegt.
Darum M. Johann Hus, so er den Rauch sahe, deutlich sang:
^Christe, du Sohn Gottes, erbarme dich mein!' Als er es aber
wollte zum drittenmal sagen, schlug ihm die Lohe unter das Ge-
sicht, benahm ihm die Sprach, daß er nit sagen konnte: ^Erbarme
dich mein!' sondern er betet und knappet *) mit dem Kopf so lange,
als einer ein Vaterunser ausbeten kann; darnach starb er. Wie
nun das Holz verbrunnen, der todte, mehr als halb verbrennete
Leichnam noch am Pfahl hieng, stießen ihn die Henker mit Stan-
gen über einen Haufen, würfen mehr Holz zu, zerschlugen mit
Stangen die Gebein, damit sie desto eher verbrennen sollten, be-
sonders zerschmissen sie seinen Kopf; das Herz aber, so unter dem
Jngeweid gefunden, steckten sie an eine spitzige Stange, thäten cs
also braten.
Da man Herzog Ludwigen auch anzeigte, daß ein Henkers-
knecht Hussens Mantel, Gürtel und andere Kleider mehr hätte, ge-
bot er, solches alles zu verbrennen, sonst möchtens bte Böhmen
für ein Heiligthum halten, wie gewiß auch geschehen wäre. Der
Henker weigert sich des erstlich; doch da man ihm eine genannte
Summe Geldes versprach, warf ers ins Feuer. Letzlich, da alles
zu Ziesel verbrennet, luden sie die Aschen neben der Erden, die sie
etliche Schuh tief ausgruben, auf Karren und würfen es in den
Rhein. Der Ort aber, da solches geschehen, ist zwischen den Gärten
der Vorstadt, neben dem Weg, da man nach Gottleben gehen will.
i) nickte.
Es sagen etliche, die an dem Ort gewesen, daß an derselbigen Stell
bis auf den heutigen Tag kein Gras wachse. Ob es wahr, weiß
ich nicht.
Der XLVI. Psalm.
Von Dr. Martin Luther.
Schriften. Jena. Bd.Vlll. 1600. S. 364 d. — Altenburg 1662. VIII, 570.
Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Noth,
Die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind,
Mit Ernst er's jetzt meint,
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht seins Gleichen.
Mit unser Macht ist nichts gethan,
Wir sind gar bald verloren,
Es streit für uns der rechte Mann,
Den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
Der Herr Zebaoth,
Und ist kein ander Gott,
Das Feld muß er behalten.
Und wenn die Welt voll Teufel war-
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
Wie säur er sich stellt,
Thut er uns doch nicht,
Das macht, er ist geeicht,
Ein Wörtlcin kann ihn fällen.
Das Wort sie sollen lasten stau
Und kein Dank dazu haben.
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
Mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib,
Laß fahren dahin,
Sie haben's kein Gewinn,
Das Reich muß uns doch bleiben.
63.
I
i
Kuther aus dem Reichstage zu Worms.
Bon Marheineke.
Geschichte der deutschen Reformation. Berlin 1616—34. 1, Kav- 9.
Runmehr machte sich Luther in Begleitung des Justus Jonas,
nachmaligen Propstes zu Wittenberg, des Nicolaus von Amsdorf,
Petrus von Schwaven, eines dänischen Edelmannes, und des Hie-
ronymus Schurs, Rechtsgelehrten zu Wittenberg, sammt Caspar
Sturm, der ihn persönlich zu vergeleiten zum Herolde ernannt
war, in Gottes Namen auf den Weg nach Worms. — Zu Eisenach
wurde er krank. Er ließ sich daselbst zur Ader, und der Schult-
heiß der Stadt gab ihm ein edel Wasser zu trinken, woraus er
entschlief und am andern Morgen weiter reifete. Wo er in eine
Stadt einzog, lief ihm viel Bolks entgegen, den kühnen Mann
zu sehen, der gegen den Papst sich legen dürfte. Etliche trösteten
ihn auch gar schlecht, indem sie sagten, da so viele Cardinäle
yi
und Bischöfe zu Worms wären, würde man ihn allda gewiß flugs
zu Pulver brennen, wie dem Hus zu Coustanz geschehen. Er sagte
aber, wenn sie gleich ein Feuer machten, zwischen Wittenberg und
Worms bis an den Hummel hinan, wolle er doch im Namen des
Herrn erscheinen und dem Behemoth in sein Maul zwischen die
großen Zähne treten und Christum bekennen und denselbigen walten
lassen. Von Frankfurt aus schrieb er an Spalatin, da er inzwi-
schen von dem Anschlag des kaiserlichen Edicts gehört: Wir kom-
men, lieber Spalatine, obschon der Satan mir zum Hindernis
vielerlei Unpäßlichkeit in den Weg gelegt hat; denn den ganzen
Weg von Eisenach bis hierher bin ich unpaß gewesen und auch
noch anjetzo auf eine mir unbekannte Weise. Ich höre auch, daß des
Kaisers Caroli Mandat mir zum Schrecken sei herausgegeben wor-
den. Christus aber lebet, derohalben wollen wir hinein in Worms,
zu Trotz allen höllischen Pforten und denen, die in der Luft herr-
schen. Ich habe mir fürgesetzet, den Satan zu schrecken und zu
verachten. Machet uns also die Herberge zurecht?
Zu Oppenheim ließ ihn Spalatin ermahnen, er möchte sich
nicht so geradezu nach Worms und in solche Gefährlichkeit begeben.
Hierauf entbot er demselben: 'Und wenn auch so viel Teufel zu
Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, doch wolst ich hinein?
Als er dieses wenige Tage vor seinem Ende erzählete, setzte er
hinzu: 'Denn ich war unerschrocken, furchte mich nichts: Gott
kann einen wohl so toll machen; ich weiß nicht, ob ich jetzt auch so
freudig wäre?
Am sechzehnten April kam er in Worms an. Vor dem Wagen
ritt der kaiserliche Herold in seinem Habit, mit des Adlers Wappen,
und sein Knecht. Dem Wagen folgte Justus Jonas mit seinem
Famulus. Viele von Adel waren ihm entgegen gefahren, und als
er um zehn Uhr morgens in die Stadt fuhr, begleiteten ihn mehr
denn zweitausend Menschen bis in sein Quartier nicht weit vom
Schwan, wo Ludwig, Kurfürst von der Pfalz, logierte.
Gleich am folgenden Morgen wurde er von dein Reichserb-
marschall von Pappenhcim citiert, auf Nachmittag in dem Neichs-
rath zu erscheinen, und dieser Herr holte ihn selbst um vier Uhr ab
und gieng nebst dem Herold vor ihm her. Das Gedränge des
Volks ans den Straßen war so groß, daß viele, um ihn zu sehen,
auf die Dächer stiegen und man, der Menge auszuweichen, durch
einige Häuser und Gärten gieng. Als Luther in den Versamm-
lungssaal treten wollte, klopfte ihm der berühmte Feldherr Georg
Frundsberg ans die Schulter und sprach: 'Münchlein, Miinchlein,
du gehest jetzt einen Gang, einen solchen Stand zu thun, dergleichen
ich und mancher Obrister auch in der allerernstesten Schlachtordnung
nicht gethan haben. Bist du auf rechter Meinung und deiner Sache
gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost, Gott
wird dich nicht verlassen? Ulrich von Hutten hatte ihn gleichfalls
92
durch zwei herrliche Schreiben aufgerichtet, welche überschrieben sind
«Martin Luthern, dem unüberwindlichen Theologo und Evangelisten,
erhöre dich am Tage der Noth! Der Name des Gottes Iaeob
schütze dich! er sende dir Hülfe vom Heiligthum und stärke dich
aus Zion! er gebe dir, was dein Herz wünschet, und bestätige alle
seinem heiligen Himmel! Denn was soll ich Euch, allerwerthcfler
Luther, ehrwürdigster Vater, zu dieser Zeit anders wünschen? Seid
getrost und werdet stark. Ihr sehet, was es mit Euch für ein
Spiel werde und worauf es ankomme. Von mir könnet Ihr alles
hoffen. Wenn Ihr standhaft bleibet, will ich bis an meinen letzten
Odem bei Euch halten.' — Auch in der Versammlung der hohen
Häupter, Fürsten und Grafen, Freiherrn und Bischöfe, wie auch
sonstiger Abgeordneter, verbargen ihm einige ihren Beifall nicht.
Nach eines Augenzeugen Bericht waren an Zuhörern im Saal,
im Vorzimmer und vor den Fenstern über fünftausend Menschen,
welsch und deutsch. Von allen Seiten munterte man Luther auf,
getrost und beherzt zu sein und sich vor denen nicht zu fürchten,
die «nur den Leib tobten können. Herr von Pappenheim — denn
Grasen sind. die von Pappenheim erst später geworden — erinnerte
ihn, da er nun vor Kaiser und Ständen stand, nicht anders zu
reden, er werde denn erst gefragt, und also trat Herr Johann
von Eck, kurtrierscher Official, hervor und fragte im Namen des
Kaisers, ob er diese Bücher, die ihm als daliegend gezeigt wurden,
für die seinigen erkenne, und ob er, was darinnen enthalten, wi-
derrufen wolle. Hierauf rief D. Schürf, der gleichsam als sein
Advocat ihm beigegeben war: «Man zeige die Bücher mit Namen
an!' Und da nun dieses geschehen war, bejahete Luther zwar die
erste Frage, bat sich aber zur Beantwortung der zweiten Bedenk-
zeit aus, welche der Kaiser ihm auch gewährte. Es war sowohl
seiner als der angesehenen Versammlung würdig in hohem Grad,
in diesen hohen und heiligen Dingen die höchste Besonnenheit zu
zeigen und was Leichtsinn oder Mangel an Ernst oder gar stür-
mische Leidenschaft verrathen konnte, von diesem wichtigen Augen-
blick ganz zu entfernen. Da er nun gleich am andern Tage wieder
in den Reichsrath gefordert ward, war jedermann um so mehr ge-
spannt und begierig auf die entscheidende Antwort; wiederum
wurde er zu dieser Audienz durch den Ehrenhold um vier Uhr ab-
geholt, mußte aber unter einer großen Menge Volks bis sechs Uhr
stehen und warten; es brannten schon alle Fackeln in dem Saal
der Reichsversammlung. Nachdem er endlich vorgelassen wurde
und man ihn hieß reden, sprach er mit deutschen Worten also:
«Allergnädigster Kaiser, Gnädigste Kurfürsten, Fürsten und Herren!
Ich erscheine als der Gehorsame auf dem Termin, so mir gestern
Abend angesetzt ist, und bitte durch Gottes Barmherzigkeit, Ew.
93
Majestät und Gnaden wollen diese gerechte und wahrhaftige Sache,
wie ich hoffe, gnädigst hören; und so ich aus Unverstand vielleicht
einem jeglichen seinen gebührenden Titel nicht geben, oder mich
sonst nicht nach Hofgebranch in Geberden erzeigen sollte, mir es
gnädigst zu gut halten, als der ich nicht zu Hose gewest, sondern
immer im Kloster gesteckt bin und von mir anders nicht zeugen
kann, denn daß ich in dem, was von mir bishero mit einfältigem
Herzen gelehrt und geschrieben worden, allein Gottes Ehre und
der Christgläubigen Nutz und Seligkeit, damit dieselben rechtschaffen
und rein unterrichtet würden, angesehen und gesucht habe.' Hier-
auf machte er einen Unterschieb unter seinen Büchern. Einige
seien solche, darinnen er vom Glauben und christlichen Werken
recht und christlich, nach selbsteigencm Zeugnis seiner Widersacher,
gelehret; die könne er nicht widerrufen. 'Ja, auch die päpstliche
Bulle/ sagte er, 'ob sie wohl geschwind und heftig ist, doch macht
sie etliche meiner Bücher unschädlich, wiewohl sie dieselben durch
ein ungeheuer widernatürlich Urtheil verdammet.' In den andern
greife er das Papstthum und der Papisten Lehre an, die mit ihrer
falschen Lehre und bösem Exempel die Christenheit an Leib und
Seele verwüstet hätten. 'Denn niemand,' sagte er, 'kann verneinen
und dissimulieren, weil es die Erfahrung zeuget und alle frommen
Herzen darüber klagen, daß durch des Papstes Gesetz und Mcnschen-
lehre der Christgläubigen Gewissen aufs allergreulichste uud jämmer-
lichste verstrickt, beschwert und gemartert sind, auch die Güter,
Gründe und Possession, vornehmlich in dieser hochberühmten deutschen
Nation, mit unglaublicher Tyrannei erschöpft und verschlungen
sind uud noch heutiges Tages ohne Aufhören unziemlicher Weise
verschlungen werden.' Auch diese Bücher könne er nicht widerrufen,
weil er dadurch ihre Tyrannei und Bosheit stärken würde. 'O!
chclch ein großer Schanddcckel allerlei Schalkheit und Tyrannei,
lieber Gott, würde ich alsdann werden!' rief er aus. Die dritte
Art seiner Bücher gehe wider einige Privatpersonen, die sich unter-
standen, römische Tyrannei zu vertheidigen und die gottselige Lehre,
sv er gelehret, zu fälschen und zu unterdrücken, darinnen er sich
auch wohl zuweilen heftiger erwiesen, als es ihm seines Amtes ge-
zieme; dieselbigen könne er aber auch nicht widerrufen, damit er
nicht Ursache gebe, forthin allerlei gottloses Wesen zu vertheidigen
und neue Greuel und Wüthen anzurichten. 'Doch,' fuhr er fort,
'weil ich ein Mensch bin und nicht Gott, kann ich meinen Büch-
lein nicht anders helfen, noch sie vertheidigen, denn mein Herr und
Heiland seiner Lehre gethan hat, welcher, da er, vor dem Hohen-
priester Hannas um seine Lehre gefraget, von des Hohenpriesters
Knecht einen Backenstreich empfangen hatte, sprach: 'Hab ich übel
geredt, so beweise es, daß es böse sei.' Hat nun der Herr, welcher
wußte,^ daß er nicht konnte irren, sich nicht geweigert, Zeugnis
wider seine Lehre zu hören, auch von einem geringen, schnöden Knecht,
94
wie viel mehr ich, der Erd' und Asche ist und leichtlich irren kann, soll
begehren und warten, ob jemand Zeugnis wider meine Lehre geben
wolle. Darum bitt' ich durch die Barmherzigkeit Gottes, Ew. Kaiser!.
Maj., Kur- und Fürstliche Gnaden, oder wer es thun kann, er
sei hohes oder niedriges Standes, wolle Zeugnis geben, mich mit
prophetischen und apostolischen Schriften überweisen, daß ich geirrt
habe; so ich des überzeuget werde, will ich ganz willig und bereit
sein, allen Irrthum zu widerrufen, und der erste sein, der meine
Büchlein ins Feuer werfen will. Aus diesem, halt' ich, erscheine
klärlich und öffentlich, daß ich genugsam bedacht und erwogen habe
die Noth und Gefahr, das Wesen und die Zwietracht, so durch
Verursachung meiner Lehre soll erwecket sein, davon ich gestern
hart und stark bin erinnert worden.'
Dieses und noch mehr anderes sprach Luther deutsch, aber
man wußte, der Kaiser verstand besser spanisch als deutsch, mochte
auch die deutsche Sprache nicht leiden; <also', erzählet Luther selbst
in einer Relation, ^dieweil ich so redete, begehrten sie von mir,
ich sollte es noch einmal wiederholen mit lateinischen Worten; aber
ich schwitzte sehr, und war mir des Getümmels halben und weil
ich gar unter den Fürsten stund, sehr heiß. Doch sagte Herr Fried-
rich von Thunau:. ^Könnet Ihr es nicht thun, so ist's genug. Herr
Doctor.' Aber ich wiederholete alle meine Worte lateinisch; das
gefiel Herzog Friedrich, dem Kurfürsten, überaus wohl.'
Dieses alles that Luther aufs allerunterthänigste und demüthigste,
schrie dabei auch nicht sehr, noch heftig, sondern redete fein sittig,
züchtig und überaus bescheiden, doch mit großer Freudigkeit und
Beständigkeit. Weil aber nun der triersche Ossicial strafend einfiel
und eine runde, richtige Antwort verlangte, ob er widerrufen
wolle oder nicht, so sagte Luther: Weil denn Kaiser!. Maj., Kur-
und Fürst!. Gnaden eine schlechte, einfältige, richtige Antwort be-
gehren, so will ich die geben, so weder Hörner noch Zähne haben
soll, nämlich also: es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der heil.
Schrift oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und
Ursachen überwunden und überwiesen werde — denn ich glaube weder
dem Papst, noch den Concilien alleine nicht, weil es am Tage und
offenbar ist, daß sie oft geirrt haben und ihnen selbst widersprechend
gewesen sind —, und ich also mit den Sprüchen, so von mir ange-
zogen und angeführt sind, überzeuget und mein Gewissen in Gottes
Wort gefangen ist, so kann und will ich nichts widerrufen, weil
weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun.
Hie steh' ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.'
95
64.
Ich hab's gewagt.
Von Hutten.
David Strauß: Ulrich von Hutten. Leipzig 1858. 11, 110—121. (Bruchstücke.)
Von Wahrheit will ich nimmer lan,
Das soll mir bitten ab kein Mann;
Auch schafft, zu schrecken mich, kein Wehr,
' Kein Bann, kein Acht, wie fast und sehr
Man mich damit zu schrecken meint.
Obwohl mein fromme Mutter weint,
Da ich die Sach hätt fangen an:
Gott wöll sie trösten, es muß gähn;
Und sollt' es brechen auch vorm End,
Will's Gott, so mag'S nit werden g'wendt,
Darum will brauchen Füß und Hand.
Ich hab'S gewagt.
Ich Hab'S gesagt, ihr habt's gehört:
Wir sind gewesen lang bethört,
Bis daß uns doch hat Gott bedacht
Und wiederum zu Sinnen bracht.
Die Wahrheit muß Herfür, zu gut
Dem Vaterland, das ist mein Muth.
Kein ander Ursach ist noch Grund,
Drum ich hab aufgethan den Mund
Und mich gesetzt in Armuths Noth:
Das weiß von mir der liebe Gott.
In Armuth wöllt ich sterben gern.
Auch alles eigen Nutz entbehrn.
Das steht nunmehr in Gottes Hand,
Dem alle Herzen sind bekannt.
Ich hab's gewagt.
Sie haben Gottes Wort verkehrt,
Das christlich Volk mit Lug beschwert:
Die Lügen wolln wir tilgen ab,
Auf daß ein Licht die Wahrheit hab,
Die war verfinstert und verdampft.
Gott geb ihm Heil, der mit mir kämpft,
Das, hoff ich, mancher Ritter thu,
Manch Graf, manch Edelmann dazu,
Manch Burger, der in seiner Stadt
Der Sachen auch Beschwernis hat,
Auf daß ich's nicht anheb umsunst.
Wohlauf, wir haben Gottes Gunst!
O Karle, Kaiser lobesan,
Greif du die Sach zum ersten an!
Hilf, werther König, es ist Noth
Und fehlt allein an deinem Gebot:
Laß fliegen aus des Adlers Fahn,
So woÜen wir es heben an.
Wer wollt in solchem bleiben heim?
Ich hab's gewagt! Das ist mein Reim. Amen.
96
65.
Ulrich von Hutten bei Franz von Sickingen auf der
Ebernburg. 1520.
Bon David Strauß.
Ulrich von Hutten. Leipzig 1858. II, 139.
/ranz hatte bis daher von Luther nur weniges obenhin ge-
lesen: jetzt benutzte Hutten die winterliche Muße auf der Ebern-
burg, den Freund tiefer in die Schriften des Reformators einzu-
führen. Einige Proben, die er ihm vorlas und mündlich erläuterte,
mußten ihn erst begierig macken; bald fieng die Sache ihm einzu-
leuchten an, und bei weiterm Lesen kam cs zur Überzeugung. Er
übersah die Grundlagen, ermaß den Aufbau der lutherischen Lehre^
und Wie?' rief er aus, <das wagt jemand erschüttern zu wollen,
oder wenn er's wagt, hofft er's zu können?' In kurzem ließ er
keine Mahlzeit vorübergehen, nach der ihm nicht Hutten etwas
von Luther oder auch von sich selbst vorlesen mußte, woran sich
Gespräche knüpften, in denen Hutten die Fassungskraft seines Freun-
des, sein Talent, das Aufgefaßte beredt wiederzugeben und selb-
ständig weiter auszuführen, bewundern lernte. Jetzt war Sickingen
gegen die Versuche, ihn wankend zu machen, gestählt: auf die
Warnung seiner Verwandten vor der Betheiligung an einer so
zweifelhaften Sache war jetzt seine Antwort, die Sache sei keines-
wegs zweifelhaft, denn es sei die Sache Christi und der Wahr-
heit; überdies fromme es dem deutschen Gemeinwesen, daß Lu-
ther's und Hutten's Mahnungen Gehör finden und der Glaube ge-
schirmt werde.
Stehen wir einen Augenblick vor diesem Bilde still: es ist eines
der schönsten in der Geschichte unseres Volkes. Am gastlichen
Tische der Ebernburg sitzen in den Winterabenden zwei deutsche Rit-
ter, in Gesprächen über die deutscheste Angelegenheit. Der Eine
Flüchtling, der andere sein mächtiger Beschützer: aber der Flüchtling, der
Jüngere, ist der Lehrer, der Ältere schämt sich des Lernens nicht, wie
der ritterliche Lehrer selbst neidlos dem größern Meister, dem
Mönch zu Wittenberg, sich unterordnet.
66.
Schwerting -er Sachfenherzog.
Bon Eberl.
Gedichte 3. Aufl. Stuttgart und Tübingen 1845. S- 265.
Der Schwerting, Sachsenherzog, der saß bei Festesmahl,
Da schäumten Weine perlend in eisernem Pokal,
Da rauchten Speisen köstlich in eisernem Geschirr,
Da war von Eisenpanzein ein wild und rauh Geklirr.
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Der Dänenkönig Frotho genüber Schwerting saß,
Mit staunender Gebcrde die Eisenkettcn maß,
So diesem niederhiengen von Hals und Brust und Hand,
Und dann die Eisenspangcu am schwarzen Trau'rgewand.
'Sagt an, was soll das deuten? Herr Bruder, gebt mir kund,
Warum Ihr mich geladen zu solcher Tafelrund'?
Als ich herabgezogen aus meinem Dänenland,
Da hofft' ich Euch zu finden in güldenem Gewand.'
'Herr König, Gold dem Freien, und Eisen für den Knecht!
Das ist der Sachsen Sitte, und so allein ist's recht.
Ihr habt in Eisenbande der Sachsen Arm gezwängt;
Wär' Eure Kette gülden, sie wäre längst zersprengt.
'Doch, mein' ich, giebt's noch Mittel, zu lösen solches Erz:
Ein biedrer Sinn und Glaube, ein hoch und muthig Herz,
Das muß den Arm befreien, gefesselt hundertfach,
Das muß den Eidschwur löschen und tilgen niedre Schmach.'
Als so der Fürst gesprochen, da traten in den Saal
Zwölf schwarze Sachsenritter, mit Fackeln allzumal;
Die harrten stumm und ruhig auf Schwerting's leises Wort
Und sprangen dann in Eile, die Brände schwingend, fort.
Nicht lang, da scholl von unten zu Herrn und Gastes Ohr
Ein Knistern und ein Prasseln wie Feucrwuth empor;
Nicht lang, da ward's im Saale gar schwül und sommerheiß,
Und: "S die Stund' gekommen!' sprach dumpf der ganze Kreis.
Der König will entfliehen, der Herzog hält ihn stark:
'Halt, steh, und laß erproben dein ritterliches Mark!
Hält es dem rauhen Gegner, der unten prasselt, Stand,
Dein sei die Sachsenkrone, dein sei das Sachsenland!'
Und heißer, immer heißer wird's in der weiten Hall',
Und lauter, immer lauter erdröhnt der Balken Fall,
Und heller, immer heller wird rings der rothe Schein,
Die Thüre sinkt in Trümmer, die Lohe schießt herein.
Da knieen betend nieder die wackern Rittersleut':
'Herr, sei den Seelen gnädig, die selber sich befreit!'
Der Herzog doch sieht ruhig der Flamme Windeslauf;
Der König sinkt zu Boden, er reißt ihn wüthend auf.
'Schau hin, du stolzer Sieger! erzittre, feiges Herz!
So löst man Eisenbande, so schmilzt dein mächtig Erz!'
Er ruft's, und ihn erfasset der Flamme wild GesanS,
Und nieder stürzen alle, und nieder stürzt das Haus.
ColShorn u. Goedeke'S Lesebuch II.
7
98
67.
Herzog von Alba bei einem Frühstück auf dem Schlosse zu
Rudolstadt im Jahre 1547.
Bon Schiller.
Werke. Stuttgart u. Tübingen 1838. XI, 202. — 1847. XI, 196.
Eine deutsche Dame aus einem Hause, das schon ehedem durch
Heldenmuth geglänzt und dem deutschen Reich einen Kaiser gegeben
hat, war es, die den fürchterlichen Herzog von Alba durch ihr ent-
schlossenes Betragen beinahe zum Zittern gebracht hätte. Als Kaiser
Karl V. im Jahre 1547 nach der Schlacht bei Mühlberg auf seinem
Zuge nach Franken und Schwaben auch durch Thüringen kam,
wirkte die verwitwete Gräfin Katharina von Schwarzbnrg, eine
geborene Fürstin von Henneberg, einen Sauve-Garde-Brief bei
ihm aus, daß ihre Unterthanen von der durchziehenden spanischen
Armee nichts zu leiden haben sollten. Dagegen verband sie sich,
Brot, Bier und andere Lebensmittel gegen billige Bezahlung aus
Rudolstadt an die Saalbrücke schaffen zu lassen, um die spanischen
Truppen, die dort übersetzen würden, zu versorgen. Doch gebrauchte
sie dabei die Vorsicht, die Brücke, welche dicht bei der Stadt war,
in der Geschwindigkeit abbrechen und in einer größern Entfernung
über das Wasser schlagen zu lassen, damit die allzu große Nähe der
Stadt ihre raublustigen Gäste nicht in Versuchung führte. Zu-
gleich wurde den Einwohnern aller Ortschaften, durch welche der
Zug gieng, vergönnt, ihre besten Habseligkeiten aus das Rudol-
städter Schloß zu flüchten.
Mittlerweile näherte sich der spanische General, von Herzog
Heinrich von Braunschweig und dessen Söhnen begleitet, der
Stadt und bat sich durch einen Boten, den er voranschickte, bei
der Gräfin von Schwarzburg allf ein Morgenbrot zu Gaste. Eine
so bescheidene Bitte, an der Spitze eines Kriegshecrs gethan, konnte
nicht wohl abgeschlagen werden. Man würde geben, was das
Haus vermöchte, war die Antwort; seine Excellenz möchten kommen
und fürlieb nehmen. Zugleich unterließ man nicht, der Sauve-
Garde noch einmal zu gedenken und dem spanischen General die
gewissenhafte Beobachtung derselben ans Herz zu legen.
Ein freundlicher Empfang und eine gut besetzte Tafel erwarten
den Herzog aus dem Schlosse. Er muß gestehen, daß die thürin-
gischen Damen eine sehr gute Küche führen und auf die Ehre des
Gastrechts halten. Noch hat man sich kaum niedergesetzt, als ein
Eilbote die Gräfin aus dem Saal ruft. Es wird ihr gemeldet,
daß in einigen Dörfern unterwegs die spanischen Soldaten Ge-
walt gebraucht und den Bauern das Vieh weggetrieben hätten.
Katharina war eine Mutter ihres Volks; was dem ärmsten ihrer
Unterthanen widerfuhr, war ihr selbst zugestoßen. Aufs äußerste
über diese Wortbrüchigkeit entrüstet, doch von ihrer Geistesgegenwart
99
nicht verlassen, befiehlt sie ihrer ganzen Dienerschaft, sich in aller
Geschwindigkeit und Stille zu bewaffnen und die Schloßpforten
Wohl zu verriegeln; sie selbst begiebt sich wieder nach dem Saale,
wo die Fürsten noch bei Tische sitzen. Hier klagt sie ihnen in den
beweglichsten Ausdrücken, was ihr eben hinterbracht worden, und
wie schlecht man das gegebene Kaiserwort gehalten. Man erwidert
ihr mit Lachen, daß dies nun einmal Kriegsgcbranch sei, und daß
bei einem Durchmarsch von Soldaten dergleichen kleine Unfälle
nicht zu verhüten stünden. Das wollen wir doch sehen/ ant-
wortete sie aufgebracht. Meinen armen Unterthanen muß das
Ihrige wieder werden, oder, bei Gott!' — indem sie drohend ihre
Stimme anstrengte, ^Fürsten blut für Ochsen blut!' Mit dieser
bündigen Erklärung verließ sie das Zimmer, das in wenigen Au-
genblicken von Bewaffneten erfüllt war, die sich, das Schwert in
der Hand, doch mit vieler Ehrerbietigkeit, hinter die Stühle der
Fürsten pflanzten und das Frühstück bedienten. Bein: Eintritt
dieser kampflustigen Schar veränderte Herzog Alba die Farbe;
stumm und betreten sah man einander an. Abgeschnitten von der
Armee, von einer überlegenen handfesten Menge umgeben, was
blieb ihm übrig, als sich in Geduld zu fassen und, auf welche Be-
dingung cs auch sei, die beleidigte Dame zu versöhnen? Heinrich
von Braunschweig faßte sich zuerst und brach in ein lautes Ge-
lächter aus. Er ergriff den vernünftigen Ausweg, den ganzen
Vorgang ins Lustige zu kehren, und hielt der Gräfin eine große
Lobrede über ihre landesmütterliche Sorgfalt und den entschlossenen
Muth, den sie bewiesen. Er bat sie, sich ruhig zu verhalten, und
nahm es auf sich, den Herzog von Alba zu allem, was billig sei,
zu vermögen. Auch brachte er es bei dem letztern wirklich dahin,
daß er auf der Stelle einen Befehl an die Armee ausfertigte, das
geraubte Vieh den Eigenthümern ohne Verzug wieder auszuliefern.
Sobald die Gräfin von Schwarzburg der Zurückgabe gewiß war,
bedankte sie sich aufs schönste bei ihren Gästen, die sehr höflich
von ihr Abschied nahmen.
68.
Klein Roland.
Bon Uhland.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 185:$. S. 331. — 49. Aust. lSOti. S. 333. — 58. Stuft.
1874. S, 331.
/rau Bertha saß in der Felsenkluft, ‘D König Karl, mein Bruder hehr!
Sie klagt' ihr bittre« Los. O, daß ich floh von dir!
Klein Roland spielt' in freier Luft, Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr',
De« Klage war nicht groß. Nun zürnst du schrecklich mir.
7*
100
'£) Milan, mein Gemahl so süß!
Die Flut verschlang mir dich.
Die ich um Liebe alles ließ,
Nun läßt die Liebe mich.
Mein Roland, du mein theures Kind!
Nnn Ehr' und Liebe mir!
Klein Roland, komm herein geschwind!
Mein Trost kommt all' von dir.
Mein Roland, geh zur Stadt hinab,
Zu bitten um Speis und Trank,
Und wer dir giebt eine kleine Gab',
Dem wünsche Gottes Dank!'
Der König Karl zur Tafel saß
Im goldnen Rittersaal.
Die Diener liefen ohn' Unterlaß
Mit Schüssel und Pokal.
Bon Flöten, Saitenspiel, Gesang
Ward jedes Herz erfreut,
Doch reichte nicht der helle Klang
Zu Bertha's Einsamkeit.
Und draußen in des Hofes Kreis,
Da saßen der Bettler viel,
Die labten sich an Trank und Speis
Mehr, als am Saitenspiel.
Der König schaut in ihr Gedräng'
Wohl durch die offne Thür,
Da drückt sich durch die dichte Meng'
Ein feiner Knab' hersür.
Des Knaben Kleid ist wunderbar,
Vierfarb zusammcngestückt;
Doch weilt er nicht bei der Bettlerschar,
Herauf zum Saal er blickt.
Herein zum Saal klein Roland tritt,
Als wär's sein eigen Haus.
Er hebt eine Schüssel von Tisches Mitt'
Und trägt sie stumm hinaus.
Der König denkt: Was muß ich sehn?
Das ist ein sondrer Brauch.'
Doch weil er's ruhig läßt geschehn,
So lassen's die andern auch.
Es stund nur an eine kleine Weil',
Klein Roland kehrt in den Saal.
Er tritt zum König hin mit Eil'
Und faßt seinen Goldpokal.
'Heida! halt an, du kecker Wicht!'
Der König ruft es laut.
Klein Roland läßt den Becher nicht,
Zum König aus er schaut.
Der König erst gar finster sah,
Doch lachen mußt' er bald.
‘2)u trittst in die goldnc Halle da
Wie in den grünen Wald.
'Su nimmst die Schüssel von Königs
Tisch,
Wie man Apfel bricht vom Baum;
Du holst wie aus dem Brunnen frisch
Meines rothen Weines Schaum.' —
'Die Bäurin schöpft aus dem Brun-
nen frisch,
Die bricht die Äpfel vom Baum;
Meiner Mutter ziemet Wildbret und
Fisch,
Ihr rothen Weines Schaum.' —
'Ist deine Mutter so edle Dam',
Wie du bcrühmst, mein Kind!
So hat sie wohl ein Schloß lustsam
Und stattlich Hofgesind?
'Sag an! wer ist denn ihr Truchseß?
Sag an! wer ist ihr Schenk?' —
Meine rechte Hand ist ihr Truchseß,
Meine linke, die ist ihr Schenk.' —
'Sag an, wer ist ihr Wächter treu?' —
Mein Auge blau allstund.' —
'Sag an, wer ist ihr Sänger frei?' —
'Der ist mein rother Mund.' —
'Die Dam' hat wackre Diener, traun I
Doch liebt sie sondre Livrei,
Wie Regenbogen anzuschaun
Mit Farben mancherlei.' —
'Ich hab' bezwungen der Knaben acht
Äon jedem Viertel der Stadt,
Die haben mir als Zins gebracht
Vierfältig Tuch zur Wat.' —
'Die Dame hat, nach meinem Sinn,
Den besten Diener der Welt.
Sie ist wohl Bettlerkönigin,
Die offne Tafel hält?
'So edle Dame darf nicht fern
Von meinem Hause sein.
Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn!
Führt sie zu mir herein!'
101
Klein Roland trägt den Becher fitnl
Hinaus zum Prunkgemach;
Drei Damen, auf des Königs Wink,
Drei Ritter folgen nach.
Es stund nur an eine kleine Weil',
Der König schaut in die Fern',
Da kehren schon zurück mit Eil'
Die Damen und die Herrn.
Der König ruft mit einemmal:
'Hilf Himmel! seh' ich recht?
Ich hab' verspottet im offnen Saal
Mein eigenes Geschlecht.
'Hilf Himmel! Schwester Bertha,
bleich,
Im grauen Pilgergcwand!
Hilf Himmel! in meinem Prunksaal
reich
Den Bettelstab in der Hand!'
Frau Bertha fällt zu Füßen ihm,
Das bleiche Frauenbild.
Da regt sich plötzlich der alte Grimm,
Er blickt sie an so wild.
Frau Bertha senkt die Augen schnell,
Kein Wort zu reden sich traut.
Klein Roland hebt die Augen hell,
Den Öhm begrüßt er laut.
Da spricht der König mit mildem
Ton:
'Steh auf, du Schwester mein!
Um diesen deinen lieben Sohn
Soll dir verziehen sein.'
Frau Bertha hebt sich freudenvoll:
'Lieb Bruder mein, wohlan!
Klein Roland dir vergelten soll,
Was du mir Guts gethan.
'Soll werden, seinem König gleich,
Ein hohes Heldenbild;
Soll führen die Färb' von manchem
Reich
In seinem Banner und Schild.
'Soll greifen in manches Königs
Tisch
Mit seiner freien Hand;
Soll bringen zu Heil und Ehre frisch
Sein seufzend Mutterland.'
69.
Dci* eiserne Karl.
von den briidern Grimm.
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. II, 112. — 2. aufl. 1865 und 1866. II, 102.
Zur zeit, als könig Karl den lombardenkönig Desiderius be-
feindete, lebte an des letztem liofe Oggcr, (Odger, Autchar) ein
edler franke, der vor Karl’s Ungnade das land hatte räumen müssen,
wie nun die nachriebt erscholl, Karl rücke mit heeresmacht heran,
standen Desiderius und Ogger auf einem hohen türm, von dessen
gipfel man weit und breit in das reich schauen konnte, das ge-
päck rückte in hausen an. 'ist Karl unter diesem groszen beer?’
frug könig Desiderius. 'noch nicht!’ versetzte Ogger. nun kam
der landsturm des ganzen fränkischen reichs. ‘hierunter befindet
ßich Karl aber gewisz,’ sagte Desiderius bestimmt. Ogger ant-
wortete: 'noch nicht.’ da tobte der könig und sagte: ‘was sollen
wir anfangen, wenn noch mehrere mit ihm kommen?’ ‘wie er
kommen wird,’ antwortete jener, 'sollst du gewahr werden; was mit
uns geschehe, weisz ich nicht.’ unter diesen reden zeigte sich
ein neuer trosz. erstaunt sagte Desiderius: ‘darunter ist doch
Karl ? ‘immer noch nicht,’ sprach Ogger. nächstdem erblickte
man bischöfe, äbte, capellane mit ihrer geistlichkcit. auszer sich
102
stöhnte Desiderius: ‘o, lasz uns niedersteigen und uns bergen in
der erde vor dem angesichte dieses grausamen feindes!’ da er-
innerte sich Ogger der herrlichen, unvergleichlichen macht des
Königs Karl aus besseren Zeiten her und brach in die worte aus:
‘wenn du die saat auf den feldern wirst starren sehn, den eisernen
Po und Tissino mit dunkeln eisenschwarzen meereswellen die Stadt-
mauern überschwemmen, dann gewarte, dasz Karl kommt.’ kaum
war dies ausgeredet, als sich im westen wie eine finstere wölke
zeigte, die den hellen tag beschattete. dann sah man den
eisernen Karl in einem eisenhelm, in eisernen schienen, eisernem
panzer um die breite brüst, eine eisenstange in der linken hoch
aufreckend, in der rechten hielt er den stahl, der Schild war
ganz aus eisen, und auch sein rosz schien eisern an muth und
färbe, alle, die ihm vorausgingen, zur Seite waren und ihm nach-
folgten, ja das ganze he er schien auf gleiche weise ausgerüstet,
einen schnellen blick darauf werfend, rief Ogger: ‘hier hast du
den, nach dem du so viel frügest,’ und stürzte halb entseelt zu
boden.
70.
Sinngedichte.
Bon Logau.
Salomon's von Golaw Sinngedichte. Breslau (1654).
1. Glaube. I, 3, 47.
Ein Ban von Stahl, von Stein
und Eichen
Darf langer Zeit nicht leichtlich weichen:
Ein Bau, der auf dem Glauben steht,
Vergeht, wenn Ewigkeit vergeht.
2. Gott und die Welt. II, 8, 43.
Wer ins Herze Gott will fassen,
Muß die Welt da draußen lassen;
Gott muß der da draußen lassen,
Wer ins Herz die Welt will fassen.
3. Die Sünde. I, 6, 98.
Menschlich ist cs, Sünde treiben,
Teuflisch ist’«, in Sünde bleiben,
Christlich ist eö, Sünde hassen,
Göttlich ist eö, Sünd' erlassen.
4. Hoffnung. I, I, 22.
Auf was Gutes ist zu warten,
Und der Tag kommt nie zu spat,
Der was Gutes in sich hat;
Schnelles Glück hat schnelle Fahrten.
5. Arbeit. I, 1, 98.
Jedermann hat gerne Preis,
Niemand macht sich gerne Schweiß:
Wer der Arbeit Mark will nießen,
Muß ihr Bein zu brechen wissen.
6. Hunger. I, 2, 4.
Hunger ist der beste Koch;
Dièses mangelt ihm. nur noch,
Daß er, wie sonst andre Sachen,
Sich nicht selbst kann schmackhaft
machen.
7. Die beste Arznei. I, 4, 41.
Freude, Mäßigkeit und Ruh
Schließt dem Arzt die Thüre zu.
8. Geld. I, 4, 14.
Wozu ist Geld doch gut?
Wer's nicht hat, hat nicht Muth,
Wer's hat, hat Sorglichkeit,
Wer'ö hat gehabt, hat Leid.
103
9. Wissenschaft. I, 5, 1.
Besser ist es, betteln gehen,
Als nichts wissen, nichts verstehen:
Armen kann man Geld wohl reichen,
Weisheit aber nicht desgleichen.
IO. Eigenlob. I, 2, 6.
Doppler, nicht ein einzler Mund
Giebt der Wahrheit ihren Grund;
Drum kann der nicht gelten viel,
Der sich selbst nur loben will.
11. Das Her? auf der Zunge. I, 4, 79.
Wer's Herz auf seiner Zunge führt,
Der muß, wenn er die Zunge rührt,
Bedachtsamkeit sich wohl befleißen,
Sonst möcht' er sich das Herz abbeißen.
12. Trauen. I, 3, 93.
Einem trauen, ist genug,
Keinem trauen, ist nicht klug;
Doch ist'ö besser, keinem trauen,
Als auf gar zu viele bauen.
13. An einen Freund. I, 2, 43.
Weil du mich, Freund, beschenkst
mit dir,
So dank' ich billig dir mit mir;
Stimm hin deswegen mich für dich,
Ich sei dir du, sei du mir ich.
14. Aufrichtigkeit. I, 7, 15.
Ja soll ja, und nein soll nein,
Stein nicht ja, ja nein nicht sein:
Der, der anders reden kann,
Ist nicht Christ noch Biedermann.
71.
Land und Leute.
Aus Schiller's Wilhelm Tell-
Wilhelm Tell. Tübingen 1804. S. 124. - Werke. Stuttg. u. Tüb. 1838. VI, 91.
Walther. ^iebt's Länder, Vater, wo nicht Berge sind?
Tell. Wenn man hinunter steigt von unsern Höhen
Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,
Gelangt man in ein großes ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn;
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,
Das Korn wächst dort in langen schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.
Walther. Ei, Vater, warum steigen wir denn nicht
Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt daß wir hier uns ängstigen und Plagen?
Tell. Das Land ist schön und gütig wie der Himmel;
Doch die's bebauen, sie genießen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.
Walther. Wohnen sie
Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?
Tell. Das Feld gehört dem Bischof und dem König.
Walther. So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?
Teil. Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.
Walther. Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?
Tell. Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.
Walther. Wer ist der König denn, den alle fürchten?
Tell. Es ist der eine, der sie schützt und nährt.
Walther. Sie können sich nicht muthig selbst beschützen?
Teü. Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
Walther. Vater, es wird mir eng im weiten Land:
Da wohn' ich lieber unter den Lawinen.
104
Dell. Ja wohl ift's bester, Kind, die Gletscherberge
Im Rücken haben, als die bösen Menschen.
Walther. Vater, ist's wahr, daß ans dem Berge dort
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich
Drauf führte mit der Axt?
Tell. Wer sagt das, Knabe?
Walther. Der Meister Hirt erzählt's: die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,
Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.
Teü. Die Bäume sind gebannt, das ist die Wahrheit. —
Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?
Walther. Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern
Und uns die Schlaglawinen niedersenden.
Tell. So ist's, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altdorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegen stellte.
72.
Die Staublawinen.
Von Tschudi.
Das Thierleben der Alpenwelt 5. Aufl. Leipzig 1860. S. 191. — 7. Aufl. 1865.
Es giebt Grundlawinen und Staublawinen. Diese sind ge-
fährlicher und gewaltiger, unregelmäßiger. Sie treten nur im
Winter und ersten Vorfrühling auf und entstehen, wenn ans eine
feste, harte Schneedecke große Lasten neuen, körnigen, losen Schnees
fallen. Dieser hat, wenn die Abhänge etwas steil sind, keinen
Halt auf jener; das Einstürzen eines kleinen Schneegesimses in
der Höhe, der Tritt einer Gemse, eines Hasen, ja das Schnee-
bällchen, das von einem Strauche fällt und fortrollt, oder irgend
eine Lufterschüttcrung bringt dies ganze neue obere Schneefeld in
Gang; es rutscht erst langsam in einem Stücke fort, reißt dann
die tieferen Massen mit, überwallt, stiebt auf, theilt sich. Das
Dröhnen der Masse durch die klare Luft und der entstehende Wind-
zug führt von allen Seitenhalden neue Partialstürze herbei. Mit
rasender Eile, immer furchtbarerer Wucht uud dröhnendem Gepolter
stürzt der Hauptstrom der Tiefe zu, hat schon die Holzregion als
breite, hochgetürmte Sturmflut erreicht, reißt Steiue, Büsche mit
sich und bricht bebend und krachend in den Wald. Du siehst
nichts als donnernde und sprühende Nebel; unendliche Schnee-
staubwolken verhüllen den Gang des Stromes, dessen ganze Bahn
raucht: aber die Bäume krachen, das Felsgestell bebt, die Zinnen
hallen im Donner des Sturmes lange, bange Minuten nach, ■—
noch ein Schlag und zitterndes, knirschendes, dumpfes, unaus-
sprechliches Gepolter,------------dann ist es stille. Ein schneiden-
105
der Luftzug hat den stolzen Gang der Lawine begleitet. Du
schaust ihr nach; geradeaus, über zwei Stunden lang, Hunderte
von Schritten breit liegt ihr frisches Kanalbett durch Alpenwciden,
Wälder, Wiesen bis an den Bach tief unten im Thal; noch rollen
einzelne Ballen und rutschen kleine Stürze nach; noch schwankt
der durchbrochene Hochwald im Winde der Verheererin. Bom
Thale aus gesehen, ist die Katastrophe malerischer; doch entdeckt
man selten die Anfänge. Der sich ausbreitende, mit Riesenkräften
wachsende, wasserfallgleich über die Felswände stürzende, hochauf-
rauchende Strom, wie er sich oft theilt und wieder vereinigt, die
Seitenarme aufnimmt, ein wallendes, flutendes, glänzendes Meer
in pfeilschnellem Schusse mit allen weitreichenden Seitenwirknngen
gewährt ein unaussprechlich großartiges Bild. Wenige Minuten,
und die Tochter der Hochalp liegt nach einem schauerlichen Tanze
friedlich und bewegungslos in der Thalwanne. Vier- bis fünf-
tausend Fuß hat sie in siegreichem Donnergange zurückgelegt und
ihren Leib majestätisch in die fliegenden weißen Gewänder gehüllt,
um bald im Schoße des Thalbettes mit aufgelösten Gliedern zu
ruhen.
Der Bewohner der Ebene macht sich selten einen richtigen
Begriff von den wunderbaren Stnrmbewegnngen, von denen eine
solche Staublawine begleitet ist. Der Luftzug strömt stoß- oder
schußwcise rechts und links etliche hundert Schritt weit neben dem
Lawinenzug, schießt aber in seiner ganzen Breite unten über die
liegen bleibende Schneemasse hinaus, prallt oft an der gegenüber-
liegenden Bergwand an oder verliert sich in der Weite des Thales,
wo er noch auf eine halbe Stunde weit die Fenster und Thüren
der Wohnungen erschüttert und die Kamine von den Dächern
hebt. In den Wäldern reißt dieser Strom auf beiden Seiten des
Schneestromes oft tausend bis zweitausend der stärksten, ältesten
Bäume nieder, hebt Menschen und Thiere auf und schleudert
sie in die Tiefe, zerbricht im Thale noch weit von seinem Lager-
Platze die gewaltigsten Nuß- und Apfelbäume und Ahorne, legt
schwere Frachtwagen auf die Seite und reißt ganze Ställe zusam-
men. Doch ist diese Luftstreichung ziemlich enge abgegrenzt, und
außerhalb ihrer scharfgezogenen Grenzlinie schwankt kein Blatt.
Wunderbare Schicksale zeichnen solche Lawinen in das monotone
Leben der Bergbewohner. Bald verhüllen sie ganze Weiler in
nächtlicher Stunde, und die Leute sind in haushohen Schneemassen
begraben und erstickt, ehe sie recht erwacht sind. Manchmal reißen
sie die Häuschen wie Kartenblätter wirbelnd in die Höhe, und die
Bewohner werden mit heiler Haut abseits in den Schnee geschleu-
dert. Heuschuppen sind fünfhundert Schritte weit durch die Luft
über Bäche getragen und unversehrt mit dem ganzen Heustock auf
der anderen Thalseite abgesetzt worden. Von Verschüttungen und
wunderbaren Rettungen der Menschen finden sich in allen höheren
106
Thälern ältere und jüngere Traditionen. Begreiflich sind die
Thiere, die in der Nähe des Lawinen- und Luftstromes geblieben,
auch Spielbälle desselben. Kleine Vögelchen und große Naben
werden hoch durch die Luft geschlendert; seltener reißt der Schnee-
sturz eine Gemse mit. Man sagt diesen klugen Thieren nach, sie
vermeiden zur Zeit der Lawinenbrüche sorgsam die gefährlichen
Gegenden; doch kommen im Frühling nicht selten Gemsengerippe
im Lawinenschnee zum Vorschein. Mehr als die Witterung der
Lawinengefahr mag sie aber ihr Trieb, die Sonnenseite des Ge-
birges zu meiden, vor dem Tode schützen. Mit dem Winde ver-
breitet sich auch eine große Masse des zu Staub aufgelösten Schnees
mit wunderbar penetrierender Kraft nach der Tiefe. Solcher
Staublawinenschnee dringt durch die feinsten Ritzchen massenweise
in die Häuser und setzt sich in die wollenen Kleider so fest, daß er
durchaus nicht ausgebürstet werden kann.
73.
Die Martinswand.
Bon Grün.
Der letzte Ritter 4. Anst. Leipzig 1845. S. 99- - 5. Anst. 1847. S. 126. — 8. Aufl.
1869. S. 98.
willkommen, Tyrolerherzen, die ihr so bieder schlagt,
Willkommen, Tyrolergletscher, die ihr den Himmel tragt,
Ihr Wohnungen der Treue, ihr Thäler voller Duft,
Willkommen, Quellen und Triften, Freiheit und Bergesluft! —
Wer ist der kecke Schütze im grünen Jagdgewand,
Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand,
Des Aug' so flammend glühet wie hoher Königsblick,
Des Herz so still sich freuet an kühnem Jägerglück?
Das ist der Max von Habsburg auf lust'ger Gcmsenjagd;
Seht ihn auf Felsen schweben, wo's kaum die Gemse wagt!
Der schwingt sich auf und klettert in pfeilbeschwingtem Lauf;
Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wand hinauf!
Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft,
Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft!
Und jetzt? — Halt ein, nicht weiter! jetzt ist er festgebannt,
Kluft vor ihm, Kluft zur Seite, und oben jähe Wand!
Der Aar, der sich schwingt zur Sonne, hält hier die erste Rast,
Des Fittichs Kraft ist gebrochen, und Schwindel hat ihn erfaßt;
Wollt' einer von hier zum Thäte hinab ein Stieglein baun,
Müßt', traun, ganz Tyrol und Steier die Steine dazu behaun.
Wohl hat die Amm' einst Maxen erzählt von der Martinswand,
Daß schon beim leisen Gedanken das Aug' in Nebeln schwand;
Jetzt kann er's sehn, ob dem Bilde sie treue Farben geborgt!
Daß er's nicht weiter plaudre, dafür ist schon gesorgt.
107
Da steht der Kaisersprosse, Fels ist sein Throngezelt,
Sein Scepter Moosgeflechte, an das er schwindelnd sich hält;
Auch ist eene Aussicht droben, so schön und weit zu sehn,
Daß ihm vor lauter Schauen die Sinne fast vergehn.
Tief unten, ein grüner Teppich, das schöne Thal des Inn,
Wie Fäden durchs Gewebe, ziehn Straß' und Strom dahin;
Die Bergkolosse lieben rings eingeschrumpft zuhauf
Und schaun wie Friedhofhügel zu Maxen mahnend auf.
Jetzt stößt er, Hülfe rufend, mit Macht hinein ins Horn,
Daß es in Lüften gellet, als dröhnte Gewitterzorn;
Ein Teufelchen, das kichert im nahen Felsenspalt:
Es dringt ja nicht zu Thale des Hülferufs Gewalt.
Ins Horn nun stößt er wieder, daß eS fast platzend bricht:
Ho, ho, nicht so gelärmet! da hilft das Schreien nicht!
Denn liebte ihn sein Volk nicht, was er auch bieten mag,
Herr Max, er bliebe sitzen bis an den jüngsten Tag!
Was nicht das Ohr vernommen, das hat das Aug' erkannt;
Die unten sahn ihn schweben auf pfadloö steiler Wand;
Gebet und Glocken rufen für ihn zum Himmelsdom,
Von Kirche zu Kirche wallfahrt der bange Menschenstrom.
Jetzt an dem Fuß des Felsens erscheint ein bunter Chor,
Ein Priester inmitten, weisend das Sacramcnt empor.
Max sieht nicht das bunte Wimmeln auf ferner Thalesflur,
Er sieht das blitzende Glänzen der Goldmonstranze nur.
'Fahr wohl nun, Welt und Leben! schwer fällt der Abschied mir
O unerforschlich Wesen, du winkst, ich folge dir!
Ich schien ein Baum voll Blüten, dein Blitz hat ihn erschlagen;
Ach, gerne hätt' er früher noch süße Frucht getragen!
'Ich schien ein Bauherr, türmend den Dom zu deinem Ruhm;
Nicht durft' er ganz vollenden der Liebe Heiligthum!
Ein Priester, plötzlich stürzend todt an des Altars Stufen;
Er hätte gern erst Segen noch übers Volk gerufen!
'So mag dies Herz denn brechen, von Lieb' und Segen voll;
So modre nun mein Busen, der thatenschwanger schwoll;
Verwelke, Hand, denn nimmer krönt deine Müh' Gedeihu!
Nur Gottes bester Engel kann hier mein Retter sein!'
Er spricht'« und hebt zum Himmel nun Angesicht und Arm,
Und in die Knie sinkt er und betet still und warm;
Da klopft's auf seine Schulter, er fährt erschreckt empor;
'Komm heim, du bist gerettet!' so ruft es an sein Ohr.
Und einen Bergmann sieht er frohlächelnd vor sich stehn,
Der faßt ihn fest beim Arme und winkt ihm, fürder zu gehn;
Mit Leitern, Stahl und Seilen wird kühn ein Pfad gebahnt;
Wo Maxens Fußtritt strauchelt, stützt ihn des Retters Hand.
Der lädt ihn auf den Rücken, wo Klüfte schwindelnd drohn;
Wohl sind der Treue Schultern des Fürsten schönster Thron!
- —rw>
108
Rasch geht's zu Thal, wo jauchzend Tyrol empfängt die zwei;
Kein Spötter kann belächeln die seltne Reiterei.
Wohl kündet uns die Sage aus grauer Ahnenzeit
Von einem Himmelsboten, der schützend ihn befreit;
Ja, wohl ein Engel war es, ein Schutzgeist, stark und kühn,
Des treuen Volkes Liebe, so nennt zu deutsch man ihn.
Ein Kreuz auf hohem Felsen blickt nieder in das Land
Und zeigt den Ort, wo bebend einst Habsburg's Sprosse stand;
Noch lebt die edle Kunde und jubelt himmelwärts
Aus manches Sängers Munde, durch aller Tyroler Herz!
74.
Die Gemse.
Von Lenz.
Naturgeschichte 3. Aufl. Gotha 1851. I, 572. - 4. Anst. 1881. — 5. Aufl. 1873. 512.
Im Winterkleide ist das Gesicht, das Innere des Ohrs, ein
großer Fleck unter dem Schwanz und ein Streif unten längs der
Mitte des Bauches isabell, ein Fleck zwischen den Schenkeln weiß;
alles übrige schwarzgrau, doch ein Streif längs dem Rückgrat, die
Hinterseite der Ohren und ein breiter Streif von jedem Ohr durch
das Auge bis zur Nasenspitze fast schwarz. Im Sommerkleide ist
das, was im Winter schwarzgrau war, also fast das ganze Thier,
röthlichbraun, wie bei unsren Rehen. Die Hörner sind immer
schwarz, fast walzigrund, steigen ziemlich im rechten Winkel ans
dem Stirnbein empor, ihre Spitze aber biegt sich wie ein Angel-
haken zurück, ist sehr hart und scharf. An Größe und Gestalt ist
die Gemse übrigens einer Hausziege sehr ähnlich; aber ihr großes,
seelenvolles Auge ist schwarz, der Bart fehlt, hinter jedem Ohr
liegt eine Vertiefung, über welcher die Haut eine kleine Öffnung
hat. Die längs dem Rückgrat stehenden Haare werden bei alten
Männchen über singerslang und liefern den sogenannten Gcmsbart,
woraus sich die Tyroler Kokarden machen, welche sie nebst Spiel-
hahns- (Birkhahns-) Federn auf dem Hut tragen. Die Hufe der
Gemse sind schwarz, und sie kann sie sehr weit aus einander^spreizen.
Der Hörner bedienen sich die wilden Gemsen, um Adler, welche
ihre Jungen rauben wollen und denen sie oft hoch in die Luft
entgegenspringen, abzuwehren; zahme verwunden damit Hunde leicht
tödtlich, indem sie ihnen von unten her blitzschnell den Leib auf-
reißen. Auch Menschen haben sich vor ihnen zu hüten; ich habe
einen Mann gesehn, dessen Hand von der zahmen Gemse, die er
aufgezogen hatte und die er mir zeigte, fürchterlich zerhauen war.
Das Männchen (Bock) wird größer, als das Weibchen (Ziege,
Geiß), hat auch einen stärkeren Hals, dickeren Kopf und stärkere
Hörner. Die Gemse bewohnt die Alpen der Schweiz, Tyrols und
Savoyens. Als ich die Tatrakarpathen besuchte, versicherte man
mir dort bestimmt, daß sie auch in diesem Gebirge vorkäme, und
ich sah von da stammende ausgestopfte Exemplare. Sie findet
sich auch aus den Pyrenäen, wo sie Asard heißt, und im Kaukasus.
Ihren Wohnsitz schlägt sie in der Nähe des ewigen Schnees auf
und ruhet im Sommer gern aus dem weichen und kühlen Lager, wel-
ches er ihr darbietet. Über das Eis der Gletscher läuft sie mit
Leichtigkeit, so weit es, wie gewöhnlich, rauh ist; wo aber spiegel-
glatte, abhängige Eismasscn sind, da kann sie durchaus nicht fort.
An Felsen klettert sie mit erstaunlicher Geschicklichkeit und springt
mit unglaublicher Sicherheit. In die tiefen und bewohnten Thäler
kommt sie fast nie. Mit Tagesanbruch geht sie langsam weidend
an den Bergwänden herunter, ruht dann im Sommer von neun
bis elf Uhr, und zwar sehr gern am Rande senkrecht abfallender
Felsen, steigt von elf bis zwei Uhr weidend bergan, ruht dann wieder
von zwei bis vier, steigt nun langsam wieder etwas bergab und
bringt die Nacht ruhend da zu, wo sie von derselben überrascht
wird. Will das Wetter sich ändern, so geht sie weit tiefer als ge-
wöhnlich herab und gilt daher für einen Wetterpropheten. Wäh-
rend des Winters bewohnt sie die Südseite der Berge und am
liebsten mit Gras bewachsene Wände, die so steil sind, daß der
Wind den Schnee immer wegjagt. Das Gras der Höhen ist in
den Alpen äußerst nahrhaft; daher wird die Gemse im Herbste
sehr dick und fett. Während des Winters, welcher in solcher Höhe
sehr lange dauert, magert sie aber wieder ab. Schneelawinen
bringen ihr nicht selten den Tod. Am Rhonegletscher habe ich
eine aus den Trümmern einer Lawine gegraben. Zuweilen sterben
viele an der Räude. Alte Böcke leben einsam oder mit den Jun-
gen des vorigen Jahres zusammen; die Mütter aber vereinigen
sich nebst den noch nicht erwachsenen Jungen gern zu Heerden.
Noch vor achtzig Jahren waren Heerden von sechzig bis hundert
Stück keine große Seltenheit; jetzt sind diese schönen Thiere in
den Alpen vermittels der weit besseren Feuergewchre sehr vermin-
dert und an vielen Stellen ausgerottet. Gewöhnlich bekommt das
Weibchen jährlich im Juni Ein Junges, dessen Farbe bräunlichgrau
ist. In den ersten Stunden nach der Geburt-kann man das kleine
Thierchen noch fangen; ist es aber erst vierundzwanzig Stunden
alt, so ist es schon so flüchtig, daß man cs nicht mehr einholt.
Man kann es an einer frischmelkenden Hauszicge aufzichn; es
wird sehr zahm, späterhin aber durch seine ungeheure Sprungkrast
sehr lästig. Einen Ton habe ich von Gemsen nicht gehört, mit
Ausnahme eines gellenden Pfeifens, welches die Alten, gleich den
Murmelthieren, daun hören lassen, wenn sie einen Menschen in
gefährlicher Nähe bemerken. Adler und Lämmergeier stellen den
Jungen nach, und der letztgenannte stürzt selbst alte in Abgründe,
110
wenn er sie am Rande derselben überraschen kann. Der gefähr-
lichste Feind der Gemse ist aber der Mensch. Er läßt sich ihr
Fleisch und Talg wohl schmecken, setzt ihr Horn als Griff ans
seinen Spazierstock und gerbt das Fell zu einem ausgezeichnet
guten, sammtweichen, elastischen Leder.
Eine lesenswerthe Beschreibung der Gemsenjagd giebt der
Pfarrer Steinmüller zu Rheineck, wovon hier das Wichtigste
mitgetheilt werden soll. Die Rüstung des Gemsenjägers,' sagt er,
^besteht in einer leichten Kleidung und stark genagelten Schuhen,
woran Fußeisen geschnallt werden, welche sechs bis acht Griffe
haben, und mit denen der kühne Jäger bedächtlich und mühsam,
aber furchtlos, über die steilsten Klippen, neben den scheuslichsten
Abgründen und über hart gefrorne Schnee- und Eisfelder hin-
weggeht. Die Jäger aus dem Gasterlande und dem Canton
Schwitz besteigen auch die kahlen Gebirge häufig mit entblößten
Füßen, nachdem sie die Fußsohlen mit Tannenharz klebrig gemacht
haben, was sie von Zeit zu Zeit wiederholen. Der Jäger ist über-
dies mit einem starken, langen, unten mit Eisen beschlagenen Alpcn-
stock, mit einer guten Flinte, mit Pulver und Kugeln und bis-
weilen mit einem Perspectivchen versehen, und endlich hängt eine
kleine Jägertasche an seinen Schultern, worin ein Vorrath von
Käse und Brot, selten ein Fläschchen mit Wein oder Kirschengeist
aufbewahrt ist. Noch che die Sonne aufgeht, sucht er schon in
den höheren und höchsten Bergrcgionen zu sein. Hat er nun in
irgend einer Gegend eine Gemse verspürt, so erwartet er entweder
ruhig, ob sie sich von der Weide in das Gebirge zurückzieht, wo
er bei ihrer Herannäherung die Flinte auf einen Stein legt, diese
mit kaltem Blute nach der Gemse richtet und aus seinem verbor-
genen Hinterhalte schießt; oder er sucht sich ihr, und zwar stets
mit Beobachtung des Windes, oft große Strecken weit aus dem
Bauche kriechend, schußweit zu nähern. Ist eine Mutter von ihrem
Jungen weggeschossen worden, so wird dieses ängstlich um die
getödtete herumspringen, sie beriechen und öfters so lange bei ihr
verweilen, bis ein zweiter Schuß geladen und losgedrückt wird.
Weiden die Gemsen in Gesellschaft, oder ruhen sie, so stellen sie
eine Wacht aus; aber nicht nur die Wache, sondern jedes einzelne
Thier für sich ist äußerst wachsam. Kaum hat es ein paar Mi-
nuten geweidet, so hält es den Kopf schon wieder in die Höhe und
durchschaut die Gegend oder durchwittert die Luft, und die erste,
welche etwas Verdächtiges sieht oder hört, stampft mit den Füßen
auf den Boden und warnt die andern mit einem durchdringenden
Pfiff, worauf plötzlich die ganze Gesellschaft zusammenspringt und,
als flöge sie davon, über die steilsten Felsen hinwegsetzt. Hüt der
Jäger eine Gemse erlegt, so freut er sich der geulachten Beute,
weidet sie aus, schwingt sie auf seinen Rücken und kehrt damit
nach Hause. Doch um uns den Aufzug eines solchen beladenen
111
Jägers recht deutlich zu vergegenwärtigen, muß ich noch einige
Erläuterungen beifügen. Der getödtcten Gemse werden, indem sie
auf den Rücken gelegt wird, alle vier Füße in die Quere gegen
einander gestreckt und bei den Knien mit einem dünnen Seile
zusammengebunden, worauf der Jäger die Gemse mit den Füßen
an die Stirne hängt, so daß der Körper hinten auf seinem Rücken
aufliegt. Damit der Kopf von ihr nicht hin und her wanke, so
wird derselbe mit einem oder beiden Hörnern an einen Fuß ange-
hängt. Die Flinte wird, vermittels des Riemens, an die Füße
gehängt und liegt hinten in die Quere auf der Gemse. So geht
der Schwerbeladene, sich mit beiden Händen an seinem Stocke
haltend, über die gefährlichsten Alpenwege hinunter ins Thal, wo
er von seinen Freunden bcwillkommt wird und voll von Freude
mit ihnen über die bestandenen Gefahren und Eroberungen schwatzt.
Ist die Gemse an keiner tödtlichen Stelle getroffen, so wird sie mit
heraushängenden Eingeweiden oder nur aus drei Füßen gleich
schnell, als ob sie nicht verwundet wäre, mit den übrigen, unver-
letzten Thieren die Flucht ergreifen und ihrem Berfolger nichts als
das leere Nachschauen hinterlassen. Eine Gemse, deren beide Hinter-
füße ganz lahm geschossen sind, kann auf den vordem unbegreiflich
schnell über kahle Gebirge oder Eisfelder hinunter, oft halbe oder-
ganze Stunden lange Strecken, fortrücken. Vor ungefähr vierzig
Jahren ward auf dem Murtschenstock im Glarnerlande eine Gemse
in einen Fuß verwundet, der ihr nachher wegen dieser Wunde beim
Knie völlig aufwärts wuchs. Drei Jahre hinter einander sah sie
der gleiche Jäger, der sie verwundet hatte, ohne sie schießen zu
können, und erst im vierten wurde sie seine Beute. Öfters ge-
schieht es auch, daß, wenn eine Gemse von einer steilen Felsenwand
herab geschossen wird, sie in die sich darunter öffnenden Abgründe
stürzt, so daß sie der Jäger entweder nicht mehr finden kann, oder
daß sie in Stücke zerfällt, wo dann dem Jäger nichts übrig bleibt,
als die bloße, oft noch zerfetzte Haut. Bisweilen gehen auch zwei
oder drei Jäger gemeinschaftlich auf die Gemsen los; die Schützen
stellen sich oben in der Höhe, dem Winde entgegen, und besetzen
diejenigen Pässe, wo sie vermuthen, daß die Gemsen vorbeikommen,
indem ein Treiber dieselben von unten aufwärts zu jagen sucht.
In tiefer liegenden Hochgebirgswaldungen läßt man sie auch von
Hunden ausspähen und bergauf treiben. In allen Fällen, wo man
sie im Laufe schießen muß, ladet man drei bis vier kleine Kugeln.
Am gefährlichsten wird die Jagd für den Jäger, wenn sich diese
Thiere über steile Felsenmassen, ihrer Gewohnheit gemäß, hinauf-
siüchten und so den sie hitzig verfolgenden Jäger auf schlüpfrige
und gefährliche Stellen hinlocken, wo er ohne augenscheinliche Lebens-
gefahr keinen Schritt mehr weiter, weder rückwärts noch vorwärts,
wagen darf, so daß er sich glücklich schätzen muß, wenn er nach
stundenlangen Versuchen sich gerettet sieht. Die Verfolgung der
s
112
Gemsen auf den Schnee- und Eisfeldern kann ebenfalls sehr ge-
fährlich werden; dennoch bemühen sich die Jäger, sie auf die glän-
zenden Gletscherfirnen Hinzutreiben und ihnen den Rückweg abzu-
schneiden, wo sie dann ihrer Beute sicher sind, indem sie sich lieber
todtschießen lassen, ehe sie die Flucht über das blendende Eis nehmen.
Wenn es irgend möglich ist, so übernachtet der Jäger nicht im
Freien, sondern in einer Sennhütte. Die Gefahren, denen er übrigens
ausgesetzt ist, sind sehr mannigfaltig, und er nimmt gewöhnlich ein
unglückliches Ende. Er kann erfrieren, wenn Plötzlich Kälte ein-
tritt und er sich ermattet niedersetzt und einschläft; er kann von
herabrollendeu Felsblöcken oder Schneelawinen erschlagen werden;
er kann durch wüthende Orkane hinabgeschleudert werden; es treten
ferner oft auf den Alpen plötzlich so starke Nebel ein, daß man
keinen Schritt weit sehen kann. Es ereignete sich auch schon der
Fall, daß sich zwei Jäger im Gebirge verstiegen hatten, wegen ein-
brechender Nacht nicht mehr wegkommen konnten und deswegen
die Nacht auf einem schmalen Felsenabsatz zubringen mußten, und
zwar in der höchst mislichen Stellung, daß einer den andern um
den Leib hielt, um wach zu bleiben und sich vor dem Hinunter-
stürzen zu sichern. Das sind Umstände, von denen derjenige, der
nicht selbst die Felsen und Gebirge der Schweiz bestiegen hat, kaum
einen etwelchen Begriff erlangen kann. Wenn sich der Jäger durch
seine Leidenschaft so verblenden läßt, daß er es wagt, über solche
Gletscherfelder zu gehn, welche mit einer frischen Schneerinde be-
deckt sind, so ist er alle Augenblicke nicht sicher, in eine Gletscher-
spalte, die durch den Schnee unsichtbar wurde, zu treten und „hin-
unter zu stürzen, um aus immer da vergraben zu bleiben. Über-
haupt ist die Tollkühnheit des Jägers im Klettern für ihn das
Allergesährlichste: wie leicht kann er ausgleiten; wie leicht tritt er
auf einen Stein, der ihn nicht hält; wie leicht versteigt er sich so
in die Höhe, daß er auf dem Rückweg, oft mit ein oder zwei
Gemsen beladen, verunglückt! Bricht er durch den Fall ein Glied,
so ist sein Hülseruf in der Einöde vergeblich, und er muß, von
Hunger, Durst, Kälte und Schmerz gefoltert, langsam sein Leben
endigen; oder aber er stürzt über Abhänge und Felsenwände in
die scheuslichsten Abgründe hinunter, und sein Körper wird in
Stücke zerschmettert. Die Gemsenjagd wird trotz alledem zu
einer unbezwinglichen Leidenschaft. Ost stellen vermögende Bauers-
oder Handwerksleute Knechte zum großen Nachtheile ihres Haus-
wesens an, um nur immer nach Herzenslust den Gemsen nach-
stellen zu können, und häufig sind die Beispiele, wo beinahe tödt-
lich im Gebirge verwundete Jäger dennoch, sobald sie genesen,
wieder an den Felsenwändcn herumklettern, von denen sie vor kurzem
erst gestürzt waren.'
Der Alpenjäger.
Bon Schiller.
Gedichte. Stuttgart und Augsburg 1855. S. 217. — Vergl. Werke 1838. I, 238.
Willst du nicht das Lämmlein hüten?
Lämmlein ist so fromm und sanft,
Nährt sich von des Grases Blüten,
Spielend an des Baches Ranft.
Mutter, Mutter, laß mich gehen,
Jagen nach des Berges Höhen!'
Willst du nicht die Heerde locken
Mit des Hornes munterm Klang?
Lieblich tönt der Schall der Glocken
In des Waldes Lustgesang.
Mutter, Mutter, laß mich gehen,
Schweifen auf den wilden Höhen!'
Willst du nicht der Blümlein warten,
Die im Beete freundlich stehn?
Draußen ladet dich kein Garten;
Wild ist's auf den wilden Höhn!
‘Laß die Blümlein, laß sie blühen!
Mutter, Mutter, laß mich ziehen!'
Und der Knabe gieng zu jagen,
Und es treibt und reißt ihn fort,
Rastlos fort mit blindem Wagen
An des Berges finstern Ort;
Vor ihm her mit Windesschnelle
Flicht die zitternde Gazelle.
Auf der Felsen nackte Rippen
Klettert sie mit leichtem Schwung,
Durch den Riß gespaltneri) Klippen
Trägt sie der gewagte Sprung;
Aber hinter ihr vermögen
Folgt er mit dem Todesbogen.
Jetzo auf den schroffen Zinken
Hängt sie, auf dem höchsten Grat,
Wo die Felsen jäh versinken
Und verschwunden ist der Pfad,
Unter sich die steile Höhe,
Hinter sich des Feindes Nähe.
Mit des Jammers stummen Blicken
Fleht sie zu dem harten Mann;
Fleht umsonst, denn loszudrücken,
Legt er schon den Bogen an;
Plötzlich aus der Fclsenspalte
Tritt der Geist, der Bergesalte.
^Und mit seinen Götterhändcn
Schützt er das gequälte Thier.
Mußt du Tod und Jammer senden,'
Ruft er, ‘bis herauf zu mir?
Raum für alle hat die Erde;
Was verfolgst du meine Heerde?'
76.
Der gemsjäger.
von den brtldern Grimm.
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. I, 389. — 2. ausl. 1865 und 1866. I, 344.
Ein gemsjäger stieg auf und kam zu dem felsgrat, und, immer
weiter klimmend, als er je vorher gelangt war, stand plötzlich ein
häszlicher zwerg vor ihm, der sprach zornig: ‘warum erlegst
du mir lange schon meine gemsen und lässest mir nicht meine heerde?
jetzt sollst du’s mit deinem blute theuer bezahlen!’ der jäger er-
bleichte und wäre bald hinabgestürzt, doch faszte er sich noch und
bat den zwerg um Verzeihung, denn er habe nicht gewuszt, dasz
ihm diese gemsen gehörten, der zwerg sprach: ‘gut, aber lasz
dich hier nicht wieder blicken, so verheisz’ ich dir, dasz du jeden
siebenten tag morgens früh vor deiner hätte ein geschlachtetes
gemsthier hangen finden sollst; aber hüte dich mir und schone
1) Frühere LeSart: geborstner.
ColShorn u. Goedeke's Lesebuch 11.
8
■i fe-awat TigMMaa
114
die andern.’ der zwerg verschwand, und der jäger gieng nach-
denklich heim, und die ruhige lehensart behagte ihm wenig, am
siebenten morgen hieng eine fette gemse in den ästen eines bau-
mes vor seiner hätte, davon zehrte er ganz vergnügt, und die
nächste woche gieng’s ebenso und dauerte ein paar monate fort,
allein zuletzt verdrosz den jäger seiner faulheit, und er wollte lie-
ber selber gemsen jagen, möge erfolgen, was da werde, als sich
den braten zutragen lassen, da stieg er auf, und nicht lange, so
erblickte er einen stolzen leitbock, legte an und zielte, und als ihm
nirgends der böse zwerg erschien, wollte er eben losdrücken 5 dawar
der zwerg hinten her geschlichen und risz den jäger am knöchel
des fuszes nieder, dasz er zerschmettert in den abgrund sank.
77.
Erlkönig.
Von Goethe.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1815-1819. I, 169. — 1828. 1, 183. — 184«. I, 146.
Hier reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?' —
'Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön' und Schweif?' —
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.' —
'Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
* Manch' bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.' —
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?' —
'Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.' —
'Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.' —
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?' —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau,
Es scheinen die alten Weiden so grau.' —
'Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.' —
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids gethan!' —
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh und Noth;
In seinen Armen das Kind war todt.
78.
Donner, Blitz und Wetter, !)
Von Ernst Meier.
Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852. Nr. 6.
Es war einmal ein alter König, der hatte einen Sohn und
drei Töchter und verordnete, als er seinen letzten Willen aussprach,
daß die Töchter erst sechs Jahre nach seinem Tode heirathen sollten.
Dem Sohne aber legte er's recht ans Herz, dafür zu sorgen, daß
dieser sein letzter Wille genau vollzogen werde. Das versprach ihm
der Sohn denn auch. Und als später nach dem Tode des Königs
gar viele Prinzen kamen und die schönen Prinzessinnen heirathen
wollten, so gab es der junge König nicht zu und sagte, daß sie
warten müßten, bis die sechs Jahre herum seien.
So waren schon drei Jahre vergangen, und mancher Prinz
war abgewiesen worden, da kamen eines Tags drei vornehme Brü-
der, von denen hieß der eine Donner, der andre Blitz und der
dritte Wetter, und bewarben sich um die drei Schwestern. Allein
sie erhielten dieselbe Antwort wie die früheren Freier, blieben aber
doch in der Nähe des Schlosses wohnen und gaben sich Mühe,
daß sie so oft als möglich die schönen Prinzessinnen zu sehen
kriegten.
Da geschah cS eines Tags, als der König eben verreist war,
da drangen die drei Brüder ins Schloß, nahmen jeder eine der
Schwestern, und dann gieng's zu Pferde und davon durch Felder
und Wälder, daß niemand wußte, wo sie geblieben waren. Der
König aber war ganz untröstlich, als er heimkam und seine drei
Schwestern nicht mehr da fand. Er machte sich sogleich auf den
Weg, um sie zu suchen, und sollte er gehen bis ans Ende der Welt.
Nach langer langer Zeit kam er endlich in einen großen Wald
und gieng immer weiter fort und sah sich überall nach seinen
Schwestern um, konnte aber nirgends auch nur die geringste Spur
von ihnen entdecken. — Auf einmal traf er ein schönes Schloß
mitten im Walde, und wie er darauf zugieng, rief ihm aus dem
Fenster eine Stimme entgegen: ‘O Bruder! zu einer unglücklichen
Stunde bist du ausgezogen und hieher gekommen! Mach, daß
>) Dies großartige Märchen enthält eine deutsche Göttersage. Der Spiele werden ursprüng-
lich drei verschiedene gewesen sein. Donner's Kugel ist Donars (Thor'ö) Hammer, der gleich-
falls von selbst in die Hand des Gottes zurückkehrt. Vcrgl. Grimm's d. Mythologie I, Nil und
Eolshorn's d. Mythologie S. 137.
8*
116
du fortkommst. Es wohnt hier der Blitz, und der ist mein Mann-
Wenn er heimkommt und dich findet, wird er dich umbringen/
Und wie der König diese Worte hörte und genau hinsah, erkannte
er seine älteste Schwester und freute sich über die Maßen und
wollte nicht von ihr weichen, sie mochte ihm noch so viel zureden.
Während die beiden nun so mit einander sprachen und sich gegen-
seitig erzählten, wie es ihnen seit der Trennung ergangen war,
kam der Blitz nach Haus, begrüßte den König freundlich und lud
ihn ein, da zu bleiben, so lange es ihm gefallen möge. Das that
der König denn auch gern, um seiner Schwester willen.
Nun suchte der Blitz den König zu unterhalten und mit allerlei
Spielen ihm die Zeit zu vertreiben. Gewöhnlich kegelten sie mit
einander. Die Kegelbahn aber war eine Stunde lang; dabei hatte
die Kugel die merkwürdige Eigenschaft, daß sie immer von selbst
wieder zurückkam, und dazu brauchte sie jedesmal zwei volle Stun-
den. Der König konnte sich nicht genug darüber wundern, zumal
der Blitz so heftig warf, daß die Kugel weit über das Ziel hin-
ausgieng und tief in einen Felsen drang und dennoch immer wieder
zurückrollte. Indes nach acht Tagen reiste der König weiter, um
seine andern beiden Schwestern aufzusuchen.
Er gieng immer gerades Wegs in dem Walde fort und kam
endlich an ein Schloß, da rief ihm aus dem Fenster eine Stimme
zu: D Bruder! zu einer unglücklichen Stunde bist du ausge-
zogen und hieher gekommen! Mach, daß du fortkommst! Es wohnt
hier der Donner, und der ist mein Mann; wenn er dich hier
fände, würde er dich gewiß umbringen.' Da freute sich der König,
daß er sein zweites Schwesterlein wieder gefunden, und ließ sich
nicht bang machen und blieb da. Und als der Donner heimkam
und den Bruder seiner Frau erblickte, war er freundlich gegen ihn
und that ihm kein Leid an, bat ihn vielmehr, daß er eine Weile
da bleiben und sich vergnügen möchte. Dann führte er ihn auf
seine Kegelbahn, die war ebenso lang wie die seines Bruders, und
die Kugel kam auch nach jedem Wurfe von .selbst wieder zurück,
dazu brauchte sie aber immer zwei volle Stunden.
Nachdem der König acht Tage lang bei seinem Schwager,
dem Donner, sich ausgehalten hatte, zog er abermals weiter, um
seine dritte Schwester zu suchen, und traf schon nach einigen Tagen
in demselben Walde ein drittes Schloß, daraus rief ihm von ferne
eine Stimme entgegen: 'O Bruder! zu einer unglücklichen Stunde
bist du ausgezogen und hieher gekommen! Rette dich, so gut
du kannst! Dies Schloß gehört meinem Mann, der heißt Wetter;
wenn er dich hier fände, so würde er dich umbringen.' Der
König aber beruhigte seine Schwester und blieb getrost bei ihr, bis
ihr Gemahl kam; der freute sich ebenfalls über den Besuch des
Königs und suchte ihm den Aufenthalt so angenehm als möglich
zu machen, und weil er selbst die Jagd über alles liebte, so lut»
117
er den König ein, daß er ihn begleiten und ihm jagen helfen möge.
Das that denn der König auch gern.
Als sie nun eines Tages im Walde jagten, erblickte der König
plötzlich einen Hirsch, der war so wunderschön, wie er noch nie
einen gesehen zu haben meinte; deshalb gab er sich alle Mühe,
ihn zu erlegen. Allein der Hirsch schien ihn ordentlich jzu necken.
Er ließ den König immer ganz nah herankommen, und wenn
dieser dann seinen Pfeil abschoß, so sah er alsbald in der Ferne
den Hirsch ganz munter weiter spazieren, und das gieng mehrere
Stunden lang so fort, indem der König nicht merkte, daß er seinen
Jagdgefährten schon lange verloren hatte. Plötzlich war auch der
Hirsch verschwunden, und der König wußte nicht, wo aus noch ein,
bis er endlich auf einen großen freien Wiesgrund kam und daselbst
einen Schäfer fand, der eine Heerde Schafe hütete. Bei diesem
erkundigte er sich nach dem Wege und hörte, wie weit er sich schon
verirrt hatte. Und als er dem Schäfer die Geschichte mit dem
Hirsch erzählte, sagte der: 'Das war kein gewöhnlicher Hirsch; son-
dern Wetter, Euer Schwager, war es, der diese Gestalt ange-
nommen hatte, um Euch zu täuschen und irre zu führen.'
Der König gedachte nun heimzugehen und ein großes Kriegs-
heer zu sammeln und dann seine Schwestern zu befreien. Der
Schäfer aber gab ihm Anweisung, wie er in sein Land kommen
könne, und sagte: 'Ihr müßt durch jenen Wald, der gehört dem
Wolsskönig, und müßt diesem, so wie Ihr den Saum des Waldes
betretet, rufen und ihm sagen: 'Wolfskönig, ich bringe dir da ein
Schaf!' sonst werdet Ihr von wilden Thieren zerrissen werden.'
Darauf schenkte der Schäfer dem König ein Schaf, und das brachte
er dem Wolfskönig; der bedankte sich freundlich und hieß ihn ohne
Furcht durch den Wald gehen und sagte: 'Wenn dir je einmal
ein Unfall zustößt und du einer Hülfe bedarfst, so denke nur an
mich, dann werde ich gleich dir zu Diensten sein.'
Das merkte sich der König und zog wohlgemuth weiter, und
wie er nun so in dem Walde des Wolfskönigs fortgieng, kam er
an einen See, da lag ein schöner rother Fisch aus trockner Erde
und schlug mit dem Schwänze. Der König nahm ihn voll Mit-
leid und setzte ihn wieder ins Wasser, worauf der Fisch sich be-
dankte und sprach: 'Wenn du einmal in Noth bist, so denke
nur an den Fischkönig; dann werde ich gleich zu deiner Hülfe
bereit sein.'
Der König setzte dann ungehindert seine Reise fort. Da sah
er am andern Tage vor seinen Füßen eine Horniß ('Hurnauß')
liegen, die konnte sich nicht allein in die Luft erheben, und weil
er ein gutes Herz hatte, hob er sie auf und ließ sie fliegen. Ehe
sie aber fortflog, sagte sie ihm noch: 'Ich bin der Hornißkönig;
wenn du je einmal in Noth bist, so denke nur an mich, dann
werde ich gleich zu deiner Hülfe bereit sein.'
118
Nach mehreren Tagen erreichte der König alsdann das Ende
des Waldes; er kam auf eine Wiese und fand daselbst eine Hütte
und darin ein altes Mütterchen, das nahm ihn freundlich auf,
und weil er müd und hungrig war, so blieb er da, um sich zu
erholen. Diese alte Frau war aber eine Zauberin und war die
Mutter von den drei Söhnen Donner, Blitz und Wetter; die ka-
men in der Nacht zu ihr. Und weil sie meinten, daß der König
schon fest schliefe, so sprachen sie in dem Nebenzimmer ganz laut
mit einander, und der König hörte alles, was sie da redeten. Da
sagte denn das alte Mütterchen: Wenn wir dem König nicht eine
Arbeit aufgeben, die er nicht ausführen kann, so ist es um uns
und unsere Herrschaft geschehen.' Dann sagte sie weiter, daß der
König in den nächsten Nächten ihre Pferde hüten solle, und bat
ihre Söhne: ^Versteckt euch aber im Wolfswalde nur recht, daß
euch niemand finden kann, denn sonst ist es aus mit uns.'
Das alles hatte sich der König wohl gemerkt. Und als nun
am andern Morgen das alte Mütterchen ihm sagte, für das Nacht-
quartier, das sie ihm gegeben, müsse er in den nächsten drei Nächten
ihre Pferde hüten, so sagte der König, ja, das wollte er wohl thun,
und blieb da und bekam am Abend drei prächtige Pferde, die sollte
er auf der Wiese weiden lassen. <Sieh aber wohl zu, daß dir
keins verloren geht!' sagte das alte Mütterchen, und der König
meinte, er wolle wohl Acht geben, trieb die Pferde auf die Wiese
und wandte kein Auge von ihnen ab.
So weideten die Pferde einige Stunden lang ganz ruhig,
indem der König immer dicht bei ihnen blieb; aber aus einmal
waren alle drei verschwunden und nirgends mehr zu sehen noch zu
hören. Wie wird dir's gehen?' dachte der König und suchte die
Pferde überall, bis daß der Tag anbrach. Da überfiel ihn eine
große Angst, und er seufzte: Wenn jetzt nur der Wolfskönig da
wäre und dir helfen könnte.' Kaum hatte er das Wort gesagt,
so stand der Wolfskönig auch schon da und fragte ihn, was er
wünsche. Der König klagte ihm seine Noth; der Wolsskönig aber
beruhigte ihn und gieng fort und sandte sechstausend Diener aus,
die mußten den ganzen Wolfswald durchlaufen und durchsuchen,
fanden aber die Pferde nicht und kamen leer wieder heim. Dar-
auf schickte der Wolfskönig zwölftausend Diener aus und befahl
ihnen streng, daß sie die Pferde finden müßten und nicht ohne die-
selben wieder heimkommen dürften. Und da dauerte es auch nicht
lange, da fanden sie tief in einer Felsenhöhle die drei Pferde und
brachten sie ihrem Herrn, und der führte sie dem Könige zu.
Das alte Mütterchen aber staunte nicht wenig, als der König
ihr die Pferde wieder brachte; dann legte er sich in sein Bett, um
ein wenig auszuruhen, und hörte alsbald, wie die Frau mit ihren
Söhnen zankte, daß sie nicht besser sich versteckt hätten; denn die
drei Pferde waren eben ihre Söhne Donner, Blitz und Wetter,
L
119
die sie in diese Thiere verwandelt hatte. Die Söhne aber sagten:
Hätte der Wolfskönig nicht zwölftausend Diener ausgeschickt, so
hätte uns gewiß niemand gesunden.' Daun sagte die Mutter: <So
versteckt euch in der folgenden Nacht tief im Wasser, da können die
Boten des Wolfskönigs euch nicht suchen.'
Am Abend bekam der König wieder drei Pferde, und das
Mütterchen sagte, daß er ja keins verlieren möchte, und der König
meinte, er wolle wohl Acht geben und die Pferde wieder heim-
bringen. Darauf gieng cs ihm aber gerade so wie in der ersten
Nacht. Ein paar Stunden lang weideten die Pferde, und er hatte
sie beständig vor Augen; dann aber waren sie plötzlich wie der
Blitz verschwunden. Der König aber blieb ganz ruhig und dachte:
Der Fischkönig wird dir wohl helfen;' und kaum hatte er dies still
gedacht, so war der Fischkönig auch schon da und fragte ihn, was
er wünsche. Nachdem der König es ihm gesagt, entbot er alle
Fische, die mußten alle Gewässer durchschwimmen und durchsuchen
und fanden am Ende auch richtig tief auf dem Grunde des Meers
unter einem gewaltigen Steine die drei Pferde und brachten sie
dem Fischkönig; dieser übergab sie dem König, der sie hatte hüten
müssen, und der sie nun wohlgemuth dem alten Mütterchen zuführte.
Der König legte sich dann wieder ins Bett, um auszuruhen,
und hörte, wie die Mutter ihre Söhne schalt, daß sie nicht besser
sich verborgen hätten; sie aber sagten: Der Fischkönig hat ihm ge-
holfen.' <So versteckt euch in der nächsten Nacht,' sagte die Mutter,
'hoch in den Wolken, denn dahin kann der Fischkönig nicht kom-
men. Ich bitte euch aber, laßt euch diesmal nicht finden, denn
sonst hat unsre Macht ein Ende.'
Der König, der alle diese Reden wohl vernommen hatte, be-
kam am Abend wieder die drei Pferde zu hüten und trieb sie auf
die Wiese und sah ihnen mehrere Stunden lang zu, wie sie fraßen;
aber auf einmal waren sie wieder spurlos verschwunden. Nun
wußte der König schon, wo sie zu suchen waren, und dachte: Da
wird dir der Hornißkönig wohl aushelfen können;' und kaum hatte
er dies gedacht, so war der Hornißkönig auch schon da und fragte,
wie er ihm dienen könne. Und als er erfuhr, daß er die drei
Pferde vermisse, so befahl er allen Hornissen, sie sollten die Luft
durchstreifen und alle Wolken durchsuchen, bis sie die drei Pferde
fänden. Das thaten sie auch; und nachdem sic lange vergeblich
umhergeschwärmt, fanden sie endlich hoch oben in einer dichten
Wolke die drei Rosse und brachten sie ihrem Herrn und Meister,
und der übergab sie dem Könige. Als dieser sie heimführte und
dem alten Mütterchen auslieferte, ward sie sehr traurig und sagte:
<Zum Lohn für deine Dienste will ich dir da ein anderes merk-
würdiges Pferd schenken, auf dem du heimreiten kannst.'
Dies Pferd, was die alte Frau ihm zeigte, hatte vier Köpfe
und war ein hölzernes Bildwerk; die Köpfe aber stellten eigentlich
120
ihre drei Söhne vor, und der ihrige war der vierte. Wie der
König nun das seltsame Gebilde betrachtete, so rief ihm eine Stimme
vom Himmel zu: <Nimm das Schwert, welches das eine Pferd im
Munde hält, und Hane dem Zauberthier die vier Köpfe ab, so wer-
den deine Schwestern erlöst sein.' Das that denn der König auch
auf der Stelle, und so wie er den letzten Kopf abgeschlagen, stand
ein wirkliches wunderschönes Pferd da, das bestieg er und ritt eilig
zurück zu seinen Schwestern.
Da war die Freude groß; alle waren frei und sahen und
hörten nichts mehr von den drei Brüdern, die sie entführt hatten.
Der König aber nahm unermeßliche Schätze aus den drei Schlös-
sern mit in seine Heimat, also, daß er der reichste König in der
Welt geworden, und behielt seine drei Schwestern bei sich bis an
ihr Ende.
79.
Sturmnacht.
Bon Storm.
Sommergeschichten und Lieder. Berlin 1851. S. 20.
Jlnt Hinterhaus im Fliesensaal
Über Urgroßmutters Tisch und Bänke,
Über die alten Schatullen und Schränke
Wandelt der zitternde Mondenstrahl.
Vom Wald kommt der Wind
Und fährt an die Scheiben,
Und geschwind, geschwind
Schwatzt er ein Wort,
Und dann wieder fort
Zum Wald über Föhren und Eiben.
Da wird auch das alte verzauberte Holz
Da drinnen lebendig;
Wie sonst im Walde will es stolz
Die Kronen schütteln unbändig.
Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,
Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,
Mit den Blättern im Übcrmuth rauschen,
Beim Tanz im Flug
Durch Wolkenzug
Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.
Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,
Den Nococosuß will das Kanapee strecken,
In der Commode die Schubfächer drängen
Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;
Der Eichschrank unter dem kleinen Troß
Steht da, ein finsterer Koloß.
Traumhaft regt er die Klauen an,
Ihm zuckt's in der verlornen Krone;
Doch bricht er nicht den schweren Bann.
121
Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne
Und fährt an die Laden und rüttelt mit Macht,
Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,
Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,
Klitschend gegen die rasselnden Fenster;
Die glupen dumm neugierig hinein —
Da drinn' steht voll der Mondenschein.
Aber droben im Haus
Im behaglichen Zimmer
Beim Sturmgebraus
Saßen und schwatzten die Alten noch immer,
Nicht hörend, wie drunten die Saalthür sprang,
Wie ein Klang war erwacht
Aus der lautlosen Nacht,
Der schollernd drang
Über Trepp' und Gang,
Daß dran in der Kammer die Kinder mit Schrecken
Auffuhren und schlüpften unter die Decken.
80.
Ein Brkan in der Wüste.
Von Schubert.
Reise in das Morgenland. Erlangen 1838 und 39. II, 408.
Der Himmel zeigte sich am Morgen des achtzehnten März 1837
auf eine Weise getrübt, welche durch ihre Färbung für unser Auge
etwas Neues war, ein mäßiger'Wind wehete aus Südsüdwest vom
rothen Meere herauf. Die Beduinen, indem sie gegen Süden hin-
deuteten, hatten uns gerathen, diesen Tag noch in ihrem Dorfe
zuzubringen; wir aber gedachten heute noch bis in die Nähe der
Mündung des Wadi Musa zu kommen, denn wir verstunden uns
noch nicht auf die Physiognomie der hiesigen Natur. Wir hatten
bisher an der Wüste nur die brennende Hitze der Mittagsstunden
und die Kühle der Nächte in etwas scheuen gelernt; heute sollten
wir noch andre, größere Schrecknisse derselben kennen lernen.
Hinter uns am Meere dämmte sich's wie ein röthlich graues
Gebirge am Horizont auf, die Sonne, die noch einmal mit falbem
Schimmer, wie durch den Rauchdampf einer brennenden Stadt,
über das Gebirge hereinblickte, brach ihre Strahlen auf so sonder-
bare Weise an dem immer höher steigenden Damme, daß man leicht
bemerkte, daß er von andrer, dichterer Art sei, als unsre heimat-
lichen Wolken; es war, als wenn der Abglanz eines pfeilerartig
zertheilten Sandsteingebirgcs in trübem Wasser sich gegen uns her
bewegte. Das Licht der Sonne erneute noch immer auf einzelne
Augenblicke den Kampf mit dem Rauchnebel des Thales, so etwa,
als ob wir mitten in einem Brande der Natur an einer Stelle
122
vorbeikämen, wo die gesteigerte Glut den Rußdampf verzehrte.
Wir genossen einigemale noch eine Aussicht in die nächsten Eng-
thäler des östlichen Gebirges; unter andern kamen wir an einem
vorüber, in welchem Palmen stunden, und — doch möchte ich
dieses bei solcher unsichren Beleuchtung nicht als sicher verbürgen —
jenseit derselben einige Mauerwerke. Noch blieben unsre Kamele
in geordnetem Schritt, und die Beduinen sammelten ruhig einige
am Boden wachsende, schöne Exemplare des Cynomorium, welche
sie roh verzehrten. Jetzt aber bemerkte nicht bloß das Auge, son-
dern auch der übrige Körper, daß der Nebel, der die Luft trübte,
ein andrer als der gewöhnliche sei, der seine Sand, welcher an-
fangs nur die Kraft der Staubwolken unsers Vaterlandes hatte,
die der Sturmwind eines Hochgewitters emporwirbelt, mischte sich
immer mehr mit gröberen Gesteintrümmern und abgerissenen Zwei-
gen der dornigen Wüstengewächse und fiel nun so dicht und schwer
auf uns, daß die Kamele mit lautem Gebrüll ihre Reihen ver-
ließen und ohne Ordnung vorwärts rannten. Gleich in den ersten
Augenblicken, in denen der Sandsturm mit seinen gröberen Massen
uns ereilte, hatte die Sonne sich verhüllt, wie in einen härenen
Sack; mit einer wahrhaft furchtbaren Schnelle wuchs aber jetzt
das Dunkel, das unsern Pfad und seine Nachbarschaft bedeckte, zu
solcher Nächtlichkcit, daß die Finsternis der dichtesten Nebel unsrer
Spätherbst- und Wintcrtage in keinem Vergleich damit stehet.
Obgleich, zu unserm großen Glücke, der Wind mit seinen Sand-
massen uns gerade im Rücken war, hielten wir es dennoch für ein
noch größeres Glück, daß unsre Beduinen für uns und ihre Kamele
bei guter Zeit das Bette eines Winterstromes erreichten, welches
von dickstämmigem Tamariskeugesträuch gegen den Sturm ein
wenig geschützt war. Im Anfang schien es unmöglich, ein Zelt
aufzuspannen; wir versteckten uns mit niedergebeugtem Körper
hinter den Uferdamm des Gießbaches und seine dichten Gesträuche,
ließen die Sandwolken über uns hinstreichen; später wurden, mit
der Anstrengung eines Ringers, der mit einem ebenso starken ringt,
als er selber ist, die Stangen des Zeltes aufgerichtet, dessen Seile
außer an den tief eingeschlagenen Pflöcken zugleich an den Stäm-
men der Tamarisken befestigt wurden. Jetzt saßen wir auf dem
Geräthe im Innern des Zeltes oder hinter dem Damm des Bach-
ufers, hörten das Niederrieseln des Sandes auf das Zelt und
Gesträuch und gaben uns jener angenehmen Empfindung hin, die
den gesicherten Zuschauer bei jeder ungewöhnlichen, auch in ihrem
Kreise zerstörenden Naturerscheinung anwandelt. Doch war der
feinere Sandstaub, welcher mit dem gröberen zugleich die Lust er-
füllte, von so durchdringender Kraft, daß er sich in alle unsre ver-
schlossenen Behältnisse für Kleider, Wäsche, für Speisen und Ge-
tränke, so wie durch die Kleider, auf die Haut des Körpers hinein-
zog. Ich hatte mich im Zelte auf einige Augenblicke hingelegt mit
123
verschlossenen Augen, um zu ruhen; die sorgsame Hausfrau, da sie
hereintrat und mein Gesicht in so gelblichgrauer Färbung erblickte,
erschrak nicht wenig, denn sie meinte das Angesicht eines Todten
zu sehen; der Reis, den wir, da sich endlich gegen Abend an ein
Anzünden des Feuers und an eine Zubereitung des Abendessens
denken ließ, genossen, war so versandet und vom Staube braun
gefärbt, daß wir ihn gerne, ohne ihn im Munde zu prüfen, ganz
verschluckten.
Nach Sonnenuntergang legte sich der Sturm, und der Mond,
der heute fast voll war, schien durch den gelichteten Nebel in das
Gebüsch der Tamarisken herein; mit uns zugleich giengen mehrere
Käfer aus ihren Schlupfwinkeln hervor und geriethen hierdurch
in die Gewalt des Menschen, welche überall, wie ein Haupt der
Gorgona, den Augenblick des gegenwärtigen Erscheinens erstarren
machet und festhält.
Am Morgen des neunzehnten März erwachten wir bei guter
Zeit aus einem ruhigen, sehr erquicklichen Schlafe. Unsre Be-
duinen hatten uns schon gestern gesagt, daß heute vielleicht ein
Regen kommen würde, und daß dieses zu wünschen sei, weil, wenn
dies nicht geschehe, der Sandsturm mit seiner Trübung des Him-
mels mehrere Tage dauere. Die Hoffnung des Besseren gieng in
Erfüllung, denn der Himmel zeigte sich von Regengewölk getrübt;
die Luft war gekühlt und überaus angenehm zmn Athmen. Es
war heute der Tag des Herrn und noch überdies Palmsonntag;
uns erquickte als ein Manna der Wüste das schöne Sonntagslied:
«Allein Gott in der Höh sei Ehr' und der herrliche ambrosianische
Lobgesang.
81.
Die Karawane -es Meeres.
Von Schloenbach.
Colshorn: Des Mägdl. Dichterw. 2. Ausl. S. 443. — Vergi. Weltseele. Leipzig 1855. S. 154L
<§ie kommt! sie kommt in furchtbarer Pracht,
Die Eiskarawane der Wogen,
Und weit ihr voraus, in erstarrender Macht,
Kommt ein eisiger Sturm geflogen.
DaS ist der schreckliche, mächtige Duft,
Den die Rosen des Nordens spenden,
Der vampyrartig trinket die Luft
Und das warme Blut aus den Händen.
Und nun am Himmel ein weißer Glanz,
Draus zackige Spitzen tauchen,
Nun Berge und Berge, zu riesigem Kranz,
Die wie Wolken wogen und rauchen.
124
Nun näher und näher, da Fels an Felö,
Die Häupter mit Gold umgössen,
Dìe Brust vom glühendsten Farbenschmelz
Der Regenbogen umflossen.
Und nun im herrlichsten Himmelsgrün
Eine Insel mit welligen Gründen;
Und silberne Ströme rauschen und sprühn
Aus Buchten und eisigen Schlünden.
Doch ach! kein Baum, kein Blühn durchflicht
Die fernunabsehbaren Weiten,
Und nirgend, nirgend ein Menschengesicht,
Keines Führers kundiges Leiten.
So kommt sie heran, so saust sie daher,
Ein wildes, entsetzliches Sausen;
Und todteustill das erzitternde Meer,
Aus der Tiefe nur Knirschen und Brausen.
Und hoch in der Luft ihr trügliches Bild,
Die Fata Morgana der Wellen,
Die aus dem Dampfe deö Eises quillt,
Aus der Wogen glänzendem Schwellen.
So rollt sie dahin die furchtbare Wucht,
Dort — halt! Gott wolle dich segnen,
Du nahendes Schiff! — zur Flucht! zur Flucht!
Das wird dir ein tödtlich Begegnen.
Zu spät! — zu spät! — es braust, eS schäumt
Schon heran die Eiskarawane,
Und wie es sich stemmt, und wie es sich bäumt.
Das Schiff ob wogendem Plane:
Schon hat sie's mit mächtiger Faust erkrallt,
Nicht Rettung mehr und Erbarmen;
Sie preßt es zusammen mit Riesengewalt
In ihren allmächtigen Armen.
Ein Dampf, ein Gischt, ein schreckliches Groll'n
Aus der Tiefe, dann lautlos ins Weite;
Und weiter und weiter in sausendem Roll'n,
Doch auch den Tod im Geleite:
Denn in der Tiefe, mit emsiger Wuth,
Da nagen mit giftigem Munde
Die Geister der eisbezwungeuen Flut
An der Mauern gewaltigem Grunde —
Und nagen und lösen und brechen da ab
Die riesigen Stützen der Bogen;
Dann rollt sie dahin auf ihrem Grab,
Die Eiskarawane der Wogen.
Dann ein Ruderschlag oder Büchsenknall,
Und ihre Fugen erzittern;
Und noch ein Schlag oder Donnerhall,
Und ihre Mauern zersplittern.
Doch jetzt noch fest! Und ringsumher
Nur Grabesstille und Grausen;
So jagt sie dahin auf endlosem Meer,
Aus der Tiefe nur Knirschen und Brausen.
Was hat sie geladen an eisigem Bord,
Die Eiskarawane der Meere?
Mit gewaltiger Hand entrissen dem Nord
Gigantischer Felsen Schwere —
Und nordische Bären und riesige Hai's,
Mit krystallenem Panzer umschlossen,
Und Menschenleichen, in Särgen von Eis,
Doch auch Pflanzen, die treiben und sprossen.
Die treiben und sprossen im warmen Schnee,
Rings unter Tod und Vernichtung,
Wie sprosset und blühet in Nacht und Weh
Des Sängers freundliche Dichtung.
So saust sie dahin, die Schreckensgewalt,
In stummer, grausiger Rüste:
Da donnert entgegen ein starres Halt
Die starre felsige Küste.
Ein Beben, ein Krachen, ein Donnergebrüll:
Da liegt sie zerschmettert am Strande.
Es schleudert der Gischt wie leichtes Geröll
Ihre mächtigen Schätze zum Lande.
Da liegen sie fest; da wurzelt dann
Die ferne, fremdliche Habe,
Und staunend forschet der Wandersmann,
Woher die seltsame Gabe.
Und dem Weisen reden sie mächtiges Wort,
Die Geschichte von manchem Jahrtausend:
Wo jetzt er wandert an sicherm Port,
Da herrschte das Meer einst brausend.
Die riesigen Felsen auf ödem Land,
Als wären sie hergeflogen,
Die brachte vom fernen nordischen Strand
Die Eiskarawane der Wogen.
82.
Die brennenden Berge und der Geysir aus Island.
Von Hartwig.
Der hohe Norden. Wiesbaden 1858. S- 409.
Die brennenden Berge auf Island gehören zu den größten
Merkwürdigkeiten der Insel und bleiben von keinem sich an.schauerigen
Naturscenen ergötzenden Reisenden unbesucht; denn hier vereinigt
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Hui
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126
sich alles, was einen Mann, sogar von starken Nerven, nur er-
schüttern kann. Man denke sich einen ganzen Bergabhang und
die Höhlung an dessen Fuße in dichte Dämpfe gehüllt, die in ewig
sich erneuernden Wolken dem Boden entsteigen. Dieser ist an
manchen Stellen so weich, daß man bei jedem Schritt befürchten
muß, die dünne Schwefelkruste zu durchbrechen oder durch den
nachgiebigen Thon in die Erde zu versinken. Das Schicksal, das
einem dort bevorstände, läßt sich schon daran ermessen, daß, so wie
man den Schwefel wegräumt, ein erstickender Qualm hervorwallt
und das in den Schlamm gesenkte Thermometer durchgehends bis
auf wenige Grade unter dem Siedepunkte steigt. In der Tiefe
der Höhlung liegt ein gewaltiger Kessel kochenden Schlamms, etwa
fünfzehn Fuß im Durchmesser, wie man sich keinen passenderen für
Macbeth's Hexen denken könnte. Die schwarze Masse wallt und
plätschert in beständiger Bewegung auf und nieder und spritzt oft
einzelne Garben des Höllenbreies zehn bis fünfzehn Fuß hoch in
die Luft. Der Eindruck dieser grausigen Bilder wird noch durch
das donnernde Geräusch einer gewaltigen Dampfsäule erhöht, die
mit furchtbarem Ungestüm aus einer engen Felsspalte hervorbricht,
und deren ewiges Gebrüll, lauter als das des größten Dampf-
kessels beim Berplatzen, schon in der Entfernung einer Meile die
Nachtruhe des im Zelte lagernden Reisenden stört und ihn zugleich
mit Furcht und Staunen erfüllt.
Doch nicht nur an Krisuvik's brennenden Bergen, oder durch
die vulkanischen Ausbrüche, die schon so oft unabsehbares Unglück
über die armen Isländer gebracht haben, offenbaren sich die Wir-
kungen des unterirdischen Feuers; sie zeigen sich auf nicht minder
auffallende Weise durch die unzähligen warmen und heißen Quellen,
die an hundert verschiedenen Orten am Fuße der Berge hervor-
sprudeln. Einige fließen ruhig in gleichmäßigem Tempo, wie fried-
fertige Staatsbürger vorüber und werden manchmal vom Isländer
zum Waschen und Baden benutzt; andere dagegen wallen kochend
empor und werden zwar bewundert und angestaunt, ohne jedoch
im geringsten zum materiellen Wohl des Menschen beizutragen.
Unter letzteren gehört der große Geysir nicht nur zu den Sehens-
würdigkeiten Jsland's, sondern in seiner Art zu den Hauptmerk-
würdigkeiten der Welt.
Am Fuße des Laugafjall, in einer etwa zwei Meilen breiten
Ebene, die sich vom Gebirge gegen das Ufer des Meeres hin er-
streckt, liegt das Qucllensystem des großen Geysir. Das weite
Thal ist mit einem dichten grünen Teppich üppiger Wiesengründe
überkleidet, durch welche mehrere Flüsse wie Silberfäden sich winden,
und ringsum bilden in düstern blaugrauen Tönen verhüllte Berge
oder Hügel, hinter welchen einzelne schneebedeckte Scheitel hervor-
starren, ein großartiges, wenn auch melancholisches Rundgemälde.
Schon aus der Ferne verkündigen sich die warmen Quellen
127
und Kochbrunnen, die über vierzig an der Zahl auf einem Raume
von etwa dreißig Morgen beisammen liegen, durch leichte weiße,
über den Boden hinziehende Dämpfe oder kräftigere Rauchsäulen,
die wolkenartig emporwirbeln. An einem jeden andern Orte würde
schon der kleinste dieser Sprudel die Aufmerksamkeit des Reisenden
fesseln; hier jedoch füllt der große Geysir dessen ganze Seele, und
mit tiefen Gefühlen der gespannten Erwartung tritt er zu ihm
hinan. Im Laufe der Zeiten hat dieser mächtigste Springbrunnen
auf Erden aus abgesetztem Kieselsinter sich einen flachen, dreißig
Fuß hohen Eruptionskegel gebildet, in welchem ein schüsselartiges,
im weitesten Durchmesser fünfnndsechzig, im schmälsten zweiundfunszig
Fuß messendes Becken ausgehöhlt ist.
In der Mitte führt, wie ein riesiges Bohrloch oder ein Brunnen,
eine cylindrische Röhre in die geheimnisvolle Tiefe. An der Mün-
dung in das Becken hat sie einen Durchmesser von achtzehn und
sechzehn Fuß, doch verengt sie sich in geringer Entfernung bedeu-
tend und scheint dann nicht mehr als zehn oder zwölf Fuß im Durch-
messer zu halten. Sie ist etwa siebzig Fuß tief; daß sich aber von
hier ab die verborgenen Kanäle weiter verzweigen, ist mehr als
wahrscheinlich. Die Wände sind glatt poliert und so hart, daß es
nicht möglich ist, ein Stück mit dem Hammer loszuschlagen. Ge-
wöhnlich flndet man das Becken mit krystallklarem seegrünen
Wasser angefüllt, welches eine Temperatur von 82« Cels. besitzt
und nach Osten abfließt. Man staunt über die Ruhe und fragt
sich, wie cs möglich sei, daß ein so friedfertiger Brunnen zu Zeiten
auch so zornig emporbrausen könne. Doch plötzlich erschallt ein
unterirdisches Donnern, der Boden zittert, das Wasser im Becken
kocht ans, große Dampfblasen steigen aus der Röhre, zerplatzen an
der Oberfläche und schleudern das siedende Wasser fußhoch empor.
Schon hofft man das große Schauspiel zu genießen; doch bald
tritt Stille wieder ein, und die dichten Dampfwolken, welche das
Emporwallen erzeugte, verlieren sich, vom leichten Windhauch ge-
trieben. Zwar wiederholen sich diese kleineren Explosionen in sehr
regelmäßigen Zwischenräumen von einer Stunde und zwanzig bis
dreißig Minuten, doch kann man oft einen ganzen Tag und auch
wohl länger warten, ehe der Geysir seine ganze wunderbare Kraft
entfaltet. Ein stärkeres Donnern geht dem riesigen Ausbruch
voran, das Wasser im Becken schlägt hohe Wellen und wirbelt
umher, in der Mitte erheben sich gewaltige Dampfblasen, und in
feinen blendend weißen Staub gelöst, schießt nun ein achtzig bis
hundert Fuß hoher Wasserstrahl, dem bald ein zweiter und dritter
folgt, unter entsetzlichem Gebrause in die Lüfte. Größere und
kleinere Strahlen verbreiten sich nun in allen Richtungen, einige
seitwärts sprühend, andere senkrecht emporschießend, ungeheure
Dampfwolken wälzen sich über einander und verhüllen zum Theil
die Wassergarbe; nur noch ein Stoß, ein dumpfer Schlag aus
128
der Tiefe, dem ein spitziger, alle anderen an Höhe überragender
Strahl, gewöhnlich etwas über neunzig, bei besonders günstigen
Gelegenheiten gegen hundertfunfzig Fuß hoch, zuweilen von Steinen
begleitet, nachfolgt, und die ganze Erscheinung stürzt nach einigen
Minuten wie eine phantastische Traumgestalt in sich zusammen.
Das vorher ganz mit Wasser erfüllte Becken liegt nun trocken da,
und blickt man über den Rand der in die Tiefe führenden Röhre,
so sicht man mit Erstaunen fast sechs Fuß von der Oberfläche das
Wasser ruhig und still, wie in einem gewöhnlichen Brunnen. Etwa
nach dreißig bis vierzig Minuten sängt es wieder an zu steigen,
und nach einigen Stunden ist das Becken bis zum Rande wieder
angefüllt. Bald meldet sich auch der unterirdische Donner anfS
neue, und so wiederholt sich jahraus, jahrein dasselbe wundervolle
Spiel. Vom ungeheuren Alter des Geysir zeugt aber das Becken,
das er sich selbst geschaffen, und welches um so mehr Staunen
erregt, wenn man die geringe Menge Kieselerde bedenkt, welche
sein Wasser enthält. Vielleicht war er schon vor der Geburt des
ersten Menschen da, vielleicht wird er den letzten überdauern.
83.
Die Frühlingssrier.
Von Klopstock.
Oden. Hamburg t'71. S. 32. — Leipzig 1798. I, 158. — Werke. 1823—1830. 7, 136.
^!icht in den Ozean der Welten alle
Will ich mich stürzen; schweben nicht,
Wo die ersten Erschaffnen, die Jubelchöre der Söhne des Lichts,
Anbeten, tief anbeten und in Entzückung vergehn.
Nur um den Tropfen am Eimer,
Um die Erde nur, will ich schweben und anbeten.
Halleluja! Halleluja! Der Tropfen am Eimer,
Rann aus der Hand des Allmächtigen auch!
Da der Hand des Allmächtigen
Die größeren Erden entquollen,
Die Ströme des Lichts rauschten und Siebengestirne wurden,
Da entrannest du, Tropfen, der Hand des Allmächtigen!
Da ein Strom des Lichts rauscht' und unsre Sonne wurde,
Ein Wogensturz sich stürzte wie vom Felsen
Der Woll' herab und den Orion gürtete,
Da entrannest du, Tropfen, der Hand des Allmächtigen!
Wer sind die tausendmal Tausend, wer die Myriaden alle,
Welche den Tropfen bewohnen und bewohnten? und wer bin ich?
Halleluja dem Schaffenden! mehr als die Erden, die quollen!
Mehr als die Siebengestirne, die aus Strahlen zusammenströmten!
Aber du Frühlingswürmchen,
Das grünlich golden neben mir spielt,
Dn lebst und bist vielleicht,
Ach, nicht unsterblich!
Ich bin herausgegangen anzubeten,
Und ich weine? Bergieb, vergieb
Auch diese Thräne dem Endlichen,
O du, der sein wird!
Du wirst die Zweifel alle mir enthüllen,
O du, der mich durch das dunkle Thal
Des Todes führen wird! Ich lerne dann,
Ob eine Seele das goldene Würmchen halte.
Bist du nur gebildeter Staub,
Sohn des Mai's, so werde denn
Wieder verfliegender Staub,
Oder was sonst der Ewige will!
Ergcuß von neuem du, mein Auge,
Freudenthränen!
Du, meine Harfe,
Preise den Herrn!
Umwunden wieder, mit Palmen
Ist meine Harf' umwunden! ich singe beut Herrn!
Hier steh' ich. Rund um mich'
Ist alles Allmacht! und Wunder alles!
Mit tiefer Ehrfurcht schau' ich die Schöpfung an.
Denn du,
Namenloser, du
Schufest sie!
Lüfte, die um mich wehn und sanfte Kühlung
Auf mein glühendes Angesicht hauchen,
Euch, wunderbare Lüfte,
Sandte der Herr, der Unendliche!
Aber jetzt werden sie still, kaum athmen sic.
Die Morgensonne wird schwül!
Wolken strömen herauf!
Sichtbar ist, der kommt, der Ewige!
Nun schweben sie, rauschen sie, wirbeln die Winde!
Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom!
Sichtbar, wie du es Sterblichen sein kannst,
Ja, das bist du, sichtbar, Unendlicher!
Der Wald neigt sich, der Strom fliehet, und ich
Falle nicht auf mein Angesicht?
Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnädig!
Du Naher! erbarme dich meiner!
Colshorn u. Gocdele's Lesebuch II.
130
Zürnest du, Herr,
Weil Nacht dein Gewand ist?
Diese Nacht ist Segen der Erde.
Vater, du zürnest nicht!
Sie kommt, Erfrischung auszuschütten
Über den stärkenden Halm,
Über die herzerfreuende Traube;
Vater, du zürnest nicht!
Alles ist still vor dir, du Naher!
Rings umher ist alles still!
Auch das Würmchen, mit Golde bedeckt, merkt auf!
Ist es vielleicht nicht seelenlos? ist es unsterblich?
Ach, vermocht' ich dich, Herr, wie ich dürste, zu preisen!
Immer herrlicher offenbarest du dich!
Immer dunkler wird die Nacht um dich
Und voller von Segen!
Seht ihr den Zeugen des Nahen, den zuckenden Strahl?
Hört ihr Jehovah's Donner?
Hört ihr ihn? hört ihr ihn,
Den erschütternden Donner des Herrn?
Herr! Herr! Gott!
Barmherzig und gnädig!
Angebetet, gepriesen
Sei dein herrlicher Name! »
Und die Gewitterwinde? sie tragen den Donner!
Wie sie rauschen! wie sie mit lauter Woge den Wald durchströmen
Und nun schweigen sie. Langsam wandelt
Die schwarze Wolke.
Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl?
Höret ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn?
Er'ruft: ^Jehovah! Jehovah!'
Und der geschmetterte Wald dampft!
Aber nicht unsere Hütte;
Unser Vater gebot
Seinem Verderber,
Vor unsrer Hütte vorüberzugehn!
Ach, schon rauscht, schon rauscht
Himmel und Erde vom gnädigen Regen!
Nun ist, wie dürstete sie! die Erd' erquickt
Und der Himmel der Segensfüll' entlastet!
Siehe, nun kommt Jehovah nicht mehr im Wetter,
In stillem, sanftem Säuseln
Kommt Jehovah,
Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens.
131
81.
líber das Nordlicht.
Von Alexander von Humboldt.
Kosmos. Stuttgart und Tübingen 1815. I, 199.
Wenn man alle Einzelheiten der Erscheinung in ein Bild zu-
sammenfassen will, so sind die Entstehung und der Verlauf eines
sich ganz ausbildenden Nordlichtes also zu bezeichnen. Tief am
Horizont, ungefähr in der Gegend, wo dieser vom magnetischen
Meridian durchschnitten wird, schwärzt sich der vorher heitere Hun-
mel. Es bildet sich wie eine dicke Nebelwand, die allmählich auf-
steigt und eine Höhe von acht bis zehn Graden erreicht. Die Farbe
des dunklen Segments geht ins Braune oder Violette über. Sterne
sind sichtbar in dieser, wie durch einen dichten Rauch verfinsterten
Himmelsgegend. Ein breiter, aber hell leuchtender Lichtbogen, erst
weiß, dann gelb, begrenzt das dunkle Segment; da aber der glän-
zende Bogen später entsteht, als das ranchgrane Segment, so kann
man nach Argelander letzteres nicht einem bloßen Contraste mit
dem helleren Lichtsanme zuschreiben. Der höchste Punkt des Licht-
bogens ist, wo er genau gemessen worden ist, gewöhnlich nicht ganz
im magnetischen Meridian, sondern fünf bis achtzehn Grade ab-
weichend nach der Seite, wohin die Magnetdeclination des Ortes
sich richtet. Im hohen Norden, dem Magnetpole sehr nahe, er-
scheint das rauchühnliche Kugelsegment weniger dunkel, bisweilen
gar nicht. Dort auch, wo die Horizontalkrast am schwächsten ist,
sieht man die Mitte des Lichtbogens von dem magnetischen Meri-
dian am weitesten entfernt.
Der Lichtbogen, in stetem Aufwallen und formveränderndem
Schwanken, bleibt bisweilen Stunden lang stehen, che Strahlen
und Strahlenbündel aus demselben hervorschießen und bis zum
Zenith hinaufsteigen. Je intensiver die Entladungen des Nord-
lichts sind, desto lebhafter spielen die Farben vom Violetten und
bläulich Weißen durch alle Abstufungen bis in das Grüne und
Purpurrothe. Auch bei der gewöhnlichen, durch Reibung erregten
Elektricität ist der Funke erst dann gefärbt, wenn nach großer
Spannung die Explosion sehr heftig ist. Die magnetischen Feuer-
säulen steigen bald aus dem Lichtbogen allein hervor, selbst mit
schwarzen, einem dicken Rauche ähnlichen Strahlen gemengt; bald
erheben sie sich gleichzeitig an vielen entgegengesetzten Punkten dcS
Horizontes und vereinigen sich in ein zuckendes Flammenmeer, dessen
Pracht keine Schilderung erreichen kann, da es in jedem Augen-
blick seinen leuchtenden Wellen andere und andere Gestaltungen
giebt. Die Intensität dieses Lichts ist zu Zeiten so groß, daß
Lowenörn (29. Jan. 1786) bei hellem Sonnenscheine Schwingungen
des Polarlichtes erkannte. Die Bewegung vermehrt die Sichtbar-
keit der Erscheinung. Um den Punkt des Himmelsgewölbes, welcher
o*
132
der Richtung der Neigungsnadcl entspricht, scharen sich endlich die
Strahlen zusammen und bilden die sogenannte Krone des Nord-
lichts. Sie umgiebt wie den Gipfel eines Himmelszeltes mit einem
milderen Glanze und ohne Wallung im ausströmenden Lichte. Nur
in seltenen Fällen gelangt die Erscheinung bis zur vollständigen
Bildung der Krone; mit derselben hat sie aber stets ihr Ende er-
reicht. Die Strahlungen werden nun seltener, kürzer und farbcn-
loser. Die Krone und alle Lichtbögen brechen aus. Bald sicht
man am ganzen Himmelsgewölbe unregelmäßig zerstreut nur breite,
blasse, fast aschgrau leuchtende, unbewegliche Flecke; auch sie ver-
schwinden früher als die Spur des dunklen rauchartigeu Segments,
das noch tief am Horizonte steht. Es bleibt oft zuletzt von dem
ganzen Schauspiel nur ein weißes, zartes Gewölk übrig, an den
Rändern gefiedert oder in kleine rundliche Häufchen, als Cirro-
cumulus, mit gleichen Abstünden getheilt.
85.
Die Sternsehcrin.
Von Claudius.
Werte 4. Ausl. Cannstatt 1835. in, 141.
Ach sehe oft um Mitternacht, Und funkeln alle weit und breit
Wenn ich mein Werk gethan Und funkeln rein und schön;
Und niemand mehr im Hause wacht, Ich seh' die große Herrlichkeit
Die Stern' am Himmel an. Und kann mich satt nicht sehn . . .
Sic gehn da, hin und her zerstreut, Dann saget unterm Himmelszelt
Als Lämmer ans der Flur, Mein Herz mir in der Brust:
In Rudeln auch, und aufgereiht 'Es giebt was Beßres in der Welt,
Wie Perlen an der Schnur, Alö all' ihr Schmerz und Lust.'
Ich wcrs' mich ans mein Lager hin
. Und liege lange wach
Und suche es in meinem Sinn
Und sehne mich darnach.
86.
Die Weltkörpcr.
Von Jacobs.
Alwin und Theodor 5. Ausl. Leipzig 184'. S. 21.
An einem schönen Sommertage hatte der Vater ein kleines
Fahrzeug gemietet, nm mit seiner Familie eine Spazierfahrt aus
dem See zu machen. Sie landeten an einem lachenden Dörfchen,
das am entgegengesetzten Ufer lag, genossen hier einige Erfrischungen
und kehrten gegen Abend zurück. Ein günstiger frischer Wind
schwellte das Segel, und das leichte Fahrzeug zog lange goldne
Furchen in dem See. In der blauen Lust flatterten die bunten
Wimpel, und aus der krausen Fläche des Wassers strahlte das
Bild der Sonne wie aus unzähligen Spiegeln zurück.
An den Ufern schien alles der Ruhe entgegen zu eilen. Die
Fischer banden singend ihre Nachen ans Land und kehrten mit
dem Geräthe auf der Schulter nach ihren Hütten zurück. Überall
hörte man blökende Heerden und singende Landleute und hier und
da eine Hirtenpfeife, die den Widerhall der Berge zur Antwort
aufforderte. Als aber die Sonne hinter die Berge sank, ver-
stummte ein Ton nach dein andern; das Leben schien mit dem
Lichte zu verlöschen, und eine tiefe Stille ruhte über der Gegend
umher. Da tönte plötzlich die sanfte Musik einiger Waldhörner
vom entgegengesetzten Ufer her, und von den Lüften getragen,
schienen die unmuthigen Töne über den See herüber zn ziehen und
sich freundlich mit dem Gemurmel der Wellen zu mischen.
Die Kinder jauchzten vor Freude. Der Vater saß auf dem
Verdecke, hielt seine Lieben mit den Armen umfaßt und freute sich
ebenso sehr an ihrem Entzücken, als an der Schönheit des Abends
.und an den lieblichen Tönen.
Schon hüllten sich die entfernten Gegenstände in Dunkelheit.
Der Wind wehte immer leiser und leiser; die Töne verhallten;
das Schiff rückte nur langsam fort. Jetzt verflog auch der letzte
Schimmer des Abendroths. Einzelne Sterne traten mit blassem
Lichte aus dem dunkelblauen Gewölbe hervor und dann immer
mehrere, bis endlich der ganze Himmel mit unzähligen Sternen
bedeckt war.
Dieser Anblick erfreute die Knaben, als ob es ein ganz neues
Schauspiel wäre. Um die Wette zeigten sie sich die herrlichen
Sterne und das krause Gewimmel der blassen, sich drängenden
Funken. Öfters schon hatten sie gehört, daß die meisten dieser
Sterne Sonnen wären. Sie erinnerten sich jetzt daran; aber es
kam ihnen unglaublich vor, daß diese kleinen Punkte dem Körper
gleich sein sollten, dessen überirdischer Glanz sich so eben ihren ge-
blendeten Augen entzogen hatte.
Sie theilten dem Vater ihre Bemerkung mit und baten ihn
um Erklärung der Schwierigkeit) Er erinnerte sie an die große Ent-
fernung der Sterne, durch die ihr Licht geschwächt und ihre Größe
unsern Augen verkleinert werde. Sie thaten noch manche andre
^rage über die Beschaffenheit des Weltgebäudes, die er ihnen in
einer andern Zeit zu beantworten versprach. Folgendes aber glaubte
er ihrer Fassungskraft angemessen.
^Jhr wißt,' sagte er, <daß die Erde eine ungeheure Kugel ist,
deren Oberfläche aus Wasser und Erde besteht. Ihr Jnnercs
134
kennen wir nicht. Diese Kugel bewegt sich ohne Unterlaß in un-
geheuren Kreisen um die Sonne her. Unablässig zieht dieser mächtige
Körper sie mit einer Art von magnetischer Kraft zu sich hin, und
sie würde sich aus ihn stürzen, wenn sie nicht von einer andern
Kraft unaufhörlich von der Sonne wcgwärts gestoßen würde.
Diese beiden zu gleicher Zeit wirkenden Kräfte treiben sie in einer
kreisförmigen Bahn um dieselbe her, die sie mit einer so außer-
ordentlichen Geschwindigkeit durchläuft, daß sie in dein sechzigsten
Theile einer Stunde einen Weg von zweihundertundvierzig Meilen
zurücklegt.
<So bewundernswürdig diese Geschwindigkeit ist, so ist doch die,
mit welcher die Sonne und die Sterne ihre Strahlen zu uns
herabschicken, noch viel bewundernswürdiger. Die Sonne ist so
weit von uns entfernt, daß man die Erde mehr als zchntausend-
mal an einander setzen müßte, wenn man eine Brücke bis zu ihr
bauen wollte. Denket euch eine Brücke, die aus mehr als zehn-
tausend Felsstücken zusammengesetzt wäre, deren jedes eine Länge
von mehr als siebzehnhundert deutschen Meilen hätte — denn so
groß ist der Durchmesser der Erde. Gleichwohl vollendet ein Licht-
strahl der Sonne seine Reise bis zur Erde in dem kurzen Zeit-
räume von einer halben Viertelstunde.
^Es giebt aber unter den Sonnen, die ihr hier über euch seht,
sehr viele, die so weit entfernt sind, daß ein Strahl von ihnen,
ungeachtet jener ungeheuren Schnelligkeit, dennoch mehrere tausend
Jahrel) auf seinem Wege verweilt. Entständen jetzt in dieser un-
ermeßlichen Ferne neue Sonnen, so würden sie den Erdbewohnern
erst nach Verlauf einer so langen Zeit sichtbar werden, und wenn
jetzt einer dieser Sterne verlösche, so würden ihn die Menschen doch
noch mehrere tausend Jahre an seiner alten Stelle glänzen sehen.
Wahrscheinlich ist jede dieser Sonnen, ebenso wie die unsrige,
mit Erden umgeben. Ihr seht die unzählbare Menge der Fixsterne,
von denen viele, wie Scharen von Inseln auf diesem unermeßlichen
Meere, in ganze Massen zusammengedrängt, nur wie ein zartes
Gespinst, wie der durchsichtige Nebel eines Silberflorö erscheinen.
Wie unermeßlich muß also die Anzahl der Erden sein, die sich um
diese Sonnen in ewigen Kreisen drehen!'
^Unermeßlich!' riefen beide Kinder ans, und ihre Einbildungs-
kraft verlor sich in der unergründlichen Tiefe, die sich vor ihren
Blicken aufgethan hatte. Mit unverwandten Augen hicngcn sie
jetzt an den Sternen, und das Gewölbe des Himmels mit seinen
ewigen Lichtern war ihnen anziehender geworden, als der stille Spiegel
des Sees und das Echo der Berge, deren Fuß er bespülte. i)
i) Nach Herschel giebt es Nebelsterue, deren Licht eine Million, neunhundertundzchn-
tausend Jahre braucht, um -u uns zu gelangen. Bergl. Humboldt im Kosmos i, 101.
135
87.
Lied der Erzengel.
Aus Goethe'S Faust.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1840. XI, 13. - 1828. XII, 21.
Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgcsang,
Und ihre vorgeschrieb'ne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärcnlauf. .
Und Stürme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs
Meer
Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags;
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
88.
Salomo.
Von Fr. Ad- Krummacher.
Parabeln. Duisburg und Essen 1805. S. 107. — 8. Ausg. 1850.
Salomo, der weise König von Israel, hatte mehr denn dreißig
Jahre auf dem Stuhl seines Vaters David gesessen und alle
Schätze der Erde um sich versammelt und alle Freuden des Lebens
genossen. Da verfinsterte sich eines Tages das Antlitz der Sonne,
und es ward finster im ganzen Lande einige Stunden lang. Sa-
lomo aber saß auf der Zinne seines Palastes und war betrübt in
seinem Herzen, und seine Seele ward düster.
So saß er bis in die Nacht, da das Heer der Sterne über
seinem Haupte am hohen Himmel stand. Und er erhub sein Antlitz
zu dem gestirnten Himmel und sprach: Die Heere Gottes über der
Sonne wandeln alle in ewigem Glanz und unvcrwelklichcr Schön-
heit ohne Wechsel des Lichts und der Finsternis; aber das große
Licht des Tages, das der Erde leuchtet, hat Flecken und Stunden
der trüben Verfinsterung — und der Mond ist wandelbar ohne
Unterlaß; und unter dem Monde sind die flatternden Sternschnuppen
und der wallende Nordschein, Kinder des Augenblicks, — und
auch an der Erde der täuschende Dunst des Snmpflichts.-----------------
Ach! ihr Freuden der Erde!' — seufzte der König, *euch sucht der
Sterbliche zu erhaschen, und doch reicht sein Auge bis über die
Sternen hinaus!'
So saß er lange Zeit und blickte gen Himmel. Darauf stieg
er hernieder und predigte: *Alles ist eitel unter der Sonne!'
136
89.
Psalm.
Von Klopstock.
Oden. Leipzig 1798. II, 119. — Werke. Leipzig 1823—90. II, 102.
Ilm Erden wandeln Monde,
Erden um Sonnen,
Aller Sonnen Heere wandeln
Um eine große Sonne:
'Vater unser, der du bist im Himmel!'
Auf allen diesen Welten, leuchtenden und erleuchteten,
Wohnen Geister, an Kräften ungleich und an Leibern;
Aber alle denken Gott und freuen sich Gottes.
'Geheiliget werde dein Name.'
Er, der Hocherhabene,
Der allein ganz sich denken,
Seiner ganz sich freuen kann,
Machte den tiefen Entwurf
Zur Seligkeit aller seiner Weltbewohner.
'Zu uns komme dein Reich.'
Wohl ihnen, daß nicht sie, daß er
Ihr Jetziges und ihr Zukünftiges ordnete,
Wohl ihnen, wohl!
Und wohl auch uns!
'Dein Wille geschch'
Wie im Himmel also auch auf Erden.'
Er hebt mit dem Halme die Ähr' empor,
Reiset den goldnen Apfel, die Purpnrtraubc,
Weidet am Hügel das Lamm, das Reh im Walde;
Aber sein Donner rollet auch her,
Und die Schlosse zerschmettert es
Am Halme, am Zweig, an dem Hügel und im Walde!
'Unser tägliches Brot gieb uns heute.'
Ob wohl hoch über des Donners Bahn
Sünder auch uizd Sterbliche sind?
Dort auch der Freund zum Feinde wird?
Der Freund im Tode sich trennen muß?
'Vergieb uns unsere Schuld,
Wie wir vergeben unsern Schuldigern.'
Gesonderte Pfade gehen zum hohen Ziel,
Zu der Glückseligkeit;
Einige krümmen sich durch Einöden,
Doch selbst an diesen sproßt es von Freuden auf
Und labet den Durstenden.
'Führ uns nicht in Versuchung,
Sondern erlös uns vom Übel.
137
Anbetung btr, der die große Sonne
Mit Sonnen und Erden und Monden umgab,
Der Geister erschuf,
Ihre..Seligkeit ordnete,
Die Ähre hebt,
Der dem Tode ruft,
Zum Ziele durch Einöden führt und den Wanderer labt,
Anbetung dir!
'Denn dein ist das Reich und die Macht
Und die Herrlichkeit. Amen.'
90.
Das Vaterunser.
An Andres.
Bon Claudius.
^smus omnia sua secum portans. Wandsb. Bote. Hamburg 1775. II, 164. (Gekürzt.)
Das Vaterunser ist ein- für allemal das beste Gebet; denn
du weißt, wer's gemacht hat. Aber kein Mensch auf Gottes Erd-
boden kann's so nachbeten, wie der's gemeinet hat; wir stammeln
es nur von ferne, einer noch immer armseliger, als der andere.
Das schadt aber nicht, Andres, wenn wir's nur gut meinen; der
liebe Gott muß so immer das Beste thun, und der weiß, wie's
fein soll. Weil dn's verlangst, will ich dir aufrichtig sagen, wie
ich's mit dem Vaterunser mache.
Sieh, wenn ich's beten will, so denk' ich erst an meinen seli-
gen Vater, wie der so gut war und mir so gerne geben mochte.
Und dann stell' ich mir die ganze Welt als meines Vaters Haus
vor, und alle Menschen in Europa, Asien, Afrika, Amerika und
Australien sind dann in meinen Gedanken meine Brüder und
Schwestern, und Gott sitzt im Himmel auf einem goldnen Stuhl
und hat seine rechte Hand übers Meer und bis ans Ende der
Welt ausgestreckt und seine linke voll Heil und Gutes, und die
Bergspitzen umher rauchen; und dann fang' ich an:
'Vater unser, der du bist im Himmel.'
91.
Der Parse, der Jude und der Christ.
Bon Fr. A. Krummacher.
Parabeln 7. Ausgabe. Essen 1840. 2 Bde. — 8. Ausgabe 1850.
Ein Jude trat in einen Parsentempel und sah daselbst das
heilige Feuer. Er sprach zu dem Priester: 'Wie, ihr betet daS
Feuer an?' — Micht das Feuer,' antwortete der Priester, <es ist
138
uns ein Sinnbild der Sonne und ihres erwärmenden Lichtes?
Darauf fragte der Jude: 'Verehret ihr denn die Sonne als eure
Gottheit? Wisset ihr nicht, daß auch diese nur ein Geschöpf des
Allmächtigen ist?' — Das wissen wir/ erwiderte der Priester; 'aber
der sinnliche Mensch bedarf des sinnlichen Zeichens, um das Höchste
zu fassen. Und ist nicht die Sonne das Bild des unsichtbaren
unbegreiflichen Urlichts, das alles erhält und segnet?'
Daraus antwortete der Israelit: 'Unterscheidet denn euer Volk
das Bild von dem Urbilde? Schon nennet es die Sonne seinen
Gott, und selbst von diesem wieder zu einem niederen Bilde ver-
sinkend, kniet es vor der irdischen Flamme. Ihr reizet sein äußeres
und verblendet sein inneres Auge, und indem ihr ihm das irdische
Licht vorhaltet, entziehet ihr ihm das himmlische. — Du sollst dir
kein Bildnis machen noch irgend ein Gleichnis?
Wie bezeichnet ihr denn das höchste Wesen?' fragte der Parse.
Der Jude antwortete: Wir nennen es Jehovah Adonai, das
heißt, den Herrn, der da ist, der da war und sein wird?
*Euer Wort ist groß und herrlich,' sagte der Parse, 'aber es
ist furchtbar?
Darauf trat ein Christ herzu und sprach: Wir nennen ihn
Vater?
Da sahen der Heide und der Jude sich einander an und
sprachen: 'Hier ist zugleich Bild und Wahrheit, es ist ein Wort
des Herzens? sagten sie.
Darauf erhoben sie ihre Blicke gen Himmel und sprachen mit
Ehrfurcht und Liebe: 'Unser Vater!'
Und nun reichten sie sich die Hände alle drei und nannten sich
Brüder.
92.
Abcndlikd.
Von Günther.
Gedichte 6. Ausl. Breslau und Leipzig 170t. S. 02. (Gekürzt.)
Aer Feierabend ist gemacht,
Die Arbeit schläft, der Traum erwacht,
Die Sonne führt die Pferde trinken,
Der Erdkreis wandert zu der Ruh,
Die Nacht drückt ihm die Augen zu,
Die schon dem süßen Schlafe winken.
Das müde Haupt sinkt auf den Pfühl,
Doch wo ich ruhig schlafen will,
So muß ich deinen Engel bitten,
Der kann durch seine starke Wacht
Mich vor dem Ungethüm der Nacht
Um meine Lagerstatt behüten.
139
Soll mir bcr Pfühl ein Leichenstein,
Der Schlaf ein Schlaf znm Tode sein,
Ja, soll das Bette mich begraben;
So laß den Leichnam in der Grnft,
Bis ihn die letzte Stimme ruft,
Den Geist im Himmel Frieden haben.
Will aber deine Gütigleit,
Tie alle Morgen sich vernent,
Mir hente noch das Leben borgen;
So wecke zeitlich mich darauf,
Nicht aber dnrch ein Unglück auf,
Und laß mich für das Danklied sorgen!
93.
Stimmen der Rächt.
Von Eichendorff.
Gedichte 3. Ausl. Berlin 1850. S. 365. — 4. Ausl. 1856. — 8. Aufl. Leipzig 1873. S. 374.
Wie tiefe, bleiche, stille Felder — Ein Neh hebt den Kopf erschrocken
O, wie das mich freut, Und schlummert gleich wieder ein.
Über alle, alle Thäler, Wälder
Die prächtige Einsamkeit. Der Wold aber rühret die Wipfel
Im Schlaf von der Felsenwand.
Ans der Stadt nur schlagen Glocken Denn der Herr geht über die Gipfel
Über die Wipfel herein; Und segnet das stille Land.
94.
Dic Gesänge der Nacht.
Von Herder.
SLmmtl. Werke. Zur schön. Lit. u. Kunst. Stnttg. u. Tüb. 1805. IX, 53. — 1828. IX, 48.
Als David in seiner Jugend ans Bethlehems Auen saß, da
kam der Geist Jehovah's über ihn, und seine Sinne wurden auf-
gethan, zu hören dic Gesänge der Nacht. Die Himmel erzählten
Gottes Ehre, und alle Sterne traten in ein Chor: der Klang von
ihren Saiten berührete die Erde, zum Ende der Erde floß ihr
stilles Lied.
^Licht ist das Angesicht Jehovah's/ sprach die untergehende
Sonne, und die Abendröthe antwortete ihr: <Jch bin der Saum
seines Kleides.'
Dic Wolken über derselben türmten sich und sprachen: Wir
sind sein Nachtgczclt,' und die Wasser der Wolken im Abenddonner
tönten: Die Stimme Jehovah's gehet auf Wolken; der Gott der
Ehren donnert, der Gott der Ehren donnert hoch.'
140
‘(Sr schwebet auf meinen Fittichen,' sprach der säuselnde Wind,
und die stille Luft antwortete ihm: ‘Ich bin der Athem Gottes,
das Weben seiner erquickenden Gegenwart?
‘Wir hören Lobgesänge,' sprach die verlechzte Erde, ‘und ich
bin still und stumm?' Der fallende Thau antwortete ihr: ‘Ich
will dich laben, daß deine Kinder neu erquicket jauchzen, daß deine
Säuglinge blühen, wie die Rose?
'Wir blühen fröhlich,' sprach die erquickte Au; die vollen Ähren
rauschten drein und sprachen: 'Wir sind der Segen Gottes, die
Heere Gottes gegen des Hungers Noth?
'Wir segnen euch von oben/ sprach der Mond; 'wir segnen
euch,' antworteten die Sterne. Die Henschrecke girrete und sprach:
'Er segnete anch mich mit einem Tröpfchen Thau?
'Und tränkte meinen Durst,' antwortete die Hindin. ‘Er er-
quickte mich,' sprach das aufspringende Reh.
'Und giebt uns unsre Speise,' träumete das Wild; 'und kleidet
unsre Lämmer,' blökete die Heerde.
'Er erhörte mich,' so krächzete der Rabe, 'als ich verlassen war?
'Er erhörte mich? antwortete die Gemse, 'da meine Zeit kam?
Die Turteltaube girrte und die Schwalbe, und alle Vögel
sprachen schlummernd nach: 'Wir haben unsre Nester funden, unsre
Häuser; wir wohnen auf Gottes Altar und schlafen unter dem
Schatten seiner Flügel, in stiller Ruh?
'In stiller Ruh? antwortete die Nacht nnb hielt den langen
Ton; da krähte der Erwecker der Morgenröthe: 'Thut auf die
Pforten, die Thore der Welt; es zeucht der König der Ehren heran.
Erwacht ihr Menschen und preiset Gott; der König der Ehren ist da?
Auf gieug die Sonne, und David erwachte aus seinem psalm-
reichen Traume; so lang' er lebete, blieben in seiner Seele die
Töne dieser harmonischen Schöpfung, und er rief sie täglich aus
seiner Harfe hervor.
95.
Morgenlied.
Von AlberuS.
Wackernagel: Kirchenlied. Stuttgart 1841. Nr. 299. (Gekürzt.)
S>tet)t auf, ihr lieben Kinderlein! Ihr Kinder sollt bei diesem Stern
Der Morgenstern mit hellem Schein Erkennen Christum, unsern Herrn,
Läßt sich frei sehn gleichwie ein Held Marien Sohn, den treuen Hort,
Und leuchtet in die ganze Welt. Der uns leuchtet mit seinem Wort.
Sei willekomm, du schöner Stern! Gotts Wort, du bist der Morgenstern,
Du bringst und Christum, unsern Herrn, Wir können dein gar nicht entbehrn,
Der unser lieber Heiland ist, Du mußt und leuchten immerdar,
Darum du hoch zu loben bist. Sonst sitzen wir im Finstern gar.
141
Leucht uns mit deinem Glänzen klar
Und Jesum Christum offenbar.
Jag aus der Finsternis Gewalt,
Daß nicht die Lieb' in uns erkalt'!
Sei willekomm, du lieber Tag,
Vor dir die Nacht nicht bleiben mag!
Leucht uns in unser Herzen sein
Mit deinem himmelischen Schein.
O Jesu Christ, wir warten dein,
Dein heilig« Wort leucht' und so fein.
Am End der Welt bleib nicht lang auS
Und führ uns in dcins Vaters Hans!
Dn bist die liebe Sonne klar,
Wer an dich glaubt, der ist fürwahr
Ein Kind der ew'gcn Seligkeit,
Die deinen Christen ist bereit.
dich
Wir danken dir, wir loben
Hie zeitlich und dort ewiglich
Für dein' große Barmherzigkeit
Von nun an bis in Ewigkeit. Amen.
96.
Morgeniicd.
Von Hoffmann v. F.
Gedichte. Leipzig 18«. S. 16. — 6. AuSg. Hannover 1861. S. 2«. — 7. Ausg. 1870. S. 216.
Ptc Sterne sind erblichen
Mit ihrem güldnen Schein;
Bald ist die Nacht entwichen,
Der Morgen dringt herein.
Noch waltet tiefes Schweigen
Im Thal und überall;
Auf frisch bethantcn Zweigen
Singt nur die Nachtigal.
Sie singet Lob und Ehre
Dem hohen Herrn der Welt,
Der überm Land und Meere
Die Hand des Segens hält.
Er hat die Nacht vertrieben:
Ihr Kindlein, fürchtet nichts!
Stets konmit zu seinen Lieben
Der Vater alles Lichts.
97.
Die Morgenröthe.
Von Schubert.
Altes und Neues. Leipzig 1817—1811. I, I.
Ich gedenke noch gern einer Reise, die ich in früher Jugend
in Gesellschaft weiser, guter Männer machte. Einst, da wir die
stanze Nacht hindurch gewandert hatten, verweilten wir gegen
Morgen am Rande eines Waldes. Der beginnende Tag weckte
den schlafenden Duft der Frühlingsblumen, den Gesang der Nachti-
gal, das fröhliche Blöken des Wildes. Da entfernte sich einer
aus unserer Gesellschaft, und wir hörten ans der Ferne die Stimme
des Betenden laut und freudig. Bei seiner Zurückknnft fragte ich
ihn, weshalb er so laut gerufen. Er antwortete mir: Mein jun-
ger Freund, siehe um dich jenen Morgenschimmer, der sein er-
142
wachend Auge dankbar gegen Gott aufschlägt; jene Wolken, die,
wie das Angesicht eines Betenden, glänzend feurig stehen; jene
Bäume und Frühlingsrosen, die ihre Zweige und Blätter dankend
gegen ihn ausbreiten; höre den Gesangs der Nachtigal, das fröh-
liche Blöken der Berggazellen, das Summen der Bienen, und
merke aus, wie sie alle nur Gott nennen, nur Gott preisen. Siehe,
auch ich habe mit jenen zusammen meine dankbare Stimme er-
hoben, mit ihnen Gott gelobt und geliebt.'
Und ich merkte auf die Worte des weisen, guten Mannes.
Seitdem verstand ich die Flammenschrift der Morgenröthe, das
liebende Wehen des Windes, den Dust der Blumen und die
Stimme des fröhlichen Thieres. Meine Stimme erhob sich oft
lobend, liebend, mit der Stimme der Creaturen, und der Geschöpfe
Schöpfer erfüllte, reinigte, heiligte mein junges Herz.
98.
Morgenmanderung.
Von Geibel.
Gedichte. Berlin 1840. S. 187. — 5. Aufl. 1846. S. 250. — 12. Aufl. 1848. — 39. Aufl. 1355.
S. 198. — 60. Aufl. Stuttgart 1866. — 72. Aufl. 1873. S. 240.
Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen:
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen;
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen nah und fern
Und der helle Morgenstern
Sind Zeugen von seinem Lieben.
Da zieht die Andacht wie ein Hauch
Durch alle Sinnen leise,
Da pocht ans Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise.
Pocht und pocht, bis sich's erschließt
Und die Lippe überfließt
Bon lautem, jubelndem Preise.
Und plötzlich läßt die Nachtigal
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Thal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröthe Schein
Stimmt in lichter Glut mit ein:
Laßt uns dem Herrn lobsingcn!
99.
Morgcngtsang am Schöpfungsseste.
Bon Klopstock.
Oden. Leipzig 1798. II, 96. (Gekürzt.)
Roch kommt sie nicht, die Sonne, Gottes gesendete,
Noch weilt sie, die Lebensgebcrin:
Von Dufte schauert es ringsumher
Auf der wartenden Erde.
143
Schon wehen sie, säuseln sie, kühlen,
Die melodischen Lüfte der Frühe;
Schon wallt sie einher, die Morgenröthe, verkündiget
Die Auferstehung der todten Sonne.
- Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnädig!
Wir, deine Kinder, wir, mehr als Sonnen,
Müssen dereinst auch untergehen
Und werden auch aufgehn.
Halleluja! seht ihr die strahlende, göttliche kommen?
Wie sie da an dem Himmel emporsteigt!
Halleluja! wie sie da, auch ein Gottcskind,
Aufersteht!
100.
Frühlinysgruß.
Von Eichcndorff.
Gedichte. Berlin 1837. S. 223. — 3. Aufl. 1850. S. 200. — 4. Anst. 1858. — 8. Aufl.
Leipzig 1873. S. 223.
Es steht ein Berg in Feuer,
In feurigem Morgenbrand,
Und auf des Berges Spitze
Ein Tannbaum überm Land.
Und auf dem höchsten Wipfel
Steh' ich und schau' vom Baum;
O Welt, du schöne Welt du,
Alan sieht dich vor Blüten kaum.
101.
Sonnenaufgang aus dem Alna.
Bon Campe.
Reisebeschreibungen 4. Ausgabe. Braunschweig 1820. VH, 102.
In den Trümmern eines alten Gebäudes ruhten wir ein
wenig und stärkten uns; unterdes hatten wir Zeit, die erhabenen
Gegenstände der Natur um uns her in stiller Betrachtung zu be-
wundern und ihren Schöpfer anzubeten. Der Himmel war völlig
heiter, und sein unermeßliches Gewölbe erschien im ehrwürdigsten
Glanze und in unbeschreiblicher Majestät. Wir wußten nicht gleich,
woher der stärkere Eindruck, den der Anblick desselben hier aus uns
machte, rühren möchte, bis wir mit Erstaunen bemerkten, daß wir
unendlich mehr Sterne sahen, und daß ihr Licht weit glänzender
schien, als wir es je gesehen hatten. Die Weiße der Milchstraße
sah jetzt wie eine reine Flamme aus, die durch den Himmel schoß,
und wir konnten mit bloßen Augen ganze Hansen Sterne be-
merken, die in niedrigen Gegenden unsichtbar sind. Das machte,
daß wir nun schon durch zehn- bis zwölstansend Fuß dicker Dünste,
welche jeden Strahl verschlucken oder verdunkeln, hinangeklimmt
waren. Wir erstaunten über die Deutlichkeit, womit wir hier
alles sahen, und riefen einstimmig ans: Welch ein Platz zu einer
144
Sternwarte!' Wir bemerkten weit unter uns ein Licht, das sich
unter den Bäumen zu bewegen schien; cs mochte vielleicht ein Irr-
licht sein. Auch beobachteten wir hier verschiedene von jenen Lust-
erscheinungen, die man Sternschnuppen nennt. Diese schienen noch
ebenso hoch über uns zu sein, als inan sic auf der Ebene zu sehen
glaubt, ein Beweis, daß diese Entzündungen sich in einem Hähern
Raum ereignen müssen, als wir die Grenzen unsers Dunstkreises
auszudehnen pflegen.
Wir machten uns nun von neuem auf den Weg und er-
reichten bald den Fuß des großen Schlundes, welcher auf allen
Seiten steil in die Höhe steigt und aus lauter Asche und andern
verbrannten Materien besteht, welche der Mund des Feuerberges
ausgeworfen hat. Der Umfang dieses kegelförmigen Trichters muß
wenigstens zwei Meilen betragen. Auch er war überall mit Schnee
und Eiö belegt, aber zum Glück für uns bestand die Oberfläche
davon aus einer ziemlich dicken Lage von Asche. Wäre dies nicht
gewesen, so würden wir diesen steilen Gipfel des Berges nie haben
ersteigen können, weil der Schnee allenthalben wegen der durch-
dringenden Kälte der Lust mit einer dicken Eisrinde überzogen war.
Nach einer Stunde beschwerlichen Kletterns kamen wir auf
einen von Schnee entblößten Platz,' wo wir einen angenehmen
warmen Dunst verspürten, den der Berg aushauchte. Von diesem
Platze hatten wir ungefähr noch neunhundert Fuß bis zur höchsten
Spitze des Berges. Und auch diese wurde nun glücklich, und zwar
noch zeitig genug erstiegen, um das wunderbarste und prächtigste
Schauspiel zu sehn, welches die Natur in ihrer größten Erhaben-
heit und Herrlichkeit darzubieten vermag.
Doch hier muß jede Beschreibung zu kurz kommen; denn keine
menschliche Einbildungskraft hat es wohl je gewagt, sich ein Bild
von einer so herrlichen und prächtigen Schaubühne zu schaffen,
noch giebt es auf der ganzen Oberfläche der Erde schwerlich einen
andern Punkt, der so viele erhabene Gegenstände vereinigte. Diese
erstaunliche Höhe, zwölftausend Fuß über der Fläche der Erde, die
sich hier gleichsam in einen Punkt zusammenzieht, ohne einen an-
dern benachbarten Berg von gleicher oder ähnlicher Höhe, ans
welchem Auge und Einbildungskraft, auf ihrer Reise in die Welt
hinunter, ausruhen und von ihrem Erstaunen sich erholen könnten;
diese Spitze, die sich am Rande eines bodenlosen Schlundes er-
hebt, der so alt als die Welt ist und oft Feuerströme und glühende
Felsen mit einem die ganze Insel erschütternden Donner auswirft;
und endlich, von dieser Spitze herab eine unumschränkte Aussicht
auf die maunigfaltigsten und schönsten Gegenden in der Natur,
sammt der aufgehenden Sonne, die im Osten hervoreilt, um dieseu
wunderbaren Schauplatz zu erleuchten: welche Gegenstände!
Nach und nach entzündete sich der ganze Dunstkreis und
zeigte uns, doch nur erst halb erhellt, die grenzenlose Aussicht um
145
uns her: Meer und Land sahen noch finster und verworren aus,
als ob sie sich eben erst aus dem ursprünglichen Mischklumpen her-
ausarbeiteten; Licht und Finsternis schienen noch nicht von ein-
ander geschieden, bis endlich der östliche Himmel sich immer mehr
entzündete und die große Scheidung dadurch vollbracht wurde.
Die Sterne verloschen, die Schatten verschwanden, die Wälder,
die uns zuvor tiefe, finstere Abgründe zu sein schienen, von wel-
chen kein Strahl zurückkam, um uns ihre Gestalt und Farbe zu
zeigen, stellten sich uns jetzt als eine neue Schöpfung dar, die von
einem Augenblicke zum andern immer belebter und schöner erschien.
Die Bühne erweiterte sich, der Gesichtskreis dehnte sich nach allen
Seiten aus, — bis endlich die Sonne, gleichsam als Stellvertreter
des großen Schöpfers, mit unbeschreiblicher Herrlichkeit im Osten
hervortrat und mit ihren allbelebenden Strahlen das erhabene
Schauspiel vollendete.
Hier, lieber Leser, lege ich die Feder hin; ich kann nicht weiter
beschreiben; ich kann nur hinsinken und anbeten, und ich bin über-
zeugt, auch du würdest, wärest du ein Augenzeuge dieses unbe-
schreiblich großen und rührenden Austritts gewesen, bei der bloßen
Erinnerung daran dein Antlitz verhüllen und in Thränen der
Freude, des Entzückens und der Anbetung zerfließen.
Alles schien uns ein Zauber zu sein, und wir konnten uns
kaum überzeugen, daß wir noch aus Erden wären. Unsere an so
erhabene Gegenstände nicht gewöhnten Sinne waren betäubt und
verwirrt; erst nach einiger Zeit fanden wir uns vermögend, sie
von einander zu unterscheiden und sie einzeln zu betrachten. Zwischen
uns und der Sonne, die aus dem Meere zu steigen schien, lagen
unermeßliche Flächen von See und Land; die liparischen, pana-
rischen, alicudischen Inseln und Strombolo und Volcano lagen
mit ihren rauchenden Gipfeln unter unsern Füßen; auf ganz
Sicilien sahen wir wie aus eine Landkarte hinab, und wir konnten
jeden Fluß in allen seinen Krümmungen, von seiner Quelle an
bis zur Mündung verfolgen. Die Aussicht war auf allen Seiten
schlechterdings unbegrenzt; kein einziger Gegenstand im ganzen Ge-
sichtskreise, der sie unterbrechen konnte; das Auge verlor sich allent-
halben im Unermeßlichen, und ich bin versichert, nur die Unvoll-
kommenheit unserer Sehkraft war schuld daran, daß wir die
Küsten von Afrika, ja sogar die von Griechenland, nicht entdeckten.
Denn beide mußten jetzt nothwendig über unserm Gesichtskreise liegen.
Der schönste Theil des Schauplatzes ist unstreitig der Berg
selbst und die Insel Sicilien sammt der dazu gehörigen Menge
kleinerer Inseln. Alle diese Inseln schienen durch eine Art Zauber-
täuschung, aus Gründen, die ich hier nicht erklären kann, ganz
hart am Fuße des Ätna zu liegen und ihn gleichsam einzufassen,
so daß ihre Entfernung nicht zu bemerken war.
Colshorn u. Goedeke'S Lesebuch II.
10
146
102.
Lobgessng.
Von Herder.
Eämmtl. Werke. Zur Religion und Theologie. Stuttg. u. Tüb. 1865. I, 68. — 1821. l, 61
Im Namen dessen, dessen Name Zuflucht,
Des Lob die Zier ist hochberedter Zungen,
Der Höchste, Einige, allwissend, ewig,
Der Macht verleiht dem Schwachen, dem Verlaßnen.
Die Himmel zierte er mit Sternenscharen
Und schmückt' die Erd' mit Menschen wie mit Sternen;
Er wölbte das Gewölb' der rollenden Sphäre
Und hob empor das Vier der Elemente.
Der Rosenknospe Busen giebt er Düfte
Und kränzt den Mutterbusch mit Blumenkindern.
Er webt das Brautkleid für des Frühlings Bräute
Und lehret die Cypreß' am SeeSufer,
Ihr reizendes, ihr schönes Haupt zu heben.
Mit Fortgang krönet er die gute Absicht
Und niedriget den Stolz der Selbstanmaßung.
Er wachet mitternachts bei des Einsamen Lampe
Und bringt den Tag hin mit den ändern der Betrübnis.
Aus seinem Meer entspringt die Frühlingswolke,
Die Rosen und den Dorn zugleich bewässert;
Aus seinem Garten weht des Herbstes Lüftchen,
Das wie mit Gold bestreut den grünen Rasen.
Wenn er erscheint, so flammt der Kreis des Tages,
Ein jedes Stäubchen holet von ihm Kräfte;
Verbürg' er sein Gesicht — die mächtigen Sphären
Der großen Lichter sänken schnell ins Nichts hin.
Vom himmlischen Gewölbe tief zum Abgrund,
Wes Weges wir Sinn und Gedanken richten,
Wir eilen aufwärts oder steigen nieder;
Kein Staub ist, den nicht seine Macht erfüllte.
Weisheit verwirrt sich über seinem Wesen:
Das Forschen seiner Weg' ist übermenschlich,
Die Engel erröthen, daß sie ihn nicht fassen,
Die Himmel staunen, daß sie sich bewegen.
147
103.
Samt Augustin.
Von Schreiber.
Poetische Werke. Tübingen-1817 und 1818.
Es gieng einmal Sanct Augustin
Am Meergestade her und hin;
Das Wesen Gottes, unsers Herrn,
Wollt' er erforschen gar zu gern
Und es dann bringen in ein Buch.
Er kannte jeden Bibelspruch,
Drum schien die Sach' ihm gar nicht
schwer.
So wallt er sinnend hin und her
Und meint wohl schon im eitlen Wahn,
Ihm sei der Himmel aufgethan. —
Auf einmal wird sein Aug' gewahr
Ein Knäblein, schön und wunderbar;
Es macht ein Grüblein in den Sand
Und bückt sich dann hinab am Strand
Und schöpft vom Meer das Wasser drein
Mit einer Muschel weiß und fein. —
*Du lieber Knab', was machst du da?'
Fragt Augustin. — Wu siehst eS ja:
Zum Zeitvertreibe faß' ich mir
Die See in dieses Grüblein hier.'
Der Heil'ge lächelt: ^Dieses Spiel,
Mein Kind, es bringt dich nicht zum
Ziel-'
'Ei,' sagt der Knab', 'wer das nicht
kann,
Der bleibe hübsch auf seiner Bahn.
Viel ist dem Herzen offenbar,
Doch wird es dem Verstand nicht klar.'
Und flugs da schießt ein Flügelpaar
Dem Knaben an, und wie der Aar
Schwebt er empor im Sonnenlicht.
Der Heil'ge schaut ihm nach und spricht:
'Der Knab' hat Recht; des Menschen
Sinn
Kann über Raum und Zeit nicht hin.'
104.
Der Thron der Herrlichkeit.
> Von Herder.
Sämmtliche Werke. Zur schönen Literatur und Kunst. Stuttgart und Tübingen 1805.
IX, 06. — 1828. IX, 56.
JJu sehr vertiefte sich ein frommer Betrachter in die Anschau-
ungen des Unerschaffnen und vergaß darüber die Geschäfte seines
Berufs, die nothwendige Bürde eines Sterblichen der Erde.
Einst, als er in tiefem Nachsinnen vor seiner mitternächtlichen
Lampe saß, entschlief er, und es eröffneten sich ihm im Traum die
Pforten des Himmels: er sah, was er so lange zu sehen gewünscht
hatte, den ewigen Thron. Um und um mit Feuer umgeben,
schwebte derselbe auf siebenfach-dunkeln Wolken, aus denen Blitze
fuhren, in denen Donner krachten, und vor und hinter ihm war
Nacht.
Erschrocken wachte er auf, aber noch nicht belehret. Er sehnte
sich, die Gestalten des Throns zu sehn, und sank abermals in
seinen anschauenden Schlummer. Die vier Lebendigen trugen den
Thron: mit ihren Angesichtern blickten sie und mit ihren Flügeln
schwebten sie nach allen vier Seiten der Schöpfung, vollbringend
die Befehle Jehovah's. Feuriger Schweiß rann in Strömen von
10*
148
ihnen herunter, und von der rastlosen Bewegung waren sie so
betäubt, daß sie nicht wußten, wie nahe sie dem Throne ständen,
und welches die Herrlichkeit sei, die sie trugen. Eben wollte die
menschliche Gestalt des heiligen Wagens zu ihm treten, als plötzlich
sein Traumgesicht verschwand, so daß er noch unruhiger war, als
er vorher gewesen.
Er wünschte die anschauenden Engel zu sehen, und der pro-
phetische Schlaf umfieng ihn zum drittenmale. Die Seraphim stan-
den da, zunächst dem flammenden Throne; aber ihre Angesichte wa-
ren verdeckt, verdeckt ihre Füße, und ihr Gesang war ihm unvernehm-
lich, bis einer derselben zu ihm trat und ihn mitleidig anredete: Mnd
du Sterblicher wagest es, anschauen zu wollen, was wir nicht an-
zuschauen vermögen? Genüge dich an dem Gesicht, das dir die
Träger des Thrones gaben; denn auch du bist mitten unter ihnen.'
Er sprach's, und der Träumende erwachte.
Eben flog eine Mücke vor seiner Lampe daher; sie wagte sich
in die Flamme und sank mit versengten Gliedern nieder. War
ich nicht thöricht,' sprach er zu sich selbst, <daß mich ein Engel be-
lehren mußte, wovon mich diese verbrannte Mücke belehret?' —
Er entsagte fortan den Betrachtungen der Seraphim und ward
das, wozu der Mensch hienieden erschaffen ist, ein arbeitendes Leben-
diges unter dem Throne.
105.
Marienkind.
von den brüdern Grimm.
marchen 6. aufl. Göttingen 1850. I, 10. — 7. aufl. 1857. I, 9. — 13. aufi. Berlin 1875. s. 7.
Vor einem groszenwalde lebte ein holzhacker mit seiner frau,
der hatte nur ein einziges kind, das war ein mädchen von drei
jähren, sie waren aber so arm, dasz sie nicht mehr das tägliche
brot hatten und nicht wuszten, was sie ihm sollten zu essen geben,
eines morgens gieng der holzhacker voller sorgen hinaus in den
wald an seine arbeit, und wie er da holz hackte, stand auf ein-
mal eine schöne grosze frau vor ihm, die hatte eine kröne von
leuchtenden Sternen auf dem haupt und sprach zu ihm: ‘ich bin
die jungfrau Maria, die mutter des Christkindleins; du bist arm
und dürftig; bring mir dein kind, ich will es mit mir nehmen,
seine mutter sein und für es sorgen.’ der holzhacker gehorchte,
holte sein kind und übergab es der jungfrau Maria, die nahm es
mit sich hinauf in den himmel. da gieng es ihm wohl, es asz
Zuckerbrot und trank süsze milch, und seine kleider waren von
gold, und die englein spielten mit ihm. als es nun vierzehn jähr
alt geworden war, rief die jungfrau Maria es einmal zu sich und
149
sprach: ‘liebes kind, ich habe eine grosze reise vor, da nimm die
Schlüssel zu den dreizehn thiiren des himmelreichs in Verwahrung:
zwölf davon darfst du aufschlieszen und die herrlichkeit darin be-
trachten, aber die dreizehnte, wozu dieser kleine Schlüssel gehört,
die ist dir verboten; hüte dich, dasz du sie nicht aufschlieszest,
sonst wirst du unglücklich.’ das mädchen versprach gehorsam
zu sein, und als nun die jungfrau Maria weg war, fieng es an
und besah die Wohnungen des himmelreichs; jeden tag schlosz es
eine auf, bis die zwölfe herum waren, in jeder aber sasz ein
apostel und war von groszem glanz umgeben, und es freute sich
über all die pracht und herrlichkeit, und die englein, die es immer
begleiteten, freuten sich mit ihm. nun war die verbotene thür
allein noch übrig; da empfand es eine grosze lust, zu wissen,
was dahinter verborgen wäre, und sprach zu den englein: ‘ganz
aufmachen will ich sie nicht und will auch nicht hinein gehen;
aber ich will sie aufschlieszen, damit wir ein wenig durch den
ritz sehen.’ ‘ach nein,’ sagten die englein, ‘das wäre Sünde: die
jungfrau Maria hass verboten, und es könnte leicht dein Unglück
werden.’ da schwieg es still, aber die begierde in seinem herzen
schwieg nicht still, sondern nagte und pickte ordentlich daran und
liesz ihm keine ruhe. und als die englein einmal alle hinausge-
gangen waren, dachte es: ‘nun bin ich ganz allein und könnte
hinein gucken; es weisz es ja niemand, wenn ich’s thue.’ es
suchte den Schlüssel heraus, und als es ihn in der band hielt,
steckte es ihn auch in das schlosz, und als es ihn hineingesteckt
hatte, drehte es auch um. da sprang die thüre auf, und es sah da
die dreieinigkeit im teuer und glanz sitzen, es blieb ein weilchen
stehen und betrachtete alles mit erstaunen, dann rührte es ein
wenig mit dem finger an den glanz, da ward der finger ganz
golden, alsbald empfand es eine gewaltige angst, schlug die
thüre heftig zu und lief fort, die angst wollte auch nicht wieder
weichen, cs mochte anfangen, was es wollte, und das herz klopfte
in einem fort und wollte nicht ruhig werden; auch das gold blieb
an dem finger unijl gieng nicht ab, es mochte waschen und reiben,
so viel es wollte.
Gar nicht lange, so kam die jungfrau Maria von ihrer reise
zurück, sie rief das mädchen zu sich und forderte dann die
himmelsschlüssel wieder ab. als es den bund hinreichte, blickte
ihm die jungfrau in die äugen und sprach: ‘hast du auch nicht
die dreizehnte thüre geöffnet?’ ‘nein,’ antwortete es. da legte sie
ihre band auf sein herz, fühlte, wie es klopfte und klopfte, und
merkte wohl, dasz es ihr gebot übertreten und die thüre aufge-
schlossen hatte, da sprach sie noch einmal: ‘hast du es gewisz
nicht gethan?’ ‘nein,’ sagte das mädchen zum zweitenmal, da er-
blickte sie den finger, der von der berührung des himmlischen
feuers golden geworden war, sah wohl, dasz es gesündigt hatte,
150
und sprach zum drittenmal: ‘hast du es nicht gethan?’ ‘nein,’
sagte das madchen zum drittenmal, da sprach die jungfrau Maria:
‘du hast mir nicht gehorcht und hast noch dazu gelogen, du bist
nicht mehr würdig, im himmel zu sein.’
Da versank das mädchen in einen tiefen schlaf, und als es
erwachte, lag es unten auf der erde, mitten in einer wildnis. es
wollte rufen, aber es konnte keinen laut hervorbringen, es sprang
auf und wollte fortlaufen, aber wo es sich hinwendete, immer ward
es von dichten dornhecken zurück gehalten, die es nicht durch-
brechen konnte, in der einöde, in welche es eingeschlossen war,
stand ein alter hohler bäum, das muszte seine wohnung sein, da
kroch es hinein, wenn die nacht kam, und schlief darin, und wenn
es stürmte und regnete, fand es darin schütz; aber es war ein jäm-
merliches leben, und wenn es daran dachte, wie es im himmel so
schön gewesen war und die engel mit ihm gespielt hatten, so
weinte es bitterlich, wurzeln und waldbeeren waren seine einzige
nahrung, die suchte es sich, so weit es kommen konnte, im
herbst sammelte es die herabgefallenen nüsse und blätter und trug
sie in die höhle, die nüsse waren im winter seine speise, und wenn
schnee und eis kam, so kroch es wie ein armes thierchen in die
blätter, dasz es nicht fror. nicht lange, so zerrissen seine kleider
und fiel ein stück nach dem andern vom leib herab, sobald dann
die sonne wieder warm schien, gieng es heraus und setzte sich
vor den bäum, und seine langen haare bedeckten es von allen
seiten wie ein mantel. so sasz es ein jähr nach dem andern und
fühlte den jammer und das elend der weit.
Einmal, als die bäume wieder in frischem grün standen, jagte
der könig des landes in dem wald und verfolgte ein reh, und
weil es in das gebüsch geflohen war, das den waldplatz einschlosz,
stieg er vom pferd, risz das gestrüppe aus einander und hieb sich
mit seinem Schwert einen weg. als er endlich hindurch gedrungen
war, sah er unter dem bäum ein wunderschönes mädchen sitzen,
das sasz da und war von seinem goldenen haar bis zu den fusz-
zelxen bedeckt, er stand still und betrachtete es voll erstaunen,
dann redete er es an und sprach: ‘wer bist du? warum sitzest
du hier in der einöde ?' es gab aber keine antwort, denn es konnte
seinen mund nicht aufthun. der könig sprach weiter: ‘willst du mit
mir auf mein schlosz gehen?’ da nickte es nur ein wenig mit dem
köpf, der könig nahm es auf seinen arm, trug es auf sein pferd
und ritt mit ihm heim, und als er auf das königliche schlosz kam,
liesz er ihm schöne kleider anziehen und gab ihm alles im überflusz.
und ob es gleich nicht sprechen konnte, so war es doch schön und
holdselig, dasz er es von herzen lieb gewann, und es dauerte nicht
lange, da vermählte er sich mit ihm.
Als etwa ein jähr verflossen war, gebar die königin einen
söhn. darauf in der nacht, wo sie allein in ihrem bette lag, erschien
151
ihr die jungfrau Maria und sprach: ‘willst du die Wahrheit sagen
und gestehen, dasz du die verbotene thür aufgeschlossen hast, so
will ich deinen mund öffnen und dir die spräche wieder geben;
verharrst du aber in der sünde und leugnest hartnäckig, so nehm’
ich dein neugebornes kind mit mir.’ da war der königin ver-
liehen zu antworten, sie blieb aber verstockt und sprach: ‘nein,
ich habe die verbotene thür nicht aufgemacht,’ und die jungfrau
Maria nahm das neugeborene kind ihr aus den armen und ver-
schwand damit, am andern morgen, als das kind nicht zu finden
war, gieng ein gemurmel unter den leuten, die königin wäre eine
menschenfresserin und hätte ihr eigenes kind umgebracht, sie
hörte alles und konnte nichts dagegen sagen; der könig aber
wollte es nicht glauben, weil er sie so lieb hatte.
Nach einem jähr gebar die königin wieder einen söhn. in
der nacht trat auch wieder die jungfrau Maria zu ihr herein und
sprach: ‘willst du gestehen, dasz du die verbotene thüre geöffnet
hast, so will ich dir dein kind wiedergeben und deine zunge lösen;
verharrst du aber in der sünde und leugnest, so nehme ich auch
dieses neugeborene mit mir.’ da sprach die königin wiederum: ‘nein,
ich habe die verbotene thür nicht geöffnet,’ und die jungfrau nahm
ihr das kind aus den armen weg und mit sich in den himmel.
am morgen, als das kind abermals verschwunden war, sagten die
leute ganz laut, die königin hätte es verschlungen, und des königs
räthe verlangten, dasz sie sollte gerichtet werden, der könig aber
hatte sie so lieb, dasz er es nicht glauben wollte, und befahl den
räthen bei leibes- und lebensstrafe, nichts mehr darüber zu sprechen.
Im nächsten jähre gebar die königin ein schönes töchterlein,
da erschien ihr zum drittenmal nachts die jungfrau Maria und sprach:
‘folge mir.’ sie nahm sie bei der band und führte sie in den
himmel und zeigte ihr da die beiden ältesten kinder, die lachten
sie an und spielten mit der weitkugel, als sich die königin dar-
w über freuete, sprach die jungfrau Maria: ‘ist dein herz noch nicht
erweicht? wenn du eingestehst, dasz du die verbotene thür ge-
öffnet hast, so will ich dir deine beiden söhnlein zurück geben.’
aber die königin antwortete zum drittenmal: ‘nein, ich habe die
verbotene thüre nicht geöffnet.’ da liesz sie die jungfrau wieder
zur erde herabsinken und nahm ihr auch das dritte kind.
Am andern morgen, als es ruchbar ward, riefen alle leute
laut: ‘die königin ist eine menschenfresserin, sie musz verurtheilt
werden,’ und der könig konnte seine räthe nicht mehr zurück-
weisen. es ward ein gericht über sie gehalten, und weil sie nicht
antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt,
auf dem Scheiterhaufen zu sterben, das holz wurde zusammenge-
tragen, und als sie an einen pfähl festgebunden war und das
feuer ringsumher zu brennen anfieng, da schmolz das harte eis
des stolzes, und ihr herz ward von reue bewegt, und sie dachte,
0
152
könnte ich nur noch vor meinem tode gestehen, dasz ich die
thüre geöffnet habe!’ da kam ihr die stimme, dasz sie laut ausrief:
‘ja, Maria, ich habe es gethan!’ und alsbald fieng der himmel an
zu regnen und löschte die feuerflammen, und über ihr brach ein
licht hervor, und die jungfrau Maria kam herab und hatte die
beiden söhnlein zu ihren seiten und das neugeborene töchterlein
auf dem arm. sie sprach freundlich zu ihr: ‘wer seine Sünde be-
reut und eingestellt, dem ist sie vergeben,’ und reichte ihr die
drei kinder, löste ihr die zunge und gab ihr glück für das ganze
leben.
106.
Aus dem Walde.
Bon
Juniuslieder. Stuttgart und Tübingen 1818.
1805. S. '0. — 2
ßit dem alten Förster Heut'
Bin ich durch den Wald gegangen,
Während hell im Festgeläut
Aus dem Dorf die Glocken klangen.
Golden floß ins Laub der Tag,
Vöglein sangen Gottes Ehre,
Fast, als ob's der ganze Hag
Wüßte, daß es Sonntag wäre.
Und wir kamen ins Revier,
Wo umrauscht von alten Bäumen
Junge Stämmlein sonder Zier
Sproßten auf besonnten Räumen.
beierlich der Alte sprach:
‘Siehst du über unsern Wegen
Hochgewölbt das grüne Dach?
Das ist unsrer Ahnen Segen.
‘Denn es gilt ein ewig Recht,
Wo die hohen Wipfel rauschen;
Von Geschlechte zu Geschlecht
Geht im Wald ein heilig Tauschen.
‘Was uns noth ist, uns zum Heil
Ward’s gegründet von den Vätern,
Aber das ist unser Theil,
Das wir gründen für die Spätern.
Geibel.
S. 60. — 15. Ausl. 1861. S. 70. - 16. Aufl.
1. Aufl. 1873. S- 70.
‘Drum im Forst auf meinem Stand
Ist mir's oft, als böt’ ich linde
Meinem Ahnherrn diese Hand,
Jene meinem Kindeskinde.
‘Und sobald ich pflanzen will,
Pocht das Herz mir, daß ich's merke,
Und ein frommes Sprüchlein still
Muß ich beten zu dem Werke:
‘Schütz' euch Gott, ihr Reiser schwank!
Mögen unter euren Kronen,
Rauscht ihr einst den Wald entlang,
Gottesfurcht und Freiheit wohnen;
‘Und ihr Enkel, still erfreut
Mögt ihr dann mein Segnen ahnen,
Wie's mit frommem Dank mich heut'
An die Väter will gemahnen.'
Wie verstummend im Gebet
Schwieg der Mann, der tiefergraute,
Klaren Auges, ein Prophet,
Welcher vorwärts, rückwärts schaute.
Segnend auf die Stämmlein rings
Sah ich dann die Händ' ihn breiten;
Aber in den Wipfeln gieng's
Wie ein Gruß aus alten Zeiten.
153
107.
Die Wcllinglonia,
der Mammuthbaum Obercalifornien's.
Von B. Seemann.
Bonplandia 6. Jahrgang. Hannover, October 1858. Nr. 19. (Gekürzt.)
Als beim Friedensschlüsse des mexikanischen Krieges Ober-
californicn den Vereinigten Staaten von Nordamerika abgetreten
war, verbreitete sich eine Kunde, die, wie durch Zauberschlag, ein-
same Urwälder in lebhafte Bergwerksgegenden verwandelte. Das
neu erlangte Land, so hieß es, strotze von Gold und sei das so
lange gesuchte Eldorado. Abenteurer aus allen Theilen der Welt
durchzogen bald ganz Californien, und manche Thäler und Schluchten,
niemals vom Fuße des Weißen betreten, wurden in der Hoffnung
besucht, dort eine ergiebige Goldernte zu finden. Schilderungen
der wunderbarsten Entdeckungen füllten nun jede Zeitung, die
freilich sich in manchen Fällen als erdichtet ergaben, in anderen je-
doch den schlagendsten Beweis lieferten: nüchterne Thatsachen über-
treffen oft die kühnsten Phantasiegemälde. Doch wie so oft, ward
Dichtung mit Wahrheit, Wahrheit mit Dichtung verwechselt. Unter
den Nachrichten, welche letzteres Schicksal traf, war die, daß ein
kühner Calisornier, der weiter in die Sierra Nevada, gegen die
Quellen der Stanislaus- und San-Antonioflüssc zu gedrungen
war, einen Wald angetroffen habe, dessen Bäume die höchsten Ge-
bäude der Erde wenn nicht geradezu überragten, doch an Höhe
mit ihnen um den Rang stritten. So wenig wurde dies jedoch
geglaubt, daß selbst der Name des Entdeckers unbekannt ist, wenn
wir nicht den, des I. W. Wo oster annehmen, welchen uns eine
californische Überlieferung bezeichnet, die dadurch eine gewisse Be-
stätigung erhält, daß an der Rinde eines jetzt vom Volke ^Herkules'
genannten Baumes die Inschrift <J. W. Wo oster 1850' sich vor-
findet. Bald nachher ward dieser merkwürdige Ort, der fortan
nach den Riesenbäumen den Namen Mammuthhain erhielt, von
Verschiedenen besucht und die Richtigkeit der verworfenen Nachricht
über jeden Zweifel erhoben. Fremde von allen Theilen des Landes
strömten jetzt herbei und machten den Ort zu einem der besuchtesten
Californicn's; schon im Juli 1853 erhob sich daselbst ein Gasthaus,
so bequem, wie cs nur die Natur des Landes zulassen wollte. Um
etwa dieselbe Zeit besuchte ein englischer Botaniker den Hain und
sandte Blätter, Zapfen und Proben des Holzes, so wie eine Skizze
eines der Riesenbäume nach England an den Naturforscher
L i u d l e y, welcher darin eine neue Gattung Nadelhölzer zu erkennen
glaubte und ihr zum Andenken an den Herzog von Wellington
und in Erwägung des riesenhaften Baues der Bäume den Namen
Wellingtonia giqantea' gab — zum großen Verdrusse der Ameri-
kaner, die sie nach dem glorreichen Vater ihrer Republik Washiug-
154
tonist genannt wissen wollten. Nach genaueren Untersuchungen
stellte sich indessen heraus, daß die Wellingtonia nicht als eine
neue Gattung, sondern nur als eine zweite Cypressenart von Se-
quoia oder Taxodium angesehen werden müsse, und deshalb gab
ihr B. Seemann 1855 den Namen ^Sequoia Wellingtonia.'
Der Stamm der Wellingtonia ist sehr gerade und mit einer
Rinde bedeckt, die hoch zimmetbraun und sechzehn bis zweiund-
zwanzig Zoll dick ist. Das frisch abgeschlagene Holz ist weiß, doch
wird es bald röthlich und dadurch, daß man es länger dem Wind
und Wetter aussetzt, dunkel wie Mahagoni. Trotzdem es weich
ist, fault es doch langsam und ist mit einem rothen, im Wasser
sich auflösenden Farbstoff erfüllt. Die jungen Zweige sind rund,
etwas herabhängend und ähneln denen der Cypresse oder denen
eines Wacholders. Wie es bei den meisten Zapfenbäumen der
Fall ist, kommen auch bei der Wellingtonia zwei Blattformen vor:
derselbe Zweig erzeugt sowohl dachige als zweizeilige Blätter. Die
Blätter selbst sind abwechselnd, ausdauernd, bei jungen Pflanzen
länglich-pfriemenförmig, auf dem Rücken gekielt, oben eben, aber
mit einer etwas erhöhten Centralrippe versehen; bei älteren Pflanzen
sind sie kleiner, kürzer, mehr zusammengedrängt, eirund-lanzett und
spitz. Sowohl die männlichen als weiblichen Blüten bieten die-
selben Gattungscharaktere als die der gemeinen Cypresse; dasselbe
gilt auch von den Zapfen, doch sind die der Wellingtonia ge-
wöhnlich etwas größer.
Der Mammuthbaum hat eine beschränkte geographische Ver-
breitung. Seine größte Vollkommenheit erreicht er im Mammuth-
haine, der in der Landschaft Calaveras, vier- bis fünftausend Fuß
über dem Meere liegt. Wer den Hain besuchen will, findet Wagen
und Pferde in dem oben erwähnten Gasthause und schlägt eine
Fahrstraße ein, die allmählich aufsteigend durch einen prächtigen
Wald von Tannen, Cedern und Fichten, hier und da mit schönen
Eichen geschmückt, sich windet. Das Thal, in welchem der Hain
liegt, umfaßt etwa hundertundsechzig Acker Land und ist eine aus
grober Kieselerde gebildete Vertiefung. Das Klima ist prächtig,
im Sommer frei von der drückenden Hitze des niedern Landes,
die Pflanzendecke bleibt frisch und grün, das Wasser ist so klar
wie Krystall und fast so kalt wie Eis; die ganze Gegend wimmelt
von Wild, und die Bäche sind von herrlichen Forellen bevölkert.
Dinge lassen sich am leichtesten durch Vergleichung mit anderen
beurtheilen, und so hat denn auch ein Naturforscher vermittels
einer Reihe von vergleichenden Zeichnungen die Größe der Welling-
tonia zu veranschaulichen gesucht? Eine dieser Zeichnungen, nach
dem Verhältnisse von 1 zu 20, stellte einen dreihundert Fuß hohen
Mammuthbaum vor, an den eine Leiter von gewöhnlicher Länge
angelehnt war, auf deren Mitte ein Mensch sich befand; durch
Vergleich nahm die Leiter die Größe eines Spazierstöckchens, der
155
Mensch die eines Käfers an. Um die außerordentlichen Verhält-
nisse noch deutlicher zu erläutern, hatte er Skizzen der,, höchsten
Gebäude unserer Erde anfertigen lassen, der Pyramiden Ägyptens,
der Peterskirche in Rom, der Paulskirche in London rc.; hierbei
stellte es sich heraus, daß der Mammuthbaum mit der Peterskirche
um den Rang stritt und nur eine kurze Strecke hinter den Pyra-
miden zurückblieb. Im Vergleich zu anderen Bäumen stellte die
Wellingtonia sich folgendermaßen dar: die höchste Palme nahm
das Aussehen eines Zuckerrohrs, die Tanne das eines Wacholder-
strauches an, und die Ceder des Libanon schien nur ein Busch zu
sein. Die Angaben der absoluten Höhe der Wellingtonia sind
ebenfalls geeignet, uns mit Bewunderung zu erfüllen. Die meisten
jetzt noch im Mammuthhaine stehenden Exemplare sind durchschnitt-
lich dreihundert Fuß hoch; aber eins von ihnen, als die Mutter
des Waldes' bekannt, erreicht die Höhe von dreihundertsechzig Fuß,
der Durchmesser der Basis beträgt einunddreißig Fuß und der
Durchmesser hundert Fuß über der Basis fünfzehn Fuß. So un-
geheuer auch diese Verhältnisse sein mögen, so werden sie doch noch
durch diejenigen verdunkelt, welche ein anderer Baum besessen
haben muß, als er noch in voller Kraft dastand. Dieser <Vater
des Waldes/ wie man das Exemplar treffend genannt hat, mißt
an der Basis hundertzwölf Fuß im Umfange, und man kann den
Stamm bis zur Höhe von dreihundert Fuß verfolgen, wo er durch
Fallen an einen andern Baum plötzlich abgebrochen ist: an jener
Stelle mißt der Stamm noch achtzehn Fuß im Durchmesser, und
nach der durchschnittlichen Verdünnung der anderen Bäume be-
rechnet, muß dieser Riese etwa vierhundertfunfzig Fuß hoch und
zweifellos das höchste Pflanzengebilde gegenwärtiger Schöpfung
gewesen sein. Andere Zapfenbäume erreichen oft auch eine unge-
heure Höhe; doch werden sie alle von einer ausgewachsenen
Wellingtonia überragt.
Unwillkürlich fragt man sich: wie viele Jahre waren erforderlich,
um diese Berge von Zellen aufzutürmen, und wie groß ist das
Alter dieser Ungeheuer? Als der Mammuthbaum zuerst bekannt
wurde, schätzte man ihn auf dreitausend Jahre, oder, wie ein Zeit-
blatt berichtete, <er muß ein kleines Pflänzchen gewesen sein, als
Simson die Philister erschlug, Paris die schöne Helena entführte
und Äneas seinen Vater Anchises auf den Schultern davontrug?
Spätere Forschungen haben jedoch ergeben, daß diese Annahme
falsch sei: seine ungeheure Größe ist eher seinem raschen Wachs-
thum, als einem außergewöhnlichen Alter zuzuschreiben. Man hat
die Jahresringe einer ausgewachsenen Wellingtonia gezählt und
solcher Jahresringe elfhundertzwanzig gefunden; mag nun ein oder
das andere Exemplar auch immerhin etwas älter sein, als das unter-
suchte, so ist doch kein einziges ein Zeitgenosse der homer'schen Helden,
sondern alle sind in der christlichen Zeitrechnung entsproßt.
156
Die Lebenszähigkeit des Baumes hält mit seiner Lebensfähig-
keit gleichen Schritt. Die Mutter des Waldes' ist bis zu einer
Höhe von hundertsechzehn Fuß ihrer Rinde gänzlich entblößt, und
dennoch grünt sie fröhlich weiter. Die meisten anderen im Mammuth-
haine stehenden Exemplare sind durch Waldbrände oder vielleicht
durch die Feuer der Indianer so verbrannt, daß sich in manchen
Stämmen förmliche Höhlen gebildet haben, von denen einzelne
so groß sind, daß sie einem Reiter zu Pferde den Eintritt gestatten
und an vierzig Fuß Tiefe besitzen, aber anscheinend ohne dadurch
besonders gelitten zu haben. Bei abgestorbenen, umgefallenen
Bäumen gewahrt man Höhlungen von zweihundert Fuß Länge,
die wahrscheinlich durch Alter entstanden sind. Ein von Spccu-
lanten gefällter Stamm trieb, nachdem er bereits längere Zeit ab-
gehauen war, aus dem alten Holze junge Sprößlinge. Eine solche,
fast weidenartige Lebenszähigkeit treffen wir nur bei wenigen Nadel-
hölzern, und ihr Vorhandensein darf mit Recht zu den hervor-
ragendsten Eigenthümlichkeiten der Wellingtonia gezählt werden.
Die großartigen Erfindungen und Entdeckungen unserer Zeit
haben schon mehr als einmal den kühnsten Flug dichterischer Phan-
tasie eingeholt. Vermöge des elektrischen Telegraphen stehen wir
auf dem Punkte, Puck's im Sommernachtstraum *) gegebenes
Versprechen einzulösen und in viermal zehn Minuten einen Gürtel
rings um die Erde zu ziehen; und der californischc Riese ist gewiß
mehr als ein Nebenbuhler des vou Milton2) in des Satans
Hände als Lanze gegebenen Baumes, der so groß war, daß gegen
ihn die längste der Tannen, auf Norwegens Bergen gehauen, um
eines Kriegsschiffes Mastbaum zu werden, nur ein leichter Stab
war. Doch diese Thatsache, die Verwirklichung von so manchem,
was nur als erdacht galt, hat ein Gefühl erzeugt und genährt,
mit eigenen Augen zu sehen, was in diese Kategorie gehört. Es
gab wohl kaum je eine Zeit, wo die Schaulust verbreiteter war
oder wärmere Vertheidiger fand, als die unsrige. Speculanten waren
daher nicht unthätig, dieses Gefühl auch in Betreff des Mammuth-
baumes auszubeuten. Große Menschenmassen nach dem Haine selbst
hinzuschaffen, war unmöglich; aber ausführbar war es, wenigstens
Theile jener Riescnbäume in die Mittelpunkte unserer großen Städte
zu bringen. Letzteres geschah denn auch, und die ersten Berichte
über die Wellingtonia, welche Europa erreichten, waren von der
betrübenden Nachricht begleitet, ein Vandalenact sei in Obercali-
fornien geschehen, der in unseren aufgeklärten Tagen ganz uner-
wartet war. Einer der schönsten Bäume des Haines, hieß es, sei
gefällt, um öffentlich ausgestellt zu werden. Dieser Baum hielt
an der Basis sechsundneunzig Fuß und war kerngesund. Das
Zerstörungswerk begann mit Durchlöcherung des Stammes ver-
i) II, 1. 2) Das verlorene Paradies 1. Gesang.
mittels großer Bohrer und durch Zersägen der dazwischen liegenden
Stellen, eine Arbeit, die fünfundzwanzig Leute fünf Tage beschäftigte.
Aber nachdem dieses geschehen war, fand man, daß der Baum so
senkrecht stand, daß er nicht umfallen wollte, und nur durch An-
wendung von Keilen und Mauerbrechern gelang es, während eines
heftigen Windwehens den Stamm endlich umzuwerfen. Im Fallen
wühlte er den Boden auf, trieb die Erde unter sich weg, so daß
er jetzt in einer Mulde liegt, und schleuderte Mudde und Steine fast
hundert Fuß hoch, wo sie ihre Spur an den benachbarten Bäumen
zurückließen. Der abgehauene Stamm dient jetzt als Kegelbahn.
Ein zwei Fuß langer Abschnitt des Stumpfes so wie ein Theil
der Rinde wurden später ansgestellt. Die letztere hatte man wieder
in ihre natürliche Lage zusammengefügt, und sie bildete ein ge-
räumiges, mit Teppich ausgelegtes Zimmer, welches ein Pianoforte
und Sitze für vierzig Personen enthielt. Bei einer gelegenen Zeit
ließ man hundertvierzig Kinder ohne Unbequemlichkeit hinein. Die
Oberfläche des noch in der Erde stehenden Stumpfes ist eben und
bietet hinreichenden Tanzraum für zweiunddrcißig Personen; sie ist
fünfundsiebzig Fuß im Umfange; theatralische Vorstellungen hat
man ebenfalls bei verschiedenen Gelegenheiten darauf gegeben. Sie
ist überdacht und steht durch einen Gang mit dem Gasthause <Zum
Mammulhbaume' in Verbindung. Der Erfolg, mit welchem die
öffentlichen Ausstellungen dieser Exemplare in San Francisco,
Newyork und Paris begleitet gewesen, bestimmten 1854 einen
anderen Speculanten, auch die Mutter des Waldes' bis zur Höhe
von hundertsechzehn Fuß der Rinde zu berauben, glücklicherweise,
wie schon bemerkt, ohne durch dieses barbarische Verfahren das
Leben des herrlichen Baumes zu gefährden. Fünf Leute arbeiteten
neunzig Tage daran. Während dieser Beschäftigung fiel einer
derselben hundert Fuß hoch von dem Gerüste, aber merkwürdiger-
weise ohne sich dabei mehr als ein Gliedmaß zu zerbrechen. Die
Rinde wurde in Stücken von acht Fuß Länge abgeschält und jedes
einzelne Stück verzeichnet und numeriert, so daß es in ebendieselbe
Lage, welche es am Stamme eingenommen hatte, sich wieder auf-
stellen ließ. Nachdem diese Rindenmasse im Krystallpalaste zu
Newyork ausgestellt gewesen, wurde sie 1856 nach dem Krystall-
palaste in Sydenham geschafft, und daselbst ist sie seit dem Herbste
jenes Jahres in ihrer ganzen Ausdehnung zu sehen. Der innere
Raum, welchen sie bildet, ist mit einem Tische, mit Stühlen und
anderem Hausgeräth versehen und macht ein geräumiges Visiten-
zinnner aus. Daguerreotypen und Photographien des Baumes
und des Haines, so wie lebende Pflanzen der Wellingtonia sind
ebenfalls vorhanden, und wenn diese Ausstellung einerseits uns mit
Bedauern über den Vandalismus dieser Geldmenschen erfüllt, so
führt sie andererseits uns ein Beispiel der großartigen Kraft
amerikanischer Vegetation vor.
158
Diese Vorgänge riefen die Besorgnis wach, es möchte die
letzte Spur..des Mammuthhaines innerhalb weniger Jahre ver-
schwinden. Öffentliche Zeitblätter in Amerika und Europa nahmen
sich seiner an und baten die Bundesregierung, dieses achte Wunder
der Welt sicher zu stellen; und die Behörden, ihrer Pflicht sich
bewußt, verboten denn auch aufs strengste das Fortschaffen oder
Verletzen irgend eines Baumes, und indem sie so diesem heiligen
Haine den Schutz des Gesetzes angedeihen ließen, erhielten sie
Amerika eine Sehenswürdigkeit, ebenso großartig wie die natürliche
Brücke Virginiens, die Mammuthhöhle Kentucky's und die Wasser-
fälle des Niagara.
Die Zahl der jetzt noch im Mammuthhaine stehenden Exem-
plare beläuft sich aus zweiundneunzig, denen fast allen vom Volke
romantische oder poetische Namen verliehen worden sind. Es möchte
nicht uninteressant sein, einige der vorzüglichsten hier anzuführen.
Nachdem wir das Gasthaus verlassen haben und auf dem oberen
Wege in den Wald gedrungen sind, werden wir sogleich von der
Größe der Bäume überrascht, und nachdem wir an einigen unge-
heuren Exemplaren vorbeigegangen sind, stehen wir bei der Werg-
mannshütte', achtzig Fuß im Umfange und dreihundert Fuß Höhe
erreichend. Die <HMe' oder ausgebrannte Höhle mißt siebzehn
Fuß am Eingänge und hat über vierzig Fuß Tiefe. Unsere Wan-
derung fortsetzend und das üppige Wachsthum des aus Tannen,
Cedern, Ahorn und Haselsträuchern bestehenden Unterholzes be-
wundernd, gelangen wir zu den Drei Grazien'. Diese prächtigen
Bäume scheinen zu wachsen und wachsen vielleicht auch aus Einer
Wurzel; sie bilden die schönste Gruppe des Waldes, indem sie
neben einander zu der Höhe von zweihundertneunzig Fuß sich er-
heben, von unten bis oben symmetrisch sich verdünnen und zu-
sammen den Umfang von zweiundneunzig Fuß besitzen, während
der mittlere Baum sich zweihundert Fuß erhebt, ehe er sich ver-
ästelt. Die ^Pionierhütte' nimmt jetzt unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch; sie ist hundertfunfzig Fuß hoch, da die Spitze abge-
brochen ist, und hält drciunddreißig Fuß im Durchmesser. Unsern
Gang fortsetzend, stoßen wir auf ein ganz verlassenes Wesen, das
in der Rinde viele Risse zeigt und von allen Bäumen des Waldes
am schoflichsten aussieht. Dies ist der Mte Hagestolz'; er ist
etwa dreihundert Fuß hoch und achtzig Fuß im Umfange. Des
nächsten Baumes, der Mutter des Waldes', ist wiederholt Er-
wähnung geschehen. Wir befinden uns jetzt mitten in der <Fami-
liengruppe' und stehen neben der ausgerissenen Wurzel des Waters
des Waldes'. Der Anblick ist über die Beschreibung großartig
und schön. Der ehrwürdige Water' hat schon lange sein Haupt
in den Staub gesenkt; doch wie erstaunenswerth sind selbst seine
Ruinen! Er mißt, wie schon oben bemerkt, an der Basis hundert-
zwölf Fuß im Umfange, und man kann ihn bis zu der Höhe von
159
dreihundert Fuß verfolgen, wo sein Stamm abgebrochen ist. Ein
leeres Gemach, oder besser eine ausgebrannte Höhle, geht zwei-
hundert Fuß lang in den Stamm hinein und ist groß genug, um
einen Reiter zu Pferde durchzulassen. An der Wurzel entspringt
eine Quelle. Wenn man auf dem Stamme geht und ihn von
der ausgerissenen Wurzel an verfolgt, so kann man kaum die un-
geheuren Verhältnisse fassen, während an beiden Seiten sich seine
riesigen Söhne und Töchter erheben. Im Weitergehen bemerken
wir Mann und Frau', sich liebend an einander lehnend; sie sind
sechzig Fuß im Umfange und zweihundertfunfzig Fuß hoch. ^Herkules',
eines der gigantischsten Exemplare des Waldes, steht an unsern
Pfad gelehnt, ist, wie viele andere Bäume, an der Basis ver-
brannt und hat dreihundertfünfundzwanzig Fuß Höhe und sieben-
undneunzig Fuß Umfang. Der ^Eremit', einsam und allein stehend,
fällt uns zunächst in die Augen. Dieser gerade und gut propor-
tionierte Baum mißt dreihundertzwanzig Fuß Höhe bei einem Um-
fange von sechzig Fuß. Auf dem unteren Wege wieder nach dem
Gasthause zurückkehrend, passieren wir Mutter und Sohn', die zu-
sammen dreiundncunzig Fuß im Umfange halten; die Mutter' ist
dreihundertzwanzig Fuß hoch, der <L>ohn' ein hoffnungsvoller
Jüngling von dreihundert Fuß Höhe. Die ^Zwillinge' und ihr
^Vormund' bilden die nächste Gruppe; die ^Zwillinge' entspringen aus
Einem Stamme, trennen sich in der Höhe von vierzig Fuß und
messen jeder dreihundert Fuß Höhe, ihr ^Vormund' ist achtzig Fuß
im Umfange und dreihundertfünfundzwanzig Fuß hoch. Weiterhin
steht die Mtc Jungfer', kummervoll ihr Haupt neigend; sie hat
sechzig Fuß im Umfange und ist zweihundertscchzig Fuß hoch.
Zwei sehr schöne Bäume, <Addie und Mary' genannt, fallen uns
jetzt auf; jeder von ihnen hält fünfundsechzig Fuß im Umfange
und ist fast dreihundert Fuß hoch. Wir sind nun bei der Mcit-
bahn' angelangt, einem alten umgefallenen Stamme von hundert-
funfzig Fuß Länge, der durch Waldbrände, welche in früheren Zeiten
hier wütheten, ausgehöhlt ist. Die Höhle ist am engsten Theile des
Innern zwölf Fuß, und man kann zu Pferde eine Strecke von
fünfundsiebzig Fuß Länge hineinreiten. Qnkel Tom's Hütte' erregt
hier unsere Bewunderung, ein Baum, dreihundert Fuß hoch und
fünfundsiebzig Fuß Umfang. Die Hütte besitzt eine eingebrannte
Thür von drittehalb Fuß im Durchmesser; jene selber ist groß genug,
um fünfzehn Leuten Sitzplatz zu gewähren. Wir müssen noch zweier
anderer Bäume gedenken, von denen der eine, der ^Stolz des Wal-
des', auch die Waldbraut' genannt, sich durch eine glatte Rinde
auszeichnet und bei einer Höhe von zweihundertachtzig Fuß einen Um-
fang von sechzig Fuß ausweist. Die ^Gebrannte Höhle' ist ebenfalls
und zwar deshalb merkwürdig, weil sich eine vierzig Fuß tiefe Höhle
darin findet, in die ein Reiter zu Pferde hineinreiten, sich darin
umdrehen und zurückkehren kann. Wir gelangen nun zur ^Zierde
160
des Waldes', einem Baume von fünfundsechzig Fuß im Umfange
und dreihundert Fuß Höhe, der von symmetrischer Form und mit
einer herrlichen Laubkrone versehen ist. Nachdem wir den Fahr-
weg wieder erreicht haben und uns dem Hause zuwenden, kommen
wir bei den *Zwei Wächtern' vorbei, die, von einem Umfange von
beziehungsweise fünfnndsechzig und siebzig Fuß und zu der Höhe
von dreihundert Fuß sich erhebend, ein würdiges Thor zu diesem
wunderbaren Walde bilden.
In europäische Gärten wurde die Wellingtonia zuerst 1853
eingeführt, im folgenden Jahre kostete die einzelne Pflanze vierzehn
Thaler; seit jener Zeit sind die Samen in größerer Anzahl zu uns
gekommen, so daß jetzt kaum irgend eine gärtnerische Anstalt ohne
einen oder mehrere Vertreter dieses seltsamen immergrünen Ge-
wächses ist. In England scheint es den Winter gut aushalten zu
können; aber auch in Deutschland und anderen Theilen des nörd-
lichen Europas dürfte es des Schutzes von Glashäusern nicht er-
fordern, so daß es auch in diesen Ländern als Waldbaum, der Bau-
holz liefert, angebauet werden kann. 1856 vernahm man Klagen,
daß die Wellingtonia von einer Krankheit befallen sei, in Folge deren
die jungen Zwxige abstarben. Die Gartenwelt war in Aufregung
und fürchtete, ihre neue Eroberung sei unwiderruflich verloren;
doch bald stellte sich heraus, daß der Hauptstamm und die Haupt-
zweige kräftig fortwnchsen, die sogenannte Krankheit mithin ge-
fahrlos sei. Möge der Mammuthbaum fortfahren, fröhlich fort-
zugrünen, und in den Gärten Europas dieselben riesigen Ver-
hältnisse entwickeln, welche ihn zum Gegenstände der Bewunderung
und des Erstaunens in seinen heimatlichen Thälern machen.
108.
Der Fichtcnbllum.
Von Heine.
Buch der Lieder 3 Aufl. Hamburg 1839. S. 131. — 23. Aufl. 1865. S 131. - 37. Aufl.
1874. S. 105.
Ein Fichtenbaum steht einsam Er träumt von einer Palme,
Im Norden auf kahler Höh'. Die, fern im Morgenland,
Ihn schläfert; mit weißer Decke Einsam und schweigend trauert
Umhüllen ihn Eis und Schnee. Auf brennender Felsenwand.
109.
Billet doux von Görgel an seinen Herrn.
Von Claudius.
Aamus omnia gua secum portans. Wandsbecker Bote. Hamburg 1775. II, 47.
Es schneit noch immer, mein lieber Herr, als ob's gar nicht
wieder aufhören wolle.
161
Was doch eine Menge Schnee in der Welt ist! Hier so viel
Schnee und in der Pfalz so viel! und in Amerika! und in der
Tanne! — ich pflege denn so meinen Gang nach der Tanne zu
haben, weiß Er wohl. Der große Wald ist von Natur mein Lust-
revier, und die Tanne liegt mir so bequem, grade am Thor, und führt
eine schöne lange Lindenallee dahin; denn sind auch immer so viel
arme Leute darin, alt und jung, die Holz sammeln und auf dem
Kops nach Hause tragen, und das seh' ich so mit an und gehe
meinen Gang hin. Seit der viele Schnee gefallen ist, fehlt mir
aber meine Gesellschaft; die armen Leute können nicht zu, und ich
kann denken, daß sie sowohl hier, als überall, wo viel Schnee
liegt, bei der Kälte übel daran sind. Mein Herr hat gottlob einen
warmen Nock und eine warme Stube, da merkt er's nicht so;
aber wenn man nichts in und um den Leib hat und denn kein
Holz im Ofen ist, da sriert's einen gewaltig.
Am Nordpol, hinter Frankfurt, soll Sommer und Winter
hoch Schnee liegen, sagen die Gelehrten, und in den Hundstagen
treiben da Eisschollen in der See, die so groß sind, als die ganze
Herrschaft Epstein, und thauen ewig nicht auf! Und doch hat der
liebe Gott allerlei Thiere da, und weiße Bären, die aus den Eis-
schollen herumgehen und guter Dinge sind, und große Walfische
spielen in dem kalten Wasser und sind fröhlich. Ja, und auf der
andern Seite, unter der Linie, über Heidelberg hinaus, brennt die
Sonne das ganze Jahr hindurch, daß man sich^die Fußsohlen am
Boden sengt. Und hier bei uns ist's bald Sommer und bald
Winter. Nicht wahr, mein lieber Herr, das ist doch recht wunder-
bar! und der Mensch muß es sich heiß und kalt um die Ohren
wehen lassen und kann nichts davon noch dazu thun, er sei Fürst
oder Knecht, Bauer oder Edelmann. Wenn ich das so bedenke,
so fällt's mir immer ein, daß wir Menschen doch eigentlich nicht
viel können, und daß wir nicht stolz und störrisch, sondern lieber
hübsch bescheiden und demüthig sein sollten. Sieht auch besser
aus, und man kommt weiter damit.
Nun Gott befohlen, lieber Herr, und wenn Er'n Stück Holz
übrig hat, geb' Er's hin, und denk' Er, daß die armen Leute keine
weiße Bären noch Walfische sind.
Sein Diener
10. Januar.
G ö r g e l.
110.
Der Fichtenbaum.
Bon Scheurlin.
Gedichte 2. Ausgabe. Ansbach 1852. S. 117.
Einsam aus grauer Höh';
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch II.
Der Knabe zieht im Nachen
Entlang den blauen See.
11
162
Die Fichte tief versunken
In dunklen Träumen sinnt;
Der Knabe kost der Welle,
Die schäumend niederrinnt.
'O Fichtcnbaum dort oben,
Du finsterer Gesell,
Was schaust du stet« so trübe
Auf mich zu dieser Stell'?' —
Da rühret er mit Trauern
Der Zweige kühlen Saum
Und spricht in leisen Schauern,
Der alte Fichtenbaum:
*Daß bald die Axt mich suchet
Zu deinem Lodtenschrein,
Das macht mich stets so trübe,
Gedenk' ich, Knabe, dein!'
111.
Preis der Tanne.
Von Kerner.
Dichtungen 3. Aufl. Stuttgart und Tübingen 184t. I, 10.
jüngsthin hört' ich, wie die Rebe
Mit der Tanne sprach und schalt:
'Stolze! himmelwärts dich hebe,
Dennoch bleibst du starr und kalt!
'Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wegemüden, gleich wie du,
Führet doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimat zu.
And im Herbste — welche Wonne
Bring' ich in des Menschen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne,
Wenn die alte löschet aus.'
So sich brüstend, sprach die Rebe;
Doch die Tanne blieb nicht stumm,
Säuselnd sprach sie: 'Gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preis und Ruhm.
'Eines doch ist mir beschieden:
Mehr zu laben, als dein Wein,
Lebensmüde; — welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!'
Ob die Rebe sich gefangen
Gab der Tanne, weiß ich nicht;
Doch sie schwieg, und Thränen hangen
Sah ich ihr am Auge licht.
112.
Der Weinstock.
Von Herder.
Sämmtl. Werke. Zur schön. Lit. u. Kunst. Stuttg. u. Tüb. 1805. IX, 1?. - 1828. IX, 19.
Am Tage der Schöpfung rühmten die Bäume gegen ein-
ander, frohlockend ein jeglicher über sich selbst. Mich hat der Herr
gepflanzt/ so sprach die erhabene Ceder; ^Festigkeit und Wohl-
geruch, Dauer und Stärke hat er in mir vereint.' ^Jehovah's
Huld hat mich zum Segen gesetzt,' so sprach der umschattende Pal-
menbaum; Mutzen und Schönheit hat er in mir vermählet.'
Der Apfelbaum sprach: Wie ein Bräutigam unter den Jünglingen,
prange ich unter den Bäumen des Paradieses.' Und die Mirte
sprach: Wie unter den Dornen die Rose, stehe ich unter meinen
Geschwistern, dem niedrigen Gesträuch.' So rühmten alle, der
Öl- und Feigenbaum, selbst die Fichte und Tanne rühmten sich.
Der einzige Weinstock schwieg und sank zu Boden. Mir/
sprach er zu sich selbst, scheint alles versagt zu sein, Stamm und Äste,
Blüten und Frucht; aber so, wie ich bin, will ich noch hoffen
und warten.' Er sank danieder, und seine Zweige weinten.
Nicht lange wartete und weinte er; siehe, da trat die Gottheit
der Erde, der freundliche Mensch, zu ihm. Er sah ein schwaches
Gewächs, ein Spiel der Lüfte, das unter sich sank und Hülfe
begehrete. Mitleidig richtete er's auf und schlang den zarten Baum
an seine Laube. Froher spielten ansetzt die Lüfte mit seinen Reben,
die Glut der Sonne durchdrang ihre harten grünenden Körner,
bereitend in ihnen den süßen Saft, den Trank für Götter und
Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt, neigete bald der Wein-
stock sich zu seinem Herrn nieder, und dieser kostete seinen erquicken-
den Saft und nannte ihn seinen Freund. Die stolzen Bäume be-
neideten jetzt die schwanke Ranke: denn viele von ihnen standen
schon entfeuchtet da; er aber freute sich seiner schlanken Gestalt
und seiner harrenden Hoffnung.
Darum erfreut sein Saft noch jetzt des Menschen Herz und
hebt empor den niedergesunkenen Muth und erquicket den Be-
trübten.
Verzage nicht, Verlassener, und harre duldend aus. Im un-
ansehnlichen Rohre quillt der süßeste Saft; die schwache Rebe ge-
biert Begeistrung und Entzückung.
113.
Hoffnung.
Von Gcibel.
JuniusNeder. Stuttgart und Tübingen 1848. S. 136. — 16. Aufl. 1865. S. 140. —
21. Aufl. 1873. S. 139.
ilnb dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Geberden,~
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.
Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.
11*
TsTTffif tTfmyffiWf
164
Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gieb dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden.
114.
Im Junius.
Bon Claudius.
Wandsb. Bote. Hamburg 1775. l, 50. — Werke 1814. l, 26.
Aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön, wenn
der Dornstrauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen
pranget! So'n heller Decembertag ist auch wohl schön und
dankenswerth, wenn Berg und Thal in Schnee gekleidet sind und
uns Boten in der Morgenstunde der Bart bereift; aber die Lenz-
gestalt der Natur ist doch wunderschön! Und., der Wald hat Blätter,
und der Vogel singt, und die Saat schießt Ähren, und dort hängt
die Wolke mit dem Bogen vom Himmel, und der fruchtbare Regen
rauscht herab —
Wach auf, mein Herz, und singe,
Dem Schöpfer aller Dinge u. s. w.
'S ist, als ob Er vorüber wandle, und die Natur habe sein
Kommen von ferne gefühlt und stehe bescheiden am Weg in ihrem
Feierkleid und frohlocke!
115.
Abseits.
Von Storm.
Sommergeschichten und Lieder. Berlin 1851. S. 14.
Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittayssonnenstrahle,
Ein rosenrother Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen;
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen;
Die Vögel schwirren aus dem Kraut —
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
165
Ein halbverfallen Schindclhaus
Steht einsam hier und sonnbeschiencn;
Der Käthncr lehnt zur Thür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten,
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten. —
Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
116.
Aufmunterung zur Freude.
Von Ludwig Hölty.
Gedichte, herausg. v. I- H. Boß. Weißenfels 1
Hannover 1858. S. 183. — Gedichte, herausg.
Düer wollte sich mit Grillen plagen,
So lang' uns Lenz und Jugend blühn?
Wer wollt' in seinen Blütentagen
Die Stirn' in düstre Falten ziehn?
Die Freude winkt auf allen Wegen,
Die durch dies Pilgerleben gehn;
Sie bringt uns selbst den Kranz ent-
gegen,
Wenn wir am Scheidewege stehn.
Noch rinnt und rauscht die Wiesen-
quelle,
Noch ist die Laube kühl und grün;
314. S. 251. — Gedichte, herausg. von Voigts,
von Halm. Leipzig 1869. S. 203. (Gekürzt.)
Noch scheint der liebe Mond so helle,
Wie er durch Adam's Bäume schien.
Noch tönt der Busch voll Nachti-
gallen
Dem Jüngling hohe Wonne zu;
Noch strömt, wenn ihre Lieder schallen,
Selbst in zerrißne Seelen Ruh!
O wunderschön ist Gottes Erde
Und werth, darauf vergnügt zu sein!
Drum will ich, bis ich Asche werde,
Mich dieser schönen Erde freun!
117.
Aus Wertheres Leiden.
Von Goethe.
Werke. Stuttgart und Tübingen 1840. XIV, 7.
Am 10. Mai.
Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele einge-
nommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem
Herzen genieße. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in
dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist, wie die meine.
Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von
ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet. Ich
könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein
größerer Maler gewesen, als in diesen Augenblicken. Wenn das
liebe Thal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Ober-
fläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und
nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligthum stehlen, ich
dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an
der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden;
166
wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die
unzähligen unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen,
näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des All-
mächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des All-
liebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält;
mein Freund, wenn's dann um meine Augen dämmert und die
Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn
wie die Gestalt eines geliebten Menschen: dann sehne ich mich oft
und denke: ^Ach, könntest du das wieder ausdrücken, könntest dem
Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es
würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel
des unendlichen Gottes! — Mein Freund — aber ich gehe dar-
über zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser
Erscheinungen.
118.
Frühlingsbotschsft.
Von Heine-
Neue Gedichte. Hamburg 1844. S. 11. - 4. Aufl. 1853. S. 10. - 8. Aufl. 1859. S. 10. -
8. Aufl. 1868. S. 144.
Aeise zieht durch mein Gemüth
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen;
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß' sie grüßen.
119.
Vorüber.
Bon Klette.
Gedichte. Berlin 1852. S. 23.
vorüber, wo die lichte Rose
In süßen Düften träumt und glüht,
Vorüber, wo im Windgekose
Die volle Ähre schwankt und müht!
Vorüber, wo die dunkelhelle
Waldstille birgt der Liebe Rast,
Vorüber, wo die muntre Quelle
Fortplaudert in geschwätz'ger Hast!
Vorüber an dem bängsten Traume,
Vorüber an der frohsten Lust-----------
Du rascher Fuß, daß du am Raume
So engen Grabes halten mußt!
120.
Der Dorskirchhos.
Von Adolf Stöber.
Gedichte. Hannover 1845. S. 113.
«friedlich Dorf! nach alter Sitte In des stillen Hofes Mitte,
Hast du noch dein Kirchlein stehn Wo zur Ruh die Todten gehn.
Sonntags wallet die Gemeine
Beim Geläute da heraus;
Zwischen Kreuz und Leichensteine
Zieht die Schar ins Gotteshaus.
Wird sie nichts um Gräber lenkend,
Schon zu tieferm Ernst gestimmt,
Daß die Seel', ihr End' bedenkend,
Besser Gottes Wort vernimmt?
Will sein Kind zur Taufe tragen
Hier ein Vater wohlgemuth,
Sieht er erst die Hügel ragen,
Wo so manches Kindlein ruht.
Flüstert nicht ein Hauch des Windes
Aus der Kleinen Gruft herauf:
'Pflege doch des zarten Kindes,
Zieh es früh zum Himmel auf!'?
Wenn beim hellen Festgeläute
Naht die muntre Hochzeitsschar,
Wandeln die geschmückten Bräute
Zwischen Grüften zum Altar.
Bor der Jungfrau mit der Krone
Bebt am Kreuz der Flitterkranz,
Mahnt zum Ernst mit leisem Tone
Mitten durch Musik und Tanz.
Aber wankt in tiefen Schmerzen
Eine Schar znm Grabesrand,
Dann für die gebrochnen Herzen
Ist der Trost auch nah zur Hand.
Gleichwie sanfter ja die Kinder
Weinen in der Mutter Schoß,
So vor Gottes Haus gelinder
Ringen sich die Thränen los.
Sanfter selbst die Todten ruhen
In der Kirche Hut und Acht,
Gleichwie Kinder in den Truhen,
Wo die treue Mutter wacht. —
Dörfleiu! deine Kirch' umkränzet
Grün des Friedhofs ernst Geheg,
Und der Todtenacker grenzet
Hart an deinen Lebensweg.
Wenn in deine Fest' und Freuden
Oft ein Sterbgedanke bricht.
So verklärt sich auch dein Leiden
In de« ew'gen Glaubens Licht.
121.
Die Linde am Friedhof.
Von Jäger-
Ule und Müller: Die Natur 9. Jahrgang. Halle, März 1860. Nr. 13. (Gekürzt.)
Schmücke dich wieder mit saftigem Grün, du ewig junge,
schöne Linde des Friedhofs; denn die Zeit der Auferstehung ist
wieder da! Frühling ist gekommen mit milder Luft, mit Blumen
und Vogelgesang. Äffne deine Knospen und breite deine weichen
Blättchen aus; strecke die zarten Triebe in den warmen Sommer
hinein, daß sie sich wieder mit duftigen Blüten schmücken! Be-
schatte wieder das alte bemooste Kirchendach und verhülle den
kleinen Turm mehr und mehr: denn du bist größer und herrlicher,
alö die gebrechlichen Werke der Menschen.
Weit hinaus ragst du von deinem Hügel in das Land, hoch
über alle Bäume der Umgegend und über alle Häuser hinweg,
und kein Kirchturm reicht zu dir hinaus weit und breit, keiner
wird so weit gesehen, als du. An deiner hohen Kuppel erkennt
der Wandrer den Ort, wo das Dorf liegt, und wenn er durch
das hohe Korn geht und nichts sieht als ein Meer von wogenden
Halmen, da erscheinst du allein im weiten Umkreise, und im heißen
Brande des Mittags blickt er mit Sehnsucht auf dein kühles Laub-
dach. Der Schnitter auf dem Felde und die Heuerin auf der
Wiese sehen verlangend zu dir hinüber und seufzen, daß du so
fern bist mit deiner Kühle. Im Winter aber, wenn der Schnee-
sturm die Spuren des einsamen Feldweges verwehte, bist du die
Führerin durch die öde Flur und leitest sicher zu den Feuern des
Dorfes. Zu dir kommen die Vögel in Scharen, um auf dir zu
ruhen, um auf deinen Zweigen, in deinen Klüften zu wohnen und
zu lieben.
Du bist die Königin der Bäume ringsumher, und das Dorf
streckt sich zu deinen Füßen, als gehörte es dir zu eigen. Du
kennst sie alle, deine Unterthanen, die Bewohner des Dorfes, —
alle, die Lebenden, wie die einst lebten und sich deiner erfreuten;
denn du siehst sie in das Feld gehen und auf ihren Straßen,
Höfen und Gärten. Sie kommen zu dir stilles Schrittes, wenn
sie zur Kirche gehen, und noch leiser, wenn sie einen Abgeschiede-
nen zur Ruhestätte begleiten. Sie kommen zu dir, um in deinem
Schatten zu ruhen oder traulich zu plaudern; denn du stehest dicht
am Wege in den zerfallenden Kirchhofsmauern, und die Stein-
bank ladet zum Sitzen ein, dein Schatten zum Erquicken, dein
Dach zum Schutz, wenn plötzlicher Regen die Heimkehrenden über-
rascht. Sie kommen zu dir als rothwangige Kinder; denn unter
deiner breiten Krone ist es kühl und trocken zum Spiel, und deine
weitgestreckten, mächtigen Wurzeln werden zu Bänken und Tischen,
die Höhlungen deines Stammes zu Häuschen für die lieben Klei-
nen. Sie kommen zu dir im trauten Abendschein, um im süßen
Duft deiner Blüten zu träumen von vergangenen und zukünftigen
Tagen; denn es ist still und ahnungsvoll unter dir, und du
schreckst sie nur manchmal durch einen fallenden dürren Zweig auf
oder durch leises Rauschen, wenn der Nachtwind durch deinen hohen
Wipfel geht.
Und die nicht zu dir kommen können, die alten Freunde und
Bekannten, die suchst du auf mit tausend Wurzeln in ihrem kühlen
Bett unter dem Rasen, durchdringst ihren irdischen Staub und
führst ihn geläutert hinauf in das sonnige Leben und vereinigst
ihn mit dir selber. Du schaffst aus ihnen Blätter, Blüten und
Zweige und nimmst zu an Kraft und Mächtigkeit, ein lebendes
Denkmal aller, die einst um dich waren. Alte Linde! du hast sie
alle gekannt, die dort schlummern, und alle werden zu dir kommen,
die jetzt noch deiner „sich freuen. Ach! der Thränen, die geflossen
sind unter deinen Asten, Zweigen, Blättern und Blüten, sind
mehr, als der Tropfen Thaues auf deinen Blättern in der Som-
mernacht. Ist es nicht, als ob die rauschenden, fließenden Blätter
dem Lebenden Grüße brächten aus der Tiefe des Grabes?
So geschah es seit Jahrhunderten, und so wird es sein viel-
leicht noch manches Meisichenalter lang, bis das letzte Blatt ge-
fallen und der alternde Stamm, vom Sturm oder Blitz zerrissen,
selbst auf den Gräbern liegt.
Ja, du bist groß und herrlich, alte, mächtige Linde des Fried-
hofs, du bist die Schönste in weiter Flur. Grüne und blühe noch
lange auf deinem stillen Hügel, neben der alten Kirche! Beschütze
die lieblichen Kinder, gieb Ruhe den Müden und Alten, erfreue
alle und entzücke noch Tausende eine lange, lange Zeit! Und die
dir am nächsten wohnen in stiller Ruhe, alle, alle, die endlich zu
dir kommen: nimm sie auf, o, nimm sie auf in deinen Frieden!
122.
Schnittcrlicd.
Volkslied.
Simrock: Die deutsch. Volköl. Frankfurt 1851. S.
Es ist ein Schnitter, heißt der
Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott;
Heut wetzt er das Messer,
Es schneid't schon viel besser,
Bald wird er drein schneiden,
Wir müssen's nur leiden.
Hüte dich, schön'« Blümelein!
Was heut' noch grün und frisch
dasteht,
Wird morgen schon hinweg gemäht:
Die edlen Narzissen,
Die englischen Schlüsseln,
Die schönen Hyazinthen,
Die türkischen Binden.
Hüte dich, schön'S Blümelein!
Viel hunderttausend ungezählt,
Was nur unter die Sichel fällt:
Rothe Rosen, weiße Lilien,
Euch wird er austilgen;
Auch euch Kaiserkronen
Wird er nicht verschonen.
Hüte dich, schön's Blümelein!
Das Himmelfarben Ehrenpreis,
Die Tulipanen gelb und weiß,
Die silbernen Glöckchen,
> -----------------------------------
579. — Vergl. Des Knab. Wunderh. 1806. I, 55.
Die goldenen Flöckchen,
Sinkt alles zur Erden,
Was wird daraus werden?
Hüte dich, schön's Blümelein!
Ihr hübsch Lavendel, Rosmarein,
Ihr vielfarbigen Röselein,
Ihr stolzen Schwertlilien,
Ihr krausen Basilien,
Ihr zarten Violen,
Man wird euch bald holen.
Hüte dich, schön's Blümelein!
Aus Seiden ist der Fingerhut,
Aus Sammet ist das Wohlgemuth.
Noch ist er so blind,
Nimmt, was er nur find't,
Kein Sammet, kein Seiden
Mag ihn vermeiden.
Hüte dich, schön's Blümelein!
Trotz, Tod, komm her, ich fürcht'
dich nit'
Eil daher in Einem Schritt.
Und werd' ich verletzet,
So werd' ich versetzet
In den himmlischen Garten,
Auf den alle wir warten.
Freue dich, schön's Blümelein!
123.
Abschied.
Von Spitta.
Psalter und Harfe. Bd. l. 18. Aufl. Leipzig 1854. S. 149. — 30. Aufl. 1866. S- 149. -
32. Aufl. 1872. S. 149.
Rias macht ihr, daß ihr weinet Im Herrn sind wir vereinet
Und brechet mir mein Herz? Und bleiben's allerwärts.
170
Das Band, das uns verbindet,
Löst weder Zeit noch Ort;
Was in dem Herrn sich findet,
Das währt in ihm auch fort.
Man reicht sich wohl die Hände,
Als sollt's geschieden sein,
Und bleibt doch ohne Ende
Im innigsten Verein.
Man sieht sich an, als sähe
Man sich zum letztenmal,
Und bleibt in gleicher Nähe
Dem Herrn doch überall.
Man spricht: 'Ich hier, du dorten,
Du ziehest, und ich bleib'!'
Und ist doch aller Orten
Ein Glied an Einem Leib.
Man spricht vom Scheidewege
Und grüßt sich einmal noch,
Und geht auf Einem Wege
In gleicher Richtung doch.
Was sollen wir nun weinen
Und so gar traurig sehn!
Wir kennen ja den Einen,
Mit dem wir alle gehn,
In Einer Hut und Pflege,
Geführt von Einer Hand,
Auf Einem sichern Wege
Ins Eine Vaterland.
So sei denn diese Stunde
Nicht schwerem Trennungsleid,
Nein, einem neuen Bunde
Mit unserm Herrn geweiht.
Wenn wir uns ihn erkoren
Zu unserm höchsten Gut,
Sind wir uns nicht verloren,
Wie weh auch Scheiden thut.
124.
Die Mutter im Sarge.
Von Knapp.
Evangelischer Liederschatz. Stuttgart und Tübingen 1837. Nr. 3431. — 3. Ausl. 1865.
Eingesargt zum letzten Schlummer,
Blaß, in weißem Sterbekleid,
Ohne Schmerzen, ohne Kummer,
Seh' ich dich mit stillem Leid,
Vielgetreue Mutter du!
Jetzo trägt man dich zur Ruh!
Schlummre süß im kühlen Grunde
Bis zur Auferstehungsstunde!
Auye, das mit Lieb und Sehnen
Oft die Seinen angeblickt, —
Segnend, mit viel tausend Thränen
Haben wir dich zugedrückt.
Nie auf dieser Erde mehr
Blickst du zärtlich auf uns her;
Doch zu Wiedersehensgrüßen
Wirst du heller dich erschließen.
Hand, die treulich uns geleitet,
Die uns nichts als Liebe gab,
Freud' und Trost um uns ver-
breitet, —
Ruhe nun im stillen Grab!
Unermüdet war dein Fleiß,
Und dein Tagewerk war heiß;
Wenn die Todten auferstehen,
Wird in dir die Palme wehen!
Edler Mund, zum Reinen, Großen
Und zu Lieb' und mildem Wort
Freundlich, lieblich aufgeschlossen, —
Nimmer tönest du hinfort;
Aber was die Lippe sprach,
Tönt in unsern Herzen nach,
Bis nach langer Grabesstille
Halleluja dir entquille.
Herz, das ohne Falsch geschlagen,
Für den Gatten, für das Kind,
Das uns sterbend noch getragen, —
O wie ruhest du so lind!
Weinend, dankend rufen wir:
Ew'ger Segen folge dir!
Wenn die Grüfte sich bewegen,
Schlage wieder uns entgegen!
Dann wird froh die Thräne fließen,
Wie sie jetzt in Trauer fließt;
Froh wird dich dein Kind begrüßen,
Das dich heut' in Thränen grüßt;
Dann, dann wird der schwere Stein
Weg von deinem Grabe sein;
Jesus war im Tod dein Leben,
Ewig darfst du vor ihm schweben!
171
125.
Zieht den Hut ab, Kinder, es folgt ein Sterbebett.
Bon Pestalozzi.
Lienhard und Gertrud, nach der ursprünglichen Ausgabe. Zürich 1814. S- 31.
Hübelrudi saß eben bei seinen vier Kindern. Bor drei Mo-
naten war ihm seine Frau gestorben, und jetzt lag seine Mutter
sterbend auf einem Strohsack und sagte zu Rudi: <Suche mir doch
diesen Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.' —
<O Mutter, sobald das Feuer im Ofen erloschen sein wird, will
ich gehen,' sagte Rudi.
Die Mutter. Hast du auch noch Holz, Rudi? Ich denke
wohl, nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kin-
dern weg. O Rudi, ach, ich bin dir zur Last!
Rudi. O Mutter, Mutter! sage doch das nicht; du bist mir
nicht zur Last! Mein Gott, mein Gott! könnte ich dir nur auch,
was du nöthig hast, geben! Du dürstest, du hungerst, und klagst
nicht; das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Gräme dich nicht, Rudi! Meine Schmerzen
sind, gottlob, nicht groß, und Gott wird bald helfen, und mein
Segen wird dir lohnen, was du mir thust.
Rudi. O Mutter! noch nie that mir meine Armuth so weh
als jetzt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott!
so krank und elend leidest du und trägst meinen Mangel!
Die Mutter. Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht
man wenig mehr aus Erden; und was man braucht, giebt der
Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; denn er stärkt mich in
meiner nahen Stunde.
Rudi (in Thränen). Meinest du denn, Mutter, du erholest
dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein, Rudi, gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! ich gehe ins bessere Leben.
Rudi (schluchzend). O Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! Du warst die Freude meiner
Jugend und bist der Trost meines Alters; und nun danke ich Gott.
Deine Hände werden jetzt bald meine Augen schließen; dann werde
ich zu Gott kommen, und ich will für dich beten, und es wird dir
wohl gehen ewiglich. Denke an mich, Rudi! alles Leiden und aller Jam-
mer dieses Lebens, wenn sie überstanden sind, machen einem nur wohl.
Mich tröstet und mir ist heilig alles, was ich überstanden habe, so
gut, als alle Lust und Freude des Lebens. Ich danke Gott für die
frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber wenn die Frucht
des Lebens im Herbste reiset und der Baum sich zum Schlafe
des Winters entblättert, dann ist das Leiden des Lebens ihm
heilig, und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum.
Denke an mich, Rudi! es wird dir wohl gehen bei allen deinen
Leiden.
Rudi. O Mutter, liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jetzt noch eins, Rudi!
Rudi. Was, Mutter?
Die Mütter. Es liegt mir seit gestern wie ein Stein auf
dem Herzen; ich muß dir es sagen.
Rudi. Was ist es denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich sah gestern, daß sich der Rudeli hinter
meinem Bette versteckte und gebratene Erdäpfel aus seinem Sacke
aß. Er gab seinen Geschwistern, und auch sie aßen verstohlen.
Rudi, diese Erdäpfel sind nicht unser; sonst würde der Junge sie
auf den Tisch geworfen und seinen Geschwistern laut gerufen
haben. Ach, er würde mir auch einen gebracht haben, wie er es
tausendmal that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er so
mit etwas auf den Händen zu mir sprang und so herzlich zu mir
sagte: ^Jß auch, Großmutter!' — O Rudi! wenn dieser Herzens-
junge ein Dieb werden sollte! O Rudi! wie mir dieser Gedanke
seit gestern so schwer macht! Wo ist er? Bring mir ihn; ich
will mit ihm reden.
Rudi. O ich Elender! (Er läuft geschwind, sucht den Knaben und
bringt ihn der Mutter ans Bett.) — Die Mutter setzt sich mühselig zum
letztenmal auf, kehrt sich gegen den Knaben, nimmt seine beiden
Hände in ihre Arme und senkt das schwache, sterbende Haupt hinab
auf den Knaben. Der Kleine weint laut. ^Großmutter, was
willst du? Du stirbst doch nicht! Ach, stirb doch nicht, Groß-
mutter!' — Sie antwortet gebrochen: <Ja, Rudeli, ich werde ge-
wiß bald sterben.' — *Jesus, ach mein Gott! stirb doch nicht, Groß-
mutter!' sagt der Kleine. — Die Kranke verliert den Athem und
muß sich niederlegen. Der Knabe und sein Vater zerfließen in
Thränen. — Die Mutter erholt sich aber wieder und sagt: <Es ist
mir schon wieder besser, da ich jetzt liege.' — Und der Rudeli: Du
stirbst doch jetzt nicht mehr, Großmutter?'
Die Mutter. Thu doch nicht so, du Lieber! Ich sterbe ja
gern und werde dann auch zu einem lieben Vater kommen. Wenn
du wüßtest, Rudeli, wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kom-
men soll, du würdest dich nicht so betrüben.
Rudeli. Ich will mit dir sterben, Großmutter, wenn du stirbst.
Die Mutter. Nein, Rudeli, du wirst nicht mit mir sterben; du
wirst, will's Gott, noch lange leben und brav werden und, wenn
einst dein Vater alt und schwach sein wird, seine Hülfe und sein
Trost sein. Gelt, Rudeli, du willst ihm folgen und brav werden
und recht thun? Versprich mir es, du Lieber!
Rudeli. Ja, Großmutter! ich will gewiß recht thun und ihm
folgen.
173
Die Mutter. Nudelt, der Vater im Himmel, zu dem ich jetzt
bald kommen werde, sieht und hört alles, was wir thun und was
wir versprechen. Gelt, Rudeli, du weißt das, und du glaubst es?
Rudeli. Ja, Großmutter, ich weiß es und glaube es.
Die Mutter. Aber warum hast du denn doch gestern hinter
meinem Bette verstohlen Erdäpfel gegessen?
Rudeli. Verzeihe es mir doch, Großmutter! ich will eS nicht
mehr thun. Verzeihe mir es doch! ich will es gewiß nicht mehr
thun, Großmutter.
Die Mutter. Hast du sie gestohlen?
Rudeli (schluchzend). J-j-ja, Großmutter.
Die Mutter. Wem hast du sie gestohlen?
Rudeli. Dem Mau-Mau-Maurer.
Die Mutter. Du mußt zu ihm gehen, Rudeli, und ihn bitten,
daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter, um Gottes willen, ich darf nicht!
Die Mutter. Du mußt, Rudeli, damit du es ein andermal
nicht mehr thust. Ohne Widerrede mußt du gehen, — und um
Gottes willen, mein Lieber! nimm doch nichts mehr! Gott ver-
läßt niemand; er giebt allemal wieder. O Rudeli, wenn es dich
schon hungert, wenn du schon nichts hast und nichts weißt, traue
aus deinen lieben Gott, und stehle nichts mehr.
Rudeli. Großmutter! Großmutter! ich will gewiß nicht mehr
stehlen; wenn mich schon hungert, ich will nicht mehr stehlen!
Die Mutter. Nun, so segne dich denn mein Gott, aus den
ich hoffe, und er bewahre dich, du Lieber!
Sie drückt ihn an ihr Herz, weint und sagt dann: <Du
mußt jetzt zum Maurer gehen und ihn um Verzeihung bitten.
Rudi, gehe doch auch mit ihm und sage des Maurers Leuten,
daß auch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid sei,
daß ich ihnen die Erdäpfel nicht zurückgeben könne; und sage ihnen,
ich wolle Gott für sie bitten, daß er ihnen ihr übriges segne. Es
thut mir so wehe; sie haben das Ihrige auch so nöthig; und wenn
die Frau nicht Tag und Nacht so arbeitete, sie könnten sich bei
ihrer großen Haushaltung fast nicht durchbringen. Rudi, du ar-
beitest ihm gern ein paar Tage dafür, daß er das Seinige wieder
erhalte; nicht wahr?'
Rudi. Ach mein Gott, von Herzen gern, meine liebe Mutter.
Da er eben das sagte, klopfte der Vogt ans Fenster.
Und die Kranke erkannte ihn an seinem Husten und sagte:
‘D Gott, Rudi, es ist der Vogt. Gewiß sind das Brot und der
Anken (Butter), wovon du mir Suppen kochest, noch nicht bezahlt.'
Rudi. Um Gottes willen, bekümmre dich nicht, Mutter! es ist
nichts daran gelegen. Ich will ihm arbeiten und in der Ernte
schneiden, was er will.
Mch, er wartet dir nicht,' sagte die Mutter. Und der Rudi
174
geht aus der Stube zum Vogt; die Kranke aber seufzt bei sich
selber und sagt: <Seit unserm Handel — Gott verzeih' ihn dem
armen verblendeten Tropf! — ist mir immer ein Stich ins Herz
gegangen, wenn ich ihn sah; und — ach Gott! — in meiner
nahen Stunde muß er noch vor mein Fenster kommen und husten.
Es ist Gottes Wille, daß ich ihm ganz, daß ich ihm jetzt verzeihe
und den letzten Groll überwinde und für seine Seele bete. Ich
will es thun. — Gott, du leitetest den Handel; verzeih ihm!
Vater im Himmel, verzeih ihm!'
Sie hört jetzt den Vogt laut reden, erschrickt und sagt: <Ach
Gott! er ist zornig. O du armer Rudi! Du kommst um meinet-
willen unter seine Hände.' Sie hört ihn noch einmal reden und
sinkt in Ohnmacht. — Der Rudeli springt aus der Stube zum
Vater und ruft ihm: <Vater! komm doch, komm doch! die Groß-
mutter ist, glaub' ich, todt.' — Der Rudi antwortete: <Herr Jesus!
Vogt, ich muß in die Stube.' — Und der Vogt: <Ja es thut
noth; das Unglück wird gar groß sein, wenn die Hexe einmal
todt sein wird.' — Der Rudi hörte nicht, was er sagte, und war
schnell in der Stube. Die Kranke erholte sich bald wieder, und
wie sie die Augen öffnete, sagte sie: <Er war zornig, Rudi; er
will dir gewiß nicht warten?'
Rudi. Nein, Mutter, es ist etwas recht Gutes. Aber hast
du dich auch wieder recht erholt?
<Ja,' sagt die Mutter, ernsthaft und wehmüthig ihn ansehend.
Was Gutes kann dieser bringen? Was sagst du? Willst du
mich trösten und du allein leiden? Er hat dir gedroht.'
Rudi. Nein, weiß Gott, Mutter! er hat mir angesagt, ich
sei Taglöhner beim Kirchbau, und der Junker zahle einem des
Tags fünfundzwanzig Kreuzer.
Die Mutter. Herr Gott! ist das auch wahr?
'Rudi. Ja gewiß, Mutter! und es ist da mehr als für ein
ganzes Jahr Arbeit.
Die Mutter. Nuu sterbe ich leichter, Rudi. Du bist gut,
mein lieber Gott! Sei doch bis an ihr Ende ihr guter Gott!
Und, Rudi, glaub es doch ewig fest: Je größer Noth, je näher
Gott!
Sie schwieg jetzt eine Weile; dann sagte sie wieder: <Jch
glaube, es sei mit mir aus; mein Athem nimmt alle Augenblicke
ab. Wir müssen scheiden, Rudi; ich will Abschied nehmen.'
Der Rudi bebt, zittert, nimmt seine Kappe ab, fällt auf seine
Knie vor dem Bette seiner Mutter, faltet seine Hände, hebt seine
Augen gen Himmel und kann vor Thränen und Schluchzen nicht
reden. Dann sagt die Mutter: <Fasse Muth, Rudi, zu hoffen aufs
ewige Leben, wo wir uns wiedersehen werden. Der Tod ist ein
Augenblick, der vorübergeht; ich fürchte ihn nicht. Ich weiß, daß
mein Erlöser lebt, und daß er, mein Erretter, wird über meinem
175
Staube stehen; und nachdem sich meine Haut wiederum wird über
das Gebein gezogen haben, alsdann werde ich in meinem Fleische
Gott sehen. Meine Augen werden ihn sehen und nicht eines
andern.' _
Der Rudi hat sich wieder erholt und sagte: Wo gieb mir
deinen Segen, Mutter! Will's Gott, komme ich dir auch bald
nach ins bessere Leben.' — Und dann die Mutter: ^Erhöre mich,
Vater im Himmel! und gieb deinen Segen meinem Kinde, dem
einzigen, so du mir gegeben hast, und das mir so innig lieb ist.
Rudi! mein Gott und mein Erlöser sei mit dir; und wie er Isaak
und Jakob um ihres Vaters Abraham willen Gutes gethan hat,
ach so möge er auch um meines Segens willen dir Gutes thun
die Fülle, daß dein Herz sich wieder erfreue und frohlocke und s«i-
nen Namen preise! — Höre mich jetzt, Rudi, und thue, was ich
sage! Lehre deine Kinder Ordnung und Fleiß, daß sie in der
Armuth nicht verlegen, unordentlich und liederlich werden. Lehre
sie aus Gott im Himmel vertrauen und bauen und Geschwister an
einander bleiben in Freude und Leid; so wird es ihnen auch in
ihrer Armuth wohl gehen. Verzeihe auch dem Vogt! und wenn
ich todt und begraben sein werde, so gehe zu ihm hin, und sage
ihm, ich sei mit einem versöhnten Herzen gegen ihn gestorben; und
wenn Gott meine Bitte erhöre, so werde es ihm wohl gehen, und
er werde noch zur Erkenntnis seiner selbst kommen, ehe er von
hinnen scheiden werde.'
Nach einer Weile sagte dann die Mutter wieder: Mudi, gieb
mir meine zwei Bibeln, mein Gebetbuch und eine Schrift, die
unter meinem Halstuch in einem Schächtelchen liegt? Und Rudi
stand von seinen Knien auf und brachte alles der Mutter. — Da
sagte sie: Wringe mir jetzt auch die Kinder alle? Er brachte sie
vom Tisch, wo sie saßen und weinten, zu ihrem Bett; und auch
diese fielen vor dem Bette der Mutter auf ihre Knie nieder. —
Da sagte sie zu ihnen: Weinet nicht so, ihr Lieben! euer Vater
im Huumel wird euch erhalten und euch segnen. Ihr wäret mir
lieb, ihr Theuren; und es thut mir weh, daß ich euch so arm und
ohne eine Mutter verlassen muß. Aber hoffet auf Gott, und trauet
aus ihn in allem, was euch begegnen wird; so werdet ihr an ihm
immer mehr als Vaterhülfe und Muttertreue finden. Denket an mich,
ihr Lieben! Ich hinterlasse euch zwar nichts; aber ihr wäret mir
lieb, und ich weiß, daß ich euch auch lieb bin. Da, meine Bibeln
und mein Gebetbuch sind fast alles, was ich noch habe; aber
haltet es nicht gering! Kinder, es war in meinem schweren Le-
ben mir tausendmal Trost und Erquickung. Lasset Gottes Wort
auch euer Trost sein, Kinder, und euere Freude, und liebet ein-
ander, und helfet und rathet einander, so lange ihr leben werdet,
und seid aufrichtig, treu, liebreich und gefällig gegen alle Menschen;
so wird es euch wohl gehen im Leben. — Und du, Rudi! behalte
176
dem Betheli die größere und dem Rudeli die kleinere Bidet und
dem Kleinen die zwei Gebetbücher zum Angedenken von mir. Ach,
dir habe ich keines, Rudi! Aber du hast keines nöthig; du ver-
gissest meiner nicht?
Dann ruft sie noch einmal dem Rudeli: 'Gieb mir deine
Hand, du Lieber! Gelt, dn nimmst doch niemanden etwas mehr?' —
Mein doch auch, Großmutter! glaub mir es doch auch, ich werde
gewiß niemanden etwas nehmen!' sagte der Rudeli mit heißen
Thränen.
'Nun, ich will es dir glauben und zu Gott für dich beten,'
sagte die Mutter. 'Sieh, Lieber, da gebe ich deinem Vater ein
Papier, das mir der Herr Pfarrer gab, bei dem ich diente. Wenn
dit älter sein wirst, so lies es, und denk an mich, und sei fromm
und treu.'
Es war ein Zeugnis von dem verstorbenen Pfarrer in Eich-
stütten, daß die kranke Katharine zehn Jahre bei ihm gedienet und
tyrn, so zu sagen, geholfen habe, seine Kinder erziehen, nach-
dem seine Frau ihm gestorben war; daß der Katharine alles
anvertraut worden sei, und daß sie alles wohl so sorgfältig
als seine Frau selig regiert habe. Der Pfarrer danke ihr dafür
und gebe ihr das Zeugnis, daß sie wie eine Mutter an seinen
Kindern gehandelt habe. Er werde es in seinem Leben nicht ver-
gessen, was sie in seinem Witwerstand an ihm gethan habe. —
Sie hatte auch wirklich ein beträchtliches Stück Geld in diesem
Dienste erworben und solches ihrem seligen Manne an die Matte
gegeben, die der Vogt ihnen hernach wieder abprozessiert hat. —
Nachdem sie dem Rudi dieses Papier gegeben hatte, sagte sie fer-
ner: 'Es sind noch zwei gute Hemden da. Gieb mir keines von
diesen ins Grab. Das, so ich trage, ist recht. Meinen Rock und
meine zwei Fürtücher lasse, sobald ich todt sein werde, den Kindern
verschneiden.' Und dann sagte sie bald daraus: 'Sieh doch sorg-
fältig zu Betheli, Rudi; es ist wieder so flüssig. Halte die Kinder
doch immer rein mit Waschen und Kämmen, und suche ihnen doch
alle Jahre Ehrenpreis und Holunder, ihr Geblüt zu verbessern;
es ist so verdorben. Wenn du immer kannst, so halte für sie eine
Geiß den Sommer durch. Die Betheli kann sie jetzt hüten. —
Du dauerst mich, daß du so allein bist; aber fasse Muth, und
thue, was du kannst. Der Verdienst an dem Kirchbau erleichtert
dich jetzt auch wieder. Ich danke Gott auch für dieses.'
Die Mutter schwieg jetzt, und der Vater und die Kinder blie-
ben noch eine Weile auf ihren Knien, und der Vater und die
Kinder beteten alle Gebete, die sie konnten. Dann standen sie auf
von ihren Knien, und Rudi sagte zu der Mutter: Mutter, ich
will dir jetzt auch das Laub in die Decke holen.' Sie antwortete:
'Das hat jetzt keine Eile, Rudi; es ist gottlob jetzt wärmer in der
Stube, und du mußt mit dem Kleinen jetzt zum Maurer.'
177
Der Rudi winkt nun dem Betheli aus der Stube und sagt:
'Gieb auf die Großmutter Acht! und wenn ihr etwas begegnet, so
schicke das Auneli mir nach; ich werde bei dem Maurer sein?
Rudi nahm jetzt den Kleinen an die Hand und gieng mit
ihm. Gertrud war allein bei Hause, als sie kamen, und sah bald,
daß der Vater und der Knabe Thränen in den Augen hatten.
'Was willst du, Nachbar Rudi? warum weinest du? warum weint
der Kleine?' fragte sie liebreich und bot dem Kleinen die Hand.
'Ach, Gertrud, ich bin im Unglück,' antwortete Rudi. 'Ich
muß zu dir kommen, weil der Rudeli euch etlichemal aus euerer
Grube Erdäpfel genommen hat. Die Großmutter hat es gestern
gemerkt, und er hat es ihr bekannt. Verzeih es uns, Gertrud!
Die Großmutter ist aus dem Todbett; ach, mein Gott! sie hat so
eben Abschied von uns genommen. Ich weiß vor Angst und Sor-
gen nicht, was ich sage. Gertrud, sie läßt dich auch um Ver-
zeihung bitten. ES ist mir leid, ich kann sie dir jetzt nicht zurück-
geben; aber ich will gerne ein paar Tage kommen und dir dafür
arbeiten. Verzeih es uns! Der Knabe hat es aus dringendem
Hunger gethan.'
Gertrud. Schweig einmal hievon, Rudi! Und du, lieber
Kleiner, komm, versprich mir, daß du niemanden etwas mehr neh-
men wollest.' Sie küßt ihn und sagt: 'Du hast eine brave Groß-
mutter; werde doch auch so fromm und brav wie sie!'
Rudeli. Verzeihe mir, Frau! ich will, weiß Gott, nicht mehr
stehlen. *
Gertrud. Nein, Kind, thue eS nicht mehr! Du weißt jetzt
noch nicht, wie elend und unglücklich alle Diebe werden. Thue
es doch nicht mehr! und wenn dich hungert, so komm lieber zu
mir, und sage es mir; wenn ich kann, will ich dir etwas geben.
Rudi. Ich danke Gott, daß ich jetzt bei der Kirche zu ver-
dienen habe, und hoffe, der Hunger werde ihn nun auch nicht
mehr zu so etwas verleiten.
Gertrud. Es hat mich und meinen Mann gefreut, daß der
Junker mit dem Verdienst auch an dich gedacht hat.
Rudi. Ach, es freut mich, daß die Mutter noch diesen Trost
erlebt hat. Sage doch deinem Manne, ich wolle ihm ehrlich und
treu arbeiten und früh und spät sein, und ich wolle mir die Erd-
äpfel doch auch herzlich gern am Lohn abziehen lassen.
Gertrud. Davon ist keine Rede, Rudi; mein Mann thut das
gewiß nicht. Wir sind, gottlob, durch den Bau jetzt auch er-
leichtert. Rudi, ich will mit dir zu deiner Mutter gehen, wenn es
so schlimm ist.
Sie füllt dem Rudeli seinen Sack mit dürrem Obst und sagt
ihm noch einmal: 'Du Lieber, nimm doch niemanden etwas mehr!'
und geht dann mit dem Rudi zu seiner Mutter. Und als er unter
einem Nußbaum Laub zusammenlas, die Decke ihres Bettes besser
LolShorn u. Goedeke's Lesebuch ll. 12
178
zu füllen, half ihm Gertrud Laub aufsammeln, und dann eilten
sie zu ihr hin. — Gertrud grüßte die Kranke, nahm ihre Hand
und weinte. — <Du weinest, Gertrud?' sagte die Großmutter;
<wir sollten weinen. Hast du uns verziehen?'
Gertrud. Ach, was verziehen? Kathrine, euere Noth geht
mir zu Herzen, und noch mehr deine Güte und Sorgfalt. Gott'
wird deine Treue und deine Sorgfalt gewiß noch an den Deinen
segnen, du Gute.
Katharine. Hast du uns verziehen, Gertrud?
Gertrud. Schweig doch hievon, Kathrine! Ich wollte, ich
könnte bei deiner Krankheit dir in etwas helfen.
Katharine. Du bist gut, Gertrud. Ich danke dir; aber Gott
wird bald Helsen. Rudeli, hast du sie um Verzeihung gebeten? hat
sie dir verziehen?
Rudeli. Ja, Großmutter; sieh doch, wie gut sie ist. (Er zeigt
ihr den Sack voll dürres Obst.) — Wie ich schlummere!' sagte die Groß-
mutter. <Hast du sie auch recht um Verzeihung gebeten?'
Rudeli. Ja, Großmutter, eS war mir gewiß Ernst.
Katharine. Es übernimmt mich ein Schlummer, und es
dunkelt vor meinen Augen; ich muß eilen, Gertrud, sagte sie leise
und gebrochen. Ich wollte dich doch noch etwas bitten; aber darf
ich? — Dieses unglückliche Kind hat dir gestohlen — darf ich dich
noch bitten, Gertrud, — wenn ich todt sein .... diesen armen
verlassenen Kindern .... sie sind so verlassen .... (sie streckt die
Hand aus, die Augen sind schon zu) — darf ich hoffen.... folge ihr,
Rudeli........Sie verschied, ohne ausreden zu können.
Der Rudi glaubte, sie sei nur entschlafen, und sagte den Kin-
dern: Mede keins ein Wort! sie schläft. Wenn sie sich auch wie-
der erholte!' Gertrud aber vermuthete, daß es der Tod sei, und
sagte es dem Rudi. — Wie jetzt dieser und wie alle Kleinen die
Hände zusammenschlugen und trostlos waren, das kann ich nicht
beschreiben. Leser, laß mich schweigen und weinen; denn es geht
mir ans Herz, wie die Menschheit im Staube der Erden zur Un-
sterblichkeit reifet, und wie sie im Prunk und Tand der Erde un-
reif verwelket.
Menschheit, wäge doch, wäge doch den Werth des Lebens auf
dem Todbette des Menschen! Und du, der du den Armen ver-
achtest, bemitleidest und nicht kennest, sage mir, ob der also sterben
kann, der unglücklich gelebt hat! Aber ich schweige, ich will euch
nicht lehren, Menschen. Nur hätte ich gern, daß ihr selbst die
Augen öffnetet und euch selbst umsähet, wo Glück und Unglück,
Segen und Unsegen in der Welt ist.
Gertrud tröstete den armen Rudi und sagte ihm noch den
letzten Wunsch der cdeln Mutter, den er in seinem Jammer nicht
gehört hatte. Der Rudi nimmt treuherzig ihre Hand: Wie mich
^ <'
179
Me liebe Mutter reuet! Wie sie so gut war! — Gertrud, gelt, du
willst auch an ihre Bitte denken?'
Gertrud. Ich müßte ein Herz haben, wie ein Stein, wenn
sch es vergessen könnte. Ich will an deinen Kindern thun, was
ich kann.
Rudi. Ach, Gott wird dir vergelten, was du an uns thun
wirst!
Gertrud kehrt sich gegen das Fenster, wischt ihre Thränen
vom Angesicht, hebt ihre Äugen gen Himmel, seufzt, nimmt dann
den Rudeli und seine Geschwister, eins nach dem andern, mit
warmen Thränen bei der Hand, besorgt die Todte zum Grabe
und geht erst, nachdem sie alles, was nöthig war, gethan hatte,
wieder in ihre Hütte.
126.
Auf einem Grabe.
Bon Hebel.
Memannische Gedichte 5. Aufl. Aarau 1820. S. 181. - 8. Aufl. 1842. S. 151. —
Gedichte, herausg. von Götzinger. Aarau 1873. S. 110.
Schlof wohl! schlof wohl im chüele Bett!
De ligsch zwor hcrt uf Sand und ChieS;
Doch spürt'S die müede Rucke nit.
Schlof sanft und wohl!
Und's Deckbett lit der, dick und schwer
In d'Höchi gschüttlet. uffem Herz.
Doch schlofsch im Friede, 's druckt di nit.
Schlof sanft und wohl!
De schlofsch und hörsch mi BHUtdi-Gott,
De hörsch nn sehnli Chlage nit.
Wär's besser, wenn de'S höre chönntsch?
Nei, weger i) nei!
O 's isch der wohl, es isch der wohl!
Und wenni numme2) by der wär,
Se wär scho alles recht und gut.
Mer tolten iS. 3)
De schlofsch und achtisch's Unrueih^) nit
Im Chilcheturn die langi Nacht,
Und wenn der Wächter zwölfi rüeft
Im stille Dorf.
Und wenn's am schwarze Himmel blizt
Und Gwlllch an Gwiilch im Donner chracht;
Se fahrt der'S Wetter überS Grab
Und weckt di nit.
1) wahrlich. 2) nur. 3) wir duldeten, vertrügen uns. 4) Unruhe, Perpendikel.
180
Und was di früeih im Morgeroth
Bis spot in d'Mittnacht bchümmert het,
Gottlob, es ficht di nümmenS) a
Im stille Grab.
Es isch der wohl, o 's isch der wohl!
Und alles, wos de glitte hesch,
Gott Lob und Dank, im chüele Grund
Thut's nümme weh.
Drum wenni numme by der wär,
So wär jo alles recht und gut.
Jez sitzi do und weiß kei Trost
Mi'm tiefe Schmerz.
Doch bbbe6) bald, wenn's Gottswill isch,
Se chunnt mi Samstig z'oben au.
Und druf se grabt der Rochber Chlaus
Mir au ne Bett.
Und wenni lig und nümme schnuuf?),
Und wenn sie's Schloflied gesunge hen;
Se schüttle sie mer's Deckbett uf,
Und — Bhütdi Gott!
I schlof derno so sanft wie du
Und hör' im Chilchturn's Unrueih nit;
Mer schlofe, bis am Sunntig früeih
Der Morge thaut.
Und wenn emol der Sunntig tagt
Und d' Engel singe's Morgelied;
Se stöhn mer mit enander uf,
Erquickt und gsund.
Und 's stoht e neue Chilche do,
Sie funklet hell im Morgeroth.
Mehr göhn und singen am Altar
Halleluja!
127.
Elegie bei dem Grabe meines Vaters.
Bon Ludwig Holty.
Boß Musenalmanach für 1779. S. 214. — Gedichte, neu besorgt von Boß. Weißenfels 1814.
S. 235. — Gedichte, herausg. von Halm. Leipzig 1869. S. 63.
Selig alle, die im Herrn entschliefen!
Selig, Vater, selig bist auch du!
Engel brachten dir den Kranz und riefen,
Und du giengst in Gottes Ruh; 5
5) nicht mehr. 6) etwa (vielleicht). 7) athme.
Wandelst über Millionen Sternen,
Sichst die Handvoll Staub, die Erde, nicht,
Schwebst im Wink durch tausend Sonnenfernen,
Schauest Gottes Angesicht;
Siehst das Buch der Welten aufgeschlagen,
Trinkest durstig aus dem Lebensquell;
Nächte, voll von Labyrinthen, tagen,
Und dein Blick wird himmelhell.
Doch in deiner Überwinderkrone
Senkst du noch den Vaterblick auf mich,
Betest für mich an Jehovah's Throne,
Und Jehovah höret dich.
Schwebe, wenn der Tropfen Zeit verrinnet,
Den mir Gott aus seiner Urne gab,
Schwebe, wenn mein Todeskampf beginnet,
Auf mein Sterbebett herab:
Daß mir deine Palme Kühlung wehe,
Kühlung, wie von Lebensbäumen traust;
Daß ich sonder Graun die Thäler sehe,
Wo die Auferstehung reift;
Daß mit dir ich durch die Himmel schwebe,
Wonnestrahlend und beglückt wie du,
Und mit dir auf Einem Sterne lebe
Und in Gottes Schoße ruh'.
Grün' indessen, Strauch der Rosenblume,
Deinen Purpur auf sein Grab zu streun;
Schlumm're wie im stillen Heiligthume,
Hingesäetes Gebein!
128.
Ktopstock an seine Mutter.
Klamer Schmidt: Klopstock u. seine Freunde. Halberstadt 1810. 2 Bde.
Kopenhagen, den 16. Nov. 1756.
Wie sehr uns die Nachricht von unseres so theuren, geliebten
seligen Vaters Tode gerührt hat, können Sie Sich vorstellen, liebe
Mutter! Wir danken Ihnen, daß Sie durch Giseke haben an
Cramer schreiben lassen. Es war uns sehr nöthig, daß wir jene
Nachricht nicht durch einen schwarzen Bries empfiengen. Es war
am Sonnabend, daß uns Cramer davon sagte; und am Sonntage
bekamen wir Ihren Brief.
Ich will unsere Wunde nicht weiter aufreißen. Unser Gott
hat es so gewollt. Sein Name sei gelobt, daß er unserm theuren
182
Vater ein so schönes Ende gegeben hat! Er ist nun viel glücklicher,
als wir. Der Name des Herrn sei gelobt!
Sobald es Ihnen Ihr Schmerz zuläßt, liebste Mama, so
schreiben Sie mir doch noch umständlicher von unseres theuren
seligen Vaters Krankheit und Tode. Meine lieben Geschwister,
die beiden kleinen nicht ausgenommen, sollen dieses auch, ein jedes
besonders, thun. Es ist gut, daß wir uns insgesammt mit diesen
Vorstellungen unterhalten; denn es ist überhaupt nichts heilsamer,
als öftere Todesbetrachtungen. — Wenn ich mir eine umständlichere
Nachricht ausbitte, so verstehe ich sogar die kleinsten Umstände, die
Ihnen nur einfallen, darunter. Ich will Ihnen einige kleinere
und größere anzeigen. In welcher Stube oder Kammer ist er ge-
storben? Wer war, nach Ihnen, in seiner Krankheit am meisten
zugegen? Glaubte er, vom Anfange des Blutsturzes an, daß er
daran sterben würde? und wenn er es nicht gleich anfangs glaubte,
wann fieng er es an zu glauben? — Er erinnerte sich gewiß seiner
abwesenden Kinder, die ihn so sehr geliebt haben und noch lieben;
auf welche Art, mit welchen Worten that er^es? — Ich hoffe
zu Gott, daß wir so leben werden, daß der Segen seines Gebetes
auf uns ruhen wird.
Mein Schmerz ist zwar, durch die Gnade Gottes, ruhig; aber
er wird lange dauern. Ich habe ihn sehr, sehr geliebt! Ich habe
viel an meine selige Großmutter, die mich zuerst in der Religion
unterrichtet hat, und an den seligen Johann Christian gedacht.
Nun sind diese drei von mir so sehr Geliebten in der Ruhe der
Ewigkeit bei einander!
129.
Auf einen Grabstein.
Von Uhland.
Gedichte 5. Aufl. Stuttgart und Tübingen 1831. S. 142. — 1853. S. 118. — 49. Aufl. 1885.
S. 118. — 58. Aufl. 1874. S. 118.
^üjUenn du auf diesem Leichensteine Es zeugt von einer Abschiedsstunde,
Verschlungen siehest Hand in Hand, Wo Hand aus Hand sich schmerzlich
Das zeugt von irdischem Vereine, rang,
Der innig, aber kurz, bestand, Von einem heil'gcn Seelenbunde,
Von einem himmlischen Empfang.
130.
Lesstng an feinen Bruder Lheophilus.
Schriften, herausg. von Lachmann. Berlin 1838—40. XII, 257.
Mein liebster Bruder!
Ich kam vorigen Montag von Braunschweig, wo ich mich
einige Tage aufgehalten hatte, und wollte es mein erstes sein lassen,
183
Dir auf Deinen Brief aus Pirna zu antworten, als ich einen
zweiten von Deiner Hand hier vorfand. Das schwarze Siegel
ließ mich gleich alles besorgen. Ich denke, ich habe es bei Dir
nicht nöthig, viele klägliche Worte zu brauchen, um Dich zu ver-
sichern, wie sehr mich die Nachricht von dem Ttzdc unsers Vaters
betrübt und niedergeschlagen hat. Ich kann noH kaum wieder zu
mir selbst kommen. Seine Gesundheit, von der er mich noch in
seinem letzten Schreiben versicherte, ließ mich nichts weniger, als
sein so nahes Ende besorgen. Was mich einigermaßen tröstet, ist,
daß er nach seinem Wunsche gestorben. Laß uns, mein lieber
Bruder, ebenso rechtschaffen leben, als er gelebt hat, um wünschen
zu dürfen, ebenso plötzlich zu sterben, als er gestorben ist. Das
wird die einzige beste Weise sein, sein Andenken zu ehren.
Mein nächster Kummer dabei geht auf unsere Mutter. Ich
weiß, Du wirst alles anwenden, sie zu trösten. Mache besonders,
daß weder sie, noch unsere Schwester sich wegen der Zukunft be-
kümmern. Ich will hoffen, daß der selige Vater doch noch den
Brief wird erhalten haben, den ich vor sechs oder acht Wochen
an ihn geschrieben. Wenn sie daraus die Unmöglichkeit gesehen,
ihnen bis anher beizustehen: so können sie doch gewiß versichert sein,
daß diese Unmöglichkeit auf das Künftige wegfällt und sie aus meine
äußerste Unterstützung unfehlbare Rechnung machen können. Schasse
Du nur, mein lieber Bruder, für das erste Rath, und glaube
sicherlich, daß ich Dich nicht werde stecken lassen. Es kann nicht
anders sein, es müssen sich Schulden finden. Ich nehme sie alle aus
mich und will sie alle ehrlich bezahlen; nur muß man mir Zeit lassen.
Schreibe mir, was man für Versicherung dessalls von mir ver-
langen kann, und ich will sie mit Vergnügen stellen. Nur muß
unsre Mutter dadurch völlige Ruhe bekommen.
Auch bitte ich Dich, lieber Bruder, wegen des Leichensteines
und der kupfernen Tafel in der Kirche alles nach Deinem Gut-
dünken zu besorgen. Es wird mir alles recht sein, und ich will
die Kosten nicht allein mit, sondern recht gern ganz tragen.
Ich habe cs höchst nöthig, mich den traurigen Ideen, ohne
die ich diesen Brief nicht schreiben können, zu entreißen. Nimm
mir es also nicht übel, wenn ich schon abbreche. Versichre meine
Mutter von meiner Wehmuth und innigsten Zärtlichkeit gegen sie,
die ich lieber durch die That, als durch viele Worte beweisen will;
und zugleich umarme für mich unsere Schwester, und sage ihr,
daß ich meine Thränen mit den ihrigen verbinde und sie nicht
vergessen soll, daß sie einen Bruder hat, der bereit ist, alles für
sie zu thun, was ihm in der Welt nur möglich ist.
Lebt zusammen recht wohl, und gedenkt meiner im Besten!
Wolfenbüttel, Dein treuer Bruder
den 8. Septbr. 1770. Gotthold.
184
131.
Auf meines Kindes Tod.
Bon Eichendorff.
Gedichte. Leipzig 1837.
1. S.
Als ich NUN zum erstenmale
Wieder durch den Garten gieng,
Busch und Bächlein in dem Thale
Lustig an zu plaudern fieng.
Blumen halbverstohlen blickten
Neckend aus dem Gras heraus,
Bunte Schmetterlinge schickten
Sie sogleich auf Kundschaft aus.
Auch der Kukuk in den Zweigen
Fand sich bald zum Spielen ein,
Freuden wollt' ich dir bereiten,
Zwischen Kämpfen, Lust und Schmerz
Wollt' ich treulich dich geleiten
Durch das Leben himmelwärts.
Doch du hast's allein gefunden,
Wo kein Vater führen kann,
Durch die ernste, dunkle Stunde
Giengst du schuldlos mir voran.
Die Welt treibt fort ihr Wesen,
Die Leute kommen und gehn,
Als wärst du nie gewesen,
Als wäre nichts geschehn.
Wie sehn' ich mich aufs neue
Hinaus in Wald und Flur!
Ob ich mich gräm', mich freue,
Du bleibst mir treu, Natur.
Da klagt vor tiefem Sehnen
Schluchzend die Nachtigal,
Von fern die Uhren schlagen,
Es ist schon tiefe Nacht,
Die Lampe brennt so düster,
Dein Bettlein ist gemacht.
Die Winde nur noch gehen
Wehklagend um das Haus,
Wir sitzen einsam drinne
Und lauschen oft hinaus.
325.
Endlich brach der Baum das Schwei-
gen:
Warum kommst du heut' allein?'
Da ich aber schwieg, da rührt' er
Wunderbar sein dunkles Haupt,
Und ein Flüstern konnt' ich spüren
Zwischen Vöglein, Blüt' und Laub.
Thränen in dem Grase hiengen,
Durch die abendstille Rund'
Klagend nun die Quellen giengen,
Und ich weint' aus Herzensgrund.
S. 327.
Wie das Säuseln leiser Schwingen
Draußen über Thal und Kluft,
Gieng zur selben Stund' ein Singen
Ferne durch die stille Luft.
Und so fröhlich glänzt' der Morgen,
'S war, als ob das Singen sprach:
*Jetzo lasset alle Sorgen,
Liebt ihr mich, so folgt mir nach!'
S. 328.
Es schimmern rings von Thränen
Die Blumen überall.
Und über alle Gipfel
Und Blütenthäler zieht
Durch stillen Waldes Wipfel
Ein heimlich Klagelied.
Da spür' ich's recht im Herzen,
Daß du's, Herr, draußen bist —
Du weißt's, wie mir von Schmerzen
Mein Herz zerrisien ist!
S. 328.
Es ist, als müßtest leise
Du klopfen an die Thür,
Du hätl'st dich nur verirret
Und kämst nun müd' zurück.
Wir armen, armen Thoren!
Wir irren ja im Grau«
Des Dunkels noch verloren —
Du fandest längst nach Haus.
185
5.
Dort ist so tiefer Schatten,
Du schläfst in guter Ruh,
Es deckt mit grünen Matten
Der liebe Gott dich zu.
Die alten Weiden neigen
Sich auf dein Bett herein,
6.
Mein liebes Kind, Ade!
Ich konnt' Ade nicht sagen.
Als sie dich fortgetragen,
Vor tiefem, tiefem Weh.
Jetzt auf lichtgrüncm Plan
Stehst du im Mirtenkranze
S. 329.
Die Vöglein in den Zweigen,
Sie singen treu dich ein.
Und wie in goldnen Träumen
Geht linder Frühlingswind
Rings in den stillen Bäumen —
Schlaf wohl, mein süßes Kind!
S. 339.
Und lächelst aus dem Glanze
Mich still voll Mitleid an.
Und Jahre nahn und gehn,
Wie bald bin ich verstoben —
O bitt für mich da droben,
Daß wir uns Wiedersehn!
132.
Wilhelm von Humboldt an Schiller.
Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt (1792—1895). Stuttg. u. Tüb. 1859.
Lieber Freund!
Ich schreibe Ihnen mit wehmüthigem Herzen. Ich kann
sagen, daß mich, seit ich lebe, jetzt das erste Unglück betroffen hat.
Aber der erste Schlag ist auch fast der härteste, der mich je hätte
treffen können. Unser ältester Knabe, Wilhelm, dessen Sie Sich
vielleicht dunkel erinnern, ist uns plötzlich an einem bösartigen
Fieber gestorben. Das arme Kind war kaum einige Tage krank.
Auf einige leichte Fieberanfälle folgte plötzlich ein heftiges Nasen-
bluten. Wir waren auf dem Lande in Lariccia, aber zufälliger-
weise hatten wir und haben noch einen deutschen Arzt bei uns,
einen trefflichen Menschen von außerordentlicher Kenntnis und Er-
fahrung, dem theilnehmendsten Gemüth und doch der größesten Be-
sonnenheit und Ruhe. Dieser — er heißt Kohlrausch und ist ein
Hannoveraner — that, was er konnte; aber die Gewalt des Übels
war zu heftig, und in kaum sechsunddreißig Stunden lebte er nicht
mehr. Sein Tod war sanft, sehr sauft, er hatte fröhliche Phantasien,
litt nichts und ahnete nichts. Er liegt jetzt bei der Pyramide des
Cajus Cestius, von der Ihnen Goethe erzählen kann. Ich habe mit
diesem Kinde unendlich viel verloren. Ünter allen, die ich habe,
war er am liebsten um mich, er verließ mich fast nie, vorzüglich
in den letzten Monaten beschäftigte ich mich regelmäßig mit ihm,
er gieng immer mit mir spazieren, er fragte nach allem, er kannte
die meisten Orte, die meisten Ruinen, er war bei jedermann beliebt,
weil er mit jedem, und jetzt schon recht gut italienisch, sprach. Das ist
nun alles dahin und dahin gegangen! Dieser Tod hat mir auf der
186
einen Seite alle Sicherheit des Lebens genommen. Ich vertraue
nicht meinem Glücke, nicht dem Schicksal, nicht der Kraft der
Dinge mehr. Wenn dies rasche, blühende, kraftvolle Leben so auf
einmal untergehen konnte, was ist dann noch gewiß? Und auf der
andern habe ich wieder aus einmal so eine unendliche Sicherheit
mehr gewonnen. Ich habe den Tod nie gefürchtet und nie kindisch
am Leben gehangen; aber wenn man ein Wesen todt hat, das
man liebte, so ist die Empfindung doch durchaus verschieden. Man
glaubt sich einheimisch in zwei Welten. Mit Meyer's Freund,
Gmelin, der ein unendlich braver Mensch ist, war der verstorbene
Wilhelm besonders vertraut. Er gieng alle Woche einigemal zu
ihm, und Gmelin liebte ihn sehr.
Ich habe keine Stimmung, heute mehr zu schreiben, mein
theurer, lieber Freund. Leben Sie herzlich wohl, nnd bedauern
Sie Ihren armen Freund. Meine Frau grüßt Sie und alle die
Ihrigen innigst. Sie können denken, was sie leidet, aber sie hat
sich mit außerordentlicher Stärke, Ruhe und Geistesgegenwart be-
nommen. Theodor hat auch ein unangenehmes Nervenfieber. Aber
er ist außer Gefahr und in der Besserung. Noch einmal Adieu!
und schreiben Sie mir recht bald. *
Rom, Humboldt.
27. August 1803.
133.
Schiller an Wilhelm von Humboldt.
Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt (1792—1805). Stuttg. u- Tüb.
1850. (Gekürzt.)
Mein theurer Freund!
^!hr schmerzlicher Verlust, dessen ganze Größe wir recht wohl
empfinden, da wir das liebe Kind vor zwei Jahren so hoffnungs-
voll sich entwickeln gesehen, hat uns beide aufs innigste betrübt,
und ich gestehe gern, daß ich keinen Trost dagegen weiß, als den
die Zeit, die alle Wunden endlich heilt, herbeiführen wird. Jetzt
kann ich nur darüber mit Ihnen klagen und Ihren ganzen Kummer
mit Ihnen theilen. Sie waren berechtigt zu den schönsten Hoff-
nungen; wirklich vereinigte sich alles, diesem Kinde ein glückliches
Los zu versprechen, und nun muß jede Hoffnung so gewaltsam zer-
stört werden. Auch mich hat, wie Sie, bis jetzt noch kein harter
Schlag betroffen, und ich kann mich nicht erwehren, bei dieser Ge-
legenheit auch in meinen eigenen Busen zu greifen und mir den
möglichen Verlust dessen, was mir theuer ist, zu, denken. Bei
meiner schwachen Gesundheit hatte sich die feste Überzeugung in
mir gebildet, daß ich nicht in diesen Fall kommen würde; aber Ihr
Verlust, mein theurer Freund, überführt mich, daß alle Berech-
nungen trügen.
187
Wenn das italienische Klima doch vielleicht zu angreifend für
Ihre Kinder und die gute Karoline wäre oder werden könnte, so
wäre es doch vielleicht besser, alle jene Verhältnisse aufzugeben, da
Sie doch einmal Herr Ihres Schicksals sind. Es haben so viele
Deutsche schon ein frühes Grab dort gefunden. Ich habe mich
über Fernow's Aussehen, der seit acht Tagen hier angekommen
ist, wirklich erschrocken, so veraltert erschien er mir, und hat vor
seinem vierzigsten Jahre schon graue Haare. Freilich brachte er
ein Fieber mit, aber man sah doch, wie sehr das Klima ihm muß
zugesetzt haben.
Mögen diese Zeilen Sie und die liebe Karoline in einer ru-
higeren Fassung finden! Aber wir wünschen sehr bald ein Wort
von KarolinenS Hand, um uns zu überzeugen, daß sie sich über
diesen schweren Schlag erhoben habe. Eine starke Seele bei aller
feinen, zarten Fühlbarkeit ist doch das glücklichste Geschenk des
Himmels; es ist ihr verliehen, und so wird sie das Unabänderliche
zu ertragen wissen.
Geben Sie uns, wo möglich, bald wieder Nachricht; warum
müssen wir jetzt so weit von einander sein? unser herzlicher Antheil
würde Ihnen Ihren Kummer erleichtern! Erhalten Sic Ihre
Gesundheit. Ewig der Ihrige.
Weimar, Schiller.
12. September 1803.
134.
Gute Nacht.
Gedichte. Auswahl d. Berf. Frankfurt a. M. 1851. — 11. Aufl. 1858. l, 13. —
io««;________________________________________\n iu7*)
Es keimet, es reift in einer Nacht.
Es legt sich nieder,
Ersteht nicht wieder,
Ist nimmer erwacht,
Frühmorgens erwacht,
Noch eh du's gedacht,
Httpft's Kindlnn frisch
Durch Blütengebüsch
Und regt die Glieder
Mit Macht, mit Macht.
Kommt's Abendroth,
Jst's Kindlein todt.
-O]» muuuu uiuuu;if
Gute Nacht, gute Nacht!
Dein Lauf ist' vollbracht,
Dein Grab ist gemacht,
Gute Nacht, gute Nacht!
135.
Frühzeitiger To-.
Bon Roberthin.
Albert: Lustwäldlein. Königsberg (o. I.) Nr. 28.
^aß alle Menschen sterben müßen, Aus aller Tag Erfahrung schließen,
sremdet unser keinen mehr, Was einmal seinen Anfang nimmt,
188
Nur dieses scheinet zu beklagen,
Wenn man ganz wider Hoffen sieht,
Daß einer aus der besten Blüt
Ins finstre Grab wird hingetragen,
Eh' er des lieben Lebens Tag
Bis an die Hälfte bringen mag.
Der Unmuth aber muß sich stillen
Und einzig sein an dem begnügt,
Was sich mit unserm Leben fügt
Nach dem, ohn Zweifel, weisen Willen
Des, der uns seinen Athem giebt
Und wegnimmt, wenn es ihm beliebt.
Als, wenn in unsern Sommertagen
Die Jungfrau eine Rose bricht
Und achtet andrer Blumen nicht,
Die Rose sich nicht kann beklagen,
Als sei ihr Leid dargn geschehn,
Daß sie vor andern werth ersehn.
Sie hat mehr Ursach, hoch zu prangen,
Daß sie in ihrer schönsten Art
Bon lieber Hand gebrochen ward,
Da andre, die noch blieben hangen,
Der Sonnen- oder Regensneid
Verzehrt ohn alle Nutzbarkeit.
So, wenn Gott einen, den er liebet,
Aus seinem besten Stande nimmt
Und seinen Tod ihm früh bestimmt,
Sind wir mit Unrecht drum betrübet;
Er weiß die rechte Zeit gar wohl,
Wann unser Tod uns nützen soll.
136.
Auf -en Tod eines Mägdleins.
Von Fleming.
Poemata. Lübeck (1642). S. 324. (Gekürzt.)
Ist's denn wieder schon verloren?
War es doch kaum recht geboren,
Das geliebte, schöne Kind.
Ja; sobald eö vor ist kommen,
Sobald ist es auch genommen.
Schaut doch, was wir Menschen sind!
Etwa, wie ein Tauscndschönlein,
Das gemalte Lenzensöhnlein,
Mit dem frühen Tag entsteht,
Welches, wie es mit ihm wachet,
Mit ihm scheinet, mit ihm lachet,
So auch mit ihm untergeht:
Also hast du dich verborgen,
Blümlein, um den sechsten Morgen,
Liegest todt nun hingestreckt
Und hast durch das schnelle Scheiden
Deinen frommen Eltern beiden
Ein sehr langes Leid erweckt.
Klagt, Betrübte, wie ihr sollet!
Sie ist doch, wo ihr hin wollet;
Uns ist wehe, ihr ist wohl.
Ihr Geist, der ist voller Prangen;
Nur ihr Leib ist hingegangen,
Wohin alles ist und soll.
Wo selbst die Natur hinstehet,
Wo die große Welt hingehet,
Dem eilt auch die kleine zu.
Sterben und geboren werden
Ist das stete Thun der Erden;
Nur ihr Tod ist ihre Ruh.
Alles wird darum geboren,
Daß es wieder sei verloren;
Nichts bleibt allzeit, wie es ist.
Alles, was sich angefangen,
Gehet stets in dem Verlangen,
Daß es seinen Tod erkiest.
Es ist alles Gottes Gabe;
Alles, was ich jetzund habe,
Hab ich vormals nicht gehabt.
Der irrt, der eö ewig glaubet,
Wucher ist's, so lang' es bleibet,
Was uns unsern Sinn erlabt.
Als Gott sie euch überreichet,
Habt ihr euch mit ihm vergleichet,
Daß sie dennoch seine sei;
Daß Er, wenn er auch nur wollte,
Sie hinwieder nehmen sollte,
Mußtet ihr ihm stellen frei.
Und die Wahrheit recht zu sagen,
Neid ist'S, daß wir sie beklagen.
Wohl dir, o du kurzer Gast!
Wohl dir, die du in sechs Tagen
Eines jeden Alters Plagen
Gänzlich llberstanden hast!
Kleine Tochter, sei nun selig,
Und zeuch uns auch stets allmählich
Nach dir auf und himmelan,
Daß auch wir der Zahl der Frommen,
In die du bist ausgenommen,
Balde werden zugethan.
Diesen Korb soll Anemonen,
Der der Frost stets soll verschonen,
Streuen wir auf deine Gruft.
Schlafe ruhsam in dem Kühlen,
Um dich her soll ewig spielen
Die gesunde Maienluft!
137.
Luther an Dr. Benedict Pautti.
Werke 2. Auflage. Hamburg 1827 und 28. S- 73.
Es ist nicht verboten, über seine verstorbenen Kinder zu
klagen und Leid zu tragen. Denn wir haben viele Exempel der
heiligen Patriarchen und Könige, so den Tod ihrer Söhne aufs
heftigste betrauert haben. Aber doch muß Maß im Trauern ge-
halten werden. Also thut Ihr recht, daß Ihr Euren Sohn be-
trauert; aber Ihr müsset auch im Trauern den Trost zulassen,
welcher darin bestehet, daß der Herr ihn gegeben und jetzo auch
wieder genommen habe, da Ihr ihm nicht widerstehen könnet.
Darum ahmet lieber dem Hiob nach, welcher sagte, da er sein
Vermögen und seine Kinder verloren hatte: <Haben wir das Gute
empfangen, müssen wir das Böse auch annehmen.' Dieser hat das
Gute und das Böse recht betrachtet und eine Vergleichung angestellet
zwischen dem Guten, das er von Gott empfangen, und dem Bösen,
das ihm zugestoßen. Thut Ihr nur ein Gleiches, so werdet Ihr
finden, daß Ihr viel größeres Gutes und mehr Geschenke von
Gott geschenket bekommen, als das Böse ist, welches Ihr fühlet.
Allein zu dieser Zeit sehen die Augen steif allein auf dieses Übel,
daß der Sohn aus diese Art des Todes umgekommen, daß er oben
vom Hause herabgestürzet und todt aufgehoben worden ist, und
Ihr vergesset also der großen und vortrefflichen Güter und Ge-
schenke Gottes, nämlich daß Ihr habet die Erkenntnis des Wortes,
die Gnade Christi und ein gutes Gewissen. Ein gutes Gewissen
ist auch allein ein solcher Schatz, daß er billig alles Böse, das
uns zustoßen kann, in Vergessenheit bringen sollte, und niemand
kann's glauben, wo er's nicht erfahren hat, was für ein Kreuz
es sei, ein böses Gewissen zu haben, welches eigentlich der Tod
und die Hölle selbst ist. Da Ihr nun ein gutes Gewissen habt,
was habt Ihr Ürsach, Euch über des Sohnes Tod so sehr zu
betrüben?
Aber laßt uns zugeben, daß das Übel, so Euch betroffen hat,
sehr schwer sei; so ist es doch nicht neu und Euch allein und zu-
190
erst begegnet. Ihr habt viele Brüder in diesem Unglück. Abra-
ham hat einen größeren und heftigeren Schmerz über seinen le-
benden Sohn empfunden, als Ihr über Euren todten Sohn,
weil ihm vom Herrn anbefohlen war, daß er selbst seinen Sohn
und sogar denjenigen, in dessen Namen alle Völker sollten gesegnet
werden, schlachten sollte. Was meinet Ihr, wie ihm zu Muthe
gewesen, als er das Schwert ergriff, seinen Sohn zu tobten!
Jakob sühlete einen unendlichen Schmerz, als ihm angesagt wurde,
daß sein lieber Sohn Joseph von den Thieren zerrissen sei. End-
lich, wer ist jemals mehr betrübet worden, als David, da er von
seinem eigenen Sohne Absalom, den er einzig liebele, aus dem
Reiche vertrieben ward? Wenn Ihr Euch diese und ähnliche Exempel
vorhaltet, werdet Ihr sehen, daß Euer Unglück und Schmerz noch
gar nicht einmal dem kleinsten Theile nach dem Unglück und
Schmerz dieser gleich komme, und daß Euer Schmerz durch diese
Vergleichung sehr gelindert und geschwächet werde.
Aber Ihr werdet sagen: Mein einiger Sohn ist gestorben,
und zwar durch eine erschreckliche Todesart.' Warum bekümmert
Euch dieses denn so sehr? Gott ist allmächtig; er kann Euch nicht
einen, sondern viele wiedergeben. Gesetzt aber, daß er nicht allein
nicht wolle einen andern geben, sondern daß Ihr auch Eure Ehe-
gattin, Eure Güter und alles das Eurige verlöret: so würdet Ihr
doch nicht Ursach haben, Euch so gar sehr zu betrüben. Denn
Ihr hättet noch einen liebenden Christum und durch denselben
einen gnädigen Vater, den Herrn, und viele geistliche Gaben, die
auch nach unserm Tode unverderbet und beständig bleiben. —
Mer er ist aus eine erschreckliche Art gestorben?' Gleich als wenn
nicht eine jede Todesart erschrecklich sei! Der Tod ist zwar er-
schrecklich denen, die Gott nicht haben; uns aber, die wir Kinder
Gottes sind, muß auch das traurigste Bild des Todes erfreulich sein,
weil wir einen Gott haben, der uns also tröstet: <Jch lebe, und
ihr sollt auch leben.' — Aber Ihr fürchtet, daß Gott aus Zorn
Euch Euren Sohn entrissen habe? Diese Einbildung kommt nicht
von Gott. Das ist der rechte Griff. Es ist gewiß, daß es Gottes
guter Wille sei, daß Euer Sohn sterbe, obgleich die menschliche
Natur dawider schreiet und Gott als einen Zornigen vorstellet,
da sie so beschaffen ist, daß sie meinet, ihr Wille sei allezeit der
beste und, was Gott thut, ihr missällt. Es wäre aber nicht alle-
wege gut, daß unser Wille sollte geschehen! Es muß uns genug
sein, daß wir einen gnädigen und gütigen Gott haben. Warum
er uns aber dieses oder jenes Übel zustoßen lasse, das muß uns
nicht bekümmert machen.
1). Martinus Luther.
191
138.
Rede eines Gelehrten aus feinem Grabe.
Bon Andreas GryphiuS.
Gedichte. Breslau und Leipzig 16W. II, 115.
Die eitel ist, was hoch wir schätzen!
Was giebt'«, das eilends nicht vergeht?
Wie flüchtig, was uns kann ergetzen!
Wie rasch verfällt, was jetzund steht!
Wie bald muß alle« Fleisch erbleichen!
Wie Plötzlich wird der Mensch zur Leichen!
Ach, was ist alles, das uns zieret
Und vor der Welt zum Wunder macht,
Wenn nun der Tod sein Recht ausführet
Und unser Geist in Angst verschmacht!
Was nützt doch aller Menschen Wissen,
Wenn wir die lasseni) Augen schließen!
Komm, wer du bist, hier kannst du schauen,
Wenn ich noch schauenswürdig bin,
Wie das, auf das wir Menschen bauen,
Ein einz'ger Augenblick reißt hin.
Ich bin nicht mehr, den du gehöret,
Den mancher hoher Sinn geehret.
Der Geist ist weg, dem nichts verborgen,
Dem Erd' und Himmel offen stund.
Umsonst ist nun mein weises Sorgen:
Jetzt schweigt der wohlberedte Mund.
Ich, der vorhin so viel gelesen,
Weiß jetzt nicht, was ich selbst gewesen.
Die beiden Lichter, die durchsehen
Der ewighellen Lichter Schar,
Und was in Luft und See geschehen
Und sonst nur anzutreffen war,
Die schier, was jeder dacht', erfunden, —
Sind blind und todt und ganz verschwunden.
Die Zunge, die Herz, Geist und Leben
Gleich als ein Donnerstrahl durchriß,
Die über Sterne konnt' erheben,
Die in den Abgrund niederstieß,
Die Wilde ehmals konnt' bewegen, —
Fault jetzt und kann sich selbst nicht regen.
Die Hände starren, die geschrieben,
Was viel' berühmte Leut ergetzt:
Die Hände, die so viel getrieben,
Sind durch des Todes Hand verletzt.
Hier ist das Ende meiner Reisen;
Allhier verläßt uns, was wir preisen.
1) hier: müden.
Hier hilft kein Recht: wir müssen weichen;
Hier hilft kein Krant: der Mensch ist GraS;
Hier muß die Schönheit selbst erbleichen;
Hier hilft nicht Stärke: du bist Glas;
Hier hilft kein Adel: du bist Erden;
Kein Ruhm: du mußt zu Aschen werden.
Hier hilft kein Purpur, kein Gepränge:
Die Herrlichkeit ist nur ein Traum;
Und würd' uns gleich die Welt zu enge:
Wir finden doch im Grabe Raum;
Hier gilt nicht Gold, nicht greise Haare:
Der Tod wirft alles auf die Bahre.
Freund, Ehre, Güter, Kunst und Titel,
Stand, Haus und Ruhm verlaß' ich hier
Und trage nichts, denn diesen Kittel
Und den geringen Sarg mit mir.
Mein Name, der noch scheint zu stehen,
Wird auch in kurzer Zeit vergehen.
Gott, dem wir Rechnung übergeben,
Acht mein gelehrtes Wissen nicht;
Er forschet nur nach unserm Leben
Und ob wir, was er hieß, verricht:
Er will zwar Weisheit mit viel Kronen,
Doch nur, wenn sie ihm dient, belohnen.
Fahrt wohl, ihr Gäste dieser Erden!
Ich geh' euch vor; ihr folget mir.
Was ich jetzt bin, muß jeder werden;
Mir galt es heute, morgen dir.
Ade! dies mögt ihr von mir erben:
Die größte Kunst ist — können sterben.
139.
Die Anbesungenen.
Bon Annette v. Droste-Hülshof.
Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1814. S. 198. — 2. Aufl. 1861. S. 191. —
<§ giebt Gräber, wo die Klage
schweigt
Und nur das Herz von innen blutet,
Kein Tropfen in die Wimper steigt
Und doch die Lava drinnen flutet;
'S giebt Gräber, die wie Wctternacht
An unserm Horizonte stehn
Und alles Leben niederhalten
Und doch, wenn Abendroth erwacht,
Mit ihren goldnen Flügeln wehn
Wie milde Seraphimgestalten.
Zu heilig sind sie für das Lied
Und mächt'ge Redner doch vor allen,
Sie nennen dir, was nimmer schied
Und nie und nimmer kann zerfallen.
O, wenn dich Zweifel drückt herab
Und möchtest athmen Ätherluft
Und möchtest schauen Seraphsflügel:
Dann tritt an deines Vaters Grab!
Dann tritt an deines Bruders Gruft!
Dann tritt an deines Kindes Hügel!
Was ich wohl mag.
Von Claudius.
WandSbecker Bote 1775. I, 10. — Werke 1814. I, 5.
Ich mag wohl Begraben mit ansehn, wenn so ein roth ge-
weintes Auge noch einmal in die Gruft hinab blickt, oder einer
sich so kurz umwendet und so bleich und starr sieht und nicht
zum Weinen kommen kann. 'S pflegt mir dann wohl selbst nicht
richtig in'n Augen zu werden, aber eigentlich bin ich doch fröhlich.
Und warum sollt' ich auch nicht fröhlich sein; liegt er doch nun
und hat Ruhe! Und ich bin darin 'n närrscher Kerl: wenn ich
Weizen säen sehe, so denk' ich schon an den Erntetanz. Die Leute
fürchten sich so vor einem Todten; weiß nicht, warum. Es ist ein
rührender, heiliger, schöner Anblick, einer Leiche ins Gesicht zu sehen;
aber sie muß ohne Flitterstaat sein. Die stille blasse Todesgestalt
ist ihr Schmuck, und die Spuren der Verwesung ihr Halsgeschmeide
und das erste Hahneugeschrei zur Auferstehung.
141.
Der Postillon.
Gedichte 2. Aufl. Stuttg. u. Tüb. 1834. S. 192. - 9. Aufl. 1846. I, 192. - 1871. S. 118.
Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen.
Ob der holden Frühlingöpracht
Freudig hingezogen.
Und von flinken Rossen vier
Scholl der Hufe Schlagen,
Die durchs blühende Revier
Trabten mit Behagen.
Schlummernd lagen Wies und Hain, Wald und Flur im schnellen Zug
Jeder Pfad verlassen;
Niemand als der Mondenschein
Wachte auf der Straßen.
Kaum gegrüßt — gemieden;
Und vorbei, wie Traumesflug,
Schwand der Dörfer Frieden.
Leise nur das Lüftchen sprach,
Und es zog gelinder
Durch das stille Schlafgrmach
All' der Frühlingskinder.
Mitten in dem Maienglück
Lag ein Kirchhof innen,
Der den raschen Wanderblick
Hielt zu ernstem Sinnen.
Denn der Blüten Träume
Dufteten gar wonniglich
Durch die stillen Räume.
Heimlich nur da« Bächlein schlich,
Hingelehnt an Bergesrand
War die bleiche Mauer,
Und das Kreuzbild Gottes stand
Hoch in stummer Trauer.
Rauher war mein Postillon,
Ließ die Geisel knallen,
Über Berg und Thal davon
Frisch sein Horn erschallen.
Stiller jetzt und trüber;
Und die Rosse hielt er an,
Sah zum Kreuz hinüber:
Schwager ritt auf seiner Bahn
13
Und des Hornes heller Ton
Klang vom Berge wider,
Ob der todte Postillon
Stimmt' in seine Lieder. —
Weiter gieng's durch Feld und Hag
Mit verhängtem Ziigel;
Lang' mir noch im Ohre lag
Jener Klang vom Hügel.
'Parentalion über Anselms
gehalten am ersten Weihnachtstage, NB. nicht in der Kirche, sondern nur im Zimmer, neben
dem offenen Sarge, und war niemand da, als Andres.
Von Claudius.
Wandsbecker Bote 1775. II, 191. — Werke 1844. III, 110.
Andres, hier liegt er! Aber er hört und sieht uns hier nicht
mehr. Anselmo ist todt, unser lieber Anselmo! Wie ist dir zu
Muth, Andres? Er pflegte, wie du weißt, die Welt 'n Kranken-
hospital zu nennen, darin die Menschen bis zu ihrer Genesung
verpflegt werden. Er ist nun genesen und hat seinen Hospital-
kittel ausgezogen. Und wir stehn neben dem Kittel und haben
ihn nicht mehr und finden so einen Anselmo nicht wieder. Wie
ist dir zu Muth, Andres?
Er war so fromm und geduldig, und die Engel haben seine
Seele gewiß grade in Abraham's Schoß getragen. Sieh her!
Er sieht noch aus, als da er lebte, nur hat ihn der Tod blaß
gemacht. Der Tod macht blaß, Andres!
Hast du wohl eher eine Leiche in voller Genesung gesehn?
So lange noch die Gestalt da ist, dünkt's einen, als wäre der
Freund noch nicht ganz verloren. Er wohnt zwar jenseit des
Wassers, daß wir nicht zu ihm können; doch wohnt er noch da,
und wir können doch seinen Schornstein rauchen sehn. Aber
auch das darf nicht so bleiben, eh' es wieder vorwärts gehen kann;
das hat Gott so geordnet. Anselmo muß ganz weg aus unsern
Augen, muß Asche und Staub werden.
Ich bin so betrübt, Andres. Wollte dich gerne trösten, aber
ich kann nicht. Lehne dich an die Wand oder in eine Ecke, und
weine dich satt; ich will mich hier hinsetzen und 'n Kopf wider
den Sarg stützen.----------
Es ist doch alles eitel und vergänglich; Sorge, Furcht, Hoff-
nung, und zuletzt der Tod! — Die Zeit wird kommen, Andres,
wo sie uns auch in Leinen wickeln und in einen Sarg legen.
Laß uns thun, lieber Junge, was wir denn gerne möchten gethan
haben, und unser Vertrauen ans Gott setzen!
— Und nun Abschied nehmen, Andres. Wir können ihm doch
nichts mehr helfen. Ich habe hier einen Blumenstrauß, den will
ich ihm noch in den Sarg legen; schenk du ihm dein kleines
Silberkreuz und leg's ihm auf die Brust. Und denn wollen wir
beide hintreten und ihn zu guterletzt noch einmal ansehn. Anselmo!
lieber Anselmo mit deinen blassen gefallenen Händen, schlaf wohl!
Gott sei mit dir! O du lieber Herzensanselmo! Gott sei mit dir!
— Wir werden uns Wiedersehn.
Und komm, Andres, und gutes Muths! Mußt nun recht
gutes Muths sein. Unser Herr Christus ist auch heute geboren.
143.
Auf ein verwelktes Röschen.
Von Christian Weise.
Kurz: Geschichte der deutschen Literatur. Bd. II. Leipzig 1853—1859. S. 520.
Jld), mein Röschen ist verwelkt,
Welches meiner Augen Weide,
Meine Wonne, meine Freude,
Welches durch das ganze Jahr
Meine liebste Farbe war;
Dieses eilet so behende
Zu dem unverhofften Ende:
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Wenn ich etwas am Gerüche
Von der Kraft und Schönheit suche,
Find' ich nur ein dürres Blatt,
Welches schlechte Reizung hat.
Gleichwohl konnte mein Verlangen
Gestern in derselben prangen!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Und die Zeit, die allen Dingen
Muß ihr letztes Urtheil bringen,
Raubt mir auch das schöne Pfand
Gar zu zeitlich aus der Hand,
Daß ich von dem edlen Stücke
Kaum den Schatten noch erblicke!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Und indem ich sie betrachte,
So empfind' ich still und sachte
Mein gewisses Ebenbild
In den Leichnam eingehüllt,
Daß ich bald auch werde müssen
Meine junge Zeit beschließen.
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
Und je länger ich die Ränke
Dieser Eitelkeit bedenke,
Kommt mir auch die süße Zier
Mehr und mehr betrübter für.
Drum, indem ich sie beklage,
Kann üf) nichts, als daß ick) sage:
Ach, mein Röschen ist verwelkt!
144.
Unverhofftes Wiederfthen.
Von Hebel.
Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Stuttg. und Tüb. 1818. S. 338.
In Falun in Schweden küßte vor guten neunzig Jahren und
mehr ein junger Bergmann seine hübsche Braut und sagte zu ihr: Mus
13*
_ 198___
©anet Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet.
Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes
Nestlein.' — ‘Unb Friede und Liebe soll darin wohnen/ sagte die
schöne Braut mit holdem Lächeln, ‘beim du bist mein einziges und
alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein, als an einem
andern Ort.' Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweiten-
mal in der Kirche ausgerufen hatte: ‘so nun jemand Hin-
dernisse wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht
möchten ehelich zusammen kommen,' da meldete sich der Tod.
Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen
Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbei gieng, der Bergmann
hat sein Todtenkleid immer an, da klopfte er z^ar noch einmal an
ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten
Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und
sie säumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit
rothem Rand für ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer
kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergaß ihn nie.
Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erd-
beben zerstört, und der siebenjährige Krieg gieng vorüber, und
Kaiser Franz I. starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben
und Polen getheilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der
Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die ver-
einigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht er-
obern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner
töhle in Ungarn ein, und»der Kaiser Joseph starb auch. Der
önig Gustav von Schweden eroberte russisch Finland, und die
französische Revolution und der lange Krieg fieng an, und der
Kaiser Leopold II. gieng auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen,
und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute
säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede
hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in
ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun
im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei
Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert
Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und
Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit
Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert
war, also daß man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig
erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben,
oder ein wenig eingeschlafen wäre an der Arbeit. Als man ihn
aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und
Bekannte waren schon lange todt, kein Mensch wollte den schla-
fenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen,
bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages
auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau
und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz
197
und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Ent-
zücken als mit Schmerz sank sic auf die geliebte Leiche nieder, und
erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüths
erholt hatte, <es ist mein Verlobter,' sagte sie endlich, <um den ich
fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch ein-
mal sehen läßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit
ist er unter die Erde gegangen und nimmer herauf gekommen.'
Da wurden die Gemüther aller Umstehenden von Wehmuth und
Thränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der
Gestalt des hiugewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam
noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach
fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal
erwachte, aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die
Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Berg-
leuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm ange-
höre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei aus
dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet war aus
dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloß sie ein Kästlein
auf, legte ihm das schwarzseidene Halstuch mit rothen Streifen
um und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als
wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung
wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte
sie: ^Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehn im kühlen Hoch-
zeitsbett, und laß dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur
noch wenig zu thun und komme bald, und bald wird's wieder
Tag. — Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum
zweitenmal auch nicht behalten,' sagte sic, als sie fortgieng und
noch einmal umschaute.
145.
Das Lied vom Samenkorn.
Von Krummacher-
Da- Christfest 2. Aust. Duisburg und Essen 1814. S. 14?.
§er Sämann streut aus voller Hand
Den Samen auf das weiche Land,
Und wundersam, was er gesät,
Das Körnlein wieder aufersteht.
Die Erde nimmt es in den Schoß
Und wickelt es im Stillen loö;
Ein zarte» Keimlein kommt hervor
Und hebt sein röthlich Haupt empor.
Es steht und frieret, nackt und klein,
Und fleht um Thau und Sonnenschein;
Die Sonne schaut von hoher Bahn
Der Erden Kindlein freundlich an.
Bald aber nahet Frost und Sturm,
Und scheu verbirgt sich Mensch und
Wurm;
Das Körnlein kann ihm nicht entgehn,
Es muß in Wind und Wetter stehn.
Doch schadet ihm kein Leid noch Weh;
Der Himmel deckt mit weißem Schnee
Der Erde nacktes Kindlein zu;
Dann schlummert es in stiller Ruh.
198
Bald fleucht des Winters trübe Nacht;
Die Lerche singt, das Korn erwacht;
Der Lenz heißt Bäum' und Wiesen
blühn
Und schmückt das Feld mit frischem
Grün.
Voll krauser Ähren, schlank und schön
Muß nun die Halmcnsaat erstehn,
Und wie ein grünes, stilles Meer
Im Winde wogt sie hin und her.
Dann schaut vom hohen Himmelszelt
Die Sonne auf das Ahrenfeld:
Die Erde ruht in stillem Glanz,
Geschmückt mit goldnem Ährenkranz.
Die Ernte naht, die Sichel klingt,
Die Garbe rauscht; gen Himmel dringt
Der Freude lauter Jubclsang,
Des Herzens stiller Preis und Dank.
146.
Gottes Körntein.
Von vr. Martin Luther.
Tischreden, herausg. von Förstemann und Bindseil. Berlin. 4 Bde.
Wir müssen hinfort eine neue Lehre lernen vom Tode und
Grabe: wenn wir sterben, daß es nicht todt oder gestorben heißt,
sondern auf den zukünftigen Sommer ausgesäet, und der Kirchhof
oder das Begräbnis nicht ein Kirchhof, sondern ein Acker voll
lebendiger Körnlein, die da heißen Gottes Körnlein, die sollen
wieder hervorgrünen und wachsen, schöner, denn ein Mensch be-
greifen kann. Und der Kirchhof soll heißen ein Gottesacker;
denn Gott ist ein solcher Ackermann, und du bist sein Körnlein,
das er in die Erde wirft. Er ist aber viel ein besserer und
größerer Ackermann, denn ein Bauer auf dem Felde, und hat viel
köstlicheren und reicheren Samen. Das sind wir Menschen, so viel
unser auf Erden kommen von Adam an bis an den jüngsten Tag;
dieselben streut er um sich in die Erde, wie er sie ergreift, Weib,
Mann, groß, klein, jung, alt, reich und arm. Denn eS ist ihm
einer wie der andre, und die 'ganze Welt nicht anders, denn wie
dem Landmann das Tuch voll Samen. Darum, wenn er die
Leute sterben läßt, das heißt er in das Tuch gegriffen und eine
Handvoll um sich gestreut, auf daß solcher Same wieder viel herr-
licher und schöner hervorblühe. Wenn ich also sehe meinen Vater,
Mutter, Bruder, Schwester, Kind oder Freund in den Gottesacker
begraben und daselbst liegen, muß ich als Christ nicht sagen: Da
liegt ein Todter,' sondern: Da liegt mein lieber Vater, Mutter
u. s. w. und ich heute oder morgen auch bei ihnen. Was sind
sie? Körnlein, die bald sollen keimen, wachsen, unsterblich und
unverweslich, viel schöner, denn die grüne Saat auf dem Felde,
wenn es Sommer wird.'
Der sterbende General.
Von Annette v. Droste-HülShof.
Letzte Gaben. Hannover 1860. S. 78.
Er lag im dicht verhängten Saal,
Wo grau der Sonnenstrahl sich brach,
Auf seinem Schmcrzensbctte lag
Der alte kranke General.
Genüber ihm am Spiegel hieng
Echarpe, Orden, Feldherrnstab.
Still war die Luft; am Fenster gieng
Langsam die Schildwach' auf und ab.
Wie der verwitterte Soldat
So stumm die letzte Fehde kämpft!
Zwölf Stunden, seit, zuletzt gedämpft,
Um Wasser er, um Wasser bat.
An seinem Kissen beugten zwei,
Des einen Auge roth geweint,
Des andern düster, fest und treu,
Ein Diener und ein alter Freund.
‘Sritt seitwärts,' sprach der eine, 'laß
Ihn seines Standes Ehren sehn!
Den Vorhang weg, daß flatternd wehn
Die Bänder an dem Spiegelglas!'
Der Kranke schlug die Augen auf,
Man sah wohl, daß er ihn verstand,
Ein Blick, ein leuchtender, und drauf
Hat er sich düster abgewandt.
'Denkst du, mein alter Kamerad,
Der jubelnden Victoria?
Wie flogen unsre Banner da
Durch der gemähten Feinde Saat!
Denkst du an unsers Prinzen Wort:
'Man sieht es gleich, hier stand der
Wart!' —
Schnell, Konrad, nehmt die Decke fort,
Sein Odem wird so kurz und hart!'
Der Oberst lauscht, er murmelt sacht:
^Verkümmert, wie ein welkes Blatt!
Das Dutzend Friedensjahre hat
Zum Kapuziner ihn gemacht. —
Wart! Wart! du hast so frisch und licht
So oft dem Tode dich gestellt,
Die Furcht, ich weiß eS, kennst du nicht,
So stirb auch freudig wie ein Held!
'Stirb wie ein Lene, adelich,
In seiner Brust das Bleigeschoß;
O stirb nicht, wie ein zahnlos Roß,
Das zappelt vor des Henkers Stich! —
— Ha, seinem Auge kehrt der Strahl! —
Stirb, alter Freund, stirb wie ein
Mann!'
Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
Und 'Wasser! Wasser!' stöhnt er dann.
Leer ist die Flasche. — 'Wache dort,
He, Wache, du bist abgelöst!
Schau, wo ans Hauö das Gitter stößt,
Lauf, Wache, lauf zum Borne fort!' —
'S ist auch ein grauer Knastcrhart
Und strauchelt wie ein Dromedar —
'Nur schnell, die Sohlen nicht gespart!
Was, alter Bursche, Thränen gar?'
'Mein Commandant,' spricht der
Ulan,
Grimmig verschämt, 'ich dachte nach,
Wie ich blessiert am Strauche lag,
Der General mir nebenan,
Und wie er mir die Flasche bot,
Selbst dürstend in dem Sonnenbrand,
Und sprach: 'Du hast die schlimmste
Noth.'
Dran dacht' ich nur, mein Comman-
dant.'
Der Kranke horcht; durch sein Gesicht
Zieht ein verwittert Lächeln, dann
Schaut fest den Veteran er an. —
Die Seele, der Victorie nicht,
Nicht Fürstenwort gelöst den Fluch,
Auf einem Tropfen Menschlichkeit
Schwimmt mit dem letzten Athemzug
Sie lächelnd in die Ewigkeit.
200
148.
Die besten Freunde.
Von Butschly.
Wohlbebautes Rosenthal in sechshundert Betrachtungen. Nürnberg 1679.
Der Welt Liebhaber ist einem Menschen gleich, der drei Freunde
hatte und den einen mehr als sich selbst, den andern wie sich selbst,
den dritten aber weniger als sich selbst liebte. Als er nun eine
böse That begangen hatte und deswegen vor dem König zu er-
scheinen beordert wurde, gieng er mit traurigem Gemüthe zu dem
ersten Freunde und bat beweglichst um Hülfe und Beistand, indem
er ihn jederzeit mehr geliebet hätte, als sich selbst, bekam aber zur
Antwort, er kenne sein nicht, doch wolle er ihm ein Tuch zu
einem höfischen Kleide geben lassen.
Folgends erhub er sich zu dem andern Freunde und suchte
gleichmäßig Hülse bei ihm; derselbe entschuldigte sich, er hätte in
seiner eigenen Angelegenheit allzu viel zu verrichten und könnte
sich nicht abmüßigen, doch wolle er ihm das Geleite bis an den
königlichen Hof geben.
Endlich eilte er zum dritten und sprach: <Jch darf dich nicht
wohl anreden, denn ich habe dich nicht recht geliebet, wie ich billig hätte
thun sollen; aber doch, Lieber, verlaß mich nicht, leiste mir Beistand,
weil mich männiglich verlassen!' Dieser dritte Freund antwortete mit
fröhlichem Angesichte: Du bist mir ein lieber Freund; ich will mit
dir gern und willigst zum Könige gehen und für dich um Gnade bitten.'
Durch den ersten Freund wird der Reichthum bedeutet, wovon
der Mensch viel Gefahr ausstehet; aber zur Zeit des Todes hat
er ein mehreres nicht davon zu gewarten, als ein verächtliches
Todtenleilach oder Tuch.
Durch den andern Freund wird verstanden Vater und Mutter,
Weib und Kind, Blutsfreunde und Verwandte; die geben uns nur
das Geleite zum Grabe und gehen wieder in ihre Geschäfte.
Der dritte Freund ist Glaube, Hoffnung und Liebe; denn
das Almosen und die christlich löblichen guten Werke gehen bei
unserm Abscheiden aus dieser Welt vor uns her, bitten Gott für
uns und helfen uns in Christo auS des Teufels Gewalt erretten.
Und dieses sind die rechten, wahren Freunde, die wir erwählen sollen!
149.
Vierteilen.
Bon Ritckert.
Gesammelte Gedichte. Erlangen. Bd. IL 3. Aufl. 1839.
1. S. 372.
Wehe dem, der zu sterben geht
Und keinem Liebe geschenkt hat,
201
2. S. 401.
Was du liebest, denke dran,
Daß der Tod dir'« rauben kann.
Lebend, wirst du doppelt lieb es haben;
Minder schmerzen wird eS dich, be-
graben.
3. S. 381.
Auf das, was dir nicht werden kann,
Sollst du den Blick nicht kehren;
Oder ja, sieh recht es an,
So siehst du gewiß, du kannst's ent-
behren.
4. S- 385.
Nicht der ist auf der Welt verwaist,
Desien Vater und Mutter gestorben,
Sondern der für Herz und Geist
Keine Lieb'^undizkein Wissen erworben.
5. S. 395.
Thu, was jeder loben müßte,
Wenn die ganze Welt es wüßte;
Thu eS, daß es niemand weiß,
Und gedoppelt ist sein Preis.
6. S. 382.
Prahl nicht heute: 'Morgen will
Dieses oder das ich thun.' .
Schweige doch bis morgen still,
Sage dann: 'Das that ich nun!'
7. S. 383.
Wem du einmal hast weh gethan,
Und thust du tausend Guts ihm an,
Du darfst dafür dir nicht versprechen,
Daß er nicht einst das Weh wird rächen.
8. S. 402.
Nicht jedes Lächeln laß geschwind
Dich rühren und nicht jede Thräne.
Das Krokodil weint wie ein Kind,
Und wie ein Mensch lacht die Hyäne.
9. S. 398.
Der ist ein Satan von allen Seiten,
Wie die Hüll' inwendig hohl,
Dem anderer Vollkommenheiten
Weh machen, und ihre Fehler wohl.
10. S. 375.
Wie ihr möget die Karten mischen,
Ordnen und wägen, gebet Acht!
Leise tritt ein Ereignis dazwischen,
Das eure Weisheit zu Schanden macht.
11. S. 401.
Nicht zähle wer aufs Geld, das rasche,
Bevor er'S schiebet in die Tasche;
Und ob er'S in die Tasche schiebe,
So zähl' er noch auf Taschendiebe.
12. S. 380.
Der Grundbesitz ist das edelste Gut,
Wie die Erd' in Gottes Händen ruht;
Ob Stürme schnauben, ob Feinde toben,
Der Grund bleibt unten, der Himmel
oben.
150.
Sprüche aus den Tischreden.
Von vr. Marlin Luther.
Werke 2. Aufl. Hamburg 1827 u. 28. Bd. III.
1. Die heilige Schrift ist wie ein Wasser, darin ein Elephant schwimmt,
' aber ein Lamm watet. — 2. Wie einer liefet in der Bibel, so stehet am
Hause sein Giebel. — 3. Durch die Werke geben wir Zinsgut, durch den
Glauben empfahcn wir Erbgut. — 4. Werke ohne Glauben sind Lampen
ohne Öl. — 5. Falsche Christen sind Wolken ohne Regen. — 6. Der
Menschen Herz ist wie Quecksilber. — 7. Was Vater und Mutter nicht
ziehen, das zieht der Henker. — 8. Fein langsam reden ist eine feine Tu-
gend. — 9. Eine Lüge ist wie ein Schneeball: je länger man ihn wälzet,
je größer er wird.
10. Es ist auf Erden kein besser List,
Denn wer der Zungen Meister ist.
Viel wissen und wenig sagen.
Nicht antworten auf alle Fragen.
Rede wenig und mach's wahr.
Was du kaufst, bezahle bar.
Laß einen jeden sein, wer er ist,
So bleibst auch du wohl, wer du bist.
151.
Kinderbuch t.
Bon Abraham a Santa Clara.
Judas der Erzschelm. Salzburg 1710. I, Kap- 6. (Gekürzt.)
Ihr Eltern thut zu viel und thut zu wenig: ihr thut zu
wenig strafen, ihr thut zu viel lieben eure Kinder. Ihr habt zwei-
felsohne öfters vernommen aus der heil. Schrift, lvie einst die
Bäume sind zusammenkommen und auf ihrem hölzernen Reichstag
haben einen König erwählet; die meisten Stimmen sind gefallen
auf den Ölbaum, auf den Feigenbaum, auf den Weinstock rc.,
vom Birkenbaum geschieht keine einzige Meldung. Meines Theils,
wann ich wäre gegenwärtig gewesen und als ein Mitglied auch
eine freie Wahl hätte gehabt, so hätte ich unfehlbar den Birken-
baum zum König erkoren; denn niemand glaubt's, wie ruhm-
würdig dieser regieret, absonderlich in der Kinderzucht.
Ich schneid, ich schneid, ich schneid! — Was aber?' — Ich
schneid ab! — Was? die Nasen?' — Nein, nein! das thue ich nit.
Ich schneid, ich schneid, ich schneid! — Was aber?' — Ich schneid
ab! — Was? die Ohren?' — Nein, nein! das thue ich nit.
Ich schneid, ich schneid, ich schneid! — Was ober?’ — Ich schneid
ab! — Was? die Zungen?' — Nein, nein! das thue ich nit.
Ich schneid, ich schneid, ich schneid! — Was aber?' — Ich schneide
den Eltern die Finger ab! Ja, ich möchte gern den meisten Eltern
die Finger abschneiden, damit sie nit mehr so stark ihren Kindern
durch die Fiuger sehen, sondern dieselbigen von Jugend auf strafen.
So lange Moses die Ruthe in Händen gehabt, ist sie eine schöne
Ruthe verblieben; so bald er's aber aus der Hand fallen lassen,
da ist gleich eine Schlange daraus worden. Also auch, meine
liebsten Eltern, so lang ihr die Ruthe in Händen habt und eine
gute scharfe Zucht führet unter den Kindern, so bleibet alles gut;
wann ihr aber die Ruthe fallen lasset, so wird gleichförmig eine
Schlange daraus: ich will sagen, es ist lauter schädliches Gift den
Kindern, so man die Ruthe nicht in die Hände nimmt. Die Erde
bringet keine Frucht, sondern Distel, wann man sie nit mit scharfen
Pflugeisen durchgräbt: die Jugend thut kein gut, wann man sie
nit scharf hält. Das Eisen, so erst aus dem Bergwerk gebrochen,
ist nichts guts, es komme denn der harte Hammer darauf: die
Jugend bleibt nichts nutz, so man der Streiche verschonet. Der
Weinstock wird nit tragen, sondern verfaulen, so nit ein Stecken
dabei stehet: die Jugend wird nit fleißig sein, sondern faul, wann
nit die Ruthe daneben steckt.
Wie nennet Clemens Alexandrinus die Kinder? Er nennt
sie üores matrimonii, Blumen des Ehestands. Gut, gut! die Blu-
men müssen umzäunt sein mit Ruthen und Stecken, sonst kommt ein
jedes wühlerisch Thier darüber. Wie nennt der heil. Augustinus die
Kinder? Er nennt sie naviculas Huctuantes, kleine wankende Schiff-
lein. Gut, gut! zu diesen Schifflein muß man Ruder brauchen,
die der Besenbinder feil hat. Wie nennt der heil. Gregorins die
Kinder? OouIu8 8uorum jiarentum, Augapfel ihrer Eltern. Gut,
gut! aber den Augapfeln hat die Natur Augbrauen gesetzet, welche wie
die Ruthen gestellet sind. Wann man aber die Ruthe spart, so
kommt Schand und Schad über die Kinder. Nero wäre kein
solcher Böswicht worden, wann ihn seine Mutter Agrippina hätt
schärfer gehalten. Jener Sohn hätte bei dem Galgen der Mutter
das Ohr nit abgebissen, wann sie ihn hätte besser gezüchtiget in
seiner Jugend. Ein anderer Bub, welcher wegen seiner Faulheit
drei Jahre in einer Classe sitzen blieben und dem Vater, der ihn:
solches hart verwiesen, zugeredet: Mein Vater, verwundert Euch doch
nit so sehr über dies; ist doch mein Professor schon das vierte Jahr
darin —' dieser Mauskönig wäre nit so frech und faul gewesen,
dafern er in der Jugend die Ruthe mehr gekostet hätte.
152.
Hüetcnt wol der drier!
von Walther y. d. Vogelweide.
gedichte, hrsg. v. Lachmann und Haupt, 3. aust. Berlin 1853. 8. 87. —
Vergl. W. v. d. B., übersetzt von Simrock, 2. Aufl. Leipzig 1853. S. 16V.
Nioman kan mit gerten
kindes zuht beherten: l)
den man zören bringen mac,
dom ist ein wort als ein slac.
dem ist ein wort als ein slac,
den man zeren bringen mac:
kindes zuht beherten
nieman kan mit gerten.
Hüetent iuwer ougen
offonbftr und tougon, 2)
lftnt si guote site spehen
und die boesen übersehen,
und die boesen übersehen
lftnt si, goute site spehen
offonb&r und tougen:
hüetent iuwer ougen.
Hüetent iuwer zungen:
da; zimt wol dien jungen,
stö; den rigol für die tür,
1A kein beese wort dar für.
1A kein boese wort dar für,
stö; den rigol für die tür:
da; zimt wol dien jungen,
hüetent iuwer zungen.
Hüetent iuwer ören,
oder ir sint töron.
lÄnt ir boesiu wort dar in,
da; gun£ret3) iu den sin.
da; guneret iu den sin,
lftnt ir boesiu wort dar in,
oder ir sint tören.
hüetent iuwer Ören.
1) befestigen, erkämpfen. 2) geheim. 3) entehret.
204
Hiietent wol der drier dicke schalchaft, zéren blint
leider alze srier. zungen ougen oren sint.
zungen ougen oren sint leider alze fríer
dicke schalchaft, zéren blint. hiietent wol der drier.
153.
Antreue schlägt den eigenen Herrn.
Von Hebel.
Werke. Karlsruhe 1832. Hl, 21. — Schatzkästlein. Stuttg. u. Tüb. 1816. S- 111.
Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Theil
der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Trup-
pen vom rheinischen Bundesheer dabei, und ein baierischcr oder
würtembergischer Officier wurde zu einem Edelmann einquartiert
und bekam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und
kostbare Gemälde hiengcn. Der Officier schien recht große Freude
daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann ge-
wesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal
von seinem Hauswirt, daß er ihm eines von diesen Gemälden
zum Andenken schenken möchte. Der Hauswirt sagte, daß er das
mit Vergnügen thun wollte, und stellte seinem Gaste frei, dasjenige
selber zu wählen, welches ihm die größte Freude machen könnte.
Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von
jemand auszusuchen, so erfordert Verstand und Artigkeit, daß man
nicht gerade das Vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist
es auch nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken,
denn er wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber
das war unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er
hätte ihm gern das kostbarste dafür gelassen. Mein Herr Oberst!'
so sprach er mit sichtbarer Unruhe, <warum wollen Sie gerade das
geringste wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache
werth ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort.'
Der Officier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu
merken, daß sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst ge-
rieth, sondern nahm geradezu das gewählte Gemälde herunter.
Jetzt erschien an der Mauer, wo dasselbe gewesen war, ein großer
feuchter Fleck. Was soll das sein?' sprach der Officier, wie erzürnt,
zu seinem todblassen Wirt, that einen Stoß, und auf einmal sielen
ein paar frisch gemauerte und übertünchte Backsteine zusammen,
hinter welchen alles Geld und Gold und Silber des Edelmanns
eingemauert war. Der gute Mann hielt nun freilich sein Eigen-
thum für verloren, wenigstens erwartete er, daß der feindliche Kriegs-
mann eine namhafte Theilung ohne Inventarium und ohne Com-
missarius vornehmen werde, ergab sich geduldig darein und ver-
langte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können,
daß hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war.
Der Officier erwiderte: ‘3d) werde den Entdecker sogleich holen
lassen, dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig bin;' und in
kurzer Zeit brachte sein Bedienter — sollte man's glauben — den
Maurermeister selber, den nämlichen, der die Vertiefung in der
Mauer zugemauert und die Bezahlung dafür erhalten hatte.
Das ist nun einer von den größten Spitzbubenstreichen, die
der Satan aus ein Sündenregister setzen kann. Denn ein Hand-
werksmann ist seinen Kunden die größte Treue, und in Geheim-
nissen, wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schul-
dig, als wenn er einen Eid darauf hätte.
Aber was thut man nicht um deö Geldes willen! Oft gerade
das nämliche, was man um der Schläge, oder um des Zuchthauses
willen thut, oder für den Galgen, obgleich ein großer Unter-
schied dazwischen ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub.
Denn der brave Officier ließ ihn jetzt hinaus vor die Stube füh-
ren und ihm von frischer Hand hundert, sage hundert Prügel
bar ausbezahlen, lauter gute Valuta, und war kein einziger falsch
darunter. Dem Edelmann aber gab er unbelastet sein Eigenthum
zurück. — Das wollen wir beides gut heißen und wünschen, daß
jedem, der Einquartierung haben muß, ein so rechtschaffener Gast
und jedem Verräther eine solche Belohnung zu Theil werden möge.
154.
Das Pferd als Kläger.
Von Simrock.
Gedichte. Leipzig 1844. S. 155.
£?n jenen Zeiten, die wir preisen,
Davon noch gern die Sage spricht,
Da hielt mit König Karl, dem Weisen,
Als Schösse mancher Held Gericht.
Ein Glöckchen hieng im Waldes-
schatten,
Man hört' im Schlosse, wenn es klang:
Da kamen, die zu klagen hatten,
Und zogen an der Glocke Strang.
'Wohlauf! Das Glöckchen hör' ich
schallen;
Laßt schauen, wer Gerichts begehrt!'
Sie traten aus des Schlosses Hallen;
Da zog den Strick ein lahmes Pferd.
'Das ist ein wunderlicher Kläger;
Wer will dem Stummen Stimme
leihn?
Der Armen und der Waisen Pfleger,
Du, Eckart, sollst sein Anwalt sein.' —
'Der besten Redner bin ich keiner,
Eckart ist allem Hader feind.
Hier Eurer Ritter ist es einer,
Den dieses Pferdes Klage meint.
'Es hat ihn feurig einst getragen
Von Schlacht zu Schlacht, von Sieg zu
Sieg;
Man sah eS stolz die Scholle schlagen.
Wenn er's im Waffenschmuck bestieg.
'Die Ehre dankt er hohem Streben,
Er dankt den Ruhm dem tapfern Arm;
Dem Roste schuldet er das Leben:
Es trug ihn aus der Feinde Schwarm.
'Da gab er ihm viel Schmeichel-
namen
206
Und Leckerbissen mannigfalt;
Doch Jahre giengen, Jahre kamen,
Auch dieses edle Roß ward alt.
'Run lahmt sein Fuß zu raschem
Laufe,
Blind schwankt eS an der Grube Rand;
Da gönnt er ihm vor seiner Raufe,
Bor seiner Krippe keinen Stand.
'Es irrt, au« seinem Stall verwiesen,
Umher und sucht ein Hälmchcn Stroh,
Und niemand ist auf Feld und Wiesen
Des ungebetnen Gastes froh.
'Gescheucht, geworfen und geschlagen,
Lief es hieher und fand den Strang;
Der Hunger trieb'S, ihn zu benagen,
Bis diese Glocke sich erschwang.
'Die Glocke fühlte mit dem armen,
Ihr war der schnöde Undank leid,
Zum Hinimel rief sie um Erbarmen,
Zum König um Gerechtigkeit.
'Ihr weisen Richter mögt erkennen,
WaS diesem edlen Thier gebührt;
Den Ritter will ich nicht benennen,
Ich warn' ihn nur, daß er's vollführt.'
Da rief der letzte wie der erste,
Da rief der schuld'ge Ritter auch:
'Bis an den Bauch in goldne Gerste,
In goldncs Korn bis an den Bauch!'
155.
Naturrecht.
Nach einem mittelhochdeutschen Gedichte.
Fr. H. v. d. Hagen: Gesammtabenteuer. Stuttg. und Tüb. 1850. II, 635.
Aönig Karl war ein rechter Kaiser, und alle anderen Könige
waren nur Grafen gegen ihn. Er war aber auch der beste Richter,
den je ein Auge gesehen hat. Überall, wo er weilte, ließ er eine
große Glocke aufrichten, die durfte jeder läuten, der Gerechtigkeit
verlangte, und so oft der König deren lauten Klang vernahm, ge-
mahnte es ihn an Gottes Gericht, und dann war es ihm unmög-
lich, das Recht zu beugen.
Eines Tages, als er bei Tische saß und sich an Hühnern
und Fischen gütlich that, hörte er auch die Glocke klingen und
sprach: ‘t)a ist jemand, dem man Leid zugefügt hat. Nun wohlan,
ich räche es, es sei Mann oder Weib!' Als aber die vier Hüter,
welche der Glocke zu warten hatten, hinzu traten, um nach dem
Kläger zu sehen und ihn vorzuführen, fanden sie niemand, und
sie meldeten es dem Könige. Indem läutete es zum andernmal,
und der König erwiderte: <Jhr schafft mir den Kläger herbei, oder
eS geht euch schlecht!' Die Hüter suchten und suchten, fanden aber
wieder niemand und meldeten eS dem Könige. Da läutete es zum
drittenmal, und nun ward der König zornig und sprach: ^Bringt
ihr mir nicht sofort den armen Mann, so geht es euch an den
Leib!' Die Hüter entfernten sich in großer Angst und sprachen
unter einander: Müssen wir unschuldig sterben, so sei Gott uns
gnädig!' Und sie durchsuchten alles von neuem, sahen aus und
sahen nieder, fanden aber niemand. Da in großer Noth schaute einer
von ihnen in die Glocke, und siehe! eine lange Natter hatte sich
um den Klöpfel geschlungen, und sie also war die Klägerin. Wie-
der eilten sie zum Könige, der sie fragte: Mun, bringt ihr den
Bedrängten?' ‘Herr,' erwiderten sie, ‘bet der Glocke ist niemand,
als eine große Natter, die hält den Schwengel umwunden und
wird geläutet haben.' ‘Das ist Gottes Finger!' rief der König,
‘öffnet die Thür und laßt sie herein, damit ihr Recht widerfahre.'
Es geschah also, und die schauerliche Natter schlüpfte herein. Der
König gebot, ihr keinen Haß zu tragen und nichts Leides zu thun,
und sie legte sich zu seinen Füßen. Daran erkannte er, daß sie
zu klagen habe, und sprach: ‘Sie hat Kummer, den ich schlichten
soll,' und zur Schlange selber: ‘Thu mir deine Sorgen kund, so
soll dir Recht werden.' Nun erhob sich die Natter, vier Männer
mußten ihr folgen, und sie führte sie durch einen Baumgarten in
ein Dickicht. Das durchsuchten die Männer, und nachdem sie alles
zerwühlt und zertreten hatten, fanden sie endlich eine breite Kröte,
die auf den Eiern der Natter lag. Das also war die Beklagte.
Und sie stießen und schlugen die häßliche Kröte bis hin vor den
König, der ließ alsbald einen Spieß durch sie stoßen. Des ward
die Natter wohlgemuth.
156.
Der Prozeß.
Bon Gellert.
Fabeln. Leipzig 1748- I, 44. — Fabeln, heraus«, von Th. Colshorn, mit Illustrationen von
H. Leutemann. 2. Abdruck. Leipzig 1867. S- 24. — Werke. Leipzig 1769. I, 49.
3a, ja, Prozesse müssen sein!
Gesetzt, sie wären nicht auf Erden,
Wie könnt' alsdann das Mein und Dein
Bestimmet und entschieden werden?
Daö Streiten lehrt uns die Natur.
Drum, Bruder, recht und streite nur:
Du siehst, man will dich übertäuben;
Doch gieb nicht nach, setz alles auf
Und laß dem Handel feinen Lauf.
Denn Recht muß doch Recht bleiben.
Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain
Der sollte, meint Ihr, Euer sein?
Nein, er gehört zu meinen Hufen.'
Micht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt;
Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen,
Von denen jeder sagen wird,
Das; lange vor der Schwedenzcit--------'
208
'Gevatter, Ihr seid nicht gescheit,
Versteht Ihr mich? Ich will's Euch lehren,
Daß Rain und Gras mir zugehören.
Ich will nicht eher sanfte ruhn,
Das Recht, das soll den Ausspruch thun.'
So saget Kunz, schlägt in die Hand
Und rückt den spitzen Hut die Quere.
'Ja, eh ich diesen Rain entbehre,
So meid' ich lieber Gut und Land.'
Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten,
Er eilet nach der nahen Stadt.
Allein Herr Glimpf, sein Advocat,
War kurz zuvor ins Amt geritten.
Er läuft und holt Herr Glimpfen ein..
'Wie,' sprecht ihr, 'kann das möglich sein?
Kunz war zu Fnß und Glimpf zu Pferde.'
So glaubt ihr, daß ich lügen werde?
Ich bitt' euch, stellt daö Reden ein,
Sonst werd' ich, diesen Schimpf zu rächen,
Gleich selber mit Herr Glimpfen sprechen.
Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein,
Greift in den Zaum und grüßt Herr Glimpfen.
'Herr!' fängt er ganz erbittert an.
'Mein Nachbar, der infame Mann,
Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen,
Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain,
Der zwischen unsern Feldern lieget,
Der, spricht der Narr, der wäre sein.
Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget.
Herr,' fuhr er fort, 'Herr, meine beste Kuh,
Sechs Scheffel Haber noch dazu!'
(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.)
'O! dient mir wider ihn, und helft die Sach' entscheiden.'
Kein Mensch,' versetzt Herr Glimpf, 'dient freudiger, als ich.
Der Nachbar hat nichts einzuwenden,
Ihr habt das größte Recht in Händen;
Aus Euren Reben zeigt es sich.
Genug, verklagt den Ungestümen!
Ich will mich zwar nicht selber rühmen,
Dies thut kein ehrlicher Jurist;
Doch dieses könnt Ihr Reicht erfahren,
Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren,
Bon mir verloren worden rst.
Ich will Euch Eure Sache führen,
Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren.'
Glimpf reitet fort. 'Herr!' ruft ihm Kunz noch nach,
'Ich halte, was ich Euch versprach.'
Wie hitzig wird der Streit getrieben!
Manch Ries Papier wird voll geschrieben.
Das halbe Dorf muß in das Amt;
Man eilt, die Zeugen abzuhören,
Und fünfundzwanzig müssen schwören,
Und diese schwören insgesammt,
Daß, wie die alte Nachricht lehrte,
Der Rain ihm gar nicht zugehörte.
209
Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht!
Ich weif; zwar wenig von dem Rechte;
Doch, im Vertraun geredt, ich dächte,
Du hättest nicht das größte Recht.
Manch widrig Urtheil kommt; doch laßt eö widrig klingen!
Glimpf muntert den Elicntcn auf:
'Laßt dem Prozesse seinen Lauf,
Ich schwör Euch, endlich durchzudringen;
Doch------------'
'Herr, ich hör es schon; ich will daö Geld gleich bringen.'
Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit;
Allein warum so lange Zeit?
Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen,
Du mußt die Rechtsgelehrten fragen.
Ein letztes Urtheil kommt. O seht doch, Kunz gewinnt!
Er hat zwar viel dabei gelitten;
Allein was thut's, daß Haus und Hof verstritten
Und Hans und Hof schon angeschlagen sind?
Genug, daß er den Rain gewinnt.
D!' ruft er, 'lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben,
Ihr seht ja, Recht muß doch Recht bleiben!'
157.
Eine Hand voll Gras, die alles fraß.
Bon Karl Stöber.
Der Erzähler aus dem Altmühlthale- Stuttgart 1851. S. 20.
In dem gelben Hanse neben der Dorfmühle in Möhren lebte
vor Zeiten ein Weber. Er wirkte für die Frauen im Schloß und
für die Weiber im Dorf, und wenn diese zufrieden gestellt waren,
für den Juden, der mit Gestreiftem und Barchent handelte. An
den Festtagen aber that er bei der Kirchenmusik mit. Denn aus
der Geige suchte er seines Gleichen. Sein Weib Kunigunde und
seine Tochter Agathe besorgten den Stall mit den zwei Kühen, den
Krautgarten vor dem Ort und die Wiese am Möhrenbach, welche
die Breite hieß. Und in dem Hypothekcnbuch stand aus dies alles
kein Heller eingeschrieben. Auch hatte niemand einen Schuldschein,
darunter das Handzeichen des Webers gestanden wäre. Aber eine
einzige Hand voll Gras verzehrte das Haus mit deu Kühen und
verschlang das Krautbect sammt der Wiese und noch mehr.
Denn in einem heißen Sommer, als man in die hohe Gerste
nicht mehr nach Gras gehen durfte und die Brachfelder schon aus-
gerichtet waren, suchten die Weberin und ihre Tochter mit ihren
Graöhacken das Rehhölzlein heim, das dem reichen Meierbauern in
Gundelsheim gehörte. An den äußersten Buchen und Birken des-
selben hieng zwar da und dort ein Strohwisch, damit landesüblich
anzudeuten, daß das Grasen in dem Walde bei Strafe verboten
ColShorn u. GoedekeS Lesebuch H. 14
210
sei. Und die Elster, der Unglücksvogel, flatterte über ihre Köpfe
weg, und die Amsel mit ihrer warnenden Stimme rief aus dem
Gehölze: <Thut's nit! thut's nit!' und im Weizenfeld hinter ihnen
schrie die Wachtel: Weck, weck, weck! gras' lieber an der Heck'!'
und die winzigen Föhren umher, die erst fernt *) aufgegangen waren
und sich noch zu dem Grase hielten, als wären sie seines Ge-
schlechts, erschraken vor den großen, schweren Pantoffeln der Weberin
und baten sichtlich: ^Schlapp, schlapp, schlapp! tritt uns nicht ab!'
Aber das Weib war taub an Ohr und Herz und schritt der
Tochter voran in den Wald, wie die Hirschkuh ihrem Kalb in das
Flachsfeld. Denn sie dachte nur an den Herrn des Waldes und
meinte, er sei in der Frühmesse. Aber er war weder in der Früh-
messe, noch im Wirtshause, noch daheim, sondern lauerte hinter der
großen Eiche, und kaum hatte die Weberin den ersten Büschel Gras
in der Hand, als er hervorbrach und schrie: Weil ich euch nur
einmal habe! An euch schlage ich mir genug! Ihr müßt mir hin
werden, ihr Galgenvögel!' Und dabei zertrat er die neuen Körbe
der Weibsleute wie Eierschalen; die Weibsbilder selbst aber warf er
zu Boden und schlug mit seinen Fäusten aus sie los, als wären
sie unter ihren Hauben von Eisen und unter ihren Miedern von
Stein; stieß auch dazwischen mit seinen Füßen nach ihnen. Denn
wenn ein Bauer anfängt zu schlagen, dann ist er wie die Thierlein,
davon Prediger Salomonis am dritten, Vers 18 geschrieben stehet.
Ehe der lange Zeiger der Sackuhr einen guten Messerrücken
weit geht, war alles geschehen und die Mutter sammt der Tochter
zerdroschen wie Bettstroh. Als sie sich nach und nach wieder zu-
sammengeklaubt und aufgerichtet hatten, wußten sie nicht, wo es
ihnen mehr fehlte, zwischen den Rippen, oder im Kreuz, oder unter
den Schulterblättern, oder um die Beine. Der Weber daheim
sah cs an den blauen Flecken, wo und wie der Bauer gedroschen
hatte, und suchte sogleich Hülfe. Nach dem Doctor schickte er einen
Boten; er selbst aber lies auf den Advocaten in Mannheim zu
und verlangte in der ersten Hitze, daß er den Bauern auf der
Stelle verklagen und ein Schmerzengeld von wenigstens fünfhun-
dert Gulden fordern sollte. Der Rechtsfreund hörte ihn in seinem
Armsessel so ruhig an, wie der alte Eckstein am Rathhause die
Schwärmer in der Neujahrsnacht, und antwortete dann: ^Lieber
Freund, auf Entschädigung und dergleichen kann vorerst nicht ge-
klagt werden. Denn der Bauer hat das Vergehen der Selbsthülfe
und das Verbrechen der Körperverletzung begangen. Dafür wird
ihn euer Amtmann schon auskehren, und erst dann, wenn dieser
mit ihm fertig ist, kommen wir mit unserer Klage und bürsten ihn noch
einmal aus, bis an seinem kornblauen Rock und seiner rothen Weste
kein gutes Härlein mehr ist. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.'
1) im vorigen Jahre.
211
Damit aber der geneigte Leser bei Zeiten begreifen lernt, was
es koste, einen Prozeß anzufangen und im Gang zu erhalten, so
wird er freundlichst ersucht, seine Schreibtasel oder ein Stück Esels-
haut zu nehmen und zu notieren, wie hoch dem Weber der erste
Tag von seinem Handel mit dem Gundelsheimer Bauern zu stehen
gekommen ist. Nämlich:
1) Dem Advocaten für das Anhören des Handels 1 Gulden
30 Kreuzer.
2) Was der Weber in seinem Geschäfte versäumt hat 54 Kr.
3) Was er unterwegs verzehrt und an seinen Sonntagsstiefeln
zerrissen hat 38 Kr.
4) Der alten Seppi fürs Aushelfen, an Geld und Kost 18 Kr.
5) An Eiern und Salz, welche die Seppi der Weberin aus
dem Küchenkasten gestohlen hat, 7 Kr.
6) Für einen Jmmenschwarm, der dem Weber durchgegangen
ist, weil er nicht zu Hause war, l Gld. 12 Kr.
7) Für einen Nelkenstock vor dem Fenster, den ihm des Nach-
bars Geiß abgefressen und heruntergeworsen hat, 3 Kr.
Das macht zusammen vier Gulden und zweiundvierzig Kreuzer
und ist für den ersten Tag schon genug und ein guter Anfang.
Aber dem Weber war es nicht zu viel, sondern eher zu wenig.
Denn als der Doctor angekommen und aus seinem gelben Kalesch-
lein stieg, griff er ihn unter den Arm und sagte: ^Sparet nur
nichts, Herr Doctor, denn der Meier in Gundelsheim muß alles
bezahlen.' Wenn man aber so etwas dem rechten Doctor sagt, so
ist es schon so viel als geschehen, und der Apotheker stellt, was die
Neunnndneunzig anbelangt, auch seinen Mann.
Überhaupt gieng in dem Hause des Webers von nun an alles
auf Unrechts Kosten. Die alte Seppi, die Aushelserin, stahl auf
Unrechts Kosten; die Weberin, die außer den blauen Flecken keinen
Denkzettel davongetragen hatte, aß und trank, was gut und theuer
war, auf Unrechts Kosten; wenn der Weber im Wirtshause auf
seinen Widersacher zu sprechen kam, trank er ein Maß mehr auf
Unrechts Kosten; und als seine Tochter etliche Wochen nach der
Affaire im Wald an den Fußtritten des Bauern gestorben war,
aßen und tranken die Leidtragenden beim Leichentrunke, was in sie
hineingieng, auf Unrechts Kosten.
AusS erstemal bekam aber der Meier von Gundelsheim noch
nicht Unrecht. Denn als ihm der Amtmann in Möhren die An-
zeige des Webers vorlas, verhielt er sich dabei so ruhig, wie der
Löffel im heißen Brei. Er schwur und vermaß sich nicht, sondern
erwiderte ohne alle sichtbare Gemüthsbewegung, er wäre an dem
Morgen, von dem der Weber rede, gar nicht in seinen Wald ge-
kommen, sondern in der Feldkapelle zu unserer Lieben Frau und
auf seinem Acker im Weidenloch gewesen. Und dabei blieb er in
mehr als zwanzig Verhören, der Amtmann mochte ihm zusetzen,
14*
wie er wollte, mit verfänglichen Kreuz- und Querfragen, oder mit
Vorhalten des allwissenden Gottes, oder mit Hindeutung auf das
Grab der Weberstochter aus dem Kirchhof, den man von der Amts-
stube aus sehen konnte. Zeugen wider ihn konnten aber nicht
aufgebracht werden, und deswegen hob die Hoskammer in Neu-
burg, der die Acten zum Spruch vorgelegt wurden, die Unter-
suchung wegen des Vergehens und Verbrechens der Körperverletzung
einstweilen auf, weil es wohl auf der einen Seite außer Zweifel
gestellt sei, daß die Weberin und ihre Tochter mishandelt worden
wären, weil man aber auf der andern nicht mit vollkommener Ge-
wißheit sagen könne, daß der Meier von Gundelsheim der Thä-
ter sei.
Nun fielen alle die Unrechtskosten auf den Weber zurück, wie
an der Heugabel eine schlecht gebundene Gerstengarbe, die aus ein-
ander geht und dem aus den Kopf fällt, der sic auf den Zehent-
wagen hinaufreichen wollte; und schon am andern Tage, nachdem
der Amtmann dem Bauern den Spruch eröffnet hatte, gieng es
von allen Seiten auf des Webers Haus zu, wie auf eine Wall-
sahrtskapelle. Der Schreiber des Advocaten kam von Mitternacht
her, der Doctor und der Apotheker trafen auf dem Wege gen
Mittag zusammen, der Bader vom Morgen her lief ihnen den
Rang ab, und der Wirt und der Krämer im Ort schickten ihre
Weiber. Jedes hatte einen Zettel in der Tasche, und auf keinem
war ein Kreuzer vergessen. Nur die alte Seppi wußte auswendig,
was ihr der Weber für das Auswarten seiner Tochter schuldig sei,
und sagte, sie hätte ihren Hausherrn, bei dem sie mit dem Haus-
zins in Rückstand wäre, darauf angewiesen.
Wenn man alle diese Zettel in eine Wage geworfen hätte, so
würden sie zusammen keine drei Loth gewogen haben; aber der
Weber mußte doch ein Kapital von dreihundert Gulden aufnehmen
und bei Heller und Pfennig wieder ausgeben, bis der Doctor, und
der Advocat, und der Apotheker, und der Bader, und der Wirt
und der Krämer ihre Federn nahmen und darunter schrieben: ^Zu
Dank erhalten.' Und diese Schuld, die er mit vier vom Hun-
dert verzinsen mußte, aß von nun an mit ihm aus einer Schüssel.
Die Zettel aber zerriß er nicht, sondern begab sich damit zu
seinem Advocaten und ließ von ihm bei dem Gericht in Möhren
eine Klage aus Entschädigung stellen, vollkommen versichert, daß
es nun in kurzem an dem Meier sein werde, den Beutel aufzu--
thun. Und fünf Monate darauf — denn die Prozesse gehen nicht
aus der Reichs-, sondern aus der Schneckenpost — erhielt er auch
ein Erkenntnis und zwar ein extrafeines. Denn es hieß in dem-
selben, der Kläger sei mit seiner Klage, so wie er sie gestellt und
angebracht, abzuweisen, maßen er für Weib und Tochter nicht mit
einander, sondern für jede besonders hätte klagen sollen, weil die
eine mehr und die andere weniger beschädigt worden und der Auf-
213
wand für Arzt, Apotheker u. s. w. bei beiden nicht gleich, sondern
verschieden gewesen sei.
Der Weber war also mit seinem Prozeß in fünf Monaten
nicht weiter gekommen, als z. B. einer, dem man draußen vor dem
Thore gesagt hat, daß er seine Strümpfe verkehrt anhätte, und der
wieder heimgegangen ist, sie umzuwenden und dann seinen Weg
von neuem anzutreten. — Aber er verlor den Muth nicht, sondern
appellierte gegen dieses Erkenntnis an die Hofkammer in Neuburg.
Und weil es daselbst nach uraltem Herkommen mit den Entschädi-
gungen nicht so schnell geht, als mit den Backenstreichen bei der
Firmelung, so kam erst nach zwei Jahren das Erkenntnis, das
Gericht in Möhren hätte die Klage in der angebrachten Art nicht
abweisen sollen, sondern habe sofort in der Sache zu erkennen,
was Rechtens sei.
Und der freundliche Leser meint, nun sei endlich die Zeit ge-
kommen, daß der Bauer dem Weber Rede stehen müsse. Aber weit
gefehlt! Der Advocat wendet sich gegen das Erkenntnis der Hof-
kammer an den obersten Gerichtshof, und da stießt wieder zwei
Jahre lang das Wasser des Möhrenbachs in die Altmühl, bis ein
Erkenntnis herabkommt, welches das Urtheil zweiter Instanz be-
stätigt und so dem Weber erlaubt, den Prozeß noch einmal von
vorn anzufangen.
Die Sache lag nun wieder in den Händen des Untergerichts
in Möhren, und dieses entschied, der Kläger habe zu beweisen, daß
der Bauer in Gundelsheim sein Weib und seine Tochter wirklich
mishandelt hätte, und daß er dafür einen Schadenersatz von wenig-
stens fünfhundert Gulden in Anspruch nehmen könne.
<Das ist leicht/ sprach der Advocat bei sich selbst, <dem Bauern
schieben wir den Reinigungseid zu, und der Weber kann seinerseits
beschwören, daß er an Schadenersatz nicht zu viel aufgerechnet hat/
Aber so weit kam es nicht, denn es legte sich ein anderer, den der
geneigte Leser wohl kennt, ins Mittel. Und dieser andere war der-
selbe, der Tag und Nacht in Einem Stück speist und doch nicht
satt wird, — der Tag und Nacht in Einem Stück geht und doch
keine Blasen kriegt, — der seit fünftausend Jahren in jeder Se-
cunde ein Licht ausgeblasen hat und noch nicht lungensüchtig ge-
worden ist.
Der Bauer in Gundelsheim erstickte an einer Speckschwarte,
noch ehe es zum Schwören von der einen oder der andern Seite
kam. Die Nachricht von seinem bösen schnellen Tode traf aber
den Weber nicht bei seinem Webstuhl, oder in seinem Hausgärtlein,
oder bei seinem Bienenstand, oder mit einem Stück Tuch aus dem
Weg in das Schloß, sondern mit einer Bettelgeige unter dem Arm
auf dem Wege zu der Kirchweih in Gundelsheim. Denn durch
die vielen Gänge in seinem Prozeß hatte er das Sitzen verlernt,
so wie sein Weib durch das Essen und Trinken auf Unrechts Kosten
das Sparen, und so kamen sie mit einander zuerst ins Abwesen
und zuletzt um das Krautbeet, um die breite Wiese und um das
gelbe Haus.
Das war die Hand voll Gras, die alles fraß.
158.
Zufriedenheit.
Bon Miller.
Voß Musenalmanach für 1777. Hamburg. S. 10.
HDstö frag' ich viel nach Geld und Gut,
Wenn ich zufrieden bin!
Giebt Gott mir nur gesundes Blut,
So hab' ich frohen Sinn
Und sing' mit dankbarem Gemüth
Mein Morgen- und mein Abendlied.
So mancher schwimmt in Überfluß,
Hat Haus und Hof und Geld,
Und ist doch immer voll Berdruß
Und freut sich nicht der Welt.
Je mehr er hat, se mehr er will,
Nie schweigen feine Klagen still.
Da heißt die Welt ein Jammerthal,
Und dünkt mich doch so schön,
Hat Freuden ohne Maß und Zahl,
Läßt keinen leer ausgehn.
Das Käferlein, das Vögelein
Darf sich ja auch des Maien freun.
Und uns zu Liebe schmücket ja
Sich Wiese, Berg und Wald,
Und Vögel singen fern und nah,
Daß alles widerhallt.
Bei Arbeit singt die Lerch' uns zu,
Die Nachtigal bei süßer Ruh.
Und wenn die goldne Sonn' aufgeht,
Und golden wird die Welt,
Und alles in der Blüte steht,
Und Ähren trägt das Feld;
Dann denk' ich: 'Alle diese Pracht
Hat Gott zu meiner Lust gemacht.'
Drum preis' ich Gott und lob' ich Gott
Und schweb' in hohem Muth
Und denk': 'Es ist ein lieber Gott
Und meint's mit Menschen gut.
Drum will ich immer dankbar sein
Und mich der Güte Gottes freun.'
215
159.
Hans im glück.
von den brüdern Grimm.
märchen 6. aufl. Göttingen 1850. 1,485. — 7. aufl. 1857. 1,417. — 13. aufl. Berlin 1875. s. 324.
Hans hatte sieben jähre bei seinem herrn gedient, da sprach
er zu ihm: ‘herr, meine zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder
heim zu meiner mutter, gebt mir meinen lohn.’ der herr ant-
wortete : ‘du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der dienst war,
so soll der lohn sein,’ und gab ihm ein stück gold, das so grosz
als Hansens köpf war. Hans zog ein tüchlein aus der tasche,
wickelte den klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und
machte sich auf den weg nach haus, wie er so dahin gieng und
immer ein bein vor das andere setzte, kam ihm ein reiter in die
äugen, der frisch und fröhlich auf einem muntern pferd vorbei
trabte, ‘ach,* sprach Hans ganz laut, ‘was ist das reiten ein schö-
nes ding! da sitzt einer wie auf einem stuhl, stöszt sich an keinen
stein, spart die schuh und kommt fort, er weisz nicht wie.’ der
reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief: ‘ei Hans,, warum laufst
du auch zu fusz?’ ‘ich musz ja wohl,’ antwortete er, ‘da habe ich
einen klumpen heim zu tragen; es ist zwar gold, aber ich kann
den köpf dabei nicht gerad halten, auch drückt mirs auf die
Schulter.’ ‘weiszt du was,’ sagte der reiter, ‘wir wollen tauschen:
ich gebe dir mein pferd, und du giebst mir deinen klumpen.’ ‘von
herzen gern,’ sprach Hans, ‘aber ich sage euch, ihr müszt euch
damit schleppen.’ der reiter stieg ab, nahm das gold und half
dem Hans hinauf, gab ihm die zügel fest in die bände und sprach:
‘wenn’s nun recht geschwind soll gehen, so muszt du mit der
zunge schnalzen und hopp hopp rufen.’
Hans war seelenfroh, als er auf dem pferde sasz und so frank
und frei dahin ritt. über ein weilchen fiel’s ihm ein, es sollte
noch schneller gehen, und fieng an mit der zunge zu schnalzen
und hopp hopp zu rufen, das pferd setzte sich in starken trab,
und ehe sich’s Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem
graben, der die äcker von der landstrasze trennte, das pferd wäre
auch durchgegangen, wenn es nicht ein bauer ausgehalten hätte,
der des weges kam und eine kuh vor sich her trieb. Hans suchte
seine glieder zusammen und machte sich wieder auf die beine.
er war aber verdrießlich und sprach zu dem bauer: ‘es ist ein
schlechter spasz, das reiten, zumal, wenn man auf so eine mähre
geräth wie diese, die stöszt und einen herabwirft, dasz man den
hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder
auf. da lob’ ich mir eure kuh, da kann einer mit gemächlichkeit
hinter her gehen und hat obendrein seine milch, butter und käse
jeden tag gewisz. was gäb’ ich drum, wenn ich so eine kuh hätte!’
'nun,’ sprach der bauer, ‘geschieht euch so ein groszer gefallen,
so will ich euch wohl die kuh für das pferd vertauschen.’ Hans
216
willigte mit tausend freuden ein; der bauer schwang sich aufs
pferd und ritt eilig davon.
Hans trieb seine kuh ruhig vor sich her und bedachte den
glücklichen handel. 'hab' ich nur ein stück brot, und daran wird
mir’s doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mir’s beliebt, butter
und käse dazu essen; hab' ich durst, so melk' ich meine kuh und
trinke milch, herz, was verlangst du mehr?’ als er zu einem
wirtshaus kam, machte er halt, asz in der groszen freude alles,
was er bei sich hatte, sein mittags- und abendbrot, rein auf und
liesz sich für seine letzten paar heller ein halbes glas bier ein-
schenken. dann trieb er seine kuh weiter, immer nach dem dorfe
seiner mutter zu. die hitze ward drükender, je näher der
mittag kam, und Hans befand sich in einer beide, die wohl noch
eine stunde dauerte, da ward es ihm ganz heisz, so dasz ihm
vor durst die zunge am gaumen klebte, ‘dem ding ist zu helfen,'
dachte Hans, ‘jetzt will ich meine kuh melken und mich an der
milch laben.' er band sie an einen dürren bäum, und da er kei-
nen eimer hätte, so stellte er seine ledermütze unter, aber wie
er sich auch bemühte, es kam kein tropfen milch zum Vor-
schein. und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm
das ungeduldige thier endlich mit einem der hinterfüsze einen
solchen schlag vor den köpf, dasz er zu boden taumelte und eine
zeit lang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war. glücklicher-
weise kam gerade ein metzger des weges, der auf einem schub-
karr n ein junges Schwein liegen hatte, ‘was sind das für streiche!'
rief er und half dem guten Hans auf, Hans erzählte, was vor-
gefallen war. der metzger reichte ihm seine flasche und sprach:
‘da trinkt einmal und erholt euch! die kuh will wohl keine milch
geben; das ist ein altes thier, das höchstens noch zum ziehen
taugt oder zum schlachten.' ‘ei, ei,’ sprach Hans und strich sich
die haare über den köpf, ‘wer hätte das gedacht! es ist freilich
gut, wenn man so ein thier ins haus abschlachten kann, was giebt’s
für fleisch! aber ich mache mir aus dem kuhfleisch nicht viel, es
ist mir nicht saftig genug, ja, wer so ein junges schwein hätte!
das schmekt anders, dabei noch die würste.’ ‘hört, Hans,’ sprach
da der metzger, ‘euch zu liebe will ich tauschen und will euch
das schwein für die kuh lassen.' ‘gott lohn’ euch eure freund-
schaft!’ sprach Hans, übergab ihm die kuh, liesz sich das schweinchen
vom karrn losmachen und den strick, woran es gebunden war,
in die band geben.
Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach
wünsch gienge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde
sie doch gleich wieder gut gemacht, es gesellte sich danach ein
bursch zu ihm, der trug eine schöne weisze gans unter dem arm.
sie boten einander die zeit, und Hans fleug an von seinem glück
zu erzählen, und wie er immer so' vorteilhaft getauscht hätte.
217
der bursch erzählte ihm, dasz er die gans zu einem kindtauf-
schmaus brächte, ‘hebt einmal,’ fuhr er fort und packte sie bei
den Hügeln, ‘wie schwer sie ist; die ist aber auch acht wochen lang
genudelt worden, wer in den braten beiszt, musz sich das fett
von beiden seiten abwischen.’ ‘ja,’ sprach Hans und wog sie mit
der einen band, ‘die hat ihr gewicht, aber mein Schwein ist auch
keine sau.’ indessen sah sich der bursch nach allen seiten ganz
bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem köpf, ‘hört,’ fieng
er darauf an, ‘mit eurem Schweine mag’s nicht ganz richtig sein,
in dem dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen
eins aus dem stall gestohlen worden, ich fürchte, ich fürchte, ihr
habt’s da in der band. sie haben leute ausgeschickt, und es wäre
ein schlimmer handel, wenn sie euch mit dem Schwein erwischten:
das geringste ist, dasz ihr ins finstere loch gesteckt werdet.’ dem
guten Hans ward bang. ‘ach gott,’ sprach er, ‘helft mir aus der
noth; ihr wiszt hier herum bessern bescheid, nehmt mein schwein
da und laszt mir eure gans.’ ‘ich musz schon etwas aufs spiel
setzen,’ antwortete der bursche, ‘aber ich will doch nicht schuld
sein, dasz ihr ins unglück gerathet.’ er nahm also das seil in die
band und trieb das schwein schnell auf einen Seitenweg fort; der
gute Hans aber gieng, seiner sorgen entledigt, mit der gans unter
dem arme der heimat zu. ‘wenn ich’s recht überlege,’ sprach er
mit sich selbst, ‘habe ich noch vortheil bei dem tausch: erstlich
den guten braten, hernach die menge von fett, die herausträufeln
wird, das giebt gänsefettbrot auf ein Vierteljahr; und endlich die
schönen weiszen federn, die lasz ich mir in mein kopfkissen stopfen,
und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen, was wird meine
mutter eine freude haben!’
Als er durch das letzte dorf gekommen war, stand da ein
Scherenschleifer mit seinem karrn, sein rad schnurrte, und er sang
dazu:
‘ich schleife die schere und drehe geschwind
und hänge mein mäntelchen nach dem wind.’
Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an
und sprach: ‘euch geht’s wohl, weil ihr so lustig bei eurem schlei-
fen seid.’ ‘ja,’ antwortete der Scherenschleifer, ‘das handwerk hat
einen güldenen boden. ein rechter schieifer ist ein mann, der, so
oft er in die tasche greift, auch geld darin findet, aber wo habt
ihr die schöne gans gekauft?’ ‘die hab’ ich nicht gekauft, sondern
für mein schwein eingetauscht.’ ‘und das schwein?’ ‘das hab’ ich
für eine kuh gekriegt.’ ‘und die kuh?’ ‘die hab’ ich für ein
pferd bekommen.’ ‘und das pferd?’ ‘dafür hab’ ich einen klumpen
gold, so grosz als mein köpf, gegeben.’ ‘und das gold?’ ‘ei,’
das war mein lohn für sieben jähre dienst.’ ‘ihr habt euch jeder-
zeit zu helfen gewuszt,’ sprach der Schleifer, ‘könnt ihr’s nun dahin
bringen, dasz ihr das geld in der tasche springen hört, wenn ihr
aufsteht, so habt ihr euer glück gemacht.’ ‘wie soll ich das an-
fangen?’ sprach Hans. ‘ihr müsst ein schieifer werden, wie ich;
dazu gehört eigentlich nichts, als ein Wetzstein, das andere findet
sich schon von selbst, da hab’ ich einen, der ist zwar ein wenig
schadhaft, dafür sollt ihr mir aber auch weiter nichts, als eure
gans geben; wollt ihr das?’ ‘wie könnt ihr noch fragen,’ ant-
wortete Hans, ‘ich werde ja zum glücklichsten menschen auf erden;
habe ich geld, so oft ich in die lasche greife, was brauche ich
da länger zu sorgen?’ reichte ihm die gans hin und nahm den Wetz-
stein in empfang, ‘nun,’ sprach der schieifer und hob einen ge-
wöhnlichen schweren feldstein, der neben ihm lag, auf, ‘da habt
ihr noch einen tüchtigen stein dazu, auf dem sich’s gut schlagen
läszt und ihr eure alten nägel gerade klopfen könnt, nehmt ihn
hin und hebt ihn ordentlich auf.’
Hans lud den stein auf und gieng mit vergnügtem herzen
weiter; seine äugen leuchteten vor freude. ‘ich musz in einer
glückshaut geboren sein,’ rief er aus, ‘alles, was ich wünsche,
trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.’ indessen, weil er seit
tagesanbruch auf den beinen gewesen war, begann er müde zu
werden; auch plagte ihn der hunger, da er allen verrath auf ein-
mal in der freude über die erhandelte kuh aufgezehrt hatte, er
konnte endlich nur mit mühe weiter gehen und muszte jeden
augenblick halt machen; dabei drückten ihn die steine ganz er-
bärmlich. da konnte er sich des gedankens nicht erwehren, wie
gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte,
wie eine Schnecke kam er zu einem feldbrunnen geschlichen, wollte
da ruhen und sich mit einem frischen trunk laben; damit er aber
die steine im niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig
neben sich auf den rand des brunnens. darauf setzte er sich
nieder und wollte sich zum trinken bücken; da versah er’s, stiesz
ein klein wenig an, und beide steine plumpten hinab. Hans, als
er sie mit seinen äugen in die tiefe hatte versinken sehen, sprang
vor freuden auf, kniete dann nieder und dankte gott mit thränen
in den äugen, dasz er ihm auch diese gnade noch erwiesen und ihn
auf eine so gute art und ohne, dasz er sich einen vorwurf zu
machen brauchte, von den schweren steinen befreit hätte, die ihm
allein noch hinderlich gewesen wären, ‘so glücklich wie ich,’ rief
er aus, ‘giebt es keinen menschen unter der sonne.’ mit leichtem
herzen und frei von aller last sprang er nun fort, bis er daheim
bei seiner mutter war.
219
160.
Rudolf von Habsburg.
Aus dem Festkalender von Pocci und Görres.
München und Wien. Theil IN.
Ausgebrannt vom Strahl der Sonne,
Seufzet rings das dürre Land;
Alle Quellen sind vertrocknet
In dem glühendheißen Sand.
Lechzend liegt die matte Heerde
Auf der schattenlosen Erde.
Weit gespalten, aufgerissen
Ist der Boden allumher,
Wolkenlos der ganze Himmel,
Still die Luft und heiß und schwer,
Und der Wald mit welkem Laube
Steht bedeckt mit weißem Staube.
Sieh, da reitet durch die Steppe
Kampfgerüstet eine Schar,
Rudolf zieht, der deutsche Kaiser,
Wider König Ottokar.
Von dem Durste matt und heiser,
Ruft nach Wasser jetzt der Kaiser.
Und zwei Ritter eilen jauchzend
Zu dem Kaiser hin im Flug,
Halten freudig hocherhoben
Kühlen Wassers einen Krug,
Und den Becher rasch ihm füllend,
Sprechen sie, ihr Herz enthüllend:
'Lange suchten wir nach Wasser
Weit umher in diesem Land,
Doch kein Tropfen war zu finden
In dem glühendheißen Sand;
Die vergeb'ne Müh zu enden,
Wollten wir uns rückwärts wenden.
'Sieh, da fanden wir im Schatten
Ruhend eine Schnitterschar,
Die sich, müde, laben wollte
An dem Kruge kühl und klar.
Weil sie selbst vom Durste litten,
War vergebens unser Bitten.
'Doch als unsre Schwerter drohten:
'Gebt uns Wasser oder Blut!'
Gaben sie uns bleich und zitternd
Gern ihr selten theuer Gut;
Was wir so erbeutet haben,
Möge dich, o Kaiser, laben.'
Als der Kaiser dies vernommen,
Zog mit unmuthvollem Blick
Von den glühendheißen Lippen
Plötzlich er den Krug zurück:
'Nimmer soll soll den Durst mir stillen,
Was sie gaben wider Willen.
'Bei der Ehre meiner Krone!
Gebt zurück der Armen Gut;
Keinen Tropfen mag ich kosten,
Brennt wie Feuer auch mein Blut:
Wenn beraubt die Armen dürsten,
Ziemt zu trinken nicht den Fürsten!'
161.
Wie es König Rudolf in feiner fchlechten Tracht ergangen?)
Von Christoph Lehman.
Chronica der freien Reichsstadt Speyer. Frankfurt a. M. 160‘2. S. 633.
Anno 1288 hat König Rudolf sein Anwesen zu Mainz ge-
habt. Da eines Morgens unversehens Kälte eingefallen, daß man
sich im Lager nicht hat erwärmen können, ist er aufgestanden, hat
seinen grauen Rock um sich geworfen und ist in eines Bäckers Haus,
seinem Logis gegenüber, zu einem Kohlenhaufen gelaufen, den der
Bäcker aus dem Ofen gezogen. Die Bäckerin ist über seinen Un-
gestüm zornig worden und hat ihn mit bösen Worten übel ange-
1) Bergt. Bd. I, Nr. 1b.
,...-'s,;"•'
220
fahren, daß er dergestalt in ein Haus gelaufen kommen. <Seid nicht
so zornig, liebe Frau/ sagt der König, üch bin ein guter alter
Landsknecht, hab nicht viel zum besten und mein Armuthlin dem
armen König Rudolf aufgehenkt; deshalb muß ich mich behelfen,
wie ich kann? — ^Troll dich hin zu deinem Bettlerkönig/ antwortet
die Bäckerin, <es geschieht euch allen recht, dieweil ihr das Land
verheert und den Armen ihre Nahrung aus den Händen reißt?
König Rudolf sagt: Was hat denn der arme König angestellt,
das so bös ist?' — Vst das nicht bös genug/ antwortet die Frau,
<alle die Bäcker und ich arme Frau sind durch seine Kriege Bettler
worden, können auch nicht zu Kräften kommen, so lang er lebt!'
und nach vielen groben Scheltworten sagt sic zum König: Hack
dich, du Alter, oder ich mach dir Füß!' Der König hat sonderlich
Gefallen über der Frauen Eifer und will nicht weichen; da er-
wischt die Frau ein Kübel mit Wasser und schüttet's so ungestüm
auf die Kohlen und den König, daß er gänzlich naß und beraucht
in seine Behausung gelaufen. Um den Mittag, als er zum Im-
biß gesessen, hat er seine Wirtin lassen herbeikommen, eine Schüssel
mit gutem Essen vom Tisch genommen und befohlen, daß sic das
der Bäckerin sollt bringen sammt einem Quart Wein und der-
selben wegen des alten Landsknechts Dank sagen, dem sie morgens
bei den Kohlen so gut Bad geschenkt. Darauf hat der König
denen, die an der Tafel gesessen, die Geschichte, so ihm begegnet,
mit Fröhlichkeit erzählt. Aber die Bäckerin, als sie vernommen,
daß sie mit dem Könige zu thun gehabt, ist in Furcht und Sorge
gefallen, mit betrübtem Herzen in seine Herberge gangen und
hat mit einem Fußfall um Verzeihung gebeten. Hiermit aber hat
sie dem König noch mehr Ursach zur Kurzweil geben; denn er hat
ihr gar nicht verzeihen wollen, sie schelte ihn denn wieder dergestalt,
als sie morgens gethan. Endlich hat die Frau ein Herz gefaßt
und, gleichsam in Entrüstung, alles wiederholt, was sie morgens
ausgestoßen, dadurch den König und alle andern fröhlich gemacht
und mit Gnaden ihre Abfertigung bekommen.
Dies Exempel, wiewohl es zu unsern Zeiten mehr für eine
Fabel als eine Wahrheit möcht gehalten werden, ist von glaub-
würdigen Historikern beschrieben und von Verständigen als ein
wahrhaft Exempel alter deutscher Tugend erkannt und hochgehalten.
162.
Der Junker und der Dauer.
Von Richey.
Deutsche Gedichte, herausg. von G. Schütz. Hamburg 1764—66. 3 Bde.
Ein Bauer trat mit dieser Klage
Vor Junker Alexander hin:
'Vernehmt, Herr, daß ich heut' am Tage
Recht übel angekommen bin.
Mein Hund hat^Eure Kuh gebissen;
Wer wird den Schaden tragen müssen?'
'Schelm, das sollst du!' fuhr hier der Junker auf.
'Für dreißig Thaler war die Kuh mir nicht zu Kauf;
Die sollst du diesen Augenblick erlegen.
Das sei hiermit erkannt von Rechtes wegen.'
'Ach nein! Gestrenger Herr, ich bitte, hört!'
Rief ihm der Bauer wieder zu,
'Ich hab' es in der Angst verkehrt,
Nein, Euer Hund biß meine Kuh.'
Und wie hieß nun das Urtheil Alexander's?
'Ja, Bauer, das ist ganz was anders!'
- 163.
Die Natter.
Bon Hagedorn.
Poetische Werke. Hamburg 1757. ll, 237.
<Äls einst der Löwe Hochzeit machte,
Kroch zu der neuen Königin
Auch eine kleine Natter hin.
Die zum Geschenk die schönste Rose brachte.
Doch jene weist sie ab und spricht:
'Ich nehme Rosen an, allein von Nattern nicht.'
164.
Kaiser Heinrich III. mit dem geschenkten Pferde.
Von Christoph Lehman.
Chronica der freien Reichsstadt Speyer. Frankfurt a. M. 1662. S. 418.
Es hat sich begeben, daß einer um eine Abtei, darnach er ge-
trachtet, Kaiser Heinrich III. ein überaus schönes Pferd verehrt
und hiermit sein Begehren desto eher erhalten hat; der Kaiser
hat ein sonderlich Gefallen an dem Pferde gehabt und es als
Leibroß gebraucht. Als er einst in eine Stadt darauf eingeritten,
ist einer vom Adel dem König aus der Straßen in Gegenwart
alles Volks in Zaum gefahren und hat denselben also angeredet:
<2ch habe vermeint, Ihr seiet darum das Haupt des Reichs, daß
2hr den Unterthanen Recht und Gerechtigkeit sollet ertheilen und
Ehalten; so reitet Ihr selbst ans einem gestohlenen Pferd einher,
das mir diebisch entführt ist.' Der Kaiser hat hierüber öffentlich
)ur Antwort geben: Wenn das Pferd dein ist, so nimm es hin
und den Reiter dazu, und behalt uns beide beisammen, bis dir
der Diebstahl bezahlt wird.' Der vom Adel ward über diese Ant-
' Y-ZSr&Tfrto'
222
wort bestürzt und wußte nicht, was er thun sollte; aber der Kaiser
befahl mit Ernst, er sollte Pferd und Mann in seine Behausung
führen und in Haft halten. Das hat der Kläger gethan und
männiglich den Handel mit Verwunderung angesehen. In solcher
Bestrickung sagte der Kaiser: Wie soll ich den Mann belohnen,
der mich in diesen Schimpf gebracht?' und befahl seinen Officieren,
daß sie den Abt alsbald sollten zur Hand bringen. Als derselbe
erschienen, fragt der Kaiser, warum er ihn mit einem gestohlenen
Pferd begabt. Der Abt sagt, er habe es theuer bezahlt, wisse
davon nichts, daß es andern abhändig gemacht sei. Mit dieser Ent-
schuldigung hat sich der Kaiser lassen sättigen und befohlen, die-
weil der Abt mit dem Diebstahl seine Abtei erlangt, so sollte er als-
bald die Abtei mit dem Stab von sich geben. Der Kaiser empfängt
den Stab von des Abts Händen, legt denselben auf ein Crucifix
und sagt zum Abt, er sollte Stab- und Abtei von dem Bildnis
des Herrn Christi empfangen und sich nach dessen Exempel in
seinem Amte hinfort verhalten. Das Pferd lieferte der Kaiser dem
Kläger und wollte hernach nimmer Geschenke oder Gaben annehmen,
sondern sagte, welchergestalt ihm Gott die kaiserliche Krone und
das Regiment umsonst mitgetheilt, also wolle er auch Ämter und
Gerechtigkeit umsonst lassen widerfahren.
165.
Das Grab im Dujento.
Von Platen.
Werke. Stuttg. und Tüb. 1847. I, 126. - Lyrische Blätter. Leipzig 1821. S. 132.
Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wider.
Und den Fluß hinauf, hinunter zichn die Schatten tapfrer Gothen,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.
Allzu früh und fern der Heimat mußten sie ihn hier begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schultern blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette,
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogcnleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweitenmale, ward der Fluß herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: ^Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab Versehren!'
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gothenhecre;
Wälze sie, Buscntowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
223
166.
Attila.
Von Mascov.
Geschichte der Deutschen. Leipzig 1726—37. (Gekürzt.)
Jus den Münzen, die man von Attila erdichtet, hat man ihm
fast keine menschliche Gestalt gegeben. Und was die Gemüths-
beschaffenheit anbetrifft, stellen ihn die Neuern insgemein so wild
vor, als wenn er sich selbst aus seiner Grausamkeit Ehre gemacht
und sich unter andern seltsamen Titeln auch eine ^Geisel Gottes'
genannt hätte. Diesen setzen wir die Abbildung entgegen, welche
Jornandes, vielleicht aus Prisci Historie entlehnt, hinterlassen
hat. Er war kurz von Person, hatte breite Schultern, einen
großen Kopf, kleine Augen und eine gestutzte Nase. Die Begierde
zu herrschen bildete bei ihm den mächtigsten Trieb; dabei war er
ebenso gütig gegen die, welche er einmal in Schutz genommen,
als schrecklich gegen die Feinde. Wie die Beschreibung seiner Ge-
stalt mit dem, was von dem äußerlichen Wesen der Hunnen über-
haupt bekannt ist, zusammentrifft, so kommt auch die Bezeichnung
seiner Gemüthseigenschaften mit den Thaten, die der sicherste Spiegel
des menschlichen Gemüths sind, überein. Priscus beschreibt ihn
durchgehends als einen Herrn von ernsthaftem Wesen; einige Um-
stände laufen mit unter, die etwas Grausames zeigen. Wie bei
feurigen Gemüthern insgemein die Bewegungen von Liebe und Zorn
gleich heftig sind, so haben bei Attila die letztem desto weiter
gehen müssen, je nöthiger die Strenge gewesen, so wilde Völker
im Zaum zu halten. Zum Kriege trieb ihn sein Ehrgeiz und die
gemeine Neigung seiner Nation, welche kein ander Mittel, Ruhm
zu erwerben, kannte. Er bediente sich dabei, um dem Volke
desto mehr Vertrauen zu seinen Waffen zu machen, des Aber-
glaubens seiner Unterthanen, indem er ausbringen lassen, er habe
das Schwert, ich weiß nicht, welches Helden, den damals die Nach-
welt als einen Gott des Krieges verehrte, in seine Hände bekommen.
Wie man aber von denen, die große Reiche gestiftet, allemal ver-
muthen kann, daß sie ihr Glück nicht bloß der Faust zu danken
gehabt, so finden wir auch bei Attila viele andere Geistesgaben,
welche um so mehr Hochachtung und Vergnügen erwecken, weil sie
bei ihm eine reine Wirkung seiner Natur waren. Er war nicht
so wild, daß man nicht einige Funken der natürlichen Religion, die
fich unter den rohesten Heiden finden, in seinem Thun und Lassen
hervorscheinen sähe. Priscus erzählet, daß et unter seinen Söhnen
oen jüngsten deswegen am liebsten gehabt, weil die Wahrsager
prophezeiet, daß der Himmel demselben die Nachfolge zugedacht. Er
wllßte mitten unter dem Geräusche der Waffen auch die ruhigen
Künste des Friedens wohl zu gebrauchen. Er führte nicht allein
sein Volk selbst im Kriege an, sondern saß auch in Person zu
m;
Gerichte. Und wer sollte wohl vermuthen, daß, wenn Attila öffent-
lich Tafel gehalten, die Dichter dabei ihre Aufwartung gehabt und
die Gedichte, so sie aus seine Feldzüge gemacht, mit eine der Be-
lustigungen des Hofes gewesen? Unerachtet er große Schätze zu-
sammengebracht und seine Unterthanen viel von der Verschwendung
und Pracht der Römer annahmen, so hielt er zwar einen Hof,
der einem so großen Könige gemäß war, für seine Person aber blieb
er bei der alten Sparsamkeit. Sein Hoflager bestand aus vielen
von Holz zusammengefügten Gebäuden und war so weitläuftig,
so ordentlich und so reinlich, daß es manche Stadt beschämen
konnte. Er selber hatte an Kleidung, Gewehr und Pferdezeug
nichts Besonderes; Priscus meldet, daß, obgleich die Tafel mit
güldenen und silbernen Gefäßen besetzt gewesen, er doch für sich
nur einen hölzernen Becher und ein Gericht Fleisch in einer hölzernen
Schüssel gehabt. Bei solcher Beschaffenheit könnte Attila vielleicht
für einen löblichen Regenten mitgehen, wenn er es nicht für rühm-
licher gehalten, fremde Völker zu bezwingen, als die seinigen wohl
zu regieren. Da aber die Eigenschaften der Fürsten ihren wahr-
haften Preis daher bekommen, je nachdem sie dem menschlichen
Geschlecht zum Vortheil oder Schaden gereichen, so erneuert auch
Attila's Andenken allemal zugleich den Vorwurf, daß seine Größe
die Verwüstung so vieler Länder gekostet hat.
167.
Der Vandalen Auszug.
Bon Kaufmann. .
Gedichte. Düsseldorf 1852.
^ie die Türme Neukarthago's hell im Morgenglanze strahlen!
In dem Hafen stolz gerüstet liegt die Flotte der Vandalen,
Hoffend, harrend; doch kein Lüftchen weckt der Segel schlaffe Falten,
Und wie niemals sieht man heute den Gebieter zögernd halten.
An der Spitze seines Fahrzeugs steht der Held in tiefem Sinnen,
Und der Krieger fragt den Krieger: 'Sprich, was mag der Fürst beginnen?
'Sprich, wohin sich unsre Kiele zu erneuten Thaten wenden?
Plötzlich flammt des Helden Auge, zuckt das Schwert in seinen Händen:
'Mit dem Sturmwind laßt uns ziehen, die wir selbst dem Sturmwind gleichen!
Gährt es nicht in allen Schlünden? Das ist gottgesandtes Zeichen!
'Pfeift es nicht um Mast und Rae? rauscht nicht wilder jede Welle?
Scheucht nicht steigendes Gewölke diese unwillkommnc Helle?
'Mit dem Sturmwind laßt uns ziehen, dessen Nahn wir alle spüren;
Welchem Volk die Götter grollen, dahin wird ihr Hauch uns führen!'
Ruder schlagen, wie lebendig ist mit eincmmal die Flotte;
Hörner gellen, wilde Lieder singt die mordbegier'ge Rotte;
Mächtig ftürmt's auf allen Meeren, daß die Kiele sausend jagen —
Wem die Götter grollten? — Roma, deine Trümmer mögen's sagen!
225
168.
D i e Ungarn.
Von Luden.
Geschichte des deutschen Volkes. Gotha 1825—37. Vl, 245.
Die frühere Geschichte dieses Volkes ist unbekannt, oder viel-
mehr, dasselbe hatte vor seiner Ankunft in Europa keine Geschichte.
Die Ungarn waren ein asiatisches Volk von zweifelhafter Abkunft,
Nomaden, ohne Herd und Heimat. Sie traten den europäischen
Völkern gegenüber als wilde und verwegene Fremdlinge, häßlich
in Sitten und Bräuchen, aufbrausend und hochfahrend, tapfer und
kühn im Angriff, ohne Schonung im Sieg, ohne Ehre bei Nieder-
lagen, frech im Kriege, trotzig im Frieden. Ihr Rauben, Bren-
nen und Morden erfüllte die Lande mit Angst und Schrecken; die
Gerüchte, die vor ihnen herliefen, daß sie Menschenblut söffen und
Menschenherzen als Heilmittel verzehrten, vergrößerten das Ent-
setzen um so mehr, da der ekelhafte Anblick der wilden Horden
kaum einen Zweifel an der Wahrheit solcher Gerüchte zuließ. Denn
wie Scheusale stellten sie sich dar, fremdartig, widerwärtig, schmutzig;
sie schlichen, ohne Gefahr und Wagnis, heran, um wehrlose Menschen
zu fangen. Sie vermieden den, Widerstand, sie stellten sich nicht
zum ehrlichen Kampfe: nur im Überfall war ihre Tapferkeit, in der
Masse ihre Stärke, im gräßlich wilden Geheul ihre Furchtbarkeit,
im Pfeilwurs aus der Ferne, im sicheren Lanzenstoß, in der
Schnelligkeit kleiner und zäher Pferde ihre Kriegskunst. Wie die ewig
hungernden Harpyien stürzten sie sich aus verborgenen Schlupf-
winkeln in Schwärmen heran und verstoben vor den Waffen ihrer
Feinde ebenso schnell, als sie gekommen waren, um alsobald wieder
zu erscheinen und den Gegner zu ermüden und zur Verzweiflung
zu bringen. Nichts zeigte sich in ihrem Leben und ihren Sitten,
was mit ihnen zu befreunden vermocht hätte: sie erregten nur Angst,
Entsetzen und Abscheu.
169.
Der Zweikampf. 1478.
Von Grün.
Der letzte Ritter 4. Aufl. Leipzig 1845. S. 48. - 8. Anst. 1860.
Allmorgens, wenn das Frühroth durch Goldgewölke stob
Und glühende Purpurroscn um Berg und Türme wob,
Da sprengt ein fränkischer Ritter zum deutschen Lagerfeld
Und trabt auf stolzem Roste ringsum von Zelt zu Zelt.
Der zog mit höhnischem Lächeln die bärt'gen Lippen schief
Und hielt vor jedem Zelte, schlug an den Schild und rief:
'Heraus, du kühner Deutscher, der mit mir wagt den Streit,
Zur Ehre seines Landes, zur Ehre seiner Maid!'
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch II.
15
Sie ließen's ihn so treiben — das waren Deutsche nicht! —
Ein jeder blieb im Zelte und that, als hört' er's nicht! — »
Drauf sprengte der tolle Ritter in stolzem Satz davon,
Und wie zehntausend Teufel scholl ferne noch sein Hohn.
Und wieder flammt' im Osten der lichte Purpurschein,
Und wieder brach den Landen der goldne Tag herein,
Und wieder sprengt der Franzmann zum deutschen Lager heran,
In Erzgewand gerüstet vom Fuß zum Haupt hinan.
Ein rother Helmbusch wogte kühn um sein stolzes Haupt,
Mit rothen Federn hatt' er des Rosses Stirn umlaubt,
Um seine Schultern spielte ein rothes Wappenkleid,
Des Roffes Rücken deckte manch purpurroth Geschmeid.
Und eine Schärpe trug er, so roth wie junges Blut,
Die Farbe hat er erwählet, die Farbe läßt ihm gut;
Denn von des Meeres Borden bis tief ins Franzenland
War er 'der große Würger' von Alt und Jung genannt.
Und wieder zog er höhnisch die bärt'gen Lippen schief
Und sah aufs deutsche Lager, pocht' an den Schild und rief:
'Heran, du wackrer Deutscher, der mit mir prüft die Wehr,
Zur Ehre seiner Dame, zu seines Landes Ehr'!'
Dem Vollmond gleich, wenn plötzlich er durch Gewölk sich drängt,
Kam jetzt auf schnellem Zelter ein Rittersmann gesprengt,
Der hat sein kühnes Antlitz in Gittererz verniummt,
Ihn kennt nicht Frank' und Deutscher, und alles rings verstummt.
Auf seinem Helme zeigt sich kein schmucker Federstrauß,
Ein goldncr Stern nur neigt sich aus blankem Öhrlein heraus;
Jst's der Purpurstern der Liebe, der, ach, so schnell vergeht?
Jst's der blasse Stern der Hoffnung, der ewig leuchtend steht?
Es wogt um seine Schultern kein schmuckes Wappenkleid,
Ein rauher Eisenpanzer ist seiner Brust Geschmeid,
Nur eine Silberschärpe wallt um des Busens Wehr,
Drauf steht mit güldnen Zügen gar zierlich: 'Gott die Ehr!'
Als könnt' er unterliegen, so zog der Rittersmann,
Doch daß er kam zu siegen, das sahn ihm alle an;
Es war von Gold und Wappen sein Eisenschild nicht schwer,
Doch flammt in seinem Herzen gar herrlich: 'Gott die Ehr!'
Schon schart sich ringsum deutschen und flüm'schen Volkes Troß,
Schon wehen all' die Banner, — jetzt tönt Trompetenstoß!
Da sprengen an einander die zwei mit Sturmesmacht,
Es klirren laut die Schilde, und Speer und Panzer kracht.
Die Speere sind zersplittert, — nun blitzet Schwert an Schwert,
Jetzt glaubt der fränk'sche Würger schon seine Kraft bewährt;
Von seines Schwertes Streichen zersprang manch Eisenband,
Es barst der Helm des Gegners und taumelt' in den Sand.
Sieh! nieder auf den Nacken rollt goldner Haare Strom,
Zwei klare Augen leuchten blau wie des Himmels Dom,
Drin glänzt auch eine Sonne, so blendend rein und licht,
Solch eine deutsche Sonne verträgt der Franzmann nicht.
Er stutzt und starrt geblendet, das Schwert entsank der Hand,
Als sei aus Geisterlanden ein Rächer ihm gesandt;
Des Deutschen Schwert doch wettert mit mächt'gcm Stoß auf ihn,
Jetzt schwinden ihm die Sinne, er stürzt zur Erde hin.
Da jubeln all' die Deutschen, da jauchzet Mann für Mann:
Heil deutscher Rache Engel! Heil Maximilian!'
Der aber wirft von dannen die blutbefleckte Wehr
Und sinkt in seine Knie und betet: *Gott die Ehr!'
170.
Die Schlacht auf dem Lechfeldc. 955.
Von Giesebrecht.
Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Bd. l. Braunschweig 1855. S. 395. — 3. Aufl. 1863. —
4. Aufl. 1874. I, 418.
Otto gedachte sich mit voller Macht gegen die Wenden zu
richten und zog deshalb in das sächsische Land. Kaum aber war
er in Sachsen angelangt, so erschienen Gesandte der Ungarn an
seinem Hofe, scheinbar in friedlicher Absicht und um die Ergeben-
heit ihres Volkes dem Könige zu bezeigen, in der That aber um
zu spähen, wie es denn im sächsischen Lande stände und ob nicht
abermals ihre Stunde geschlagen habe. Und als sie Otto so eben
erst mit reichen Geschenken gütig entlassen hatte, kamen auch schon
Boten von Herzog Heinrich aus Baiern und brachten die Kunde:
^Siehe, die Ungarn sind da, überfluten die Grenzen des Reichs
und wollen mit dir einen Strauß bestehen.' Wie Otto solche
Kunde vernahm, brach er sogleich auf und nahm seinen Weg nach
Baiern. Nur wenige Sachsen begleiteten ihn, denn er durfte das
Land wegen des drohenden Wendenkriegs nicht von der streitbaren
Mannschaft entblößen.
Indessen aber hatten die Ungarn schon das ganze Baierland
überschwemmt und waren tief in Schwaben eingedrungen. Bis
Zu dem Schwarzwald hin schwärmten einzelne Reiterscharen, wäh-
rend die Hauptmasse des Heers sich in der Ebene am Lech in der
Umgegend von Augsburg gelagert hatte. Niemals waren die
schlimmen Unholde in so dichten Scharen in das Land gefallen;
hunderttausend Mann an der Zahl sollen sie in Baiern eingebrochen
srrn, und sie rühmten sich selbst, sie scheuten nichts auf der Welt,
wenn nicht der Himmel einstürze oder die Erde sie verschlänge,
^lie zuvor hatten sie schlimmer gehaust und größere Greuel verübt.
Bewunderungswürdigen Muth zeigte in diesen Tagen der
15*
228
Noth der fromme Bischof Ulrich von Augsburg, der treue Freund
König Otto's. Gerade sein liebes Augsburg war besonders^ den
Angriffen der Ungarn ausgesetzt, und eine Vertheidigung der Stadt
schien fast unmöglich. Denn sie war groß und zahlreich bevölkert,
aber nur von einer niedrigen Mauer umgeben; eS fehlten ihr selbst
jene festen Türme, mit denen man sonst die Mauern damals zu
sichern pflegte, und die wir jetzt noch in vielen alten Städten als
die letzten dem Untergange zueilenden Denkmale jener Zeit sehen.
Dennoch beschloß Ulrich, im Vertrauen aus Gottes Beistand, die
Stadt zu behaupten. Eine große Schar tapferer Ritter war um
ihn, und als die Ungarn heranrückten, wünschten sie nichts so
sehnlich, als diesen entgegen zu ziehen und sich mit ihnen im Kampfe
zu messen. Aber Ulrich hielt sie von einein so vermessenen Be-
ginnen zurück, er wollte den Feind an den Mauern der Stadt
erwarten. Das Thor, das den leichtesten Zugang ihm darbot,
ließ er verrammeln und wandte sich mit seinen Rittern einem
anderen Thore zu, das nach dem Lech führte. Hierhin zogen auch
die Ungarn, als sie den ersten Zugang versperrt fanden, und so
dicht besetzten sie mit ihren Scharen das Thor, daß sie meinten,
niemand könne ihnen den Eingang verwehren. Aber Ulrich machte
alsbald aus dem Thor mit seinen Rittern einen Ausfall. Es
entspann sich der hitzigste Kampf; in der Mitte seiner Schar ritt
durch das Schlachtgetümmel Ulrich im bischöflichen Ornate; er
war ohne Helm und Panzer, aber es widerfuhr ihm nichts, obwohl
es Steine und Pfeile rings um ihn regnete; mit beispielloser
Tapferkeit stritten die Seinen; viele der Ungarn fielen, und unter
ihnen ein vornehmer Mann ihres Volks. Als die Ungarn das
sahen, erhoben sie ein wildes, barbarisches Geheul und ritten als-
bald in ihr Lager zurück.
Froh zog Ulrich mit seinen Rittern in die Mauern von Augs-
burg ein und bereitete alles zum weiteren Kampfe vor. Denn er
wußte es wohl, am andern Tage würden die Ungarn mit ihrer
ganzen Macht die Stadt angreifen. Er ließ deshalb eiligst die
Mauern ausbessern und alles in guten Stand setzen. Dann hieß
er die Nonnen im Festzuge durch die Stadt gehen und mit Gebeten
und Gesängen den Beistand des Herrn anrufen. Er selbst wachte
fast die ganze Nacht, lag auf seinen Knien und flehte um die
Hülfe von oben. Als das Frühroth sich zeigte, hielt er ein feier-
liches Hochamt, stärkte alle durch das heilige Abendmahl und
sprach ihnen Muth und Gottvertrauen zu, indem er sie auf
das Wort Gottes im dreiundzwanzigsten Psalm hinwies: Vnd
ob ich schon wandere im finsteren Thalc, fürchte ich kein Unglück,
denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.' Kaum
blitzte der erste Strahl der Morgensonne empor, da griffen die
Ungarn von allen Seiten die Stadt an. Sie führten Brecheisen
und Spaten mit sich, um die Mauern zu zerstören, und wollten
sich sofort an ihr Werk machen. Aber Ulrich und die Seinen
waren ans den Mauern und hielten sie rings besetzt. Sie sahen
von oben, wie die Ungarn zum großen Theil nur mit Wider-
willen vorwärts giengen. Denn die voran waren, wurden mit
Geiselhieben von den Hinterleuten getrieben und wagten sich, als
sie die Stadtmauern besetzt sahen, nicht heran. Schon wuchs den
Belagerten der Muth; da wurde Plötzlich, ehe es noch zu einem
ordentlichen Angriff gekommen war, ein Zeichen mit der Trompete
gegeben, und in hellen Haufen zogen die Ungarn von der Stadt
ab. Ihr Feldherr hatte nämlich von einem Verräther die Nachricht
erhalten, König Otto rücke mit großer Heeresmacht an. Deshalb
zog er seine Scharen zurück und eilte, seinen Weg den Lech hinab
am linken Ufer des Flusses nehmend, Otto entgegen. Wenn er
den König erst besiegt habe, meinte er, könne ihm Augsburg nicht
entgehen.
Otto war, als er den Feind nicht mehr in Baiern fand, so-
gleich ihm nach in die Ebene am Lech gezogen. Aus dem Zuge
sammelten sich mehr und mehr Streiter um seine Fahnen; aber
noch war sein Heer nicht von fern zu vergleichen mit den uner-
meßlichen Scharen der Ungarn. Als er diese zuerst sah, meinte
er, solche Unzahl könne nimmer besiegt werden, wenn Gott im
Himmel nicht selbst darein schlage. Daher verschob er besorgt den
Kampf und lagerte sich an einem günstigen Ort auf dem linken
Ufer des Lechs, unweit von Augsburg, nicht allzu fern von dem
Lager der Feinde. Schon waren die baierschen Völker, schon auch
die Franken diesseit des Rheins in Otto's Lager erschienen; die
Schwaben strömten herbei, selbst Bischof Ulrich ließ bei Nacht seine
tapfren Ritter aus Augsburg ziehn, und Graf Dietpold, Ulrich'S
Bruder, führte jene ruhmgekrönte Schar dem Könige zu. Doch
die Lothringer fehlten, denn Erzbischof Brun hatte sein Heer nicht
zu dem anberaumten Tage dem Bruder zuführen können; überdies
fürchtete er sich, sein Land von bewaffneter Macht zu entblößen,
da die Ungarn leicht dem Kampfe hätten entgehen und die Länder
jenseit des Rheins angreifen können. Auch die Franken jenseit des
Rheins, die einen weiten Marsch von Hause hatten, wurden
noch vermißt; da erschienen endlich auch sie und an ihrer Spitze
Konrad, Otto's Eidam, der rühmlich im Wendenlande gefochten
hatte. Alle jubelten ihm zu, denn er war der rechte Kriegsmaun,
und keiner war beliebter im Heer, als er. Otto wollte den Kampf
uoch hinausschieben; aber die Ungarn standen ihm zu nah, und
war ihm unmöglich, den ungestümen Muth seiner Völker
Ringer zu bändigen. Daher ließ er einen Fast- und Bußtag im
^ande verkünden, um Gottes Beistand für den Sieg zu erflehen,
>ür den andren Tag aber alles zum Kampfe rüsten.
Als nun das Zwielicht des andren Tags dämmerte — es
war Laurentiusfest, der zehnte August — da stärkte sich das Heer
230
durch Gottesdienst zu dem bevorstehenden Kampfe. Der König
warf sich aus seine Knie nieder und that unter vielen Thränen
das Gelübde, daß, wenn ihm Christus den Sieg über die Feinde
seines Reichs verleihe, er in seiner Stadt Merseburg dem heiligen
Märtyrer Laurentius ein Bisthum errichten und ihm die Pfalz,
deren Bau er daselbst begonnen hatte, zum Eigenthum weihen
wolle; dann nahm der König von dem frommen Bischof Ulrich
das Abendmahl, zum Kampf auf Tod und Leben sich bereitend.
Alle im Heere entsagten feierlich aller Fehde und Feindschaft unter
einander und gelobten aufs neue Treue ihren Führern und Hülfe
und Beistand einander in jeglicher Noth. Die Fahnen wurden
erhoben; lustig wehten sie in den Lüften, und muthig verließen
Otto's Krieger das Lager.
In acht Züge war das Heer des Königs getheilt, von denen
jeder aus etwa tausend wohlgerüsteten Reitern bestand, denen
Diener und Troßknechte in beträchtlicher Anzahl folgten. Die
drei ersten Züge waren Baiern; die waren am zahlreichsten er-
schienen, aber es fehlte unter ihnen Herzog Heinrich selbst, der auf
dem Siechbette lag und die Führung der Seinen anderen über-
tragen hatte. Der vierte Zug waren die Franken, von Konrad
geführt, dem unnahbaren Streiter, dem gefeiertsten Helden des ganzen
Heers. Der glänzendste und stärkste Zug aber von allen war der
fünfte, den Otto selbst befehligte. Bor ihm flatterte die Fahne
des heiligen Erzengels Michael, und wo die wehte, da hatte noch
nimmer der Sieg gefehlt; dicht umringte sie und den König eine
Schar heldenkühner, todesmuthiger Jünglinge, die Auswahl der
Tapfersten aus jedem Zuge des Heers. Der sechste und siebente
Zug waren Schwaben unter dem Befehl Herzog Burchard's.
Den letzten Zug bildeten tausend erlesene böhmische Ritter in
schimmernden Waffen, von ihrem Herzog geführt. Bei diesem
Zuge, dem Nachtrab des Heers, war auch das Gepäck, das man
hier für am meisten gesichert hielt. Aber es kam anders, als man
erwartet hatte.
Manche Beschwerden hatte das Heer beim Vorrücken zu be-
stehen, denn der Weg gieng durch Gebüsch und über ungeebnete
Felder. Otto hatte ihn gewählt, um den Feind zu täuschen, aber
er sah sich bald selbst hintergangen. Ein Theil der Ungarn hatte
nämlich zweimal den Fluß überschritten und so den Rücken des
deutschen Heers umgangen. Als Otto auf dem Kampfplatz erschien,
sah er den Feind nicht allein vor sich, sondern er stand ihm nicht
minder im Rücken. Unerwartet wurde gerade zuerst sein Nachtrab
angegriffen. Ein Pfeilregen, dann ein Reiterangriff unter fürchter-
lichem Geheul. Die Böhmen stoben aus einander; viele sanken
dahin in ihrem Blute, viele wurden gefangen, das ganze Gepäck
fiel in die Hände der Feinde. Sofort stürzten sich die Ungarn ans
die schwäbischen Heerhaufen, und auch diese hielten dem Sturme
231
nicht Stand. Und schon war der Feind im Rücken der königlichen
Schar angelangt, während von vorn noch die Hauptmacht der
Ungarn in fester Ordnung zusammenstand. Da schickte Otto den
tapferen Konrad mit den Franken ab, um dem Angriffe im Rücken
zu begegnen. Furcht ergriff in dieser bedrängten Lage selbst die
ältesten Krieger, die so oft im Schlachtgetümmel gestanden und
gesiegt hatten. Aber Konrad fürchtete nichts; er wünschte den
Tod, weil er gegen den königlichen Vater und Herrn die Waffen
geführt hatte, und eine junge Mannschaft, die meist noch nie dem
Feinde ins Auge geschaut hatte, drängte sich um den tapferen
Führer, bereit, ihm in den Tod zu folgen. So drang Konrad
vor und focht einen Kampf ohne Gleichen. Wo die Franken ein-
fielen, zerstoben die Ungarn; viele bedeckten, den Athem verhauchend,
den Boden, andere fielen in die Hände der Franken; endlich er-
gossen sich die Scharen der Feinde in wilde Flucht; die gefangenen
Böhmen wurden befreit, das Gepäck wiedergenommen, und mit
siegreich wehenden Fahnen kehrte Konrad zum Könige heim.
Eine große Gefahr war beseitigt, aber der Kampf mit der dem
Könige gegenüberstehenden Hauptmacht noch nicht einmal begonnen.
Otto selbst sah, daß die Hauptentscheidung erst jetzt zu erringen
sei. Er ordnete, als er den Feind im Rücken nicht mehr zu fürchten
hatte, in weit ausgebreiteter Schlachtordnung sein Herr gegen die
Feinde und redete dann seine Krieger, wie Widukind meldet, in
solcher Weise an: <Jhr seht, daß wir Kraft und Muth jetzt be-
weisen müssen, denn nicht fern von uns, sondern dicht vor unseren
Augen stehen die Feinde. Aber ich fürchte sie nicht; mit euch
habe ich allenthalben in der Fremde gesiegt, und sollte nun mit
euch in meinem Lande und Reiche den Rücken wenden! Ja, ich
weiß es, an Menge übertreffen uns die Feinde, aber nicht an
Tapferkeit und Rüstung, denn meist sind sie ohne Waffen; und
ihnen fehlt die Hülfe Gottes, unsre beste Waffe! Jene schützt nur
ihre Vermessenheit, unsere Wehr ist die Hoffnung auf Gott und
seinen Schutz. Wahrlich, wir müßten uns schämen, wollten wir
jetzt, nachdem wir Europa uns Unterthan gemacht haben, unser
Reich den Feinden zu Lehn geben. Nein, besser ist es, ihr meine
wackren Streiter, wenn unser Stündlein geschlagen, ruhmvoll im
Kampfe zu fallen, als unter dem Joch der Feinde ein Sklaven-
leben zu führen oder wie das Vieh sich hinwürgen zu lassen.
Mehr noch würde ich euch sagen, aber Worte werden eure Tapfer-
leit uud euren Muth nicht erhöhen. Laßt uns lieber jetzt mit dem
Schwerte, als mit dem Munde reden!' Darauf ergriff er seinen
Schild und die heilige Lanze und sprengte zuerst hoch zu Roß in
Feinde hinein, Streiter und Führer zugleich. Das ganze Heer
nach ritt aus die Ungarn ein, und sofort entspann sich der
Kampf aus allen Seiten. Bald wichen die Ungarn, nur die Ver-
wegensten behaupteten noch ihre Stelle. Fürchterlich wüthete das
232
Schwert in den Reihen der Feinde. Nicht lange, so stoben ihre
Massen überall aus einander und stürzten sich in wilde Flucht.
Manche flüchteten sich, wenn ihre Pferde ermüdet waren, in die
Dörfer, die hier und da in der Ebene zerstreut lagen; aber es
folgten ihnen die Deutschen, äscherten ihre letzte Zufluchtsstätte ein,
und die Flüchtlinge fanden den Tod in den Flammen. Viele
eilten zum Fluß zurück und fanden ein klägliches Ende. Das
Lager der Ungarn stet noch an demselben Tage in Otto's Hände,
der alle Gefangenen befreite.
Erst am Abend des blutigen Tags sammelten sich wieder die
Deutschen. Mancher wackere Mann fehlte in ihren Reihen. Graf
Dietpold lag aus dem Lechfelde erschlagen, auch sein Nesse Regin-
bald. Der König betrauerte tief den Verlust dieser Braven; aber
keinen beweinte er mehr, als seinen Eidam Konrad, denn auch er
war als ein Opfer des ruhmreichen Kampfes gefallen. Noch ein-
mal, wie in der Frühe des Tags, hatte er sich in den Streit ge-
stürzt, mit Löwenmuth gekämpft und die fliehenden Feinde verfolgt.
Aber als er, erschöpft von der Arbeit des Streites und der glü-
henden Hitze der Augustsonne, die Helmbänder lüftete, um aufzu-
athmen, traf ihn ein Pfeil in die Gurgel. So war sein Wunsch
erfüllt: für König und Vaterland war er den Tod des Helden
gestorben, die schwere Schuld der Empörung hatte er mit dem
höchsten Preise gesühnt. Otto betrauerte ihn lange und ließ den
Mann, den er einst vor allen geliebt, mit den größten Ehren zu
Worms bei seinen Vätern bestatten. <Konrad,' sagt Widukind,
<war ein großer Held und die Welt seines Ruhmes voll; alle
Franken beklagten und beweinten sein Ende.' Er war der Ahn-
herr eines mächtigen Geschlechts, das später ein Jahrhundert lang
auf Deutschlands Thron gesessen hat.
Als die Nacht einbrach, ritt der König nach Augsburg hinein,
und froh bewillkommnete ihn die Stadt, die er von großer Angst
erlöst hatte. Wie aber in Otto's Seele sich Freude und Trauer
mischten, so war eS auch in dem Herzen Bischof Ulrich's; hatten
doch sein Bruder und sein Neffe den herrlichen Sieg mit dem
Blute bezahlt. Tröstend stand ihm der König zur Seite und er-
füllte ihm jeden Wunsch seiner Seele. Als der Morgen kam, da
nahm Otto aus Ulrich's Händen abermals das Abendmahl, dann
brach er sogleich nach Baiern auf, dem fliehenden Feinde zu folgen.
Denn schon drängten die Schwärme der Ungarn, welche dem
Kampfe entgangen, von Furcht und Schrecken gejagt, dem Osten
zu. Wer jedoch noch nicht über den Lech war, dem war schon
das letzte Brot gebacken; denn alle Furten und alle Fahrzeuge
am Ufer befahl der König streng zu bewachen, daß niemand lebendig
mehr über den Fluß gelange. Aber auch die schon hinüber waren,
entrannen meist nicht dem Tode; überall lauerte auf sie das Ver-
derben. Sah man von den Mauern einer Stadt die irrenden,
233
unsteten Scharen, schnell kamen die Städter heraus, und wehe
denen, die in ihre Hände fielen! So fand eine große Menge am
zweiten und dritten Tage nach der Schlacht den Tod. Otto ver-
folgte die Ungarn die Donau hinab bis Regensburg. Hier hielt
er ein strenges Gericht über die gefangenen Feinde, und viele vor-
nehme Ungarn fanden ihren Tod am Galgen, unter ihnen ihr
Oberfeldherr Pulszi, den die Annalen von St. Gallen ihren König
nennen. Dann überließ sich Otto's Heer der Siegesfeier. Als
Vater des Vaterlands und Kaiser begrüßte das jubelnde Heer
seinen Führer, wie einst König Heinrich nach seinem großen Siege
über die Ungarn begrüßt war. Den Ruhm des Kampfes wies
aber Otto von sich ab; nur dem Allmächtigen, sagte er, danke
man den Sieg, und zum Dankgebet zog er mit seinem Heere im
festlichen Zuge zu allen Kirchen der Stadt. Als das Siegesfest
beendet war, sandte er Boten nach Sachsen, um seiner lieben
Mutter das große Ereignis zu melden.
So waren abermals die Ungarn in einer großen Feldschlacht
von den Deutschen geschlagen und ihre ganze Heeresmacht vernichtet
worden. Seitdem vergieng ihnen die Lust, in die deutschen Länder
einzubrechen. Nachdem sie noch eine Zeit lang ihre verheerenden
Züge gegen das morgenländische Kaiserthum gerichtet hatten, fiengen
sie an, sich in der schönen, fruchtbaren Donauebeue, die sie ge-
wonnen hatten, feste Wohnsitze zu gründen, und gaben das zucht-
lose Nomadenleben allgemach auf. Bald begannen sie sogar,
schon selbst um ihren Besitz besorgt, mit Wällen und Pfählen das
sumpfreiche Land an ihren westlichen Grenzen zu verschanzen; denn
sie hatten die deutsche Tapferkeit fürchten gelernt. In dem Siege
von Augsburg beschließt sich, kann man so sagen, die Völker-
wanderung; denn nach den Ungarn hat kein wanderndes Volk in
Europa mehr festen Fuß gefaßt, so daß es in die Bewegung der
abendländischen Welt eingetreten und an der inneren Entwickelung
derselben Antheil genommen hätte. Otto's Sieg befreite nicht das
deutsche Reich allein, es befreite ganz Europa von den wilden
Scharen der Ungarn, die es mehr als ein halbes Jahrhundert
verheert hatten: diesen Sieg begrüßte deshalb das ganze Abend-
land mit unaussprechlicher Freude und namenlosem Jubel.
171.
Der Bischof Kollonitz.
Pocci und Görres: Festkalender. München und Wien. H, Heft 10, Nr. 3.
ln #
wt'enn ein Verg zusammenstürzend Wie dann alle jauchzend eilen
betn Thal ein Haus verschlingt, Aus dem finstern Schreckensgrab,
Wo die Mutter mit den Kindern Wenn die Rettung plötzlich nahte,
schmachtend mit dem Tode ringt; Die dem Licht sie wiedergab:
Also stürzten einst die Wiener
Aus den Thoren jubelfroh,
Als in ihren höchsten Nöthen
Schmachbedeckt der Türke floh;
Eilten in das Türkenlager,
Wo die Schätze einer Welt
Ungezählet offen lagen
In dem seidenen Gezelt.
Was des Menschen kühnstes Wün-
schen
Kaum ersinnt im Traum der Nacht,
Alles lag als Siegcsbeute
Offen hier in reichster Pracht.
Jeder nahm, was ihn gelüstet,
Aus den Schätzen sich zur Hand;
Manchem ward es schwer zu wählen,
Daß er lange sinnend stand.
Dieser nahm die schmucken Waffen,
Säbel, Dolche blitzesgleich;
Jener sich Araberrosse
Schlank und kühn und adelreich.
Dieser seid'ne Purpurstoffe,
Steine, Perlen, Goldgewand;
Nach dem Roßschweif, nach den Fahnen
Griff des Feldherrn stolze Hand.
Wie sich jeder also gierig
Um die Beute riß und stritt,
Ernst und heilig da ein Bischof
In des Lagers Mitte tritt,
Der gestärkt, gepflegt, getröstet
Alle in der harten Zeit
Und für sie die Brust geboten
Waffenlos dem Feind im Streit.
Ihm gebührte wohl die Krone,
Ihm der Beute reichster Theil,
Und sie riefen: Wähle, wähle,
Dir verdanken wir das Heil.'
Seinen Mantel, seine Arme
Breitete der Bischof aus:
'Kommet, all' ihr Waisenkinder,
Kommt, ich wähl' euch mir heraus.
'Eure Väter, die Gefangnen,
Mordete der Türke hier,
Ihr, die liebsten aller Schätze,
Kommt, ihr Armen, kommt zu mir.'
Als der Bischof dies gesprochen,
Milde und voll heil'ger Ruh,
Liefen froh dreihundert Kinder
Ihrem neuen Vater zu.
Ambra, Balsam, Rosenwasser
Nahm der süße Weichling hin,
Reiherfächer, Mokkabohnen,
Weihrauchduft erfreuten ihn.
. Und von dannen gieng der Bischof,
Der der Armuth sich vermählt,
Mit der Beute, die er siegend
Aus den Schätzen sich erwählt.
172.
Der Schneider in Pensa.
Von Hebel.
Rheinländischer Hausfreund, herausgegeben von Karl Stöber- Pforzheim 1847. S. 57.
Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein!
Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus und jahrein
für halb Rußland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein
froher heiterer Sinn, ein Gemüth, treu und köstlich wie Gold, und
mitten in Asien deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.
Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug
hatte für die Kriegsgefangenen an der Berezina oder in Wilna,
gieng eine auch durch Pensa, welches für sich schon mehr als
einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt
ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine
hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spät.
1
235
In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien,
wenn man aus Europa herein kommt. Also wurden dort die
Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter
abgeführt in das tiefe fremde Asien hinein, wo die Christenheit
ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht
einer, gleichsam als fremde Ware, aus Europa mitbringt. Also
kamen eines Tages mit Franzosen meliert auch sechzehn rheinlän-
dische Herren Leser, badische Ofsiciere, die damals unter den Fahnen
Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brand-
stätten von Europa, ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen
und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne
Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein
Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich
über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trost-
loser Miene anblickte: Was wird aus uns werden?' oder: Wann
wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den
letzten begraben?' da vernahmen sie mitten durch das russische und
kvsakische Kauderwelsch, wie ein Evangelium vom Himmel, unver-
muthet eine Stimme: ^L-ind keine Deutsche da?' und es stand
vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine liebe freund-
liche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton
Egetmeier, gebürtig aus Breiten im Großherzogthum Baden.
Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim?
Hernach gieng er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach
ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlägt
sieben- bis achtmal hundert Stunden Weges nicht hoch an, wenn's
ihn inwendig treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein
russisches Cavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren
und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles
anders ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem
Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bür-
gerlich niederließ, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will je-
mand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so
schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas
von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit
dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern
verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges ein Mensch ein
Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider
von Pensa an, er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, Rath,
Hülfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett,
uur kein Geld.
Einem Gemüthe, wie dieses war, das nur in Liebe und Wobl-
thun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812
Une schöne Freudenernte. So oft ein Transport von unglücklichen
befangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste
auf dem Platze, und <Sind keine Deutsche da?' war seine erste
236
Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den
Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen
Gutes thun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehener-
weise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben
kann, ehe sie es hat. Wenn sie nur so oder so aussähen,' dachte
er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht
viel Gutes erweisen kann.' Doch nahm er, wenn keine Deutsche
da waren, auch mit Franzosen fürlieb und erleichterte ihnen, bis
sie weiter geführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte.
Diesmal aber, und als er mitten unter so viele geneigte Leser,
auch Darmstädter und andere hineinrief: Dind keine Deutsche
da?' — er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal
konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern
das süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren, wie
ein Harfenton, und als er hörte: Deutsche genug!' und von jedem
erfragte, woher er sei — er wäre mit Meklcnburgern oder Kur-
sachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte: von Mannheim am
Nheinstrom, als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte,
wo Mannheim liegt; der andere sagte: von Bruchsal; der dritte:
von Heidelberg; der vierte: von Gochshcim — da zog es wie ein
warmes, auflösendes Thauwetter durch den ganzen Schneider hin-
durch. ‘Unb ich von Breiten,' sagte das herrliche „Gemüthe, Franz
Anton Egetmeier von Breiten, wie Joseph in Ägypten zu den
Söhnen Israels sagte: Vch bin Joseph, euer Bruder' — und die
Thränen der Freude, der Wehmuth und heiligen Heimatsliebe
traten allen in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie
einen freudigern Fund an dem Schneider, oder der Schneider an
seinen Landsleuten machte, und welcher Theil am gerührtestcn
war. Jetzt führte der gute Mensch seine theuern Landsleute im
Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquick-
lichen Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war.
Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade,
daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. Mnton,' sagte
der Statthalter, üvann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?' Jetzt
lief er in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in
seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten
die besten Quartiere aus. Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach
dem andern. <Herr Landsmann,' sagte er zu einem, llnit Eurem
Weißzeug sieht's windig aus. Ich werde Euch für ein halbes
Dutzend neuer Hemder sorgen.' — 'Ihr braucht auch ein neues
Röcklein,' sagte er zu einem andern. — <Euers kann noch gewendet
und ausgebessert werden,' zu einem dritten, und so zu allen, und
augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Ge-
sellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine
werthen rheinländischen Hausfreunde. In wenig Tagen waren
alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch
237
Wenn er in Nöthen ist, misbraucht niemals fremde Gutmüthigkeit;
deswegen sagten zu ihm die rheinländischen Hausfreunde: 'Herr
Landsmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt
keine Münze mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für
Eure großen Auslagen werden schadlos halten können, und wann.'
Darauf erwiderte der Schneider: ^Jch finde hinlängliche Entschä-
digung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie
alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten
als den Ihrigen an.' So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder
König spricht, wenn eingefaßt in Würde die Güte hervorblickt.
Denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Großmnth, sondern
auch die liebe häusliche Demuth giebt, ohne es zu wissen, bis-
weilen den Herzen königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin.
Jetzt führte er sie freudig, wie ein Kind, in der Stadt bei seinen
Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Hausfreund
hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen,
was er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so
wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den
unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und
das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der
lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am
nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl, mit
Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die
Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken
und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an: der Schneider
war der erste, der sie wußte und seinen Kindern — er nannte sie
nur noch seine Kinder — mit Freudenthränen zubrachte, darum,
daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung
der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war die erste Sorge,
ihrem Wohlthäter seine Auslagen zu vergüten. Mnder,' sagte er,
^verbittert mir meine Freude nicht.' — Water Egetmeier,' sagten
sie, llhut unserm Herzen nicht wehe!' Also machte er ihnen zum
Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und
um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die
letzte Kopeke aus den Händen war. Das gute Geld war für
einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann nicht an
alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung schlug,
gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der Tren-
nung, und zu dem bittern Schmerz die Noth. Denn es fehlte
an allem, was zur Nothdurft und zur Vorsorge ans eine so lange
Neise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer un-
lvirtbaren Gegend nöthig war, und ob auch aus den Mann, so
lange sie durch Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer
verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin.
Darum gieng in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen,
leichten Muthes, still und nachdenklich herum, als der etwas im
238
Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. <Es geht ihm recht
zu Herzen/ sagten die rheinländischen Herren Hausfreunde und
merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit großen Freuden-
schritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: ^Kinder, es ist Rath;
Geld genug!' — Was war's? Die gute Seele hatte für zwei-
tausend Rubel das Haus verkauft. <Jch will schon eine Unter-
kunft finden/ sagte er, ^wenn nur ihr ohne Leid und Mangel
nach Deutschland kommt.' O du heiliges, lebendig gewordenes
Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: ^Verkaufe, was du
hast, und gieb es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen
Schatz im Himmel haben.' Der wird einst weit oben rechts zu
erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: <Kommt, ihr Ge-
segneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist,
ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet, ich bin krank
und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen.'
Doch der Kauf wurde, zu großem Trost für die edlen Gefangenen,
wieder rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er auf andere
Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nöthigte sie,
was er hatte von kostbarem russischen Pelzwerk mitzunehmen, um
es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären, oder
einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Hausfreund
nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden
unter tausend Segenswünschen und Thränen des Dankes und
der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für ihn der
schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen
-unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa,
und als sie in Bialystock in Polen wohlbehalten ankamen und
Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reise-
geld zurück.
Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier,
Schneidermeister in Asien.
173.
Gott und die Fürsten.
Bon Rückert-
Kranz der Zeit. 1817. S. 41. - Ges. Gedichte Bd. in. 2. Aufl. 1839. S. 243. — Auswahl
d. Vers. 14. Ausl- Franks. 1865. S. 106. — 17. Aufl. 1872. S. 166.
Napoleon von Kaiserthronen
Gestürzt auf Elba'S nackten Sand!
Seht her, der Erde Stationen,
Seht, und erkennet Gottes Hand.
Ihn hat der HErr im Zorn gerichtet,
Drum liegt er so in Schmach vernichtet.
Der große Bund der Fürsten kämpfte
Wohl mit dem Argen brav und gut;
Allein der Thau der Großmuth dämpfte
239
Der Rache so gerechte Glut.
Sie dachten's friedlich zu entschürzen;
Doch Gott gedacht' ihn ganz zu stürzen.
'Du bist gekehrt von Moskow's Brande,
Von argen Niederlagen wund,
Da stehn die Völker aller Lande
In nie gesehnem Rachebundj
Doch komm, wir wollen Frieden schließen,
Dabei dir noch soll Lorber sprießen.'
Das war das erste Wort der Fürsten,
Doch ihn umflocht der Gotteswahn,
Es trieb ihn seines Hochmuths Dürsten
Noch einmal auf die blut'ge Bahn;
Denn im Verhängnis stand's geschrieben:
Er soll noch beffer sein zerrieben.
'Du siehest, wie bei Leipzig deine
Gewalt die letzte Schwinge brach;
Du fliehst gelähmet nach dem Rheine,
Und unsre Scharen folgen nach;
Doch komm, und mache mit uns Frieden,
Ein rühmlicher sei dir beschieden.'
Das war das zweite Wort der Fürsten,
Doch ihn umflocht der Gotteswahn,
Es trieb ihn seines Hochmuths Dürsten
Noch einmal auf die blut'ge Bahn;
Denn im Verhängnis stand's geschrieben:
Er soll noch besser sein zerrieben.
'Du hast in deinem eignen Lande
Empfunden unsres Zornes Glut:
Brienne, deine Wieg', im Brande!
Laß ab von der bethörten Wuth;
Wir wollen dir noch Frieden gönnen,
Bei welchem du sollst herrschen können.'
Das war das dritte Wort der Fürsten,
Doch ihn umflocht der Gotteswahn,
Es trieb ihn seines Hochmuths Dürsten
Noch einmal auf die blut'ge Bahn;
Doch im Verhängnis stand's geschrieben:
Jetzt soll er völlig sein zerrieben.
Ihr Fürsten, zeiget ihr noch weiter
Anstatt des Schwerts den Heroldstab?
Führt in die Feldschlacht eure Streiter,
Und ruft die Friedensboten ab!
Ich fürchte, daß der HErr euch grollet,
Wenn ihr noch länger schonen wollet.
240
Dm Frevler vor dem Sturz zu warnen,
Giebt Gott, der HErr, dreimal'ge Frist;
Da muß der Wahnsinn ihn umgarnen,
Bis sie umsonst verlaufen ist;
Dann faßt ihn an ein Plötzlich Zagen,
Wenn er hört seine Stunde schlagen.
Und also ist es denn geschehen,
Daß wie von einem Wetterschlag,
Eh man die Hand hat zucken sehen,
Der, den sie traf, am Boden lag;
Und wir bekennen laut und offen:
Es ist der HErr, der ihn getroffen.
Der HErr hat ihn gefaßt beim Schopfe,
Geschleudert ihn vom goldnen Stuhl,
Gleich einem staub erzeugten Tropfe,
Nicht in den Staub, nein, in den Pfuhl.
Verloren hat er Ehr' und Kronen;
Nun, seines Lebens mögt ihr schonen.
174.
Von dem fischcr un syncr fru.
von den brüdern Grimm.
märchen 6. aufl. Göttingen 1850. 1,113. — 7. auü. 1857. 1,100. — 13. aufl. Berlin 1875. s. 77.
Dar wör mal eens en fischcr un syne fru, de waanden to-
samen in’n swienekaven, dicht an der see, un de fischcr güng alle
dago hen un angeld. un he angeld un angeld.
So seet I) he ook eens by de angel un seeg jümmer in dat
blanke water henin. un he seet un seet.
Do güng de angel to gründ, deep tinner, un as he se her-
uphaald, so haald he enen groten butt hermit, do säd de butt
to em: ‘hör mal, fischcr, ik bidd dy, laat my lewen, ik bün keen
rechten butt, ik bün’n verwünschten prins. wat helpt dy dat,
dat du my doot maakst? ik würr dy doch nich recht smecken:
sett my wedder in dat water un laat my swemmen.’ ‘nu/ säd
de mann, ‘du bruukst nich so veel word to maken; enen butt, de
spreken kann, hadd ik doch wol swemmen laten.’ mit des sett’t
he em wedder in dat blanke water, do güng de butt to gründ un
leet2) enen langen strypen3) bloot achter sik. do stünn de fischcr
up un güng na syne fru in’n swienekaven.
‘Mann,’ säd de fru, ‘best du hüt niks hingen?' ‘ne,’ säd de
mann, ‘ik fiing enen butt, de säd, he wör en verwünschten prins,
do hebb ik em wedder swemmen laten.’ ‘best du dy denn niks
1) sasz. 2) liesz. 3) streifen.
241
wünschd?’ säd de fru. ‘ne/ säd de mann, ‘wat schull ik my wün-
schen?’ ‘ach/ säd de fru, ‘dat is dochäwel4), hyr man jümmer 5) in’n
swienekaven to wanen, dat is so eeklig: du haddst uns doch ene
lüttje6) hätt wünschen kunnt. ga noch hen un roop7) em; segg
em, wy wählt8) ’ne lüttje hütt hebben, he dait dat gewisz.’ ‘ach/
säd de mann, ‘wat schull ik dor noch hengahn?’ ‘i/ säd de fru,
‘du haddst em doch fungen un liest em wedder swemmen laten,
he dait dat gewisz. ga glyk hen/ de mann wull noch nich recht,
wull awerst syn fru ook nich toweddern 9) syn un güng hen na der see.
As he dor köhm, wör de see gansz grün un geel un gor
nich mehr so blank, so güng he stahn un säd:
‘manntje, manntje Timpe Te,
‘buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.’
do köhm de butt answemmen un säd: ‘na, wat will se denn?’ ‘ach/
säd de mann, ‘ik hebb dy doch fungen hatt, nu säd myn fru, ik
hadd my doch wat wünschen schullt.10) se mag nich mehr in’n
swienekaven wanen, se wull geern ’ne hütt.’ ‘ga man hen/ säd de
butt, ‘se hett se all.’
Do güng de mann hen, un syne fru seet nich mehr in’n
swienekaven, dar stünn awerst ene lüttje hütt, un syne fru seet
vor de döhr up ene bank, do nühm syne fru em by de band un säd
to em: ‘kumm man herin, süh, nu is dat doch veel beter.’ do
güngen se henin, un in de hütt was en lüttjen vörplatz un ene
lüttje herrliche stuw un kamer, wo jem11) ehr bedd stünn, un käk12)
un spysekamer, allens up dat beste mit gerädschoppen, un up
dat schönnste upgefleyt,13) tinntüg 14) un mischen15), wat sik darin
hört, un achter was ook en lüttjen hoff mit kühnern un aanten,
un en lüttjen goorn16) mit grönigkeiten ,7) un aast.18) ‘süh/ säd
de fru, ‘is dat nich nett?’ ‘ja,’ säd de mann, ‘so schall’t blywen,
nu wähl wy recht vergnügt lewen/ ‘dat wähl wy uns bedenken/
säd de fru. mit des äten se wat und güngen to bedd.
'So güng dat wol ’n acht oder veertein dag, do säd de fru:
‘hör, mann, de hütt is ook gor to eng, un de hoff un de goorn is
so kleen; de butt hadd uns ook wol een grötter huus schenken
kunnt. ik much wol in enem groten stenern slott wanen; ga hen
tom butt, he schall uns en slott schenken.’ ‘ach, fru/ säd de
mann, ‘de hütt is jo god noog, wat wähl wy in’n slott wanen!’
‘i wat/ säd de fru, ‘ga du man hen, de butt kann dat jümmer
doon/ ‘ne, fru,’ säd de mann, ‘de butt hett uns erst de hütt
gewen, ik mag nu nich all wedder kamen, den butt muchd et
vördreten/19) ‘ga doch/ säd de fru, ‘he kann dat recht god un
4) übel. 6) Immer. 6) kleine. 7) ruf. 8) wollen. 9) zuwider. 10) sollen.
11) jedem. 12) küche. 13) aufgeputzt. 14) zinngerüth. 15) messing. IG) garten. 17) aller-
lei grün. 18) obst. 19) verdrieszen.
ColsHorn u. Goedeke's Lesebuch II.
16
242
dait dat geern; ga du man hen.’ dem mann wör syn hart so
swor, un wull nich; he säd by sik sülwen20): ‘dat is nich recht/
he güng awerst doch hen.
As he an de see köhrn, wör dat water gansz vigelett un
dunkelblau un grau un dick un gor nich mehr so grün un geel,
doch wör't noch still, do güng he stahn un säd:
‘manntje, manntje Timpe Te,
buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will/
‘na, wat will se denn'?' säd de butt, ‘ach/ säd de mann half be-
dröft, ‘se will in’n groot stenern slott wanen.’ ‘ga man hen, se
stait vor de döhr/ säd de butt.
Do güng de mann hen un dachd, he wull na huus gähn; as
he awerst dar köhm, so stünn dor 'n groten stenern palast, un
syn fru stünn ewen up de trepp un wull henin gähn; do nöhm
se em by de band un säd: ‘kumm man herin.’ mit des güng he
mit ehr henin, un in dem slott wör ene grote deel mit mavmel-
stenern asters21), un dar wören so veel bedeenters, de reten 22)
de groten deren up, un de wände wören all blank un mit schöne
tapeten, un in de zimmers luter gollne stöhl un dischen, un kry-
stallen kronlüchters hüngen an dem bähn 23), un so wör dat all
de stuwen un kamers mit footdecken; un dat äten un de aller-
beste wyn stünn up den dischen, as wenn se breiten wullen. un
achter dem huse wör ook ’n groten hoff mit peerd- un kohstall, un
kutschwagens up dat allerbeste, ook was dor en groten herrlichen
goorn mit de schönnsten blomen un fyne aaftbömer 24), un en lust-
holt, wol 'ne lialwe myl lang, dor wören hirschen un reh un hasen
drin un allens, wat man sik jümmer wünschen mag. ‘na/ säd de
fru, ‘is dat nu nich schön?’ ‘ach ja/ säd de mann, ‘so schalst ook
blywen, nu wähl wy ook in dat schöne slott wanen un wähln to-
freden syn.’ ‘dat wähl wy uns bedenken/ säd de fru, ‘un wählen’t
beslapen/ mit des güngen se to bedd.
Den annern morgen waakd de fru teerst up, dat was jüst dag,
un seeg uut ehr bedd dat herrliche land vor sik liggen. de mann
reckd sik noch, do stödd 25) ge em mit dem ellbagen in de syd
un säd: ‘mann, sta up un kyk mal uut dem fernster, süh, kunnen
wy nich könig warden äwer all düt land? ga hen tom butt, wy
wählt könig syn!’ ‘ach fru/ säd de mann, ‘wat wähl wy könig
syn! ik mag nich könig syn.’ ‘na/ säd de fru, ‘wullt du nich
könig syn, so will ik könig syn. ga hen tom butt, ik will
könig syn.’ ‘ach, fru,’ säd de mann, ‘wat wullst du könig
syn? dat mag ik em nich seggen.’ ‘worüm nich?’ säd de fru,
‘ga stracks hen, ik mutt könig syn.’ do güng de mann hen
20) selbst. 21) estrich. 22) rissen. 23) boden, decke. 24) obstbäumen. 25) stiesz.
243
un wör gansz bedröft26), dat syne fru könig warden wull. ‘dat
is nicb recht un is nich recht/ dachd de mann. he wull nich
hen gähn, güng awerst doch hen.
Un as he an de see köhm, do wör de see gansz swartgrau,
un dat water ge erd27) so von ünnen up. do güng he stalm
un säd:
‘manntje, manntje Timpe Te,
buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,»
will nich so, as ik wol will.'
‘na, wat will se denn?’ säd de butt, ‘ach,’ säd de mann, ‘se will
könig warden.’ ‘ga man hen, se is’t all,’ säd de butt.
Do güng de mann hen, un as he na dem palast köhm, so
wör dat slott veel grötter worren, mit enem groten thorn un herr-
lyken zyrath doran; un de schildwacht stünn vor de döhr, un dar
wören so vele Soldaten un pauken un trumpeten. un as he in
dat liuus köhm, so wör allens von purem marmelsteen mit gold,
un sammtne deken un gollne quasten. do güngen de dören von
dem saal up, dor de gansze hofstaat wör, un syne fru seet up
enem bogen thron von gold un demant un hadd ene grote gollne
krön up un den zepter in der band von purem gold un edelsteen,
un up beiden syden by ehr stürmen sesz jumfern in ene reeg,
jiimmer ene enen kops lüttjer as de ärmere, do güng he stahn
un säd: ‘ach, fru, bist du nu königV’ ‘ja,’ säd de fru, ‘nu bün
ik könig.’ do stünn he un seeg se an, un as he se do een flach28)
so ansehn hadd, säd he: ‘ach, fru, wat lett29) dat schön, wenn du
könig büst! nu wähl wy ook niks mehr wünschen.’ ‘ne, mann,’
säd de fru un wör gansz unruhig, ‘my wahrt de tyd un wyl all
lang, ik kann dat nich mehr uuthollen30). ga hen tom butt, könig
bün ik, nu mutt ik ook kaiser warden.’ ‘ach, fru,’ säd de .mann,
‘wat wullst du kaiser warden?’ ‘mann,’ säd se, ‘ga tom butt, ik
will kaiser syn.’ ‘ach, fru,’ säd de mann, ‘kaiser kann he nich
maken, ik mag dem butt dat nich seggen; kaiser is man eenmal
im reich: kaiser kann de butt jo nich maken, dat kann un kann
he nich.’ ‘wat,’ säd de fru, ‘ik bün könig un du büst man myn
mann, wullt du glyk hengahn V glyk ga hen; kann he könig maken,
kann he ook kaiser maken, ik will un will kaiser syn; glyk ga hen.’
do muszd he hengahn. do de mann awerst hengüng, wör em gansz
bang, un as he so güng, dachd he by sik: ‘düt gait un gait nich
god: kaiser is to uutvörschaamt, de butt ward am ende möd.’
Mit des köhm he an de see, do wör de see noch gansz swart
un dick un füng all so von ünnen up to geren, dat et so blasen
26) betrübt. 27) gohr. 28) eine zeit lang. 29) läszt. 30) aushalten.
16*
244
smeet, und et güng so ein keekwind31) äwer hen, dat et sik so
köhrd32); un de mann wurr groen33). do güng he stahn un säd:
‘manntje, manntje Timpe Te,
buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will?
‘na wat will se denn?’ säd de butt, ‘ach, butt? säd he, ‘myn
fru will kaiser warden? ‘ga man hen? säd de butt, ‘se is’t all?
Do güng de mann hen, un as he dor köhm, so wör dat gansze
slott von poleertem marmelsteen mit albasternen figuren un gollnen
zyraten, vor de döhr marscheerden de Soldaten, un se blösen
trumpeten un slögen pauken un trummein; awerst in dem huse da
güngen de baronen un grawen un herzogen man so as bedeenters
herüm: do maakden se em de deren up, de von luter gold wören.
un as he herin köhm, dor seet syne fru up enem thron, de wör von
een stück gold un wör wol twe myl hoog, un hadd ene grote
gollne kröne up, de wör dre eien hoog un mit briljanten un
karfunkelsteen besett’t; in de ene band hadde se den zepter un
in de annere hand den reichsappel, un up beiden syden by ehr dor
stürmen de trabanten so in twe regen, jümmer een lüttjer as de
annere, von dem allergröttsteh rysen, de wör twe myl hoog, bet
to dem allerlüttjesten dwark, de wör man so grot as myn lüttje
finger. un vor ehr stürmen so vele fürsten und herzogen, dor
güng de mann tüschen34) stahn un säd: ‘fru, birst du nu kaiser?'
‘ja? säd se, ‘ik bün kaiser? do güng he stahn un beseeg se sik
so recht, un as he se so’n flach ansehn hadd, so säd he: ‘ach,
fru, watt lett dat schön, wenn du kaiser brist!' ‘mann? säd se,
‘wat staist du dor? ik bün nu kaiser, nu will ik awerst ook pabst
warden, ga hen tom butt? ‘ach, fru? säd de mann, ‘wat wullst
du man nich! pabst kannst du nich warden, pabst is man eenmal
in der Christenheit, dat kann he doch nich maken? ‘mann? säd se,
‘ik will pabst warden, ga glyk hen, ik mutt hüt noch pabst warden?
‘ne, fru? säd de mann, ‘dat mag ik em nich seggen, dat gait nich
god, dat is to gross, tom pabst kann de butt nich maken? ‘mann,
wat snack!’ säd de fru, ‘kann he kaiser maken, kann he ook pabst
maken. ga foorts35) hen, ik bün kaiser un du birst man myn mann,
wullt du wol hengahn ?’ do wurr he bang un güng hen, em wör awerst
gansz flau un zitterd un beewd, un de knee un de waden slakkerden 36)
em. un dar streek 37) so’n wind äwer dat land, un de wölken flögen,
as dat düster wurr gegen awend; de bläder waiden von den bömern,
un dat water güng un bruusd, as kaakd38) dat, un platschd an dat
äver,39) un von feern seeg he de schepen, de schoten in der noth
un danszden un Sprüngen up den bülgen40). doch wör de him-
31) Windsbraut. 32) sich brach (am ufer). 33) grauen. 34) zwischen. 35) sofort.
36) wackelten. 37) strich. 38) kochte. 39) ufer. 40) wogen.
245
mel noch so’n bitten blau in de midd, awerst an den syden dor
toog dat so recht rood up as en swor gewitter. do güng he
recht vörzufft41) stahn in de angst un säd:
hnanntje, manntje Timpe Te,
buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.'
‘na, wat will se denn?' säd de butt, ‘ach,' säd de mann, ‘se will
pabst warden.’ ‘ga man hen, se is’t all,' säd de butt.
Do güng he hen, un as he dor köhm, so wör dar as en grote
kirch mit luter palastens iimgewen. dor drängd he sik dorch
dat volk. inwendig was awer allens mit düsend un düsend lichtem
erlüchtet, un syne fru wör in luter gold gekledet un seet noch
up enem veel högeren thron un hadde dre grote gollne krönen
up un üm ehr dar so veel von geistlykem Staat, un up beiden
syden by ehr dor stürmen twe regen lichter, dat gröttste so dick
un groot as de allergröttste thorn, bet to dem allerkleensten käken-
licht; un alle de kaisers un de königen de legen vor ehr up de
kne un küszden ehr den tüffel. ‘fru,’ säd de mann un seeg se so
recht an, ‘büst du nu pabst?’ ‘ja,’ säd se, ‘ik bün pabst.’ do
güng he stahn un seeg se recht an, un dat wör, as wenn he in
de hell sünn seeg. as he se do en flach ansehn hadd, so segd
he: ‘ach, fru, wat lett dat schön, wenn du pabst büst!’ se seet
awerst gansz styf as en boom un rüppeld un röhrd sik nich. do
säd he: ‘fru, nu sy tofreden, nu du pabst büst, nu kannst du doch
niks mehr warden.’ ‘dat will ik my bedenken,’ säd de fru. mit
des güngen se beide to bedd; awerst se wör nich tofreden, un
de gyrigheit leet se nich slapen, se dachd jümmer, wat se noch
warden wull.
De mann sleep recht god und fast42), he hadd den dag veel
lopen; de fru awerst kunn gor nich inslapen un smeet sik von
een syd to der armem de gansze nacht un dachd man jümmer, wat
se noch wol warden kunn, un kunn sik doch up niks mehr be-
sinnen. mit des wull de sünn upgahn, un as se dat morgenrood
seeg, richt’d se sik äwer enn43) im bedd un seeg dor henin, un
as se uut dem fenster de sünn so herup kamen seeg, ‘ha,’ dachd
se, ‘kunn ik nich ook de sünn un de maan upgahn laten?’ ‘mann,’
säd se un stödd em mit dem cllbagen in de ribben, ‘waak up, ga
hen tom butt, ik will warden as de lewe gott.* de mann was
noch meist in’n slaap, awerst he vörschrock sik so, dat he uut dem
bedd füll, he meend, he hadd sik vörhörd, un reef sik de ogen
uut un säd: ‘ach, fru, wat säd’st du?’ ‘mann,’ säd se, ‘wenn ik
nich de sünn un de maan kann upgahn laten, un mutt dat so
ansehn, dat de sünn un de maan upgahn, ik kann dat nich uut-
41) verzagt. 42) fest. 43) ende, hoch auf.
246
hollen un hebb kene geruhige stünd mehr, dat ik se nich sülwst
kann upgahn laten.’ do seeg se ein so recht grasig an, dat em so’n
schudder äwerleep. ‘glyk ga hen, ik will warden as de lewe gott.’
‘ach, fru,’ säd de mann un füll vor ehr up de knee, ‘datt kann de
butt nich. kaiser un pabst kann he maken, ik bidd dy, sla in
dy un blyf pabst.’ do köhm se in de bosheit, de hoor flögen ehr
so wild üm den kopp, do reet se sik dat lyfken44) up un ge es
em eens mit dem foot un schreed: ‘ik holl dat nich uut un holl
dat nich länger uut, wullt du hengahn?’ da slöpd he sik de büxen
an un leep weg as unsinnig.
Buten awer güng de storm un bruusde, dat he kuum up den
föten stahn kunn: de hüser un de bömer waiden üm, un de baarge
beewden, un de felsenstücken milden in de see, un de himmel
wör gansz pickswart45), un dat dunnerd un blitzd, un de see güng
in so böge swarte bülgen as kirchenthürn un as baarge, un de hadden
bawen all ene witte krön von schuum up. do schre he, un
kunn syn egen woord nich hören:
‘manntje, manntje Timpe Te,
buttje, buttje in der see,
myne fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will.’
‘na, wat will se denn?’ säd de butt, ‘ach,’ säd he, ‘se will wur-
den as de lewe gott.’ ‘ga man hen, se sitt all wedder in’n swiene-
kaven.’
Dor sitten se noch bet up hüt un düssen dag.
175.
Die Histörchen.
Von Kopisch.
Allerlei Geister. Berlin 1848. S. 182. - 2. Ansg. 1852.
UDir sitzen zusammen auf lustiger Bank,
Erzähle drum jeder einen Schwank,
Vielleicht von dummem Volk etwas,
Das macht uns Klugen am meisten Spaß;
Wer ausgetrunken hat, fängt an! —
Das trifft mich selber, — nun wohlan!
‘Die Fockbecker — es ist doch kein Fockbecker am Tisch?'
‘Nein, noch ist er draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— ‘Die Fockbecker aßen Hering einmal,
Das war für sie ein Göttermahl;
Sie dachten: ‘Das sollte man öfter haben,
Ist eine der besten Tafelgaben!' —
Sie haben nicht viel und sind nicht reich,
44) leibchen. 45) pechschwarz.
Drum legen sie an einen Heringsteich
Und kaufen sie gut gesalzen ein
Und setzen sie in den Teich hinein
Und dachten so ohne sondre Mühn
Sich ihren Heringsbedarf zu ziehn.
Gieng einer nun bei dem Wasser vorbei,
Und rührte sich was, so rief er: 'Hei!
Es rührt sich schon; es werden schon mehr,'
Und rieb sich die Hände und freute sich sehr.
Als nun der Herbst gekommen war,
Da ließen sie ab das Wasser klar
Und standen herum und guckten drein:
Da fanden sie — einen Aal allein;
Bon Heringen nicht einen Schwanz,
Die waren weggeschwunden ganz. —
Da schrien sie alle auf einmal:
'Der Aal hat sie verzehrt, der Aal!
Fort, fort mit ihm zur Feuerqual!'
Mein,' meinte der eine, 'so stirbt er zu schnell;
Werft lieber ihn in ein Wasser hell!'
'In ein Wasser? das wär' ein dummer Streich;
Er hat ja immer gelebt im Teich!'
'Das Wasser im Teich ist flach und klein,
Wohl zehnmal tiefer muß es sein;
Werft in den großen Strom ihn hin,
Da wird er schon versaufen drin!' —
Wie nun der Aal tief Wasser spürt
Und lustig drin herumvagiert,
Da rufen sie: 'Seht seine Noth!
Ersaufen ist ein böser Tod!' —
'Die Fockbecker, doch — da kommt einer herein,
Da mutz ich wahrhaftig stille sein —'
'Guten Tag, Herr Fockbecker, setzet Euch,
Trinkt un- erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!
'Die Kisdorfer — es ist doch kein Kisdorfer am Tisch?'
'Nein, noch sind sie draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— 'Die Kisdorfer sind nicht grade dumm;
Doch kommen sie oft ums Wahre herum.
Einst, wie ein fremder Bauer da fährt,
Macht er am Wege sich Gras fürs Pferd,
Läßt liefen die Sense und denkt: 'Hierher
Komm' ich am Abend und hol' mir mehr.'
So fährt er davon. — Nun war es ein Spaß,
Die Kisdorfer merken, es fehlt' da Gras,
Und halten die Sense für ein Thier
Und glauben, das hat gefressen hier.
Der Kühnste tritt nah herzu und spricht:
'Es scheint zu schlafen; es rührt sich nicht.
Was thun? — Dem Ding ist nicht zu traun.
Kommt her, wir machen einen Zaun
In aller Stille rings herum;
So muß es verhungern!' — Das schien nicht dumm.
Sie machen den Zaun: 'Nun kann's nicht heraus!' —
Da gehn sie getröstet all' nach Hans.
— Der Bauer kam wieder — der hat gelacht
Und die Sense geholt und Gras gemacht
Und den Streich dann unter die Leute gebracht.
Den Kisdorfern aber war angst und bang,
Weil das Thier den Zaun doch übersprang.
Und keiner gieng damals allein,
Sie mußten immer gekoppelt sein,
Bis auf dem Markt sie Sensen gesehn
Und merkten, das sei ein Ding zum Mähn.
— Noch schöner war es mit einem Gaul,
Der schlug um sich mit den Füßen nicht faul.
Dem bauten sie rings umher ein Haus; —
Doch erzähl' ich die Geschichte nicht aus,
Es kommt von Kisdorf eben ein Mann.'
'Heran, heran, nur immer heran!
Herr Kisdorfer, kommt und setzet Euch,
Trinkt und erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!
'Die Gabler — es ist doch kein Gabler am Tisch?'
Mein, noch sind sie draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— 'Die Gabler kannten die Katzen noch nicht
Und wurden geplagt von Mäusegezücht:
Da bracht' ein Jud' eine Katze daher,
Die, sagt' er, zum Mäusausrotten wär'.
Der Jude verlangte die halbe Welt,
Da legten zusammen sie vieles Geld
Und setzten die Katz' ins erste Haus:
'Dort fange sie an und rotte auö!'
Der Jude war schon ein Weilchen fort;
Ein Tauber ritt nach und rief: 'Ein Wort!
Was frißt das Thier?' — 'Milch!' rief er zurück,
'Und Mäuschen frißt es!' — 'O Ungelück!'
Ruft aus der Taube; denn er verstund:
'Auch Menschen frißt es!' 'O böse Stund!'
Es erschrickt im Dorf Mann, Weib und Kind;
Doch weil sie gefaßte Leute sind,
Entschließen sie sich: 'Umö Haus dahier
Macht flugs ein Feuer, verbrennt das Thier:
Viel besser ein Haus geopfert ist,
Als wenn es einen Menschen frißt!'
Gesagt, gethan, das Feuer brennt;
Doch die Katze kommt herausgerennt
Und läuft in das zweite — 'auch das muß fort
Viel besser Brand als Menschenmord!'
Man zündet an — flink ist sie heraus
Und ist schon wieder im dritten Haus!
Das ist des Schulzen: der brave Mann,
Er setzt das seine gern daran,
Wenn er die Menschheit retten kann.
— Hei! brennt der Speck in Schulzens Haus!
Wipp war die Katze wieder heraus!
Hier kann nichts helfen, man sengt und brennt,
Wo immer nur das Thier hinrennt.
Die Katze bleibt in einem Lauf:
So geht das Dorf im Feuer auf!
249
Doch tröstet man sich bei aller Noth,
Die Katze ist zuletzt doch jodt.
Man trug sie auf einer Stang' umher,
Als ob es ein groß Mirakel wär.'
Das Dorf war bald neu aufgestellt,
Sie hatten viel verscharrtes Geld.
Und dies war nicht ihr letztes Stück,
Sie hatten bei aller Dummheit Glück,
Zum Beispiel;' — 'doch da kommt ein Mann
Aus Gabeln, still. — Heran, heran!
Herr Gabler, kommt und setzet Euch,
Trinkt und erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!
'Die Büsumer — es ist doch kein Büsumer am Tisch?'
'Nein, noch sind sie draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— Wie Büsumer wohnen am Meeresstrand
Und sind für kluge Leute bekannt,
Nur treiben sie die Bescheidenheit
In manchem Stücke gar zu weit.
Des einen Sonntags ihrer neun
Schwimmen sie weit in die See hinein.
Auf einmal, wie das Meer so schwankst,
Wird einem um die andern angst
Und zählt sie alle: 'Eins, zwei, drei'
Bis acht — und läßt sich aus dabei;
Denn er ist ein echtes Büsumer Kind,
Die immer so bescheiden sind.
Ein zweiter probiert's, zählt: 'Eins, zwei, drei'
Bis acht — und vergißt sich auch dabei —
Da schwimmen sie alle bestürzt ans Land,
Wo eben ein itucjer Fremder stand.
Dem klagten sie jammernd ihre Noth
Und sagten: 'Von uns ist einer todt!'
Und wußten nicht, welcher ertrunken sei!
Und jammern und zählen immer aufs neu
Und finden immer nur wieder acht,
Weil jeder bescheiden an sich nicht gedacht.
Der Fremde sprach: 'Bescheidenheit
tührt euch, ihr guten Leute, zu weit;
steck' jeder die Nas' in den Sand einmal,
Und zählt die Tupfen, so habt ihr die Zahl.'
Sie folgten dem Fremden — da zählten sie — neun!
Und luden vor Freud' ihn zum Frühstück ein.
'Die Büsumer —' 'still, wer tritt in die Thür?
Ein Büsumer; schön willkommen hier!
Herr Büsumer, kommt und setzet Euch,
Trinkt und erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!
'Die Romöer — es ist doch kein Romöer am Tisch?'
'Nein, noch sind sie draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— 'Die Nomöer tragen als Leibgewand
Eine rothe Jacke, das ist bekannt.
Nun war ein Robbenschläger zu arm,
Trug eine graue, daß Gott erbarm!
250
Er sagte zwar: 'Ich liebe das Grau;'
Doch neckten damit ihp Mann und Frau:
'Geh, Peter Modder, du thust nur so.
Hätt'st du eine rothe, so wärest du froh.'
Nun muß es zu jener Zeit geschehn,
Daß in Romoe kalte Winde wehn —
Die Kirche steht so sehr nach Nord,
Man rückte sie gern nach Süden fort.
Da sprach Peter Modder: 'Das wird gar leicht
Von uns durch vereinte Kraft erreicht!
Stemmt alle euch hier im Norden dran,
Ich richt' auf der Süderseite dann —
Und daß wir treffen das rechte Maß,
Legt eine rothe Jacke ins Gras;
Dann schiebt, und hat sie erreicht die Wand,
So klopf' ich und rufe: 'Stillestand!'
Gesagt, gethan, der Rath beliebt.
Die Jacke liegt da, man drückt und schiebt
Vermeintlich fort die Kirchenwand; —
Da ruft Peter Modder; 'Stillestand!
Ihr schiebt zu stark: die Jack' ist fort!'
Da laufen sie alle hin zum Ort;
Fort ist sie richtig, jedermann
Sieht staunend Peter Moddern an
Und lobet seinen guten Rath
Und ist gar stolz auf solche That.
Doch nächsten Sonntag wundert sich
Im Dorfe jedcrmänniglich:
Peter Modder, der sonst graue Mann,
Hat eine rothe Jacke an —
Und keiner wußte da, woher
Die rothe Jack' ihm kommen wär'?
Die Romöer —' 'still, wer tritt in die Thür?
Ein Romöer; schön willkommen hier!
Herr Romöer, kommt und setzet Euch,
Trinkt und erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!
'Die Hosdrupper — es ist doch kein Hosdrupper am Tisch?'
'Nein, noch sind sie draußen, erzähl' Er nur frisch!'
— 'Die Hosdrupper leben friedlich im Land,
Und Krieg ist dort ganz unbekannt.
Und wie sie einmal Gras mähen zu Heu,
Ist einer, vielleicht ein Fremder, dabei,
Der hatt' in der Stadt gehört von Krieg.
Da fragten sie alle: 'Was ist denn Krieg?'
Da sagte der Mann: 'Der Krieg besteht
Darin, daß immer die Trummel umgeht.'
'Wie geht denn die Trummel?' — 'Sie geht bumm bumm,
Bumm bumm im ganzen Land herum.
Der Krieg ist schlimm und frißt viel Leut'
Sammt Vieh und Häusern weit und breit!' —
— Die Hosdrupper sprachen: 'Vor Kriegesnoth
Bewahre uns der liebe Herregott!'
Und mäheten weiter. Nun lag im Gras
Ein Faß voll Bier, gut schmeckte daS;
Die Sommerhitze war nicht gering,
Weshalb es bald zu Ende gieng.
Da fliegt, durch den Spund zum Ungelück
Eine Hummel hinein, findt nicht zurück.
Summ summ, bumm bumm, summ summ, bumm bumm
Flog sic im hohlen Faß herum.
Da sprach der Klügste: 'Ich höre bumm bumm,
Der Krieg ist da, die Trommel geht um!'
Nun fliehn sie über Stock und Block,
Und jeder wünscht der Bein' ein Schock;
DaS leere Faß noch rettet der ein',
Läuft immer hinter den andern drein:
Drin tobt die Hummel mit ihrem Gebrumm
Dicht hinter ihnen bumm bumm bumm.
Sie liefen, bis endlich der Mann mit dem Faß
Hinfiel und es zerbrach im Gras.
Da traf ein Splitter den einen am Kopf:
'Ich bin geschossen!' schrie der Tropf.
Das war den andern erst ein Graun,
Hoch sprangen sie über Heck' und Zaun
Und rannten fort, die Kreuz und Quer,
Man sah sie den ganzen Tag nicht mehr.
Die Hosdrupper —' 'still, wer tritt in die Thür?
Ein Hosdrupper; schön willkommen hier!
Herr Hosdrupper, kommt und setzet Euch,
Trinkt und erzählt ein Histörchen!' — 'Gleich!'
Der Hosdrupper setzt sich, trinkt und spricht:
'Ein rechtes Histörchen weiß ich nicht;
Doch ist euch Lustiges angenehm,
So gab's recht dumme Leute vordem
Zu Bishorst, das vergangen ist:
Da wohnt' einst mancher gute Christ,
Die Kirche aber war so klein,
Sie fanden bei Tage kaum hinein;
Wie sollt' es erst in der Christnacht geschehn,
Wenn alle Wege mit Schnee verwehü! —
Da spannten sie einen langen Strick
Von der Kirchenthür zum Dorf zurück,
Dran giengen sie hin, wenn Christnacht war,
Möcht' sein das Wetter trüb oder klar.
Sie kamen lange Jahre mit Glück
Am Stricke hin und wieder zurück;
Doch einmal band ein böser Mann
Den Strick an den offnen Brunnen an.
Plantsch! fällt der erst' in das Wasser da,
Der zweite dahinter war schon nah
Und denkt, er schließt die Kirchenthür,
Und ruft: 'Laß offen, ich bin schon hier!'
Plantsch! fällt der zweite dazu ins Loch;
Da ruft der dritte: 'Warte doch!
Was machst du zu?' und plantscht hinein.
Da ruft der vierte hinterdrein:
'Was schlagt ihr denn die Pforte zu?'
Und plantscht hinein im selben Nu.
Der fünft’ und sechste mit Weib und Kind,
Das purzelt alles hinein geschwind:
Drein plumpt das ganze Volk gemach,
Der Pfarr' und Küster hintennach —
Und blieb nicht eine Seel' am Ort,
Ganz war es ausgestorben dort.
Und kamen sie mit einander um,
So war auch kein Lamento drum.
Zuletzt getrost' sich jeder Christ,
Daß solch ein Volk verstorben ist! —
ES geh' der Krug die Reih' herum,
Dankt Gott, daß keiner von uns so dumm!'
Chorus.
Ja, geh' der Krug die Reihe herum,
Dankt Gott, daß keiner von uns so dumm!
176.
Der hasc und der igel.
von den brtidem Grimm.
märchen 6. aufl. Göttingen 1850. II, 468. — 7. aufl. 1857. II, 403. -
13. aufl. Berlin 1875. s. 646.
Disse geschieht is lögenhaft to verteilen, jungens, aver wahr
is 86 doch; denn mien grootvader, van den ick se hew, plegg *)
jümmer, wenn he se mi vortüerde2), dabi to seggen: ‘wahr mutt
se doch sien, mien söhn, anners kunn man se jo nich verteilen.’
de geschieht hett sick aver so todragen.
Et wöor an enen sündagmorgen tor harvesttied, jüst as de
bookweeten bloide3); de sünn wöor heilig upgaen am hewen, de
morgenwind giing varen*) över de stoppeln, de larken süngen inn’r
lucht, de immen sumsten in den bookweeten, un de lüde güngen
in ehren sündagsstaat nah’r karken, un alle creatur wöor ver
gnögt, un de swinegel ook.
De swinegel aver stund vor siener döhr, hett de arm ünner-
slagen, keek dabi in den morgenwind hinuut un quinkeleerde en
lütjet leedken vor sick hin, so good un so siecht, as nu eben am
leven sündagmorgen en swinegel to singen pleggt. indem he nu
noch so half liese vor sick hin sung, füll em up eenmal in, he
künn ook wol, mittlerwiel sien fro de kinner wüsch un antröcke,
en beeten in't seid spazeeren un tosehn, wie sien stäkröwen stün-
den. de stäkröwen wöoren aver de nöcksten bi sienem huse, un
he pleggte mit siener familie davon to eten, darüm sahg he se
1) pflegte. 2) mit behagüchkeit vortrug. 3) blühte. *) 7. aufl.: warm.
253
as de sienigen an. gesagt, gedahn. de swinegel waak.de de huus-
döor achter sick to un slög den weg nah’n felde in. he wöor
noch nich gans wiet von huse un wull jüst um den slöhbusch4),
de da vör’m felde liggt, nah den stäkröwenacker hinup dreien,
as em de haas beraött5), de in ähnlichen geschaffen uutgahn wöor,
nämlich um sienen kohl to besehn. as de swinegel den basen an-
sichtig wöor, so böhd he em en fründlichen go’n morgen, de haas
aver, de up siene wies en vornehmer herr was, un grausam hoch-
fahrtig dabi, antwoorde nicks up den swinegel sienen grusz, son-
dern seggte tom swinegel, wobi he en gewaltig höhnische miene
annöhm: ‘wie kummt et denn, dat du hier all bi so frohem mor-
gen im felde rumlöppst?’ ‘ick ga spazeeren,’ seggt de swinegel.
‘spazeeren?’ lachde de haas, ‘mi ducht, du kunnst de been ook wol
to betern dingen gebruken.’ disse antwoord verdröot den swinegel
ungeheuer, denn alles kunn he verdreegen, aver up siene been laet
he nicks körnen, eben weil se von natur scheef wöoren. ‘du bildst
di wol in,' seggt nu de swinegel tom basen, ‘as wenn du mit diene
been mehr uutrichten kunnst?’ ‘dat denk ick,’ seggt de haas. ‘dat
kummt up’n versöok an,’ raeent de swinegel, ‘ick pareer, wenn wi
in de wett loopt, ick loop di vörbi.’ ‘dat is tu’m lachen, du mit
diene scheelen been,’ seggt de haas; ‘aver mienetwegen mach’t sien,
wenn du so övergrote bist best, wat gilt de wett?’ ‘en goldne
lujedor un’n buddel branwien,’ seggt de swinegel. ‘angenahmen,’
spröok de haas, ‘sla in, un denn kann’t gliek los gähn.’ ‘nä, so
grote ihl6) bett et nich,’ meen de swinegel, ‘ick bünn noch gans
nüchdern; erst will ick to huus gähn un en beeten frühstücken; in-
ner halwen stund bün ick wedder hier upp’n platz.’
Damit giing de swinegel, denn de haas wöor et tofreeden.
ünnerwegs dachde de swinegel bi sick: ‘de haas verleit sick up
siene langen been, aver ick will em wol kriegen, he is zwar en
vornehm herr, aver doch man’n dummen keerl, un betahlen sali
he doch.’ as nu de swinegel to huse anköorn, spröok he to sien
fro: ‘fro, treck di gau *) an, du must mit mi nah’n felde hinuut.’
‘watt givt et denn?’ seggt sien fro. ‘ick hew mit’n basen wett’t
üm’n golden lujedor un’n buddel branwien, ick will mit em inn
wett lopen, un da salst du mit dabi sien.’ ‘o mien gott, mann,’
füng nu den swinegel sien fro an to schreen, ‘büst du nich klook,
liest du denn gans den verstand verlaren? wie kannst du mit
den basen in de wett lopen wollen?’ ‘holt dat muul, wies,’ seggt
de swinegel, ‘dat is mien saak. resonehr nich in männergeschäfte.
marsch, treck di an un denn kumm mit.’ wat sull den swinegel
sien fro maken? se muszt wol folgen, se mugg nu wollen oder
nich.
As se nu mit enanner ünnerwegs wöoren, spröok de swinegel
4) schlehenbusch. 5) begegnete. 6) eile. *) schnell-
254
to sien fro: ‘nu pasz up, wat ick seggen will, sühst du, up den
langen acker dar wüll wi unsen wettloop maken. de liaas
löppt nämlich in der eenen fohr7), un ick inner andern, un von
haben8) fang wi an to lopen. nu hast du wieder9) nicks to dohn,
as du stellst di hier unnen in de führ, un wenn de haas up de
andere siet ankummt, so röppst du em entgegen: ‘ick bün all
hier.’
Damit wöoren se bi den acker anlangt, de swinegel wiesde
siener fro ehren platz an un gung nu den acker hinup. as he
haben anköm, wöor de haas all da. ‘kann et losgahn?’ seggt de
haas. ‘ja wol,’ seggt de swinegel. ‘denn man to!' un damit
stellde jeder sick in siene fohr. de haas tellde: ‘hahl een, hahl
twee, hahl dree,’ un los güng he wie en stormwind den acker
hindahl. de swinegel aver löp ungefähr man dree schritt, dann
dahkde10) he sick dahl in de führ un bleev ruhig sitten.
As nu de haas in vullen lopen ünnen am acker anköm, röp
em den swinegel sien fro entgegen: ‘ick bün all hier.’ de haas
stutzd un verwunderde sick nich wenig: he menede mich anders,
als et wöor de swinegel sülvst, de em dat toröp, denn bekanntlich
süht den swinegel sien fro jiist so uut wie ehr mann.
De haas aver meende: ‘datt geilit nich to mit rechten din-
gen.’ he röp: ‘noch mal gelopen, wedder üm!’ un foort güng he
wedder wie en stormwind, datt em de obren am koppe flögen, den
swinegel sien fro aver bleev ruhig up ehren platze, as nu de
haas haben anköm, röp em de swinegel entgegen: ‘ick bün all
hier.’ de haas aver, gans uter sick vor iwer11), schreede: ‘noch
mal gelopen, wedder üm!’ ‘mi nich to slimm,’ antwoorde de
swinegel, ‘mienetwegen so oft, as du lust best.' so löp de haas
noch dreeunsöbentigmal, un de swinegel höhl et ümmer mit em
uut. jedesmal, wenn de haas ünnen oder haben anköm, seggde
de swinegel oder sien fro: ‘ick bün all hier.’
Tum veerunsöbentigstenmal aver körn de haas nich mehr to
ende, midden am acker stört12) he tor eerde, datt blohd flog em
uut’n halse, un he bleev doot up’n platze, de swinegel aver nöhm
siene gewunnene lujedor un den buddel branwien, röp siene fro
uut de föhr als, un beide gtingen vergnügt mit enanner na huus,
un wenn se nich sterben sünd, lewt se noch.
So begev et sick, datt up de Buxtehuder heid de swinegel
den basen doot lopen hatt, un sied jener tied hatt et sick keen
haas wedder infallen laten, mit’n Buxtehuder swinegel in de wett
to lopen.
De lehre aver uut disser geschieht is erstens, dat keener, un
wenn he sick ook noch so vornehm dücht, sick sali bikomen laten,
7) furche. 8) oben. 9) weiter. 10) duckte. 11) eifer. 12) stürzte.
255
övern geringen mann sick lustig to maken, un wöort ook man’n
Swinegel, un tweetens, datt et gerahden is, wenn eener freet, datt
he sick ’ne fro uut sienen stände nimmt, un de jüst so uutsüht, as
he sülvst. wer also en swinegel is, de mutt tosehn, datt siene
fro ook en swinegel is, un so wieder.
177.
Der Räthselmann.
Von Nückert.
Makamen 1820. I, 531. — Gedichte V. 1838. S. 204.
Heran, wenn ihr im Schilde führet Witze, — denn ich führ'
in der Rechten Blitze; — wer löst die Räthsel, die ich besitze? —
Zuerst, hört, und wenn ihr’s wißt, — laßt mich hören, was das ist)
I. Das gestern war und heut gewesen, Und merkt, gemeinschaftlichen Namen
Und morgen wird zuerst es sein, Mit einem trägt's von diesen drei'n.
Nun rathet vereint, — was dieses meint:
2. Sie machet feist
Nur solche meist,
Die speisen, bis
Man sie verspeist.
Er wuchs und stand
Auf Bergen dreist,
Auf Wassern steht
Er jetzt und reist.
Du magst mir sagen,
Wie er heißt,
Wenn sie dir nicht
Benahm den Geist.
Nun saget genau, — was ist das für ein Bau:
3. Höher wird's nicht, aber edler, Doch das 'Ho' war dran von Ursprung,
Wenn ihr setzet 'Ho' davor. Bis sich's durch Gebrauch verlor.
Nun erkläret geschwind, — was die zwei Worte sind:
4. Wo die Lüfte des Frühlings Und ein andres zum Dach, versteh!
hauchen, Jenes hat N oder W zum Anfang,
Um dich schlüpfen Vogel und Reh, Dieses zum Anfang G oder W.
Kannst du eines zum Pfühl dir machen
Wer weiß und kennt, — wie man dies nennt:
3. Einen sah ich wie den Wind
Rennen durch die Wüsten;
Einen seh' ich an der Brust
Nun suchet gelinde, — wo
6. Es ist der Name einer Frucht,
Die zwar dem Gaumen wohl behagt;
Doch wo sie sich dem Ohr vereint,
Nun versuchet kecke, — wie
7. Wenn's in einer Schale ist,
Sind'ö der Theile zweie;
Sich des Mädchens brüsten;
Einen werd' ich keck bestehn,
Wen danach wird lüsten.
sich dieses finde:
Da wird darüber nur geklagt;
Und wer sich die gefallen läßt,
Der ist das, was der Name sagt.
dieses schmecke:
Wenn's auf einem Haufen liegt,
Sind es zwölf und dreie.
Nun sprechet meisterhaft, — was ist das für eine Eigenschaft:
8. Am Haupt ist's ohne Hut,
Am Fuß ist's ohne Schuhe,
Besonders ist es gut
Am Geld in deiner Truhe.
Nun fasset weise — und löset leise:
9. Mit Einer Silb' ist's abgethan. Mit einem A ist es ein Mann,
Was ist es? Flügel hat's am Leib; Mit einem U desselben Weib.
Nun alle herbei, — sinnet, was dieses sei:
10. Was sich der Ritter
Legt bei zum Ruhme,
Gehört 'nem Vogel
Zum Eigenthume
Und wächst im Garten
Als eine Blume.
Nun wer ergründet, — was das verkündet:
11. Gleiches Stamms mit Schwert und Lanze, gleicher Art mit Klau und Horn,
Ist geschmiedet, ist gewachsen, wie am Rosenzweig der Dorn,
Wie der Sporn am Reiterfuße, wie am Hahnenfuß der Sporn;
Seine Spitze hat er unten, seine Schärfe hat er vorn;
Kluge treffen auf den Kopf ihn, Feige brauchen ihn im Zorn,
Und der Trinker prüfet an ihm den geleerten Nektarborn.
Doch wer dieses weiß, — dem geb' ich den Preis:
12. Sieh, welch ein Dreister
Und Weitgereister!
Mit Vögeln fliegt er,
Mit Schiffen kreist er;
Sodann beschreibend
Die Welt dir weist er,
Wenn auf den Blättern
Ihn lenkt ein Meister.
Den Westen kennt er,
Den Osten preist er;
Mit Süd nmglüht er,
Mit Nord umeist er.
Bald rührt und schmelzt er,
Bald scherzt und beißt er;
Mit Wundern spielt er,
Mit Räthseln speist er.
Er schafft Gestalten
Und wecket Geister;
Wenn eure wach sind,
So sagt, wie heißt er?
Hier hab' ich euch nun gegeben zwölf Räthsel an der Zahl —
zu eurer Qual; — und wollt ihr mehr, so steht's in eurer Wahl.
— Da ward der. Räthselmann unterbrochen, — von Klatschen
oder Pochen? — sonst hätt' er Jahr und Wochen — in Räthseln
fortgesprochen.
178.
Einträglicher Näthselhandet.
Von Hebel.
Rheinländischer Hausfreund, herausg. von K. Stöber. 1847. S. 18b.
Von Basel fuhren elf Personen in einem Schiff, das mit allen
Kommlichkeiten versehen war, den Rhein hinab. Ein Jude, der
nach Schalampi wollte, bekam die Erlaubnis, sich in einen Winkel
zu setzen und auch mitzufahren, wenn er sich gut betragen und
257
dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte
es zwar, wenn der Jude an die Tasche schlug, allein eö war nur
noch ein Dreibatzenstück darin; denn das andere war ein messin-
gener Knopf. Dessenungeachtet nahm er die Erlaubnis dankbar
an. Denn er dachte: Mus dem Wasser wird sich auch noch etwas
erwerben lassen. Es ist ja schon mancher auf dem Rhein reich
worden.' Im Anfang und von dem Wirtshaus 'Zum Kopf weg
war man sehr gesprächig und lustig, und der Jude in seinem
Winkel und mit seinem Zwerchsack an der Achsel, den er ja nicht
ablegte, mußte viel leiden, wie man's manchmal diesen Leuten
macht, und versündiget sich dran. Als sie aber schon weit an Hü-
ningen und an der Schusterinsel vorbei waren, und an Markt
und an dem Jsteiner Klotz und St. Veit vorbei, wurde einer nach
dem andern stille, und gähnten und schauten den langen Rhein
hinunter, bis wieder einer ansieng. 'Jude/ fieng er an, 'weißt du
nichts, daß uns die Zeit vergeht? Deine Väter müssen doch ans
allerlei gedacht haben in der langen Wüste.' — 'Jetzt,' dachte der
Jud, 'ist es Zeit, das Schäflein zu scheren,' und schlug vor, man
sollte in der Reihe herum allerlei curiose Fragen vorlegen, und er
wolle mit Erlaubnis auch mithalten. 'Wer sie nicht beantworten
kann, soll dem Aufgeber ein Zwölfkreuzerstück bezahlen, wer sie
gut beantwortet, soll einen Zwölfer bekommen.' Das war der
ganzen Gesellschaft recht, und weil sie sich an der Dummheit oder
an dem Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte jeder in den
Tag hinein, was ihm einfiel. So fragte z. B. der erste: 'Wie
viel weichgesottcne Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?'
Alle sagten, das sei nicht zu errathen, und bezahlten ihre Zwölfer.
Aber der Jnd sagte: 'Eins, denn wer ein Ei gegessen hat, ißt das
zweite nimmer nüchtern.' Der Zwölfer war gewonnen.
Der andere dachte: 'Wart, Jude, ich will dich aus dem
neuen Testament fragen, so soll mir dein Dreibätzner nicht ent-
gehen. — Warum hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an
die Korinther geschrieben?' Der Jud sagte: 'Er wird nicht bei
ihnen gewesen sein, sonst hätt' er's ihnen mündlich sagen können.'
Wieder ein Zwölfer.
Als der dritte sah, daß der Jude in der Bibel so gut be-
schlagen sei, fieng er's aus eine andere Art an: 'Wer zieht sein
Geschäft in die Länge und wird doch zu rechter Zeit fertig?'
Der Jud sagte: 'Der Seiler, wenn er fleißig ist.'
Der vierte: 'Wer bekommt noch Geld dazu und läßt sich
dafür bezahlen, wenn er den Leuten etwas weiß macht?' Der
Jud sagte: 'Der Bleicher.'
Unterdessen näherte man sich einem Dorf, und einer sagte:
'Das ist Bamlach.' Da fragte der fünfte: 'In welchem Monat
essen die Bamlacher am wenigsten?' Der Jnd sagte: 'Im Hor-
nung, denn er hat nur achtundzwanzig Tage.'
Colshorn u. Goedcke's Lesebuch II.
17
Der sechste sagte: ^Es sind zwei leibliche Brüder, und doch
ist nur einer davon mein Vetter.' Der Jud sagte: Der Vetter
ist Eures Vaters Bruder. Euer Vater ist nicht Euer Vetter.'
Ein Fisch schnellte in die Höhe, so fragt der siebente: Welche
Fische haben die Augen am nächsten beisammen?' Der Jud sagte:
Die kleinsten.'
Der achte fragte: Wie kann einer zur Sommerszeit im
Schatten von Bern nach Basel reiten, wenn auch die Sonne
noch so heiß scheint?' Der Jud sagte: Wo kein Schatten ist,
muß er absteigen und zu Fuße gehen.'
Fragt der neunte: Wenn einer im Winter von Basel nach
Bern reitet und hat die Handschuh vergessen, wie muß er's an-
greifen, daß es ihn nicht an die Hand friert?' Der Jud sagte:
<Er muß aus der Hand eine Faust machen.'
Fragt der zehnte: Warum schlüpfet der Küfer in die Fässer?'
Der Jud sagt: Wenn die Fässer Thüren hätten, könnte er auf-
recht hineingehen.'
Nun war noch der elfte übrig. Dieser fragte: Wie können
fünf Personen fünf Eier theilen, also daß jeder eins bekommt, und
doch eins in der Schüssel bleibe?' Der Jud sagte: Der letzte
muß die Schüssel sammt dem Ei nehmen, dann kann er es drin
liegen lassen, so lange er will.'
Jetzt war die Reihe an ihm selber, und nun dachte er erst
einen guten Fang zu machen. Mit viel Complimenten fragte er:
Wie kann man zwei Forellen in drei Pfannen backen, also daß in
jeder Pfanne eine Forelle liege?' Das brachte abermal keiner her-
aus, und einer nach dem andern gab dem Hebräer seinen Zwölfer.
Der Hausfreund hätte das Herz, allen seinen Lesern, von
Mailand bis nach Kopenhagen, die nämliche Frage aufzugeben,
und wollte ein hübsches Stück Geld daran verdienen, mehr als
am Kalender selber, der ihm nicht viel einträgt. Denn als die
elfe verlangten, er solle ihnen für ihr Geld das Räthsel aüch auf-
lösen, wand er sich lange bedenklich hin und her, zuckte die Achseln,
drehte die Augen. <Jch bin ein armer Jüd,' sagte er endlich.
Die andern sagten: Was sollen diese Präambeln? Heraus mit
dem Räthsel!' — Michts für ungut!' war die Antwort, <aß ich
gar ein armer Jüd bin.' Endlich nach vielem Zureden, daß er die
Auflösung nur heraus sagen sollte, sie wollten ihm nichts daran
übel nehmen, griff er in die Tasche, nahm einen von seinen ge-
wonnenen Zwölfern heraus, legte ihn auf das Tischlein, so im
Schiff war, und sagte: Daß ich's auch nicht weiß. Hier ist mein
Zwölfer!'
Als das die andern hörten, machten sie zwar große Augen
und meinten, so sei's nicht gewettet. Weil sie aber doch das
Lachen selber nicht verbeißen konnten, und waren reiche und gute
Leute, und der hebräische Reisegefährte hatte ihnen von Kleinen-
259
kems bis nach Schalampi die Zeit verkürzt, so ließen sie es gelten,
und der Jud hat aus dem Schiff getragen — das soll mir ein
fleißiger Schüler im Kopf ausrechnen: wie viel Gulden und Kreu-
zer hat der Jud aus dem Schiff getragen? Einen Zwölfer und
einen messingenen Knopf hatte er schon. Elf Zwölfer hat er mit
Errathen gewonnen, elf mit seinem eigenen Räthsel, einen hat er
zurückbezahlt und dem Schiffer achtzehn Kreuzer Trinkgeld ent-
richtet. _______________
179.
Tragische Geschichte.
Von Chamisso.
Werke 3. Aufl. Leipzig 1852. III, 97. — Gedichte 1831. S. 61. — 2. Aufl. 1834. S. 89. —
19. Aufl. Berlin 1869. S. 97.
war einer, dem's zu Herzen gieng,
Daß ihm der Zopf so hinten hieng,
Er wollt' es anders haben.
So denkt er denn: Wie fang' ich's an?
Ich dreh' mich um, so ist's gethan —'
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da hat er flink sich umgedreht,
Und wie es stund, es annoch steht —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da dreht er schnell sich anders 'rum,
'S wird aber doch nicht besser drum —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich links, er dreht sich rechts,
Es thut nichts Guts, es thut nichts Schlechts —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich wie ein Kreisel fort,
Es hilft zu nichts, in einem Wort —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Und seht, er dreht sich immer noch
Und denkt: 'Es hilft am Ende doch —'
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
180.
Wie die Schildbürger das Gras wollen von einer alten
Mauer schaffen.
Wunderseltsame etc. Geschichten und Thaten der Schildbürger. 1598. 96. Bl.
Die Schildbürger waren ernsthaft in ihrem Thun, sonderlich
in Betracht des gemeinen Nutzens,- damit derselbe allenthalben auf-
17*
260
gienge und zunähme und nirgend Schaden litte. Auf eine Zeit
giengen sie hinaus, eine alte Mauer zu besehen, welche noch von
einem alten Gebäu überblieben war, ob sie vielleicht die Steine
davon zu Nutz verwenden könnten. Nun war aus der Mauer
schon lang Gras gewachsen; die Bauern bedauerten, daß es sollte
verloren werden und niemand zu Nutz kommen, hielten derowegen
Rath, wie man es sollt zu Ehren ziehen. Davon fielen nun vieler-
lei Meinungen: die einen vermeinten, man sollte es abmähen,
aber niemand wollte sich eines solchen unterstehen und sich auf die
Mauer wagen; andere vermeinten, wann Schützen unter ihnen
wären, so wäre es am besten, daß man es mit einem Pfeil ab-
schösse. Endlich sprang der Schultheiß hervor und rieth, man
sollte Vieh darauf lassen gehen, das würde es abessen; so dürfte
man es weder abmähen noch abschießen. Solchem Rath, als dem
besten, fiel die ganze Gemeinde zu, und zur Danksagung ward ferner
erkannt, des Schultheißen Kuh sollt zuerst des guten Raths ge-
nießen, was der Schultheiß gern gestattete. Also machten sie der
Kuh ein starkes Seil um den Hals, warsen's über die Mauer
und begonnen an der andern Seite zu ziehen. Als aber der
Strick zügieng, fieng die Kuh an zu erwürgen, und wie sie schier
hinauf kam, streckte sie die Zunge heraus. Solches sahe ein großer
Schildbürger, der schrie: ^Zieht! zieht! Leib und Seele hanget an
einander!' ^Zielst noch einmal, zieht!' sprach der Schultheiß, stie
hat das Gras schon gewittert und die Zunge darnach ausgestreckt.
Zieht, zieht! sie ist bald droben!' Aber vergebens war's: die Schild-
bürger konnten die Kuh nicht hinauf bringen und ließen sie herab,
da war sie todt. Des waren sie froh, nur daß sie etwas zu
metzgen hätten.
181.
Das grüne Thier und der Nsturkenner.
Bon Kopisch.
Allerlei Geister. Berlin 1848. S. 171. — 2. AuSg. 1852.
Aie Thadener zu Hanerau sind ansgewitzte Leute:
Wär' noch kein Pulver in der Welt, erfänden sie es heute!
Allein, allein
So wird es immer sein:
Was man zum erstenmal erficht,
Kennt selber auch der Klügste nicht!
Und — wie einmal die Thadner mähn,
Sie einen grünen Frosch ersehn,
So grüne, so grüne!
So grüne war der liebe Frosch und blähte mit dem Kropfe;
Den Thadnern fiel vor Schreck dabei die Mütze von dem Kopfe.
Mit Beinen vier
Ein grünes, grünes Thier!
261
Das war für sie zu wunderlich,
Zu neu und zu absunderlich!
Da mußte gleich der Schultheiß her,
Sollt' sagen, welch ein Thier das wär',
Das grüne, das grüne!
Das grüne Thier der Schultheiß sah, als einen Hupf es machte!
Die Thadner wollten schon davon; da sprach der Alte: 'Sachte!
Lauft nicht davon,
Es sitzt und ruhet schon.
Seid still, und ich erklär' es bald:
Das Thier kommt aus dem grünen Wald,
Der grüne Wald ist selber grün;
Davon ist auch das Thier so grün,
So grüne, so grüne!
'So grüne; denn es lebt darin von eitel grünem Laube:
Und — wenn es nicht ein Hirschbock ist, ist's eine Turteltaube!'
Da hub der Haus
Den Schulz mit Schultern auf,
Sie riefen: 'Das ist unser Mann,
Der jeglich Ding erklären kann,
Er kennt und nennt es keck und kühn,
Kein' Creatur ist ihm zu grün,
Zu grüne, zu grüne!'
182.
Von einem großen Kukuk.
Aus dem Wegekörter, 1592' übertragen. — ColShorn's Märchen. S. 233.
Nicht fern von Justingen liegt ein Dorf, das heißt Mundin-
gen; daselbst wohnten in alten Zeiten gute, fromme und redliche
Leute. Derselben Bürger einer ritt einmal nach Ehingen ans den
Markt, und im Zuhausreiten sah er auf der Mundinger Feld-
scheide einen fremden Kukuk auf einem Baume mit ihrem Gemeinde-
kukuk ein Scharmützel halten, denn sie hatten bereits eine gute
Weile von zwei Bäumen wider einander gekukuket. Da aber der
streitbare Bauer von Mundingen solches sah, daß ein fremder
Kukuk dem Mundinger mit Rufen überlegen war, bei fünfzehn-,
sechzehnmal mehr kukukte, als ihr Kukuk von Mundingen, so ward
er zornig, stieg von seinem Pferde ab, kletterte aus den Baum zu
seinem Kukuk und half dem Kukuk rufen, so lange, daß der fremde
Kukuk weichen mußte und überwunden war.
Während aber der Bauer auf dem Baume seinem Kukuk streiten
half gegen den andern, so kam ein Wolf und fraß ihm sein Pferd
unter dem Baume; noch wollte er nicht herab, bevor nicht der
fremde Kukuk gänzlich überwunden war. Des mußte er hernach
zu Fuße nach Hause gehn. Sobald er nach Hause kam, ließ er
262
die Gemeinde zusammenrufen und erzählte ihnen, was er wegen
deß gemeinen Nutzens für Ehre und Ruhm an dem Justinger
Kukuk erworben, nämlich daß er ihrem Gemeindekukuk gegen den
Justinger Kukuk Hülfe und Beistand geleistet habe. Dagegen habe
er nicht geringen Schaden erlitten; denn während er im ernstesten
Eandel mit dem fremden Kukuk gewesen, so sei ihm seine gute
riseke, die er manches Jahr gehabt, von einem Wolfe gefressen
worden. Solches wolle er ihnen angezeiget haben, ob sie ihm
wieder zu einem andern Pferde verhelfen wollten.
Da nun der Schultheiß und die Gemeinde zu Mundingen
ihres Mitbürgers Rede vernommen, haben sie für unbillig erachtet,
daß jemand, der so fleißig und ernstlich der ganzen Gemeinde Wohl-
fahrt, Ehre und Freiheit bedacht, derhalben sollte Schaden leiden.
Darauf haben sie einträchtig beschlossen und angeordnet, daß ihm
aus gemeinem Vorrath sollte ein ander Pferd gekauft werden,
weil er sich der Gemeinde halben so ernstlich gehalten. So ist
dieser Bauer hernach sehr hoch bei ihnen gehalten und der <Kukuks-
ritter' genannt worden.
183.
Till.
Von Gellert.
Fabeln u. Erzählungen II. Theil. 2. Aufl. Leipzig 1751. S.49. — Fabeln, herausg. von Colshorn,
mit Illustrationen von H. Leutemann. 2. Abdruck. 1867. S. 99. — Werke 1769. I, 157.
Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt,
Als vielen, die ihn gern belachen,
Und der vielleicht, um andre klug zu machen,
Das Amt des Albernen gewählt —
Wer kennt nicht Till's berühmten Namen? —
Till Eulenspiegel zog einmal
Mit andern über Berg und Thal.
So oft, als sie zu einem Berge kamen,
Gieng Till an seinem Wanderstab
Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
Allein wenn sie berganwärts stiegen,
War Eulenspiegel voll Vergnügen.
'Warum,' fieng einer an, 'gehst du bergan so froh?
Bergunter so betrübt?' 'Ich bin', sprach Till, 'nun so.
Wenn ich den Berg hinunter gehe,
So denk' ich Narr schon an die Höhe,
Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz;
Allein wenn ich berganwärts gehe,
So denk' ich an das Thal, das folgt, und faß' ein Herz.'
Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun,
Im Unglück nicht unmäßig kränken:
So lern so klug, wie Eulenspiegcl, sein,
Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken.
263
184.
Wie Eulen spicgcl in einen Bienenstock kroch.
Wunderliche und seltsame Historien Till Eulenspiegels. Franks, a. d. O. 9. Historia-
Auf eine Zeit begab sich's, daß Eulenspiegel mit seiner Mutter
in ein Dorf auf die Kirchweih gieng; er ließ sich's wohlschmecken
und konnte als junger Mensch die Kehle wohl spülen. Als sich
der gute Eulenspiegel nun gänzlich berauscht hatte, suchte er einen
Ort, da er sicher schlafen möchte. Also fand er im Hofe einen
Haufen Bienenstöcke stehen, dabei lagen viele, die leer waren; er
kroch in einen leeren Korb und wollte ein wenig schlafen, schlief
auch in dem Namen von Mittag bis Mitternacht, so daß seine
Mutter, die ihn nirgend sah, meinte, er wäre wieder heimgezogen.
Nun kamen in selbiger Nacht zween Diebe und wollten einen Bienen-
stock stehlen; sie sprachen zu einander, wie sie allewege gehört,
welcher der schwerste, der ist der beste, hoben also diese Körbe auf,
einen nach dem andern, und als sie kamen zu demjenigen, darinnen
Eulenspiegel lag, war er der schwerste, und sie sagten: Das ist der
beste!' nahmen ihn, setzten ihn auf ihre Trage und trugen ihn
davon. Indem erwachte Eulenspiegel, so einer faulen Hummel
eher.glich denn einer fleißigen Imme, und hörte ihre Anschläge.
Es war aber stockfinstere Nacht, daß einer den andern nicht sehen
konnte. Also griff Eulenspiegel dem, der vorne gieng, ins Haar
und thät ihm einen guten Rupf. Der ward dieses Rupfs ziemlich
gewahr, sahe sich um und wurde zornig auf den Hintermann, der-
weil er meinte, er hätte ihn beim Haar gezupft, und fluchte ihm.
Der Hintermann sagte: Dränmet dir? oder gehest du im Schlafe?
Wie soll ich dich beim Haar rupfen, so ich doch kaum den Bienen-
stock mit den Händen halten kann!' Eulenspiegel aber lachte in sich
hinein und dachte: Das Spiel wird gut werden!' Als sie einen Acker
lang weiter waren oder zween, gab er dem Hintermann einen Rupf,
daß er sich wunderte. Dieser ward noch zorniger und sprach: <Jch
trage, daß mir der Hals knacket, so sprichst du, ich zupfe dich? Siehe,
du reißest mich beim Haar, daß mir die Schwarte kracht!' Der Vor-
mann sagte: Das lügst du, du Schalk! wie wollt' ich dich beim
Haar ziehen? ich mag doch kaum den Weg vor mir sehen, weißt
auch das fürwahr und zeuchst mich beim Haar!' Nicht lange dar-
nach, da sie in dem größten Zank waren, griff Eulenspiegel den
Vordermann noch einmal bei dem Haar, daß er den Kopf hart an
den Bienenkorb stieß. Da ward er zornig, daß er die Trage
fallen ließ, und schlug den Hintermann sinsterlings mit den Fäusten
nach dem Kopf. Der fiel dem Vordersten ins Haar und wollete
ihn, also, daß sie über einander gericthen, und einer den andern
verlor, und keiner wußte, wo der andere war; kamen also von
einander im Finstern, furchten sich und meinten je nicht anders,
denn der Geselle sei verhext, und ließen den Bienenkorb liegen.
264
Da nun Eulenspiegel merkete, daß sie beide hinweg waren, guckte
er aus dem Korbe und sahe, daß es noch finster war, blieb drinnen
liegen und schnarchte, bis es Heller Tag war. Da kroch er aus
dem Bienenstock, und da er nun nicht wußte, wo er war, gieng
er immer seiner Nase nach und kam zu einer Burg. Darinnen
verdingte er sich als Hofjungen.
185.
Lin msere.
vorn Marnor.
Hagen: minnesinger. Leipzig 1838. II, 245.
Maniger saget mmre
von Röme, diu er nie gesach;
also wil ouch ich iu wol ein maere sagen:
ein snegge vür einen lehpart wol tüsent klafter spranc;*)
da; mer stät wa;;ers laere,
von einer tüben da; beschach,
diu trank e; ü;; da; hört ich zw£ne vische klagen,
die vlugen dä bor von Nifen unt sungen niuwen^) sanc;
ein häse zwene windet) vicnc, dö si in solden jagen;
dö sach ich starker wolve viere,
die hät ein alte; schäf erslagen;
dö sach ich einen reiger eines habches4) gern5)
unt vieng in in den lüften schiere;
dö sach ich einen w!;en bern,*>)
den vieng ein wilder esel an des raeres grünt;
des half im ein Salamander, dem wären diu wa;;er kunt.
186.
Münchhausenschc Lügen.
Von Raspe.
Des Freih. von Münchhausen wunderbare Reisen rc. 1788—1800. 4 Bdchn. —
Leipzig 1874. (Bruchstücke.)
Auf meiner Reise nach Rußland ritt ich einst im tiefen Winter,
bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen. Nirgends war ein
Dorf zu hören noch zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee,
und ich wußte weder Weg noch Steg. Des Reitens müde, stieg
ich endlich ab und band mein Pferd an eine Art von spitzem
Baumstaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit
nahm ich meine Pistolen unter .den Arm, legte mich nicht weit da-
von in den Schnee nieder und that ein so gesundes Schläfchen,
daß mir die Augen nicht eher wieder aufgiengen, als bis es Heller,
lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich
fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag! Mein
Pferd war anfänglich nirgends zu sehen; doch hörte ich's bald
1) sprang einem Isopari! vor. 2) nousn. 3) Windhunde. 4) babichts. 5) be-
gehren. 6) baren.
265
darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun empor sah, so
wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirchturms
gebunden war und von da herunter hieng. Nun wußte ich so-
gleich, wie ich dran war. Das Dorf war nämlich die ganze Nacht
unter mir zugeschneit gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal
umgesetzt; ich war im Schlaf nach und nach, sowie der Schnee
zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken; und was ich
in der Dunkelheit für den Rumpf eines Bäumchens, der über dem
Schnee hervorragte, gehalten und daran mein Pferd gebunden
hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturms
gewesen. Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von
meinen Pistolen, schoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art
wieder zu meinem Pferde und verfolgte meine Reise.
Hierauf gieng alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es
eben nicht Mode ist, des Winters zu Pferde zu reisen. Wie es
nun immer meine Maxime ist, mich nach dem bekannten ^Ländlich
sittlich' zu richten, so nahm ich dort einen kleinen Rennschlitten aus
ein einzelnes Pferd und fuhr wohlgemuth aus St. Petersburg los.
Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Esthland oder in Jnger-
manland war, so viel aber besinne ich mich noch wohl, es war
mitten in einem fürchterlichen Walde, als ich einen entsetzlichen
Wolf mit aller Schnelligkeit des gefräßigsten Winterhungers hinter
mir ansetzen sah. Er holte mich bald ein, und es war schlechter-
dings unmöglich, ihm zu entkommen. Mechanisch legte ich mich
platt in den Schlitten nieder und ließ mein Pferd zu unserm
beiderseitigen Besten ganz allein agieren. Was ich zwar vermuthete,
aber kaum zu hoffen und zu erwarten wagte, das geschah gleich
nachher. Der Wolf bekümmerte sich nicht im mindesten um meine
Wenigkeit, sondern sprang über mich hinweg, fiel wüthend auf
das Pferd, riß ab und verschlang auf einmal den ganzen Hinter-
theil des armen Thieres, welches vor Schrecken und Schmerz nur
desto schneller lief. Wie ich nun aus diese Art selbst so unbemerkt
und gut davon gekommen war, so erhob ich ganz verstohlen mein
Gesicht und nahm mit Entsetzen wahr, daß der Wolf sich beinahe
über und über in das Pferd hineingefressen hatte. Kaum hatte er
sich aber so hübsch hineingezwängt, so nahm ich mein Tempo wahr
und fiel ihm tüchtig mit meiner Peitsche auf das Fell. Solch ein
unerwarteter Überfall in diesem Futteral verursachte ihm keinen
geringen Schreck; er strebte mit aller Macht vorwärts, der Leich-
nam des Pferdes fiel zu Boden, und siehe! an seiner Statt steckte
mein Wolf in dem Geschirre. Ich meines Orts hörte nun noch
weniger auf zu peitschen, und wir langten in vollem Galopp ge-
sund und wohlbehalten in St. Petersburg an, ganz gegen unsere
beiderseitigen respectiven Erwartungen und zu nicht geringem Er-
staunen aller Zuschauer.
Ich übergehe manche ähnliche lustige Auftritte, weil ich Ihnen
266
noch verschiedene Jagdgeschichten zu erzählen gedenke, die mir merk-
würdiger und unterhaltender scheinen.
Eines Morgens sah ich durch das Fenster meines Schlafge-
machs, daß ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden
Enten gleichsam überdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr
aus dem Winkel, sprang zur Treppe hinab, und das so über Hals
und Kopf, daß ich unvorsichtigerweise mit dem Gesichte gegen die
Thürpfoste rannte. Feuer und Funken stoben mir aus den Augen;
aber das hielt mich keinen Augenblick zurück. Ich kam bald zum
Schuß; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem großen Ver-
drusse gewahr, daß durch den so eben empfangenen heftigen Stoß
sogar der Stein von dem Flintenhahne abgesprungen war. Was
sollte ich nun thun? denn die Zeit war hier nicht zu verlieren.
Glücklicherweise fiel mir ein, was sich so eben mit meinen Augen
zugetragen hatte. Ich riß also die Pfanne auf, legte mein Gewehr
gegen das wilde Geflügel an und ballte die Faust gegen eins von
meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken
genug heraus, der Schuß gieng los, und ich traf fünf Paar Enten,
vier Rothhälse und ein Paar Wasserhühner. Gegenwart des
Geistes ist die Seele mannhafter Thaten. Wenn Soldaten und
Seeleute öfters dadurch glücklich davon kommen, so dankt der
Weidmann ihr nicht seltener sein gutes Glück.
Ein anderesmal stieß mir in einem ansehnlichen Walde von
Rußland ein wunderschöner schwarzer Fuchs aus. Es wäre Jam-
merschade gewesen, seinen kostbaren Pelz mit einem Kugel- oder
Schrotschusse zu durchlöchern. Herr Reineke stand dicht bei einem
Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud
dafür einen tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte, und
traf so künstlich, daß ich seine Lunte fest an den Baum nagelte.
Nun gieng ich ruhig zu ihm, nahm mein Weidmesser, gab ihm
einen Kreuzschnitt übers Gesicht, griff nach meiner Peitsche und
karbatschte ihn so artig aus seinem schönen Pelze heraus, daß es
eine wahre Lust und ein rechtes Wunder zu sehen war.
Einst, als ich all mein Blei verschossen hatte, stieß mir, ganz
wider mein Vermuthen, der stattlichste Hirsch von der Welt aus.
Er blickte mir so mir nichts dir nichts ins Auge, als ob er's aus-
wendig gewußt hätte, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich
lud ich indessen meine Flinte mit Pulver und darüber her eine
ganze Hand voll Kirschsteine, wovon, ich, so hurtig sich das thun
ließ, das Fleisch abgezogen hatte. Und so gab ich ihm die volle
Ladung mitten auf seine Stirn zwischen das Geweihe. Der
Schuß betäubte ihn zwar, er taumelte, machte sich aber doch aus
dem Staube. Ein oder zwei Jahre darnach war ich in eben dem-
selben Walde auf der Jagd: und siehe! zum Vorschein kam ein
stattlicher Hirsch mit einem voll ausgewachsenen Kirschbaum, mehr
denn zehn Fuß hoch, zwischen seinem Geweihe. Mir fiel gleich
267
mein voriges Abenteuer wieder ein; ich betrachtete den Hirsch als
mein erworbenes Eigenthum und legte ihn mit einem Schusse zu
Boden, wodurch ich denn auf einmal an Braten und Kirschtunke
zugleich gerieth; denn der Baum hieng reichlich voll Früchte, die
ich in meinem ganzen Leben so delicat nicht gegessen hatte-
Einmal jagte ich zwei ganzer Tage hinter einem Hasen her.
Mein Hund brachte ihn immer wieder herum, aber nie konnte ich
zum Schusse kommen. An Hexerei zu glauben ist meine Sache
nie gewesen, dazu habe ich zu außerordentliche Dinge erlebt; allein
hier war ich doch mit meinen fünf Sinnen am Ende. Endlich
kam mir aber doch der Hase so nahe, daß ich ihn mit meinem Ge-
wehr erreichen konnte. Er stürzte nieder, und was meinen Sie,
was ich nun fand? Vier Läufe hatte mein Hase unter dem Leibe
und vier auf dem Rücken. Waren die zwei unteren Paar müde,
so warf er sich wie ein geschickter Schwimmer, der auf Bauch und
Rücken schwimmen kann, herum, und nun gieng es mit den beiden
neuen wieder mit verstärkter Geschwindigkeit fort. — Nie habe ich
nachher einen Hasen von der Art gefunden, und auch diesen würde
ich nicht bekommen haben, wenn mein Hund nicht so ungemeine
Vollkommenheiten gehabt hätte. Dieser aber übertraf sein ganzes
Geschlecht so sehr, daß ich kein Bedenken tragen würde, ihm den
Beinamen des Einzigen beizulegen, wenn nicht ein Windspiel, das
ich hatte, ihm diese Ehre streitig machte. Dies Thierchen war
minder wegen seiner Gestalt, als wegen seiner außerordentlichen
Schnelligkeit merkwürdig. Hätten die Herren es gesehen, so würden
sie es gewiß bewundert und sich gar nicht verwundert haben, daß
ich es so lieb hatte und so oft mit ihm jagte. Es lief so schnell,
so oft und so lange in meinem Dienste, daß es sich die Beine ganz
bis dicht unterm Leibe weglief und ich es in seiner letzten Lebens-
zeit nur noch als Dachssucher gebrauchen konnte, in welcher
Qualität cs mir denn ebenfalls noch manch liebes Jahr diente.
Einst belagerten wir einmal, ich weiß nicht mehr, welche Stadt,
und dem Feldmarschall war ganz erstaunlich viel an genauer Kund-
schaft gelegen, wie die Sachen in der Festung ständen. Es schien
äußerst schwer, ja fast unmöglich, durch alle Vorposten, Wachen
und Festungswerke hinein zu gelangen; auch war eben kein tüch-
tiges Subject vorhanden, wodurch man so etwas glücklich auszu-
richten hätte hoffen können. Vor Muth und Diensteifer fast ein
wenig allzu rasch, stellte ich mich neben eine der größten Kanonen,
die so eben nach der Festung abgefeuert ward, und sprang im Hui
auf die Kugel, in der Absicht, mich in die Festung hineintragen zu
lassen. Als ich aber Halbweges durch die Luft geritten war, stiegen
mir allerlei nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. <Hm,'
dachte ich, Hinein kommst du nun wohl, allein wie hernach so-
gleich wieder heraus? Und wie kann's dir in der Festung ergehen?
Man wird dich sogleich als einen Spion erkennen und an den
268
nächsten Galgen hängen. Ein solches Bette der Ehre wollte ich
mir denn doch wohl verbitten.' — Nach diesen und ähnlichen Be-
trachtungen entschloß ich mich kurz, nahm die glückliche Gelegenheit
wahr, als eine Kanonenkugel aus der Festung einige Schritte weit
vor mir vorüber nach unserem Lager flog, sprang von der meinigen
auf diese hinüber und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohl-
behalten bei den lieben Unsrigen wieder an.
So leicht und fertig ich im Springen war, so war es auch
mein Pferd. Weder Gräben noch Zäune hielten mich jemals ab,
überall den geradesten Weg zu reiten. Einst setzte ich darauf hinter
einem Hasen her, der querfeldein über die Heerstraße lief. Eine
Kutsche mit zwei schönen Damen fuhr diesen Weg gerade zwischen
mir und dem Hasen vorbei. Mein Gaul setzte so schnell und ohne
Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, von der die Fenster auf-
gezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Hut abzuziehen
und die Damen wegen dieser Freiheit unterthänigst um Verzeihung
zu bitten. — Ein anderesmal wollte ich über einen Morast setzen,
der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich
mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich
daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern
Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweitenmale
noch zu kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den
Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen,
wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem
eigenen Haarzopfe, sammt dem Pferde, welches ich fest zwischen
meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.
187.
Der Faule.
Bon Lessing.
Schriften, herausg. von Lachmann. Berlin 1838—40. I, 65.
Hetrnt dem scheuen Glücke nach!
Freunde, rennt euch alt und schwach!
Ich nehm' Theil an eurer Müh:
Die Natur gebietet sie.
Ich, damit ich auch was thu,
Seh' euch in dem Lehnstuhl zu.
188.
Selber ist der Mann.
Von Agricola.
750 deutsche Sprichwörter. Hagenau 1537. Nr. 69.
Dies ist ein alt sächsisch Sprichwort: ^Selber ist der Mann.'
Alle Sachen gehen frisch vor sich, wenn einer selbst seine Sache
269
angreifet; denn einem jeglichen ist seine eigene Sache mehr ange-
legen, denn eines anderen. Darum ist einer fleißiger und emsiger,
denn ein anderer, den sie nicht angehet. Man befehle oder ver-
traue anderen Leuten, wie man will, so gehet es doch nicht halb
also von Statten, als wenn der selber dabei ist, den die Sache
angehet. Verlasse sich nur niemand auf einen anderen! Er thue
selbst, was er kann, soll ihm anders Glück und Heil widerfahren.
Der Herr befiehlt dem Knechte, das Pferd zu füttern, den Acker
zu düngen und andere Gewerbe auszurichten; der Knecht sagt alle-
zeit, er hab's gethan: siehet aber der Herr nicht selbst mit zu, so
wird das Pferd oft ungefüttert, der Acker ungedünget und der
Befehl unausgerichtet bleiben; sichet er aber zu, so muß der Knecht
in allem seinem Vornehmen eine Scheu haben und desto fleißiger sein.
189.
Sprichwörtliche Redensarten.
Edmund Hoefer: 'Wie das Volk spricht' 3. Aufl. Stuttgart 1858. - 4. Aufl. 1862.
1. Heute haben wir schön gespielt!' sagt der Balgtreter zum
Organisten. — 2. <Jch habe immer Unglück!' sagte der Bauer,
als er die Jacke verkehrt anzog. — 3. Was da sein muß, muß
sein!' sagte der Bettler, setzte die Perücke auf und gieng barfuß.
— 4. ^Galgen, behalte dein Recht!' sagte jener lose Dieb, da er
in's Wasser fiel. — 5. <Heute dir, morgen mir!' sagte die Ente
zum Regenwurm. — 6. Das ist garstig!' sagte die Eule, da sah
sie ihre Jungen an. — 7. Man ist nie zu alt zum Lernen,' sagte
die alte Frau, da lernte sie noch hexen. — 8. Michts für ungut!'
sagte der Fuchs und biß der Gans den Kopf ab. — 9. "S ist
nur ein Übergang!' sagte der Fuchs, als ihm der Jäger das Fell
über die Ohren zog. — 10. Wie dem wohl zu Muthe ist, der bei
dem Wetter draußen sitzt!' sagte der Fuchs, da saß er hinterm
Windhalm. — 11. ^Es giebt heute einen heißen Tag!' sagte die
Hexe, da sollte sie brennen. — 12. Michtig!' sagte Ising, schlug
ein Pfund Butter vom Tisch und meinte, es wäre die Katze. —
13. Das ist ein Leben!' sagte der Junge, da biß der Hund den
Fuchs todt. — 14. <Es ist gut, wer damit nichts zu thun hat!'
sagte der Junge, da bissen sich zwei Krähen. — 15. <Es wird alle
Tage schlimmer!' sagte die Krähe, als man den Galgen abbrach.
— 16. ^Vorwärts wie ich!' sagt der Krebs. — 17. <Laß mich
los, oder ich schreie!' sagte die Maus zur Katze. — 18. <Jch will
dir's vergessen,' sagt der Schwabe, <aber, Jockeli, denk du dran!'
— 19. Mel Köpfe, viel Sinne!' sagte der Teufel, da hatte er ein
Fuder Frösche geladen. — 20. Micht um meinetwillen,' sagt der
Wolf, <aber ein Schaf schmeckt doch gut!'
Von Wolfgang Müller v. K.
Lorelei 3. Aufl. Köln 1857. S. 420.
Des Grafen Vogt klopft am Gehöfte an:
'Zur Dienstpflicht stellet morgen einen Mann!
Die Mäht hebt an beim rothen Morgenschein,
Da laßt ihn auf der großen Wiese fern;
Die Mäher führet auf des Grafen Land
Der schwarze Hildebrand!'
So ruft er kalt. Der Bau'r mit Weib und Kind
Sitzt dort am Tisch bei seinem Jngesind;
Er fährt empor. Die Bäurin, roth und blank,
Wird bleich und holt ein Hemde aus dem Schrank
Und spricht zum Knecht: 'Das Linnen gieb zur Hand
Dem schwarzen Hildebrand!' —
Paul war ein frischer Bursch. Er fragt: Warum?'
Der Frage aber bleibt die Bäurin stumm.
Der Bauer spricht: 'So will es hier der Brauch,
Die frühern Knechte hielten's also auch:
Alljährig brachten sie das Hemd als Pfand
Dem schwarzen Hildebrand.
'Er ist ein starker Kerl von strammem Hieb,
Man sagt, daß er dem Teufel sich verschrieb.
Und wer ihm nicht das Hemd zur Sühne bot,
Den mähte er im Wettstreit rasch zu Tod.
Noch keinen gab's, der trotzend widerstand
Dem schwarzen Hildebrand.' —
Da lacht der Knecht: Wohlan, ich nehm' das Lein,
Doch nicht dem schwarzen Mann, mein soll es sein!' —
Sie warnen ihn, zu meiden die Gefahr;
Er steht bei seinem Willen fest und klar:
'Ich überwind', den niemand überwand,
Den schwarzen Hildebrand!' —
Vor Morgenroth da steht er rüstig auf
Und schwingt den Hammer auf die Sense drauf.
Sie glänzt so scharf und hell. Tief innig steht
Er dann in stillem, brünstigem Gebet.
Er spricht: 'Mich schützet Gottes starke Hand,
Komm, schwarzer Hildebrand!'
Und wohlgemuth gelangt er an den Ort,
Die andern Knechte sind schon alle dort;
Zuletzt erscheint mit schwarzem Haar und Bart,
Mit düstern Blicken, Gliedern eisenhart,
Hoch aufgewachsen zu der Kämpfer Stand,
Der schwarze Hildebrand.
271
Sie bringen all' ihm ihre Opfer dar
Und bitten leise: 'Schone unsre Schar!
Wir wissen, schneller mähst du wie der Wind,
Du bist der Baas, doch heut mach es gelind!' —
Elf Hemden sind's, es prüft sie mit Verstand
Der schwarze Hildebrand.
Paul steht von fern. Der Dunkle herrscht ihm zu:
'Sag an, wo bleibt denn deine Gabe, du?' —
'Zu geben hab' ich nichts!' ruft jener leicht. —
Wohlan, dann hast du heut dein Ziel erreicht!' —
Giftpfeile sendet aus der Augen Brand
Der schwarze Hildebrand.
Er stellt die Mäher an. Zunächst ihm steht
Der schlanke Knecht. Wohlan, ihr Burschen, mäht!'
Er ist ein Riese, doch ein Knab ist Paul,
Voll Kraft ist jener, dieser ist nicht faul;
Fast sicher scheint's, cs hat die Überhand
Der schwarze Hildebrand! —
Die Sense rauscht, die Schwaden fallen hin.
Der Dunkle fliegt, Paul folgt mit muth'gem Sinn.
Sie ließen längst die übrigen zurück,
Doch thuen sie sich's gleich in jedem Stück.
Zugleich sind beide an der Wiese Rand. —
Hei, schwarzer Hildebrand! —
Es gilt von vorn. Sie dengeln neu den Stahl,
Am Steine giebt das Eisen glühen Strahl,
Die Funken sprühen. Eine Stunde schier
Gehn sie zurück im grünenden Revier,
Und gift'ger noch zeigt sich zum Kampf entbrannt
Der schwarze Hildebrand.
Es gilt von vorn. Sie heben wieder an,
Und wüthender stets eilt der finstre Mann;
Der Jüngling mäht zur Seite kräft'ger nur,
Fast eher ist er an dem End der Flur. —
Siehst du nun, wie aufs Mähn er sich verstand,
Du schwarzer Hildebrand?
Ha, wie sie glühn! Jetzt kommt der dritte Gang,
Und beide wetzen ihre Sense lang,
An einer Schlange schärft der Feind das Erz,
Ein frommes Lied durchströmt des Jünglings Herz.
'Von vorn!' — Da hat noch einen Spruch entsandt
Der schwarze Hildebrand.
'Zum drittenmal!' — Hei, wie das zischt und rauscht!
Die Schar der Knechte steht und schaut und lauscht.
Der Dunkle heult, stets blinder wird die Wuth,
Dem Mund entströmt der Flüche wirre Flut.
Zu gut nur hält der junge Knecht ihm Stand,
Dem schwarzen Hildebrand.
272
Nein, mehr als das! Mit frischem Hieb und Schwung
Kommt er ihm vor. — So kräftig und so jung! —
Es flieget durch die Wiese hin sein Schritt,
Die Schwaden sinken rasch vor seinem Schnitt.
Längst vor dir ist er an der Wiese Rand,
O schwarzer Hildebrand! —
Der Dunkle schäumt vor Rache und vor Zorn,
Erschöpft eilt er zum nahen frischen Born,
Er trinkt und trinkt, doch kühlt er nicht die Wuth,
Er sinkt und sinkt, dem Mund entströmt das Blut,
Todt lieget auf der schattigen Quelle Sand
Der schwarze Hildebrand.
Die Knechte stehen rings um ihn im Kreis,
In Furcht erzitternd und vor Schrecken weiß;
Der junge Paul steht hoch und frisch und schlank
Und sagt dem Himmel stille seinen Dank.
Rings flüstern sie: <So traf ihn Gottes Hand,
Den schwarzen Hildebrand.'
191.
vor grcnzlaus.
von den brlidern Grimm.
deutsche sagen. Berlin 1816 und 1818. I, 375. — 2. aufl. 1865 und 1866. I, 331.
lieber den Kluszpasz und die bergscheide hinaus vom Schachen-
thale weg erstreckt sich das Urner gebiet am Fletschbache fort
und in Glarus hinüber, einst stritten die Urner mit den Glarnern
bitter um ihre landesgrenze, beleidigten und schädigten einander
täglich, da ward von den biedermännern der ausspruch gethan:
zur tag- und nachtgleiche solle von jedem theil frühmorgens, so-
bald der hahn krähe, ein rüstiger, kundiger felsgänger ausgesandt
werden und jedweder nach dem jenseitigen gebiet zulaufen und
da, wo sich beide männer begegneten, die grenzscheide festgesetzt
bleiben, das kürzere theil möge nun fallen diesseits oder jenseits,
die leute wurden gewählt, und man dachte besonders daraus, einen
solchen hahn zu halten, der sich nicht verkrähe und die morgen-
stunde auf das allerfrühste ansagte, und die Urner nahmen einen
hahn, setzten ihn in einen korb und gaben ihm sparsam zu essen und
saufen, weil sie glaubten, hunger und durst werde ihn früher wecken,
dagegen die Glarner fütterten und mästeten ihren hahn, dasz er
freudig und hoffährtig den morgen grüszen könne, und dachten
damit am besten zu fahren, als nun der herbst kam und der be-
stimmte tag erschien, da geschah es, dasz zu Altdorf der schmach-
tende hahn zuerst erkrähte, kaum wie es dämmerte, und froh
brach der Urner felsenklimmer auf, der marke zu laufend, allein
273
im Linthal drüben stand schon die volle morgenröthe am himmel,
die Sterne waren verblichen, und der fette hahn schlief noch in
guter ruh. traurig umgab ihn die ganze gemeinde, aber es galt die
redlichkeit, und keiner wagte es, ihn aufzuwecken; endlich schwang
er die Hügel und krähte, aber dem Glarner läufer wird’s schwer
sein, dem Urner den vorsprung wieder abzugewinnen! ängstlich
sprang er und schaute gegen das scheideck, wehe, da sah er
oben am giebel des grats den mann schreiten und schon berg-
abwärts niederkommen; aber der Glarner schwang die fersen und
wollte seinem volke noch vom lande retten, so viel als möglich,
und bald stieszen die männer auf einander, und der von Uri rief:
‘hier ist die grenze!’ ‘nachbar,’ sprach betrübt der von Glarus, ‘sei
gerecht und gieb mir noch ein stück von dem weidland, das du
errungen hast!' doch der Urner wollte nicht, aber der Glarner
liesz ihm nicht ruh, bis er barmherzig wurde und sagte: ‘so viel
will ich dir noch gewähren, als du, mich an deinem hals tragend,
bergan laufst.’ da faszte ihn der rechtschaffene sennhirt von
Glarus und klomm noch ein stück felsen hinauf, und manche tritte
gelangen ihm noch; aber plötzlich versiegte ihm der athem, und
todt sank er zu boden. und noch heutiges tags wird das grenz-
bächlein gezeigt, bis zu welchem der einsinkende Glarner den
siegreichen Urner getragen habe, in Uri war grosze freude ob
ihres gewinstes, aber auch die zu Glarus gaben ihrem hirtcn die
verdiente ehre und bewahrten seine grosze treue in steter erinnerung.
192.
Die beiden Wachter.
Von Gellert.
Fabeln II. Th. Leipzig 1751. S. 19. — Fabeln, heranSg. von Colshorn, mit Illustrationen
von H. Leutemann. 2. Abdruck 1867. S. 86. — Schriften 1. Th. 1769. S. 137.
<^ween Wächter, die schon manche Nacht
Die liebe Stadt getreu bewacht,
Verfolgten sich aus aller Macht,
Auf allen Bier- und Vranntweinbänken
Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken
Einander bis aufs Blut zu kränken;
Denn keiner brannte von dem Span,
Woran der andre sich den Tabak angezündet,
Aus Haß den seinen jemals an.
Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet,
Den Feinde noch den Feinden angethan,
Den thaten sie einander an.
Und jeder wollte bloß den andern überleben,
Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben.
Man rieth und wußte lange nicht,
Warum sie solche Feinde waren;
Doch endlich kam die Sache vor Gericht,
Da mußte sich's denn offenbaren,
Warum sie, seit so vielen Jahren,
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch II.
18
So heidnisch unversöhnlich waren.
Was war der Grund? Der Brotneid? War er's nicht?
Nein. Dieser sang: <L>erwahrt das Feuer und das Licht!'
Allein so sang der andre nicht;
Er sang: ^Bewahrt das Feuer und das Licht!'
Ans dieser so verschiednen Art,
An die sich beid im Singen zänkisch banden,
Aus dem Verwahrt und dem Bewahrt
War Spott, Verachtung, Haß und Rach und Wuth entstanden.
'Die Wächter,' hör ich viele schrein,
'Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten?
Das mußten große Narren sein!'
Ihr Herren, stellt die Reden ein,
Ihr könntet sonst unglücklich sein!
Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten,
Die in gelehrten Streitigkeiten
Um Silben, die gleich viel bedeuten,
Sich mit der größten Wuth entzweiten?
193.
Der Gesandte Bester am Hose von England 1685.
Von Klopp.
Geschichtsbibliothek. Hannover 1853-56. I, 63.
Jm siebzehnten Jahrhunderte gehörten die Fragen des Cere-
moniells zu den wichtigsten Verhandlungen der Fürsten und ihrer
Gesandten. Bekannt ist vor allem die Thatsache, daß nach dem
schmählichen Raube Straßburg's durch den französischen König
Ludwig XIV. die deutschen Reichsfürsten und ihre Gesandten sich
nicht einen konnten, nicht etwa über die Art der Abwehr des
schändlichen Friedensbruches, sondern über ihre Sitze, über den
Vortritt, und was dergleichen Dinge mehr waren. So traurig
dies war, so hatte der Rangstreit doch auch seine lustigen Seiten.
Ein solches Beispiel ereignete sich einige Jahre später am Hofe
Jakob's II. von England.
Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg hatte
Besser, der sich in seiner Zeit auch als Dichter auszeichnete, als
Legationsrath nach London geschickt. Besseres hauptsächlichste Empfeh-
lung dazu war seine kräftige, schöne Gestalt, ein feines Benehmen
und eine vollständige Kunde des Ceremoniells, die ihm später auch
die Stelle eines Oberceremonienmeisters verschaffte, erst in Berlin
und nachher in Dresden. Er hatte den Auftrag in London, dem
Könige Jakob II. zu seiner Thronbesteigung Glück zu wünschen,
und nahm sich vor, dabei den Vortritt vor dem vcnetianischen Ge-
sandten Vignola zu verlangen, da er einen Monarchen vertrete,
dieser eine Republik. Er verlangte dies von dem Italiener am
Tage vor der osficiellen Audienz; aber Vignola war nicht willens,
diesem Verlangen nachzugeben, und es erhob sich ein Streit zwischen
beiden. Die andern Gesandten suchten zu vermitteln, und auf
ihre Fürsprache kam es zu der Einigung, daß derjenige den Vor-
tritt haben sollte, der am folgenden Tage zuerst im königlichen
Palaste zu Whitehall wäre. Auf diese Abrede fuhr Vignola fort;
Besser aber wußte sich ein Unterkommen im königlichen Palaste zu
verschaffen und blieb die Nacht über da. Mit dem Morgengrauen
des andern Tages fuhr Vignola vor, fand aber zu seinem Ärger
den Nebenbuhler schon anwesend. Ergrimmt erklärte der Italiener,
daß er dessenungeachtet aus seinem hergebrachten Rechte bestünde;
Besser dagegen hielt ihm ihre Verabredung vor und warnte ihn
vor Schimpf und Schaden. Die ersehnte Stunde schlug, die Flü-
gelthüren des Audienzzimmers flogen auf, und die Nebenbuhler
traten zusammen hinein. Vignola glaubte durch eine kleine Ver-
letzung des Wohlanstandes rasch den Sieg davon zu tragen: er be-
gann schon aus der Ferne seine Anrede an den König, während
Besser dies nicht wagte. Erzürnt flüsterte dieser dem Italiener
mehrmals zu, er solle schweigen; aber es half nichts. Da besann
sich Besser noch zur rechten Zeit, daß ihm die Kraft und die Ge-
wandtheit des Leibes zu Gebote stünde. Mit ruhiger Haltung,
immer dem Könige zugewendet, trat er einen Schritt zurück, faßte
den Italiener hinten bei den Beinkleidern und schleuderte ihn mit
einem gewandten, aber mächtigen Ruck einige Schritte zurück.
Während der erschrockene Italiener sich zu sammeln versuchte, be-
gann Besser, der durchaus ruhig geblieben war, in wohlgesetzten
Worten seine Anrede an den König und hatte sie säst vollendet,
bevor Vignola wieder hingetreten war. Dieser wollte zwar noch
einmal ihn unterbrechen; >aber vergebens, Besser hatte das Seinige
gethan • und zog sich dann in der besten Ordnung zurück. Jeder-
mann lachte über den armen Vignola, auch der sonst so pedantische
König Jakob konnte ein Lächeln über Besseres Entschlossenheit
nicht unterdrücken. Seitdem hatte Kurbrandenburg den Vortritt
vor Venedig.
194.
Des Königs Denkmal.
Von Rückert.
Die Weisheit des Brahmanen 4. Anst. Leipzig 1857. S. 257.
Der König auf der Birsch hat einen Hirsch erjagt;
Mit Zittern steht der Hirsch, der um sein Leben zagt.
Der blickt den König an und beugt vor ihm die Glieder,
Selbst eine Thräne rann von seinem Auge nieder.
Der König will gerührt dem Thier das Leben schenken
Und stiftet, wie's gebührt, davon ein Angedenken.
Man legt ums Hirschgeweih ein Reiflein Gold, da war
Dem Königsnamen beigeschrieben Tag und Jahr.
Der Hirsch enteilt mit Dank, und heim der König kehrt;
Bald wird der König krank, der Hirsch lebt unversehrt.
Der König stirbt, ihm folgt ein Sohn, und dem ein Sohn;
jagt tm selben Wald, wo cmst der
Da stellt der Hirsch sich dar, den Nacken altersteif,
Doch um die Stirne war noch hell der goldne Reis.
Verwundert schauet ihn der junge König an,
Bis dort ihm klar erschien der Ruhm von seinem Ahn.
Und als man Jahr und Lag zusammenzählte, war
Von damals der Betrag bis heute hundert Jahr.
Die hundert Jahre froh hat in dem Wald gewohnt
Ein Lebendes, weil so ein König es geschont:
Groß ist des Königs Glück, der, wenn man ihn begräbt,
Ein Denkmal läßt zurück, das hundert Jahre lebt.
195.
König Friedrich und sein Nachbar.
Von Hebel.
Rheinländischer Hausfreund, herausg. von K- Stöber. 1847. S. 90.
Der König von Preußen hatte acht Stunden von Berlin
freilich ein schönes Lustschloß und war gerne darin, wenn nur
nicht ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn
erstlich stehen ein königliches Schloß und eine nicht gut
neben einander, obgleich das Weißbrot in dem Schloß auch nicht
übel schmeckt, wenn's die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl
gebacken hat. Außerdem aber, wenn der König in seinen besten
Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, aus einmal ließ
der Müller das Wasser in die Räder schießen und dachte auch nicht
an den Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs stellten
das Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk
der Räder die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt:
'Ein König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar
die Mühle nicht ab und läßt sie niederreißen?' Der König wußte,
warum. Denn eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen.
'Ihr begreift,' sagte er zu ihm, 'daß wir zwei nicht neben ein-
ander bestehen können. Einer muß weichen. Was gebt Ihr mir
für mein Schlößlein?' — Der Müller sagte: 'Wie hoch haltet Ihr
es, königlicher Herr Nachbar?' — Der König erwiderte ihm: 'Wun-
derlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, daß Ihr mir mein
Schloß abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Euere Mühle?' —
Der Müller erwiderte: 'Gnädigster Herr, so habt auch Ihr nicht
so viel Geld, daß Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist
mir nicht feil.' Der König that zwar ein Gebot, auch das zweite
und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. 'Sie ist mir
nicht feil. Wie ich darin geboren bin,' sagte er, 'so will ich darin
sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten worden ist,
so sollen sie meine Nachkommen von mir erhalten und auf ihr
den Segen ihrer Vorfahren ererben.' Da nahm der König eine
ernsthaftere Sprache an: 'Wißt Ihr auch, guter Mann, daß ich
gar nicht nöthig habe, viele Worte zu machen? Ich lasse Euere
277
Mühle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld, oder
nehmt es nicht!' Da lächelte der unerschrockene Mann, der Müller,
und erwiderte dem König: 'Gut gesagt, allergnädigster Herr, wenn
nur das Hofgericht in Berlin nicht wäre.' Nämlich daß er es
wolle aus einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der
König war ein gerechter Herr und konnte überaus gnädig sein, also
daß ihm die Herzhaftigkeit und Freimüthigkeit einer Rede nicht
misfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er ließ von dieser Zeit
an den Müller unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm
eine friedliche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon
ein wenig Respect haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr
vor einem solchen Herrn Nachbar.
196.
Die Execution.
Von Scherenberg.
Gedichte. Berlin 1850. S- 174. — 3. Aufl. 1853.
‘UPer da wiederbringt den Deserteur,
Dreißig preuß'sche Thaler sein Douceur.'
Vorgetrommelt ward's der Companei —
Pfeifend in die Trommelmelodei
Aber macht ein jeder Kam'rad sich
Seinen Text noch zu absonderlich,
Als da lautet: 'Dreißig Schweden mir,
Aber sechsmal Gassenlaufen dir —
I so lauf, so weit der Himmel blau!
In der Nacht sind alle Katzen grau!'
Und alle melden, die da commandiert:
'Der Deserteur, Herr Hauptmann, istchappiert —'
Nur einer spricht: 'Ich bring' den Deserteur!'
Und bringet seinen eignen Bruder her.
'Schwer Geld!' spricht der Cap'tän beim Dreißigzählen;
Und jener spricht: 'Herr Hauptmann, zu befehlen.'
Der Bruder durch die heiße Gasse läuft,
Daß ihm der blut'ge Schweiß vom Leibe tränst,
Und als er durchgelaufen dreimal schon,
Da tritt sein Bruder in die Excution.
'Herr Hauptmann,' spricht er, 'halten's mir zu Gnad',
Spricht ungefragt ein Wort 'mal ein Soldat.
Ihr wollet mich die andern dreimal Gassen
In Gnaden für den Bruder laufen lassen.'
'Packt's, Kerl, dich an deiner armen Seelen?'
Und jener spricht: 'Herr Hauptmann, zu befehlen!
Herzvatcr schrieb ein Schreiben an uns beid',
Klein war der Brief, doch groß das Herzeleid:
'Verschuldet ist durch Krankheit, Noth und Gram
Um ganze dreißig Thaler mir mein Kram;
Mein Gläubiger dränget mich aus Hof und Haus,
278
Zahl' ich nicht stracks ihm seinen Glauben ans.
Ich kann's doch nun und nimmermehr erwerben
Und muß an dreißig Thalern ganz verderben.'
Da dachten wir in unsers Herzens Drang:
<Es ist doch unser Vater lebelang,'
Und dachten auch: <Ein graues Leid ist hart,
Und Herz nicht haben, kein' Soldatenart;
Davon noch laufen soll der Mann!
Viel lieber laufe, wer noch laufen kann.
Soll einer laufen — nun so laufen wir;
Wir losen, Bruder, drum — dir oder mir!'
Und machten Lose nach Soldatenbrauch;
Zwei Stllck, ein weißes und ein schwarzes auch:
Weiß, der für seinen Vater läßt sein Blut,
Schwarz, der Verräther ist um schnödes Gut.
Und nun, Herr Hauptmann, halten's mir zu Gnaden!
Wie es nun weiter kam, das zu errathen
Ist keine Hexerei — doch wie's mir flog
Hier unterm Knopf, als ich den Judas zog,
Das soll mit Permission vor Euer Gnaden
Kein Schurke weiter wohl errathen.
Wie Gott will, dacht' ich, faßt' mein Herze fest,
Daß es mich nicht in schwerer Noth verläßt;
Nun bricht's mir doch in tausend Stücke hin,
Dieweilen ich sein lieber Bruder bin.' —
Der Hauptmann sprach: Mein Sohn, der Deserteur
Kriegt sechsmal — und du das Douceur —
Wie die Artikel lauten, so geschicht's,
Und daran ändert auch kein Teufel nichts;
Doch hat's damit nicht allzu große Eile.
Gemeldet werd' der Casus mittlerweile
Ins Hauptquartier an Seine Majestät,
Dieweil da Gnade gern vor Recht ergeht.'
Und Seine Majestäten resoluteren:
‘Excutiones weiter nicht zu excutieren;
Wer für den Vater also macht die Gassen,
Wird's auch fürs Vaterland nicht unterlassen.
Und da ein gut Exempel förderlich,
Seind Corporals sie beide — Friederich.'
197.
Eigenhändige Resolutionen.
Von Friedrich dem Großen.
Preuß: Friedrich der Große. Bd. n. B. Berlin 1833. S. 223—233.
1. Eingabe: Beschwerde der Stadt Frankfurt a. d. O. über
Einquartierung. — Resolution- Das kann ja nicht anders sein,
ich kann das Regiment nicht in die Tasche stecken; allein es wer-
den die Casernen wieder erbaut werden.
2. Eingabe: Die Frau v. H. bittet um eine Präbende für
ihren Sohn. — Resolution: Ich habe keine Präbende an Müßig-
gänger zu vergeben.
3. Eingabe: Gesuch des Lieutenants v. W. um 12000 Thaler
gegen leidliche Zinsen zur Verbesserung seines Gutes. — Resolution:
Ich bin kein Bankier.
4. Eingabe: Gesuch des Cornets v. Ö., zur Wiederherstellung
seines Gehörs das Karlsbad besuchen zu dürfen. — Resolution:
Das Karlsbad kann nichts für die Ohren.
5. Eingabe: Der Buchhändler K. aus Königsberg bittet
um den Titel als Commerzienrath. — Resolution: Buchhändler,
das ist ein honneter Titel.
6. Eingabe: Der Oberst v. W. reicht einen Plan ein, wie
für das Land, ohne größere Auflagen, anderthalb Millionen mehr
einzunehmen seien. — Resolution: Er möchte die Millionen für
sich behalten.
7. Eingabe: Der Geh. Rath v. L. M. bittet, das gegen
seinen Schwager, den gewesenen Ordenskauzler v. M., ergangene
Urtheil nicht in den öffentlichen Blättern bekannt machen zu lassen.
— Resolution: Es muß auch in dergleichen Fällen geradedurch
gegangen und derjenige, welcher Verbrechen begehet, und wäre er
von königlichem Geblüte, bestraft werden.
8. Eingabe: Der ehemalige neumärkische Kricgsrath W.
zeigt an, daß sein Onkel Neck er in Frankreich ihn bei seinem De-
partement anstellen wolle, und bittet um Erlaubnis zur Reise dort-
hin. — Resolution: Er hat hier gestohlen, so kann er immer
dahin gehen und auch stehlen.
9. Eingabe: Der Chemiker L. zu Marseille übersendet ein
Mittel gegen das Podagra. — Resolution: Ich danke für die
Kur und lasse die Natur walten.
10. Eingabe: Der Kaufmann K. in Berlin bittet um Con-
cession und Unterstützung zur Anlegung einer Arrac- und Rum-
fabrik. — Resolution: Ich will's den Henker thun! Ich wünsche,
daß das giftig garstige Zeug gar nicht da wäre und getrunken
würde.
198.
Wie König Rudolf in einer dunkeln Sache das Recht erforscht.
Von Christoph Lehman.
Chronica der freien Reichsstadt Speyer. Frankfurt a. M. 1682. S. 632.
Auf einem Reichstag zu Nürnberg hat ein reicher Kaufmann
vor dem Könige geklagt, wie er seinem Wirt in offener Gasther-
berge zweihundert Mark Gelds aufzuheben vertraut, und nun, da
er dasselbe wiederfordere, der Wirt der Dinge in Abred wäre, weil
280
kein Zeugnis vorhanden. Dabei hat der Kaufmann solche Um-
stände und Wahrzeichen angegeben, daß der König die Klage recht-
mäßig befunden, aber zu bedenken genommen hat, wie der Wirt,
ein vornehmer, reicher Bürger, des Bezichtst zu überwinden und
die Sache an Tag zu bringen sei. Nicht lang hernach kommen der
Stadt Nürnberg Gesandte zmn König, unter denen auch der be-
klagte Wirt, und bringen ihre Sache vor. Der König fängt ein
freundlich Gespräch an und sagt unter andern: znm Wirt: 'Du
hast einen hübschen Hut, ich geb dir meinen dafür.' Der Wirt be-
willigt den Tausch gar gern. Der König nimmt sich anderer
Sachen an, heißt die Gesandten verziehen, gehet heraus und be-
fiehlt einem andern Bürger im Namen des Wirts und als wenn
dieser es befohlen, eilends der Frau desselben anzuzeigen, sie sollte ihm
den ledernen Sack, der so und so beschaffen sei, schicken; zum Wahr-
zeichen, daß ihr Mann es verlange, brächte er ihr seinen Hut. Die
Wirtin glaubt dem Bürger wegen des Wahrzeichens und stellt ihm
den begehrten Sack zu. Der König beschickt alsbald den Kauf-
mann, daß er seine Klage gegen den Wirt, so vorhanden sei, sollt
vornehmen, fertigt die Gesandten mit guter Antwort ab und be-
hält den Wirth bei sich. Alsbald kommt der Kaufmann und klagt
wider den Wirt, daß er sein vertrauet Gut vorenthalte. Der
Wirt verneint die Klage standhaftig, schwört und vermißt sich hoch,
daß der Kaufmann nichts Verwahrlichs bei ihm hinterlegt habe;
es sei ein thörichter Mann und mit Phantasei behaftet. Indem
die Parteien ernsthaft wider einander reden, bringt der König den
Sack hervor und legt dem Wirt den Betrug öffentlich an den
Tag, darüber demselben Muth und Sprache entsunken. Der Kö-
nig hat dem Kaufmann das Seine zugestellt und den Wirt um
eine große Summe Gelds gestraft.
199.
Bde an die preußische Armee. März 1757.
Von Kleist.
Werke. Wien 1789. S. 13. (Gekürzt.)
Rnüberwundnes Heer, mit dem Tod und Verderben
In Legionen Feinde dringt,
Um das der frohe Sieg die goldnen Flügel schwingt,
O Heer, bereit zum Stegen oder Sterben!
Sieh! Feinde, deren Last die Hügel fast versinken,
Den Erdkreis beben macht,
Ziehn gegen dich und drohn mit Qual und ew'ger Nacht;
Das Wasser fehlt, wo ihre Rosse trinken.
Verdopple deinen Muth! Der Feinde wilde Fluten
Hemmt Friedrich und dein starker Arm,
1) Bezeihung, Beschuldigung.
Und die Gerechtigkeit verjagt den tollen Schwarm:
Sie blickt durch dich auf ihn, und seine Rücken bluten.
Die Nachwelt wird auf dich als auf ein Muster sehen,
Die künft'gen Helden ehren dich,
Ziehn dich den Römern vor, dem Cäsar Friederich,
Und Böhmens Felsen sind dir ewige Trophäen.
Nur schone, wie bisher, im Lauf von großen Thaten
Den Landmann, der dein Feind nicht ist!
Hilf seiner Noth, wenn du von Noth entfernet bist;
Das Rauben überlaß den Feigen und Kroaten!
Ich seh', ich sehe schon — freut euch, o Preußens Freunde! —
Die Tage deines Ruhms sich nahn:
In Ungewittern ziehn die Wilden stolz heran;
Doch Friedrich winket dir — wo sind sie nun, die Feinde?
Du eilest ihnen nach und drückst mit schwerem Eisen
Den Tod tief ihren Schädeln ein
Und kehrst voll Ruhm zurück, die Deinen zu erfreun,
Die jauchzend dich empfahn und ihre Retter Preisen.
Auch ich, ich werde noch — vergönn eö mir, o Himmel! —
Einher vor wenig Helden ziehn:
Ich seh' dich, stolzer Feind! den kleinen Haufen fliehn
Und find' Ehr oder Tod im rasenden Getümmel.?
200.
Die Schlacht bei Zorndors.
25. August 1758.
Von Archenholtz.
Geschichte des siebenjährigen Krieges. Berlin 1793. I, 250. — 8. Aufl-, herausg. von August
Potthast. 1864. S. 163.
Der König hatte den Feldmarschall Keith mit dem größten
Theil seiner Armee bei Landshut in Schlesien zurückgelassen, um
diese Provinz zu decken; er nahm bloß vierzehntausend Mann von
den zum Kern seiner Heere gehörigen Truppen, und mit ihnen
gieng er in sehr forcierten Märschen, wohin das hohe Schicksal ihn
rief. Diese kleine Armee brannte vor Begierde, sich an einem
Feind zu rächen, den sie zwar noch nie gesehn hatte, dessen Grau-
samkeiten und Verwüstungen aber, durch den Ruf sattsam bekannt,
Blut in Strömen forderten. Ihre Kriegswnth wurde noch größer,
da sie die verheerten Provinzen betraten, die Schutthaufen sahen
und die Aschenhügel noch rauchend fanden. Kaum kannten sie
ihr verödetes Vaterland mehr. Man eilte, sich dem Feinde zu
nähern. Alle Strapazen wurden von diesen Preußen verachtet,
die ihrer erhabenen Bestimmung als Retter des Vaterlandes ein-
1) Kleist wurde in der Schlacht bei Kunersdorf, 12. Aug. 1759, tvdtlich verwundet.
282
gedenk waren und alles ertrugen; das Wasser bei der heißen
Jahreszeit wurde von ihnen aus Pfützen getrunken. In vierund-
zwanzig Tagen machte Friedrich einen Zug von sechzig deutschen
Meilen, und so langte er den einundzwanzigsten August bei Küstrin
an, wo er die Besatzung verstärkte und zur dohna'schen Armee
stieß. Die Husaren brachten ihm hier zwölf gefangene Kosaken,
die er als die ersten, welche sein Auge sah, wegen ihrer besondern
Gestalt und ihres elenden Aufzugs sehr ernsthaft betrachtete und
sodann zum Gardemajor Wedel sagte: 'Sehe Er hier, mit solchem
Gesindel muß ich mich herumschlagen.' Beide Heere näherten sich
einander, und alles rüstete sich zur Schlacht. Nie war bei einer
Armee der Durst nach einem Blutkampf größer, als wie diesmal
bei der preußischen. Der Dämon des Kriegs schien das ganze
Heer begeistert zu haben. Selbst Friedrich, durch den Anblick der
verwüsteten Fluren, der zahllosen Schutthaufen und der alles be-
raubten herumirrenden Flüchtlinge aufs lebhafteste gerührt, schien
alle Philosophie zu vergessen und alle andern Leidenschaften der
Rache unterzuordnen. Er befahl, keinem Russen in der Schlacht
Pardon zu geben. Alle Anstalten wurden gemacht, dem Feind
den Rückzug zu hemmen und ihn nach dew Morästen der Oder
zu drängen und dort zu vernichten; sogar die Brücken, die ihnen
zur Flucht dienen konnten, mußten abgebrannt werden. Diese
Wuth der Preußen wurde den Russen bekannt, da eben die Schlacht
ansangen sollte. Ein Zuruf lief durch die ganze Linie: 'Die
Preußen geben kein Quartier!' 'Und wir auch nicht!' war der
weitschreckende Widerhall der Russen.
Die Lage Friedrich's war abermals verzweiflungsvoll und
hieng von dem Ausgang einer Schlacht ab. Die feindlichen Heere
waren nun im Begriff, sich zu vereinigen und ihn von der Elbe
und der Oder abzuschneiden. Die Franzosen und Reichstruppen
waren auf dem Marsch nach Sachsen, wohin Daun mit der
Hauptarmec der Österreicher auch gezogen war. Die von den
Preußen befreiten Schweden hatten jetzt gar keinen Feind vor
sich und rückten auf das unbefestigte Berlin los; und überdem
nun noch die Russen, deren Motto Verheerung war, in dem
Herzen seiner Staaten.
Die tief durchdachte Disposition Friedrich's war jedoch nicht
bloß auf den Sieg, sondern auf den gänzlichen Untergang des
feindlichen Heeres gerichtet, dabei aber doch dem Könige bei einem
widrigen Schicksal der Rückzug nach Küstrin frei blieb. Es war
am sünfundzwanzigsten August, als diese große Schlacht bei Zorn-
dorf geliefert wurde. Sie fieng des Morgens um acht Uhr an.
Die Russen waren snnfzigtausend und die Preußen dreißigtausend
Mann stark. Diese, abermals so wie bei Leuthen in schiefer
Schlachtordnung gestellt, machten den Anfang mit einer großen
Kanonade. Die Stellung der Russen war ein in ihren ' Türken-
283
kriegen gebräuchliches ungeheures Viereck, in dessen Mitte sich ihre
Reiterei, ihre Bagage und das Reservecorps befand; eine Stellungs-
art, die bei einer Schlacht die schlechteste unter allen ist, da sie der
Armee so wohl zum Angriff als zur Vertheidigung alle Thätigkeit
raubt, und durch welche auch vor achzehnhundert Jahren die Römer
unter Crassus Anführung in der schönsten Ebene von den Parthern
geschlagen wurden. So wie die Bogenschützen dieses letztern Volks
ihr Ziel auf die zusammengedrängten Legionen nicht verfehlten, so
thaten auch hier die Kanonenkugeln eine schreckliche Wirkung auf
die so unschicklich gestellten russischen Menschenmassen. Bei einem
Grenadierregiment traf eine einzige Kugel zweiundvierzig Mann,
die theils getödtet, theils verwundet wurden. Überdem richteten
sie eine grausame Verwirrung unter der Bagage an; die Pferde
rissen mit ihren Wagen aus und brachen durch die Glieder, so
daß man diesen Troß bald aus dem Quarre herausschaffen mußte.
Der linke Flügel der Preußen avancierte indessen so hitzig, daß er
eine Flanke bloßgab. Diesen Umstand nutzte die russische Cavallerie,
in die preußische Infanterie einzudringen und einige Bataillons
aus dem Felde zu schlagen. Fermor glaubte schon völlig gesiegt
zu haben; er ließ das Quarre von allen Seiten öffnen, um den
Feind zu verfolgen. Dies geschah auch mit einem lauten Sieges--
geschrei; allein die Russen waren noch nicht weit gekommen, als sie
schon in große Unordnung geriethen. Das Hintertreffen, das vor
Staub und Dampf nichts erkennen konnte, feuerte auf das Vor-
dertreffen.
Der General Seydlitz rückte indessen mit der preußischen Ca-
vallerie in drei Colonuen an und warf die russische über den
Haufen, die jetzt aus ihre eigene Infanterie getrieben wurde. Ein
andres Corps preußischer Reiter stürzte zu gleicher Zeit auf die
russische Infanterie. Sie hieben alles ohne Gnade nieder, was ihr
Schwert nur erreichen konnte. Einige Regimenter preußischer
Dragoner ließen sich durch das brennende Zorndorf nicht abhalten,
sondern trabten durch die Flammen auf die Russen zu; auch
Seydlitz, der mit der feindlichen Cavallerie ganz fertig geworden
und, was noch nie erhört war, mit seinem Kürassierregiment, den
Degen in der Faust, eine Batterie von schweren Kanonen ange-
griffen und erobert hatte, folgte jetzt dieser neuen Siegesbahn.
Das russische Fußvolk wurde nun von allen Seiten in der Flanke,
auf der Fronte und im Rücken angefallen und ein entsetzliches
Blutbad angerichtet. Diese Krieger stellten den Preußen noch nie
erlebte Schlachtscenen dar. Hatten sie gleich, als Hausen betrachtet,
ihre Stellungen in ihren Linien und Abtheilungen verlassen, so
standen sie doch als einzelne Menschen wie die Bildsäulen in ihren
Gliedern, nachdem sie ihre Patronen verschossen hatten. Es war
jedoch nicht jene bewunderuugswerthe Tapferkeit, aus Ruhmbegier
oder Vaterlandsliebe ihren Posten bis aus den letzten Augenblick
284
zu behaupten, denn sie wehrten sich fast nicht in dieser Lage; viel«
mehr war es ein Stumssinn, sich da, wo sie standen, erwürgen
zu lassen. Waren nun ganze Reihen zu Boden gestreckt, so zeigten
sich immer neue Scharen, die aus eine ähnliche Abfertigung ins
Reich der Schatten zu warten schienen. Es war leichter, sie zu
todten, als in die Flucht zu schlagen; selbst ein Schuß mitten
durch den Leib war oft nicht hinreichend, sie auf die Erde zu
werfen. Nichts blieb daher den Preußen übrig, als niederzumetzeln,
was nicht weichen wollte. Der ganze russische rechte Flügel wurde
also theils niedergehauen, theils in Moräste getrieben. Eine Menge
dieser Flüchtlinge gerieth unter die Bagage; die Marketenderwagen
wurden geplündert und der Branntwein viehisch gesoffen. Ver-
gebens schlugen die russischen Ossiciere die Fässer in Stücke, die
Soldaten warfen sich der Länge nach auf den Boden, um den so
geliebten Trank noch im Staube zu lecken. Viele hauchten be-
soffen die Seele aus, andere massacrierten ihre Ossiciere, und ganze
Haufen liefen wie rasend auf dem Felde herum, ohne auf das Zu-
rufen ihrer Befehlshaber zu achten.
So gieng es auf dem rechten Flügel der Russen zu. Es war
Mittag. Auf ihrem linken Flügel war bisher noch wenig ge-
schehn. Nunmehr aber wurde auch dieser von den Preußen an-
gegriffen ; allein die Regimenter, die hier dem größtentheils bereits er-
rungenen Siege vollends das Siegel aufdrücken konnten, zeigten
nicht ihre gewöhnliche Tapferkeit. Sie vergaßen den Ruhm des
preußischen Namens, verkannten ihre Kräfte, so wie die Macht
ihrer tactischen Künste, in dem entscheidendsten Augenblick und
wichen im Angesicht ihres Königs vor den geschwächten und schon
halb geschlagenen Russen zurück. Die Unordnung war groß, und
alle Heldenthaten des preußischen linken Flügels schienen verloren
zu sein; allein Scydlitz kam mit seiner Cavallerie von diesem sieg-
reichen Flügel herangeflogen, rückte in die von der weichenden In-
fanterie gemachte Öffnung, hielt ein heftiges Musketen- und Kar-
tätschenfeuer aus, und nun drang er nicht allein auf die russische
Cavallerie, sondern auch auf den bisher noch fest gestandenen Theil
der Infanterie ein und trieb den. vorgerückten Feind, der schon
einige Batterien erobert hatte, in die Moräste. Dieses große Ma-
növer der Reiterei wurde von dem Kern der preußischen Infanterie,
den Regimentern Prinz von Preußen, Forcade, Kalkstein, Asseburg
und einigen Grenadierbataillons, sämmtlich Truppen, die der König
mitgebracht hatte, vortrefflich unterstützt. Diese Veteranen, ohne
auf das Zurückweichen der neben ihnen stehenden Bataillons zu
achten, das ihre ganz entblößte Flanke in Gefahr setzte, waren
beständig im Vorrücken geblieben, und jetzt fielen sie zugleich mit
der Cavallerie mit gefälltem Bajonnet die russische Infanterie an
und zeigten Wunder der Tapferkeit. Diese Angriffe waren so
lebhaft, daß in dem Zeitraum von einer Viertelstunde der größte
Theil des Schlachtfeldes von den Feinden verlassen war. Das
Feuer hörte jetzt an allen Orten aus. Die Munition fieng an
zu fehlen. Man schlug und stieß nun auf einander los mit Flin-
tenkolben, Bajonnetten und Säbeln. Die Erbitterung beider Theile
war unaussprechlich. Schwer verwundete Preußen vergaßen ihre
eigne Erhaltung und waren immer noch auf das Morden ihrer
Feinde bedacht. So auch die Russen. Man fand einen von diesen,
der tödtlich verwundet auf einem sterbenden Preußen lag und ihn
mit seinen Zähnen zerfleischte; der Preuße, mit dem Tode ringend
und unfähig sich zu bewegen, mußte dieses Nagen dulden, bis
seine Mitstreiter herbeikamen und den Cannibalen durchbohrten.
Die Regimenter Forcade und Prinz von Preußen stießen bei
ihrem Vordringen auf die russische Bagage und Kriegskasse. Der
größte Theil davon wurde erbeutet. Die gänzliche Ermattung
beider Theile und die Nacht machten endlich dem Morden ein
Ende, das zwölf Stunden gedauert hatte; nur allein die Kosaken
schwärmten noch auf dem Schlachtfelde im Rücken der Preußen,
um die Erschlagenen auszuplündern und die wehrlosen Verwun-
deten umzubringen. Allein ihrer Mordlust wurde bald gesteuert,
da man die Beschäftigung der Unholde ausspähete. Über tausend
Mann von diesem Gesindel, die von den alles niederhauenden Hu-
saren sehr gedrängt wurden, verließen in der Verzweiflung ihre
Pferde und warfen sich in die Schäferei von Quartschen, ein
großes steinernes Gebäude; hier schossen sie aus allen Löchern und
wollten sich nicht ergeben. Das Dach, worunter viel Heu und
Stroh lag, gerieth in Brand, stürzte ein, und fast alle diese Ko-
saken erstickten, verbrannten, oder wurden niedergehauen.
Beide Heere blieben die Nacht über unterm Gewehr. Die
Russen befanden sich in der schrecklichsten Unordnung; alle ihre
Truppen waren wie ein Chaos vermischt. Gern hätten sie den
Preußen die Ehre des Siegs unbedingt überlassen, allein der
Rückzug war ihnen versperrt, da alle Brücken über die Flüsse ab-
gebrochen waren. In dieser Verwirrung hielt der General Fermor
noch am Abend der Schlacht um einen Waffenstillstand aus zwei
bis drei Tage an. Sein Vorwand war, die Todten zu begraben.
Auf dies sonderbare Ansuchen antwortete der General Dohna:
<Da der König, mein Herr, die Schlacht gewonnen, so werden
auf seinen Befehl die Todten beerdigt und die Verwundeten ver-
bunden werden.' Er belehrte ihn dabei, daß ein Waffenstillstand
nach einer Schlacht eine ganz ungewöhnliche Sache sei- Den fol-
genden Tag geschahe nichts als Kanonaden. Der König wollte
den Kampf förmlich erneuern; allein der Mangel an Munition bei
der Infanterie und die große Abmattung der Cavallerie, die mit
Anstrengung aller ihrer Kräfte gefochten hatte, machten der Schlacht
nothwendig ein Ende und verschafften den Russen Gelegenheit,
einen Ausweg aus ihrem Labyrinth zu finden. Sie zogen sich
286
über Landsberg an der Warthe zurück. Diese Niederlage kostete
ihnen neunzehntausend Todte und Verwundete nebst dreitausend Ge-
fangenen; dabei verloren sie hundertunddrei Kanonen, viele Fahnen,
ihre Kriegskasse und eine Menge Bagage. Die Preußen zählten
zehntausend Todte und Verwundete; desgleichen vierzehnhundert
Gefangene oder Vermißte; auch hatten sie beim Weichen ihres
rechten Flügels sechsundzwanzig Kanonen eingebüßt.
201.
Sanssouci.
Von Geibel-
Gedichte 5. Aufl. Berlin 1846. S. 332. — 39. Aufl. 1855. S. 265. - 60. Anst. Stuttgart
1866. S. 317. — 72. Aufl. 1873. S. 317.
Dies ist der Königspark. Rings Bäume, Blumen, Rasen;
Sieh, wie ins Muschelhorn die Steintritonen blasen,
Die Nymphe spiegelt klar sich in deö Beckens Schoß;
Sieh hier der Flora Bild in hoher Rosen Mitten,
Die Laubengänge sieh, so regelrecht geschnitten,
Als wären's Verse Boilcau's.
Vorbei am luft'gen Haus voll fremder Vogelstimmen
Laß uns den Hang empor zu den Terrassen klimmen,
Die der Orange Wuchs umkränzt mit falbem Grün;
Dort oben ragt, wo frisch sich Tann' und Buche mischen,
Das schmucklos heitre Schloß mit breiten Fensternischen,
Darin des Abends Feuer glühu.
Dort lehnt ein Mann im Stuhl; sein Haupt ist vorgesunken,
Sein blaues Auge sinnt, und oft in hellen Funken
Entzündet sich's; so sprüht aus dunkler Luft ein Blitz;
Ein dreigespitzter Hut bedeckt der Schläfe Weichen,
Sein Krückstock irrt im Sand und schreibt verworrne Zeichen —
Nicht irrst du, das ist König Fritz.
Er sitzt und sinnt und schreibt. Kannst du sein Brüten deuten?
Denkt er an Kunersdorf, an Roßbach oder Leuthen,
An Hochkirch's Nacht, durchglüht von Flammen hundertfach?
Wie sie so roth geglänzt am Lauf der Feldkanonen,
Indes die Reiterei mit rasselnden Schwadronen
Der Grenadiere Viereck brach?
Schwebt ein Gesetz ihm vor, mit dem er weis' und milde
Sein schlachterstarktes Volk zu schöner Menschheit bilde,
Ein Friedensgruß, wo jüngst die Kricgespauke scholl?
Ersinnt er einen Reim, der seinen Sieg verkläre,
Oder ein Epigramm, mit dem bei Tisch Voltaire,
Der Schalk, gezüchtigt werden soll?
Vielleicht auch treten ihm die Bilder nah, die alten,
Da er im Mondenlicht in seines Schlafrocks Falten
JU
MWW»
287
Die sanfte Flöt' ergriff, des Vaters Ärgernis;
Des treuen Freundes Geist will er herauf beschwören,
Dem — ach, um ihn — das Blei aus sieben Feuerröhren
Die kühne Jünglingsbrust zerriß?
Träumt in die Zukunft er? Zeigt ihm den immer vollern,
Den immer kühnern Flug des Aars von Hohenzollern,
Der schon den Doppelaar gebändigt, ein Gesicht?
Gedenkt er, wie dereinst ganz Deutschland hoffend lausche
Und bangend, wenn daher sein schwarzer Fittich rausche? —
O nein, das alles ist es nicht.
Er murrt: D Schmerz, als Held gesandt sein einem Volke,
Dem nie der Muse Bild erschien auf goldner Wolke;
August sein auf dem Thron, wenn kein Horaz ihm singt!
Was hilft's, vom fremden Schwan die weißen Federn borgen!
Und doch, was bleibt uns sonst? — Erschein, -erschein, o Morgen,
Der uns den Götterliebling bringt!'
Er spricht'?, und ahnet nicht, daß jene Morgenröthe
Den Horizont schon küßt, daß schon der junge Goethe
Mit seiner Rechten fast den vollen Kranz berührt,
Er, der das scheue Kind, noch roth von süßem Schrecken,
Die deutsche Poesie aus welschen Taxushecken
Zum freien Dichterwalde führt.
202.
Friedrich II., König von Preußen.
Bon Lavater.
Physiognomische Fragmente. Leipzig und Winterthur 1775—78. 4 Bde. (Gekürzt.)
Mit unbeschreiblicher Neugier habe ich vor zwölf Jahren den
Moment erwartet, das Schrecken und Erstaunen von Europa von
Angesicht zu Angesicht zu sehen. Alle die unzähligen Porträts
von ihm, in eins zusammengeschmolzen, standen vor mir, bis auf
den Moment, wo der Große, er selber, vorbeiritt. Wie die Sonne
die Sterne verdrängt, weg auf einmal alle Bilder von ihm! O,
wie ein ganz anderer stand er vor mir! Damals wußte ich noch
nicht, was Physiognomie sei; aber den Schauder vergesse ich nicht,
der durch mich herabfuhr, als ich ihn selber sah, ihn, der von der
Natur, von seines Wesens erstem Anschuß an zum großen Manne,
zum Monarchen angelegt und geformt ward. Unter allen Menschen-
gesichtern ist noch keins vor mein Auge gekommen, das so ganz
eigentlich zum Königsgesichte geschaffen zu sein schien, und selbst
der Neid muß beim Anblicke dieses Mannes, wo nicht sagen, doch
empfinden: 'Ein großer Mann!'
Ich rede jetzt nur von der Hauptform des Gesichtes. Aus
dieser Knochenform, was mußte daraus werden? Faltenreich und
288
klein geadert, von eiserner Gedrängtheit ist dies Antlitz, voller Ent-
würfe und sich durch einander furchender Anschläge, auffallend in
ihm der furchtbare Kampf von Größe und Mismuth, und daher
die Möglichkeit, daß die einen in diesem Gesichte den Himmel, die
andern die Hölle zu sehen glaubten.
Des Monarchen Augen sind allberühmt. Bald heißt es (mit
Gleim):
<Der Gnad' und Huld im scharfen Blick
Der großen Augen trägt —’
bald (mit Lichtenberg): ^Leute, die es verstehen, sagen, daß er das
Zeichen eines großen Mannes im Auge, des Königs aber in seinen
Gesichtszügen trage.' — Ich habe dieses Auge lange und nahe
angesehen: mehr treffend als blendend, mehr durchdringend als
blitzend; übrigens habe ich diesen berühmten Blick, wenn ich so
sagen darf, nicht in seinem Brennpunkte gesehen.
Aber man decke das Auge, man verbinde auch dem Physiogno-
misten die Augen, man erlaube ihm, mit dem bloßen Gefühl der
äußersten Fingerspitze von der Höhe der Stirn bis ans Ende der
Nase sanft herabzuglitschen, neuntausendneunhundertneunundneunzig
vor ihm werden ihm vorgeführt, Friedrich sei der zehntausendste,
und der Physiognomist wird niederfallen und ausrufen: <Ein präde-
stinierter König oder Welterschütterer! Ohne Thaten lebt der nicht,
so wenig als ohne Odem. Vordrang, hohes Selbstgefühl, das
in Menschenverachtung ausarten muß, weil es seines Gleichen nicht
finden kann.'
203.
Harras der kühne Springer.
Von Körner.
Werke, herausg. von Streckfuß, 5. Anst. Berlin 1858. S. 90. — 1866. S. 114.
Hod) harrte im heimlichen Dämmerlicht
Die Welt dem Morgen entgegen,
Noch erwachte die Erde vom Schlummer nicht,
Da begann sich's im Thale zu regen.
Und es klingt herauf wie Stimmengewirr,
Wie flüchtiger Hufschlag und Waffengeklirr,
Und tief aus dem Wald zum Gefechte
Sprengt ein Fähnlein gewappneter Knechte.
Und vorbei mit wildem Ruf fliegt der Troß,
Wie Brausen des Sturms und Gewitter,
Und voran auf feurig schnaubendem Roß
Der Harras, der muthige Ritter.
Sie jagen, als gält' cs den Kampf um die Welt,
Auf heimlichen Wegen durch Flur und Feld,
Den Gegner noch heut zu erreichen
Und die feindliche Burg zu besteigen.
So stürmen sie fort in des Waldes Nacht
Durch den fröhlich aufglühenden Morgen;
Doch mit ihm ist auch das Verderben erwacht,
Es lauert nicht länger verborgen:
Denn plötzlich bricht aus dem Hinterhalt
Der Feind mit doppelt stärkrer Gewalt,
Das Hifhorn ruft furchtbar zum Streite,
Und die Schwerter entfliegen der Scheide.
Wie der Wald dumpf donnernd widerklingt
Von ihren gewaltigen Streichen!
Die Schwerter klingen, der Helmbusch winkt,
Und die schnaubenden Rosse steigen.
Aus tausend Wunden strömt schon das Blut,
Sie achten's nicht in des Kampfes Glut,
Und keiner will sich ergeben,
Denn Freiheit gilt's oder Leben.
Doch dem Häuflein des Ritters wankt endlich die Kraft,
Der Übermacht muß es erliegen,
Das Schwert hat die meisten hinweggerafft,
Die Feinde, Die mächtigen, siegen.
Unbezwingbar nur, eine Felsenburg,
Kämpft Harras noch und schlägt sich durch,
Und sein Roß trägt den muthigen Streiter
Durch die Schwerter der feindlichen Reiter.
Und er jagt zurück in des Waldes Nacht,
Jagt irrend durch Flur und Gehege;
Denn flüchtig hat er des Weges mcht Acht,
Er verfehlt die kundigen Stege.
Da hört er die Feinde dicht hinter sich drein,
Schnell lenkt er tief in den Forst hinein,
Und zwischen den Zweigen wird's Helle,
Und er sprengt zu der lichteren Stelle.
Da hält er auf steiler Felsenwand,
Hört unten die Wogen brausen.
Er steht an des Zschopauthals schwindelndem Rand
Und blickt hinunter mit Grausen.
Aber drüben auf waldigen Bergeshöhn
Sieht er seine schimmernde Veste stehn:
Sie blickt ihm freundlich entgegen,
Und sein Herz Pocht in lauteren Schlägen.
Ihm ist's, als ob's ihn hinüberrief',
Doch es fehlen ihm Schwingen und Flügel,
Und der Abgrund, wohl fünfzig Klafter tief,
Schreckt das Roß, es schäumt m den Zügel;
Und mit Schaudern denkt er's und blickt hinab,
Und vor sich und hinter sich sieht er sein Grab;
Er hört, wie von allen Seiten
Ihn die feindlichen Scharen umreiten.
ColShoni u. Goedeke's Lesebuch II. 19
290
Noch sinnt er, ob Tod aus Feindes Hand,
Ob Tod in den Wogen er wähle.
Dann sprengt er vor an die Felsenwand
Und befiehlt dem Herrn seine Seele;
Und näher schon hört er der Feinde Troß,
Aber scheu vor dem Abgrund bäumt sich das Roß.
Doch er spornt's, daß die Fersen bluten,
Und es setzt hinab in die Fluten.
Und der kühne, gräßliche Sprung gelingt,
Ihn beschützen höh're Gewalten;
Wenn auch das Roß zerschmettert versinkt,
Der Ritter ist wohl erhalten;
Und er theilt die Wogen mit kräftiger Hand,
Und die Seinen stehn an des Ufers Rand
Und begrüßen freudig den Schwimmer. —
Gott verläßt den Muthigen nimmer.
204.
ScydUtz, der Kühne Reiter.
Von Varnhagen von Ense.
Leben des Generals Freih. von Seydlitz. Berlin 1834. S. 175—185. (Gekürzt.)
Wie unter dem alten Dessauer die kleine Wiese bei Halle der
Lehrboden des preußischen Fußvolks geworden war, so wurde jetzt
Ohlau die Pflanzschnlc der preußischen Reiterei. Sein eignes
Regiment., erhob sich als das Vorbild aller andern. Von der ge-
ringsten Übung der Waffen, dem kleinsten Anfange des Reitens,
bis zu dem vollständigsten Felddienste und den wichtigsten Aus-
führungen im Großen war alles von ihm streng angeordnet, ge-
nau beaufsichtigt, in folgerichtigem Zusammenhang erhalten. Das
ganze Regiment, Gemeine und Officiere, ritt in gleichmäßiger
Weise, nach einer und derselben Vorschrift, rasch, leicht, gewandt,
mit größter Kühnheit und Sicherheit. In der heftigsten Bewe-
gung mußte der einzelne Reiter und ganze Schwadronen die voll-
kommenste Gewalt über sich haben, jedem Winke des Befehls augen-
blicklich folgen können, den vollen Ungestüm der Rosse loszulassen
und zu beherrschen wissen. Die Verwegenheit des Reiters wurde
bis zur Tollkühnheit getrieben und kein Unglücksfall geachtet. Die
Einweihung der Neulinge geschah durch harte Prüfungen. Kam
ein rüstiger Bursche als Rekrut, oder trat ein derber Junker ein,
— denn unansehnliche und schwache fanden gar nicht Ausnahme, —
so wurden sie auf ungezähmte Pferde gesetzt und mit diesen im
Dahinrennen über Stock und Stein dem Schicksal preisgegeben;
wer den Hals brach oder sonst zu Schaden kam, von dem war
weiter nicht die Rede; wer diese erste wilde Probe bestand und
291
sitzfest und unverzagt blieb, der wurde zu geregeltem zugelassen.
Hieraus ergab sich bald, daß im Regimeute, und besonders in der
ersten Schwadron, nur die erlesensten, wüthigsten Reiter zu sehen
waren und jeder Gemeine im stolzen Bewußtsein seines Werthes
die Art und das Ansetzn eines Osficiers hatte, dem Officiercorps
aber kein andres zu vergleichen war. Wie weit der Meister seine
Jünger in kriegerischen Kunstübungen gebracht, zeigt folgendes
Beispiel, dem fast jeder Tag ähnliche zur Seite stellen konnte. Der
König hatte eine Anzahl Rciterofsiciere der märkischen Jnspection
nach Ohlau geschickt, um Seydlitzens Exercierart sich anzueignen.
Der General ließ erst sie ihre Künste darthun und gab ihnen eine
Schwadron zu exercieren; allein es gieng schlecht, und er endete
den Versuch alsbald, indem er ihnen zugleich ankündigte, am an-
dern Tage wolle er ihnen zeigen, wie Reiterei exercieren müsse.
Er führte seine Leibschwadron persönlich an und hatte ihr für
diesen Tag seine besten Officiere zugetheilt. Die Schwadron hielt
auf dem Markte, dort wurde das Gewehr aufgenommen, dann zu
dreien rechts abgebrochen und im Trabe,, auf den Exercierplatz
marschiert. Hier wurden alle möglichen Übungen im schnellsten
Tempo durchgemacht und darauf im Trabe wieder abgezogen.
Anstatt aber gleich in die Stadt zurückzukehren, führte Seydlitz
seine Reiter in den Ohlaufluß hinein, ließ im Wasser die Schwa-
dronen formieren, dann wieder zu dreien abbrechen und so zum
Marktplatze reiten, wo in Zügen ausmarschiert und mit diesen dann
wieder in der Art eingeschwenkt wurde, daß der vierte und dritte
Zug zwischen das Rathhaus und die linke Häuserreihe, der zweite
Zug zwischen Rathhaus und Hauptwacht und der erste Zug zwi-
schen diese und die rechte Häuserreihe zu stehen kam. Nun ließ er
in gestrecktem Lause die Schwadronen formieren, vorrücken, und
als er Halt rief, stand die Schwadron geschlossen und gerichtet
vor seinem Quartier. Die fremden Officiere staunten und be-
wunderten; solche Schnelligkeit und Meisterschaft war nie gesehen
worden, jede Bewegung war vollständig gelungen. Da lächelte
Seydlitz vergnügt und sagte: "Meine Herren, ich habe Ihnen zei-
gen wollen, was Reiterei zu leisten vermag, wenn Fleiß und guter
Wille da ist? Er dankte seinen Officieren für ihre Aufmerksamkeit
und gab den Kürassieren zur Belohnung einen Ball, bei welchem
es an keinerlei Bewirtung fehlen durste.
Die schönsten und tüchtigsten Jünglinge aus den vornehmsten
Häusern des In- und Auslandes drängten sich zu diesem Re-
giment, und da die beschränkte Zahl der Officierstellen für die
Menge nicht ausreichte, so mußten viele sich begnügen, nur als
Freiwillige einzutreten. Die jungen Edelleute, reich ausgestattet,
kraftvoll und eifrig, wetteiferten in strengen Leistungen, die leicht
wieder zu einer Art Üppigkeit wurden; der Ruhm, die schönsten
Pferde zu haben, stellte sich neben den, sic am kühnsten und ge-
292
schicktesten zu gebrauchen, der Glanz und Schmuck einnehmender
Erscheinung neben den ehrbaren Stolz kriegerischer Haltung. Da
man auf knappe, eng anliegende Bekleidung hielt, so wurde keine
Pein gescheut, um sich in diese einzuzwängen. Die Übertreibung
wird durch die Sage bezeichnet, welche scherzhaft-spöttisch erzählt,
daß die seydlitz'schen Officiere, um ihre ledernen Beinkleider anziehen
zu können, in die naß aufgehängten hineinsteigen und dann darin
hängend stundenlang abwarten mußten, bis sie völlig in diese Be-
hautung hinabgesunken waren, die dann freilich, nachdem sie aus
dem lebenden Körper trocken geworden, diesem wie angegossen war
und jede schöne und kraftvolle Form zeigte. Wir geben die Sage,
wie sie noch umgeht, und lassen dahin gestellt, ob ein oder mehrere
Beispiele solchen Verfahrens jemals vorgekommen. Daß in Ohlau
nicht alles Stutzerhafte vermieden, sondern durch Seydlitz manches
der Art geduldet, ja sogar veranlaßt worden, ist aus mancherlei
Nachrichten, wie auch aus seinem Charakter, mit Grund anzu-
nehmen.
Die kühnen Reiterübungen, welche Seydlitz auch für seine
Person fortsetzte, und bei denen er selber alles wagte und aus-
führte, was er seinen Untergebenen zu leisten auferlegte, liefen nicht
immer glücklich für ihn ab. Er hatte im Jahre 1765 bei Lissa,
wo der König Truppenschau hielt, den Unfall, mit dem Pferde so
gefährlich zu stürzen, daß er im ersten Augenblicke für todt ge-
halten wurde und längere Zeit ohne Bewußtsein blieb. Der Kö-
nig kam schleunigst herbei, stieg vom Pferde und freute sich der
Nachricht, daß wieder Lebenszeichen sichtbar würden; er ließ seinen
eignen Wagen aus dem Hauptquartier herbeischaffen und sandte
einen Pagen nach Breslau, um den berühmtesten Arzt von dort
zu holen. Als der Zustand wieder Hoffnung gab, aber dennoch
mit Gefahr verbunden blieb, und Seydlitz zwar aufblickte, jedoch
nicht sogleich die Sprache wiederfinden konnte, wurde der König
so gerührt, daß er sich wegwenden mußte. Er fand sich sodann
jeden Tag, den er noch hier verweilte, persönlich,, zur Nachfrage
ein, wie es dem Kranken ergehe, besprach mit den Ärzten umständ-
lich die Bedeutung des Falles und die Zweckmäßigkeit der vorge-
schlagenen Mittel und empfahl, als er wegreisen mußte, noch schei-
dend die fürsorglichste Behandlung. Seydlitz genas bald wieder,
ließ aber durch seinen Unfall sich nicht abschrecken, sondern trieb
sein verwegnes Reiten nach wie vor. Er wiederholte sogar die
Wagstücke seiner Jugend und ritt als General, wie sonst als Page,
zwischen umlaufenden Windmühlenflügeln durch; sein Gefolge that
es ihm dann sogleich nach. Einst traf er in der Gegend von Oh-
lau beim Spazierenreiten auf eine Halbkutsche, die sehr langsam
im Sande hinfuhr, ein Landprediger und dessen Frau saßen darin;
Seydlitz betrachtete das Fuhrwerk, dessen Vordertheil sehr gestreckt
war und also zwischen Kasten und Kutscherbock einen ziemlichen
293
Raum gab; der muntre Reiter besinnt sich nicht, giebt seinem Pferde
die Sporen und setzt über den Wagen hinaus, alle seine Begleiter
ebenso hinter ihm drein, zum großen Schrecken der darin Sitzenden,
die aber ganz unbeschädigt blieben. Wer sich selbst in dieser Art
nicht schonte, von dem war auch für andre keine zarte Besorgnis
zu erwarten. Jeder Gefahr zu Pferde mußte der entschlossene
Reiter unverzagt entgegensehen und nur sie zu überwinden streben,
nicht aber sie vermeiden. Die Unglücksfälle häuften sich; allein
Seydlitz achtete ihrer nicht, sondern hielt sie für Opfer, die der
Kriegsdienst auch dem Frieden auferlege. Als der König ihn ein-
mal fragte: ‘Seydlitz, wie kommt es, daß bei Seinem Regimenté
so viele Leute den Hals brechen?' antwortete er: 'Ew. Majestät
dürfen nur befehlen, und es soll nicht wieder kommen; aber ich
bin dann auch außer Schuld, wenn das Regiment gegen den Feind
nichts ausrichtet.' Die Ministerin von Schlabrendors, welche ihre
Angst nicht verhehlte, daß ihr Sohn durch das tolle Reiten, von
dem sie mit Entsetzen hörte, ein Unglück nehmen könnte, tröstete
er auf andre Weise: ‘Jhro Excellenz können ruhig sein,' sagte er,
‘einen Cornet und eine Katze kann man vom Turme herabwerfen,
sie brechen nicht gleich den Hals.' Die Jagd gab noch besondern
Anlaß zu mannigfachen Fährlichkeiteu, denen sich niemand ohne
Schande entziehen durfte; den jüngern Ofsicieren war es so reizend
als ehrenvoll, daran Theil zu nehmen; nächst schönen Pferden
hielt man gute Jagdhunde in hohem Werth; die des Generals
waren so abgerichtet, daß sie anfs Pferd apportierten. Im Schießen
mit der Büchse und mit Pistolen, worin Seydlitz sowohl zu Fuß als
zu Pferde die größte Fertigkeit hatte, wurde gleicherweise vieles ge-
wagt, das Leben in die Geschicklichkeit der eignen oder fremden
Hand gesetzt; es wird versichert, Seydlitz sei ebenso erbötig ge-
wesen, einem guten Schützen einen Thaler als Zielscheibe zwi-
schen den Fingern hinzuhalten, als selber darauf zu schießen. Dem
Glöckner in Ohlau, der eine kleine am Rathhause hängende Glocke
täglich dreimal läuten mußte, schoß er von seinem Fenster aus
nicht selten den Strick entzwei; Thonpfeifen, in die Erde gesteckt,
pflegte er zu kleinen Stücken nach und nach abzuschießen.
205.
Standhaft und treu.
Bon Fischart.
Goedeke: Elf Bücher deutscher Dichtung. Leipzig 1849. I, 175.
Standhaft und treu, und treu und Beständige Treuherzigkeit
standhaft Und treuherz'ge Beständigkeit —
Die machen eine deutsche Verwandt- Wenn die kommen zur Einigkeit,
schaft; So widerstehn sie allem Leid:
294
Daher unsre Vorfahren frei
Durch redliche standhafte Treu
Schützten Freiheit, Land und Leut,
Ja, weiterten ihr Land auch weit;
Wie Lenen thäten sie bestahn,
Wenn sie ein Feind that greifen an.
Und wenn sie dann war'n ange-
griffen,
Die Gelegenheit sie nicht verschliefen,
Sondern dem Feind sie stark nach-
setzten,
Auf daß sie ihre Schart auswetzten:
Gleich wie ein Adler stark nachziehet
Dem Raub, der ihm mit List ent-
fliehet;
Ja, wie ein Hund des Herren Gut,
Darauf er liegt und hält's in Hut,
Wider Fremde treulich verwacht:
Also hatten sie auch in Acht
Das Land, das ihnen Gott verliehen,
Darin die Kinder aufzuziehen.
Was nun euch frommen Deutschen
heut,
Die von so frommen Eltern seid,
Auch nunmehr will zu thun gebühren,
Sollt hierbei zu Gemüth ihr führen.
206.
Deutsche Sprüche').
Simrock: Die deutschen Sprichwörter. — Grimm's Wörterbuch II, 1043.
Deutscher Mann,
Ehrenmann.
Nicht zu starr und nicht zu zart,
Ist der Deutschen Schlag und Art.
Deutsches Herz,
Großes Lob.
Deutschland bei der alten Zeit
War ein Stand der Redlichkeit.
Verpflanz auf deine Jugend
Die deutsche Treu und Tugend
Zugleich mit deutschem Wort.
Der Deutsche ist gelehrt,
Wenn er sein Deutsch versteht.
Deutsche mühen sich jetzt hoch,
Deutsch zu reden fern und rein:
Wer von Herzen redet deutsch,
Wird der beste Deutsche sein.
Wer im Krieg will Unglück han,
Fang' cs mit den Deutschen an!
207.
Aus dom nomadenlebcn der deutschen Vorzeit.
von Jacob Grimm.
geschichte der deutschen spräche 2. aufl. Leipzig 1853. s. 11—14. 31. 553. 680. 692 etc.
Das unaufhaltsame einrücken der Völker aus Asien in Europa
setzt kühne, kampflustige Stämme voraus, die sich zuweilen ruhe
und rast gönnten, im drang der forfbewegung von ihrer heerde,
jagd und beute lebten, bevor sie sich friedlichem ackerbau ergaben,
müssen sie jäger, hirten und krieger gewesen sein.
Den tapfern stand die weit offen: sie ziehen aus der heimat,
wo es ihnen zu enge geworden war, von hungersnoth und mis-
wachs, von feindschaft der Stämme oder Wanderlust und drang nach
abenteuer getrieben, das los und der götter rath geleitet sie, vögel
fliegen voraus, eine hindin zeigt die fürt über den ström, ein bär
oder wolf weist den pfad durch wald und gebirge. sie reisen
Bergl. Lesebuch I, 179, Nr. 4 u. 13.
sammt trauen, kindern, verwandten, freunden; vor allem heilig sind
ihnen die bände der brüderschaft und das gastrecht.
Dieser wandernden Völker habe sind wagen und vieh, waffen
und schmuck, ein reicher hält achtzig vierlagerige wagen, ein
armer, dem weder wagen noch heerden gehören, ist reich an bluts-
brüdern. wagenhäuser legt Plinius noch ausdrücklich den wandern-
den Kimbern bei, und eine Wagenburg ums lager zu führen gegen
nächtlichen überfall blieb bis in die späten Zeiten kriegsbrauch,
anschaulichstes bild solcher wagen geben uns die holzhäuser der
schäferkarrn; wo aber gerastet wird, treten waldhütten und erd-
höhlen an deren stelle.
Pferde, rinder, schafe und hunde sind das vieh der hirten und
jäger. der hund schützt heerde und wagen, seine treue überdauert
den tod des herrn. beim gefallnen beiden liegt noch sein hund,
steht traurig nickend sein rosz; denn beide hatte er oft mit namcn
gerufen, und zwischen rosz und reiter waren gespräche gewechselt
worden, der rinder und schafe folgt eine gröszere, schon minder
zutrauliche schar.
Auch das schwort wird benannt und angeredet; es ist des
mannes grösztes kleinod, das nur auf seinen nächsten männlichen
erben übergeht, nie legt der mann es ab; bei jedem anlasz treten
hirtenvölker bewaffnet auf, was noch Tacitus an den Germanen
beobachtete, schwort und speer ist den kriegern ein hehres wesen,
hei dem sie feierlichen eid schwören, das sie als göttliches zeichen
aufrichten und verehren, frauliche habe sind schmuck und ringe.
Aller kauf scheint noch tausch und wird mit vieh, pelz oder
ringen unterhandelt; selbst die münze war ursprünglich zierrath.
da sie blosz am gewinn von der heerde und an kriegsheute hän-
gen, fast keine frucht aus dem boden erzielen und die waldtrift
wechseln, hat grundeigenthum noch keinen werth, die bezirke wer-
den durch raschen hammerwurf abgegrenzt.
Das ganze treiben dieser Stämme ist freies waldleben, zwischen
zügen, weide und krieg getheilt; der kämpf, den sie begierig suchen,
führt sie gleich der jagd zur beute, schiacht und jagd ist, was sie
ergötzt, weida in unsrer alten spräche bedeutet ‘ sowohl pastio als
venatio und piscatio, weidman den hirten und jäger; noch heute
ist der alpenhirt auch der kühnste gemsenjäger.
thum pflag aber nicht allein hunde abzurichten, sondern auch rauh-
vögel zu zähmen, die es in die luft auffliegen und nach der beute
Es kann keine edlere jagd ersonnen werden, als wenn der
296
oder in den lüften mochte ihm entrinnen ? durch das pulver ist wie
der krieg grausamer und unmenschlicher, die jagd tückisch und
weniger poetisch geworden: ein feiger schusz erlegt das stolzeste
thier aus weiter ferne, das gegen speer und pfeil noch seine letzte
kraft aufbieten konnte, wie wissen die dichter den kühnen flug
des falken und seine leuchtenden äugen in ihre bilder und gleich-
nisse zu ziehen! der falk, habicht durchstreicht die ganze indoger-
manische weit; der falkenflug ist eine der fährten, die den Sprach-
forscher sicher durch das fast endlose gebiet leiten, die falkenjagd
gehört zu den brauchen, die unsere voreitern nicht von den Römern
empfiengen, sondern bereits vor ihnen kannten und mit andern
rückwärts im osten hausenden Völkern gemein hatten, weder Rö-
mer noch Griechen übten falkenjagd, so bekannt ihnen und von
ihren naturforschern beobachtet diese raubvögel waren.
Speise ist milch und fleisch der heerde, wildobst und wildbret.
weder Stutenmilch wird verschmäht noch pferdefleisch, dessen ge-
nusz nach der bekehrung allen Christen für heidnischen greuel galt,
das gleichnis von milch und blut kennt die volkspoesie der ge-
summten indogermanischen weit, es ist so alt wie diese selber; die
benennung der milch, des gemolknen, stimmt bei allen Deutschen
und Slaven im weitesten sinne bedeutsam zusammen.
Dem unsteten aufenthalt, der ungebundenheit des hauscs, das
der hirt nach gefallen auf rädern an andere stellen versetzen kann,
scheint Vielweiberei zu entsprechen, der wir bei allen aus dem
nomadenstand tretenden Völkern noch begegnen, krieger und hir-
ten streben schönen weibern nach; erst dem ackermann genügt die
einzige ehfrau, ‘die friedeweberin,’ welcher er, wenn ihn feldarbei-
ten rufen, sein haus zu ordnen überläszt. die beiweiber werden
meistenteils geraubt oder aus unfreien mädchen gewählt.
Unter nomaden haben anführer im krieg, könige, edle ge-
schleckter und ein priesterstand sich entfaltet: im sanskrit bedeutet
gopa zugleich kuhhirt und fürst, der hirtenstab, die hasel, wandelt
sich in des mächtigen hand zum Scepter.
Drei gewalten werden verehrt: die schöpferische, donnernde
(erdbefruchtende) und kriegerische, Wuotan, Donar, Zio. aus die-
ser trilogie, die durch das ganze heidenthum waltet und selber aus
einer einheit hervorgegangen ist, entfalten sich alle übrigen gott-
heiten. der wald ist ihr tempel, ein hoher berg ihr sitz. es gab
allerwärts dunkle haine, in deren tiefem schauer, heilige berge, auf
deren unnahbarem gipfel man sich die gottheit wohnend dachte,
wie wollten ihre götter zwischen wände gedrängt werden, so lange
die menschen selbst nicht in festen häusern wohnten? die volks-
sage erzählt noch heute von kirchen und teufelsbauten, deren gie-
bel offen bleibt; es ist der blaue hirnmel, der über den wäldern
und hügeln ruht. — geweihte priester haben den Zugang, bringen
opfer unter hehrem bäume, wo rasen erhöht, ein tisch gesetzt, ein
297
stein errichtet ist. das gesammte volk naht nur an tagen, wo
feierliche gaben dargereicht werden.
Jeder vom schlaf erwachende wendet sein antlitz gegen die
sonne und betet, was hinter ihm liegt, ist westen, zu seiner rech-
ten Süden, zu seiner linken norden, deshalb haben mehrere spra-
chen, z. b. die hebräische, für rechts und südlich nur ein wort,
ebenso für links und nördlich.
Der hirt verbringt seine tage und jähre, aufgeregt, aber auch
still und ruhig, über wonne und weide in der Sommerfrische oder
vom engen wagendach geschützt und belauscht die heimliche natur.
daher haben wir die vielen bedeutsamen kräuternamen überkommen,
daher den zum theil wieder aufgegebenen reichthum mannigfacher
ausdrücke für die Viehzucht in jeder läge. alle art der thatigkeit
bis zum sterben und schlachten wird fast bei jedem vieh anders
und eigens benannt, wie der jäger am verschiedenen wild den gang
und einzelne glieder des leibs mit abweichenden Wörtern zu
bezeichnen pflegt, dieser in freier luft lebenden hirten äuge sieht
weiter, ihr ohr hört schärfer; wie sollte nicht überall ihre rede
sinnliche anschaunng und fülle gewonnen haben?
Die sinnige betrachtung der natur führt zur aufnähme muthiger
und behender thiere in menschliche eigennamen, zu ihrer abbildung
auf heim und schild. in diesem verkehr wurzelt auch die thierfabel,
die sich in spätere Zeiten fortgetragen hat. sie ist schon damals
von mund zu mund gegangen, ist gesungen worden, gesungen
worden sind auch lieder von den göttern und göttinnen, von den
siegreichen beiden, und die schiacht erwartend oder des sieges
froh füllen sie die nächte mit gesang, wie sie im frieden die
groszen thaten preisen, die sie selbst vollbracht haben.
Auch der buchstabenschrift sind sie beflissen, nicht zu liebes-
briefen und ähnlicher tändelei, aber um der götter willen zu er-
forschen. sie ritzen runen auf die stäbe einer buche, und daher
entstammen unsere buchstaben. sie lesen die hingestreuten buch-
staben auf, und so lernen noch wir buchstaben lesen.
Was aber der schweifende hirt den wechselnden erscheinungen
abgerungen hat, das macht der friedlichere, nicht sanftere ackerbauer
zu bleibendem besitz.
208.
Deutsches Lied.
Von PröHle.
Gedichte. Leipzig 1859. S. 129.
© sagt, was,gleicht dem deutschen In unsrer Tannenwälder Schoß
" Land? Hebt sich der Hirsch von feuchtem
Die Reb' an seines Berges Rand, Moos;
Die Weizenähre auf dem Feld Als wie ein schöner Morgenstern,
Prangt wie der schönste Siegesheld. So glänzt im Dickicht sein Gehörn.
298
Der Eber wühlt am Eichenstamm; Und hinter Moor und Feld und Au
Auf unsern Auen grast das Lamm. Da wohnt die holde deutsche Frau;
Die Vögel singen selbst im Moor Ihr Antlitz glänzt, ich weiß nicht, wie.
Und pfeifen hell aus Schilf und Rohr. O Gott im Himmel segne sie!
209.
Gelübde.
Von Maßmann.
Liederbuch für deutsche Turner. Braunschweig 1849. S. 38.
^ch hab' mich ergeben
Mit Herz und mit Hand
Dir, Land voll Lieb' und Leben,
Mein deutsches Vaterland!
Mein Herz ist entglommen,
Dir treu zugewandt,
Du Land der Frei'n und Frommen,
Du herrlich Hermannsland!
Du Land, reich an Ruhme,
Wo Luther erstand,
Für deines Volkes Thume l)
Reich' ich mein Herz und Hand!
Will halten und glauben
An Gott fromm und frei,
Will, Vaterland, dir bleiben
Auf ewig fest und treu!
Ach Gott, thu erheben
Mein jung Herzensblut
Zn frischem, freud'gem Leben,
Zu freiem, frommem Muth!
Laß Kraft mich erwerben
In Herz und in Hand,
Zu leben und zu sterben
Fürs heil'ge Vaterland!
210.
Deutschlands höchste Noth und schnelle Rettung.
Quinctilius Varus, Deutschlands Dränger.
Armin, Deutschlands Befreier. Jahr 6—9.
Bon Heinrich Luden.
Geschichte des deutschen Volkes. Gotha 1825-37. I, 222. (Gekürzt.)
Der Ausgang des schrecklichen Kampfes gegen die Völker in
Pannonien und Dalmatien, im Herbste des neunten Jahres, erfüllte
Rom mit unermeßlichem Jubel. Germaniens brachte die Nachricht
von dem Siege. Je näher die Gefahr gewesen war, je größer die
Anstrengung, ihr zu begegnen, desto inniger war die Freude über den
Sieg und über die wiedergewonnene Sicherheit. Der Kaiser, der
Senat, das Volk, alles wetteiferte, dem Tiberius, dem Germaniens und
ihren Heeren die dankbarste Anerkennung zu bezeugen, auf würdige
Weise ihre Thaten zu feiern, ihren Ruhm zu verherrlichen durch
bleibende Denkmale. Fünf Tage war Germanicus in der Stadt,
umgeben vom Jauchzen des Volkes, von Feier und Festlichkeit. Da
fiel unerwartet, alles erschütternd und alles verwirrend, in das fröhliche
Siegesgetümmel die Schreckensbotschaft hinein von dem Aufstande
der deutschen Völker, von der gänzlichen Vernichtung des römischen
Heeres in Deutschland, von der Gefahr Galliens' und von der
Ungewißheit der Alpen. Sogleich verstummte der Jubel, die
1) Sinn und Gewalt.
299
Freude entwich vor der neuen Angst; der Siegestaumel ward eine
Trauerfeier und die Dankfeste Tage des Flehens um Schutz und
Hülfe.
Die Begebenheit, von welcher die erste Nachricht in dieser Weise
auf Rom wirkte, war ohne allen Zweifel wie im Ursprünge so im
Ausgange groß und gewaltig; ihre Folgen haben eine unendliche
Wichtigkeit gehabt, nicht bloß für das deutsche Volk, sondern für die
Entwickelung des Geistes überhaupt und für die ganze Gestaltung des
gesellschaftlichen Lebens. Unglücklicherweise aber kennen wir dieselbe
nur höchst unvollkommen. Die Ehre des deutschen Volkes und der
Ruhm der einzelnen Männer, welche lenkten und leiteten und mit
ihrem Geiste die Masse beherrschten, war den Römern gleichgültig;
ja sie haben, um die eigene Schmach vor sich selbst und vor der
Nachwelt zu verbergen, absichtlich entstellt und die Herrlichkeit der
Deutschen zu schmälern und zu beflecken gesucht. Unwissenheit, Stolz,
Menschenverachtung und eine ganz andere Ansicht vom Leben und von
den Verhältnissen des Lebens, von Ehre und von Tugend haben nicht
minder eingewirket. Von einer gerechten Würdigung der Ereignisse
in Deutschland findet sich keine Spur. Nur die große Seele des
erhabenen Tacitus ist tief ergriffen worden. Tacitns hat in Gerech-
tigkeit, ja in Liebe geredet. Aber er hat seinen Blick mehr auf den
einen großen Mann gewandt, den er mit Recht als den Befreier
seines Volkes ansah, als auf dieses Volk selbst. Auch fällt die Be-
gebenheit vor die Zeit, deren Geschichte von Tacitus beschrieben ist.
Wie ganz anders möchte das Ereignis sich vor unser Auge stellen,
wenn wir deutsche Berichte hätten! Bei dem gänzlichen Mangel an
Nachrichten von dieser Seite aber liegt es dem Geschichtschreiber des
deutschen Volkes ob, wie eine heilige Pflicht, das, was wirklich ge-
schehen ist, scharf und genau von der Weise zu sondern, in welcher
es die römischen Schriftsteller dargestellet, von den Gründen, aus
welchen sie das Geschehene erklärt, und von dem Urtheile, mit welchem
sie es begleitet haben. Nur jenes ist Wahrheit; dieses ist eitel Irr-
thum und Trug. Einem sochen Geschichtschreiber aber stellet sich
die Begebenheit etwa in folgender Weise dar.
Nach dem Abzüge des Sentins Saturninus aus Deutschland,
im Herbste des Jahres sechs, dem Tiberius zu Hülfe wider Marobod,
hatte Quinctilius Varus den Oberbefehl über die zurückgebliebenen
Legionen und die Verwaltung der Provinz Germania erhalten. Dieser
Varus gehörte zu keinem alten, aber zu einem vornehmen Geschlechte;
vielleicht war er, wie man nach Tacitus vermuthen möchte, ein Ver-
wandter des kaiserlichen Hauses. Sein früheres Leben ist unbekannt;
nur das wird angemerket, daß er vor zwanzig Jahren Consul und
zuletzt Landpfleger in Syrien gewesen war. Es ist daher unmöglich,
über seinen sittlichen Werth ein Urtheil zu gewinnen; denn über sein
Leben und Wirken in Deutschland hat sich sein Unglück hingebreitet,
durch welches hindurch dasselbe nicht zu erkennen ist; und die Leiden-
schaft wegen vereitelter Entwürfe hat um so weniger in seinem Tode
Befriedigung gesunden, je mehr die Unmöglichkeit erkannt ward, wieder
zu gewinnen, was unter seiner Anführung verloren war. Er scheint
aber kein Mann von großen Eigenschaften oder von großen. Fehlern
gewesen zu sein; vielmehr war er, wie die römischen Geschichtschreiber
ihn hinstellen, weder ausgezeichnet im Guten noch im Schlechten. <Er
war arm nach dem reichen Syrien gekommen und hatte das arme
Syrien reich verlassen,' heißt es, aber mit mehr Witz als Wahrheit.
Geiz und Verschwendung waren in Rom gemeine Laster, und das
Aussaugen der Provinzen, von allen mit Lust geübet, galt lange nicht
mehr für eine Schande. Nur Unglück machte es zum Verbrechen.
Die Persönlichkeit des Barns also erkläret nichts; die Umstände
aber erklären alles. Deutschland nämlich war beruhiget; die Kräfte
der Völker waren gebrochen, gelähmet, gefesselt; tiefer Friede herrschte
überall. Zwischen Deutschen und Römern bestand ein freundlicher
Verkehr; römische Sitte und Sprache hatte Eingang gefunden, und
die Deutschen bezeugten Verlangen nach höherer Bildung und feineren
Künsten. So nur konnte Sentius Saturninus bei seinem Abzüge die
Lage der Dinge darstellen, und nach dieser Darstellung mußte man in
Rom alles reis halten für die Einführung einer völligen Provinzial-
verwaltung, des römischen Rechtes und der römischen Gerichte. Der
neue Statthalter Quinctilius Varus erhielt daher den Befehl, diese
Einführung zu bewirken: es ist nicht wahrscheinlich, daß er diesen Ge-
danken willkürlich und ohne Zustimmung des Augustus verfolget habe.
Um ihm aber die Vollziehung der Befehle möglich zu machen oder
zu erleichtern, ward ihm ein Schwarm von Sachwaltern und Ge-
schäftsleuten aller Art gegeben, den er mit sich an den Rhein nahm.
Er selbst, Varus, ein vielerfahrener Mann, jedoch den Unterschied
zwischen dem alten abgelebten Volke der Syrer und dem frischen,
kräftig aufstrebenden Stamme der Deutschen nicht gewahrend, be-
handelte die große Aufgabe wie ein gewöhnliches Geschäft, mit Zu-
versicht, mit Gleichgültigkeit, mit kalter, verachtender Ruhe, auf nichts
sinnend, als wie er die unangenehme Sache sobald als möglich
vollenden könne. Daher sein Eifer ohne Theilnahme. Die gewöhn-
liche Vorsicht jedoch, die der Dienst forderte, vernachlässigte er nicht.
Zwei Legionen ließ er unter seinem Neffen, dem Legaten Asprenas,
am Rheine, zur Beobachtung und zu freier Verfügung. Mit drei
Legionen, den schönsten, stärksten und geübtesten, die Rom hatte, mit
sechs Cohorten, drei Geschwadern Reiterei und einer Menge Hülfs-
truppen der gallischen Völker, im ganzen mit einem Heere von mehr
als funfzigtausend Mann, gieng er vom Rhein an der Lippe hinauf
in das Innere Deutschlands, mitten in die deutschen Völker hinein;
einen Theil dieser Truppen mag er auch schon in Deutschland ge-
funden haben. Überall herrschte tiefe Ruhe. Er glaubte daher nicht,
wie bisher geschehen war, nur einen drohenden Zug durch die Gauen
des Landes machen, die Festungen besuchen und versorgen und etwa
301
die Besatzungen erneuern und verstärken zu müssen und alsdann
wieder zum Rheine zurückzukehren, sondern es schien ihm förderlicher
und nicht zu gewagt, auf dem linken User der Weser, im Lande der
Cherusker, ein Standlager zu beziehen. Dieses Standlager, vielleicht
nach Art einer Stadt erbauet, wurde der Mittelpunkt aller Unter-
nehmungen, alles Getreides, alles Verkehres, aller Geschäfte. Zu
demselben begaben sich die Fürsten der deutschen Völker, und wohl
auch mit kriegerischen Scharen, zu demselben jeder, der zu bitten oder
zu klagen hatte; in demselben war Markt, Tausch und Handel.
Varus selbst, in der Mitte dieser geräuschvollen Welt, umgeben von
dem Glanze der Waffen seiner schönen Legionen, erschien in fürst-
licher Herrlichkeit. Er sandte seine Befehle zu den deutschen Völkern,
schrieb Steuern aus und Lieferungen jeglicher An, und kleine Abthei-
lungen seines Heeres, hierhin gesendet und dorthin, gaben den Vor-
schriften Nachdruck und sorgten für Ordnung und Sicherheit der Wege.
Auch saß er, Varus, dem Prätor am Markt in Nom gleich, zu Ge-
richte, ließ die Angelegenheiten deutscher Männer, ihre Streitigkeiten
unter einander, ihre Zwiste mit römischen Soldaten oder Kaufleuten,
von gelehrten Sachwaltern in lateinischer Sprache führen, entschied
nach fremdem, nach römischem Rechte, wie gegen Unterworfene und
Sklaven, und ließ den Richterspruch, unbegreiflich für die Deutschen
in seinen Gründen, unerhört in seinem Wesen, mit aller Strenge
vollziehen. Also sah der Deutsche, was er nie gesehen hatte, den
blutigen Rücken freier Männer; er sah ihn wund gegeiselt durch
römische Gerichtsdiener. Auch sah er das nicht minder Unerhörte:
die Köpfe deutscher Männer fielen unter römischen Beilen.
Alles dieses war nicht etwa Muthwille, Härte, Grausamkeit:
nein, es war das Recht, cs war die Ordnung, es war der Ge-
schäftsgang. Dem Deutschen aber mußte es ein unaussprechlicher
Greuel sein. Er, der keine Auflagen kannte, sah sich willkürlichen
Besteuerungen unterworfen; er, der sich nur nach eigenem Willen zu
Recht stellete, sah sich ergriffen und schändlichen Ruthenstreichen
bloß gestellet; er, der selbst keinen Sklaven zum Tode verurtheilte,
sah seinen Bruder gemordet von den Dienern einer fremden Gewalt.
Auch fehlte es, neben,, diesem gesetzlichen Verfahren, gewiß nicht an
Betrug, an Hohn, an Übermuth und Mishandlungen. Selbst in der
Hütte seines Feldes war der freie Mann nicht mehr sicher mit den
Seinigen; denn die kleinen Scharen römischer Soldaten, die das Land
durchstrichen, mochten oft in seinem Gehöfte einbrechen, Unbilliges
fordernd, mit Unverschämtheit nehmend, was ihnen gelüstete, und
anderen Frevel verübend. Inzwischen rostete das Schwert, vormals
des Mannes Schmuck und Stolz; die Schlachtrosse standen thatlos
und trauerten, und der Heldengesang, das Gedächtnis früherer Thaten,
ein Aufreiz zu neuen, war verklungen vor dem unverständlichen Gelärm
des Sklavenmarktes.
Drei Jahre lang dauerte dieser Greuel. Es mag sein, daß
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gemeine Seelen unempfindlich geblieben sind und mit starrer Gleich-
gültigkeit in den Jammer hinein geblicket haben. Es mag auch sein,
daß andere mehr und mehr versunken sind in die frühere Bethö-
rung und, verblendet von der Truggestalt einer höheren Bildung, ge-
reizet von den feinen Genüssen bei dem Mahle des römischen Feld-
herrn, oder verlocket durch den Schmuck römischer Ehrenzeichen, das
Unglück nicht erkannt und nicht gefühlet haben, das über das alte
freie Vaterland hereinbrach. Aber ein heiliger Schmerz über den
heillosen Frevel, desto bitterer, je ängstlicher man ihn zu verbergen
suchte, mußte jedes edlere Gemüth ergreifen. Er mußte die höchsten
und kühnsten Entschlüsse erzeugen. Die ganze Masse des Volkes,
verstöret in seinem Leben, mishandelt in seinen Gefühlen, mußte den
grimmigsten Zorn empfinden und so geneigt als fähig werden zu
jeglicher That und zu jeglichem Opfer. Aber wo war Licht zu finden
in solcher Nacht? wo Trost in solchem Jammer?
Unter den Männern, welche das ganze Gewicht des Unglückes
fühlten, das auf ihrem Vaterlande lag, stand ein Jüngling, Armin
genannt, bei weitem am höchsten. Denn er wußte selbst in so
schweren Zeiten das Vertrauen seines Volkes zu gewinnen; er verlor
unter den schrecklichsten Verhältnissen, umgeben von Treulosigkeit und
Verrath, nicht den Glauben an sein Volk; er behielt die Besonnenheit,
um die Gelegenheit zu ersehen und zu benutzen; er wankte nicht im
Augenblicke der Entscheidung, gab der Masse eine Seele und führcte
mit eisernem Willen, ungebeuget durch eigenes ungeheueres Misgeschick,
mit Geist und Verstand glücklich hinaus, was in Verzweiflung be-
gonnen war. Dadurch ist er seines Volkes Hort und Heil, Retter
und Gründer geworden.
Armin war der Sohn Segimer's, eines Fürsten der Cherusker,
dessen Land, wie es scheint, auf dem rechten Ufer der Weser, nord-
westlich vom Harze, lag. Als er an die Spitze seines Volkes trat,
war er fünfundzwanzig Jahre alt. Die Schönheit seiner Gestalt, die
Stärke seines Armes, die Schärfe seiner Sinne, die Schnelligkeit
seines Verstandes haben auch die Feinde gerühmet; sie haben aner-
kannt, daß das Feuer des Geistes sein Auge beseelet, seine Züge
belebet habe. Aus seinem früheren Leben aber ist uns nichts ein-
zelnes berichtet. Er war längere Zeit im römischen Kriegsdienste ge-
wesen, vielleicht während der Unternehmung des Tiberius. Im Lager
des Varus hielk er sich auf, als einer von den Anführern der Hülfs-
trnppen, welche die Cherusker zu stellen verpflichtet waren. Die
Römer hatten ihn mit dem Bürgerrechte beehret und mit der ritter-
lichen Würde. Varus zog ihn allen vor und mit ihm und durch ihn
auch seinen Vater Segimer. Es war die Achtung, welche Geist,
Rüstigkeit, Gewandtheit immer finden. In diesem Jünglinge verschwand
der Barbar vor den Römern; sie sahen nur den ausgezeichneten Mann.
Von den Männern hingegen, die aus Trägheit, Eitelkeit, Ver-
blendung oder Verworrenheit entweder Gefallen fanden an Rom's
303
Anstalten und Herrschaft, oder sich doch anschlossen und zu ihnen be-
quemten, ist niemand bekannt als Segestes. Dieser war gleichfalls
ein Fürst der Cherusker und hatte seinen Sitz wahrscheinlich aus dem
linken Ufer der Weser, in dem Lande, das jetzt den Fürsten von der
Lippe gehört. Von den Römern war auch ihm die Ehre des Bürger-
rechtes ertheilet worden. Eifersüchtig aus die Vortheile, die Armin in
seiner Lage, und auf die Auszeichnung, die er bei Varus fand, bot
Segestes alles auf, den Jüngling zu verdrängen. In dem Gefühl
aber, daß er an Geist und Kraft tief unter Armin stehe, nahm er
seine Zuflucht zu dem gemeinen Mittel der Feigen, Schlechten und
Niederträchtigen jener Zeiten, zu dem Mittel der heimlichen Angeberei
und des Verdächtigens der Gesinnung. Varus jedoch mag den Grund
dieser Schleicherei erkannt haben; auch schien es ihm vielleicht der
menschlichen Natur gemäß, daß ein deutscher Mann bei dem Zustande
seines Vaterlandes nicht ohne Kummer, Angst und Schmerz bliebe.
Oder hielt er es, im stolzen Gefühle römischer Überlegenheit, Rom's
und seiner unwürdig, einzugehen auf solche Winke und Andeutungen;
und war etwa seine Seele des Mistrauens unfähig? Die Vergleichung
beider Männer, des schleichenden Segestes und des offenen Jünglings
Armin, ihr Wesen und ihr Handeln, konnte ihn nur bestärken in
seinem Glauben. Also verwarf er die Anklagen des Segestes und
erhielt dem Armin sein Vertrauen. Dennoch ist es höchst wahrscheinlich,
daß Armin endlich als ein Opfer der Eifersucht, des Neides und der
Rachgierde gefallen, und daß das Sklavenjoch auf den? deutschen
Volke gelastet haben würde für ewige Zeiten, wenn dem Segestes
vergönnet gewesen wäre, den Varus noch länger mit seinen heimlichen
Anklagen zu beschleichen und zu bestürmen. Aber die Hand jener
Weisheit, welche die Schicksale der Menschen und Völker lenket,
wendete solches Unglück ab und führte unerwartet das Ereignis herbei,
durch welches Deutschland für die große Bestimmung gerettet und er-
halten ward, die es in der Entwickelung des Lebens der Menschheit
erfüllen sollte.
Ein entferntes deutsches Volk, müde der Mishandlungcn durch
die Fremdlinge und nicht geschrecket durch die Macht der Römer,
die es in seiner Nähe nicht gesehen hatte, erhob sich zu einem Auf-
stand, erschlug die römischen Dränger in seiner Mitte und zerriß das
Netz der Arglist und der Gewaltthat, in welchem es sich gefangen
sah. Niemand nennet den Namen dieses Volkes, niemand den Wohn-
sitz. So unwissend oder so gleichgültig waren die Römer. Indes
ist es, nach dem Gange der Ereignisse, nicht unwahrscheinlich, daß der
Ausstand weit nach Norden hin stattgefunden habe, nicht fern von
den Ufern der Weser. Varus aber wurde durch die Nachricht von
dieser Empörung desto stärker aufgeschrecket, je größer seine Sicher-
heit gewesen war. Umfang und Art nicht übersehend, auch wohl
Galliens und Pannoniens Kriege bedenkend, hielt er für nothwendig,
seine ganze Macht anzuwenden, um das Feuer zu löschen bei der
304
Entstehung. Segestes unterließ nicht, um seine Beschuldigungen
geltend zu machen, auch diesen Umstand als einen Beweis für die
schlechte Gesinnung der Deutschen hinzustellen, deren Urheber und
Pfleger Arminius sei. Varus aber durfte jetzt am wenigsten eingehen.
Deswegen vereinigte er, als ahnete er nichts, noch einmal die deutschen
Fürsten zu einem nächtlichen Mahl, um sie zu gewinnen oder zu be-
festigen, und ertheilte ihnen dann, mit scheinbarem Vertrauen, den
Befehl, ihre Scharen zu versammeln und ihm zu folgen auf seiner
Heerfahrt. Das war in der Weise, die Cäsar in Gallien befolgt
und bewähret gefunden hatte. Sie sollten unschädlich gemacht und er-
halten werden im Gehorsam des Dienstes. Sie sollten mitwirken
zur Befestung der Ketten Deutschlands. Sie sollten Zeuge sein von
der Strafe, welche empörte Völker traf. Er brach aus, wahrscheinlich
im Anfange des Monats September, neun Jahre nach Christo; die
deutschen Fürsten folgten mit ihren Hülfsscharen. Je entfernter aber
noch der Krieg war, desto weniger glaubte Varus, um keinen Schein
von Mistrauen zu geben, die Vorsicht beobachten zu müssen, welche
nur die Nähe des Feindes nothwendig macht. Die Fahrt war, wie
im Frieden, ohne strenge Ordnung: die Legionen von einander ge-
trennt, Gepäck und Gezeug, ein zahlreiches Fuhrwerk in ihrer Mitte;
auch fehlte es nicht an einer großen Menge von Weibern, Kindern,
Krämern und anderen wehrlosen Menschen, die sich im Standlager
gesammelt hatten und jetzt, das Zurückbleiben für zwecklos haltend,
theils nach Aliso giengen, theils sich dem Zuge anschlossen.
Als aber die deutschen Völker in der Nähe den Abzug des
römischen Heeres sahen und in der Ferne von demselben hörten, da
stürmte der lang verhaltene Ingrimm hervor. Ein großes Licht schlug
durch die finstere Nacht und entflammte die Herzen der Menschen.
Freiheitsgeschrei gieng von Gemeinde zu Gemeinde, Racherus von
Gau zu Gau. Ein jeder sah seine Gefahr in der Gefahr der be-
droheten Brüder. Ein Gefühl in allen führte zu einem Entschluß bei
allen. Das ganze deutsche Volk, so weit die Kunde erscholl, erhob
sich wie ein einiger Mann. Alle deutschen Völker hatten nur ein
einziges Vaterland. Überall wurden die römischen Soldaten über-
fallen, überall die römischen Bürger erschlagen; und von allen
Seiten brausete der Landsturm heran, um das römische Heer zu
umstellen, um es aufzuhalten auf seinem Zuge, um es anzugreifen,
zu vernichten und das Vaterland zu befreien. So allgemein war der
begeisternde Zorn, daß Sigismund, des Segestes Sohn, welchen der
Vater zum Dienste römischer Gottheiten am Altare der Ubier jenseit
des Rheines hingegeben hatte, auf den Ruf des Vaterlandes die
priesterliche Binde zerriß und über den Rhein eilte, um nicht zu
fehlen bei seinem Volke. Und er selbst, Segestes, blieb nicht zurück.
Der Sturm riß auch ihn fort mit seinem Volke, hinweg über seine
Verblendung, seinen Neid und seine Feindschaft gegen Armin.
Inzwischen zogen die Römer langsam und bequem ihres Weges,
305
Weser abwärts. Sie bemerkten nur die Mühseligkeit der Fahrt und
gewahrten die Kreise des Unheiles nicht, die sich mit furchtbarer Schnelle
um sie zusammenzogen. Aus die erste Nachricht von Unordnung oder
Widersetzlichkeit erließ Varus eine richterliche Ladung an die Urheber,
entweder weil er in ungeheuerer Verblendung auch jetzt noch be-
fangen war, oder, was wahrscheinlicher ist, weil er den Schein uner-
schütterlicher Zuversicht und Haltung bewahren zu müssen glaubte.
Aber die Noth wuchs, die Gefahr kam näher. Der Weg war schon
durch große Bäume gesperret; die vaterländischen Götter, das fromme
Unternehmen begünstigend, sandten Regenschauer und Sturm; die Un-
behaglichkeit, das Zittern des Leibes vermehrctc schnell die aufsteigende
Angst der Seele, und die erschütterten Gemüther wurden zugleich durch
schauerliche Erscheinungen am Himmel und auf der Erde gcquälet.
Schon kam es zwischen den deutschen Scharen, die das Heer beglei-
teten, und den Römern zu blutigen Auftritten. Die wehrlose Menge,
Weiber und Kinder, drängten sich zusammen, heulend und wehklagend,
und vergrößerte den Schrecken. Varus, die Schwierigkeit seiner Lage
nicht verkennend, versuchte noch immer die deutschen Krieger in der
alten Ergebenheit zu erhalten oder wieder zu gewinnen. Also behan-
delte er die Vorgänge wie gemeine Händel, schob die Schuld auf die
Römer, verbot diesen den Kampf und ließ diejenigen, die aus altem
Trotz oder im Drange des Augenblickes des Verbotes nicht achteten,
gefangen nehmen und bestrafen für ihre Verwegenheit. Umsonst!
Der Sturm ward stärker, die Kreise enger. Es war nicht mehr in
menschlicher Macht, den Gang der Dinge zu ändern.
In diesem Gefühle ließ Varus ein Lager errichten, um Zeit zu
gewinnen für die Ordnung des Heeres. In der Nacht verbrannte er
alles unnöthige Gepäck und Gezeug, stellte die Legionen zusammen
und befahl, was Zeit und Umstände für die Sicherheit und Rettung
zu fordern schienen. Am folgenden Morgen gieng der Zug weiter
in veränderter Richtung. Das Heer wandte sich links, um den An-
stalten der Deutschen auszuweichen, um Aliso zu erreichen und die
Straße nach dem Rhein. Eine offenere Gegend, die vor den Römern
lag, erlaubte ihnen ihre Kräfte zu entwickeln und noch einmal zu
zeigen in ihrer Herrlichkeit. Bald aber gerieth das Heer, nördlich
von den Quellen der Lippe und südlich von den Quellen der Ems,
in die Engpässe und Schluchten des Teutoburger Waldes und wurde
hineingedränget durch die Scharen der Deutschen und durch die
eigene Angst.
Unter diesen Umständen trat Armin hervor mit seinen Cherus-
kern. Voll des Gefühles, daß nach solchen Vorgängen das römische
Heer vernichtet werden mußte, und überzeugt, daß es in den Schwie-
rigkeiten, welche der Wald, welche das rauhe Wetter dem Zug ent-
gegenstellte, vernichtet werden konnte, gab er durch Geist und Kühn-
heit in Anordnung, Bewegung und Angriff den Ausschlag. Er
wurde der Feldherr, der Herzog der Deutschen aus Ost und West,
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch II. 20
306
wett er durch Entschluß und That die Augen aller auf sich zu ziehen,
aller Seelen zu gewinnen und fortzureißen verstand. Durch stete
Angriffe unter seiner Leitung aufgehalten, gedrängt und geschwächt,
durch Wald, Wind und Wetter ermüdet, vielleicht auch durch Hunger
nicht weniger erschöpft als durch die wachsende Angst, sahen die
Römer das Ende des Tages herannahen, ohne daß sie dem Ende
ihrer Noth näher gekommen wären. Sie versuchten abermals an
einer freien Stelle ein Lager zu befestigen; aber es fehlte selbst zu
einem solchen Werke der Zucht und der Gewohnheit an Kraft und
Muth. Wie tief auch das Bedürfnis gefühlt werden mochte: die Be-
festigung blieb unvollendet. Arminius jedoch griff in der Nacht das
offene Lager nicht an. Auch seine Deutschen bedurften der Ruhe;
entgehen konnte der Feind nicht, und ein nächtlicher Kampf mochte be-
denklich sein bei der Kriegsweise der Seinigen und bei dem Mangel
an Ordnung unter den aufgestürmten Massen.
Als aber am Morgen des folgenden Tages das römische Heer
aufbrach, ohne Muth und ohne Hoffnung, da begann sogleich auf
allen Seiten der geordnete Angriff. Armin, auf einer Anhöhe stehend,
wo er die Schlacht übersehen konnte, verfügte durch Wort und Wink,
durch Zuruf und Ermunterung über die Kräfte der Seinigen, um den
Stoß der Keile dahin zu lenken, wo er zum voraus die verderblichste
Wirkung sah. Ein fürchterlicher Kampf! Die Römer, in düsterer
Verzweiflung, stritten um das letzte Gut, um das Leben; die Deutschen,
in freudiger Erwartung, um das höchste Gut, um die Freiheit; beide
mit der äußersten Anstrengung, deren die menschliche Natur fähig ist.
Auf der einen Seite Angstgewimmer und Klaggeschrei; auf der anderen
Seite Schlachtgesang und Siegesgejauchze; beides vermischend das
Rauschen der Regenschauer und das Geheul des Sturmwindes!
Varus wurde verwundet. Im Schmerze der Wunde verzagend, vom
Gefühle des Unglücks übermannet, keine Möglichkeit der Rettung er-
blickend, aber den angestammten Muth zu sterben in sich bewahrend,
stieß er sich sein Schwert mit eigener Hand in die Brust, um dem
Anblicke des Jammers zu entgehen, wie der gerechten Rache sieges-
trunkener Feinde. Viele folgten diesem Beispiele der Verzweiflung;
bei den meisten vernichtete die Todesangst alle Besinnung; nur wenige
waren stark genug zu dem Entschlüsse, im Kampfe den Tod zu suchen.
Cejonius, einer der Lagerpräsecten, wollte durch Niederlegen der
Waffen das Leben erkaufen; Eggius aber, der andere Lagerpräsect,
verhütete diese Schmach. Beide fanden ihren Tod. Vala Numonius,
des Varus Legat, suchte mit der Reiterei zu entfliehen; aber auch den
Flüchtling erreichte das Verderben. Niemand entkam, als wer durch
Zufall das Geschick vermied. Zuletzt ließ sich die Menge, ihrer
Führer beraubt, durch die Anstrengung und die lange Angst gleich-
gültig gegen Leben und Tod, ohne allen Widerstand niederschlagen.
Nun endlich, als keine feindliche Waffe mehr gesehen wurde, hörte
das Gewürge auf, und die Wehrlosen wurden gefangen genommen.
4
307
Über dem blutigen Gefilde aber erhob sich ein unendliches Siegesge-
schrei der begeisterten Krieger, ein Dank den Schutzgöttern des Vater-
landes, für die Väter und Frauen ein Zeichen der wiedergewonnenen
Freiheit!
Das sind die Ereignisse der Schlacht im Teutoburger Walde,
groß und herrlich in Ursprung und Art, weil sie begründet waren in
dem Wesen der menschlichen Natur, begreiflich für den menschlichen
Verstand in ihrer Entwickelung, ehrenvoll für die Deutschen, ohne
Schande für die römischen Männer, die mit ihrem Leben frühere
Sünden gebüßt haben und als Opfer unglückseliger Verhältnisse ge-
fallen sind. Die alten Schriftsteller aber haben, indem sie diese
Thatsachen erzählen, denselben eine Deutung mitgegeben, welche alle
menschlichen Gefühle beleidigt und alle Vorstellungen verwirrt, ohne Ehre
für die Römer, voll schmählicher Anklagen gegen die Deutschen.
Der größte Geschichtschreiber der Römer indes, Tacitus, dessen erha-
bene Seele immer da ist, wo sich die Wahrheit findet und das Recht,
drängt sein Urtheil über die Entscheidung im Teutoburger Walde
in die wenigen Worte zusammen: <Varus fiel durch das Schicksal
und durch die Macht Armin's,' und in diesem Urtheil erscheinet der
Sieg in der ganzen Reinheit, in welcher er errungen ward.
Nachdem er aber errungen war, dieser Sieg, und die Deutschen
aus dem leichenbedeckten Schlachtselde noch viele ihrer Dränger und
Peiniger am Leben sahen, während Väter, Brüder, Freunde gefallen
waren: da mögen sie, berauschet vom Gefühle der Freiheit, entbrannt
von der Wuth des langen Kampfes, eingedenk der erduldeten Mis-
handlungen, einzelne Greuel verübt, einzelne Grausamkeiten begangen
haben. Es ist schwer, den Werth der Nachrichten von diesen Vor-
gängen zu beurtheilen. Groß ist er nicht. Sie rühren, wie Tacitus
mit Bestilnmtheit erklärt, von den römischen Soldaten her, welche
durch Zufall im Getümmel der Schlacht entkommen oder sich später
aus der Gefangenschaft befreiet hatten. Diese Menschen hatten die
Todesangst in der Seele gehabt; auch suchten sie die Gräßlichkeit
ihrer Lage auf das furchtbarste darzustellen. Sie waren nicht unbe-
fangene, nicht unparteiische Zeugen und haben ohne Zweifel dem
ganzen siegreichen Volk als wilde Wuth die Rache zugeschrieben,
welche einzelne deutsche Männer an einzelnen Römern für Raub,
Blut, Brand, für die Schändung ihrer Ehre und Sitte oder für
anderen Frevel vielleicht genommen haben. So sind einige nieder-
gestoßen, einige aufgeknüpft, und andere haben ihre Missethaten durch
andere Mishandlungen gebüßet. Ein gerechter Schmerz über das
Unglück machte auch einzelne Römer unbändig. Caldus Cölius ward
in Ketten geleget, von eines alten Geschlechtes Ehre mit Stolz erfüllt;
er aber ergriff die Ketten und schlug sich den Schädel ein. Ähnliche
Thaten mögen den Zorn deutscher Männer und Jünglinge gereizet
haben. Am größten jedoch war ihre Wuth nicht gegen die Krieger,
sondern gegen die Geschäftsleute und vor allen gegen die Sachwalter,
20*
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welche das vaterländische Recht zu verdrehen, zu verderben, zu ver-
nichten gesucht und mit geläufiger Zunge deutsche Männer nach
römischen Gesetzen angeklaget, vertheidiget und zu unerhörten Strafen,
zu Ruthenstreichen und zum Tode gebracht hatten. Einigen
dieser Sachwalter sollen, wie erzählt wird, die Augen ausgerissen,
anderen die Hände abgehauen sein. Einem derselben schnitt ein
deutscher Krieger die Zunge aus, verschloß ihm den Mund und rief
in gräßlichem Scherz: <Jetzt, Natter, höre auf zu zischen!' Das aber
war eine einzelne Handlung, vielleicht hervorgehend aus dem tiefsten
Gefühle schändlicher Ungerechtigkeit, die ihm von diesem Römer wider-
fahren war. Möglich ist auch, daß, wie Tacitus berichtet, einige
der vornehmsten Gefangenen, Oberste und Hauptleute, an Altären in
benachbarten Hainen den vaterländischen Gottheiten geopfert sind.
Vielleicht geschah dieses nach einem alten heiligen Brauch und darf
daher nicht besonders beurtheilet werden. Das aber leidet keinen
Zweifel, daß die meisten Römer, die in die Hand der Deutschen
fielen, geschont und als Gefangene hinweggeführet sind mit der übri-
gen Beute. Die Gefühle der Menschheit verbürgen es; der eigene
Vortheil trieb dazu an. Auch hat Tacitus in Erfahrung gebracht,
daß sie Gefangene zu schätzen wußten; Seneca bezeuget ausdrücklich,
daß gar viele Römer, im höchsten Glanze geboren und im Kriegs-
dienste die Würde des Senators erstrebend, durch die Niederlage des
Varus hinabgedrücket worden bis zum Hirten, bis zu anderen Skla-
vendiensten; und Dio Cassius berichtet, daß manche losgekauft seien
aus der Gefangenschaft. Auch wurden vierzig Jahre später noch
Gefangene am Leben gefunden.
Den Adler einer Legion hatte der Träger vom Schafte los-
gebrochen, hatte denselben in seinem Gürtel verborgen und sich in
einen Sumpf gestürzet, um mit ihm die Ehre der Legion zu retten.
Die Adler der beiden anderen Legionen waren in die Hand der Sie-
ger gefallen. Mit denselben trieben die deutschen Jünglinge ihr
Spiel. Die glänzenden Vögel hatten ihre Furchtbarkeit verloren, und
es erregte den Muthwillen der Jugend, sie in ihrer Erniedrigung zu
sehen. Die erbeuteten Fahnen wurden aufgehängt in heiligen Hainen.
Köpfe der Gefallenen oder Geopferten wurden um das Schlachtfeld
ringsher an Baumstämme befestiget; die Leichname der erschlagenen
Menschen ließ man unbeerdiget liegen, damit der Ort ein Greuel sein
sollte für ewige Zeiten.
Als aber das erste Getümmel vorüber war und die Ausbrüche
der Leidenschaft, der Wuth und der Rache, der Freude und des Ent-
zückens, im Rausche des Sieges zügellos, ausgetobet hatten: da erhob
Armin seine Stimme unter den Männern der Freiheit. Wie im
Augenblicke der Noth Führer, so ward er im Augenblicke des Sieges
der Sprecher seines Volkes. Was gewonnen war, sollte erhalten
werden. Cherusker und Brukterer, Marsen und Chatten hatten den
großen Kamps gemeinschaftlich gekämpft. Aber das Gefühl des Vater-
landes allein, unwiderstehlich in der Angst und der Gefahr, hatte
diese und andere Völker ergriffen und wie ein blindes Ungefähr zu-
sammengeführet. Nichts war erreichet, wenn jetzt jedes Volk, wenn
jeder Krieger seines Weges zog, um sich in der Stille der Beute zu
erfreuen, oder die Leibeigenen unterzubringen, welche ihm der Kampf
gegeben hatte. Was durch Zufall entstanden war, mußte durch Ver-
stand erhalten werden. In diesem Sinne sprach Armin über den
Leichen der erschlagenen Feinde, in der großen und schönen Stunde
des Sieges, vom deutschen Volk und vom deutschen Vaterlande. Und
er fand offene Ohren und empfängliche Seelen. Also ward er jetzt
der Stifter einer großen Bundesgenossenschaft für gemeinsame Ver-
theidigung gegen den gemeinsamen Feind, der nach solcher Schmach
doppelt zu fürchten war. Er selbst, Armin, 'warb das Haupt dieses
Bundes, weil er im Kampfe den Preis des höchsten Ruhmes gewon-
nen hatte und mit dem größten Geiste die Menschen und die Ver-
hältnisse beherrschte. Durch diesen Geist aber giengen, scheint es,
unter solchen Umständen erhabene Gedanken. Vor denselben stellte
sich das Vaterland in dem ganzen Umfange deutscher Völker und
deutscher Sprache. Des Varus Leiche war von seinen Kriegern ein-
gescharret, weil es zur Verbrennung an Zeit gefehlet hatte. Armin
ließ sie ausgraben, ließ den Kopf vom Leibe trennen und sandte ihn
an Marobod. An diesem Zeichen sollte Marobod erkennen, daß, wenn
er durch seine furchtbar drohende Stellung mit thatloser Macht den
deutschen Namen im Süden des Vaterlandes unbefleckt erhalten habe,
jetzt auch im Norden durch Kampf und Sieg jeder Fleck hinweg ge-
waschen sei; daß Ruhm und Macht hier wie dort groß sei, und daß
fortan in Einem Sinn, in Einem Verbündnis gehandelt werden müsse.
Wir wissen nicht, was Armin dem Marobod gesaget, wir wissen nicht,
was Marobod dem Armin geantwortet hat. Aber verstanden wurde
die Sendung. Marobod ließ den Kopf des Varus an Tiberius ge-
langen. Die Römer mochten erkennen, es bestehe von der Donau
bis zum Meere ein einziger großer deutscher Völkerbund.
211.
Deutscher Trost.
Von Arndt.
Gedichte. Leipzig 1840. S. 241. - 2. Aufl. 1843. S. 237. — Bergl. Katechismus 1813. S. 123.
Deutsches Herz, verzage nicht,
Thu, waö dein Gewissen spricht,
Dieser Strahl des Himmelslichts:
Thue Recht und fürchte nichts.
Doch die Treue ehrenfest
Und die Liebe, die nicht läßt,
Einfalt, Demuth, Redlichkeit
Stehn dir wohl, du Sohn vom Teut.
Baue nicht auf bunten Schein,
Lug und Trug sind dir zu fein,
Schlecht geräth dir List und Kunst,
Feinheit wird dir eitel Dunst.
Wohl steht dir das grade Wort,
Wohl der Speer, der grade bohrt,
Wohl das Schwert, das offen ficht
Und von vorn die SQruft durchsticht.
310
Laß den Welschen Meuchelei,
Du sei redlich, fromm und frei;
Laß den Welschen Sklavenzier,
Schlichte Treue sei mit dir!
Deutsche Freiheit, deutscher Gott,
Deutscher Glaube ohne Spott,
Deutsches Herz und deutscher Stahl
Sind vier Helden allzumal.
Diese stehn wie Felsenburg,
Diese fechten alles durch,
Diese halten tapfer aus
In Gefahr und Todesbraus.
Drum, o Herz, verzage nicht,
Thu, was dein Gewissen spricht,
Redlich folge seiner Spur,
Redlich hält es seinen Schwur.
212.
Die drei Gesellen.
Bon Rückert.
Ges. Gedichte, m. 2. Hufs. Erlangen 1839. S. 390. - Auswahl b. Verf. Franks- a. M. 1851.
11. Aufl. 1858. I, 127. - 14. Aufl. 1865. S. 193. — 17. Aufl. 1872. S. 193.
Es waren drei Gesellen,
Die stritten wider'n Feind
Und thäten stets sich stellen
In jedem Kampf vereint.
Der ein' ein Österreicher,
Der andr' ein Preuße hieß,
Davon sein Land mit gleicher
Gewalt ein jeder pries.
Woher war denn der dritte?
Nicht her von Östreichs Flur,
Auch nicht von Preußens Sitte,
Von Deutschland war er nur.
Und als die drei einst wieder
Standen im Kampf vereint,
Da warf in ihre Glieder
Kartätschensaat der Feind.
Da fielen alle dreie
Auf einen Schlag zugleich;
Der eine rief mit Schreie:
'Hoch lebe Österreich!'
Der andre, sich entfärbend,
Rief: 'Preußen lebe hoch!'
Der dritte, ruhig sterbend,
Was rief der dritte doch?
Er rief: 'Deutschland soll leben!'
Da hörten es die zwei,
Wie rechts und links daneben
Sie sanken nah dabei;
Da richteten im Sinken
Sich beide nach ihm hin,
Zur Rechten und zur Linken,
Und lehnten sich au ihn.
Da rief der in der Mitten
Noch einmal: 'Deutschland hoch!'
Und beide mit dem dritten
Riefen's, und lauter noch.
Da gieng ein Todesengel
Im Kampfgewühl vorbei,
Mit einem Palmenstengel,
Und liegen sah die drei.
Er sah auf ihrem Munde
Die Spur des Wortes noch,
Wie sie im Todesbunde
Gerufen: 'Deutschland hoch!'
Da schlug er seine Flügel
Um alle drei zugleich
Und trug zum höchsten Hügel
Sie auf in Gottes Reich.
311
213.
Des deutschen Knaben Tischgebet.
Bon Karl Gerok.
Daheim VII. Jahrgang. Leipzig 1871. Nr. 19. S. 304. — Lieder zu Schutz und Trutz. Berlin
1870 u. 71. 11. Lief. S. 50.
^as war einmal ein Jubeltag!
Bei Sedan fiel der große Schlag:
Mac Mahon war ins Garn gegangen,
Der Kaiser und sein Heer gefangen,
Und blitzschnell flog die Siegespost
Am Draht nach Süd und Nord und Ost.
Da gab's ein Jubeln ohne Maßen,
Von Flaggen wogten alle Straßen,
Vieltausendstimmig scholl Hurrah;
Und waren noch Kanonen da,
So schoß man auch Victoria.
Doch jedenfalls die Wacht am Rhein
Ward angestimmt von Groß und Klein,
Denn auch durch der Unmünd'gen Mund
Wird Gottes Lob von Alters kund.
Und einer von den kleinen Jungen
Der hat am laut'sten mitgesungen:
Die bunte Mütze auf dem Ohr,
Die Höslein flott im Stiefelrohr,
Marschiert er wacker mit im Chor,
Betheiligt sich den Morgen lang
An jedem Schrei und jedem Sang;
So wichtig nahm'S der kleine Wicht,
Als gieng's ohn' ihn entschieden nicht,
War so mit Leib und Seel' dabei,
Als ob er selbst die Rheinwacht sei,
Hat drum den Glockenschlag vergessen
Und kam zu spät zum Mittagessen.
Mit heißen Wangen, rothem Kopf,
Mit offner Brust, verwehtem Schopf
Erscheint er endlich siegesmatt —
Die andern waren halb schon satt —
Grüßt obenhin, setzt sich zu Tisch
Und greift nach seinem Löffel frisch.
Jedoch der biedre Vater spricht:
'Fritz, ungebetet ißt man nicht!'
Worauf mein Fritz vom Stuhl ersteht,
Die Hände faltet zum Gebet,
Und weil sein Kopf noch stark zerstreut,
Giebt's, wie der Geist ihm just gebeut,
Spricht: 'Lieber Gott, magst ruhig
sein,
Fest steht und treu die Wacht am
Rhein.
Amen.'
214.
Klagelied eines Gymnasiallehrers.
Bon Sturm.
Über Land und Meer. Bd. XIX. Nr. 13. (December 1867.) S. 209.
Vom Haupte fallen mir die Haare,
Nicht weil der Kummer an mir nagt',
Nur weil mich nun schon an zwölf Jahre
Die leid'ge Langeweile plagt;
Denn rastlos dreh' ich mich herum
Um Cäsar'« dollum GaUiouw.
Die Knaben wechseln auf den Bänken,
Die Glücklichen! sie rücken fort!
Ich blieb . . . Nachrückende zu tränken
Mit Cäsar's That und Cäsar's Wort,
Und les mit ihnen wiederum
Das leid'ge bellum Gallieuw.
Ich wollt' ihn ehren, loben, lieben,
Den Helden, der die Welt umspannt,
Hätt' er nur nicht auch selbst beschrieben
Die Wunderthaten seiner Hand ...
So aber dreht mein Herz sich um,
Denk' ich an bellum Oallioum.
Den Livius wollt' ich gern erklären
Und lieber noch den Tacitus,
Auch würden Freude mir gewähren
Virgilius und Horatius,
Selbst Kikero nähm' ich nicht krumm. . .
Nur nicht mehr bellum Gallicum!
Doch ach, was helfen meine Klagen?
Es achtet niemand meiner Noth!
Bald werdet ihr zur Gruft mich tragen;
Und fragt man: 'Was gab ihm den Tod?'
Dann sprecht: 'Mitleid'geS Publikum,
Der starb am bellum Gallicum!’
312
215.
Die Husjiten und die Kinder von Naumburg.
Bon Adolf Stöber.
Manuscript des.Dichters. — Vergl. Gruppe's Musenalmanach f. 1854. S. 44.
Hilf Himmel, die Hussiten
Sind vor den Thoren draus,
Die grimmen Taboriten,
Der Lande Schreck und Graus!
Wie rasselt und wie streitet
Die Trommel wild und grell;
Von Ziska's Haut bereitet,
Wie schrillt das Trommelfell!
Der Blinde hat's geboten,
Als ihn die Pest gerafft;
Noch schreckt die Haut des Todten
Den Feind gespensterhaft.
Der Kelch dort auf der Fahne
Will füllen sich mit Blut;
Entfacht vom rothen Hahne,
Soll sprühn des Brandes Glut.
Ihr Bischof einst verdammte
Zum Feuertod den Hus:
Dafür nun die entflammte
Stadt Naumburg büßen muß.
Procopius hat's geschworen,
Das Taboritenhaupt,
Und stürmend an den Thoren
Sein Volk nach Rache schnaubt.
Was thun die Bürger drinnen?
Vor Schrecken fast erbleicht,
Rathschlägen sie und sinnen,
Wie man den Feind erweicht.
Da sind sie eins geworden:
Die Kindlein sollen gehn,
Die rauhen Kriegerhorden
Um Gnade anzuflehn.
Wie Opferlämmchen schmücken
Die Mütter sie voll Schmerz
Und segnen sie und drücken
Sie weinend an ihr Herz.
Mit weißer Fahne schreitet
Zum Thore, Paar an Paar,
Der Kinderzug, geleitet
Von treuer Schützenschar.
Doch besser als die Schützen
Deckt sie der Mütter Flehn,
Daß Engel sie beschützen
Und ihnen Sieg erstehn.
In weißen Sterbgewändchen
Gar stille ziehn sie hin
Und tragen in den Händchen
Citron' und Rosmarin.
Und wie sie zitternd stehen
Nun vor dem Schreckensmann,
'Ach Gnade, Gnade!' flehen
Die Stimmchen all' ihn an.
Sie knieen vor ihm nieder
Und weinen überlaut
Und schluchzen immer wieder,
Bis ihm das Auge thaut.
Der Feldherr schaut bezwungen
Nach seinen Kriegern um:
Der Schlachtruf ist verklungen,
Die Nachbegierde stumm.
Da ladet er zum Feste
Die Kinder freundlich ein
Und labt die kleinen Gäste
Mit Kirschen, Brot und Wein.
Er läßt die Hörner blasen
Zum Pfeif- und Cymbelnklang;
Da springen sie den Rasen
In frohem Tanz entlang.
Sie tanzen wohl den Reigen
Zur böhmischen Musik,
Bis sich die Schatten neigen
Beim letzten Sonnenblick.
Da schickt er sie zurücke:
'Kommt ihr dem Thore nah,
So jubelt auf der Brücke,
So jauchzt Victoria!
'Den Müttern sagt's: noch heute
Zieht weiter der Hussit
Und nimmt von euch zur Beute
Auch nicht ein Hühnchen mit.'
Und wie der Zug der Kleinen
Im Sieg verläßt das Feld,
Spricht sinnend zu den Seinen
Der Taboritcnheld:
'Wir sind besiegt zur Stunde,
Doch ohne Männerschlacht;
Aus kleiner Kinder Munde
Schafft Gott sich eine Macht.'
Der Winterschlaf.
Von H. Neumann.
Gesammelte Dichtungen. Neisse 1856. S- 151.
verschneit liegt Straße, Dorf und Grund,
Vor Kälte heult der Wächterhund,
Weiß flimmert's in dem Sternenlicht.
Wohin, du armes Kind, so spät?
Der Schnee liegt hoch, der Nordwind weht
Und peitscht dein zartes Angesicht.
Das Mädchen müht sich, wie es kann,
Es strebt dem Sturme muthig an
Und suchet die verwehte Spur;
Da singt's ihm leis bei jedem Schritt,
Wie Geisterstimmen zieht es mit:
Muh aus, ruh aus, ein wenig nur!'
Darf ruhen nicht; im fernen Wald
Harrt ja die Mutter, schwach und alt.
Der bring' ich gute Arzenei.' —
Wist müd' und matt von Frost und Wind,
Ruh aus, ruh aus, du liebes Kind,
Ein wenig nur, dann ist's vorbei!'
Es singt so süß, es lockt so sehr,
Dem Mädchen wird der Gang so schwer,
Es sitzet nieder auf den Grund.
Wist müd' und matt von Frost und Wind,
Schlaf ein, schlaf ein, du liebes Kind,
Ein wenig Schlaf macht dich gesund!'
Darf schlafen nicht; im fernen Wald
Harrt ja die Mutter, schwach und alt,
Der bring' ich Brot und guten Wein.'
Da singt es süßer, singt's so laut:
Du liebes Kind, so gut und traut,
Kannst nicht mehr laufen; schlafe ein!
<Schau her, dein Bettlein ist gemacht.
O welche Lust, o welche Pracht!
Die Linnen sind so weiß und fein.
Die Daunen sind so weich und rein;
Wie süß muß da zu träumen sein!
Wir wiegen dich; schlaf ein, schlaf ein!'
Das Mädchen senkt das Haupt hinab,
Sein Körbchen fällt, es fällt sein Stab;
Wie liegt es hold im weißen Schnee!
Und leiser, immer leiser singt's,
Und süßer, immer süßer klingt's —
Du liebes Kind, Ade, Ade!
l
217.
Pater Crescentius.
Von Wolfg. Müller v. K.
Lorelei. Köln 1851. - 2. Aufl. 185?. S. 185. - 4. Anst. Leipzig 1873. S. 129.
1.
Der Pfaffe an Sanct Rochus Kapelle,
Das war ein wunderlicher Geselle.
Es hieß Crescentius der Pater,
Er war im Gau der beste Confrater.
Im Glauben stand er fest wie Eisen,
Sanct Peter kann sich nicht fester erweisen,
Doch liebt' er nach Vesper und nach Messen
Trinkbarm Wein und gutes Essen;
Er liebte, war das Brevier gelesen,
Späße und Lieder und heitres Wesen.
So war er im Rheingau wohlgelitten
Ob seinen tugendreichen Sitten.
Man sah ihn oft auf Strom und Pfaden,
Denn allwärts war er als Gast geladen.
Heut saß er beim Bürgermeister zu Bingen.
Da gieng es zu mit lustigen Dingen:
Da strotzten recht von Speisen die Tische,
Da gab es Braten, Wein und Fische,
Da gab es schmackhaft saftig Geflügel,
Da gab's vom Scharlachberger Hügel
Den düftevollsten, herrlichsten Wein.
Crescentius mundete alles gar fein.
Er aß, als äß' er für ihrer drei,
Und war von der besten Laune dabei.
Doch endlich ward es ihm zu viel,
Er merkte, es war sein Magen am Ziel,
Und sprach zu den fröhlichen Tischgenossen:
'Jetzt bin ich fertig, jetzt hab' ich geschlossen!'
Doch sieh, da bot sich am Tafelschluß
Unvorgesehen ein feiner Genuß:
Da kam noch indisches Confect
Und griechischer und spanischer Sect.
Der Pater vergaß, was er gesagt,
Und aß und trank wieder unverzagt,
Er griff in die süßen Schüsseln hinein
Und schlürfte den Leres- und Cyperwein.
Da riefen rings die Tisch gen offen:
'Herr Pater, wir meinten, Ihr hättet geschloffen!'
Er aber erwidert drauf in Ruh:
'Ihr habt ganz Recht, das Haus ist zu,
Doch gehn solche Kleinigkeiten noch
Ganz fügsam durch das Schlüsselloch!' —
Da lachten die Gäste rings im Kreise,
Das war so des Rochuspfaffen Weisel
2.
Es fuhr hinüber der bärtige Ferge
Den Pater zum Johannisberge.
Die Mönche liebten seine Schwänke
Und reichten ihm sonst ihr gut Getränke.
Doch heute, als wär' er ein blinder Ketzer,
Gab's eine Flasche sauren Krätzer.
315
Die Mönche sahen sich kichernd an;
Doch als Crescenz einen Schluck gethan,
Da kam ihm das Wasier in die Augen,
Er kniff die Lippen, der Wein that nicht taugen
Dann aber sprach er frisch und heiter:
Vonu8 vinus!' und trank nicht weiter. —
Da heischte der Abt eine beßre Sort'.
Der Kellermeister lief hurtig fort
Und brachte wirklich ein ander Kraut,
In wärmerm Sonnenschein ausgebraut.
Der Pater schlürfte mit tieferm Zug,
Doch war der Wein nicht heiß genug
Für guten, echten Johannisberger —
War höchstens Ordinariusberger.
Von seinen Lippen setzt' er das Glas:
‘Vinum bonus,’ sprach er, ‘ist das.' —
Da rief der Abt: ‘Nun bringt vom besten,
Der Pater gehört zu den liebsten Gästen!'
Goldsiegel holte der Kellermeister;
Er löste den Pfropfen — da flogen die Geister
Selig entfesselt durch die Luft,
Es ward der Saal erfüllt vom Duft.
Was unter den Kirchen der Kölner Dom,
Ist unter den Weinblumen dies Arom.
Crescenz, der heitre, trank und trank
Mit selig verklärten Augen lang,
Er schnalzte mit der Zunge köstlich,
Ohnmaßen war der Trank ihm tröstlich.
Und als er geleert den liefen Becher,
‘Vinum donum!' rief da der Zecher.
Er rief es mit Begeistrung aus.
Da scholl ein Lachen durch das Haus.
Die Mönche drangen auf ihn ein:
‘Was war das für ein seltsam Latein?'
Er aber meinte: ‘Ei, ei, ihr Hetzer!
Was botet ihr meinem Mund auch Krätzer?
Was gebt ihr mir Ordinariusberger?
Mir ziemet echter Johannisberger!
Meine Nase ist gut, meine Zunge fein,
Drum wie der Wein, so ist das Latein!' —
Da schütteln die Mönche sich in der Runde,
Sie scherzten noch oft der lustigen Stunde.
War Pater Crescenz von ihren Gästen,
Sie schenkten ihm fürder stets vom besten.
218.
Bh) Iöching Pasels wat büsi du sör'n Esel!
Von Reuter.
Läuschen un RimetS. Bd. II. 7. Aufl. WiSmar 1867. S. 86. — 8. Aufl. 1869. S. 86.
De Leutnant von Karfunkelstein,
De kümmt tau Hus, dünn liggt dor ein
Jnladungskort up sinen Arbeitsdisch
— So würd de Disch gewöhnlich heilen,
Wil doran drunken würd un eten
316
litt af un an ok spelt en beten
Mit Rechtsch un Linksch; doch dat dürwt keiner weiten
Kort, up den Lisch dor liggt de Kort,
Un as hei f nimmt un fit besüht,
Hadd hei binah vor Arger rohrt: i)
Dit schöne Middageten hüt! —
De gncd'ge Fru von Diamant
Was in de ganze Stadt bekannt,
Dat sei am besten ded tractieren;
Un in 'ne Stun'n füll hei marschieren!
Un dortau was — 'nein, wie infam!' —
De Witwe ok sin Herzendam.
Hei hadd so girn hüt bi ehr seien,
An ehr Gerichten satt sik eten,
Denn heites Hart 2) un hungrig Magen,
De seien bi em dicht tausam! —
Un 't was ok würklich ganz infam! —
Doch dor helpt nicks, dor helpt kein Klagen,
Hei müßt marschieren, dat müßt sin.
Hei röppt nu sinen Burßen 'rin
Ün fcgcjt em ganz genau Bescheid,
Dat her unmöglich kamen künn.
Weißt du's nun auch?' — 'Herr Leutnant, ja!'
Un uns' gaud Jochen Päsel geiht.
Den Leutnant füllt wat in, hei ritt
Dat Finster up un röppt em nah:
'Und dann bring gleich das Essen mit.' —
Un Jochen Päsel kümmt tau 'r gned'gen Fru:
'Was giebt's, mein Sohn, was bringest du?' —
'Empfehlung von'n Herrn Leutinant
An gned'ge Fru von Diamant,
Un was mein gnedigst Leutnant wär',
Der kcm heut nich zu's Essent her,
Denn nach 'ner guten Stunde schon
Müßt allens gnedigst abmarschieren,
In Woldek wär 'ne Rebellion
Un thäten hellschen rebellieren
Bon wegen einer Holzgeschicht,
Un dorüm könnt Herr Leutnant nicht.' —
'Das ist ja schad', das thut mir leid!' —
Un Jochen Päsel steiht un stecht
Un ward de Feldmütz dörch de Knäwel wringen.
Sei fröggt, worüm hei denn nicht geiht.
'Das Essent,' seggt hei, 'füll ich bringen.' —
Na, sei is denn en lustig Wiw,
Dat up en Spaß sik gaud verstciht,
Un seggt tau em: 'Na, täuw,3) denn bliw
Man noch en Ogenblicking hir.'
Un in en blotes Ümseihn wir
En groten Korf vull Eten packt
Un Jochen Päseln npgcsackt.
De dröggt denn munter dormit fürt. —
Sin gnedigst Leutnant heit all lurt
Un set't sik ganz verdreitlich nedder.
'So,' seggt hei, 'na, nu giwwt dat wedder
1) geweint. 2) Herz. 3) warte.
317
Den ew'gen Swins - un Hamelbraden.
Ach! bei der Diamant geladen,
Bei einem solchen Weib zum Küssen,
Und dann von Platen essen müssen!' —
Doch ward em bald ganz nahrsch^) tau Maud.
Dat Eten, dat is würklich gaud,
So hett em dat seindag' nich smeckt;
Un Brad', Pasteten, Is, Confect —
Un nu noch gor 'ne Buddel Sect!
Dat is en Eten, as sik 't hürt,
As sik dat för en Leutnant hürt,
De in den blassen Dod marschiert
Un sik tauletzt noch regaliert.
Hei fröggt den Kirl, ob denn bi Platen
Billicht 'ne Hochtid utrüp't wir,
Oder ob hei wedder dopen5) laten. —
'Ne,' seggt uns' Jochen, 'dat 's von ehr.' —
'Wo,' fröggt de Leutnant, 'ist es her?' —
'Na, von de Fru von Diamant;
Jk füll mi dat dor glik jo föddern.' —
Na, nu denn uns' Herr Lentinant!
De ward denn los nu dunnerwcddern
Up unsen leiwen Jöching Päsel,
Up Ihr 6) un Gasch' un Talj tauswören,
Hei wir de allergrötste Esel,
De up twei Beinen rümmer lep,
Un wenn hei't mal taufällig dröp,
Dat sei mit Jöching Veihusdören
Jnrönnen deden,
Hei, de Herr Leutnant, würd't nich wehren. —
Indessen ok so 'n Leutnantszorn
Hett sine Tid, hei towt sik ut,
Un as de Leutnant ruhig word'n,
Dünn treckt hei sinen Büdel rut
Un langt drei Daler drut hervör
Un nimmt s' un röppt: 'Komm hier mal her!
Hier sind drei Thaler. Siehst du, Esel?' —
'Woll, zu Befehl,' seggt Jochen Päsel. —
'Die nimmst du hier und gehst sogleich
Zu dem Conditor Butterteig —
Verstehst du mich auch recht, du Esel?' —
'Befehl, Herr Leutnant,' seggt uns' Päsel. —
'Da forderst du dir eine Torte,
Die schönste, die da ist im Laden,
Und trägst sie nach demselben Orte,
Wo ich zu Mittag war geladen,
Und sagst zur Frau von Diamant:
Du wärst als Esel längst bekannt,
Sie möge gnädigst dir verzeibn,
Und wenn die Tort' ihr halb so schmeckte,
Wie mir die Braten und Confecte,
Die sie so freundlich mir gesandt,
So wttrd's für mich 'ne Wollust sein.
Hast nun verstanden, dummer Esel?' —
'Befehl,' seggt wedder Jochen Päsel. —
4) narrisch. 5) taufen. 6) Ehre.
318
Un Jochen geiht un bringt denn nu
Den Kauten 7) tau de gnedige Fru:
'Empfehlung von Herrn Leutinant
An gned'ge Fru von Diamant —'
Was bringst du da, mein lieber Sohn?' —
‘Unb wär' als Esel längst bekannt,
Un gned'ge Fru von Diamant —'
'Na, laß nur, laß, ich weiß das schon!' —
'Und sollten gnedigst doch verzeih»,
Un einen Kauten is dadrein,
Un sollt for Sie 'ne Wollust sein.' —
De gned'ge Fru, de lacht denn sihr:
'Na, sag dem Herrn Lieutenant,
Wenn er erst wäre wieder hier,
Dann sprächen wir wohl 'mal darüber.
Und grüß ihn nur, und hier, mein Lieber,'
Drückt em en Daler in de Hand
Un denkt denn nu, hei fall uu gähn;
Doch Jochen, de bliwwt stramm bestahn
Un hüllt de Hand so vor stk hen
Un kickt stk in de Hand herin,
As hadd hei nie en Daler seihn.
'Was stehst du noch? Was wartest du?'
Fröggt em tauletzt de gned'ge Fru,
Muu ist ja allens in der Reih!' —
'Ne,' seggt uns' Jochen, 'dit 's man ein,
De Kauken kost't uns sülwen drei.'
219.
Der Alan.
Von Geibel.
Lieder zu Schutz und Trutz 12. Lieferung. Berlin 1871. S. 113.
frühmorgens um vier, eh' die Hähne noch krähn,
Da sattelt sein Roß der Ulan
Und reitet, den Feind und das Land zu erspähn,
Den Waffengenossen voran.
Hin jagt er durchs Blachfeld und birscht durch den Forst,
Hoch flattert sein Fähnlein im Wind,
Und er lugt von der Höh' wie der Falke vom Horst
Und wählt sich die Straße geschwind.
In das sonnige Städtchen da sprengt er hinein,
Am Rathhaus hält er in Ruh:
'Herr Maire, nun schenkt mir vom schäumenden Wein,
Und ein Frühstück gebt mir dazu!
'Und schafft mir die prächtigen Rinder daher,
Die am Thor auf den Weiden ich sah,
Und Hafer für zwanzig Schwadronen, Herr Maire;
Denn die Preußen, die Preußen sind da!'
Hei lustige Streife! Hei köstlicher Scherz,
Wenn der Maire seine Bücklinge macht!
Doch freudiger wächst dem Ulanen das Herz,
Wenn die Schlacht durch die Ebene kracht, —
7) Kuchen.
Wenn, die Zügel verhängt und die Lanz' in der Faust,
Das Geschwader mit stiebendem Huf
Auf den eisernen Rechen des Vierecks braust
Unter schallendem Hurrahruf.
Wohl spei'n die Haubitzen Verderben und Tod,
Wohl deckt sich mit Leichen die Bahn,
Und die Luft wird wie Blei, und die Erde wird roth;
Doch vorwärts stürmt der Ulan.
Und rinnt auch das Blut von den Schläfen ihm warm:
Durch Geknatter und Kugclgesaus
Kühn setzt er hinein in den dichtesten Schwarm
Und holt sich den Adler heraus.
Und 'Victoria' schallt's durchs Getümmel herauf,
Schon wanken die feindlichen Reih'n,
Und das Wanken wird Flucht, und die Flucht wird Lauf,
Der Ulan, der Ulan hinterdrein!
Hinterdrein durch den Fluß, wo die Brücke verbrannt,
Durch das Dorf, das der Bauer verließ,
Mit Gott für König und Vaterland
Hinterdrein, hinterdrein bis Paris!
Dort giebt's einen Tanz noch im eisernen Feld,
Bis der Franzmann den Athem verliert
Und Wilhelm der Sieger, der eisgraue Held,
Im Louvre den Frieden dictiert.
Doch wenn dann die blutige Arbeit gethan
Und die Stunde der Heimkehr erschien,
Wie reitet so stattlich im Glied der Ulan
Am Einzugstag in Berlin!
Da steht an den Linden die rosigste Dirn'
Und jubelt vor Stolz und vor Lust:
‘£> wie lieb' ich dich erst um die Narb' auf der Stirn'
Und das eiserne Kreuz auf der Brust!'
220.
Metella.
Bon Schack.
Gedichte. Berlin 1867. §
Siehst du das Weib im Kleid der
Trauer,
Das Tag für Tag seit Jahresdauer
Durch Rom dahinwankt hauptverhüllt
Und seine Hügel all', die sieben,
Rastlos, vom Schmerz umhergetrieben,
Mit lauter Weheklage füllt?
Schon frühe mußte sie den Gatten
In seiner Väter Gruft bestatten;
Die Kunde ward ihr dann gebracht,
Daß er, den sie geliebt vor allen,
Ihr Sohn, ihr Lentulus, gefallen
In Cannä's mörderischer Schlacht.
>. 316. — 2. Anst. S. 356.
Und als ihr kam der Trauerbote,
Da, selber bleich wie eine Todte,
Rief sie am Herd die Götter an:
'Laßt mich, ihr Lenker der Geschicke,
Allein auf Erden nicht zurücke!
Erlöst mich von des Lebens Bann!'
Zwölf Monde sind seitdem ver-
schwunden,
Sie hat den Tod zu allen Stunden
Als einz'gen Retter sich erfleht;
Sie trat durch jede Tempelpforte
Und stammelte dieselben Worte,
Doch unerhört blieb ihr Gebet.
320
Und, Asche auf das Haupt sich streuend,
Irrt sie, den Wehruf stets erneuend,
Vom Quirinal zum Palatin:
Was einz'ge war er, was ich hatte,
Mehr noch, als da mir starb der Gatte,
Verwitwet bin ich nun durch ihn.
Wen soll ich an die Brust noch pressen?
Auf wessen Lippen, ach auf wessen
Drück' ich den warmen Mutterkuß?
Wer wird mich jetzt im Alter stützen,
Wer plaudernd mir zur Seite sitzen,
Seitdem dahin mein Lentulus?
Ach, hold und schön, mit achtzehn
Jahren
Durch Schwerter blutiger Barbaren
Fiel er dem grimmen Mars zum Raub,
Und fern dem Sitz der hohen Ahnen
Umschweifen ruhlos nun die Manen
Des Jünglings windverwehten Staub.
Mich aber hält, daß von der Erde
Ich nicht hinweggenommen werde,
Der strengen Götter Machtgebot;
Nichts rettet mich vom Leid, dem herben;
In Jammer muß ich ewig sterben,
Und ewig flieht mich doch der Tod!'
So klagt sie laut, da plötzlich schreitet,
Vom Jubelruf des Volks begleitet,
Im Erzgewand mit hurt'gem Fuß
Ein junger Krieger durchs Gedränge;
Wich da!' — so ruft es aus der Menge —
Metella, sieh! dein Lentulus!'
Und sprachlos, ohne sich zu regen,
Starrt sie dem Kommenden entgegen,
An ihren Busen sinkt der Sohn,
D Mutter, Mutter! lang' im Lager
Hielt mich gefangen der Karthager;
Den Göttern Dank, ich bin entflohn!'
Doch sie bleibt stumm, umklammert
hält sie,
Den Theuern, dann zu Boden fällt sie,
Und durch die Menge raunt es sacht:
*Für immer hat sie ausgerungen!
Was nicht dem langen Gram gelungen,
Das hat die Freude schnell vollbracht.'
221.
Zwei Könitzskindcr.
Volkslied.
Simrock: Die deutschen Volksbücher. Bd. VHi. Franks, a. M. 1851. S. 7. - Uhland: Volks-
lieder- Stuttg. u. Tüb. 1814 u. 1845. S. 199.
Cs waren zwei Königeskinder,
Die hatten einander so lieb,
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war viel zu tief.
'Ach Mutter, herzliebste Mutter,
Mein Bruder ist noch ein Kind,
Er schießt ja alle die Vögel,
Die auf der Seekante sind.' —
Ach Liebster, kannst du schwimmen,
So schwimme doch her zu mir,
Drei Kerzchen will ich anzünden,
Die sollen auch leuchten dir.'
Das hörte die falsche Nonne
Auf ihrer Schlafkammer, o weh!
Sie thät die Kerzchen ausblasen,
Der Jüngling blieb in der See.
Es war am Sonntagmorgen,
Die Leute warn alle so froh,
Nicht so des Königes Tochter,
Die Augen die schmerzten sie so.
Ach Mutter, herzliebste Mutter,
Mein Kopf thut mir so weh,
Soll ich nicht gehn spazieren
Am Rande der rauschenden See?' —
Ach Tochter, herzliebste Tochter,
Allein sollst du nicht gehn,
Ruf deinen jüngsten Bruder,
Und der soll mit dir gehn.' —
Ach Tochter, herzliebste Tochter,
Allein sollst du nicht gehn,
Weck deine jüngste Schwester,
Und die soll mit dir gehn.' —
Ach Mutter, herzliebste Mutter,
Meine Schwester ist noch ein Kind,
Sie pflückt ja alle die Blümlein,
Die an der Seekante sind.
'O Mutter,' sagte sie, Mutter,
Mein Herze thut mir so weh,
Laß andere gehn zur Kirchen,
Ich bet' an der rauschenden See.'
Die Mutter gieng zur Kirchen,
Die Tochter zum Meeresrand,
Sie gieng da so lange spazieren,
Bis sie einen Fischer'fand.
Ach Fischer, liebster Fischer,
Willst du verdienen Lohn,
So senke dein Netz ins Wasser,
Fisch mir den Königessohn.'
Er senkte sein Netz ins Wasser
Und nahm sie in den Kahn,
Er fischte und fischte so lange,
Bis sie den Königssohn sahn.
Was nahm sie von ihrem Haupte?
Eine goldene Königskron:
'Sieh da, viel edler Fischer,
Das ist dein verdienter Lohn.'
Was zog sie von ihrem Finger?
Ein Ringlein von Gold so roth:
'Sieh da, du armer Fischer,
Kauf deinen Kindern Brot.'
Sie schloß ihn in ihre Arme,
Küßt' ihm den bleichen Mund:
'Ach Mündlein, könntest du sprechen,
So wäre mein Herz gesund.'
Sie schloß ihn an ihr Herze
Und sprang mit ihm ins Meer:
'Gute Nacht, mein Vater und Mutter,
Ihr seht mich nimmermehr.'
Da hörte man Glöcklein läuten,
Da hörte man Jammer und Noth.
Hier liegen zwei Königeskinder,
Die sind alle beide todt.
222.
Pallas s Tod.
Bon Hermann Hölty.
Manuscript des Dichters.
Es wohnt der Gott des Lichtes im schimmernden Palast,
Hoch zu den Wolken raget der Silbermauern Glast;
Doch Paltar's Haar ist lichter, sein Antlitz Sommerlicht,
Wie seine Hand nur segnet, sein Mund nur Segen spricht.
Aber Loki, der Unhold der Nacht,
In unterirdischem Felsenschacht
Er brütet Paltar's Verderben.
Es schläft der Gott des Lichtes im hehren Götterhaus;
Da ziehet ihn ein Traumbild in Nacht und Todesgraus.
Er fährt empor erschrocken ans dunkler Traumesqual;
Er macht es kund, da beben die Götter allzumal.
Wehe! Loki, der Unhold der Nacht,
In unterirdischem Felsenschacht
Er brütet Paltar's Verderben.
Dem Weltenlenker, Wuotan, ihm banget ob dem Sohn;
Er ist auf Wolkenrossen zur Nornenschlucht geflohn;
Er hat ins Grab gerufen, durch Rnnenspruch verstört
Den Schlaf der Schicksalskund'gen; er hat ihr Wort gehört:
'Hüte dich! Loki, der Unhold der Nacht,
In unterirdischem Felsenschacht
Er brütet Paltar's Verderben.'
2.
Und Wuotan ruft die Götter: 'Auf! haltet euch bereit,
Zu binden alle Schöpfung durch einen theuren Eid,
Das Element, die Kräfte, die Kinder der Natur;
Den Gott des Lichts zu schonen, gelobe uns ihr Schwur.
Fort! Paltar's Leben gilt es! und leisten sie den Eid,
Dann ist der Gott des Lichtes vor Loki's Grimm gefeit.'
Aber still im Eichenwald
Sproßt die zierlichste Pflanzengestalt,
Die zarte Mistelstaude.
Und alle Götter eilen zum Werke lichtesschnell,
Besprechen sich mit Feuer, mit Erde, Wind und Well':
'Dem Paltar droht Verderben, dem Liebling der Natur!'
Und alle Elemente, sie leisten gern den Schwur.
Colshorn u. Goedeke's Lesebuch II. 21
. 71W! mm liMÜiMi TT J
322
Es schwören alle Thiere, die Erze, das Gestein;
Die Götter ziehn die Pflanzen auch in den Eid hinein.
Aber still im Eichenwald
Sproßt die zierlichste Pflanzengcstalt,
Die zarte Mistelstaude.
'Welch Flüstern, welch Besprechen im wunderschnellen Lauf?
Was ists?' so fährt im Schachte vom Brüten Loki auf.
'Horch! Paltar hat vereidigt zum Schutze Meer und Land;
Erspäh' ich noch ein Wesen vom Eide nicht gebannt?'
Auf Feuerwolken fährt er empor und späht und lauscht
Und hört die Götter jauchzen, von Sicherheit berauscht.
Aber still im Eichenwald
Sproßt die zierlichste Pflanzengestalt,
Die zarte Mistelstaude.
Gott Wuotan lächelt heiter: 'Das Werk ist fast vollbracht!
Nur dort die wen'gen Bäume noch nehmt zum Eid in Acht!'
Gott Paltar lachet freudig: 'Nachtfürst, ohnmächt'ger Wicht!
Nun ist das Werk vollendet, nun beuge dich dem Licht!'
Und Loki, ungesehen, er raunt in Hohnesglut:
'Den Mistelsproß vergaßt ihr in eurem sichern Muth.
'Weh euch! still im Eichenwald
Sproßt die zierlichste Pflanzengestalt,
Die zarte Mistelstaude.'
Die Götterschar erhebet nun frischen Siegsgesang,
Die Becher methgefüllet sie geben Hellen Klang;
Die Lieder, so da singen von Licht und ew'gem Glück,
Bringt dort vom Fels, vom Meere der Widerhall zurück.
Und Loki, ungesehen, er schnitzt in Zorncseil'
Aus zarter Mistelstaude den allerschärfsten Pfeil.
Hüte dich, Paltar! still im Wald
Sproßt die zierlichste Pflanzengestalt,
Die zarte Mistelstaude.
3.
Es wogt im goldnen Saale Gesang, Kurzweil und Spiel;
Die Götter nehmen heiter den Paltar sich zum Ziel.
Sie schleudern Speer und Lanze, sie schlagen mit dem Schwert,
Sie werfen Fackelbrände, und nichts hat ihn versehrt.
Aber Paltar, es schützt dich nicht
Der Schwur der Natur, du Friedenslicht,
Du Liebling von Himmel und Erde!
Es jubeln laut die Götter und lachen allzumal;
Da steht urplötzlich Loki im goldnen Göttersaal:
'Was gilt es? Blinder Hadu, hier nimm den zarten Pfeil,
'Und gieb zu Paltar's Ehre auch deinen schwachen Theil!'.
Hüte dich, Paltar! es schützt dich nicht
Der Schwur der Natur, du Friedcnslicht,
Du Liebling von Himmel und Erde!
Mitleidig schaun die Götter den blinden Hadu an;
ES fliegt, gelenkt von Loki, der Pfeil: da ist's gethan,
Da beben alle Götter vor Schreck und Schmerz zugleich;
Den Paltar hat entsendet der Wurf in Hellia's Reich.
Wehe dir, Paltar, es schützte dich nicht
Der Schwur der Natur, du Friedenslicht,
Du Liebling von Himmel und Erde!
■
Inhalt.
Die mit einem Stern bezeichneten Stücke sind Gedichte.
Nr.
* 1.
2.
* 3.
4.
5.
* 6.
7.
* 8.
* q
*io!
ii.
*12.
*13.
14.
*15.
*16.
17.
*18.
19.
*20.
21.
*22.
*24.
25.
26.
27.
28.
*29.
*30.
Seite Nr.
Des Deutschen Vaterland. 31.
Arndt....................... 1
Deutschland. Luden............ 2 *32.
Aus der Jugendzeit. Rückert. 4
Ein Blick auf die Vogelwelt. 33.
Maflus...................... 5
Die weit der klänge. *34.
Jac. Grimm.................. 7 35.
Lob des Einsiedels. Volkslied. 9 *36.
Die Nachtigal. Kn; und Rei- 37.
chenbach................... 10
Begrüßung des Wandrers *38.
im unbesuchten Thal. 39.
Rückert.................... 14 *40.
Die Frösche. Goethe........... 15
Tunkönig. Groth............... 15 41.
Der Zaunkönig, brüder
Grimm...................... 16 *42.
Die Lerchen. Rh land.......... 18 43.
Ostermorgcn. Geibrl........... 18 *44.
Dre Lerche. Krummachrr.... 19 45.
Wachtelschlag. Volkslied.... 20 *46.
Wachtelschlag Adolf Stöber. 21
Vor Jerusalem. Schubert.... 22 47.
Zuflucht. Geibel.............. 23
Die Räuber auf der Straße *43.
nach Jericho. Preiswerk... 24 49.
Kreuzgesang. Novalis.........33
Jerufalem's Eroberung durch *50.
Gottfried von Bouillon. 51.
Decher..................... 34 *52.
St. Peter mit dem faulen 53.
Bauerknecht. Hans Sachs.. 36
Warum die Blätter der Espe *54.
immer taumeln und bau-
meln müssen. Stifter......... 37 *55.
Die Sprache und ihre Lehrer.
Rückert.................... 38 56.
An seine Schwester. Heffing. 39
An Spalatin. Lnihrr.......... 40 *57.
Sprüche. Simrock.............. 41 58.
Nützliche Lehren. Hebel......41 *59.
Der Morgen kommt.
Goedrke.................... 43 *60.
Troftlied. Günther............ 43
Seite
Die Veränderung.
Harsdörsser................. 43
Aus dem Leben eines Kindes.
Ncinick..................... 44
Das spielende Kind.
Scriver..................... 45
Andacht. Spitta............... 45
Die Kirchtürme. Scriver.... 46
Babel. Geibel................. 46
Der Schieferdecker. Btto
Ludwig...................... 48
Turmwächters Lied. Fouquö.. 50
Der Seesturm. Campe..........51
Das Lied vom braven Manne.
Bürger...................... 52
Das brave Mütterchen.
Müllenhoss...................55
Legende. Grüneisen............ 56
Herr Charles. Hebel............57
Die Rache. Rhland............. 60
Der treue Diener. Hessing... 60
Remteremteremtemtem.
Colshorn.................... 62
Drei lustige Historien von
Hans Clauert. Krüger.... 63
Zwölf Räthsel. Rückert.......66
Der Rabe und der Fuchs.
Lrsflng..................... 67
Der Löwe u. d. Fuchs. Gleim. 68
Der fuchs. Jac. Grimm... 68
Der Feind. Scherrnbrrg .... 69
Der Mittag auf dem Königs-
see. Jacobs................... 70
Morgenfeier im Frühling.
Knapp....................... 80
Schäfers Sonntagslied.
Rhland...................... 80
Der Hirt von Mühlheim.
C. Meier.................... 80
Sonntagsfrühe. Hebel.........82
Sonntagsfeier. Grenzbotrn.. 83
Von den zween Märtyrern.
Luther.......................85
Heinrich von Zütphen.
Groth........................86
. X W? 7MMUK.TT J
324
Nr.
61. Johann Hussens Tod. Zach.
Theobald..................
*62. Der 46. Psalm. Kuther....
63. Luther zu Worms.
Marheineke................
*64. Ich hab's gewagt. Hutten..
65. Hutten u. Sickingen auf der
Ebernburg. Dav. Strauß..
*66. Schwerting, der Sachsen-
herzog. Ebcrt....................
67. Herzog v. Alba zu Rudol-
stadt. Schiller.................
*68. Klein Roland Ahland.........
69. Der eiserne Karl. brüder
Grimm.....................
*70. Sinngedichte. Kogau.........
*71. Land und Leute. Schiller...
72. Die Staublawinen. Tschudi.
*73. Die Martinswand. Grün..
74. Die Gemse. Len;.............
*75. Der Alpenjäger. Schiller...
76. Der gemsjäger. brüder
Grimm.....................
*77. Erlkönig. Goethe............
78. Donner, Blitz und Wetter.
C. Meier..................
*79. Stnrmnacht. ¿Storni.........
80. Ein Orkan in der Wüste.
Schubert..................
*81. Die Karawane des Meers.
Schloenbach...............
82. Die brennenden Berge und
der Geysir auf Island.
Hartwig...................
*83. Die Frühlingsfeier.
Klopstock.................
84. Über das Nordlicht.
A. v. Humboldt............
*85. Die Sternseherin.
Claudius..................
86. Die Weltkörper. Jacobs....
*87. Lied der Erzengel. Goethe..
88. Salomo. Krummacher..........
*89. Psalm. Klopstock............
90. Das Vaterunser. Claudius.
91. Der Parse, der Jude und
der Christ. Krummacher...
*92. Abendlied. Günther..........
*93. Stimmen der Nacht.
Eichendorss...............
94. Die Gesänge der Nacht.
Herder....................
*95. Morgenlied. E. Alberus
*96. Morgenlied. Hoffmann v. F.
97. Die Morgenröthe.
Schubert..................
Seite
87
90
90
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139
139
140
141
141
Nr. Seite
* 98. Morgenwanderung.
Geibel................... 142
* 99. Morgengesang am Schö-
pfnngsseste. Klopstock... 142
*100. Frühlingsgruß. Eichen-
dorss............................. 143
101. Sonnenaufgang auf dem
Ätna. Campe............... 143
*102. Lobgesang. Herder..........146
*103. Sanct Augustin. Schreiber. 147
104. Der Thron der Herrlich-
keit. Herder.............. 147
105. Marienkind, briider
Grimm..................... 148
*106. Aus dem Walde. Geibel.. 152
107. Die Wellingtonia.
Seemann................... 153
*108. Der Fichtenbaum. Heine.. .160
109. Billet doux von Görgel.
Claudius.................. 160
*110. Der Fichtenbaum.
Scheurlin................. 161
*111. Preis der Tanne. Kerner. 162
112. Der Weinstock. Herder.... 162
*113. Hoffnung. Geibel............ 163
114. Im Jnnius. Claudius.... 164
*115. Abseits. Storni............. 164
*116. Aufmunterung zur Freude.
L. Hölty.................. 165
117. Ans Werther's Leiden.
Goethe.................... 165
*118. Frühlingsbotschaft. Heine.. 166
*119. Vorüber. Kletke..............166
*120. Der Dorfkirchhof. Adolf
Stöber............*......166
121. Die Linde am Friedhof.
Jäger..................... 167
*122. Schnitterlied. Volkslied... 169
*123. Abschied. Spitta............ 169
*124. Die Mutter im Sarge.
Knapp..................... 170
125. Zieht den Hut ab, Kinder,
es folgt ein Sterbebett.
Pestalozzi................ 171
*126. Auf einem Grabe. Hebel.. 179
*127. Elegie bei dem Grabe mei-
nes Vaters. L. Hölty... 180
128. An seine Mutter. Klopstock. 181
*129. Auf einen Grabstein.
Rhland.................... 182
130. An seinen Bruder.
Lesstng................... 182
*131. Auf meines Kindes Tod.
1—6. Cichcndorff......... 184
132. An Schiller.
Wilhelm v. Humboldt.... 185
Nr. Seite
133. An Wilh. v. Humboldt.
Schiller.................. 186
*134. Gute Nacht. Rückert........187
*135. Frühzeitiger Tod.
Roberthin................. 187
*136. Auf den Tod eines Mägd-
leins. Fleming............. 188
137. An Paulli. Luther......... 189
*138. Rede eines Gelehrten aus
seinem Grabe. Andreas
Gryphius.................. 191
*139. Die Unbefungenen.
Annette v. Droste-Hülshof. 192
140. Was ich wohl mag.
Claudius.................. 193
*141. Der Postillon. Lenau.........193
142. Parentation. Claudius.... 194
*143. Auf ein verwelktes Rös-
chen. Weife........................ 195
144. Unverhofftes Wiedersehen.
Hebel..................... 195
*145. Das Lied vom Samen-
korn. Krummacher........... 197
146. Gottes Körnlein. Luther... 198
*147. Der sterbende General.
Annette v. Droste-Hülshof. 199
148. Die besten Freunde.
Butfchky.................. 200
*149. Zwölf Vierzeilen. Rückert. 200
150. Sprüche. Luther...........201
151. Kinderzucht. Abraham a
Santa Clara............... 202
*152. Hüetent wol der drier!
Walther von der Vogel-
weide .................... 203
153. Untreue schlägt den eigenen
Herrn. Hebel.............. 204
*154. Das Pferd als Kläger.
Simrock................... 205
155. Naturrecht. Fr. H. v. d.
Hagen..................... 206
*156. Der Prozeß. Geliert........207
157. Eine Hand voll Gras, die
alles fraß. Karl Stöber.. 209
*158. Zufriedenheit. Mister 214
159. Hans im gliiek. briider
Gi'imm.................... 215
*160. Rudolf von Habsburg.
Görres u. Pocci...........219
161. Wie es König Rudolf in
seiner schlechten Tracht er-
gangen. Lehman...........219
*162. Der Junker und der Bauer.
Richey.................... 220
*163. Die Natter. Hagedorn.... 221
Nr. Seite
164. Kaiser Heinrich III. mit
dem geschenkten Pferde.
Lehman.................... 221
*165. Das Grab im Busento.
Platen.................... 222
166. Attila. Mascov.............. 223
*167. Der Vandalen Auszug.
Kaufmann................. 224
168. Die Ungarn. Luden............225
*169. Der Zweikampf. Grün.... 225
170. Die Schlacht auf dem
Lechfeldc. Giefebrecht.... 227
*171. Bischof Kollonitz. Pocci
u. Görres................. 233
172. Der Schneider in Pensa.
Hebel..................... 234
*173. Gott und die Fürsten.
Rückert................... 238
174. Von dem fischer un syner
fru. briider Grimm ... 240
*175. Die Histörchen. Kopifch ... 246
176- Der base und der igel.
briider Grimm............. 252
*177. Der Räthselmann. Rückert. 255
178. Einträglicher Räthselhan-
del. Hebel......................... 256
*179. Tragische Geschichte.
Chamisso ................. 259
180. Wie die Schildbürger das
Gras wollen von einer
alten Mauer schaffen.....259
*181. Das grüne Thier und der
Naturkenner. Kopifch ... 260
182. Von einem großen Kukuk.
Aus dem Wegekörter.... 261
*183. Till. Gestert................ 262
184. Von Eulenspiegel.
Volksbuch................. 263
*185. Ein maere. Marner...........264
186. Münchhaufenfche Lügen.
Rafpe..................... 264
*187. Der Faule. Lefstng..........268
188. Selber ist der Marin.
Agricola.................. 268
189. Sprichwörtliche Redens-
arten. Hoefer............. 269
*190. Der schwarze Hildebrand.
Wolfgang Müller v. Lr. 270
191. Ger grenzlauf. briider
Grimm..................... 272
*192. Die beiden Wächter.
Geliert................... 273
193. Der Gesandte Besser am
Hofe v. England. Klopp. 274
*194. Des Königs Denkmal.
Rückert................... 275
aü»
«MW» ’JimmtmsRL.'rr j*
326
Nr. Seite
195. König Friedrich und sein
Nachbar. Hebel...............276
*196. Die Execution. Schcrenberg 277
197. Eigenhänd. Resolutionen.
Friedrich der Grosze.......278
198. Wie König Rudolf in einer
dunkeln Sache das Recht
erforscht. Lehman ...........279
*199. Ode an die preußische
Armee. Kleist............... 280
200. Die Schlacht bei Zorndorf.
Archenholtz................. 281
*201. Sanssouci. Geibel.............286
202. Friedrich der Große. Lavater 287
*203. Harras, der kühne Sprin-
ger. Körner.......................... 288
204. Seydlitz, der kühne Reiter.
Varnhagen v. Ense..........290
*205. Standhaft und treu. Fischart 293
*206. Deutsche Sprüche. Simrock 294
207. Aus ckern uornackeulcbeu
clor ckeutsebou Vorzeit.
Jacob Grimm...........................294
Nr. Seite
*208. Deutsches Lied. Pröhle.... 297
*209. Gelübde. Maszmann...........298
210. Armin. Luden.................. 298
*211. Deutscher Trost. Arndt.... 309
*212. Die drei Gesellen.
Nückert................... 310
*213. Des deutschen Knaben Tisch-
gebet. Gerok........................311
*214. Klagelied eines Gymnasial-
lehrers. Sturm..................... 311
*215. Die Huisiten und die Kinder
von Naumburg. Adolf
Stöber.................... 312
*216. Der Winterschlaf.
Reumann................... 313
*217. Pater Crescentius.
Wolfgang Müller v. K... 314
*218. Oh, Jöching Päsel. Reuter. 315
*219. Der Ulan. Geibel..............318
*220. Metella. Schack.............. 319
*221. Zwei Königskinder.
Volkslied................. 320
*222. Paltar's Tod. H. Hölty... 321
Verzeichnis der Autoren.
Die biographischen Notizen befinden sich im dritten Theile.
Abraham a Santa Clara, eig. Ulrich Megerle. Nr. 151.
Agricola, Johann, eig. Schnitter. Nr. 188.
Alberus, Erasmus. Nr. 95.
Archenholtz, Johann Wilhelm v. Nr. 200.
Arndt, Ernst Moritz. Nr. 1. 211.
Becker, Karl Friedrich. Nr. 21.
Bürger, Gottfried. Nr. 40.
Butschky, Samuel v. Nr. 148.
Campe, Joachim Heinrich. Nr. 39. 101.
Chamisso, Adelbert v., eig. Louis Charles Adelaide de. Nr. 179.
Claudius, Matthias. Nr. 85. 90. 109. 114. 140. 142.
Colshorn, Theodor. Nr. 46.
Droste-Hülshof, Annette Elisabeth Freiin v. Nr. 139. 147.
Ebert, Karl Egon. Nr. 66.
Eichendorff, Joseph Freiherr v. Nr. 93. 100. 131 (1 — 6).
Fischart, Johann, gen. Mentzer. Nr. 205.
Fleming, Paul. Nr. 136.
Fouqutz, Friedrich Baron de la Motte. Nr. 38.
Friedrich der Große. Nr. 197.
Geibel, Emanuel. Nr. 13. 18. 36. 98. 106. 113. 201. 219.
Gellert, Christian Fürchtegott. Nr. 156. 183. 192.
Gerok, Karl. Nr. 213.
Giesebrecht, Ludwig. Nr. 170.
Gleim, Johann Ludwig. Nr. 50.
Goedeke, Karl. Nr. 29.
327
Görres, Guido v. (u. Franz Pocci). Nr. 160. 171.
Goethe, Wolfgang ö. Nr. 9. 77. 87. 117.
Grimm, Jacob und Wilhelm. Nr. 5 (Jacob). 11. 51 (Jacob). 69. 76.
105. 159. 174. 176. 191. 207 (Jacob).
Grimmelshausen, Hans Jac. Christoph v. Ne. 6.
Groth, Klaus. Nr. 10. 60.
Grün, Anastasius, eig. Ant. Alex. Maria Graf Auersperg. Nr. 73. 169.
Grüneiseu, Karl. Nr. 42.
GryphiuS, Andreas. Nr. 138.
Günther, Johann Christian. N. 30. 92.
Hagedorn, Friedrich v. Nr. 163.
Hagen, Friedrich Heinrich v. d. Nr. 155.
Harsdörffer, Georg Philipp. Nr. 31.
Hartwig, Georg. Nr. 82.
Hebel, Johann Peter. Nr. 28. 43. 57. 126. 144. 153. 172. 178. 195.
Heine, Heinrich. Nr. 108. 118.
Herder, Johann Gottfried v. Nr. 94. 102. 104. 112.
Ho es er, Edmund. N. 189.
Hoffmann v. F., Heinrich August. Nr. 96.
Hölty, Hermann. Nr. 222.
Hölty, Ludwig. Nr. 116. 127.
Humboldt, Alexander v. Nr. 84.
Humboldt, Wilhelm v. Nr. 132.
Hutten, Ulrich v Nr. 64.
Jacobs, Friedrich. Nr. 53. 86.
Jäger, Hermann. Nr. 121.
Kaufmann, Alexander. Nr. 167.
Kerner, Andreas Justinus. Nr. 111.
Kleist. Christian Ewald v. Nr. 199.
Klette, Hermann. Nr. 119.
Klopp, Onno. Nr. 193.
Klopstock, Friedrich Gottlieb. Nr. 83. 89. 99. 128.
Knapp, Albert. Nr. 54. 124.
Kopisch, August. Nr. 175. 181.
Körner, Theodor. Nr. 203.
Krüger, Bartholomäus. Nr. 47.
Krummacher, Friedrich Adolf. Nr. 14. 88. 91. 145.
Lavater, Johann Kasper. Nr. 202. -
Lehman, Christoph. Nr. 161. 164. 198.
Lenau, Nicolaus, eig. Nie. Niembsch, Edler v. Strehlenau. Nr. 141
Lenz, Harald Othmar. Nr. 7. 74.
Lessing, Gotthold Ephraim. Nr. 25. 45. 49. 130. 137.
Logau, Friedrich v. Nr. 70 (1 — 14).
Luden. Heinrich. Nr. 2. 168. 210.
Ludwig, Otto. Nr. 37.
Luther. Martin Nr. 26. 59. 62. 137. 146. 150.
Marheineke, Philipp Konrad. Nr. 63.
Marner, Konrad Nr. 185.
Mascov, Johann Jacob. Nr. 166.
Masius, Hermann. Nr. 4.
Mastmann, Hans Ferdinand. Nr. 209.
Meier, Ernst. Nr. 56. 78.
Miller, Johann Martin. Nr. 158.
Müllenhoff, Karl. Nr. 41.
Müller v. K., Wolfgana. Nr. 190. 217.
Neumann, Hermann. Nr. 216.
Novalis, eig. Friedrich Freiherr v. Hardenberg. Nr. 20.
328
Pestalozzi, Johann Heinrich. Nr. 125.
Platen, August Graf v. Nr. 165.
Pocci, Franz (u. G. Görres). Nr. 160. 171.
Preiswerk, S. dir. 19.
Pröhle, Heinrich. Nr. 208.
Raspe, Rudolf Erich. Nr. 186.
Räthsel. Nr. 48 (zwölf). 177 (zwölf).
Reichenbach, B. A. Nr. 7.
Reinick, Robert. Nr. 32.
Reuter, Fritz. Nr. 218.
Richey, Michael. Nr. 162.
Roberthin, Robert. Nr. 135.
Rückert, Friedrich. Nr. 3. 8. 24. 48. (1 — 12). 134. 149. (1 — 12.) 173.
177 (1 — 12). 194. 212.
Sachs, Hans. Nr. 22.
Schack, Adolf Friedrich v. Nr. 220.
Scherenberg, Christian Friedrich. Nr. 52. 196.
Scheurlin, Georg. Nr. 110.
Schiller, Friedrich v. Nr. 67. 71. 75. 133.
Schloenbach, Karl Arnold. Nr. 81.
Schreiber, Aloys. Nr. 103.
Schubert, Gotthilf Heinrich v. Nr. 17. 80. 97.
Scriver, Christian. Nr. 33. 35.
Seemann, Bertholt». Nr. 107.
Simrock, Karl. Nr. 27. 154. 206.
Spitta, Philipp. Nr. 34. 123.
Sprüche. Nr. 27. 70 (Logau). 149 (Rückert). 150 (Luther). 189 (Hoefer). 206.
Stifter, Adalbert. Nr. 23.
Stöber, Adolf. Nr. 16. 120 215.
Stöber, Karl. Nr. 157.
Storm, Theodor. Nr. 79. 115.
Strauß, David, dir. 65.
Sturm, Julius. Nr. 214.
Theobald, Zacharias. Nr. 61.
Tschudi, Friedrich v. Nr. 72.
Uh land, Ludwig. Nr. 12. 44. 55. 68. 129.
Varnhagen v. Ense, Karl August. Nr. 204.
Volksbücher. Nr. 47 (Hans Clauert). 180 (Schildbürger). 182 (Wege-
körter). 184 (Eulenspiegel). 186 (Münchhausen).
Volkslieder. Nr. 6. 15. 122. 221.
Walther von der Vogel weide. Nr. 152.
Weise, Christian. Nr. 143.
Zeitschriften. Nr. 58 (Grenzboten von G. Frehtag u. I. Schmidt).
121 (Die Natur von O. Ule und K. Müller).
Auflösung der Räthsel.
Nr. 48: 1. Pinsel. 2. Tauber. 3. Staar. 4. Weih. 5. Schnur.
6. Freier. 7. Ein Geschickter. 8. Angel. 9. Pfropfen. 10.
Geladen. 11. Vergeben. 12. Lecker.
Nr. 177: 1. Der Morgen. 2. Mast. 3. Spital, Hospital. 4. Rasen,
Wasen; Gipfel, Wipfel. 5. Strauß. 6. Feige, Ohrfeige. 7.
Mandel. 8. Bar. 9. Hahn, Huhn. 10. Sporn. 11. Nagel.
12. Kiel.