I. Erzählungen. 123 ich nicht lange herum, und wenn es beim Thorbäcker kein Brot giebt, geh' ich wieder einmal zu dem Herrn Paten hinüber.“ Der Gerber, der vielleicht die anklopfende Gnadenhand des Herrn spürte, sagte nicht ja und nicht nein darauf und ließ den kleinen Unmuß ziehen. Im ersten Brotladen hatten aber die Wecken schon alle ihre Käufer gefunden, und Helm kam wieder zum Thor herein, laut singend, wie es manchmal lebhafte Kinder mit ihren Gedanken zu machen pflegen, daß es die ganze Gasse hören konnte: „Heut geh' ich zum Herrn Paten! Heut geh' ich zum Herrn Paten!“ Ungehalten über den argen Schreihals wollte sein Vater ihm wehren. Aber ehe er noch das verquollene Fenster aufbringen konnte, war der kleine Sänger schon zum Tempel hinein, und — kehrte nach einigen Augenblicken als Friedensbote wieder zurück. Statt des Olzweigs hatte er einen geschenkten Eierring in der Hand und rief, über die Schwelle in die Stube herein stolpernd: „Der Herr Pate läßt Vater und Mutter recht schön grüßen, und ich soll bald wiederkommen.“ Noch an dem nämlichen Abend wechselten die Nachbarsleute einige freundliche Worte uüͤber die Gasse, am folgenden saßen die weiße und die gelbe Schürze wieder auf der grünen Bank beisammen, am dritten zeigten die Weiber einander die Leinwand, zu der sie in den bösen drei Jahren oft mit ihren Thränen über den unseligen Zwist den Faden genetzt hatten. Und es war hohe Zeit, daß der Herr den Friedensboten erweckt hatte. Denn einige Wochen darauf verfiel der Bäcker unerwartet schnell in einen Rervenfieber⸗Schlaf und aus diesem nach wenigen lichten Augenblicken in den Todesschlummer. — Gott gebe ihm eine fröhliche Urständ! Amen. aarl Stober. 110. Großmütterchen. Die Großmutter ist schon sehr alt und schwach; sie kann den Kindern nicht mehr viel sein. Aber weiß Gott, wie es zugeht, ihr Giebelstübchen ist der gemütlichste Raum des ganzen Hauses. In der Frühe, wenn die Sonne kommt, ihren goldenen Strahlen⸗ finger auf die Kommode am Fensterpfeiler legt, sieht es doch gerade so aus, als wollte sie sagen: „Da möchte ich auch lieber sitzen, als draußen der Welt zu ihren Thorheiten leuchten!“ — und abends weilt die Dämmerung nirgends länger als hier; es hat dann das Plauder⸗ stündchen geschlagen, für das jeder in der Familie, wäre er auch noch so beschäftiat, gern ein paar Augenblicke erübrigt, und zu dem die